50 Jahre Institut für Zeitgeschichte: Eine Bilanz [Reprint 2015 ed.] 9783486708516, 9783486564600

Mit der Festschrift bilanziert das Institut für Zeitgeschichte seine Forschungstätigkeit in den vergangenen 50 Jahren. N

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German Pages 623 [640] Year 1999

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Table of contents :
Vorbemerkung der Herausgeber
Geleitwort des Stiftungsratsvorsitzenden
Warum eine Festschrift? Einführende Überlegungen des Beiratsvorsitzenden
Das Institut für Zeitgeschichte und die Entwicklung der Zeitgeschichtsschreibung in Deutschland
Die fünfziger Jahre: Zwei Erfahrungsberichte
DAS INSTITUT UND SEINE ABTEILUNGEN
Die Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte
Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte
Der ehrenvolle Auftrag des Auswärtigen Amts: AAPD. Vorgeschichte und Anfänge eines editorischen Großunternehmens und der Außenstelle in Bonn
Zur Entstehung der Außenstelle Berlin
Obersalzberg. Orts- und Zeitgeschichte. Eine ständige Dokumentation des Instituts für Zeitgeschichte in Berchtesgaden
Die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
FORSCHUNGSPROJEKTE
Vorgeschichte und Geschichte des Nationalsozialismus
Justiz und Nationalsozialismus: Bilanz einer Bilanz
Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP: Metamorphosen eines editorischen Großversuchs
Die Edition von Hitlers Reden, Schriften und Anordnungen
Die Edition der Goebbels-Tagebücher
Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Auschwitz
Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur 1933 bis 1945
Widerstand und Emigration
Archive, Landesgeschichte und Zeitgeschichtsforschung: Das Projekt Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945
Bayern in der NS-Zeit: Grundlegung eines neuen Widerstandskonzeptes
Möglichkeiten und Grenzen der Widerstandsforschung heute. Einige Überlegungen zur Mikrofiche-Edition Widerstand als „Hochverrat“ 1933-1945
Das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933
Zwischenkriegszeit
Deutsche und Tschechen in der Zwischenkriegszeit: Bilanz eines Forschungsprojektes
Krisenzeit der „Klassischen Moderne“ oder deutscher „Sonderweg“? Überlegungen zum Projekt Faktoren der Stabilität und Instabilität in der Demokratie der Zwischenkriegszeit: Deutschland und Frankreich im Vergleich
Nachkriegsgeschichte (Besatzungszeit - Bundesrepublik Deutschland - DDK)
Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949. Ein frühes Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte und des Bundesarchivs
Das OMGUS-Projekt. Ein Erfahrungsbericht über die Verfilmung der Akten der amerikanischen Militärregierung in Deutschland
Politik und Gesellschaft in der amerikanischen Besatzungszone
Gesellschaft und Politik in Bayern 1949 bis 1973
Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt. Ein Beitrag zur Integrationsforschung
Die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. Traditionslinien, Aufbau, Themen
Die SBZ- und DDR-Forschung im Institut für Zeitgeschichte
Varia
Einzelveröffentlichungen. Eine kommentierte Bibliographie
ANHANG
Chronik des Instituts
Personalienverzeichnisse
Mitglieder des Kuratoriums bzw. des Stiftungsrates
Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates bzw. des Wissenschaftlichen Beirates
Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
Direktoren und Stv. Direktoren
Verwaltungsleiter
Institutsveröffentlichungen
Veröffentlichungen über das Institut
Personenregister
Autorenverzeichnis
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50 Jahre Institut für Zeitgeschichte: Eine Bilanz [Reprint 2015 ed.]
 9783486708516, 9783486564600

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50 Jahre Institut für Zeitgeschichte

50 Jahre Institut für Zeitgeschichte Eine Bilanz Herausgegeben von Horst Möller und Udo Wengst

R. Oldenbourg Verlag München 1999

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme 50 Jahre Institut für Zeitgeschichte : eine Bilanz / für das Institut für Zeitgeschichte hrsg. von Horst Möller und Udo Wengst. - München : Oldenbourg, 1999 ISBN 3-486-56460-9

© 1999 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Bindung: R. Oldenbourg, Graphische Betriebe GmbH, München Satz und Druck: Appl, Wemding ISBN 3-486-56460-9

Inhalt Vorbemerkung der Herausgeber

IX

Wolfgang Quint Geleitwort des Stiftungsratsvorsitzenden

XI

Hans-Peter Schwarz Warum eine Festschrift? Einführende Überlegungen des Beiratsvorsitzenden Horst Möller: Das Institut f ü r Zeitgeschichte u n d die Entwicklung der Zeitgeschichtsschreibung in Deutschland Hans B u c h h e i m / H e r m a n n Graml Die fünfziger Jahre: Zwei Erfahrungsberichte

XV

1 69

D A S I N S T I T U T U N D SEINE A B T E I L U N G E N

Christoph Weisz/Ingrid Baass Die Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte

87

Werner R ö d e r / H e r m a n n Weiß/Klaus A. Lankheit Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte

105

Rainer A. Blasius Der ehrenvolle Auftrag des Auswärtigen Amts: AAPD. Vorgeschichte u n d Anfänge eines editorischen Großunternehmens und der Außenstelle in Bonn

127

Hartmut Mehringer Zur Entstehung der Außenstelle Berlin

145

Volker Dahm Obersalzberg. Orts- u n d Zeitgeschichte. Eine ständige Dokumentation des Instituts f ü r Zeitgeschichte in Berchtesgaden

159

Hans Maier Die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

169

VI

Inhalt

FORSCHUNGSPROJEKTE

Vorgeschichte und Geschichte des Nationalsozialismus: Joachim Rückert Justiz u n d Nationalsozialismus: Bilanz einer Bilanz

181

Michael Ruck Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP: Metamorphosen eines editorischen Großversuchs

215

Frank-Lothar Kroll Die Edition von Hitlers Reden, Schriften u n d Anordnungen

237

Hans Günter Hockerts Die Edition der Goebbels-Tagebücher

249

Sybille Steinbacher Darstellungen u n d Quellen zur Geschichte von Auschwitz

265

Christian Hartmann Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur 1933 bis 1945 . . 281 Widerstand und Emigration: Hermann Rumschöttel Archive, Landesgeschichte u n d Zeitgeschichtsforschung: Das Projekt Widerstand u n d Verfolgung in Bayern 1933-1945 . . . . 303 Ian Kershaw Bayern in der NS-Zeit: Grundlegung eines neuen Widerstandskonzeptes

315

Johannes Tuchel Möglichkeiten u n d Grenzen der Widerstandsforschung heute. Einige Überlegungen zur Mikrofiche-Edition Widerstand als „Hochverrat" 1933-1945

331

Patrik von zur Mühlen Das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933

345

Zwischenkriegszeit: Udo Wengst Deutsche u n d Tschechen in der Zwischenkriegszeit: Bilanz eines Forschungsprojektes

355

Inhalt Andreas Wirsching Krisenzeit der „Klassischen Moderne" oder deutscher „Sonderweg"? Überlegungen zum Projekt Faktoren der Stabilität u n d Instabilität in der Demokratie der Zwischenkriegszeit: Deutschland u n d Frankreich im Vergleich

VII

365

Nachkriegsgeschichte (Besatzungszeit - Bundesrepublik Deutschland - DDR): Rudolf Morsey Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949. Ein frühes Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte u n d des Bundesarchivs

385

Hermann Weiß Das OMGUS-Projekt. Ein Erfahrungsbericht über die Verfilm u n g der Akten der amerikanischen Militärregierung in Deutschland

397

Adolf M. Birke Politik u n d Gesellschaft in der amerikanischen Besatzungszone . . . 409 Thomas Schlemmer Gesellschaft u n d Politik in Bayern 1949 bis 1973

427

Wolfgang Krieger Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die wesüiche Welt. Ein Beitrag zur Integrationsforschung

441

Gregor Schöllgen Die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. Traditionslinien, Aufbau, Themen

459

Günther Heydemann Die SBZ- u n d DDR-Forschung im Institut für Zeitgeschichte

469

Varia: Udo Wengst Einzelveröffentlichungen. Eine kommentierte Bibliographie

489

ANHANG

Chronik des Instituts (Hellmuth A u e r b a c h / H e r m a n n Weiß/ Udo Wengst)

507

VIII

Inhalt

Personalienverzeichnisse: - Mitglieder des Kuratoriums bzw. des Stiftungsrates - Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates bzw. des Wissenschaftlichen Beirates - Wissenschaftliche Mitarbeiter u n d Mitarbeiterinnen - Direktoren u n d Stv. Direktoren - Verwaltungsleiter

539 542 545 549 549

Institutsveröffentlichungen

551

Veröffentlichungen über das Institut

581

Personenregister

585

Autorenverzeichnis

597

Vorbemerkung der Herausgeber Die hier vorgelegte Festschrift bilanziert die Forschungstätigkeit und informiert über die Serviceleistungen des Instituts für Zeitgeschichte in den vergangenen 50 Jahren. In der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst mit dem Auftrag gegründet, den Nationalsozialismus und seine Vorgeschichte zu erforschen und damit einen Beitrag zur politischen Aufklärung zu leisten, erstreckt sich das Betätigungsfeld des Instituts heute auf den gesamten Bereich der deutschen Geschichte des 20.Jahrhunderts in ihrem europäischen Zusammenhang. Auf vielen Gebieten der zeitgeschichtlichen Forschung haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts Pionierarbeit geleistet und die wissenschafdiche Diskussion vorangetrieben. Dies zu dokumentieren ist das Ziel der Festschrift. Damit leistet sie zugleich einen Beitrag zur Darstellung der Entstehung und Entwicklung des Faches Zeitgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland, dessen internationale Anerkennung als wissenschafdiche Disziplin durch die Arbeit des Instituts entscheidend gefördert worden ist. Die Herausgeber danken allen Autoren dieser Festschrift für ihre Beiträge, die sich dadurch auszeichnen, daß sie die Arbeit des Instituts einer kritischen Würdigung unterziehen. Ebenso gedankt sei Frau Natalie Curry und Frau Petra Mörti, die die Schreibarbeiten erledigt bzw. die Herausgebertätigkeit redaktionell unterstützt haben. München, im August 1999

Horst Möller Udo Wengst

Wolfgang Quint Geleitwort des Stiftungsratsvorsitzenden

In einem Jahr, in dem nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch zahlreiche staatliche Institutionen in unserem Land anläßlich ihres 50jährigen Bestehens Bilanz ziehen, erfüllt es mich mit besonderer Freude und Genugtuung, als Vorsitzender des Stiftungsrats diese Aufgabe für das Institut für Zeitgeschichte in München übernehmen zu dürfen. Denn es steht außer Frage, daß es sich bei der 50jährigen Geschichte dieses Instituts um eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte handelt. Die Anfänge des Instituts, das nach zwei zunächst gescheiterten Anläufen schließlich im Mai 1949 seine praktische Arbeit aufgenommen hat, waren schwierig. Zum einen stand die Finanzierung der Einrichtung in den ersten Jahren auf wackligen Beinen. Erst nach längeren Verhandlungen konnte die finanzielle Beteiligung des Bundes und schließlich im Jahr 1955 die Aufnahme des Instituts in das Königsteiner Staatsabkommen erreicht werden, wodurch es eine gesicherte finanzielle Grundlage erhielt. Zum anderen war das Institut in der ersten Phase nach seiner Gründung mit dem Problem konfrontiert, sein Aufgabenfeld und das wissenschaftliche Konzept zu definieren. Zunächst beschränkte sich der Aufgabenbereich auf das auch heute noch zentrale Thema der Erforschung des Nationalsozialismus, seiner Ursachen und Folgen. Bald erwies es sich jedoch als sinnvoll und notwendig, auch die Vorgeschichte und die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der historischen Forschung zu erschließen. Das Institut und seine Gremien haben hier frühzeitig die Weichen gestellt und neue Schwerpunkte entwickelt, wobei die Erforschung der internationalen Beziehungen, aber auch der inneren Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, zunehmend eine Rolle spielten. Dieser nach und nach erweiterten Aufgabenstellung, die sich schließlich auf die Erforschung des Zeitraums vom Ende des 1. Weltkriegs bis in die Gegenwart erstreckte, wurde im Mai 1952

XII

Wolfgang Quint

auch äußerlich durch die neue Bezeichnung „Institut für Zeitgeschichte" Rechnung getragen. Parallel zur Erweiterung der wissenschaftlichen Inhalte des Instituts wurde auch seine Organisationsstruktur fortentwickelt. Im September 1961 erhielt es schließlich seine heutige rechtlich-organisatorische Struktur als „Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte". Seit der 1975 erfolgten Aufnahme in die sog. „Blaue Liste" wird das Institut gemäß Art. 9 1 b GG gemeinsam durch den Bund u n d die Länder finanziert. Eine neue Epoche f ü r das Institut für Zeitgeschichte begann nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa 1989 u n d der Wiedervereinigung Deutschlands 1990. Die ungeheure Fülle neuen Quellenmaterials, die nun erstmals zugänglich war, eröffnete eine große Zahl neuer Forschungsthemen, die von der Aufarbeitung der Geschichte der SBZ bzw. DDR über neue Ansätze der Erforschung des Nationalsozialismus bis hin zu Forschungen im europäischen Vergleich reichen. Das Institut hat diese neuen Herausforderungen offensiv aufgegriffen u n d nach der 1990 erfolgten Gründung einer Außenstelle in Bonn für die Edition der Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland im J a h r 1993 eine weitere Außenstelle in Potsdam errichtet. Diese zwischenzeitlich nach Berlin-Lichterfelde verlagerte Außenstelle hat in erster Linie die Erforschung der Geschichte der SBZ bzw. DDR zur Aufgabe. Voraussetzung f ü r die geschilderte Entwicklung des Instituts für Zeitgeschichte war von Anfang an die Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen durch den Staat. Entsprechend der bayerischen Tradition, die Geschichtswissenschaften u n d den Dialog zwischen Geschichte u n d Politik besonders zu fördern, hat sich der Freistaat Bayern in der Vergangenheit stets nachhaltig f ü r die Belange des Instituts eingesetzt, vor allem als es galt, der Einrichtung eine endgültige Bleibe an der Leonrodstraße zu schaffen u n d damit für die spätere Erweiterung u n d die Unterbringung des umfangreichen Archivs Sorge zu tragen. Es ist wohl nicht unbescheiden festzustellen, daß Bayern als Sitzland hier ein besonderes Verdienst zukommt. Der Erfolg wäre allerdings o h n e die großzügige Mitwirkung des Bundes u n d der anderen Länder, die sich an der Finanzierung beteiligen, nicht erreicht worden. Das besondere staatliche Engagement für das Institut für Zeitgeschichte hat sich gelohnt. Nach n u n m e h r 50 Jahren seines Bestehens kann das Institut auf einen Ertrag wissenschaftlicher Arbeit zurückblikken, der n u r wenigen Gründungen in so reichlichem Maße beschieden

Geleitwort des Stiftungsratsvorsitzenden

XIII

ist: Das Institut für Zeitgeschichte hat sich schon in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens nationale und internationale Anerkennung erworben u n d zählt heute im In- und Ausland zu den angesehensten geschichtswissenschaftlichen Forschungsinstituten. Diese Einschätzung hat eine vor wenigen Jahren vom Wissenschaftsrat eingesetzte Gutachtergruppe erneut bestätigt, die neben dem internationalen Renommee insbesondere auch die zentrale Bedeutung der Forschungsarbeit u n d der Servicefunktionen des Instituts für die deutsche Geschichtswissenschaft herausstellte. Die jedes Jahr aufs Neue beeindruckende Vielfalt u n d Zahl der Veröffentlichungen u n d das Niveau, das dabei erreicht wird, zeugen von höchster wissenschaftlicher Qualifikation. Zu diesem Ergebnis haben in ganz entscheidendem Maße die wissenschaftlichen Leiter des Instituts u n d die wissenschaftlichen Mitarbeiter beigetragen, nicht weniger aber auch die Mitglieder des Stiftungsrates u n d des Beirates, deren Sachkunde u n d Umsicht den Rahmen zur gedeihlichen Entwicklung des Programms und der Arbeit des Instituts abgesteckt haben. Ich gratuliere dem Institut zu seinem bisherigen Erfolg u n d wünsche seinem Direktor, Herrn Professor Dr. Möller, der das Institut mit souveränem wissenschaftlichen Sachverstand u n d höchstem persönlichen Einsatz leitet, u n d allen seinen Mitarbeitern, daß es auch in Zukunft ein „Center of Excellence" der historischen Forschung bleiben möge.

Hans-Peter Schwarz Warum eine Festschrift? Einführende Überlegungen des Beiratsvorsitzenden Im öffentlichen Leben der Bundesrepublik macht sich seit langem eine spießige Art des Umgangs mit der Geschichte bemerkbar. Nach Art von Vereinsvorständen, Firmenchefs, Religionsgemeinschaften oder Privatpersonen veranstalten auch die Repräsentanten des Staates fast J a h r für Jahr jeweils einen beträchtlichen Rummel, wenn wieder einmal der runde Jahrestag der Bundesrepublik oder eines anderen markanten historischen Vorgangs herannaht, Jahrestage der Trauer und der Schande mit inbegriffen. Für den Historiker, der bei solchen Anlässen häufig aufgefordert wird, diesen Exerzitien durch eine Ansprache oder einen Zeitungsaufsatz die wissenschaftliche Weihe zu geben, ist eine derartige Gedenktag-Historiographie eher irritierend. Schließlich sucht ein Forscher ganz unabhängig von Gedenktagen seine eigenen Themen u n d steht dem Selbstdarstellungsdrang oder dem Erinnerungsdrang staatlicher Instanzen geboten kritisch gegenüber, es sei denn, er gehört zu j e n e n , die von sich aus auf die Festkanzeln oder zu den Gedächtnisstätten drängen. Ist es also vertretbar, wenn nun auch ein bedeutendes Forschungsinstitut der Tendenz zur Erinnerungshistoriographie nachgibt u n d zum 50. Jahrestag seines Bestehens mit einer Festschrift seine Ziele, seine Arbeitsbedingungen, vor allem aber den Gang und den Ertrag seiner Forschungen darlegt? Das ist in der Tat nicht bloß zulässig, es ist sogar geboten. Eben deshalb, weil die Reflexion über Zeitgeschichte u n d die Reproduktion von Zeitgeschichte in der Bundesrepublik von geschwätziger Oberflächlichkeit nicht ganz frei sind, hat die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf zu erfahren, wie, mit welchen Fragen, unter welchen Bedingungen u n d mit welchen Ergebnissen seriöse Zeitgeschichtsforschung betrieben wird, die m e h r ist als politisch zurechtgemachtes Gedenken oder Medien-Infotainment.

XVI

Hans-Peter Schwarz

Für eine solche Bilanz nach 50 Jahren geduldigem, allein an der Sache orientiertem Arbeitens sprechen im wesentlichen drei Überlegungen.

/. Mehr als in anderen Ländern war die Zeitgeschichte von Anfang an integraler Bestandteil des politischen Diskurses in der Bundesrepublik Deutschland. Anders als glücklichere u n d ältere Staaten - etwa die USA, Großbritannien oder die Niederlande - ist der demokratische Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland ein Ergebnis der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts. Das gilt f ü r den gesamten Verlauf der 50 Jahre zwischen 1949 bis 1999, in denen der Staat des Grundgesetzes anfangs noch eine Art Spielball der Siegermächte war, sich aber bald konsolidierte, allerdings unablässig belastet vom Ost-West-Konflikt u n d von den Absurditäten der Teilung, die schließlich überwunden wurde, als sich ein „window of opportunity" eröffnete. Im wesüichen Deutschland mußte man dann lernen, daß auch die Regionen u n d Menschen in der einstigen DDR ihre eigene Zeitgeschichte haben, die gleichfalls erforscht u n d verarbeitetwerden muß. In der Tat gibt es kein europäisches Land mit einer so vertrackten Zeitgeschichte wie Deutschland. U n d j e d e r m a n n weiß, daß die zeitgeschichtlichen Herausforderungen noch nicht zu Ende sind. Selbst wenn man allein die „alte" Bundesrepublik ins Auge faßt, beinhalten die insgesamt recht dramatischen vergangenen 50 Jahre eine Vielzahl kompliziertester Vorgänge: den Wiederaufbau u n d die Modernisierung eines anfangs physisch u n d moralisch zerschmetterten Landes, das Hineinfinden in die Gemeinschaft der atlantischen Demokratien u n d in den europäischen Einigungsprozeß, die Mitarbeit bei der westlichen Abwehr des Totalitarismus, sei dies durch Konfrontation, sei es durch Entspannungspolitik, die Neugestaltung Europas seit dem Umbruch der Jahre 1989/91, vor allem aber auch die Verankerung u n d Konsolidierung des demokratischen Verfassungsstaates in einem Volk, das kurz zuvor in seiner großen Mehrheit autoritäre, totalitäre u n d durchaus unfriedliche Systeme für richtig gehalten hatte. Diese ohnehin schon von Wandlungsprozessen u n d Ereignissen randvolle Zeitgeschichte des wesüichen Deutschland hat sich n u n seit der Wiedervereinigung gewissermaßen verdoppelt, wobei alle Vorgänge nochmals im Bezug auf die DDR durchzudeklinieren sind, desgleichen auf den Komplex der innerdeutschen Beziehungen.

Warum eine Festschrift?

XVII

Doch in der Zeitgeschichte des halben Jahrhunderts von 1949 bis 1999 ist auch von Anfang an die weiter zurückliegende Zeitgeschichte wirksam gewesen: die Geschichte des Dritten Reichs u n d die des Zweiten Weltkrieges, aber auch die Erfahrungen mit Weimar, j e n e r ersten „unvollendeten Demokratie" (Horst Möller), die sich anfangs wider Erwarten konsolidiert hatte, dann aber fatal gescheitert war, schließlich auch die Wurzeln der Weimarer Republik im Kaiserreich, insbesondere die wilhelminische Vorgeschichte der 1914 einsetzenden Katastrophenepoche. Aus dem Abstand vom Ende des Jahrhunderts her ist es legitim, die Epoche des Deutschen Reichs von 1871 bis 1945 unter das Signum „das vergangene Reich" (Klaus Hildebrand) zu stellen. Aber das Jahr 1945 brachte trotz aller Bedeutung dieses Einschnitts keine völlige Zäsur. Bekanntlich beanspruchte nach 1949 der deutsche Kernstaat, die Bundesrepublik Deutschland, nicht n u r die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches; sie stand u n d steht auch für eine Gegebenheit, die man als „Schuldnachfolge" bezeichnen könnte, für wie berechtigt oder unberechtigt man das auch immer halten mag. Von woher man es auch immer betrachtet, ist die deutsche Zeitgeschichte über ein ganzes J a h r h u n d e r t hinweg ungeachtet aller Brüche u n d trotz aller Heterogenität doch eine Einheit. Diese r u n d u m spannungsreiche, dramatische, widersprüchliche, an Höhepunkten u n d an Politkriminalität so überreiche Zeitgeschichte ist eine der unentrinnbaren Grundbedingungen individueller u n d kollektiver Existenz in Deutschland. Und angesichts der europäischen, j a universalgeschichtlichen Verflechtung deutscher Zeitgeschichte war u n d ist das, was sich in Deutschland u n d von Deutschland aus vollzogen hat u n d vollzieht, auch ein wichtiges Thema der näheren u n d ferneren Nachbarn. Die Bedeutung der Zeitgeschichte für die Bundesrepublik im engeren Sinn u n d die Bedeutung der Zeitgeschichte Deutschlands im 20. J a h r h u n d e r t sind also ein erster, gewichtiger Grund f ü r die Beschäftigung mit der Geschichte eines Instituts, dem die wissenschaftliche Erforschung der Zeitgeschichte aufgegeben ist.

II Es ist aber nicht bloß ein objektiver Befund, daß die deutsche Geschichte stärker als die vieler anderer Staaten durch die Konvulsionen, Spannungen, Aufschwünge u n d Katastrophen des 20. Jahrhunderts be-

XVIII

Hans-Peter Schwarz

stimmt wird. Dieser Sachverhalt hat auch eine subjektive Gegebenheit im Gefolge: Die Zeitgeschichte wird unaufhörlich u n d unentrinnbar im öffentlichen Diskurs reflektiert, von den Medien repetiert u n d von der Bundesebene bis auf die Ebene der Kommunen herunter in Gestalt von Gedenkstätten, Archiven oder Museen konserviert. Vergleicht man viele der Grundsatzreden unserer Bundespräsidenten, Bundeskanzler, Parteivorsitzenden, Ministerpräsidenten oder Stadtoberhäupter, doch auch die Thematik unseres Volkshochschulwesens, unserer überregionalen Tages- u n d Wochenzeitungen oder der zahllosen Talk-Shows zwischen Intellektuellen u n d Halb-Intellektuellen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit denen vergleichbarer Amtsträger oder Intellektueller in den USA, in Frankreich oder in England, so ist es ganz offenkundig: Die Deutschen sind geradezu mit dem Bewußtsein ihrer komplizierten Zeitgeschichte geschlagen. Das gilt übrigens nicht allein für die Bundesrepublik Deutschland oder die DDR. Auch in bezug auf das Dritte Reich oder die Weimarer Republik läßt sich Vergleichbares beobachten. Spätestens im August 1914 ist die Zeitgeschichte unabweislich ins Bewußtsein der Deutschen eingebrochen und beschäftigt sie unaufhörlich: die Politiker, Journalisten, Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Erzieher, Theologen, Richter, Offiziere u n d Diplomaten, die Manager an der Spitze von Großunternehmen, die Gewerkschafter, überhaupt alle von der Zeitgeschichte umgetriebenen Bürger. Bei der Verarbeitung von Zeitgeschichte sind in erster Linie die Politik u n d die Medien beteiligt, daneben die Erzieher. Der Grund dafür, Woche für Woche die neueste Zeitgeschichte zu beschwören, liegt auf der Hand: wo die Vergangenheit, mit Nietzsche zu sprechen, „in hundert Wellen" in uns fortströmt, wo wir selbst an jeder neuen Wegmarke der politischen Entwicklung j a nichts als das sind, so Nietzsche weiter, „was wir in j e d e m Augenblick von diesem Fortströmen empfinden" in einer solchen Lage durchdringt die Geschichtsreflexion ganz zwangsläufig auf allen Ebenen den politischen Diskurs. Einzelne Jahrestage lassen jeweils eine breite Phalanx von Assoziationen aufmarschieren: der 9. November (1918, 1923, 1938, 1989), der 30. Januar 1933, der 20. Juli 1944, der 1. September 1939, der 8. Mai 1945, der 23. Mai 1949. Bestimmte Ortsnamen, damit verbundene Vorgänge oder spezifische Gebäude setzten u n d setzen jeweils einen Schub von Emotionen frei: Langemarck, Tannenberg, Rapallo, Versailles, Weimar, die Feldherrenhalle, Danzig, Stalingrad, Auschwitz, Dresden, die Berliner Luftbrücke, Bonn, Mauerbau u n d Mauersturz in Berlin, der Kniefall zu Warschau oder Maastricht. Programmatische Kürzel oder

Warum eine Festschrift?

XIX

Reizworte unterschiedlichster Art signalisieren bestimmte Grundhaltungen: Abendland, Freie Welt, Europa, Wirtschaftswunder, Kalter Krieg, Wiedervereinigung, Selbstbestimmungsrecht, Entspannung, Kollektivschuld, Kollektivscham, Vergangenheitsbewältigung, Verfassungspatriotismus, Gedenkkultur, Normalisierung und andere mehr. Die deutsche politische Sprache wimmelt von Kürzeln, die jeweils von sehr komplexen zeitgeschichtlichen Sachverhalten ausgehen u n d von denen ein j e d e r mit Geschichtsdeutung oder mit historischen Argumentationsketten verbunden ist, sogenannte Lehren der Geschichte mit Inbegriffen. Wieweit die jeweils verwandten Paradigmen zutreffen, wieweit die Deutungen zeitgeschichtlicher Vorgänge u n d Konstellationen objektiv stimmen, ist häufig Gegenstand politischen Streits. Jedenfalls kann das Gewicht historischer Argumentation im deutschen politischen Diskurs n u r schwer überschätzt werden. Damit verbindet sich die Einwirkung des Mediums Fernsehen, insbesondere der öffentlich-rechtlichen Anstalten, auf die Geschichtsbilder. Dokumentarfilme in Schwarzweiß oder in Farbe, Wochenschauverschnitte u n d Bildkonserven von Fernsehaufnahmen erlauben es, j e d e gewünschte historische Thematik beliebig oft als eine Art lebendiger Vergangenheit ins Bewußtsein von Millionen zu heben. Indem die zeitgeschichtlichen Redaktionen den lebenden Bildern Tondokumente, Ausschnitte aus Reden u n d charakteristische Musik beimischen sowie das Produkt mit Zeitzeugen-Interviews garnieren, wird der Eindruck verstärkt, daß der jeweils gezeigte Geschichtsvorgang wirklich so gewesen sei. Und da auch die öffentlich-rechdichen Anstalten auf Zuschauerzahlen zu achten haben, wird die beliebig reproduzierte, somit aktualisierte Zeitgeschichte nach allen Regeln der Kunst als Infotainment aufgeführt. Bekanntlich gehen die Redaktionen dabei recht unterschiedlich vor: Manche nutzen das Medium, um mit Zurückhaltung bei der eigenen Bewertung die tatsächlich gegebene Zwiespältigkeit oder Widersprüchlichkeit der Vorgänge zu verdeutlichen. Das ist zwar redlich, weil es der komplizierten Gemengelage historischer Vorgänge entspricht, doch bei diesem Ansatz wird fast alles relativiert. J e d e m Zeitzeugen wird ein anderer Zeitzeuge gegenübergestellt mit dem Moderator als dem Chef-Relativierer. Andere wiederum verstehen sich der vergangenen Geschichte gegenüber als Anwälte oder als Staatsanwälte, wenn sie nicht gar arrogant den Richter spielen, Gut u n d Böse, Vorbildlichkeit oder Anrüchigkeit bestimmter Personen, bestimmter Politiker u n d be-

XX

Hans-Peter Schwarz

stimmter Organisationen ex cathedra verkündend, dabei so fragwürdig vorgehend, wie dies einstmals gewisse autoritär-autoritative Ordinarien in der Hauptvorlesung gehalten haben. In Wanderausstellungen oder Spielfilmen mit eindeutig politischer Tendenz läßt sich die Macht suggestiv u n d belehrend präsentierter Bilder übrigens genauso nachhaltig einsetzen. Dies ist freilich alles andere als neuartig; die von Goebbels dirigierte NS-Propaganda hat schon ähnlich gearbeitet u n d die DDR-Geschichtspropaganda genauso. Der politische Diskurs u n d die audio-visuellen Medien sind n u r zwei Dimensionen, die das zeitgeschichtliche Bewußtsein bestimmen. Auch die Buchproduktion u n d der für zeitgeschichtliche Themen verfügbare Raum in den Zeitungen sind viel ausgedehnter als früher. Die Zahl historisch ausgebildeter Akademiker hat gleichfalls stark zugenommen. So ist die Zeitgeschichte in vieldiskutierten Memoiren und Monographien, in spannenden Dokumentationen, in Magazinserien oder in zeitgeschichtlichen Museen vielfach präsent. Man sagt nicht zuviel mit der Feststellung, daß die Menge an zeitgeschichüicher Information, Unterhaltung, Kontroversliteratur, auch an Desinformation u n d Bewußtseinsmassage in Deutschland noch nie so groß gewesen ist wie in unseren Jahrzehnten. Worin besteht n u n die Aufgabe eines Forschungsinstituts in einer Öffentlichkeit, die mit subjektiv vermittelter oder als Infotainment verpackter Zeitgeschichte, mit politisierter Zeitgeschichte, auch mit zeitgeschichtlichen Falsifikationen permanent bedient wird? Die Antwort ist einfach: Die professionelle Forschung ist verpflichtet, in diesen naturgemäß recht subjektiven Diskussions- u n d Informationsprozeß ein Optimum an Objektivität einzubringen. Verschiedene Funktionen sind hier zu nennen. Die Historiker, somit auch zeitgeschichtliche Institute, haben zu allererst die Aufgabe, unpolitisiert, unpädagogisch, nüanciert u n d auch ohne Vermarktungszwang die Voraussetzung für empirisch überprüfbare Erkenntnis bereitzustellen, die international anerkannten Objektivitätsstandards verpflichtet ist. Das heißt: Sie sammeln, prüfen, edieren und kommentieren Dokumente, die für die zeitgeschichtliche Erkenntnis Bedeutung haben. Sie sind auch verpflichtet, immer dann in die aktuellen Kontroversen einzugreifen, wenn wesentliche Dokumente unterdrückt oder gefälscht präsentiert werden. Das ist ihre vorrangige Servicefunktion für eine demokratische Öffentlichkeit. Und da die relativ kleinen deutschen Universitätsinstitute mit der Fülle wesentlicher Dokumente nicht mehr fertig werden können, ist nur ein Großinstitut dazu noch in der Lage.

Warum eine Festschrift?

XXI

Eine weitere Aufgabe zeitgeschichtlicher Forschungsinstitute ist Darstellung u n d Deutung von Vorgängen in Gestalt von Monographien, in Einzelaufsätzen oder in umfassend angelegten Großprojekten, auch mit gerichtsfesten Gutachten, wenn es um individuelle Schuld oder um Wiedergutmachungsansprüche geht. Wer n u r einmal in seinem Leben historisch tätig gewesen ist, weiß, daß die möglichst objektive, historisch getreue Analyse komplexer Zusammenhänge schwierige methodische Fragen aufwirft, daß sie die asketische Sammlung u n d Auswertung unzähliger Dokumente erfordert, daß sie der Auseinandersetzung mit den Forschungen anderer oder mit den Behauptungen von Zeitzeugen bedarf, kurz: daß sie historischen Verstand u n d viel Zeit braucht. Doch anders sind keine Erkenntnisse zu gewinnen, die über das bloße Meinen hinausgehen. Gewiß gibt es bis zum heutigen Tag hinlänglich viele Beispiele dafür, daß einzelne Forscher ohne den Rückhalt von Großinstituten gehaltvolle Beiträge zur Zeitgeschichtsforschung leisten. Dennoch ist die Großforschung vielfach ganz zwingend geboten. Eine methodensichere, zahlreiche Entscheidungsebenen u n d längere Zeiträume umfassende Behandlung historischer Zusammenhänge ist anders oft gar nicht möglich. Auch hier gilt, daß zeitgeschichtliche Forschung kritisch sein muß. Dem Begriff „Historikerstreit" haftet zwar ein Hautgout an, doch die Sache selbst ist unverzichtbar. Historiker sind ihr Geld nicht wert, wenn sie nicht die Zivilcourage aufbringen, konventionelle Geschichtsbilder, Geschichtslegenden, auch politische Mythologeme, die in der Öffentlichkeit in Geltung sind, kalt u n d entschieden zu entlarven. Historiker u n d Institute, die sich nicht in diesem Sinn als aufklärerisch verstehen, haben ihre Bestimmung verfehlt. Eine dritte Aufgabe besteht in der Dissemination von Dokumenten u n d Forschungserkenntnissen: in Editionsreihen, in Schriftenreihen, in erschwinglichen, gemeinverständlich geschriebenen Taschenbüchern, durch das Medium einer eigenen Zeitschrift, in Symposien u n d Vortragsveranstaltungen. Auch diese Aufgabe ist unter den heutigen Bedingungen n u r von größeren Instituten zu bewältigen. Wie sich bei Analyse seiner fünfzigjährigen Institutsgeschichte zeigt, hat sich das Institut für Zeitgeschichte unter recht verschiedenartigen Direktoren u n d im Wandel der politischen Konstellationen von derartigen Aufgabenstellungen leiten lassen, wobei die Politik des Bundes u n d der Länder die Weitsicht aufgebracht hat, ein mit der wissenschaftlichkritischen Korrektur der zeitgeschichtlichen Vorstellungen beauftragtes

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Hans-Peter Schwarz

Institut zu finanzieren, o h n e damit parteipolitisch definierte Vorgaben zu verbinden. In der Reedukationsphase stand dabei die Aufgabe im Vordergrund, durch objektive Dokumentation und Erforschung des Nationalsozialismus in einer breiten, vielfach noch unzulänglich aufgeklärten, eher für Verdrängung disponierten Öffentlichkeit die ungeschminkte, objektiv überprüfbare Wahrheit über das Dritte Reich u n d über seine Kriegführung in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Diese Aufgabe besteht bis heute, natürlich mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten. Sie verbindet sich seit 1990 mit dem Bestreben, auch bezüglich der DDR-Geschichte ein gleichfalls unvoreingenommen dokumentiertes, ungeschminktes, gegen Verdrängungstendenzen resistentes Bild der zweiten deutschen Diktatur zu vermitteln. Da die zeitgeschichtliche Diskussion in der Bundesrepublik von Anbeginn an nicht allein dem Dritten Reich gelten konnte, waren einerseits die Weimarer Republik, andererseits die Besatzungszeit, die Frühgeschichte der Bundesrepublik und zunehmend auch ihre spätere Entwicklungsgeschichte mit einzubeziehen, dies stets unter Berücksichtigung der Einbettung Deutschlands in das internationale System. Bezüglich aller dieser Epochen mußte das Bemühen maßgebend sein, die Arbeiten an objektiven Standards zu orientieren. Dies also ist der zweite Grund, weshalb das IfZ nach einem halben J a h r h u n d e r t auf seine Arbeiten aufmerksam macht. Es möchte daran erinnern, daß rein subjektive Geschichtsdeutung im Sinn der Post-Moderne oder daß pädagogisierende, bloß Betroffenheit artikulierende Geschichtsaufarbeitung oder gar eine politisch manipulative, gedankenlos von den jeweiligen Reizbüchern, Fernsehsendungen oder sonstigen Impulsen ausgehende Zeitgeschichtsdiskussion objektiven Standards nicht genügt, somit wissenschaftlich irrelevant u n d eher gegenaufklärerisch ist. Eine wichtige Aufgabe eines Instituts von der Art des IfZ besteht also auch, knapp formuliert, in der zeitgeschichtlichen Diskurs-Hygiene. Geboten sind beste Aufklärungs-Standards der Rationalität, der begrifflichen Klarheit, der intersubjektiven Überprüfbarkeit, der Un-Emotionalität, der Kritik an allen Mythen und des Verzichts auf Infotainment. Was Zeitgeschichtsforschung wirklich ist, läßt sich aber am besten verdeutlichen, wenn man im einzelnen darstellt, wie, mit welchen Fragestellungen, unter welchen Bedingungen u n d mit welchen Resultaten das f ü h r e n d e deutsche Zeitgeschichtsinstitut gearbeitet hat. So gesehen, ist die hier vorgelegte Festschrift keine bloße Selbstdarstellung zu PR-Zwecken, obschon ein produktives, stets an hohen Stan-

Warum eine Festschrift?

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dards orientiertes Institut das Recht hat, nach 50 Jahren gewissenhafter Forschungsarbeit die Aufmerksamkeit der deutschen u n d internationalen Öffentlichkeit auf das Geleistete zu lenken. Viel wesentlicher aber ist, daß sich hier im Detail die Dialektik von 50 Jahren zeitgeschichtlicher Entwicklung der Bundesrepublik u n d zeitgeschichtlicher Forschung studieren läßt.

III. Dies führt zu einem dritten Punkt, weshalb die Aufsätze der vorliegenden Festschrift sehr lehrreich sind. Bisher existiert im deutschen Schrifttum keine umfassende, diachronisch angelegte Darstellung, die im einzelnen studieren läßt, wie geisteswissenschaftliche Großforschung an einem staatlich finanzierten u n d kontrollierten Institut zustande kommt. Zahllose Fragen, die eine interessierte Öffentlichkeit zu Recht stellt, finden hier eine Antwort. Wie sind die Arbeiten an einem Bund-Länder-Institut in Gang gekommen? Wie u n d wem ist es ganz besonders in den schwierigen Anfängen gelungen, als die heutige Routine noch nicht eingeübt war, den Bund u n d die Länder in einer derart sensitiven Materie zum Zusammenwirken zu veranlassen, handelte es sich doch zugleich auch um Regierungen unterschiedlicher politischer Couleur? Und nicht zuletzt: Wie sind die anfänglich recht heftigen Auseinandersetzungen zwischen traditioneller Historiographie u n d modernerer Zeitgeschichte, auch: zwischen zeitgeschichtlich kundigen Politikern oder h o h e n Beamten einerseits u n d den Fachhistorikern andererseits verlaufen? Ein derartiges Großinstitut (groß nicht im Vergleich mit naturwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, aber doch groß im Vergleich mit Universitätsseminaren) ist, so läßt sich hier studieren, ein komplizierter Organismus, in manchem durchaus einem Unternehmen oder einem politischen System vergleichbar. Der staatliche, aus Beamten des Bundes u n d der Länder zusammengesetzte Stiftungsrat mit dem vom Sitzland gestellten Vorsitzenden gleicht dem Aufsichtsrat, der die Schwerpunktsetzung sanktioniert, den budgetären Spielraum festlegt, die wesentlichen Appointments vornimmt u n d den Geldgebern sowie der Öffentlichkeit gegenüber die letzte Verantwortung trägt. Der Direktor findet sich demgegenüber in der Rolle eines Vorstandsvorsitzenden, von dem Initiativen u n d die sichere Steuerung des Betriebs erwartet

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werden, der periodisch rechenschaftspflichtig ist u n d dessen Amtsführung letzdich an der wissenschaftlichen Produktivität sowie der wissenschaftlichen Respektabilität des Instituts gemessen werden. Ein Wissenschaftlicher Beirat aus angesehenen externen Professoren hat zusätzlich die Aufgabe, die Arbeiten des Instituts permanent zu evaluieren, die Personalpolitik bezüglich der Planstellen mit zu bestimmen, die Qualität der Veröffenüichungen gründlich zu prüfen, erforderlichenfalls Richtlinien zu entwickeln u n d dem Stiftungsrat externen Rat zu geben. Die aktive Leitung u n d die Implementation liegt zwar eindeutig beim Direktor in enger Zusammenarbeit mit dem Stellvertretenden Direktor, dem Verwaltungsleiter u n d den Abteilungsleitern. Aber der vom Stiftungsrat berufene Beirat hat in manchen wesentlichen Fragen doch eine Art Vetorecht gegenüber der Institutsleitung, so daß bei Kontroversen der Stiftungsrat zu entscheiden hat. Freilich wissen alle Beteiligten, daß das Institut überhaupt n u r dann leistungsfähig ist, wenn es gelingt, jüngere Wissenschaftler, Wissenschaftler mittleren Alters u n d die sehr erfahrenen Alteren zu gewinnen oder zu halten, sie alle für die Arbeit zu begeistern oder Begeisterung am Leben zu halten u n d einen j e d e n der naturgemäß nie ganz leicht steuerbaren Wissenschaftler zum Zusammenwirken in den Teams zu veranlassen, das alles in ganz selbstverständlicher Beachtung der professionellen Standards. Die Berichte über die einzelnen Projekte lassen erkennen, daß u n d wie dies über die Jahrzehnte hinweg gelungen ist, wobei Krisen und Konflikte, die es immer wieder einmal gab, nicht geleugnet werden. Die detaillierten Einzelstudien machen deutlich, daß u n d warum durchgehend ein eindrucksvoller Forschungsertrag erzielt wurde, nicht zuletzt im vergangenen Jahrzehnt, als auch die Erforschung der DDR und verstärkt komparatistische Fragestellungen mit ins Zentrum der Institutsarbeit getreten sind. Großinstitute stehen bekanntlich immer in einer doppelten Gefahr. Sie sind einerseits Gleichgewichtssysteme, in denen die Abteilungen, aber auch die Lenkungsgremien mit relativer Harmonie gut zusammenarbeiten sollten, sonst gefährdet das Knirschen den Arbeitsertrag. Gleichgewichtssysteme tendieren aber andererseits auch zur Stagnation, wenn sich nicht immer neue Impulse ergeben u n d neue Großprojekte angepackt werden, die Erfolgsdruck bewirken. Die leitenden Persönlichkeiten solcher Institute sollten also eher Dynamiker von der unruhigen Sorte sein, zwar unbedingt fähig, Begonnenes sicher weiter- und zu Ende zu führen, aber vor allem auch bereit,

Warum eine Festschrift?

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immer wieder Neues anzupacken, frische Teams zusammenzubringen u n d f ü r neue Aufgaben zu begeistern. Bisher und gerade auch in den vergangenen Jahrzehnten hatte das Institut das Glück, bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen genau diesen Typ von Direktor zu finden. Im Grunde wird allerdings von j e d e m Mitarbeiter (in zunehmendem Maß sind es auch Mitarbeiterinnen) dynamische Unruhe, Freude an Neuem, Sinn für nicht traditionelle Ansätze u n d Teamgeist erwartet. Die vorliegende Festschrift läßt erkennen, eine wie große Zahl profilierter, interessanter Persönlichkeiten über kürzere oder längere Zeit als Wissenschaftler im IfZ, doch - dies nicht ganz zu vergessen - auch im Stiftungsrat u n d im Wissenschaftlichen Beirat am Gelingen beteiligt gewesen sind. Im Institut zur Zeitgeschichte waren u n d sind nicht n u r Dutzende produktiver Köpfe, sondern zugleich vielfach recht eigenwillige Persönlichkeiten an der Arbeit. Dies erklärt letztlich auch, weshalb dieses staatlich getragene Forschungsinstitut bisher vielseitig, produktiv u n d lebendig geblieben ist. Hinlänglich gute Gründe für eine Festschrift zum 50. Geburtstag sind also gegeben.

Horst Möller Das Institut für Zeitgeschichte und die Entwicklung der Zeitgeschichtsschreibung in Deutschland

Zeitgeschichte ist alt, so alt wie die Geschichtsschreibung, schrieb doch bereits Thukydides Zeitgeschichte. Zeitgeschichte als der jeweils jüngste Gegenstandsbereich der Geschichtswissenschaft altert; da sie jünger ist als ihre anderen Disziplinen, altert sie schneller. Dies ist um so paradoxer, als sie ewig jung bleibt, immer wieder ihren Gegenstandsbereich veijüngt, erweitert, verändert: „Das augusteische Zeitalter", „Das Zeitalter der Staufer", „Das Zeitalter der Reformation", „Das Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons", „Das Zeitalter Bismarcks" sie alle bleiben epochal gesehen, was sie sind, mag die Forschung auch noch so viel Neues zutage fördern. Die Relativität historischer Epochen ist durch die Nähe zum Betrachter definiert, und auch da begegnet wiederum ein Paradox: Mit der zeiüichen Distanz relativiert sich auch ihr Ausmaß. Dem heutigen nicht-professionellen Betrachter ist Napoleon, Metternich und Bismarck fast gleich weit entfernt, dem Althistoriker mögen die Vorstellungswelt und die Lebensumstände Caesars und Ciceros gegenwärtiger sein als diejenigen Luthers oder Friedrichs des Großen, der Mediävist mag Nikolaus von Kues besser verstehen als Heinrich von Treitschke. Zeitgeschichte aber bedeutet für den Historiker wie für den Laien in jedem Falle Nähe zur eigenen Zeit, mehr oder weniger eigene Geschichte, zumindest aber ihre unmittelbare Vorgeschichte. Der erkennende Historiker steht zu seinem zeitgeschichtlichen Erkenntnisgegenstand nicht notwendig in Distanz: Die Distanzierung des Untersuchungsgegenstands ist oft erst Teil seiner Arbeit und Voraussetzung ihrer Wissenschaftlichkeit. Zwischen der prinzipiellen Relativität historischer Interpretation und dem von Max Weber so genannten regulativen Postulat der Objektivität oszilliert die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte: In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Zeit-

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geschichte nicht von der alten, mittelalterlichen oder frühneuzeidichen Geschichte. Doch sieht sich dieses methodische Postulat, das exemplarisch auf die von Martin Broszat 1985 geforderte „Historisierung" des Nationalsozialismus1 hinausläuft, angesichts der ideologisch aufgeladenen Diktaturen des 20. Jahrhunderts vor ungeheure Herausforderungen gestellt. Nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, hat Theodor W. Adorno einst gesagt - er kannte Paul Celans „Todesfuge" noch nicht. In Analogie könnte man formulieren: Nach Hitler und Stalin gelte das für die deutschen Geisteswissenschaften und über sie hinaus normative historistische Prinzip des „Verstehens" nicht mehr, das von Johann Martin Chladenius über Justus Moser, Herder und Ranke bis zu Ernst Troeltsch, Friedrich Meinecke und Hans Georg Gadamer seine Gültigkeit behalten hatte. Doch könnte man einwenden: Diese Einschätzung mochte 1945 plausibel erscheinen, indes werde sie durch die großen zeitgeschichüichen Werke, die seit den 1950er Jahren veröffentlicht wurden, widerlegt. Und doch gilt, was Hans-Dietrich Loock, in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre Mitarbeiter des Instituts und später Professor an der Freien Universität Berlin, 1975 in seinen nachdenklich stimmenden Erinnerungen an die Entwicklung des Instituts bemerkte: „Auschwitz leistet der Entstehung der Zeitgeschichte am heftigsten Widerstand. Wenn Dichter nicht mehr dichten dürfen, was dürfen dann die Historiker?"2 So oder so: Für die deutsche Zeitgeschichte war und blieb der Nationalsozialismus nach 1945 die Initialzündung; unter den mehr als 9000 Gutachten, die das Institut für Zeitgeschichte in seiner fünfzigjährigen Geschichte vor allem für Gerichte, Behörden und Ministerien erstellt hat und von denen eine frühe Auswahl in zwei Bänden 1958 und 1966 publiziert wurde, nehmen die Gutachten für den in Frankfurt von 1963 bis 1965 durchgeführten Auschwitz-Prozeß einen singulären Rang ein. Dieser Prozeß erzielte eine ungeheure Wirkung - ein Beispiel unter vielen, die die unsinnige Behauptung widerlegen, die nationalsozialistischen Massenverbrechen seien in der westdeutschen Öffentlichkeit verdrängt worden: Tatsächlich berichteten die großen Zeitungen, vor allem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die „Frankfurter 1

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Vgl. Martin Broszat und Saul Friedländer, Um die „Historisierung des Nationalsozialismus". Ein Briefwechsel, in: VfZ 66 (1988), S. 339-372, vgl. insges. auch: Martin Broszat, Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. Beiträge von Martin Broszat, hrsg. von Hermann Graml und Klaus-Dietmar Henke, München 1986. Hans-Dietrich Loock, War's so? Erinnerungen an die Entstehung der Zeitgeschichte, in: 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Statt einer Festschrift, Stuttgart 1975, S. 49.

Das Institut und die Zeitgeschichtsschreibung

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Neue Presse", über zwanzig Monate hinweg ausführlich über jeden der 183 Verhandlungstage.3 Aber auch die vom Institut für Zeitgeschichte erstellten Gutachten, die zuerst in zwei Bänden 1965 im Walter Verlag, Ölten und Freiburg/Br., und dann in zahlreichen Neuauflagen bei dtv unter dem Titel,Anatomie des SS-Staates" publiziert wurden, erzielten eine für geschichtswissenschaftliche Gutachten ganz außergewöhnliche Resonanz, allein die Taschenbuchauflage brachte es auf 49000 Exemplare; die von Martin Broszat zuerst 1963 unter dem Titel „Kommandant in Auschwitz" herausgegebenen und kommentierten autobiographischen Aufzeichnungen von Rudolf Höss erreichten bis heute eine verkaufte Auflage von 138000 Exemplaren. Das große Interesse in der Öffentlichkeit an den Gutachten des IfZ im Frankfurter Auschwitz-Prozeß kann nicht allein mit der wissenschaftlichen Qualität der Arbeiten von Hans Buchheim „Die SS - Das Herrschaftsinstrument", „Befehl und Gehorsam", von Martin Broszat „Nationalsozialistische Konzentrationslager 1933-1945", von Hans-Adolf Jacobsen „Kommissarbefehl und Massenexekution sowjetischer Kriegsgefangener" sowie von Helmut Krausnick .Judenverfolgung" erklärt werden, obwohl es sich bei den genannten Untersuchungen tatsächlich um fundamentale Studien zur Erforschung der nationalsozialistischen Diktatur und ihres Schreckensregiments handelt. So knapp diese Gutachten angesichts ihrer Thematik mit insgesamt 700 Druckseiten auch sein mochten, bildeten sie doch für Jahrzehnte nicht allein Pionierleistungen zeithistorischer Forschung, sondern auch erste zusammenfassende Darstellungen. Die Gutachten verdienen ein besonderes Augenmerk, nicht allein weil in ihnen über Jahre hinweg ein beträchtlicher Teil der Arbeit des Instituts steckte, sondern auch aus methodischen Gründen. Hans Buchheim hat dies 1965 in seinem Vorwort unmißverständlich formuliert: „Die Erörterung der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit im Rahmen eines Strafprozesses erfordert in besonders hohem Maße Rationalität und Nüchternheit, denn die Tatsachenfeststellungen werden nicht im Rahmen eines letztlich doch unverbindlichen Essays getroffen, sondern entscheiden mit über das weitere menschliche Schicksal der Angeklagten. Diese pflichtgemäße Sorgfalt der Gerichte bildet in der öffentlichen Diskussion ein heilsames Gegengewicht gegen einen weitverbreiteten Stil emotionaler .Vergangenheitsbewältigung', 3

Hermann Langbein, Der Auschwitz-Prozeß. Eine Dokumentation, Bd. 1, Wien 1965, S. 49.

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die es, um einige höhere Wahrheiten wirkungsvoll darzustellen, mit der Wirklichkeit geschichtlicher Fakten u n d Zusammenhänge nicht sonderlich genau nimmt. Da die Hitler-Diktatur in j e d e r Beziehung eindeutig negativ zu beurteilen ist, wächst die Versuchung, zu wenig über sie nachzudenken. [. . .] Die Neigung des Publikums kommt der Oberflächlichkeit vieler Veröffentlichungen entgegen: man bevorzugt das literarisch wirkungsvoll Geschriebene (wie schwer ist es aber, über Auschwitz nicht wirkungsvoll zu schreiben!), man strebt weg von der historisch-rationalen hin zur moralisch-emotionalen Betrachtungsweise. Die Strenge der Gerichtsverfahren bietet einen Maßstab für die Rationalität, derer wir bedürfen. Die Autoren der vorliegenden Gutachten waren bemüht, sich an diesem Maßstab zu orientieren." 4 Vor bald 35 Jahren geschrieben, sind Buchheims kritische Bemerkungen noch heute (oder wieder) aktuell u n d bezeichnen ihrerseits einen in Deutschland problematischen Umgang mit der Zeitgeschichte, der allerdings schon der doppelten Aufgabenstellung, die die Gründung des Instituts provozierte, zugrundelag. Überdies aber wird deutlich, daß es keinen anderen Bereich der Geschichtswissenschaft gibt, f ü r den der juristische Zugang zu historischen Problemen eine solche Bedeutung erlangt hätte: Der extreme Irrationalismus, der dem ungeheuerlichen Massenmord zugrunde liegt, muß von der zeithistorischen Forschung mit rationalen Kategorien erfaßt werden - ein Verfahren, das dem Laien oft nur schwer vermittelbar ist. Zeigen die zahlreichen Gerichtsverfahren, die seit den Nürnberger Prozessen 1946 gegen Funktionäre oder Mittäter des NS-Regimes geführt wurden, ihrerseits wieder den in der Geschichte der Bundesrepublik bis zum Düsseldorfer Majdanek-Prozess 1975 bis 1981 nie abreißenden Strom der in die Öffentlichkeit hineinwirkenden juristischen Auseinandersetzung mit den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur, so trugen sie überdies zur Verwissenschaftlichung der Zeitgeschichtsschreibung entscheidend bei. Die Prozesse zwangen zu einer nüchternen Rekonstruktion historischer Vorgänge, institutioneller Zusammenhänge u n d personeller Verantwortlichkeiten. Dies hatte wenig zu tun mit der Schillerschen Formel, die Weltgeschichte sei das Weltgericht - ganz im Gegenteil: Solche weitreichenden, bis ins Geschichtsphilosophische gehenden Interpreta4

Hans Buchheim, Die SS - Das Herrschaftsinstrument. Befehl und Gehorsam, in: Anatomie des SS-Staates, hrsg. von dems., Martin Broszat, Hans-Adolf Jacobsen u. Helmut Krausnick, Bd. 1, Olten/Freiburg i.Br. 1965, S. 7 f.

Das Institut u n d die Zeitgeschichtsschreibung

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tionen waren gerade nicht das Anliegen der frühen Zeitgeschichtsforschung. Vielmehr stand sie unter dem Zwang, sich als Disziplin der Geschichtswissenschaft zu etablieren, der methodisch nichts vorzuwerfen war u n d die folglich den üblichen Kriterien der Wissenschaftlichkeit folgen mußte. Die Zeitgeschichtsforschung neigte daher von Beginn an zu einer gewissen Traditionalität, die sich neuen methodischen Richtungen oftmals zögerlicher öffnete als die Erforschung früherer Epochen. Sie mußte dem Mißtrauen begegnen, das beispielsweise selbst ein hochrangiges Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats unseres Hauses, der Münchner Ordinarius für Neuere Geschichte, Franz Schnabel, gegen die Behandlung der „jüngsten" Geschichte hegte: Ist sie überhaupt wissenschaftlich erforschbar, fehlt da nicht der historische Abstand einer Generation, fehlen da nicht die Quellen? Verkehrte Zeitgeschichtsschreibung das erkenntnisnotwendige Prinzip der Distanz nicht geradezu in ihr Gegenteil, wenn sie mit Hans Rothfels, dem langjährigen Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats u n d - mit Theodor Eschenburg - Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte", die Zeitgenossenschaft noch Lebender zum Definitionskriterium erklärte? Diese Skepsis galt auch dann, wenn daneben eine systematisch-chronologische Konstituierung der Zeitgeschichte durch das Jahr 1917 (Bolschewistische Revolution in Rußland und Eintritt der USA in den Krieg machen in einem vorher nicht gekannten Sinn die Geschichte zur Weltgeschichte) angenommen wird. 5 Mochte für Schnabel sein großer ungeliebter Vorgänger Heinrich von Treitschke auch ein warnendes Beispiel sein, weil dieser seine Geschichte des 19. Jahrhunderts eben als Zeitgeschichte und nicht wie Schnabel selbst aus dem Abstand der Generationen geschrieben hatte u n d deshalb zu zahlreichen Befangenheiten u n d parteiischen Wertungen gelangt war, so stand seine Skepsis doch nicht allein. Die Gerichte aber verlangten Fakten, nicht Wertungen - auch angesichts von Verbrechen, die es einem normalen Menschen unmöglich machen, nicht zu werten, nicht zu urteilen, nicht zu verabscheuen. Bis heute gewinnt die Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte Anregungen aus der Gutachtertätigkeit, stellen die Bearbeiter doch immer wieder fest, wie groß zumindest in Einzelfragen die Lücken unserer Kenntnis trotz der m e h r als 22000 Veröffentlichungen über den Nationalso5

Vgl. Hans Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: VfZ 1 (1953), S. 1-8, vgl. später auch: Ders., Zeitgeschichtliche Betrachtungen, Göttingen 2 1959.

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zialismus noch sind. Im Vorwort zum ersten Band der „Gutachten" bemerkte der damalige Generalsekretär des Instituts, Paul Kluke: „Zunehm e n d aber trat auch noch eine besondere Aufgabe an das Institut heran, die auf unmittelbare Anwendung historischer Erkenntnisse für Entscheidungen im praktischen Leben gerichtet war. Behörden u n d Gerichte, die über Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts an Verfolgten des Dritten Reiches oder andererseits über Ansprüche aus dem 131 er Gesetz zu befinden hatten, sahen sich genötigt, zur Klärung schwieriger Tatsachenfragen, insbesondere der allgemeinen Hintergründe individuellen Erleidens u n d Handelns, die Hilfe der Historiker in Anspruch zu nehmen." 6 Als der damalige Direktor Helmut Krausnick 1966 den zweiten Band der Gutachten vorlegte, verwies er auf die Bemerkung seines Vorgängers, daß die Anfragen den thematischen Charakter der Auswahl bestimmt hätten. Allerdings habe sich seit 1958, als jährlich etwa 150 Gutachterwünsche an das Institut herangetragen worden seien, aufgrund der zahlreichen Prozesse eine erhebliche Ausweitung ergeben, müßten doch nun im Schnitt 600 Anfragen bearbeitet werden. 7 Schon wenige Beispiele demonstrieren die thematische Spannweite der Gutachten: „War die katholische Kirche eine vom nationalsozialistischen Regime verfolgte Organisation?", „Das Euthanasieprogramm", „Der Ausdruck ,Sonderbehandlung'", „Ausschluß politischer Gegner des Nationalsozialismus von Handwerksberufen" (alle von Hans Buchheim), „Die Behandlung ,Deutschblütiger' in ,Rassenschande'-Verfahren" (Hermann Graml), „Internierungslager in Frankreich 1940-1942", „Verlauf antijüdischer Maßnahmen in Ostgalizien (1941-1943)" (Martin Broszat), „Die Organisation der Sondergerichtsbarkeit der SS und Polizei" (Hans Buchheim), „Vermögensbeschlagnahmen an jüdischem Eigentum vor dem Erlaß der 11. DVO zum Reichsbürgergesetz" (Erwin Fauck), „Die Entziehung u n d Verbringung jüdischen Vermögens (Ausland u n d Deutschland)" (Ino Arndt), „Zur Entwicklung des Arbeitsdienstes" (Thilo Vogelsang), „Serbische nationale Freiwilligenverbände" (Hans Mommsen), „Ausweisung von Einwohnern Antwerpens in den Monaten Dezember 1940/Januar 1941" (Hans-Dietrich Loock). Tatsächlich enthalten Thematik und Durchführung Elemente einer Enzyklopädie nationalsozialistischer Herrschaft - einer Enzyklopädie freilich, die nicht bloß zusammenfaßt, sondern überwiegend aus den 6 7

Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 1, S. 9. Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 2, S. 9.

Das Institut und die Zeitgeschichtsschreibung

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Quellen erarbeitet ist u n d dadurch zugleich immer wieder Lücken der Überlieferung u n d der Forschung präzis bezeichnet. Auch zeigt ein Blick in diese - n u r eine kleine Auswahl enthaltenden - Bände, wie viele Fragen, die heute neu zu sein scheinen, schon damals gestellt u n d im Rahmen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten beantwortet wurden. Mit der Gutachtenarbeit weist das Institut für Zeitgeschichte eine Analogie zum Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie (RIOD) in Amsterdam auf, das bis vor kurzem zwar im wesentlichen auf die Erforschung des Zweiten Weltkriegs, genauer die deutsche Besatzung in den Niederlanden, beschränkt blieb, aber ebenfalls eine umfangreiche Gutachtertätigkeit mit einem großen Spezialarchiv verbindet. Allerdings bildet das RIOD die zentrale niederländische Dokumentationsstelle für das einschlägige Archivmaterial, ist also in dieser Hinsicht konkurrenzlos. Wenn auch heute Umfang u n d Intensität der Gutachten im Institut für Zeitgeschichte nicht m e h r den gleichen Stellenwert besitzen wie früher, sind diese Arbeiten doch keineswegs überflüssig geworden, zumal neue Themenbereiche hinzutreten, beispielsweise die Geschichte der DDR betreffende; in diesen Sektor gehört etwa ein Gutachten f ü r den Bundesgerichtshof über Rolle u n d Funktion der DDR-Richter (Horst Möller/Dieter Marc Schneider).

II. Betrachtet man die dem Institut in den Gründungsinitiativen zugedachten Aufgaben, so war es kein Zufall, daß das Institut für Zeitgeschichte bis 1952 den Namen „Deutsches Institut f ü r Geschichte der nationalsozialistischen Zeit" trug. Allerdings wurde schon lange vor der U m b e n e n n u n g auf Wunsch der Institutsleitung in Kuratorium u n d Wissenschafdichem Beirat über eine allgemeinere Bezeichnung diskutiert. Sie kam in der parallelen Verwendung der ursprünglichen Benenn u n g mit „Institut für Zeitgeschichte" auf dem Briefkopf zum Ausdruck, die schon zur Amtszeit von Hermann Mau 1951 begann. Die Aufgabenstellung, die in den beiden frühesten Gründungsvorschlägen genannt wurde, spiegelte die Konstellation nach dem Ende des Krieges u n d der nationalsozialistischen Diktatur: Sicherung der Quellen für künftige Studien sowie geschichtswissenschaftliche Erforschung als Grundlage politischer Aufklärung u n d Wandlung. Der erste

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Vorschlag stammte vom damaligen Zweiten Vorsitzenden des „Vorläufigen Kunstausschusses der Landeshauptstadt München", Dieter Satder, der von 1947 bis 1951 Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht u n d Kultus war u n d später Botschafter in Rom wurde. Sattler, dessen Nachlaß im Archiv des Instituts f ü r Zeitgeschichte aufbewahrt wird, erwarb sich auch bei der einige Jahre später erfolgenden definitiven Gründung des Instituts große Verdienste, nachdem er schon Ende 1945 der Bayerischen Staatskanzlei vorgeschlagen hatte, die von den Amerikanern beschlagnahmten Parteiakten der NSDAP zur Grundlage eines Instituts zur Erforschung des Nationalsozialismus zu machen. 8 Die zweite Anregung, die 1947 der Leiter der früheren Landesstelle für Heimatdienst in Württemberg-Baden, Ernst Steinbach, machte, nahm der damalige Generalsekretär des Länderrats, Erich Roßmann, auf, als er am 13. Februar 1947 beim Länderrat ein „Amt für Politische Dokumentation" beantragte. Seine Begründung lautete: „Die Durchleuchtung der Hitlerzeit an H a n d ihrer Dokumente u n d die Verankerung der so gewonnenen Erkenntnisse im allgemeinen Volksbewußtsein ist aus politischen u n d kulturellen Gründen eine vordringliche Aufgabe der neuen Demokratie. Die staatspolitische Neuerziehung des Volkes muß auf einer gründlichen Kenntnis der Geschichte unserer Zeit beruhen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Darstellung der Hitlerzeit." 9 Bereits in der Gründungsphase wurde die singuläre Aufgabenstellung des Instituts beschlossen: Es sollte nicht allein ein Forschungsinstitut werden, sondern Dokumente u n d Literatur sammeln - eine Aufgabe, die zwar in Wechselbeziehung zu eigenen Projekten stand, aber nicht auf sie beschränkt blieb. Auf diese Weise dienten die hier gesammelten Dokumente und die Sekundärliteratur der Zeitgeschichtsforschung überhaupt, wenngleich sich das Ausmaß erst mit dem Ausbau des Instituts zur heutigen Funktion entwickelt hat, nämlich eine der größten Spezialbibliotheken zur Geschichte des 20. Jahrhunderts zu sein und anders als fast alle anderen geschichtswissenschafüichen Forschungsinstitute ein großes Archiv zur Verfügung der in- u n d ausländischen Forschung zu besitzen. Die Grundlage hierfür wurde während

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Vgl. Hellmuth Auerbach, Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 18 (1970), S. 529-554, hier S. 529. IfZ-Archiv, ED 94, Hausarchiv, Bd. 13, Bl. 109, auch zit. bei Hellmuth Auerbach, Gründung (Anm. 8), S. 530.

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der drei ersten Jahrzehnte unter Leitung von Anton Hoch (Archiv) und Thilo Vogelsang (Bibliothek) gelegt und seitdem durch ihre Nachfolger Werner Röder bzw. in der Bibliothek zunächst durch Hellmuth Auerbach, dann durch Christoph Weisz Schritt für Schritt weiter ausgebaut. Dabei kommt insbesondere der in den letzten Jahren erfolgenden EDV-Erschließung bzw. -katalogisierung und dem Anschluß der Bibliothek an den bayerischen On-Line-Verbund große Bedeutung für die Leistungsfähigkeit, aber auch die Recherche in den einschlägigen Beständen zu, wird auf diesem Wege doch auch das Sondersammelgebiet „Geschichte" der Bayerischen Staatsbibliothek einbezogen.10 Die Verschränkung mit der internationalen Zeitgeschichtsforschung könnte nicht besser dokumentiert werden als durch die Inanspruchnahme der Sammlungen. So haben im Jahr 1998 insgesamt 712 externe Benutzer aus dem In- und Ausland sich in das Benutzerbuch für den Lesesaal 2 (des Archivs) eingetragen, 1040 schriftliche Anfragen wurden beantwortet und mehr als 700 fernmündliche Auskünfte gegeben, 4196 Archivalien externen Benutzern vorgelegt und 6500 Reproduktionen von Mikrofilmen für sie hergestellt; zu dieser Dienstleistung zählt auch die Herstellung vieler tausend Kopien. Im Lesesaal 1 (der Bibliothek) trugen sich 1998 - zum Teil für gemischte Benutzung beider Abteilungen - 2662 Benutzer ein, 9821 Bände wurden ausgegeben, im IfZ-OPAC ca. 29500 Recherchen durchgeführt.11 Zur Diensüeistung durch Archiv, Bibliothek und Gutachtenabteilung treten weitere Serviceleistungen im Publikationsbereich hinzu, beispielsweise Anregung, Betreuung und redaktionelle Bearbeitung von Studien, die außerhalb des Hauses entstanden sind: Ein erheblicher, ca. 40 % erreichender Anteil der personellen und finanziellen Kapazität des Instituts für Zeitgeschichte fließt tatsächlich nicht in eigene, sondern in fremde Forschungsprojekte. Dies ist einerseits von Belang für die Beurteilung der Forschungsleistung des Instituts selbst, andererseits für seine finanziellen Ressourcen. Wenn schon zu Beginn der Institutsgeschichte ganz offensichtlich auf Seiten einzelner Forscher, vor allem an Universitäten, zuweilen eine gewisse Mißgunst gegenüber der vermeintlich viel besseren finanziellen Ausstattung des IfZ herrschte12, so 10

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Vgl. dazu die Beiträge von Werner Röder/Hermann Weiß/Klaus Lankheit sowie Christoph Weisz/Ingrid Baass, S. 87-125. Vgl. Institut für Zeitgeschichte, Jahresbericht 1998, S. 24: Benutzerservice. Vgl. etwa die Feststellung von Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S. 252.

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hat dies nicht zuletzt damit zu tun, daß der Servicecharakter, den das Institut für Zeitgeschichte gerade auch für Universitäten besitzt, nicht angemessen eingeschätzt wurde und zuweilen noch wird. Die zusätzliche Übernahme von Leistungen f ü r die Wissenschaft außerhalb des Hauses wird auch an der universitären Lehre deutlich, zu der das Institut nicht verpflichtet ist, die eine Reihe seiner Wissenschaftler aber gleichwohl erbringt. So haben beispielsweise im WS 1998/99 zehn Wissenschaftier des Instituts an bayerischen u n d außerbayerischen Universitäten Lehrveranstaltungen abgehalten. Der derzeitige Direktor des Instituts ist Lehrstuhlinhaber für Neuere u n d Neueste Geschichte an der Universität München (ad personam, nicht qua Amt), seine Vorgänger waren dort Honorarprofessoren. Der gegenwärtige Stellvertretende Direktor ist Honorarprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Regensburg. Zahlreiche Habilitationsschriften, Dissertationen u n d Magisterarbeiten entstanden u n d entstehen im Rahmen von Forschungsprojekten des Instituts u n d werden dort intensiv betreut. Wenngleich in den einzelnen Epochen der Institutsgeschichte die Übernahme von Lehrverpflichtungen auch unterschiedlich gewesen ist, so ist ihr Anteil in den letzten Jahren doch erheblich gewachsen: Diese Entwicklung entspricht der Absicht der Institutsleitung, der beteiligten Universitäten, aber auch prinzipiellen Erwägungen des Wissenschaftsrats. Sie ist auch deshalb konsequent, weil das Institut für Zeitgeschichte schon seit langem in Arbeitsgemeinschaft mit dem Institut f ü r Neuere Geschichte an der Universität München steht u n d seine Sammlungen auch Studenten offenstehen. Die Gründung von Außenstellen hat derartige Kooperationsmöglichkeiten in der Lehre erweitert. Diese Zusammenarbeit ist erfreulich u n d zeigt die enge Verbindung universitärer u n d außeruniversitärer Forschung. Sie findet im übrigen im Wissenschaftlichen Beirat des Instituts Ausdruck, dem neben dem qua Amt zugehörigen Präsidenten des Bundesarchivs u n d dem Generaldirektor der Bayerischen Archive seit j e h e r f ü h r e n d e Vertreter des Fachs aus den Universitäten - insbesondere auch solche der Universität München - angehören, die durch vielerlei Aktivitäten, u. a. Begutachtungen, die Arbeit des Instituts stützen.

III. Die zum großen Teil schon von Beginn an gestellten, zum geringeren Teil später hinzutretenden Aufgaben des Instituts haben sich während seiner gesamten Geschichte im Prinzip erhalten, wenn sie auch im Lau-

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fe der Zeit einen immer größeren Umfang erhielten. In bezug auf die eigene Forschungstätigkeit jedoch gab es nicht allein quantitative, sondern zudem immer wieder substantielle Erweiterungen der bearbeiteten Themenfelder; sie gingen oft mit methodischen Modifikationen einher, worauf noch einzugehen ist. Kein Zweifel: In den Anfangsjahren bildeten die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur u n d die Wiederbegründung der Demokratie in Westdeutschland den Ausgangspunkt f ü r die Institutsgründung u n d für die Formulierung seiner Ziele. Dieses Bedingungsverhältnis inspirierte die Gründung der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie die nahezu parallel erfolgende Errichtung des Instituts f ü r Zeitgeschichte - kaum zufällig ist also das Institut so alt wie die Bundesrepublik, auch wenn seine Etablierung ein verwickelter, sich über Jahre hinziehender Vorgang war. Nach den f r ü h e n Initiativen u n d Verzögerungen fiel schließlich im Herbst 1948 die Entscheidung: Das Institut wurde 1949 aufgrund einer Vereinbarung der Bundesrepublik Deutschland u n d ihrer Länder definitiv gegründet, nachdem bereits die Ministerpräsidenten Bayerns, Hessens u n d Württemberg-Badens 1947 die Errichtung eines „Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik" beschlossen hatten: Auch in bezug auf das Institut für Zeitgeschichte erwiesen sich also zu diesem Zeitpunkt die Länder als konstitutiv. Bei zunächst ungeklärter finanzieller Ausstattung fand am 27./28. Februar 1949 in München die konstituierende Sitzung des Kuratoriums bzw. des Wissenschaftlichen Rats statt, im Mai 1949 begann das Institut mit seiner Arbeit, bis am 8. September 1950 die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Innern, Gustav Heinemann, u n d der Freistaat Bayern das „Deutsche Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit" auf eine einstweilen gesicherte finanzielle Basis stellten. Damit war eine gemeinsame Trägerschaft von Bund u n d Ländern erreicht, wenn es auch später noch verschiedentlich Modifizierungen im einzelnen gegeben hat, beispielsweise 1961 die formelle Gründung einer „Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte", die die Rechtsform einer öffentlichen Stiftung des bürgerlichen Rechts besitzt u n d deren Stiftungsurkunde - wiederum mit einigen Modifikationen - bis heute gültig ist. Gemäß dem Königsteiner Abkommen befindet sich das Institut nach Artikel 91 b des Grundgesetzes in der gemeinsamen Forschungsförderung von Bund u n d Ländern, die seinen ordentlichen Wirtschaftsplan zu j e 50% finanzieren (Einrichtungen der sog. Blauen Liste, die sich seit einigen Jahren in der Wissenschafts-

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gemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL) organisiert haben). Für die Länder führt dabei das Sitzland Bayern die Geschäfte, der Vertreter des Freistaats Bayern nimmt traditionsgemäß den Vorsitz im Stiftungsrat ein. In den beiden letzten Jahrzehnten waren dies die Ministerialdirektoren Dr. Karl Böck, Herbert Kießling13 und derzeit Dr. Wolfgang Quint, die sich außerordentlich für das Institut engagiert haben. Heute sind im Stiftungsrat der Bund (federführend das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das mit Dr. Bernhard Doli den Stv. Vorsitzenden stellt, daneben das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt) sowie die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vertreten, außerdem auf Vorschlag von Stiftungsrat und Bund-Länder-Kommission seit 1993 die neuen Bundesländer Brandenburg und Sachsen: Auch in dieser Trägerschaft wird deutlich, daß das Institut für Zeitgeschichte nicht bloß einen regionalen, sondern einen gesamtstaatlichen Auftrag besitzt.

TV. Nach der vorläufigen Klärung der rechtlichen und finanziellen Fragen 1948/49 wurde es schon in den ersten Jahren spannend. Der politische Ausgangspunkt der Institutsgründung und die zentrale Rolle, die anfangs die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus besaß, führten zu - wenn auch unterschiedlich motivierten - Turbulenzen: Zum einen betrafen sie den ersten Leiter des Instituts, dessen Bestellung zum Politikum wurde, zum anderen die erste Institutspublikation („Hitlers Tischgespräche") 14 , die ebenfalls - ungewünschtes - Aufsehen erregte. Beide Fragen besaßen nicht nur sachliche Bedeutung für die zu diesem Zeitpunkt ja erst in den Anfängen stehende Arbeit des Instituts, sondern auch noch eine individuelle Komponente in Person des damaligen Beiratsmitglieds Gerhard Ritter, des zu dieser Zeit wohl führenden und einflußreichsten deutschen Neuhistorikers. Bei den Kontroversen ging es aber keineswegs nur um die bekannte und bewährte Streitbarkeit Ritters, sondern um grundsätzliche Fragen, deren Beantwortung für spätere Entscheidungen eine gewisse Präzedenzwirkung erhielt, die auch das Zusammenwirken der Gremien des Instituts betraf.

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Zu seiner Amtsführung vgl. Horst Möller, Herbert Kießling zum 65. Geburtstag in: VfZ 43 (1995) S. 379-381. Vgl. ausführlich unten S. 35-41.

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Im Februar 1949 provozierte zunächst die durch das Kuratorium beschlossene Bestellung von Dr. Gerhard Kroll zum ersten Leiter des Instituts Widerspruch aus dem - damals so genannten - Wissenschaftlichen Rat. Sie ging auf das Einvernehmen der beiden aus persönlichen, aber auch sachlichen Gründen wichtigsten Mitglieder des Kuratoriums zurück: Der Vorschlag kam vom bayerischen Vertreter, Staatsminister Dr. Anton Pfeiffer, und fand die Zustimmung des Leiters der Hessischen Staatskanzlei, Staatssekretär Dr. Hermann Brill, deren Zusammenwirken schon ausschlaggebend für die definitive Institutsgründung gewesen war u n d deren Regierungen als Hauptinitiatoren u n d Träger großes Gewicht besaßen. Hinzu kamen Dienststellung u n d persönliche Bedeutung dieser beiden Kuratoriumsmitglieder, schließlich eine parteipolitische Komponente: Da Pfeiffer CSU-Politiker, Brill aber Sozialdemokrat war, deckten beide zusammen auch den größeren Teil des politischen Spektrums ab. Beide waren historisch außerordentlich interessiert, beide schätzten die Bedeutung der Zeitgeschichtsforschung für die politische Bildung hoch ein, beide hatten schon während der Weimarer Republik politische Aufgaben wahrgenommen, beide waren Gegner des Nationalsozialismus u n d längere oder kürzere Zeit während des Regimes verhaftet gewesen, weshalb sie als Unbelastete unmittelbar nach Kriegsende ihre politische Laufbahn wieder a u f n e h m e n konnten. Anton Pfeiffer (1888-1957), zunächst Oberstudienrat, hatte zwischen 1919 u n d 1927 die Zeitschrift „Politische Zeitfragen" herausgegeben, war 1928 bis 1933 Landtagsabgeordneter der Bayerischen Volkspartei u n d ab 1928 deren Generalsekretär. 1933 wurde er für einige Wochen inhaftiert. Nach 1945 stieß er sogleich zur CSU u n d wurde 1946 Minister für Sonderaufgaben, wozu die politische Säuberung zählte, zugleich leitete er bis 1950 die Staatskanzlei. Seit 1946 war er Abgeordneter des Bayerischen Landtags und 1948/49 des Parlamentarischen Rates. Pfeiffer war es auch, der f ü r die Institutsgründung ein Domizil in München, in der Reitmorstraße, angeboten hatte. Hermann Brill (1895-1959) war zunächst Lehrer, studierte dann Jura u n d machte während der 1920 er Jahre eine Blitzkarriere im thüringischen Staatsdienst, bei der er es schon in sehr j u n g e n Jahren bis zum Ministerialdirektor im thüringischen Innenministerium brachte, bevor er als politischer Beamter (er war zunächst Mitglied der USPD, seit 1922 der SPD) 1924 entlassen wurde. 1919 bis 1933 war er Mitglied des Landtags von Thüringen, seit 1932 des Reichstags. 1933 verhaftet, engagierte er sich seit 1934 im Widerstand, u. a. in der Gruppe „Neu Beginnen". 1939 wurde er, der drei Jahre zuvor Mitgründer der Wider-

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standsgruppe „Deutsche Volksfront" gewesen war, zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt und 1943 ins KZ Buchenwald verbracht. Von der amerikanischen Militärregierung 1945 zum Ministerpräsidenten von Thüringen ernannt, ging er - nach der Ubergabe dieses Landes an die Sowjetunion - nach Hessen: Dort wurde er Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei. 1948 zum Honorarprofessor für Staatsrecht an der Universität Frankfurt am Main ernannt, legte er 1949 die erwähnten politischen Amter nieder und wurde in den ersten Deutschen Bundestag gewählt. Keine Frage war es, daß gestandene Persönlichkeiten dieser Lebenserfahrung, die die deutsche Zeitgeschichte miterlebt, miterlitten und in ihren jeweiligen Funktionen als politische Akteure mitgestaltet hatten, selbstbewußt genug waren, sich ein eigenes Urteil über den künftigen Leiter des Instituts zuzutrauen. Aufgrund ihrer politischen Motivation bei der Gründung sahen sie offensichtlich kein Problem darin, einen Politiker zu berufen. Übrigens wiederholte sich diese Problematik, als es um die Berufung der Mitherausgeber der „Vierteljahrshefte" ging und bei der gemeinsamen Sitzung von Kuratorium und Wissenschaftlichem Beirat am 17. Mai 1952 Staatssekretär Dr. Walter Strauß (CDU) vorschlug, Hermann Brill zu berufen. Die beiden Hauptherausgeber, Hans Rothfels und Theodor Eschenburg, lehnten diesen Vorschlag aus prinzipiellen Gründen, unterstützt von den meisten anderen Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats, als ebenso unangemessene wie außerwissenschaftliche Proporzüberlegung ab, während die Kuratoriumsmitglieder - gleich welcher Parteirichtung - den Sozialdemokraten Brill unterstützten. Walter Strauß stellte damals fest: „Die Öffentlichkeit wird den Herausgeberkreis politisch werten, denn heute gibt es niemand mehr, der nicht politisch ist." Schließlich empfahl das Kuratorium lediglich, sich auf die Hinzuziehung eines für Wirtschafts- und Sozialgeschichte zuständigen Mitherausgebers zu beschränken: Dies wurde dann auf Wunsch von Rothfels Werner Conze.15 Wie auch in der Frage, ob das Kuratorium in die Begutachtung einbezogen werden sollte, setzten sich die Wissenschaftler letztlich durch und sicherten damit prinzipiell ihre Autonomie. In bezug auf den ersten Generalsekretär erwies sich die Berufung eines Politikers als Intermezzo. Gerhard Kroll, 1910 in Breslau geboren, war zwar promovierter Volkswirt, hatte auch Philosophie und Religionswissenschaft studiert, nicht aber Geschichte. Zunächst Mitarbeiter 15

IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv, Protokoll der Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats am 17.5. 1952, S. 12ff., 31 ff.

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des Instituts f ü r Konjunkturforschung in Berlin, hatte er zum NS-Regime in Distanz gestanden u n d aus politischen Gründen auf die Habilitation verzichtet. Bevor er Soldat wurde, arbeitete er 1938 bis 1942 als Statistiker für Unternehmen. 1945 war er Gründungsmitglied der CSU in Bamberg: Für sie übte er in den ersten Nachkriegsjahren verschiedene Funktionen aus, wurde 1946/47 Mitglied des Landesvorstands u n d 1946 bis 1950 des Bayerischen Landtags sowie - als Fraktionskollege Anton Pfeiffers - 1948/49 des Parlamentarischen Rates. Als Vorsitzender des Bezirks Oberfranken der CSU u n d Landrat von Staffelstein 1946 bis 1948 besaß Kroll überdies Organisations- u n d Verwaltungserfahrung. Nach seinem Ausscheiden aus dem Institut wurde er 1951 Herausgeber der Zeitschrift „Neues Abendland". Er starb 1963. Als erster Geschäftsführer bzw. Generalsekretär des Instituts hat er sich zweifellos beachtliche Verdienste erworben, seine politischen Verbindungen u n d reichen Erfahrungen, auch die zeitweilige Tätigkeit in einem wissenschaftlichen Institut waren dafür eine große Hilfe. Trotzdem sprach alles dafür, künftig einen professionellen Historiker zu berufen. Bei der j a zunächst n u r provisorischen Besetzung der Stelle aber war die Entscheidung nach Pfeiffers Vorschlag u n d Brills Zustimmung erst einmal gefallen. Die von Gerhard Ritter gegen Kroll geäußerten prinzipiellen Bedenken beantwortete das Kuratorium zunächst mit Hinweis auf den vorläufigen Charakter der Berufung u n d außerdem mit der Bereitschaft, als erste wissenschaftliche Mitarbeiter Kroll zwei gestandene Historiker an die Seite zu stellen: Carl Hinrichs, außerordentlicher Professor an der Universität Halle, ehemaliger Archivrat am Preußischen Geheimen Staatsarchiv Berlin u n d profilierter Frühneuzeithistoriker, sollte das Archiv des Instituts aufbauen. Als zweiter Historiker, dessen Aufgabe zunächst der Aufbau der Bibliothek sein sollte, war der Leipziger Privatdozent u n d Leiter der dortigen Universitätsbibliothek Karl Buchheim (1950 bis 1957 Professor für Geschichte an der TU München) vorgesehen. 16 Karl Buchheim, 1934 aus politischen Gründen aus dem Gymnasialdienst entlassen, war später selbst als Generalsekretär im Gespräch. Wie Carl Hinrichs war er zweifellos ein ausgewiesener Historiker, beide waren indes keine Zeitgeschichtler. Hinrichs, später an die FU Berlin berufen, wurde es nie, Buchheim erst im Laufe der 16

Vgl. Karl Buchheim, Eine sächsische Lebensgeschichte. Erinnerungen 1889-1972. Bearb. von Udo Wengst und Isabel F. Pantenburg, München 1996.

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1950er Jahre. Dies war auch für die spätere Personalpolitik des Instituts bezeichnend, worauf noch einzugehen ist. In der Auseinandersetzung von 1949, aber auch noch bei der Suche nach einem Nachfolger für Kroll 1951/52 zeigte sich, daß selbst der Wissenschaftliche Rat nicht ohne weiteres mit Historikern aufwarten konnte, die bereits über die Geschichte des 20. Jahrhunderts gearbeitet hatten. In dem von Ritter vertretenen quellenorientierten Sinn konnte dies auch kaum anders sein: Bis dahin waren weder die staatlichen Akten zur Weimarer Republik, noch die des NS-Regimes zugänglich; für andere europäische Staaten galten ähnliche Befunde, gab es in ihnen doch zum Teil nicht allein eine dreißigjährige, sondern sogar eine fünfzigjährige Sperrfrist, weshalb beispielsweise bei der Erforschung der Ursachen des Ersten Weltkriegs für die meisten Staaten bis in die sechziger Jahre hinein - wenn überhaupt - nur offiziöse Aktenpublikationen zur Verfügung standen. Auf der anderen Seite hatte es schon in der Vorgeschichte der Gründung des Instituts durchaus eine Alternative gegeben, nämlich die Besetzung der Leitungsstelle mit einem Politikwissenschaftler, der sich wissenschaftlich mit der jüngeren deutschen Geschichte befaßt und seinerseits Erfahrung in Politik und Verwaltung gesammelt hatte: Theodor Eschenburg wurde schon bei den Sitzungen des Gründungskuratoriums 1947 als möglicher Geschäftsführer genannt. Da aber damals keine Mittel zur Verfügung standen, zerschlug sich dieser Plan. Eschenburg, zu dieser Zeit noch Ministerialrat und Dozent an der Universität Tübingen, danach Staatsrat im Innenministerium von Württemberg-Hohenzollern, dann Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen, hat jedoch später für das Institut eine wichtige Rolle gespielt: 1951 bis 1961 als Mitglied des Kuratoriums, anschließend als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats und mit Hans Rothfels als Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte". Obgleich Kroll nicht - wie vom Kuratorium in Aussicht gestellt - seine politische Tätigkeit einstellte17, begann man mit der Arbeit, die Kroll finanziell sogar persönlich aus seinen eigenen Bonner Diäten unterstützte. Schon Mitte Mai 1949 erhielt das Institut von der amerikanischen Besatzungsmacht 28 Kisten mit Materialien der Nürnberger Prozesse, die den Grundstein für das künftige Archiv bildeten. Aber nicht nur dies: Die von Helmut Heiber, seit 1954 für 34 Jahre eine der wissenschaftlichen Säulen der Institutsarbeit, durchgeführte akribische Er17

Vgl. dazu Hellmuth Auerbach (Anm. 8), S. 538 ff.

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Schließung, die im Katalog des Instituts zu den Nürnberger Dokumenten nachvollziehbar ist, machte sie weltweit f ü r das erste Jahrzehnt der NS-Forschung zum zentralen Quellenbestand. Sie bildete auch ein Beispiel dafür, wie die singulare Verzeichnungsintensität des Instituts die Forschung immer wieder gefördert hat, begründete sie doch gewissermaßen den hohen Anspruch für später erworbene Bestände, für die exemplarisch die EDV- Erschließung der OMGUS-Akten steht. Trotz des angesichts der geringen Möglichkeiten doch vielversprechenden Starts kam es erneut zu einem Eklat: Der Wissenschaftliche Rat fühlte sich von Kroll, aber auch vom Kuratorium übergangen, als eine Satzungsänderung - tatsächlich handelte es sich um mehr, nämlich ein neues Statut - beraten wurde. Darüber schrieb Ritter am 2. August 1949 an Walter Goetz: „Meines Erachtens kommt es jetzt darauf an, den von Kroll vorgelegten Statutenentwurf (Staatsvertrag) zu Fall zu bringen u n d eine andere Organisationsform durchzusetzen, die an die Stelle der Krolloper ein wirklich wissenschaftliches Institut garantiert [sie]." 18 Wiederum ging es um grundsätzliche Probleme. Und da nicht allein das Kuratorium, sondern auch der Beirat mit den Professoren Walter Goetz, Franz Schnabel, Erich Kaufmann, Ludwig Bergsträsser, Theodor Heuss, Gerhard Ritter u n d General a. D. Hans Speidel hochkarätig besetzt war, konnte ein Zusammenstoß nicht ausbleiben. Hinter dieser Kontroverse stand die Befürchtung der Fachwissenschafder, daß die Arbeit des Instituts entweder - wie es Goetz befürchtete - politisch oder journalistisch ausfallen könnte, oder - wie Ritter annahm - allein von der Ministerialbürokratie o h n e den Wissenschaftlichen Rat geregelt würde. Gravierend war überdies die Frage, ob eventuell ein Bundesinstitut geschaffen werden könnte, was Goetz und Ritter wollten, Brill u n d Pfeiffer aber ablehnten. Die Auseinandersetzung zwischen Ritter u n d Kroll nahm auch persönliche Züge an: Ritter warf Kroll vor, seit 1936 nichts m e h r publiziert zu haben, worauf dieser konterte: Er habe dies aufgrund seiner antinationalsozialistischen Haltung nicht getan, während Ritter, weil er „als Ausgangspunkt den Boden des Macchiavellismus erst einmal aeeeptiert hatte", „zweifelhafte Zugeständnisse an die Ideologie des Nationalsozialismus" gemacht habe. 19 Eine solche Behauptung war zweifellos „starker

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Zit. in: Gerhard Ritter. Ein politischer Historiker in seinen Briefen, hrsg. von Klaus Schwabe und Rolf Reichhardt unter Mitwirkung von Reinhard Häuf, Boppard a. Rhein 1984, S. 458 (Anm. 3). IfZ- Registratur, zit. bei Hellmuth Auerbach (Anm. 8), S. 541.

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Toback", stand Ritter doch Goerdeler u n d dem Widerstand nahe 2 0 u n d war auch selbst kurz verhaftet worden. Andererseits war Ritters national· u n d machtstaatliche, borussisch-kleindeutsche, dezidiert protestantische Orientierung nicht allein Kroll suspekt, sondern aus unterschiedlichen Gründen auch Brill u n d Pfeiffer. Die Politisierung der Auseinandersetzung ging weiter, verstand es doch Ritter, den Badischen Staatspräsidenten Wohleb auf seine Seite zu ziehen: Dieser lehnte zunächst einen von Brill auf der Ministerpräsidenten-Konferenz am 5. August gemachten Vorschlag und den Beitritt seines Landes zu einer das Institut tragenden Stiftung ab. Statt dessen schlug er unter Hinweis auf Ritters Bedenken die Gründung eines solchen Instituts durch die künftige Bundesregierung vor. Ritter selbst nutzte seine Stellung als Vorsitzender des Historikerverbandes u n d hielt bei dem vom 12. bis 15. September 1949 in München stattfindenden ersten deutschen Historikertag nach dem Krieg einen Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Gegenwärtige Lage u n d Zukunftsaufgaben deutscher Geschichtswissenschaft". 21 Er beklagte, daß die Initiativen der Länderregierungen zur Gründung eines „Deutschen Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit" o h n e jegliche fachliche Mitwirkung erfolgt seien - was in dieser strikten Form nicht zutraf, da man j a einen Wissenschaftlichen Rat berufen hatte - und forderte im Namen der ganzen deutschen Historikerschaft (die dazu nicht befragt worden war) einen völligen Neuanfang: „Aber wie sorgsam, wie wohlüberlegt muß ein solches Institut organisiert werden, damit es nicht zur politischen Verleumdungszentrale wird! O h n e die leitende Hand eines erfahrenen Fachhistorikers, der Wesenüiches vom Nebensächlichen zu scheiden, alle Kraft auf die zentralen Probleme zu lenken versteht und den ein Kollegium ausgesuchter Fachleute unterstützt, geht es nicht." Wenngleich Ritter nicht mit Selbstkritik an der Zunft sparte - die übrigens deijenigen ähnelte, die Kroll an ihm selbst geübt hatte - , so war doch sein Vorstoß so wenig fair wie deijenige, den Walter Goetz, damals Präsident der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in konzertierter Aktion mit Ritter unternahm: Goetz behauptete allen Ernstes, er habe von der Gründung des Instituts aus der Zeitung erfahren, sie sei unter Ausschluß der deutschen

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Vgl. Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1954. Abgedr. in: HZ 170 (1950), S. 1-22, Auszüge in Hellmuth Auerbach (Anm. 8), S. 542.

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Geschichtswissenschaft „über Nacht" erfolgt. Als Goetz dies im September 1949 erklärte, lag die Sitzung des Wissenschaftlichen Rats des Instituts, an der er selbst und Ritter am 28. Februar 1949 teilgenommen hatten, tatsächlich schon ein halbes J a h r zurück. 22 Ritter hatte im übrigen auf dieser Sitzung erklärt: „Er betrachte sich als Vertreter der .Münchner Historischen Kommission* im Wissenschaftlichen Beirat u n d gebe seiner Freude Ausdruck, daß durch Einberufung dieser Sitzung die bereits aufgetretene Befürchtung beseitigt werde, daß das Institut nicht zustande kommen werde. Die Notwendigkeit des Instituts müsse in einer Denkschrift der Öffentlichkeit vorgelegt [sie!] werden." 23 Weniger als diese Querelen, in denen sich sachliche u n d politische Probleme sowie persönliche Animositäten verbanden, war es die durch die zögerliche Haltung einiger Länder mitverursachte finanzielle Notlage, die schließlich doch zu einer Bundesbeteiligung führte. Dabei spielte die durch Kroll inspirierte bayerische Initiative eine Rolle, die nach den aufgetretenen Schwierigkeiten und Finanzierungsproblemen nun sogar eine völlige Übernahme durch den Bund anvisierte. Das Bayerische Staatsministerium ging davon aus, „daß das Institut nicht n u r wissenschaftliche Forschung zu treiben habe, die unter die Kulturhoheit der Länder fallen würde, sondern auf Grund der Sammlung des geschichtlichen Materials hauptsächlich in der Öffentlichkeit aufklärend wirken, also eine gesamtdeutsche staatspolitische Aufgabe wahrnehmen soll". Gerhard Ritter seinerseits richtete am 1. Oktober 1949 an das gerade erst gegründete Bundesministerium des Innern eine „Denkschrift betreffend planmäßige Neuorganisation wissenschaftlicher Studien zur Geschichte der neuesten Zeit", die aber bereits am 18. April 1949 verfaßt worden war.24 Ritter stellte u. a. fest: „Niemals im Laufe der deutschen Geschichte ist die objektive, unvoreingenommene Erforschung u n d Darstellung zeitgeschichtlicher Vorgänge so dringend notwendig gewesen wie heute. Und noch niemals war die Gefahr so groß, daß der deutschen Geschichtswissenschaft der direkte Zugang zu den Quellen jüngster Vergangenheit ein für allemal verschüttet wird, wie jetzt. Die Propaganda von ehedem wird sogleich durch eine überlaute Gegenpropaganda ersetzt. Eine lang aufgestaute, ungeheure Flut von Erbitterung u n d Em22

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IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv, Wiss. Beirat, Sitzungsprotokolle Β sowie Denkschrift von Walter Goetz, im IfZ-Archiv, ED 105, Bd. 3. Protokoll (Anm. 22), S. 5. BA Koblenz, NL Ritter 260, zum größeren Teil gedruckt in: Gerhard Ritter (Anm. 18), S. 456-459, vgl. zur Einordnung ebd. S. 457f., Anm. 3.

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pörung entlud sich über Deutschland. Die Folge war u n d ist eine rasch zunehmende Verhärtung des politischen Gewissens der Deutschen. Sie haben bereits wieder zuviel Ubertreibungen gehört, um noch ernsthaft zuzuhören, wenn ihnen die schlichte Wahrheit gesagt wird. Allzu viele u n d vor allem allzu eilfertige Versuche sind gemacht worden, die ganze deutsche Vergangenheit, zum mindesten seit 200 Jahren, als bloße Vorgeschichte des Nationalsozialismus auszulegen; so beginnt man bereits wieder sich gegen j e d e Revision des herkömmlichen deutschen Geschichtsbildes innerlich zu verstocken. Mehr noch: Neue Legenden über die Hiderzeit kommen in Schwang." Dringend geboten war nach Ritter die Gründung eines „Forschungsinstituts für jüngste Geschichte". Gegen Bedenken verschiedenster Art aus dem In- u n d Ausland müsse es realisiert werden: „Noch niemals war der Zusammenbruch eines politischen Systems so total u n d in sein e n Folgen so fürchterlich wie [der] des Hitler-Systems. Noch niemals war darum die innere Bereitschaft, rückhaltlos zu .entlarven', was zu entlarven ist, so groß wie heute. Dem Mißtrauen der deutschen Öffentlichkeit wird um so leichter zu begegnen sein, j e deutlicher das Institut als freies wissenschaftliches Institut organisiert, j e weniger es mit offiziellen Aufträgen, Verpflichtungen u n d Kontrollorganen politischer Stellen belastet wird." Bundesinnenminister Gustav Heinemann erklärte sich daraufhin am 7. Dezember 1949 in einem Schreiben an den Bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard „grundsätzlich bereit, das Deutsche Institut zur Erforschung des Nationalsozialismus durch den Bund zu übernehmen", u n d fragte zugleich nach einer finanziellen Beteiligung Bayerns. 25 Daß es zu der dann verwirklichten Lösung kam, dafür setzte sich nicht allein Gerhard Kroll ein, der während dieser Monate unverdrossen für den Aufbau der archivalischen u n d bibliothekarischen Sammlungen sorgte u n d alle notwendigen Fäden zog, sondern ausschlaggebend war auch Theodor Heuss als Mitglied des Wissenschaftlichen Rats, n u n Bundespräsident u n d später bis zu seinem Tode 1963 zu Recht Ehrenmitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts f ü r Zeitgeschichte. Nachdem die (Mit) Trägerschaft durch den Bund grundsätzlich geklärt war, fand unter Vorsitz von Bundesinnenminister Heinemann am 1. März 1950 in Bonn ein Gespräch statt, an dem unter anderen Ludwig Berg25

IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv, Bd. 1 bzw. Bd. 5, zit. in Hellmuth Auerbach (Anm. 8), S. 545 f.

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strässer, Hermann Brill, Gerhard Kroll, Gerhard Ritter und Dieter Satüer teilnahmen. Konträre Auffassungen über die künftige Institutsarbeit vertraten vor allem Brill und Ritter, der eher an eine eng an das Bundesarchiv angelehnte Forschungsstelle dachte, als an ein selbständiges mehrgliedriges Forschungsinstitut, mit Sammlungs- und in die Öffentlichkeit wirkenden Publikationsaktivitäten, wofür unter anderem Brill und Bergsträsser eintraten. Heinemann hielt die Sammlungsarbeit des Instituts zwar für wichtig, die Forschunsgarbeit aber für entscheidend. Dieser Akzent gelangte dann auch in einen weiteren Satzungsentwurf, der deshalb auch dem Wissenschaftlichen Beirat eine wichtige Stellung einräumte. Er sollte sich aus Persönlichkeiten zusammensetzen, „die nach ihrer politischen Vergangenheit einwandfrei und nach ihren wissenschaftlichen und sonstigen Veröffentlichungen anerkannt sind" - ein Passus, der übrigens bis heute in der Satzung steht. Tatsächlich hat ein Großteil der führenden Neuzeithistoriker der Bundesrepublik in den fünf Jahrzehnten seines Bestehens für kürzere oder längere Zeit dem Wissenschaftlichen Beirat des Instituts für Zeitgeschichte angehört. 26 Wie nicht anders zu erwarten, gab es ein Tauziehen um die personelle Zusammensetzung des ersten Wissenschaftlichen Beirats, der an die Stelle des früheren Wissenschaftlichen Rates treten sollte. Nicht allein Bund und Länder, sondern auch Bundespräsident Heuss persönlich nahmen Einfluß. Dem Beirat gehörten schließlich an: Philipp Auerbach, Ludwig Bergsträsser, Hermann Brill, Ludwig Dehio, Constantin von Dietze, Fritz Härtung, Ernst von Hippel, Erich Kaufmann, Eugen Kogon, Theodor Litt, Gerhard Ritter, Franz Schnabel, Hans Speidel, Bernhard Vollmer und Wilhelm Winkler. Theodor Heuss und Friedrich Meinecke wurden Ehrenmitglieder. Damit war auch klar, daß nicht allein Historiker Mitglied werden konnten. Zwar hatte mit der nun gewählten Konstruktion Ritter einen Teilerfolg erzielt, indem Bundesbeteiligung und Stärkung des Wissenschaftlichen Beirats das Ergebnis der Kontroverse waren, sein ursprüngliches Ziel aber, dessen Vorsitzender zu werden, erreichte er nicht. Dies wurde Ludwig Bergsträsser, als Historiker des deutschen Parteiwesens und der Verfassung anerkannt, zugleich aber Politiker: Seit 1916 Professor für Neuere Geschichte in Greifswald, ab 1920 am Reichsarchiv, hatte er schon in der Weimarer Republik - als Fraktionskollege von Theodor Heuss DDP-Abgeordneter - dem Deutschen Reichstag (1924-1928) angehört. 1928 wechselte er zur SPD, wurde 26

Siehe das Verzeichnis auf S. 542 ff.

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1933 aus politischen Gründen entlassen u n d unterhielt seit Mitte der 1930 er Jahre Kontakte zur politischen Emigration. Nach 1945 nahm er seine politische Laufbahn sogleich wieder auf, zunächst als Regierungspräsident u n d Landtagsabgeordneter in Hessen, dann als Mitglied des Parlamentarischen Rates u n d als SPD-Bundestagsabgeordneter (1949-1953). Auch Bergsträsser ist ein Beispiel dafür, daß alle Persönlichkeiten, die sich für die Gründung des Instituts engagierten bzw. auf seine Frühgeschichte Einfluß nahmen, Gegner des Nationalsozialismus waren u n d oftmals politische u n d wissenschaftliche Tätigkeit miteinander verbanden. In bezug auf die Besetzung von Wissenschaftlerstellen wurde im Prinzip analog verfahren: Bis auf wenige Ausnahmen gehörten sie der jüngeren Generation an, die schon aufgrund ihres Lebensalters durch den Nationalsozialismus nicht kompromittiert sein konnten - ein erheblicher Unterschied zu manchen personalpolitischen Entscheidungen in den neuen Bundesländern nach 1989.

v: Mit der Einstellung von Dr. Anton Hoch als Archivar u n d Privatdozent Dr. Karl Buchheim als Leiter des „Historisch- Politischen Referats" wurden wichtige Personalentscheidungen getroffen, während es in bezug auf die definitive Besetzung des Leitungspostens erneut zu Differenzen kam, nachdem Kroll Ritter „verdächtigt" hatte, nach dem Chefsessel zu streben, wofür der .Anhänger eines engstirnigen, machtstaatlich orientierten Nationalismus" aber ganz ungeeignet sei. Kroll, der die Presse mobilisierte u n d sich eingehend mit Ritters einschlägigen Schriften auseinandersetzte, führte diesen Kampf, indem er eine „Revision des Geschichtsbildes" forderte, der Ritters Positionen entgegenstünden, während Ritter den Historikerverband mobilisierte, der sich zu dessen Verteidigung an Bundesinnenminister Heinemann wandte. Unabhängig von der persönlichen Seite standen dahinter wiederum grundsätzliche Fragen: Kommt der im Institut zu betreibenden Erforschung des Nationalsozialismus die Funktion zu, grundsätzlich das Bild der deutschen Geschichte zu revidieren? Und weiter: In welchem Maße wird die wissenschaftliche Auseinandersetzung über diese Frage politisiert, sei es durch Anrufung der Öffentlichkeit oder der Politik? Die durch Staatssekretär Dieter Satüer betriebene Klärung setzte einen eindeutigen Akzent: Das Institut habe politisch neutral zu sein, unter

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seinen Mitarbeitern müßten unterschiedliche weltanschauliche und politische Richtungen möglich sein. Die nicht allein von Ritter, sondern auch von Kroll zu verantwortende Verschärfung u n d die zweifellos durch den Diskussionsstil betriebene Politisierung machen eins deuüich: Ein Politiker als Leiter eines wissenschaftlichen Instituts, der sich trotz seiner Verdienste mehr oder weniger der Ablehnung durch die Zunft gegenübersah, konnte auf Dauer dieses Amt nicht ausüben. Ritter drohte mit Rücktritt aus dem Beirat, falls Kroll als Generalsekretär wiedergewählt werden würde; dieser bot d e n n auch seinen Rücktritt an, doch erwies sich die Suche nach einem Nachfolger aus den genannten Gründen als schwierig. Die konstituierende Sitzung des Kuratoriums und des Beirats des neustrukturierten Instituts fand am 11. September 1950 in Anwesenheit von Bundespräsident Heuss in Bad Godesberg statt. Ludwig Bergsträsser wurde hier mit sechs Stimmen gegen den Staatsrechtslehrer Erich Kaufmann, der vier Stimmen erhielt, zum Vorsitzenden des Wissenschafdichen Beirats gewählt. Auf dieser Sitzung wurde Einigkeit darüber erzielt, daß f ü r das Amt des Institutsleiters nur ein ausgewiesener Wissenschaftler in Frage komme: Er müsse nicht „nur ein Verwaltungsmann sein, sondern auch die erforderliche wissenschaftliche Ausbildung mitbringen u n d nach außen hin einen Namen haben, d. h. eine Persönlichkeit sein". 27 Die Hauptkandidaten waren - auf Vorschlag Gerhard Ritters - der Kieler Professor Dr. Michael Freund, Min. Rat Professor Dr. Theodor Eschenburg (Tübingen), Professor Dr. Karl Griewank (Jena), Dr. Heinz Holldack sowie Dozent Dr. Heinrich Heffter (Hamburg) . Insbesondere auf Vorschlag Bayerns wurden weiterhin genannt: der nunmehrige Münchner Professor Dr. Karl Buchheim, Dr. Gerhard Kroll, Min. Rat Holzhausen u n d Prof. Gert Buchheit. Kroll wurde gebeten, die Geschäfte interimistisch fortzuführen. Schließlich wurde in der Sitzung von Kuratorium u n d Beirat vom 5. Januar 1951 auf Vorschlag Franz Schnabels der ehemalige Leipziger Privatdozent Dr. Hermann Mau, Mediävist u n d Schüler Hermann Heimpels, präsentiert; eine seiner ersten in die Zeitgeschichte reichenden Arbeiten galt der Geschichte der deutschen Jugendbewegung zwischen 1901 u n d 1933. Zu dieser Zeit war er Leiter des Studenten- u n d Arbeiterwohnheims am Münchner Maßmannplatz, das er selbst gegründet und mit einem Sozialwerk verbunden hatte - aus diesem Stu27

Protokoll der Sitzung von Kuratorium und Wiss. Beirat am 11. September 1949, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv, Protokoll der Sitzungen des Wissenschaftlichen Beirats, S. 4.

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dentenwerk gingen übrigens später mehrere wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts hervor, die alle zunächst als Hilfskräfte begonnen hatten. Schnabel verwies auf Maus hervorragende Münchner Antrittsvorlesung über die Nürnberger Prozesse. Seine derzeitige Tätigkeit bei der Begründung eines vorzüglichen Sozialwerks belegten seine Organisations- und Leitungserfahrung. Hermann Mau wurde gewählt, obwohl ein nicht dem Beirat angehörender Münchner Mediävist dies über Fritz Härtung - zu verhindern versuchte: Ausgerechnet Professor Johannes Spörl warf Mau vor, zu wenig publiziert (beispielsweise sei seine Straßburger Habilitationsschrift noch nicht gedruckt) zu haben, während innerhalb des Beirats sein Kollege Schnabel die Intervention von außen zurückwies: Der Umhabilitation Maus nach München habe zwar Spörl, nicht aber Max Spindler widersprochen. Erst zu diesem Zeitpunkt war jeder Zweifel daran ausgeräumt, daß das Institut künftig nach wissenschaftlichen Kriterien geführt werden würde. In der Sitzung trug Staatssekretär Sattler das einstimmige Votum des Kuratoriums für Mau vor. „Für Dr. Freund habe sich im Kuratorium keine Einstimmigkeit ergeben, hauptsächlich, weil er Parteigenosse war (wenn auch entlastet) und dies dem Institut in seinen Auslandsbeziehungen nachteilig sei."28 Nachdem auch noch Dr. Georg Smolka diskutiert worden war und Bergsträsser sich zeitweilig für Karl Buchheim eingesetzt hatte, den auch Hermann Brill favorisierte, einigte sich schließlich der Wissenschaftliche Beirat - nachdem sich Gerhard Ritter und Fritz Härtung ebenfalls für ihn ausgesprochen hatten - einstimmig bei Stimmenthaltung Brills auf Hermann Mau. Da der neue Generalsekretär Hermann Mau, der er am 25. Januar 1952 auf einer Dienstreise tödlich verunglückte, nur ein knappes Jahr im Amt blieb, war es ihm nicht vergönnt, die Institutsarbeit zu prägen; wichtige Weichenstellungen und Initiativen für die thematische und organisatorische Struktur der künftigen Arbeit gehen dennoch auf ihn zurück, darunter die Gründung der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte", die seit 1953 erscheinen. Mau konnte auch die erste wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur beginnen und soweit fertigstellen, daß sein späterer Nachfolger Helmut Krausnick, der nach seinem Tod 1952/53 zeitweilig die Geschäftsführung übernahm, das Werk mit 28

Protokoll der Sitzung vom 5. 1. 1951, S. 4, ebd.

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den von ihm verfaßten knappen Schlußabschnitten über Verfolgung, Widerstand und Zusammenbruch schnell vollenden konnte: Es erschien erstmals 1953 und erlebte mehrere Neuauflagen und Uberset29

zungen/ Welch anregender und unbefangener Geist Mau war, das zeigt auch der einzige Aufsatz, der postum im ersten Heft der „Vierteljahrshefte" 1953 erscheinen konnte: „Die .Zweite Revolution'. Der 30. Juni 1934". Hans Rothfels nannte ihn in seinen - üblichen - „Vorbemerkungen" mit guten Gründen „tiefgreifend". Mau sprach damals zu Recht von mehreren Phasen der „nationalsozialistischen Revolution". Seine strenge methodologische Schulung als Mediävist, die am Prinzip historischen Verstehens orientierte Frage, welche Ursachen eine Diktatur wie die nationalsozialistische ermöglicht haben, schließlich sein Postulat nüchterner Faktenrekonstruktion als Voraussetzung historischer Einordnung, die nicht von außerwissenschaftlichen Zielsetzungen beeinflußt werden dürfe, prägten die Arbeitsmaximen des Instituts, auch wenn Mau selbst ihre Umsetzung nicht mehr erlebte und das eigene wissenschaftliche Werk des im Alter von vierzig Jahren tödlich Verunglückten Torso bleiben mußte. In seinem 1950 als Kandidat für den Posten des Generalsekretärs vorgelegten Expose hieß es konsequent: „Es geht weder um die Rehabilitierung des Nationalsozialismus noch um die Rechtfertigung der Kollektivschuldthese. Es geht vielmehr zunächst um die saubere Klärung der Sachverhalte." Der von Mau im November 1951 vorgelegte 23seitige Arbeitsbericht belegt ungewöhnlich umfangreiche Aktivitäten des Instituts im Hinblick auf die Sammlungen und ihre Erschließung, aber auch die auf der Basis von Honoraraufträgen begonnenen individuellen Forsthungsprojekte. Zu diesem Zeitpunkt verfügte das Institut bereits über elf Planstellen, darunter vier für Wissenschaftliche Mitarbeiter, drei Kräfte des mittleren Dienstes und vier Schreibkräfte. Die Bibliothek brachte es durch Verdoppelung ihrer Bestände innerhalb eines Jahres auf 15000 Bände, 25000 weitere Bände der amerikanischen Spezialbibliothek für Geschichte des Nationalsozialismus, die sich im Besitz der Hohen Kommission befanden, waren akquiriert worden. Im Auftrag des Instituts arbeitete Franz Herre an einer Bibliographie, deren Abschnitt für die Jahre 1940 bis 1950 fast fertiggestellt war. Mau hatte bereits Verhandlungen im State Department in Washington über die 29

Hermann Mau und Helmut Krausnick, Deutsche Geschichte der jüngsten Vergangenheit 1933-1945, Stuttgart 1953.

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Rückgabe deutscher Dokumente in amerikanischer Verwahrung geführt und eine Zusage auf Prüfung erreicht. 30 Das Institut war damals in fünf Abteilungen gegliedert: 1. Historisch-Politische Abteilung (Karl Buchheim, zunächst auf Honorarbasis) , 2. Wehr- und Kriegsgeschichtliche Abteilung (General a. D. Hermann Foertsch, auf Honorarbasis), 3. Abteilung für Dokumentation (Helmut Krausnick), 4. Bibliothek (Thilo Vogelsang), 5. Archiv (Anton Hoch). Der Haushaltsplan wies für 1951 Ausgaben in Höhe von 240000 DM nach. Die Einnahmen beliefen sich auf 251848,48 DM, die zum Löwenanteil vom Bund kamen (195000 DM) und zu kleineren Teilen aus Württemberg-Hohenzollern, Hessen und Württemberg-Baden (zwischen 3750 und 14995 DM). Der übertariflich eingestufte Generalsekretär erhielt ein Monatsgehalt von 1200 DM. Welchen Rang bereits 1952 die Gremien hatten, ergibt sich aus ihrer personellen Zusammensetzung: Dem Kuratorium gehörten die Staatssekretäre Drs. Walter Strauß, Erich Wende, Dieter Sattler, Bundesrichter Dr. Rupp, Ministerialrat Dr. Dr. Kühn und Staatsrat Professor Dr. Theodor Eschenburg an. Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats waren die Professoren Drs. Ludwig Bergsträsser, Hermann Brill (beide zugleich Bundestagsabgeordnete), Ludwig Dehio, Constantin von Dietze, Fritz Härtung, Erich Kaufmann, Eugen Kogon, Theodor Litt, Gerhard Ritter, Hans Rothfels, Franz Schnabel, außerdem General a. D. Dr. Hans Speidel, Rechtsanwalt Hellmut Becker, Staatsarchivdirektor Dr. B. Vollmer (Düsseldorf), der Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns Dr. W. Winkler sowie - wie erwähnt - als Ehrenmitglieder Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss und Prof. Dr. Friedrich Meinecke. Zeigte die Berufung Maus, daß - wie bemerkt - künftig nur ein Wissenschaftler für dieses Amt in Frage kam, so demonstrierte sie zugleich, daß es sich nicht zwangsläufig um einen „Zeithistoriker" im engeren Sinn handeln mußte. Auch die Mehrzahl der ersten Wissenschaftlergeneration bestand nicht aus „reinen" Zeithistorikern. Fast drängt sich der Eindruck auf, daß aus der Not im Laufe der Jahre 30

Vgl. den von Hermann Mau im April 1952 Kuratorium und Beirat vorgelegten „Kurzen Bericht über die Tätigkeit im Haushaltsjahr 1951". Protokolle der Sitzungen, IfZArchiv, ED 105, Hausarchiv, Wissenschaftlicher Beirat B, 1949-1952.

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und Jahrzehnte eine Tugend gemacht wurde, forderte doch gerade die zeiüiche Nähe zum Forschungsgegenstand die weite historische Perspektive, um der erwähnten Befangenheit zu entgehen, die dadurch entsteht, daß man selbst noch im Wirkungszusammenhang des zu Erforschenden steht. Keiner der bisherigen Direktoren hatte in der Zeitgeschichte begonnen: Mau (1951/52) war - wie übrigens auch Thilo Vogelsang, der ebenfalls Schüler Hermann Heimpels war und mit einer Studie über „Die Frau als Herrscherin im hohen Mittelalter" promoviert worden war - Mediävist. Paul Kluke (1953-1959), Schüler von Hermann Oncken und Fritz Härtung, hatte seine Dissertation über „Heeresaufbau und Heerespolitik Englands vom Burenkriege bis zum Weltkriege" (1932) geschrieben. Auch nachdem Kluke - in vielfacher Hinsicht ein Opfer nationalsozialistischer Herrschaft - sich 1950 unter der Ägide von Hans Herzfeld mit einer zeitgeschichüichen Arbeit („Die rheinische Autonomiebewegung 1918/19") habilitiert hatte und zur Geschichte des 20. Jahrhunderts publizierte, blieb er Experte der britischen Geschichte, vor allem des 19. Jahrhunderts. Helmut Krausnick (1959-1972), wie Kluke einer der wenigen Mitarbeiter, die schon vor 1945 ihr Studium beendet hatten, schrieb sein erstes Buch über „Holsteins Geheimpolitik in der Ära Bismarck 1886-1890" (1942). Martin Broszats (1972-1989) unter der Ägide von Theodor Schieder geschriebene Dissertation trug den Titel „Die antisemitische Bewegung im Wilhelminischen Deutschland" (1952), ich selbst veröffentlichte mein erstes Buch zum Thema „ A u f k l ä r u n g i n Preußen" (1974): Als der damalige Institutsdirektor Martin Broszat bei meinem - ersten Eintritt in das Institut als Stellvertretender Direktor im Januar 1979 eine Rede hielt, begann er mit den Worten: „Horst Möller stammt aus dem 18. Jahrhundert". Was heute die Ausnahme ist, war in den ersten Jahrzehnten der Institutsgründung die Regel: Unter den wichtigsten wissenschaftlichen Mitarbeitern gab es sogar einen, der aus der Alten Geschichte zur Zeitgeschichte gekommen war: Hans Buchheim. Auch außerhalb des Instituts gab es vergleichbare Beispiele: Karl Dietrich Bracher, heute der Doyen der Zeitgeschichtsforschung, für Jahrzehnte einer ihrer international führenden Protagonisten, langjähriges Mitglied und 1980 bis 1988 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats, ist ebenfalls promovierter Althistoriker. Hegels Maxime, der Weg des Geistes sei der Umweg, wird in diesen wissenschaftlichen Lebenswegen deutlich, demonstriert aber auch den Generationswechsel, da dieser - so produktive - Umweg immer seltener wird.

28

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VI.

J e d e r der bisherigen Direktoren hat auf seine Weise das Institut geprägt u n d stilbildend gewirkt, von den individuellen Qualifikationen ausgehend, aber doch auch in Antwort auf wissenschaftsspezifische u n d gesellschaftlich-politische Herausforderungen, in denen sich der Weg der Zeitgeschichtsforschung spiegelte. Dabei hat sich über die fünfzig Jahre des Bestehens hinweg bei aller individuellen u n d zeitspezifischen Prägung eine bemerkenswerte Verbindung von Kontinuität u n d permanenter Erneuerung durchgehalten, o h n e daß dies immer offensichtlich war: Das gilt beispielsweise selbst für eine der auffälligsten Wendungen in der Institutsgeschichte, die sich im Direktorenwechsel von Helmut Krausnick zu Martin Broszat 1972 vollzog (was beide vermutlich anders gesehen haben) u n d der auch noch mit dem räumlichen Wechsel aus der idyllischen u n d vornehmen Bogenhausener Möhlstraße in die gesichtlosere u n d viel modernere Neuhausener Leonrodstraße verbunden war: Der Umzug bedeutete keineswegs nur äußerlich einen tiefen Einschnitt. Das große, 1989 um einen Anbau erweiterte Haus veränderte die Arbeitsatmosphäre, brachte aber auch für die auswärtigen Benutzer eine neue Situation: Mit dem größeren Komfort der Benutzung entwickelte sich oftmals Distanz. Sicher war es von symbolischer Bedeutung, daß dem zurückhaltenden, stärker auf dezente Fortentwicklung und Traditionswahrung setzenden, beharrlichen Quellenarbeiter, dem eher konservativen „Gelehrtentypus" Krausnick, der 1905 bei Braunschweig geboren wurde, der dynamische, vor Ideen sprudelnde, auf Expansion setzende, 1926 in Leipzig geborene „Boheme-Typus" Broszat folgte, der sich o h n e Umschweife als sozial-liberal im Sinne der Wende um 1969/70 bezeichnete u n d in der 1972 erfolgten überarbeiteten Neuauflage seines Buches „Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik" 31 selbst auf den jeweiligen politischen Bedingungszusammenhang seines Werkes hinwies. Doch galt bei allem Vorpreschen u n d allem Willen zur Ungezwungenheit auch für Broszat, der sich als langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts in unzähligen zeitgeschichtlichen Einzelaufgaben mit der gleichen Akribie u n d der gleichen Arbeitsdisziplin bewährt hatte wie seine Kollegen, was er im Vorwort des erwähnten Buches 1972 formulierte: „Es wird darauf ankommen, die unglückselige deutsch-polni31

München 1963, Frankfurt am Main 2 1972.

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sehe Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert aus der Sphäre der moralisch-emotionalen Betrachtung in das Licht kritischer Rationalität zu heben und als einen historischen Modellfall nationaler Konflikte zu begreifen, der über flüchtige Emotionen hinaus dauerhafte Erfahrung vermitteln kann". 32 Sicher hätte Krausnick diese Maxime nicht so formuliert, sein Erkenntnisinteresse bescheidener nicht in einem „Modellfall" münden sehen, aber einer empirisch kontrollierten nüchternen Aufklärung über historisch-politische Zusammenhänge diente auch er. Trotzdem: Von der immer wieder nach 1945 berufenen „Revision des deutschen Geschichtsbildes", an der Krausnick schon seit 1948 zunächst als Mitarbeiter der Internationalen Schulbuchkommission, dann ab 1951 im Institut für Zeitgeschichte mitgewirkt hatte - der Irrtümer seiner Generation eingedenk - , bis zum Ziel des unbefangenen Schieder-Schülers Broszat, zu rationalen „Typologien" zu gelangen, war es doch ein gehöriger, generationsbedingter aber auch historiographiegeschichtlich zu fassender Schritt. Erst auf der in Jahrzehnten erarbeiteten empirisch gesicherten Grundlage konnten sich neue Fragestellungen entwickeln, eine methodische Modernisierung erfolgen, produktive Unruhe erzeugt werden, die naturgemäß von zeittypischen Ideen, aber auch Irrwegen inspiriert war. Trotz vieler Neuerungen führte also auch Broszat Traditionen fort, und nicht zu vergessen: Das neue Haus in der Leonrodstraße, in das er 1972 als Direktor einzog, verlangte neue Organisationsformen, denen sich auch Krausnick, während dessen Amtszeit dieses Hauses schließlich geplant, gebaut und finanziell gesichert worden war, nicht hätte entziehen können. Gerade für die drei Institutsleiter, die dem Politiker und Volkswirt Kroll folgten, stand strikteste Quellenarbeit auf der Prioritätenskala oben an - Quellenarbeit aber nicht als Selbstzweck, sondern als unabdingbare Voraussetzung einer unangreifbaren, weil nicht auf Meinungen reduzierten, historisch-politischen Aufklärungsarbeit. Dabei kann die Ära der beiden eher unterschätzten Direktoren (damals zunächst noch unter der Bezeichnung Generalsekretär) Paul Kluke (19531959) und Hermann Krausnick (1959-1972) als eigentliche Konsolidierungsphase bezeichnet werden, in der sich die Arbeitsfelder und die Arbeitsweise ebenso herauskristallisierten wie die organisatorischen und rechtlichen Strukturen. In diesen beiden Jahrzehnten wurde der natio32

Ebd., S. 19.

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nale und internationale Rang des Instituts für Zeitgeschichte begründet, zugleich aber sehr viel für die historisch-politische Aufklärung getan, der sich alle Mitarbeiter verpflichtet fühlten. Dazu gehörten nicht allein zahlreiche öffentliche Aktivitäten wie Vorträge, sondern früh auch kurze, für einen breiten Leserkreis bestimmte Darstellungen: Neben dem erwähnten Buch von Mau und Krausnick zählen etwa hierzu die knappen aber gehaltvollen, zum Teil in Essayform gekleideten Bändchen von Hans Buchheim „Das Dritte Reich. Grundlagen und politische Entwicklung"33, von Martin Broszat „Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit"34 oder von Karl Buchheim „Die Weimarer Republik. Grundlagen und politische Entwicklung".35 Standen die schriftlichen Quellen auch im Mittelpunkt der Arbeit des Instituts, so wurde doch bereits während der Amtszeit von Mau auf Anregung von Ludwig Bergsträsser mit der Zeugenbefragung begonnen. Jahrzehnte, bevor „Oral History" entdeckt - oder besser wiederentdeckt - wurde, hatte das Institut für Zeitgeschichte systematisch eine eigens entwickelte Interviewtechnik und Dokumentation der Zeugenbefragung entwickelt. Im Mai 1952 lagen bereits 250 Faszikel vor. Heute umfaßt der Archivbestand „Zeugenschrifttum" mehr als 3000 Dossiers, deren Großteil in den 1950 er und 1960 er Jahren erstellt wurde. Schon damals zeigte sich, daß es hierbei nicht allein um individuelle Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Aufschlüsse ging. Die auf Honorarvertragsbasis zu dieser Zeit von Fritz Freiherr von Siegler im Institut durchgeführten Befragungen brachten immer wieder Hinweise auf weitere Interviewpartner und Archivmaterial in privater Hand. Im Arbeitsbericht des Instituts hieß es: „Als Nebenergebnis seiner Arbeit entstanden umfangreiche Dienstellenverzeichnisse für Partei, Staat und Wehrmacht" ein insgesamt dreiteiliges „aus tausenden von teilweise mühsam ermittelten Daten bestehendes Verzeichnis".36 Das Institut gewann dadurch einen immer größeren personellen Uberblick über Interna des NS-Regimes, was auch angesichts der Tatsache von Bedeutung war, daß es zwar gute Beziehungen zum Berliner „Document Center" unterhielt, zu dieser Zeit aber keiner der IfZ- Mitarbeiter dort forschen konnte. 33 34 35 36

München 1958. Stuttgart 1960. München 1960. Arbeitsbericht für die Sitzung von Kuratorium und Beirat am 17. Mai 1952, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv; vgl. auch Fritz Freiherr von Siegler, Die höheren Dienststellen der deutschen Wehrmacht 1933-1945, München 1953.

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Zur gleichen Zeit wurden die Nürnberger Prozeßakten vervollständigt, Spruch- und Gerichtsakten, die leihweise überlassen worden waren, ausgewertet, Dokumente aus privater Hand gesammelt und die Personenkartei auf damals 3000 Dossiers erhöht, schließlich Zeitungsbestände erworben und eine Presseausschnittsammlung angelegt. Bereits 1952 nahm die Auskunftstätigkeit für Behörden, Gerichte, Forscher und sonstige Einzelpersonen dermaßen zu, daß der Generalsekretär die Frage aufwarf, ob die Auskünfte weiterhin unentgeltlich erstellt werden könnten. In der Sitzung vom 17. Mai 1952 ging Mau auch auf die Arbeit des Instituts „im Rahmen der Gesamtsituation der deutschen Geschichtswissenschaft" ein: „Er stellte fest, daß rundum wenig Neigung für diese Arbeit, vielmehr die Gesamttendenz bestehe, die Augen zu verschließen. Deshalb mache sich weithin ein Mangel an Abstand und die Neigung zu Urteilen aus der Emotion bemerkbar. Die Entwicklung der Forschung spiegele das im einzelnen; sie beschränke sich auf drei größere Problemkreise: 1. Der Zweite Weltkrieg, 2. Außenpolitische Fragen, 3. Probleme des Widerstandes."37 Zum Arbeitsprogramm des Instituts zählten schon zu Beginn der 1950 er Jahre neben dem Widerstand eine Reihe zentraler Themen, zum Beispiel seit 1951 das Schicksal der Juden: Die Projektplanung unterteilte man in eine „Chronologie der Judenverfolgung mit beispielmäßiger Dokumentation" sowie „Zeugnisse jüdischer Menschlichkeit". Schon 1952 tauchen aus dieser Thematik drei Forschungs- und Dokumentationsprojekte auf: die Einsatzgruppen, Dokumente zur Judenpolitik der nationalsozialistischen Regierung (beide bearbeitet von Krausnick), Dokumente zu Geschichte und System der deutschen Konzentrationslager (Walter Schärl). Als diese Projekte zögerlicher vorankamen als angenommen, erklärte Staatssekretär Strauß in der gemeinsamen Sitzung von Kuratorium und Wissenschaftlichem Beirat am 17. Mai 1952, „daß diese Themata dem Bundeskanzler selbst sehr am Herzen liegen. Man sollte in der Aufklärung vorankommen. Die Tatsachenkenntnis ist sehr gering. Das erleichtert dem subversivem Schrifttum, so viel Boden zu gewinnen. Es liegt dem Kanzler sehr daran, daß in kurzen Darstellungen chronologischer Art nur Tatsachen ohne Bewertung gegeben werden."38 Auch diese Mitteilung ist ein Beleg dafür, daß von Seiten der verantwortlichen Politik die vorbehaltlose Aufklärung über 37 38

Protokoll der Sitzung, S. 2, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv. Ebd., S. 27.

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das NS-Regime schnellstmöglich gefordert wurde: Von „Verdrängung" kann tatsächlich keine Rede sein. Auf der anderen Seite warf dies - wie Mau formulierte - die grundsätzliche Frage auf, „inwieweit das Institut das Anliegen einer kurzfristigen Unterrichtung überhaupt befriedigen kann u n d welcher Weg hierbei für empfehlenswert gehalten wird": Die Gremien, aber auch das Institut selbst, haben sich in ihrer Geschichte immer wieder mit solchen Fragen befaßt. Damals äußerte ein Beiratsmitglied, das durchaus großen Sinn für die Vermittlung hatte, Skepsis: Hellmut Becker, später einer der profiliertesten Bildungspolitiker der Bundesrepublik, Gründer u n d Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, Verteidiger bei den Nürnberger Prozessen, Sohn des früheren Preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker. Aus seinen Prozeßerfahrungen berichtete er: „Ich habe in Nürnberg einmal versucht, aus dem großen Material eine Darstellung der Frage zu geben, welche Dienststellen haben mitgewirkt an der Vernichtung der Juden. Die Schwierigkeit, da auch n u r zu einer präzisen Darstellung der Befehlsübermittlung zu kommen, war sehr groß. Die zentrale Frage des Instituts ist, daß es gelingt, aus den vielen Vernebelungen Klarheit für die deutsche Selbsterkenntnis zu gewinnen. Mit vorweggenommenen, schnell durchgeführten Arbeiten einen Erfolg zu erzielen, scheint mir von der Kenntnis des Materials her ausgeschlossen, auch halte ich die Zahlenfrage für ungeheuer schwierig. Ich glaube, man kann jetzt nur mit grundlegenden u n d exakten Darstellungen kommen. Ich bin äußerst skeptisch gegenüber der Verwirklichung eines solchen Versuches kurzfristiger Unterrichtung, wenn ich auch die Notwendigkeit einsehe." 39 Und in der Tat: In zahlreichen Prozessen gegen Neonazis zeigte sich dies über Jahrzehnte hinweg, was Helmut Krausnick zu dem Plan anregte, die Zahl der jüdischen Opfer systematisch unter Berücksichtigung regionaler, chronologischer u n d definitorischer Aspekte zu erfassen. Er hat dies selbst zwar nicht m e h r veranlaßt, doch hat Martin Broszat dann 1980 erneut die Initiative ergriffen. Das Ergebnis bestand in einem Sammelwerk verschiedener Experten, die in Länderstudien die Opferzahlen rekonstruierten u n d die methodischen Schwierigkeiten klärten, um der agitatorischen Ausnutzung solcher Probleme den Boden zu entziehen. Das Werk erschien unter dem Titel „Dimension

39

Ebd., S. 27f.

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des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus." 40 Weitere schon 1952 in Vorbereitung befindliche Studien galten der Fritsch-Krise 1938 (Hermann Foertsch) sowie der militärischen Führungskrise des deutschen Heeres 1941/42 (Heinrich Uhlig). Auf dem Programm standen außerdem eine Dokumentation zum 9. November 1923, der Widerstand im Regierungsbezirk Aachen (Bernhard Vollmer), die Führerlagebesprechungen 1942-1945 und der 20. Juli 1944 in Frankreich (Wilhelm Ritter von Schramm). Zu den Einzelvorhaben zählte auch eine Reihe von Themen, die die Vorgeschichte des NS-Regimes betrafen, also in die Weimarer Republik zurückgriffen, darunter Untersuchungen zum Verhältnis von Reichswehr u n d Nationalsozialismus vor 1933 (Hermann Foertsch), zur Entwicklung des Sozialdarwinismus u n d seiner Wirkung auf das nationalsozialistische Menschenbild, erschienen unter dem Titel „Utopien der Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus u n d seine Folgen" (Hedwig Conrad- Martius, München 1955), zur Entwicklung des „Völkischen Beobachters", zur Frühgeschichte der NSDAP (Georg Franz), Hiüer in Wien u n d München (Georg Franz), Aufbau u n d soziale Zusammensetzung der NSDAP bis 1933 anhand der Wahlstatistiken (Wolfgang Schwarz), schließlich die Frage, ob und inwieweit die deutsche Industrie den Aufstieg der NSDAP unterstützt habe: Die meisten dieser Projekte wurden realisiert, manche nicht in der vorgesehenen Form, n u r wenige gelangten nicht zum gewünschten Erfolg. Das letztgenannte Beispiel eines Forschungsauftrags an Wilhelm Treue zeigt aber einmal m e h r die Vorreiterfunktion des Instituts: Lange bevor die DDR-Polemik über diese Frage entbrannte u n d Eberhard Czichon seine Pamphlete schrieb, lange auch, bevor Henry A. Turner 1985 sein definitives Werk „German Big Business and the Rise of Hitler" 41 veröffentlichte, war die Problemstellung im Institut formuliert worden. Andere frühe Aktivitäten wirkten fort, so erschien — wenn auch nicht im Institut entstanden - mit Erich Matthias' Studie „Sozialdemokratie u n d Nation. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der sozialdemokratischen Emigration in der Prager Zeit des Parteivorstandes 1933-1938"42 eine der ersten geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen zur Emigrati40

41

42

Hrsg. von Wolfgang Benz, Stuttgart 1991, als 33. Bd. der „Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte". In deutscher Übersetzung unter dem Titel: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985, erschienen. Stuttgart 1952.

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on überhaupt. Bereits 1951 wurde Franz Herre im Rahmen der von ihm für das Institut vorbereiteten Bibliographie beauftragt, einen Teilband mit dem Titel „Das Schrifttum der Emigration" zu erstellen 43 nicht im engeren Sinne Vorläufer der umfassenden Sammlungen u n d Forschungen des Instituts, doch aber f r ü h e Zeichen einschlägigen Interesses. Hier handelt es sich erneut um ein Beispiel dafür, wie schnell zentrale Themen gesehen wurden u n d wie falsch (oder böswillig) die Behauptung ist, in den 1950 er Jahren seien Themen wie Judenverfolgung, Konzentrationslager, Widerstand, Emigration, Besatzungspolitik, Wehrmacht u n d Nationalsozialismus, soziale Basis und Finanzierung der NSDAP, ideologische Voraussetzungen des Nationalsozialismus u. a.m. nicht behandelt worden. Ein Blick in die Publikationsliste widerlegt dies ebenso wie die damaligen Institutsplanungen u n d ihre eingehende Diskussion in seinen Gremien. Wieder andere Arbeiten fanden damals keine Fortsetzung, spielten aber Jahrzehnte später erneut eine Rolle, beispielsweise der Forschungsauftrag an Armand Dehlinger, die nationalsozialistische Parteiarchitektur kritisch zu untersuchen (das vorgelegte Manuskript wurde von Institut u n d Gremien negativ bewertet), oder Hans Buchheims Forschungsauftrag zur Religionspolitik des Nationalsozialismus, der Früchte trug 44 - eine Thematik, die später von unterschiedlichen Autoren wieder aufgenommen wurde u n d heftige Kontroversen bewirkte, etwa diejenige zwischen Konrad Repgen u n d Klaus Scholder über das Reichskonkordat. 45 Schon in den f r ü h e n 1950er Jahren arbeitete Georg Stadtmüller im Institutsauftrag an einer Untersuchung der deutschen Besatzungspolitik auf dem Balkan - der Beginn eines ausgesprochenen Schwerpunkts späterer Institutstätigkeit; Walther Hofer veröffentlichte sein in Berlin entstandenes vielzitiertes Buch „Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges. Eine Studie über die internationalen Beziehungen im Sommer 1939" (Stuttgart 1954). Auch hier handelte es sich um eine Thematik, die das Institut immer wieder beschäftigt hat, beispielsweise in dem er43

44

45

Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Kuratorium und Wissenschaftlichem Beirat am 9. März 1951, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv, S. 5. Vgl. vor allem sein Buch Glaubenskrise im Dritten Reich. Drei Kapitel nationalsozialistischer Religionspolitik, Stuttgart 1953. Vgl. Konrad Repgen, Uber die Entstehung der Reichskonkordatsofferte im Frühjahr 1933 und die Bedeutung des Reichskonkordats, in: VfZ 26 (1978), S. 499-534; Klaus Scholder, Altes und Neues zur Vorgeschichte des Reichskonkordats. Erwiderung auf Konrad Repgen, ebd., S. 535-570; Konrad Repgen/Klaus Scholder, Nachwort zu einer Kontroverse, in: VfZ 27 (1979), S. 159-161.

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sten großen von Paul Kluke veranlaßten Colloquium des Instituts „Das Dritte Reich und Europa" bis zu Hermann Gramls Buch „Europas Weg in den Krieg. Hitler und die Mächte 1939" 46 und schließlich beim gemeinsam mit der Historischen Kommission zu Berlin veranstalteten Colloquium „1939: An der Schwelle zum Weltkrieg. Die Entfesselung des ZweitenWeltkrieges und das internationale System", das Klaus Hildebrand, Jürgen Schmädeke und Klaus Zernack im Auftrag beider Institutionen herausgaben.47

VII.

Welch zentrale Stelle die Quellenarbeit einnahm, zeigte sich bereits an der zweiten nach außen wirkenden Kontroverse, als das Institut 1951 seine erste Publikation vorlegte. Sie war nicht im Hause entstanden, sondern am 9. März 1951 in der gemeinsamen Sitzung von Kuratorium und Wissenschaftlichem Beirat von Gerhard Ritter zur Veröffentlichung angeboten worden: „Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942. Im Auftrag des Deutschen Instituts für Erforschung der nationalsozialistischen Zeit geordnet, eingeleitet und veröffentlicht von Gerhard Ritter."48 Ritter hatte zwar den Quellenwert richtig eingeschätzt, nicht aber die in diesem Fall zentralen quellenkritischen Notwendigkeiten. Auch hatte er sich kein hinreichendes Bild über den Charakter der Aufzeichnungen - beispielsweise Parallelüberlieferungen - und ihres Autors gemacht. Vor allem aber spielten die Begleitumstände, die Ritter nicht anzulasten waren, eine ausschlaggebende Rolle: Die Illustrierte „Quick" hatte - im übrigen ohne daß der Verlag Ritters Genehmigung eingeholt hätte - einen sensationell aufgemachten Vorabdruck einiger Auszüge publiziert. Die Veröffentlichung eines solchen Textes wurde von vielen Beteiligten an der Diskussion als verfrüht, das Buch als editorisch unzureichend angesehen. Die Wellen schlugen hoch. Bundeskanzler Adenauer „war sehr empört über die Veröffentlichung der Tischgespräche in ,Quick' und über die vorgesehene Rundfunksendung im Bayerischen Rundfunk", notierte Otto Lenz am 6. Juni 1951. 49 Sogar das Bundeskabinett befaßte 46 47 48 49

München 1990. Berlin - New York 1990. Bonn 1951. Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz 1951-1953, bearb. von Klaus Gotto, Hans-Otto Kleinmann und Reinhard Schreiner, Düsseldorf 1989, S. 92.

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sich am 12. Juni 1951 mit der Veröffentlichung. Im Auftrag Konrad Adenauers teilte Lenz dem Institut unter dem gleichen Datum mit, der Bundeskanzler halte die Veröffentlichung „für ebenso unangebracht wie schädlich". In den Protokollen findet sich angesichts der noch prekären Lage des Instituts die zwar sachlich so nicht zutreffende, gleichwohl aber bedrohliche Formulierung: „Der Bundesminister des Innern wird die Tätigkeit des Instituts zur Erforschung des Nationalsozialismus, das jetzt im ,Quick' mit einem Vorwort von Prof. Ritter .Tischgespräche mit Hitler' herausgibt, überprüfen. Staatssekretär Dr. Strauß wird versuchen, die Veröffentlichung zu unterbinden." 5 0 Strauß gehörte als einer der beiden Vertreter des Bundes dem Kuratorium des Instituts an, das gemeinsam mit dem Beirat, Ritters allerdings o h n e ausreichende Erläuterung vorgetragenen Publikationsvorschlag - in Gegenwart von Bundespräsident Heuss - einstimmig gebilligt hatte. 51 Übrigens hat Ritter damals auch das von ihm vorbereitete Buch „Goerdeler u n d der deutsche Widerstand" angeboten, zumal die Widerstandsforschung von Beginn an zum Arbeitsprogramm des Instituts zählte u n d Eugen Kogon im Beirat sogar gefordert hatte, es müsse dem Gremium grundsätzlich ein Experte für diesen Themenbereich angehören. Ritters Buch erschien dann tatsächlich 1954 außerhalb der Institutsreihe. Auch auf bayerischer Seite verursachte die Veröffentlichung Arger. Ministerpräsident Hans Ehard griff im Bayerischen Landtag Ritters Bearbeitung u n d Herausgabe der „Tischgespräche" scharf an, mehrere Kuratoriumsmitglieder äußerten die Befürchtung, die Existenz des Instituts stehe auf dem Spiel. Satüers Erklärungen über ein eventuelles Ausscheiden Bayerns aus dem Kuratorium fielen ziemlich sibyllinisch aus; für den Fall, daß Ritter im Beirat bleibe, sei es wohl sicher, daß Bayern sich zurückziehen werde. 52 Noch bei den Haushaltsbesprechungen mit dem Bund u n d Bayern waren die Nachwirkungen zu spüren: Mau sah sich kritischen Nachfragen im Landtagsausschuß für Rechts- u n d Verfassungsfragen ausgesetzt. Erich Wende berichtete, daß die SPD im Haushaltsausschuß des Bundestages eine Zustimmung zum Etatansatz des Instituts für Zeitgeschichte abgelehnt habe: Das Mißtrauen als Folge der Publikation der „Tischgespräche" sei nicht zu beseitigen gewe-

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51 52

Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, hrsg. für das Bundesarchiv von Hans Booms. Bd. 4, 1951, bearb. von Ursula Hüllbüsch, Boppard am Rhein 1988, S. 443. Protokoll (Anm. 43). Ebd., S. 13.

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sen, auch im Verfassungsausschuß habe es eine Debatte darüber gegeben. 53 Tatsächlich diskutierten Kuratorium und Wissenschaftlicher Beirat die Frage des Rücktritts Ritters kontrovers, ohne sich doch zu einer solchen Aufforderung durchringen zu können: Während das Kuratorium sich Schritte gegenüber Ritter vorbehielt, kam es im Beirat nicht zu einer Einigung. Die Mehrheit lehnte es ab, Ritter zum Rücktritt zu drängen, akzeptierte aber, daß mit ihm ein Gespräch mit folgendem Ziel geführt wurde: Ritter solle künftig - ohne formell ausgeschlossen zu sein - nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen. So geschah es denn auch. So unvermeidlich dieser Schritt zum damaligen Zeitpunkt sein mochte, bedauerlich war er dennoch: Gerhard Ritter zählte nicht nur zu den markantesten Persönlichkeiten der Zunft, die er damals nahezu dominierte. Er war ohne Zweifel auch einer der bedeutendsten, produktivsten und vielseitigsten Historiker des 20. Jahrhunderts, dessen CEuvre die europäische Geschichte vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert von der Geistes-, Kirchen- und Theologiegeschichte bis zu den Grundfragen von Innen- und Außenpolitik umspannte. Zudem war er Vorsitzender des Historikerverbandes und Mitglied bzw. später Vizepräsident des Comite international des Sciences historiques. Wenn ein Gelehrter seines Ranges schon bei der ersten Quellenpublikation zum Nationalsozialismus stolperte, dann mußte es hier viele, zum Teil verborgene Fallstricke geben. Eben deshalb hatte diese Kontroverse letztlich eine positive Wirkung. Fortan zwang sie zu größter quellenkritischer Akribie und zeigte: Im Feld der Zeitgeschichte interessierten Fehler nicht bloß die Zunft selbst, sondern ebenso Öffentlichkeit und Politik. Denn tatsächlich ging es, wie dieser Vorgang zeigte, weniger um die editorischen Mängel. Der Beirat diskutierte sie nach einem Bericht von Hermann Mau über die von ihm vorgenommenen Textvergleiche mit vor der Veröffentlichung nicht bekannten Materialien, die sich zum Teil im Besitz von Frangois Genoud 54 befanden - der dann in den 1980er und 1990er Jahren für die Publikation der Goebbels-Tage53 54

Protokoll (Anm. 15), S. 3, 8f. Franfois Genoud (1915-1996) war ein Schweizer Privatbankier, dem Beziehungen zu rechtsradikalen, später aber auch linksterroristischen Kreisen (u. a. zu „Carlos") nachgesagt - aber wohl nie bewiesen - wurden. Er hatte sich Verwertungsrechte an verschiedenen Nachlässen von NS-Funktionären, v. a. von Joseph Goebbels, gesichert und diese auch in Gerichtsverfahren durchgesetzt. Vgl. etwa die Bücher zweier Pariser Journalisten: Karl Laske, Ein Leben zwischen Hitler und Carlos: Frantois Genoud, Paris 1996, deutsch: Zürich 1996; Pierre Pean, L'extremiste. Frantois Genoud, de Hitler ä Carlos, Paris 1996.

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bücher eine wichtige juristische Rolle spielen sollte. Mau übersandte mit dem Protokoll der Sitzung auch ein textvergleichendes Expose, das zwar zahlreiche editorische Mängel feststellte, aber zu dem Ergebnis gelangte, „daß die in Frage stehenden Textdifferenzen in keinem Falle Anlaß zu dem Argwohn geben, daß den Eingriffen in den Text Ρ (Picker) irgendeine politische Tendenz zugrundegelegen hat. Es ist ferner festzustellen, daß der Gesamtcharakter der .Tischgespräche* durch die festgestellten Eingriffe in den Text kaum berührt wird." 55 Hannah Arendt kritisierte in der Zeitschrift „Der Monat" 56 die Veröffentlichung unter dem seinerseits eher sensationshaschenden als sachlichen Titel „Bei Hiüer zu Tisch": Sie begründete ihre Attacke, indem sie eine negative Wirkung der Publikation unterstellte: „angesichts des anwachsenden Neonazismus in Deutschland und angesichts der augenfälligen Unaufgeklärtheit des deutschen Volkes über die Ereignisse seiner jüngsten Geschichte". Mau selbst hielt eine spätere Neuedition der „Tischgespräche" - für die er alles Material (vor allem das Genouds) kritisch herangezogen sehen wollte, für sinnvoll. Sie erfolgte durch Percy Ernst Schramm in Zusammenarbeit mit Andreas Hillgruber und Martin Vogt erst 1963 außerhalb der Institutsreihen. Sehr viel später erschien: „Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims." 57 Übrigens wurde die Rittersche Ausgabe der „Tischgespräche" kein Bucherfolg: Nach einem Jahr waren 6000 Exemplare abgesetzt. Im gleichen Zeitraum erreichte Ernst von Salomons „Fragebogen" eine verkaufte Auflage von 70000 Exemplaren, eine Buchgemeinschaftsausgabe von 100000 Exemplaren war in Vorbereitung. 58 Tatsächlich befaßten sich die Kritiker außerhalb des Beirats kaum mit der Edition selbst. Ritters Verbitterung war in mancher Hinsicht berechtigt, wenngleich sein Haßausbruch auf das Institut und den Beirat weit über das Ziel hinausschoß: „Das Institut war immer in Gefahr, als offiziöses Propagandainstrument der heutigen Regierungen und der hinter ihnen stehenden Amerikaner betrachtet zu werden. Ich hatte gehofft, wir wenigstens, als ,Mann des 20. Juli', würde die Öffentlichkeit das Vertrauen schenken, daß ich nicht als ,Neubekehrter' und in fremdem Auftrag rede, und in diesem Sinne würde ich dem Institut nützlich 55 56

57 58

Undatiert S. 5, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv, Anlage zur Sitzung vom 17. Mai 1952. Hannah Arendt, Bei Hitler zu Tisch, in: Der Monat 4 (1951/52), H. 37, S. 85-90, hier S. 90. Hrsg. von Werner Jochmann, Hamburg 1980. Protokoll (Anm. 15), S. 3.

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sein können - dies um so mehr, als ich eine gemäßigte u n d besonnene ,Revision des deutschen Geschichtsbildes' seit 1945 in vielen Schriften und Presseartikeln verfochten und damit eine sehr breite Leserschaft erreicht habe." 59 Jenseits der Auseinandersetzung aber legte Ritter den Finger auf den Punkt, um den es auch künftig u n d bis heute bei allen Quellenveröffentlichungen zur Geschichte des Nationalsozialismus ging u n d geht: zum einen um die Objektivität der Wissenschaft, zum anderen um die Unmöglichkeit oder Sinnlosigkeit, historische Zeugnisse - auch wenn ihr Inhalt in fanatischer Ideologie besteht - fortlaufend zu kommentieren. Die Alternative bestünde darin, die Veröffentlichung besser zu unterlassen: Ein Beispiel dafür bildet bis heute Hitlers „Mein Kampf', da die Rechte des Eher Verlags nach 1945 vom Freistaat Bayern in Anspruch genommen wurden, um eine ideologisch-propagandistische oder kommerzielle Nutzung nationalsozialistischer Texte zu unterbinden. So berechtigt in politischer Hinsicht diese Absicht damals und später war, so unvermeidlich führte sie ständig zu Paradoxien u n d Inkonsequenzen: So hält sich beispielsweise Israel nicht an diese Regelung, dort ist folglich ein Text im Handel, dessen Erscheinen u n d Verkauf andernorts verboten ist: Beispielsweise wurde eine schwedische Ausgabe von „Mein Kampf' aufgrund eines von Bayern erwirkten Gerichtsbeschlusses zurückgezogen. Aber auch generell gilt: Da es zu den von Bund u n d Ländern schon bei seiner Gründung dem Institut für Zeitgeschichte erteilten Aufträgen zählt, Quellen zu sammeln u n d zu publizieren, konnten u n d können Dokumente des Nationalsozialismus davon nicht ausgenommen werden. Mit anderen Worten: Aufgrund unterschiedlicher Rechtslage u n d unterschiedlicher Genehmigungen wurden - übrigens auch durch andere Herausgeber - NS-Texte in wissenschaftlichen Dokumentationen in großer Zahl gedruckt. In bezug auf „Mein K a m p f bleibt schließlich n u r der angenommene politische Symbolwert, der einer solchen Veröffentlichung in Deutschland zugemessen wird. In der ersten Auseinandersetzung über diese Fragen hatte Gerhard Ritter in seinem Brief an den „Beirat des Deutschen Instituts für Geschichte der Nationalsozialistischen Zeit" am 22. Oktober 1951 Stellung bezogen. Er kritisierte H a n n a h Arendt, die ihm vorgeworfen hatte, daß „ich es f ü r meine Pflicht halte, auch einem .erwiesenen Massenmörder' gegenüber die selbstverständlichen Grundgesetze historischer Objekti59

Ritter an Fritz Härtung, 21. 11. 1951, in: Gerhard Ritter (Anm. 18), S. 476.

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vität zur Anwendung zu bringen", sowie den Juristen Ernst von Hippel, der aus Protest aus dem Beirat ausgeschieden war, weil er eine Veröffentlichung von NS-Quellen nur mit ständigen Richtigstellungen für vertretbar hielt. Übrigens hatte Ritter selbst eine solche Möglichkeit bereits im Anhang seiner Ausgabe zurückgewiesen. 60 Ritter sah eine klare Alternative: „die Entscheidung zwischen politischer Propaganda-Anstalt u n d freiem Forschungsinstitut". 61 Bei aller persönlichen Schärfe, die Ritter auch sonst eigen war, muß sowohl die sachliche Berechtigung seiner Hauptargumente als auch seine persönliche Integrität als Gegner des Nationalsozialismus vor - u n d nicht wie bei manchen seiner vielen Kritiker erst nach - 1945 bedacht werden. Natürlich wäre es auch heute unmöglich, bei Quellenveröffentlichungen - etwa den 24 Bänden des Goebbels-Tagebuchs, die seit 1992 erscheinen - fortlaufende Richtigstellungen vorzunehmen: einer Auffassung, der damals im übrigen die Mehrheit der Beiratsmitglieder - unter anderem Bergsträsser u n d Härtung - ausdrücklich zustimmten. Ritter betonte zu Recht, daß man dies auch bei anderen Quellenpublikationen nicht wolle und könne. Zutreffend bemerkte er zudem, daß er selbst eine kritische Einleitung beigesteuert habe, die über den Charakter Hiüers und zahlreiche seiner Auslassungen keinerlei Zweifel gelassen hatte; dies wurde im Beirat auch nicht bestritten, doch mißbilligte man Passagen im Vorwort Henry Pickers, das als überflüssig bzw. bedenklich eingestuft wurde u n d über den sich Ritter vorher habe ein Bild machen müssen; kritisiert wurde zudem eine gewisse Fahrlässigkeit im Umgang mit dem Text. Eine politische Verharmlosung aber war Ritter keinesfalls vorzuwerfen, Schloß er seine Einführung doch mit den Worten: „Die Zukunft des deutschen Volkes aber wird davon abhängen, ob es ihm gelingt, sich innerlich ebenso wie äußerlich davon zu lösen." 62 Allerdings hatte Eugen Kogon, selbst Mitglied des Beirats, nicht unrecht, als er in einer ausführlichen Rezension seinerseits Mängel der Präsentation hervorhob, ohne sich jedoch grundsätzlich gegen die Veröffentlichung auszusprechen: „Professor Ritter rückt die Dinge schon zurecht, aber zu schwach, wie mir scheint. Im vorliegenden Fall besteht die pädagogische Rücksicht des Wissenschafters [sie!] gerade darin, rücksichtslos zu sein". Allerdings betonte Kogon auch, daß die Formu60 61 62

Gerhard Ritter (Anm. 48), S. 454. Gerhard Ritter (Anm. 18), S. 475-479, die Zitate S. 478, 479. Vom NS-System; Gerhard Ritter (Anm. 48), S. 29; vgl. die Sitzung von Kuratorium und Beirat am 5. November 1951, an der Ritter selbst nicht teilnahm, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv.

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lierung der Titelei „Im Auftrage des Deutschen Instituts [. . .] geordnet [. . . ] " in dieser Weise nicht zuträfe: Weder das Manuskript, noch Korrekturfahnen und Umbruch hätten das „Normalverfahren des Instituts durchlaufen". Vielmehr sei eine summarische Annahme des Textes aufgrund der Autorität Ritters und seiner Demonstration an Textauszügen vorgenommen worden. Das Institut dürfe nicht nach dieser ersten Veröffentlichung beurteilt werden, „sondern nach seinem gesamten langfristigen Programm. Es umfaßt die sehr schwierige Quellenkunde (das meiste Material liegt im Ausland), die Indizierung der umfangreichen und vielfältigen Materialien, die deutsche und internationale Bibliographie zur Hitler-Zeit, die Publizierung der Akten, geistesgeschichtliche und politische Darstellungen, sowie eine Reihe unmittelbar aktueller Schriften, von denen gewiß nicht jede jedermanns uneingeschränkten Beifall finden kann." 63 Von langfristiger Bedeutung erwies sich diese Kontroverse auch, weil Theodor Litt schon damals die grundsätzliche Frage aufwarf, in welchem Grade der Wissenschaftliche Beirat eine Mitverantwortung für Publikationen trage und in welchem Umfang ihre vorherige Begutachtung stattzufinden habe, auf die sich der Beirat im Prinzip schon früher verständigt hatte. Auch späterhin hat es verschiedentlich Kontroversen über Quelleneditionen gegeben, so beispielsweise Ende der 1980er bzw. zu Beginn der 1990er Jahre über die erste, notgedrungen noch fragmentarische Ausgabe der Goebbels-Tagebücher oder über einzelne Monographien, deren Begutachtung im Beirat umstritten war, etwa die im Auftrag des Instituts angefertigte Studie von Kurt Sontheimer .Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik"64, die dann außerhalb der Institutsreihen erschien und zum Erfolg wurde, oder über Günter Plums Untersuchung „Gesellschaftsstruktur und politisches Bewußtsein in einer katholischen Region 1928-1933. Untersuchungen am Beispiel des Regierungsbezirks Aachen" 65 , die Max Braubach zum Anlaß nahm, aus dem Wissenschaftlichen Beirat auszuscheiden. In diesen wie in anderen Fällen ging es um grundsätzliche methodische Probleme, aber auch um die Frage, wie die Verantwortung für eine Veröffentlichung zwischen Autor, Institutsleitung und Wissenschaftlichem Beirat zu verteilen sei. Hierbei

63

64 65

Eugen Kogon, Habent sua fata belli, in: Frankfurter Hefte, 6 (1951), S. 682-685, die Zitate S. 683, 685. München 1962. Studien zur Zeitgeschichte Bd. 3, 1972.

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handelte es sich um normale wissenschaftliche Kontroversen; in bezug auf die h o h e Gesamtzahl der Publikationen waren sie aber außerordentlich selten, n u r in Ausnahmefällen kam schließlich keine Einigung zustande.

VIII.

Das im Institut für Zeitgeschichte erforschte Themenspektrum, seine ständige Ausdehnung, spiegelt einerseits die historische Entwicklung u n d das gesellschaftlich-politische Interesse an der Geschichte, andererseits den j e d e r Wissenschaft immanenten Wandel der Problemorientierung. So erfolgte schon die erwähnte U m b e n e n n u n g 1952 aus methodischen u n d sachlichen Gründen, kann doch kein historisches Phän o m e n n u r von seiner jeweiligen Gegenwart her erforscht werden, vielm e h r bedarf es der Einbeziehung aller drei Dimensionen der Zeit, da die temporale auch eine kausale Komponente hat: Ursache u n d Wirkung bedürfen ebenso der Analyse. Da Kenntnis der Konsequenzen geschichtlicher Vorgänge aus bloßer Zeitgenossenschaft nicht erwächst, reicht diese auch grundsätzlich nicht aus, um historische Phänomene angemessen zu erfassen. Aus dieser methodischen Zwangsläufigkeit, die in dem neuen, dann definitiven Namen zum Ausdruck kam, bezog das Institut für Zeitgeschichte schon bald nach seiner Gründung die Zeit vor 1933 u n d nach 1945 in seine Arbeit ein: Die Trias, die die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts kennzeichnete - Gefährdung u n d Untergang der Demokratie, Aufstieg einer totalitären Bewegung u n d Begründung der Diktatur, schließlich antitotalitärer Grundkonsens u n d Demokratiegründung in Westdeutschland - bildete also fortan den Gegenstandsbereich des Instituts für Zeitgeschichte, bis heute des einzigen außeruniversitären Forschungsinstituts, das den Gesamtbereich der deutschen Zeitgeschichte in ihren europäischen Verflechtungen seit dem Ersten Weltkrieg dokumentiert u n d untersucht. Hieraus ergibt sich zeitlich u n d sachlich eine ständige Erweiterung der Aufgabenstellung. Sie ist jeweils durch Institutsleitung und wissenschaftliche Mitarbeiter, aber auch im Wissenschaftlichen Beirat u n d im Stiftungsrat diskutiert worden. Nach dem j ä h e n Tod Hermann Maus wurde sein Vertreter Helmut Krausnick interimistisch mit der Geschäftsführung beauftragt. Das Institut war noch immer in einer schwierigen Lage, in finanzieller u n d auch in konzeptioneller Hinsicht, zumal einzelne Aufgabenbereiche

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nicht hinreichend geklärt waren. Zu ihnen zählte die erwähnte Frage, in welchem Ausmaß es Aufgaben der politischen Bildung übernehmen müsse. Unklar war letztlich auch die Abgrenzung der archivalischen Sammlungstätigkeit zum Bundearchiv u n d die Beteiligung weiterer Bundesländer. Selbst die Zusammensetzung des Wissenschaftlichen Beirats provozierte verschiedentlich Diskussionen, die letztlich auf die Frage nach der Autonomie der Wissenschaft gegenüber gesellschaftlich-politischen Ansprüchen hinausliefen - all diese Themen wurden immer wieder diskutiert. Es zählt zu den unschätzbaren Verdiensten der f r ü h e n Institutsarbeit, daß sich - oft nach Einigungen, die nach heftigen Kontroversen in den Gremien erzielt wurden - die Zeitgeschichte methodisch innerhalb des Fachs, gesellschaftlich u n d politisch außerhalb, als Teilbereich der Geschichtswissenschaft u n d im Hinblick auf außerwissenschaftliche Einflußnahmen autonome Disziplin durchsetzte. Dieses Ergebnis erwies sich nicht allein für das Institut f ü r Zeitgeschichte als existentiell, sondern für die Zeitgeschichtsforschung überhaupt. Die Arbeit des Instituts etablierte in den folgenden Jahren in Deutschland, aber mit internationalen Auswirkungen, die Zeitgeschichte als Wissenschaft, gab es doch außerhalb dieses Instituts an den Universitäten n u r vereinzelte Aktivitäten in diesem Sektor, der letztlich außeruniversitär durchgesetzt worden ist u n d in thematischen Teilbereichen durch weitere außeruniversitäre Institutionen, etwa die 1951 in Bonn gegründete Kommission für Geschichte des Parlamentarismus u n d der politischen Parteien, die allerdings ihren Arbeitsbereich auf das 19. u n d 20. J a h r h u n d e r t erstreckte, Verstärkung erfuhr. Zu Beginn der 1950 er Jahre konnte dies auch nicht anders sein, beginnt doch die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte normalerweise mit der Freigabe der Akten, also nach Ablauf der 30jährigen Sperrfrist. Dies schließt Vorläufer, die mit zugänglichem Quellenmaterial, beispielsweise Zeitungen, arbeiten, nicht aus, ändert aber nichts an der Regel. Insofern ist den Universitäten keineswegs vorzuwerfen, daß sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf breiter Front mit der Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur beschäftigten. Selbst die Forschung über die Weimarer Republik steckte naturgemäß noch in den Anfängen; setzte doch der normale Ablauf der Sperrfrist erst seit 1948 ein, für die Auflösungsphase erst seit 1960: Auch f ü r die Bestände des ehemaligen Reichsarchivs, des späteren DZA Potsdam, u n d die nach Merseburg ausgelagerten Bestände des ehemaligen Geheimen Preußischen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem gab es trotz vieler Teil-

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und Individualgenehmigungen bis 1990 keine generelle Zugänglichkeit: Dies betrifft auch einen großen Teil der Ministerialakten des Reiches zwischen 1933 und 1945. Um so überraschender ist es, daß aufgrund der vergleichsweise schnellen Öffnung der Archive im Westen bzw. der Rückgabe zentraler Aktenbestände durch die amerikanische Besatzungsmacht, die sie 1945 beschlagnahmt hatte, sowie der Nürnberger Akten die Erforschung des NS-Regimes bereits seit den frühen 1950 er Jahren mit großer Intensität einsetzte: Dabei spielte das Institut für Zeitgeschichte die ihm bei seiner Gründung zugedachte Schlüsselrolle. Später traten, mit ungleich speziellerer Zwecksetzung Institutionen wie die Zentralstelle für Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg hinzu, deren Auftrag die Sammlung von Ermittlungsakten war und ist: Sie begann ihre Arbeit gemäß einer Vereinbarung der Justizminister 1958 - also auch zu einer Zeit, als angeblich die NS-Vergangenheit verdrängt wurde.

IX.

Als dem Institut für Zeitgeschichte der Durchbruch in diesen Forschungsfeldern geglückt war, wirkte sich dies auf die Geschichtswissenschaft insgesamt aus, die sich nach vereinzelten Anfängen in den Universitäten seit den 1950 er Jahren zaghaft, in den 1960er Jahren ebenfalls verstärkt zeitgeschichtlichen Themen zuwandte, nachdem die Voraussetzungen dafür verbessert worden waren. Um 1970 hatte sich die zeitgeschichtliche Forschung und Lehre auch an den Universitäten fest etabliert. So veröffentlichte Karl Dietrich Bracher - dessen fundamentale politik- und strukturgeschichtliche Analyse über die .Auflösung der Weimarer Republik" zuerst 1955 erschienen war und teilweise zunächst auf Unverständnis stieß, bevor sie als bis heute gültiges Standardwerk internationale Anerkennung fand 66 1969 die erste großangelegte wissenschaftliche Gesamtdarstellung des NS-Regimes. Sie beschränkte sich keineswegs auf die zwölf Jahre der Diktatur selbst, sondern bezog die Vorgeschichte sowie weit ins 19. Jahr66

Vgl. Horst Möller, Die Weimarer Republik in der zeitgeschichtlichen Perspektive der Bundesrepublik Deutschland. Traditionen, Problemstellungen, Entwicklungslinien, in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen, Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Düsseldorf 1987, S. 587-616, insbes. S. 595 ff.

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h u n d e r t zurückreichende Bedingungsfaktoren ein: „Die deutsche Diktatur". 67 Schon 1960 hatte Bracher zusammen mit Gerhard Schulz u n d Wolfgang Sauer das Grundlagenwerk über die „nationalsozialistische Machtergreifung" veröffentlicht 68 , im selben J a h r Erich Matthias u n d Rudolf Morsey - dessen große Untersuchung „Die deutsche Zentrumspartei 1917-1923" 69 zu den Marksteinen der parteigeschichtlichen WeimarForschung zählt - den wegweisenden Sammelband „Das Ende der Parteien". 70 1965 publizierte Andreas Hillgruber sein bedeutendes Werk „Hitlers Strategie. Politik und Kriegführung 1940-1941" 71 , drei Jahre später Hans-Adolf Jacobsen seine „Nationalsozialistische Außenpolitik 1933-1938". 72 1971 folgte in dieser Thematik erstmals die knappe aber gehaltvolle, forschungsorientierte Darstellung von Klaus Hildebrand „Deutsche Außenpolitik 1933-1945". 73 1963 erschien Ernst Noltes bedeutendes Werk „Der Faschismus in seiner Epoche" 74 , 1973 schließlich Joachim Fests große „Hitler-Biographie" 75 , ein Glanzstück zeitgeschichtlicher Biographik bis heute. Für die Nachkriegsgeschichte ist exemplarisch das nach wie vor gültige Standardwerk von Hans-Peter Schwarz „Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945-1949" 76 zu nennen. Nach den ersten beiden Jahrzehnten der Forschung wurden ihre zentralen Erkenntnisse bald auch in Handbuchdarstellungen kondensiert, die alle drei Epochen der Zeitgeschichte betrafen, wenngleich sie sich für die Nachkriegsgeschichte aufgrund der Quellen- u n d Forschungslage in der Regel zunächst auf die Besatzungsjahre 1945 bis 1949 konzentrierten. So erschienen innerhalb des Handbuchs der deutschen Geschichte, dem „Brandt-Meyer-Just", drei einschlägige Darstellungen: Albert Schwarz „Die Weimarer Republik 1918-1933" 77 , Walther Hofer 67 68

69 70 71 72 73 74

75 76 77

Köln 1969. Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln-Opladen 1960, 2 1962. Düsseldorf 1960. Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960. Frankfurt am Main 1965, 3 1993. Frankfurt a. Main - Berlin 1968. Deutsche Außenpolitik 1933-1945. Kalkül oder Dogma?, Stuttgart u. a. 1975, 5 1990. Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action frangaise. Der italienische Faschismus. Der Nationalsozialismus, München 1963. Hitler. Eine Biographie, Frankfurt am Main u. a. 1973. Neuwied 1966, Stuttgart 2 1980. Konstanz 1958.

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„Die Diktatur Hitlers bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs"78 sowie Ernst Deuerlein „Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 19451955". 79 Alle drei Epochen behandelte dann souverän Karl Dietrich Erdmann, in „Die Zeit der Weltkriege" 80 , eine durchgreifende Neubearbeitung erschien 1973/76 als vierter Band der neubearbeiteten (9.) Auflage von Gebhardts „Handbuch der deutschen Geschichte". Diese Werke stehen beispielhaft für eine Vielzahl weiterer zeitgeschichtlicher Untersuchungen zur nationalsozialistischen Diktatur bzw. andere zeitgeschichtliche Perioden, die außerhalb des Instituts für Zeitgeschichte vom Ende der 1950er bis zum Beginn der 1970er Jahre entstanden sind. Sie profitierten meist vielfach von den Veröffentlichungen des Instituts. Kein Zufall ist es, daß das Institut für Zeitgeschichte selbst in den 1960er Jahren größere Darstellungen veröffentlichte, die einerseits bilanzierenden Charakter für ein breiteres Publikum besaßen, andererseits aber forschungsorientiert waren. Martin Broszat und Helmut Heiber gaben gemeinsam die vierzehnbändige „dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts" heraus, in der renommierte Historiker (darunter mehrere zeitweilige Beiratsmitglieder) von außerhalb des Instituts wie Hans Herzfeld, Gerhard Schulz, Ernst Nolte, Ernst Angermann, KarlHeinz Ruffmann, Gottfried-Karl Kindermann, Winfried Loth u. a. ebenso Bände schrieben wie Mitarbeiter des Instituts selbst. Unter ihnen war Martin Broszat mit seinem historiographisch epochemachendem Standardwerk zur polykratischen Herrschafts- und Verwaltungsstruktur des NS-Regimes 1933-1939 „Der Staat Hitlers" 81 , mit dem erstmals eine großangelegte empirische Einlösung dieses Interpretationsansatzes erfolgte, der später in aller Munde sein sollte, damals aber über essayistische Anläufe noch nicht hinausgekommen war. Vorläufer, die dieses Charakteristikum der Herrschaftsstruktur des NS-Regimes mit freilich sehr unterschiedlicher Pointe im Blick hatten, waren Ernst Fraenkel „Der Doppelstaat" 82 und der stärker ideologisch argumentierende Franz Neumann „Behemoth - Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944". 83 Während der 1950er Jahre befaßte sich Karl Dietrich Bracher in dem Beitrag „Stufen totalitärer 78 79 80 81 82 83

Konstanz 1959. Konstanz 1965. Stuttgart 1959. München 1969, 14 1995. Zuerst in englisch 1941; deutsch Frankfurt am Main - Köln 1974. Zuerst in englisch 1944; deutsch Köln - Frankfurt am Main 1977.

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Gleichschaltung. Die Befestigung der nationalsozialistischen Herrschaft 1933/34" 84 mit dieser Fragestellung u n d erklärte deren Prinzip mit Hilfe der römischen Herrschaftsmaxime „divide et impera" als bewußt intendiert. Gerhard Schulz applizierte 1960 erstmals den Begriff Polykratie auf die NS-Herrschaft 85 , u n d schließlich interpretierte Hans Mommsen (1961/62 Mitarbeiter des Instituts) die polykratische Struktur als ungewolltes Chaos funktionalistisch. 86 Eine Bilanz dieser Debatte bot dann ein Kolloquium des DHI London 1979 über den „Führerstaat". 87 Empirisches Neuland für die Verfassungs- u n d Verwaltungspolitik nach 1939 erschloß auf diesem Gebiet das Werk von Dieter Rebentisch über „Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg" zehn Jahre später. 88 Eine Forschungsbilanz, die in einem wesentlich vom Institut für Zeitgeschichte mitorganisierten (gemeinsam mit der Historischen Kommission zu Berlin u n d der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen) großen Kolloquium im Reichstag zu Berlin im Januar 1983 entstand, enthält auch der Band „Deutschlands Weg in die Diktatur", der für das Institut von Martin Broszat u n d Horst Möller vorbereitet wurde. 89 In der „dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts" erschienen: Helmut Heibers äußerst erfolgreiche Darstellung „Die Republik von Weimar", Hermann Gramls Werk „Europa zwischen den Kriegen", Lothar Gruchmanns Gesamtdarstellung „Der Zweite Weltkrieg" u n d das schon erwähnte Buch von Thilo Vogelsang über „Das geteilte Deutschland" - alles Werke von eigener Prägung. Der außergewöhnliche Erfolg dieser Reihe war nicht zuletzt ein Erfolg der Autoren aus dem Institut; alle Bände erzielten mehrere, manche zahlreiche Auflagen von über 100000 Exemplaren. Die große Breitenwirkung belegt, daß selbst forschungsorientierte Darstellungen sehr erfolgreich sein können u n d

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VfZ 4 (1956), S. 30-42. In: Karl Dietrich Bracher/Wolfgang Sauer/Gerhard Schulz (Anm. 68). Vgl. etwa ders., Nationalsozialismus, in: Marxismus im Systemvergleich, hrsg. von C. D. Kernig. Geschichte 3, Sp. 173-193 (Neuaufl. von: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft 1966f.), sowie 1981 ders., Hitlers Stellung im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, in: ders., Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft. Ausgew. Aufsätze, Reinbek 1991, S. 67-101. Der „Führerstaat". Mythos oder Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reiches, hrsg. von Gerhard Hirschfeld und Lothar Kettenacker mit einer Einleitung von WolfgangJ. Mommsen, Stuttgart 1981. Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart-Wiesbaden 1989. Deutschlands Weg in die Diktatur, Referate und Diskussionen. Ein Protokoll. Internationale Konferenz zur nationalsozialistischen Machtübernahme im Reichstagsgebäude zu Berlin, hrsg. von Martin Broszat u. a., Berlin 1983.

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daß das damalige Publikum - das angeblich zeitgeschichtliche Probleme verdrängte - sehr viel größeren Anteil an ihrer anspruchsvollen Darstellung nahm als das heute der Fall ist, wo eine einschlägige Fernsehsendung die andere jagt, deren Niveau keinen Vergleich mit diesen Büchern aushält - auch nicht, wenn man die Differenz des Mediums in Rechnung stellt. Diese Reihe zeigte nach den anderen erwähnten - im guten Sinne popularisierenden - Darstellungen von Mitarbeitern, daß das Institut für Zeitgeschichte neben seinem Dokumentations-, Beratungs-, Begutachtungs- und Forschungsauftrag auch einen erheblichen Beitrag zur historisch-politischen Bildung leistete. Diese Intention lag auch dem dreibändigen, 1971 bis 1973 veröffentlichten Werk „Deutsche Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg" zugrunde, die einen Teil der Darstellungen von Institutsmitarbeitern aus der „dtv-Weltgeschichte" verwandte, sie aber um zwei weitere Abschnitte damaliger Institutsmitarbeiter ergänzte: Dietmar Petzinas „Grundriß der deutschen Wirtschaftsgeschichte 1918-1945" u n d den Band von Wolfgang Benz „Quellen zur Zeitgeschichte", der ein wichtiges Hilfsmittel für Forschung u n d akademischen Unterricht bildet. Stärker noch als in dieser Serie wird die Darbietung des Forschungsstandes in gut lesbarer Form in der seit den frühen 1980 er Jahren begonnenen, ebenfalls bei dtv erscheinenden, inzwischen auf 29 Bände angewachsenen Reihe „Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. J a h r h u n d e r t bis zur Gegenwart", zur Maxime: Martin Broszat, Wolfgang Benz und Hermann Graml geben sie in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte heraus. Diese Reihe stellt auch insofern ein Novum dar, als sie thematisch u n d zeitlich vom Wiener Kongreß bis zum NATO-Doppelbeschluß reicht, also auch das 19. J a h r h u n d e r t einbezieht und unmittelbar bis an die Gegenwartsgeschichte heranführt. Die Bände verbinden Darstellung, Forschungs- u n d Quellenbericht mit Basisinformationen in Form von Tabellen u. a. m. Auch in dieser Reihe befinden sich viele erfolgreiche Bände, die 6. Auflage erreichte bisher Horst Möller „Weimar. Die unvollendete Demokratie" 90 , in 5. Auflage erschienen u. a. Martin Broszat „Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP u n d die Zerstörung der Weimarer Republik" 91 , Norbert Frei „Der Führerstaat" 92 u n d Wolfgang Benz „Die Gründung

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Zuerst 1985. Zuerst 1984. Zuerst 1987.

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der Bundesrepublik". 93 Für nichtspezialisierte Leser bzw. für den Studiengebrauch waren zwei von Institutsmitarbeitern verfaßte Bände bestimmt: „Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur u n d Geschichte". 94 Weitere Werke, die auf eine Breitenwirkung über den Kreis der Wissenschaftler hinaus zielen, erschienen zwar nicht als Institutsveröffentlichungen, wurden aber ganz überwiegend von Mitarbeitern des Instituts verfaßt, darunter die von Wolfgang Benz, Hermann Graml u n d Herm a n n Weiß herausgegebene „Enzyklopädie des Nationalsozialismus" (1997) oder das von Hermann Weiß veröffentlichte Nachschlagewerk „Biographisches Lexikon zum Dritten Reich" (1998).

X.

Als 1979 in Zusammenhang mit dem in der Öffentlichkeit Aufsehen erregenden amerikanischen Film „Holocaust" wieder einmal der von Ignoranz oder Böswilligkeit zeugende Vorwurf erhoben wurde, die Geschichtswissenschaft habe sich mit dem NS-Regime kaum oder zu wenig beschäftigt, hat Martin Broszat unter anderem die vom Institut jährlich als Anlage zu den „Vierteljahrsheften" herausgegebene „Bibliographie für Zeitgeschichte" konsultiert: Es lasse sich unschwer feststellen, „daß wissenschaftliche Arbeiten zur NS-Zeit seit Jahren an der Spitze zeitgeschichtlicher Neuveröffentlichungen in der Bundesrepublik stehen, weit vor den Untersuchungen zur Weimarer Zeit oder zur deutschen Geschichte nach 1945".95 Für die ersten 27 Jahrgänge der „Vierteljahrshefte f ü r Zeitgeschichte" konstatierte Broszat damals, daß in ihnen nicht weniger als 16 Beiträge zum Thema Antisemitismus u n d NSJudenpolitik veröffendicht worden seien, darunter bereits im zweiten Heft (Juni 1953) ein Schlüsseldokument: „Kurt Gersteins Augenzeugenbericht über die Judenvergasungen". Naturgemäß wurden diese Themen in allgemeineren geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften nicht mit vergleichbarer Intensität behandelt, in der f ü h r e n d e n einschlägigen Zeitschrift der DDR, der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", blieb nach Feststellungen Broszats hingegen das Thema überhaupt ausgespart! 93 94

95

Zuerst 1984. Hrsg. von Martin Broszat und Horst Möller (München 2 1986) sowie der „NS-Ploetz": Das Dritte Reich. Ursprünge, Ereignisse, Wirkungen, hg. von Martin Broszat und Norbert Frei, Freiburg/Würzburg 1983 (Neuausgabe 1989 u. d. T. „Das Dritte Reich im Überblick"). „Holocaust" und die Geschichtswissenschaft, in: VfZ 27 (1979), S. 285-298, Zitat S. 294.

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Horst Möller

Für die späteren Jahre kann Broszats Befund bestätigt werden: Michael Rucks Bibliographie zum Nationalsozialimus (1993) enthält m e h r als 22 000 Titel. Die n u n m e h r jährlich erscheinende „Bibliographie zur Zeitgeschichte", die das Institut herausgibt, ist für die Jahre 1955-1995 in fünf Bänden kumuliert worden u n d enthält für diesen Zeitraum insgesamt 71385 zeithistorische Veröffentlichungen; für die folgenden drei Jahre sind dies jeweils ca. 1800 Titel zur Zeitgeschichte, insgesamt also 76929. So umfangreich diese Bibliographien auch sind, keine ist vollständig. Für die Jahre 1953 bis 1994 sind allein 1081 Titel zur Judenverfolgung bzw. zum Massenmord an den J u d e n nachgewiesen. Hatte das Institut für Zeitgeschichte schon bis 1965 33 größere Gutachten zu dieser Thematik veröffentlicht, so erschienen bis 1995 in den „Vierteljahrsheften" 45 einschlägige Beiträge, die Zahl hatte sich gegenüber der von Broszat für 1979 genannten deutlich erhöht, so daß im Schnitt pro Jahrgang ein Aufsatz bzw. eine Dokumentation in den „Vierteljahrsheften" publiziert wurden. Hinzu kommt eine große Zahl von Büchern. Broszats Auswertung der Vorlesungsverzeichnisse ergab damals, daß zwischen 1970 u n d 1979 an deutschen Universitäten insgesamt 650 Vorlesungen, Übungen u n d Seminare zur NS-Zeit abgehalten worden sind, ein, wie auch er fand, „erstaunlich" positives Ergebnis 96 , wenngleich er es nach Sachgebieten differenzierte. Keinem Zweifel unterliegt es nach diesem Befund aber, daß schon zu diesem Zeitpunkt die Zeitgeschichte - nach der Vorreiterrolle, die das Institut gespielt hat u n d in Wechselwirkung mit der Schlüsselfunktion, die es für diesen Bereich weiterhin besitzt - auch an den Universitäten eine voll etablierte Disziplin bildet: Schwerpunkt war und ist dabei die nationalsozialistische Diktatur. Um so erstaunlicher ist, daß in regelmäßigen Abständen die Mär wiederholt wird, diese Thematik sei verdrängt worden. H e r m a n n Heimpels boshaftes Diktum, Literaturkenntnis schütze vor Neuentdeckungen, gilt wohl in keinem anderen Bereich der Geschichtswissenschaft m e h r als in diesem. Beispielhaft zeigt dies auch die Auflagenhöhe anderer Werke, die außerhalb des Instituts entstanden u n d veröffentlicht worden sind, aber trotz unterschiedlichen Genres eine analoge Thematik besitzen: So erreichte die erste Darstellung der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Eugen Kogons bereits 1946 veröffentlichtes Buch „Der SSStaat", bis 1974 eine Auflage von 350000 Exemplaren, Walther Hofers 96

Ebd. S. 295.

Das Institut und die Zeitgeschichtsschreibung

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knappe Textdokumentation „Der Nationalsozialismus" brachte es bis 1990 auf 1,1 Millionen Exemplare und das „Tagebuch der Anne Frank" bis 1981 auf 54 Auflagen mit 1,79 Million Exemplaren.

XI.

Die Erweiterung des Arbeitsbereichs des Instituts erfolgte zügig und sukzessive. So erklärte beispielsweise der Wissenschaftliche Beirat bereits zehn Jahre nach Gründung des Instituts auf seiner Sitzung vom 8./9. Mai 1959, die Aufnahme der Nachkriegszeit in das Arbeitsprogramm des Instituts sei prinzipiell wünschenswert. Dieser thematischen Richtungsentscheidung entsprach es auch, daß schon zur Amtszeit des Direktors Helmut Krausnick unter der Federführung von Thilo Vogelsang, dem Leiter der Bibliothek und Stellvertreter des Direktors, 1964 ein von der Stiftung Volkswagenwerk finanziertes Forschungsvorhaben zur Nachkriegsgeschichte 1945 bis 1949 begonnen wurde, das später durch eine Reihe weiterer Projekte zu diesem Zeitraum ergänzt wurde. Schon damals zeigte sich, daß das Institut keineswegs allein für die Erforschung der NS-Zeit initiativ war und Pionierarbeiten leistete. In diesem Kontext gab das Institut gemeinsam mit dem Bundesarchiv in fünf starken Bänden die bis heute grundlegende Edition „Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945 bis 1949" 97 heraus, deren direktoriale Federführung für den Anteil des Instituts nach Vogelsangs Tod bei mir selbst als dem damaligen Stellvertretenden Direktor lag, und deren hauptsächliche Bearbeiter im Institut Christoph Weisz und Günter Plum waren. 98 In diesen thematischen und zeitlichen Zusammenhang gehört auch die vom Institut für Zeitgeschichte gemeinsam mit den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages publizierte sechsbändige Edition „Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947-1949", die Christoph Weisz und Hans Woller bearbeitet haben. 99 Die erwähnte erste wissenschaftliche Gesamtdarstellung der deutschen Nachkriegsgeschichte von Thilo Vogelsang behandelt übrigens die Besatzungszeit, Bundesrepublik und DDR gemeinsam - dies blieb für mehr als zwei Jahrzehnte die Ausnah97 98 99

München 1976-1983, Sonderausgabe in 9 Bänden 1989. Vgl. Rudolf Morsey, S. 385-396. München 1977.

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Horst Möller

me und dokumentierte dadurch die nationale Teilungsperspektive auch der Historiker. Die erste Auflage von Vogelsangs Buch „Das geteilte Deutschland" erschien bereits 1966, zum Zeitpunkt seines f r ü h e n Todes hatte er das Werk bis 1972 fortgeführt: Bis 1978 erschienen n e u n Auflagen mit 104000 Exemplaren. Unter der Federführung von Martin Broszat erfuhren, vor allem konzentriert auf die Besatzungspolitik 1945 bis 1949, in spezifischer u n d methodisch anregender Weise die Quellenveröffentlichungen monographische Fortsetzungen. Frucht des großen, von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Projekts „Politik und Gesellschaft in der USZone", waren schließlich zwei Monographien 1 0 0 , ein Sammelband mit dem anstoßenden, aber auch anstößigen Titel „Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland" 101 u n d schließlich ein unentbehrliches enzyklopädisches, aber aus den Quellen gearbeitetes, von Christoph Weisz herausgegebenes Werk, das „OMGUS-Handbuch". 102 An den beiden letztgenannten Publikationen waren sowohl Mitarbeiter des Instituts selbst, wie Historiker u n d Archivare von außerhalb beteiligt, ein Beleg m e h r f ü r die enge Kooperation zwischen den Historikern an Universitäten, Instituten u n d Archiven. 103 Mit diesem Projekt wurde nicht allein die editorische Tätigkeit fortgesetzt, sondern auch die Quellensammlung u n d Quellenerschließung: Die seit Ende der siebziger Jahre in Gemeinschaft mit dem Bundesarchiv und den zuständigen Staatsarchiven der Länder der amerikanischen Besatzungszone in den National Archives in Washington ausgewählten u n d verfilmten OMGUS-Akten befinden sich als Teilbestände in den jeweils zuständigen Staatsarchiven. Im Institut für Zeitgeschichte wird ein vollständiger, alle Länder u n d die gesamtzonalen Betreffe umfassender Bestand aufbewahrt, der zudem mit Hilfe der EDV erschlossen u n d folglich n u r hier in dieser forschungsintensiven Erfassung benutzbar ist. O h n e Ubertreibung kann gesagt werden, daß von dieser Sammlung u n d Erschließung wie im Falle der Nürnberger Akten eine neue Epoche in der Erforschung der Besatzungszeit ausging.

100

101 102 103

Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 2 1996 (zuerst 1995), und Hans Woller, Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach und Fürth, München 1986. München 3 1990 (zuerst 1988). München 2 1996 (zuerst 1994). Vgl. Adolf M. Birke, S. 409-426, sowie speziell zu letzterem Gesichtspunkt am Beispiel des „Bayern-Projekts": Hermann Rumschöttel, S. 303-313.

Das Institut und die Zeitgeschichtsschreibung

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In diesen Kontext gehört es auch, daß solche Erweiterungen der Aufgabenstellung, die aus methodischen und systematischen Gründen, aber auch solchen des Quellenzugangs resultieren, immer wieder stattfanden: So organisierte das Institut 1979 ein wissenschaftliches Kolloquium über die Gründungsgeschichte der DDR, deren Beiträge unter dem Titel „Der Weg nach Pankow" 1980 publiziert wurden, und begann mit einem Forschungsprojekt zur Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der Frühgeschichte der DDR (Federführung Horst Möller, damals Stellvertretender Direktor). Von hier führte der Weg zur Zusammenarbeit mit der von Hermann Weber geleiteten Arbeitsstelle DDR-Forschung an der Universität Mannheim, deren Ergebnis später das von Martin Broszat und Hermann Weber für beide Institutionen gemeinsam herausgegebene SBZ-Lexikon war.104 Nur konsequent war es, daß bald nach der Wiedervereinigung im Institut und seinen Gremien Überlegungen zur Ausweitung dieses Forschungsbereichs begannen, da der Quellenzugang nun ganz neue Möglichkeiten der historischen DDR-Forschung eröffnete. Trotzdem war es ein steiniger Weg zur Gründung einer eigenen Außenstelle des Instituts für Zeitgeschichte für diesen Themenbereich, die am 1. Januar 1994 zunächst in Potsdam ihre Arbeit aufnahm und dann 1996 nach Berlin-Lichterfelde, wiederum in unmittelbare Nachbarschaft des Bundesarchivs, umzog.105 Schon vorher war es zur Gründung einer Außenstelle des Instituts für Zeitgeschichte in Bonn gekommen (Leiter: Rainer A. Blasius), die im Auswärtigen Amt angesiedelt ist und in dessen Auftrag mit Hilfe eines eigenen Herausgebergremiums unter Vorsitz von Hans-Peter Schwarz - seit 1988 Vorsitzender des Wissenschafdichen Beirats106 - (weitere Mitglieder: Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller, Rudolf Morsey) die .Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" herausgibt.107 Diese Edition folgt dem Ablauf der Sperrfrist nach dreißig Jahren, so daß bisher die Jahrgänge 1963 bis 1968 108 vorliegen. Da es gelang, die personelle Kapazität dieser Außenstelle in den letzten Jahren zu erweitern, konnte auch mit der 104 105

106

107 108

München 2 1993 (zuerst 1990). Vgl. Horst Möller/Hartmut Mehringer, Die Außenstelle Potsdam des Institus für Zeitgeschichte, in: VfZ 43 (1995), S. 173-186, sowie Hartmut Mehringer, S. 145-157. Vgl. zu seinem Engagement für das IfZ: Karl Dietrich Bracher/Horst Möller, Hans-Peter Schwarz zum 60. Geburtstag, in: VfZ 42 (1994), S. 309-312. Vgl. Rainer A. Blasius, S. 127-144. Bisher 16 Bände, München 1994-1999.

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Horst Möller

Schließung der „Lücke", d. h. der Jahre 1949 bis 1962 begonnen u n d bisher der Band für 1949/1950 veröffentlicht werden. Dieses für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zentrale Editionsprojekt bildet in bezug auf die Außenpolitik das Gegenstück zu der vom Bundesarchiv veröffentlichten Edition „Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung". 109 Gemeinsam mit den vor allem von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus u n d der politischen Parteien in Bonn veröffentlichten Protokollen der Sitzungen der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU u n d SPD bzw. des Bundesvorstands der FDP liefern diese beiden Großeditionen die fundamentale Quellensammlung für die Geschichte der Bundesrepublik, die dann durch spezielle Editionen, u. a. in den durch die politischen Stiftungen geführten Parteiarchiven (beispielsweise die v. a. von Günter Buchstab betreuten bedeutenden Protokolleditionen der Konrad-Adenauer-Stiftung St. Augustin) sowie weiterer Stiftungen, die sich auf einzelne Persönlichkeiten aus der westdeutschen Nachkriegsgeschichte beziehen (Konrad Adenauer in Rhöndorf, Theodor Heuss in Stuttgart, Willy Brandt in Berlin) ergänzt werden. Gemeinsam zeigen sie die gegliederte Forschungs- u n d Archivlandschaft der Bundesrepublik Deutschland. Wenngleich das Institut für Zeitgeschichte hier keinen eigenen Schwerpunkt bildet, so hat es doch außer der Sammlung zahlreicher Nachlässe, auch von Politikern, überdies Monographien zu dieser Thematik veröffentlicht. Hervorzuheben ist diejenige von Udo Wengst über Thomas Dehler 110 , der damit seine Forschungen zur FDP-Geschichte abschloß. Weitere Biographien stammen von Hartmut Mehringer über Waldemar von Knoeringen111 u n d demnächst von Dieter Marc Schneider über Johannes Schauff. Die diplomatische Aktenedition des Instituts für Zeitgeschichte ist aus einem weiteren, u n d zwar historiographischem Grund von besonderem Interesse: Es handelt sich um das erste neue editorische Großu n t e r n e h m e n zur Geschichte der Außenpolitik 112 bzw. der internationalen Beziehungen in Deutschland seit langem. Das ist um so bemerkenswerter, als nach einer seit den siebziger Jahren geführten Grundsatzdebatte in der Geschichtswissenschaft diese zentrale u n d unverzichtbare Disziplin zugunsten sozialgeschichtlicher oder innenpoliti-

109 110 111 112

Bisher 9 Bände für die Jahre 1949 bis 1956, Boppard bzw. München 1982-1998. München 1997. 1989. Vgl. Gregor Schöllgen, S. 459-467.

Das Institut u n d die Zeitgeschichtsschreibung

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scher Themenstellungen stark zurückgedrängt worden war. Während in anderen Staaten, beispielsweise den USA, Frankreich, Großbritannien oder Italien, die Geschichte der Internationalen Beziehungen immer ihren Platz behaupten konnte u n d in der Regel auch die Edition diplomatischer Akten zur Nachkriegszeit längst begonnen hatte, fehlte es in Deutschland an entsprechenden Aktivitäten; nur wenige deutsche Historiker von internationalem Rang waren auf diesem Felde tätig. Die Edition hat nicht allein durch ihre regelmäßige, jährliche Erscheinungsweise den Rückstand aufgeholt, sondern liefert die Quellenbasis u n d zahlreiche Anstöße zur Erforschung der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.

XII.

Uberblickt man die Forschungsaktivitäten des Instituts für Zeitgeschichte und fragt zum einen nach der Pioniertätigkeit des Instituts, zum anderen nach dem Forschungsprofil der letzten Jahre im Kontext der durch die Wiedervereinigung veränderten wissenschaftspolitischen Landschaft, so zeigen sich wiederum Traditionslinien, aber auch permanente Innovation. Es existiert kaum ein Bereich der Zeitgeschichtsforschung, in dem das Institut nicht Pilotfunktionen gehabt bzw. seinerseits fundamentale Werke vorgelegt hätte. Allerdings lag sein Schwerpunkt nicht in der Weimar-Forschung, für die zwar einzelne Wissenschaftler des Instituts wichtige Beiträge geleistet haben, aber n u r wenige größere Mehrpersonen-Projekte u n t e r n o m m e n worden sind. Sie konzentrierten sich vor allem auf die NS-Zeit, die Besatzungsjahre, die Geschichte der Bundesrepublik u n d der DDR. Zu den Traditionen des Instituts gehörte von Beginn an die Widerstandsforschung, zu der in der frühen Zeit Helmut Krausnick u n d Hermann Graml grundlegende Beiträge geleistet haben, die u. a. in den beiden Bänden „Die Vollmacht des Gewissens" 113 veröffentlicht wurden und sich mit der Militäropposition, aber auch zu einem frühen Zeitpunkt mit dem Verhältnis der Alliierten zum Widerstand befaßten längst bevor hierzu Klemens von Klemperer 1992114 eine großangelegte 113 114

1956 und 1965, mit etwas voneinander abweichenden Titeln. Deutsche Fassung: Die verlassenen Verschwörer. Der deutsche Widerstand auf der Suche nach Verbündeten, Berlin 1994.

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Darstellung veröffentlichte. Auch in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte" wurden, vor allem in den Juliheften, immer wieder einschlägige Beiträge publiziert. Galten diese Arbeiten zum erheblichen Teil der klassischen Widerstandsforschung, die im 20. Juli 1944 ihren Kumulationspunkt sieht, so machte das große sechsbändige Projekt „Bayern in der NS-Zeit" zweifellos Forschungsgeschichte, indem es eine neue Richtung eröffnete. 115 Wenngleich Martin Broszat, unter dessen Ägide dieses Projekt durchgeführt wurde, anfangs auch etwas zögerte, als eine entsprechende Anregung des sozialdemokratischen Politikers und bayerischen Senators Linsert an den damaligen Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus, Hans Maier, erging, so ergriff er doch bald die Chance. Der Kultusminister erreichte für dieses Projekt die - selbstverständlich an keine Bedingungen geknüpfte - Unterstützung durch den Freistaat Bayern, mit der eine in dieser Form neue und enge Zusammenarbeit mit der Bayerischen Archiwerwaltung verbunden war; sie bildete ihrerseits die Voraussetzung für die notwendige Quellenerschließung. Auch Anregungen anderer Art lagen vor, beispielsweise die Form regionaler Dokumentation, aber auch die Frage nach dem „durchschnittlichen" Verhalten der Bevölkerung unter den Bedingungen der Diktatur, wie es in dem schon erwähnten Projekt am Beginn der Institutsgeschichte Bernhard Vollmer aus den Gestapoberichten erschlossen hatte. 116 Auch die von Broszat in den Mittelpunkt der Fragestellung gerückte Kategorie der „Resistenz" war in der Literatur schon aufgetaucht, allerdings in mehr essayistischer Frageform in Ralf Dahrendorfs Buch „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland". 117 Die geschichtswissenschaftliche Reflexion und Umsetzung in eine systematisierte Fragestellung hat erst Broszat geleistet, der die Fruchtbarkeit des von ihm entwickelten Ansatzes gegen Kritik von vielen Seiten, unter anderem von Richard Löwenthal, bewies und zahlreiche Autoren, vor allem innerhalb, aber auch außerhalb des Instituts für das Werk gewann. In Elke Fröhlich und Hartmut Mehringer fand er kompetente Mitverfasser und Mitherausgeber. Eine ganze Reihe späterer Untersuchungen zur Widerstandsgeschich-

115 116

117

Vgl. Hermann Rumschöttel und Ian Kershaw, S. 303-329. Bernhard Vollmer, Volksopposition im Polizeistaat. Gestapo- und Regierungsberichte, München 1957. München 1968.

Das Institut und die Zeitgeschichtsschreibung

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te und ,Alltagsgeschichte" verdanken diesem Werk methodische und sachliche Anstöße.118 Die Forschungen zum Widerstand fanden während meiner eigenen Amtszeit in den neunziger Jahren eine Fortsetzung mit dem Projekt „Widerstand als Hochverrat". In dieser Form wurde das Projekt erst seit Öffnung der Archive nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen im Osten möglich, weil ein Großteil der hier auf 754 Microfiches veröffentlichten 74000 Blatt Gerichtsakten (Anklage- und Urteilsschriften der Verfahren gegen 6030 deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht) vorher nicht zugänglich waren. Diese Edition wurde von Hartmut Mehringer und Jürgen Zarusky erstellt, der auch den Erschließungsband bearbeitete. 119 Eine bilanzierende und zugleich weiterführende Darstellung, die Widerstand und Emigration verband, veröffentlichte Hartmut Mehringer in der erwähnten dtv-Reihe 1998. Mehringers Buch steht insofern in einer doppelten thematischen Tradition des Instituts, als sie auf die Erforschung der Emigration hinweist, für die das Institut in vieljähriger Arbeit mit dem Emigrationsarchiv und dem 1980 bis 1983 in vier Bänden gemeinsam mit der Research Foundation for Jewish Immigration in New York unter der Projektleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss veröffentlichtem Werk neue Grundlagen schuf. Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre waren daran für den Institutsanteil unter der damaligen direktorialen Verantwortung von Horst Möller neben dem ebenso kompetenten wie engagierten Projektleiter Werner Röder - einem der Pioniere der historischen Emigrationsforschung - vor allem Hartmut Mehringer und Dieter Marc Schneider beteiligt. Bis heute ist dieses weit mehr als 8000 biographische Eintragungen umfassende Handbuch unentbehrlich - es erschien 1999 in einer preiswerten Sonderausgabe.120 Eine Forschungstradition liegt auch in den langjährigen Untersuchungen zur Justizgeschichte des NS-Regimes, mit denen das Institut bereits in den 1960er Jahren begann und damals (1960 bis 1970) drei Bände veröffentlichte. Da die von Juristen erarbeiteten Darstellungen aber unter anderem methodische Probleme aufwarfen, die auch aus der zeiüichen und sachlichen Nähe zu dieser Problematik herrührten, 118

119 120

Vgl. insgesamt auch: Horst Möller, Widerstand in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, in: Helmut Kohl/Hans Maier/Horst Möller, Der 20. Juli 1944 - Widerstand und Grundgesetz, St. Augustin 1994, S. 13-32. München 1994-1998. Vgl. Patrick von zur Mühlen, S. 345-352.

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wurden diese Studien in einem neuen Anlauf wieder aufgenommen und mit Lothar Gruchmanns Monumentalwerk .Justiz im Dritten Reich 1933-1940" 121 auf ein bisher nicht wieder erreichtes Niveau geführt. 1 2 2 Dieser Forschungsbereich berührt sich mit dem Projekt „Widerstand als Hochverrat", weist aber auch Analogien zu dem vierteiligen Justizprojekt der Außenstelle Berlin des Instituts für Zeitgeschichte auf, das mit Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk 1994 begonnen u n d inzwischen abgeschlossen wurde: Ein Band ist erschienen, zwei sind im Druck u n d ein weiterer befindet sich in der Begutachtung (Hermann Wentker - auch Leiter der Außenstelle Berlin - , Petra Weber, Dieter Pohl). Zu den Forschungsthemen, die schon in den 1950er Jahren im Institut bearbeitet wurden, zählt die Besatzungspolitik des nationalsozialistischen Regimes: Hierzu wurden zahlreiche wichtige Studien veröffentlicht, unter anderem von Martin Broszat u n d Hans-Dietrich Loock. Diese Untersuchungen stehen in engem Zusammenhang mit weiteren Studien über die Wehrmacht im NS-Regime. Längst bevor im Zuge der heftigen öffentlichen Diskussion aus Anlaß der mißlungenen, aber nichtsdestoweniger Aufsehen erregenden Ausstellung über die Beteiligung der Wehrmacht an NS-Verbrechen gesprochen u n d dies als neue Erkenntnis ausgegeben wurde, konnte man beispielsweise in Martin Broszats Studie „Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945" 123 , in der Dokumentation über Helmuth Groscurths „Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940", herausgegeben von Helmut Krausnick u n d Harold C. Deutsch unter Mitarbeit von Hildegard von Kotze 124 , durch „Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 19391945", herausgegeben von Werner Präg u n d Wolfgang Jacobmeyer 125 , vor allem aber in dem grundlegenden Werk von Helmut Krausnick u n d Hans-Heinrich Wilhelm „Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei u n d des SD 1938-1942" 126 zahlreiche Einzelheiten u n d die grundlegende Einordnung erfahren. Krausnick hatte übrigens in biographischen Anhängen den Weg gewiesen zu einer nahezu zwei Jahrzehnte später, beispielsweise in Ulrich Herberts Biographie über Werner Best, wiederaufgenommenen Pro121 122 123 124 125 126

München 2 1990 (zuerst 1988). Vgl. Joachim Rückert, S. 181-213, sowie Michael Stolleis, in: HZ 249 (1989), S. 105-112. Stuttgart 1961. Stuttgart 1969. Stuttgart 1975. Stuttgart 1981.

Das Institut und die Zeitgeschichtsschreibung

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blemorientierung, nämlich der Untersuchung eines bestimmten für die Herrschaftsorganisation des NS-Regimes unentbehrlichen Funktionärstypus, der oftmals juristische oder andere akademische Ausbildung besaß und als „ideologischer Technokrat" charakterisiert werden könnte. Und ebensolange kennen wir das Schicksal der vielen Millionen so\sjetischer Kriegsgefangener, die in deutscher Gefangenschaft umkamen, durch das vom Institut in den „Studien zur Zeitgeschichte" 1978 veröffentlichte Buch von Christian Streit „Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945". Das angebliche Informationsdefizit über diese Verbrechen ist also eine Chimäre. Eine andere Frage freilich ist, wie weit die Öffentlichkeit solche Untersuchungen zur Kenntnis nimmt bzw. wie lange sie sie im Gedächtnis behält. Tatsächlich haben wir es auch hier mit Aktualitätsschüben des Interesses zu tun, die indes nicht in der Verantwortung der Wissenschaft liegen: Die Erforschung dieser Themen erfolgt kontinuierlich und ist von aktuellen Konjunkturen oder Gedenktagen unabhängig. Andererseits beruht ein großer Teil der „Neuentdeckungen" auf der hier erwähnten seriösen zeitgeschichtlichen Forschung innerhalb und außerhalb des Instituts für Zeitgeschichte, ohne daß dies bei der publizistischen oder kommerziellen Verwertung entsprechend bemerkt würde. Die Kritik müßte also an bestimmten Vermittlungsformen ansetzen, nicht an der Forschung. Dies gilt auch für die im letzten Jahr wieder entbrannte, von ihren Akteuren als neu betrachtete Debatte über das Verhalten von Wissenschaftlern, insbesondere Historikern, im Dritten Reich. Sie hatte den nun schon üblichen, der Selbstimmunisierung dienenden Tenor des Verdachts: Verwicklungen der „Zunft" in das NS-Regime seien mehr oder weniger bewußt verschwiegen oder verdrängt worden. Tatsächlich aber erschienen zahlreiche Studien zu dieser Thematik, nachdem Helmut Heiber bereits 1966 in den „Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte" das monumentale Werk „Walter Frank und sein Reichsinstitut für deutsche Geschichte" veröffentlicht hatte: Dem Buch war ein umfangreiches Personenregister beigegeben - wie Spötter meinten, das meistbenutzte Personenregister der neueren historiographischen Literatur.127 Dieses Werk markierte im übrigen den Beginn der wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen Heibers zum NS-Regime, die bedauerlicherweise lange Jahre unterbrochen werden mußten und deren Weiter127

Vgl. Udo Wengst, S. 492 f.

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führung dann unter keinem günstigen Stern stand. Immerhin konnte Heiber in drei Bänden mit über 2000 Seiten128 seine Arbeit weiter, wenn auch nicht zu Ende führen. In der Tradition der Wehrmachtsuntersuchungen, allerdings mit zahlreichen neuen Fragestellungen und bisher nicht genutzten oder zugänglichen Quellen steht das neue, von Christian Hartmann geleitete - vierteilige - Projekt des Instituts für Zeitgeschichte über die Wehrmacht, mit dem das Institut aufgrund der Unterstützung durch den Freistaat Bayern und das Kultusministerium 1998 beginnen konnte.129 Das Institut hat schon früh die Verfolgung und Ermordung der im NS-Herrschaftsbereich befindlichen jüdischen Bevölkerung untersucht, nicht allein in den erwähnten Gutachten und in den Arbeiten zur deutschen Besatzungsherrschaft, sondern auch in den „Studien zur Geschichte der Konzentrationslager", die einige der bekanntesten Lager betreffen. Weitere Untersuchungen hierzu erfolgten in den letzten Jahren, beispielsweise in Dieter Pohls wichtigem Werk „Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941-1944".130 Darüber hinaus ist nach etwa vieijähriger Arbeit gerade ein vierteiliges Forschungsprojekt zum Vernichtungslager Auschwitz zum Abschluß gekommen: Die Arbeiten befinden sich im Druck; es handelt sich um zwei Monographien (Sibylle Steinbacher, Bernd C. Wagner), die Publikation der Standort- und Kommandanturbefehle des KZ Auschwitz 1940-1945 sowie einen Sammelband mit Studien zur Geschichte der Konzentrationslager zahlreicher jüngerer Autoren, die das Institut zu einem Kolloquium eingeladen hatte. Projektleiter war Norbert Frei. Im Spätsommer 1999 beginnt ein neues Dokumentationsprojekt zur Judenverfolgung, das gemeinsam mitYad Vashem (Jerusalem) durchgeführt wird. In diesem Bereich hat das Institut mit Hermann Gramls Buch „Reichskristallnacht"131 in der dtv-Reihe ebenfalls eine Darstellung für alle Interessierten innerhalb und außerhalb der Fachwelt publiziert. Auch ein anderes „Medium" zur historisch-politischen Bildung wird das Institut künftig nutzen: die Dokumentation für ein breites Publikum. 1999 eröffnet das Institut für Zeitgeschichte - nach kleineren Vorläufern - erstmals eine zeitgeschichtliche Ausstellung. Sie wird auf dem

128 129 130 131

Universität unterm Hakenkreuz, München 1991-1994. Vgl. Christian Hartmann, S. 281-299. München '1998. 3 1998.

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Obersalzberg bei Berchtesgaden das NS-Regime dokumentieren; erarbeitet wurde sie unter der Projektleitung von Volker Dahm.132 Wiederaufnahme oder Neuanfang, „Revision durch Edition" ist auch das Ziel der in den letzten Jahren außerordentlich intensivierten Editionstätigkeit des Instituts, das mit der mediävistischen „Sorge um den rechten Text" der monographischen Forschung zur unentbehrlichen Quellengrundlage verhilft, zugleich aber historisch-politisch aufklärend wirkt. Obwohl die Editionstätigkeit des Instituts für Zeitgeschichte nur einen Zweig seiner Arbeit ausmacht, gibt es wohl keine zweite wissenschaftliche Institution, die in den letzten Jahren eine vergleichbare Zahl wichtiger Quellenbestände ediert hätte, schon gar nicht in der Zeitgeschichte.133 Neben den schon erwähnten Editionen „Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949", den „Wörtlichen Berichten des Wirtschaftsrats", „Widerstand als Hochverrat", Einzelveröffentlichungen und regelmäßigen Dokumentationen in den „Vierteljahrsheften" standen schon früher Großprojekte, beispielsweise die unter Leitung Helmut Heibers erfolgte Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes, nämlich der .Akten der Parteikanzlei der NSDAP", einer 1983 bis 1992 in insgesamt sechs Bänden (Regesten, Register) und 491 Microfiches herausgegebenen Publikation. Während ihrer Entstehung provozierte das Projekt die Kritik der Archivare, weil hier gegen das Provenienz-Prinzip verstoßen wurde und aus den Empfängerüberlieferungen 200000 Blatt Akten rekonstruiert wurden.134 Aber auch innerhalb des Instituts war dieses Großprojekt, das personelle und finanzielle Ressourcen band, nicht unumstritten. Der Hauptbearbeiter und Projektleiter betrieb es zeitweilig mit verbissener Energie, der Direktor, der es veranlaßt hatte, sprach später selbstkritisch von „Talentvergeudung". Das Verhältnis beider, durch jahrzehntelange Zusammenarbeit geprägt, wurde vermutlich durch dieses Projekt nachhaltig gestört.135 Obwohl das Projekt Ansatzpunkte zur Kritik bietet, ist es m.E. von bleibendem Wert, präsentierte es doch erstmals in dieser Fülle Materialien zur Führungszentrale des NSDAP und erschließt damit bis heute entscheidende Quellen zur Herrschaftsstruktur des NSRegimes. Das vom Institut für Zeitgeschichte in Kooperation mit dem 132 133

134 135

Vgl. Volker Dahm, S. 159-167. Vgl. dazu eingehender: Horst Möller, Wie sinnvoll sind zeitgeschichtliche Editionen heute? Beispiele aus der Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte, in: Lothar Gall/Rudolf Schleifer, Quelleneditionen und kein Ende?, München 1999, S. 93—112. Vgl. Michael Ruck, S. 215-235. Vgl. Martin Broszat, Helmut Heiber zum 65. Geburtstag, in: VfZ 37 (1989), S. 353-356.

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Bundesarchiv und den zeitgeschichtlichen Lehrstühlen von Klaus Hildebrand (Universität Bonn) und Hans Günter Hockerts (Universität München) geplante Forschungs- und Dokumentationsprojekt zur Herrschafts- und Verwaltungsstruktur des NS-Regimes sowie zum Wandel von Funktionseliten wird aus diesem Quellenbestand vielfältigen Nutzen ziehen. Unter den großen Editionsvorhaben der letzten Jahre, die ungewöhnlich zügig vorankamen, sind zwei Großprojekte, deren Wurzeln älter sind, die aber erst seit 1992 auf eine neue Grundlage gestellt werden konnten: die Edition „Hitler. Reden, Schriften und Anordnungen. Februar 1925 bis 1933", von der zwischen 1992-1999 12 Bände (zwei waren bereits vorher vorbereitet worden) sowie vier Ergänzungsbände „Der Hitler-Prozess 1924" erschienen sind; letztere bearbeitet von Lothar Gruchmann, Reinhard Weber und Otto Gritschneder. Allein der in Vorbereitung befindliche Registerband steht noch aus. Dieses Projekt hat eine lange Vorgeschichte, wurde es doch aufgrund konzeptioneller Überlegungen von Anton Hoch und mir selbst 1979/80 begonnen. Später geriet es ins Stocken, wurde vielfach modifiziert, mehrfach wechselten die Bearbeiter, bevor 1993 die definitive Lösung gefunden wurde und es in den letzten sechs Jahren zum Abschluß gebracht werden konnte: Nach Vorarbeiten von Clemens Vollnhals, Hildegard von Kotze und anderen wirkten für den überwiegenden Teil der Bände vor allem Christian Hartmann und Klaus A. Lankheit mit (Projektleitung: Udo Wengst), nachdem neue konzeptionelle Entscheidungen getroffen und die bis 1992 ungeklärt gebliebenen rechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden waren.136 Ein analoges Schicksal hatte auch die Edition der Goebbels-Tagebücher unter der Projektleitung von Elke Fröhlich. Aus vielerlei Gründen, die die Quellengrundlage, die Editionsrichtlinien, die Rechtslage und die Diskussion über die fragmentarische, vierbändige Ausgabe von 1987 betrafen, war das Projekt mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Nach Verhandlungen, die ich im Frühjahr 1992, unterstützt vom Archivleiter Werner Röder, in Moskau führte und weiteren Abmachungen mit Frangois Genoud im August 1992, der nach einem früheren Vergleich mit Bundesarchiv und Institut weiterhin im Besitz der kommerziellen Nutzungsrechte und der Publikationsrechte war, konnte dessen Zustimmung zur zeitlich, sachlich und quantitativ unbegrenzten wissenschaftlichen Nutzung erreicht werden. Die nach den Verein136

Vgl. Frank Lothar Kroll, S. 237-247.

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barungen u. a. mit dem damaligen Präsidenten und Vizepräsidenten der Russischen Archiwerwaltung möglich gewordene Kopierung des in Moskau aufbewahrten, von Elke Fröhlich entdeckten Glasplattenbestandes, die unter der Aufsicht von ihr und Hartmut Mehringer erfolgte, schließlich die Reorganisation des Projekts unter Einsatz mehrerer Editoren erlaubte es, zwischen 1993 und 1999 insgesamt 19 Bände nach sorgfältig erarbeiteten Editionsrichtlinien auf sicherer Quellenbasis zu publizieren; in diesem Jahr erscheinen zwei weitere Bände, die letzten vier dann innerhalb der nächsten zwei Jahre. 137 Unter den in den letzten Jahren erschienenen Editionen bzw. Dokumentationen sind auch mehrere zur Nachkriegsgeschichte: die dreibändige, auf Fortsetzung geplante Dokumentation „Die CSU - 19451948: Protokolle und Materialien zur Frühgeschichte der Christlich-Sozialen Union" 138 , mit der ein früherer Dokumentenband über die „Lehijahre der CSU" 139 fortgesetzt wurde, sowie ein in der Außenstelle Berlin vorbereiteter Band über die SMAD, bearbeitet von Jan Foitzik140, dem überdies eine grundlegende Monographie zur SMAD zu verdanken ist141, sowie „Das SKK-Statut. Zur Geschichte der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland 1949-1953" 142 mit einer monographischen Einleitung der Bearbeiterin Elke Seherstjanoi. Diese Veröffentlichungen ergänzen die Editionen zur Nachkriegsgeschichte, deren Zentrum die schon erwähnten, seit 1993 publizierten Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik sind. Die erwähnten Dokumentationen zur Geschichte der SBZ bzw. DDR erschienen in der von Werner Röder und Christoph Weisz für das Institut herausgebenen Reihe „Texte und Materialien zur Zeitgeschichte", die neben Quellen auch Inventare und sonstige für die Forschung vor allem zur NS-Zeit unentbehrliche Hilfsmittel publiziert: Sie kombinierten insofern die archivalische und bibliographische mit der Forschungsarbeit des Instituts. 137

138 139

140

141

142

Vgl. Horst Möller, Vorwort zu: Die Tagebücher von Joseph Goebbels, München 1993ff., S. 7 - 9 , sowie Hans Günter Hockerts, S. 249-264. München 1993. Lehijahre der CSU. Eine Nachkriegspartei im Spiegel vertraulicher Berichte an die amerikanische Militärregierung, hrsg. von Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller, München 1984. Inventar der Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949 - Offene Serie - , München u. a. 1995. Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Struktur und Funktion, Berlin 1998. München 1998.

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Nicht als Bearbeiter im engeren Sinne, aber doch als mitherausgebende Institution erscheint das Institut bei einer weiteren zentralen Veröffentlichung zur Nachkriegsgeschichte, der vierbändigen Dokumentation der diplomatischen, allgemein-politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland u n d Frankreich von 1949 bis 1963, die gemeinsam mit der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaft herausgegeben wurde. Die Publikation u n d der umfassende Erschließungsband wurden von beiden Instituten finanziert, außerdem besteht eine Personalunion durch mich selbst als Initiator, Projeküeiter u n d Herausgeber (gemeinsam mit Klaus Hildebrand). Dieses Projekt steht insofern in einem inneren Zusammenhang mit neueren Forschungsaktivitäten des Instituts, als hier nicht allein eine Reihe von Studien zur französischen Geschichte von Autoren außerhalb des Instituts veröffentlicht wurden, sondern seit 1992 die international vergleichende Forschung, vor allem zu Deutschland u n d Frankreich, intensiv betrieben wird: Von insgesamt fünf Untersuchungen zur französischen Geschichte bzw. einem deutsch-französischen Vergleich, der die Instabilität der europäischen Demokratien zwischen den Kriegen exemplarisch erforschen soll, sind drei große Studien (Andreas Wirsching, Manfred Kittel, Stefan Grüner) abgeschlossen, eine davon bereits veröffentlicht. 143 Diese Untersuchungen stehen im Zusammenhang mit meinen eigenen Studien zur Entwicklung des Parlamentarismus u n d der Demokratie, die zum Teil auch im Institut entstanden sind: Die Arbeit an meinem Buch „Parlamentarismus in Preußen 1919-1932" 144 , mit der ein Gegenmodell des funktionierenden Parlamentarismus zum nicht funktionstüchtigen Reichsparlamentarismus während der Weimarer Republik entworfen wurde, begann zwar vor meinem Eintritt ins Institut 1979 u n d wurde nach 1982 zu Ende geführt, aber doch auch wesentlich während dieser Jahre gefördert. Das spätere Buch „Europa zwischen den Weltkriegen" 145 aber steht in bezug auf die komparatistische Fragestellung der Gefährdung u n d Auflösung europäischer Demokratien im engen Kontext zu dem deutsch-französischen Vergleich für diese Jahrzehnte, wie auch schon das von mir 1981 im Institut organisierte Kolloquium über den deutschen „Sonder143

144 145

Andreas Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus in Deutschland und Frankreich 1918-1933/39, Berlin und Paris im Vergleich, München 1999; vgl. ders., S. 365-381. Düsseldorf 1985. München 1998.

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weg" auf eine vergleichende Perspektive abzielte. Zu dieser Thematik sind weitere Arbeiten geplant, aber auch eine zeidiche Erweiterung komparatistischer Untersuchungen für die ausgehenden 1960er Jahre, für die vergleichend die gesellschaftspolitischen Wirkungen der Ereignisse von 1968 analysiert werden sollen: Der gesellschaftlich- politische Wandel in Frankreich, Deutschland und weiteren Staaten unter dem doppelten Gesichtspunkt der im Zuge von europäischer Integration und Globalisierung sich vollziehenden Angleichung der europäischen Industriegesellschaften, jedoch nicht minder ihrer fortbestehenden traditionsgeleiteten Individualität bilden die Leitfragen. Ein ebenfalls vergleichendes Forschungsprojekt zur gesellschafdichen Entwicklung in den ostmitteleuropäischen Diktaturen in den 1950er Jahren, das sich bis in die 1960er Jahre erstreckt, wird das Institut in der Außenstelle Berlin beginnen. Hier steht die Dialektik eines aufgezwungenen normativen marxistischen Gesellschaftsmodells und der realen sozialökonomischen Entwicklung im Zentrum. Die zeitliche Erweiterung der Nachkriegsforschungen in die 1960er Jahre hinein kann u n d muß erfolgen, weil hier nicht zuletzt aufgrund des sukzessiven, im dreißigjährigen Abstand möglichen Quellenzugangs die größten Desiderate liegen. Sie weist folglich über die bereits f r ü h e r betriebenen Forschungen zu den 1950er Jahren - beispielsweise dem seinerzeit von Ludolf Herbst geleiteten Projekt über die Eingliederung Westdeutschlands in europäische Institutionen 146 hinaus. Selbstverständlich steht diese zeidiche Erweiterung in Analogie zur diplomatischen Aktenedition der Bonner Außenstelle u n d ist zudem mit einem weiteren Forschungsprojekt bereits eingeleitet worden: Es kann zwar chronologisch gesehen als drittes „Bayern-Projekt" des Instituts betrachtet werden, verfolgt jedoch aufgrund der fundamental gewandelten Konstellation ganz andere Fragestellungen u n d neue Themen. Seit 1994 konnte die Unterstützung des Freistaats Bayern, der Staatsarchive u n d ihrer Generaldirektion gewonnen werden, um „Politik und Gesellschaft in Bayern 1949 bis 1973" in mehreren monographischen Fallstudien u n d mehreren systematisch angelegten Sammelbänden zu untersuchen; im Mittelpunkt stehen dabei u. a. die Modernisierungspolitik u n d die Wirkungen, die von der technologischen u n d ökonomischen Entwicklung auf Gesellschaft u n d Kultur ausgingen. Auch dieses

146

Vgl. etwa Vom Marshall-Plan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt, hrsg. von Ludolf Herbst, Werner Bührer und Hanno Sowade, München 1990. Vgl. Wolfgang Krieger, S. 441-458.

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Projekt gab bereits jetzt vielfältige Anstöße für die Erforschung der 1960er Jahre; es steht unter Leitung von Hans Woller. 147 Nicht im direkten Zusammenhang mit Projekten, aber beziehungsgeschichtlich auf die Zwischenkriegszeit bezogen war ein seinerzeit vom Bundesministerium f ü r Forschung und Technologie unterstütztes, 1992 begonnenes Projekt über die deutsch-tschechoslowakische Problematik zwischen den Kriegen (Christoph Boyer, Jaroslav Kucera, beide Bände erschienen 1999) 148 , sowie eine Dokumentation über Deutschland und Polen zwischen den Kriegen, die außerhalb des Instituts, aber mit seiner Unterstützung erarbeitet worden ist.149 Auf eine vergleichende Thematik der Zwischenkriegszeit bezogen sich außerdem weitere Arbeiten von Wissenschaftlern des Instituts, beispielsweise Untersuchungen zum italienischen Faschismus, u. a. von Hans Woller 150 , auch wenn dieses Buch nicht wie dasjenige über „Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943-1948" als Institutsveröffentlichung erschien. 151 Den Gesamtbereich der Zeitgeschichte, auch nach 1945, umfassen schließlich die „Biographischen Quellen zur Zeitgeschichte", die Werner Röder u n d Udo Wengst für das Institut herausgeben u n d in denen bis dahin unbekannte bzw. unveröffentlichte Texte erscheinen. Tatsächlich f ü h r t die zeitliche Erweiterung auch zu einer paradigmatischen Veränderung, erzwingt zum Teil neue methodische Ansätze u n d entspricht schließlich einem Bewußtseinswandel in der Geschichte selbst: Sowohl die europäische Integration als auch die mit ihr korrespondierende Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland bildet n u n m e h r u n d mehr spezifische Traditionen aus, die nicht m e h r bloß in Abwehr zu den totalitären Systemen stehen. Durch den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen verbessert sich nicht allein der Zugang zu Quellen früherer Perioden, sondern verändert sich auch der Blick des Historikers, erscheint die Teilung der Welt und der partielle Sieg des Kommunismus doch nicht m e h r als das Ende der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

147 148 149

150 151

Vgl. Thomas Schlemmer, S. 427-440. Vgl. Udo Wengst, S. 355-363. Deutsche und Polen zwischen den Kriegen. Minderheitenstatus und „Volkstumskampf' im Grenzgebiet (1920-1939), hrsg. von Rudolf Jaworski und Marian Wojciechowski, bearb. von Mathias Niendorf und Przemyslaw Hauser, München u. a. 1997. Rom. 28. Oktober 1922. Die faschistische Herausforderung, München 1999. München 1996.

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In methodischer, aber auch quellenmäßiger Hinsicht bedeutet also der Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen eine Wende: Das Ende der zweiten, das 20. Jahrhundert prägenden totalitären Ideologie, das Ende der bipolaren Welt mit ihrer unaufhebbaren Gegensätzlichkeit von Demokratie und Diktatur zwingt zu neuen Fragen auch an frühere Epochen; die Relativität historischer Erkenntnis wird dadurch deutlicher sichtbar.152 Zudem wurden insbesondere in ostdeutschen und Moskauer Archiven Quellenbestände zugänglich, deren Existenz teilweise zuvor nicht einmal bekannt war. Diese Veränderungen blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte, die sich erneut thematisch, zeitlich und methodisch erheblich ausgeweitet hat. Diese Ausweitung hat sich auch quantitativ niedergeschlagen. Von den 600 Bänden, die das Institut für Zeitgeschichte in seiner fünfzigjährigen Geschichte veröffentlichte, ist allein ein knappes Drittel seit 1992 erschienen; seitdem publiziert das Institut in seinen Reihen Jahr für Jahr etwa 30 Bände. Dies erfordert die höchste Anspannung der personellen und finanziellen Ressourcen und muß auch vor dem Hintergrund zahlreicher Veröffentiichungen der Mitarbeiter gesehen werden, die Jahr für Jahr außerhalb der Institutspublikationen aufgrund der Kooperation mit anderen Einrichtungen erscheinen. Aber auch die Lage des Instituts für Zeitgeschichte in der Forschungslandschaft hat sich in mancher Beziehung nach der Wiedervereinigung verändert: Seitdem sind mit öffentlichen Mitteln, sei es aus dem Haushalt des Bundes, aus Landesmitteln oder aus Stiftunsgbewilligungen zahlreiche neue Institute mit zeitgeschichüicher Thematik gegründet worden. Sie alle sind indes thematisch und zeiüich ungleich spezieller, kein zweites Institut behandelt ohne grundsätzliche thematische Begrenzung die gesamte Zeitgeschichte seit dem Ersten Weltkrieg. Insofern bewegt sich der sukzessive Ausbau des Instituts im Rahmen des schon während der frühen 1950 er Jahren formulierten Auftrags. Und auch in bezug auf die Verbindung von allgemein zugänglicher großer Forschungsbibliothek, Archiv, Gutachtertätigkeit für Gerichte und Behörden ist das Institut singulär geblieben, und dies über deutsche Grenzen hinaus. Auf der anderen Seite zwingen verschiedene Faktoren, darunter auch die ständige Verminderung der Mittel des ordenüichen Wirtschaftsplans und die sich in den letzten Jahren erheblich intensivierende 152

Vg. Horst Möller, Die Relativität historischer Epochen: Das Jahr 1945 in der Perspektive des Jahres 1989, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 18-19 (1995), S. 3 - 9 .

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Drittmitteleinwerbung zu Veränderungen u n d Konzentration. Dabei mag die große Zahl der Veröffentlichungen, in denen sich die Entwicklung der Zeitgeschichte spiegelt - was vor allem für die „Vierteljahrshefte f ü r Zeitgeschichte" gilt 153 - darüber hinwegtäuschen, daß auch in der Vielfalt der methodischen, thematischen u n d zeitlichen Ansätze der am Institut betriebenen Forschungen ein einheitstiftendes Prinzip liegt. Sein Thema ist die erwähnte Trias: Das Institut untersucht die Zentralthemen dieses Jahrhunderts in ihrem inneren Zusammenhang u n d ihren verschiedenen Dimensionen: Begründung, Gefährdung u n d Auflösung der Demokratie durch totalitäre Bewegungen u n d Diktaturen, schließlich deren Verfall u n d die Wiederbegründung der Demokratie. Dabei zwingt die dialektische Wechselwirkung, in der Kultur, Politik, Gesellschaft u n d Wirtschaft stehen, zur Berücksichtigung aller genannter Sektoren, freilich in exemplarischer Weise. Der Tatsache, daß von isolierten Nationalgeschichten im 20. J a h r h u n d e r t immer weniger die Rede sein kann, hat das Institut für Zeitgeschichte in den letzten Jahren nicht allein durch Verstärkung der internationalen Kooperation Rechnung getragen, sondern durch eigene komparatistische Projekte. Auch in dieser Hinsicht bleibt es unter den zeitgeschichtlichen Instituten singulär.

153

Vgl. Hans Maier, S. 169-176. Hrsg. der VfZ: Theodor Eschenburg und Hans Rothfels (1953-1978), Karl Dietrich Bracher und Hans-Peter Schwarz (seit 1978), ab 1993 gemeinsam mit Horst Möller.

Hans Buchheim / Hermann Graml Die fünfziger Jahre: Zwei Erfahrungsberichte Hans Buchheim: Uns, den ersten fest angestellten Mitarbeitern des Instituts, bot sich damals die einzigartige Gelegenheit, das zu erforschen, was wir kurz zuvor in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft selbst erlebt hatten, jedoch nur fragmentarisch im eigenen Alltag und insgesamt mehr oder weniger verschleiert und irreführend dargestellt, mithin als so weitgehend eingeschränkte Wirklichkeit, daß das tatsächlich Erlebte nicht die Wirklichkeit gewesen war. Grundlage unserer Forschung war in erster Linie der umfangreiche Bestand von Schlüsseldokumenten, die Beauftragte der Sieger aus den Papiermassen des erbeuteten Schriftgutes erstaunlich kenntnisreich für die Nürnberger Prozesse ausgesondert hatten. Hier stand eine Dokumentation zur Verfügung, die es erlaubte, die Grundzüge der nationalsozialistischen Herrschaft gesichert zu erfassen: die Art und Weise ihrer Ausübung, den Verlauf der wichtigen und für sie charakteristischen Ereignisse, die Vorstellungen und Entscheidungen der Täter. Das konnte bereits Mitte der fünfziger Jahre geleistet werden. Viel später hat Martin Broszat einmal gesagt, wirklich Neues sei in den folgenden Jahrzehnten nur auf den Gebieten der Wirtschafts- und der Sozialgeschichte hinzugekommen. Ohne die Nürnberger Dokumente wären wir nicht in der Lage gewesen, bereits sehr früh zwei Uberblicksdarstellungen vorzulegen: erstens den von Hermann Mau verfaßten, nach seinem Tod von Helmut Krausnick mit den Abschnitten „Verfolgung", „Widerstand" und „Zusammenbruch" zu Ende geführten Beitrag zu dem 195S erschienenen Handbuch „Deutsche Geschichte im Uberblick"1; zweitens einen im Auftrag 1

Hermann Mau/Helmut Krausnick, Hitler und der Nationalsozialismus 1933-1945, in: Deutsche Geschichte im Überblick. Ein Handbuch, hrsg. unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter von Peter Rassow, Stuttgart 1953, 2 1962, S. 666-736. Als selbständige

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der in Aufstellung begriffenen Bundeswehr geschriebenen Überblick für das fünfbändige Kompendium „Schicksalsfragen der Gegenwart" (1957ff.), das als Grundlage „für den staatsbürgerlichen Unterricht in der Truppe" diente 2 . Auch diese Arbeit erschien 1958 zusätzlich als kleines Buch, welches in hoher Auflage von der damals noch so genannten „Bundeszentrale für Heimatdienst" (später: für politische Bildung) an Schulen u n d Einrichtungen der Erwachsenenbildung verteilt wurde. Sich über das Geschehen einer miterlebten finsteren Zeit Aufklärung zu verschaffen, war nicht n u r das Abenteuer von uns j u n g e n Leuten, sondern dominierte auch in der ersten Planung des Wissenschaftlichen Beirats. Auf seiner konstituierenden Sitzung am 11. September 1950 wurden nach dem Protokoll folgende Themen vorgeschlagen: - das Werk der Geschwister Scholl - der Reichstagsbrand - Bayreuth u n d Hitler - Moeller van den Bruck/Tatkreis - die Ereignisse des 30. Juni 1934 - die „Kristallnacht" - Dokumente zur Vorgeschichte des 20. Juli 1944 Das bedeutete freilich auch, daß alles, was man nicht selbst erlebt oder beobachtet hatte, im Forschungsprogramm fehlte. Was heute als die grausame Wirklichkeit der Hitler-Despotie offenkundig ist, j a in einem Maße im Zentrum der Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Zeit steht, daß der Blick auf die Vielschichtigkeit und Komplexität der Gesamtwirklichkeit verstellt zu werden droht, lag im Bewußtsein der Zeitgenossen des fünften und des sechsten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts in einer Grauzone - offensichtlich auch f ü r die Mitglieder des Beirats, die doch allesamt ausgewiesene Gegner der Nationalsozialisten gewesen waren, zum Teil auch Opfer wie Hermann Brill und Eugen Kogon. Selbst wo die Aufmerksamkeit sich auf die Verbrechen gegen die Menschheit richtete, waren sie damals nicht unter den Namen von

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Buchveröffentlichung erschienen unter Hermann Mau/Helmut Krausnick, Deutsche Geschichte der jüngsten Vergangenheit 1933-1945, mit einem Nachwort von Peter Rassow, Stuttgart 1956, Bonn 2 1960. Des weiteren erschienen Sonderausgaben der Bundeszentrale für Heimatdienst. Englische Ubersetzung 1962. Hans Buchheim, Grundlagen und politische Entwicklung des Dritten Reiches, in: Schicksalsfragen der Gegenwart. Handbuch politisch-historischer Bildung, hrsg. vom Bundesministerium für Verteidigung, Innere Führung, zweiter Band, Tübingen 1957, S. 114—157; weitere Beiträge von Institutsmitarbeitern: Helmut Krausnick, Die Wehrmacht im Dritten Reich, in: ebd., S. 282-329; Paul Kluke, Die englische Heeresreform 1906-1914, in: ebd., S. 256-281.

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Auschwitz, Sobibor, Treblinka, Majdanek gegenwärtig, vielmehr n u r unter „Buchenwald" u n d Dachau". Haben die Zeitgenossen gewußt, was geschah, wenn sie fürchteten, es sei so, u n d hofften, es sei nicht so? Daß dieses weite Feld unter den ersten vom Beirat vorgeschlagenen Forschungsvorhaben fehlte, hatte einen Grund allerdings auch darin, daß die erforderlichen Quellen, also die erwähnten Nürnberger Dokumente, nicht vor 1952 in Fotokopien in das Institut kamen. Bis dahin lagen lediglich die vom Internationalen Militärgerichtshof in 42 Bänden veröffentlichten Protokolle u n d in den Verhandlungen verwendeten Dokumente des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher (sogenannte Blaue Serie) vor. Da aber natürlich n u r bearbeitet werden konnte, wofür wissenschaftlich ausreichende Voraussetzungen bestanden, herrschten anfangs Themen aus dem geistigen Inkubationsbereich des Nationalsozialismus sowie zur Stellung des Militärs im Dritten Reich vor. Die drei ersten Monographien, die im Auftrag des Instituts entstanden und auch von ihm herausgegeben wurden, waren Hermann Foertschs Buch „Schuld und Verhängnis" über die Fritsch-Krise von 19383, meine Untersuchung über die „Deutschen Christen" u n d die „Deutsche Glaubensbewegung" 4 u n d Erich Matthias' „Sozialdemokratie und Nation" 5 . Im Auftrag des Instituts erschien unter dem Titel „Utopien der Menschenzüchtung" im Kösel-Verlag ferner Hedwig Conrad-Martius' Studie über den Sozialdarwinismus 6 , die auch insofern als Leistung des Instituts gelten kann, als das von der Autorin gelieferte Manuskript von uns erheblich über- u n d umgearbeitet werden mußte. Kurt Sontheimers .Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik" ging ebenfalls auf die frühe Planung u n d einen Auftrag des Instituts zurück. 7 Der erste Band der Reihe „Quellen u n d Darstellungen zur Zeitgeschichte" war 1957 Peter Schneiders „Ausnahmezustand u n d Norm", eine Arbeit zur Rechtslehre von Carl Schmitt 8 . Die früheste Publikation

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Hermann Foertsch, Schuld und Verhängnis. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 als Wendepunkt in der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, Stuttgart 1951. Hans Buchheim, Glaubenskrise im Dritten Reich. Drei Kapitel nationalsozialistischer Religionspolitik, Stuttgart 1951. Erich Matthias, Sozialdemokratie und Nation. Zur Ideengeschichte der sozialdemokratischen Emigration 1933-1938, Stuttgart 1952. Hedwig Conrad-Martius, Utopien der Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus und seine Folgen, München 1995. Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1962. Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957.

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in j e n e r Reihe zu den Verbrechen an den Juden erschien erst 1961: die von Martin Broszat eingeleiteten u n d kommentierten Aufzeichnungen des Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höss 9 . Den in den Nürnberger Dokumenten überlieferten Augenzeugenbericht Kurt Gersteins über die „Massenvergasungen" publizierte Hans Rothfels aber schon im zweiten Heft des ersten Jahrgangs der „Vierteljahrshefte f ü r Zeitgeschichte" 10 . Ebenfalls bereits 1953 steuerte das Institut zu den Veröffentlichungen der Bundeszentrale für Heimatdienst Hermann Gramls Untersuchung „Der 9. November 1938. Reichskristallnacht" bei, die bis zum Ende des Jahrzehnts sechs Auflagen erlebte. 11 Die Frage, warum von den Mitarbeitern des Instituts keine größeren Werke aus den fünfziger Jahren vorliegen, ist einfach zu beantworten. Unsere Aufmerksamkeit u n d unsere Zeit waren im Ubermaß von der Beantwortung zahlreicher Anfragen u n d von der Ausarbeitung der unterschiedlichsten Gutachten, vornehmlich für Behörden und Gerichte, in Anspruch genommen. Inhaltlich handelte es sich meist um Probleme, die sich beim Vollzug der Wiedergutmachungsgesetzgebung u n d des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 GG fallenden Personen ergaben, häufiger auch um Stellungnahmen zu Vereinigungen, die in der Anfangszeit des Dritten Reiches verboten oder „gleichgeschaltet" worden waren, gelegentlich auch um gutachtliche Beteiligung an Strafverfahren gegen Deutsche, die politisch motivierte Verbrechen an Deutschen begangen hatten (nur diese fielen j a anfangs in die Zuständigkeit der deutschen Justiz). Brauchbare Auskünfte konnten wir am ehesten in den Angelegenheiten erteilen, die mit dem Artikel 131 GG zu tun hatten, weil dafür die Quellen, das heißt zeitgenösssiche Drucksachen, reichlich vorhanden waren: zum Beispiel das Reichsgesetzblatt, die Verordnungsblätter der einzelnen NS-Organisationen, die „Verfügungen, Anordnungen u n d Bekanntgaben" der Partei-Kanzlei, Dienstranglisten der SS usw. Hingegen stellten sich große Schwierigkeiten, wenn es um Sachverhalte nationalsozialistischer Verfolgung ging. In einem Brief schrieb ich 1955: „Einen sehr großen Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich damit, recht u n d schlecht Anfragen zu beantworten, die sich auf die nationalsozialistischen Verfol9

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Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen von Rudolf Höss. Eingeleitet und kommentiert von Martin Broszat, Stuttgart 1961. Hans Rothfels, Augenzeugenbericht zu den Massenvergasungen, in: VfZ 1 (1953), S. 177-194. Hermann Graml, Der 9. November 1938. „Reichskristallnacht" (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, Heft 2), Bonn 1953, 6 1958.

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gungsmaßnahmen beziehen. Dabei sehe ich immer wieder, auf welch unsicherem Boden häufig die Urteilsfindung steht, wie wenig wir aber auch daran ändern können, weil uns die Kräfte fehlen, die Fülle des Quellenmaterials für die speziellen Zwecke der Entschädigungsgerichtsbarkeit zu sichten." Jedoch verfuhren wir bei allen Anfragen u n d Gutachten nach dem Grundsatz, daß es besser sei, (als solche ausdrücklich gekennzeichnete) lückenhafte u n d unvollkommene Auskünfte zu geben als gar keine. Erwähnt sei eine kuriose Einzelheit: Auschwitz fiel nicht unter den gesetzlichen Begriff der Deportation, weil es nicht außerhalb der Reichsgrenzen gelegen war. - Eine Sammlung j e n e r Gutachten, die allgemeine Bedeutung beanspruchen konnten, ist in zwei Bänden „Gutachten des Instituts f ü r Zeitgeschichte" veröffentlicht 12 . Das geschah über die sachliche Begründung hinaus auch, um zu zeigen, daß wir nicht untätig geblieben waren, obgleich wir keine Monographien aufzuweisen hatten. Hans Rothfels, damals Vorsitzender des Beirats, hat uns Mitarbeiter einmal mit dem Ausdruck des Bedauerns gefragt, wann uns denn vor lauter Anfragenbearbeitung Zeit bleibe für unsere eigene u n d eigentlich wissenschaftliche Forschung. Das war gut gemeint, aber gerade auch im Hinblick auf unser eigenes Interesse n u r bedingt berechtigt. Denn erstens verschaffte uns das Bemühen, in der Regel sehr spezielle Fragen zu beantworten, eine solide Kenntnis der für die Herrschaftspraxis des NS-Regimes so typischen Verschränkung penibelster Verwaltung mit Willkürmaßnahmen, die sich über j e d e staatliche Disziplin hinwegsetzten. Die von Dieter Reben tisch treffend als „atavistischer Personenverband" charakterisierte Herrschaft wies gewissermaßen an ihrer Unterseite ein detailliert bürokratisch funktionierendes Regelwerk auf. Zweitens war es gerade der Zwang, uns ständig auf Einzelheiten einzulassen, durch den wir Mitarbeiter im Laufe der Zeit j e n e Kennerschaft und Vertrautheit mit dem Gegenstand unseres Interesses gewannen, die zu sicherem Urteil befähigen. Drittens schließlich mußten unsere Auskünfte u n d Gutachten unbedingt zuverlässig sein, in erster Linie weil sie amtliche Entscheidungen beeinflußten u n d damit zugleich die Belange der davon Betroffenen, dann aber auch, weil es j a um Stellungnahmen „des Instituts" u n d damit um dessen Ansehen ging. Das zwang zu einer besonderen Gründlichkeit der Nachforschungen und einer

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Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Band 1: München 1958, Band 2: Stuttgart 1966. Insgesamt erstellte das Institut für Zeitgeschichte seit seiner Gründung etwas mehr als 8000 Gutachten.

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besonderen Gewissenhaftigkeit der Schlußfolgerungen aus den gefundenen Daten; beides ist natürlich auch für rein akademische Studien gefordert, doch hat dort mangelhafte Erfüllung der Forderungen lediglich eine schlechte Note für den Verfasser zur Folge, nicht aber Schaden für Dritte. Den gleichen erzieherischen Effekt hatten einige Jahre später unsere mündlich erstatteten Gutachten in den NSG-Prozessen. Da waren es insbesondere die Rechtsanwälte, die immer auf dem Sprung waren, dem Sachverständigen Fehler nachzuweisen, wenn er für ihre Mandanten ungünstige Aussagen machte. Zuweilen versuchten sie auch, ihm eine Überschreitung seiner Kompetenz vorzuhalten. Ich entsinne mich, einmal eine Bemerkung über Hitler gemacht zu haben, in der ich die Vokabel „psychologisch" gebrauchte, wie man es im Alltag zuweilen tut. Sofort sprang der Anwalt auf u n d fragte, ob der Herr Sachverständige ein Studium der Psychologie nachweisen könne. Unsere Gutachten u n d Aussagen in den NSG-Prozessen bezogen sich fast nie auf die speziellen Umstände des Falles, der verhandelt wurde. Diese waren in den Anklageschriften so genau dargestellt, wie wir es allein auf der Basis der im Institut vorhandenen Unterlagen niemals hätten leisten können. Unsere Aufgabe bestand vielmehr darin, die Prozeßbeteiligten in die allgemeinen Fakten u n d größeren Zusammenhänge einzuführen, in denen der spezielle Fall gestanden hatte, ihnen also gewissermaßen ein historisches Propädeutikum zu liefern. Musterbeispiele sind die Gutachten, welche die Kollegen Broszat, Jacobsen, Krausnick u n d ich im Auschwitz-Prozeß erstattet haben. Sie sind unter dem Titel ,.Anatomie des SS-Staates" veröffentlicht. Interessant sind die Umstände, unter denen diese Gutachten in den Prozeß eingeführt wurden. Normalerweise werden Gutachten j a vom Gericht angefordert, und so war es d e n n auch meist bei den zahlreichen Prozessen der folgenden Jahre, zu denen wir als Sachverständige geladen waren. Für den Auschwitz-Prozeß dagegen forderte der damalige Generalstaatsanwalt Fritz Bauer die Gutachten an, was uns, da wir noch keine forensischen Erfahrungen hatten, nicht als Besonderheit auffiel. Als wir dann am Morgen des Tages, zu dem wir - wieder von der Staatsanwaltschaft - geladen waren, im Frankfurter „Römer" eintrafen, mußten wir auf dem Flur warten, anstatt unsere Ankunft dem Gericht anzuzeigen. Erst nach geraumer Zeit wurden wir in den Gerichtssaal gebeten. Daß der Vorgang merkwürdig war, wurde mir später bewußt, doch konnte ich mir die Merkwürdigkeit nicht erklären. Erst bei der Veranstaltung - wieder in j e n e m Saal des „Römer" - aus Anlaß des

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30. Jahrestags des Prozeßbeginns e r f u h r ich des Rätsels Lösung. Zwischen Bauer u n d dem Gericht schwelte eine Meinungsverschiedenheit. Bauer wollte den Prozeß auch als Beitrag zur Aufklärung der Öffentlichkeit über die Verbrechen des NS-Regimes verstanden wissen, während das Gericht sich ausschließlich darauf konzentrieren wollte, über die Schuld oder Nichtschuld der einzelnen Angeklagten zu befinden. Bauer befürchtete daher, das Gericht könne beschließen, auf die Gutachten zu verzichten. Um das zu verhindern, bediente er sich eines prozeßtaktischen Tricks: Nach der Strafprozeßordnung ist ein Gericht gezwungen, „präsente Beweismittel" zur Kenntnis zu n e h m e n - und das waren wir, da wir j a vor der Tür saßen. Ein weiterer Fall der Mitwirkung an einer öffentlichen Aufgabe aus Gründen wissenschaftlicher Zuständigkeit sei noch erwähnt, der ebenfalls einen Gewinn für meine eigene Arbeit brachte. Der Personalgutachterausschuß der Bundeswehr, der über die Wiedereinstellung von Offizieren der Wehrmacht - vom Oberst an aufwärts - zu entscheiden hatte, bildete 1957 eine „Sonderprüfgruppe" für ehemalige Angehörige - aller Dienstgrade - der Waffen-SS, die sich um Einstellung in die Streitkräfte bewarben. Die einzelnen Untergruppen bestanden aus drei oder vier Zivilisten, zwei älteren Offizieren u n d einem Psychologen. Die Zivilisten waren selbstverständlich vom Nationalsozialismus gänzlich unbelastete Leute u n d zudem nach Alter u n d Beruf Personen mit guter Menschenkenntnis. In der Untergruppe, der ich angehörte, waren das ein Oberpostpräsident a. D., eine Oberstudiendirektorin a. D. u n d Ehrengart Schramm-v.Thadden, die Ehefrau von Percy Ernst Schramm. Ich hätte da nach Alter u n d mangelnder Lebenserfahrung nichts zu suchen gehabt, war aber als Spezialist für die SS berufen worden. In dieser Eigenschaft war ich, über die Mitwirkung in meiner Gruppe hinaus, für eine in Vorentscheidung m ü n d e n d e Vorprüfung aller Anträge zuständig, und zwar auf der Grundlage der vom Document Center in Berlin gelieferten Personalakten, die sich übrigens ills höchst gehaltvoll erwiesen. Von vornherein auszuscheiden hatte ich alle Bewerber, die nicht ausschließlich den rein militärischen Einheiten der Waffen-SS angehört hatten. Die Befragung des einzelnen Bewerbers dauerte circa eineinhalb Stunden und bezog sich hauptsächlich auf Einzelheiten seiner Dienstzeit u n d auf die Motive seines Eintritts in die Waffen-SS; auch sollte natürlich festgestellt werden, ob noch ideologische Befangenheit gegeben war. Die Erfahrung lehrte zunächst, daß eine so gründliche Befragung durch ein Gremium der genannten Qualität zwar nicht mit letzter Ge-

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wißheit, wohl aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zutreffendes Bild gewinnen ließ, wes Geistes Kind ein Bewerber ist. Die zweite Erfahrung war nicht o h n e weiteres zu erwarten: Bei den meisten Bewerbern führte die genaue Kenntnis ihrer Biographie zur Ermittlung ganz persönlicher plausibler Gründe für ihren Beitritt zur SS u n d für ihren Werdegang in der SS u n d überdies zu dem Ergebnis, daß eine etwa noch vorhandene ideologische Befangenheit ausgeschlossen werden durfte. Frau Schramm-v. Thadden, die diese Erfahrung mit uns anderen teilte, rief einmal aus: „Ich möchte n u r wissen, wo die Nazis waren." Ich habe versucht, mir die nicht erwartete Erfahrung zu erklären. Unser aller Lebensführung ist letztlich u n d überwiegend von unserem eigenen nicht-politischen Alltag u n d von dem unserer nächsten sozialen Umwelt geprägt. In diesem Alltag leben wir in jedem Augenblick und im vollen Umfang unseres Daseins. In der Sphäre der Politik hingegen werden wir nur von Fall zu Fall u n d teilweise tätig. So war es auch bei dem von uns befragten Bewerber: Seine Aktivität in der Sphäre der Politik war n u r ein Faktor seiner Lebensführung unter anderen u n d für diese von entsprechend relativer Bedeutung gewesen. Deshalb konnte er niemals gänzlich und endgültig in der Ideologie des Systems befangen sein, sondern n u r partiell u n d nur so, daß er seinen Anteil an ihr nicht aus eigenem Vermögen durchzusetzen vermochte, als sie ihre öffentlich-allgemeine Bedeutung verloren hatte. Auch das nicht-politische Alltagsleben einer Bevölkerung insgesamt steht gewissermaßen quer zur Politik. Obgleich sie das gesamte soziale Leben betrifft und beeinflußt, ist die Sphäre der Politik für den nicht-politischen Alltag einer Gesellschaft doch n u r ein Faktor unter vielen anderen, der ihr letztlich äußerlich bleibt. Das gilt vom republikanischen Verfassungsstaat bis zu den totalitären Systemen. Diese wollen zwar nach ihrem Begriff u n d ihrer Zielsetzung den Alltag einer Bevölkerung fest in die Hand bekommen, können es aber nicht. Der Alltag erweist sich als resistent. Das galt übrigens für das nationalsozialistische System m e h r als für das der SED. Denn die vom Marxismus-Leninismus geprägte Praxis griff erheblich verändernd auch in den Alltag ein, während das NS-Regime typischerweise den gegebenen Alltag manipulierte - u n d damit größere Verführungskraft besaß. Der Blickwinkel auf die Spanne der Zeitgeschichte ist generationsbedingt verschieden. Es hat in den fünfziger Jahren gewiß nicht an der öffentlichen Auseinandersetzung mit der schlimmen Vergangenheit gefehlt. Doch ging man begreiflicherweise von der eigenen Erfahrung aus, für die galt, was eingangs bemerkt wurde: was wir tatsächlich erlebt

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hatten, war nicht die Wirklichkeit gewesen. Daher mußten wir, die wir erforschten, was wirklich geschehen war, in den vielen Veranstaltungen, f ü r die wir gefragte Vortragende waren, immer wieder klarmachen, daß die Naziherrschaft nicht so vergleichsweise normal war, wie sie viele unserer Hörer im Alltag erlebt hatten. Heute dagegen muß man seinen Hörern erklären, daß der Alltag j e n e r Jahre nicht von den Verbrechen gegen die Menschheit geprägt war, in denen die Wirklichkeit des Nationalsozialismus sich schauerlich vollendete. Vielmehr war der Alltag von Ausnahmen wie der „Reichskristallnacht" abgesehen - geeignet, den Blick auf diese Wirklichkeit zu verstellen (übrigens scheint den Nachgeborenen nicht bewußt zu sein, daß mit der Wortschöpfung „Reichskristallnacht" kritischer Volksmund sich ironisch artikulierte, weshalb es abwegig ist, daraus eine „Reichspogromnacht" zu machen). Weil damals der Alltag gewissermaßen quer zur Wirklichkeit stand, ist es ein Irrtum zu meinen, die Erforschung u n d Darstellung der Alltagsgeschichte fördere die Erkenntnis der Wirklichkeit. Das Münchner Stadtmuseum zeigte 1994 eine Ausstellung über den Alltag Münchens als „Hauptstadt der Bewegung". In einer Rezension (Süddeutsche Zeitung vom 13. Januar 1994) wurde dazu kritisch geschrieben, diese Ausstellung könne das Stammtischgemeinschaftsgefühl derer stärken, die auf eine solche museal-offizielle Verniedlichung u n d Verdumpfung der großen politischen Katastrophe Deutschlands n u r gewartet haben. Recht hat er, der Rezensent.

Hermann Graml: Ein paar Jahre j ü n g e r als Hans Buchheim u n d von 1953 bis 1957 n u r als studentische Hilfskraft im Institut tätig, muß ich ihn, meinen damaligen Chef u n d Lehrer, doch in einem Punkt korrigierend ergänzen. Im ersten Satz seines vorstehenden Berichts spricht er von „fest angestellten Mitarbeitern" des Instituts. Diese Formulierung erweckt einen Eindruck von Sicherheit, wie sie in Wahrheit keineswegs bestanden hat. Zwar gab es das Institut tatsächlich, und so konnten Mitarbeiter fest oder weniger fest angestellt werden, die sich dann in der Tat mit Gutachten, Vorträgen u n d Aufsätzen bemerkbar machten (mit Aufsätzen u n d Dokumentationen seit Anfang 1953 nicht zuletzt in den rasch Ansehen gewinnenden Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte). In einem strengen juristischen Sinne gab es das Institut jedoch nicht, das heißt ihm fehlte noch das, was man „Rechtsform" nennt. Die Institution, in

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der fest angestellte Historiker wie Hans Buchheim, Helmut Heiber, Martin Broszat u n d seit Frühjahr 1960 zum Beispiel auch Lothar Gruchmann und ich so wacker wirkten, konnte mithin jederzeit sanft entschlafen oder ohne größeren juristischen u n d politischen Aufwand eingeschläfert werden. Das Institut stellte außerdem auch insofern ein Prekarium dar, als die Parlamente der Geldgeber, also des Bundes und der Länder, J a h r für Jahr nicht nur über die Höhe unseres Etats befanden, sondern zunächst einmal über die Frage, ob wir überhaupt weiterhin finanziert werden sollten. Da sich das Richtige u n d das Vernünftige nicht von selber durchsetzen, wie das heutzutage sogar manche Historiker a n n e h m e n u n d fordern zu dürfen glauben, hatte das Institut in der einen oder anderen Partei nicht n u r Freunde, u n d da in den öffentlichen - wie auch in den privaten - Haushalten damals noch Schmalhans Küchenmeister war, in einem ganz anderen Sinne als gegenwärtig, war das finanzielle Argument in der H a n d unserer Gegner nicht ganz ungefährlich. Wer seinerzeit dem Institut angehörte, wird sich noch heute dankbar an die Hilfe erinnern, die uns in den parlamentarischen Gremien etwa - um n u r zwei Namen zu n e n n e n - Hildegard Hamm-Brücher von der FDP u n d Prälat Meixner von der CSU leisteten. Aber noch im Rückblick ist zu erkennen, daß uns die Unsicherheiten in der Lage des Instituts u n d damit auch in der persönlichen Situation n u r wenig beschwerten. Das lag nicht allein daran, daß die Mannschaft des Instituts überwiegend aus sehr j u n g e n Leuten bestand, u n d auch nicht so sehr daran, daß wir noch unter dem Einfluß einer Zeit standen, in der ein Begriff wie Sicherheit für uns nicht die Vorstellung von Planstellen und Tarifabschlüssen beschworen hatte, sondern eher von Schützenlöchern u n d Luftschutzkellern. Hans Buchheim war schwer verwundet worden, u n d auch an Thilo Vogelsang, dem Leiter der Bibliothek u n d bald Verfasser einer grundlegenden Studie über Reichswehr, Staat u n d NSDAP, konnte man beim Baden während eines sommerlichen Betriebsausflugs eine beträchüiche Einkerbung im Rücken entdecken; Heinz Förster, unser erster Verwaltungsleiter, war aus einem Gefangenenlager in Polen ausgebrochen u n d auf abenteuerlicher Flucht in die US-Zone gelangt, u n d Helmut Heiber hatte harte Jahre in einem jugoslawischen Gefangenenlager hinter sich. Wichtiger war jedoch etwas anderes. Einmal vertrauten wir zuversichtlich - und mit Recht - darauf, daß das Institut schon am Leben bleiben u n d irgendwann einmal eine Rechtsform bekommen werde. Vor allem aber waren wir mit einem Enthusiasmus am Werke, der Gedanken an

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materielle und soziale Sicherung, an Stellung u n d Karriere als zweitrangig erscheinen ließ. Dem, was Hans Buchheim hier die „Wirklichkeit" genannt hat, spürten wir mit Leidenschaft nach. Das geschah sicherlich auch als ganz persönliche Auseinandersetzung mit der Periode des Nationalsozialismus, als Weg zur Selbstreinigung u n d zur Bestimmung des eigenen geistigen u n d politischen Ortes. Mehr noch geschah es indes zur Vorbereitung und Ermöglichung einer Vermittlerfunktion. Wir glaubten, daß wissenschaftlich fundierte Aufklärung über das Dritte Reich - u n d nicht etwa schnell fertige bloße Gegenpropaganda - für die Lösung der Deutschen aus den Fesseln der nationalsozialistischen Irrlehren von größter Bedeutung, j a unverzichtbar sei, u n d so machten wir uns mit geradezu missionarischem Eifer daran, die Funde, die bei unseren Forschungen anfielen, u n d das Gesamtbild der NS-Herrschaft, das allmählich entstand, unseren Landsleuten mitzuteilen. Wenn ich mir den hochgemuten Eifer ins Gedächtnis rufe, mit dem wir im Dienste einer als lebenswichtig eingeschätzten Aufgabe zu Felde zogen, aber auch wenn ich mich an das b r e n n e n d e Interesse erinnere, dem unsere Vorträge und ersten Studien begegneten, an die lebhaften Diskussionen, die sie auslösten, dann - das muß ich gestehen - empfinde ich die inzwischen offenbar zur herrschenden Lehrmeinung gewordene - u n d auch von hochgeschätzten Kollegen vertretene - Ansicht, in den fünfziger Jahren hätten die Deutschen die nationalsozialistische Vergangenheit verdrängt und die Auseinandersetzung mit ihr verweigert, j e nach Stimmung entweder als eine Realitätsverfehlung, die einem an die rauhe Wirklichkeit politischer Prozesse recht hochnäsig gestellten moralisch-ästhetischen Perfektionsanspruch zu danken ist, oder einfach als komisches u n d mit nachsichtiger Gelassenheit aufzunehmendes Mißverständnis zwischen den Generationen, in j e d e m Falle aber als falsch. Gewiß trafen wir bei unserer missionarischen Aktivität auch auf Widerspruch u n d sogar auf bockbeinige Unbelehrbarkeit; schließlich durfte nicht erwartet werden u n d ist gerade von uns nicht erwartet worden, daß der Geist des Nationalsozialismus oder gar des Nationalimus mit der Niederlage verschwunden u n d daher unsere Botschaft kampflos durchzusetzen war. Aber weit häufiger fanden wir Bereitschaft zur Einsicht, ob wir nun vor Studenten oder Lehrern referierten, vor j u n g e n Juristen oder Offizieren der entstehenden Bundeswehr, u n d es gelang uns auch, die Bereitschaft zur Einsicht in Einsicht zu verwandeln - nicht anders, als wir es an uns selbst erfahren hatten - , u n d notwendigerweise war solche Einsicht mit Trauer, Scham und Reue verbunden.

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Deshalb bin ich überdies geneigt, Alexander u n d Margarete Mitscherlichs Behauptung von der „Unfähigkeit zu trauern" 1 3 u n d die von ihr, wie Giordano sagt, begründete „zweite Schuld" der Deutschen 14 , sofern damit tatsächlich eine Mehrheit der Nation angeklagt werden soll, für das Konstrukt von Intellektuellen zu halten, zweifellos guten Glaubens verfochten, doch weit entfernt von den bundesrepublikanischen Realitäten der fünfziger Jahre. Helmut Krausnick, zunächst der zweite Mann, in den sechziger Jahren dann der Leiter des Instituts, hat damals des öfteren gesagt, wir hätten es j a vergleichsweise leicht, den Deutschen die Lehren der Vergangenheit nahezubringen: Noch habe jederm a n n den Lärm des Krieges im O h r u n d die Ängste des Krieges auf dem Gemüt, noch erinnerten sich die Mägen von Millionen an böse Hungerzeiten, wenn n u r das Wort „Gefangenschaft" falle, u n d noch habe j e d e r nicht gänzlich Verstockte, ob er es n u n zugebe oder nicht, die Bilder von befreiten Konzentrationslagern wie Dachau u n d Bergen-Belsen im Gedächtnis; unsere Nachfolger würden sich schwerer tun. Krausnicks Bemerkung zeigt im übrigen auch, daß wir die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und NS-Herrschaft als fortwährenden Prozeß u n d als eine nie e n d e n d e Aufgabe begriffen - u n d zwar als eine nationale Aufgabe, bei der Historiker wie wir lediglich die Tete zu halten hätten. Da wir unsere Anstrengung u n d die Teilhabe der Öffentlichkeit an ihr als eine - wie schon diese Wortwahl zeigt - Sache der Nation verstanden, steht aber ein Veteran zeitgeschichtlichen Bemühens wie ich auch etwas ratlos vor einer Debatte, wie sie Martin Walser 1998 mit seiner Rede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises angestoßen hat 15 . Gewiß: daß unsere Arbeit, wie Hans Buchheim gezeigt hat, jahrelang überwiegend in gutachterlicher Tätigkeit für Behörden u n d Gerichte bestand, hat uns allein schon zu strengster Nüchternheit im Umgang mit der NS-Vergangenheit erzogen. Der Begriff „Vergangenheitsbewältigung" war im Institut bereits in den fünfziger Jahren ein Unwort, ritualisierte „Vergangenheitsbewältigung", die es natürlich auch damals gegeben hat, war allenfalls ein Gegenstand m e h r oder weniger gutmütigen Spotts, obgleich wir in Gedenktagen durchaus nützli13

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Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1970. Ralph Giordano, Die zweite Schuld oder von der Last ein Deutscher zu sein, Hamburg 1987. Text der Rede vom 11. Oktober 1998 in Auszügen abgedruckt in der taz vom 12. Oktober 1998 unter der Überschrift „Die Banalität des Guten".

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che Stützen der Erinnerung gesehen haben, u n d Versuche, aus der Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen das Material für „Moralkeulen" zu gewinnen, fanden wir verwerflich; auf einem anderen Blatt steht, daß wir angesichts des grundsätzlichen Amoralismus der Nationalsozialisten die Entlarvung eben dieses Amoralismus u n d die Aufrichtung fester moralischer Maßstäbe sehr wohl als Teilaspekt der geistigen u n d politischen Erneuerung Deutschlands u n d damit auch als Teilaspekt unserer „Mission" ansahen. Es ist ebenfalls richtig, daß wir bei unserer Beteiligung an Entschädigungsverfahren gar nicht so selten auf Fälle fälschlich erhobener Ansprüche stießen, also auf den versuchten Mißbrauch eines ansonsten u n d insgesamt moralisch u n d rechüich nicht n u r vertretbaren, sondern gebotenen Vorgangs. Bei der Entschädigung für Verfolgung aus politischen u n d rassischen Gründen ist in den fünfziger Jahren sehr viel Geld bewegt worden, u n d solche Bewegung zog selbstverständlich auch Schwindler an. Wir waren n u n nicht der Meinung, daß die nationalsozialistischen Verbrechen, die den Entschädigungsprozeß verursachten, für die Bundesrepublik Deutschland und für die aus dem Institut für Zeitgeschichte kommenden Gutachter eine Verpflichtung zur Tolerierung von Mißbrauch begründeten; demgemäß haben wir uns als Gutachter verhalten. So wecken etliche Beobachtungen u n d Überlegungen Walsers beim ersten Hinsehen eine gewisse Sympathie. Bei genauerer Prüfung regt sich jedoch gegen einige zumindest mißverständliche Formulierungen u n d Gedanken vor allem Widerspruch. Zum Beispiel scheint Martin Walser - und mit ihm so mancher, der ihn kritisiert - die politische u n d finanzielle Instrumentalisierung der zwischen 1933 u n d 1945 angesammelten deutschen Schuld, namentlich der nationalsozialistischen Judenverfolgung, für einen Mißbrauch zu halten. Das ist falsch. Selbstverständlich hat Hitlers nahezu geglückter Versuch, zunächst einmal die europäische Judenheit auszurotten, nach dem Sturz des NS-Regimes weltweit zu einer besonderen Berücksichtigung jüdischer u n d dann auch israelischer Interessen - nicht allein jüdischer Gefühle - geführt, also zur politischen Instrumentalisierung der nationalsozialistischen Schuld; die amerikanische Politik war davon ebenso beeinflußt wie jahrelang die sowjetische, und selbst die britische, für die das spezielle Verhältnis zu arabischen Staaten als starkes Gegengewicht wirkte, ist nicht unberührt geblieben. Für uns lag es in den fünfziger Jahren auf der Hand, daß Vertreter jüdischer Organisationen u n d des Staates Israel naturgemäß erst recht von den Landsleuten der deutschen Täter u n d vom Nachfolgestaat

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des Dritten Reiches politische und wirtschaftliche Hilfe einfordern durften. In unseren Augen besaßen Juden und Israelis einen legitimen Anspruch auf solche Instrumentalisierung ihres Leids. Viele Deutsche in der Bundesrepublik waren schon damals ganz anderer Ansicht und haben aus Motiven, die von moralischer Stumpfheit über politische Dumpfheit bis zu simpler Zahlungsunlust reichten, diesen jüdischen Anspruch auf Instrumentalisierung offen und öffentlich als Mißbrauch hingestellt. Martin Walser steht mithin in einer alten Tradition. Aber die Argumentation der Instrumentalisierungsfeinde war seinerzeit unhaltbar und ist auch nicht deshalb richtiger geworden, weil inzwischen viel Zeit vergangen und eine neue Generation herangewachsen ist. Ich glaube nicht, daß es Altersstarrsinn ist, der sich weigert, von einer Auffassung Abschied zu nehmen, die vor Jahrzehnten gewonnen wurde, wenn ich sage, daß das spezifische Verhältnis, das deutsche Schuld zwischen Deutschen und ihrem Staat auf der einen und Juden und dem Staat Israel auf der anderen Seite geschaffen hat, nach wie vor besteht. Freilich kam es uns nie in den Sinn, die Anerkennung dieses Sachverhalts - die im übrigen der Wahrnehmung deutscher Interessen früher genützt hat und heute ebenfalls nützt - bedeute, daß jegliche Kritik an jüdischen Organisationen oder an Israel zu unterbleiben hat und jeder einzelne Akt israelischer Politik unterstützt werden muß. Doch war mir - ich denke mit Recht - stets bewußt, daß derartige Elemente von Normalität, die auch die deutschjüdischen Beziehungen kennen und brauchen, sich in diesen Beziehungen nur deshalb entwickeln konnten, weil wir nach der Einsicht handelten, daß die nationalsozialistischen Verbrechen die genannten politischen Folgen haben müssen. Soll jenes Maß an Normalität bleiben, ist die Einsicht auch heute und weiterhin zu respektieren. Noch verdutzter steht der Veteran allerdings vor der Forderung, die Martin Walser aufzustellen scheint, die Auseinandersetzung deutscher Gewissen mit Nationalsozialismus und nationalsozialistischen Verbrechen - beides ist j a nun nicht zu trennen - zur Privatsache der einzelnen Deutschen zu erklären, und zwar, um dadurch den Deutschen als Nation und Deutschland als Staat „Normalität" zu schenken - endlich. Selbstverständlich sind alle Deutschen - gerade auch die jüngeren Generationen - aufgerufen, sich auch persönlich und privat mit dem Weg Deutschlands in eine moralische, politische und militärische Katastrophe sondersgleichen zu befassen, zum Beispiel indem sie die Bücher lesen, die wir schreiben. Aber das hebt mitnichten das Leitprinzip auf, unter dem wir in den fünfziger Jahren angetreten sind oder das wir

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damals durch unsere Arbeit erworben haben, nämlich daß die Beschäftigung mit j e n e r Katastrophe über individuelles Bemühen hinaus eine naturgemäß auch öffentlich zu erfüllende politische Aufgabe der ganzen deutschen Gesellschaft u n d ihres Staates ist. Schon Walsers Prämisse ist falsch. Er lebt anscheinend in der Vorstellung, die Betrachtung der NS-Periode sei allein eine Frage des Gewissens, wo doch klar ist, daß Verstand u n d Vernunft mit von der Partie zu sein haben, wenn nicht n u r Trauer erreicht, sondern vor allem auch Erkenntnis gewonnen u n d gesichert werden soll; d e n n n u r Erkenntnis vermag für die rechte u n d dauerhafte Befreiung unserer Nation von Nationalsozialismus u n d ähnlichen Übeln zu sorgen. Und was die sogenannte „Normalität" angeht: Ignatz Bubis hat Martin Walser entgegengehalten, daß die Deutschen längst wieder eine normale Nation sind u n d Deutschland ein normaler Staat ist. Dem muß hinzugefügt werden, daß diese entstandene und geschaffene Normalität, zu der in den fünfziger Jahren - auch mit unserem Beitrag - die Grundlage gelegt worden ist, nach wie vor davon abhängt, daß sich die Nation vor der Aufgabe ständiger Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht drückt. Die von Walser vorgeschlagene Privatisierung der Auseinandersetzung wäre aber nichts anderes als kollektive Drückebergerei, die nicht ein Mehr, sondern ein Weniger an Normalität brächte, zumal sie den Deutschen die - unweigerlich sogleich millionenfach genutzte Freiheit zu individueller Drückebergerei gäbe. Martin Walser weiß das j a im Grunde auch. 1979 hat er gesagt, wenn er sich eine Zeitlang nicht gezwungen habe hinzuschauen, nämlich auf alles das, was Auschwitz symbolisiert, „merke ich, wie ich verwildere" 16 . Das erleichterte Aufatmen, das Martin Walsers Empfehlungen vielen unserer Landsleute verschafft hat, ist für jemand, der den Umgang mit der deutschen Zeitgeschichte in den fünfziger Jahren gelernt hat, sehr verräterisch u n d durchaus Anlaß zur Sorge.

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Martin Walser, Über Deutschland reden, Frankfurt/Main 1989, S. 31.

Das Institut und seine Abteilungen

Christoph Weisz/Ingrid Baass1 Die Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte Anfänge Durchstöbert man das Hausarchiv 2 des Instituts, so findet man zur Geschichte der Bibliothek - neben Wichtigem und Unwichtigem, neben Tätigkeitsberichten, Leistungsbilanzen, Statistiken und Klagen - zur eigenen Überraschung manches, das auch für uns, die wir schon lange hier arbeiten und mit der Geschichte des Hauses vertraut zu sein glaubten, interessant und neu ist. So möge der 50. Geburtstag des Instituts für Zeitgeschichte zum Anlaß genommen werden, ein bißchen in der Historie der Bibliothek zu kramen und einen Blick auch auf die früheren Zeiten zu werfen. Bereits in frühen Überlegungen zum geplanten Aufbau eines „Instituts zur Erforschung der Geschichte des Dritten Reichs" 3 wird davon ausgegangen, vordringlich sei, „die nötigen Materialien sowie das nationalsozialistische Schrifttum zu sammeln, das die Unterlage zu den geplanten Arbeiten bilden soll". 4 Mittels einer kurzfristig zu realisierenden regen Veröffentlichungstätigkeit sollte das zu gründende Institut

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Wir danken unserer Kollegin Ingeborg Ünal für wichtige Anregungen und kritisches Redigieren des Textes. IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv. Im folgenden werden die benutzten Bestandsgruppen und Berichtsserien mit der Zitierweise, die im vorliegenden Beitrag verwendet wird, aufgelistet: IfZ-Geschichte, Gründungsunterlagen 1945-1949; zit.: ED 105-[1] IfZ-Geschichte, Gründungsunterlagen 1950-1958; zit.: ED 105-[2] Kuratorium, Sitzungsprotokolle A. 1949-1961; zit.: ED 105-[3] Kuratorium, Sitzungsprotokolle B. 1952-1953; zit.: ED 105-[4] Wissenschaftlicher Beirat, Sitzungsprotokolle B. 1955-1958; zit.: ED 105-[5] Tätigkeitsberichte 1951-1961; zit.: ED 105-[6] Tätigkeitsberichte 1962-1969; zit.: ED 105-[7], Bis zur Festlegung des Namens „Institut für Zeitgeschichte" im Jahr 1952 wurden die unterschiedlichsten Namensformen verwendet. Fritz Baer (Bayerische Staatskanzlei) an Collecting Point München, 7. Oktober 1948 (ED 105- [ 1 ]).

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publizistisch aufklärend über die NS-Zeit wirken. Das Staatsabkommen von 1949, das zwischen Bayern, Hessen, Württemberg-Baden und der Freien Hansestadt Bremen abgeschlossen wurde, sah „neben der Unterrichtung der Öffentlichkeit über diese Zeit" auch „Vorarbeiten für wissenschaftliche Darstellung der Geschichte dieser Zeit" vor. Als weitere wichtige Aufgabe wurde festgelegt, „Dokumente, Berichte und Aussagen aus der Zeit der Vorgeschichte und der Geschichte des nationalsozialistischen Staates zu sammeln und zu ordnen". 5 Vorab hatten sich die Verantwortlichen bereits ausgiebig mit Organisationsfragen beschäftigt. So entwarf der bayerische Staatsminister Anton Pfeiffer bereits am 16. Oktober 1947 in einer Vorbesprechung über das zu gründende „Institut zur Erforschung der Geschichte der Nationalsozialistischen Politik" einen ebenso großzügigen wie utopischen Organisationsplan: Unter einem „Geschäftsführer mit persönlichem Referenten und Sekretärin" sollten nicht weniger als sieben Abteilungen eingerichtet werden. Für Verwaltungsaufgaben waren allein zwei vorgesehen: eine für „Organisation" und eine für „Technische und Büroangelegenheiten". Für „Öffentlichkeitsarbeit" sollten ebenfalls zwei Abteilungen zuständig sein: .Journalistische Auswertung" und „Buch- und Broschürenauswertung" - darunter könnte man auch herkömmliche bibliothekarische Tätigkeiten verstehen. Vollkommen neuartig und zukunftweisend - sowohl für ein historisches Institut als auch für die historische Zunft - war jedoch die geplante Abteilung „Interrogater", eine Aufgabe, die später von Mitarbeitern der Forschungsabteilung und des Archivs wahrgenommen wurde und zu der umfangreichen Sammlung von Zeugenschrifttum führte, die Technik und Methodologie der Oral History vorwegnahm. „Klassisch" war dagegen die Planung von Abteilungen für Archiv und Bibliothek. Als Raumbedarf allein für „Material, Archiv und Bibliothek" forderte Pfeiffer insgesamt 20 Räume. 6 Der Realisierung derartig hochfliegender und verheißungsvoller Pläne machte die Währungsreform von 1948 den Garaus. Als das Institut bei seinem zweiten Anlauf 1949 seine Tätigkeit aufnehmen konnte, mußte man sich mit stark reduzierten Dimensionen begnügen. Nach 5

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Staatsabkommen. Zwischen den Ländern Bayern, Hessen, Württemberg-Baden und der Freien Hansestadt Bremen. 1949, in: ED 105-[1]. Vorbesprechung zur Sitzung betreffend Institut zur Erforschung der Nationalsozialistischen Politik, 16. Oktober 1947, in: ED 105-[1]. Pfeiffer war damit der Zeit weit voraus. Es sollte noch bis zum Umzug in die Leonrodstraße 1972 dauern, bis Bibliothek und Archiv in etwa diese Größenordnung erreichen konnten.

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dem Haushaltsplan f ü r 1951 - für frühere Zeiträume liegen keine Angaben vor - verfügte das Institut über insgesamt „elf Planstellen für vier wissenschaftliche Mitarbeiter, drei Kräfte des mittleren Dienstes und vier Schreibkräfte" u n d eine nicht überlieferte Anzahl von Räumen, die von der Bayerischen Staatskanzlei in einer Etage der Reitmorstraße 29 zur Verfügung gestellt worden waren. 7 Trotz der durch die Zeitumstände geforderten bescheideneren Planung wurde an der Einrichtung von eigenständigen Abteilungen für Archiv u n d Bibliothek festgehalten. Doch nicht n u r das: In den ersten Jahren des Instituts wurden vorrangig Geld u n d Manpower - so wurde das damals natürlich noch nicht genannt - in den Aufbau dieser Abteilungen investiert. Am 9. März 1951 stellte man in der gemeinsamen Sitzung des Kuratoriums und des Beirats fest: „Das gegenwärtige Stadium des Aufbaus macht es notwendig, im kommenden Etatjahr das Hauptgewicht auf den Ausbau des wissenschaftlichen Apparates zu legen, also Bibliothek u n d Archiv sowohl in personeller als auch materieller Hinsicht zu bevorzugen. Die Erweiterung der Institutsräume um eine Etage wird die Möglichkeit geben, Arbeitsräume für auswärtige Benutzer einzurichten." 8 In der Anfangszeit wurde bei der Beschaffung „historischen Materials" nicht selektiv vorgegangen, sondern ein großzügiger Maßstab zugrunde gelegt. Man bereitete sich auf die Übernahme von Primärquellen (Akten der Reichsministerien) ebenso vor wie auf das Sammeln von Sekundärquellen (Presse u n d Drucksachen staatlicher oder parteiamtlicher Provenienz) u n d auf die Beschaffung von Primär- u n d Sekundärliteratur zur NS-Zeit, als auch auf die Übernahme von persönlichen Dokumenten. Eine Bewertung u n d Aufteilung auf Archiv und Bibliothek erfolgten erst später. Hellmuth Auerbach berichtet, daß 1949 erste Materialien aufgrund eines Presseaufrufes in das Institut gekommen seien. 9 Der früheste erhaltene „Arbeitsbericht" (für den Zeitraum vom 10. März bis 5. Novemer 1951) 10 vermerkt, daß die Bestände der Bibliothek im Berichtszeitraum um ca. 4500 Bände vermehrt worden seien u n d daß sie „augenblicklich ca. 12000 Bände" umfassen. Das heißt,

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Kurzer Bericht über die Tätigkeit im Haushaltsjahr 1951, in: ED 105-[6]. Protokoll über die gemeinsame Sitzung des Kuratoriums und des Beirats des Deutschen Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, 9. März 1951, in: ED 105-[3], Heute stimmt einen das geradezu wehmütig. Ach, nur einmal noch eine ähnliche Bevorzugung! Auerbach, Hellmuth: Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 18 (1970), S. 529-554, S. 539f. Arbeitsbericht für den Zeitraum vom 10. März bis 5. Nov. 1951, in: ED 105-[6].

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daß vorher, also bis zum März 1951, bereits 7500 Bände beschafft worden sein müssen. Das sind Größenordnungen, die verblüffen u n d großen Respekt fordern, wenn man sich vergegenwärtigt, welch kleiner Mitarbeiterstab diese Mengen bewältigen mußte 1 1 - wurde doch erst zum 1. November 1951 der Historiker u n d wissenschaftliche Bibliothekar Thilo Vogelsang 12 als Leiter der Bibliothek eingestellt. Bis dahin waren Archiv u n d Bibliothek in Personalunion von Anton Hoch geleitet worden, dem zur Durchführung dieser Aufgabe eine „archivarische Hilfskraft", eine Bibliothekarin des mittleren Dienstes u n d zwei Schreibkräfte zur Seite gestanden hatten. 1 3 Seit dem 1. November 1951 wurden also Archiv u n d Bibliothek als eigenständige Abteilungen mit jeweils zwei Mitarbeitern geführt: das Archiv unter Leitung von Anton Hoch u n d die Bibliothek unter Leitung von Thilo Vogelsang. Zeitweise wurden studentische Hilfskräfte eingesetzt. Für den neu installierten Bibliothekar stand n u n nicht m e h r n u r der weitere Bestandsaufbau im Vordergrund, vielmehr begann er darüber hinaus mit grundlegenden Planungen u n d Festlegungen f ü r die zukünftige Struktur der Kataloge u n d für eine zeitgeschichtliche Bibliographie. Uber die Anfänge des Bestandsaufbaus, der mit großer Findigkeit betrieben u n d für den mit Verhandlungsgeschick eine Vielzahl von Kontakten genutzt wurde, erfährt man einiges aus dem Arbeitsbericht vom November 1951: „Da die NS-Literatur über den Sortiments- u n d Antiquariatsbuchhandel naturgemäß nicht erreichbar ist, erfordert die Akzession mühsame u n d zeitraubende Sucharbeit. Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Erwerb einschlägiger Bücherbestände aus öffentlichem Besitz gewidmet. Zum Teil im Tausch mit Dubletten, zum Teil ohne Gegenleistung wurden größere Bücherbestände 11

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Heute können in „guten" Jahren etwa 3000 Bände (davon höchstens die Hälfte als Kauf, der Rest Tausch und Geschenke) und 2500 Aufsätze bearbeitet werden. Thilo Vogelsang (14. 2. 1919-2. 4. 1978), Dr. phil. 1949 Universität Göttingen (bei Hermann Heimpel) mit einer Arbeit über die Frau als Herrscherin im hohen Mittelalter (veröffentlicht: Göttingen 1954), Ausbildung zum wissenschaftlichen Bibliothekar, Abschluß 1950 mit „sehr gut" (im Empfehlungsschreiben an das Institut für Zeitgeschichte formulierte Hanns W. Eppelsheimer: „Dazu darf ich sagen, daß Herr Dr. Vogelsang sein Examen nicht nur mit ,sehr gut' gemacht hat, sondern, daß er tatsächlich sehr gut ist"). 1973 wurde Thilo Vogelsang zum „Honorarprofessor für das Fachgebiet .Zeitgeschichte' in der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften" der Technischen Universität München ernannt (IfZ, Verwaltungs-Registratur: Personalakte „Dr. Vogelsang Thilo"). Arbeitsbericht für den Zeitraum vom 10. März bis 5. Nov. 1951, in: ED 105-[6].

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u. a. übernommen von der Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf, der Library des amerikanischen Landeskommissariats in Bayern und der Property Division von HICOG 14 in Wiesbaden. Mit dem Auswärtigen Amt in Bonn wurden Verhandlungen über die Abgabe von Dubletten und NS-Literatur aus der Bibliothek des Amtes begonnen, deren Erfolg abzuwarten bleibt. Von HICOG in Frankfurt erhielt das Institut den Hinweis, daß im IG-Haus15 in Frankfurt die 25 000 Bände nationalsozialistischer und militaristischer Literatur der HICOG-Library lagern und daß man amerikanischerseits bereit sei, darüber zu verhandeln, ob und in welchem Umfange diese wertvollen Bücherbestände in die Institutsbibliothek überführt werden können. Das Institut mißt dieser Frage besondere Bedeutung bei, weil es sich bei der HICOG-Library um die umfangreichste Spezialbibliothek handelt, die es augenblicklich in Deutschland gibt. Darüberhinaus richtet sich das Interesse des Instituts überhaupt auf die einschlägigen Spezialsammlungen, die von verschiedenen Dienststellen der Besatzungsmächte aus beschlagnahmten NS-Beständen angelegt worden sind. Erfahrungsgemäß findet man heute nur dort die für die Forschung besonders wichtigen Geheimdrucke der NSDAP und der Reichsbehörden. Das Institut hat in dieser Beziehung einige wichtige Erwerbungen machen können. Größere geschlossene Bücherbestände kamen auch durch Ankauf in den Besitz des Instituts, ζ. B. aus der Bibliothek des ehemaligen Ludendorff-Verlages. Befriedigende Ergebnisse hatte ferner die Auswertung der zahlreichen Einzelangebote, die Privatpersonen an das Institut richteten. Als Sachgebiete, die in der Berichtszeit besonders gefördert werden konnten, sind zu nennen: Frühgeschichte der NSDAP, Judenfrage, Kirchenkampf, Freimaurertum. Das Schrifttum der deutschen Emigration, das ein besonderes Anliegen des Instituts darstellt, konnte trotz Devisenschwierigkeiten durch einen größeren Bestand aus dem Schweizer Antiquariatsbuchhandel ergänzt werden." 16 14

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High Commissioner for Germany, nach Inkrafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland seit Mai 1949 Nachfolger des Office of Military Government for Germany, United States (OMGUS). IG-Farben-Haus in Frankfurt-Höchst: Seit 1945 Sitz des Hauptquartiers der amerikanischen Streitkräfte in Europa und der amerikanischen Militärregierung, ab 1949 des High Commissioner for Germany, ab 1952 des Hauptquartiers des 5. US-Armeekorps. (Wir danken dem Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt a. M., für die Informationen.) Arbeitsbericht für den Zeitraum vom 10. März bis 5. Nov. 1951, in: ED-105-[6]. Im gleichen Bericht werden die Schwierigkeiten bei der Beschaffung ausländischer Literatur

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Auch die Akzessionsjournale aus den Jahren 1950-1954 geben Einblick in den rasanten Bestandsaufbau u n d die Vielfalt der erschlossenen Herkunftsquellen. 1 7 Hier folgt eine Aufstellung der größeren Erwerbungen (in Klammern jeweils Monat/Jahr: Zahl der bibliographischen Einheiten): Prof. Otto Koellreutter (2/1950: 360), ehem. Reichsstatthalter Franz Xaver Ritter von Epp (4/1950: 2000), Staatsminister Anton Pfeiffer (5/1950: 450), Leihgabe Stadtbibliothek München (8-10/1950: 770), Bayerische Staatsbibliothek (1/1951: 463), ehem. Reichsleiter Max Amann (1/1951: 1100), Hahn, Berlin (1/1951: 440), Staatsbibliothek Bremen (2/1951: 1500), High Commissioner, Collecting Point, Wiesbaden (5/1951: 612), Katharina Irsch, Freising (1951: 300), Ernest Langendorff, OCLB-Library, München (1951/52: 450), Ludendorff-Verlag (1951/52: 1000), Bibliothek Buch, Holzhausen (8-10/1952: 720), Prof. H. Bornkamm, Heidelberg (2/1953: 200), Deutsche Gesandtschaft Bern (3-9/1953: 400), Goethe-Institut, München (7/1953: 530), Freie Universität Berlin (11/1953: 530), Deutsche Gesandtschaft Pretoria (2/1954: 150). Gleichzeitig wurde seit Herbst 1952 auch noch die HICOG-Bibliothek mit etwa 30000 Bänden übernommen. 1 8 Um die HICOG-Bibliothek hatte sich neben anderen auch die Deutsche Bibliothek in Frankfurt bemüht. Gemäß einem von HICOG angeforderten Votum von Eugen Kogon sollte die Bibliothek „mit dem Vorbehalt an das Institut übergeben werden [ . . . ] , daß sie bei späterer Auflösung des Instituts nach Erfüllung seiner Aufgaben in den endgültigen Besitz der Deutschen Bibliothek übergehen soll"19. Bei der Bearbeitung dieser begehrten Bibliothek stellte sich allerdings bald heraus, „daß die Brauchbarkeit der HICOG-Bibliothek den gehegten Erwartungen nicht voll entspricht". 20 Auch wenn wohl n u r etwa die Hälfte der überlassenen Bände in die Bestände ü b e r n o m m e n wurde, weil der Rest entweder nicht in

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beschrieben: „Der Versuch, zur Beschaffung von ausländischer Literatur eine Devisengenehmigung im Gegenwert von DM 5000.- zu erhalten, ist mißlungen. Unsere Gesuche an das Bundeswirtschaftsministerium, Ref. II 6 d, und an das Rationierungskuratorium der deutschen Wirtschaft wurden abgelehnt. Nur ein einziger Antrag auf einen geringen Betrag Schweizerfranken wurde nach fünfmonatiger Laufzeit genehmigt. Infolgedessen blieb das Institut für den Erwerb ausländischer Literatur auf den normalen Buchhandel angewiesen. Damit war es abhängig von den je nach der Devisenlage schwankenden Devisenzuteilungen an den Gesamtbuchhandel." IfZ, Bibliotheks-Registratur: Akzessionsjournale. Tätigkeitsbericht von Juli bis Dezember 1954, in: ED 105-[6]. Sitzung des Kuratoriums des Instituts für Zeitgeschichte am 9. Januar 1952, in: ED 105[4]. Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 17. 5. bis 6. 11. 52, in: ED 105-[6],

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das Sammlungsgebiet paßte oder schon vorhanden war, bilden die „HICOG-Bücher" dennoch den bedeutendsten Grundstock nationalsozialistischer Literatur in der Bibliothek. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, welche Wunder an Organisation u n d Improvisation damals vollbracht werden mußten, um bei beengtesten Raumverhältnissen diese Mengen an eingeh e n d e n Büchern, die auch noch in h o h e m Maße untereinander dublett waren, zu bewältigen. Die äußerst schwierigen Bedingungen im Domizil Reitmorstraße beschreibt der Tätigkeitsbericht für die zweite Jahreshälfte 1954: „Da das Haus, in dem das Institut in 2 Stockwerken als Mieter untergebracht ist, kürzlich vom bayerischen Staat angekauft wurde, fand eine Besichtigung der Räumlichkeiten durch Herren vom Finanzamt f ü r Liegenschaften u n d vom Landesplanungsamt statt, die zumal in den Räumlichkeiten des 1. Stockwerkes, in denen Archiv und Bibliothek untergebracht sind, die übergroße Beengung und die Überlastung feststellten, die so groß geworden sei, daß der Bausachverständige eine Verantwortung für die Fortdauer des Zustandes nicht ü b e r n e h m e n wollte. [ . . . ] Die Bibliothek [ . . . ] ist so überfüllt, daß nicht n u r die bereits erwähnten baulichen Gefahren für das Haus durch Deckenüberlastung entstehen, sondern auch durch die gedrängte, oftmale doppelreihige Aufstellung ihre Benutzung ernstlich erschwert ist."21 Hier nicht den Uberblick zu verlieren, war allein schon ein Kunststück. 22 Mit den zahlreichen nicht benötigten Bänden wurde eine Dublettensammlung aufgebaut, mit deren Hilfe erfolgreich Tauschbeziehungen aufgenommen und betrieben wurden. Uber die Größe dieser zeitweiligen Dublettensammlung liegen leider keine Unterlagen vor; sie muß aber recht erklecklich gewesen sein: ein solider Kapitalstock - aber auch ein gewaltiger Klotz am Bein. 23 Infolge des raschen Bestandszuwachses bestand ein kaum zu lösendes Problem darin, wie die Neuzugänge ordnungsgemäß eingearbeitet werden sollten. Zunächst mußte man sich damit begnügen, alle Bücher lediglich zu akzessionieren u n d einstweilen provisorisch aufzustellen. 21 22

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Tätigkeitsbericht von Juli bis Dezember 1954, in; ED 105-[6]. Was nicht immer gelang. Schon in den Akzessionsjournalen von 1952 findet sich die verdächtige Herkunftsbezeichnung .Alter Bestand". Noch heute stehen etwa 90 Meter sogenannter „Altbestand" (davon 42 Meter Belletristik aus der Weimarer und NS-Zeit) aus diesen Frühzeiten unbearbeitet bzw. teilbearbeitet im Magazin der Bibliothek. Leider sind viel zu selten Kapazitäten frei, um diesen peu ä peu noch einzuarbeiten. So ist zum Beispiel im Tätigkeitsbericht von Juli bis Dezember 1955 zu lesen: „Uberflüssige Dubletten wurden teils abgegeben, teils aus besonderen Gründen der Vernichtung zugeführt" (ED 105-[5]).

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Dann erst konnte man darangehen, sie alphabetisch zu katalogisieren. Allerdings wurden auch damals schon unselbständige Werke (Aufsätze aus Zeitschriften, Sammelwerken u n d Festschriften) einbezogen. Ferner enthielt der Alphabetische Katalog anfangs sogar Katalogisate von nicht vorhandener Literatur aus der NS-Zeit mit Besitznachweisen. 24 Erst nach der Einstellung Vogelsangs im Herbst 1951 wurde über den Standortkatalog - u n d damit wohl über die endgültige Aufstellung der Bestände, immerhin bereits 12000 Bände, entschieden. Im April 1952 wird berichtet, daß „die erforderlich gewordene Neuschrift des alphabetischen Kataloges [. . .] abgeschlossen" wurde. 25 Im Sommer 1952 wurde mit der „Zusammenstellung des Systematischen Katalogs begonnen u n d diesem das System des .Mainzer Sachkatalogs' H. W. Eppelsheimers mit gewissen durch die besonderen Verhältnisse der Institutsbestände gebotenen Abwandlungen zugrundegelegt". 26 Nebeneinander wurden nun der Systematische, der Geographische (damals noch Staaten- und Länderkatalog genannt) u n d der Biographische Katalog aufgebaut. 2 7 Nun erst konnte mit dem Signieren u n d der Inhaltserschließung begonnen werden. In den fünfziger Jahren - der Zeit der Schreibmaschine u n d der Wachsmatritzen - war es nicht leicht, das ehrgeizige Projekt der Sachkatalogisierung zu realisieren. Primär mußten natürlich die Neuzugänge für den Alphabetischen Katalog bearbeitet u n d katalogisiert werden. Daneben wurde offensichtlich versucht, gruppenweise gemäß der grob sachlichen Magazinaufstellung - zu signieren, um dann gleichzeitig, manchmal auch erst viel später eine differenzierte Inhaltserschließung nachzuholen. Lange sollte die Bibliothek an der Last dieser ,Altbestände" zu tragen haben. Bis zum Ende der sechziger Jahre liest man wiederholt in den Arbeits- u n d Jahresberichten 2 8 , daß n u n die Signierung u n d Sachkatalogisierung einer bestimmten Gruppe in Angriff genommen werden konnte. 2 9

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Zuletzt für 1953 belegt; der Aufwand war wohl nicht auf Dauer zu leisten. Kurzer Bericht über die Tätigkeit im Haushaltsjahr 1951, in: ED 105-[6]. Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 17. 5. bis 6. 11. 52, in: ED 105-[6]. Eine ausführliche Beschreibung der Kataloge findet sich in der IfZ-Informationsbroschüre: Institut für Zeitgeschichte. München. Berlin. Bonn, München 5 1997. Die Tätigkeitsberichte umfaßten in der Regel den Zeitraum von Juli bis Juni des darauffolgenden Jahres. Die Jahresberichte ab 1969 entsprachen dem Kalendeqahr. Nach heutigem Kenntnisstand wurde dieses Langzeitprojekt bis heute nicht vollendet; die Altbestände der Standortgruppe Μ (Bevölkerungs- und Rassenpolitik, Familie, Gesundheitswesen, Frauen, Sport) und ein großer Teil der alten Zeitschriftentitel wurden nie sachkatalogisiert.

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Das dritte große Vorhaben der Anfangsjahre - neben dem Bestandsaufbau u n d der Entwicklung eines Katalogsystems - war die Erarbeitung einer zeitgeschichtlichen Bibliographie. Angesichts der anfänglich sehr mangelhaften Informationsmöglichkeiten deutscher Historiker nicht n u r über Neuerscheinungen, sondern auch über die nationalen und internationalen Veröffentlichungen aus den Jahren 1933-1945, wurden schon f r ü h Pläne für eine umfassende Bibliographie zum Nationalsozialismus erörtert. So wurde schon im Geschäftsverteilungsplan des „Deutschen Instituts zur Erforschung des Nationalsozialismus" aus dem Jahr 1950 formuliert, zu den Aufgaben des Bibliothekars sollte die Erarbeitung einer „Bibliographie der Hitlerzeit" gehören. 3 0 Vornehmlich sollte eine Bibliographie der im Ausland erschienenen Literatur erstellt werden, die nicht n u r Monographien, sondern auch Aufsätze aus Zeitschriften u n d Sammelwerken berücksichtigen sollte. In einer Aktennotiz vom 12. März 1952 formulierte Thilo Vogelsang ein umfassendes bibliographisches Projekt, das aus mehreren Teilen bestehen sollte: „Teil 1: Literatur des Auslandes 1933—1945, zu erstellen durch Sonderbearbeitungen einzelner Sachgruppen [ . . . ] . Teil 2: Literatur des In- u n d Auslandes 1945-1950, zur Zeit in Bearbeitung u n d vor dem Abschluß stehend (Dr. Herre). Teil 3: Literatur des In- u n d Auslandes 1951 ff. u n d Nachträge 1945-50. Vorschlag: Bandzählung nach Bedarf unter Zusammenfassung der Zeitschrift-Beilagen von 2-4 Jahren. Dazu Register in Kreuzordnung, evtl. nach dem Vorbilde der neuen Frankfurter Halbjahresverzeichnisse. Durchlaufende Titelzählung." 31 Das erste Projekt wurde relativ bald wieder aufgegeben, da sich die Gewinnung u n d Betreuung auswärtiger Bearbeiter als zu schwierig u n d zeitaufwendig erwies. Das zweite Projekt war mit dem dritten Projekt, einer laufenden bibliographischen Berichterstattung im Rahmen der geplanten u n d entstehenden Zeitschrift „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte", eng verbunden. Die Bibliographie „Literatur des In- u n d Auslandes 1945-1950" sollte den unabdingbar notwendigen „Vorlauf' für die neue Bibliographie zur Zeitgeschichte bilden, damit man sich in der aktuellen Bibliographie ausschließlich auf die Neuerscheinun30

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Geschäftsverteilungsplan des Deutschen Instituts zur Erforschung des Nationalsozialismus, 1950, in: ED 105-[2]. Aktennotiz von Thilo Vogelsang, 12. März 1952: Anteil des bibliographischen Apparates an der vom Institut geplanten Vierteljahrsschrift, in: IfZ, Bibliotheks-Registratur: Β 140 Bibliographie.

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gen der letzten Jahre konzentrieren könnte. Es dauerte noch bis 1955, bis diese endlich als „Bibliographie zur Zeitgeschichte und zum Zweiten Weltkrieg" erscheinen konnte, in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit eigentlich nur als der „Herre-Auerbach" 32 bekannt und vertraut (was bei Benutzern gelegentlich zu Nachfragen führte, warum man bei einem Mitarbeiter des Hauses nicht den Vornamen zitiere, sondern das anonyme „Herr" benutze). Das dritte Teilprojekt, eine laufend erscheinende „Bibliographie zur Zeitgeschichte", sollte als Teil der neu zu gründenden Zeitschrift, der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte", realisiert werden. Ihr Bearbeiter Thilo Vogelsang mußte also bei seinen Planungen nicht n u r innerhalb des Instituts überzeugen, sondern auch Hans Rothfels, den Herausgeber der Zeitschrift, dafür gewinnen. Vogelsang schlug vor, der Bibliographie eine grob systematische Gliederung zugrunde zu legen - in Anlehnung an die gerade entworfene Bibliothekssystematik, jedoch deutlich verschlankt. Außerdem machte er sich dafür stark, die Bibliographie bei konstantem Umfang als Beilage mit getrennter Paginierung erscheinen zu lassen. Bei einer Besprechung in Tübingen am 10. Juni 1952 mit den Professoren Rothfels u n d Herre 3 3 wurden die Grundzüge des Bibliographiekonzepts festgelegt. Abweichend vom Forschungskonzept des j u n g e n Instituts - tatsächlich über dieses zukunftweisend hinausgreifend - wurde bestimmt, daß in der Bibliographie auch Literatur zur Geschichte nach 1945 berücksichtigt werden sollte, indem „in der Bibliographie um der wahren .Zeitgeschichte' willen, Arbeiten über die wichtigsten Probleme u n d Ereignisse auch der Gegenwart angezeigt werden sollen". 34 Von Anfang an war auch klar, daß es sich bei der „Bibliographie zur Zeitgeschichte" um eine zeitgeschichtliche Auswahlbibliographie handeln sollte, die vornehmlich aufgrund u n d mit Hilfe der von der Bibliothek des Instituts f ü r Zeitgeschichte erworbenen u n d katalogisierten Titel erstellt werden sollte. Mit dem Erscheinen des ersten Heftes der Bibliographie im Januar 1953 war die letzte der drei großen Weichenstellungen der Anfangsjahre vollzogen.

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Bibliographie zur Zeitgeschichte und zum Zweiten Weltkrieg für die Jahre 1945-1950. Im Auftrage des Instituts für Zeitgeschichte zusammengestellt von Franz Herre und Hellmuth Auerbach, München 1955 (Reprint: New York 1966). Paul Herre (1876-1962); 1919-1923 Direktor des Reichsarchivs. Aktennotiz (o. D.) von Thilo Vogelsang zu einer Besprechung mit Prof. Rothfels und Prof. Herre am 10. Juni 1952 in Tübingen (IfZ, Bibliotheks-Registratur: Β 140 Bibliographie).

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Mit den vom Institut herausgegebenen „Vierteljahrsheften" verfügte die Bibliothek über ein eigenes Äquivalent bei Tauschbeziehungen mit Institutionen des In- u n d Auslandes, die sie stark ausweiten u n d so die Zahl der Zeitschriftenabonnements erheblich steigern konnte. Bezog die Bibliothek 1952 55 Zeitschriften laufend, so waren es 1957 schon 137, die für die Bibliothekskataloge u n d die Bibliographie ausgewertet wurden. Trotz beengter Raumverhältnisse konnte bereits zum 1. Februar 1952 ein Benutzerzimmer eingerichtet werden, das sich einer steigenden Besucherfrequenz erfreute, „wobei der große Anteil ausländischer Forscher hervorzuheben ist".35 Im Rückblick ist festzustellen, daß die wichtigsten Entscheidungen für die zukünftige Entwicklung der Bibliothek bereits in den ersten fünf Jahren getroffen wurden. Damals wurden die bis heute tauglichen Werkzeuge geschaffen. Das Bemerkenswerteste an den damaligen Weichenstellungen ist der Weitblick, mit dem von vornherein Flexibilität u n d Veränderbarkeit eingeplant wurden. Nur deshalb konnten Systematik u n d Bibliographie den jeweiligen Entwicklungen u n d Ausweitungen der j u n g e n Disziplin Zeitgeschichte angepaßt werden. Diese Konzeption in sehr kurzer Zeit auf die Beine gestellt zu haben, ist das besondere Verdienst des wissenschaftlichen Bibliothekars Thilo Vogelsang, dem wir Nachfolger unseren großen Respekt zollen. Der Weg war eingeschlagen. Der Alltag konnte beginnen.

Veränderungen Das Sammlungskonzept der Bibliothek wurde seit den Anfängen nur in einem Punkt gravierend verändert: Wurde bis in die sechziger Jahre noch sehr intensiv Militärgeschichte gesammelt - einen Niederschlag davon kann der Benutzer noch heute in den außerordentlich differenzierten Systematikgliederungen für Militärgeschichte finden - , so ist diese seither eher ein „Stiefkind" geworden. Mit der Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart u n d dem Militärgeschichdichen Forschungsamt in Potsdam gibt es zwei zuständige kompetente Spezialbibliotheken. Andere Veränderungen der Sammlungsschwerpunkte erklären sich aus dem Wandel zeithistorischer Forschungsmethoden u n d -interessen u n d aus dem jeweiligen Bedarf der Forschungsprojekte des IfZ. So stand in den siebziger Jahren Literatur zur Vor- u n d Frühgeschichte 35

Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 17. 5. bis 6. 11. 52, in: ED 105-[6].

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der Bundesrepublik im Vordergrund. Dann gab es Nachholbedarf in den Fächern Soziologie, Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte. In den achtziger Jahren mußte die Literaturversorgung zur Geschichte von SBZ und DDR verbessert werden, und seit Anfang der neunziger Jahre verstärkte die Bibliothek die Beschaffung internationaler Literatur zur Totalitarismusforschung und zum Systemwechsel in Mittel- und Osteuropa. Um eine gleichbleibend intensive Inhaltserschließung zu gewährleisten, gehörten Pflege und Anpassung des Systematischen Kataloges stets zu den besonders wichtigen Aufgaben der Bibliothek. Im Laufe der Jahrzehnte wurden umfassende Systematikänderungen durchgeführt. Sie sind Spiegel des beschriebenen Wandels der Disziplin und der damit verbundenen Ausweitung des Sammelgebietes der Bibliothek. Ganze Systematikgruppen mußten neu eingerichtet werden, andere wurden grundlegend überarbeitet. 36 Dabei wurde in Kauf genommen, daß Unmengen von Karteikarten umsortiert werden mußten, weil bereits Katalogisiertes neu zuzuordnen war. Das ausführliche Schlagwortregister zur Systematik, das seit den Anfängen versprochen worden war, konnte 1986 vorgelegt werden.37 Nun war endlich erreicht, daß sich die Benutzer die Systematik auch selbst erschließen konnten. Der Geographische Katalog wurde in den siebziger Jahren ebenfalls grundlegend revidiert. Wechselnde Staatsnamen und die Zuordnung abhängiger Gebiete hatten zunehmend für Inkonsistenzen gesorgt. Ein neu geschaffenes „Register zum Geographischen Katalog", in das auch Hinweise für die Bearbeiter integriert wurden, sorgte für Abhilfe. Bereits Ende der sechziger Jahre waren von der Firma Hall alle Bibliothekskataloge verfilmt und in Buchform veröffentlicht worden. Nachtragsbände erschienen 1973. 38 Noch heute kommt es vor, daß aus 56

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Die neu eingerichteten Gruppen sind: Internationale Beziehungen seit 1945; Geschichtswissenschaft; Europäische Integration; Soziologie; Geschichte der Bundesrepublik Deutschland; Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Neu gegliedert wurden die Gruppen: Deutsche Innenpolitik 1933-1945; Juden, Antisemitismus, Judenverfolgung; Frauen; Deutsche Geschichte seit 1945, Alliierte Besatzung, Deutsche Frage. Jahresbericht 1985 (IfZ, Bibliotheks-Registratur: Β 407Jahresberichte). Ein Register zur Systematik war seit 1952 geplant gewesen (Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 17. 5. bis 6. 11. 52, in: ED 105-[6]): „Den Zugang zum Katalog bildet ein mit dem Archiv des Instituts gemeinsames Schlagwortregister." Im Tätigkeitsbericht für die Zeit vom l.Juli 1967 bis 30. Juni 1968 wurde berichtet: „Das Gesamtregister zu den drei Sachkatalogen wurde im Berichtszeitraum bis zum Buchstaben C fertiggestellt." (ED 105-[7]). Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte München, Boston, Mass. Alphabetischer Katalog, 5 Bde. 1967; 1. Nachtragsband 1973.

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Übersee angereiste Benutzer bereits die Signaturen der zu bestellenden Bücher vorlegen. Auch die „Bibliographie zur Zeitgeschichte'" wurde im Laufe der Jahrzehnte sowohl inhalüich als auch formal immer wieder behutsam verändert. Grundsätzliche Neuerungen erfolgten in den Jahren 1989 u n d 1990.39 Im Interesse größerer Aktualität erscheint diese Auswahlbibliographie seither im jährlichen Rhythmus als eigenständiges Heft mit neuer Systematik. Berichtszeitraum sind jeweils die letzten drei Jahre. Für den Zeitraum 1953-1980 u n d mit Supplementbänden für die Jahre 1981-1989 u n d 1990-1995 liegt die „Bibliographie zur Zeitgeschichte" auch als kumulierter Nachdruck im Verlag Κ G. Saur vor.40 Sie gilt als wichtiges bibliographisches Hilfsmittel für Zeithistoriker u n d hat im In- u n d Ausland Verbreitung gefunden. Nach u n d nach wurde auch die Raumsituation besser: 1956 Bezug des schönen Altbaus in der legendären Möhlstraße 41 , 1972 Umzug in den geräumigen Neubau in der Leonrodstraße, 1989 der Erweiterungsbau. Heute verfügt die Bibliothek über einen geräumigen Lesesaal mit 24 Arbeitsplätzen. Der gemeinsam mit dem Archiv genutzte separate Katalogsaal beherbergt auch große bibliographische Nachschlagewerke (Nationalbibliographien, Zeitungs- u n d Zeitschriftenbibliographien) sowie den Handapparat u n d die Findbücher des Archivs. Das Magazin bietet ausreichend Stellfläche f ü r ungefähr ein weiteres Jahrzehnt. Mit dem Einzug der neuen Technologien in den Bereich des Bibliothekswesens u n d den damit verbundenen Umwälzungen auf diesem Sektor begannen Mitte der achtziger Jahre Vorüberlegungen zur grundlegenden Modernisierung der Bibliothek. Es kamen die Zeiten

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Sachkatalog, 6 Bde. 1967; 1. Nachtrag. 2 Bde. 1973. Biographischer Katalog, 1967. Länderkatalog, 2 Bde. 1967. Biographischer Katalog. Länderkatalog. Nachtragsband, 1973. Aktennotiz vom 16. März 1989: Bibliographie zur Zeitgeschichte (IfZ, Bibliotheks-Registratur: Β 140 Bibliographie). Bibliographie zur Zeitgeschichte. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte. Begr. von Thilo Vogesang. Bearb. von Hellmuth Auerbach, Christoph Weisz, Ursula van Laak, Hedwig Straub-Woller und Ingeborg Unal, München. 1. Allgemeiner Teil, 1982. 2. Geschichte des 20. Jahrhunderts bis 1945, 1982. 3. Geschichte des 20. Jahrhundert seit 1945, 1983. 4. Supplement 1981-1989, 1991. 5. Supplement 1990-1995, 1997. Noch heute kommen vereinzelt Benutzer mit dem Hinweis, schon in der Möhlstraße bei uns gewesen zu sein, und immer schwingt da diese gewisse Wehmut in der Stimme mit, die man auch von Kollegen kennt: Ja, die Möhlstraße . . .".

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intensiver EDV-Planung. Alle Arbeitsabläufe und Arbeitsergebnisse mußten auf den Prüfstand, die grundsätzlichen Ziele wurden neu diskutiert. Nun war zu entscheiden, ob die Bibliothek - eventuell gemeinsam mit dem Archiv - eine autonome Datenbank aufbauen, einen überregionalen Verbund verwandter Institutionen anstreben oder aber sich dem „vor der Haustür" existierenden Bibliotheksverbund Bayern (BVB) anschließen sollte. Gleichzeitig stellte sich die Frage, nach welchen Regelwerken dann künftig gearbeitet werden müßte und ob die Fortsetzung der bisherigen Inhaltserschließung realisierbar sei. Ein besonderes Problem bei allen Planungen bereiteten die speziellen Anforderungen, auch Aufsatzkatalogisierung und Weiterverarbeitung aller Titel für die Bibliographie gewährleistet zu wissen. - Und nicht zuletzt waren die Geldgeber zu überzeugen. Nachdem in langen Verhandlungen das Problem der Inhaltserschließung geklärt und sichergestellt worden war, daß die institutsspezifische Systematik in den Verbund eingebracht und weitergeführt werden könnte, fiel 1991 die Entscheidung zugunsten einer Teilnahme am Bibliotheksverbund Bayern. War auch eine gewisse Skepsis immer noch vorhanden, autonome Entscheidungskompetenzen könnten verlorengehen, so überwogen doch die Vorteile. Den eigenen Bestand in einen großen Bibliotheksverbund einbringen und ihn damit einem großen Publikum zugänglich machen zu können, war ebenso verlockend wie die Kooperation mit anderen Bibliotheken und die Möglichkeit, auch von fremden Dienstleistungen profitieren zu können. Zugriffsmöglichkeiten auf große bibliothekarische Normdateien (Zeitschriftendatenbank ZDB, Gemeinsame Körperschaftsdatei GKD, Schlagwortnormdatei SWD, zukünftig auch Personennormdatei PND) und last not least die langfristige Datensicherheit waren von entscheidendem Gewicht. Nach manchen Verzögerungen wagten wir 1995 den großen Sprung42: Die Zettelkataloge wurden abgebrochen und der Aufbau der IfZ-Datenbank begonnen. Mit dem IfZ-OPAC steht den Benutzern für die Neuererwerbungen seit 1995 (bei Aufsätzen seit 1996/97) ein komfortables Rechercheinstrument zur Verfügung, das alle in Datenbanken üblichen Möglichkeiten bietet. Da die Kontinuität der Katalogsysteme gewahrt wurde, kann eine thematische Recherche im Zettelkatalog wie im OPAC über dieselben Notationen erfolgen. Der OPAC hat bei den 42

Nie hätten wir diesen für uns historischen Schritt geschafft, wenn uns nicht unser Verwaltungsleiter Georg Maisinger bei allen Planungen und allen aufgetretenen Schwierigkeiten so nachhaltig, so kollegial und letztlich erfolgreich unterstützt hätte.

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Benutzern gute Akzeptanz gefunden, und die Kolleginnen und Kollegen im Hause schätzen es sehr, von ihrem Arbeitsplatz aus dank der Vernetzung auch im BVB-OPAC oder im OPAC der Bayerischen Staatsbibliothek recherchieren zu können.

Bilanz und Ausblick Mit 165000 Medieneinheiten und 325 laufend gehaltenen Zeitschriften ist die Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte heute eine wissenschafdiche Spezialbibliothek mittlerer Größe und von überregionaler Bedeutung. Die umfassenden Sammlungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts - besonders die einzigartigen Bestände zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches - und die differenzierte Inhaltserschließung mittels eines ausgefeilten Katalogsystems werden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des In- und Auslandes genutzt. Die vielfältigen Serviceleistungen werden von einem breiten Publikum in Anspruch genommen. 43 Den hohen Standard zu wahren und gleichzeitig den Herausforderungen und Möglichkeiten der neuen Technologien gerecht zu werden, ist dem Institut für Zeitgeschichte ein wichtiges Anliegen, das vom Engagement aller Beteiligten mitgetragen wird. Allerdings sind seit einiger Zeit Tendenzen zu bemerken, die die Bibliothek im Kern ihrer Substanz gefährden könnten. Die Kontinuität der Bestandspolitik ist durch mehrere, sich gegenseitig potenzierende Faktoren in Frage gestellt: Dem expandierenden Buchmarkt mit ständig steigenden Preisen steht der stagnierende bis rückläufige Etat gegenüber. Gleichzeitig erweitert sich natürlicherweise laufend der Sammlungszeitraum. Es ist zu befürchten, daß trotz strengster und sorgfältigster Auswahlkriterien bei der Beschaffung schleichend eine Erosion des Bestandsprofils und eine Reduktion des Bestandsspektrums eintreten. Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Qualität der Sammlungen und der Leistungen liegen auf der Hand. Wie begegnet man dann auch einer Auszehrung der „Bibliographie zur Zeitgeschichte", einem anerkannten und wichtigen Arbeitsinstrument, auch und gerade in Zeiten der Überschwemmung mit immer größeren, oft unüberschaubaren und qualitativ schwer einschätzbaren Datenmengen? 43

Über die Dienstleistungen im einzelnen informiert die IfZ-Informationsbroschüre (Anm. 27).

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Besonderes Augenmerk verdient auch die zunehmende Spezialisierung. Dank der Automatisierung werden zwar einfache Tätigkeiten eingespart, doch sind auf der anderen Seite viele Arbeitsabläufe anspruchsvoller u n d komplexer geworden, andere sind neu hinzugekommen und fordern erheblichen Mehraufwand. Die Mitarbeit in überregionalen Datenbanken u n d Normdateien wie auch die Pflege der lokalen Datenbank verlangen außerordenüiche Detailkenntnisse, u n d die Schnelligkeit der technologischen Entwicklung fordert ständiges Umu n d Weiterlernen. Das führt bei der knappen Personalausstattung zu immer größerer Spezialisierung, die bereits so weit geht, daß eine gegenseitige Vertretung in vielen Bereichen nicht m e h r möglich ist. Und dieser Trend wird sich noch einmal verstärken, wenn demnächst die Mitgestaltung einer eigenen Homepage und Internet-Recherchen in fremden Datenbanken hinzukommen. Menge u n d Vielfalt der zu bewältigenden Aufgaben haben im letzten Jahrzehnt kontinuierlich zugenommen. Die Arbeitsbelastung jedes einzelnen ist so hoch, daß bei Engpässen Atemlosigkeit spürbar wird. Unsere Gesellschaft erlebt seit einiger Zeit einen rasanten Wandel im Bereich der Medien- u n d Informationstechnologien - die entsprechenden Schlagworte sind in aller Munde: Informationsgesellschaft, Kommunikationsgesellschaft, virtuelle Bibliotheken, weltweite Netze. Bibliotheken sind von diesem Wandel in ganz besonderer Weise betroffen. Wenn die neuen Techniken den Leser in die Lage versetzen, Texte u n d Dokumente aus realen und virtuellen Bibliotheken, wo immer sie auch sein mögen, in kürzester Frist bei sich zuhause auf dem Bildschirm oder auf dem Drucker haben zu können, dann müssen Bibliothekare neu über ihre Aufgaben u n d den Zweck ihrer Sammlungen nachdenken. Wir meinen, sie können dies furchüos tun, weil gerade sie schon lange die Fähigkeiten trainiert haben, die zukünftig wahrscheinlich dringlicher d e n n j e gebraucht werden: Suchstrategien entwickeln, Ergebnisse bewerten u n d auswählen, O r d n u n g schaffen. Noch befinden wir uns in einer Phase des Ubergangs, noch stellt niemand die Legitimation von Bibliotheken ernsthaft in Frage. Auch geht die Buchproduktion nicht etwa zurück, eher läßt sich das Gegenteil feststellen. Doch bereits jetzt ist klar, daß in Zukunft n u r diejenigen Institutionen Bestand haben werden, die in der neuen Medienwelt präsent und konkurrenzfähig sind. Die Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte stellt sich dieser weltweiten Konkurrenz u n d bereitet sich intensiv auf eine angemessene Präsenz im Internet vor. Demnächst soll das anspruchsvolle Projekt ei-

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ner Retrokatalogisierung (Digitalisierung der bestehenden Zettelkataloge) in Angriff genommen werden. Dann werden alle Bestände der Bibliothek - also auch die Schätze aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren - weltweit recherchierbar sein. Die Herausforderungen der neuen Medienwelt betreffen nicht nur die Bibliothek, sondern darüber hinaus das ganze Institut. Daher unser unbescheidener Wunsch zum fünfzigsten Geburtstag des Instituts für Zeitgeschichte: Mögen die Verantwortlichen das Institut personell und materiell so ausstatten, daß es sich den neuen Herausforderungen stellen kann. Langer Atem ist gefordert. Es könnten Weichenstellungen für die nächsten Jahrzehnte anstehen.

Werner Röder / Hermann Weiß / Klaus A. Lankheit Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte

Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte ist kein Archiv im ursprünglichen Sinn. Die noch heute gültige Satzung der Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte von 1961 weist ihm die Aufgabe zu, „Quellen zur Zeitgeschichte, insbesondere zur Geschichte und Vorgeschichte des Nationalsozialismus im Benehmen mit dem Bundesarchiv und den staatlichen Archiven der Länder zu ermitteln, zu sammeln und nachzuweisen". Die Bestände umfassen Dokumentationen und archivalische Sammlungen unterschiedlicher Provenienz. Sie sind darauf angelegt, für die gegenwärtige und künftige Zeitgeschichtsforschung vor allem jene schriftlichen Quellen sicherzustellen, die durch eine Regelabgabe an staatliche Archive in der Bundesrepublik nicht erfaßt werden. Hinzu kommen Amtsdruckschriften, Zeitungen und Druckerzeugnisse von Parteien und Verbänden als ergänzendes Forschungsmaterial.1 Die Strukturen, die Schwerpunkte und der Nutzerkreis der Sammlungen haben im Lauf der Jahrzehnte erhebliche Wandlungsprozesse erfahren, die von dritter Seite oft erst im Ergebnis wahrgenommen worden sind. Diese Unauffälligkeit kommt nicht von ungefähr: Archivarische Arbeit ist an und für sich eine Angelegenheit von longue duree. Die Veränderungen selbst sind aber nicht allein dem natürlichen Gang der Zeit, sondern zu einem Gutteil dem unsicheren Terrain zuzurechnen, auf dem sich das Institutsarchiv seinen Weg suchen mußte. Ausschlaggebend war dabei der Umstand, daß zwar die Pertinenz der 1

Bestandsbeschreibungen finden sich u. a. bei Anton Hoch, Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, in: Der Archivar 26 (1973), Sp. 295-308; Werner Röder, Die Archivalischen Sammlungen im Institut für Zeitgeschichte in München, in: Der Archivar 3 (1985), Sp. 415-424; ders., Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte und seine Pressesammlungen, in: Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern 31 (1989), S. 74-82; ders., Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 1993 (1994), S. 46-53; ferner in den vom Institut herausgegebenen Informationsbroschüren „Institut für Zeitgeschichte" von 1979, 1989, 1993 und 1997.

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von ihm zu sammelnden Quellen durch den Institutszweck vorgegeben war, ihre Art und Herkunft aber zu keiner Zeit durch einen juristisch erheblichen Akt positiv definiert worden sind. Das IfZ-Archiv ist also ein Archiv ohne verbrieften Archivsprengel und somit ein politisches Konstrukt, das man im ehemaligen West-Ost-Sprachgebrauch unfreundlicherweise als „sogenanntes" Archiv oder als „Phänomen" hätte bezeichnen können und das stets darauf angewiesen war, durch real existierende Qualität seine de facto-Anerkennung zu erreichen. Anders als die autochthonen Archive des Staats, der Kirchen, der Parteien, der Wirtschaftsorganisationen, der Großverbände oder öffentlichen Körperschaften stand und steht es vor der Aufgabe, claims in der Quellentopographie der Zeitgeschichte selbst abzustecken. Im Vorfeld der Institutsgründung kam der Vorstellung von einem „Zentralinstitut zur Sammlung und raschen Auswertung aller heute noch erreichbaren Quellen für die Geschichte des Nationalsozialismus" 2 hoher Rang bei seinen sonst durchaus unterschiedlich motivierten Protagonisten zu. Man befürchtete, „daß die Geschichte der NSZeit nur ausländischen Darstellungen - angesichts der Beschlagnahme von Archiven und Akten durch die Besatzungsmächte - anheimfallen würde, wenn nicht rechtzeitig von deutscher Seite das Erforderliche geschehen könnte, um Unterlagen - einschließlich Zeugenvernehmungen - über diese Zeit sicher zu stellen und zu sammeln". 3 Die wissenschaftliche Erforschung des Nationalsozialismus müsse ebenso wie die dem Institut zugedachte politische Bewußtseinsbildung „eine deutsche Aufgabe" sein, die die „saubere Klärung der Sachverhalte" anhand der Quellen erforderte. 4 Anfängliche Entwürfe für ein Institut, das neben einer Forschungsund Publikationsabteilung auch das zentrale Sonderarchiv für die Uberlieferungen der NS-Zeit beherbergen sollte, wurden allerdings schon bald von der Wirklichkeit überholt. 5 Zum einen dachten die Alli2

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4

5

Gerhard Ritter in: Die Neue Zeitung v. 7. 1. 1949, zitiert nach Winfried Schulze, Die Auseinandersetzung um das Institut für Zeitgeschichte, in: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S. 229. Walter Strauß, Stationen der Entwicklung des Instituts für Zeitgeschichte, in: 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Statt einer Festschrift, Stuttgart 1975, S. 30. So Hermann Mau 1950, zitiert nach Hellmut Becker, Das Arbeitsprogramm vor 25 Jahren, in: 25 Jahre (Anra. 3), S. 27. Hierzu im einzelnen Hellmuth Auerbach, Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 18 (1970), S. 529-554; Schulze (Anm. 2), S. 228-242; ferner J o h n Gimbel, The Origins of the Institute für Zeitgeschichte. Scholarship, Politics and the American Occupation 1945-1949, in: American Historical Review 70 (1964/65), S. 714-731.

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ierten gar nicht daran, die von ihnen erbeuteten Akten staatlicher u n d „parteiamtlicher" Provenienz herauszugeben. Zum anderen meldeten sich, unterstützt von Teilen der universitären Historikerzunft, die Standesvertreter des deutschen Archivwesens zu Wort, die unter Berufung auf Verwaltungstraditionen u n d Fachkompetenz ihre ausschließliche Zuständigkeit für die verbliebenen Reste amtlichen Schriftguts reklamierten. Mit dem Kabinettsbeschluß zur Gründung eines Bundesarchivs im März 1950 war diese Frage im Grundsatz ausgestanden u n d das im September des gleichen Jahres aus der Taufe gehobene „Deutsche Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit" durch seine Satzung auf die Tätigkeit als „Zentralnachweisstelle" für verstreute Akten des Dritten Reichs verwiesen. Freilich sollte es nach wie vor auch „Dokumente, Berichte, Aussagen u n d andere Quellen zur Geschichte u n d Vorgeschichte des Nationalsozialismus" sammeln. Da dies jedoch schon dazumal ausdrücklich an das „Einvernehmen mit dem Bundesarchiv u n d den Staatsarchiven der Länder" gebunden war, die mit nicht unbegründeter Eifersucht ihre Sprengelrechte beanspruchten, erschien das künftige Sammlungsprofil des Institutsarchivs im Umkehrschluß ausreichend beschrieben: Es würde sich auf Quellen privater Herkunft, auf gedrucktes oder vervielfältigtes Schriftgut u n d auf amtliche Akten in Abschriften u n d fotografischer Reproduktion beschränken müssen. Damit war das Institut auf geraume Zeit allerdings in einer besseren Position als das neue westdeutsche Zentralarchiv, das erst 1952 mit vier Fachbeamten seine Arbeit in Koblenz aufnahm. Letzteren kam in bezug auf die NS-Zeit zunächst die wenig spektakuläre Aufgabe zu, den „Trümmern der Uberlieferung des deutschen Staates nachzuspüren u n d sie zusammenzutragen, soweit die Umstände es gestatteten". 6 Und diese Umstände waren, soweit es das Originalschriftgut des Dritten Reiches betraf, bis auf weiteres eben denkbar ungünstig. Obwohl man in der Münchener Reitmorstraße die Hilfstätigkeit als Nachweisstelle auch im eigenen Interesse durchaus ernst nahm, schon 1950 eine Aktenenquete bei den Archiven, Ministerien u n d Kreisregierungen der Bundesrepublik veranstaltet und bald die „bisher vollständigste Sammlung aller erreichbaren Nachrichten" zusammengetragen hatte, lag das Schwergewicht der Anstrengungen bei der schleunigen Beschaffung von Ersatzüberlieferungen. Bereits im Mai 1949 hatten 6

Vgl. Das Bundesarchiv und seine Bestände, Einleitung zur 3. Auflage, Boppard am Rhein 1977, S. XXXI ff.

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die Amerikaner 28 Kisten mit Protokollen der Nürnberger Prozesse angeliefert, die in den folgenden Jahren sukzessive vervollständigt u n d durch die Abschriften der Beweisdokumente ergänzt wurden. Darüber hinaus begründeten ein vom Bayerischen Staatsministerium f ü r Sonderaufgaben vermitteltes Deponat mit ausgewählten Spruchkammerakten u n d die Umdrucke von Anklage- u n d Urteilsschriften gegen NS-Täter aus westdeutschen Justizregistraturen einen weiteren zentralen Bestand. Von Anfang an bediente man sich zudem der auszugsweisen Fotoreproduktion u n d Verfilmung wichtiger Unterlagen der NS-Zeit in ausländischen Sammelstellen, etwa der Library of Congress, der Hoover Institution, der Wiener Library oder des Berlin Document Center, wobei auffällig oft ehemalige deutsche Emigranten die Wege ebneten. 7 In kürzester Frist entfaltete sich ein Sammlungsprofil, mit dem bis in die siebziger Jahre hinein die Archivbestände beschrieben werden konnten. Dieses kommt schon in den Schwerpunktsetzungen des Tätigkeitsberichts für 1953 deutlich zum Ausdruck: „Die Nürnberger Prozeßakten wurden in Umdrucken u n d Fotokopien zu einem fast vollständigen Satz zusammengetragen, ihre wissenschaftliche Auswertung wurde gefördert. Seit etwa einem Jahr werden geschichtlich wichtige Spruchkammer- und Gerichtsakten ausgewertet. Aus allen deutschen Ländern wurden Verzeichnisse der dort verhandelten Fälle beschafft. Im Rahmen der vorhandenen Mittel wurden Dokumente aus privater Hand u n d Mikrofilme einiger Stücke des in alliierter Hand befindlichen Materials beschafft. Im Pressearchiv werden alle für die Geschichte der nationalsozialistischen Zeit erheblichen Meldungen und Aufsätze gesammelt u n d systematisch geordnet. Beschafft wurden für die nationalsozialistische Zeit wichtige Zeitungen und Zeitschriften, in teils vollständigen, teils noch lückenhaften Sätzen. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Beschaffung aller geheimen Verfügungen u n d Mitteilungen der NSDAP u n d der SS u n d aller Verordnungsblätter von Staat u n d Wehrmacht gewidmet. Eine große Zahl Zeugen (Nationalsozialisten u n d Gegner) wurden befragt oder fertigten für das Institut Gedächtnisniederschriften an." 8 Daß die in der „Dokumentenkartei" des Archivs erfaßten Originalakten weiterhin „in ihren wichtigsten Bestandteile(n) der deutschen Forschung nicht zugänglich" waren, machte aus dem zusammengetrage7

8

Vgl. hierzu und zum folgenden die zeitgenössischen Tätigkeitsberichte des Instituts, ED 105. Tätigkeitsbericht o. D. (1953), ED 105.

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nen Material weit mehr als eine Arbeitssammlung für die Autoren des Hauses. 9 Bald kam hinzu, daß ein auf die Bedürfnisse dieser Forschung ausgerichteter, hoch differenzierter Erschließungsapparat einen Zugriff auf die Ersatzüberlieferungen ermöglichte, den klassische archivische Findhilfsmittel nicht anbieten konnten. Zusammen mit den Spezialsammlungen der Bibliothek begründete dies in recht kurzer Zeit d e n Ruf des Hauses als „Mekka der Zeitgeschichtsforscher" u n d als „Vatikan der Umerziehung". 1 0 Was die erstgenannte Einschätzung betrifft, so hat sich dieser Ruf als erfreulich stabil erwiesen., Archiv u n d Bibliothek des IfZ besitzen", so die Bewertung durch den Wissenschaftsrat, „von j e h e r großen Anteil an der überregionalen Anziehungskraft des Instituts". 11 Allerdings bezog sich 1996 dieses Urteil bereits auf andere Sammlungsschwerpunkte u n d Funktionsverständnisse als in den fünfziger u n d sechziger Jahren. Spruchkammerakten, Verhandlungsakten u n d Beweisdokumente aus den Nürnberger Prozessen waren trotz der gleichzeitigen Sammlungsb e m ü h u n g e n um gedruckte Quellen und persönliche Zeugnisse die wichtigsten Archivbestände, über die das Institut zu Beginn verfügte. Die „Nürnberger Dokumente", wie die Prozeßmaterialien im allgemeinen genannt werden, stammten aus dem 1945/46 gegen 24 Hauptangeklagte vor einem Internationalen Militärgerichtshof durchgeführten Verfahren u n d aus den zwölf sogenannten Nachfolgeprozessen, die anschließend vor amerikanischen Gerichtshöfen ebenfalls in Nürnberg bis 1949 gegen besonders belastete Arzte, Juristen, Generäle, Einsatzgruppenangehörige, Industrielle, Verwaltungsbeamte u n d Funktionäre des NS-Staates u n d der NSDAP stattfanden. Vor allem die Beweisdokumente der Anklagebehörde, die überwiegend amtlichen u n d parteiamtlichen Registraturen des Dritten Reichs e n t n o m m e n waren, aber auch die Verfahrensprotokolle mit den Aussagen von Zeugen u n d Angeklagten, die vom Institutsarchiv während der ersten Hälfte der fünfziger Jahre zusammengetragen wurden, bildeten die Grundlage der im Institut betriebenen Forschungsarbeit über den Nationalsozialismus u n d das Dritte Reich. In größeren Mengen wurden Nürnberger Gerichtsakten vor allem von Verteidigern der in diesen Prozessen Angeklagten zur Verfügung gestellt; eine ganze Reihe von Jahren trug auch das 9 10

11

Ebd. Vgl. Werner Jochmann, Gefahren des Managements - eine freundliche Warnung, in: 25 Jahre (Anm. 3), S. 101, und die langjährige Ornierung des Instituts in Beiträgen der „Deutschen National- und Soldatenzeitung". Stellungnahme zum Institut für Zeitgeschichte (IfZ), 19. Januar 1996, S. 36.

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Staatsarchiv Nürnberg durch die Abgabe von Dubletten und Filmkopien zu der Sammlung bei. Die Attraktivität der Nürnberger Dokumente und damit auch des Institutsarchivs für die Zeitgeschichtsforschung nahm außerordentlich zu, als nach etwa zweijähriger Erschließungsarbeit Mitte der fünfziger Jahre eine 200000 Nachweise umfassende Sach- und Personenkartei für die rund 40 000 Anklagedokumente zur Verfügung gestellt werden konnte. Diese Kartei war in Zusammenarbeit mit dem inzwischen in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen aufgegangenen Staatlichen Archivlager Göttingen und dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund entstanden. Beide Einrichtungen beteiligten sich nicht nur personell an der Erschließungsarbeit, sondern ergänzten auch den Dokumentenbestand, der für die Verschlagwortung herangezogen werden konnte. Die Sacherschließung erfolgte nach einem „handgestrickten" Schlagwortschema, dem einige systematische Gliederungselemente unterlegt waren. Naturgemäß war der größte Teil der Suchbegriffe dem zu bearbeitenden Material entnommen. Die Dichte der Verschlagwortung bzw. die Ausdifferenzierung der Schlagwortbegriffe erfolgte unter Bevorzugung einer mittleren Ebene, um die Gefahr zu großer Mengen von Belegen unter einem Suchbegriff zu vermeiden und dem Katalogbenutzer Zeit zu sparen, andererseits aber mit ausreichend differenzierten Schlagwörtern die Suche schnell und treffsicher zu machen: eine Dienstleistung also, die in idealer Weise den Bedürfnissen des schreibenden Forschers entgegenkam. Die Erschließung der Nürnberger Dokumente durch ausführliche, regestenartige Inhaltsangaben zog bald auswärtige Benutzer ins Institutsarchiv - außer Historikern auch Ermittlungsrichter und Staatsanwälte, die nach Belegen für NS-Verbrechen suchten, ein Erfolg, der intern durchaus seine Schattenseiten hatte. Denn wenn man von den in der „Nürnberger Dokumentenkartei" erschlossenen Anklagedokumenten einmal absieht, gehörte das Prozeßmaterial beim Magazinpersonal wegen seiner wenig archivgerechten Gliederung und seinen komplizierten Signaturen und dem damit verbundenen Zeitaufwand beim Ausheben und Rückstellen zu den wenig geliebten Beständen. 12 12

Die vom Zerfall arg in Mitleidenschaft gezogenen Papierüberlieferungen der „Nürnberger Dokumente" wurden - soweit von den National Archives verfilmt - in den achtziger Jahren sukzessive durch Mikrofilme ersetzt, die im Archiv-Lesesaal von den Benutzern selbst ausgehoben und an Reader-Printer-Geräten ausgewertet werden können. Den Altbestand hat dankenswerterweise das Zentrum für Antisemitismusforschung bei der TU Berlin übernommen.

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In den Nürnberger Prozeßmaterialien befanden sich in Form von Vernehmungen (interrogations), Zeugenaussagen und eidesstattlichen Erklärungen (affidavits) eine ganze Reihe von Dokumenten, die mit der Zeitzeugenbefragung, der Oral History der Angelsachsen, eng verwandt waren. Im Archiv wurde daher dieses Nürnberger Material zusammen mit den Interviewprotokollen u n d Befragungskorrespondenzen, die Institutsmitarbeiter f ü r eigene Forschungszwecke angelegt hatten, unter dem Begriff „Zeugenschrifttum" zusammengefaßt und einheitlich bearbeitet. Sehr früh gelangten auch Befragungsergebnisse anderer Forscher ins Institutsarchiv, erinnert sei n u r an die Sammlung von Ricarda Huch zum Thema Widerstand, an die Sammlung von Bodo Scheurig über das Nationalkomitee Freies Deutschland u n d den Bund deutscher Offiziere oder das Material, das der Schriftsteller Jürgen Thorwald schon wenige Jahre nach Kriegsende zum Zusammenbruch der deutschen Ostfront 1944/45 und zu sowjetischen Freiwilligen-Verbänden innerhalb der Wehrmacht u n d der Waffen-SS zusammengetragen hatte. Die Sammlung Zeugenschrifttum, heute ein Bestand von ungefähr 2700 Nummern, ist in ihrem individuellen Quellenwert sehr kritisch zu betrachten, in ihrer Bedeutung insgesamt aber auch heute noch kaum zu überschätzen, weil sie in vielen Fällen zu Einzelheiten Auskunft gibt, die in den Akten bzw. mangels Akten nicht überliefert sind. Die Probleme der Bewertung im einzelnen, die für die NS-Zeit wegen des apologetischen Charakters vieler Aussagen besonders groß sind, gelten jedoch für das gesamte, von subjektiver Sicht des Geschehenen geprägte memoirenartige Schrifttum, das j a keine Erfindung der Zeitgeschichtsschreibung ist, aber neben der Zeitung immer noch die ureigenste Form des zeitgeschichtlichen Quellenmaterials darstellt. Auch ein großer Teil der im IfZ-Archiv gesammelten unveröffentlichten Erlebnisberichte u n d Lebenserinnerungen - heute annähernd 750 Bände - ist inhaltlich und wegen der ähnlichen Bewertungsproblematik dem Zeugenschrifttum verwandt. Freilich können geschicktes Fragen des Interviewers u n d vereinbarte Vertraulichkeit den Zeitzeugen veranlassen, sich offener zu äußern als der Memoirenschreiber. Um so schwieriger gestaltet es sich deshalb, manchen Benutzern die Verbindlichkeit bestimmter Auflagen, die Vertraulichkeit mancher Informationen und, schlimmstenfalls, die Unmöglichkeit der Benutzung bestimmter Niederschriften klarzumachen. Nicht selten fühlt sich der Archivar in solchen Momenten als Feind der Aufklärung und Behinderer der Wissenschaft - u n d seine zu Bittstellern sich erniedrigenden Kunden sehen das vermutlich ebenso.

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Ein ausgesprochener Glücksfall für die Forschungsaufgaben des Instituts war schließlich die 1956 begonnene Verfilmung des erbeuteten Schriftguts von Behörden und Dienststellen des Dritten Reiches durch die National Archives in Washington. Schon vorher hatte das Institut dort kleinere Aktenverfilmungen für interne Forschungsprojekte anfertigen lassen. Die Gesamtverfilmung 13 ermöglichte dem IfZ-Archiv nun den mengenmäßig erheblichen Zugriff auf deutsche Akten vor der Rückführung der Originale in die Bundesrepublik. Ihre Nutzung erforderte freilich eine rasche und detaillierte inhaltliche Erschließung, die aus dem Institutshaushalt nicht finanziert werden konnte. Projektgelder der Fritz-Thyssen-Stiftung machten es dem Archiv schließlich möglich, Teilzeitkräfte anzustellen, die zwischen 1962 und 1968 den wichtigsten Teil der angekauften Filme repertorisierten und katalogisierten. Unter der konsequenten Anleitung durch Anton Hoch 1 4 haben die angeheuerten Geschichtsstudenten - für viele von ihnen war dies der Einstieg in spätere Forscher- und Universitätskarrieren - und Ruth Körner, eine heimgekehrte deutsche Emigrantin, ein vielbändiges Repertorienwerk zu Akten zentraler Reichs- und Parteibehörden erstellt. Seine Regesten wurden mit Hilfe der damals gerade eingeführten und wegen nicht seltener Papierüberhitzung im deutschen Sinne des Wor13

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Die Verfilmung der deutschen Akten stand unter der wissenschaftlichen Verantwortung der American Historical Association unter wechselnden Herausgebern und wird begleitet von einer noch nicht abgeschlossenen Verzeichnung in den „Guides to German Records microfilmed at Alexandria, VA", herausgegeben von den National Archives and Records Administration (bis 1984: National Archives and Records Service, General Services Administration), von denen 1996 als letzte die Nummern 95 und 96 erschienen. Dr. Anton Hoch (1914-1981) wurde 1949 erster Leiter des Archivs, dem er bis zu seinem Ruhestand 1979 vorstand. Er betreute noch die Anfänge des Hitler-Projekts, verstarb aber überraschend bereits 1981. Obwohl nach eigenem Bekunden technisch unbegabt, verstand es Hoch als geschickter Organisator, die Fortschritte der Technik für sein Archiv nutzbar zu machen. So setzte er die frühzeitige Einführung moderner Kopiertechnik im Hause durch, war für das Institut Gründungsmitglied im Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse und beteiligte sich innerhalb des Arbeitskreises „Informationssystem für die Geschichtswissenschaft" an den Überlegungen für das in den siebziger Jahren von der Bundesregierung geplante Netz von Fachinformationszentren. Die 1977 bis 1980 in einem Probelauf erhobenen Daten bildeten viel später die Grundlage des von Heinz Boberach im Auftrag des Instituts bearbeiteten quellenkundlichen Standardwerks „Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates. Die Uberlieferung von Behörden und Einrichtungen des Reichs, der Länder und der NSDAP", 2 Bde. 1991, 1995. Hochs geschickter und weitsichtiger Erwerbungspolitik verdankt das Institut neben dem raschen Auf- und Ausbau seiner Sammlungen zur Geschichte und Vorgeschichte der NS-Zeit nicht zuletzt einen Grundstock von Quellen zur deutschen Nachkriegsgeschichte, die offiziell erst später in den Forschungskatalog des Instituts aufgenommen wurde.

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tes „brandneuen" elektrostatischen Kopierapparate zusätzlich in den Generalkatalog des Archivs eingebracht. Nach Personen und Sachen geordnet, ermöglichten sie eine unter zeitgenössischen Verhältnissen höchst komfortable Suche. Was die Attraktivität des Institutsarchivs für in- und ausländische Forscher neben dem Quellenangebot also besonders förderte, waren die ausführlichen Findmittel, die man für einen großen Teil der Bestände frühzeitig anbieten konnte: Die Nürnberger Dokumentenkartei, die seit Mitte der fünfziger Jahre zur Verfügung stand und etwa zur Hälfte im Hause erarbeitet worden war, erschloß den bis weit in die achtziger Jahre am häufigsten benutzten Bestand des Archivs in seinem wichtigsten Teil, den Anklagedokumenten. Das „Thyssen-Projekt" ermöglichte es dem Archiv, eine große Zahl seiner amerikanischen Mikrofilme mit Beuteakten aus den Zentren des Dritten Reiches in ähnlicher Weise wie bei den Nürnberger Dokumenten über Schlagwort- und Personenkarteien zu erschließen, wobei der Thesaurus der Schlagwörter sich bis zum Auslaufen der Projektfinanzierung im Jahre 1968 gegenüber dem Nürnberger Schlagwortkatalog etwa verdoppelte. Der stetig wachsende Bestand an ausgewählten Aktenreproduktionen des NS-Staats und deren differenzierte Inhaltserschließung führten in den sechziger Jahren zu einem nahezu autarken Wissenschaftskombinat: „Im Parterre des Hauses in der Möhlstraße war die Basis - Archiv und Bibliothek; im ersten Stock war der Uberbau - die Verwaltung und der berühmte reine Geist", erinnert sich Hans-Dietrich Loock. „Die Produktion im ersten Stock war . . . abhängig davon, daß im Parterre die Produktionsmittel zugriffbereit geordnet wurden."15 Manch einer der damaligen Autoren der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" berichtete später, daß schon der Griff in einen beliebigen Karteischuber des Archivkatalogs zu neuen Forschungsfragen geleitet und die zu ihrer Beantwortung erforderlichen Aktenduplikate aus Nürnberg und Washington mit Signatur und Blattnummer offeriert habe. Solche Reminiszenzen sind nicht ohne wahren Kern. Vor ihrem Hintergrund werden auch die gefährlichen Erwartungen deutlich, die sich als Folge der hohen aktuellen Funktionalität der Sammlungen künftig auf das Archiv richten mußten. Eine andere Gefahr war der methodologische „Alterungsprozeß" der Nürnberger Prozeßmaterialien, die überwiegend jene Vorgänge aus 15

Hans-Dietrich Loock: War's so? Erinnerungen an die Entstehung der Zeitgeschichte, in: 25 Jahre (Anm. 3), S. 42 f.

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d e n Akten des Nazireichs in Kopien, Abschriften oder Ubersetzungen enthielten, die als Belastungsdokumente im Sinne d e r Anklage in Frage g e k o m m e n waren. Es war abzusehen, daß in m e h r o d e r weniger kurzer Zeit nach der Aktenrückgabe an die zuständigen staatlichen Archive d e r Bundesrepublik die Benutzung d e r Originalüberlieferungen im Provenienzzusammenhang f ü r die Zeitgeschichtsforschung das Mittel der Wahl werden mußte. Ahnliches galt auf längere Sicht auch f ü r die Sammlung von Mikrofilmen deutscher Aktenserien aus d e n National Archives, die zu Anfang der siebziger J a h r e zwar die stolze Zahl von rd. 3000 Filmrollen mit ü b e r dreieinhalb Millionen Blatt Dokum e n t e n d e r vermutet wichtigsten Provenienzen umfaßte, aber eben doch n u r die auswählende Reaktion auf damalige Forschungsinteressen darstellte. Überdies kam nach d e m Ende der Sonderfinanzierung ihre ausgefeilte Erschließung bald zum Erliegen: War zwischen 1962 u n d 1972 d e r Generalkatalog von 25 000 auf ü b e r eine Viertelmillion Karteikarten dank des „Thyssen-Projekts" rapide angewachsen, so reduzierte sich in d e n Folgejahren die inhaltliche Nach Weisung des restlichen Washingtoner Bestands in dramatischer Weise. Erst 1985 konnten die ca. 1000 noch unverzeichneten Filmrollen durch weitaus weniger komfortable Findmittel auf d e r Grundlage d e r amerikanischen Guides f ü r eventuell noch interessierte Benutzer zugänglich gemacht werden. Mehr noch als d e r vorläufige Charakter d e r beiden großen Ersatzüberlieferungen zum Dritten Reich mußte ins Gewicht fallen, daß dieser relativ freie Zugriff auf jüngstes staatliches Schriftgut nicht wiederholbar schien. Für d e n Archivar sprach fast alles gegen Sinn u n d Möglichkeit, künftig Aktenüberlieferungen in d e n zuständigen deutschen Archiven zu vervielfältigen u n d im IfZ als Parallelbestände f ü r d e n besonderen wissenschaftlichen Bedarf bereitzustellen. Dies unterstrich eine Zeiüang später ein Projekt der Institutsleitung, aus Empfängerüberlieferungen in d e n westdeutschen Staatsarchiven d e n Schriftverkehr d e r Parteikanzlei d e r NSDAP zu rekonstruieren u n d damit eine n u r in M ü n c h e n verfügbare u n d dort in allen Details erschlossene „Kunst-Provenienz" zu etablieren. Abgesehen von d e n heftig tangierten Eigeninteressen d e r Staatsarchive u n d d e r e n methodologischen Bedenken erwies es sich, daß die Ressourcen des Hauses nicht ausreichten, u m das d e n Amerikanern zu verdankende Q u e l l e n m o n o p o l d e r f r ü h e n J a h r e n e u aufleben zu lassen. 16 16

Hierzu ausführlich der Beitrag von Michael Ruck, S. 215-235.

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Neben dem absehbaren wissenschaftlichen Bedeutungsschwund der Nürnberger und Washingtoner Aktenkopien mußte vor allem der forschungspolitische Schritt über das Kriegsende hinaus das bis dahin so überaus produktive Zusammenspiel zwischen „Uberbau" und „Basis", von institutsinternem Forschungsbetrieb und hauseigenem Quellenfundus, in Frage stellen. Wenn das Archiv dann nicht in der Lage sein würde, eine eigenständige und langlebige Quellensammlung für die Jahre nach 1945 vorzuweisen, konnte die Abteilung in die Gefahr geraten, bestenfalls auf die gezielte Materialbeschaffung für den baldigen Verbrauch in Editions- und Forschungsvorhaben des Instituts verwiesen zu werden und damit den Ruf eines fast „echten" Archivs schnell zu verlieren. Anton Hoch, der Vorstand des Archivs, war sich dieser Problematik früh bewußt. Schon zu Ende der fünfziger Jahre sind strategische Uberlegungen angestellt worden, wie man einer „Erweiterung des Begriffes Zeitgeschichte" Rechnung tragen sollte. Unzweifelhaft war, daß für die Erforschung der Nachkriegszeit schon aufgrund der zu erwartenden Sperrfristen für Behördenüberlieferungen das „primäre Schriftgut wie Akten usw. keineswegs im gleichen Maße zur Verfügung stehen wird wie etwa, hervorgerufen durch den Zusammenbruch von 1945, für die Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reiches".17 Ausweichmöglichkeiten sah Hoch damals in einem möglichst kompletten Bestand „sekundären Schriftguts", d. h. von „Drucksachen des Bundes und der Länder, Presseinformationen und -diensten der Parteien und Gewerkschaften"; das 1953 aufgrund des hohen Arbeitsverbrauchs eingestellte Zeitungsausschnitt-Archiv sollte „nach systematischen Überlegungen neu [aufgebaut] und über 1945 hinaus bis zur Gegenwart laufend" weitergeführt werden. Priorität behielt zunächst aber im Zusammenhang mit den Washingtoner Aktenerwerbungen der Ausbau der „ArchivGruppe staatliche und parteiamtliche Drucksachen 1918-1945", ein Bestand, der schon 1960 „innerhalb der Bundesrepublik Deutschland als eine einmalige Sammlung" gelten konnte. 18 Erst zu Anfang der siebziger Jahre gelang es der Archivleitung, Personal- und Sachmittel in größerem Maße auch für die Beschaffung von Druckschriften der Nachkriegszeit zu aktivieren. Nachdem 1974 die hierfür neu zugeteilte Planstelle mit einer Sachbearbeiterin von hervorragenden Beschaffungsta-

17

18

Archiv und Bibliothek: Memorandum über den künftigen Ausbau der Sammlungen v. 19. Oktober 1960, S. 4f., ED 105. Vgl. Jahresbericht 1960, ED 105.

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lenten besetzt worden war, füllten sich nun die Regale der „forschungsbezogenen Spezialsammlung" mit jährlichen Zuwächsen von bis zu 50 laufenden Metern. Von 1975-1977 ermöglichten wiederum Drittmittel der Fritz-Thyssen-Stiftung eine Sonderaktion zur Beschaffung von „Druckgut alliierter Besatzungsdienststellen u n d deutscher zonaler u n d interzonaler Behörden 1945-1949". 19 Gegen Mitte der achtziger Jahre näherte sich der Druckschriftenbestand zur Weimarer Republik, zur NS-Zeit u n d für die Jahre nach 1945 der als archivwürdig eingestuften Herausgeber den Grenzen der rückwirkenden Ergänzungsmöglichkeit. Seither wächst er vor allem durch aktuelle Amts- und Verbandsdruckschriften, die in Abstimmung mit den Sammlungsschwerpunkten der Münchner Bibliotheken u n d Archive laufend erworben werden. Einerseits war mit dieser Entwicklung - flankiert von erfolgreichen Aktivitäten im Bereich der Zeitungssammlung u n d der Presseausschnitte - Anton Hochs Vordenken schließlich doch realisiert worden. Andererseits aber litt das Erreichte zunächst unter alten Erwartungen, die sich an das Archiv richteten. Anstelle einer vielleicht machbar gewesenen laufenden Erfassung nach Herausgeberprovenienzen u n d Titelangaben war der Auftrag an das Archiv ein weiteres Mal von dem Wunsch bestimmt, die Produktionsverhältnisse der Gründerzeit auch im Bereich des „sekundären Schriftguts" zu rekonstruieren. Der Versuch, Amts- u n d Verbandsdruckschriften nach den Schlagwörtern des Generalkatalogs inhaltlich zu verkarten, blieb bald auf der Strecke u n d hat bis zu seiner stillschweigenden Liquidierung zu Anfang der achtziger Jahre viel Zeit und Arbeitskraft vernichtet. Der sich allmählich zuspitzende Gegensatz zwischen dem forschungstechnischen Optimum u n d den etatmäßigen Ressourcen des Archivs wurzelte in der Erfolgsgeschichte des Hauses. Dabei wuchs auf der einen Seite das Bestreben des Archivs, sich zur Sammelstelle für Forschungsfelder der näheren u n d ferneren Zukunft zu emanzipieren u n d einem regulären archivischen Selbstverständnis den Vorzug zu geben. Die Leitung des Instituts wiederum mußte an der gewohnten unmittelbaren Quellendienstbarkeit weit mehr interessiert sein. Nach außen hin war dieser strukturelle Widerspruch zum einen durch den Umstand verwischt, daß das Unternehmen zur Rekonstruktion der Parteikanzleiakten die „quellenpolitischen" Energien des Direktors absorbierte. Zum anderen trat erneut ein Projekt auf den Plan, das auch für die 19

Vgl. Gitta Wolff, Behörden- und verbandsgeschichtliche Dokumentation der Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik, in: VfZ 25 (1977), S. 931f.

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Nachkriegsperiode eine umfangreiche staatliche Ersatzüberlieferung mit detaillierten Erschließungsmitteln ins Haus bringen sollte. Mit der Verlagerung des Forschungsinteresses vom Dritten Reich zur unmittelbaren Nachkriegszeit wurde es offensichtlich, daß ohne Auswertung der Akten der alliierten Besatzungsverwaltungen wissenschaftlich fundierte historische Forschung nicht möglich war. Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei zunächst die Quellen der für die Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland wichtigsten Besatzungsmacht, der Vereinigten Staaten von Amerika. Die etwa 3300 laufenden Meter Akten des „Office of Military Government for Germany, U. S." (OMGUS) umfassen die gesamte schriftliche Uberlieferung der amerikanischen Besatzungsverwaltung in Deutschland einschließlich der Militärregierungen in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone. Trotz des enormen Umfangs eines solchen Projekts machte sich Ende 1973 Martin Broszat die Idee einer Erschließung u n d Verfilmung der OMGUS-Akten zu eigen. Ein, wie später das gesamte Unternehmen, von der Stiftung Volkswagen finanziertes Vorprojekt sollte Möglichkeiten u n d Grenzen aufzeigen. Auf deutscher Seite hatten sich dabei das Bundesarchiv, die staatlichen Archive der Länder der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone, das Institut für Zeitgeschichte, das Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Studien der FU Berlin u n d der Arbeitskreis Nachkriegsgeschichte Ruhr, den das Westfälische Wirtschaftsarchiv mit der Universität Bochum gebildet hatte, zusammengeschlossen. Federführend blieben das Bundesarchiv, das mit Klaus Oldenhage den Projektkoordinator stellte, und das Institut für Zeitgeschichte. Diese Art der Zusammenarbeit war neu, u n d die aus der Frühzeit beider Institutionen herrührende Konkurrenz wich bald einer für beide Seiten ertragreichen Kooperation. 1976 begann die Verzeichnung, 1977 die Verfilmung der OMGUS-Akten. 20 Die Bereitwilligkeit der amerikanischen Partner machte das Projekt erst möglich, u n d das Entgegenkommen der britischen Seite in Deklassifizierungsfragen erleichterte die Durchführung. Etwa ein Drittel des gesamten Bestandes, rund 6 Millionen Blatt, bewerteten die m e h r als 30 damit befaßten Archivare u n d Historiker als historisch bedeutend. Bis 1981 wurden diese Akten verfilmt. Im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte befindet sich ein kompletter Satz aller verfilmten Akten. 20

Zur Genese des Projektes, zu Ordnung und Inhalt der Akten sowie zur bisherigen wissenschaftlichen Auswertung vgl. den Aufsatz von Hermann Weiß, S. 397-408.

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Das Bundesarchiv besitzt die der OMGUS-Zentralbehörden, die Staatsarchive der Länder der ehemaligen Besatzungszone verwahren das Schriftgut der amerikanischen Verwaltungsstellen in ihrem Sprengel. Das Material wurde den Deutschen ohne Auflagen überlassen, doch die „Beschenkten" einigten sich auf einheitliche Benutzungsrichtlinien, die wissenschaftliche Auswertung voraussetzen u n d Personenschutz gewährleisten. Das ursprüngliche Projekt sah vor, lediglich Teile der für die einzeln e n Akten maschinenschriftlich gefertigten Datenblätter im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte auf konventionelle Weise zu indizieren u n d hier in den Personen- und Schlagwortkatalog aufzunehmen. Das große Interesse am Projekt ließ die Archivleitung jedoch auf die für diese Zwecke noch neue elektronische Datenverarbeitung zurückgreifen. Für den Bestand der OMGUS-Zentralbehörden entstand ein Schlagwort- und Personenkatalog, der Interessierten zunächst in gedruckter Form zur Verfügung stand. An der inzwischen allgemein zugänglichen elektronischen Datenbank selbst sind seit 1998 darüber hinaus auch Volltext- u n d Signaturrecherchen möglich. Die detaillierte Gesamterschließung der Ersatzüberlieferung verhalf dem Archiv des Instituts für Zeitgeschichte wiederum zu einem Quellenvorsprung, zumal die teilweise U m o r d n u n g der Originale in den National Archives deren Benutzung erschwert. Damit war auch für einen Sektor der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte die räumliche Einheit von Quellen u n d Forschung im Institut für Zeitgeschichte wiederhergestellt. Für die Besatzungsakten der anderen Westalliierten hatte das OMGUS-Projekt jedoch keinen Modellcharakter. 21 21

Die Archives de l'Occupation in Colmar liegen auch für den privaten Forscher in zumutbarer geographischer Entfernung. Die Akten der britischen Militärregierung in Deutschland werden im Public Record Office in Kew aufbewahrt. Eine Verfilmung erscheint in beiden Fällen wenig sinnvoll. Für die britischen Bestände liegt ein mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung erstelltes Sachinventar für 1945 bis 1955 vor, das vom Deutschen Historischen Institut in London und der niedersächsischen Archiwerwaltung erstellt wurde, in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv und den Archivbzw. Wissenschaftsverwaltungen der Bundesländer Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sowie mit maßgeblicher Förderung durch das Public Record Office: Akten der britischen Militärregierung in Deutschland. Sachinventar 1945-1955 - Control Commission for Germany, British Element. Inventory 1945-1955. Herausgegeben von/Edited by Adolf M. Birke, Hans Booms, Otto Merker unter Mitwirkung von/in co-operation with: Deutsches Historisches Institut London, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, 11 Bde., München, New Providence, London, Paris 1993. Wünschenswert bleibt eine Erschließung und möglichst auch eine Verfilmung der Akten der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. Hier könnte das OMGUS-Projekt als Modell dienen. Das Institut für Zeitgeschichte hat zwar bereits erste

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Die Richtung einer arbeitsteiligen archivischen Zusammenarbeit hatte schon zuvor ein Projekt gewiesen, zu d e m sich 1969 Bundesarchiv u n d Institut u n t e r Beteiligung der Friedrich-Ebert-Stiftung, des DGBArchivs u n d der Deutschen Bibliothek zusammengetan hatten, die „Dokumentation zur Emigration 1933-1945". 22 Von d e r Deutschen Forschungsgmeinschaft zugunsten eines in der Ära Brandt n e u entdeckten Forschungsdesiderats großzügig finanziert, entstand im Institut ein Zentralkatalog d e r Uberlieferungen zum Exil d e r NS-Zeit, die von d e n Projektmitarbeitern in d e n wichtigsten deutschen, west- u n d nordeuropäischen Archiven erfaßt wurden. Das Vorhaben bündelte in bezug auf das Institut „historische" Strömungen u n d zukunftsweisende Trends in besonderer Weise: So n a h m es zum einen dessen Gründungsauftrag im Sinne einer Aktennachweisstelle wieder auf u n d nutzte bei der Verzeichnung der Exilarchivalien j e n e elaborierte Regestentechnik, die im IfZ seit der Erschließung seiner Washingtoner Mikrofilme üblich war. Ging dort die Produktion nach d e m E n d e der Thyssen-Beihilfe schnell zurück, beschickten n u n die Mitarbeiter der „Dokumentation" bis 1974 d e n in diesem J a h r gut 290000 Karten zählenden Generalkatalog des Archivs mit ü b e r 50000 Nachweisen. W ä h r e n d das Projekt mit seiner Verzeichnungstechnik d e n eingeübten Verfahren entsprach, arbeitete es doch auf der Grundlage n e u e r Geschäftsbedingungen zwischen d e n beteiligten Archiven u n d ließ das Streben d e r M ü n c h e n e r Wissenschaftler nach Bilokation deutschen Sprengelschriftguts erstmals unberücksichtigt. Anders als bei d e r Verfichung d e r OMGUS-Akten, die angesichts der transatlantischen E n t f e r n u n g e n u n d der Benutzungsumstände in d e n National Archives in d e r Tat das Mittel der Wahl war, wurden d e m Forscher hier die eigenen Wege zu auswärtigen Standorten gewiesen - ein Verfahren, das „demokratische Öffentlichkeit" beim Quellenzugang herstellte u n d sich auf den Mobilitätsfortschritt u n d die n e u e Servicebereitschaft d e r Archive in Form von Aktenauskünften u n d Kopienversand stützen konnte. Aber auch in bezug auf die eigenen Sammlungen sollte sich das Projekt als innovativ erweisen: Nicht von u n g e f ä h r war es d e r „Sicherung u n d Erschließung" von Quellen zum politischen Exil gewidmet. In d e r Mehrheit b e f a n d e n

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Anstrengungen unternommen, dieses Quellenmaterial in Teilen zu erschließen, ist aber bei dem Versuch, eine Erschließung oder gar Verfilmung auf den Weg zu bringen, bis heute ebenso gescheitert wie das Bundesarchiv. Vgl. Werner Röder, Die Dokumentation zur Emigration 1933-1945, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung 11/12 (1971), S. 54 ff.

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sich die Überlieferungen noch im Privatbesitz ehemaliger Emigranten u n d ihrer Nachkommen, u n d wo sie aufgrund der Zeitumstände nicht schriftlich hatten entstehen können oder untergegangen waren, sollten sie durch Interviews, Befragungskorrespondenz u n d Erinnerungsniederschriften ersetzt werden. Besondere Bedeutung gewannen in diesem Zusammenhang die Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren u n d Flugblätter der Exilvereinigungen. Nicht nur dieses „sekundäre Schriftgut", sondern im besonderen Maß auch persönliche Papiere, Organisationsakten u n d Zeugenschrifttum rückten nun ins Zentrum einer neuen Akquisitionstätigkeit des Archivs. Ebenso wie die Sammlung von Zeitzeugenaussagen war die Beschaff u n g privaten Schriftguts durchaus Teil früherer Bemühungen gewesen. Erinnert sei n u r an die Papiere des Generals Geyr von Schweppenburg, die Tagebücher u n d Aufzeichnungen des Staatssekretärs Hans Schäffer oder die Sammlung Walter Hammer, die Anfang der sechziger Jahre ins Archiv gelangten. Einer systematischen Erwerbungspolitik waren damals jedoch gewisse natürliche Grenzen gesetzt - erst in den siebziger Jahren erreichten j a die meisten Akteure der Weimarer Republik u n d der NS-Zeit das für den Nachlaßfall oder die Abgabe ihrer Lebensdokumente vorbestimmte Alter. Vor allem aber war es die Auslastung der Personalressourcen, die neben der f ü r das Haus prioritären Bearbeitung „flächendeckender" staatlicher Uberlieferungen die Einwerbung u n d Erschließung von Nachlässen kaum erlaubt hatte. N u n m e h r und während der nachfolgenden, ebenfalls von der DFG unterstützten Forschungen zur Emigration 23 standen dank ausreichender Mittel u n d eines von den Projektpartnern des Instituts mitgetragenen Sammlungsauftrags die Zeichen günstig. Innerhalb weniger Jahre mehrten sich die Nachlaßbestände des IfZ-Archivs - heute über 200 größere Sammlungen - um ein Vielfaches. Die noch zu dessen Lebzeiten übereigneten Papiere des Emigranten u n d nachmaligen bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner gehören mit den Nachlässen von Otto Straßer, Konrad Heiden, Karl Thieme, Fritz Eberhard, Gerhard Masur oder Karl Otto Paetel zu den bekanntesten Erwerbungen dieser Zeit. Viele der Nachlaßgeber hatten nach der Rückkehr aus dem Exil Anschluß an die politischen, administrativen und kulturellen Eliten der Bundesrepublik gefunden oder waren Teil eines nonkonformistischen Netzwerks geworden. Ihre Erfahrungen mit der vergleichsweise raschen 23

Hier vor allem das Projekt „Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration". Vgl. den Beitrag von Patrik von zur Mühlen, S. 345-352.

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und forschungsnahen Erschließung ihrer Papiere in einem weitgehend staatsfreien und parteiunabhängigen Institut von internationalem Renommee trugen dazu bei, daß sich in steigender Zahl Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichem Lebenshintergrund den Erwerbungsinitiativen des IfZ-Archivs öffneten bzw. von sich aus privates Schriftgut und Akten von Parteien, Verbänden und Zirkeln, die sie geleitet oder in denen sie mitgewirkt hatten, dem Institut zur Übernahme anboten - und häufig aus Uberzeugung nur diesem allein. Natürlich sind diese Aufzeichnungen zum Teil archivische Wertpapiere mit späten Fälligkeitsterminen: Von vereinbarten Sperrfristen einmal abgesehen, muß oft noch geraume Zeit ins Land gehen, bis die dort dokumentierten Ereignisse und Zusammenhänge zum Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Erforschung geworden sind. Ebenso wie Druckschriften, Presseerzeugnisse und „graue Literatur" können sie kaum mehr sein als vielleicht bedeutsame Stücke für das Quellenmosaik individueller Forschungsvorhaben, dessen weitere Teile außerhalb des Instituts gesucht werden müssen. Selbstverständlich war diese Ausdehnung des Sammlungsbereichs dem Haus durchaus nicht unwillkommen. Ersatz für einen kompakten Quellenfundus zur Erforschung bestimmter zeitgeschichtlicher Dezennien konnte sie freilich nicht bieten. Anfang der achtziger Jahre wurde sein Fehlen in bezug auf die sich anbahnende Beschäftigung mit den beiden deutschen Nachkriegsstaaten zu einem erstmals nicht mehr auflösbaren Problem: Zwei Jahrzehnte zuvor war es dank glücklicher Umstände und zusätzlicher Finanzierung gelungen, mit den Aktenfilmen aus Washington den Vorsprung der Gründerzeit fortzuschreiben. Die Befürchtung, daß das Archiv mit dem Schritt in die Nachkriegsperiode seine Quellenkompetenz einbüßen würde, hatte in den siebzigerJahren durch die Erwerbung der OMGUS-Dokumentation ihre Aktualität verloren. Ganz andere Bedingungen ergaben sich mit dem weiteren Fortschreiten von Zeitgeschichte in die Entwicklungsphase der deutschen Teilrepubliken. Zur neuen „Normalität" gehörten nun eigene staatliche Archivorganisationen, die die Uberlieferungen von Regierungen und Behörden souverän verwalteten und sie der individuellen Nutzung an Ort und Stelle anboten bzw. dem westlichen Klassenfeind rigoros verweigerten. In einer programmatischen Aufzeichnung, die der Direktor im Zusammenhang mit der Emeritierung des Archivleiters Anton Hoch den Stiftungsgremien vorlegte,24 findet sich auf dieses Problem noch keine 24

Martin Broszat, Aufgabenstellung, Sammlungen, Arbeitsmethoden und Organisation des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte, 17 S., o. D. [ca. 1980], ED 105.

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schlüssige Antwort. Der Auftrag an das Archiv ist nach wie vor von den Arbeitserfahrungen mit den Nürnberger Dokumenten und der Washingtoner Aktenverfilmung bestimmt. Schwerpunkt der archivischen Tätigkeit sollte es weiterhin sein, für Arbeitsvorhaben des Instituts staatliche Aktenüberlieferungen - möglichst als Blattkopien und nicht auf nur mühsam handhabbaren Mikroformen - ins Haus zu bringen und „durch optimale Erschließung [ . . . ] eine zielstrebige und rasche Auffindbarkeit von Einzeldokumenten in der Masse der überlieferten Quellen zu ermöglichen [ . . .]. Von der Aktenverwahrung und -Verzeichnung, wie sie in öffentlichen Archiven in aller Regel vorgenommen werden, unterscheidet sich die forschungsbezogene archivische Tätigkeit des Instituts für Zeitgeschichte vor allem dadurch, daß dessen Bestände intensiver und nicht nur nach Provenienzgesichtspunkten, sondern auch sachthematisch, nach Personenzusammenhängen u. a. erschlossen werden, da es ein zentrales Problem zeitgeschichtlicher Forschung bildet, den ungeheuren Mengen überlieferter schriftlicher Quellen Herr zu werden und die gesuchten Informationen möglichst schnell zu finden." Das Ausmaß von Neuerwerbungen müsse, so Broszat, dort seine Grenze haben, wo mit der Personalausstattung der Abteilung die Feinerschließung durch Regesten und deren Vervielfältigung für die Sach- und Personenkartei in kurzen Zeiträumen nicht zu schaffen sein würde. Die erste von Broszat beschriebene Grundregel, die ins einzelne gehende Quellenidentifizierung für Forschungszwecke, war bis dahin in der Tat Richtlinie der Archivarbeit gewesen. Ihre Umsetzung in praxi ist jedoch stets dann auf unüberwindbare Schwierigkeiten gestoßen, wenn die hierfür von dritter Seite gewährten Sondermittel erschöpft waren. Daß die zweite Handlungsanweisung, der Erwerbungsstopp unter nicht ausreichenden, d. h. regulären Haushaltsbedingungen, seit eh und j e von der Archivleitung stillschweigend umgangen worden war, bewiesen zu dieser Zeit nicht nur die etwa tausend unbearbeitet gebliebenen Filmrollen aus Amerika, sondern auch die zum Teil außerordentlich wertvollen privaten Abgaben aus den fünfziger und sechziger Jahren, die Anton Hoch in entlegenen Kammern für bessere Zeiten verwahrt hatte und die nun eine zusätzliche, aber höchst willkommene Arbeitslast bei der Neuprofilierung der Bestände werden sollten. Da weit und breit eine Kooperation der staatlichen Archive zur Duplizierung ihrer Kernbestände für das Münchener Institut und die dafür unerläßlichen Gelder der Wissenschaftsförderung nicht in Sicht waren, konnte die Broszatsche Beschreibung letztlich nur Rückblick auf einen

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außergewöhnlichen u n d für die NS-Forschung konstitutiven Zeitabschnitt sein. So war es kaum noch verwunderlich, daß wenig später der Wissenschaftliche Beirat das Arbeitskonzept der neuen Archivleitung o h n e manifesten Widerspruch des Institutsdirektors absegnete: „Den großflächigen, das politische Handeln in einer zeitgeschichtlichen Periode ann ä h e r n d abdeckenden Quellenfundus wird das IfZ-Archiv niemals m e h r annähernd so bieten können, wie dies in Bezug auf die nationalsozialistische Zeit vorübergehend u n d ersatzweise der Fall gewesen ist. Es ergeben sich somit andere Schwerpunkte, die teilweise schon seit den Anfängen des Instituts verfolgt worden sind: 1. Die allgemeine archivarische u n d dokumentarische Tätigkeit im nichtstaatlichen bzw. sprengelfreien Raum. 2. Die Wahrnehmung von regionalen oder überregionalen archivischen Sonderaufgaben, evtl. in praktischem wie in formellem Konsens mit anderen Archiven bzw. in staatlichem Auftrag. 3. Zentrale Koordinations- u n d Serviceleistungen über den Erwerb u n d die Erschließung eigener Sammlungen hinaus". Die künftigen Erwerbungen des Archivs sollten sich demnach konzentrieren auf „persönliche Nachlässe, Dokumentensammlungen u n d Korrespondenzen, Niederschriften u n d Befragungsprotokolle (Zeugenschriften, Oral History) , ungedruckte schrifdiche Uberlieferungen juristischer Personen im Bereich von Politik, Kultur u n d Wirtschaft, nicht für den Buchhandel hergestellte monographische u n d periodische Drucksachen von Parlamenten, Regierungen, Parteien u n d Verbänden, öffentliche Presseerzeugnisse, also Zeitungen u n d Zeitschriften u n d ihre dokumentarischen Derivate, d. h. sach- u n d personenbezogene Presseausschnittsammlungen, schließlich den Bereich von Kleinstschriften u n d Akzidenzien wie Flugblätter u n d Plakate". 25 Martin Broszat, dem neben der Wissenschaft auch die togetherness in seinem Institut ein hoher Wert war, hat sich mit dieser teilweisen Entf r e m d u n g zwischen archivischer Erwerbungspolitik und aktueller hauseigener Bestandsverwertung nie wirklich anfreunden können. Da andererseits mit den Akzessionszahlen des Archivs im nichtstaatlichen Quellenbereich u n d dem Zuspruch seiner auswärtigen Benutzer nicht wirklich zu rechten war, ergab sich f ü r die Abteilung schließlich j e n e r Handlungsfreiraum, der f ü r den Weg in Richtung auf ein „echtes" Archiv notwendig war. 25

Werner Röder, Bemerkungen zu Stand und Perspektiven der archivalischen Sammlungen im Institut für Zeitgeschichte. 9 S„ 21. 1. 1983, ED 105.

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Die neuen Strukturen u n d Dienstleistungsfähigkeiten sind inzwischen von einer nachgerückten Forschergeneration im Hause angen o m m e n worden. Sorge bereitet mittlerweile nicht mehr die Akzeptanz durch interne u n d externe Benutzer, sondern die Frage, ob es gelingen wird, das Spannungsverhältnis zwischen archivischen Herausforderungen u n d Haushaltsplan auszuhalten, mit den Möglichkeiten im EDVBereich gleichauf zu bleiben und in den zuletzt 1989 erweiterten Magazinen durch Ausbaumaßnahmen Platz für die Erwerbungen der Zukunft zu schaffen. Deren Art, Herkunft u n d Nutzung werden auch weiterhin von vielfältigen objektiven und subjektiven Faktoren abhängen dies kann bei einem nach wie vor „sprengelfreien" Archiv nicht anders sein und erlaubt kein Ausruhen auf allfällig angesammelten Lorbeeren. Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte beherbergt heute - neben den immer noch hilfreichen Mikrofilmbeständen der Nürnberger Dokumente, der Washingtoner Beuteakten u n d der wissenschaftlich noch lange nicht erschöpften OMGUS-Uberlieferung — originäre Quellen zu unterschiedlichen Perioden, Lebens- u n d Politikbereichen der Zeitgeschichte, die an anderen Sammelstellen nicht bzw. n u r in m e h r oder weniger unsystematischer Uberlieferung vorhanden sind. Sie werden seit etwa zwei Jahrzehnten durch allgemein übliche Hilfsmittel, d. h. in erster Linie durch Findbücher erschlossen, die zwar nach wie vor auf Fragestellungen der Forschung ausgerichtet sind, dem Benutzer aber doch eigenen Spürsinn u n d die Ausdauer beim Umgang mit Aktenbänden u n d Mikroformen nicht abnehmen. Daran wird u n d soll auch die vor einigen Jahren begonnene Erschließung der Bestände durch elektronische Datenverarbeitung nichts ändern; sie kann allerdings den Zugang zu den Quellen erheblich vereinfachen u n d die Findmittel zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht über das World Wide Web auch von der bisherigen Ortsgebundenheit lösen. Diese „Globalisierung" wäre dann in gewisser Weise symbolisch für einen fünfzigjährigen Entwicklungsgang, den das IfZ-Archiv teils zufällig, teils von äußeren Umständen bestimmt u n d nicht zuletzt auch mit zielgerichteter List genommen hat: An die Stelle der örüichen Einheit von archivalischer Basis u n d eigener Wissenschaftsproduktion trat schrittweise ein Quellenangebot, das n u r noch partiell den Forschungsvorhaben des Hauses unmittelbar dienlich ist. Mit der Diversifizierung u n d dem Originalcharakter seiner Sammlungen hat das Archiv andererseits dauerhafte Attraktivität innerhalb der Interessenvielfalt der Zeitgeschichtswissenschaft hinzugewonnen.

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Bibliothek u n d Archiv des Instituts wären o h n e ihre überregionale Inanspruchnahme letztlich n u r komfortable Einrichtungen für den Hausgebrauch u n d würden dem Rationalisierungsdruck einer vernetzten Literatur- u n d Dokumentenversorgung aus zentralen Datenbanken wohl f r ü h e r oder später zum Opfer fallen. Erst durch die ortsgleiche Nutzbarkeit von zeittypischem Schrifttum, von Forschungsliteratur, Arbeitsmitteln u n d originärem Archivgut für bestimmte - bei weitem nicht alle! - Forschungsfragen des Zeitgeschichtsspektrums summieren sich die m e h r als 4000jährlichen Benutzereinträge in den Lesesaaljournalen von Archiv u n d Bibliothek. Die Clientele ist inzwischen gut durchmischt: Neben jeweils weiblichen u n d männlichen Berufshistorikern, universitären Prüfungskandidaten u n d Studenten sind es unter anderem Heimat- und Familienforscher, Justiz- u n d Entschädigungsbehörden, Buchautoren u n d in ansteigendem Maße auch Filme-, Fernseh-, Presse- u n d Ausstellungsmacher aus dem In- u n d Ausland, die in den Sammlungen Wesentliches für ihre Vorhaben vermuten und bei ihren Recherchen offenbar auch fündig werden. Dabei hat der Gründungsauftrag an das Haus, die Dokumentation u n d Erforschung der zwölf nationalsozialistischen Jahre u n d ihrer Vorgeschichte, nach wie vor seinen Platz. Darüber hinaus aber spannt sich ein weiter Bogen zeitlich, methodologisch u n d inhaltlich unterschiedlicher Erkenntnisinteressen der Politik-, Gesellschafts-, Institutionen-, Wissenschafts- u n d Kulturgeschichte. Das Haus in der Münchener Leonrodstraße ist für den Forscher heute in der Regel nur eine von vielen Stationen auf dem Weg durch die deutsche u n d internationale Archivlandschaft. Dies mag die Vermutung untermauern, daß aus dem Institutsarchiv mittlerweile doch ein echtes, wenn auch nicht ganz normales Archiv geworden ist.

Rainer Α. Blasius Der ehrenvolle Auftrag des Auswärtigen Amts: AAPD Vorgeschichte u n d Anfänge eines editorischen G r o ß u n t e r n e h m e n s u n d der Außenstelle in Bonn

Die „Akten zur Auswärtigen Politik d e r Bundesrepublik Deutschland" (kurz AAPD) werden seit Herbst 1993 im Jahresrhythmus vom Institut f ü r Zeitgeschichte herausgegeben. Diese - im zwanzigsten J a h r h u n d e r t dritte - Edition des Auswärtigen Amts unterscheidet sich von d e n beid e n Vorgängerinnen „Die Große Politik d e r europäischen Kabinette 1871-1914" (GP) u n d ,Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945" (ADAP), die seit 1927 bzw. seit 1995 komplett vorliegen, einerseits durch die Zielsetzung: Weder die Unschuld des kaiserlichen Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkrieges n o c h die Schuld des „Dritten Reiches" am Zweiten Weltkrieg war zu dokumentieren, sondern mit gleichsam o f f e n e m E n d e unmittelbar nach Ablauf d e r Aktensperrfrist u n d kontinuierlich die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Andererseits ist die jetzige institutionelle Amts-Ferne etwas vollkommen Neues: W ä h r e n d die A n b i n d u n g von Editionen zur Außenpolitik an die jeweiligen Außenministerien international üblich ist u n d sowohl die GP als auch die ADAP vom Auswärtigen Amt selbst publiziert wurden (unter Hinzuziehung n u r deutscher bzw. in Verantwortung amerikanischer, britischer, französischer u n d seit 1960 auch deutscher Herausgeber), wurde bei d e n AAPD mit d e m Auftrag nach außen ein völlig a n d e r e r Weg beschritten.

Anregung der Historischen Kommission Im Sommer 1983 beschäftigte sich die Historische Kommission bei d e r Bayerischen Akademie d e r Wissenschaften in M ü n c h e n mit d e r amtlichen Uberlieferung zur Außenpolitik der Bundesrepublik u n d beauftragte zwei ihrer Kommissionsmitglieder damit, ein Sondierungsge-

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sprach in Bonn zu führen. So wandte sich Professor Walter Bußmann (Karlsruhe), seit 1977 deutscher Hauptherausgeber in der Internationalen Historikerkommission für die Publikation der ADAP, an das Auswärtige Amt und wurde im Februar 1984 gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Hillgruber von Staatssekretär Andreas Meyer-Landrut empfangen. Hillgruber war 1966/67 vorübergehend als Wissenschaftlicher Leiter der Serie Ε der ADAP über die Jahre 1941 bis 1945 Angehöriger der deutschen Editorengruppe gewesen und lehrte nebenamtlich zum Kölner Lehrstuhl seit 1974 als Hauptdozent für Geschichte und Politik in der Aus- und Fortbildungsstätte des Auswärtigen Amts. Die Historische Kommission war ihrerseits schon einmal Ende der siebziger Jahre vom Auswärtigen Amt auf ein Editionsprojekt angesprochen worden; damals trug man sich in Bonn mit dem Gedanken, die ausstehende Reihe Α der ADAP über die Jahre 1918 bis 1925 nach dem Rückzug der USA aus der Internationalen Historikerkommission nicht mehr durch das Auswärtige Amt, sondern durch eine wissenschaftliche Institution erstellen zu lassen. Hatten sich solche Pläne bald zerschlagen, so machte sich die Bayerische Akademie offensichtlich Hoffnungen auf die Herausgabe der Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. Dabei konnten die beiden dem Auswärtigen Amt nahestehenden bzw. verbundenen Historiker Bußmann und Hillgruber darauf verweisen, daß die bei den ADAP beteiligten Staaten längst begonnen hatten, die Publikation der eigenen diplomatischen Akten auf die Nachkriegszeit auszudehnen bzw. entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Demgegenüber konnte es leicht passieren, daß die Bundesrepublik international den Anschluß an diese Editionsvorhaben verlor. Daher stimmte Meyer-Landrut in der Unterredung mit den beiden Professoren grundsätzlich dem Projekt einer Aktenedition zu, und zwar in Eigenverantwortung des Auswärtigen Amts sowie unter Mitwirkung eines wissenschaftlichen Beirats.

Einsetzung und Empfehlungen der Sachverständigenkommission Ende 1984 fand ein Wechsel an der Spitze des Politischen Archivs und Historischen Referats im Auswärtigen Amt statt. Der neue Referatsleiter, Heinz Waldner, drang zu Jahresbeginn 1985 mit einer Vorlage bei Außenminister Hans-Dietrich Genscher zur Berufung eines Gutachtergremiums durch, das sich mit der Beschreibung eines Editionsvorhabens anhand der seit 1979 freigegebenen und jährlich weiter freiwer-

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denden Archivbestände befassen sollte. Noch im September 1985 berief der Bundesminister daraufhin als Sachverständige neben Bußmann und Hillgruber die Professoren Peter Krüger (Marburg), von 1966 bis 1974 Mitglied der deutschen Editorengruppe der ADAP, u n d Hans-Peter Schwarz (Köln), den gerade in den Ruhestand versetzten Botschafter Dirk Oncken sowie als aktive Beamte des Auswärtigen Amts Botschafter Ekkehard Eickhoff u n d den im Politischen Archiv für die Bundesrepublik-Überlieferung zuständigen Legationsrat I. Klasse Hans Jochen Pretsch. Am 23. September 1985 fand die konstituierende Sitzung der Sachverständigenkommission mit der Wahl Walter Bußmanns zum Vorsitzenden u n d der Bestellung von Hans Jochen Pretsch zum Geschäftsführenden Mitglied statt. Schon am 4. März 1986 - nach sieben Plenaru n d zusätzlichen Arbeitsgruppen-Sitzungen - überreichte die Kommission Staatssekretär Meyer-Landrut ein umfassendes Gutachten. Den Kern der Empfehlungen stellte eine fortlaufende Edition dar, die unter größtmöglicher Einbeziehung von zuvor offengelegten Verschlußsachen parallel zur allgemeinen Freigabe der offenen Akten nach Ablauf der 30-Jahres-Sperrfrist in Jahresbänden neue u n d vertiefte Informationen über die Außenpolitik der Bundesrepublik vermitteln, j a sie veranschaulichen sollte. Ein weiteres Ziel der neuen Edition der „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" sollte die Förderung der öffentlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung über Fragen der Außenpolitik sein: ein „Beitrag für die politische Bewußtseinsbildung unseres Volkes", wie es in dem Gutachten hieß. Die Planungen sahen für die Jahre 1949 bis Mai 1952 zehn, für die Zeit von Mai 1952 bis Ende 1955 insgesamt dreizehn Bände, ab 1956 dann Jahrgangsbände zu j e vier Teilbänden vor, wobei als Umfang von den einzelnen ADAP-Bänden (ca. 600 Seiten) ausgegangen wurde. Bei einer angenommenen Aufnahme der Editionsarbeiten im Jahre 1987 wären die ersten Bände über 1949 ff. zum „vierzigjährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland" 1989 erschienen, während die Bände über 1966 schließlich Anfang 1997 zu publizieren gewesen wären, um erstmals die mittelfristig anvisierte Veröffentlichung unmittelbar nach Ablauf der 30-jährigen Aktensperrfrist zu erreichen. Auch hätte zu diesem Zeitpunkt die Periode 1949 bis 1965 in insgesamt ca. 63 Teilbänden geschlossen vorliegen können. Ein solcher Plan würde für eine Ubergangsphase von wenigstens zehn Jahren zum Aufholen des Rückstandes in der editorischen Bearbeitung einen extrem h o h e n Personalbedarf erfordert haben: 16 Edito-

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ren, eingeteilt in vier Editorengruppen (jeweils zuständig f ü r einen Jahrgang) u n d unter der wissenschaftlichen Weisungsbefugnis von j e einem Herausgeber (ausgewiesener Universitätsprofessor im Bereich Zeitgeschichte, insbesondere Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland). Ein fünfter, vielleicht hauptamtlicher Herausgeber hätte sich während der Anfangsphase dem Aufbau der Gesamtedition und den „naturgemäß zeitaufwendigen Koordinierungsaufgaben zwischen den vier Arbeitsgruppen" zu widmen gehabt. Zusätzlich zum Herausgebergremium wäre ein Beirat aus angesehenen Wissenschaftlern und Persönlichkeiten mit außenpolitischer Erfahrung zu bilden gewesen, um für die Ubereinstimmung von Interessen der historischen Forschung u n d des Auswärtigen Amts zu sorgen. Als Mitglieder eines solchen siebenköpfigen Gremiums war der Staatssekretär des Auswärtigen Amts oder ein von diesem beauftragter Vertreter, einer der fünf Herausgeber u n d ein Mitglied des noch zu bildenden VerschlußsachenPrüfungsgremiums in Erwägung gezogen worden. Den freien Zugang der Herausgeber u n d Editoren zu allen Schriftstücken im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts einschließlich der Verschlußsachen hielten die Sachverständigen für unabdingbar. Demnach war die Zuständigkeit für Herabstufung u n d Offenlegung zwei ehemaligen Amtsangehörigen mit großer u n d detaillierter Kenntnis des Auslands u n d des amtsinternen Geschäftsgangs zu übertragen; neben diesen beiden stimmberechtigten Mitgliedern sollte o h n e Stimmrecht einer der Herausgeber der Edition dem Verschlußsachen-Prüfungsgremium angehören, um dadurch einen Einblick in die gesamte Aktenüberlieferung zu erhalten u n d den Auswahlprozeß insgesamt leiten zu können. Natürlich war den Gutachtern bewußt, daß die Realisierung der Personalanforderungen - zunächst 16 Stellen im Höheren Dienst, dann ab 1997 nach Abbau des „Rückstaus" aus den fünfziger Jahren n u r noch acht Editoren plus mehrere Sachbearbeiter u n d Schreibkräfte ungewöhnliche administrative Anstrengungen voraussetzte. Dennoch sprach sich das Sachverständigengremium für eine dienstrechtliche Anbindung an das Politische Archiv des Auswärtigen Amts - nach dem Modell der ADAP - als sinnvollste Lösung aus. Allerdings müsse bei einer solchen Form der Eingliederung in das Auswärtige Amt die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Editionsunternehmens sichergestellt werden.

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Anschub mittels Pilotprojekt über Adenauer

Im Sommer 1986 lehnte das Bundesministerium der Finanzen eine Bewilligung von neuen Stellen im Haushalt 1987 ab, wenn es auch prinzipielle Zustimmung für die Durchführung des Editionsprojekts signalisierte, u n d zwar entweder durch das Auswärtige Amt selbst oder durch eine andere Bundesbehörde. Für das Auswärtige Amt stand allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen fest, daß die Edition der amtseigenen Akten nicht an eine andere Bundesbehörde vergeben werden könne, sondern in eigener Regie zu erfolgen habe. So verfolgte Archivleiter Waldner seit Herbst 1986 eine doppelte Strategie: auf der einen Seite sowohl aus arbeitsrechtlichen als auch aus stellen- bzw. finanztechnischen Gründen die langfristige Vergabe des Editionsauftrags weg vom Amt an einen Zuwendungsempfänger, auf der anderen Seite kurzfristig als Startsignal u n d zur Ebnung des Weges dorthin die Publikation eines Pilotbandes - unabhängig von der endgültigen Realisierung des Editionsvorhabens - zum Jubiläumsjahr 1989. Für ein solches thematisch und zeiüich begrenztes Projekt über die Akten ab 1949 war ein hochrangiger Wissenschaftler zu gewinnen, dessen Name für die wissenschaftliche Qualität des Quellenbandes u n d damit für eine hochkarätige Basis der Edition bürgen würde. Aus der Sicht des Auswärtigen Amts lag es m e h r als nahe, den ausgewiesenen Adenauer- u n d Bundesrepublik-Spezialisten Hans-Peter Schwarz mit dieser Aufgabe zu betrauen, zumal Schwarz bereits 1985/86 der Sachverständigenkommission angehört hatte, damals schon f ü h r e n d e Funktionen in vielfältigen Beiratsgremien ausübte u n d mittlerweile von der Kölner Universität nach Bonn als Nachfolger auf den renommierten Lehrstuhl von Karl Dietrich Bracher gewechselt hatte. Obwohl schon Mitte 1986 der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans (.Johnny") Klein ein befürwortendes Machtwort des Bundeskanzlers Helmut Kohl in Sachen Edition gegenüber dem Bundesministerium der Finanzen erbeten hatte u n d sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans Stercken, hinter den Kulissen für eine Herausgabe der „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" nachdrücklich einsetzte, wurde die Gründung einer zwischenzeitlich erwogenen eigenen Editions-GmbH zur Durchführung des Auftrags des Auswärtigen Amts im Sommer 1987 beim Haushaltsgespräch für 1988 wiederum zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde in Aussicht gestellt, 1989 bei der Vorbereitung des

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Haushalts 1990 aufgrund der bis dahin zu gewinnenden Erfahrungen mit dem Pilotprojekt sich die Modalitäten zur Fortführung der Edition des Auswärtigen Amts erneut erläutern zu lassen. Für das - n u n unter Erfolgszwang stehende - Vorprojekt war erst einmal Geld bewilligt, so daß Hans-Peter Schwarz im November 1987 den Auftrag erhielt, zum 40. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes u n d der Konstituierung der Bundesrepublik einen in sich geschlossenen Aktenbestand zu publizieren: die Gespräche des Bundeskanzlers Adenauer mit den Alliierten H o h e n Kommissaren in dem Zeitraum von der Bildung der ersten Regierung Adenauer im September 1949 bis zur Unterzeichnung des Generalvertrags am 26. Mai 1952. Die als „streng geheim" eingestuften Gesprächsaufzeichnungen, die durch Beteiligung des Bundeskanzleramtes freigegeben werden mußten, wurden seit dem 5. Januar 1988 von einer zweiköpfigen Editionsgruppe zur Veröffentlichung vorbereitet, die Schwarz anfänglich unter Mitwirkung des Kölner Privatdozenten Reiner Pommerin, der im Frühjahr 1988 als Professor an die Universität Erlangen berufen wurde, leitete. Vier Jahre nach Zusammentritt der Sachverständigenkommission u n d n u r eindreiviertel Jahre nach Aufnahme der Editionsarbeiten in den vom Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellten Diensträumen konnte der erste Band der ,Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" präsentiert werden - an historischem Ort, dem Museum Koenig, das 40 Jahre zuvor während einiger Monate dem ersten Bundeskanzler als provisorischer Amtssitz gedient hatte, u n d an historischem Datum, am 21. September 1989. Auf den Tag genau 40 Jahre zuvor hatte Konrad Adenauer seinen offiziellen Antrittsbesuch bei den Alliierten Hohen Kommissaren auf dem Petersberg gemacht und das von den drei Westmächten erlassene Besatzungsstatut empfangen. Verleger Thomas von Cornides vom R. Oldenbourg Verlag übergab im Beisein der Botschafter Vernon Α. Walters (USA), Sir Christopher Malleby (Großbritannien) und Serge Boidevaix (Frankreich) den Band .Adenauer u n d die Hohen Kommissare 1949-1951" an Bundesminister Hans-Dietrich Genscher. Auf den Dank des Verlegers, daß ausgerechnet „ein mittelständisches bayerisches Familienunternehmen" den Zuschlag für die neue Aktenedition bekommen habe, konterte Genscher mit der Bemerkung: „Wir kennen hinreichend das bayerische Interesse an der Gestaltung unserer Außenpolitik, u n d wir dachten, dem hiermit Rechnung zu tragen." Der Minister spielte wohl eher auf den im J a h r zuvor verstorbenen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß als auf das Institut für Zeitgeschichte an, wenngleich just zu diesem

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Zeitpunkt die im F r ü h j a h r 1989 a u f g e n o m m e n e n Verhandlungen zwischen d e m Stiftungsrat des Instituts u n d d e m Auswärtigen Amt in die Schlußphase gingen: Ziel war die Beauftragung des IfZ mit d e m editorischen Großprojekt.

Auftrag an das IfZ in München Von d e m Gutachter Krüger ü b e r das B o n n e r Editionsvorhaben informiert, b e k u n d e t e d e r Direktor des Instituts f ü r Zeitgeschichte, Martin Broszat, bereits im September 1987 während eines Besuchs im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts Interesse an d e m Großprojekt. Am 21. September bot er schriftlich gegenüber Referatsleiter Waldner die b e r a t e n d e Beteiligung des IfZ an: „Und es wäre schön, wenn Sie sich f ü r eine solche Beiratsmitgliedschaft verwenden würden." J e d o c h bem ü h t e sich der Institutsdirektor vergeblich u m eine Einsichtserlaubnis in die - von Hans-Peter Schwarz zur Veröffentlichung vorgesehenen Protokolle der Gespräche Adenauers mit d e n H o h e n Kommissaren. Noch während die Arbeiten an „Adenauer u n d die H o h e n Kommissare" auf H o c h t o u r e n liefen, arbeitete Schwarz im Auftrag des Auswärtigen Amts im September 1988 modifizierte „Vorschläge f ü r das weitere Procedere in Sachen Editionsprojekt" aus. Z w e i e i n h a l b j a h r e nach Erstattung des Expertengutachtens hielt er eine zeiüich gestreckte Plan u n g aus d e n haushaltstechnischen R a h m e n b e d i n g u n g e n heraus f ü r unausweichlich. Aus d e r ursprünglich parallel geplanten Sichtung bzw. Bearbeitung der J a h r e ab 1949 ff. u n d ab 1956 ff. mit insgesamt 16 Wissenschaftlern wurde n u n ein reduzierter Ansatz mit acht Wissenschaftlern, die vier zweiköpfige Editionsteams mit j e einem Herausgeber an der Spitze bilden u n d sich während der Aufbauphase des Gesamtprojekts (1990-1995) ausschließlich auf die Edition der Bestände von September 1949 bis vorerst Mai 1955 beschränken sollten. Ein weiterer Herausgeber - Hauptherausgeber - sei f ü r die Koordination u n d f ü r d e n weiteren Ausbau d e r Edition insgesamt zuständig. In d e r nächsten Phase - nach Abschluß der Akten-Deklassifizierung f ü r 1956 bis 1960 u n d nach Erstellung e n t s p r e c h e n d e r Findbücher durch das Politische Archiv - sei die Bearbeitung d e r zweiten Hälfte der fünfziger J a h r e aufz u n e h m e n , zumal Schwarz weiterhin auf eine baldige Bewilligung d e r Haushaltsmittel f ü r insgesamt 16 Editoren-Stellen hoffte. Hinsichüich einer etwaigen zukünftigen Organisationsform d e r Edition unterschied Schwarz jetzt drei unterschiedliche Möglichkeiten:

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a) die Anbindung der Edition an das Auswärtige Amt, b) die Beauftragung einer bereits bestehenden wissenschaftlichen Institution mit dem Projekt, c) die Gründung einer neuen Institution. Das Für u n d Wider der unterschiedlichen Organisationsformen abwägend, kam er zu dem Schluß, daß eine Anbindung an das Außenministerium auf den ersten Blick die zweckmäßigste Lösung sei. Dagegen spreche aber, daß die Editoren innerhalb des Auswärtigen Amts als Fremdkörper wirken könnten u n d zudem wahrscheinlich keine Möglichkeit bestehe, befristete Werkverträge mit ihnen abzuschließen. So gewann Schwarz den Alternativen durchaus positive Seiten ab, obwohl bei der Beauftragung einer anderen Institution „die überragende Verantwortung des Auswärtigen Amts für die Edition nicht ganz so deutlich zum Ausdruck" komme. Außerdem könne n u r ein solcher Träger in Betracht gezogen werden, der seinen „Sitz in Bonn hat oder aber sich bereit findet, allein oder vorwiegend für die Edition eine Zweigstelle in Bonn zu errichten". Räumlich u n d von der Aufgabenstellung naheliegend war die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik in Bonn. Deren Haushaltsanteil an öffentlichen Geldern durfte jedoch keinesfalls über 50 Prozent ansteigen, so daß dort die Vorstellung einer nachgeordneten eigenen Editions-GmbH ventiliert wurde. Daß eine solche Lösung durch den erforderlichen Verwaltungsunterbau m e h r Kosten verursachen würde als die beiden anderen Organisationsformen, stand im Auswärtigen Amt außer Zweifel, ebenso wie die Tatsache, daß die Personalkosten sich bei der Vergabe an einen Zuwendungsempfänger am billigsten gestalten würden u n d der arbeitsrechtlichen Problematik bei Zeitstellen am besten Rechnung getragen werden könnte. Weil sich zu Jahresbeginn 1989 die Bewilligung von Mitteln für sechs Wissenschaftler-Stellen plus zwei Sekretärinnen für 1990 abzeichnete, schlug die Stunde für das Institut für Zeitgeschichte - zwar im fernen München lokalisiert, aber mit großem internationalem Ansehen u n d einer über Bayern hinaus bekannten effektiven Verwaltung unter der Leitung von Georg Maisinger ausgestattet. Hans-Peter Schwarz konnte n u n als Beiratsvorsitzender des Instituts das editorische Großprojekt vermitteln. Am 22. Februar 1989 fand in Bonn ein Vorgespräch zwischen Schwarz, Broszat, Waldner u n d Pretsch statt. Als Grundbedingungen nannte das Auswärtige Amt die Verwaltung des Vorhabens aus institutseigenen Kräften und die Errichtung einer Außenstelle in Bonn. Ferner sei nach Vorstellungen des Bundesfinanzministers erst in den kommenden Jahren mit der Ausbringung ständiger Mitarbeiterstellen zu rech-

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nen. Zudem wurde dem IfZ-Direktor mitgeteilt, daß die Edition zunächst die gerade erst freigegebenen Akten auswählen u n d bearbeiten solle, um - ähnlich wie in den USA mit den „Foreign Relations" - regelmäßig nach dem Ablauf von dreißig Jahren die Editionsbände herauszubringen. Dies bedeute den sofortigen Einstieg des Projekts in die sechziger Jahre. Broszat betonte demgegenüber, daß es für das Institut für Zeitgeschichte wichtig sei, nicht nur den verwaltungsmäßigen u n d organisatorischen Rahmen für ein solches Großunternehmen bereitzustellen, sondern die sachliche Bestimmung des Editionsvorhabens bei voller Integration der Herausgeber u n d der 1986 von den Sachverständigen empfohlenen Editions-Berater zu gewährleisten. Auf dieses informelle Gespräch folgte am 9. März 1989 das offizielle Angebot des Staatssekretärs Hans-Werner Lautenschlager an den Vorsitzenden der für das IfZ zuständigen „Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte", den Amtschef im bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft u n d Kunst. Bereits am 22. März antwortete Ministerialdirektor Herbert Kießling, daß er befriedigt sei über die „in der Anfrage liegende fachliche Anerkennung unserer wissenschaftlichen Arbeit". Wie wurde das Editionsangebot im IfZ eingeschätzt? Broszat nahm nach der Besprechung in Bonn u n d Beratungen mit Institutsmitarbeitern am 27. Februar 1989 für Kießling Stellung. Er warf die Frage auf, ob der siebenköpfige Editions-Beirat überhaupt den Wünschen des Instituts entspreche. Sodann formulierte er aus Institutssicht „Essentials": Es dürfe keine Separierung der Leitung u n d Verantwortung des Editionsunternehmens vom Institut erfolgen; dementsprechend müsse die Bonner Dependance einschließlich ihrer besonderen Organe in die Struktur des IfZ eingegliedert werden. Ferner dürfe keine Beeinträchtigung der Arbeiten u n d damit eine Kräfteabkoppelung des Münchener „Kerninstituts" entstehen. Käme es zu einem Editions-Beirat nach Vorstellung des Kommissionsgutachtens, müsse sich dieser dem Stiftungsrat unterordnen. Des weiteren sprach sich Broszat f ü r ein vier bis fünf Personen umfassendes Herausgebergremium aus, dem der Institutsdirektor qua Amt anzugehören habe; mindestens zwei der Herausgeber sollten dem Wissenschaftlichen Beirat des IfZ angehören. Konzeption, Gliederung u n d Zeitplanung der Edition seien von der Institutsleitung im Benehmen mit den Herausgebern u n d dem siebenköpfigen „Sonderausschuß" aus Wissenschaftlern u n d Diplomaten zu erarbeiten und anschließend sowohl vom Wissenschaftlichen Beirat des Instituts als auch vom Stiftungsrat zu verabschieden.

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Neben diesem vielschichtigen Beteiligungsverfahren plante Broszat, die unmittelbare Leitung der Editionsgruppe von einem in Bonn residierenden Geschäftsführer wahrnehmen zu lassen, der auf Vorschlag der Institutsleitung nach Anhörung der Herausgeber u n d des speziellen Editions-Beirats vom Stiftungsrat zu bestellen sei. Der Geschäftsführer bedürfe in allen wichtigen Fragen der Zustimmung des Institutsdirektors, der regelmäßige Besprechungen in relativ kurzen Abständen in Bonn abhalten solle. Demgegenüber stellte Ministerialrat Karl Weininger, Leiter des Referats V / 3 im Staatsministerium f ü r Wissenschaft u n d Kunst u n d stellvertretendes Stiftungsratsmitglied, in einer Vorlage f ü r Ministerialdirektor Kießling die arbeitsrechtlichen Risiken heraus, die seitens des Bundes aufgefangen werden müßten durch eine „Ubernahmeerklärung oder eine Ubernahmegarantie für den Fall der Beendigung des Projekts" selbst dann, wenn sich das Auswärtige Amt nach Begrenzung der ersten Laufzeit des Projekts auf zunächst vier bis fünf Jahre mit der Umwandlung des Editionsvorhabens in einen Dauerauftrag einverstanden erkläre. Darüber hinaus lehnte er die Beschäftigung eines Geschäftsführers ab und favorisierte einen wissenschaftlichen Abteilungsleiter für die Bonner Außenstelle. Die Einberufung eines Editions-Beirats aus angesehenen Wissenschaftlern u n d Persönlichkeiten mißfiel ihm gleichfalls; vielmehr befürwortete er die Bildung des Herausgebergremiums unter der Kontrolle des Stiftungsrats. In dieses Herausgebergremium könne das Auswärtige Amt ein oder zwei Vertreter mit Stimmrecht entsenden. Insgesamt stufte der Ministerialrat das Angebot des Auswärtigen Amts als einen „Projektauftrag von längerer Dauer" ein, damit nicht als institutionelle Förderung, sondern als Drittmittelprojekt. Am 9. März 1989 wandte sich Broszat in einem Schreiben an Kießling. Der Institutsdirektor bat den Stiftungsratsvorsitzenden u m Übermittlung einer Aufzeichnung, die er aus der eigenen Stellungnahme und den Bemerkungen Weiningers erarbeitet hatte, an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts. Broszat erschien es als wichtig, jetzt nicht n u r „auf Vorgaben in dem Kommissionsbericht oder sonstige Vorgaben" des Bonner Ministeriums zu reagieren. Offensichtlich ist sein Briefentwurf an Staatssekretär Lautenschlager einschließlich der ausführlichen Aufzeichnung nicht abgesandt worden. Broszat hielt jetzt ebenfalls die Bestellung eines wissenschaftlichen Abteilungsleiters für die Koordinierung der Arbeiten in Bonn für erforderlich. Außerdem wiederholte er seine „Essentials" u n d sah einen besonderen Vorteil für das große Vorhaben in einem Austausch von Mit-

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gliedern der Bonner Editorengruppe und Mitarbeitern des Münchener Instituts, damit „bewährte Editoren, die ein oder zwei Bände erfolgreich abgeschlossen haben, dann auch einmal die Möglichkeit erhalten, monographische Arbeiten zur Außenpolitik durchzuführen". Dies werde mit Sicherheit die Motivation der Editoren anheben. Der Editions-Beirat wurde eindeutig verworfen und an seiner Stelle ein achtköpfiges Herausgebergremium empfohlen, mit dem Stiftungsratsvorsitzenden, dem IfZ-Beiratsvorsitzenden, dem IfZ-Direktor und dem wissenschaftlichen Abteilungsleiter der Bonner Editorengruppe, ferner mit zwei dem IfZ-Beirat nicht angehörenden wissenschaftlichen Experten und zwei Beamten des Auswärtigen Amts als Mitgliedern. Unter dem Gesichtspunkt der Verklammerung mit den Institutsorganen des IfZ sprach sich Broszat für den Instituts-Beiratsvorsitzenden als Editions-Gremiumsvorsitzenden aus. Am 21. April 1989 wurde der Stiftungsrat, an dessen Sitzungen der Institutsdirektor und der Beiratsvorsitzende des IfZ teilnehmen, mit der Offerte des Auswärtigen Amts befaßt. Broszat dankte Schwarz ausdrücklich für die Vermittlung, begrüßte die zu erwartende erweiterte Kompetenz des IfZ auf dem Felde der internationalen Beziehungen, wie überhaupt die Anbindung der Edition an das Forschungsinstitut eine vielversprechende Perspektive darstelle. Allerdings wolle er klarstellen, daß an einer lediglich formalen Trägerschaft kein Interesse bestehe. Das IfZ müsse bei der Edition entscheidend mitbestimmen können. Gleichzeitig befürwortete er die Berufung eines unabhängigen Herausgebergremiums von renommierten Gelehrten zur notwendigen Absicherung des Projekts nach außen. Schwarz erwiderte, daß das Auswärtige Amt nicht zuletzt aus den Erfahrungen mit der „Großen Politik", die in den zwanziger Jahren u. a. als politisches Instrument gegen den Artikel 231 des Versailles Vertrags gedient habe, nun die neue Edition einem unabhängigen Gremium von Herausgebern und einer unabhängigen Institution zu übertragen beabsichtige. So sei das Auswärtige Amt bereit, seinen Einfluß auf die Edition zurückzustellen, wünsche aber generell eine solche Vertragskonstruktion, in der die Präsenz von Schwarz als verantwortlichem Herausgeber gesichert werde. Denn durch das zügige Voranschreiten und den bevorstehenden erfolgreichen Abschluß des Vorprojekts „ A d e n a u er und die Hohen Kommissare" galt Schwarz im Bonner Ministerium als Garant für die Fortsetzung des Editionsauftrags. Stiftungsratsvorsitzender Kießling bezeichnete das Angebot des Auswärtigen Amts als hochbedeutendes Projekt, für das die Stiftung die

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wissenschaftliche u n d verwaltungstechnische Betreuung ü b e r n e h m e n werde. Daher ließ er sich bei einer Stimmenthaltung zu Verhandlungen ermächtigen über eine Vereinbarung zwischen der „Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte" u n d der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Auswärtige Amt. Nach der Sitzung des Stiftungsrats wurde der Institutsdirektor initiativ. Zunächst meldete sich Broszat schriftlich bei Staatssekretär HansWerner Lautenschlager zu einem Besuch an, dann richtete er am 27. April ein Schreiben an Schwarz. Darin bezeichnete er es als großartig, daß Schwarz für das Angebot an das IfZ gesorgt habe. Gerne wolle die Institutsleitung die Edition übernehmen, jedoch mit eigenständiger Verantwortung. Uberhaupt hätte nach seiner Ansicht gemäß den Grundempfehlungen der Sachverständigen von 1986 verfahren oder aber bei einer anderen Trägerschafts-Lösung erneut die Kommission bemüht werden müssen. Nun sei durch den von Schwarz betreuten Band über die Hohen Kommissare der Spielraum für die vertragliche, organisatorische u n d inhaltliche Gestaltung des Vorhabens von vornherein eingeengt. Sodann thematisierte der Institutsdirektor das Herausgeber-Problem u n d vertrat - im Gegensatz zu Schwarz - die Auffassung, daß bei der Berufung Spezialkenntnisse der Bundesrepublik-Geschichte nicht die alleinige Voraussetzung sein dürften. Ahnliches trug Broszat am 8. Mai 1989 in Bonn vor - ohne ein offizielles Verhandlungsmandat u n d o h n e vorherige Abstimmung mit dem Stiftungsrat. Gegenüber dem Leiter der Zentralabteilung des Auswärtigen Amts, Ministerialdirektor Michael Jansen, u n d Referatsleiter Waldner setzte er sich mit großem Nachdruck für eine gemeinschaftliche wissenschaftliche Gesamtleitung des Institutsdirektors u n d der Herausgeber bzw. des Hauptherausgebers ein. Auch auf einer Besprechung in Bonn am l . J u n i 1989, an der neben den Vertretern des Auswärtigen Amts Broszat u n d Schwarz teilnahmen, konnte keine Einigung erzielt werden. Für den präsumtiven Hauptherausgeber stand allerdings fest, daß durch die Teilnahme eines Beamten des Auswärtigen Amts u n d des Direktors des IfZ an den Herausgebersitzungen die enge Verzahnung der Willensbildung gewährleistet sei; dies teilte er dem Stiftungsratsvorsitzenden Kießling mit. So konnten neue Vereinbarungsentwürfe zwischen Bonn und München ausgetauscht werden, wenngleich sich keine Ubereinstimmung über Inhalt u n d Umfang des wissenschaftlichen Weisungsrechts des Hauptherausgebers abzeichnete, auf dessen Verantwortlichkeit u n d Zuständigkeit das Auswärtige Amt nach wie vor bestand.

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Anläßlich der Münchener Feier zum vierzigjährigen Institutsbestehen trat am 12. Juli 1989 der Wissenschafdiche Beirat zu einer Sondersitzung zusammen. Auf der Tagesordnung stand an oberster Stelle die Edition der Akten zur Auswärtigen Politik. Schwarz skizzierte das Projekt und informierte über das Angebot des Auswärtigen Amts. Strittig sei die Einbeziehung der Institutsleitung - über die Teilnahme des Direktors an den Sitzungen des Herausgebergremiums hinaus - in die operativen Aufgaben des Editionsgroßunternehmens. Broszat sprach danach vom bedeutendsten Projektangebot, das während seiner Amtszeit gemacht worden sei. Jedoch handele es sich nur dann um eine attraktive Offerte, wenn das Institut nicht n u r die Dienstaufsicht führen könne. Einer der Teilnehmer der Beiratssitzung brachte die Kontroverse auf den Punkt, daß es letztlich zwischen der Institutsleitung u n d dem künftigen Herausgebergremium um eine Frage der angemessenen Machtteilung gehe. Ein anderer Beirat bemerkte, er sei zunächst hinsichtiich des Projekts skeptisch gewesen, zumal der Stiftungsrat im Hinblick auf die Übernahme der Edition eine Vorreiterrolle gespielt habe. Inzwischen habe er sich überzeugen lassen, daß die Entscheidung aus institutionellen u n d wissenschaftlichen Gründen günstig sei. Nach längerer Diskussion wurde aus dem Kreise der Professoren eine Empfehlung an den Stiftungsrat vorgeschlagen, daß die der Edition zur Verfügung stehenden Mittel vom IfZ zu verwalten seien u n d die Dienstaufsicht beim Institut liege, während die wissenschaftliche Verantwortung u n d damit die Fachaufsicht ungeteilt den Herausgebern gebühre. Darauf wurde von einem der Anwesenden die Frage gestellt, warum bisher nicht der Wunsch erörtert worden sei, das Institut möge in dem Herausgebergremium nicht n u r Sitz, sondern auch Stimme haben. So sah ein anderes Beiratsmitglied die einzige Möglichkeit zur Lösung des Dissenses darin, daß der Institutsdirektor dem Herausgebergremium beitrete u n d an den regelmäßigen monatlichen Sitzungen in Bonn teilnehme mit der Maßgabe, nicht überstimmt werden zu können. Im Anschluß an diese Aussprache wurden mögliche Kandidaten für das zu bildende Herausgebergremium erörtert. Immerhin stand aus Beirats-Perspektive fest, daß das Herausgebergremium die Verantwortung f ü r die Edition innehaben müsse. Dies entsprach den Absichten des Auswärtigen Amts, das seinerseits keinen Platz im Herausgebergremium einforderte, um sich jeglicher Form einer inhaltlichen Beeinflussung der Aktenedition oder gar einer diesbezüglichen Verantwortung von vornherein zu enthalten.

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Schließlich wurde f ü r den 12. Oktober 1989 eine Sitzung im bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft u n d Kunst anberaumt. In dieser Besprechung waren für die Stiftung Herbert Kießling u n d Karl Weininger, für den Beirat Hans-Peter Schwarz, f ü r das Auswärtige Amt Heinz Waldner u n d Hans Jochen Pretsch u n d für das IfZ der Stellvertretende Direktor Ludolf Herbst, Lothar Gruchmann u n d Verwaltungsleiter Georg Maisinger anwesend. Seitens der Stiftung stand die Beschäftigung der Mitarbeiter des Editionsprojekts bei einer vorzeitigen Kündigung des Editionsauftrags im Vordergrund des Interesses, weil sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, bei einem Finanzierungsende der Aktenpublikation die Personalkosten für noch unter Vertrag stehende Mitarbeiter in Bonn aus eigenen Mitteln finanzieren zu müssen. Weiter thematisiert wurden das Problem einer gemeinsamen Leitung des Editorenteams durch Institutsdirektor u n d Hauptherausgeber, das Stimmrecht des Direktors bei Herausgebersitzungen sowie die personelle Zusammensetzung des Herausgebergremiums. Der Stiftung wurde eine den Kündigungsfall abdeckende Absichtserklärung für die zu schließende Vereinbarung in Aussicht gestellt. Im Gegenzug wurde der Bitte des Auswärtigen Amts entsprochen, die wissenschaftliche Gesamtleitung u n d damit die Fachaufsicht über die Edition auf Hans-Peter Schwarz als Hauptherausgeber u n d auf das ihn beratende Herausgebergremium zu übertragen. Denn dafür hatten sich sowohl der Wissenschaftliche Beirat des IfZ als auch der Stiftungsrat ausgesprochen. Am 14. Oktober starb der seit über einem Jahr schwer erkrankte u n d seit Sommer 1989 vom Tode gezeichnete Martin Broszat. Ihm war es nicht m e h r vergönnt, die Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt verwirklicht zu sehen. Im Anschluß an eine zu seinen Ehren ausgerichtete Trauerfeier am 7. November 1989 in München trat am Nachmittag dieses Tages der Beirat zu einer Sondersitzung zusammen. Schwarz berichtete über die Entwicklung der Verhandlungen seit dem 12. Juni 1989. Sodann bestätigte Walter Bußmann, daß er aus eigener Erfahrung mit der ADAP seitens des Auswärtigen Amts „niemals auch nur den leisesten Einflußversuch" habe feststellen können. In Bonn sei man vielmehr „froh, ein Institut gefunden zu haben, das die Edition übernehme". Nun wurden die vorgelegten Entwürfe von Vereinbarungen zwischen der Stiftung u n d dem Auswärtigen Amt bzw. zwischen der Stiftung und dem Hauptherausgeber billigend zur Kenntnis genommen. Die vom Beiratsvorsitzenden vorgeschlagenen Mitherausgeber Helga Haftendorn (Berlin) und Werner Link (Köln) sowie - aus dem Wissenschaftli-

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chen Beirat des Instituts f ü r Zeitgeschichte - Klaus Hildebrand (Bonn) u n d Rudolf Morsey (Speyer) wurden nominiert. Auf d e r Stiftungsratssitzung am 8. November 1989 ging es vornehmlich u m die zwischenzeitlich vom Auswärtigen Amt zugesagte Unterstützung eventueller B e m ü h u n g e n d e r Stiftung u m eine anderweitig geeignete Beschäftigung von Editions-Mitarbeitern im Falle eines vorzeitigen Projektendes. Außerdem wurde fixiert, daß d e r Direktor des IfZ die „Stiftung zur wissenschafdichen Erforschung d e r Zeitgeschichte" auf d e n Herausgebersitzungen vertrete, besonders bei der Erarbeitung d e r Konzeption, d e r Gliederung, des Zeitplans u n d des weiteren Fortgangs d e r Edition - u n d zwar o h n e Stimme im Gremium. Dann erklärte sich d e r Stiftungsrat mit d e r Ermächtigung des Hauptherausgebers einverstanden, unbeschadet d e r allgemeinen Dienstaufsichtsbefugnisse des Direktors des Instituts f ü r Zeitgeschichte d e r Bonner Editionsgruppe in bezug auf die wissenschaftliche D u r c h f ü h r u n g der Edition Weisungen zu erteilen. Somit war einen Tag vor Ö f f n u n g der Mauer in Berlin die Vereinbarung ü b e r das Editionsgroßprojekt u n t e r Dach u n d Fach. Am 27. November 1989 unterzeichnete Ministerialdirektor H e r b e r t Kießling f ü r die „Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung d e r Zeitgeschichte", am 19. Dezember 1989 Ministerialdirektor Michael Jansen f ü r das Auswärtige Amt die Vereinbarung. Damit wurde d e m IfZ die Pflicht auferlegt, ausgewählte u n d kommentierte Akten in regelmäßiger Folge in Editionsbänden nach Ablauf der dreißigjährigen Aktensperrfrist herauszugeben, also pünktlich J a h r f ü r J a h r - ein in der Geschichtswissenschaft u n d bei Editionsunternehmen, d e r e n Stärke in der Regel nicht in d e r Schnelligkeit zu suchen ist, sicherlich einmaliger Vorgang. Darüber hinaus wurde einvernehmlich die Publikation der Akten f ü r die J a h r e 1949 bis 1962 zunächst zurückgestellt u n d deren Bearbeitung in Aussicht g e n o m m e n , sobald die Personallage es gestatte.

Gründung der IfZrAußensteüe in Bonn Noch im Dezember 1989 e m p f i n g Staatssekretär J ü r g e n Sudhoff das Herausgebergremium, das am 27. J a n u a r 1990 u n t e r Vorsitz von HansPeter Schwarz zum ersten Mal zusammentrat. Auf d e r dritten Sitzung am 16. März 1990 f a n d e n Vorstellungsgespräche f ü r das Editions-Personal statt, so daß d e r Wissenschaftliche Leiter d e r Edition u n d gleichzeitige Leiter der Außenstelle des IfZ im Auswärtigen Amt in Bonn zum

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1. Mai 1990 u n d die fünf Editoren am l . J u n i 1990 ihre Arbeiten aufnahmen. Den Herausgebern u n d den Mitarbeitern der Edition werden seither die Verschlußsachen-Bestände im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts o h n e j e d e Einschränkung zugänglich gemacht. Ferner können sie eine Herabstufung u n d Offenlegung der für die Edition in Frage kommenden Schriftstücke beantragen. So wird nicht - wie in manchen Staaten üblich u n d von der Gutachterkommission 1986 noch geplant von einem Gremium hochrangiger ehemaliger Diplomaten eine Vorsortierung der Bestände u n d im Anschluß daran eine Deklassifizierung vorgenommen. Vielmehr wird in dem heute für den Inhalt des jeweiligen Dokuments zuständigen Referat über die Freigabe entschieden. Einzig u n d allein darauf beschränkt sich die Mitwirkung des Auswärtigen Amts an der Edition. 1990/91 mußten sich die Herausgeber u. a. eine Geschäftsordnung geben, hatten die Editoren Editionsrichtlinien vorzubereiten u n d dem Gremium vorzulegen, war schließlich das Binnenverhältnis zwischen dem Institutsdirektor u n d dem Leiter der IfZ-Außenstelle in Bonn (aus der Perspektive der Dienstaufsicht) bzw. zwischen dem Hauptherausgeber u n d dem Wissenschaftlichen Leiter der Edition (aus der Perspektive der Fachaufsicht) zu regeln; trotz der komplizierten Konstruktion spielte sich die Kooperation zwischen Institutsleitung u n d Herausgebergremium bzw. zwischen dem Münchener „Mutterhaus" u n d der Bonner Außenstelle schnell u n d bald vollkommen reibungslos ein. Im Vordergrund standen jedoch stets unzählige interne Arbeitssitzungen in der Außenstelle, zahllose Deklassifizierungsanträge an die Referate im Auswärtigen Amt und zahlreiche Herausgebersitzungen zur Besprechung der Dokumentenauswahl, der Regesten u n d Tausender von Anmerkungen zur Kommentierung der Schriftstücke. Am 18. Oktober 1996 fand die fünfzigste Herausgebersitzung statt. In der Anfangsphase stand die Bonner Außenstelle unter einem großen Leistungs- und Erwartungsdruck. Für die Erfüllung der Vereinbarung mit dem Auswärtigen Amt war es zwingend notwendig, innerhalb von drei Jahren den ersten umfangreichen Jahresband zu erstellen u n d die weitere Erscheinungsfolge jeweils unmittelbar nach Ablauf der Sperrfrist in den Griff zu bekommen. Fristgerecht präsentierten das Institut für Zeitgeschichte u n d der R. Oldenbourg Verlag am 21. September 1993 die 2010 Seiten umfassenden dreibändigen .Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1963" in der Redoute in Bad Godesberg.

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Aus diesem gelungenen Start des editorischen Großunternehmens resultierte 1994 als Ausdruck des Endes der beiderseitigen Testphase u n d des Ubergangs hin zum Dauerauftrag die Aufnahme des Auswärtigen Amts in den Stiftungsrat des Instituts, der Abschluß erster unbefristeter Verträge mit bewährten Wissenschafderinnen in Bonn und die Erhöhung der Zahl der Mitherausgeber auf „bis zu f ü n f ' . So konnte der seit 1992 amtierende neue IfZ-Direktor Horst Möller von der „Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte" ad personam in das Herausgebergremium berufen werden; auf diese Weise ist das Institut ebenfalls mit Sitz u n d Stimme bei den Sitzungen in Bonn vertreten. In den Anfangsjahren bis 1994 wurde mehrfach eine Erhöhung der Mittel zur personellen Erweiterung der Editionsgruppe abgelehnt. Deutlich wuchs jedoch die Bereitschaft zu einer Aufstockung durch das pünktliche Erscheinen des Jahresbandes 1964 und die rechtzeitige Fertigstellung des Jahresbandes 1965. Im Frühjahr 1995 stellte das Auswärtige Amt dem Institut für Zeitgeschichte ab 1996 die Möglichkeit zur Besetzung von zweieinhalb zusätzlichen Editorenstellen in Aussicht. Verbunden damit war die Auflage, die bisher aus personellen Engpässen zurückgestellte Publikation von Dokumenten über die Jahre von 1949 bis 1962 zu eröffnen. Auch hier gelang es, den ersten Band über 1949/50 bereits 1997 zu publizieren; die Bände über 1951 u n d 1952 befinden sich in Vorbereitung u n d werden schon 1999 bzw. 2000 folgen. Erwähnenswert ist, daß das Auswärtige Amt nicht nur die Mittel für das Personal der Edition, Reisekosten-, Druckkostenzuschüsse etc. gewährt, sondern darüber hinaus sogar die Räumlichkeiten u n d die gesamte Infrastruktur für das Projekt - im wahrsten Sinne des Wortes vom PC bis zum Bleistift. Die Zusammenarbeit mit dem Politischen Archiv u n d der Bibliothek des Auswärtigen Amts hat sich seit Gründung der Außenstelle 1990 genauso bewährt wie mit den Referaten, die beim Deklassifizierungsverfahren stark in Anspruch genommen werden u n d immer wieder wesendich zur Offenlegung fast aller Geheimdokumente beitragen. Gleichzeitig ist der Edition der Abdruck wichtiger u n d die Uberlieferung im Auswärtigen Amt ergänzender Schriftstücke erlaubt worden durch das Bundeskanzleramt, das Bundesarchiv, die Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf, das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, das Archiv für Christlich-Demokratische Politik in Sankt Augustin u n d das WillyBrandt-Archiv in Bonn.

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Aus der Sicht des Auswärtigen Amts besitzen die Worte des Staatsministers Helmut Schäfer anläßlich der Buchpräsentation der ,Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1963" sicherlich nach wie vor Gültigkeit, daß nämlich das vom Auftraggeber gesetzte Ziel vom Institut für Zeitgeschichte „vorbildlich erreicht" worden sei, zumal die Bände über 1968 u n d über 1969 wieder zum frühestmöglichen Zeitpunkt unmittelbar dreißig Jahre nach den Ereignissen der Forschung u n d der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen werden. In diesem Zusammenhang dürfen zudem die damaligen Dankesworte des Institutsdirektors Möller für die Übertragung der „großen u n d verantwortungsvollen Aufgabe" der Herausgabe der AAPD an das IfZ in Erinnerung gerufen werden: „Das Auswärtige Amt hat mit dieser säuberlichen Trennung von Geschichtswissenschaft und Politik, von rückblickender Erforschung u n d gegenwärtiger Entscheidungsbildung zweifellos der Wissenschaft einen unschätzbaren Dienst erwiesen, der jedoch auch dem Ansehen des Auswärtigen Amts dient."

Hartmut Mehringer Zur Entstehung der Außenstelle Berlin i.

Nach der Implosion des realsozialistischen Systems in der DDR 1989 wurde rasch deutlich, daß j e n e r „Glücksfall für die Zeitgeschichtsforschung" des raschen u n d rechtlich kaum eingeschränkten Zugangs zu zentralen Uberlieferungen der NS-Diktatur nach 1945 sich für die Aktenüberlieferung der zweiten deutschen Diktatur erneut einstellen würde. Das Ende der DDR hat für die Erforschung j e n e r Gesellschaft, die seit 1990 wieder die staatliche Einheit „Deutschland" bildet, in der Tat in mehrfacher Hinsicht eine neue Situation geschaffen. Dies betrifft zum einen die SBZ/DDR-Forschung im engeren Sinne, die zuvor bei der Untersuchung der Geschichte des zweiten deutschen Staates weitestgehend o h n e dessen eigene Aktenüberlieferung auskommen mußte, zum anderen die zeitgeschichtliche Disziplin insgesamt, die sich am Ende des „kurzen 20. Jahrhunderts" bestimmten Paradigmen-, Fragestellungs- u n d Zäsurenwandeln u n d vor allem dem Problem der Aufhebung von zwei unterschiedlichen deutschen Zeitgeschichten nach 1945 in der „einen deutschen Zeitgeschichte" zu stellen hat. Es fehlte in den Jahren nach 1989 nicht an Versuchen wissenschaftspolitisch unterschiedlich interessierter Kräfte u n d Stellen, das Institut für Zeitgeschichte in Zukunft auf die Erforschung der NS-Diktatur, die sein wissenschaftliches Renommee wesentlich begründet hatte, zu beschränken bzw. ein zweites, neues Institut f ü r Zeitgeschichte für die Untersuchung der zweiten deutschen Diktatur zu gründen. Ungeachtet solcher Initiativen stellten die neuen Forschungsmöglichkeiten u n d -chancen das Institut für Zeitgeschichte jedoch - entsprechend seinem Satzungsauftrag zu einer ganzheitlichen „wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte" - vor die Herausforderung, die Untersuchung der Geschichte der SBZ/DDR als des zweiten Nachfolgestaats des Dritten Reiches deutlich zu intensivieren. Dieser Themenbereich war im Forschungsspektrum des Instituts, wie ein Blick auf seine Veröf-

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Hartmut Mehringer

fentlichungen zeigt1, von Anfang an vorhanden; er wurde bereits Ende der siebziger Jahre erheblich verstärkt: 1979 veranstaltete das Institut unter Leitung von Horst Möller, damals Stellvertretender Direktor, eine Podiumsdiskussion zum Thema „Der Weg nach Pankow. Zur Gründungsgeschichte der DDR" (veröffentlicht 1980), die am Beginn eines größeren Forschungsprojekts zur Verwaltungsgeschichte der SBZ und der frühen DDR stand. Wesentliches Ergebnis der in der Folgezeit unternommenen Forschungsanstrengungen war das gemeinsam vom Institut für Zeitgeschichte und dem Arbeitsbereich DDR-Geschichte an der Universität Mannheim erarbeitete, von Martin Broszat und Hermann Weber herausgegebene SBZ-Handbuch (1990), das inzwischen in zweiter Auflage erschienen ist und trotz der nunmehr neu zugänglichen Quellen weiterhin als unverzichtbares Standardwerk zur Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone gilt, das Maßstäbe für die weitere Forschung gesetzt hat. Aufgrund dieser Forschungstradition verfolgte das Institut für Zeitgeschichte seit 1989/90 den Plan, eine eigene wissenschaftliche Abteilung für die Geschichte von SBZ und DDR in den neuen Bundesländern aufzubauen; es war klar, daß der zu erwartende ungehinderte Zugang zu den Quellen immense Anstrengungen zu ihrer Auswertung notwendig machen und bislang ganz ungeahnte Forschungsmöglichkeiten eröffnen würde: Die Erschließung von zentralen Quellenbeständen dieses enormen Umfangs verändert unvermeidlich auch die bisherigen Fragestellungen und Interpretationskategorien. Schon wenige Monate nach dem Zusammenbruch der DDR wurden deshalb auf der Leitungsebene und im wissenschaftlichen Mitarbeiterkreis des Instituts wie innerhalb des Stiftungsrats und des Wissenschaftlichen Beirats konkrete Überlegungen angestellt, wie die aufgrund der historischen Konjunktur dringend gebotene erneute Ausweitung der SBZ/DDR-Forschung von seiten des Instituts zu gestalten sei. Daß dies nur in institutionalisierter Form, d. h. vermittels des Aufbaus einer eigenen Forschungsabteilung, einer Dependance des Instituts im Großraum Berlin, in wissenschaftsökonomisch angemessener Form möglich sein würde, stand für alle an dem damaligen Diskussionsprozeß Beteiligten außer Frage; die Alternative, die anstehenden Aufgaben von

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Dies belegt ein Blick auf die IfZ-Veröffentlichungen seit den frühen fünfziger Jahren vgl. dazu die VeröfFentlichungsliste in: Horst Möller/Hartmut Mehringer, Die Außenstelle Potsdam des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 43 (1995), S. 183-186. Vgl. dazu auch den Beitrag von Günter Heydemann in diesem Band.

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München aus vermittels zeitlich befristeter Einzelprojekte anzugehen, erschien trotz sich abzeichnender zusätzlicher Förderungsperspektiven zu Recht als sowohl wenig realistisch wie in der Kosten-Ergebnis-Relation unbefriedigend. Es ist an dieser Stelle vielleicht notwendig, sich die damalige wissenschaftspolitische u n d -psychologische Situation noch einmal vor Augen zu führen, um die Schwierigkeiten zu verstehen, die sich einem solchen unter sachlichen Gesichtspunkten unmittelbar einsichtigen Vorhaben in den Weg stellten. Die Finanzlage der öffentlichen Haushalte war bereits vor 1990 außerordentlich angespannt. 1990 bestand die DDR noch, die sie bislang tragenden u n d damit - ζ. T. in Konkurrenz zu den staatlichen Verwaltungen oder an ihrer Stelle - über das zentrale Archivgut verfügenden Institutionen wie die SED, die Blockparteien, Gewerkschaften u n d Massenorganisationen befanden sich in voller Auflösung. Wesentliche Archivbestände der ehemaligen DDR waren damals entweder in ihrem materiellen Bestand gefährdet oder von unter archivfremden Interessen vorgenommenen Aufsplitterungen bzw. Teilentnahmen bedroht. Trotz aller Aussichten auf raschen Aktenzugang waren die entsprechenden institutionellen Voraussetzungen noch keineswegs geklärt, geschweige d e n n gegeben. Das Schicksal der bisherigen, stark ideologisierten u n d für SED-Herrschaftsinteressen funktionalisierten zeitgeschichüichen Forschung in der DDR u n d ihrer Trägerinstitutionen, die sich der Evaluierung durch den Wissenschaftsrat zu stellen hatten, war noch völlig ungeklärt; viele versuchten, vermittels mehr oder minder seriöser Kooperationsprojekte mit westdeutschen Forschungsstellen ihre eigenen Aussichten bei dieser Evaluierung zu verbessern. Vertretern der Bürgerrechtsbewegung in der DDR gelang es, im Einigungsvertrag mit der Bundesrepublik die besondere Behandlung der Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes durch eine eigene Behörde durchzusetzen, die, wie sich schon ab 1990 abzeichnete, mit einer personell außerordentlich starken eigenen Forschungsabteilung ausgestattet sein würde. An der Freien Universität Berlin formierte sich der „Forschungsverbund SEDStaat", in Potsdam auf Initiative von Jürgen Kocka das spätere „Zentrum für Zeithistorische Forschung", in Dresden das „Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung" unter Alexander Fischer, um n u r die wichtigsten zu nennen; dazu kamen zahlreiche Neugründungen u n d Neugründungsversuche von zeitgeschichtlichen Forschungsstellen, aus den Reihen der ehemaligen Bürgerrechtsbewegung ebenso wie von ehemals SED-nahen Gruppen u n d Institutionen, aber auch von Stellen

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aus der alten Bundesrepublik 2 ; es herrschte, wie im Wissenschaftlichen Beirat des Instituts f ü r Zeitgeschichte ironisch formuliert wurde, eine Art „Windhundrennen in Richtung Osten", bei dem jeder der erste sein wolle u n d es zu mitunter höchst fragwürdigen ,joint ventures" mit ostdeutschen Historikern u n d Einrichtungen komme 3 - oder die „Klondyke"-Mentalität eines zeitgeschichtlichen Goldrauschs, mit dem versucht wurde, wissenschaftliche „claims" abzustecken u n d angesichts der allgemeinen Konkurrenzsituation und der Unsicherheit hinsichtlich künftiger Förderungsmittel bestimmte - u n d seien es nur thematisch begrenzte - Monopolansprüche durchzusetzen. Dies führte zu einer wahren Inflation von Forschungsprojekten - die schon angeführte, vom eigenen Anspruch her keineswegs lückenlose Mannheimer Ubersicht von Ende 1993 n e n n t 759 Einzelprojekte - , u n d damit verbunden zu starkem Erfolgs- bzw. Veröffentlichungsdruck sowie ζ. T. zu heftigen, vielfach auch in der Presse ausgetragenen Graben- und Hahnenkämpfen zwischen einzelnen Gruppen u n d Institutionen hinsichtlich der jeweiligen wissenschaftlichen Seriosität u n d des wissenschaftlich-politischen Leumunds. 4 Für das Institut für Zeitgeschichte war in dieser Situation klar, daß seine künftigen Forschungsprojekte zur zweiten deutschen Diktatur nicht marktschreierisch auf n u r kurzfristig vorhaltenden publizistischen Erfolg zielen, sondern auf langfristig angelegter, grundlegender Forschungsarbeit beruhen müßten. Nicht zuletzt deshalb ist es n u r folgerichtig, daß das im Laufe der Jahre 1990-1992 entwickelte Forschungsprofil für die geplante Außenstelle den Zeitraum von 1945 bis Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre umfaßt und die Erforschung der noch allzu aktuellen u n d in der Öffentlichkeit stark emotionalisierten Vorwende- u n d Wendezeit noch nicht in den Blick n e h m e n sollte. Klar war allerdings ebenso - u n d diese Position wurde innerhalb des Stiftungsrats u n d des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Zeitgeschichte einhellig unterstützt - , daß das Institut auch in Zukunft seinem 2

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Einen Überblick vermittelt die vom Arbeitsbereich DDR-Geschichte Mannheim im Auftrag der „Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" im Januar 1994 erschienene Ubersicht über „Forschungsprojekte zur DDR-Geschichte". Protokoll der Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Zeitgeschichte am 21./22. 2. 1991, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv. Vgl. dazu etwa die in der FAZ im August/September 1993 ausgetragene Kontroverse zwischen Armin Mitter und Stefan Wolle als den Vertretern des „Unabhängigen Historikerverbands" und Jürgen Kocka, damals Kommissarischer Leiter des „Forschungsschwerpunkts (später Zentrums) für Zeithistorische Forschung" in Potsdam.

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Auftrag zur Erforschung der Zeitgeschichte in ihrer Ganzheitlichkeit ohne jeden inhalüichen Abstrich verpflichtet blieb, auf der anderen Seite jedoch auch von sich aus bewußt vermeiden wollte, auch nur den Anschein des Anstrebens einer Monopolstellung zu erwecken; „Konkurrenz belebt das Geschäft", war die damals einhellig vertretene Position. Absprachen zur Vermeidung von Doppelarbeit, wie sie 1992/93 zwischen Horst Möller, dem neuen Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, und Jürgen Kocka, dem Kommissarischen Leiter des Potsdamer Forschungsschwerpunkts, brieflich und mündlich mehrfach erfolgten, waren sinnvoll und notwendig, doch blieben auf der anderen Seite angesichts des noch kaum übersehbaren Forschungsfelds gerade auch pluralistische Methodenvielfalt und Forschungsheterogenität gefragt.

II. Bereits in seinem Jahresbericht 1989 auf der Jahrestagung des Wissenschafdichen Beirats des Instituts für Zeitgeschichte am 20./21. März 19905 formulierte der damalige kommissarische Leiter, der Stellvertretende Direktor Ludolf Herbst, die Absicht der Institutsleitung, die zuletzt mit dem SBZ-Handbuch zum Ausdruck kommende Erforschung der Geschichte der SBZ/DDR verstärkt fortzuführen und sich künftig dabei insbesondere auf die Untersuchung der Rolle der SMAD in der SBZ und die Analyse des Herrschaftssystems in der DDR zu konzentrieren; entsprechende Fühlungnahmen mit Archivaren und Historikern aus der - damals noch bestehenden - DDR waren bereits eingeleitet worden. In der sich daran anschließenden ausführlichen Debatte innerhalb des Wissenschaftlichen Beirats wurde diese Absicht auf der einen Seite allseits begrüßt, auf der anderen vor einem vorschnellen Eingehen auf möglicherweise zweifelhafte Kooperationsangebote aus der DDR gewarnt und eine Zusammenkunft aller historischen Forschungseinrichtungen angeregt, die Kooperationen mit DDR-Stellen ins Auge faßten; im Augenblick gehe es vornehmlich um das Problem der Sicherung von Uberlieferungen, die von Vernichtung, Zerfall oder Zersplitterung bedroht seien, ein Gesichtspunkt, der von Seiten des Bundesarchivs besonders nachdrücklich unterstützt wurde. Staatliche Archive der DDR bemühten sich um die Übernahme solcher vor allem nicht-

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Hierfür sowie für die folgenden angeführten Protokolle siehe IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv.

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staatlicher Akten u n d baten dabei dringend um die Unterstützung westdeutscher Archive, ein Ersuchen, das bei den zuständigen staatlichen Stellen in der Bundesrepublik damals verständlicherweise nicht an erster Stelle der Prioritätenliste stand. Der Beirat beschloß eine öffentliche Resolution, die auf diese Gefahren aufmerksam machte u n d an die zuständigen Stellen weitergeleitet wurde. 6 Im übrigen, so die einhellige Meinung des Beirats, gehe es im Augenblick darum, die DDRKompetenz im Institut für Zeitschichte weiter zu verstärken, um hier gewissermaßen treuhänderisch für die internationale Zeitgeschichtsforschung insgesamt tätig werden zu können. Die weiteren inhaltlichen Überlegungen im Institut für Zeitgeschichte konkretisierten sich im Lauf der folgenden Monate in einem Planungspapier „Die SBZ/DDR-Forschung des IfZ. Projekte, geplante Projekte u n d Perspektiven", das u. a. zur Vorlage f ü r die folgende Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats Ende Februar 1991 diente. In Zukunft, so hieß es hier, müsse darauf geachtet werden, daß das Institut in der künftigen SBZ/DDR-Forschung ,jeweils mit mehreren Projekten deutlich präsent" sei. Diese Forschung sollte allerdings nicht im Alleingang durchgeführt werden, sondern im Verbund der „bewährten Kooperation" sowohl mit dem „Arbeitsbereich Geschichte u n d Politik der DDR" in Mannheim unter Hermann Weber als auch mit dem Bundesarchiv unter seinem Präsidenten Friedrich P. Kahlenberg stehen. Personelle Kapazität u n d finanzielle Ausstattung im Sachmittelbereich des Instituts seien allerdings für solche zusätzlichen Projekte zu eng bemessen. Klar sei auch, daß der Versuch einer reinen Drittmittelfinanzierung rasch an seine Grenzen stoßen müsse, da Förderungsinstitutionen kaum bereit seien, mehrere Projekte einer Institution gleichzeitig zu finanzieren. Die beste Lösung, um den angesichts der politischen Veränderungen des vergangenen Jahres gewachsenen Aufgaben gerecht werden zu können, bestehe also in der Etablierung eines kleinen Mitarbeiterstabes des Instituts für Zeitgeschichte in Berlin - zwei, möglichst drei Wissenschaftler, die durch weitere, durch Drittmittel finanzierte Kräfte ergänzt werden könnten. Die Notwendigkeit der Errichtung zusätzlicher außeruniversitärer Forschungsstellen im Raum Berlin-Potsdam be6

Sie erschien unter dem Titel .Aufgaben und Perspektiven der Zeitgeschichtsforschung nach der politischen Umwälzung in Osteuropa und in der DDR" im Namen des Instituts für Zeitgeschichte, des Bundesarchivs und des Arbeitsbereichs Geschichte und Politik der DDR Mannheim wenig später in den VfZ 38 (1990), S. 509-514; als Autoren zeichneten Professor Dr. Ludolf Herbst, Professor Dr. Friedrich P. Kahlenberg und Professor Dr. Hermann Weber.

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durfte angesichts seiner Bedeutung und der Fülle der dort neu zur Verfügung stehenden Archivmaterialien keiner weiteren Begründung. In der ausführlichen Diskussion stellte sich der Wissenschaftliche Beirat einhellig hinter die Pläne zur Gründung einer Außenstelle des Instituts für Zeitgeschichte im Großraum Berlin; bedeutsam war, daß der Beirat bereits zu diesem frühen Zeitpunkt darauf drängte, bei der Zahl der notwendigen neu zu beantragenden Stellen keinesfalls aus lediglich bewilligungstaktischen Erwägungen zu bescheiden zu sein: Zehn Stellen insgesamt seien sicher nicht zu viel. Hans-Peter Schwarz erklärte sich bereit, als Vorsitzender im Namen des Wissenschaftlichen Beirats brieflich an den Vorsitzenden des Stiftungsrats Herbert Kießling heranzutreten und in diesem Schreiben zu betonen, daß sich im Beirat nach gründlicher Diskussion der Voraussetzungen einer erfolgreichen DDR-Forschung - auch mit Blick auf die Masse der in den Archiven der ehemaligen DDR vorhandenen neuen Quellen - die klare Meinung herausgebildet habe, daß das Institut eine Zweigstelle im Raum Berlin errichten solle und daß hierfür im Haushalt 1992 und 1993 eine Reihe neuer Forscherstellen ausgebracht werden sollten; man werde dabei um eine gesunde „Durchmischung" bemüht sein, d. h. in dieser Zweigstelle sollten auch vielversprechende jüngere und politisch unbelastete Historiker aus den neuen Bundesländern aufgenommen werden.7 Weiterhin beschloß der Wissenschaftliche Beirat zur raschen Fortführung der weiteren Planungsüberlegungen die Bildung einer Arbeitsgruppe, der neben den Mitgliedern des Beiratsausschusses Hermann Weber, Hans Günter Hockerts, M. Rainer Lepsius sowie der Präsident des Bundesarchivs, Friedrich P. Kahlenberg, und der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte angehörten. Ergebnis war eine von dieser Planungsgruppe verabschiedete Denkschrift vom 3. Mai 1991 zu den „Perspektiven der SBZ/DDR-Forschung des Instituts für Zeitgeschichte. Gründung einer Forschungsstelle in Berlin", die insbesondere auch als Vorlage für die Sondersitzung des Stiftungsrats am 19. Juli dienen sollte; in dieser Denkschrift wurde das Forschungs- und Projektprofil der geplanten Außenstelle in seinen Schwerpunkten „Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD)" sowie „Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland (SKK)" und „Landwirtschaft und ländliche Bevölkerung in den fünfziger Jahren" bereits entscheidend konkretisiert. Ihr lagen monatelange 7

Brief Hans-Peter Schwarz an Ministerialdirektor Herbert Kießling vom 25. 2. 1991, Kopie im Ordner Stiftungsratsprotokolle 1990-1991, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv.

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Quellenrecherchen von Institutsmitarbeitern in Archiven der ehemaligen DDR zugrunde, die den Inlands-Reiseetat des Instituts für das Jahr 1991 in den ersten vier Monaten bereits zu zwei Dritteln aufgebraucht hatten. Zur Durchführung des skizzierten Forschungsprogramms hielt die Denkschrift sechs zusätzliche wissenschaftliche Mitarbeiter f ü r nötig, um die der Stellenplan des Instituts kurzfristig aufgestockt werden müßte. Es biete, so die abschließende Begründung, f ü r die SBZ/DDRForschung der Bundesrepublik Deutschland insgesamt einen großen Vorteil, wenn das Institut für Zeitgeschichte als erfahrene Forschungseinrichtung sich mit einer eigenen Forschungsstelle in Berlin etabliere, da es über alle unabdingbaren organisatorischen Voraussetzungen verfüge, o h n e die heute systematische Zeitgeschichtsforschung nicht m e h r denkbar sei. Der Aufbau einer Forschungsstelle des Instituts für Zeitgeschichte im Großraum Berlin-Potsdam könne, zumal das Bundesarchiv dem Institut Räumlichkeiten in Potsdam angeboten habe, binnen weniger Monate erfolgen. Die Vorteile lägen vor allem auch in der Kostenersparnis für die öffentliche Hand: „Statt ein mit allen Anfangsschwierigkeiten behaftetes Institut ,auf der grünen Wiese' zu schaffen, muß bei dem vorliegenden Vorschlag eine eingespielte Zusammenarbeit, die auf anerkanntermaßen vorzüglich funktionierende Einrichtungen zurückgreifen kann, lediglich institutionell erweitert werden. ( . . . ) Mit Hilfe des Instituts für Zeitgeschichte käme die SBZ/ DDR-Forschung ( . . . ) schneller, kostengünstiger u n d auf wissenschaftlich soliderer Basis in Gang, als wenn man die Idee einer Neugründung verfolgte." Es sei nicht vermessen zu sagen, daß das vorliegende Konzept bei entsprechender Mittelbewilligung sofort in die Tat umgesetzt werden könnte. Zugleich betonte die Denkschrift noch einmal, daß das Institut für Zeitgeschichte mit einer Forschungsstelle in Berlin/Potsdam die SBZ/ DDR-Forschung weder monopolisieren noch dominieren wolle; Ziel sei vor allem auch, eine Anschubfunktion zu erfüllen, die andere Aktivitäten durch fördernden Wettbewerb anrege. Hierbei müsse insbesondere auch an eine enge Zusammenarbeit mit den Universitäten in den neuen Bundesländern gedacht werden.

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III.

Auch der Stiftungsrat des Instituts für Zeitgeschichte beschäftigte sich bereits im Jahr 1990 mit den Planungen des Instituts für die sachlich gebotene Ausweitung seiner SBZ/DDR-Forschungen und die Errichtung einer eigenen Dependance im Großraum Berlin-Potsdam8, auch wenn damals die Planungen noch nicht so weit gediehen waren, daß eine konkrete Umsetzung bereits auf der Tagesordnung hätte stehen können. Dazu kam als Grundproblem die insbesondere von Seiten des Stiftungsrats immer wieder betonte „angespannte Lage der öffendichen Haushalte". Die Tatsache, daß die Berufungsverhandlungen mit dem neuen Direktor Horst Möller, dem man nicht vorgreifen dürfe, noch nicht abgeschlossen waren, führte in diesem und auch im folgenden Jahr unvermeidlicherweise zu Verzögerungen. Deutlich war allerdings schon zu diesem frühen Zeitpunkt, daß eine solche Dependance „sorgsam zu diskutierende Strukturfragen" aufwerfen würde.9 Der wachsende Entscheidungsdruck führte am 19. Juli 1991 zu einer Sondersitzung des Stiftungsrats, dessen Grundlage die weiter oben bereits angeführte Denkschrift von Mai 1991 bildete. Sie wurde vom Stiftungsrat einhellig begrüßt und akzeptiert, Diskussionsstoff bot vor allem noch die Frage der „Positionierung" der geplanten Außenstelle des Instituts in Berlin bzw. in Potsdam angesichts der inzwischen erfolgten Empfehlung des Evaluierungsausschusses des Wissenschaftsrats, die alten Institute der Akademie der Wissenschaften (AdW) der ehemaligen DDR aufzulösen und im geisteswissenschaftlichen Bereich in den neuen Bundesländern sieben „geisteswissenschafdiche Zentren", darunter das Potsdamer „Zentrum für Zeithistorische Studien", zu gründen. Trotz der schwierigen Lage der öffentlichen Finanzen müßten, so die einhellige Meinung des Stiftungsrats, nun alle Anstrengungen unternommen werden, um die Durchführung des „außerordentlich überzeugenden Forschungsprogramms" des Instituts für Zeitgeschichte auf politischer Ebene sicherzustellen. Abschließend faßte der Stiftungsrat des Instituts für Zeitgeschichte einstimmig einen förmlichen Beschluß, der seinen Vorsitzenden Herbert Kießling ermächtigte, zusammen mit dem Direktor des Instituts für Zeitgeschichte die für die Umsetzung 8

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Vgl. die Protokolle der Sitzungen vom 30.3. und vom 31. 10. 1990, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv. Protokoll der Sitzung vom 31. 10. 1990, S. 16, ebd.

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Hartmut Mehringer

der Denkschrift von Mai 1991 erforderlichen Verhandlungen u n d Maßnahmen durchzuführen. Diese Verhandlungen, in die sich auch Horst Möller als künftiger Direktor des Instituts maßgeblich einschalten konnte, gestalteten sich jedoch aus einer Reihe von Gründen als ausgesprochen schwierig u n d langwierig. Hindernis war nicht zuletzt die abzusehende Haushaltsbelastung durch die Zulassung der sieben geisteswissenschaftlichen Zentren in den neuen Bundesländern, auch wenn sie zunächst - befristet - unter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft untergebracht wurden. Ihre Etablierung als Institute der „Blauen Liste", d. h. der gemeinsam von Bund u n d Ländern finanzierten Wissenschaftseinrichtungen, drohte den von Seiten des Bundesforschungsministeriums vorhandenen finanziellen Spielraum vollends zu blockieren. Da es sich bei diesen Zentren, wie auf der Stiftungsratssitzung vom 3. April 1992 betont wurde, vielfach um reine Auffangstationen für ehemalige AdW-Projekte u n d deren Bearbeiter handele u n d die gewünschte wissenschaftliche „Durchmischung" mit Wissenschaftlern aus den alten Bundesländern häufig n u r höchst unzureichend erfolgt sei, drohe eine „Verwechslung von sozialpolitischen u n d wissenschaftlichen Aspekten"; um so wichtiger sei angesichts der Entrüstung und des allgemeinen Unwillens über eine „unseriöse Wissenschaftspolitik" die geplante Etablierung der Potsdamer Außenstelle des Instituts für Zeitgeschichte als eigene Abteilung einer der renommiertesten zeitgeschichtlichen Forschungsinstitutionen, die an der Erforschung der Geschichte der SBZ/DDR gerade unter diesem Aspekt weiterhin unbedingt beteiligt werden müsse. 10 Obwohl das Land Brandenburg inzwischen eingeladen worden war, der Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte u n d dem Stiftungsrat des Instituts für Zeitgeschichte beizutreten, u n d dieser Einladung 1993 auch folgte, kam es im Lauf des Jahres 1992 in der Bund-Länder Kommission zu Kontroversen, bei denen es insbesondere u m Stellenwert u n d Verhältnis des von Brandenburg als Landesinstitut begriffenen „Zentrums für Zeithistorische Studien" in Potsdam u n d der ebenfalls in Potsdam geplanten Außenstelle des Instituts für Zeitgeschichte als einer „bayerischen" Institution ging , obwohl dies ein von Bund und Ländern gemeinsam getragenes Institut ist. Die zunächst noch aussichtslos erscheinende Bewilligung der insgesamt n e u n für die Außenstelle Potsdam des Instituts für Zeitgeschichte 10

Protokoll der Sitzung des Stiftungsrats des Instituts für Zeitgeschichte vom 3. April 1992, IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv.

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beantragten Stellen (sechs Wissenschaftler u n d drei weitere Stellen) erfolgte nach zähen Verhandlungen, die Horst Möller auf verschiedenen Ebenen führte, schließlich im Herbst 1992. Allerdings wurden die bewilligten Stellen sofort mit einer „qualifizierten Sperrung" versehen, die n u r der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestags aufheben konnte. 1 1 Diese Haushaltssperre wurde erst Ende April 1993 aufgehoben. 12 Im Sommer 1993 konnte daraufhin die Ausschreibung für die bewilligten Stellen durchgeführt u n d mit der Ausstattung der auf dem Gelände des Bundesarchivs, Abteilung Potsdam, angemieteten Räumlichkeiten begonnen werden. Aufgrund der Ausschreibung gingen im Institut f ü r Zeitgeschichte etwa 230 Bewerbungen für die sechs neu zu besetzenden Wissenschaftlerstellen ein, was ein kompliziertes mehrstufiges Auswahlverfahren notwendig machte. Die Leitung der Außenstelle, für die zunächst Privatdozent Dr. Günther Heydemann vorgesehen war, der jedoch im Herbst 1993 einem Ruf an die Universität Leipzig folgte, übernahm von 1994 bis Frühjahr 1998 Dr. habil. Hartmut Mehringer; beide waren an den abschließenden konzeptionellen Planungen für das künftige Projektprofil u n d die Arbeitsweise der Außenstelle 13 unmittelbar beteiligt. Am 2. Januar 1994 schließlich konnte die Außenstelle Potsdam des Instituts für Zeitgeschichte in der „Baracke" auf dem Gelände des Bundesarchivs ihre Arbeit aufnehmen. Seit März 1998 ist der bisherige stellvertretende Leiter, Dr. Hermann Wentker, Leiter der inzwischen nach Berlin übersiedelten Außenstelle. Trotz der großzügigen Unterstützung durch die Verwaltung des Instituts f ü r Zeitgeschichte erwiesen sich die Arbeitsbedingungen zunächst freilich als spartanisch. Die Räume in der Baracke - in der Verwaltung des Bundesarchivs euphemistisch „Bungalow" genannt - waren räumlich beschränkt, im Winter eher zu kühl u n d im Sommer zu heiß. Dies wurde jedoch durch den Vorteil der Quellennähe zum Bundesarchiv m e h r als aufgewogen. Infolge des Umzugs des Bundesarchivs, Abteilungen Potsdam, an den neuen zentralen Standort der Berliner Bestände des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde wechselte die Außenstelle im 11

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Bericht des Direktors des Instituts für Zeitgeschichte, Horst Möller, auf der Stiftungsratssitzung vom 20. 11. 1992, IfZ-Hausarchiv ED 105. Vgl. dazu Schreiben des Bundesministeriums für Forschung und Technologie vom 10. 5. 1993 sowie des Vorsitzenden des Stiftungsrats vom 22. 5. 1993 an den Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Ordner „Stiftungsratssitzungen lb", IfZ-Archiv, ED 105, Hausarchiv. Vgl. Günther Heydemann, S. 496-486.

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Juni 1996 in wesentlich großzügiger dimensionierte und besser geeignete Räumlichkeiten auf dem Gelände der ehemaligen Kadettenanstalt Berlin-Lichterfelde in direkter Nachbarschaft zum Bundesarchiv, so daß der Vorteil der unmittelbaren Quellennnähe gewahrt bleiben konnte: Den Verantwortlichen innerhalb der Verwaltung des Bundesarchivs, insbesondere Vizepräsident Dr. Siegfried Büttner, Abteilungspräsident Siegfried Becker und Oberregierungsrat Hans-Georg Dillgard, ist für die Unterstützung dieser Lösung Dank auszusprechen. Aus der Außenstelle Potsdam wurde somit die Außenstelle Berlin des Instituts f ü r Zeitgeschichte. Schon aufgrund des Mangels an geeigneten Räumlichkeiten, aber auch aufgrund des eigenen Anspruchs, weniger ein Institut zur Öffentlichkeitsarbeit d e n n vielmehr ein Forschungsinstitut zu repräsentieren, konnte es der Außenstelle niemals darum gehen, aufwendige u n d publicityträchtige öffentliche Kolloquien zu veranstalten. Allerdings fand in engstem Rahmen eine ganze Reihe von Internkolloquien mit j u n g e n Wissenschaftlern aus Deutschland u n d ganz Europa statt, auf denen Forschungsperspektiven u n d spezifische Forschungsprobleme erörtert werden konnten. Im Juni 1995 organisierte die damalige Außenstelle Potsdam des Instituts für Zeitgeschichte ein breit gestreutes u n d hochkarätig besetztes internationales Kolloquium zum Thema „Erobert oder befreit? Deutschland im internationalen Kräftefeld u n d die Sowjetische Besatzungszone (1945/46)", dessen Ergebnisse inzwischen in gedruckter Form vorliegen. 14 1996 u n d 1997 schlossen sich zwei von der Außenstelle Potsdam bzw. Berlin inhaltlich vorbereitete, aus infrastrukturellen Gründen jedoch in München abgehaltene Kolloquien zur Vertriebenenintegration in der SBZ im Vergleich zu den Westzonen an, die u. a. vom Bundesministerium des Inneren gefördert wurden. 1 5 Im November 1998 - der Termin wurde bewußt gewählt, u m u. a. dem zu erwartenden übersteigerten publizistischen Interesse angesichts des bevorstehenden 40. Jahrestags der Gründung der Bunderepublik Deutschland u n d der DDR auszuweichen - veranstaltete die Außenstelle Berlin des Instituts f ü r Zeitgeschichte ein weiteres großes Kolloqui-

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Hartmut Mehringer/Michael Schwartz/Hermann Wentker (Hrsg.), Erobert oder befreit? Deutschland im internationalen Kräftefeld und die Sowjetische Besatzungszone, München 1998. Vgl. dazu Dierk Hoffmann/Michael Schwartz (Hrsg.), Geglückte Integration? Spezifika und Vergleichbarkeiten der Vertriebenen-Eingliederung in der SBZ/DDR, München 1999, sowie ein Band, hrsg. von Dierk Hoffmann/Marita Krauss/Michael Schwartz, der demnächst erscheinen wird.

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um zum Thema „Das letzte Jahr der SBZ im Prozeß der Staatsgründung der DDR", das vor allem die 1948/49 vorgenommenen Weichenstellungen beleuchtete; auch seine Ergebnisse werden in einer Institutspublikation veröffendicht. Schließlich hat die Berliner Außenstelle im Rahmen des Historikertags im September 1998 in Frankfurt am Main die Gestaltung einer Sektion zu der Thematik „Konzepte, Konflikte und Kompromisse in der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone" übernommen. Diese Konferenzen und Sammelbände dokumentieren jedoch nur einen kleinen Teil der Forschungsaktivitäten der Berliner Außenstelle. Eine wissenschaftliche Würdigung der bisherigen Arbeit und eine Ubersicht über die laufenden Forschungsprojekte enthält der Beitrag von Günther Heydemann in diesem Band. Die dort gezogene positive Zwischenbilanz über die Arbeit der Außenstelle ermutigt zu einer konsequenten Fortsetzung der bisher geleisteten Forschung, deren Ziel es insbesondere war und ist, „die Geschichte der SBZ/DDR aus einer isolierten Betrachtungsweise zu lösen" und in den Gesamtzusammenhang der deutschen und europäischen Geschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu stellen.16

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Horst Möller/Hartmut Mehringer (Anm. 1), S. 175.

Volker Dahm Obersalzberg. Orts- und Zeitgeschichte Eine ständige Dokumentation des Instituts für Zeitgeschichte in Berchtesgaden

Anfang 1995 wurde bekannt, daß die amerikanischen Streitkräfte das von ihnen als Erholungsgebiet genutzte Gelände am Obersalzberg bei Berchtesgaden freigeben würden. Daraufhin beschloß die Bayerische Staatsregierung nach Abstimmung mit dem Landkreis Berchtesgadener Land und der Marktgemeinde Berchtesgaden am 1. August 1995 ein Konzept zur künftigen Nutzung des Geländes, das zum einen eine touristische Erschließung und zum anderen die Errichtung einer der „besonderen Geschichte des Ortes" entsprechenden Dokumentationsstelle vorsah. Nach Vorgesprächen, die mit dem Direktor geführt wurden, beauftragte das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, als federführendes Ressort, das Institut für Zeitgeschichte, ein fachliches Konzept für die Dokumentationsstelle zu entwickeln. Das Institut legte im Februar 1996 ein Expose vor, das in eine Ministerratsvorlage des Finanzministeriums einging, die vom Kabinett am 23. April 1996 gebilligt wurde. Am 26. August wurde das Institut für Zeitgeschichte definitiv mit der „Entwicklung eines fachlich-historischen" Konzepts für die Dokumentationsstelle beauftragt. In der Folge kam es zur Berufung eines Fachbeirats aus Historikern und Museumsexperten, Vertreter der beteiligten Ministerien und Repräsentanten der Region. Ihm gehören - nach dem Stand vom 15. Februar 1999 - an: Prof. Dr. Horst Möller (Direktor des Instituts für Zeitgeschichte) als Vorsitzender, Direktor Dr. Michael Rupp (Landeszentrale für politische Bildungsarbeit), Prof. Dr. Claus Grimm (Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte), Ministerialdirigentin Margot Wiek als Nachfolgerin von Ministerialdirigent Gropper (Bayerisches Staatsministerium der Finanzen), Prof. Dr. Klaus Hildebrand (Universität Bonn), Prof. Dr. Hans Günter Hockerts (Universität München), Ministerialrat Günther Hoffmann (Oberste Baubehörde im Bayerischen

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Staatsministerium des Innern), Dr. Hartmut Mehringer (Institut für Zeitgeschichte), Dr. Andreas Nachama (ehemals Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, jetzt Vorsitzender des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Berlin), Martin Seidl (Landrat des Landkreises Berchtesgadener Land), Rudolf Schaupp (Erster Bürgermeister der Marktgemeinde Berchtesgaden), Prof. Dr. Christoph Stölzl (Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums). Der Fachbeirat trat am 5. Juni 1997 in Berchtesgaden zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Dort wurde der vom Institut für Zeitgeschichte inzwischen vorgelegte, 120 Seiten umfassende Projektentwurf ausführlich diskutiert und mit gewissen Modifikationen gebilligt. Auf seiner zweiten Sitzung beauftragte der Fachbeirat das Münchner Architekturbüro Claus & Forster mit der Gestaltung der Dokumentation; für ausstellungsdidaktische Fragen wurde später noch Herr Dr. Johannes Erichsen vom Haus der Bayerischen Geschichte in Augsburg hinzugezogen. Der Fachbeirat trat insgesamt fünfmal zusammen. Auf der letzten Tagung am 17. März 1999 in München wurde das vom Institut für Zeitgeschichte erarbeitete Drehbuch beraten und verabschiedet. Der Obersalzberg ist ein unmittelbar am Ortsrand Berchtesgadens auf 900-1000 m H ö h e ansteigender Vorberg des Kehlstein, der wiederum - 1834 m hoch - dem 2523 m h o h e n Felsmassiv des H o h e n Göll vorgelagert ist. Bis ins 20. J a h r h u n d e r t hinein war der Ort n u r von lokalgeschichtlicher Bedeutung. Seit dem 14. J a h r h u n d e r t sind dort Lehensbauern des Augustiner-Chorherren-Stiftes Berchtesgaden urkundlich nachweisbar. Noch bis weit ins 19. J a h r h u n d e r t hinein bestand die an Zahl geringe Bevölkerung aus Bauern, die sich von dem lediglich sieben Monate im J a h r schneefreien Boden n u r mühsam ernähren konnten, sowie Handwerkern u n d im Salzbergwerk am Untersalzberg tätigen Bergknappen u n d Salinenarbeitern. Erst durch den Fremdenverkehr, der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu entwickeln begann, erhielt der abgeschiedene Ort im südlichsten Zipfel Bayerns ein anderes Gesicht. 1877 eröffnete Mauritia Mayer eine Pension, die als „Pension Moritz" in die Ortsgeschichte eingegangen ist. Andere taten es ihr nach. Der schöne, inmitten der grandiosen Berchtesgadener Bergwelt gelegene Ort zog wohlhabende Menschen aus ganz Deutschland an, unter ihnen die damals sehr populären Schriftsteller Ludwig Ganghofer, Peter Rosegger u n d Richard Voß. Einige waren vom Obersalzberg so angetan, daß sie sich dort eigene Häuser kauften oder errichteten, unter ihnen Carl Linde, ein Pionier der Kühltechnik, und der Münchner Maler Carl Gussow, dessen Villa 1927 von dem Klavierfabrikanten

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Edwin Bechstein erworben wurde. 1916 ließ der Lederwarenfabrikant Otto Winter aus Buxtehude das Haus Wachenfeld erbauen, aus dem später der Berghof Adolf Hitlers werden sollte. Hiüer kam erstmals im Mai 1923 auf den Obersalzberg. Er besuchte dort inkognito, als „Herr Wolf', den völkisch-antisemitischen Schriftsteller Dietrich Eckart, der wegen Verstoßes gegen das Republikschutzgesetz mit Haftbefehl gesucht wurde und sich unter dem falschen Namen „Dr. Hofmann" im Gebirgskurhaus Obersalzberg, der früheren Pension Moritz, eingemietet hatte. Damit begann die Beziehung Hitlers zum Obersalzberg. Nach seiner Entlassung aus der Festungshaft in Landsberg am Lech und der Wiederbegründung der NSDAP zog er sich im Juli und August 1925 zur Niederschrift des zweiten Bandes von „Mein Kampf' dorthin zurück. Am Obersalzberg diktierte er im Sommer 1928 auch seine Ansichten über eine künftige deutsche Außenpolitik, die - erst 1961 unter dem Titel „Hitlers Zweites Buch" veröffentlicht - tiefe Einblicke in seine außenpolitischen Vorstellungen und Absichten geben. Nachdem Hiüer zunächst in verschiedenen Pensionen logiert hatte, mietete er im Oktober 1928 das Haus Wachenfeld an. Fünf Monate nach seiner Ernennung zum Reichskanzler, im Juni 1933, ging es in Hitlers Eigentum über. In der Folge wandelte sich das Gesicht des Berges fast bis zur Unkenntlichkeit. Martin Bormann, Stabsleiter bei Rudolf Heß, kaufte für die NSDAP ein Gebäude nach dem anderen an, wobei auf die Besitzer, wenn sie nicht verkaufswillig waren, Druck ausgeübt wurde. Die meisten Gebäude wurden abgerissen und durch Neubauten ersetzt oder umgebaut. Aus dem Haus Wachenfeld wurde in zwei Bauschritten der pompöse Berghof Hiüers mit dem berühmten Panoramafenster mit Blick auf den Untersberg. Die Villa Seitz wurde zum Wohnhaus Bormanns umgebaut. Neue Häuser entstanden für Göring und Speer. Aber die Errichtung dieser Privatdomizile war nur die eine Seite der Baumaßnahmen. Die andere war der Ausbau des Obersalzbergs zu einem zweiten Machtzentrum neben Berlin mit einer leistungsfähigen Infrastruktur unter Einbeziehung Berchtesgadens, wo in einem Vorort eine Außenstelle der Reichskanzlei entstand. Höhepunkte der Bautätigkeit und zugleich technische Meisterleistungen waren der Bau der hochalpinen Kehlsteinstraße und eines 30 Meter unter dem Berg liegenden Bunkersystems von 2,775 km Länge, das von 1943 bis 1945 in nur eineinhalb Jahren entstand. Kurz vor Kriegsende, am 25. April 1945, griffen britische Bomberverbände das Gelände an und zerstörten die meisten Gebäude. Am

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4. Mai wurden Berchtesgaden und der Obersalzberg von der 101. USAirborne-Division besetzt. Im März 1949 ging der Obersalzberg auf Grund der alliierten Kontrollratsdirektrive Nr. 50 vom August 1947 in das Eigentum des Freistaats Bayern über, wobei aber das Nutzungsrecht bei den amerikanischen Streitkräften verblieb. Im Sommer 1951 kamen der Obersalzberg, die Kehlsteinstraße und das Kehlsteinhaus wieder unter deutsche Verwaltung. Um die Attraktivität des Geländes für rechtsradikale „Wallfahrer" zu vermindern, wurden 1951/52 die Ruinen der Häuser Bormanns, Görings, des Berghofs und der SS-Kaserne gesprengt und die dadurch entstandenen Freiflächen aufgeforstet. Ab 1953 nutzte die US-Armee den Obersalzberg und weitere Einrichtungen in und um Berchtesgaden als „Recreation Center" mit Golfplatz und Skilift. Im Zuge von Sparmaßnahmen gaben die amerikanischen Streitkräfte die von ihnen genutzten Teile des Obersalzbergs im Juni 1996, gut 50 Jahre nach der Besetzung, zur Nutzung an den Freistaat Bayern zurück. Für Konzeption und Realisierung der Dokumentation waren drei Faktoren bestimmend: die historische Spezifik des Ortes, die bisherigen Formen des Umgangs mit der nationalsozialistischen Phase seiner Geschichte und das dort anzutreffende Publikum. Im Gegensatz zu anderen Orten, an denen Gedenk- oder Erinnerungsstätten bestehen oder geplant sind, war der Obersalzberg kein „Opferort", sondern ein „Täterort". Dort wurden Verbrechen geplant, aber nicht begangen. Niemand wurde dort getötet, gefoltert oder auch nur gefangengehalten. Eine Dokumentation, die an einem „Täterort" einzurichten ist, hat notwendigerweise eine andere Perspektive als Gedenk- und Erinnerungsstätten an Opferorten. Hier muß der Blick zunächst auf die Täter gerichtet werden, auf ihre ideologischen Uberzeugungen und Obsessionen und die daraus erwachsenen politischen Ziele und dann auf deren praktische Umsetzung, die in einem Prozeß ständiger Eskalation schließlich im Völkermord, in der Verwüstung Europas, in der Teilung der Welt und nicht zuletzt in der Zerstörung des deutschen Nationalstaats mündete. Wiederum im Unterschied zu anderen, durch den Nationalsozialismus geprägten Orten verzeichnet der Obersalzberg seit Jahrzehnten einen großen Besucherstrom. In der Hochsaison, von Juni bis September, herrscht dort kaum weniger Betrieb als an anderen oberbayerischen Sehenswürdigkeiten, etwa dem nahegelegenen Königssee oder den Königsschlössern. Hauptattraktionen sind die Fahrt über die Kehlsteinstraße hinauf zum unzerstörten Kehlsteinhaus und die Besichtigung eines in privatem Besitz befindlichen Teils des Hitler-Bunkers. Nur ein

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vermutlich sehr kleiner Teil der Besucher ist zu den allerdings sehr auffälligen politischen „Wallfahrern" zu rechnen. Bei den meisten handelt es sich um Touristen, die ihren Urlaub im Berchtesgadener Land verbringen u n d den Obersalzberg als eine Attraktion unter anderen besuchen. Sie werden nicht zuletzt von der Aura des Authentischen angezogen, die dem Ort zweifellos zu eigen ist, u n d sie interessieren sich hauptsächlich für die private Seite Hitlers u n d seiner Paladine. Diese Neugierde wurde u n d wird bis heute durch eine Flut von Postkarten, Hochglanzbroschüren, Büchern u n d Videos befriedigt bzw. kommerziell ausgebeutet, die am Obersalzberg u n d in der näheren Umgebung feilgeboten werden. Diese Publikationen sind zwar nicht als rechtsradikal zu bezeichnen, aber sie können durch ihre Einseitigkeit u n d naive Machart einem irrationalen Geschichtserlebnis u n d einem apologetischen Geschichtsverständnis Vorschub leisten. Die Aufgabe der Dokumentation am Obersalzberg ist es, diesen zwar rechtlich zulässigen, aber politisch-didaktisch bedenklichen Informationsmitteln seriöse historische Information entgegenzusetzen u n d damit die diffuse historische Neugierde der meisten Besucher für eine rationale historische Aufklärung nutzbar zu machen. Dies kann n u r geschehen, indem man die nationalsozialistische Phase des Obersalzberg in die Gesamtgeschichte des Dritten Reichs einbettet, also die lokalgeschichtlichen Aspekte u n d Ereignisse, die n u r zum Teil unmittelbar politisch waren, in den politischen Kontext der Zeit stellt. Eine umfassende Darstellung des Nationalsozialismus war aber am Obersalzberg schon wegen der zu geringen Ausstellungsfläche nicht zu realisieren. Es war deshalb notwendig, bestimmte Bereiche des nationalsozialistischen Herrschaftssystems bzw. der Herrschaftspraxis auszuwählen. Der naheliegende Gedanke, solche Themen zu wählen, die unmittelbare, empirisch verifizierbare Bezüge zum Obersalzberg haben, erwies sich als nicht zielführend, weil die Realität der nationalsozialistischen Diktatur auf diese Weise nicht erfaßt werden kann. Die Lösung dieses konzeptionellen Problems ergab sich wiederum aus der historischen Eigenart des Ortes: Der Obersalzberg war nicht n u r ein Täterort, sondern er war - n u r mit der Reichshauptstadt u n d den Feldquartieren Hitlers im Krieg vergleichbar - ein Macht- u n d Regierungszentrum des Reiches, wo sämtliche politischen Themen be- u n d verhandelt u n d in vielen Fällen auch entschieden wurden, wenn dies im Einzelfall auch nicht immer nachweisbar ist. Dieser Sachverhalt erlaubte es, die politische Kontextualisierung der Ortsgeschichte allein unter Gesichtspunkten der historischen Relevanz u n d didaktischen Zweckmäßigkeit vorzunehmen.

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Um der darin liegenden Gefahr zu begegnen, daß die Dokumentation in zwei unverbundene Teile zerfällt, wurden bei den Dokumentationsthemen und -Objekten, wo immer möglich, Bezüge und Verschränkungen zwischen lokaler und allgemeiner Geschichte hergestellt. Da der Obersalzberg unter lokalgeschichtlichen Gesichtspunkten nicht auf seine Funktion in der NS-Zeit reduziert werden kann, wurden auch bestimmte Ereignisse und Vorgänge vor 1933 und nach 1945 dokumentiert. Deren Berücksichtigung entspricht auch den Interessen der Region und wird von den Besuchern erwartet.

Inhalt und Aufbau der Dokumentation Α PROLOG Β Β Β Β

Β

Β Β

Β Β Β

Β C C C C

DER OBERSALZBERG 1 Topographisches Modell 2 Der Berg 3 Sommerfrische Β 3.1 „Mauritia Mayer, Steinhausbäurin". Die Anfänge des Tourismus Β 3.2 Erholung in den Bergen Β 3.3 ,Auf den liebgewonnenen Obersalzberg zurück". Dauergäste 4 „Adolf Hitlers Wahlheimat" Β 4.1 „Der Wolf ist da!" Hitler kommt zum Obersalzberg Β 4.2 „Ich muß ganz Ruhe haben". Der Obersalzberg als Refugium Hitlers nach der Haftentlassung 5 „Machtergreifung" 6 „Sie wollen den Führer sehen". Wallfahrtsort Obersalzberg Β 6.1 „Kindliche Begeisterung". Unorganisierte Massenwallfahrer Β 6.2 „Es ist der Führer!" Organisierte Massenwallfahrt für Volks- und Parteigenossen Β 6.3 „Hohe Gäste auf dem Obersalzberg". Die Inszenierung des Staatsmannes 7 „Hitler, wie ihn keiner kennt". Der Obersalzberg in der Propaganda 8 Eine „merkwürdige Leere" hinter den Kulissen 9 „Filiale von Berlin". Ein zweites Machtzentrum entsteht Β 9.1 „Ein einzigartiger Herrensitz auf dem Berge". Der Umbau von Haus Wachenfeld zum Berghof Β 9.2 „Ich ziehe heute wehmütigen Herzens fort". Die Vertreibung der Anwohner Β 9.3 Ausbau des Berges Β 9.4 Durchdringung der Region 10 Medien- und Schulungsraum DIE NATIONALSOZIALISTISCHE DIKTATUR 1 „Führer" und Volk 2 Das Führungspersonal 3 Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft C 3.1 Die Inszenierung der „Volksgemeinschaft" C 3.2 Soziale und politische Gleichschaltung

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3.3 3.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.6

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„Hüterin der Volksgemeinschaft": Die NSDAP Die „Blutsgemeinschaft" Die organisierte „Volksgemeinschaft" „Arbeits- und Leistungsgemeinschaft". Die Deutsche Arbeitsfront „Gemeinschaft mitten im Volk". Die Reichskulturkammer „Blut und Boden". Der Reichsnährstand „Kraft durch Freude". Stärkung des Arbeitswillens und der Leistungsfähigkeit C 3.7 „Gut und Blut für Volk und Vaterland". Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt C 3.8 Erziehungsgemeinschaften C 3.8.1 „Gehorsam bis in den Tod". Die Hitler-Jugend (HJ) C 3.8.2 „Durch eure Schule wird die ganze Nation gehen". Der Reichsarbeitsdienst C 3.9 Ausgestoßen, abgesondert, vernichtet. Die Opfer der Volksgemeinschaft C 4 Der Terrorapparat C 4.1 „Unsere Ehre heißt Treue". Aufstieg und Selbstverständnis der SS C 4.2 Gestapo und SD C 4.3 Konzentrationslager (KZ) vor dem Krieg C 4.4 Politische Justiz C 4.5 Der Terrorapparat im Krieg C5 „Rassenpolitik", „rassische" Verfolgung und Völkermord C 5.1 Feindbild Rasse C 5.2 Ausgrenzung und Entrechtung der Juden, Sinti und Roma C 5.3 Von der Sterilisierung zum Mord an Kranken C 5.4 Die Ausbreitung der Verfolgung in Europa (1939 -1941) C 5.5 Der Vernichtungskrieg in der Sowjetunion C 5.6 Das Lagersystem im besetzten Europa 1942-1945 C 5.7 Die „Endlösung der Judenfrage" in Europa C 6 Widerstand und Emigration C 6.1 „Hider bedeutet Krieg!" Widerstand und Exil 1933-1939 C 6.2 „Hitler ist,Finis Germaniae'!" Widerstand im Krieg C 6.3 Opposition und Widerstehen der Kirchen C 6.3.1 Katholische Kirche C 6.3.2 Evangelische Kirche C 7 Hitlers Außenpolitik C 7.1 „Germanisches Reich deutscher Nation". Ideologische Grundlagen der Außenpolitik C 7.2 „Kampf gegen Versailles". Die Zerstörung der Versailler Friedensordnung C 7.3 „Ein Volk - ein Reich - ein Führer". Territoriale Expansion in der Vorkriegszeit C 7.3.1 „Die Stimme des Blutes hat gesprochen". Die Rückgliederung des Saarlands C 7.3.2 „Volk will zu Volk". Der Anschluß Österreichs C 7.3.3 „Heim ins Reich!" Der Anschluß der sudetendeutschen Gebiete C 7.3.4 „Das Recht des Urwalds". Die Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren" C 7.4 Die „Achse Berlin — Rom". Das nationalsozialistische Bündnissystem vor dem Krieg C 7.5 „Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen!" Die Entfesselung des Weltkrieges C 8 Der Zweite Weltkrieg C 8.1 Das Ausgreifen der Achsenmächte: Die Blitzkriege C 8.2 Europa unter nationalsozialistischer Herrschaft C 8.3 Die Antwort der Alliierten: Befreiung Europas und Besetzung Deutschlands C 8.4 Der Krieg und seine Folgen

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D DIE BUNKERANLAGE AM OBERSALZBERG D 1 Filmraum D 2 Hörraum Ε VERGANGENHEIT, DIE BLEIBEN WIRD. DER OBERSALZBERG NACH 1945 Ε 1 „Schandmale in sonst reiner Landschaft". Neuanfang am Obersalzberg Ε 2 Die Amerikaner am Obersalzberg £ 3 „Rummelplatz der Zeitgeschichte". Geschäfte mit dem Obersalzberg?

Die Dokumentation hat sich zum Ziel gesetzt, den Besucher auf der Basis des heutigen Forschungsstands über die historischen Ereignisse u n d Zusammenhänge zu informieren u n d darüber hinaus Handreichungen zum Verständnis des historischen Geschehens zu geben. Da der Rechtsextremismus von heute seine Anziehungskraft, besonders für Jugendliche, vor allem aus der Reaktivierung ideologischer Fiktionen u n d politischer Parolen des Nationalsozialismus bezieht, steht dabei die totalitäre Grunderfahrung dieses Jahrhunderts im Mittelpunkt, daß politische Utopien, die sich im Besitz der historischen Wahrheit glauben u n d eine diesseitige Lösung aller politischen u n d sozialen Probleme versprechen, nicht zur Befreiung des Menschen führen, sondern in der Barbarei enden. Dies wird durch ein Text-Bild-Arrangement im Prolog zu einem Leitbild verdichtet, das es dem Besucher erleichtern soll, die einzelnen Darstellungseinheiten richtig aufzufassen u n d einzuordnen. Die politische Kontextualisierung des Obersalzbergs, die der Dokumentation als Prinzip zugrunde liegt, bringt zwangsläufig einen weiteren, grundlegenden Wesenszug des NS-Herrschaftssystems zu Tage: die Koexistenz, j a Verschränkung von Normalität u n d monströser Abnormität. Die heile Welt auf dem Obersalzberg, „Hitler wie du u n d ich", als „guter Nachbar", Kinder- u n d Naturfreund - dies waren Inszenierungen, die Abnormität u n d Kriminalität des Regimes verschleierten u n d die Menschen ihre persönliche Lebenswirklichkeit wiedererkennen ließen, die trotz Gleichschaltung der Gesellschaft u n d Politisierung des Alltags in vieler Hinsicht durch bürgerliche oder kleinbürgerliche Normalität gekennzeichnet war. Daß das Leben, wenn man nicht zur Minderheit der Verfolgten gehörte, normal weiterging u n d daß auch die Staatsführung scheinbar normal war, dies war eine wesentliche Voraussetzung für die Loyalität, welche die große Mehrheit der Deutschen Hitler entgegenbrachte. Hierzu trug eine weitere, für die nationalsozialistische Herrschaft grundlegende Antinomie entscheidend bei: das Ineinandergreifen von Verführung u n d Gewalt, von Faszination u n d Zwang als totalitäre Herrschaftstechnik. Während der Terror für nicht angepaßte oder als Volksfeinde definierte Minderheiten eine reale, le-

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bensgefährliche Bedrohung darstellte, war er für die große Mehrheit der Bevölkerung eher abstrakter Natur. Die Massen, die Hitler zujubelten u n d bedingungslos folgten, taten dies nicht, weil sie dazu gezwungen wurden, sondern weil sie der Faszination des Nationalsozialismus erlagen, seinen ideologischen Fiktionen u n d politischen Versprechungen ebenso wie der Flut suggestiver Parolen, Bilder u n d Rituale, mit der die deutsche Gesellschaft überzogen wurde. Eine Dokumentation, die nicht n u r informieren, sondern auch Erklärungsmuster anbieten will, muß diese charakteristischen Antinomien zur Darstellung bringen. Würde n u r die kriminelle Seite des Nationalsozialismus gezeigt - Terror, Verbrechen u n d Opfer - , könnte nur Fassungslosigkeit bewirkt werden. Ziel historisch-politischer Bildung muß es aber sein, die totalitären Gefährdungen moderner, demokratischer Gesellschaften aufzuzeigen und sie dadurch gegen politische Extremismen j e d e r Art, alte oder neue, linke oder rechte, zu wappnen. Dieser Leitgedanke bestimmte nicht n u r Wahl u n d Anordnung der Hauptthemen, sondern auch den inhaltlichen Zuschnitt der kleineren Darstellungseinheiten. Sie sind als Informationseinheiten konzipiert, die ihre pädagogische Wirksamkeit dadurch entfalten sollen, daß sie in einzelnen, aufeinander aufbauenden Schritten von der Normalität in den Wahnsinn, von der ideologischen Utopie zur realen europäischen Katastrophe, vom „schönen Schein" des Dritten Reiches in seine gräßliche Gesamtwirklichkeit u n d von den Tätern zu den Opfern führen. Am Ende sind n u r noch Zerstörung, Tod u n d Leid sichtbar. Psychologisch wird dieser historische „Lehrpfad" durch eine Führungslinie unterstützt, die von oben nach unten führt, von der lichten Höhe des Obersalzbergs (Galerie) über die Realität des Dritten Reichs (Erdgeschoß) in den Abgrund des Zweiten Weltkriegs (Bunkeranlage), sozusagen vom Himmel in die Hölle, u n d dann wieder ans Licht u n d in die Gegenwart, in eine grandiose Natur u n d in die Realität einer sicherlich nicht idealen, aber rechtsstaatlich u n d demokratisch verfaßten Gesellschaft.

Hans Maier Die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte /. 46 Jahre sind es her, seitdem im Januar 1953 das erste Heft der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" erschien - vier Jahre nach dem Wiedererscheinen der „Historischen Zeitschrift" u n d des „Historischen Jahrbuchs" im Jahr 1949. Im Unterschied zu j e n e n Organen, die altbewährte Traditionen deutscher historischer Forschung verkörperten, war die neue Gründung ein Wagnis - ebenso wie das unter Schmerzen geborene u n d in den Anfängen heftig umstrittene „Institut für Zeitgeschichte", das schon 1949 ins Leben getreten war.1 Hans Rothfels, mit Theodor Eschenburg der erste Herausgeber der neuen Zeitschrift, nannte in seinem Einleitungsaufsatz „Zeitgeschichte als Aufgabe" pragmatische Gründe für ein deutsches Organ der „Current History": die „Notwendigkeit des Nachholens auf einem Gebiet, auf dem die Forschung in vielen Ländern weit vorwärtsgetrieben worden ist", die Zusammenfassung vereinzelter u n d zersplitterter Aktivitäten auf dem Gebiet der Forschung u n d der Materialveröffenüichung (unter Einschluß der Befragung von Zeitzeugen), endlich die längst fällige Diskussion der Grundlagen wissenschaftlicher Behandlung der Zeitgeschichte angesichts der Besonderheiten totalitärer Regime u n d ihrer Aktenführung u n d angesichts der „erstickenden Masse des Stoffs". 2 Aber er wies auch auf den Wandel der Epoche hin, der neue historiographische Anstrengungen nötig mache, auf die universalgeschichtliche Zäsur der

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Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund: Hellmuth Auerbach, Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 18 (1970), S. 529-554; Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, besonders S. 81-109 (Wiederbeginn und Zeitschriftenmarkt) und S. 229-242 (Die Auseinandersetzungen um das Institut für Zeitgeschichte); Hans Günter Hockerts, Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament Β 2 9 - 3 0 / 9 3 (16. Juli 1993), S. 3-19 (dort weitere Literatur). Hans Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: VfZ 1 (1953), S. 1-8 (die Zitate S. 3 f., 6).

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Jahre 1917/18, mit der das Zeitalter nationalstaatlicher Konflikte von einer Zeit der Weltanschauungskämpfe zwischen Demokratie, Faschismus u n d Kommunismus abgelöst worden sei: „Das Gemeinsame u n d Neue in alledem ist doch wohl, daß ideologische u n d gesellschaftliche Bewegungen über Landesgrenzen hin in einem Maße sich auswirken, wie es dem nationalstaatlichen Zeitalter fremd geworden war. Statt der früheren vertikalen Frontbildungen haben horizontale sich eingelebt, die ihren Vorklang im Zeitalter der Französischen Revolution hatten, mehr noch aber an die konfessionelle Epoche der europäischen Geschichte erinnern." 3 Rothfels verlangte, daß diese „globale Situation" im internationalen Rahmen, im Zusammenwirken deutscher u n d ausländischer Forscher, untersucht u n d dargestellt werde, unter Uberwindung der „Sektorengrenzen" des Politischen, Wirtschaftlich-Sozialen u n d Geistigen. „Darin würde ein Gegengewicht mindestens gegen die vor sich gehende Spezialisierung liegen . . . die Zeitgeschichte könnte, indem sie dies Zusammensehen sich zum Ziele setzt, nicht n u r der historischen Wissenschaft methodisch einen Dienst erweisen, sondern auch am ehesten in der Lage sein, das Strukturhafte u n d Wesenhafte einer in vielen Beziehungen auf das Totale angelegten Epoche einzufangen. Die Vierteljahrshefte möchten mit ihren bescheidenen Mitteln zu einer solchen ganzheitlichen Sicht beitragen." 4

II. Rothfels' Plädoyer für die Zeitgeschichte war eine Flucht nach vorn. Denn im Jahr 1953 dürfte die Mehrzahl der Historiker, zumindest in Europa, der zeitgeschichtlichen Forschung als zentraler Aufgabe der Historie noch überwiegend skeptisch, wenn nicht ablehnend gegenübergestanden haben. 5 Zeitgeschichte galt vielen als Betätigungsfeld 3

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Rothfels (Anm. 2), S. 7; breiter ist dieser Gedanke ausgeführt in Rothfels' Arbeit: Gesellschaftsform und Auswärtige Politik, Laupheim 1951. Rothfels, S. 7 f. Noch in den sechziger Jahren hat sich ein so bedeutender Historiker wie Franz Schnabel dem Verfasser gegenüber überaus kritisch über die Zeitgeschichte geäußert (Schnabel blieb dem Institut für Zeitgeschichte immer fern - und trug dazu bei, es von der Münchner Universität fernzuhalten!). Alan S. Milward schildert amüsant und lehrreich die Berührungsängste britischer Historiker noch in den siebziger Jahren: Now as available as pornography . . ., in: 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Statt einer Festschrift, Stuttgart 1975, S. 92-94.

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für Publizisten, Journalisten, Verfasser von Memoiren u n d Zeitbildern nicht unbedingt als Sache methodisch strenger Geschichtsforschung. Nach einem weitverbreiteten Urteil war sie noch nicht „geschichtsreif", weil ihr die Distanz zum Geschehen fehlte. Diese Einschätzung stand zwar im Widerspruch zur Bedeutung der Zeit- und Gegenwartsgeschichte in der älteren Historie: viele große Historiker seit Thukydides haben bekanntermaßen immer auch die eigene Epoche dargestellt - einige schrieben sogar ausschließlich „Zeitgeschichte". Aber die Hinwendung zur Vergangenheit (und n u r zu ihr) entsprach doch in hohem Maß dem Bild, das der Historismus vom Historiker u n d seiner Tätigkeit entworfen hatte. Demnach hatte der wahre historische Forscher nichts „im Getümmel", auf dem Marktplatz „geschehender" Geschichte zu suchen - er sollte sich zurückziehen in die Stille des Archivs, um beim Aktenstudium mit distanziertem Blick zu rekonstruieren, was sich ereignet hatte, u n d quellenkritisch zu prüfen, „wie es eigenüich gewesen" war. Die vergangene Geschichte, die abgeschlossenen Ereignisse waren sein Gegenstand - nicht die zuckende, lebendige, gefährliche, zur Parteinahme zwingende Gegenwart. Kein Wunder also, daß mit der Verwissenschaftlichung des historischen Handwerks, mit dem Schwächerwerden pädagogischer u n d politischer Antriebe u n d dem Rückzug auf die facheigene, sich selbst genügende Methodik auch die Geschichte der eigenen Zeit immer m e h r aus dem Blick des Historikers schwand. 6 Er wurde zum Meister objektivierender Klärung aus der Distanz, dem Nachhinein, ein Erforscher des Nicht-mehr-Lebendigen, Toten - u n d was die Gegenwart anging, so galt es für ihn vor allem, heftige Teilnahme zu vermeiden, seine Leidenschaften zu zügeln u n d dem Geschehen so neutral u n d distanziert gegenüberzutreten wie der Naturwissenschaftler seinem Objekt. Niemand hat diesen der Gegenwart abgewandten, j a abholden, der Vergangenheit zugekehrten Historikertypus eindrucksvoller geschildert als Thomas Mann. In der Gestalt des Professors Cornelius aus der Erzählung „Unordnung u n d frühes Leid" 7 — Modell stand nach einer

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Man kann diesen Prozeß am Bedeutungswandel zentraler Begriffe der Geschichtswissenschaft verfolgen: hieß das Wort historia in seinen griechischen Ursprüngen Forschung, Erkundung, so bezeichnet es später immer mehr das Erforschte, Gewordene; ist Quelle ursprünglich der vom historischen Ereignis zur Gegenwart fließende Erinnerungsstrom, so wird er im modernen Historismus zu einem papierenen Aktenstück (und später zu einem Ton- oder Bilddokument). ' Thomas Mann, Unordnung und frühes Leid. Novelle, Berlin 1926, im folgenden zit. nach Thomas Mann, Sämtliche Erzählungen, Frankfurt (Main) 1963, S. 491-522.

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mündlichen Überlieferung der Bogenhauser Nachbar Erich Mareks8 zeichnet er einen „frommen", gegenwartsscheuen „historischen Menschen"9, der sich im Strudel von Nachkriegs- und Revolutionszeit, politischer Turbulenz und gesellschaftlichem Verfall aufs Vergangene, Abgelebte, aufs sichere Ufer von Fach und Methode zurückzieht. „Er weiß, daß Professoren der Geschichte die Geschichte nicht lieben, sofern sie geschieht, sondern sofern sie geschehen ist; daß sie die gegenwärtige Umwälzung hassen, weil sie sie als gesetzlos, unzusammenhängend und frech, mit einem Worte, als ,unhistorisch' empfinden, und daß ihr Herz der zusammenhängenden, frommen und historischen Vergangenheit angehört. Denn über dem Vergangenen, so gesteht sich der Universitätsgelehrte, wenn er vor dem Abendessen am Flusse spazierengeht, liegt die Stimmung des Zeitlosen und Ewigen, und das ist eine Stimmung, die den Nerven eines Geschichtsprofessors weit mehr zusagt als die Frechheiten der Gegenwart. Das Vergangene ist verewigt, das heißt: es ist tot, und der Tod ist die Quelle aller Frömmigkeit und alles erhaltenden Sinnes."10 Man begreift einiges von den politischen - aber auch historischen Leiden der Weimarer Republik, wenn man sich klarmacht, daß nicht wenige Historiker damals in der Tat die politische Umwälzung vom Kaiserreich zur Republik als „gesetzlos, unzusammenhängend und frech" empfanden und sich allenfalls als „Vernunftrepublikaner" (Friedrich Meinecke) auf die neuen Zustände einlassen wollten; daß sie der Vergangenheit zugewandt blieben und von der Wiederkehr deutscher Macht und Größe träumten; daß sie wenig dazu taten, die schwierigen Wege der neuen Demokratie mit kritischem Verständnis zu begleiten. Und man begreift anderseits, um wieviel glücklicher in allem Unglück sich nach 1945 der Start der Zweiten Republik vollzog: ohne nostalgischen Rückblick (was hätte man in Trümmern Erbauliches finden können!), ohne die Hypothek einer alles vergiftenden Dolchstoßlegende, ohne historisierende und ästhetisierende Abkehr von der Gegenwart, vielmehr in aktiver Zuwendung zu ihr - wobei sich auch innerhalb des 8

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Ich verdanke diese Mitteilung d e m Historiker Clemens Bauer, der aus seiner Münchner Zeit mit Mareks u n d Mann bekannt war. So T h o m a s Mann selbst in einem Aufsatz für d e n Leipziger Bücherwurm; zitiert bei H a n s Rudolf Vaget, T h o m a s Mann-Kommentar zu sämtlichen Erzählungen, M ü n c h e n 1984, S. 213f.; Wolfgang Frühwald, Eine Kindheit in München. Die Familie Mann u n d das Genre der Inflationsliteratur, in: Literarhistorische B e g e g n u n g e n . Festschrift zum sechzigsten Geburtstag von Bernhard König, hrsg. von Andreas Kablitz u n d Ulrich Schulz-Buschhaus, T ü b i n g e n 1992, S. 43-56. U n o r d n u n g u n d frühes L e i d (Anm. 7), S. 498.

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Faches alte Versteifungen lösten, die Historie nicht nur ein stärkeres Gegenwartsgewicht zurückerhielt,11 sondern auch neue Verbindungen mit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Geistes- und Mentalitätsgeschichte, Kommunikations- und Medienwissenschaften einging. 12

III. Mustert man die 46 Jahrgänge der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" (einschließlich des laufenden 47. Jahrgangs gleichgeblieben in Farbe, Format, Layout!) unter diesem Gesichtspunkt, so wird deutlich, wie sehr die „Current History" in Deutschland Terrain gewonnen und sich literarisch und akademisch stabilisiert hat. Sie darf heute - auch innerhalb der Zunft - als fest etabliert gelten. 13 Nicht nur ihr Forschungsfeld hat sich erweitert: von der Weimarer Republik zum Dritten Reich; vom Kommunismus, Faschismus, Nationalsozialismus der Zwischenkriegszeit zur Weltpolitik nach 1945; von der Bundesrepublik Deutschland zur DDR und den sozialistischen Ländern; von der Teilung Deutschlands bis zur Wiedervereinigung; von den alten Weltreichen der europäischen Mächte, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Sog der Entkolonisierung gerieten, zu den neuen Staaten der Dritten Welt. Auch die Methoden haben sich differenziert und verfeinert. Die Erforschung der Gegenwart ist eine anspruchsvolle Profession geworden. Wer Zeitgeschichte schreibt, muß sich nicht mehr, wie früher, als ein armer Verwandter des Neuzeithistorikers (und als ein ganz armer des Mediävisten und Althistorikers!) fühlen. Die Gesetze quellenkritischer Sorgfalt gelten in allen Bereichen der Geschichtswissenschaft - und selbstverständlich (man denke an das Menetekel der Fälschungen!) auch für den Zeithistoriker. Zeitgeschichte ist auch nicht, wie manche fürchteten, zu einem Tummelplatz experimentfreudiger Neuerer oder unbedachter Amateure geworden. Sie blieb, wie die deutsche Nachkriegshistorie im ganzen,

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Auch Rothfels (Anm. 2) spricht vorsichtig von einer „relative(n) Schwerpunktverlagerung" — bei gleichzeitiger Warnung vor einem kurzatmigen „Presentism" und mit prinzipieller Zustimmung zu der These, daß „Geschichte ein Ganzes sei, in j e d e m ihrer Teile den gleichen Voraussetzungen der Erkenntnis unterworfen, daß es deshalb auch nur eine historische Methode geben könne" (S. 3 und S. 4).

12

Dazu ausführlich Hockerts (Anm. 1), S. 7-12 (Zeitgeschichdiche Methodenfragen) und S. 12-17 (Bilanz der westdeutschen Zeitgeschichtsforschung bis zur Wende von 1989/90). So auch Karl Dietrich Bracher und Hans-Peter Schwarz, Zur Einführung, in: V f Z 26 (1978), S. 1-8; Hockerts (Anm. 1), S. 5.

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von einem deutlichen Methodenpluralismus geprägt. Die Zeitgeschichtsforschung hat viele Anregungen aufgenommen, sozialgeschichtliche, mentalitätsgeschichtliche, landes- und regionalgeschichtliche, Anregungen der Kulturwissenschaft, der Komparatistik, der historischen Demographie, sie hat jedoch keine Methode absolut gesetzt. Man kann in den Bänden der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" im Gegenteil studieren, wie neben neuen Formen auch alte, klassische bestehen blieben: neben der typisierenden die individualisierende Betrachtung, neben dem sozialgeschichtlichen Querschnitt das Nacheinander der Ereignisse, neben der seriellen Quelle das individuelle Lebenszeugnis. In nicht wenigen Fällen sind von Aufsätzen u n d Dokumentationen der „Vierteljahrshefte" Anstöße für die Forschung ausgegangen, die bis heute weiterwirken. So hat der von Hans Rothfels veröffentlichte „Gerstein-Bericht" über die Massenvergasungen dem Publikum erstmals die Praxis der „Endlösung" in ihrer schauervollen Konsequenz enthüllt. 14 Die gleichfalls von Rothfels publizierten „Stieff-Briefe" boten Einblicke in die Motivationen des deutschen Widerstands. 15 Der „Generalplan Ost" (ediert von Helmut Heiber) gab Aufschluß über die Grundkonzeption des NS-Regimes bezüglich der Besatzungspolitik in Osteuropa (einschließlich der Unterdrückungs-, Versklavungs- u n d Ausrottungsprogramme f ü r die dortige Bevölkerung!). 16 Thilo Vogelsang zeigte aus den Protokollen der Ministerbesprechungen im Reichswehrministerium die Annäherung der Reichswehr an den Nationalsozialismus in den Jahren 1930-33. 17 Das sind nur einige wenige Beispiele aus der Frühzeit des Instituts für Zeitgeschichte u n d der mit ihm verb u n d e n e n Zeitschrift; man könnte sie bis zur Gegenwart fortsetzen: mit Arbeiten zur „Führer-Bindung" des Nationalsozialismus (Martin Broszat), 18 zum Verhältnis Sowjetrußlands zur deutschen Arbeiterbewegung 1918-1932 (Dietrich Geyer), 19 zu Demokratie und Ideologie (Karl Dietrich Bracher), 20 zum NATO-Doppelbeschluß von 1979 (Helga

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Augenzeugenbericht zu den Massenvergasungen, in: VfZ 1 (1953), S. 177-194. Ausgewählte Briefe von Generalmajor Helmuth Stieff, in: VfZ 2 (1954), S. 291-305. 16 Der Generalplan Ost, in VfZ 6 (1958), S. 281-325. " Neue Dokumente zur Geschichte der Reichswehr 1930-1933, in: VfZ 2 (1954), S. 397436. 18 Soziale Motivation und Führer-Bindung des Nationalsozialismus, in: VfZ 18 (1970), S. 392-409. 19 Sowjetrußland und die deutsche Arbeiterbewegung 1918-1932, in: VfZ 24 (1976), S. 2 37. 20 Demokratie und Ideologie im Zeitalter der Machtergreifungen, in: VfZ 31 (1983), S. 1 24. 15

Die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

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Haftendom) ,21 zu Adenauer und Europa (Hans-Peter Schwarz) ,22 Adenauer und Brandt (Hanns Jürgen Küsters)23 und einer Dokumentation zum Aufstand des 17. Juni 1953 in der DDR (Udo Wengst) 24 . Aus den letzten Jahren sind zu nennen: Rudolf Vrbas Betrachtungen über den Auschwitz-Bericht von 1944,25 Hermann Gramls Analyse der Stellung der Wehrmacht im Dritten Reich, 26 Dieter Pohls Kritik der Thesen Goldhagens, 27 die Ausführungen von Steiner/Freiherr von Cornberg über Befreiungen von den Nürnberger Gesetzen 28 und Mathias Beers Würdigung des Großforschungsprojekts „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa".29 Es war die Hoffnung von Hans Rothfels, eine Spezialzeitschrift wie die „Vierteljahrshefte" werde mit der Zeit zu einem „technischen Vereinigungspunkt" der internationalen Diskussion auf dem Gebiet der Zeitgeschichte werden. 30 Diese Hoffnung hat nicht getrogen. Neben führenden deutschen Historikern31 haben von Anfang an und bis heute ausländische Gelehrte das Bild der Zeitschrift mitgeprägt, so Jehuda Bauer, John S. Conway, Gordon Craig, Ennio Di Nolfo, Gerald D. Feldman, Luigi Vittorio Ferraris, Saul Friedländer, John Gimbel, Raymond

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Das doppelte Mißverständnis. Zur Vorgeschichte des NATO-Doppelbeschlusses von 1979, in: VfZ 33 (1985), S. 244-287. Adenauer u n d Europa, in: VfZ 27 (1979), S. 471-523. Konrad Adenauer u n d Willy Brandt in der Berlin-Krise 1958-1963, in: VfZ 40 (1992), S. 483-542. Der Aufstand am 17. J u n i 1953 in der DDR. Aus den Stimmungsberichten der Kreisu n d Bezirksverbände der Ost-CDU im J u n i u n d Juli 1953, in VfZ 41 (1993), S. 277-321. Rudolf Vrba, Die mißachtete Warnung. Betrachtungen über den Auschwitz-Bericht von 1944, in: VfZ 44 (1996), S. 1-24. H e r m a n n Graml, Die Wehrmacht im Dritten Reich, in: VfZ 45 (1997), S. 365-384. Dieter Pohl, Die Holocaust-Forschung u n d Goldhagens Thesen, in: VfZ 45 (1997), S. 1—48. J o h n M. Steiner/Jobst Freiherr von Cornberg, Willkür in der Willkür. Befreiungen von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen, in: VfZ 46 (1998), S. 143-187. Mathias Beer, Im Spannungsfeld von Politik u n d Zeitgeschichte. Das Großforschungsprojekt „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa", in VfZ 46 (1998), S. 345-389. Rothfels (Anm. 2), S. 3, 7. Genannt seien, ganz o h n e Vollständigkeit, Werner Abelshauser, Karl Otmar Frhr. von Aretin, Knut Borchardt, Martin Broszat, Hans Buchheim, Christoph Buchhein, Werner Conze, Theodor Eschenburg, Ernst Fraenkel, Norbert Frei, H e r m a n n Heimpel, Hans Herzfeld, Hans Günter Hockerts, Klemens von Klemperer, Jürgen Kocka, Helmut Krausnick, H e r m a n n Mau, Horst Möller, Hans Mommsen, WolfgangJ. Mommsen, Rudolf Morsey, Lutz Niethammer, Ernst Nolte, Dieter Pohl, Konrad Repgen, Gerhard A. Ritter, Hans Rothfels, Wolfgang Schieder, Klaus Scholder, Gerhard Schulz, Kurt Sontheimer, Hansjakob Stehle, H e r m a n n Weber, Udo Wengst, Karl Ferdinand Werner, Heinrich August Winkler.

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Poidevin, Ger van Roon, Shulamit Volkov und Donald C. Watt. Das Interesse des Auslands spiegelt sich auch in der überregionalen Verbreitung dieser auflagenstärksten deutschen geschichtswissenschafdichen Zeitschrift: von den Abonnenten haben viele ihren Wohnsitz im Ausland.32 Die „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" hatten in der Nachkriegszeit das Glück stetiger, ungestörter Entwicklung. In sechsundvierzig Jahren wechselten Herausgeber 33 und Redakteure34 nur in großen Abständen. Das schuf Stabilität im Wechsel der Erscheinungen, bot einen Widerpart zum Wandel der Themen und Methoden. Nun rüstet sich die Zeitschrift unter der Herausgeberschaft von Karl Dietrich Bracher, Hans-Peter Schwarz und Horst Möller und der Chefredaktion von Hans Woller für weitere Jahre und Jahrzehnte zeitgeschichtlicher Forschung. Möge sie auch in der kommenden Zeit mithelfen, der Zeitgeschichte ihr Lebensrecht im Rahmen der Geschichtswissenschaft zu sichern - damit neben der Geschichte, „sofern sie geschehen ist", auch jene zu Wort komme, „sofern sie geschieht".

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Freundliche Mitteilung von Hans Woller vom 7. August 1998 an den Verfasser. Bemerkenswert sind auch die rund 1000 studentischen Abonnenten der Zeitschrift! Von 1953-1972 Hans Rothfels und Theodor Eschenburg, von 1972-1977 Hans Rothfels (verstorben 1976), Theodor Eschenburg und Helmut Krausnick, von 1978 bis heute Karl Dietrich Bracher und Hans-Peter Schwarz (seit 1993 mit Horst Möller). 1953-1966 Helmut Krausnick, 1966-1972 Helmut Krausnick und Hellmuth Auerbach, 1973-1977 Hellmuth Auerbach, 1978-1993 Hermann Graml, seit 1994 Hans Woller.

Forschungsprojekte

Vorgeschichte und Geschichte des Nationalsozialismus

Joachim Rückert Justiz und Nationalsozialismus: Bilanz einer Bilanz* Das Thema .Justiz und Nationalsozialismus" scheint gut sechzigJahre danach kaum noch weiße Flecken zu bieten.1 Vor allem Strafrecht und Sondergerichte wurden jüngst energisch und ganz neu bearbeitet.2 1968, 1970,1974 und selbst 1988 verhielt sich dies noch ganz anders. In diesen Jahren erschienen die Bände des ersten Großunternehmens des Instituts für Zeitgeschichte: „Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus". Angestoßen worden war das Unternehmen zu Beginn der 60er Jahre. Es ist also gerade eine Generation alt. Die Unterstützung der DFG und ein ausgewogener Projektbeirat mit dem einflußreichen Walter Strauß, Staatssekretär im Bundesjustizministerium, dem international bekannten, vielseitigen Völkerrechtler und Rechtsphilosophen Erich Kaufmann und dem remigrierten Juristen, Politikwissenschaftler und maßgebenden NS-Experten Ernst Fraenkel sollten es voranbringen. 3 * Herzlichst gewidmet ist dieser Beitrag dem Pionier der Juristischen Zeitgeschichte und Frankfurter Freund und Kollegen Bernhard Diestelkamp zum 70. Geburtstag. 1 Von der eindrucksvollen Fülle berichten für die allgemeine Geschichte jetzt bes. Ulrich von Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, München 1996, bes. S. 19-22, 78-80; für die Rechtsgeschichte bes. Rainer Schröder, Die Bewältigung des Dritten Reiches durch die Rechtsgeschichte, in: Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (19881990), hrsg. von H. Mohnhaupt, Frankfurt/M. 1991, S. 604-647; Michael Stolleis, Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, Frankfurt/M 1994, S. 7-35, und die reichen Nachweise bei Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, Berlin 5 1996, S. 364-370. 2

Siehe soeben Gerd Weckbecker, Zwischen Freispruch und Todesstrafe. Die Rechtsprechung der nationalsozialistischen Sondergerichte Frankfurt/Main und Bromberg, Baden-Baden 1998, und dort den Forschungsbericht, S. 13-20; zum Reichsgericht Gerhard Pauli, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 und ihre Fortwirkung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, Berlin 1992; zum Volksgerichtshof Holger Schlüter, Die Urteilspraxis des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs, Berlin 1995, sowie Klaus Marxen, Das Volk und sein Gerichtshof, Frankfurt/M. 1994; Edmund Lauf, Der Volksgerichtshof und sein Beobachter. Bedingungen und Funktionen der Gerichtsberichterstattung im Nationalsozialismus, Opladen 1994.

3

Siehe Lothar Gruchmann, Das Forschungsvorhaben „Die Justiz im Dritten Reich", in: VfZ 11 (1963), S. 98-102.

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Der Gegenstand und die Fragen Im ersten Band gab H e r m a n n Weinkauff auf 188 Seiten einen Uberblick. Er konzentrierte sich, wie er im „Vorwort zur Gesamtausgabe" schrieb, auf „die Gesamtentwicklung u n d ihre tieferen G r ü n d e u n d zog gewissermaßen das Fazit aus ihr" (S. 15). Im gleichen Band beschrieb Albrecht Wagner sehr genau „Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung u n d des Verfahrens- u n d Richterrechts im nationalsozialistischen Staat". Auf r u n d 270 Seiten behandelte er Zuständigkeit, Organisation u n d Verfahren d e r Gerichte, d e r Staatsanwaltschaft, Polizei u n d Rechtsanwaltschaft im Reich u n d d e n besetzten Gebieten u n d ging d e n vielen Ä n d e r u n g e n minutiös nach. Im zweiten Band u n d dritten Teil des G r o ß u n t e r n e h m e n s stellte Rudolf Echterhölter 1970 „Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat" dar, auf n u n schon r u n d 350 Seiten. 1974 folgte Walter Wagners m o n u m e n t a l e Arbeit „Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat" auf r u n d 1000 Seiten. Den Schlußpunkt setzte 1988 Lothar G r u c h m a n n mit einer gut 1300 Seiten starken U n t e r s u c h u n g der J u s t i z im Dritten Reich 19331940", also des Reichsjustizministeriums „in d e r Ära Gürtner". Aber d e r Reihentitel blieb n u n weg, obwohl auch dieser Band als Stück d e r Gesamtreihe b e g o n n e n worden war. In d e n zwanzig J a h r e n zwischen 1968 u n d 1988 war damit ein fulmin a n t angelegtes U n t e r n e h m e n zugleich zum H ö h e p u n k t g e k o m m e n wie zu Grabe getragen. Äußerer Verlauf, wachsender U m f a n g der Einzelstudien u n d die Weglassung des Reihentitels 1988 zeigen viel von d e m z u n e h m e n d e n Druck, u n t e r d e n das U n t e r n e h m e n geraten war. Noch im dritten Teil von 1974 war die Ubersicht des Gesamtwerkes vorangestellt, die auch schon im Geleitwort von 1968 mitgeteilt worden war. Danach waren geplant der Uberblick von H e r m a n n Weinkauff, bis 1960 erster Präsident des Bundesgerichtshofs, d e r Beitrag ü b e r Gerichtsverfassung u n d Verfahren von Oberlandesgerichtsrat Albrecht Wagner, die A b h a n d l u n g über Staats- u n d Verwaltungsrecht von Ministerialrat Rudolf Echterhölter, ein Beitrag zum bürgerlichen Recht von Oberlandesgerichtsrat Rudolf Meise, einer zum sachlichen Strafrecht von Oberlandesgerichtsrat Georg Knoblich u n d von Oberstaatsanwalt i. R. Otto Schweling, eine U n t e r s u c h u n g ü b e r d e n Volksgerichtshof von Bundesanwalt i. R. Walter Wagner, eine Analyse der Wehrmachtsjustiz von Oberstaatsanwalt i. R. Otto Schweling, ein Beitrag von Lothar G r u c h m a n n , Mitarbeiter des Instituts f ü r Zeitgeschichte, ü b e r „Das

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Reichsjustizministerium im nationalsozialistischen Staat aus historischer u n d politologischer Sicht", schließlich eine Bibliographie zum Gesamtwerk von dem Bibliotheksoberrat beim Bundesgerichtshof Hildebert Kirchner. Abgesehen von dem jungen Historiker Gruchmann unternahmen also erfahrene Juristen den bemerkenswerten u n d redlichen Versuch, ihre eigene Geschichte forschend zu bewältigen. Einigermaßen prompt erschienen sind n u r drei der neun Teile, ein vierter kam stark verspätet und thematisch reduziert erst zwanzig Jahre später heraus - eine bestürzende Bilanz. Noch 1968 hatten Weinkauff für das Projekt u n d Krausnick für das Institut alle Bände zuversichtlich und o h n e Zwischentöne angekündigt. 4 Der Band von Schweling zur Wehrmachtsjustiz scheiterte nach einem ersten Entwurf von 1966 am Beirat des Instituts u n d erschien trotzig an anderer Stelle 1977.5 Streit, Defizit u n d Abbruch des Unternehmens markierten das Ende. Das Anliegen, „Schicksal u n d Haltung, Erleiden u n d Tun der deutschen Justiz unter dem Nationalsozialismus darzustellen" u n d „nicht n u r zu zeigen, wie es war - das natürlich vor allem - , sondern auch, wie es dazu kam u n d was man tun müßte, um zu verhindern, daß es wieder so kommt" (Weinkauff im Vorwort zur Gesamtausgabe), erscheint gründlich gescheitert. Der Torso, der zum Vorschein kam, konnte gerade diesen Gesamtanspruch nicht einlösen. Uber den teilweise massiven Einwänden zu den ersten drei Teilen, die mit und in diesem äußeren Verlauf zum Vorschein gekommen sind, könnte man fast übersehen, daß es sich doch um grundlegende Pionierarbeiten handelte. In dreißig Jahren hat sich das Bild dieser Bände so gefestigt, daß man sie nicht m e h r zu befragen pflegt. Die Kenner übergehen sie oder erinnern sich n u r an Justiz-Apologie u n d überlebte Naturrechtlerei. 6 Meist distanzieren sie sich dann zugleich von ei4

5

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Hermann Weinkauff im Vorwort zur Gesamtausgabe vom Juni 1968, Helmut Krausnick in: Zur Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 19 (1968), S. 90-96 (94f.). Otto P. Schweling, Die deutsche Militäijustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, Marburg 1977; zur Leidensgeschichte des Themas bis heute Michael Stolleis (Anm. 1), S. 221 ff. Michael Stolleis (Anm. 1) erwähnt im Überblick A. und W. Wagner, nicht aber Weinkauff und Echterhölter; Rainer Schröder nennt die Titel von Weinkauf (!) und Wagner, S. 618, und stellt Weinkauff neben Schorns Apologie. Ulrich von Hehl erwähnt zu Weinkauff und A. Wagner nur apologetische Züge, S. 78; ähnlich Lothar Gruchmann 1988 (Anm. 7), S. 1, 3, oder Ralph Angermund, Deutsche Richterschaft 1919-1945. Krisenerfahrung, Illusion, politische Rechtsprechung, Frankfurt 1990 (= Diss. phil. Bochum), S. 12; A. u. W. Wagner u. Echterhölter erscheinen im Literaturverzeichnis, nicht aber im Text.

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ner „überwiegend juristischen Betrachtungsweise [ . . . ] , die den Historiker unbefriedigt ließ" 7 bzw. einer „Domäne der Juristen, deren methodische Herangehensweise das historische Interesse nicht immer zufrieden stellt". 8 Es ist nicht nur der Versuch des historischen Verstehens auch dieser „Geschichten" oder ein Gebot der Erinnerung u n d der Fairness überhaupt, sich die Bände wieder anzusehen. Was haben sie eigentlich wie behandelt? Was sind ihre Ergebnisse u n d leitenden Thesen? Wie sieht ihre Bilanz aus? Dazu gehört ein Blick auf die Rezeption dieser Bücher u n d damit des ganzen Unternehmens in der wissenschaftlichen u n d publizistischen Öffentlichkeit. Nicht zuletzt interessiert, was davon aus heutiger Sicht Bestand hat. Erstaunlich beständig sind jedenfalls die Beurteilungsgrundlagen geblieben - grob gesagt: unstreitige Beispiele von empörenden Urteilen einerseits, die allgemeine Lage der Justiz in der Diktatur andererseits, das Versagen nach 1945 als erschwerender Umstand. Zur Rechtsprechungstätigkeit selbst steht ein systematischer Zugriff aus. Was im Dreieck von Gesetz oder gesetzesgleicher Norm, Richter u n d bindender Entscheidung geschah, wissen wir n u r recht punktuell. Das Bild vom „Ausverkauf der Justiz" (Broszat) wurde schon seit langem zum Gesamtbild empfohlen u n d gut begründet. 9 Aber wann überhaupt u n d wo u n d wie u n d wofür verkaufte sich die Justiz in ihren Urteilen? Diese erste u n d wichtigste Frage an Justiz als Justiz erweist sich als erstaunlich schwierig.

Weinkauffs Grundlegung In ihren Stärken wie ihren Schwächen verdient Weinkauffs Grundlegung eine genauere Analyse, d e n n sie ist für das Schicksal der Reihe u n d der Erforschung der NSJustiz in vielem bestimmend geworden. Die Rezeption seither hat sich vieles zu einfach gemacht.

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8 9

So ζ. B. Lothar Gruchmann im umsichtigen einleitenden Forschungsbericht seines im Text erwähnten großen Buches von 1988, 2 1990, S. 1; ähnlich auch Michael Stolleis (Anm. 1), S. 49, 55f. Ulrich von Hehl (Anm. 1), S. 78. Martin Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung u n d Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 1969, 1 4 1995, S. 421.

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1. Was wird eigentlich wie behandelt? Justiz wird „in einem ganz allgemeinen Sinne verstanden". Zwar sollen die Gerichte im Mittelpunkt stehen, aber „auch die Rolle der Justizverwaltung, der Staatsanwaltschaft, der Rechtsanwaltschaft, der Rechtslehre u n d der mit der Rechtsetzung befaßten beamteten Kräfte wird miterörtert" (so WeinkaufF im Vorwort zur Gesamtausgabe). In der Tat erstreckt Weinkauff seinen „Uberblick" in diesem weiten institutionellen Sinne auf .Justiz". Justiz erscheint nicht bloß als Straf- und Urteilsinstanz. Dieser plausible Ansatz enthält zwei folgenreiche Abgrenzungen. Zum einen werden das Verhalten einzelner und ihre Verantwortung sekundär. Das spricht Gruchmann für das Projekt aus 10 , Weinkauff führt es durch, wenn auch nicht völlig strikt, wie sich ergeben wird. Die andere Abgrenzung steht gleich in Weinkauffs Einleitungsabsatz: Der Nationalsozialismus habe für das Recht bedeutet: „Rechthaberei, Rechtsunsicherheit, Rechtlosigkeit, Unrecht und schließlich Verbrechen, u n d zwar Verbrechen von bisher ungekanntem Ausmaß und bisher unbekannter Furchtbarkeit. Und das alles gesetzt von den Trägern der Staatsmacht selbst und gesetzt mit dem Anspruch, es sei Recht. Die deutschen Juristen u n d vorab die deutschen Gerichte haben das nicht verhindern können; j a sie wurden in einem gewissen Ausmaß als Werkzeuge dieser Entwicklung mißbraucht; zu einem gewissen Bruchteil haben sie sich mißbrauchen lassen. Wie war das möglich?" (S. 19). Dieser Einleitungsabsatz spitzt die Antworten u n d Prämissen zu. WeinkaufF grenzt damit die f ü r ihn sinnvollen von den sinnlosen Fragen ab. Justiz erscheint als Werkzeug gesetzten Rechts, das die Entwicklung nicht verhindern konnte. Fragen nach ihrer Eigenrolle treten zurück; wesentlich werden die Werkstatt-Bedingungen: „Wie war das möglich?" Das Erkenntnisinteresse wird deutlich ausgewiesen. Er will damalige Justiz nicht n u r erzählen, sondern kausal explizieren u n d zugleich nomologisch-normativ bewältigen. Es geht um Erklärung u n d „Ausarbeitung eines Sündenregisters für Prognose- u n d Warnzwecke". 11 Auf dieser Linie bildet Weinkauff sechs Teile. Vier widmet er etwa gleichgewichtig auf j e vierzig bis fünfzig Seiten den Bedingungen u n d 10 11

Lothar Gruchmann (Anm. 3), S. 98: Einzelne nicht primär. Dieter Simon, Vorurteile und Werturteile der rechtshistorischen Forschung zum Nationalsozialismus, Teil II, in: NS-Recht in historischer Perspektive, München/Wien 1981, S. 33-51, hier S. 47; dort S. 44ff. wesentliche Klärungen zu den Kategorien, Gegenständen und Methoden allgemein und beim Thema NS.

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Verläufen; die letzten beiden enthalten auf knapp zwanzig Seiten den „Versuch einer Wertung" u n d die Formulierung von „Lehren aus den Erfahrungen". Am Anfang stehen „Rechdicher Status, geistige Grundlagen u n d innere Haltung des Richtertums vor 1933". Der Abschnitt m ü n d e t in die zusammenfassende Frage: „Wie weit waren Rechtsstand u n d Richtertum gerüstet, dem nationalsozialistischen Einbruch in das Recht zu begegnen?" Die Antwort lautet: „nicht gerüstet" (S. 37). In Teil Β werden „Die allgemeinen Leitgedanken des Nationalsozialismus zu Recht u n d Gericht" dargestellt. Sie werden umsichtig ermittelt aus fünf Gruppen von Beteiligten: den „Grundanschauungen Hitlers u n d seines Kreises über das Recht" (S. 40-56), den Auffassungen der „Parteijuristen" (S. 56-79), der „NS-Rechtstheoretiker" (S. 79-89), der „leitenden Staatsbeamten in Gesetzgebung u n d Justizverwaltung" (S. 8992) und aus der „Rolle der Gerichte bei der Auslegung von NS-Recht u n d bei der Setzung von Richterrecht im NS-Staat" (S. 92-95). Die Gerichtsarbeit findet also vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Es folgt eine chronologische Darstellung der „Einwirkungen" auf die Justiz - gewissermaßen ein Blick auf die Benutzung des Werkzeugs. Zunächst geht es um „Die Formen der Einwirkungen des Nationalsozialismus auf die rechtsprechende Gewalt u n d ihre Träger in der Friedenszeit 1933-1939" (Teil C), dann um „Die Radikalisierung der nationalsozialistischen Einwirkung auf die Justiz während des Krieges 1939-1945" (Teil D). Teil Ε resümiert „Die allgemeine Haltung der deutschen Justiz unter dem Nationalsozialismus. Versuch einer Wertung". Teil F zieht „Lehren aus den Erfahrungen der nationalsozialistischen Epoche u n d Schlußfolgerung für den Aufbau einer Justiz, die der totalitären Bedrohung begegnen kann". Weinkauffs Uberblick ist straff gegliedert u n d geschrieben. Man spürt den erfahrenen Richter. Reichliche Zitate vermitteln Quellennähe u n d Authentizität ebenso wie eine Fülle auch ungedruckter Dokumente, die zudem oft n u r sinngemäß wiedergegeben sind, um sie verständlicher zu halten. Hier spürt man den geschichtsbelehrten Laien-Historiker, der eine Botschaft hat. Dabei bleibt die Darstellung juristisch-rechtshistorisch sehr genau. Die Chronologie der „Einwirkungen" bietet eine immer noch ebenso umsichtige wie erschütternde Gesamtbeschreibung der Lage der Justiz. Prägnant löst Weinkauff auch die Frage nach den NS-„Leitgedanken", ohne zu übersehen, daß es kein geschlossenes Gedankengebäude (S. 40 u. ö.) nationalsozialistischen Rechtsdenkens gegeben hat. Er bietet ein sehr plausibles Kapitel zu Hitler u n d den Parteijuristen. Er nennt die Namen f ü h r e n d e r NS-Rechtstheoretiker u n d

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verschweigt nicht viele sehr u n a n g e n e h m e Zitate. Richter wie Rothaug u n d Oeschey vom Sondergericht N ü r n b e r g n e n n t er „perverse u n d unmenschliche Typen" (S. 171). Er benutzt etliche entlegene General-Dok u m e n t e d e r Gerichte u n d scheut auch nicht die Verwendung von Dok u m e n t e n aus d e n N ü r n b e r g e r Prozessen. Er r ä u m t „barbarische" (S. 175) Urteile u n d aktive Entfaltung von NS-Normen ein (S. 93, 174), b e n e n n t Rechtssätze mit Unrechtscharakter (S. 94) u n d übergeht nicht ein Sich-„mißbrauchen lassen" (S. 19). Auf Schritt u n d Tritt spürt man d e n erschütterten Kenner d e r Justiz, zumal ihrer Innenseite. Schon d e m U m f a n g nach dürftig u n d vergleichsweise blaß bleibt dagegen sein Resümee auf d e n gut sechs Seiten ü b e r die .Allgemeine Halt u n g d e r deutschen Justiz u n t e r d e m Nationalsozialismus". U n t e r d e m Uberschrifts-Wort „Haltung" mußte in der Tat die Auswertung der wertvollen Beschreibung in eine Sackgasse geraten. Da j e d e r einzelne Angehörige des Rechtsstandes u n d j e d e r Richter „auf sich selbst zurückgeworfen" gewesen sei, „ohne Halt an einem allgemeinen Rechtsbewußtsein des Volkes", o h n e „Halt an einer eigenständigen Organisation", o h n e „Halt am Rechtsschrifttum, o h n e Halt bei seinen Amtsgenossen u n d bei seinen Dienstvorgesetzten", stelle sich „dem Historiker die unmögliche Aufgabe, n u n das Verhalten d e r unzählig vielen einzelnen zu untersuchen u n d zu bewerten" (S. 170). Damit war in der Tat ein kaum zu bewältigendes Problem geschaffen. Unvermittelt stehen sich „hilflose Beute" u n d „terroristische Einwirkung" (S. 179) gegenüber. Vom Gesetz u n d seiner Umsetzung ist n u r als „Eindringen des nationalsozialistischen Unrechts" die Rede (S. 170). Die zunächst vermiedene persönliche Ebene erscheint plötzlich doch als eigentlich wesentliche Ebene — die richterlichen „Werkzeuge" werden als h a n d e l n d e Menschen entdeckt. Soviel Richtiges darin auch liegt, dies f ü h r t wiederum ab vom Richter in diesen Menschen u n d dessen professionellem Anteil. Wenn d e r Blick auf d e n Menschen im Richter ins Ungewisse f ü h r t u n d d e r Blick auf d e n Richter im Menschen verstellt ist, werden strukturelle Erklärungsebenen zentral. Entscheidend f ü r die Frage „Wie war das möglich?", wird also statt des Handelns der Justiz die „Lage d e r Justiz" (so in d e r Tat S. 177) als Werkzeug oder, fachlicher gesagt, „die positivistische Grundauffassung" (S. 175, 182f.). Weinkauff bleibt Antworten nicht schuldig. Sie stehen schon im ersten Teil in seinem Rückblick auf die Zeit vor 1933, vor allem auf d e n zehn Seiten ü b e r „Das Richtertum u n d die rechtlichen Grundfragen" (S. 27-37). „Die rechtlichen Grundfragen" sind folgende sechs: „1. Der Rechtsstaat von Weimar, 2. Die Herrschaft des Rechtspositivismus, 3. Die G r u n d r e c h t e von Weimar,

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4. Stellungnahme zu Revolution und Staatsstreich, 5. Stellungnahme zum Widerstandsrecht, 6. Richterliche Nachprüfung der Gültigkeit von Rechtssetzungen" - es geht also um Rechtsstaat, Rechtspositivismus, Grundrechte, Revolution, Widerstandsrecht und Prüfungsrecht, kurz um die Frage: „Wie verstand das [. . .] deutsche Richtertum vor 1933 sein eigenes Verhältnis zum Recht?" (S. 27). Statt einem Rechtsstaat habe sich die Rechtsprechung nach 1933 einem „geradezu kopernikanischen Umsturz aller Rechtswerte" gegenübergesehen (S. 27). Rechtspositivismus bedeutet ihm Selbstherrlichkeit des Rechtssetzers, also Setzungspositivismus. Dieser sei schon seit dem späten 19. Jahrhundert „schlechthin herrschend geworden" (S. 28). Zuvor hätten die Völker jahrtausendelang in wechselnden Formen in der Vorstellung gelebt, es gebe ein übergeordnetes Naturrecht. Erst solches Naturrecht verleihe dem positiven Recht die innere Verbindlichkeit und entkleide es seiner rechtlichen Geltung, wenn es ihm grob widerspreche. Weinkauff etabliert also ohne große historische oder rechtstheoretische Umstände ein folgenreiches historisch-theoretisches Geschichtsbild und Deutungsschema antiliberaler Provenienz. In diesem Rahmen wird dann die Erklärung plausibel, eben das Fehlen naturrechtlicher Schranken, bzw. des Glaubens daran, habe den Rechtsstand und die Gerichte „rechtlich wehrlos gegen das Eindringen staatlichen Unrechts in den Raum des Rechts" gemacht (S. 30f.). Daß Grundrechte bloß positiv genommen, Revolution und Staatsstreich anerkannt, Widerstandsrecht und Prüfungsrecht verneint worden seien, stellt sich als konsequent dar. Ebenso leuchtet dann die Folgerung ein: „Der Nationalsozialismus hatte es daher leicht, als er, an diese Traditionen anknüpfend, grundsätzlich jedes von der politischen Führung ausgehende Recht für die Gerichte als sakrosankt erklärte" (S. 36). Gesetzesrecht gerät auf eine Ebene mit Führer-Recht. Wenn man so Rechtspositivismus mit Selbstherrlichkeit des Normsetzers und extremer Richterbindung zusammenfallen läßt und verallgemeinert, dann bleibt angesichts neuzeitlich flächendeckender Rechtssetzung nur das individuelle Ethos, sobald die Rechtssetzer das befehlen, was „Naturrecht" nicht erlauben würde. Die Auflösung des Gesetzesbegriffs wird also vollständig hingenommen und erst „naturrechtlich" korrigiert. Den sachlichen Gehalt des „naturrechtlich" Gebotenen arbeitet Weinkauff bemerkenswert klar heraus, übrigens ohne spezifisch christliche Fundamentierung: Er zählt dazu den Gleichheitssatz, das Recht auf freie sittliche Selbstbestimmung als Person, auf menschliche Würde und Freiheit in Selbstverantwortung, effektive Grundrechte

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u n d politische Mitwirkungsrechte, wechselseitige Anerkennung der Rechtsstellung der Rechtsgenossen, Respektierung der grundlegenden Einrichtungen des menschlichen Zusammenlebens wie Familie, Volk, Staat, Kirche, Völker- u n d Staatengemeinschaft (S. 28f., ähnlich S. 184). Außer im letzten Punkt würden das auch heute die meisten unter dem Titel Menschenrechte unterschreiben. Daß Weinkauff am Ende „naturrechtliche" Wachsamkeit verlangt, erscheint daher nicht so fremd, wie oft angenommen wurde. Nur daß ihm dafür die bloße Grundgesetztreue nicht genügt, daß er daneben eine „naturrechtliche Grundlegung des Rechts" (S. 182ff.) .jenseits von Rechtspositivismus und Wertpluralismus" (d. h. bloßem Relativismus bzw. Nihilismus 12 ) fordert, das würden nicht m e h r viele unterschreiben. 1 3 2. Ergebnisse Lage u n d Entwicklung der NSJustiz sind also f ü r Weinkauff klar kausal explizierbar, Sündenregister u n d Umkehrempfehlungen folgen konsequent. Der Grund u n d der Schuldige sind gefunden. Es ist ein machtvolles Paar: der befehlsgewaltige Rechtssetzer mit seinem hilflos-gehorsamen Rechtsanwender. Ahnlich kraftvolle justizielle Gegengewalt kann sich Weinkauff n u r für naturrechtlich geschulte, streng ausgewählte „Richterpersönlichkeiten" vorstellen. 14 Diese Erklärung hat wie die daraus e n t n o m m e n e n Lehren j e länger j e weniger Anklang gefunden - dazu sofort. Der Befund wird aufschlußreicher, wenn man den Hauptinhalt des Bandes einbezieht. Im wesenüichen unabhängig von diesen Erklärungen liefert Weinkauff nämlich zu dem, was ihn empirisch interessiert, starke Analysen u n d Schilderungen. Der organisatorische, personelle und diensüiche Zusammenhang der Institution Justiz, die Partei-Leitgedanken zum Recht und die der Rechts-Aktivisten, die direkten Einwirkungen bis zur Radikalisierung im Krieg, die Erwägung beruflicher Alternativen für Richter (S. 94) - kurz: alle externen Faktoren werden klar, eindringlich u n d übersichtlich geschildert. 12

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Es handelt sich auf der Rechtsebene wohl weniger um antipluralistische Ressentiments als um einen Antirelativismus, der die erwähnten Grundwerte als Minimum fixieren will. Und erst recht nicht den zeitbedingten Seitenhieb auf die „Intellektuellen" (S. 181), der nichts mit der Sache zu tun hat. In diesem Sinne skizziert er bereits eine „Große Justizrefoim", die einiges enthält, was jüngst wieder empfohlen wird. Siehe seine Reformvorschläge auf S. 184-188 (Einheit der Justiz; viel weniger, aber höhergestellte Richter).

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Die Konzentration auf die externen Faktoren bedeutet aber zugleich eine Schwäche schon auf der Stoffebene. Denn in diesen Schilderungen fehlt nicht weniger als die Rechtsprechung selbst, also ihre durch Urteile wirkende Gewalt. Man erfährt viel über Exekutionen durch SS u n d Gestapo, über illegale Verwendung der Staatsanwaltschaft, über Hitlers Anspruch auf oberste Gerichtsherrschaft, über die Beseitigung der rechtlichen Garantie richterlicher Unabhängigkeit, über unmittelbare Steuerung der Rechtsprechung durch die Justizverwaltung u n d ähnliches mehr. Diese Schilderungen bleiben wertvoll. Man muß sich aber der fehlenden Teile der Justiz-Wirklichkeit vergewissern - u n d das sind gerade die juristisch geprägten, das positive Recht u n d dessen richterliche Umsetzung. Ihnen gelten n u r j e drei Seiten, die allgemein eine fatale Rolle bei Auslegung wie Rechtsschöpfung feststellen (S. 92-95), im Ergebnis ein „unzusammenhängendes Trümmerfeld" vorfinden u n d f ü r die Einzelheiten auf die Folgebände verweisen (S. 176). Paradoxerweise liefert der Jurist Weinkauff also nicht etwa eine zu juristische u n d deswegen unhistorische Darstellung, sondern eine zu wenig juristisch-rechtshistorische, indem er n u r die Institution schildert u n d nicht ihr juristisches Handeln. Er stand u n d steht damit die längste Zeit nicht allein. Die Konsequenzen sind unabhängig von Apologie u n d Naturrecht u n d wurden bis heute wenig erwogen. Sie sind auch unabhängig von Weinkauffs Anteil an der vielkritisierten sog. Naturrechtsjudikatur des Bundesgerichtshofs zum Scheidungsrecht und zum Sittenstrafrecht in den 50er Jahren. 1 5 Erst jüngst erschienen systematischere empirische Forschungen zur Urteilstätigkeit. Sie haben Erstaunen hervorgerufen, empirisch wie für die Wertungen, gerade unter Historikern. 16 Denn systematisch historische Arbeiten lösen sich natur-

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Vgl. dazu und zum ganzen meine Studie: Zu Kontinuitäten und Diskontinuitäten in derjuristischen Methodendiskussion nach 1945, in: Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste. Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften zwischen den 20er und 50er Jahren, hrsg. von Karl Acham, Knut W. Nörr, Bertram Schefold, Stuttgart 1998, S. 113-165, hier S. 134ff. Siehe die Diskussion zu Klaus Marxen und Holger Schlüter zum Volksgerichtshof, etwa bei Rainer Möhler, in: Neue Politische Literatur 39 (1994), S. 429, zu Klaus Marxen: „provokante Thesen"; bes. aufgeregt G. Steinwascher in: Osnabrücker Mitteilungen 100 (1995), S. 319f.: „interessante Ergebnisse . . . [aber] künstlich wirkende Scheindebatte". Die Kritik, es fehle „ein quellenkritisches Kapitel, das für eine Einschätzung der gebotenen Zahlen äußerst wichtig gewesen wäre", bleibt ebenso unklar, wie was gegen ein Register mit allen Namensnennungen auch in den Fußnoten sprechen sollte, außer daß man es meist als zu aufwendig unterläßt; aus der Rechtsgeschichte etwa Gerhard Pauli, Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 18 (1996), S. 340-342, zu Holger Schlüter: völlig neue Lage, so unbekannt, neue Sicht von Normalität; Heinz Müller-

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gemäß aus der gewohnten Bewältigungsperspektive, indem sie einfach mehr über die Vergangenheit ermitteln. Es entsteht ein anderer Blick. Genauere Wertungen werden erforderlich. Die Stärken und Schwächen auf der Schilderungsebene korrelieren mit denen auf der Erklärungsebene. Auf solcher Stoffgrundlage konnten Weinkauffs erwähnte Abschnitte zur Rechtsprechungstätigkeit nicht m e h r bieten als Klassifizierungsansätze nach Rechtsbereichen u n d Urteilsmethodiken. Aber sie lösen sich kaum von der Werkzeugperspektive. Die Darstellung der Justiz-Lage im ganzen u n d der NS-Einwirkungen im besonderen beeindruckt - aber sie bestärkt ebenfalls die Werkzeugperspektive. Die Behauptungen zur Weimarer Lage treffen in vielem zu, freilich gerade nicht für die Rechtsprechung, bestärken aber ebenfalls die Werkzeugperspektive. Aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts b e n e n n t er n u r drei ziemlich geläufige Entscheidungen des Reichsgerichts in Aufwertungsfragen, eine von 1924 zur Abgabenerweiterungsverordnung, von 1927 zum Regreß gegen Inflation u n d von 1929 zum Prüfungsrecht in Banknotenfällen. 1 7 Die Rechtsprechung der Weimarer Zeit ist für ihn also nur die der Zivilgerichte zur Aufwertungsfrage, unbelegt bleibt der Pauschalsatz: „Auch alle übrigen deutschen Gerichte folgten der positivistischen Lehre" (S. 31). Unbeachtet bleibt wie meist, daß es sich um explizit genau begrenzte Entscheidungen u n d Begründungen zu krisenbedingten Fällen handelte, die mit der Krise wieder verschwanden. Wenn dieses Lücken- u n d Kriseninstrumentarium nach 1933 ganz allgemein in krisenunabhängigen u n d nichtökonomischen Bereichen verwendet wird, liegt darin keine Kontinuität des Verhaltens der Rechtsprechung oder ein später Triumph der sog. Freirechtsbewegung, sondern ein umfassender Wandel. Distanz zu bestimmten alten Gesetzessätzen wird jetzt vom Gesetzgeber selbst betrieben, er selbst produziert

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Dietz, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, German. Abt. 113 (1996), S. 645-647, zu Klaus Marxen: eigene Wege, differenziert, zwiespältiges Bild entsteht. Auch Gerd Weckbecker (Anm. 2) dürfte vielfach kritisch rezipiert werden. Hermann Weinkauff, S. 31; grundlegend jetzt Markus Klemmer, Gesetzesbindung und Richterfreiheit. Die Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen während der Weimarer Republik und im späten Kaiserreich, Baden-Baden 1996, zu den genannten Urteilen dort S. 243 u. S. 372, S. 269f. und S. 372f., S. 270£f.; weiterführend Joachim Rückert, Richterrecht seit Weimar?, in: Festschrift für Sten Gagner zum 3. März 1996, Ebelsbach 1996, S. 203-227, sowie ders., Richtertum als Organ des Rechtsgeistes: die Weimarer Erfüllung einer alten Versuchung, in: Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik. Zur Entwicklung von Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft im 20. Jahrhundert, hrsg. von Κ W. Nörr, B. Schefold und F. Tenbruck, Wiesbaden 1994, S. 267-313.

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zugleich vage Rechtssätze. Die Judikatur erscheint u n d gibt sich partiell freier, zugleich wird sie aber in entscheidenden Hinsichten stärker gebunden. Teils zu Unrecht, teils zu ungeprüft, wird also die Weimarer Lage zur bloßen Vorgeschichte in der NS-Werkzeugperspektive. Auch auf der Erklärungsebene lähmt also die Werkzeugthese andere Ansätze. Auch hier arbeitet WeinkaufF nicht zu juristisch-dogmatisch u n d deswegen unhistorisch, sondern zu wenig .juristisch" u n d rechtshistorisch, da ihm das juristische Handeln der Justiz in der Werkzeugvorstellung verlorengeht. In dieser Vorstellung dominiert zugleich die Bewältigungsperspektive eines tief betroffenen Zeitgenossen. Wenig davon war juristische oder Juristen-Besonderheit u n d deswegen unhistorisch, das meiste vielmehr zeitgebundene Befangenheit. Insofern kam das bemerkenswert f r ü h e Unternehmen „zu früh". 1 8 Auch die Historiker Gruchmann 1963 19 u n d Krausnick 1968 haben diese Zusammenhänge offenbar kaum gesehen. Krausnick legt im „Geleitwort" eine salomonische Arbeitsteilung zwischen Juristen u n d Historikern zugrunde 20 : „Es ergab sich aus der Natur des Forschungsgegenstandes, daß seine wissenschaftliche Behandlung überwiegend Juristen zufiel. Erst die systematische Klärung der Fakten u n d Zusammenhänge durch den Fachjuristen gibt dem Historiker die Möglichkeit, die einzelnen Ergebnisse in den historisch-politischen Gesamtbezug einzuordnen." Diese Arbeitsteilung Jus - Historie u n d Einzelnes - Ganzes mag so allgemein irgendwie einleuchten; aber sie überdeckte im konkreten Fall, daß die Arbeitsteilung auf einem schon sehr begrenzten Felde begann. Diese Einschränkung der Fragestellung hatte - u n d hat - mit juristisch versus historisch nichts zu tun, sondern traf beide Perspektiven gleichermaßen. Es wäre zeithistorisch reizvoll, den Beitrag der Gutachter u n d des Projektbeirats, zumal mit Fraenkel, einzubeziehen. Jedenfalls blieb auf diese Weise das juristische arcanum der richterlichen Urteilstätigkeit weiter ein Geheimnis. Darstellung, Bewertung u n d Lehren knüpften an unstreitige Unrechtsurteile u n d die externen Faktoren von Justiz an, statt den Versuch einer Gesamtanalyse der Urteilstätigkeit zu unternehmen. Die sog. Korrektheit des Normalen war j a nicht so ausgemacht, ein mögliches Zusammenspiel mit den Exzes-

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Daß das nicht grundsätzlich problematisch sein muß, betont mit Recht Dieter Simon (Anm. 11), S. 33-35. Siehe die Projektvorstellung Lothar Gruchmanns (Anm. 3). Helmut Krausnick im „Geleitwort" zu Bd. 1, S. 13.

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sen wurde n u r pauschal erwogen (etwa als Stabilisierung der Exzesse durch Normalität im übrigen). Das Dreieck Rechtsnorm - Richter - Urteil wurde damit so starr und mechanisch aufgefaßt, wie es nicht einmal die beredtesten Anwälte der aufklärerischen bouche de la loi-Vorstellung erdacht hatten. 3. Rezeption Wie schwer es war, sich diesen die Fragestellung bestimmenden Dispositionen u n d Kräften zu entziehen, erweist sehr drastisch auch die Rezeption. Die Rechtsgeschichte war es zufrieden oder nicht, sie zeigte es jedenfalls nicht. Von rund 20 Rezensionen 21 zu Band 1 kam zunächst n u r eine aus dem Fach (von Bader 1969), zwei weitere erst 1976 (Hans Hattenhauer, Dieter Schwab). Es sind die Namen nicht zufällig besonders Engagierter, des älteren, selbst NS-betroffenen Bader, und zweier Jüngerer aus einer offeneren Generation. Selbst unter den weiteren rund 12 Reaktionen auf Band 2 zum öffentlichen Recht und den immerhin rund 22 zu Band 3 zum Volksgerichtshof kamen wieder n u r drei aus dem Fach (Michael Stolleis 1971, Hans Hattenhauer und Dieter Schwab 1976). Die historischen Fachzeitschriften fielen ebenso völlig aus wie die rechtshistorisch f ü h r e n d e Savigny-Zeitschrift. Das zeigt den Horizont des Möglichen n u r zu gut. Erst Gruchmann 1988 wurde von den Rechtshistorikern viel breiter fachlich rezipiert. Von den Historikern reagierten wieder n u r verschwindend wenige wie im „Historisch Politischen Buch" 1988 Eckhard Jesse, in den „Militärgeschichtlichen Mitteilungen" 1989 Heinz Boberach, in der „Zeit" 1989 Werner Johe. Nur ein Rezensent, der Stuttgarter OLG-Präsident Richard Schmid, äußerte sich zum Hauptproblem „Rechtsprechung". 22 Er anerkennt Weinkauffs Uberblick als, „so wie er sein Thema versteht, recht inhaltsreich". Aber man zweifle bald, „ob die Arbeit genau das betrifft, was man aus j e n e r Zeit wissen will [ . . . ] , wie sich die Justiz [ . . . ] gehalten und verhalten hat". Dafür komme es auf ihre „Früchte" an, also die „Sprüche der Gerichte". Dazu erhalte man aber keine Konkretisierung, Beispiele oder Dokumente. Dargestellt werde im großen u n d ganzen

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Ein besonderer Dank gilt dem IfZ, das mir eine Kopie der gesammelten Rezensionen überließ. Für die großen historischen Fachzeitschriften wie die Historische Zeitschrift und die Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte habe ich die Vollständigkeit sicherheitshalber überprüft. In seiner Rezension in der soeben begründeten Zeitschrift Kritische Justiz 2 (1969), S. 102-106, erneut in der Sammlung der Kritischen Justiz: Der Unrechtsstaat, 1980.

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„nicht die handelnde, sondern die leidende Justiz" (S. 102). Diese Perspektive sei verfehlt und bringe eigentlich wenig Neues. Das Versagen der Justiz werde zwar nicht verhehlt, aber auch nicht thematisiert. Die Zuerkennung einer passiven Rolle sei ein Irrtum; die Lage sei n u r „scheinbar passiv [ . . . ] u n d insofern der Bestechlichkeit durchaus gleich, die auch n u r scheinbar passiv ist" (S. 104). Damit war die Werkzeugthese drastisch in Frage gestellt. Naheliegenderweise bestritt Schmid auch, wie kurz davor Kübler 23 , für Weimar u n d NS-Zeit ein bloß gesetzespositivistisches Verhalten. Schmid hat also das entscheidende Defizit u n d einiges von den Prämissen der Darstellung benannt. Dennoch blieb er Kind dieser Zeit der unmittelbaren Bewältigungsarbeit: Auch ihn interessierten nicht die NS-Justiz überhaupt u n d die „Masse der korrekten Urteile", sondern die „Moral und der Charakter der Richter", deren Standhalten u n d Nichtstandhalten, u n d deswegen eben die „schlimmen Urteile" (S. 104). Schmid rückte also die Wertungen zurecht, löste sich aber nicht aus der unmittelbar bewertenden u n d bewältigenden Perspektive. Jedenfalls entwickelte er kein Konzept oder Beispiel für eine prinzipiell umfassende Sammlung u n d Sichtung der Urteilstätigkeiten, wie sie vor j e d e r historischen Beurteilung zu stehen hätte. Denn geschichtliches Urteil darf nichts ungeprüft voraussetzen. Nur Schmid erinnerte so an die Urteilstätigkeit u n d mahnte ein „Thema verfehlt" an. Ganz durchgehend warf sich die Diskussion der ersten drei Bände auf die Diagnose u n d die Medizin, so wie sie Weinkauff vorgegeben hatte. Die Diagnose, ein Positivismus-Gift habe die Justiz zum bloßen Werkzeug gemacht, wurde lebhaft bestritten. Die Medizin „Naturrecht" verwarf man einmütig u n d ohne Diskussion. Für viele hatte die Justiz einfach „ein fast hurenhaftes Verhältnis" zum Nationalsozialismus, wie Kühnert 1980 schrieb. 24 Aber das war immer noch die alte Werkzeugperspektive, nur im Gewände der sittlichen Entrüstung. Die Jahre 1968/69 hatten erstmals eine neue Forschungslage in Rechtsgeschichte und Geschichte gebracht. Im gleichen Jahr 1968 wie Weinkauff u n d A. Wagner erschienen zum Zivilrecht die ersten Forschungsarbeiten von ganz anderem Geist u n d Zugriff, vor allem Rüthers zur „unbegrenzten Auslegung" u n d Thoss zum „subjektiven Recht 23

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Gemeint ist die seinerzeit aufsehenerregende Studie zur Weimarer Justiz von Friedrich Kübler, Der deutsche Richter und das demokratische Gesetz, in: Archiv für civilistische Praxis 162 (1963), S. 104-128. Hanno Kühnert in der Süddeutschen Zeitung vom 7. 5. 1980 in einer Rezension zu: Der Unrechtsstaat (Anm. 22).

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in der gliedschaftlichen Bindung" 25 ; schon 1967 lag die Untersuchung von J o h e zur Hamburger Justiz vor. Die Gießener juristische Ringvorlesung zum NS war in der neubegründeten „Kritischen Justiz" 1968/69 zu lesen. Von historischer Seite erschienen 1969 Broszat mit seinem „Staat Hitlers" - darin ein eigenes Kapitel zu Recht und Justiz - und Diehl-Thiele mit seiner Partei-Staat-Studie. Die öffentliche Atmosphäre veränderte sich durch die lange Debatte um die erneute strafrechüiche Veijährungsverlängerung 1968, das nach Vorarbeit des Bundesgerichtshofs freisprechende Berliner Rehse-Urteil vom April 1968 u n d die NSProzesse der Jahre zuvor, gegen Eichmann 1961 in Israel, wegen Auschwitz 1963-65 in Frankfurt am Main. 1988, 20 Jahre nach Weinkauff u n d Rüthers, war das Thema Justiz im Nationalsozialismus" immer noch ein „viel beklagtes, beredetes u n d illustriertes, aber keineswegs hinreichend erforschtes Kapitel". 26 Genauere Blicke in den Justizalltag im Dritten Reich" förderten „Widersprüchliches zutage", eilfertigen Gehorsam wie zähes Festhalten an rechtsstaatlichen Positionen. 27 Die Summe blieb noch immer ambivalent, Justiz erschien als Täter u n d Opfer, als solche handelnd und leidend, jetzt etwas mehr als politisierte Tätergruppe und Ansammlung „fürchterlicher" (Hochhuth 1979) oder „furchtbarer Juristen" (Müller 28 ). Rolf Hochhuth hatte 1979 die Militärrichter als „fürchterliche Juristen" auf die Bühne geschickt u n d vehement angeklagt 29 wie kurz zuvor den realen Filbinger (1978). Die Furchtbarkeit avancierte zum maßgebenden Titelschlagwort 30 - schon Weinkauff hatte sie im ersten Absatz benannt. 3 1 Bewältigung dominiert darin fort. Was bleibt als Bilanz? 25

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Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, Tübingen 1968; Peter Thoss, Das subjektive Recht in der gliedschaftlichen Bindung. Zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Privatrecht, Frankfurt/M. 1968 (= Diss. iur. Gießen). So die kurze und treffende Bestandsaufnahme im ersten Satz im Sammelband Justizalltag im Dritten Reich, hrsg. von Bernhard Diestelkamp und Michael Stolleis, Frankfurt/ M. 1988, S. 7. Ebd., S. 8. Ingo Müller, Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz, München 1987. Rolf Hochhuth, Juristen. Ein Theaterstück, Reinbek 1979; nach Ablehnung großer Bühnen uraufgeführt im Verbund in Heidelberg, Göttingen, Hamburg 1980. Sehr kritisch nannte man den Dreiakter „lärmiger Rundumschlag" (Wendland, Süddeutsche Zeitung vom 16./17. 1. 1980) und „Klischeeorgie" (Wurm, Süddeutsche Zeitung vom 29. 11. 1979). Vgl. Otto Gritschneder, Furchtbare Richter. Verbrecherische Todesurteile deutscher Kriegsgerichte, München 1998. Vgl. oben das Zitat nach Anm. 10.

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Bilanz 1. Die unbekannte Justitia Systematisch erforscht war die Rechtsprechung in der NS-Zeit immer noch nicht, weder nach der äußeren Masse noch nach der inneren Jurisprudenz der Urteile. Thoss ζ. B. hatte explizit nur die Theorie untersucht; Rüthers interessierte sich für die „Anpassungsfähigkeit der herrschenden Rechtstheorie" und insofern für „das Nachgeben der Rechtsprechung gegenüber den Wünschen der damaligen Machthaber". 32 Man blickte nun - wieder - mehr auf die Beispiele eines manchen NSGesetzen vorauseilenden Gehorsams. Diese Beispiele, die sog. Unreell tsurteile, waren auch zuvor nicht unbekannt gewesen. Man hatte seit 1945 stets nach „normal" und „nazistisch" sortiert, stets ohne Gesamtanalysen. Gesamtanalysen erschienen auch nicht notwendig, denn man blieb der Entnazifizierung verhaftet, in immer neuem pro und contra, seit 1968 zumal. An Stelle der Alliierten forderten nun die eigenen Kinder „Bewältigung" ein. Bis 1968 hatte man sich immer mehr von der ursprünglich selbstverständlichen Gesamtvermutung „nazistisch" gelöst und begonnen, den Spieß gewissermaßen umzudrehen bis 1968. Sehr zeitgemäß verfiel Weinkauff beim abschließenden „Versuch einer Wertung" darauf, die Richterhaltungen in Entnazifizierungsmanier zu klassifizieren: in wenige überzeugte Nationalsozialisten, max. 10 %, einige „gutgläubige" und solche aus „bloßer Einfalt oder als Opfer einer Massenpsychose", dann „bewußte, wenn auch heimliche Gegner", wohl mehr als 20%, dann „getarnte Nationalsozialisten", endlich die größte Gruppe, die „Mitläufer" (S. 171 f.) - dies in offenem Kontrast zu seiner an sich leitenden Werkzeugperspektive, die doch eigentlich nach Schlußpunkt aussah. Auch er wollte vor allem bewältigen, und das hieß, nach Braun und Nichtbraun zu sortieren, ganz einig hierin mit seinen Kritikern. Die Kritik meinte nicht dieses Anliegen, sie fand nur, er habe zu wenig Braunes gefunden. Entsprechend verwies auch Müller 1987 in seinen „Furchtbaren Juristen" laut Untertitel auf die „unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz". 33 Man schrieb im Banne der Entnazifizierung, die als gescheitert galt, und wollte sie nachholen, wenigstens geistig. Entnazifizierung der Justiz und historische Erfor32

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Siehe für beide oben Anm. 25; das Zitat bei Bernd Rüthers, S. 100, zur Aufgabe seiner folgenden Analyse. Siehe Anm. 28.

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schung von Justiz sind aber nicht das gleiche. Entnazifizierung läßt einen bestimmten nomologischen Bezugsrahmen dominieren, nicht aber einen historisch-explikativen34, der sich dem „ganzen Objekt" in der Zeit zuwendet. Was das bedeuten kann, blitzt auf in einer der wenigen großen Quellenarbeiten zu einem ganzen Gericht, wie sie in neuerer Zeit vorgelegt wurden. Dort wird nach dem ersten Quellendurchgang eine neue Arbeitsaufgabe gestellt: „Es muß der frühere Rechtszustand, es müssen ggf. andere Urteile und Präjudizien des Reichsgerichts mit denen des in Frage stehenden Gerichtes verglichen werden, um die Abweichungen im Gesetzesvollzug festzustellen. Nur auf diese Weise kann der Beitrag der Richter von dem der Normsetzer getrennt werden. Nur so kann man feststellen, ob es für den Zivilrichter Alternativen gab." 35 In der Tat: Wenn man wirklich die Justizfunktion erforschen wollte und ihren Wandel, müßte in dieser Richtung gefragt werden. Für Weimar wurden so neue Ergebnisse gewonnen.36 Die Veränderungen der Rechtssätze selbst wären hinzuzunehmen, denn der Führererlaß war nicht einfach der Bruder des allgemeinen Gesetzes. Nur dann bleibt der Blick frei dafür, wie sich Justiz zwischen Regel und Fall entscheidend verhielt. Blickt man vor allem auf die befehlenden Rechtssätze und den externen Druck, so erscheint die Justiz als bloßes Werkzeug; schaut man auf die Haltungen und Charaktere der Richter, so erscheint das Urteilen als bloßes Begründungstheater und man findet leicht Haltungskontinuitäten - aber auch nicht mehr; schaut man auf die Ergebnisse für die Parteien, so erscheint Justiz als bloße Zuteilungsanstalt, sei es ökonomisch, politisch, sozial oder sonst. Die juristische Leistung zwischen Rechtssatz, Fall und Entscheidung kommt dabei nirgends vor. Ob der Richter also auf dem Normenstrom loyal, übereifrig, hemmend oder gegensteuernd schwimmt, um das alte Savigny-Marxsche Bild vom Schiffer auf der Quelle aufzunehmen, kommt nicht von selbst ins Bild. Auch für die NS-Zeit und die Lehren daraus wäre es aber wichtig, diese Fragen zu stellen. Denn sie nehmen nicht weniger auf als die liberalrechtsstaatliche Erbschaft und Gegenwart Weimars für die Justiz, die lautete, dem Gesetz, aber „nur dem Gesetz unterworfen" zu sein. So verlangte es § 1 des geltenden Gerichtsverfassungsgesetzes von 1877 94 55 56

Zu diesen Kategorien wesentlich Dieter Simon (Anm. 11). Rainer Schröder (Anm. 1), S. 207. Vgl. oben Anm. 17.

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ebenso wie Art. 102 der Weimarer Reichsverfassung. Dagegen richteten sich nicht zufällig die bekannten Richterleitsätze von 1936.37 Die Frage nach der Urteilstätigkeit im Verhältnis zum Rechtssatz führt also ins Zentrum der Fronten in der NS-Zeit. Fragt man nicht so, so fallen Traditionen, die genau diesen Punkt gestalten, kurzschlüssig aus der Wahrn e h m u n g heraus. Die Justiz erscheint „positivistisch"-werkzeughaft oder naturrechtlich-unmittelbar. Kontinuitäten und Strukturen, die anders anknüpfen, bleiben unsichtbar. So haben als modern bezeichnete Elemente wie das sog. Richterrecht, d. h. der heute u n d angeblich in Weimar häufige offen freiere Umgang mit dem Gesetz, eine ambivalente strukturelle Verbindung gerade mit der NS-Zeit. Auch die vielbeschworene modern-richterliche Lebensnähe statt betont loyaler Gesetzestreue gewinnt dann historische Tiefe. Das Verhältnis von juristischer Normalität und nazistischer Anormalität kann nicht geklärt werden, ehe man nicht weiß, was eigentlich juristische Normalität wäre u n d wie sie aussah. Fraenkels Doppelstaatstheorem von 1940 gilt vielfach als Erklärung. Aber es sollte erklären, daß u n d wie diese offensichtlich nicht m e h r bürgerlich-rationale O r d n u n g der NS-Zeit als einerseits kapitalistisch u n d insoweit rational (technisch), aber zugleich substantiell irrational in den Zielen (konkret: antinaturrechtlich, antihuman) verstanden werden konnte, also als Kapitalismus im symbiotischen Dienst der NS-Ideologie 38 , als eine neue Art von Kapitalismus. Daher unterschied er den ökonomisch relevanten Normenstaat u n d den politisch maßgeblichen Maßnahmestaat. Das Juristische an der Urteilstätigkeit war damit nicht erklärt, sondern blieb stille, abhängige Größe im politökonomischen Rahmen, auch eine Art Werkzeug. In Fraenkels Linie wird scharfsinnig eine „Doppeljustiz" erwogen u n d die Widersprüchlichkeit der Methodenanforderungen betont, die im Wechselbad der Maximen das Recht in Politik aufgelöst habe. 39 Was aber eigentlich geschah auf diesem Weg vom Recht zur Politik, blieb auch hier ungeprüft. Konkreter für die Urteilstätigkeit wurde der NS-Zivilrechtsprechung ein „charakteristischer Dualismus" von Berechenbarkeit u n d Normgebundenheit ei-

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Vielfach erwähnt, Abdruck und Kontext schon bei Hermann Weinkauff (Anm. 4), S. 73f.; sonst etwa Michael Stolleis (Anm. 1), S. 22. Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat (1941), dt. Übs. Frankfurt 1974, S. 241 (Resümee); wesentlich jetzt Harald Freise, Wettbewerb und Politik in der Rechtsordnung des Nationalsozialismus, Baden-Baden 1994. Manfred Walther, Hat der juristische Positivismus die deutschen Juristen im „Dritten Reich" wehrlos gemacht?, in: Recht und Justiz im „Dritten Reich", hrsg. von R. Dreier und W. Sellert, Frankfurt/M. 1989, S. 325-354, S. 343.

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nerseits, nicht ableitbarer Einzelfallentscheidung andererseits, zugeschrieben.40 Als Strukturbehauptung für den Umgang mit sog. Generalklauseln war dies keine Überraschung, aber keineswegs die ganze Wahrheit zur Zivilrechtsjudikatur. Außerhalb der Generalklauselanwendung fehlt wieder eine systematische Uberprüfung der Urteile selbst. Alle diese Fragen wurden kaum gestellt. Denn dafür genügt es nicht, beim Sortieren auf nazistisch oder normal auch einige gesetzesorientierte Beispiele zu vermerken. Neben der politökonomischen Deutung blieben in Wahrheit die beiden Fragen bestimmend, die schon Weinkauff fast ausschließlich bewegt hatten: die Positivismusfrage und neuerdings wieder die Naturrechtsfrage. Was brachten diese Diskussionen? 2. Die sog. Positivismusfrage Uberwiegend sprach man von der Schuld oder Unschuld „des Positivismus". Man spräche besser von der Werkzeug- oder Wehrlosigkeitsthese. Denn als historische Frage ist diese These gemeint und nicht die rechtstheoretische oder gar die wissenschaftstheoretische Frage, ob man verbindliches Naturrecht/Vernunftrecht, objektive normative Erkenntnis oder eine gewisse Einheit von Recht und Moral annehmen dürfe. Ebensowenig deckt sich damit die Frage, welches juristische Verhalten vor 1945 oder nach 1945 sinnvoll gewesen wäre. Seit 1989 erleben wir eine Neuauflage dieser Fragen in der Bewältigung der DDR-Rechtsleistungen, soweit sie der Gesetzgeber wieder der Justiz überläßt. Schon WeinkaufFs Erklärungen, mehr noch: seine Erklärungsbereiche, stehen und fallen wie gezeigt mit der Werkzeugthese. Sie bedeutet nach 1945 zugleich einen Entnazifizierungsversuch, da bloße Werkzeuge nicht als Täter taugen, auch nicht als Schreibtischtäter, die j a andere zum Werkzeug machen. Diese Werkzeugthese für die NS-Zeit gilt inzwischen als empirisch widerlegt. Das eröffnet aber noch kein neues Gesamtbild, sondern läßt sehr verschiedene Deutungslinien zu. Das Problem gewinnt zwei Seiten, die Norm und den Richter. Historisch geht es um dreierlei: um die NS-Zeit, um Weimar und um den Ubergang dazwischen. Eine Gesamtbilanz dafür ist nicht absehbar. Für die NS-Zeit selbst wurde auf die originären Handlungsräume verwiesen, die mit der Vagheit vieler neuer Normen und der Aufforderung zur Umbildung etlicher Weimarer Normen gegeben waren. Der Natio-

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Jürgen Meinck, Justiz und Justizfunktion im Dritten Reich, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 3 (1981), S. 28-49, S. 33f.

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nalsozialismus hatte ja gerade nicht die gesetzliche Ordnung auf breiter Front umgestellt. Justiz und Rechtswissenschaft fiel daher eine Schlüsselrolle in der Umsetzung zu, die freilich höchst prekärer Kontrolle ausgesetzt war. Man brauchte ζ. B. im Zivilrecht richterliche Gesetzeskontrolle, um die eigenen Vorstellungen durchzusetzen, da an eine vollständige Gesetzeserneuerung nicht zu denken war. Die Mobilisierung von Regierungsgesetzen und -Verordnungen, Führererlassen und Parteiprogrammverweisen entsprach keineswegs dem überkommenen Gehorsam für das Parlamentsgesetz. Die schlimmsten Unrechtsmaßnahmen ergingen oft außerhalb der Rechtsform. Andererseits wurde schlichtes richterliches Vorauseilen beobachtet, ganz zu schweigen vom Vorausdenken der „Vordenker" wie Carl Schmitt, Ernst Rudolf Huber, Reinhard Höhn, Ernst Forsthoff, Karl Larenz, Wolfgang Siebert, August Dahm, Friedrich Schaffstein, Erik Wolf u. a. Für Weimar entdeckte man - wieder - selbständige Richteraktivität in der berühmten Aufwertungsrechtsprechung und in einer Freirechtsneigung überhaupt. Eine neue Gesamtbilanz bedeutet das übrigens nicht.41 Die Sicht kehrte sich damit um. Richteraktivität statt Richterpassivität trat vor die Augen, sogar in Kontinuität. Soweit man die Richter außerhalb des positiven Rechts judizieren sah, ergab sich eine strukturelle Kontinuität von „Naturrecht" - strukturell, weil inhaltlich sehr verschiedene externe Rechts-Naturen zu sehen waren. Diese Perspektive wurde seit längerem mit eigenen Nuancen auf genauere Begriffe gebracht wie institutionelles Rechtsdenken (Rüthers 196842), substantieller Dezisionismus (Rottleuthner 198343), „Neue Rechtswissenschaft" (Grimm 198544), ganzheitlich-doppelte Logik bzw. „Lebensrecht" (Rückert 1986 und 199545) oder „gegensatzaufhebende Begriffsbildung" 41 42

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Vgl. die Nachweise in Anm. 17. Bernd Rüthers (Anm. 25), S. 277ff.; separat fortgeführt in: ders., Institutionelles Rechtsdenken im Wandel der Verfassungsepochen, Bad Homburg usw. 1970, 2. A. u. d. T.: Wir denken die Rechtsbegriffe um . . . Weltanschauung als Auslegungsprinzip, Zürich 1987; ders., Entartetes Recht, München 1988 ( 2 1989), S. 187ff. Hubert Rottleuthner, Substantieller Dezisionismus - zur Funktion der Rechtsphilosophie im Nationalsozialismus, in: ders. (Hrsg.), Recht, Rechtsphilosophie und Nationalsozialismus, Wiesbaden 1983, S. 20-35. Dieter Grimm, Die „Neue Rechtswissenschaft" — Uber Funktion und Formation nationalsozialistischer Jurisprudenz, in: Wissenschaft im Dritten Reich, hrsg. von P. Lundgreen, Frankfurt 1985, S. 31 ff., erneut in: ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt 1987, S. 373-395, aber eher beschreibend gehalten unter dem zeitgenössischen Stichwort. Sei es mit völkischen, metaphysischen o.a. Bezügen, s. Joachim Rückert, Das „gesunde Volksempfinden" - eine Erbschaft Savignys?, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für

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(O. Lepsius 199446). Diese Beschreibungen erfassen Strukturen, wollen also nicht eine womöglich geschlossene inhaltliche - völkische oder sonstige - Rechtstheorie oder Weltanschauung des Nationalsozialismus behaupten. Inhaltliche Festlegung wurde mit dieser und durch diese Struktur gerade erfolgreich vermieden, nicht zum ersten und letzten Mal. Mit dieser Umkehrung der Perspektive wurde oft auch die Kausalfrage Weimar - NS für verneint gehalten bzw. auf andere Weise bejaht. Galt zunächst die positivistische Wehrlosigkeit für kausal, so nun die antipositivistische Gesetzesfeindschaft. Beides erscheint aber nicht so klar. Denn die Entdeckung antipositivistischer Elemente in der Weimarer und der NSJustiz besagt noch nicht, welche Elemente nun wofür kausal wurden. Sie bringt nur neue Faktoren ein. Man konnte mit Gesetzesfeindschaft zu Weimar ebenso wie mit blindem Normgehorsam oder zauderndem Gehorsam oder offener Unterstützung die Diktatur begünstigen. Ob Gegenkräfte mobilisiert wurden, hing offenbar von viel mehr ab als einer Rechtstheorie. 47 Das zeigt ein Blick auf die, die Distanz hielten. Viel wichtiger erscheint daher, wer die Gesamtveränderung zur Diktatur hin herbeiführte, also der Staatsbürger im Richter. Die recht gut bekannte „Umwälzung", „Umgestaltung" oder „Staatsumwälzung" (so schon Weinkauff, Wagner, Echterhölter) 1933-34 müßte gezielter rechtshistorisch untersucht werden. 48 Auch so gesehen trägt die Wehrlosigkeitsthese als Kausalthese nicht. Mit der Umkehrung der Werkzeugthese in eine Art Täterthese war also nicht die Kausalität geklärt. Mit dieser Umkehrung war aber auch das NS-Gesamtbild nicht geklärt. War die geschriebene Rechtsordnung dann nur noch Fassade

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Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung 103 (1986), S. 199-247, hier S. 224-235, und ders., Der Rechtsbegriff der Deutschen Rechtsgeschichte in der NS-Zeit: der Sieg des „Lebens" und des konkreten Ordnungsdenkens, seine Vorgeschichte und seine Nachwirkungen, in: Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit, hrsg. von J. Rückert und D. Willoweit, Tübingen 1995, S. 177-240, hier S. 186-193, jeweils näher zu Kontinuitäten und Konsequenzen. Oliver Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung. Methodenentwicklungen in der Weimarer Republik und ihr Verhältnis zur Ideologisierung der Rechtswissenschaft im Nationalsozialismus, München 1994. Schon Bernd Rüthers (Anm. 25) mahnt daher 1968 die „Realfaktoren" an (S. 8). Vgl. immerhin Adolf Laufs (Anm. 1), S. 356-364; Karl Kroeschell, Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1992, S. 70-82; zum Ermächtigungsgesetz Elmar Wadle, Das Ermächtigungsgesetz. Eine Erinnerung, in: Juristische Schulung 23 (1983), S. 170-176; für die Rechtswissenschaft Dieter Grimm (Anm. 44) und Michael Stolleis (Anm. 1). Zur Haltung der Juristen als Staatsbürger nützlich das stark historische Buch von Alfred Rinken, Einführung in das juristische Studium, München 31996, S. 154 f.

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für Taten nach anderem Recht oder Unrecht gewesen? Stabilisierte sie nur noch auf ihre Weise die Diktatur? Wurde durch die „normalen" Urteile im wesentlichen der Terror getarnt? Handelte es sich im ganzen um einen zunehmend politisierten Maßnahmestaat? Uber diesen neuen bzw. erneuten kritischeren Fragen blieb wieder viel offen. Denn mit der Täterthese war und ist die Annahme vollkommen vereinbar, die Justiz sei im ganzen doch Werkzeug der NS-Politik geworden. Täterschaft im ganzen war so wenig angezeigt wie Wehrlosigkeit im ganzen. Die These, es habe nur Richteraktivität gegeben, übergeht die Normvorgaben und ist so unplausibel wie die, es habe nur Passivität geherrscht. Es käme also darauf an, wer mehr zum Ausverkauf beigetragen hat, die „Einwirkungen" (Weinkauff) oder die urteilende Justitia selbst. Differenzierung, nicht Vernebelung in Gesamtbildern vor Gesamtanalysen wäre wesenüich. Das heißt nicht, daß von den konkreten Anklagemomenten etwas zurückzunehmen wäre. Aber eine weitergreifende historische Erklärung ersparen sie nicht. Weder ist ein schlichter Schluß vom Einzelnen auf das Ganze erlaubt, noch umgekehrt einer vom Ganzen auf das Einzelne. Konkret verbindende Erklärungen in bestimmten Bezugsrahmen wären nötig. Diese Fragen sind nicht systematisch geklärt, ja nicht einmal in empirisch brauchbare Forschungshypothesen gebracht. Man müßte ζ. B. den judikativen Anteil gewichten nach Diktaturförderung und -hemmung. Stabilisierende „Normal-Urteile" können in einem diktatorischen System auch Hemmung sein, so wie Justiz letztlich stets Selbstjustiz hemmt - aber wie genauer nach 1933? Kaum bestreitbar dürfte sein, daß die Politik am längeren Hebel saß - eine vermutlich allgemeine Lage von Justiz, die nach 1933 gegen die Justiz genutzt wurde, aber Handlungsräume wiederum nicht ausschließt. Historisch klargestellt wurde auch, daß eine Gesetzesbindung, die sich an Regierungsgesetze und Führer-Erlasse bindet, nichts mit der zu tun hat, die der klassische liberale Rechtspositivismus meinte. Er setzte vor allem ein allgemeines Parlamentsgesetz voraus. Als weitere Sicherung war das Privatrecht für selbständige Rechtsbildung freizuhalten. Recht und Politik sollten in der Justiz und der Eingriffsverwaltung deutlich getrennt gehalten werden, durften und sollten dagegen in der Rechtsbildung durch Parlament und Rechtsubjekte dynamisch verknüpft werden. Diese wohlerwogene, freiheitsrelevante Arbeitsteilung wurde in der NS-Zeit gerade nicht respektiert. Vorausgesetzt wird nicht zuletzt die Bindung der Mehrheit an eine Verfassung oder eine rule of law, die einer Tyrannei der Mehrheit steuern kann. Dieses Element

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war für die Weimarer Verfassung undeutlich u n d n u r unsicher verankert in der Notverordnungsreserve des Reichspräsidenten und dem umstrittenen Prüfungsrecht am Maßstab der Verfassung, das das Reichsgericht beanspruchte. Der Positivismusvorwurf in der Form der Wehrlosigkeitsthese wird daher in der Rechtsgeschichte u n d der historisch interessierten Rechtstheorie 4 9 als erledigt betrachtet. Die offenen u n d ungelösten historischen Erklärungen könnten davon mehr profitieren, wenn man m e h r voneinander Kenntnis nähme. 5 0 3. Die Naturrechtsfrage Weinkauffs Bestimmung von Positivismus als Gift u n d Naturrecht als Heilmittel wurde allgemein abgelehnt. Noch vor knapp zehn Jahren, also vor dem November 1989, wäre das T h e m a kaum j e m a n d eine Erinnerung wert gewesen. Zur Würdigung des Naturrechtsvorschlags muß man sich genauer an den Sinn dieses Vorschlags erinnern. Er mußte vor allem nicht zusammenfallen mit einer allgemeinen Naturrechtsbindung aller Rechtsbildung. 5 1 Er zielte nicht auf historische Diagnose, sondern auf aktuelle Therapie. Und er galt nicht primär der j a im wesentlichen erledigten auch „naturrechtlichen" Bewältigung von NS-Unrecht durch die neue Justiz nach 1945 u n d 1949. Weinkauff hatte vielmehr eine „erneute totalitäre Bedrohung" (S. 183) der erwähnten grundlegenden Rechtswerte bedacht und sich Richter vorzustellen gesucht, die dann „zum selbständigen Widerstand aus eigener Kraft" fähig wären. Auf diesen Fall, den Ernstfall, ließ man sich in der Diskussion nicht ein. Nur für diesen Fall aber hatte Weinkauff eine Grundgesetz-loyale Grundwert- u n d Naturrechtsebene angemahnt, mit der man sich als Richter und Jurist

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Hier von Interesse bes. die scharfe Rezension von Friedrich Kübler zu Weinkauff, in: Neue Politische Literatur 15 (1970), S. 291-299 (S. 296f.). Die inzwischen sehr vielstimmige Lage erschließt sich aus Joachim Rückert (Anm. 15), S. 132; wichtige Ergänzungen bei Walter Ott, Der Rechtspositivismus. Kritische Würdigung auf der Grundlage einesjuristischen Pragmatismus, Berlin 1976, 2. Überarb. und erw. Auflage 1992, S. 206 f. und S. 211-222 die sorgfältige Debatte dazu. Das gilt für die juristischen Fächer untereinander wie erst recht gegenüber den nichtjuristischen. Ein positives Beispiel gibt Manfred Walther (Anm. 39), ein Gegenbeispiel K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, Köln u. a. 1994, S. 319f. Ulrich von Hehl (Anm. 1) nimmt das so heftig diskutierte Problem, soweit ich sehe, nicht wahr. Judiziell etwa in Form der sog. Naturrechtsrechtsprechung des frühen Bundesgerichtshofs (Anm. 15), theoretisch etwa in Form eines allgemeingültigen (objektiven?, überzeitlichen?) Naturrechts.

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auch gegen den Gesetzgeber richten können sollte. Es ging und geht also nicht um ein rein historisches oder rechtstheoretisches Problem. Denn mit welchem „Recht" man „totalitärer Bedrohung" in Rechtsform entgegentritt, mit Richterrecht, Verfassungsrecht, Völkerrecht, Naturrecht oder persönlicher Moral, dürfte weniger wichtig sein, als daß man ihr entgegentritt. Zur Würdigung sollte man also fragen, welche Haltung, welche Moralität, welche Rechtswissenschaft, welcher Rechtsbegriff usw. ein solches Entgegentreten besser motiviert und stützt ζ. B. solches Naturrecht oder was sonst? Weinkauff hatte gute Gründe für die Lehren, die er aus der auch ihn zutiefst deprimierenden Lage und Haltung der Justiz in der NS-Zeit zog. Diese Lehren werden durch die beschönigenden Elemente seiner Darstellung nicht berührt, da sie auf davon unabhängigen Schlüssen aus den unstreitigen Tiefpunkten der NSJustiz beruhen. Wenn aber entgegen dem Anschein, den der literarische Streit darum erweckt, die vielumstrittenen Lehren aus diesen Tiefpunkten keine Frage nur der Rechtstheorie oder Geschichte sind, kommt es sehr auf die konkreten Bedingungen, Kontexte und Alternativen für widerständiges Verhalten an. 52 Unter welchen Bedingungen gedeiht ein bis in Urteile hinein resistentes Juristen-Milieu überhaupt und besser? Wie ist zu sichern, daß eine Resistenz sich nicht verselbständigt zu illoyalem Juristenrecht? Im deutschen Juristen-Kontext von Staatsgläubigkeit und seit 1871 immer staatlicherer Juristenausbildung hatte meist das staatlich gesetzte Recht einen Vorsprung. Wer dazu Distanz hielt, aus welcher nichttotalitären, eigenverantwortlichen Haltung auch immer, ob personalchristlich oder sozial-humanitär oder naturrechtlich-humanitär oder liberal-demokratisch oder basisdemokratisch oder sonst, war eher widerstandsfähig und -bereit. Einig wird man sich auch sein, daß es nicht dahin kommen darf, in angeblichem „Rechtspositivismus" die kritischen Fragen an das positive Recht verstummen zu lassen, da doch schon das rechtspositivistische Motto eines Bentham außer dem gewissenhaften Gehorchen zugleich das freimütige Kritisieren verlangte.53 Seit

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Zu dieser seltener erwogenen Seite der Sache einiges ζ. B. bei H. L. A. Hart, Positivism and the Separation of Law and Morals, in: Harvard Law Review 71 (1957/58), S. 593ff., dt. in ders.: Recht und Moral. Drei Aufsätze, hrsg. von N. Hoerster, Göttingen 1971, S. 14£f., sowie umfassend bei Walter Ott (Anm. 49), S. 174ff.: Vorteile und Nachteile, 2. Α., S. 163-265 - eine selten offene und umsichtige Bilanzierung. Lehrreich für diese Zusammenhänge die Studie von Wilfried Löwenhaupt, Politischer Utilitarismus und bürgerliches Rechtsdenken. John Austin (1790-1859) und die „Philosophie des positiven Rechts", Berlin 1972, bes. S. 355f., 287ff., 340ff., 347ff., gerade

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den Mauerschützen- u n d Generals-Prozessen erinnert man sich wieder daran, daß man wohl doch etwas m e h r Rechtsanstrengung zumuten muß u n d darf als die möglichst folgenlose Befolgung „staatsverstärkter" Normbefehle beliebigen Inhalts. 54 Naturrecht oder Vernunftrecht fällt nicht vom Himmel. Versteht man darunter die Bereitschaft von Richtern und Juristen, in gemeinsamer Uberzeugung Verstößen der Rechtssetzer gegen bestimmte Grundwerte 55 juristisch entgegenzutreten, so müßte es leichter sein, nachhaltige Erfahrungen dazu anzuerkennen und die Richter zur Korrektur von bestimmtem positiven Recht zu berechtigen oder auch zu verpflichten. Es handelt sich dann nicht um Naturrecht oder Vernunftrecht im Sinne von bloß subjektivem, erdachtem, nichtpositivem Recht, sondern um positives Recht kraft der inzwischen unbestreitbaren u n d anerkannten Rechtserfahrungen der Menschen. Es kommt dann darauf an, diese Regeln bestimmter zu umreißen u n d die richterliche Kontrolle loyal zu halten. Ein Angebot dafür ist die vieldiskutierte sog. Unerträglichkeitsformel Radbruchs von 1946. Denn sie muß nicht als bloß erdachtes Naturrecht gefaßt werden 56 , wie es die Theorie immer neu umkreist, sondern hat heute mehrschichtige positive Fundamente in der Verfassung, in deren bestandsgesicherten ranghöchsten Sätzen (Art. 79 III, Art. 20 III) und in den Verweisen der Verfassung auf parallele Prinzipien im Völkerrecht sowie in den „unverletzlichen u n d unveräußerlichen Menschenrechten" (Art. 1 II). Das Grundgesetz gibt damit eine Antwort über sich selbst hinaus u n d verweist auch den Richter in letzter Instanz darauf. Diese Perspektive ist nicht neu. Sie findet sich sehr klar in einem zivilistischen Klassiker von 1954, der sich - noch - um Grundlagenfragen kümmerte 5 7 : „Die rechtsprechende (und die vollziehende) Gewalt wird deshalb n u r dann [sc. aber eben dann] von der Gehorsamspflicht gegenüber dem Gesetz entbunden, wenn der Widerspruch

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auch wegen der mehr kritischen Perspektive; sehr wesentliche präzise Erprobungen der Theorien vor allem bei Walter Ott (Anm. 49), S. 190 ff. Dazu wesendich Wolfgang Naucke, Die strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, Frankfurt/M. 1996. Konkreter benannt oben vor Anm. 12. Dazu genauer Frank Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, Heidelberg 1995, S. 32, 42, 53, 81 f.; Joachim Rückert, Abbau und Aufbau der Rechtswissenschaft nach 1945, in: Neue Juristische Wochenschau 48 (1995), S. 1251-1259, S. 1257; weitergeführt in: ders. (Anm. 15), S. 130ff. Von Hans Carl Nipperdey in seiner 15. Aufl. von Ludwig Enneccerus/H. C. Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts. Ein Lehrbuch, Bd. 1, Tübingen 1959, § 51 II: Verfassungsrechtliche Grundlagen der Rechtsanwendung (S. 318 f.); noch nicht behandelt in der 14. Aufl. 1952.

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zwischen Gesetz u n d Recht ein unerträgliches Maß erreicht." 5 8 Neuerlich wurde diese Unerträglichkeitsformel mit größter Umsicht allgemein e r begründet. 5 9 Es geht d a n n nicht u m Ethos an sich oder progressive Richter-Haltungen. Freilich m u ß diese Kontrollkompetenz loyal g e h a n d h a b t werden. Deswegen k o m m t m a n nicht o h n e richterliches Ethos aus u n d m u ß dieses fordern. Recht u n d Pflicht f ü r die Justiz b e d e u t e n d a n n aber auch Recht u n d Pflicht f ü r die Rechtssubjekte, sich e b e n diesen N o r m e n u n d Verfahren zu fügen, bis zur Grenze des Widerstandsrechts, wie sie wiederum das Grundgesetz zieht (Art. 20 IV). Auch f ü r die Naturrechtsfrage zeichnet sich also eine n e u e Lage mit entscheidend differenzierteren Problemstellungen u n d Lösungen ab. In deren Licht erscheint Weinkauffs Vorschlag so verfehlt nicht, wenn m a n d e n Fall bedenkt, f ü r d e n er gedacht war.

Das Gesamtunternehmen Es b e d e u t e t keine Mißachtung der Arbeiten von Albrecht Wagner, Rudolf Echterhölter, Wolfgang Wagner u n d gar d e r von Lothar Gruchm a n n , wenn diese Bände n u r noch viel k n a p p e r einbezogen werden. Die Bände von Albrecht Wagner, Rudolf Echterhölter u n d Wolfgang Wagner bleiben im R a h m e n der G r u n d l e g u n g Weinkauffs. Sie ziehen sich n u r m e h r u n d m e h r auf Beschreibungen zurück. Diese Beschreib u n g e n h a b e n nach wie vor e m i n e n t e n Wert, obwohl sie offenbar kaum benutzt werden. 1. Gerichtsverfassung - Albrecht Wagner Das gilt schon u n d in h o h e m Maße f ü r die besonders hilfreiche Arbeit von Albrecht Wagner zur Umgestaltung der Gerichtsverfassung u n d des Verfahrens. Sie durchdringt einen spröden u n d schwierigen normativen Stoff trocken, objektiv u n d klar. Sie hat kaum Kritik, aber auch wenig Verwendung g e f u n d e n . Daß darin Erklärungsebenen wenig b e r ü h r t wurden, störte zunächst wenig. Bezugsrahmen erschienen ent-

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Ebd. mit Art. 20 III (Gesetz und Recht), BVerfG und Radbruch 1946 und weiteren Nachweisen; analog der wesentliche neue Grundgesetz-Kommentar, hrsg. von Horst Dreier, Bd. 2, Tübingen 1998, Art. 20, Randnr. 85. Zusammenfassung bei Walter Ott (Anm. 49), 2. A. S. 222 f.; auch Frank Saliger (Anm. 56), kurz auch K. F. Röhl (Anm. 50).

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behrlich bei dieser Ordnungsarbeit. Freilich hängt dies mit der übergroßen Entfernung des Verfahrensrechts von der Allgemeinhistorie und seiner Vernachlässigung auch in der Rechtsgeschichte zusammen. 60 Fragestellungen gäbe es zuhauf. Wagner formuliert aber am Ende doch einige prägnante Beobachtungen: „Scheinlegalität" habe geherrscht, wie sie für das Dritte Reich charakteristisch gewesen sei, also „rechtsstaatliche Fassade" (S. 360), viel Diskrepanz auch in der Umsetzung (S. 361 f.), Ausschaltung der Justiz, wo sie lästig war, Schwächung ihrer Unabhängigkeit, wo sie unentbehrlich war, zunehmende Rechtsschutzverkürzung, Zuwachs für die Justizverwaltung, am Ende durchgehende Rechtsunsicherheit und Personalisierung der Justiz (alles S. 364). Er erwägt auch, daß eine kritischere und mutigere Haltung der Justiz kaum die von vielen Kritikern erhofften großen Wirkungen gehabt haben dürfte. Richter waren ersetzbar oder unnötig, Strafjustiz wollte man ohnehin auf die Polizei übertragen. Diese Beobachtungen wurden kaum für weitere Erklärungen genutzt. 2. Öffentliches Recht - Rudolf Echterhölter Echterhölters Gelände war wieder viel glatter, da es nicht nur um Normengeschichte gehen sollte. Er konzentrierte sich zum „Öffentlichen Recht" wie so viele auf die „politisch interessanten Fälle" (S. 11). Auch er empörte sich nicht selten, besonders zu antijüdischer Rechtsprechung (S. 185 ff.) oder zur „Entwürdigung der Justiz" als NS-Handlanger (S. 165). Zur Konzeption wird lediglich die Phasenbildung zwischen 1933/34 und danach einleuchtend begründet (S. 12). Den Schwerpunkt bildeten dann, enger als der Titel sagt, Rechtsprechungsberichte. Stoffauswahl, Analyseart, Zahlendimensionen und andere empirische Fragen blieben ebenso unbegründet oder unerklärt wie Fallgruppenbildungen, Ergebnistendenzen, widersprüchliche Rechtsprechung, Haltungen und Normen, Tragendes und Nichttragendes in den Urteilen usw. Ein Entscheidungsregister fehlt. Die Methode sollte „induktiv" sein. Das endete erwartungsgemäß in der salvatorischen Klausel, das Material solle für sich sprechen (S. 12) - was es bekanntlich nicht kann. Echterhölter läßt es so sprechen, wie „es" spricht. Dennoch - er gibt überwiegend wertvolle Schilderungen und erschließt eine damals wenig durchdrungene erste Stoffebene bis heute ergiebig. 60

Den präzisen Klassiker von Eduard Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, München 1954, hier S. 146 ff. und S. 197 ff. ausführlich zur NS-Zeit, benutzt selbst Wagner nicht!

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Auf der Erklärungsebene folgte er der Werkzeugthese Weinkauffs (S. 322f., 327), obwohl er zugleich eine Reihe von gegenläufigen Beobachtungen aus den zahlreichen Urteilen mitteilte (vgl. S. 324). Auch er vermittelte also den unstreitigen „Primat der Staatspolitik" zu wenig bewußt und erörternd mit den konkreten Vorgängen. Wenig gelungen sind leider die an sich hilfreichen Würdigungen zu den meisten Abschnitten und die zusammenfassende Würdigung(S. 317-327). Er sortierte fast n u r nach dem Vorliegen u n d Grad nationalsozialistischer Gedankengänge. Sein Material hätte m e h r ergeben. Zur Methode betonte er die Notwendigkeit „leitender Gesichtspunkte" über den Einzelheiten u n d schrieb einleitend den wenig geschickten Satz, er gliedere daher nach den „verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen u n d Grundsätzen" der Zeit „gerade auch nach" 1945. Das wurde sofort als unhistorisch aufgespießt 61 bzw. als Anleitung zu einem „falschen Gesamtbild" kritisiert. 62 Der Streit zeigt ein dauerhaftes Problem der NS-Rechtsgeschichte. Denn der Jurist Echterhölter hat den Satz nicht so methodisch hart gemeint und seine Darstellung nicht so naiv unhistorisch durchgeführt, wie sein Satz klingt. Er begann chronologisch mit der „Umwälzung" 1933/34 und gliederte dann nach Sektoren des öffentlichen Rechts, was nicht unzeitgemäß ist, da sie im wesentlichen auch in Weimar vorlagen. Wesentlich war ihm freilich geschärfte Aufmerksamkeit für Grundfragen wie Grundrechtsberührung und -Wirkung, Rechtsstaatlichkeit, Rechtsschutz usw. - Punkte der Diktaturwirkung, die auch fast allen Späteren entscheidend waren. Daß sich j e d e Urteilsanalyse eine Fragestellung suchen muß und damit u. a. einen rechtlichen Erklärungsrahmen, wurde später eingeräumt. 6 3 Daß dieser in der Zeit liegen muß, versteht sich. Daß dies für die juristisch bewegte und kontroverse NS-Zeit zur Sackgasse werden kann, die einfach das Recht in Bewegung zur Erklärung nimmt, also nichts erklärt, versteht sich ebenfalls. Daraus wurde dann ein „ungelöstes methodisches Grundproblem der nützlichen Darstellung Echter-

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Soweit ich sehe bes. von Michael Stolleis in: Recht u n d Politik 7 (1971), S. 29, u n d durchgehend (Anm. 1). Michael Kirn, Verfassungsumsturz oder Rechtskontinuität?, Berlin 1972, S. 109f. Michael Stolleis (Anm. 1), S. 207f. (1985). Heiß diskutiert wurde die Frage ζ. B. an der methodisch bemerkenswerten Arbeit von Jens Luge, Die Rechtsstaatlichkeit der Strafrechtspflege im Oldenburger Land 1932-1945, Hannover 1993; aufschlußreich die bes. positive Rezension des Strafrechtshistorikers Thomas Vormbaum in: Osnabrücker Mitteilungen 99 (1994), S. 280 f.

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hölters" 64 - nicht n u r dieser. In der Sache war u n d blieb klar: Der normative Bezugsrahmen muß für die NS-Zeit offener bleiben als in ruhig abgeklärten Rechtssystemen. Die NS-Zeit zeigt weiter: Der Bezug darf auch kritisch sein, o h n e automatisch unhistorisch zu werden, da die Zeit selbst viel Kritikpotential barg. Man sollte also die Weimarer Rechtslage beachten, die vielfältig fortwirkte und Folie blieb, aber ebenso die neuangestrebte NS-Ordnung, die aber nicht per se sofort Recht war. Damit kann man dann Fortgang u n d Abkehr zeigen. Beide Perspektiven wären möglichst zu verbinden, sie sind aber auch für sich sinnvoll zu bearbeiten, wenn damit nicht einseitig ein „Gesamtbild" vorgegeben wird. Das „falsche Gesamtbild", das Kirn darin findet, war kein Gesamtbild, da der Blick explizit u n d leicht erkennbar beschränkt worden war. Die „Verfassung, die das Dritte Reich wirklich hatte" (Kirn), darzustellen, wäre ein anderes Unternehmen gewesen. Für die wichtige Umgestaltungsphase 1933-35 hatten Weinkauff, Echterhölter und besonders A. Wagner bereits viel gezeigt. So ist dann auch Echterhölters Leistung zu erkennen und mit Nutzen verwendbar. 3. Volksgerichtshof - Wolfgang Wagner Wolfgang Wagner legte 1974 seine völlig unentbehrliche Grundlegung zum Volksgerichtshof vor. Das Riesenwerk wurde lebhaft - 22 mal - in den Medien aufgenommen. Die dokumentarische Treue beeindruckte tief. „Vollständigkeit" wurde laut Vorwort angestrebt (S. 12). Das Zahlenmaterial in den Anlagen lieferte erstmals genauere Empirie. Methodisch schienen der genetische Aufbau und die Schilderung der Rechtsprechung nach Normen- oder Sachkomplexen keine Probleme zu bieten. Die Werkzeugthese war kaum noch erkennbar. Der Volksgerichtshof wurde als „von Anfang an politisches Gericht" vorgeführt, dessen Rechtsprechung „sich schließlich zu dem gnadenlosen Terrorismus Freislers steigerte" (S. 861). Er bedeutete damit auch eine „Entlastung der Justiz im Ganzen" (S. 853). Um so erstaunlicher mutet es an, wie gerade diesem Buch in jüngster Zeit seine Grenzen nachgewiesen wurden: ,Ausschnitthafte Wahrnehmung" der Kriegszeit 65 , ungesicherte Charakteristik der Sprache als ter64

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Michael Stolleis (Anm. 1), S. 207f.: gegen überzeitlichen Standard, gegen BRD-Projektion; andererseits zu Rechtsstaat doch ein Konsens zum Ideal, also zwar Konstrukt, aber doch ein normativer Rechtsstaatsbegriff der Zeit selbst anzuerkennen; dieser zu verwenden. So im ersten größeren Bericht aus einem systematischen Forschungsprojekt zum Volksgerichtshof von Klaus Marxen (Anm. 2), S. 20.

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roristisch66, Interpretation vom Ende her67. Das riesige Buch hat in der Tat erstaunliche Lücken. Urteile und Daten werden nicht systematisch oder in kontrollierter Auswahl analysiert. Dem Buch liegt das Bild des Volksgerichtshofs als Terrorinstrument zugrunde, das den Zeitgenossen vermittelt wurde und das für die Zeit nach 1942 überdeutlich belegt war. Darüber nahm es gegenläufige Aspekte und Argumente nicht wahr, die immerhin von zeitgenössischen Rezensenten vermerkt werden konnten. Der Rechtshistoriker Schwab meldete Zweifel an der Stimmigkeit von Wertungen und Stoff an 68 . Der amerikanische Historiker Sweet bewies die volle Neugier, Genauigkeit und Phantasie eines Historikers, stellte viele weiterführende Fragen und zeigte auf konkrete Schwächen. Wagner mache sich zum Gefangenen seiner Quellen, er frage nicht genug historisch und systematisch, es fehlten Gegentests der Daten, andere Verknüpfungen als die erwarteten, Interviews mit Betroffenen; rätselhaft bleibe, daß die Hälfte der angeklagten Ausländer gewesen seien und daß die Urteile so wenig veröffentlicht worden seien, das Gericht aber der Loyalitätssicherung und den Deutschen gegolten haben solle.69 Auch zum so heiklen Volksgerichtshof beginnt man also zu analysieren, statt in Bewältigung zu verharren. 4. Justizverwaltung - Lothar Gruchmann Gruchmann hat sich nach gut 40 Jahren, als Nichtjurist und Kind einer jüngeren Zeit, ausdrücklich aus der Bewältigungsperspektive gelöst (S. 4) und suchte bisherige „Fehlhaltungen" (S. 3) zu vermeiden. Seine monumentale Darstellung der Justizverwaltung bis 1940 - nicht der Justiz überhaupt, wie der Titel nahelegt, aber der Text klarstellt (S. 6) will Rechtswesen und Politik und Gesellschaft verbunden und in ihrer Dynamik zeigen. Das glatte Eis der Rechtsprechung betrat er nicht oder nur aus sicherer externer Sicht. Beim Gesetzgebungskapitel bleiben Zivilrecht und -prozeß, Arbeits-, Handels- und Wirtschaftsrecht, Öffentliches Recht u.a.m. fast ganz zugunsten von Strafrecht und Gerichtsverfassung ausgespart. Methodisch suchte er „an Beispielen in en-

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68

69

Ebd., S. 72. Ebd., S. 79; die Arbeit von Holger Schlüter zur Urteilspraxis (Anm. 2) unterstützt und erweitert das, vgl. dort S. 53f., 82f., 91, 92, 95. Dieter Schwab in seiner Sammelrezension in: Juristische Schulung 16 (1976), S. 132135. William Sweet in: Journal of Modern History 48 (1976), S. 352-356.

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ger Anlehnung an die Quellen" vorzugehen, „im wesentlichen empirisch u n d deskriptiv", da er so das Handeln am besten erfassen könne. In diesem großen intentional-explikativen Bezugsrahmen brachte er eine unentbehrliche Quellenuntersuchung unter. Dieser Band, der das alte Großprojekt offiziell zu Grabe trug u n d fern von sich hielt, erf u h r endlich Lohn u n d warme Zuwendung der Wissenschaft, der Medien u n d Mediatoren, von Bundespräsident Richard von Weizsäcker bis zu Bundesjustizminister Hans A. Engelhard. Aus der Rechtsgeschichte begrüßten es keine Geringeren als - alphabetisch - Friedrich Battenberg, Bernd Rüthers, Rainer Schröder, Werner Schubert, Michael Stolleis, Dietmar Willoweit, 70 daneben stehen die Spezialisten Dietmut Majer, Günter Spendel, Gerhard Werle. 71 Das fast einhellige Lob als Standardwerk kann hier n u r wiederholt werden. Die Genauigkeit, Quellennähe u n d dabei Übersichtlichkeit des Werks sind stupend. Dennoch - nach zehn Jahren sei ein Gedankenexperiment erlaubt: Ließe sich denken, daß auch dieses Werk nach 20 Jahren so streng kritisiert würde wie das von W. Wagner heute? Auch Gruchmanns Werk gibt - natürlich - einen Ausschnitt. Auch dieses Werk kann keine Quelle einfach für sich sprechen lassen, „so wie es eben war" (Gritschneder 72 ), weil es sie alle selbst erst zum Sprechen bringt. Was also ist die Aussage? Und was bedeutet es, daß die eigentliche Justiz, die Rechtsprechung, wieder fehlt, daß das Strafrecht im Zentrum steht, daß 1940 die Grenze bildet, daß die Vorgänge in Kategorien von Recht versus Politik beschrieben werden, die vielleicht weder ideologisch, noch real, noch zeitgemäß waren (so Werle, aber gewiß zu einseitig 73 ); vielleicht muß man auch fragen, was es bedeutet, daß die Tätigkeiten der Justizverwaltung nicht systematisch quantifiziert u n d so kontrolliert wurden. Das Experiment zeigt jedenfalls, daß die Geschichte weitergeht, aber auch: Fast alle Fragen betreffen die Erklärungsebene. Das war nach 70

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73

Friedrich Battenberg in: Archiv für hessische Geschichte 47 (1989); Bernd Rüthers in: Juristenzeitung 43 (1988), S. 1013f.; Rainer Schröder in: Kritische Justiz 22 (1989), S. 372-374; Werner Schubert in: Juristische Rundschau 1989, Heft 9; Michael Stolleis in: Historische Zeitschrift 249 (1989), S. 105-112; Dietmar Willoweit in: Die Verwaltung 1994, Heft 1. Dietmut Majer in: PVS-Literatur 4 (1990), S. 507-509; Günter Spendel in: Universitas (1990) S. 798 f.; Gerhard Werle in: Rechtshistorisches Journal 8 (1989), S. 120-130. Otto Gritschneder in der Süddeutschen Zeitung vom 8. 12. 1988 findet gerade darin den großen Historiker - eine ί3ςοη de parier, die gewiß nicht wördich genommen werden darf. Siehe oben zur Notwendigkeit, einen offeneren Rahmen zu wahren, nach Anm. 64.

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Gruchmanns dezidiertem Quellenbekenntnis zu erwarten. Daher kommt es auch, daß einige im ganzen nicht viel Neues darin fanden im ganzen, für die Justiz und den Nationalsozialismus überhaupt. Die ungeheure Genauigkeit und Fülle der Stoffverarbeitung ergab nicht von selbst neue Erklärungen, nicht einmal immer Wichtiges. Alfred Grosser hat dies einmal so galant wie pikant bemerkt. 74 Der Erklärungsrahmen Norm - Maßnahme von Fraenkel taugt wieder einmal, aber ohne die Zuspitzung auf Kapitalismus 75 wird diese Formel doppelbödig. Sie läuft dann darauf hinaus, daß die Politik das Recht überwältigt - nicht eben umwerfend, zumal kaum j e nur Norm oder nur Maßnahme vorliegen dürften und daher ihr Verhältnis von Interesse ist, nenne man es Maßnahme - Norm, oder NS - Normalität oder Politik - Recht. Auf einer stofflichen Ebene läßt sich Normales von Politischem scheinbar leicht trennen. Aber die Diktatur akzeptiert grundsätzlich keine Normalität, man ist Freund oder Feind, Recht ist politisch passend oder Feind. Es hat daher wenig Sinn, die Erklärungsebenen immer wieder gegeneinander auszuspielen, auf Normalität versus Diktatur zu bestehen und die Abgrenzungen zu suchen. Man sollte Fraenkels Kapitalismusrahmen verlassen und die Bestandteile von Diktatur und sog. Normalität systematisch verknüpfen. Zur Justiz müßte daher nicht nur endlich die Urteilswelt selbst untersucht, sondern diese auch mit den externen Bedingungen verknüpft werden, und wiederum nicht nur über allgemeine Richterhaltungen - eine freilich schwere Arbeit. Gruchmann hat sich mehr dem konkreten Wie und Wo gewidmet und dafür die sibyllinische Formel von „ A n p a s s u n g und Unterwerfung" schon in den Titel gesetzt. Sie läßt Spielraum für die ihm wichtige Beschreibung der Handlungen der Akteure, läßt aber zugleich scheinbar offen, wer wen unterwarf oder sich wem anpaßte. Wenn aber die Justizverwaltung (die Justiz selbst war nicht Gruchmanns Thema) auf dem besonders kritischen Felde, das hier untersucht wurde, sich anpaßte und eben darin sich unterwarf, so ist doch die Botschaft klar. Eben so meint es Gruchmann. Ohne jede Apologie dürfte er damit nicht so weit entfernt sein von den heute gelassener lesbaren Ergebnissen der ersten vier Teile des Unternehmens. Der Kreis schließt sich.

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Alfred Grosser, in: 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Statt einer Festschrift, Stuttgart 1975, S. 6-9. Dazu oben bei Anm. 38.

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Ergebnis

Justitias eigentliche Arbeit auf dem Weg von der Norm zur Entscheidung wurde die längste Zeit kaum wahrgenommen. Die ungeheure Masse der Urteilsarbeit wurde daraufhin wenig untersucht. Annahmen über die Justizfunktion blieben hochabstrakt. Das hängt zusammen mit der erstaunlich dauerhaften antiliberalen Einigkeit schon seit vor 1918 u n d bis weit nach 1945. Erst jüngst änderte sich das Interesse. Man begann, die Urteilsmassen systematisch empirisch für volle Zeiträume und Instanzen zu untersuchen. Vereinzelt unternahm man es auch, die juristische Entscheidungsarbeit selbst ebenso systematisch zu analysieren. Aber meist bewältigte man dabei vor allem das Braune daran u n d setzte so die Fragen der Entnazifizierung und Entlastung fort. Die frühen Konfrontationen mit verwerflichen Urteilen wurden vertieft. Die Geschichtsarbeit war Bewältigungsarbeit - aber selten im vollen Sinne von „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten". So hatte Sigm u n d Freud in dem hier meist zitierten Aufsatz von 1914 die drei „Techniken", wie er sagte, der Bewältigung einer psychischen Störung (hier: Verlust des geliebten NS-Objekts), der Uberwindung der Widerstände bis zur verdrängungsfreien Gesundheit (hier: in neuer Bewertung u n d vollerem Verstehen) genannt 7 6 . Für die Rolle der urteilenden Justiz erschienen immer wieder grausame Strafgerichte u n d Sondergerichte als pars pro toto. Auf welche Weise die Diktatur ihre Freunde urteilend verwaltete, wurde als normal u n d uninteressant beiseite gelassen. Aber was bedeutet in einer Diktatur normal? Dies wäre nach Ereignis u n d Struktur lohnend. Für das juristische Lebensdetail von gestern, ζ. B. in den Urteilen oder der alltäglichen Verwaltungsumsetzung, blieb so noch viel m e h r unbekannt liegen, als allgemeinhistorisch vorstellbar scheint. Am Ende verstellte man sich nicht n u r die geschichtliche Welt, sondern auch ein genaueres Verstehen dessen, was vorgegangen war und wie es möglich geworden war.

76

Sigmund Freud, in: Gesammelte Werke, Bd. 10, Frankfurt/M. 1976 u. ö., S. 126-136.

Bild 1: Eingang Reitmorstraße 29: Sitz des Instituts von 1949-1956

Bild 2: Gerhard Kroll (Generalsekretär des IfZ von 1949-1951)

Bild 3: Hermann Mau (Generalsekretär des IfZ von 1951-1952)

Bild 4: Besuch von Bundespräsident Heuss im IfZ am 3. Mai 1954: links von Heuss Paul Kluke (Generalsekretär des IfZ von 1953-1959); im Hintergrund Thilo Vogelsang

Bild 5: Möhlstraße 26: Sitz des Instituts von 1956-1972

Bild 6: Helmut Krausnick (Generalsekretär bzw. Direktor des IfZ von 1959-1972)

Bild 7: Besuch von Bundespräsident Lübke im IfZ am 25. Mai 1960: zweiter von links Anton Hoch, vierter von links Helmut Krausnick, fünfter von links Helmut Heiber, ganz rechts Kultusminister Theodor Maunz

Bild 8: Leonrodstr. 46 b: Sitz des Instituts seit 1972

Bild 9: Katalogzentrum

Bild 10: Lesesaal I

Bild 11: Aktenaushebung im Archiv

Bild 12: Martin Broszat (Direktor des IfZ von 1972-1989)

Bild 13: Besuch von Bundespräsident von Weizsäcker am 6. November 1987 (mit Martin Broszat)

Bild 14: Außenstelle Bonn des IfZ im Auswärtigen Amt, Adenauerallee 89 (seit 1990)

Bild 15: Außenstelle Berlin des IfZ, Finckensteinallee 85-87 (seit 1994; 1994-1996 in Potsdam)

Bild 16: Horst Möller (Direktor des IfZ seit 1992)

Michael Ruck Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP1: Metamorphosen eines editorischen Großversuchs /. J e tiefer sich Hitler während der beiden letzten Kriegsjahre in seinem Hauptquartier vergrub, desto souveräner vermochte Martin Bormann das zentrale Instrument politischen Einflusses im absoluten Führerstaat zu handhaben: die Kontrolle über den „Zugang zum Machthaber". 2 Sie wurde in dem Maße zur wichtigsten Machtressource, wie der sich darauf verlegte, das Großdeutsche Reich mit mündlichen „Führerbefeh1

2

Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verloren gegangenen Bestandes. Sammlung der in anderen Provenienzen überlieferten Korrespondenzen, Niederschriften von Besprechungen usw. mit dem Stellvertreter des Führers und seinem Stab bzw. der Partei-Kanzlei, ihren Amtern, Referaten und Unterabteilungen sowie mit Heß und Bormann persönlich, hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte, Teil I, München/Wien (R. Oldenbourg Verlag)/München u. a. (K. G. Saur) 1983: Regesten, Bd. 1, bearb. von Helmut Heiber unter Mitwirkung von Hildegard von Kotze/Gerhard Weiher/Ino Arndt/Carla Mojto, XXXII, 1042 S.; Regesten, Bd. 2, bearb. von Helmut Heiber unter Mitwirkung von Hildegard von Kotze/Gerhard Weiher, XII, 1096 S.; Register Bd. 1/2, bearb. von Helmut Heiber unter Mitwirkung von Volker Dahm/Hildegard von Kotze/Gerhard Weiher/Reinhilde Staude, 852 S.; Mikrofiches, 2 Bde. - Teil II, München u. a. (K. G. Saur) 1992: Regesten, Bd. 3, bearb. von Peter Longerich, mit einer Einleitung von Peter Longerich: Hitlers Stellvertreter, X, *283, 368 S.; Regesten, Bd. 4, bearb. von Peter Longerich, V, 659 S.; Register Bd. 3/4, bearb. von Peter Longerich, VI, 412 S.; Mikrofiches, 2 Bde. - Die Einleitung zu Teil II ist auch gesondert erschienen: Peter Longerich, Hitlers Stellvertreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die Parteikanzlei Bormanns. Eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte, München u. a. (Κ. G. Saur) 1992, V, 283 S. Carl Schmitt, Gespräche über die Macht und den Zugang zum Machthaber [1954]. Gespräch über den Neuen Raum, Berlin 1994, S. 17-20; vgl. schon ders., Der Zugang zum Machthaber, ein verfassungsrechtliches Problem [1947], in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, S. 430-439; vgl. dazu Lothar Gruchmann, Die „Reichsregierung" im Führerstaat. Stellung und Funktion des Kabinetts im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, in: Günter Doeker/Winfried Steffani (Hrsg.), Klassenjustiz und Pluralismus. Festschrift für Ernst Fraenkel zum 75. Geburtstag, Hamburg 1973, S. 187-223, hier S. 207, 222.

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len" zu regieren, die sein Intimus schriftlich weitergab.3 Gleichwohl war der Chef der Parteikanzlei keineswegs „der Mann, der Hitler beherrschte".4 Und weder er noch sein Vorgänger, der im Mai 1941 entflogene Stellvertreter des Führers (StdF) und Reichsminister Rudolf Heß, vermochten sich jemals wirklich zum hegemonialen Entscheidungszentrum unterhalb des Diktators aufzuschwingen. 5 Zwar konnte sich die Staatspartei des Dritten Reiches 1934/35 in Gestalt des StdF weitreichende Mitwirkungs- und Kontrollrechte auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Personalpolitik im öffentlichen Dienst sichern. 6 Doch im polykratischen Machtgefüge des NS-Staates brachen sich auch die Aspirationen der Parteikanzlei immer wieder an konkurrierenden Bestrebungen anderer Herrschaftsträger. Selbst auf dem Gipfelpunkt seines Einflusses, als das Dritte Reich 1944/45 in Agonie zu fallen begann, wurden dem Sekretär des Führers die Grenzen seiner teils geliehenen, teils usurpierten Macht drastisch vor Augen geführt. In seinem Standardwerk „Der Staat Hitlers" hat Martin Broszat die zwiespältige Stellung der Parteikanzlei und ihres Leiters im NS-Herrschaftsgefüge bereits 1969 in diesem Sinne umrissen. Einerseits wies er dort auf jene herausragende Stellung hin, welche deren Leiter gegen Ende des Krieges zu erklimmen vermochte: „Aber gerade einer [ . . . ] Wirkung dieses Führerprinzips, der persönlichen (amtsunabhängigen) 3

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Diese disparaten Weisungen hat Martin Moll unlängst der Forschung zugänglich gemacht: „Führer-Erlasse" 1939-1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik u n d Militärverwaltung, Stuttgart 1997. Jochen von Lang, Der Sekretär. Martin Bormann: Der Mann, der Hitler beherrschte, Mitarb. Claus Sibyll, Frankfurt am Main 2 1980 (zuerst Stuttgart 1977). Vgl. dazu eingehend Michael Ruck, Führerabsolutismus u n d polykratisches Herrschaftsgefüge - Verfassungsstrukturen des NS-Staates, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, Bonn/Düsseldorf 2 1993 (zuerst 1992), S. 32-56; ders., Zentralismus u n d Regionalgewalten im Herrschaftsgefüge des NS-Staates, in: Horst Möller u. a. (Hrsg.), Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen u n d lokalen Forschung u n d zum internationalen Vergleich, München 1996, S. 99-122; ders., Die deutsche Verwaltung im totalitären Führerstaat 1933-1945, in: Jahrbuch f ü r Europäische Verwaltungsgeschichte 10 (1998), S. 1-48. Siehe dazu ausführlich Longerich, Hitlers Stellvertreter (Anm. 1); vgl. J a n e Caplan, Government without Administration. State and Civil Service in Weimar and Nazi Germany, Oxford 1988, S. 160-164; Dieter Rebentisch, Führerstaat u n d Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung u n d Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S. 68-91; vgl. ferner Michael Ruck, Beharrung im Wandel. Neuere Forschungen zur deutschen Verwaltung im 20. Jahrhundert, Teil I / I I , in: Neue Politische Literatur 42 (1997), S. 200-256; ebd. 43 (1998), S. 67-112.

Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP

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Vollmacht, verdankte Bormann seine Sonderstellung. [. . .] Von dieser beherrschenden Stellung im Führerhauptquartier aus (nicht eigentlich als Chef der Parteikanzlei) wurde Bormann in den letzten Kriegsjahren zum Super- u n d Kontrollminister der Reichsregierung, während der Chef der Reichskanzlei, Lammers, gleichsam zum Boten Bormanns herabsank. [ . . . ] Bormann [ . . . ] übte mit Lammers' unterwürfiger Duldung in den letzten zwei Jahren des Regimes faktisch die Koordinierungsfunktion des Chefs der Reichskanzlei aus. Der Sekretär des Führers hatte die Regierung übernommen." Andererseits relativierte Broszat das politische Gewicht des „Braunen Hauses" in München u n d seiner Berliner Dependance: „Die Parteikanzlei der NSDAP blieb auch unter Bormann weit entfernt von der Stellung kommunistischer Politbüros. Das personalistische nationalsozialistische Führerprinzip mit seiner zwangsläufigen Tendenz zur Verselbständigung machtvoller Amtsinhaber u n d Unterführer verhinderte die Entstehung einer allmächtigen bürokratischen Führungszentrale." 7 Fünf Jahre später formulierte der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte wesentlich prononcierter: „Die Parteikanzlei (bis 1941 ,Stab Stellvertreter des Führers') hat nicht n u r - als Schaltstation f ü r Hitlers Weisungen wie auch in eigener Machtvollkommenheit - die Partei geleitet, sondern ihre Kompetenzen zunehmend ebenso auf praktisch alle staatlichen Bereiche u n d viele gesellschaftliche Institutionen ausgedehnt. Sie wurde damit zu einer maßgeblicheren Führungsinstitution als etwa die Reichskanzlei, deren erhalten gebliebene u n d im Bundesarchiv verwahrte Akten heute die wichtigste Quelle für Forschungen zur Geschichte des Dritten Reiches bilden." 8 Im Juni 1976 schließlich gab sich Broszat fest überzeugt, daß im Frühjahr 1945 mit dem Dritten Reich eine „singulare Provenienz" seiner schriftlichen Hinterlassenschaft untergegangen ist. Schließlich handele es sich bei der vernichteten Registratur der Parteikanzlei „um den Aktenbestand einer von Anfang an entscheidenden, in den letzten Jahren sogar omnipotenten Dienststelle des nationalsozialistischen Reiches". 9 7

8

9

Martin Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 1969., 141995, S. 393, 394f.; Hervorheb. von mir. Das Forschungsprojekt „Rekonstruktion der Akten der Partei-Kanzlei", 25.01. 1974, S. 1 (IiZ, Registratur, Bd. „P-K"). Antrag auf Förderung des zweiten dreijährigen Arbeitsabschnitts des Projekts „Rekonstruktion der Akten der Partei-Kanzlei 1933-1945" (Entwurf), 05. 06. 1976, S. 2 (Institut für Zeitgeschichte, München [IfZ], Registratur, Bd. „P-K", darin: DFG; Hervorheb. von mir). Fünf Jahre später behauptete Broszat noch dezidierter: .Auch der Reichskanzlei an Bedeutung weit überlegen, stellte die Partei-Kanzlei das politisch und histo-

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Im Juli 1972 hatte der frischbestallte Institutsleiter noch mit behutsameren Wendungen für eines seiner wichtigsten Vorhaben geworben: „Die zeitgeschichtliche Forschung hat immer wieder schmerzlich feststellen müssen, daß von den beiden zentralen Akten-Provenienzen der nationalsozialistischen Zeit n u r die eine, die der Reichskanzlei, erhalten geblieben ist, während die Bestände der mindestens ebenso wichtigen, wenn nicht wichtigeren Zentralstelle auf dem Parteisektor bis auf wenige Splitter verloren gegangen sind. Die Parteikanzlei [. . .] ist bekanntlich nicht nur Hitlers Schaltstation für die Parteiführung gewesen, sondern hat ihre Kompetenzen zunehmend auch auf staatliche u n d zahlreiche gesellschaftliche Institutionen ausgedehnt." 10 Offenbar bereitete es dem Initiator jenes monumentalen Editionsuntemehmens, dessen publizierter Niederschlag nach Einschätzung seiner Herausgeber seit n u n m e h r 15 Jahren „noch nicht richtig entdeckt" worden ist,11 einige Schwierigkeiten, dieses Vorhaben in einen konsistenten Begründungszusammenhang einzubetten. Dessen eingedenk, mag ein geraffter Uberblick über die wichtigsten Entwicklungsstadien dieses zwanzig Jahre währenden Projekts von Interesse sein (II.). Dann soll die Schlüsselfrage kurz bedacht werden, ob u n d inwieweit der zusammengetragene Quellenfundus tatsächlich „für die ganze künftige Geschichtsforschung über die NS-Zeit von bleibender Bedeutung" sein kann u n d wird, wie es dem spiritus rector dieses aufwendigen Großversuchs ursprünglich vorgeschwebt hat 12 (III.).

II.

Das Münchener „Parteikanzlei"-Projekt hat sich - ungeachtet besonderer Umstände des Einzelfalls - sowohl inhaltlich als auch organisatorisch in einer Weise entwickelt, welche in mancherlei Hinsicht typisch

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risch bedeutsamste Führungs- und Koordinationsorgan des NS-Regimes dar"; siehe IfZDirektor an DFG, 23. 09. 1981: Antrag auf weitere Förderung des Projekts „Rekonstruktion der Akten der Partei-Kanzlei 1933-1945" in den Jahren 1982/1983, S. 1 (ebd.). Auszug aus dem Projektantrag des I£Z-Direktors an die DFG v. 25. 07. 1972, abgedr. in: Das Forschungsprojekt „Rekonstruktion der Akten der Partei-Kanzlei", 25. Ol. 1974, S. If. (Anm. 8). Norbert Frei, Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, München 4 1996, S. 227 (zuerst 1987). Diese gleichsam IfZ-offiziöse Feststellung eines langjährigen engen Mitarbeiters von Martin Broszat trifft nach wie vor zu. Das Forschungsprojekt „Rekonstruktion der Akten der Partei-Kanzlei, 25. Ol. 1974, S. 2 (Anm. 8).

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ist für die Genese u n d den Ablauf derartiger Unternehmen - und dies wohl keineswegs n u r im Bereich der zeithistorischen Forschung. Sechs Entwicklungsphasen zeichnen sich ab: zunächst die Anbahnung (1969/70) und die Konzeption eines ambitionierten Großvorhabens (1970-1972); sodann der Versuch seiner planmäßigen Implementation (1973-1975), übergehend in wiederholtes Krisenmanagement (19761980); schließlich die pragmatische Verwertung einiger Zwischenprodukte (1980-1992), gefolgt von der Abwicklung der übrigen Hinterlassenschaft (Mitte 90er Jahre). Die Ursprünge des Projekts reichen bis in die späten sechziger Jahre zurück. Nach der Rückführung bedeutender Quellenbestände aus den USA hatte sich die Forschung wieder stärker der inneren Struktur des NS-Herrschaftsgefüges zuzuwenden begonnen. Anknüpfend an zeitgenössische Diskurse, 13 an die wiederentdeckten Klassiker Franz Neumanns und Ernst Fraenkels, 14 aber auch an bestimmte Überlegungen von Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer u n d Gerhard Schulz aus den späten fünfziger u n d frühen sechziger Jahren 1 5 , machten sich einige jüngere Historiker im erweiterten Umfeld des Instituts für Zeitgeschichte daran, die Funktionsweise des deutschen „Behemoth" (Fraenkel) im Lichte der neu gewonnenen Archivalien zu reinterpretieren. O b nun ausdrücklich oder unausgesprochen, geschah dies in kritischer Auseinandersetzung mit j e n e m idealtypischen Bild einer monolithischen Gewaltherrschaft über eine atomisierte, bis in die letzten Winkel kontrollierte, indoktrinierte u n d im Bedarfsfall terrorisierte Gesellschaft, welches die Totalitarismustheorie in den vierziger u n d fünfziger Jahren vom NS-Staat gezeichnet hatte. Dagegen wurde nun (wieder) die Annahme u n d Beobachtung gesetzt, daß es sich dabei um ein - m e h r oder minder - heterogenes Machtkonglomerat gehandelt hat. Dessen destruktiv-verbrecherische Dynamik wurde zunächst in erster Linie aus dem Spannungsverhältnis zwischen den traditionellen staatlichen Institutionen und den jeweiligen Konkurrenzorganisationen der politisch siegreichen NS-Bewegung ab1S 14

15

Vgl. Ruck, Zentralismus (Anm. 5), v. a. S. 99f. Franz Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, hrsg. und mit einem Nachwort „Franz Neumanns Behemoth und die heutige Faschismusdiskussion" von Gert Schäfer, Frankfurt am Main 19V4 u. ö. (amerik. 1942/1944); Emst Fraenkel, Der Doppelstaat. Recht und Justiz im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1974 u. ö. (amerik. 1941). Karl Dietrich Bracher/Gerhard Schulz/Wolfgang Sauer, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln/Opladen 1960, Frankfurt am Main 3 1974.

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geleitet.16 Dagegen ist schon frühzeitig eingewandt worden, aus der bipolaren Perspektive „Partei versus Staat" reduziere sich die offenkundige Heterogenität der Herrschaftsstrukturen des Dritten Reiches über Gebühr.17 Darüber hinaus werde vernachlässigt, daß Parteiorganisationen und öffentliche Verwaltungen strukturell, vor allem aber personell vielfach miteinander verschränkt gewesen seien, die NS-Bewegung zusehends den Charakter eines bürokratischen Apparates angenommen habe und die Fronten der inneren Machtrivalitäten häufig quer zu jener imaginären Hauptkampflinie verlaufen seien, welche das dichotomische Modell der NS-Herrschaft suggeriert. Seit Anfang der siebziger Jahre setzte sich diese polykratische Interpretation des Dritten Reiches weithin durch.18 Strittig hingegen sollte noch geraume Zeit die Frage bleiben, ob die hochgradig fragmentierte NS-Herrschaft das Werk des Diktators selbst oder zwangsläufiger Ausfluß der inneren Funktionslogik seines Regimes gewesen ist.19 In diesem diskursiven Kontext entstand Broszats „Staat Hitlers". Unverkennbar ist das Werk durch jenen grundlegenden Perspektivenwechsel der NS-Forschung geprägt, der sich in den Jahren um 1970 vollzogen hat. Zwar signalisiert der Titel noch Affinitäten zur monokratischen Interpretation der NS-Diktatur. Die Darstellung selbst argumentiert aber vorwiegend im Sinne dualistischer oder polykratischer Interpretationsansätze20 Diese Unentschiedenheit entsprang gutenteils der asymmetrischen Quellenüberlieferung. Broszat hatte sein Buch vornehmlich auf der Grundlage der Akten der Reichskanzlei geschrieben. 21 Erklärtermaßen waren ihm dabei immer wieder jene entgange16

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So etwa von Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933-1945, München 2 1971 (zuerst 1969); Jochen Klenner, Verhältnis von Partei und Staat 1933-1945. Dargestellt am Beispiel Bayerns, München 1974. Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966, S. 98. Vgl. etwa Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970; Peter Hüttenberger, Nationalsozialistische Polykratie, in: Geschichte und Gesellschaft 2 (1976), S. 417-442. Vgl. (mit weiteren Hinweisen) Ruck, Verwaltung im totalitären Führerstaat (Anm. 5). 6. Kapitel: „Partei und Staat in den Anfängen des Dritten Reiches"; 9. Kapitel: „Polykratie der Ressorts und Formen des Führerabsolutismus seit 1938"; siehe Broszat, Staat (Anm. 7). Broszat, Staat (Anm. 7), Einleitung, S. 10. Zu den Besonderheiten dieser zentralen, kaum Überlieferungsgestörten Provenienz vgl. eingehend Dieter Rebentisch, Reichskanzlei und Parteikanzlei im Staat Hitlers. Anmerkungen zu zwei Editionsprojekten

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nen Erkenntnischancen vor Augen getreten, welche der Verlust des zumindest aus „dualistischer" Perspektive — wichtigsten Komplementärbestandes heraufbeschworen hatte. 22 Noch als stellvertretender Direktor lancierte Broszat deshalb Anfang 1970 die ungewöhnliche Idee, den seiner Ansicht nach unverzichtbaren Quellenbestand im Institut für Zeitgeschichte (IfZ) neu erstehen zu lassen. Das muß recht spontan geschehen sein. Denn die konzeptionellen Vorarbeiten liefen erst an, nachdem der Wissenschaftliche Beirat im Frühjahr einen „Grundsatzbeschluß" gefaßt hatte. Spätere Bemerkungen damals Anwesender legen nahe, daß hier lediglich eine allgemeine Absichtserklärung der Institutsleitung billigend zur Kenntnis genommen wurde. 23 Durch diese vage Generalermächtigung beflügelt, stellte eine interne „Kommission Partei-Kanzlei" sogleich erste konzeptionelle Überlegungen an. Danach sollten zunächst aus diversen Empfängerüberlieferungen sämtliche Korrespondenzen mit dem StdF u n d der Parteikanzlei seit dem 21. April 1933 herauskopiert werden. Diese Sammeltätigkeit war einstweilen auf die Obersten Reichs- u n d Parteibehörden sowie die NSDAP-Gauleitungen zu beschränken, möglicherweise aber später nach unten auszuweiten. Eine „Publikation" der zusammengetragenen Dokumente sollte erst in Angriff genommen werden, nachdem die flächendeckende Quellensuche abgeschlossen u n d darüber hinaus geklärt sei, ob die aktuell nicht zugänglichen Personalakten in der Bundesrepublik und die einschlägigen Bestände in Archiven der DDR doch noch mit einbezogen werden könnten. 2 4 Dafür, daß in dieser Phase schon eine physische Rekonstruktion der Parteikanzlei-Akten beabsichtigt gewesen ist, fehlt jeder Beleg. Stattdessen wurde offenbar an eine kommentierte Auswahledition gedacht. Im übrigen schwebte Broszat wohl vor, Mitarbeitern wie „Kunden" des Hauses gezielte Recherchen in einer zwar weiterhin

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und zur Quellenkunde der nationalsozialistischen Epoche, in: Archiv für Sozialgeschichte 25 (1985), S. 611-633. Siehe den oben zit. Projektantrag v. 25. 07. 1972 (Anm. 10); vgl. den Fortsetzungsantrag v. 05. 06. 1976, S. 1 (Anm. 9). Protokoll der IfZ-Beiratssitzung v. 15. 03. 1973, Auszug zu TOP 1: Rekonstruktion der Akten der Parteikanzlei (vgl. Jahresbericht des IfZ 1972 III/4), S. 5-8, hier S. 5 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"). Der Versuch Broszats, mit politischer Unterstützung Bonns aus der seinerzeitigen DDR einschlägige Archivalien für das Pkzl.-Projekt auf dem Tauschweg zu beschaffen, scheiterte 1980/81 bereits im Ansatz; siehe dazu IfZ, Registratur, Bd. III A./1 Parteikanzleiprojekt; darin: Schriftverkehr und Notizen, Aktenmaterial aus der DDR betreffend.

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über viele Archive verstreuten, durch ein umfassendes Inventar aber gleichsam virtuell wiedererstandenen Registratur der Parteikanzlei zu ermöglichen. 25 Ebenso diffus wie diese konzeptionellen Vorentscheidungen blieben die personellen Dispositionen für das angedachte Riesenunternehmen. Einerseits sollten künftig alle Mitarbeiter des IfZ bei Recherchen in einschlägigen Beständen die Augen offen halten. Andererseits sollte ein „hauptamtliches Team" - bestehend aus Ino Arndt, Helmut Heiber u n d Hildegard von Kotze - dem neuen Vorhaben ein Viertel seiner Arbeitszeit widmen. 26 Erst im März 1971 wurde die Ad hoc-„Kommission Partei-Kanzlei" in eine feste Arbeitsgruppe umgewandelt. Nachdem ihr Direktor Helmut Krausnick förmlich „eine wichtige Institutsaufgabe in eigener Verantwortung" übertragen hatte, gab Heiber dem Drängen Broszats nach, die „federführende" Leitung der AG Parteikanzlei zu übernehmen. 2 7 Für das Vorhaben sollten externe Projektmittel mobilisiert werden. Um deren Volumen abschätzen zu können, bedurfte es einer fundierten Kalkulation des Personal- und Zeitbedarfs. Hiermit beauftragte die Institutsleitung eine weitere Kommission unter dem Vorsitz von Anton Hoch. 2 8 Der Archivleiter des IfZ griff bei dieser Gelegenheit zwei grundlegende Einwände auf, die bereits ein Jahr zuvor geäußert worden waren. Während der konstituierenden Kommissionssitzung hatten warnende Stimmen nicht n u r auf den unabsehbaren Umfang der Sammelarbeiten hingewiesen, sondern auch „weitere Schwierigkeiten" mit den betroffenen Archiven vorausgesagt. 29 Nachdem er sich zwischenzeitlich schon mit den vollendeten Tatsachen abgefunden hatte, kam Hoch unter Verweis auf die praktischen Erfahrungen, welche im Sommer 1971 bei ersten Proberecherchen gesammelt worden waren, nun abermals auf die früheren Warnungen zurück. Sowohl die „bisherige extensive Form des Projekts" als auch die unausgeräumten Vorbehalte des Bundesarchivs ließen es ihm dringend angeraten erscheinen, „im 25

26 27

28 29

Niederschrift über die Sitzung der Kommission „Partei-Kanzlei" am 16. April 1970 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"). Als vages Vorbild diente offenbar die Mitte der fünfziger Jahre unter Mitwirkung des IfZ erarbeitete, jahrelang vielgenutzte Erschließungskartei zu den Dokumenten des alliierten Kriegsverbrechertribunals in Nürnberg; vgl. Heiber, Einleitung zu Teil I (Anm. 1), S. XVI. Kommissionssitzung v. 16. 04. 1970 (Anm. 25). Aktenvermerk (AV) Heiber für Direktor Krausnick, 22. 03. 1971 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"). Ergebnisprotokoll der Kommissionssitzung v. 17. 05. 1971 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"). Kommissionssitzung v. 16. 04. 1970 (Anm. 25).

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Interesse des Instituts" doch noch eine restriktive „Änderung der Planung" vorzunehmen.30 Die Prophezeiungen der Bedenkenträger im Hause sollten sich rasch bestätigen. Zunächst jedoch wurden sie von Broszat und Heiber gemeinsam übergangen. Letzterer wischte das kritische „Memorandum" des Archivleiters schroff vom Tisch: „Das .Prestige' des Instituts hat noch ganz andere Dinge überstanden, und wir haben auch ,extensive' Projekte durchgeführt, bei denen die Notwendigkeit zumindest ebenso bestreitbar und der Ertrag im Verhältnis zum Aufwand eher noch zweifelhafter gewesen ist."31 Offenbar teilte sein Direktor diese Auffassung. Jedenfalls liefen die Vorarbeiten im vorgezeichneten Rahmen weiter. Schließlich wurde Ende Juli 1972 ein Antrag auf Komplementärfinanzierung bei der DFG eingereicht.32 Im Verlauf der Implementationsphase sah sich die Arbeitsgruppe Parteikanzlei von Beginn an immer wieder zu konzeptionellen Ad hoc-Entscheidungen gezwungen. Deren praktische Konsequenzen wiesen oftmals in verschiedene Richtungen. In der Summe behinderten sie nachhaltig die Entwicklung eines zielgerichteten, operationalen Arbeitsprogramms. So wurde am 20. November 1972 in die „Arbeitsrichtlinien ,Partei-Kanzlei'" folgender Passus eingefügt: „Nichtigkeiten (.Scheuerlappen') sollen in der Regel nicht aufgenommen werden, jedoch bleibt die Charakterisierung als Nichtigkeit Ermessensfrage, wobei eine nicht zu enge Beurteilung zugrunde gelegt werden soll."33 Sachliche Auswahlkriterien waren daraus schwerlich abzuleiten. Um so stärker wuchs der Druck, die Dokumentenflut über formale Ausgrenzungsmerkmale zu kanalisieren. Diesem Zweck sollte etwa die Regel dienen, nur noch ausdrücklich (auch) an den StdF und die Parteikanzlei adressierte Schriftstücke zu sammeln. „An die Herren Reichsminister" oder „An die Obersten Reichsbehörden" gerichtete Schreiben hingegen waren künftig zu ignorieren. Die „Unlogik" dieser Verfahrensweise stand den Projektmitgliedern durchaus vor Augen. Wußten sie doch selbst am besten, daß „die Anführung des Verteilers bei den einzelnen Ministerien manchmal recht will30

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AV Hoch, 14. 09. 1971 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"): Stellungnahme zum AV Heiber v. 08.09. 1971 (Anm. 31). AV Heiber für IfZ-Direktor [Krausnick] (über Stellv. Direktor [Broszat]), 08. 09. 1971 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"): Stellungnahme zum AV Hoch v. 07. 09. 1971 (nicht ermittelt). Projektantrag v. 25. 07. 1972 (Anm. 10). Fassung der Arbeitsrichtlinien „Partei-Kanzlei" nach den Beschlüssen der Kommissionssitzung vom 20. November 1972 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"; Hervorheb. von mir). Vgl. Heiber, Einleitung zu Teil I (Anm. 1), S. XIV.

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kürlich vorgenommen worden ist". Andererseits hatten sie mittlerweile erkennen müssen, daß die sachlich gebotene Verfahrensweise zu einer „unerträgliche(n) Vergrößerung des Projekts" führen müsse. 34 Die nächste Etappe auf dem Weg zu einer Entgrenzung der Projektagenda markiert die Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats im März 1973. Erstmals wurde das wissenschaftliche Beratungsgremium hier ausführlicher mit der Absicht des neuen Direktors bekannt gemacht, die „Rekonstruktion der Akten der Parteikanzlei" als eines von drei „längerfristigen Schwerpunktprogrammen" des Instituts zu fördern. 35 Wunschgemäß bestätigten ihm die Anwesenden nicht nur „einmütig", daß es sich hierbei „um ein besonders wichtiges Vorhaben" handle. Sie ließen ihm auch völlig freie Hand bei dessen inhaltlicher Konkretisierung. Einzig der Münchener Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt mahnte ein präzisiertes „Tableau der Erkenntnisziele" an. Dieser Vorstoß war ebenso vergeblich wie berechtigt. Ohne Widerrede konnte Broszat dagegenhalten, „daß die Rekonstruktion der Akten der Parteikanzlei ganz bewußt nicht auf bestimmte Sachgegenstände und Bereiche beschränkt sei, sondern es wesentlich gerade darum gehe, den Gesamtumkreis der Tätigkeit der Parteizentrale in ihrer Entwicklung und charakteristischen Funktionsvermehrung zu erfassen". Überdies werde es unmöglich sein, bis zur nächstjährigen Sitzung schon genauer „abzumessen, welche inhaltlich neuen Erkenntnisse und Forschungsansätze sich aus der Materialsammlung vor allem ergeben" könnten - „wenngleich es natürlich darauf ankomme, zu gegebener Zeit aus dem Sammelprojekt weiterführende Untersuchungen zu entwickeln". Im übrigen wurden im Beirat die Weichen auf Expansion gestellt. Eingangs hatte der Direktor bereits en passant mitgeteilt, daß die drei beteiligten Institutsmitarbeiter während der kommenden acht Jahre ihre Arbeitszeit knapp zur Hälfte auf das Vorhaben konzentrieren sollten. Dann gab Karl Dietrich Erdmann das Signal zu einer doppelten Entgrenzung. Dem Votum des einflußreichen Historikers aus Kiel kam ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn fraglos waren seine Interessen als Herausgeber der Edition „Akten der Reichskanzlei" ganz unmittelbar berührt. Doch augenscheinlich erblickte Erdmann in dem IfZ-Projekt keine Konkurrenzveranstaltung, sondern eine Ergänzung seines ei34

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Ergebnisprotokoll der Kommissionssitzung v. 07. 03. 1973 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"). Vgl. Heiber, Einleitung zu Teil I (Anm. 1), S. XV. IfZ-Beiratssitzung v. 15. 03. 1973 (Anm. 23; Hervorheb. von mir). Die beiden anderen Schwerpunkte waren die „Emigrationsforschung" und die „Editions- und Forschungsprogramme zur Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik".

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genen Großunternehmens. Denn er unterstützte das „auch methodisch außerordentlich interessant(e)" Vorhaben nicht n u r mit Nachdruck. Darüber hinaus legte er dessen Leitung nahe, „über die zentralen Reichsressorts hinaus auch die Länderebene" möglichst weitreichend in die Quellenerhebung mit einzubeziehen. Überdies empfahl Erdmann, das gesammelte Material jeweils unverzüglich durch Regesten zu erschließen, die später publiziert werden könnten. Diese Wortmeldung bot dem Institutsdirektor die willkommene Gelegenheit, sich eine folgenreiche Erweiterung des Arbeitsprogramms vom Beirat absegnen zu lassen. „Parallel zur Sammeltätigkeit (finde) laufend die Regestierung statt", ließ Broszat seinen Vorredner n u n wissen. Im Hause „(sei) eine Regestenkartei im Entstehen, die die Grundlage auch für eine spätere Veröffentlichung eines Gesamt-Index' darstelle (n)" werde. Der anwesende Präsident des Bundesarchivs erhob keinen Einspruch. Stattdessen unterstrich Hans Booms die Notwendigkeit, „zu gegebener Zeit aus dem Sammelprojekt weiterführende Untersuchungen zu entwickeln". Schließlich ließ Hans Rothfels als Vorsitzender des Beirats „allgemeine Ubereinstimmung in bezug auf die Priorität der Erschließung der PK-Akten" protokollieren, „wohingegen die Editionspläne u n d ggfs. sich anschließende Forschungsvorhaben noch kaum spruchreif seien". Auf dieser Grundlage formulierten Broszat u n d seine Projektgruppe Mitte Juli 1973 gemeinsam ein umfängliches Arbeitsvorhaben. Angestrebt wurde jetzt ein „nicht-selektives Gesamtverfilmungsprogramm unter eventueller Reduzierung bestimmter Archiv-Provenienzen [. . .] u n d unter Einbeziehung der beiden [Regesten-]Karteien". Dafür hatte in erster Linie Broszat plädiert. Denn auf diese Weise werde „eine ,KunstProvenienz' hergestellt, die n u r im IfZ vorhanden ist und n u r dort bestellt werden kann". Hier kollidierte aber das institutionelle Interesse des Direktors mit den professionellen Ambitionen seines Projektleiters. Als Broszat unvermittelt zu verstehen gab, daß „die bisher erörterte u n d noch in der letzten Arbeitsbesprechung ausdrücklich beschlossene Buchpublikation [.. .] jetzt nicht mehr als die zwingende Editionsform angesehen" werden solle, erhob Heiber sogleich Einspruch. Denn „für ihn als Bearbeiter (würde) es nicht recht befriedigend sein, lediglich f ü r Verfilmungen [Dokumente] auszuwählen". Er beharrte deshalb auf einer gedruckten „Auswahl-Edition", deren Konzeption sich an den .Akten zur deutschen auswärtigen Politik" (ADAP) zu orientieren habe. 36 56

Ergebnisprotokoll über die Sitzung der Kommission .Aktenedition Partei-Kanzlei" am 17. Juli 1973 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"). Danach auch das Folgende; Hervorheb. von mir.

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Daraufhin brachte der beigezogene Archivleiter die Belange seiner Abteilung zusätzlich ins Spiel. Bislang waren die Regesten vornehmlich vom Archivpersonal angefertigt worden. Mit Blick auf die n u n m e h r geplante Veröffentlichung insistierte Hoch darauf, die Arbeitsgruppe künftig stärker an dieser Arbeit zu beteiligen. Kurzerhand wurde ihr die Redaktion ganz übertragen. Allein schon hierdurch e r f u h r das Programm eine beträchtliche Erweiterung. Doch damit nicht genug. Aus der laufenden Diskussion heraus entwickelte der Institutsdirektor „den spontanen Vorschlag einer mehrbändigen Inventarisierung in einem Regestenwerk durch den betreffenden Angehörigen der Arbeitsgruppe". Zwar wurde dieses „Problem noch nicht ausdiskutiert". De facto hatte die hochsommerliche Zusammenkunft jedoch einen kumulativen Kompromiß zwischen Institutsleitung, Projektgruppe u n d Archiv erbracht, dessen Folgekosten das gesamte Unternehmen mit kaum zu bewältigenden Herausforderungen konfrontieren sollten. Dabei hatte Hoch einen weiteren Versuch unternommen, die immer breitere Kluft zwischen dem Wünschbaren u n d dem Machbaren pragmatisch schließen zu helfen. Bei der Regestierung war ihm entschieden „zu viel Unbedeutendes" untergekommen. Er plädierte deshalb dafür, erstens der weiteren Quellensuche strengere Auswahlkriterien zugrunde zu legen u n d zweitens das Vorhaben einer „Gesamtverfilmung" zugunsten einer .Auswahl-Edition" aufzugeben. Im übrigen setzte sich der Archivleiter dafür ein, die gesammelten Dokumente nicht einfach chronologisch aneinanderzureihen, wie dies Broszat u n d Heiber übereinstimmend f ü r richtig hielten. Statt dessen hielt er „eine sachliche Gruppierung der Dokumente" auf der Grundlage eines Aktenplanes der Parteikanzlei für erforderlich, der womöglich anhand von Diktatzeichen rekonstruiert werden könne. Dieses Ansinnen wurde vom Institutsdirektor u n d der Projektgruppe rundheraus verworfen. Beide ließen n u r ein einziges Auswahlkriterium gelten: die formale „Partei-Kanzlei-Beteiligung", ohne Rücksicht auf die jeweiligen „Sachbezüge". Doch die Entscheidungen vom Juli 1973 hielten den Erfahrungen der praktischen Arbeit nicht lange stand. Nur wenige Monate später mußte das ungefüge Konzept abermals revidiert werden. Ende Januar 1974 setzte das Institut die DFG von „einer wesentlichen u n d - wie wir glauben - vorteilhaften Änderung" der „Gesamtplanung des Projekts" in Kenntnis. 37 Eine „Gesamtpublikation der gewonnenen Partei-Kanzlei-Akten" stand nicht m e h r länger zur Debatte. Den Anstoß für diese 37

Bericht v. 25. Ol. 1974, S. 4 (Anm. 8).

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Umdisposition hatten sowohl der große „Umfang des gewonnenen Materials" als auch die unverkennbare „Gefahr" gegeben, „mit einer solchen, vermutlich n u r als Mikrofilm möglichen Gesamtedition in eine letztlich sterile ,Dokumentitis' zu verfallen". Mittlerweile habe sich herausgestellt, daß es doch „erheblich sinnvoller" sei, „nicht die Dokumente selbst in toto" zu publizieren, sondern den Münchener Kopienbestand durch ein neu „zu erarbeitendes Inventarium" zu erschließen. Die - angeblichen - „Vorteile der neuen Lösung" hatten freilich ihren Preis: ein volles Jahrzehnt wurde dem, mittlerweile hauptamtlich tätigen, Bearbeiterteam n u n m e h r eingeräumt, um das Gesamtvorhaben abzuschließen. 38 Dieser Teilrückzug half dem Projekt im Sommer 1975 mit Blessuren über die Hürde des ersten Verlängerungsantrages bei der DFG. 39 Die konzeptionellen Ungereimtheiten des gesamten Unternehmens jedoch schaffte er keineswegs aus der Welt. Folgerichtig kam im Frühjahr 1976 die „erste Inventariumskrise" über die Beteiligten. Unter dem Druck der unabweisbaren Erkenntnis, „daß wir mit den vorhandenen Kräften nie zum Ende kommen würden", entwarfen der Institutsdirektor u n d sein Projektteam „ein Notprogramm: Bd. 1 abschließen, den gesamten Rest in einem zweiten Band irgendwie zusammenraffen". 4 0 Im Herbst 1978 würde die DFG über den nächsten Verlängerungsantrag zu entscheiden haben. Bis dahin mußte der erste Band unter allen Umständen auf dem Markt sein. Anderenfalls wären die Probleme des aufwendigen Schlüsselprojekts kaum länger nach innen und außen zu kaschieren gewesen. Um dies zu verhindern, wurde ein neuer Bearbeiter eingestellt. Gerhard Weiher erfüllte zwar die in ihn gesetzten Erwartungen. Trotzdem geriet das Projekt Ende 1977 in erneute Turbulenzen. Vor allem auch, weil sich n u n verstärkter Widerstand von außen formierte. Die eingeworbenen DFG-Mittel kamen aus einem Sonderprogramm des Stifterverbandes der deutschen Wirtschaft zur Förderung archivischer Erschließungsarbeiten. Am Vorabend der ersten Ölkrise 38 39

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IfZ (gez. Heiber) an DFG, 19. 08. 1975 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"; darin: DFG). Dem auf drei Jahre angelegten Verlängerungsantrag des IfZ v. 08. 07. 1975 wurde zunächst nur mit zwei gekürzten Einjahresbewilligungen v. 16. 12. 1975/22. 10. 1976 entsprochen; vgl. Antrag auf eine weitere Teilförderung des Projekts „Rekonstruktion der Akten der Partei-Kanzlei 1933-1945" [1980-1982], 09. 10. 1979, S. 1 (IfZ, Registratur, Bd. III A . / 1 Parteikanzleiprojekt; darin: Korrespondenz und Notizen im Zusammenhang mit der Förderung durch die DFG). AV Heiber für IfZ-Direktor [Broszat], 13. 12. 1977 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"); vgl. den AV über die Besprechung des Direktors mit dem Arbeitsstab Partei-Kanzlei am 12. 5. 1976 (ebd.).

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aufgelegt, war dessen Volumen im Zeichen der wirtschaftlichen Turbulenzen 1974/75 alsbald wieder drastisch beschnitten worden. Um so argwöhnischer blickten die interessierten Archive auf die ausgreifenden Aktivitäten der Münchener Konkurrenz. Wenn Heiber das IfZ-Projekt „gewissermaßen von hungrigen Löwen umstellt" wähnte, so traf er damit durchaus diesen Teil seines Problems. 41 Wohl gelang es vorerst, die DFG unter Verweis auf die drohende Entwertung ihrer „bisherigen Investitionen" für eine zweite Drei-Jahres-Finanzierung zu gewinnen. 42 Die Bedenken der Archivare wurden dadurch freilich eher noch verstärkt. Inhaltlich konzentrierten sich deren Einwände auf vier „Probleme": erstens auf das zweifelhafte „Verhältnis von Aufwand u n d Nutzen" des unkonventionellen Rekonstruktionsversuchs; zweitens auf den „Vollständigkeitsgrad, der sich bei einer .Aktenrekonstruktion' überhaupt erreichen" lasse; drittens auf die fließende „Grenze zwischen vorbereitender, inhaltlicher Erschließung von Dokumenten und ihrer Auswertung durch die Forschung"; viertens auf die „Gefahr, daß eine zu detaillierte Erschließung an Wert verliert, wenn sich die Gesichtspunkte u n d Fragestellungen im Laufe der Zeit zwangsläufig verändern". 4 3 Diese Vorbehalte mußten ernstgenommen werden. Zielten sie doch allesamt in die Richtung dessen, was Archivleiter Hoch schon von Beginn an intern moniert hatte. Um sein Projekt dagegen abzuschirmen, betonte Heiber mit wachsendem Nachdruck dessen Ausnahmecharakter. Im Mai 1975 hatte er noch eher defensiv versichert: „Von der Methode u n d der Erschließungstiefe her sei dieses Vorhaben sicher kein Modell, beim Charakter des Bestandes aber zu rechtfertigen." 44 Drei Jahre später formulierte er wesenüich forscher: „Unsere Arbeit beansprucht keinen Modellcharakter, sie erscheint uns einzig u n d allein der für ihre Zeit singulären Bedeutung der Partei-Kanzlei angemessen." 45 Inzwischen war jedoch immer deutlicher geworden, daß die

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IfZ an DFG, 19. 08. 1975 (Anm. 38). IfZ an DFG, 19. 08. 1975 (Anm. 38); vgl. ebenso IfZ (gez. Heiber) an Dr. Fridolin Dreßler, Generaldirektor der Bayerischen Staadichen Bibliotheken, München, 21. 11. 1978 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"; darin: DFG). Die Mitte 1975 angestrebte Übertragung des Projekts auf das reguläre Antragsverfahren der DFG kam nicht zustande, weil es sich dabei eben (noch) nicht um ein inhaltliches Forschungsvorhaben handelte. Zusammenfassender Bericht des Bibliotheksreferats der DFG über die Besprechung [in Bad Godesberg] am 27. 05. 1975 (Auszug) (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"; darin: DFG); vgl. dazu DFG an Heiber, IfZ, 24. 03. 1975 (ebd.). DFG-Besprechung v. 27. 05. 1975 (Anm. 43). Heiber an Dreßler, 21. 11. 1978 (Anm. 42). Demgegenüber nahm Broszat für sein Projekt später sehr wohl in Anspruch, methodisch „ein Modell für vergleichbar wichtige

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Münchener keineswegs n u r Material für ein großangelegtes Darstellungsvorhaben sammelten, sondern die flächendeckende Erschließung der Archivbestände um ihrer selbst 46 u n d um des Aufbaus einer neuen Provenienz in ihrem Hause willen betrieben. In den Archiven stießen sie daher auf m e h r u n d mehr Schwierigkeiten. Gleichzeitig verschärften sich die „grundlegenden Meinungsverschiedenheiten" zwischen den Gutachtern des DFG-Sonderprogramms u n d dem IfZ über die Sinnhaltigkeit dieser „Intensiverschließung der Parteikanzlei-Akten" in bedenklicher Weise. 47 Angesichts dieser Widerstände hielt es der Projektierter im Dezember 1977 für aussichtslos, die Materialrecherchen in großem Stil weiterführen zu wollen. Deshalb und mit Blick auf den drohenden Wegfall der DFG-Beihilfe Ende 1978 48 unterbreitete Heiber seinem Institutsdirektor - als einzig praktikable Alternative zur sofortigen Einstellung aller Projektarbeiten - das erwähnte „Notprogramm". Lapidar erklärte sich Broszat mit dieser „Kursänderung" „grundsätzlich einverstanden". 49 Im Herbst 1979 eröffnete der Direktor seinem Institutsrat, daß der auf 275000 Blatt angewachsene Kopienbestand erst zu einem Drittel für das geplante Inventar erschlossen sei. Bis zu dessen Publikationsreife würden noch drei Jahre ins Land gehen. O b aus dem Kopienfundus eine „Teiledition" erarbeitet werden solle, stehe noch dahin. 5 0 Überdies erschien die personelle Ausstattung des Parteikanzlei-Projekts mittelfristig nicht m e h r gesichert. Und dessen Leiter gedachte sich endlich wieder einem älteren Forschungsvorhaben zuzuwenden. So taxierte Heiber die Restbearbeitungszeit für den Gesamtbestand n u n auf mindestens ein Jahrzehnt. Eine utopische Vorstellung! Broszat u n d er kamen deshalb überein, n u r die beiden ersten Bände des Inventars zu veröffentlichen u n d den (größeren) Rest der kopierten Dokumente lediglich einer archivalischen Groberschließung zu unterwerfen.

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Aktenkomplexe" darzustellen; siehe DFG-Antrag v. 09. 10. 1979, S. 3 (Anm. 39); vgl. DFG-Antrag v. 23. 09. 1981, S. 3 (Anm. 9). Im Frühjahr 1978 stellte der IfZ-Direktor nochmals ausdrücklich fest, daß es sich bei dem „Partei-Kanzlei-Inventarium [. . .] nicht um eine Publikation, sondern um ein erweitertes Findmittel f ü r Archivbestände (handle)"; siehe AV Heiber, 21. 03. 1978 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"). DFG an IfZ-Direktor Broszat (ζ. Κ Heiber), 27. 07. 1978 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"; darin: DFG). Allen internen Befürchtungen zum Trotz bewilligte die DFG am 05. 01. 1978 abermals eine zweijährige Beihilfe f ü r 1978/79; vgl. IfZ-Antrag v. 09. 10. 1979 (Anm. 39). Handschriftl. Notiz Broszat auf AV Heiber v. 13. 12. 1977 (Anm. 40). Protokollauszug „Direktor vor Institutsrat Herbst 79" (IfZ, Registratur, Bd. „P-K").

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Diese Idee lehnte der nunmehrige Beiratsvorsitzende Erdmann aber strikt ab: „Das Unternehmen der Sammlung der Partei-Kanzlei-Akten sei einmalig und viel zu wichtig, ohne Erschließung aber praktisch nutzlos", hielt er am 6. März 1980 unter Zustimmung der versammelten Beiratsmitglieder dagegen. „Das Inventar könne daher nicht als Ruine hinterlassen werden." Außerdem „würde dies [. . .] den schlechten Eindruck machen, daß dem Institut ,die Puste ausgegangen' sei".51 Es wurde beschlossen, „die Arbeiten am Inventar auf j e d e n Fall" fortzusetzen. Die weitgehend fertiggestellten Bände 1 und 2 sollten 1981, die imaginären Bände 3 und 4 „nach einigen Jahren in kurzem Abstand" veröffentlicht werden. O b es dazu jemals kommen würde, schien eher unwahrscheinlich. Erdmann wußte das sehr wohl. Doch der Beiratsvorsitzende hatte unmittelbar zuvor gegenüber Broszat und Heiber die Parole ausgegeben: „Wichtig sei allein [ . . . ] , daß das Inventariumsprojekt überhaupt am Leben bleibe." 52 Mit seinem Beschluß vom März 1980 setzte sich der Wissenschaftliche Beirat über eine Auflage der zuständigen DFG-Kommission hinweg, den gesamten Kopienbestand mit einem chronologischen Inventar zu erschließen. „Als Historiker könne er praktisch ebenso gut mit vier wie mit einem Register arbeiten", bemerkte Erdmann dazu. „Die Verzögerung der Herausgabe erster Inventarteile sei die einheitliche Chronologie nicht wert." Er werde persönlich darauf dringen, daß aus Bonn kein Veto gegen die jetzt gefundene Lösung mehr komme. 53 Tatsächlich wurde einem weiterem Finanzierungsantrag für die Jahre 1982/83 ohne entsprechende Auflagen stattgegeben. 54 Augenscheinlich hatte die massive Rückendeckung des Beirats seine Wirkung ebenso getan wie der unmißverständliche Hinweis des Institutsdirektors, „daß ein Projekt dieser Größenordnung und mit so beträchtlichem Finanzierungsanteil seitens der DFG sozusagen unter absolutem Erfolgszwang" stehe."55 Dieser Maxime folgend, richteten sich seit dem Frühjahr 1980 alle Anstrengungen des IfZ darauf, aus den bisherigen Vorarbeiten mög51

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Ergebnis von Tagesordnungspunkt 1 (Projekt Partei-Kanzlei) der Beiratsausschußsitzung am 6. 3. 1980 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"). AV Heiber, 11. 03. 1980: Besprechung mit Direktor Broszat und Beiratsvorsitzendem Erdmann vor der Beiratssitzung am 06. 03. 1980 (IfZ, Registratur, Bd. „P-K"; Hervorheb. von mir.) Beiratsausschußsitzung V. 06. 03. 1980 (Anm. 51). Später wurde noch eine kleinere Abschlußfinanzierung für die Jahre 1984/85 genehmigt; siehe DFG an IfZ, 28. 02. 1984 (IfZ, Registratur, Bd. III A./l [Anm. 39]). DFG-Verlängerungsantrag v. 23. 09. 1981, S. 7 (Anm. 9).

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liehst viele vorzeigbare Zwischenprodukte zu gewinnen. 56 Im Zusamm e n h a n g dieser konstruktiven Abwicklung wurde 1981/82 unvermittelt die Idee geboren, den geplanten Regestenbänden die darin erschlossenen Dokumente jeweils auf Microfiches beizugeben. 57 In Bonn stieß diese beiläufige Mitteilung sofort auf Kritik. Die Mitglieder des Archivausschusses der DFG warnten dringend davor, die rudimentäre Dokumentenauswahl in einer solchen Form als vermeintlich geschlossenen Quellenbestand zu publizieren. 58 Und der zuständige Referent warf seinerseits die besorgte Frage auf, „ob durch die Veröffentlichung der Dokumente selbst neben den Regesten u n d dem Register nicht die bisherige Arbeit teilweise entwertet" werde - mithin „der ganze Aufwand für die Herstellung der Regesten eigentlich hätte unterbleiben können" u n d die „mehljährigen h o h e n Investitionen" der DFG praktisch in den Sand gesetzt worden seien. 59 Der Adressat dieser kritischen Nachfragen gab sich ganz unbeeindruckt. Werde doch „erst durch die Kombination der Druck-Veröffentlichung der Regesten mit der Mikrofiche-Edition [ . . . ] für die nationale u n d internationale Wissenschaft eine wirklich optimale Zugänglichmachung u n d Erschließung der mit soviel Schweiß zusammengebrachten Sammlung ermöglicht". 60 Broszat konnte diese Behauptung im Vertrauen darauf aufstellen, daß die opponierenden Archivsprecher allein schon aus Rücksicht auf die Interessenlage der DFG ihre implizite Drohung nicht wahrmachen würden, die im Gange befindliche Publikation unter Rekurs auf die urspünglichen Kopierbedingungen zu stoppen. Tatsächlich kamen die beiden ersten Regestenbände Ende 1983 auf den Markt, u n d auch die dazugehörigen Microfiches konnten ungehindert erscheinen. Das „eisige (n) Schweigen" der Archivare dazu - von Heiber bitter vermerkt 61 - wurde lediglich von einer knappen Danksagung aus Koblenz durchbrochen: „Als Archivar darf ich mir auch die Bitte erlauben", quittierte ein Abteilungsleiter des Bundesarchivs das eingekommene Belegex56

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In diesem Sinne besonders deutlich AV Broszat für Heiber, 02. 10. 1981 (IfZ, Registratur, Bd. III A./1 [Anm. 39]). Bericht über den Stand der Arbeiten zum 30. September 1982 (gez. Heiber), 21. 09. 1982 (IfZ, Registratur, Bd. III A . / l [Anm. 39]). Vermutlich tauchte dieser Gedanke während der Verlagsverhandlungen auf. DFG an IfZ-Direktor, 02. 12. 1982 (IfZ, Registratur, Bd. III A./1 [Anm. 39]). DFG an IfZ-Direktor, 02. 12. 1982 (Anm. 58). IfZ-Direktor an DFG, 20. 12. 1982 (IfZ, Registratur, Bd. III A . / 1 [Anm. 39]). Heiber an Dr. Maria Keipert, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, 08. 05. 1984 (IfZ, Registratur, Bd. III A./1 [Anm. 39]).

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emplar mit schmalen Lippen, „Benutzern gegenüber auch in Zukunft stets darauf aufmerksam zu machen, daß Ihr Werk an archivalische Quellen heranführen, nicht aber das Quellenstudium in Archiven ersetzen soll."62 Wohl auch, um die Archive nicht weiter zu vergrätzen, hatte Broszat von vornherein darauf verzichtet, das durchaus eindrucksvolle Produkt einer vielschichtigen Notlage groß herauszustellen. Gleichsam „unter Ausschluß der Öffentlichkeit" habe man sein Werk herausgebracht, stellte Heiber tief enttäuscht fest, und nur ein einziges Rezensionsexemplar sei bewilligt worden.63 Die spektakuläre Edition wurde denn auch von der Fachwelt kaum zur Kenntnis genommen. Nur eine Handvoll Besprechungen ist dokumentiert.64 Dazu zwei Generalkritiken unmittelbar betroffener Archivare. Im Hauptorgan ihrer Zunft machte Josef Henke vom Bundesarchiv vor allem auch seinem „Unverständnis" darüber Luft, daß Heiber und sein Team den Koblenzer Bestand „Partei-Kanzlei der NSDAP" bei der Arbeit an ihrer „Kompilation" ausdrücklich nicht konsultiert hatten. 65 Und Peter Dohms vom Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf attestierte den früheren Konkurrenten um die knappen Sondermittel der DFG, ganz abgesehen von der „Torsohaftigkeit des ganzen Unternehmens" hätten sie allein schon infolge methodischer Fehlentscheidungen „das angestrebte Ziel einer umfassenden Ersatzdokumentation (.Rekonstruktion')" vollkommen verfehlt.66 Diese Fundamentalkritik war in mancherlei Hinsicht nicht von der Hand zu weisen. Gleichwohl fuhr im IfZ ein neuer Bearbeiter unverdrossen damit fort, Zehntausende weiterer Dokumente aus dem Mün62 63

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Bundesarchiv an Heiber, IfZ, 06. 01. 1984 (IfZ, Registratur, Bd. III A . / 1 [Anm. 39]). Heiber an Keipert, 08. 05. 1984 (Anm. 61). Die Gesamtauflage dürfte sich einer Kurzmeldung des „Spiegel" von 1983 (Rubrik „szene") zufolge auf etwa 250 Exemplare belaufen haben; siehe undatierten Ausschnitt (IfZ, Bd. AdP - Hausarchiv). Eher skeptisch: Karl Teppe, in: Das Historisch-Politische Buch 32 (1984), S. 129f.; Andreas Hillgruber, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 36 (1985), S. 211. Verhalten positiv: J. Kloosterhuis, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 37 (1985), S. 207f. Uneingeschränkt positiv: Jürgen Heideking, in: Historisches Jahrbuch 105 (1985). Trotz einzelner Kritikpunkte voll des Lobes auch Rebentisch: unverzichtbare „Enzyklopädie, die ohne Umschweife mit dem Prädikat .monumental' versehen werden darf'; ders., Reichskanzlei und Parteikanzlei (Anm. 21), S. 613. Josef Henke, in: Der Archivar 39 (1986), S. 105-107. - Partei-Kanzlei der NSDAP. - Bestand NS 6 (Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs, Bd. 23), Τ. 1: Bestandsverzeichnis, T. 2: Parteiverlautbarungen, bearb. v. Josef Henke, Koblenz 1984-1991. Vgl. zur Begründung Heiber, Einleitung zu Teil I (Anm. 1), S. Xlllf. Peter Dohms, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 189 (1987), S. 236-239.

Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP

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chener Kopienfundus zu Regesten zu verarbeiten u n d für die Verfilm u n g vorzubereiten. Die Institutsleitung hatte sich 1982/83 nämlich selbst in Zugzwang gebracht. Obgleich er intern durchaus Zweifel an deren Verwirklichung hegte, 67 hatte der Direktor zugelassen, daß im Verlagsprospekt zwei weitere Regestenbände samt Register u n d Microfiches für 1985/86 annonciert wurden. Für dieses Gesamtpaket hatte jeder Subskribend bereits stolze 8500 DM überwiesen. 68 So mußte denn 1992 auch der zweite Teil eines editorischen Großversuchs erscheinen, an dessen wissenschaftlichem Nutzen selbst in München erhebliche Zweifel bestanden. Und doch hat gerade diese Arbeit unsere Kenntnis der polykratischen Herrschaftsverhältnisse im Führerstaat bedeutsam erweitert. Zu verdanken ist dies zuvörderst der Eigeninitiatve des letzten Bearbeiters. Peter Longerich hatte sich zuvor schon als ein profunder Kenner der NS-Zeit ausgewiesen. Unter Rückgriff auf die Vorarbeiten der Heiberschen Arbeitsgruppe, aber auch auf die Restakten der Pkzl. im Bundesarchiv u n d verschiedene andere Provenienzen erarbeitete er nun aus der täglichen Arbeit mit den Dokumenten eine monographische „Einleitung", die mittlerweile als unverzichtbarer Beitrag zur politischen Organisationsgeschichte der Hitlerschen Partei-Kanzlei verdiente Anerkennung gefunden hat. 69 Im übrigen schlägt erst seine Darstellung inhaltliche Schneisen in das unüberschaubare Dickicht j e n e r rund 200000 Blatt Papier, die auf 491 Microfiches abgelichtet sind u n d durch zwei umfangreiche Registerbände, deren gediegene Qualität fraglos ihresgleichen sucht, unter verschiedensten Gesichtspunkten en detail erschlossen werden. 70 Mit diesem fulminanten Schlußpunkt hat Longerich - unaufgefordert - dafür gesorgt, dem riesigen Frag-

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AV Broszat für Heiber, 02. 10. 1981 (Anm. 56). Vgl. biblos (Wien) 32 (1984), Η. 1; Rezension Dohms (Anm. 66), S. 237. Vgl. die darauf konzentrierten Besprechungen der Edition von Ian Kershaw, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 42 (1994), S. 160-162; Karl Teppe, in: Westfälische Forschungen 44 (1994), S. 706-708; vgl. ferner die Rezensionen der Buchausgabe von Enrico Syring, in: Annotierte Bibliographie für die politische Bildung, Nr. 1/1993, Bl. 148; Michael Ruck, in: Das Historisch-Politische Buch 41 (1993), S. 46f. Der Kopien-Fundus im IfZ umfaßte zuletzt 620 Stehordner ä 500 Blatt, also rund 310000 Kopien; siehe DFG-Antrag v. 23. 09. 1981, S. 2 (Anm. 9). Nach Angaben Longerichs wurden davon etwa 200000 Blatt bearbeitet und reproduziert; siehe ders., Hitlers Stellvertreter (Anm. 1), S. *5. Davon entfallen 80000 auf Teil II; siehe ders., Vorbemerkung zum Teil II, in: Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Τ. II, Regesten, Bd. 3 (Anm. 1), S. VII-X, hier S. VIIIf. Teil I enthält dazu keine Angaben. - Der gesamte Kopienbestand „Parteikanzlei" wurde nach Auskunft des IfZ-Archivs Mitte der neunziger Jahre makuliert.

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Michael Ruck

ment „Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP" wider manche internen Besorgnisse doch noch den Anschein einer gewissen Kohärenz zu verleihen.

III. Bleibt die forschungspraktische Doppelfrage: Wie ist das aufwendige Produkt angenommen worden? Wird es dauerhaft von Nutzen sein? Die Antwort lautet bündig: Das monumentale Regesten- u n d Quellenwerk hat bisher nicht den Status eines unverzichtbaren Hilfsmittels der NS-Forschung gewonnen, und voraussichtlich wird sich daran künftig nichts m e h r ändern. Einerseits ist das bedauerlich, j a ungerecht. Denn ohne Zweifel stellt die kompetent erschlossene Sammlung eine ebenso reiche wie vielfältige Fundgrube aufschlußreicher Quellen dar - von den „Wannsee-Konferenzen" bis hin zu skurril-gespenstischen Quisquilien. 71 Kenner werden sie deshalb immer wieder mit Gewinn durchstreifen. Andererseits gibt es gute Gründe dafür, sich dieser Mühe nicht (mehr) zu unterziehen. Zum einen liegen dem Werk überholte Annahmen zur Struktur des NS-Herrschaftsgefüges zugrunde. Zum anderen haben methodische Mißgriffe u n d die erratische Projektgeschichte das inhaltliche Profil der einstmals angestrebten „Rekonstruktion eines verlorengegangen Bestandes" weiter bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Mithin verspricht dieser Steinbruch bestenfalls illustratives, n u r in Ausnahmefällen hingegen repräsentatives Material zu liefern. 72 Zudem fordert dessen komplizierte Tektonik auch geübten Benutzern einen ausgesprochen h o h e n Rechercheaufwand ab. Die Mehrzahl potentieller Interessenten wird sich deshalb lieber gleich auf die systematische Suche nach einschlägigen Quellen machen. Dies 71

Eine lesenswerte Auswahl solcher Fundstücke findet sich in: Beatrice Heiber/Helmut Heiber (Hrsg.): Die Rückseite des Hakenkreuzes. Absonderliches aus den Akten des Dritten Reiches, München 1993; Helmut Heiber (Hrsg.): Der ganz normale Wahnsinn unterm Hakenkreuz. Triviales und Absonderliches aus den Akten des Dritten Reiches, München 1996. - Die Protokolle der „Wannsee-Konferenzen" nebst dazugehörigen Konrespondenzen (aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes) werden erschlossen durch Regest Nr. 26131 (22. 01.-27. 10. 42), in: Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Τ. I, Regesten, Bd. 2 (Anm. 1), S. 780f.

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Eine solche Ausnahme stellen offenbar die in den Teil II eingearbeiteten, sehr umfangreichen Unterlagen zur Politik des Reichspropagandaministeriums dar; vgl. dazu eingehend Martin Moll, Microfiche-Edition „Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP". Eine zentrale Quelle zur Mediengeschichte des Dritten Reiches und ein notwendiges Korrektiv zu Goebbels' Tagebüchern, in: Publizistik 37 (1992), S. 490-498.

Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP

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um so eher, als dafür mittlerweile hervorragende Findmittel bereitstehen. 73 Als wertvoller „Geheimtip" werden die ,Akten der Parteikanzlei der NSDAP" darüber hoffentlich nicht vollends in Vergessenheit geraten.74

" Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates. Die Überlieferung von Behörden u n d Einrichtungen des Reichs, der Länder u n d der NSDAP, Hrsg. Institut f ü r Zeitgeschichte, München u. a.: Bd. 1: Reichszentralbehörden, regionale Behörden u n d wissenschaftliche Hochschulen f ü r die zehn westdeutschen Länder sowie Berlin, Bearb. Heinz Boberach, Mitarb. Dietrich Gessner u. a., 1991; Bd. 2: Regionale Behörden u n d wissenschaftliche Hochschulen f ü r die fünf ostdeutschen Länder, die ehemaligen preußischen Ostprovinzen u n d eingegliederten Gebiete in Polen, Österreich u n d der Tschechischen Republik. Mit Nachträgen zu Teil 1, Bearb. Heinz Boberach, Mitarb. Oldrich Sladek u. a., 1995. 74 Noch kaum ausgelotet sind nach meiner Kenntnis beispielsweise die Einsatzmöglichkeiten der Edition im Rahmen der universitären Lehre.

Frank-Lothar Kroll Die Edition von Hitlers Reden, Schriften und Anordnungen Die zwischen 1992 und 1998 nach langjährigen Recherchen und umfangreichen Vorarbeiten in rascher Folge erschienene, nunmehr - bis auf das Gesamtregister - in insgesamt 14 Teilbänden komplett vorliegende Edition aller Reden, Schriften und Anordnungen Adolf Hiüers zwischen Februar 1925 und Januar 1933 kann mit einiger Berechtigung als wissenschaftliches Großunternehmen nicht nur des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, sondern der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland ganz allgemein Geltung beanspruchen. Einer quellenbezogen um die Erhellung des „Problems Hitler" bemühten Nationalsozialismus-Forschung war es stets in hohem Maße mißlich erschienen, daß jahrzehntelang keine bzw. nur jeweils sektoral, zeitlich oder editionstechnisch mit Einschränkungen benutzbare Sammlungen von Primärzeugnissen des „Führers" der NSDAP zur Verfügung standen. Die infolgedessen vorgenommene Konzentration auf die Programmschrift „Mein Kampf' bot und bietet aufs Ganze gesehen eine doch nur sehr unvollkommene Grundlage zur Verortung von Hiders politisch-ideologischem Selbstverständnis in all seinen Facetten, Nuancen und Entwicklungsmomenten. Lange Zeit stand der historischen Forschung für die Rekonstruktion entsprechender Zusammenhänge - neben den beiden „Kampf'-Bänden von 1925 bzw. 19271 und dem allerdings erst 1961 veröffentlichten „Zweiten Buch" 2 - ein zwar nicht unbedingt schmaler, aber vom Niveau seiner wissenschafdichen Aufbereitung her gesehen höchst heterogener und überdies große Zeiträume gänzlich aussparender Quellenbestand an Hitler-Dokumenten zur Verfügung. Hier eröffnete zunächst

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Adolf Hitler, Mein Kampf. Band 1: Eine Abrechnung, München 1925; Band 2: Die nationalsozialistische Bewegung, München 1927. Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928. Eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg, Stuttgart 1961.

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Frank-Lothar Kroll

und vor allem die 1962/63 von Max Domarus herausgegebene Sammlung der Reden Hitlers von 1932 bis 1945 - dem Anspruch nach auf Vollständigkeit angelegt, diese freilich keineswegs erreichend - mancherlei Möglichkeiten einer systematischen analytischen Durchdringung der veröffentlichten Meinung des „Führers und Reichskanzlers" in den Jahren seiner unmittelbaren staatspolitischen Verantwortlichkeit.3 Der Edition von Domarus, die allerdings infolge der vom Herausgeber bevorzugten, für den heutigen Leser eher hinderlichen als hilfreichen Methode des Einflechtens persönlich gehaltener Kommentare und moralisierender Bewertungen in das Binnengefüge fast aller wiedergegebenen Hitler-Reden eine nicht ganz uneingeschränkte wissenschaftliche Brauchbarkeit aufweist, folgte 1980, auf ungleich höherem editionstechnischem Standard, die von Eberhard Jäckel und Axel Kuhn im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte herausgegebene Publikation sämtlicher erreichbarer Primärtexte aus Hitlers Frühzeit, die Jahre zwischen 1905 und 1924 umfassend.4 Ergänzt wurden diese beiden, in Anlage und Ausrichtung höchst unterschiedlichen, gleichwohl aber parallel nutzbaren Hitler-Editionen von Domarus und Jäckel/ Kuhn noch durch die seit 1951 bzw. 1963 in mehreren Auflagen bzw. Ausgaben erschienenen, zwischen 1941 und 1944 datierenden Aufzeichnungen Henry Pickers und Heinrich Heims über Hitlers Tischgespräche und Monologe im Führerhauptquartier5 sowie die BormannDiktate vom Februar und April 19456; ferner durch die von Walther Hubatsch 1962 edierten Weisungen Hitlers für die Kriegführung 1939-1945 7 , seine - gleichfalls 1962 - von Helmut Heiber zusammenge3

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Adolf Hitler, Reden und Proklamationen 1932—1945, hrsg. und kommentiert von Max Domarus. Bde. 1-2, Wiesbaden 1 9 6 2 / 6 3 . Adolf Hitler: Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924, hrsg. von Eberhard Jäckel zusammen mit Axel Kuhn, Stuttgart 1980. Dazu quellenkritisch Eberhard Jäckel und Axel Kuhn, Zu einer Edition von Aufzeichnungen Hitlers, in: VfZ 29 (1981), S. 304-305; dies., Neue Erkenntnisse zur Fälschung von Hitler-Dokumenten, in: ebd. 32 (1984), S. 163-169. Ganz unzulänglich, da subjektiv verfälschend, die Erstedition: Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-42, hrsg. von Gerhard Ritter, Bonn 1951. Erste vollständige Ausgabe: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942, hrsg. von Percy Ernst Schramm in Zusammenarbeit mit Andreas Hillgruber und Martin Vogt, Stuttgart 1963. Adolf Hitler: Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hrsg. von Werner Jochmann, Hamburg 1980. Hitlers politisches Testament. Die Bormann-Diktate vom Februar und April 1945, Hamburg 1981. Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939-1945. Dokumente des Oberkommandos der Wehrmacht, hrsg. von Walther Hubatsch, Frankfurt/Main 1962.

Die Edition von Hitlers Reden

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tragenen Äußerungen während der militärischen Lagebesprechungen 1942-1945 8 , sowie seine von Andreas Hillgruber 1967 bzw. 1970 herausgegebenen Unterredungen mit ausländischen Staatsmännern und Diplomaten. 9 Damit ergab sich insgesamt ein publizierter Dokumentenbestand, der f ü r die Zeit vor 1924 und nach 1933 Hitler-Äußerungen in relativer Dichte zur Verfügung stellte, hingegen die für die Formierung und den Aufstieg der „Bewegung" wie die Entfaltung der Führungsrolle Hitlers innerhalb der NSDAP gleichermaßen bedeutsame „Kampfphase", d. h. die Jahre zwischen der Wiedergründung der Partei im Februar 1925 u n d der Machtübernahme Ende Januar 1933; so gut wie gar nicht erfaßte. Wer hier aus den Quellen schöpfen wollte, mußte sich der mühevollen u n d zeitraubenden Durchsicht einschlägiger Publikationsorgane der Parteipresse unterziehen, die, wie vor allem der „Völkische Beobachter" und der „Illustrierte Beobachter", die meisten Reden und Anordnungen Hitlers abgedruckt hatten. Der dadurch in der Regel erforderliche Gang in die Presse- u n d Zeitungsarchive wurde indessen von den meisten Hitler-Interpreten der letzten Jahrzehnte gescheut. 10 Mit der n u n m e h r vorliegenden Hitlerdokumentation ist diese Lücke für die Jahre 1925 bis 1933 definitiv geschlossen u n d eine Quellenbasis bereitgestellt, die es künftiger Hitler-Forschung erlaubt, Denkwege u n d politische Entwicklungsphasen des „Führers" von dessen frühesten öffentlichen Verlautbarungen bis zu den letzten Tagen im Kellerbunker des zerstörten u n d schon teilbesetzten Berlin nahtlos zu rekonstruieren. Mit Ausnahme der beiden Bände von „Mein Kampf', deren Neuausgabe infolge textkritischer Erwägungen u n d juristischer Hindernisse unterblieb, enthält die Edition sämtliche ermittelbaren Hitler-Reden als zweifellos zentralsten u n d aussagekräftigsten Überlieferungsbestandteil, ferner alle seine während des in Betracht zu ziehenden Zeitraums erschienenen Schriften: Aufsätze u n d Zeitungsartikel ebenso wie separat publizierte Broschüren einschließlich der 1928 diktierten 8

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Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokollfragmente seiner militärischen Konferenzen 1942-1945, hrsg. von Helmut Heiber, Stuttgart 1962. Staatsmänner und Diplomaten bei Hitler. Vertrauliche Aufzeichnungen über Unterredungen mit Vertretern des Auslandes 1939-1944, hrsg. von Andreas Hillgruber, Bde. 1-2, Frankfurt am Main 1967, 1970. - Vgl. neuerdings: Führer-Erlasse 1939-1945. Edition sämtlicher unpublizierter, in Schriftform ergangener Direktiven Hitlers während des Krieges, hrsg. von Martin Moll, Stuttgart 1996. Ausnahmen bilden die - neues Quellenmaterial erschließenden - Arbeiten von Rainer Zitelmann, Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Hamburg 1987, und Enrico Syring, Hitler. Seine politische Utopie, Berlin 1994.

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Aufzeichnungen zur Außenpolitik, dem bereits erwähnten „Zweiten Buch", nunmehr unter dem präziseren Titel .Außenpolitische Standortbestimmung nach der Reichstagswahl Juni - Juli 1928" quellenkritisch revidiert und auf Grund neuester Forschungsergebnisse kommentiert.11 Aufgenommen sind sodann die parteiinternen Aufrufe, Anordnungen und Rundschreiben Hitlers als Vorsitzender der NSDAP; schließlich mündliche Erklärungen und Zeugenaussagen vor Gericht, hier vor allem in vier voluminösen Teilbänden die komplette, neben Hiüers Äußerungen auch diejenigen aller anderen Prozeßbeteiligten Ankläger, Angeklagte und deren Verteidiger - gleichermaßen umfassende wörtliche Verhandlungsfolge des öffentlichen Hochverratsprozesses vor dem Münchner Volksgericht 1924.12 Neben den sehr ausführlichen Wortprotokollen der insgesamt 25 Hauptverhandlungstage, die bisher noch nicht ungekürzt publiziert wurden - die Edition von Jäckel/Kuhn hatte lediglich die Prozeßaussagen Hitlers wiedergegeben 13 -, bringt dieser Teil der Edition auch ergänzende Dokumente zum Prozeß wie ζ. B. Gesetzestexte, Vernehmungsprotokolle, Anklageschriften und Urteilsbegründung. Mit alledem werden zwar keine grundstürzenden Neuigkeiten präsentiert, wohl jedoch manche unbekannten Details zutage gefördert und entscheidende Äußerungen Hitlers systematisch erschlossen. Was für die „Außenpolitische Standortbestimmung" und für die vier Teilbände des Hitler-Prozesses gilt, kann auch mit Blick auf die Gesamtfolge aller Bände der Hitlerdokumentation hinsichüich ihres möglichen Ertrags für die Forschung bilanziert werden: Nicht immer dürfte das nun bis in alle Verästelungen rekonstruierbare Hitler-Bild jener Jahre zu großangelegten Revisionen seines aufgrund älterer Quellenbestände ermittelten Persönlichkeits- und Weltanschauungsprofils führen. Aber in zahlreichen Punkten vermag eine konzentrierte Auswer-

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Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933. Bd. II A: Außenpolitische Standortbestimmung nach der Reichstagswahl Juni - Juli 1928, eingeleitet von Gerhard L. Weinberg, hrsg. und kommentiert von Gerhard L. Weinberg, Christian Hartmann und Klaus A. Lankheit, München 1995. Der Hitler-Prozess 1924. Wortlaut der Hauptverhandlung vor dem Volksgericht München I. Teil 1: 1.-4. Verhandlungstag; Teil 2: 5.-11. Verhandlungstag; Teil 3: 12.-18. Verhandlungstag. Teil 4: 19.-25. Verhandlungstag, hrsg. und kommentiert von Lothar Gruchmann und Reinhard Weber unter Mitarbeit von Otto Gritschneder, München 1997/99. Vgl. daneben: Der Hitler-Prozeß vor dem Volksgericht in München. Teil I und II, München 1924; Der Hitler-Prozeß. Auszüge aus den Verhandlungsberichten. Mit den Bildern der Angeklagten nach Zeichnungen von Otto von Kursell, München 1924.

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tung des insgesamt weit über 6000 Seiten umfassenden Materials bisher Bekanntes, teilweise auch Umstrittenes, zu präzisieren, zu differenzieren und zu modifizieren. Waren doch gerade die „Kampfjahre" nach der Wiedergründung der Partei im Jahr 1925 geprägt von dem letztlich erfolgreichen Bemühen um eine bewußte Formierung des die spätere Herrschaft Hitlers bis zuletzt tragenden und stabilisierenden „Führer"-Mythos, den es nicht nur gegenüber den Ansprüchen der zunächst noch zahlreichen, Hitiers Vorherrschaftsstreben keineswegs widerspruchslos akzeptierenden Konkurrenzorganisationen im völkisch-nationalistischen Lager zu behaupten, sondern auch im Sinne eines Integrationsfaktors für die ideologisch sehr heterogenen Kräfte innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung selbst zu handhaben galt. Diese Entwicklungszusammenhänge lassen sich anhand der ersten drei Teilbände der Edition 14 ebenso minutiös nachvollziehen wie in der daran anschließenden Bände-Folge15 die vielfach wahltaktisch motivierten Wege und Wandlungen, welche die Politik des „Führers" der NSDAP nach deren allmählicher Konsolidierung im Weimarer Parteienspektrum vom Beginn der Anti-YoungKampagne 1928 über die Weltwirtschaftskrise 1929 bis zu den Notverordnungsmaßnahmen im Rahmen der Deflationspolitik der Regierung Brüning 1930/31 bestimmten. Wie sich dann während der Endphase der Weimarer Republik die Hitlersche Machteroberungs-Strategie unter den extrem polarisierten Bedingungen des politischen Tageskampfes im Spannungsfeld von unverändert aufrechterhaltenem ideologischen Sendungsbewußtsein, parteitaktisch gebotener vorgeblicher Kompromißbereitschaft und zunehmend aggressiver betriebenen na-

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Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933. Bd. I: Die Wiedergründung der NSDAP Februar 1925-Juni 1926, hrsg. und kommentiert von Clemens Vollnhals; Bd. II: Vom Weimarer Parteitag bis zur Reichstagswahl Juli 1926-Mai 1928, hrsg. und kommentiert von Bärbel Dusik. Teil 1: Juli 1926-Juli 1927; Teil 2: August 1927-Mai 1928, München 1992. Hider: Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933. Bd. III: Zwischen den Reichstagswahlen Juli 1928-September 1930. Teil 1: Juli 1928-Februar 1929, hrsg. und kommentiert von Bärbel Dusik und Klaus A. Lankheit unter Mitwirkung von Christian Hartmann. Teil 2.: März 1929-Dezember 1929, hrsg. und kommentiert von Klaus A. Lankheit, beide München 1994. Teil 3: Januar 1930-September 1930, hrsg. und kommentiert von Christian Hartmann, München 1995. Bd. IV: Von der Reichstagswahl bis zur Reichspräsidentenwahl Oktober 1930-März 1932. Teil 1: Oktober 1930-Juni 1931, hrsg. und kommentiert von Constantin Goschler; München 1994. Teil 2: Juli 1931-Dezember 1931, hrsg. und kommentiert von Christian Hartmann, München 1996. Teil 3: Januar 1932-März 1932, hrsg. und kommentiert von Christian Hartmann, München 1997.

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tionalsozialistischen Propagandatätigkeit entfaltete, belegen schließlich die beiden letzten Teilbände, die das - sehr gehäufte - Quellenmaterial der entscheidenden Monate zwischen April 1932 u n d Januar 1953 umfassen. 16 Wem überdies an erläuternden Verständnishilfen sachlicher oder biographischer Art gelegen ist, der findet in der den Bänden beigegebenen Kommentierung - mit den Worten Gerhard L. Weinbergs, Herausgebers eines Teilbandes der Gesamtedition - „kurze Informationen zu konkret benannten Ereignissen, Zahlenangaben, Zitierungen oder Personen" 17 , die sich, fundiert u n d sachkonzentriert, stets auf der H ö h e der Forschung bewegen, allerdings mit steigender Bandzahl auch wachsende Ausmaße a n n e h m e n u n d sich zuletzt, besonders in den Bänden III/3, IV/2 u n d IV/3, die Frage gefallen lassen müssen, ob hier nicht Forscherfleiß u n d Sammelleidenschaft des Kommentators eine den Texten n u r bedingt zuträgliche Eigendynamik entwickeln. Blickt man - jenseits der bisher versuchten phänomenologischen Beschreibung - auf übergreifende Forschungsperspektiven, die sich im Gefolge einer Beschäftigung mit der Hiderdokumentation eröffnen könnten oder - bescheidener formuliert - in die sie sich ihrerseits einzuordnen vermag, so wird man auf drei Hauptaspekte vorrangiges Gewicht zu legen haben.

Hitlers Tätigkeit als Parteiführer im Rahmen der Entwicklung der NSDAP bis 1933 Dieser Fragestellung sind, vor allem zu Beginn der 1970 er Jahre, mehrere Spezialuntersuchungen gewidmet worden 18 , die sich im Gefolge eines allgemeinen Paradigmenwechsels der Nationalsozialismus-For16

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Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933. Bd. V: Von der Reichspräsidentenwahl bis zur Machtergreifung April 1932-Januar 1933. Teil 1: April 1932-September 1932, hrsg. und kommentiert von Klaus A. Lankheit, München 1996; Teil 2: Oktober 1932-Januar 1933, hrsg. und kommentiert von Christian Hartmann und Klaus A. Lankheit, München 1998. Gerhard L. Weinberg, Zur Edition (Anm. 11), S. XXV. Vgl. vor allem Wolfgang Horn, Führerideologie und Parteiorganisation in der NSDAP (1919-1933), Düsseldorf 1972; Albrecht Tyrell, Vom „Trommler" zum „Führer". Der Wandel von Hitlers Selbstverständnis zwischen 1919 und 1924 und die Entwicklung der NSDAP, München 1975; dazu auch ders., Die NSDAP als Partei und Bewegung Strategie und Taktik der Machtergreifung, in: Volker Rittberger (Hrsg.), 1933. Wie die Republik der Diktatur erlag, Stuttgart 1983, S. 98-122; vgl. ferner - mit allerdings anders gewichtenden Befunden - Werner Maser, Die Frühgeschichte der NSDAP. Hitlers Weg bis 1924, Frankfurt am Main 1965.

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schung in Richtung auf eine zunehmende Betonung „polykratischer", die Bedeutung Hitlers im Herrschaftsgefüge des Dritten Reiches relativierender Strukturelemente heftige Kritik an ihrer „hitlerzentrischen", die Rolle des „Führers" vermeindich überbetonenden Sichtweise einhandelten. 1 9 Eine eingehende Lektüre der Dokumente der Hitleredition muß j e d e n unvoreingenommenen Leser zu einer Antikritik dieser Kritik, d. h. einer vollgültigen Bestätigung der Thesen von Tyrell u n d Horn f ü h r e n - u n d darüber hinaus zu einer deuüichen Distanzierung von allen überspitzt vorgetragenen „polykratischen" Theorieentwürfen generell. Hider war - so bestätigen es sämtliche Dokumente, die im Zusammenhang mit parteiinternen Grundsatz- oder Personalentscheidungen stehen, einschließlich aller Organisationserlasse, Richdinienbestimmungen, Anweisungen u n d Anordnungen - die absolute Zentralfigur mit ausschlaggebender, alleiniger Schieds- und Entscheidungskompetenz, autoritär im Führungsstil, straff u n d oftmals erstaunlich sachbezogen in der H a n d h a b u n g organisatorischer u n d parteitechnischer Angelegenheiten, keinerlei Aktionsschwäche oder zögerliche Handlungsarmut offenbarend. Er bündelte die unterschiedlichen, zum Teil stark divergierenden Interessensrichtungen in seiner Partei; ihm kam die verbindliche Ausformulierung politischer, programmatischer u n d personeller Zielvorgaben zu; seine Direktiven bestimmten Weg, Zeitpunkt u n d Vorgehensarten in allen Fragen von grundsätzlicher oder übergeordneter Bedeutung. Die bekannte These von Hitler als einem „häufig unsicheren . . . , aufs stärkste von der jeweiligen Umwelt beeinflußten, in mancher Hinsicht schwachen Diktator" 20 findet in den Zeugnissen der Hitlerdokumentation keinen Anhaltspunkt. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß zwischen Hitlers Agieren als Parteivorsitzender während der Aufstiegsphase der „Bewegung" vor 1933 einerseits u n d seinem Handeln im Rahmen der Herrschaftsstrukturen u n d Systemzwänge des nationalsozialistischen Staates in den zwölf Jahren von des-

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Zur „polykratischen" Deutung des Dritten Reiches vgl. repräsentativ den Sammelband von Gerhard Hirschfeld und Lothar Kettenacker (Hrsg.), Der „Führerstaat": Mythos und Realität, Stuttgart 1981; zur Verteidigung der „hitlerzentrischen" Sicht im vorliegenden Zusammenhang Albrecht Tyrell, Wie er der „Führer" wurde, in: Guido Knopp (Hrsg.), Hitler heute. Gespräche über ein deutsches Trauma, Aschaffenburg 1979, S. 20-48. Hans Mommsen, Nationalsozialismus, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Freiburg i. Br. 1971, Sp. 702; vgl. auch ders., Nationalsozialismus oder Hitlerismus?, in: Michael Bosch (Hrsg.), Persönlichkeit und Struktur in der Geschichte. Historische Bestandsaufnahme und didaktische Implikationen, Düsseldorf 1977, S. 62-71.

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sen Bestehen nach 1933 bzw. 1939 andererseits mancherlei graduelle und prinzipielle Unterschiede zu veranschlagen sind, so wird man doch das nach Durchsicht der gesamten Hitlerdokumentation eindeutig „monokratisch" ausfallende „Führer"-Bild in Zukunft stärker zu gewichten haben.

Die Bedeutung des Faktors „Ideologe" für den Aufstieg Hitlers und den Erfolg der NSDAP vor 1933 An der Berechtigung einer geistes- und ideengeschichtlichen Zugangsweise zu Phänomenen und Problemen des Nationalsozialismus ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Kritik geübt worden.21 Meist geschah dies im Rahmen einer Verwerfung „intentionalistischer" Forschungsansätze, welche die programmatische Komponente in Hitlers Politik, die Zielgerichtetheit seines Denkens und Handelns, die Gebundenheit aller seiner maßgeblichen Entscheidungen an die Vorgaben eines seit den 1920 er Jahren feststehenden, bis zuletzt nur unwesentlich modifizierten Weltbildes betonten. 22 Kritikern dieser Sichtweise hingegen galten Hitlers „Programm" und die aus ihm resultierenden Weltanschauungsinhalte seiner Politik lediglich als „Funktion einer ideologischen Metapher, eines Symbols zur Begründung immer neuer . . . Aktivität" für eine in Wahrheit lediglich „auf unendlichen Progressus gerichtete Bewegung und Machtakkumulation". 23 Demgegenüber machen die Selbstzeugnisse Hitlers aus der „Kampfzeit" zweierlei deutlich: einmal die ungemein starke Präsenz programmatischer Motive in nahezu allen Reden und öffentlichen Verlautbarungen, vor allem in den ersten drei Jahren nach der Wiedergründung der NSDAP 1925; sodann - daraus resultierend - den hohen Stellenwert ideologischer Argumente im Rahmen der propagandistischen

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Beispielhaft vorgetragen von Wolfgang Wippermann, „Triumph des Willens" oder „kapitalistische Manipulation"? Das Ideologieproblem im Faschismus, in: Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Eine Bilanz, Düsseldorf 1983, S. 735-759, bes. S. 755f„ 759.

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Repräsentativ für diese Auffassung die Arbeiten von Andreas Hillgruber, Hitlers Strategie. Politik und Kriegführung 1940-1941, Frankfurt am Main 1965; Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919-1945, München 1969; Eberhard Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, Tübingen 1969. Martin Broszat, Soziale Motivation und Führer-Bindung des Nationalsozialismus, in: VfZ 18 (1970), S. 408.

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Selbstdarstellung der „Bewegung" oder, konkreter ausgedrückt, im Kampf der Partei um Wählergunst und Wählerstimmen. Mit einer ermüdenden Penetranz wird - bis 1928 ausnahmslos - bei den rednerischen Auftritten Hitlers in endlos weitschweifigen Wiederholungen das komplette Arsenal jener weltanschaulichen Zielvorgaben entfaltet, deren spätere Umsetzung in Herrschaftspolitik die Nationalsozialismus-Forschung so kontrovers beschäftigt hat: Antisemitismus, Rassendoktrin und Ariermythos; Antibolschewismus, Volksgemeinschaftsidee und Fundamentalkritik an der bürgerlichen Gesellschaftsordnung; Lebensraumforderung, sozialdarwinistisch gewendetes Kampfprinzip und kriegerische Ostexpansion zur Sicherung wehrwirtschaftlicher Autarkie - das waren die immer wiederholten, auf stereotype Parolen reduzierten Leitkonstanten seiner Agitation. Zwar trat im Gefolge der bereits erwähnten Notwendigkeit wahltaktischer Rücksichtnahmen die Akzentuierung einzelner Ideologiesegmente - etwa des antisemitischen Feindbildes oder der Lebensraumforderung - ab 1929/30 zeitweise in den Hintergrund. Doch finden sich alle diese Segmente in nahezu unveränderter Forumulierung in späteren, nach der „Machtergreifung" gehaltenen Reden, und erst recht in den intimen Bekundungen der „Tischgespräche", wieder. Ebenso wichtig wie die damit erneut bestätigte jahrzehntelange Konstanz der Hitlerschen Weltanschauungsinhalte ist nun freilich deren nach Ausweis der Dokumente sehr hoch zu veranschlagende Breitenwirkung. Hitler hat in unzähligen Reden, Parteiversammlungen und öffentlichen Großkundgebungen eine immense Zahl von Zuhörern immer wieder mit diesen Weltanschauungsinhalten konfrontiert. Auch ohne extensive Lektüre von „Mein Kampf' waren diese Zuhörermassen infolgedessen mit Hitlers programmatischen Absichten und Zielen vertraut - und zumeist auch damit einverstanden. Das von Hitler verkündete „Programm" trug offensichtlich, zumindest phasenweise, in erheblich stärkerem Ausmaß, als bisher angenommen wurde, zum Erfolg freilich auch zu manchem Mißerfolg - der „Bewegung" bei. Das von Gerhard Schreiber vor einem Jahrzehnt formulierte Postulat, „zu klären, welche Teile der [Hitlerschen] Weltanschauung perzipiert waren und in welcher Form auf sie reagiert wurde"24, kann die Forschung auf Grundlage der Hitlerdokumentation nun schrittweise einlösen. 24

Gerhard Schreiber, Hitler-Interpretationen 1923-1983. Ergebnisse, Methoden und Probleme der Forschung. 2., verb. u. durch eine annotierte Bibliographie für die Jahre 1984-1987 ergänzte Auflage Darmstadt 1988, S. 275.

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Frank-Lothar Kroll

Offenheit für unterschiedliche Deutungsakzente

Angesichts des Umfangs und der Qualität des durch die Hitlerdokumentation neu erschlossenen Quellenmaterials dürfte in den kommenden Jahren eine verstärkte Beschäftigung mit biographischen und psychologischen Aspekten des „Problems Hitler" zu erwarten sein. In der Vergangenheit hat es derartige Forschungsschübe - verursacht aus unterschiedlichen Anlässen - mehrfach gegeben. 25 Oft war damit, neben vielen unbestreitbar positiven Ergebnissen, eine personalistische Blickverengung im Sinne strikt „hitlerzentrierter" Optik verbunden. Eine an Hitler orientierte, seine überragende und unverwechselbare Rolle in Ideologie und Politik, Organisation und Herrschaftsgefüge des Nationalsozialismus vor wie nach 1933 gleichermaßen akzentuierende Sichtweise wird sich gleichwohl davor hüten müssen, in eine Art methodologische Abhängigkeit von ihren zweifellos faszinierenden Dokumenten zu geraten, sondern stets darauf zu achten haben, daß die Verbindungslinien zu anderen Interpretationsansätzen - etwa organisationsgeschichtlichen26, mentalitätsgeschichtlichen27 oder vergleichend ideengeschichtlichen28 Deutungsversuchen des Dritten Reiches - nicht abreißen. Klaus Hildebrand hatte in diesem Sinne 1995 angemahnt, „daß sich die gegensätzlichen Positionen der Zeitgeschichtsschreibung im gemeinsamen Ziel einer Historisierung des Dritten Reiches treffen und darum bemüht sind, den eine geraume Zeit lang sehr scharf und

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Hierzu die Zwischenbilanzen von Karl Dietrich Bracher, Probleme und Perspektiven der Hitler-Interpretation, in: ders., Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie, München 1976, S. 79-100; Klaus Hildebrand, Hitler. Rassen- contra Weltpolitik. Ergebnisse und Desiderate der Forschung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 19 (1976), S. 207-224; Eberhard Jäckel, Rückblick auf die sogenannte Hitler-Welle, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 28 (1977), S. 6 9 5 - 7 1 0 ; Andreas Hillgruber, Tendenzen, Ergebnisse und Perspektiven der gegenwärtigen Hitler-Forschung, in: Historische Zeitschrift 226 (1978), S. 600-621; ders., Endlich genug über Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg? Forschungsstand und Literatur, Düsseldorf 1982; Wolfgang Michalka, Wege der Hitler-Forschung: Problemkreise, Methoden und Ergebnisse. Eine Zwischenbilanz, in: Quaderni di storia 8 (1978), S. 157-190, 10 (1979), S. 123-151. Vorbildlich hierfür die Arbeit von Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Wiesbaden 1989. Beispielhaft dazu Hans Dieter Schäfer, Das gespaltene Bewußtsein. Uber deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945, München 1981. Hierzu jetzt die Studie von Frank-Lothar Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn 1998.

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schließlich erschöpfend ausgetragenen Streit zugunsten einer qualitativ neuen u n d überlegenen Sicht der Dinge zu überwinden". 29 Es bleibt zu hoffen, daß die künftige Forschung im Sinne dieses Optativs rasch u n d unter Abwehr einseitiger Blickverbiegungen jeglicher Provenienz zu einer intensiven Auswertung u n d vorurteilslosen Verarbeitung des quellenmäßig erstrangigen Materials der Hitlerdokumentation gelangen wird.

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Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich, München 5 1995, S. 154.

Hans Günter Hockerts Die Edition der Goebbel»-Tagebücher Im Inneren des nationalsozialistischen Führungszirkels war er der einzige, der sich die Zeit nahm und mit zäher Konsequenz daran festhielt, Tagebuch zu führen. Vom Oktober 1923 bis zum April 1945 hat Joseph Goebbels nahezu täglich Aufzeichnungen verfaßt. Bis zum Sommer 1941 füllte er handschriftlich 23 Kladden mit rund 6700 Seiten. Dann, ab dem 9. Juli 1941, diktierte er. Seither nahm ein eigens dazu abgestellter Stenograph allmorgendlich im Propagandaministerium das Tagebuch-Diktat auf und übertrug es anschließend in Maschinenschrift. Aufs Ganze gesehen ist so ein papierenes Gebirge in der Größenordnung von 40000 Blatt entstanden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß der maschinenschriftliche Teil der Tagebücher mit der übergroßen ,Führertype' raumverschwendend getippt ist; außerdem enthält dieser Teil auch die militärischen Lageberichte, die ein Verbindungsoffizier des Oberkommandos der Wehrmacht täglich vortrug. Der Chefpropagandist des Nationalsozialismus tat viel, um die Uberlieferung seiner Aufzeichnungen zu sichern. So ließ er im März 1941 die bislang handschrifdich gefüllten Kladden in die Tresore der Reichsbank schaffen, wo er sie bombensicher verwahrt wußte. Seine Diktate wurden maschinenschriftlich in Erst- und Zweitschrift (Durchschlag) dupliziert. Um die Jahreswende 1944/45 ließ Goebbels darüber hinaus den Gesamtbestand mit einem damals eben erfundenen, technisch aufwendigen Verfahren auf annähernd 1000 Glasplatten mikrokopieren. Derart viel lag ihm an der Erhaltung der Tagebücher auch dann noch, als abzusehen war, daß er ihre Auswertung nicht mehr werde steuern können. Denn er war bestrebt, seine Version vom Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, seine Sicht der NSDAP, zugleich ein Ego-Dokument von hypertrophem Ausmaß, so oder so in das Gedächtnis der Nachwelt zu lancieren. Als Goebbels im April 1945 im „Führerbunker" seinen Untergang inszenierte, ließ er die Kladden, die Erstschrift der Diktate, wahrscheinlich auch die Glasplatten, dorthin schaffen. Bei Kriegsende befand

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sich daher eine geschlossene Überlieferung auf dem Gelände der Reichskanzlei, während die Zweitschrift der Diktate ganz oder größtenteils im Propagandaministerium verblieb. Willkürlichen Zugriffen ausgesetzt, geriet das Material dann aber durcheinander. Während vieles lange als verschollen galt, tauchten hier und dort Originalfragmente auf, auch Teilkopien unklarer Herkunft. Eine Zeitlang spielte sich in Grauzonen des Ost-West-Konflikts so etwas wie ein Kampf u m Kopien ab. Wegen der Eigentums- u n d Nutzungsrechte kam es zu einer Kette juristischer Streitigkeiten. Kommerzielle Interessen u n d Sensationsbedürfnis bildeten mitunter eine trübe Melange, gegen die sich die Rationalitätskriterien der Wissenschaft n u r mit Mühe zu behaupten vermochten. Teil- u n d Auswahlveröffentlichungen unterschiedlicher Qualität kamen auf den Markt, nicht selten unzulänglich und fehlerhaft. Mehr u n d m e h r konnte man den Eindruck gewinnen, als sei die verwickelte, zuweilen auch abenteuerliche Überlieferungs- und Publikationsgeschichte der Goebbels-Tagebücher selber ein Stück Zeitgeschichte. Die im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands von Elke Fröhlich im Κ G. SaurVerlag herausgegebene Gesamtausgabe unternimmt es, die Irrungen u n d Wirrungen zu beenden. Im IfZ sind rund 98% des von Goebbels geschriebenen oder diktierten Materials wieder zusammengeführt. Die Edition entzieht die Quelle dem Spektakulären u n d Spekulativen u n d macht sie für wissenschaftliche Zwecke in vollem Umfang auf verläßlicher Textgrundlage verfügbar. Lohnt der Ertrag „die schier endlose Mühe der Textbeschaffung u n d der wissenschaftlichen Editionsarbeit"? Das Vorwort Horst Möllers, das j e d e m Band vorangestellt ist, beginnt mit dieser Frage. Sie klingt nicht ganz u n d gar rhetorisch, zumal sogar eine Paradoxie darin gesehen werden könnte, daß die Flut von Notizen u n d Diktaten, mit denen ein verschlagener Propagandist die Geschichtserinnerung der Nachwelt beeinflussen wollte, eine in nicht weniger als 24 Bänden gedruckte Präsenz erhält. Die Bedeutung, die diese Quelle u n d ihre Edition für die kritische Erforschung des Nationalsozialismus haben, bedarf daher durchaus der Erörterung und Erläuterung (III). Zuvor werden die Überlieferungs- u n d Publikationsgeschichte bis zum Beginn der Gesamtausgabe (I) sowie Konzeption u n d Stand der Editionsarbeit in den Blick genommen (II).

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I.

Die Uberlieferungsgeschichte, die andernorts ausführlicher dargestellt, wenn auch bisher nicht restlos aufgeklärt ist, sei hier nur in wenigen Haupt- und Wendepunkten skizziert.1 Bei Kriegsende kamen verschiedene Originalfragmente in amerikanische Hand. Sie werden heute in der Hoover Institution Stanford bzw. den National Archives Washington verwahrt. Es handelt sich vor allem um ein großes Bruchstück aus den Jahren 1942/43, das Louis P. Lochner 1948 mit drastischen Kürzungen veröffentlichte, und das „Elberfelder Tagebuch" von 1925/26, das Helmut Heiber als Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte 1960 edierte.2 Die Hauptmasse der Uberlieferung gelangte jedoch bald nach Kriegsende in die Sowjetunion und blieb dort lange für die Forschung blockiert. Anfang der 1970 er Jahre schleusten Ostberliner Stellen lückenhafte Kopien sowjetischer Filmrollen in die Bundesrepublik. Als Zwischenträger trat der westdeutsche Schriftsteller Erwin Fischer auf. Er verkaufte die Reproduktionen, die zahlreiche bisher unbekannte Stücke enthielten und viel Aufsehen erregten, an den Verlag Hoffmann und Campe. Der Verlag veröffentlichte jedoch nur einen kleinen Teil3 und zog es dann vor, das umfangreiche Material an das Bundesarchiv und das Institut für Zeitgeschichte weiterzuverkaufen. Als diese beiden Institutionen eine Publikation vorbereiteten, gerieten sie in eine verworrene 1

Vgl. für einen früheren, jedoch nicht generell überholten Kenntnisstand die Einleitung von Elke Fröhlich in Bd. 1 der 1987 veröffendichten „Sämtlichen Fragmente" (Anm. 6), sowie - teilweise kontrovers — Bernd Sösemann, Die Tagesaufzeichnungen des Joseph Goebbels und ihre unzulänglichen Veröffentlichungen, in: Publizistik 37 (1992), S. 213-244; ferner Ralph Georg Reuth (Hrsg.), Joseph Goebbels. Tagebücher 1924-1945, 5 Bde., München 1992, hier Bd. 1, S. 3-19; neuerdings Felix Moeller, Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich, Berlin 1998, S. 32-46. Bei dem reißerischen Buch von Peter Ferdinand Koch (Hrsg.), Die Tagebücher des Doktor Joseph Goebbels. Geschichte und Vermarktung, Hamburg 1988, handelt es sich weniger um eine Klärung als vielmehr um einen Bestandteil unseriöser Vermarktung.

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Goebbels Tagebücher aus den Jahren 1942-1943. Mit anderen Dokumenten hrsg. von Louis P. Lochner, Zürich 1948, englische Fassung New York 1948; Helmut Heiber (Hrsg.), Das Tagebuch des Joseph Goebbels 1925/26, Stuttgart 1960; engl. Fassung London 1962. Joseph Goebbels. Tagebücher 1945. Die letzten Aufzeichnungen. Einführung Rolf Hochhuth, Hamburg 1977; englische Fassung New York 1978. Auf dubiosem Weg gelangte ein Teil des Materials nach London, wo es sehr fehlerhaft veröffentlicht wurde: Fred Taylor (Ed.), The Goebbels Diaries 1939-1941, London 1982; auch New York 1983.

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Rechtslage. Fischer, der sich gewissermaßen ausgebootet sah, klagte in einer Reihe von Prozessen gegen den Weiterverkauf des Materials. Ein noch schwierigeres Hindernis aber verband sich mit dem Namen Franfois Genoud. Der Lausanner Bankier, der wegen seiner kaum verhohlenen Sympathie für Goebbels und andere NS-Größen alles andere als einen guten Ruf genoß, beanspruchte seit langem das ausschließliche urheberrechtliche Nutzungsrecht am literarischen Goebbels-Nachlaß, und wenn die Validität seiner Rechtstitel auch bestreitbar war, so hatte er sie doch in anderem Zusammenhang schon mit Erfolg gerichtlich durchgefochten. 4 Genoud verklagte nun prompt das Institut für Zeitgeschichte und das Bundesarchiv, woraufhin 1985 ein außergerichtlicher Vergleich zustande kam. Die Vereinbarung ermöglichte eine freie wissenschaftliche Edition der Tagebücher und machte die Quelle für wissenschaftliche Benutzer sofort zugänglich. Die Nutzung des Materials für den „kommerziellen Bereich" blieb Genoud vorbehalten.5 Damit war der Weg für die bislang umfangreichste Veröffentlichung frei. Sie präsentierte mit dem Untertitel „Sämtliche Fragmente" alle erreichbaren Teile der handschriftlichen Tagebücher und kam dabei wie wir heute wissen - auf knapp zwei Drittel des Bestandes.6 Wer die vertrackte Handschrift des Joseph Goebbels kennt und obendrein den Verlust an Lesbarkeit in Rechnung stellt, den die damals verfügbaren, großenteils schlechten Kopien mit sich brachten, der wird die Transkriptionsleistung anerkennen, die in dieser Publikation steckt. Aber der Zeitdruck, unter den sie sich setzte, führte doch auch zu Fehlern bei der Entzifferung und in dem (als vorläufig ausgewiesenen) Personenregister. Auf Kritik stieß auch der geringe editorische Aufwand. Außerdem hatte man in Moskau und Ostberlin, wie damals zu vermuten war und sich später bestätigt hat, das Material vorsortiert, so daß gerade bei markanten Eckdaten der NS-Geschichte - wie ζ. B. beim Hitler-Stalin-Pakt - auffällige Lücken klafften. 4

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Das Ärgernis, daß urheberrechtliche Ansprüche solcher Art die Erforschung des Nationalsozialismus behindern konnten, hatte Martin Broszat Jahre zuvor zum Gegenstand eines Kolloquiums des Instituts für Zeitgeschichte gemacht. Vgl. Wissenschaftsfreiheit und ihre rechtlichen Schranken, München 1978. Vgl. im einzelnen Siegfried Becker, Ein Nachlaß im Streit. Anmerkungen zu den Prozessen um die Tagebücher von Joeseph Goebbels, in: Friedrich Kahlenberg (Hrsg.), Aus der Arbeit der Archive. Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und zur Geschichte. Festschrift für Hans Booms, Boppard 1989, S. 270-286. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Hrsg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und in Verbindung mit dem Bundesarchiv. Teil I: Aufzeichnungen 1924-1941, Bd. 1 - 4 sowie Interimsregister, München u. a. 1987.

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Auf der Suche nach weiteren Materialien hatte die Herausgeberin der „Sämtlichen Fragmente" seit 1986 Zutritt zum Dokumentationszentrum der staatlichen Archiwerwaltung der DDR. Sie fand dort große, wenn auch teilweise arg zerstörte Originalfragmente vor, die sie in Folgebände - „sämtliche Fragmente" der Diktate 1941-1945 - einzubezieh e n gedachte. Zugang u n d Nutzungserlaubnis wurden hingegen Mitte 1988 abrupt gestoppt. Inzwischen hatte sich die Staatssicherheit eingeschaltet u n d einen Teil der begehrten Materialien in Mielkes Ministerium bringen lassen. Im Zusammenhang mit dem Stop spielte auch Fischer eine Rolle, indem er dafür sorgte, daß der Vergleich, den IfZ u n d Bundesarchiv im Rechtsstreit mit Genoud geschlossen hatten, als ein das IfZ diskreditierender Pakt interpretiert wurde. 7 So war das IfZ nun gewissermaßen aus dem Rennen geworfen. Statt dessen setzte Fischer auf eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Kommunikationsgeschichte der FU Berlin. Dessen Direktor Bernd Sösemann hatte günstige Zugangschancen mit Fischers Hilfe vor Augen u n d strenge editorische Richdinien im Sinn, als er 1989 ein Forschungsprojekt zur „Restituierung der Tagesaufzeichnungen von Joseph Goebbels" ankündigte 8 . Das war die Lage vor der Epochenwende von 1989/90. Diese veränderte dann vieles. Es öffneten sich die Archive der ehemaligen DDR, was zunächst zu einer Art Tauziehen um die Quelle führte; vor allem aber wurden nun auch russische Archive zugänglich. Hier, im Moskauer „Trophäenarchiv", dem heutigen Zentrum für die Aufbewahrung historisch-dokumentarischer Sammlungen, gelang im Frühjahr 1992 der 7

8

Solchen Vorwürfen trat der damalige Direktor des IfZ entschieden entgegen. Leitmotiv sei es gewesen, langwierige Prozesse mit ungewissem Ausgang zu vermeiden, die den wissenschaftlichen Zugang zu einer zeitgeschichdich wichtigen Quelle auf unabsehbare Zeit blockiert hätten. Außerdem sei der Vertrag an Bedingungen gebunden, die „die Distanzwahrung gegenüber diesem Vertragspartner klar zu erkennen geben". Vgl. im einzelnen Martin Broszat, Zur Edition der Goebbels-Tagbücher, in: VfZ 37 (1989), S. 156-162. Die Ankündigung erfolgte auf einer vielbeachteten Pressekonferenz in Anwesenheit des FU-Präsidenten (Anfang November 1989), was zeigt, welch hohen öffentlichen Stellenwert das Thema „Goebbels-Tagebücher" inzwischen erreicht hatte. Zur Konzeption des Restituierungsprojekts vgl. Bernd Sösemann, Inszenierungen für die Nachwelt. Editionswissenschaftliche und textkritische Untersuchungen zu Joseph Goebbels' Erinnerungen, diaristischen Notizen und täglichen Diktaten, in: Lothar Gall (Hrsg.), Neuerscheinungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Historische Zeitschrift, Sonderheft 16 (1992), S. 1-45; Bernd Sösemann, „Ein tieferer geschichtlicher Sinn aus dem Wahnsinn". Die Goebbels-Tagebuchaufzeichnungen als Quelle für das Verständnis des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und seiner Propaganda, in: Thomas Nipperdey u. a. (Hrsg.), Weltbürgerkrieg der Ideologien. Antworten an Ernst Nolte, Berlin 1993, S. 136-174.

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entscheidende Durchbruch, als Elke Fröhlich die Glasplatten entdeckte, auf denen die Tagebücher seit Kriegsende mikrofichiert waren. Was da zum Teil noch originalverpackt im Keller lag, galt bisher als verschollen. Goebbels' Stenograph hatte berichtet, er sei 1945 beim Vergraben in der Nähe von Potsdam dabeigewesen. Man hatte dort gesucht, aber nie etwas gefunden. Dieser Fund machte nun erstmals eine Komplettierung der Gesamtquelle möglich. Dank einer Vereinbarung mit der russischen Archiwerwaltung konnten sämtliche Glasplatten im Juli 1992 mit Hilfe vom IfZ zur Verfügung gestellter Geräte und in Anwesenheit von IfZ-Mitarbeitern auf Mikrofiches umkopiert werden. In München wurde diese Reproduktion dann mittels eines Reader-printers rückvergrößert. Kurz darauf erreichte der Direktor des IfZ, daß Genoud sich mit der wissenschaftlichen Edition der gesamten Tagebuchüberlieferung durch das Institut für Zeitgeschichte einverstanden erklärte.9 Die unerwartete Wendung der Dinge fand in der Fachwelt ein lebhaftes Echo, das allerdings von einem Coup anderer Art übertönt wurde. Als der britische Außenseiter und Auschwitz-Leugner David Irving von dem Fund erfuhr, gelang es ihm, am Rande der Legalität wichtige Passagen zu kopieren und in der britischen Boulevardpresse sensationell zu vermarkten. Der Wirbel erregte, obwohl damit durchaus keine grundstürzend neuen Einsichten verbunden waren, auch in der deutschen und internationalen Medienlandschaft viel Aufsehen; zuweilen hatte es den Anschein, als handele es sich um eine Neuauflage des unseligen Spektakels um die „Hitler-Tagebücher". Aus Irvings Material speiste sich u. a. auch eine italienische Ausgabe der Tagebücher von 1938.10 Gegen Ende dieses turbulenten Jahres publizierte Ralph Georg Reuth eine Auswahl-Ausgabe, die sich in fünf Taschenbuchbänden an eine breite Öffentlichkeit wendet.11 Sie enthält etwa 15 bis 20 Prozent des Gesamtumfangs, wobei die Auswahlkriterien recht unscharf bleiben. Reuth stützte sich für den handschriftlichen Teil auf die IfZ-Publikation von 1987; für den maschinenschriftlichen Teil konnte er die früher in Ost-Berlin lagernden, inzwischen ins Bundesarchiv übernommenen Uberlieferungsteile einbeziehen. Von den Moskauer Neuzugängen fanden jedoch nur wenige, von Irving vermittelte Passagen Eingang. 9

10 11

Es scheint, daß Genoud bei den meisten Teil- und Auswahlveröfientlichungen in Verlagen oder Zeitschriften Zahlungen erhielt. Das IfZ hat ihm weder für die Ausgabe von 1987 noch für die Gesamtausgabe Gelder gezahlt. Joseph Goebbels: Diario 1938. Edizione italiana a cura di Marina Bistolfi, Milano 1993. Vgl. Anm. 1.

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II Die im Auftrag des IfZ besorgte Gesamtausgabe gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste die handschriftlichen Aufzeichnungen, der zweite die maschinenschriftlichen Diktate umfaßt. 12 Erschienen ist bereits der zweite Teil, der in 15 Bänden (noch ohne Sachregister) rund 98% des diktierten Materials präsentiert. Die geringe Einbuße ist Folge von Beschädigungen im Glasplattenbestand. In dem auf neun Bände angelegten ersten Teil werden die handschriftlichen Tagebücher vollständig ediert. Den Auftakt bildeten 1998 die Bände 8 und 9; der Publikationsrhythmus soll mit zwei Bänden pro Jahr nach vorn führen, so daß im Jahre 2001 der Abschluß mit Bd. 1 zu erwarten ist. Dieser zweite Teil ersetzt die Ausgabe von 1987 („Sämtliche Fragmente") in verbesserter u n d um rund ein Drittel erweiterter Weise. Alle j e n e Lücken, die damals durch Vorsortierung in Moskau und Ostberlin entstanden waren, werden n u n geschlossen. Als Erschließungshilfen findet man in j e d e m Band ein Personenregister u n d ein Geographisches Register. Es ist vorgesehen, diese Register am Ende zu Gesamtindices zusammenzufassen u n d - was die Benutzbarkeit erheblich verbessern wird - um ein Sachregister zu ergänzen. Uber Art u n d Umfang eines Sachkommentars ist noch nicht entschieden. Angesichts der enormen Fülle der von Goebbels erwähnten Gegenstände, Ereignisse, Personen, Zahlen, Mutmaßungen usw. wäre eine fortlaufende Sachkommentierung ein schier endloses Unterfangen. Zweckmäßiger wäre es wohl, in großen Zügen auf Gegen- und Seitenüberlieferungen hinzuweisen, die sich zur Kontrolle dessen eignen, was die Tagebücher in der Optik ihres Schreibers festhalten. Uber die textkritische Einrichtung der Edition ist zu Beginn jedes Bandes detailliert Auskunft gegeben. Da die Uberlieferung der Papieroriginale sehr gestört ist, beruht die Publikation überwiegend auf der von Goebbels in Auftrag gegebenen Sicherheitskopie, die als originaläquivalent gelten darf. Die Textgrundlage u n d ihr Erhaltungszustand, die zur Kollationierung herangezogenen Uberlieferungsstränge und der ggf. nötige Vorlagenwechsel werden für j e d e Tagebucheintragung

12

Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands hrsg. von Elke Fröhlich. Teil I: Aufzeichnungen 1923-1941, Bd. 1-9, bisher erschienen Bd. 8 und 9, München 1998; Teil II: Diktate 1941-1945, Bd. 1-15, München u. a. 1993-1996.

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ausgewiesen. Insgesamt hat der Benutzer die Gewähr für die bestmögliche Verfügbarkeit des Textes. Die Textkritik geht allerdings nicht so weit, die textinternen Abhängigkeitsverhältnisse zu entschlüsseln, insbesondere also Vorlagen und Unterlagen zu bestimmen, auf die sich Goebbels bei der Niederschrift, vor allem aber bei der ausgedehnten tour d'horizon seiner Diktate, stützte.13 Zuweilen, wenn der Autor sie eigens erwähnt, wie ζ. B. mit einer gewissen Regelmäßigkeit die Stimmungs- und Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, sind solche Vorstufen leicht erkennbar.14 Im ganzen aber wäre der Recherche-Aufwand, wollte man die Aufzeichungen jeweils ad fontes zurückverfolgen, für ein derart voluminöses Unternehmen unvertretbar hoch. Eine solche Textkritik ist wohl besser und zweckmäßiger im Licht von Einzelforschungen zu leisten, die die Tagebücher für bestimmte Themen als Quelle verwenden.15

III.

Welche Bedeutung haben die Goebbels-Tagebücher für die historische Forschung? Will man den Erkenntniswert dieser Quelle näher bestimmen, so ist zunächst an zwei Grundregeln im Metier der Historiker zu erinnern. Erstens hängt die Taxierung des Quellenwertes immer von der jeweiligen Fragestellung ab. J e nach der Frage, die man an sie richtet, kann dieselbe Quelle entweder ganz und gar vertrocknet erscheinen oder kräftig zu fließen beginnen. So könnte sogar eine komplett gefälschte Quelle wertvoll sein - im Licht der Frage nämlich, wie und worüber sie täuschen wollte. Zweitens ist grundsätzlich jede Quelle fragmentarisch, selektiv und perspektivisch gebunden. Somit bedürfen Quellen stets der Kritik, der Einordnung und der Konfrontation mit anderen 13

14

15

Eine Ausnahme bilden die militärischen Lageberichte des Verbindungsoffiziers, die als Fremdkomponente der Diktate editorisch ausgewiesen und auch optisch abgehoben sind. Neben den Berichten des Verbindungsoffiziers und den SD-Berichten zählt Sösemann zu den weiteren regelmäßig rezipierten Informationen: die Stimmungsberichte der Reichspropagandaämter, die tägliche in- und ausländische Presseschau und Tätigkeitsberichte verschiedener Dienststellen von Partei und Staat. Vgl. Bernd Sösemann, Inszenierungen (Anm. 8), S. 44. Hinzuzufügen sind u. a. Ubersichten der Briefeingänge, die Goebbels ζ. B. in einer Tagebuchnotiz vom 10. 7. 1943 eigens erwähnt. Hier zeigt sich ein grundsätzliches Erschließungsproblem zeitgeschichtlicher Massenquellen. Von Bernd Sösemann und Mitarbeitern steht ein Band zu erwarten, der u. a. am Beispiel der Goebbels-Tagebücher neue Zwischenformen zwischen kompletter Textpräsentation und editorischer Erschließung erörtert und exemplarisch vorstellt.

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Quellen. Im Hinblick auf die Tagesaufzeichnungen des Propagandisten Goebbels verhält sich das nicht anders, wohl aber wächst die Sorgfaltspflicht, mit der man die Grundsätze der Quellenkritik beachten sollte.16 Der Quellenwert dieser Tagebücher kann hier nicht in der Fülle der Details, sondern nur unter einigen übergreifenden Gesichtspunkten erläutert werden. Um die Chancen und Grenzen ihres Erkenntniswerts zu dimensionieren, eignen sich zwei recht einfache, aber zentrale Fragen: Was konnte der Schreiber wissen, und was wollte er mit dem Geschriebenen bewirken? Oder anders gewendet: In welche Materien und Zusammenhänge hatte Goebbels Einblick, und welche Zwecke verfolgte er mit dem unentwegten Notieren und Diktieren? Goebbels war in vieler Hinsicht ein Insider. In der sog. „Kampfzeit" der NSDAP wirkte er als NS-Publizist und Parteiredner, als Berliner Gauleiter (seit 1926), Reichspropagandaleiter der NSDAP (ab 1929) und als Reichstagsmitglied (ab 1928). Diese Parteiämter wie übrigens auch das MdR-Mandat behielt er bis 1945.17 Nach Hitlers Machtübernahme rückte das im März 1933 neugeschaffene „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda" in den Mittelpunkt seines Aktionsradius. Die Abteilungen seines Ministeriums befaßten sich mit den Aufgabenbereichen Propaganda, Presse, Ausland, Rundfunk, Film, Schrifttum, Theater, Bildende Kunst, Musik, Ausstellungen und Messen, Fremdenverkehr. Weiterhin unterstanden seinem Geschäftsbereich rund 90 Behörden und Einrichtungen, mit denen er möglichst weite Bereiche der kulturellen und publizistischen Betätigung zu kontrollieren suchte, darunter, um nur einige Beispiele zu nennen, die Reichskulturkammer - mit ihren Fachkammern selbst wiederum eine Großbehörde -, die Reichsrundfunkgesellschaft, das Deutsche Nachrichtenbüro, die Reichsfilmintendanz und der Werberat der deutschen Wirtschaft.18 Seit Kriegsbeginn als Gauleiter zugleich Reichsverteidigungs-

Als beste Einführung darf nach wie vor Johann Gustav Droysens „Historik" gelten, etwa in der von Rudolf Hübner besorgten Ausgabe Darmstadt 1960. " Zur Reichspropagandaleitung, einer zentralen Dienststelle in der Reichsleitung der NSDAP, vgl. Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates. Die Überlieferung von Behörden und Einrichtungen des Reichs, der Länder und der NSDAP, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte bearb. von Heinz Boberach u. a., Teil 1, München u. a. 1991, S. 463f.; Teil 2, München u. a. 1995, S. 191; zu Goebbels' Reichstagsmandat vgl. Peter Hubert, Uniformierter Reichstag. Die Geschichte der Pseudo-Volksvertretung 1933-1945, Düsseldorf 1992. Für diese Studie bildeten die Goebbels-Tagebücher eine nicht durchwegs, aber punktuell erhebliche Quelle. 16

18

Vgl. im einzelnen Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates (Anm. 17), Teil 1, S. 261-265, 308-319; Teil 2, S. 191, 226-230.

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kommissar, suchte Goebbels im Kriegsverlauf unentwegt weitere Kompetenzen an sich zu ziehen. 1943 ü b e r n a h m er den Vorsitz im Interministeriellen Luftkriegsschädenausschuß, womit er im letzten Kriegsjahr zur Schlüsselfigur in der Evakuierungspolitik wurde. Seit Juli 1944 amtierte er, der seit Jahren auf eine „Totalisierung" des Krieges gedrängt hatte, als „Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz". Kein Zweifel: Die Fülle solcher Amter u n d Funktionen sicherte dem Tagebuchschreiber nicht n u r Macht, sondern auch verhältnismäßig dichte Informationsnetze. Daher war er imstande, über ein weidäufiges Tätigkeitsfeld auf h o h e m Kenntnisstand zu schreiben, zumal er bekanntlich kein „Chef' war, der die Zügel schleifen ließ. Vielmehr hielt er seine Untergebenen mit rastloser Geschäftigkeit u n d einem ausgeprägten Willen zum Dirigieren u n d Kontrollieren in Atem. Die historische Bedeutung dessen, was er wissen konnte, wird aber noch entschieden gesteigert, da Goebbels über eine Immediatstellung bei Hitler verfügte - nicht n u r in der „Kampfzeit" als rabiater Agitator und besonders exponierter Gauleiter, sondern gerade auch später als Ressortchef. Zwar schwankte die Kurve seiner „Führernähe" im Zeitverlauf - mit Tiefpunkten 1930 und 1938 - , doch zählte Goebbels stets zur Spitzengruppe der NS-Führungsclique, und im Verlaufe des Krieges wurde die Immediatbeziehung zu Hitler so eng, daß das „politische Testament" des Diktators ihn zum künftigen Reichskanzler bestimmte. Die zahlreichen Berichte, die man in den Tagebüchern über die Jahre hinweg über interne Besprechungen mit Hiüer findet, haben insofern den Rang einer Primärquelle. Sie stammen aus erster, freilich n u r im Maße quellenkritischer Prüfung verläßlicher Hand. Welche Motive führten dem Tagebuchautor die Feder? Lassen die Zwecke, die er verfolgte, Rückschlüsse auf besondere Eigenschaften dieser Quelle zu? Offensichtlich ist eine differenzierte Antwort geboten, da der Charakter der Tagebücher sich im Zeitverlauf mehrfach verändert hat. 19 Anfangs dienten sie durchaus noch als „journal intime", als Medium der Identitätsfindung eines ebenso zynischen u n d brutalen wie verletzlichen u n d labilen Geistes. Rasch rückte indessen die Absicht 19

Vgl. die Einleitung von Elke Fröhlich zu den „Sämtlichen Fragmenten" (Anm. 6) sowie in produktiver Auseinandersetzung damit die einschlägigen Aufsätze von Bernd Sösemann (Anm. 1 und 8); weiterhin Jürgen Michael Schulz, Die Identität des Täters. Joseph Goebbels als Tagebuch-Autor, in: Lange, Ulrich Thomas (Hrsg.): Identität, Integration und Verantwortung. Vorträge und Referate der ersten Görlitzer Wissenschaftstagung, Berlin 1994, S. 194-204; Joachim Fest, Joseph Goebbels. Eine Porträtskizze, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 43 (1995), S. 565-580.

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nach vorn, das Tagebuch zur Grundlage für Veröffentlichungen im Dienste der NS-Propaganda zu machen. Prototypisch zeigt das 1934 veröffentlichte Buch „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei" diesen Verwertungswillen. Hier legte Goebbels in stark redigierter u n d retuschierter Form seine Aufzeichnungen von Januar 1932 bis Mai 1933 vor. Auch spätere Ausgaben dieser - mit rund 40 Auflagen höchst erfolgreichen - Propagandaschrift überarbeitete Goebbels j e nach den aktuellen Bedürfnissen. Zwei Jahre später traf Goebbels mit dem parteieigenen Eher-Verlag eine höchst lukrative Vereinbarung: „Ich verkaufe Amann meine Tagebücher. 20 Jahre nach meinem Tode zu veröffentlichen. Gleich 250000 Mark u n d jedes Jahr laufend 100000 Mark." 20 Der Vertrag schränkte keineswegs seine eigenen Publikationsabsichten ein. Vielm e h r hielt Goebbels im März 1941 den Vorsatz fest: Wenn „das Schicksal" ihm „ein paar Jahre" Zeit lasse, wolle er die Tagebücher - „sie schildern mein ganzes Leben u n d unsere Zeit" - für „spätere Generationen überarbeiten". 2 1 Bei den Tagebüchern handelt es sich also, wie einer seiner frühesten Biographen treffend formuliert hat, um „Rohstoff für den künftigen Geschichtsschreiber u n d Altenteiler Goebbels". 22 Mit dem Wechsel zum Diktat schwoll der Umfang der Aufzeichnungen seit Juli 1941 stark an, u n d die Tagebücher gewannen mehr u n d m e h r auch den Charakter einer gleichförmig angeordneten, detaillierten Dienstchronik. Nach wie vor bestimmte die Absicht der späteren Veröffentlichung die „Chronistenpflicht", die Goebbels sich j e d e n Morgen rund eine Stunde lang in raschem, formal nachlässigem Diktat auferlegte. Man hat darin eine fast schon krankhaft gewordene „Rede- u n d Diktiersucht" gesehen 2 3 u n d aus dieser Tageseinteilung gefolgert: „Die künftige Historie stand vor der Politik." 24 Daran ist gewiß einiges richtig, aber dabei bleibt außer Acht, daß Goebbels die Diktate durchaus auch als ein rationales Arbeitsinstrument verstand u n d zu nutzen wußte: Sie halfen ihm, einen stets aktuellen Gesamtüberblick über die Lage zu gewinnen u n d memotechnisch verfügbar zu halten. Wohlpräpariert konnte er gleich anschließend die „Ministerkonferenz" eröffnen, die er bei Kriegsbeginn zur festen Einrichtung gemacht hatte, 20

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Tagebuchnotiz 22. 10. 1936. Hinweise darauf, daß der Vertrag tatsächlich realisiert wurde, faßt S. Becker (Anm. 5), S. 279, zusammen. Tagebuchnotiz 30. 3. 1941. Helmut Heiber, Joseph Goebbels, Berlin 1962, S. 264. Rolf Hochhuth, Einführung (Anm. 3), S. 19. Elke Fröhlich, Einleitung zu Bd. 1 (Anm. 6), S. XCV1I.

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um die tägliche Pressekonferenz vorzubereiten.25 Aus diesem Reservoir zehrte er außerdem bei seinen Artikeln und Reden, die er zumeist unter großem Zeitdruck aus dem Stegreif konzipierte. Gleichwohl: Goebbels betrachtete sich mehr und mehr als „der heimliche Chronist des Nationalsozialismus"26, und im Motivbündel seines Aufzeichnungseifers drängte der Ehrgeiz, dereinst als der große, maßgebliche Historiograph des Dritten Reiches zu gelten. Er wollte dem Gedächtnis der Nachwelt seinen Stempel aufdrücken. Daraus folgt für den Quellenwert der Tagebücher, daß man sie grundsätzlich als „Inszenierungen für die Nachwelt" betrachten27 und mit um so größerer kritischer Distanz behandeln muß. Allerdings waren die Niederschriften nur als ein Rohentwurf gedacht, gewissermaßen als Halbfertigprodukt, das Goebbels erst noch weiter bearbeiten und arrangieren wollte - ganz so, wie er es 1934 mit dem „Kaiserhof'-Buch vorgeführt hatte. Zum nachträglichen Filtern und Andern kam er aber seither nicht mehr; alles blieb so stehen wie zum Zeitpunkt der Niederschrift. In der Zwischenform der halbfertigen Gestalt blieb die Offenheit der Zukunftserwartung erhalten, was quellenkritisch sehr bedeutsam ist. Denn so fehlt der Prozeß der Umdeutung im Wissen um den Ausgang; das Ungewisse der Entscheidungssituationen tritt vielmehr noch stark hervor und schlägt sich ζ. B. in einer Fülle von Fehlprognosen nieder. In dieser Zwischenform konnten der propagandistische Code der Herrschaftssprache und das interne Tatsachenwissen unvermittelt nebeneinandergeraten, wie ζ. B. bei der Darstellung des Kriegsbeginns 1939. Es herrscht auch noch kein Mangel an „Unerschrockenheit der Bloßlegung"28, sofern es nicht um den Verfasser selber ging, der die eitle Selbstbespiegelung vorzog. Um so mehr scharfzüngige Distanz fand er zu seinen Rivalen und zu den Zuständen und Vorgängen in deren Machtbereich. Er hätte auch niemals öffentlich, um nur ein Beispiel zu geben, den Interessentenklüngel und -rummel um den „heiligsten Tag" im NS-Festkalender, den 9. November, derart despektierlich sezieren können wie in seinen Notizen. 25

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Vgl. Kriegspropaganda 1939-1941. Geheime Ministerkonferenzen im Reichspropagandaministerium. Hrsg. von Willi A. Boelcke, Stuttgart 1966; „Wollt Ihr den totalen Krieg?" Die geheimen Goebbels-Konferenzen 1939-1943. Hrsg. von Willi A. Boelcke, Stuttgart 1967. Elke Fröhlich, Einleitung zu Bd. 1 (Anm. 6), S. XCVII. Bernd Sösemann, Inszenierungen für die Nachwelt (Anm. 8). Gustav R. Hocke, Europäische Tagebücher aus vier Jahrhunderten, München 1978, S. 194, wo die Qualität eines Tagebuchs freilich auf die Selbstbloßlegung des Diaristen bezogen ist. In seiner maßlosen Eitelkeit legte Goebbels lieber andere bloß.

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Bei vielem, was den Leser heute erschreckt, galten für Goebbels freilich ganz andere Maßstäbe, so daß er ungeheuere Verbrechen o h n e weiteres als „darstellenswerte Leistung" verbuchte. 29 So prahlte er geradezu mit seiner Kenntnis des Völkermords an den europäischen Juden, den er als „unsere geschichüiche Mission" bezeichnete 30 , u n d über den Krankenmord in der „Euthanasie" notierte er: „40000 sind weg, 60000 müssen noch weg. Das ist eine harte, aber auch eine notwendige Arbeit" 31 . Die Edition begründet die singuläre Stellung der Tagebücher damit, daß sie das einzige, über zwei Jahrzehnte hinweg kontinuierlich geführte Selbstzeugnis eines NS-Spitzenpolitikers darstellen u n d „eine Fülle neuer Einsichten in Detailfragen, in politische Entscheidungsprozesse und in die Herrschaftsstruktur des NS-Regimes, schließlich vielerlei Aufschlüsse über sein Führungspersonal" liefern. 32 Will man den Informationswert der Quelle thematisch etwas näher spezifizieren, so ist zuerst auf Goebbels' ausgedehnten eigenen Amts- u n d Funktionsbereich zu verweisen, der oben kurz umrissen wurde. Für die einschlägig arbeitende Forschung sind die Tagebücher eine Fundgrube, zumal sie auch eine Ersatzüberlieferung bilden, denn die Aktenüberlieferung des Propagandaministeriums wie auch eines großen Teils der r u n d 90 Einrichtungen im Geschäftsbereich dieses Ministeriums ist stark beeinträchtigt u n d gestört. So stützt sich ζ. B. eine grundlegende Studie über die NS-Filmpolitik zentral auf die Goebbelsschen Diarien. Die Studie zeigt eindrucksvoll, wie aufschlußreich diese Quelle sein kann, wenn man die Fülle der einströmenden Details in einem analytischen Konzept u n d mithin anders verwendet, als Goebbels sie in propagandistischer oder stilisierender Absicht gedeutet u n d verknüpft haben wollte. 33 Allerdings fließt die Quelle nicht bei j e d e m Thema so breit wie bei diesem, für das der

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Felix Moeller (wie Anm. 1), S. 44. So in der Tagebuchnotiz vom 13. 5. 1943; ähnliche Hinweise ζ. B. am 18. 2. 1942, 27. 3. 1942, 18. 2. 1943, 2.3. 1943, 13.5. 1943, 4. 3. 1944. Anknüpfend an Hitlers „Prophezeiung", der Weltkrieg bedeute „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa", schrieb Goebbels auch öffentlich in der Zeitung: „Wir erleben eben den Vollzug dieser Prophezeiung". Vgl. seinen Leitartikel in „Das Reich" am 16. 11. 1941, wiederabgedruckt in: Joseph Goebbels, Das eherne Herz. Reden u n d Aufsätze aus den J a h r e n 1941/42, München 1943, S. 85-91. Tagebuchnotiz 31.1. 1941. So Horst Möller im Vorwort, das den Bänden der Gesamtausgabe (Anm. 12) jeweils vorangestellt ist. Felix Moeller, Der Filmminister (Anm. 1).

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„Filmminister" sich stets besonders interessiert zeigte, oder bei anderen Gegenständen im Kernbereich der Propagandapolitik. In der Regel gewinnen die Tagebücher erst in vielfacher kritischer Kombination mit anderen Quellen an Aussagekraft, wobei sie dann hier und dort Teilstücke, mitunter auch einen Schlußstein für den Aufbau einer empirischen Argumentation liefern können. 3 4 Wie notwendig in j e d e m Fall die quellenkritische Kontrolle ist, hat Dieter Rebentisch in seinem Standardwerk über den „Führerstaat" im Zweiten Weltkrieg verdeutlicht: Der „Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz" verfügte über weniger Vollmachten u n d agierte bei weitem nicht so effizient wie Goebbels es manchen Historikern mit seiner Selbstdarstellung glaubhaft zu machen verstand. 35 Die Aussagekraft der Tagebücher beschränkt sich nicht auf Goebbels' eigene, übrigens nie klar abgegrenzte Funktionsbereiche. Sie geben auch weiterreichende Aufschlüsse über das, was man die „Tektonik des Führerstaats" genannt hat. 36 Damit ist nicht zuletzt das unablässige Rivalisieren, Paktieren u n d Taktieren im Umfeld des Diktators gemeint. Da das NS-Regime institutionell geregelte Verfahren m e h r und m e h r auflöste, mithin auf großen u n d wichtigen Gebieten verfahrensmäßig nahezu unstrukturiert war, gewannen solche personalisierten Handlungskontexte eine eminente Bedeutung. 3 7 In diesem Dauerstreit um Kompetenzen, Entscheidungen u n d die Auslegung strittiger „Führererlasse" war Goebbels unablässig auf der Hut, u n d es gab kaum einen für die Machthierarchie des Regimes bedeutsamen Bereich, über den er nicht Buch geführt hätte. 38 Zu den Feldern seines besonderen Interes34

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Das gilt ζ. B. f ü r die Evakuierungspolitik, auch f ü r die Rolle, die Hitler dabei spielte, vgl. Katja Klee, Im „Luftschutzkeller des Reiches". Evakuierte in Bayern 1939-1953, München 1999. Für Beispiele aus der „Kampfzeit" vgl. Gerhard Paul: Aufstand der Bilder. Die NS-Propaganda vor 1933, Bonn 1990; Dietz Bering, Kampf um Namen: Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels, Stuttgart 1991. Dieter Rebentisch, Führerstaat u n d Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung u n d Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S. 512-523. Am Beispiel einer Goebbels-Notiz über eine Besprechung mit Hitler, deren Auswirkung sich in den Akten der Reichskanzlei spiegelt, zeigt Rebentisch indessen auch den „hohen Quellenwert der Goebbels-Tagebücher". Ebd., S. 419, Anm. 150. Ebd., S. 26. Vgl. neben Uberblickswerken wie Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich, 5 1995, u n d Ulrich v. Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, München 1996, insbesondere M. Rainer Lepsius, Das Modell der charismatischen Herrschaft u n d seine Anwendbarkeit auf den „Führerstaat" Adolf Hitlers, in: ders.: Demokratie in Deutschland, Göttingen 1993 S. 95-118. Dies wird ζ. B. f ü r den Bereich der Gesundheitspolitik in einer demnächst erscheinenden Münchener Dissertation von Winfried Süß deutlich.

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ses gehörten die Verfolgung der Juden 39 , die Auseinandersetzung mit den christlichen Kirchen, deren rabiater Gegner Goebbels war40 und die Außenpolitik, in der er stets aufs neue Fuß zu fassen suchte, obgleich er über die Entscheidungen, die dort fielen, oft nur leidlich und spät unterrichtet wurde. Inwieweit die Tagebücher ein „Fenster" in Hitlers Führungszentrum öffnen, in sein situatives Denken, Handeln und Verhalten, ist in der Forschung umstritten.41 Hier wird man von Fall zu Fall zu prüfen haben, wie verläßlich oder getrübt die von Goebbels gewährten Einblicke sind. Es gibt aber keine andere persönliche Quelle, die in dieser Hinsicht so kontinuierlich fließt wie diese. Ob es eher Randaspekte sind wie der 1940 ad acta gelegten Plan, den Westfälischen Frieden mit einem neuerlichen Friedensschluß in Münster zu „liquidieren" - oder so wichtige Vorgänge wie die Steuerung des Judenpogroms 1938 oder der sogenannten „Euthanasie"-Stop im Sommer 1941: Ohne die Tagebücher läßt sich die Rolle, die Hitler dabei spielte, kaum hinreichend rekonstruieren.42 Auch über die Mentalität, mit der Hitler den Krieg führte, als die Siegesmöglichkeit zerfiel und sein Rückzug in den Untergang begann, erfährt man in den Tagebüchern viel. Im einzelnen bleibt gewiß Raum für Kontroversen. So bezieht sich eine derzeit geführte Debatte über die Genesis der „Endlösung" auf eine bislang nur über die Goebbels-Tagebücher bekannte Rede, die Hitler im Dezember 1941 vor den Gauleitern hielt.43 Ian Kershaw hat die Tagebücher wegen ihrer „Unmittelbarkeit und Dichte" als eine „wichtige Quelle" seiner neuen Hitler-Biographie hervorgehoben.44 39

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Hermann Graml, Reichskristallnacht. Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich, München 1988; Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933-1939, München 1998. Hans Günter Hockerts, Die Goebbels-Tagebücher 1932-1941. Eine neue Hauptquelle zur Erforschung der nationalsozialistischen Kirchenpolitik, in: Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, hrsg. von Dieter Albrecht u. a., Berlin 1983, S. 359-392. Eher hoch veranschlagt von Elke Fröhlich, Einleitung zu Bd. 1 der „Sämtlichen Fragmente" (Anm. 8) und Eberhard Jäckel, Die Tagebücher von Joseph Goebbels, in: Historische Zeitschrift 248 (1989), S. 6 3 7 - 6 4 8 ; eher niedrig von Bernd Sösemann, Inszenierungen (Anm. 8), S. 40-43. Vgl. auch die in Anm. 33, 34, 38 angedeuteten Beispiele. Christian Gerlach, Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden, in: Werkstatt Geschichte 18 (1997), S. 7 - 4 4 ; dagegen Hermann Graml, Ist Hitlers „Anweisung" zur Ausrottung der europäischen Judenheit endlich gefunden?, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 7 (1998), S. 352-362. Ian Kershaw, Hitler 1889-1936, Stuttgart 1998, S. 10.

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Wer die Edition benutzt, wird rasch bemerken, daß die Tagebücher redundant sind und nicht selten ins Geschwätzige gleiten; sie enthalten bramarbasierende Passagen, Klischees und dreiste Verdrehungen („Die Stimmung, die in den Kreisen der Ausgebombten herrscht, kann als geradezu hervorragend bezeichnet werden"). Auch insofern zeigen die Tagebücher den redseligsten der Gefolgsleute Hitlers so wie er war. Vieles erscheint wie in einem Zerrspiegel; man muß dann den Brechungswinkel kennen. Der Informationsgehalt der Tagebücher ist j e nach der leitenden Frage sehr unterschiedlich. Aufs Ganze gesehen und aufs kritischste benutzt, öffnet sich hier indessen „eine einzigartige Fundgrube für ein genaueres Verständnis sei es der Zeit, sei es der Person".45

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Joachim Fest (Anm. 18), S. 569.

Sybille Steinbacher Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Auschwitz Computergestützte Bibliothekskataloge kapitulieren beim Stichwort .Auschwitz". Uber das größte und bekannteste nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager wurde so viel geschrieben, daß nicht die Liste einschlägiger Titel, sondern vielmehr der lapidare Hinweis auf dem Bildschirm erscheint, der Suchende möge die Recherche eingrenzen. So groß und kaum zu überblicken ist die Fülle der Publikationen.1 Der historisch-empirische Gehalt der Auschwitz-Literatur der letzten Jahre blieb jedoch bei konstant dünner Faktengrundlage gering, so daß quellengestützte wissenschaftliche Untersuchungen kaum vorliegen. Auch existiert bis heute keine Monographie über die Gesamtgeschichte des Lagers. Im Zusammenhang mit Auschwitz werden, von Erinnerungsberichten und literarischen Aufarbeitungen ehemaliger Häftlinge einmal abgesehen, nahezu ausschließlich moralisch-ethische beziehungsweise kultur- und gegenwartskritische Überlegungen angestellt. Organisation, Realisierung und Hintergründe der Massenverbrechen liegen jedoch zum großen Teil noch immer im dunkeln. Seit Jahrzehnten steht .Auschwitz" in der öffentlichen und in der wissenschaftlichen Diskussion metaphorisch für die Untaten des Hitler-Regimes.2 Der Diskurs verlagerte sich aus der Geschichts- immer mehr in die Sozial- und Erziehungswissenschaft beziehungsweise in die politische Publizistik. Stilisierung und Mystifizierung, als deren Ergebnis der zentrale Schauplatz der Massenvernichtung der realen Welt entrückt, reduziert den systematischen Mord auf zumeist rein emotional wahrnehmbare Zusammenhänge. Historiographisch weitgehend substanzlos ist die Diskussion in Gefahr, lediglich moralischer Betroffen1

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Übersicht der Veröffentlichungen in deutscher Sprache in Werner Renz, Auschwitz. Annotierte Bibliographie der deutschsprachigen Auschwitzliteratur, herausgegeben vom Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt a. M. 1994. Vgl. Norbert Frei, Auschwitz und Holocaust. Begriff und Historiographie, in: Hanno Loewy (Hrsg.), Holocaust: Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 101-109.

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heit Ausdruck zu verleihen, anstatt die konkrete politische u n d gesellschaftliche Verantwortung für die Massenverbrechen zu thematisieren. Zugespitzt könnte man sagen: Uber Auschwitz wird immer weniger geforscht u n d immer m e h r räsoniert. Nicht zuletzt diese Entwicklung ist f ü r die Zeitgeschichtswissenschaft eine Herausforderung, die realgeschichtliche Untersuchung wieder aufzunehmen. Die bundesdeutsche Historiographie beschäftigte sich mit der Thematik erstmals in den sechziger Jahren im Zusammenhang mit dem Auschwitz-Prozeß. In den Gutachten, die die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am Main unter Federführung von Fritz Bauer beim Institut für Zeitgeschichte anforderte, untersuchten Hans Buchheim, Helmut Krausnick u n d Martin Broszat vom IfZ und Hans-Adolf Jacobsen Genese u n d Struktur der Verbrechen auf einem analytischen Niveau, das die Wissenschaft erst zwei Jahrzehnte später wieder erreichte. 3 Allerdings verlor sich die Forschungsdebatte der achtziger Jahre in den Auseinandersetzungen zwischen Intentionalisten u n d Strukturalisten um den Entscheidungsprozeß in der „Endlösung der Judenfrage". Organisation, Akteure u n d Dynamik der Vernichtungspolitik, im historiographisch fruchtlosen „Historikerstreit" ohnehin nicht thematisiert, blieben weitgehend unbeachtet, so daß politische Einordnung u n d Erklärung, nicht jedoch die Rekonstruktion der Zusammenhänge im Zentrum der Debatte standen. Der „Krieg" der Interpretationen führte keineswegs zur Intensivierung der Forschung, vielmehr entstand der trügerische Eindruck, die Fakten seien hinreichend bekannt. Der vom Institut für Zeitgeschichte 1970 unter dem Titel „Studien zur Geschichte der Konzentrationslager" herausgegebene Sammelband war lange Zeit die einzige Untersuchung zur Struktur des Lagersystems. 4 Erst im Gefolge der Ö f f n u n g der Archive in Osteuropa zeichnet sich in den letzten Jahren eine Wende ab. Veränderte Perspektiven u n d neue Akzente der Fragestellungen versprechen eine Fülle neuer Erkenntnisse, so beispielsweise über die Bedeutung der Ideologie im Gesamtzusammenhang der Massenvernichtung, aber auch über den Konnex von situativen Bedingungen u n d langfristigen Plänen antijüdischen Vorgehens in den einzelnen Besatzungsregionen, ferner über die Organisation des Konzentrationslagersystems u n d nicht zuletzt

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Hans Buchheim,/Hans-Adolf Jacobsen/Helmut Krausnick (Hrsg.), Anatomie des SSStaates, München 6 1994, Erstveröffentlichung Freiburg 1965. Vgl. Hans Rothfels/Theodor Eschenburg (Hrsg.), Studien zur Geschichte der Konzentrationslager, München 1970.

Darstellungen u n d Quellen zur Geschichte von Auschwitz

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über Verhaltensstruktur, Handlungsspielräume und Motivation der Täter. Am Institut für Zeitgeschichte wurde 1994 ein mehrteiliges Forschungs- u n d Editionsvorhaben begonnen, das sich in sozialgeschichdicher Perspektive mit den Verbrechen von Auschwitz befaßt. Ziel des von Norbert Frei initiierten u n d geleiteten Projekts ist es, das Vernichtungsgeschehen in Auschwitz im Sinne einer politischen Sozialgeschichte zu erfassen und in seiner Interdependenz von Kriegsentwicklung, Besatzungspolitik, Wirtschaft u n d Gesellschaft des nationalsozialistischen Staates zu veranschaulichen. Gefördert mit Mitteln des Hochschulsonderprogramms der Bundesrepublik, der Stiftung Volkswagenwerk sowie des Deutschen Historischen Instituts Warschau, entstanden zwei inhaltlich u n d organisatorisch eng aufeinander bezogene, 1998 an der Ruhr-Universität Bochum abgeschlossene Dissertationen, die sich mit ausgewählten Fragen aus der Geschichte des Lagers u n d seines Umfelds beschäftigen. Im Kern setzt sich das Auschwitz-Projekt mit drei Problemkomplexen auseinander: mit der Ökonomisierung des Lagers und der damit einhergehenden Verstrickung der deutschen Privatwirtschaft in die Verbrechen der SS, ferner mit Struktur u n d Folgewirkungen der Besatzungsu n d Vernichtungspolitik und schließlich mit der Frage nach dem Verhalten der deutschen Zivilbevölkerung angesichts von Terror u n d Massenmord. Die Studien konzentrieren sich auf die Jahre der deutschen Herrschaftsentfaltung in Polen vom Beginn des Zweiten Weltkrieges bis zum Zusammenbruch des Besatzungsregimes im Januar 1945, wobei über die Eckdaten hinausgegriffen wird, um sowohl die Vorbedingungen als auch die Nachgeschichte der deutschen Herrschaft zu beleuchten.

/. Die gründliche Neubearbeitung der Geschichte des Lagers Monowitz, die Bernd C. Wagner in seiner Studie mit dem Titel „IG Auschwitz. Zwangsarbeit u n d Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941-1945" vornimmt, erscheint angesichts der spärlichen, auf Grund der spezifischen Ausrichtung der DDR-Historiographie zudem ideologisch überformten Forschungsliteratur dringend geboten. Im Mittelpunkt steht der Zwangsarbeitseinsatz von Konzentrationslagerhäftlingen im Buna-Werk der IG Farben bei Auschwitz, wobei insbesondere die Frage nach der Beteiligung der deutschen Privatwirtschaft an der

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Vernichtungspolitik untersucht wird. Der Autor widmet sich drei zentralen Problemen, die seit Jahrzehnten auch immer wieder Gegenstand aufgeregter politischer Debatten waren: Er zeichnet die Entscheidung der IG-Betriebsleitung für den Standort Auschwitz nach und schlüsselt die Gründe der Ortswahl auf. Er untersucht die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die interne Hierarchie der „Häftlingsgesellschaft" in Monowitz u n d knüpft hieran die wissenschaftlich bislang nicht geklärte Frage nach der ökonomischen Rentabilität des Gefangeneneinsatzes. Schließlich schildert er Voraussetzungen, Gegebenheiten u n d Folgen der engen Zusammenarbeit zwischen IG-Konzernleitung und SS, wobei er nach der Verantwortung der IG-Manager für die fabrikmäßige Ermordung der „ausgedienten" Häftlingsarbeiter fragt. Die IG Auschwitz, hier zum ersten Mal Gegenstand einer monographischen Studie, war eines der teuersten, größten u n d ehrgeizigsten Investitionsprojekte des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg. Der IGKonzern, 1925 begründet u n d binnen kurzem zum wichtigsten deutschen Privatunternehmen sowie zu einer der größten Chemiefabriken Europas aufgestiegen, baute im Frühjahr 1941 in Auschwitz sein reichsweit viertes Werk zur Herstellung von Buna, einem künstlich aus Kohle hergestellten Gummi f ü r die Kriegswirtschaft; errichtet wurde auch ein chemisches Großwerk zur Produktion von Kautschuk u n d synthetischem Treibstoff. Hintergrund der Forderung staatlicher Stellen nach einem IG-Werksstandort „im Osten" war nicht n u r der erhöhte kriegswirtschaftliche Bedarf, sondern insbesondere die Absicht, die „Eindeutschung" der ehemals polnischen Territorien voranzutreiben. Dem Fabrikbau stimmten die leitenden Manager auch deshalb zu, weil sie um das Monopol auf die Buna-Fabrikation fürchteten. Sie demonstrierten auf der ganzen Linie Wohlverhalten, was sich vor allem darin zeigte, daß sie trotz immenser Investitionskosten bereit waren, den Wunsch der Reichsbehörden zu erfüllen. Die Zustimmung zum Bau der Fabrik in Auschwitz, so Wagner, war von Seiten der IG „vor allem ein Zugeständnis an die Reichsregierung - u n d nicht das Ergebnis langfristiger ökonomischer Überlegungen". Die Frage nach den Gründen der Standortwahl ist seit langem Gegenstand einer Debatte, die h o h e Wellen schlug. Während Peter Hayes zu dem Ergebnis kam, daß die unmittelbare Nähe des Konzentrationslagers u n d die damit verbundene Aussicht auf billige Arbeitskräfte keineswegs den Ausschlag gaben, daß vielmehr geographische u n d ökonomische Faktoren maßgeblich waren u n d auch die Zusammenarbeit zwischen IG u n d SS erst nach der definitiven Entscheidung

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über den Standort zustandekam 5 , widersprachen dem Thomas Sandkühler u n d Hans-Walter Schmuhl. 6 Wagner geht nun ähnlich wie Sandkühler u n d Schmuhl von der These aus, daß die IG-Konzemleitung von vornherein die Absicht hatte, das Konzentrationslager als Arbeitskräftereservoir zu nutzen. Er kann darüber hinaus aber detailliert zeigen, daß sich die Manager in der Frage des Arbeitseinsatzes der Häftlinge aus eigener Initiative u m die Kooperation mit der SS bemühten. Die Existenz des Konzentrationslagers, so Wagners Resümee, war zwar keineswegs die einzige Voraussetzung für den Fabrikbau in Auschwitz, allerdings spielte die Gewißheit über die Möglichkeit des Arbeitseinsatzes - neben günstigen Allokationsfaktoren wie einer gesicherten Rohstoff- u n d Wasserversorgung sowie guter Verkehrsanbindung - eine zentrale Rolle. Wagner zufolge war die Leitung der IG bei der endgültigen Standortentscheidung im Februar 1941 über die sich anbietende Zusammenarbeit mit der SS voll im Bilde. Reichsführer SS u n d Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler versuchte schon seit Mitte der dreißiger Jahre, die Arbeitskraft von Konzentrationslagerhäftlingen für rüstungswirtschaftliche Zwecke auszubeuten, um der SS im Zuge der Ökonomisierung der Lager auch wirtschaftliche Macht zu sichern. Diese Versuche scheiterten mangels betriebswirtschaftlicher Erfahrung der SS sowie infolge der verschwindend geringen Arbeitseffizienz der Häftlinge. In Auschwitz eröffnete die Kooperation mit der IG Himmler die Möglichkeit, seine wirtschaftlichen Ambitionen schließlich doch zu realisieren. Auch im Sinne der Konzernführung gedieh die Entwicklung so erfreulich, daß IG-Vorstandsmitglied Otto Ambros im April 1941 euphorisch von der „segensreichen Zusammenarbeit mit der SS" sprach. Die Fabrikbaustelle n a h m binnen kurzem die Dimension einer mittleren Kleinstadt an. Tausende von sogenannten Fremdarbeitern aus vielen europäischen Ländern wurden täglich bis zur Erschöpfung m e h r als zehn Stunden zur Zwangsarbeit herangezogen; etwa ein Drittel der Arbeiter waren Konzentrationslagerhäftlinge. Schwierigkeiten mit der Beschaffenheit des Bodens, Stockungen bei der Materiallieferung u n d ständiger Arbeitskräftemangel verzögerten das Bautempo jedoch erheblich. Im Sommer 1942 war das erklärte Ziel, den Produkti-

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Vgl. Peter Hayes, Industry and Ideology: IG Farben in the Nazi Era, Cambridge u. a. 1987. Vgl. Thomas Sandkühler/Hans-Walter Schmuhl, Noch einmal: Die IG-Farben und Auschwitz, in: Geschichte und Gesellschaft 19 (1993), S. 259-267.

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onsbeginn spätestens im Jahr darauf aufzunehmen, in weite Ferne gerückt. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Schwierigkeiten trieb die Werksleitung das Vorhaben voran, in unmittelbarer Nähe der Baustelle ein fabrikeigenes Konzentrationslager zu errichten, um über ein stetig auszubeutendes Arbeitskräftereservoir an billigen u n d beliebig einsetzbaren Häftlingen zu verfügen. Ende Oktober 1942 ging das neue Lager in Betrieb, errichtet auf der Flur des abgetragenen Dorfes Monowitz; es war das erste von einem Privatunternehmen initiierte u n d finanzierte Lager, u n d es diente ausschließlich dem Einsatz von Konzentrationslagerhäftlingen in der deutschen Rüstungswirtschaft. Den Gefangenen blieb seit der Verlegung ins Lager Monowitz zwar der tägliche mehrstündige Fußmarsch vom Stammlager zur Werksbaustelle u n d wieder zurück erspart. Jedoch hatte kaum einer von ihnen die Chance, Monowitz zu überleben. Im Jahr 1943 waren durchschnittlich 3000, zur Zeit der höchsten Belegstärke im Sommer 1944 m e h r als 11000 Gefangene inhaftiert. Das Lager Monowitz stand zwar in puncto Versorgung und sogenannter Gesundheitspflege in der Verantwortung des IG-Konzerns, befehligt u n d bewacht wurde es jedoch von der SS, so daß es bis in die Details einem staatlichen Konzentrationslager glich. Wachtürme, ein mit Stacheldraht gesicherter Maschendrahtzaun u n d eine zusätzliche, nachts beleuchtete Umzäunung unter Starkstrom sicherten das Areal. Zunächst als ein Nebenlager des Konzentrationslagers Auschwitz geführt, avancierte Monowitz binnen kurzem zum größten Einzellager im Lagerkomplex Auschwitz III u n d Ende 1944 schließlich zum selbständigen Konzentrationslager mit eigenen Verwaltungseinrichtungen, in dessen Verantwortungsbereich sämtliche Nebenlager von Auschwitz lagen. Unter erbärmlichen Lebensbedingungen und bei minimaler Versorgung sank die Lebenserwartung der Gefangenen auf durchschnittlich drei Monate, bisweilen sogar auf n u r wenige Wochen. Sofern sie nicht unmittelbar an den Folgen des Arbeitseinsatzes starben, wurden die Häftlinge, sobald sie körperlich ausgezehrt u n d nicht mehr arbeitsfähig waren, nach den nahezu wöchentlich stattfindenden Selektionen durch SS-Arzte u n d ihre Helfer ins Lager Birkenau transportiert u n d schließlich in den Gaskammern ermordet. Etwa 25000 bis 30000 HäftlingsZwangsarbeiter starben bis zum Anrücken der Roten Armee an den Folgen ihrer Tätigkeit für den Chemiegiganten. Bis in die Details zeichnet Bernd C. Wagner die Lebensbedingungen der Gefangenen in Monowitz nach. Er schildert ihren Weg von der Ankunft über die Zuteilung zu den Arbeitskommandos im Außen- u n d In-

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nenbereich des Lagers, das Ausgeliefertsein an SS u n d Mithäftlinge, das mühsame Zurechtfinden im Lager, den Umgang mit den internen Machtstrukturen und ungeschriebenen Gesetzen. Das tradierte, von der Forschung bislang kaum in Frage gestellte Bild von der homogenen „Lagergesellschaft" wird erschüttert, wenn Wagner vor Augen führt, daß der Wille zu überleben die Häftlinge keineswegs zu solidarischem Handeln bewog. Sie befanden sich infolge der übergroßen Zwänge und minimalen Handlungsspielräume vielmehr in ständiger Konkurrenz zueinander. Das von der SS installierte System der sogenannten Häftlingsselbstverwaltung, ein Patronageverfahren zügelloser Willkür u n d unerbittlicher Uber- u n d Unterordnung, führte zwangsläufig zur Privilegierung der zumeist „arischen" Funktionshäftlinge. In Stellungen als Lagerälteste, Blockälteste, Stubendienste, Blockschreiber, Kapos u n d Kommandierte gehörten sie zur sogenannten Lagerprominenz. Ihre Aufgabe war es, durch Überwachung u n d Disziplinierung der Mitgefangenen als Helfershelfer der SS für einen reibungslosen Ablauf des Arbeitsalltags zu sorgen. Nur wenige versuchten ihre Stellung zugunsten der Mithäftlinge zu nutzen. Es gibt zahlreiche Stimmen von Uberlebenden, die aus der Retrospektive schildern, daß die Funktionshäftlinge „in vielen Fällen schlimmer waren als die SS". Die IG Auschwitz nahm die späteren Beziehungen zwischen SS und Rüstungswirtschaft geradezu modellhaft vorweg. Die im Frühjahr 1941 begonnene Vermietung von Gefangenen an den Konzern lieferte das Vorbild für den systematisch organisierten Zwangsarbeitseinsatz von Konzentrationslagerhäftlingen in der Kriegswirtschaft, den das neu begründete Wirtschaftsverwaltungshauptamt angesichts des eklatanten Arbeitskräftemangels im Deutschen Reich ab März 1942 organisierte. Die Zusammenarbeit von SS u n d IG in Monowitz war angesichts der auf den ersten Blick divergierend wirkenden Ziele - Aufnahme der Produktion einerseits u n d Destruktion des rassenpolitischen Gegners andererseits - nie gefährdet. Vielmehr, so Wagners Deutung, gingen der von der SS angestrebte erschöpfende Arbeitseinsatz der vorwiegend jüdischen Häftlinge u n d das Drängen der IG auf maximale Produktivität Hand in Hand. Die Firmenleitung identifizierte sich mit der rassistisch motivierten Weltsicht u n d adaptierte das menschenverachtende Vorgehen der SS, so daß der Lebenswert der Häftlinge allein von ihrer tatsächlichen Arbeitsleistung abhing. Um „Arbeitsbummelei" vorzubeugen, wurden auf Initiative der IG massive Repressionen zur Disziplinierung eingeführt, die vom Essensentzug über die Prügelstrafe bis hin zur Versetzung in ein todbringendes Arbeitskommando reichten. Ju-

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den - in Monowitz durchschnittlich n e u n von zehn Zwangsarbeitern wurden im Zusammenhang mit der nach „rassischen" Kriterien strukturierten Häftlingshierarchie in der Regel in besonders harten Kommandos eingesetzt, wie beispielsweise in den Kohlegruben, wo sie kaum Chancen hatten zu überleben. Am Beispiel des sogenannten Häfdingskrankenbaus zeigt Wagner, daß Arzte aus den Reihen der Häftlinge an den Selektionen mitwirken mußten, u n d auch, daß die IG-Firmenleitung mit ihren stetigen Forderungen nach leistungsfähigen und „unverbrauchten" Arbeitern den von der SS intendierten Vernichtungsprozeß aktiv förderte. Wer durch Erschöpfung u n d Krankheit ausschied und schließlich getötet wurde, hinterließ keine Lücke, sondern wurde kurzerhand gegen kräftige u n d gesunde Neuankömmlinge ausgetauscht. Die Firmenleitung, so Wagner, nahm die Ermordung der „ausgedienten" Häftlinge nicht n u r billigend in Kauf, sondern leistete durch permanenten Selektionsdruck auch aktiv Vorschub. Die führenden Manager wurden zu Mittätern, weil sie trotz Kenntnis der Vorgänge vor der Beteiligung an den Verbrechen nicht zurückschreckten. Betriebswirtschaftlich rentabel, dies kann Wagner zeigen, war die Häftlingsarbeit nicht. Damit widerlegt er die noch bis in die jüngste Zeit nicht n u r von der DDR-Historiographie vertretene These, wonach der Einsatz der Gefangenen dem Konzern h o h e n Profit einbrachte. Gingen die Vertreter der IG Auschwitz bei ihrer anfänglichen Ubereinkunft mit der SS von einer durchschnittlichen Arbeitsleistung eines Häftlings aus, die bei 75 Prozent deijenigen eines deutschen Arbeiters lag, erwies sich diese Prognose schon bald als unrealistisch. Aus den minimalen Arbeitskosten, die der Häftlingseinsatz versprach, konnte die IG nie Gewinn ziehen, da die Produktivität der Gefangenen angesichts der unzureichenden Versorgung, der Schikanen u n d Strafen, der physisch auslaugenden u n d psychisch entwürdigenden Arbeit weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Im Ergebnis, so Wagner, lag die Leistungskraft der Gefangenen in Monowitz deutlich unter 50 Prozent der eines deutschen Arbeiters, bisweilen sogar n u r bei 20 Prozent. Interpretationen, wonach die kapitalistische Wirtschaftsform verantwortlich für die Verstrickung der IG in die Verbrechen von Auschwitz gewesen sei, n e n n t Bernd C. Wagner simplifizierend u n d irreführend. Er zeigt, daß der Aufwand, den das Unternehmen im Zusammenhang mit dem Einsatz der Gefangenen betrieb, in eklatantem ökonomischen Mißverhältnis zum Ertrag stand. Nicht abstrakte Strukturen, sondern konkrete Personen macht er für das mörderische Geschehen verantwortlich. Persönlicher Ehrgeiz u n d geradezu besessener Aktionismus,

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das Buna-Werk trotz Zeitdrucks und Materialmangels in Betrieb zu nehmen, forcierten die Skrupellosigkeit der führenden Ingenieure. Deren ideologische Uberzeugung von der „rassischen Minderwertigkeit" der meisten Häftlinge, so das Fazit, war die Basis der unmenschlichen Unternehmenspolitik. Als das IG-Werk im Januar 1945 überstürzt geräumt wurde, waren die Aufbauarbeiten so gut wie abgeschlossen, die Gebäude betriebsfertig, die Maschinen nahezu produktionsbereit. Zurück blieb bei Kriegsende die größte Investitionsruine des Zweiten Weltkrieges. Der Autor widmet der Nachgeschichte des Konzerns, insbesondere den Versuchen zur juristischen Aufarbeitung durch alliierte und bundesdeutsche Instanzen, sein letztes Kapitel. Indem er Hintergründe und Ergebnisse des IG-Prozesses und die Position der Nachfolgegesellschaften zu Schuld, Sühne und zur Frage der materiellen Entschädigung untersucht, zeigt er, wie sehr die Ereignisse von den vergangenheitspolitischen Rücksichtnahmen der unmittelbaren Nachkriegszeit geprägt waren. Nach kurzer Haftzeit in die euphorische Atmosphäre des bundesdeutschen Wirtschaftswunders entlassen, stiegen Hauptverantwortliche der IG wieder in hohe Positionen der Industrie auf.

II. ,„Musterstadt' Auschwitz. Germanisierungspolitik und Judenmord in Ostoberschlesien" lautet der Titel der Untersuchung von Sybille Steinbacher, in der zum ersten Mal die Stadt Auschwitz und die sie umgebende Region Gegenstand der Forschung sind. Ziel ist es, den konkreten historisch-politischen Raum zu erfassen, in dem geschah, wofür die Metapher Auschwitz steht. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Rassen- und Eroberungspolitik widmet sich die Studie der Einbindung von Auschwitz in die administrativen, ökonomischen und sozialen Zusammenhänge Ostoberschlesiens, wobei das facettenreiche Beziehungsgeflecht zwischen dem Konzentrations- und Vernichtungslager und der Stadt und ihren Einwohnern im Mittelpunkt steht. Im Kern geht es um die Frage nach Voraussetzungen, Zusammenhängen und Folgewirkungen der Realisierung der beiden Leitgedanken nationalsozialistischer Politik am zentralen Schauplatz des Massenmords und seiner unmittelbaren Umgebung: der Umsetzung der Lebensraumeroberung „im Osten" und der „Lösung der Judenfrage".

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Im Forschungskontext zu den in jüngster Zeit erschienenen Regionalstudien zur nationalsozialistischen Besatzungs- u n d Vernichtungspolitik wird der vielgestaltige Komplex „Massenvernichtung" im Zusammenhang mit Organisation u n d Verlauf der systematischen Ausrottungspolitik untersucht. Die Darstellung widmet sich mehreren zentralen Problemlagen, wobei sie ganz unterschiedliche, jedoch allesamt ineinander verwobene Stränge deutscher Lebensraum-, Eroberungs- und Vernichtungspolitik zusammenführt. Sie fragt nach militärischer Einnahme u n d deutscher Herrschaftsentfaltung im annektierten Ostoberschlesien. Sie erläutert den Zusammenhang von Siedlungspolitik u n d Judenpolitik" in der Region sowie die Auswirkungen der ökonomischen Prämissen in der f ü r die Gesamtwirtschaft des Deutschen Reiches zentralen Provinz auf die .Judenpolitik". Sie untersucht, rückgebunden an die gesamtstaatlichen Vorgänge, die regionalspezifische Organisation und Dynamik des Vernichtungsprozesses in Ostoberschlesien. Der Nahblick läßt eine Tiefenschärfe zu, die es ermöglicht, sowohl die Struktur der Massenverbrechen als auch die Motivation der Täter zu ergründen. Auschwitz war vor Beginn des Zweiten Weltkrieges eine jüdisch geprägte Stadt, deren kulturelle u n d wirtschaftliche Hochblüte im Zuge der Industrialisierung zur vollen Entfaltung kam. Von den einheimischen J u d e n in stolzer Selbstwahrnehmung „Oswigcimer Jerusalem" genannt, entwickelte sich Auschwitz seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem Zentrum ostmitteleuropäischer jüdischer Kultur. J u d e n stellten etwa die Hälfte der Bewohner, zeitweise auch die Mehrheit. Beim deutschen Einmarsch in den ersten Septembertagen 1939 lebten in der Stadt etwa 6000 polnische Katholiken u n d rund 8200 Juden. Zu dieser Zeit diente das einstige Saisonarbeiterlager, das im Ersten Weltkrieg vor den Toren der Stadt erbaut worden war, als Truppenstandort der polnischen Armee. Wenige Monate später, im Frühjahr 1940, als die polnischen Soldaten vertrieben, das Areal abgeschottet u n d die Gebäude notdürftig hergerichtet waren, richtete Reichsführer SS Heinrich Himmler dort das erste Konzentrationslager im besetzten Polen ein. Das Lager diente der Zerschlagung des polnischen Widerstands, bevor es etwa Mitte 1942 zum Zentrum der Judenvernichtung in Europa wurde. Ostoberschlesien gehörte zusammen mit dem ebenfalls um rein polnische Landkreise erweiterten Ostpreußen sowie mit Danzig-Westpreußen u n d dem neu begründeten Warthegau zu den eingegliederten Ostgebieten. Anders als das Generalgouvernement wurden die Territorien

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dem Deutschen Reich staatsrechtlich einverleibt, wobei nach langen Grenzverhandlungen Ende Oktober 1939 feststand, daß auch Auschwitz zum deutschen Reichsgebiet gehörte. Infolge der komplizierten Verwaltungsverhältnisse in der auch ethnisch alles andere als homogenen Provinz sank die Stadt territorialrechtlich zunächst in die Zweitrangigkeit, da sie zum abschätzig „Oststreifen" genannten Gebiet direkt an der Grenze zum Generalgouvernement gehörte. Hierzu zählten im administrativ geteilten Schlesien j e n e Regionen, die einst österreichischgalizisch u n d russisch-kongreßpolnisch gewesen waren u n d deren Einwohner sich nahezu ausschließlich aus Polen u n d J u d e n zusammensetzten. Vom orthodoxen Glauben geprägt u n d den traditionellen Sitten und Riten verhaftet, erfüllten die rund 100000 bei 120000 ostoberschlesischen J u d e n die antisemitischen Klischees der deutschen Besatzer. Zum Schutz vor „negativen" ethnischen u n d ökonomischen Einflüssen wurde der „Oststreifen", wo nahezu sämtliche J u d e n der Provinz lebten, trotz der Einverleibung in das deutsche Reichsgebiet durch einen bewachten Wall, die sogenannte Polizeigrenze, vom übrigen Schlesien abgetrennt: In dem „rassisch minderwertigen" und territorialrechtlich inferioren Teil lag Auschwitz. Im Mai 1941 kam die Stadt im Zuge der „Germanisierung" rechtlich vollständig zum Altreich, so daß das Auschwitz der „Endlösung" - von der Historiographie bislang nicht wahrgenommen - keineswegs im geographisch nebulösen Osten lag, sondern vielmehr eine „deutsche Stadt" war. Zum Zeitpunkt des deutschen Einmarsches lebte in Auschwitz mit Ausnahme einiger weniger Volksdeutscher so gut wie niemand, der nach nationalsozialistischen Rassebegriffen als Deutscher gelten konnte. Der Ausschluß der J u d e n aus der Wirtschaft wurde schon in den ersten Tagen der Militärverwaltung abgeschlossen, lange bevor der Aufbau eines funktionierenden deutschen Verwaltungsapparats abgeschlossen war. Aber nicht von vornherein, dies zeigt sich in Ostoberschlesien ebenso wie in den anderen besetzten Ostgebieten, zielte antijüdische Politik auf Ausmerze und Massenmord. Deutlich wird, daß die systematische Judenvernichtung nicht in allen Gebietsteilen „im Osten" einheitlich nach denselben Regeln geplant war. Vielmehr war das Geschehen Teil der jeweils regionalspezifischen Eroberungs- und Besatzungspolitik. Die Verbrechen beruhten auch in Ostoberschlesien nicht auf einem sich selbst steuernden Automatismus, sondern gingen vielmehr von konkret handelnden Personen auf allen Ebenen des Besatzungsapparats aus. In der Provinz stand antijüdische Politik in der Anfangsphase in unmittelbarem Konnex zu der von

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Himmler in seiner neuen Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) in den eingegliederten Ostgebieten initiierten systematischen Verdrängung der zu „rassisch minderwertigen Elementen" erklärten einheimischen Polen u n d Juden. Das ideologische Programm war auf umwälzende bevölkerungspolitische Eingriffe ausgerichtet mit dem Ziel, die Vertreibung sämtlicher J u d e n u n d des Gros der Polen zu realisieren und schließlich auch die rasche „Ansetzung" einer „rassisch einheitlichen" deutschen Bevölkerung unter strenger Segregierung von den verbleibenden Polen. Juden- u n d Siedlungspolitik lagen in Ostoberschlesien zunächst einheitlich organisiert in der Hand der Zivilverwaltung, ehe die SS im Herbst 1940 die Federführung übernahm und die beiden Stränge teilte. Die Dissoziation wurde institutionell festgeschrieben, als der 28jährige promovierte Anthropologe und SS-Untersturmführer Fritz Arlt in seiner Funktion als RKF-Beauftragter Himmlers für die Deportation der polnischen Bevölkerung sowie für die Ansiedlung der Volks- und Reichsdeutschen zuständig wurde. Die .Judenpolitik" hingegen ging auf die neu begründete, hier erstmals ausführlich untersuchte Dienststelle Schmelt über, benannt nach ihrem Leiter SS-Oberführer Albrecht Schmelt. Die Behörde war eine singuläre Institution im eroberten Polen, von Himmler persönlich geschaffen u n d ihm aller Wahrscheinlichkeit nach auch direkt unterstellt. Schmelt, zuvor Polizeipräsident in Breslau, rief als Sonderbeauftragter des Reichsführers SS ein neuartiges Zwangsarbeitseinsatzsystem „zur Erfassung u n d Lenkung des fremdvölkischen Arbeitseinsatzes in Ostoberschlesien" ins Leben, das er ganz im Sinne der SS so effektiv organisierte, daß binnen kurzer Zeit bereits rund 17 000 ausschließlich jüdische Zwangsarbeiter, Männer wie Frauen, in täglich mindestens zwölfstündigem, schwerem körperlichen Einsatz ausgebeutet wurden. Sie arbeiteten in speziellen Judenlagern auf Baustellen entlang der Reichsautobahn, außerdem in großen Industrieunternehmen u n d auch in Werkstätten zur sogenannten Wehrmachtsfertigung in den jüdischen Städten im „Oststreifen". Ökonomische Interessen regulierten die antijüdische Politik. Dies war charakteristisch für die Entwicklung in Ostoberschlesien u n d unterschied Verlauf und Dynamik der Vernichtungspolitik von den Vorgängen in den anderen eingegliederten Ostgebieten. Himmlers spezifisches Interesse, der SS durch den Judeneinsatz" gerade im Zentrum der Rüstungsindustrie Einfluß zu sichern, verweist auf seine Ambitionen, „im Osten" neben sicherheitspolizeilicher u n d siedlungspoliti-

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scher Kompetenz auch uneingeschränkt ökonomische Macht anzuhäufen. Konnte die Forschung hierüber bislang n u r spekulieren, liefert die Untersuchung der Dienststelle Schmelt hierfür den empirischen Beleg. Die Rekrutierung von J u d e n zur Zwangsarbeit erfolgte in Ostoberschlesien weitaus früher u n d systematischer als anderswo im Deutschen Reich. Schmelt unterhielt in eigener Regie, unabhängig von der Inspektion der Konzentrationslager, ein eigenes flächendeckendes, über Ostoberschlesien schließlich weit hinausreichendes Lagersystem von m e h r als 200 Einzellagern mit ausschließlich jüdischen Insassen. Er antizipierte bereits im Spätherbst 1940 jenes auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Prinzip zur Vermietung von Häftlingszwangsarbeitern, das im Frühjahr 1941 die IG Auschwitz übernahm u n d das nach Gründung des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes im März 1942 schließlich reichsweit eingeführt wurde. In Ostoberschlesien führte die Integration der J u d e n in die Wirtschaft regionalspezifisch zur Verlangsamung des Mordprozesses. Trotz der unmittelbaren Nähe zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gerieten die ostoberschlesischen J u d e n weder auffallend schnell noch besonders umfassend in die Mordmaschinerie. Himmlers wirtschaftliches Interesse am Erhalt der Arbeitskraft der J u d e n wirkte eine Zeidang vielmehr retardierend auf die Dynamik der systematischen Vernichtung. So war das Gros der einheimischen J u d e n noch am Leben, als die jüdische Bevölkerung ganzer Städte u n d Ortschaften anderswo im eroberten Polen bereits ausgerottet war, u n d Schmelt verfügte Anfang 1943 noch über die hohe Zahl von rund 50000 jüdischen Zwangsarbeitem. Dabei stand nie in Frage, daß auch die ostoberschlesischen .Arbeitsjuden" getötet würden. Im Hochsommer 1943 wurden die jüdischen Gemeinden Ostoberschlesiens aufgelöst, die Ghettos liquidiert u n d die J u d e n ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert. Der Massenmord an den J u d e n stand in der Provinz in unmittelbarem Konnex zur Modernisierung der Städte. Das „Verschwinden" der J u d e n - gefordert insbesondere von Kommunalpolitikern - galt geradezu als Voraussetzung für architektonische Verschönerung u n d infrastrukturelle Erschließung im Dienste der „Germanisierung". Die Verdrängung wurde mit dem ausgreifenden Programm städtebaulicher Neuordnung legitimiert. Für die Verantwortlichen war dies kein Weg, um etwaige H e m m u n g e n zu überwinden, sondern vielmehr eine vermeintlich zweckrationale Begründung, der dezidiert der Wille zum Mord vorausging. Die Kausalzusammenhänge verweisen nach Einschätzung der Autorin auf die „bewußte Uberzeugung von der Richtigkeit

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der Tat". Getragen vom moralisch skrupellosen Gefühl zivilisatorischer Überlegenheit, verbanden Beamte, Städtebauer, Architekten u n d andere Beteiligte die Verdrängung der J u d e n mit der Gewißheit, freie Hand zu haben, ihre sogenannten Modernisierungspläne zu realisieren. Das eigene Handeln wurde als hart aber unumgänglich gerechtfertigt. Die gewaltsame Liquidierung der Ghettos spielte sich dabei keineswegs im geheimen ab, sondern war so öffentlich, daß die regionale Presse darüber berichtete. So schrieb die „Oberschlesische Zeitung" im April 1944, m e h r als ein halbes Jahr nach Auflösung der Ghettos, in unverhohlener Zufriedenheit über die Räumung von Bendzin, ehemals die größte jüdische Stadt in der Provinz: „Das einst fast völlig veijudete Bendzin, wo der verkommenste Auswurf dieser Rasse" lebte, sei „nunm e h r deutsch und sauber". In den hypertrophen Städtebauideen flössen Herrenmenschengebaren, Lebensraumidee u n d Antisemitismus zusammen. Der Massenmord an den Juden, nach Kriegsende zu Unrecht als „Rückfall in die Barbarei" bezeichnet, wurde von Zivilisierungsbestrebungen entscheidend forciert. Die Judenvernichtung, schreibt Sybille Steinbacher, „geschah nicht zuletzt deshalb, um dem eroberten Osten .deutsche Kultur' zu bringen". Das Paradigma der Neugestaltung war Auschwitz. In atemberaubender Schnelligkeit avancierte die Stadt im Gefolge der Errichtung der IG Farben-Werke im Frühjahr 1941 von der inferioren .Judenstadt" zur „Musterstadt" der deutschen Ostsiedlung. Hauptakteur der „Germanisierung" von Auschwitz waren die IG Farben, die den Regierungsauftrag erfüllten, am äußersten Ostrand des Deutschen Reiches ein „Bollwerk des Deutschtums" zu errichten. So steht das abrupte Ende der vielhundertjährigen jüdischen Geschichte der Stadt Auschwitz im April 1941, als die einheimischen J u d e n in die Ghettos deportiert wurden, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Niederlassung des Industriewerks. Als Erfüllungsgehilfe des Regimes, aber auch in bemerkenswerter Eigeninitiative, leistete die IG nicht n u r dem ökonomischen, sondern auch dem volkstumspolitischen Auftrag zur „Eindeutschung" des Ostens Folge. Im Zuge der industriegeleiteten Städtebaupolitik setzten Modernisierungsmaßnahmen u n d Vorbereitungen zur „zivilisatorischen Erschließung" der Stadt Auschwitz von gigantischem Ausmaß ein. Projektiert war eine sogenannte Wohnstadt mit prächtigen Parteibauten u n d Wohnraum für letztlich 70 000 in erster Linie deutsche Bewohner. Angelockt von Wirtschaftsbeihilfen und staatlichen Existenzförderungskrediten, ließen sich Deutsche aus allen Teilen des Altreichs

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in Auschwitz nieder; viele stammten aus Städten, in denen die IG Farben Werksniederlassungen unterhielten. In der „Musterstadt" der deutschen Ostsiedlung wohnten während der Hochphase des Massenmords, kaum drei Kilometer entfernt vom Konzentrations- und Vernichtungslager, rund 7000 Reichsdeutsche. Die Spuren des Massenmords konnten sie nicht ignorieren, denn der süßliche Geruch aus den Schloten der Krematorien von Birkenau lag über der gesamten Stadt. „Germanisierung" und Massenmord bestanden reibungslos nebeneinander. Normalität und Verbrechen waren in Auschwitz nicht die Pole eines Gegensatzpaares, sondern, dies zeigt die Studie von Sybille Steinbacher, ganz im Gegenteil eng miteinander verzahnt.

III. Neben den beiden Monographien umfaßt das Forschungsprojekt zur Geschichte von Auschwitz auch eine Edition der „Standort- und Kommandanturbefehle des Konzentrationslagers Auschwitz 1940-1945" sowie einen Aufsatzsammeiband mit neuen Studien junger Historiker über die nationalsozialistische Lagerpolitik. Bei den Kommandanturund Standortbefehlen der Lager-SS von Auschwitz handelt es sich um einen dichten und in seiner Bedeutung ebenso aufregenden Bestand, wie ihn die nahezu geschlossen erhaltenen Unterlagen der Zentralbauleitung der Waffen-SS des Konzentrationslagers Auschwitz darstellen, deren Entdeckung Anfang der neunziger Jahre zu den spektakulären Funden im sogenannten Sonderarchiv Moskau (Osoybi) gehörte, dem heutigen Zentrum für die Aufbewahrung historisch-dokumentarischer Sammlungen (Centr chranenija istoriko-dokumental'nych kollekcij). Die Standort- und Kommandanturbefehle, eine Sammlung von im Original hektographierten Befehlsserien, wurden von der Forschung bislang kaum beachtet. Die Unterlagen reichen aus den Anfangswochen des Konzentrationslagers im Juni 1940 bis zur Auflösung im Januar 1945; mehr als drei Viertel des Gesamtbestandes sind in einwandfreiem Zustand erhalten. Die verschiedenen Teilüberlieferungen wurden aus dem Sonderarchiv Moskau, aus den Abteilungen des Bundesarchivs sowie dem Archiv des Instituts für Zeitgeschichte zusammengeführt und werden der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Wert der Standort- und Kommandanturbefehle liegt in ihrem hohen Informationsgehalt über die Alltagsrealität der Lager-SS. Im Anordnungsstil verfaßt und im Zweck internen Hausmitteilungen ver-

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gleichbar, legen die Dokumente Zeugnis ab von der Normalität der Verbrechen am Schauplatz der Massenvernichtung. Sie berichten von fröhlichen Feierstunden der SS-Angehörigen mit ihren Bräuten u n d Ehefrauen. Sie machen das geradezu grotesk anmutende Leben der Gattinnen u n d Kinder im Angesicht der Massenverbrechen greifbar, beispielsweise wenn die Rede ist von regelmäßigen Schutzimpfungen für Säuglinge oder auch von den SS-Familien vorbehaltenen „Familiensprechstunden" der SS-Arzte, deren tägliches Handwerk die Selektion an der Rampe von Birkenau war. Auch für die unmittelbaren Vernichtungsvorgänge finden sich Belege. So ist dokumentiert, daß Lagerkommandant Rudolf Höss seinen SS-Männern als Belohnung für „Sonderaktionen" Urlaub gewährte, u n d auch, daß SS-Leute aus Auschwitz - vermutlich aufgrund ihrer „Erfahrungen" mit Giftgas - regelmäßig zur „Aktion Reinhard", den Vernichtungslagern Sobibor, Treblinka und Belzec, abgeordnet wurden. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Projekt des Instituts für Zeitgeschichte entwickelte sich in den letzten Jahren ein intensiver Forschungsaustausch unter der nachwachsenden Historikergeneration. So kommen seit 1994 Doktoranden aus der gesamten Bundesrepublik jährlich zu Kolloquien zur Geschichte der Konzentrations- u n d Vernichtungslager zusammen. Die Ergebnisse des Workshops, der im Februar 1996 unter Leitung von Norbert Frei am Institut für Zeitgeschichte stattfand, werden in ausgewählten u n d erweiterten Beiträgen in einem Sammelband vorgestellt. Der Titel „Ausbeutung - Vernichtung Öffentlichkeit. Studien zur nationalsozialistischen Lagerpolitik" veranschaulicht die zugrunde liegende Konzeption, möglichst viele Facetten des Komplexes „Massenvernichtung" zu erfassen. Untersucht wird die Frage nach den Lagern als Teil der nationalsozialistischen Öffentlichkeit ebenso wie die Rolle des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes im Zusammenhang mit der Ökonomisierung der Lager; darüber hinaus geht es um neue Einzelaspekte der Besatzungs- u n d Vernichtungspolitik „im Osten". Die vier Bände des Forschungs- und Editionsprojekts zur Geschichte von Auschwitz werden Anfang 2000 im Verlag K. G. Saur erscheinen.

Christian Hartmann1 Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur 1933 bis 1945 Das Projekt „Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur" hat im August 1998 mit seiner Arbeit begonnen und ist damit zur Zeit eines der jüngsten Forschungsprojekte am Institut für Zeitgeschichte. 2 Deshalb lassen sich vorläufig nicht mehr als einige konzeptionelle Überlegungen präsentieren, aber keine Ergebnisse oder gar eine Gesamtbilanz. Um die Funktion der Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur zu bestimmen, werden im Institut für Zeitgeschichte vier Studien erarbeitet, die thematisch eng aufeinander bezogen sind und zugleich verschiedene Ebenen bzw. Räume abdecken. Angesichts der Größe einer Organisation, die während der Jahre 1939 bis 1945 von insgesamt 18 Millionen Menschen durchlaufen wurde3, erschien es sinnvoll, sich vor allem auf den deutsch-sowjetischen Krieg während der Jahre 1941 bis 1944 zu beschränken, dem „Kernstück" des nationalsozialistischen Eroberungsprogramms. 4 Wenn der General Warlimont, seinerzeit Stellvertretender Chef des Wehrmachtführungsstabs, rückblickend schrieb,

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Die Konzepte der einzelnen Studien wurden von den dort namentlich genannten Projektmitarbeitern verfaßt. Das auf drei J a h r e angelegte Projekt, finanziert vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung u n d Kunst, leitet Christian Hartmann; Projektmitarbeiter sind J o h a n n e s Hürter u n d Dieter Pohl, Wissenschaftliche Hilfskraft Andreas Toppe, die Studentischen Hilfskräfte Peter Lieb u n d Christian Schaaf. H e r m a n n Graml sei an dieser Stelle nochmals f ü r die vielfältige Unterstützung des Projekts gedankt. Vgl. Burkhart Müller-Hillebrand, Das Heer 1935-1945. Entwicklung des organisatorischen Aufbaus, Bd. III: Der Zweifrontenkrieg. Das Heer vom Beginn des Feldzugs gegen die Sowjetunion bis zum Kriegsende, Frankfurt a. M. 1969, S. 253. Die Zahl umfaßt die Angehörigen von Feldheer, Ersatzheer, Luftwaffe, Kriegsmarine, Waffen-SS, fremdländische Kräfte u n d Wehrmachtgefolge. So Andreas Hillgruber, Die „Endlösung" u n d das deutsche Ostimperium als Kernstück des rassenideologischen Programms des Nationalsozialismus, in: VfZ 20 (1972), S. 133-153.

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Christian Hartmann

dieser Krieg sei zur „Schicksalssendung der deutschen Wehrmacht"5 geworden, so ist dieses Urteil - wenn auch in einem anderen Sinn - immer noch gültig. Konzentriert sich die Gruppenbiographie von Johannes Hürter auf die deutschen Oberbefehlshaber an der Ostfront 1941/42, also auf die höchste Führungsebene, so beabsichtigt die Untersuchung von Christian Hartmann, den Einsatz ihrer Truppen an der Front und in der Etappe in vergleichender Perspektive zu analysieren. Diese Studie steht damit gewissermaßen zwischen der ersten Darstellung und der dritten, als Edition angelegten, Arbeit von Dieter Pohl, in der die Folgen dokumentiert werden sollen, welche die deutsche Militärverwaltung im Hinterland für die dort lebende Bevölkerung hatte. Im Gegensatz dazu ist die Dissertation von Andreas Toppe zum Thema Wehrmacht und Kriegsvölkerrecht nicht allein auf den deutsch-sowjetischen Kriegsschauplatz beschränkt; ohne die Kenntnis des damaligen international gültigen Kriegsvölkerrechts und der daraus resultierenden Rechtspolitik und Rechtspraxis der Wehrmacht läßt sich jedoch ihr Verhalten in der Sowjetunion wie überhaupt im Zweiten Weltkrieg kaum adäquat bewerten.

Johannes Hürter: Die deutschen Oberbefehlshaber an der Ostfront

1941/42

Während der grundsätzlich verbrecherische Charakter des Raub-, Eroberungs- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion weitgehend anerkannt wird, ist eine abschließende Beurteilung und historische Einordnung des Gesamtverhaltens der Wehrmacht in diesem Krieg noch nicht gelungen. Die bisherigen Untersuchungen bewegten sich vorwiegend im Mikrobereich einer Einheit oder eines Raumes, ohne die einzelnen verbrecherischen Aktionen in einem größeren zeitlichen und räumlichen Rahmen zu sehen. Dabei droht die isolierte Betrachtung der Kriegs- und NS-Verbrechen den Blick dafür zu verstellen, daß diese Handlungen in eine ganz bestimmte politische, militärische und gesellschaftliche Entwicklung eingebunden waren. Ein Gesamtbild des Anteils der Wehrmacht an Hiüers Vernichtungskrieg - vom Gefreiten bis zum Feldmarschall, vom Stoßtrupp bis zur Heeresgruppe - ist allerdings bei der unübersehbaren Zahl an Personen und Einheiten nach 5

Walter Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 39-45. Grundlagen, Formen, Gestalten, München 3 1978, S. 133.

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dem derzeitigen Forschungsstand kaum zu entwerfen. Dagegen bietet die Perspektive auf eine kleine, gut dokumentierte, maßgebliche und auf das gesamte Kriegsgebiet im Osten verteilte Gruppe von hohen Militärs die große Chance, zahlreiche Varianten individuellen Handelns in jeweils unterschiedlichen Konstellationen zu erfassen und für einen Teil der militärischen Gesellschaft zu repräsentativen Ergebnissen zu gelangen. Das von Johannes Hürter bearbeitete Projekt beschäftigt sich mit den obersten Heereskommandeuren an der Ostfront, d. h. den Oberbefehlshabern der Heeresgruppen und Armeen sowie den Befehlshabern der rückwärtigen Heeresgebiete. Der zeidiche Schwerpunkt liegt auch aus pragmatischen Überlegungen - auf dem ersten Jahr des Rußlandfeldzugs von Juni 1941 (Kriegsbeginn) bis Mai 1942 (Wiederaufnahme der Offensivoperationen), da diese Monate für das Thema Kriegsund NS-Verbrechen besonders aufschlußreich und gut belegt sind. Die genannte militärische Elite eignet sich für eine gruppenbiographische Studie vor allem aus drei Gründen. Zum einen ist sie überschaubar und geschlossen genug, um nicht nur zu mehr oder weniger zufälligen, sondern zu symptomatischen Befunden zu kommen. Sie bestand 1941/42 aus dreißig höchsten Offizieren6, die sowohl als Einzelpersonen als auch als Gruppe in ihrem Denken und Handeln faßbar sind und über das Schwerpunktjahr hinaus in ihrer Zeit und ihrem Umfeld gesehen werden können. Zum zweiten hatte diese Gruppe als höchste militärische Autorität vor Ort mitentscheidenden Einfluß auf die Kriegführung und teilweise auch auf die Besatzungspolitik im Osten. Und drittens war sie über den gesamten Raum des Ostkrieges von Finnland bis auf die Krim einschließlich der rückwärtigen Gebiete verteilt; an ihrem Beispiel kann daher - wenn auch aus der spezifischen Sicht der obersten Führung - der Krieg in der Sowjetunion insgesamt in den Blick genommen werden. Zu diesen Vorteilen der Uberschaubarkeit, der Relevanz und der Repräsentativität tritt als weiterer Vorzug eine reiche Uberlieferung 6

Unter Mitberücksichtigung des Kriegsschauplatzes im äußersten Nordosten (Finnland) sind dies die Oberbefehlshaber Bock, Busch, Died, Falkenhorst, Guderian, Heinrici, Hoepner, Hoth, Kleist, Kluge, Küchler, Leeb, Lindemann, Manstein, Model, Paulus, Reichenau, Reinhardt, Rundstedt, Ruoff, Salmuth, Schmidt, Schobert, Strauß, Stülpnagel und Weichs sowie die Befehlshaber der rückwärtigen Heeresgebiete Friderici, Franz v. Roques, Karl v. Roques und Schenckendorff. Letztere sollen hinzugezogen werden, da sie wie die ranghöheren Armeeoberbefehlshaber den Heeresgruppen unmittelbar unterstellt waren und im rückwärtigen Heeresgebiet eine durchaus vergleichbare Befehlsgewalt besaßen.

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dienstlicher wie auch privater Quellen. Gleichwohl wurde diese Gruppe noch nicht militär-, politik- und gesellschaftsgeschichtlich analysiert.7 Dabei ist die Generalselite ein wichtiger Bestandteil der militärischen Gesellschaft, deren Erforschung jetzt so vehement gefordert wird.8 Auch liegen bisher kaum wissenschaftliche Untersuchungen zu einzelnen Oberbefehlshabern der Ostfront vor.9 Zwei vor kurzem erschienene biographische Sammelwerke enthalten lediglich einige knappe Lebensskizzen10, machen aber nicht den Versuch und erheben auch nicht den Anspruch, die nebeneinander stehenden Beiträge zu einer Synthese, zu einem Ganzen zu verbinden. Größere Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis dieser Militärelite zu Kriegs- und NS-Verbrechen fehlen. In der Literatur werden immer wieder dieselben bekannten Dokumente zitiert, als spektakulärste Beispiele die berüchtigten Armeebefehle Reichenaus, Mansteins und Hoths. Der Kenntnisstand über die höchste Generalität im Osten ist damit ein Spiegel der gegenwärtigen Forschungslage über den Krieg gegen die Sowjetunion: Die vorhandenen Mosaiksteine ergeben ein Fragment, das erst wenig von einem Gesamtbild erahnen läßt. Noch immer ist man auf dem von Jürgen Förster im Jahr 1983 erreichten Stand, daß einzelne Beispiele für das Verhalten der Generale im Vernichtungskrieg bekannt sind, die Frage nach ihrer Repräsentativität aber noch nicht beantwortet werden kann.11

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Vgl. auch die Bemerkungen von Michael Ruck, Bibliographie zum Nationalsozialismus, Köln 1995, S. 25: „Ein zweites Charakteristikum der neueren NS-Forschung ist die intensive Beschäftigung mit der Geschichte einzelner Sozialgruppen. [. . . ] Als Schwerpunkte zeichnen sich die Komplexe Justiz, Medizin/Psychatrie und Universitäten ab; vergleichsweise defizitär sind demgegenüber die Bereiche Verwaltung, Militär und Wirtschaft. Vor allem aber mangelt es auch hier noch an Studien, welche das Verhalten verschiedener Elitegruppen komparativ untersuchen." Auch zu letzterem Problem kann das hier vorgestellte Projekt erste Ergebnisse liefern. Vgl. ζ. B. Omer Bartov, Wem gehört die Geschichte? Wehrmacht und Geschichtswissenschaft, in: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Hrsg. v. Hannes Heer u. Klaus Naumann, Hamburg 1995, S. 601-619. Wissenschafdichen Ansprüchen genügen überhaupt nur drei Arbeiten: Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb. Tagebuchaufzeichnungen und Lagebeurteilungen aus zwei Weltkriegen. Aus dem Nachlaß hrsg. u. mit einem Lebensabriß versehen v. Georg Meyer, Stuttgart 1976; Charles Messenger, The Last Prussian. A Biography of Field Marshal Gerd von Rundstedt 1875-1953, London [u. a.] 1991; Christoph Clasen, Generaloberst Hans-Georg Reinhardt, Stuttgart 1996. Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser u. Enrico Syring, Berlin/Frankfurt a. M. 1995; Hitlers militärische Elite. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. 2 Bde., Darmstadt 1998. Jürgen Förster, Die Sicherung des „Lebensraumes", in: Das Deutsche Reich und der zweite Weltkrieg, Bd. 4: Der Angriff auf die Sowjetunion, Stuttgart 1983, S. 1030-1078, hier S. 1045: „Welche Haltung hoher Offiziere gegenüber dem Vorgehen der Sicher-

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Diese Antwort soll durch die breit angelegte Untersuchung der Oberbefehlshaber wenigstens für die Spitze der Wehrmachtsgeneralität im Osten u n d wenigstens für das entscheidende erste Jahr des Feldzugs gegeben werden. Die zentrale Frage, inwieweit die oberste Führung des Ostheeres an der heute unbestrittenen Entgrenzung des Krieges zu Völkerrechtsbruch u n d Massenverbrechen beteiligt u n d für sie verantwortlich war, ist aber nicht allein durch die Suche nach den „Beweisen" entsprechender Befehle, Handlungen u n d Meinungsäußerungen 1941/42 zu beantworten. Darüber hinaus ist es nötig, den Blick auf das soziale, geistige u n d fachlich-organisatorische Profil dieser Gruppe zu richten. Diesen großen Fragen wird auf vier Wegen nachgegangen, die jeweils für ein Kapitel stehen: dem sozialgeschichtlichen, dem mentalitätsgeschichtlichen, dem institutionsgeschichtlichen u n d dem ereignisgeschichtlichen. Diese vier Hauptkapitel werden noch durch ein rezeptionsgeschichtliches Schlußkapitel ergänzt, das sich mit der Selbstdarstellung u n d dem Mythos der Generalität nach dem Zweiten Weltkrieg befaßt - allerdings eher in Form einer problemorientierten Skizze als in einer erschöpfenden Erörterung dieses für eine selbständige Studie geeigneten Themas. Die Leitlinien der vier großen Schneisen, die durch das Problemfeld Militärelite und Vernichtungskrieg geschlagen werden sollen, sind jeweils auf j e d e n einzelnen Oberbefehlshaber bezogen Woher kam er? Was dachte er? Wie war er organisiert? Was tat er? u n d f ü h r e n dann zum Spezifischen und Symptomatischen der untersuchten Gruppe. Ziel ist nicht das Nebeneinander von dreißig Einzelbiographien, sondern die analytische Verknüpfung der verschiedenen individuellen Belege mit Blick auf den jeweiligen thematischen Schwerpunkt. Mit einem solchen Verfahren ließe sich ein in die Entwicklung der Militärelite seit der Kaiserzeit eingebundenes u n d doch auf das Kernproblem Kriegführung u n d Verbrechen bezogenes Gesamtbild der Gruppe zeichnen. Dabei ist zu erwarten, daß, über das Portrait der kleinen Gruppe von dreißig Generalen hinaus, auch wichtige Erkenntnisse

heitspolizei und des SD in den besetzten sowjetischen Gebieten aber ist typisch oder repräsentativ zu nennen? Da eine Quantifizierung nicht Aufgabe dieses Uberblicks über die deutsche Besatzungspolitik sein kann, bleibt nur die beispielhafte Anführung einiger Äußerungen." Vgl. auch ebd., S. 1054, über einen Befehl General v. Mackensens, der sich von den Befehlen Reichenaus, Mansteins und Hoths unterschied: „Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist die: wie repräsentativ ist dieser Befehl für das Verhalten des deutschen Heeres in der Sowjetunion? Sie kann nur indirekt beantwortet werden, da eine quantifizierende Untersuchung darüber noch aussteht."

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über das Verhalten der Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion insgesamt gewonnen werden können.

Christian Hartmann: Front und Etappe. Eine vergleichende Untersuchung zur militärisch-politischen Struktur des deutsch-sowjetischen Kriegs 1941-1944 Die Untersuchung von Christian Hartmann ist gewissermaßen komplementär zur vorhergehenden angelegt. Bietet der „Feldherrnhügel" die Möglichkeit, die Ostfront als Ganzes zu überblicken, ohne jedoch auf die Details eingehen zu können, so sollen nun jene Ebenen der militärischen Hierarchie genauer untersucht werden, wo die Dinge dann konkret wurden. Zu dieser großen Gruppe unterhalb der militärischen Elite gehörten immerhin 9 9 , 9 7 % aller Wehrmachtsangehörigen. 12 Schon deshalb kann das Interesse an ihrem Verhalten nicht neu sein. Vielmehr hat ein Unternehmen wie der deutsch-sowjetische Krieg, der so viele Menschen traf, eine kaum noch zu überblickende Flut an Memoiren hervorgebracht, aber auch eine nicht minder gewaltige Zahl an rein kriegsgeschichdichen Arbeiten, die oft die Geschichte einzelner Formationen, großer, aber auch kleiner und kleinster, nachzeichnen. 1 3 Auch ist in den letzten Jahren ein zunehmendes wissenschaftliches Interesse am „Krieg des kleinen Mannes" zu beobachten 1 4 sowie an der 12

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Vgl. Reinhard Stumpf, Die Wehrmacht-Elite. Rang- und Herkunftsstruktur der deutschen Generale und Admirale 1933-1945, Boppard a. Rh. 1982, S. 161 ff. Die Stärke des Ostheeres betrug am 22. 6. 1941 3050000 Mann. Vgl. Ernst Klink, Die militärische Konzeption des Krieges gegen die Sowjetunion, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4, Stuttgart 1983, S. 190-277, hier S. 270. Zahlen über die damals an der Ostfront eingesetzten Angehörigen von Luftwaffe und Kriegsmarine sind hier nicht angegeben. Die sowjetische Historiographie bezifferte die Angriffsstärke der Wehrmacht am 22. 6. 1941 auf insgesamt 4,4 Millionen Mann: Heer 3,3 Mio., Luftwaffe 1,2 Mio., Kriegsmarine 100000 Mann. Vgl. Geschichte des Zweiten Weltkriegs 1939-1945. Hrsg. vom Institut für Militärgeschichte des Ministeriums für Verteidigung der UdSSR u. a., Bd. 4: Die Faschistische Aggression gegen die UdSSR. Der Zusammenbruch der Blitzkriegsstrategie, Berlin (Ost) 1977, S. 31. Wie umfangreich diese Literatur ist, verdeutlicht etwa die folgende Bibliographie: Walter Held, Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg. Eine Bibliographie der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Hrsg. mit Unterstützung des Arbeitskreises für Wehrforschung, ζ. Z. 4 Bde., Osnabrück 1978-1995. So der Titel des von Wolfram Wette herausgegebenen Sammelbandes (München 1992). Vorbildlich die jüngst erschienene Auswertung von Feldpostbriefen: Klaus Latzel, Deutsche Soldaten - nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis - Kriegserfahrung 1939-1945, Paderborn 1998.

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Frage, wie weit militärische Einheiten jene verbrecherischen politischen Vorgaben umgesetzt haben, die mit dem Feldzug gegen die Sowjetunion verbunden waren 15 . Allerdings zeigten sich bereits in der Diskussion um die Wehrmachtsausstellung die Grenzen solcher Detailuntersuchungen; sie repräsentieren in der Regel nur kleine Ausschnitte, bieten aber kaum einen Gesamtüberblick über einen Kriegsschauplatz, dessen Front sich 1942 über eine Länge von insgesamt rund 3000 Kilometern erstreckte 16 , dessen Hinterland über eine Million Quadratkilometer umfaßte 17 und auf dem damals allein 183 deutsche Divisionen •

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eingesetzt waren. Um beiden Ansprüchen gerecht zu werden - eine detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse vor Ort wie auch deren Einordnung in größere Zusammenhänge - , bietet es sich an, sich an den zeitgenössischen militärischen Organisationsstrukturen zu orientieren. Dabei fällt zunächst auf, daß die weit überwiegende Mehrheit der deutschen Soldaten an der Front eingesetzt waren, nicht aber im Hinterland, schon weil der als Blitzkrieg gegen die Sowjetunion konzipierte Feldzug alles andere als erwartungsgemäß verlief. Jeder Soldat, der sich irgendwie entbehren ließ, wurde an der Front gebraucht, die sich mit Vorrücken der deutschen Truppen wie ein Trichter erweiterte. In Zahlen ausgedrückt hieß das beispielsweise, daß im Juli 1943 177 Divisionen primär an der

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Zum Verhältnis von Kriegserlebnis und oral history vgl. Hans Joachim Schröder, Die gestohlenen Jahre. Erzählgeschichten und Geschichtserzählung im Interview: Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht ehemaliger Mannschaftssoldaten, Tübingen 1992. Vgl. etwa Theo J . Schulte, The German Army and Nazi Policies in Occupied Russia, Oxford 1989; Omer Bartov, Hitler's Army. Soldiers, Nazis, and War in the Third Reich, Oxford 1991 (dt.: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges, Hamburg 1995); Hannes Heer, Klaus Naumann (Hrsg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944, Hamburg 1995 (insbes. Beiträge Margers Vestermanis, Bernd Boll/Hans Safrian, Truman Ο. Anderson, TheoJ. Schulte, Klaus Geßner). Nicht berücksichtigt ist hier jene ständig wachsende Gruppe von Arbeiten, die unabhängig von den jeweiligen militärischen Einheiten - die deutsche Besatzungspolitik, den Partisanenkrieg oder die deutschen Erfahrungen im deutsch-sowjetischen Krieg rekonstruieren. Vgl. Bernd Wegner, Der Krieg gegen die Sowjetunion 1942/43, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 6: Der globale Krieg. Die Ausweitung zum Weltkrieg und der Wechsel der Initiative 1941-1943, Stuttgart 1990, S. 761-1102, hier S. 795. Vgl. Europa unterm Hakenkreuz. Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus (1938-1945). Hrsg. vom Bundesarchiv, Bd. 8: Analysen, Quellen, Register. Zusammengestellt und eingeleitet von Werner Röhr, Heidelberg 1996, S. 91. Gemeint ist der Umfang des Gefechtsgebiets sowie der Rückwärtigen Heeres- bzw. Armeegebiete. Die beiden Reichskommissariate „Ostland" und „Ukraine", die der zivilen Verwaltung unterstanden, waren 400000 bzw. 533000 qkm groß. Vgl. Müller-Hillebrand, Heer, Bd. III, S. 64 (vgl. Anra. 3).

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Front kämpften 1 9 , während im Hinterland n u r 10 Sicherungsdivisionen stationiert waren. 20 Damit sind beileibe nicht alle deutschen Soldaten in der Etappe erfaßt, schon allein die deutsche Logistik war ein komplexes u n d weitverzweigtes Unternehmen. Trotzdem lernten die meisten deutschen Soldaten das Hinterland nur vorübergehend kennen, etwa als Verwundete oder Urlauber, ihr eigentliches Einsatzgebiet lag jedoch woanders. 21 Genau dieses Hinterland scheint jedoch der Ort gewesen zu sein, wo sich der genuin verbrecherische Charakter des Rußlandfeldzugs in seiner ganzen Brutalität entfaltete. Dies betrifft nicht allein die Massaker der SS- u n d Polizeieinheiten, die zwar der kämpfenden Truppe dichtauf folgten, meist aber einige Zeit für ihr Gemetzel benötigten. Es betrifft ebenso die anderen Massenverbrechen wie etwa die systematische Ausplünderung des besetzten Landes, die unmenschliche Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen oder die Verbrechen in Zusammenhang mit dem Partisanenkrieg. Ob „die Front" hiervon ausgenommen war, wie in den Diskussionen um die Wehrmachtsausstellung immer behauptet wurde, wäre zu klären. Weiterführender ist aber die Frage, ob sich auf deutscher Seite so etwas wie eine Typologie des Krieges erkennen läßt, ob es strukturelle Unterschiede gab im Hinblick auf den Raum, den militärischen Auftrag, den Gegner, die Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der eigen e n militärischen u n d politischen Hierarchie, aber auch hinsichtlich der eigenen militärischen Organisationsstrukturen, und schließlich: ob u n d wieweit diese Determinanten das Verhalten der dort jeweils eingesetzten Soldaten prägten. Um diese zentrale Frage zumindest in Ansätzen zu beantworten, sollen in dieser Studie sechs unterschiedliche deutsche Divisionen miteinander verglichen werden: (a) eine Division der Waffen-SS, (b) eine Panzer- bzw. eine motorisierte Division, (c, d) j e eine Infanteriedivision mit hoher u n d niedriger militärischer Kampfkraft (zuweilen ablesbar an ih19

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Einen Überblick über die wichtigsten Operationen gegen die Partisanen in den besetzten Gebieten der UdSSR, an denen auch einzelne Kampfverbände beteiligt waren, bietet Röhr, Europa, Bd. 8, S. 202 f. Müller-Hillebrand, Heer, Bd. III, S. 119 (vgl. Anm. 3). In Stärkezahlen ausgedrückt bedeutete das, daß am 1. 10. 1943 1578000 Soldaten des Feldheeres an der Front kämpften und dabei zusätzlich von 400 000 Mann Heerestruppen (Einheiten der Korps-, Armee- und Heeresgruppenkommandos) unterstützt wurden. Hinter diesem Gefechtsgebiet befanden sich nochmals 490000 Mann für rein logistische Aufgaben; hinter diesen beiden Streifen wurden die rückwärtigen Gebiete von 96000 Soldaten gesichert. Vgl. ebenda, S. 217.

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rer niedrigen u n d h o h e n „Hausnummer"), (e) eine Sicherungsdivision u n d schließlich (f) die primär bodenständigen Truppen in Divisionsstärke, die dem Kommandanten eines Rückwärtigen Armeegebiets (Korück) zugeteilt waren 22 - kurz zusammengefaßt, j e drei deutsche Verbände, deren militärischer Wert hoch b2w. niedrig eingeschätzt wurde. Gerade die Division bietet sich unter verschiedenen Aspekten als ideale Vergleichsgröße an: Mit 15000 (während des Krieges faktisch oft 10000 Mann) war sie „der kleinste Heeresverband, der aufgrund seiner Zusammensetzung Gefechtsaufgaben selbständig durchführen und sich für einen kurzen Zeitraum versorgen konnte". 23 Von diesen strukturellen Bedingungen einmal abgesehen stellte die Division aber vor allem eine Organisationsform dar, mit der sich ihre Angehörigen in einem ungewöhnlich h o h e m Maße identifizierten. Diese Corporate Identity begründete sich nicht allein darin, daß Divisionen in der Regel geschlossen eingesetzt wurden, sondern daß sie sich aus derselben Landschaft rekrutierten und ergänzten. 24 Wie hoch das Identifikationspotential einer solchen militärischen „Schicksalsgemeinschaft" war, kommt auch darin zum Ausdruck, daß sich die militärische Traditionspflege der Veteranen weit über 1945 hinaus meist an „ihren" Divisionen orientierte. Ein Vergleich dieser sechs Divisionen, der sich über die gesamte Zeit des Rußlandfeldzugs erstrecken soll, also von Juni 1941 bis Juni 1944, ist nicht gedacht als additive Aneinanderreihung einiger Verbandsgeschichten. Im Vordergrund stehen - neben einem Prolog, der sich unter dem Stichwort .Aufrüstung" mit der Vorbereitung während der Jahre 1933 bis 1941 auseinandersetzen wird, u n d einem entsprechenden Epilog (.Abrüstung") mit der Folgenbewältigung seit 1944/45 - vielmehr sechs zentrale Fragestellungen, welche die Geschichte dieser unterschiedlichen Divisionen unter den folgenden Aspekten strukturieren: (1) Soldaten·. Rekrutierung, Dienstgradgruppen, Laufbahnen, Sonderfälle, (2) Auftrag. Raum, Gegner, organisatorische Einbindung, operativer Auftrag, (3) Krieg, operative Perspektive, taktische Perspektive,

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Angaben über die Organisation und die Stärke des Korück 532 finden sich etwa bei Schulte, German Army, S. 77f.: Am 5.9. 1942 unterstanden diesem Korück 14143 Mann (vgl. Anm. 15). Vgl. Herbert Schottelius und Gustav-Adolf Caspar, Die Organisation des Heeres 1933-1939, in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 4/VII, München 1979, S. 289-399, hier S. 338. Zu den Vorteilen dieses Verfahrens Martin van Creveld, Kampfkraft. Militärische Organisation und militärische Leistung 1939-1945, Freiburg i. Br. 1989, S. 76ff.

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individuelle Perspektive, Alltag, (4) Metamorphosen: Veränderungen von Organisation, Auftrag, personeller Zusammensetzung, Menschenführung, Verluste, Einzelbiographien, (5) Mentalität Selbstverständnis (individuell, kollektiv), politische Dispositionen, Verständnis des Krieges, Wahrnehmung des eigenen Umfelds, Feindbilder, u n d schließlich (6) Krieg und Verbrechen: Besatzungspolitik, politische Ziele, Zivilbevölkerung, Partisanenkrieg, NS-Massenverbrechen, Beute, Kriegsgefangene, Rückzug. Auch diese Studie wird sich auf Beispiele beschränken müssen. Die vergleichende Untersuchung von sechs Verbänden, die sich in einem festumrissenen Operationsgebiet mit zumindest ähnlichen militärischen u n d politischen Rahmenbedingungen bewegten (vermutlich dem einer Armee) 25 , bietet jedoch die Chance, genauere Vorstellungen über die Wirklichkeit des deutsch-sowjetischen Krieges zu gewinnen, gerade auch in seinen differierenden militärisch-politischen Varianten.

Dieter Pohl: Militärverwaltung und Bevölkerung in der besetzten Sowjetunion 1941-1944 (Edition) Während die meisten deutschen Soldaten in der Sowjetunion in einem begrenzten Frontabschnitt kämpften, verwaltete das Militär im Hinterland mit vergleichsweise wenig Personal riesige Gebiete. Ursprünglich war vorgesehen, die besetzten sowjetischen Territorien zum größten Teil an eine Zivilverwaltung abzugeben. Wegen des unerwarteten Kriegsverlaufs wurden aber nur die westlich gelegenen Gebiete der Sowjetunion aus der Hoheit der Wehrmacht entlassen. Die Osthälfte des besetzten Raumes, zeitweise über eine Million Quadratkilometer, blieb unter der Aufsicht des Heeres. Die Geschichte der Militärverwaltungsgebiete auf sowjetischem Boden ist von großer Bedeutung, um die Rolle der Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur genauer zu bestimmen. Die Militärverwaltung agierte in einem Bereich, der von

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Verschiedene Samples liegen bereits vor; die endgültige Auswahl wird vor allem von der Quellenlage bestimmt werden. Hier bleiben die Ergebnisse der ersten Archivrecherchen abzuwarten. Im Gegensatz zu dem bodenständig geprägten Einsatz der Divisionen vom Typ (c)-(f) wurden jene vom Typ (a) und (b) häufig versetzt. Die Auswahl dieser beiden Divisionstypen orientiert sich daran, wie lange diese im Bereich derselben übergeordneten Armee, ggfs. der Heeresgruppe kämpften.

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der nationalsozialistischen Führung als zentral angesehen wurde, der Besatzung u n d Ausbeutung Osteuropas. Zugleich aber übte das Militär auf regionaler Ebene seine eigene Besatzungspolitik aus. In diesen Gebieten, die bis Herbst 1941 zeitweise auch die westlichen Teile der Sowjetunion umfaßten, entfaltete sich die nationalsozialistische Herrschaft in extremer Form. Angesichts der Bedeutung dieser Militärverwaltung f ü r die Geschichte der Wehrmacht und angesichts ihrer bisher rudimentären Erforschung soll eine Edition, die von Dieter Pohl herausgegeben wird, die Grundlagen für eine fundierte Diskussion u n d weitere Forschungen schaffen. Leitende Fragestellung ist der Zugriff der deutschen Besatzung auf die einheimische Gesellschaft: Welche Rolle spielte die Militärverwaltung gegenüber der Bevölkerung, u n d welche Auswirkungen hatten ihre Maßnahmen? Eigentlich hatte die Wehrmacht, repräsentiert durch die Befehlshaber u n d die Organe der Militärverwaltung, die Hoheit in diesem Raum. Dabei mußte sie jedoch die Sonderkompetenzen des SS- u n d Polizeiapparates sowie der Vieijahresplanbehörde in zwei außerordentlich wichtigen Bereichen, der „Rassenpolitik" u n d der Wirtschaftspolitik, berücksichtigen. Die Besatzungspolitik unter Hoheit der Wehrmacht hatte erhebliche Folgen f ü r die sowjetische Bevölkerung, d. h. vor allem Ukrainer, Weißrussen, Esten, Russen u n d die Nationalitäten auf der Krim und im Nordkaukasus. Teile der jüdischen Minderheit, besonders im Bereich der Heeresgruppe Süd, wurden - dort fast zur Hälfte - unter Militärverwaltung ermordet. Uber die Jahre befanden sich insgesamt 55 Millionen Menschen im Zugriff der Militärverwaltung. In der Phase von Spätherbst 1941 bis Herbst 1943, als die westlichen Territorien an die Zivilverwaltung abgegeben waren, lebten etwa 25 Millionen Personen in den weiter östlich installierten Militärgebieten. Die sowjetischen Großstädte, die überwiegend im Westen des Landes lagen, standen zeitweise unter Militärverwaltung, allerdings n u r wenige auf Dauer (Charkow, Kursk, Smolensk u n d Stalino). Die städtische Bevölkerung hatte unter der Besatzung am meisten zu leiden: Dort wohnten fast alle Juden, aber auch der Großteil der Staats- und Parteifunktionäre, also die zur Ermordung vorgesehenen Personengruppen. Die Stadtbevölkerung wurde in der Ernährungspolitik erheblich benachteiligt, insbesondere solche Personen, die nicht in Arbeit standen. Auch für die sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Operationsgebiet verblieben, war die Militärverwaltung verantwortlich. Dort fand der Transport der Gefangenen statt, dort wurden sie in den Durchgangslagern gehalten.

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Im Mittelpunkt der Edition stehen: 1. die allgemeine Aufgabenstruktur der Militärverwaltung, insbesondere im Hinblick auf die Landesverwaltung, 2. die Einrichtung von landeseigener Verwaltung u n d Hilfspolizei, 3. die Auswirkung der Wirtschaftspolitik auf die Bevölkerung, insbesondere im Bereich der Ernährung und der Arbeiterrekrutierung, 4. die Behandlung der Kriegsgefangenen, 5. die Rolle der Militärverwaltung bei den Massenverbrechen an bestimmten Bevölkerungsgruppen wie den Juden, 6. die Behandlung der Zivilbevölkerung im Partisanenkrieg, u n d 7. die Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung beim Rückzug 1943/44. Die Edition soll sich ausschließlich auf Wehrmacht-Provenienzen beschränken, mit Schwerpunkt auf den Befehlshabern der rückwärtigen Heeresgebiete und den Kommandanten der rückwärtigen Armeegebiete, die zusammen den Kern der Militärverwaltung ausmachten u n d zeitweise für riesige sowjetische Territorien verantwortlich waren. Als nachgeordnete Einheiten u n d Dienststellen sind die Sicherungsdivisionen (bzw. im rückwärtigen Gebiet eingesetzte Divisionen), die Feldkommandanturen, in Einzelfällen auch die Oberfeldkommandanturen von Bedeutung. Für die eminent wichtigen wirtschaftspolitischen Zusammenhänge sind weiter Akten des Wehrwirtschafts- u n d Rüstungsamtes, des Wirtschaftsstabes Ost, der Wirtschaftsinspektionen (und im Einzelfall der Wirtschaftskommandos) heranzuziehen. Mit Ausnahme der Kommandanturen ist die Uberlieferung bei allen diesen Provenienzen vergleichsweise gut, aber bis heute von der Forschung noch nicht annähernd ausgeschöpft worden. Die Einbeziehung ehemals sowjetischer Archive in die Recherchen kann weiteres, weitgehend unbekanntes Quellenmaterial zugänglich machen. Ediert werden ausschließlich Dokumente aus der Zeit nach dem 22. Juni 1941. Die Planung von Verwaltung u n d Politik im Vorfeld des „Barbarossa'-Feldzuges ist zwar von grundlegender Bedeutung für die späteren Strukturen u n d Ereignisse; dazu sind jedoch schon eine Reihe zentraler Quellen veröffentlicht u n d grundlegender Untersuchungen vorgelegt worden. Deshalb wird die Vorgeschichte in einem längeren Einleitungskapitel referiert. Die Einleitung soll darüber hinaus einen Gesamtüberblick über die Militärverwaltung bieten, der die Zusammenhänge der abgedruckten Dokumente herstellt. In der breit angelegten Kommentierung werden nicht n u r unbekannte Vorgänge erklärt u n d Personen näher beschrieben, sondern die Bedeutung des jeweiligen Aktenstücks innerhalb der Besatzungspolitik beleuchtet. Dazu sind umfangreichere Recherchen auch in anderen Provenienzen, etwa dem SS-

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Polizei-Apparat u n d der Zivilverwaltung, u n d die Analyse von Zeugenaussagen d e r Nachkriegszeit notwendig. Zugleich k ö n n e n ausländische Forschungsergebnisse, insbesondere aus d e m Bereich d e r GUS, die bish e r wenig rezipiert wurden, in die K o m m e n t i e r u n g einfließen. Durch eine repräsentative Quellenauswahl, eine monographische Einleitung u n d eine sorgfältige K o m m e n t i e r u n g will diese Edition eine Grundlage schaffen, auf d e r sich die Besatzungspolitik d e r Wehrmacht in d e n sowjetischen Gebieten systematisch rekonstruieren läßt. Die Folgen, die diese Besatzungspolitik f ü r die dort lebende o d e r internierte Bevölkerung hatte, stehen dabei im Mittelpunkt. Dadurch wird ein Vergleich mit d e n weit besser erforschten Militärverwaltungen im übrigen besetzten Europa ermöglicht. Doch geht es nicht n u r d a r u m , weiße Flecken auf d e r europäischen Landkarte zu tilgen. Die Besatzungspolitik der Wehrmacht in der Sowjetunion besitzt einen besonderen Stellenwert, o h n e dessen Kenntnis sich die Funktion dieser Armee in d e r nationalsozialistischen Diktatur kaum adäquat bestimmen läßt.

Andreas Toppe: Wehrmacht und Kriegsvölkerrecht 1933 bis 1945 Ungeachtet eines wachsenden Interesses an d e n deutschen Kriegsverbrechen während d e r J a h r e 1939 bis 1945 hat sich die historische Forschung mit d e m damals geltenden Völkerrecht u n d Kriegsrecht sowie dessen Rezeption d u r c h die Wehrmacht n u r am Rande beschäftigt. 2 6 Dieses Defizit ist eigentlich erstaunlich, d e n n schließlich lieferte dieser internationale Regelkodex erst die Kriterien, a n h a n d derer die zahllosen Verbrechen, die das nationalsozialistische Regime u n d seine Armee verübt hatten, als solche erkannt u n d damit auch sanktioniert werden 26

Allerdings erfolgte aufjuristischer Ebene, beginnend mit dem ersten Kriegsverbrecherprozeß im Jahre 1943, eine Auseinandersetzung über den Geltungsbereich des damaligen Kriegsrechts; siehe: Prozeß gegen die faschistischen deutschen Okkupanten und ihrer Helfershelfer wegen ihrer Bestialitäten im Gebiet der Stadt Krassnodar und des Krassnodarer Gaus während der zeitweiligen Besetzung dieses Gebiets. Verhandelt am 14. bis 17. Juli 1943, Moskau 1943; Deutsche Greuel in Rußland. Gerichtstag in Charkow, Wien o. J.; Law Reports of Trials of War Criminals. Selected and prepared by the United Nations War Crimes Commission, 13 Bde., London 1947-1949; Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, 15 Bde., Washington 1949-1953; Der Prozeß gegen die Hauptkriegverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, 42 Bde., Nürnberg 1947-49; Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945—1966, 21 Bde., hrsg. von Christiaan Frederic Rüter u. a., Amsterdam, 1968-1979.

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konnten. Auch die gerade in jüngster Zeit heftig u n d kontrovers geführte Debatte, ausgelöst durch die sog. Wehrmachtsausstellung, bestätigt diesen Befund. 2 7 Normativer Rahmen für das Verhalten der damaligen Kriegsteilnehmer wie auch für ihr Unrechts- bzw. für ihr Rechtsbewußtsein waren die Bestimmungen des internationalen Kriegs- u n d Völkerrechts. Beinahe alle Staaten, die am Zweiten Weltkrieg teilnahmen, hatten sich auf diesen Kodex verpflichtet, nach Beginn des deutschen Angriffs auch die Sowjetunion. Daß die deutschen Streitkräfte diese Regeln internationalen Rechts modifizierten, ignorierten oder ganz außer Kraft setzten, war bereits Teil der Anklage in den Nürnberger Prozessen. Doch tauchen immer neue Quellen auf, erscheinen immer neue Arbeiten, die diese katastrophale Bilanz in immer neuen Facetten bestätigen. Jedoch finden sich auch viele Gegenbeispiele, die zeigen, daß die Wehrmacht die geschriebenen u n d ungeschriebenen Regeln des Krieges durchaus beachten konnte. Angesichts dieser Widersprüche versucht die Dissertation von Andreas Toppe der Frage nachzugehen, wie es denn generell mit der Rezeption des Kriegsrechts durch die Wehrmacht bestellt war. Diese zentrale Frage soll in drei Teilschritten (Rechtstheorie, Rechtsorganisationen, Rechtspraxis) untersucht werden. In einem ersten Schritt sind die historisch-rechtlichen Rahmenbedingungen deutlich zu machen. Dabei handelt es sich nicht so sehr um einen Uberblick über das gesamte, damals gültige Kriegsrecht, als vielmehr um eine detaillierte Darlegung j e n e r Normen, die für die Ahndung der Verbrechen der Wehrmacht besonders wichtig wurden. Damit soll nicht n u r der bisherige Forschungsstand zusammengefaßt werden. J e n e ausgewählten Bestimmungen sollen vielmehr den Bewußtseinswandel u n d die Fachdiskussionen in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aufzeigen. Kern dieser historischjuristischen Abhandlung ist die Frage, wie dieser völkerrechtliche Diskurs verlief, ob Kontinuitäten oder eher Diskontinuitäten auszumachen sind, u n d wieweit sich die Entwicklung nach 1939 bereits während der Jahre 1919 bis 1933 abzeichnete. Quelle sind hierfür die diversen Publikationen der Völkerrechtler u n d Militärs, die Ergebnisse des „Dritten Untersuchungsausschusses 27

Vgl. die hierzu veröffentlichte Aufsatzsammlung: Heer, Neumann (Hrsg.), Vernichtungskrieg (Anra. 15); ebenso: Hans-Günther Thiele (Hrsg.), Die Wehrmachtsausstellung. Dokumentation einer Kontroverse, Bonn 1997.

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der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung u n d des Deutschen Reichstages" 28 sowie die Urteilsfindungen des Reichsgerichts zu Leipzig in den Kriegsverbrecherprozessen. 29 Zu den hier in Frage kommenden völkerrechtlichen Problemen gehören vor allem (a) der rechtliche Status des Kombattanten, des Nicht-Kombattanten u n d des Zivilisten, (b) die Frage nach der rechtlichen Stellung des Partisanen, (c) die der Kriegsgefangenen, (d) der juristische Komplex Geiselnahme/Repressalie sowie (e) wesentliche Bestimmungen des Besatzungsrechts, insbesondere die rechtliche Grundlage für die Ahndung und gerichtliche Aburteilung von Straftaten wie Plünderung, Mord, Totschlag, Brandstiftung, Nötigung. Im zweiten Teil der Untersuchung sollen j e n e Einrichtungen der Wehrmacht, des Heeres und der Rechtswissenschaft vorgestellt werden, die sich damals mit völkerrechtlichen Fragen zu befassen hatten: In der obersten Hierarchie der Wehrmacht waren die Wehrmachtrechtsabteilung u n d die Justizdienststelle beim Chef OKW und das Völkerrechtsreferat der Amtsgruppe Ausland/Abwehr u. a. für die kriegsrechtliche Beratung zuständig. Im Oberkommando des Heeres war dies auch die Aufgabe der Abteilung Kriegsverwaltung des Generalquartiermeisters, in der Hauptsache aber der „Gruppe Rechtswesen" des Generals z. b. V. beim Oberbefehlshaber des Heeres. Von den rechtswissenschaftlichen Einrichtungen, die mit den genannten Stellen kooperierten, sind vor allem das „Institut f ü r ausländisches öffentliches Recht u n d Völkerrecht" der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wie auch der ,Ausschuß für Völkerrecht" der .Akademie für Deutsches Recht" zu n e n n e n . Im Mittelpunkt stehen dabei zunächst der organisatorische Aufbau der jeweiligen Rechtsinstitution, ihre Aufgaben und Kompetenzen, ihre wichtigsten Mitglieder sowie ihre Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen und Einrichtungen. Aus den Sitzungsprotokollen der von diesen Institutionen gegründeten Ausschüsse 30 , aus Denkschriften u n d Publikationen ihrer Mitglieder sollen anschließend die Schwerpunkte ihrer Rechtspolitik herausgearbeitet u n d mögliche Kontinuitätsbrüche

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Siehe: Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages 1919-1928. Verhandlungen, Gutachten, Urkunden, im Auftrag des Reichstages, Dritte Reihe Völkerrecht im Weltkrieg, hrsg. von Johannes Bell, 4 Bde., Berlin 1927-29. Siehe: MA 616/13, MA 616/16, MA 616/17 IfZ. So etwa der „Ausschuß Kriegsrecht" (1935-1938) unter Leitung von Admiral Gladisch, BA R 22/3146 sowie Nachlaß Gladisch BA-MA, oder der „Ausschuß für Völkerrecht", BAR 61.

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in der Interpretation der relevanten Kriegsrechtsartikel seit 1933 offengelegt werden. Stand die Wehrmacht am 1. September 1939 in den kriegsrechtlich relevanten Bereichen zumindest nach Maßgabe ihrer amtlichen Dienstverordnungen, etwa den Heeresdienstvorschriften, größtenteils auf dem Boden des Völkerrechts, so war die nationalsozialistische Führung von dem Willen durchdrungen, einen Krieg gegen die Völker Osteuropas abseits jeglichen Rechts zu führen. Die Bereitschaft der Militärs, diese politischen u n d ideologischen Zielvorgaben umzusetzen, in der Literatur häufig mit der Teilidentität der Interessen begründet, soll daher im dritten Teil dieser Arbeit aus dem Blickwinkel ihrer Rechtswahrn e h m u n g verfolgt werden. Für die Beantwortung der zentralen Frage nach der Rezeption des Kriegs- u n d Völkerrechts durch die Wehrmacht liegen Indizien-Gruppen unterschiedlicher Qualität vor: - Völkerrecht als Gegenstand der Ausbildung (Kenntnisstand) - Völkerrecht als Grundlage für Befehle (Position der Rechtsberater) - Umsetzung rechtswidriger Befehle (juristische Legitimation, Widerstand) - Rechtsprechung der Wehrmachtgerichte als Gradmesser f ü r die Umsetzung des Kriegsrechts. Die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen u n d Armeen übten im Auftrag des Oberbefehlshabers des Heeres im Operationsgebiet die vollziehende Gewalt aus. 31 Diese umfaßte „die gesamte Staatsgewalt, einschließlich des Rechts zur Gesetzgebung". 32 Als Gerichtsherrn 3 3 waren diese ebenso wie die hierzu ernannten Befehlshaber u n d Kommandanten in zahlreichen Militärgerichtsverfahren gegenüber den angeklagten Zivilisten, Kriegsgefangenen u n d Soldaten Herren über Leben u n d Tod. Die Frage nach dem Kenntnisstand des Völkerrechts innerhalb der Generalität u n d des Offizierskorps ist daher von zentraler Bedeutung. Dies wäre etwa den Lehrplänen u n d Prüfungsverfahren für 31

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Zur Organisationsstruktur der rückwärtigen Gebiete im Bereich der Heeresgruppen und Armeen während des Rußlandfeldzugs vgl. den Befehl des OKH vom 3. 4. 1941, in: Fall Barbarossa. Dokumente zur Vorbereitung der faschistischen Wehrmacht auf die Aggression gegen die Sowjetunion (1940/41). Ausgewählt und eingeleitet von Erhard Moritz, Berlin (Ost) 1970, Dok. 91. Siehe: H. Dv. g 92, Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege, Teil 1, Berlin 1939, S. 117f„ NOKW 1878 (MA 1564, Rolle 25 IfZ). Siehe dazu: § 5 der Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegsstrafverfahrensordnung) vom 17. August 1938, in: RGBl. I 1939, S. 1457 f.

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die Akademien und Schulen der Wehrmacht sowie des Heeres zu entnehmen, ebenso den einschlägigen Schulungsheften u n d Informationsblättern für Offiziere u n d Mannschaften. In einem weiteren Schritt wäre der Stellenwert des Kriegs- u n d Völkerrechts für die Tätigkeit des OKW u n d OKH sowie ihrer Rechtsabteilungen zu bestimmen. Und vor allem: Wie wirkte sich die unüberwindliche Kluft zwischen traditionellen Regeln des Kriegsrechts u n d ideologisch aufgeladenen Rechtslehren auf die Befehlsgebung u n d ihre Legitimation aus? Sind Wechselwirkungen aus der konkreten militärischen Lage wie aus dem allgemeinen Kriegsverlauf u n d der Handhabung des Kriegsrechts zu konstatieren u n d damit eine sich verändernde Auslegung des geltenden Rechts? Zur Beantwortung dieser Fragen soll nicht n u r die „Befehlsentwicklung" einer Armee oder Division an der Ostfront, sondern ebenso die Rechtsprechung einzelner Truppengerichte untersucht werden. Die Urteilspraxis wird hierbei nach folgenden Kategorien erforscht: - Urteile gegen Zivilisten (Nichtanzeige, Diebstahl, Hochverrat etc.) - Urteile gegen Soldaten (Plünderung, Brandstiftung, Mord, Fledderei etc.) - Urteile gegen Partisanen („Freischärlerei") - Urteile gegen Kriegsgefangene. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse sollen schließlich die Bedingungen für den Bruch des Völkerrechts bzw. f ü r die Gründe der verbrecherischen Befehle herausgearbeitet werden. Darüber hinaus werden auch die beiden Studentischen Hilfskräfte in diesem Projekt, Peter Lieb u n d Christian Schaaf, mit eigenständigen Studien, die vorläufig als Magisterarbeiten angelegt sind, dann aber zu Dissertationen ausgebaut werden könnten, in die inhalüiche Arbeit einbezogen. Mit der Studie von Peter Lieb soll im Rahmen dieses Projekts das Verhalten der Wehrmacht auf einem westlichen Kriegsschauplatz untersucht werden, genauer: „Der Einsatz der in der Sowjetunion von der Wehrmacht rekrutierten ,Hilfsvölker' im besetzten Frankreich". Im Vordergrund einer derartigen Studie steht immer auch die Frage, wie weit die Barbarisierung des Ostkriegs die deutsche Kriegführung im Westen beeinflußt hat. In eine ganz andere Richtung gehen die Überlegungen von Christian Schaaf: Mit seiner Arbeit zur „Rezeption der Wehrmacht in der westwie ostdeutschen Forschung der 60 er Jahre" soll das Projekt durch eine wirkungs- wie auch wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtete Untersuchung ergänzt werden.

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Ausblick

Sind die Verbrechen der Wehrmacht - so ließe sich abschließend fragen - ein historisches Thema wie andere auch? Bereits seine große Publizität dürfte eigentlich gegen eine solche Vermutung sprechen. O b die Diskussion über diese Verbrechen mit dem Generationswechsel, der sich momentan vollzieht, an Brisanz verlieren wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Das ist nicht allein in der politischen Bedeutung begründet, den dieser Teil der deutschen Vergangenheit aller Voraussicht nach auch weiterhin besitzen wird. Denn die tiefer liegende Frage, um die es hier auch geht, die Frage nach dem Verhältnis von Krieg u n d Gewalt, ist nicht an Institutionen oder Zeiten gebunden. Vielmehr wird seit 1945 in immer neuen Varianten vorgeführt, wie sehr das, was gemeinhin als Kriegsverbrechen definiert ist, den modernen Krieg prägt u n d teilweise auch ersetzt. Die schrankenlose Entgrenzung der Gewalt, genauer: den Rückfall des Krieges in seine atavistischen Ursprünge, allein technisch oder militärisch zu begründen, würde aber zu kurz grei-. fen. Wirklich erklären läßt sich diese Barbarisierung n u r mit den dahinter liegenden ideologischen u n d politischen Motiven u n d sicherlich nicht zuletzt mit dem Wandel im Selbstverständnis der Kriegführenden. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß sich dieser fundamentale Wandel in der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu vollziehen beginnt, genau auf j e n e m Kriegsschauplatz, auf dem die Armeen zweier totalitärer Regime aufeinandertrafen. Im deutsch-sowjetischen Krieg finden sich bereits viele jener verheerenden Entwicklungen, die das militärische Geschehen der Gegenwart zunehmend bestimmen: die Strategie des Vernichtungskriegs, die Terrorisierung des besetzten Landes u n d seine hemmungslose Ausbeutung, die unübersehbaren Probleme, die sich aus dem Partisanenkrieg, der Mißhandlung der Kriegsgefangenen, der Rekrutierung des ehemaligen Gegners ergeben, aber auch aus ganz speziellen technischen Entwicklungen wie etwa der des Minenkriegs. Auch ist eine zunehmende Emanzipation des Soldaten im Sinne seiner Loslösung aus der militärischen Hierarchie zu beobachten, vor allem aber die gnadenlose Ideologisierung des Kampfes, der Verlust der traditionellen ethischen wie auch christlichen Normen und, damit einher gehend, die wachsende Unfähigkeit, zwischen dem militärischen und dem zivilen, dem wehrlosen u n d dem wehrhaften Gegner zu unterscheiden.

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Ein Projekt wie dieses hat sich zunächst auf die Rekonstruktion von Vergangenheit zu konzentrieren. Doch wäre zu hoffen, daß sich aus diesem Forschungsvorhaben einmal mehr ergibt als lediglich ein weiterer Beitrag zur Bewertung der Wehrmacht. Die hier vorgestellten Einzelarbeiten könnten auch als Modellstudien verstanden werden, um die zentrale Frage transparenter zu machen, warum u n d wie ein militärischer Konflikt eskaliert. Darin einbezogen ist letzten Endes auch die Frage, ob es Sicherungsmechanismen gibt, um eine solche Eskalation zu verhindern. Natürlich sind historische Untersuchungen keine politischen Handlungsanleitungen. Aber solange es den politisch u n d militärisch Verantwortlichen nicht gelungen ist, eine wirklich überzeugende Antwort auf die Eskalation der modernen Kriege zu geben, so lange ist auch die historische Erforschung dieses Phänomens nicht nur ein historiographisches Problem.

Widerstand und Emigration

Hermann Rumschöttel Archive, Landesgeschichte und Zeitgeschichtsforschung: Das Projekt Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945 Die Anregung, Widerstand u n d Verfolgung in Bayern zwischen 1933 und 1945 auf breitester Quellengrundlage erforschen u n d darstellen zu lassen, kam 1971 von Ludwig Linsert, dem 1907 in München geborenen bayerischen Gewerkschaftsfunktionär u n d langjährigen Mitglied des Bayerischen Senats. 1 Seine Ausgangsüberlegung formulierte er 1977 im Bayerischen Rundfunk: „Schon während des Dritten Reichs hat einmal Himmler an Epp geschrieben, wieso es käme, daß in Bayern m e h r Menschen eingesperrt sind, insbesondere auch im Konzentrationslager als im damaligen übrigen Reichsgebiet. Das wies darauf hin, daß in Bayern der Widerstand doch eigentlich erheblicher sein mußte. Später wurde mir immer klarer, daß der Widerstand in Bayern viel weiter gestreut war als im übrigen Reichsgebiet. [ . . . ] Es kommt j a auch auf die Formen des Widerstands an. [. . .] Das war vielleicht gar nicht so spektakulär wie der Gruppen-Widerstand, aber er war im breiten Maße da. Und den aus der Versenkung herauszuholen, ihn zu erhellen, beispielgebend den j u n g e n Leuten heute klarzumachen, daß es doch ein besseres Deutschland gab, daß man die Kollektivschuld abzulehnen hat, daß da Menschen waren, insbesondere in der Hauptsache kleine Leute, die sich dagegen aufgelehnt haben, um nach Maßgabe ihre Kräfte etwas zu tun, was bei diesem perfekten Terror-System überhaupt noch möglich war, [. . .] war j a ohnehin schwer genug." 2

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Ludwig Linsert (1907-1981), 1938-1940 aus politischen Gründen inhaftiert, 19431947 Kriegsdienst (Strafbataillon 999) und russische Kriegsgefangenschaft, 1958-1969 Landesbezirksvorsitzender des DGB, 1956-1969 Mitglied des Bayerischen Senats, 1968/69 dessen II. Vizepräsident. Helga Schmöger (Bearb.), Der Bayerische Senat. Biographisch-statistisches Handbuch 1947-1997, Düsseldorf 1998, S. 213/214. Ernest Landau, Widerstand und Verfolgung in Bayern, in: Gehört-Gelesen Heft 8 / 1977, S. 1-15, hier: S. 2 - 4 (Sendetermin: 7. Mai 1977).

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Der Bayerische Staatsminister für Unterricht u n d Kultus Hans Maier - seit Dezember 1970 im Amt - griff Linserts auch im Namen der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Verfolgtenorganisationen (ABV) vorgetragene Anregung spontan u n d energisch auf u n d übertrug der am 1. Juni 1970 als selbständige Behörde errichteten Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns 3 die Aufgabe, vorbereitende Planungen auf den Weg zu bringen. 4 Zu den politisch-historischen Zielvorstellungen sagte Hans Maier im Jahr 1977: „Ich möchte mit dieser Dokumentation .Widerstand u n d Verfolgung in Bayern' einmal zeigen, nicht nur, daß diejenigen, die das Dritte Reich ermöglicht u n d sogar geschaffen haben, kleine Leute waren - man sollte nicht immer n u r die großen Männer sehen, die angeblich die Geschichte machen - , sondern daß auch die, die den Widerstand gegen das Dritte Reich geleistet haben, j a meistens von ganz unten kamen. Wir sehen nur den 20. Juli, wir sehen n u r gewissermaßen den letzten Akt, die Staatsaktion. Wir sehen aber hier in Bayern - oder wir sahen bisher nicht - u n d das ist eine Hauptaufgabe des Forschungsunternehmens - daß hier von ganz unten, von Pfarrern, von Gewerkschaftlern, von Leuten der unterschiedlichsten Parteifarbe Widerstand geleistet wurde. Auch hier: Widerstand vielleicht nicht zunächst in allen Fällen in einer großen heroischen Geste, auf den Barrikaden, mit dem Martyrium vor Augen. Aber Widerstand als passive Verweigerung, Widerstand auch dadurch, daß man dieses opportunistische Denken, dieses Erfolgsdenken des Dritten Reiches nicht an sich herangelassen hat, daß ältere Muster des Verhaltens u n d des Denkens sich bewährt haben." 5 Hans Maier skizzierte einen geschichtswissenschaftlichen Paradigmenwechsel, der in engem Zusammenhang stand mit zeitgenössischen politischen Entwicklungen. Bei der Erforschung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus vollzog sich am Ende der 60 er Jahre ein tiefgreifender Wandel der Begrifflichkeit, der wissenschaftlichen Fragestellung, des Verständnisses, der Bewertungsmaßstäbe u n d des Erkenntnisinteresses. 6 Nachhaltig wirkende Impulse gingen dabei von der So3

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Hermann Rumschöttel, Die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, in: Archivalische Zeitschrift 80 (1997, Festschrift Walter Jaroschka), S. 1-36. Schreiben von Ministerialdirektor Dr. Karl Böck an den Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns Dr. Bernhard Zittel vom 15. Juli 1971 (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Registratur, 340-1.0). Nachrichten des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus 76/71. Ernest Landau (Anm. 2), S. 14. Regine Büchel, Der deutsche Widerstand im Spiegel von Fachliteratur und Publizistik seit 1945, München 1975. Peter Steinbach, Aspekte der Widerstandsforschung im wis-

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zialgeschichte aus, „die den Widerstandsbegriff auffächerte u n d widerständisches Verhalten auf einer breiten Skala menschlicher Einstellungen u n d Haltungen einzuordnen versuchte". 7 Gesellschaftsgeschichtlichen Forschungsansätzen ist auch die Intensivierung der Verbindung von Landesgeschichte und Zeitgeschichte zu verdanken, als deren vielleicht wichtigste Folge die Erschließung der alltagsgeschichdichen Dimension angesehen werden kann. Der Ort des Projektes „Widerstand und Verfolgung in Bayern 19331945" in der Forschungsgeschichte wird im Vorwort des ersten Ergebnisbandes von Martin Broszat deutlich markiert: „Das Thema ist seit 1945 immer wieder in wissenschaftlicher oder populärer Form erörtert worden. Wenn seine neue Behandlung - gerade auch in der Begrenzung auf das Land Bayern - neues Interesse wecken und neue Einsichten vermitteln sollte, mußten zunächst seine Leitbegriffe aus ihrer plakativen Erstarrung gelöst werden. Es galt, die zum Mahnmal geronnene Thematik zurückzuholen in die komplizierte reale Wirkungs- u n d Erfahrungsgeschichte der Hider-Zeit, zwischen den Grenzsituationen .Widerstand' u n d .Verfolgung' die breite Skala der Verhaltensweisen, ihre vielfältigen Bedingungen, ihre oft .unreine' Mischung sichtbar zu machen u n d bisher von der Forschung vernachlässigte Bereiche der Lebenswirklichkeit der NS-Zeit aufzusuchen." 8 Im Rahmen des 1971 der bayerischen Archiwerwaltung vom Kultusministerium erteilten Auftrags, als Vorbereitung für einen Forschungsauftrag eine „Dokumentation über das vorhandene Material u n d die bereits vorliegenden wissenschaftlichen Darstellungen" vorzubereiten, wurde nach Gesprächen mit der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Verfolgtenorganisationen ein Gutachten mit einer vergleichenden Analyse möglicher Organisationsmodelle erarbeitet. 9 Der besondere For-

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senschaftsgeschichtlichen und landeshistorischen Kontext, in: Niedersächisches Jahrbuch für Landesgeschichte 62 (1990), S. 1-23. Ders., Widerstandsforschung im politischen Spannungsfeld, in: Ders./Johannes Tuchel (Hrsg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994, S. 597-622. Peter Steinbach 1990 (Anm. 6), S. 14. Martin Broszat/Elke Fröhlich/Falk Wiesemann (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit. Soziale Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte (Bayern in der NS-Zeit 1), München 1977, S. 11. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Registratur, 340-1. In der archivfachlichen Literatur hat der Verf. das Projekt zweimal vorgestellt: Hermann Rumschöttel, Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945. Bemerkungen zu Organisation und Methoden kooperativer Zeitgeschichtsforschung, in: Der Archivar 30 (1977), Sp. 181— 186. Harald Jaeger/Hermann Rumschöttel, Das Forschungsprojekt „Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945". Ein Modell für die Zusammenarbeit von Archivaren

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schungsansatz in Bayern ließ es nicht zu, ähnliche zeitgeschichtliche Projekte in anderen Bundesländern, beim Bund u n d bei verschiedenen Forschungseinrichtungen als Vorbild heranzuziehen. Es mußte ein eigener Weg gefunden werden. Zu berücksichtigen hatte die Generaldirektion neben anderem die beschränkten personellen Möglichkeiten der Archiwerwaltung u n d die Sicherstellung ihrer Funktionsfähigkeit bei der Bewältigung der im engeren Sinne „archivischen Aufgaben". Ergebnis aller Überlegungen war der Vorschlag, für die Ermittlung u n d Auswertung des vorhandenen Schrifttums und der Quellen ein Forschungsprojekt durchzuführen, bei dem die Archiwerwaltung, das renommierte Institut f ü r Zeitgeschichte, Verfolgtenorganisationen u n d Hochschulforschung eng aber arbeitsteilig zusammenwirken sollten. Säulen des Projekts sollten mit Sondermitteln ausgestattete Arbeitsteams in der Archiwerwaltung u n d im Institut für Zeitgeschichte sein; von den beiden institutionellen Trägern wurden darüber hinaus personelle, technische u n d organisatorische Eigenleistungen erwartet. Bayerische Staatsregierung u n d Bayerischer Landtag hatten inzwischen zu erkennen gegeben, daß sie bereit seien, das Thema „Widerstand u n d Verfolgung in Bayern 1933-1945" zum Gegenstand eines mit öffentlichen Mitteln geförderten systematischen Dokumentations- u n d Forschungsvorhabens zu machen. Im Juni 1973 legte Martin Broszat, der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, eine gutachtliche Stellungnahme vor, die auch die vom Wissenschafdichen Beirat des Instituts für den Fall einer maßgeblichen Beteiligung des Instituts an dem Projekt gemachten Auflagen berücksichtigte. Hierbei ging es vor allem um die Festlegung, daß grundsätzlich sämtliche für das Projekt notwendigen Sach- und Personalausgaben aus den Projektmitteln erstattet werden müßten, so daß keine Belastung des ordenüichen Haushalts des Instituts u n d keine empfindliche Beeinträchtigung seiner sonstigen Aufgaben eintreten könne. Die Abgrenzung der Aufgaben- u n d Zuständigkeitsbereiche gestaltete sich zunächst besonders deshalb sehr schwierig, weil archivische Erschließung u n d auswertende Forschung gleichzeitig beginnen sollten. Für die Erfassung und Inventarisierung der Quellen stand keine Vorlaufzeit zur Verfügung. Der breite gesellschaftsgeschichtliche, auch die sozioökonomischen Rahmenbedingungen berücksichtigende Ansatz der Historiker u n d die Verzeichnungsmöglichkeiten der Archivare anund Historikern, in: Archivalische Zeitschrift 73 (1977, Festschrift Bernhard Zittel), S. 209-230. Vorliegender Beitrag greift in einzelnen Passagen auf diese Aufsätze zurück.

Das Projekt Widerstand u n d Verfolgung in Bayern

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gesichts des Massenproblems standen in einem Spannungsverhältnis; die im Einzelfall sehr spezielle wissenschaftliche Fragestellung, verbunden mit dem Wunsch nach einer Inventarisierung nach Prioritäten, deckte sich nicht immer mit dem generellen Erfassungsansatz der Archive, die Vorbereitungen für den Zugang zu den Registraturen u n d für die Klärung der persönlichkeitsschutzrechtlichen Probleme brauchten Zeit. Wechselseitiges Verständnis u n d Kompromißbereitschaft beider Seiten führten jedoch nach einigen Monaten zu einer bemerkenswert reibungslosen u n d effektiven Kooperation. 10 Die Archiwerwaltung übernahm es, mit einer eigenen Arbeitsgruppe die einschlägigen Unterlagen in den staatlichen Archiven u n d in den Registraturen der staatlichen Behörden u n d Gerichte zu ermitteln u n d nach archivwissenschaftlichen Methoden zu erschließen. Darüber hinaus wurden in enger Zusammenarbeit mit der Forschung Aussagekraft und Auswertungsmöglichkeiten einzelner Quellengruppen, die für das Projekt besonders ergiebig zu sein schienen, gezielt analysiert. Das Institut für Zeitgeschichte ermittelte das nichtstaatliche Quellenmaterial, vergab u n d betreute wissenschaftliche Einzeluntersuchungen, erarbeitete Hilfsmittel 11 u n d war für die zusammenfassenden Beiträge, Dokumentationen u n d Darstellungen verantwortlich. 12 Im Institut für Zeitgeschichte wurde die eigentliche Arbeit im September 1973 mit der Einstellung einer wissenschaftlichen Angestellten aufgenommen, die Projektleitung wurde zum 1. Februar 1974 Peter Hüttenberger übertragen. Nach dessen Ausscheiden im Jahr 1975 waren unter der Leitung des Institutsdirektors (Martin Broszat) hauptamtlich zwei Historiker tätig. Die im August 1973 gebildete Arbeitsgruppe der Archiwerwaltung bestand seit Frühjahr 1974 aus drei hauptamtlichen wissenschaftlichen Mitarbeitern u n d einer Schreibkraft. Das Projekt koordinierte eine Ständige Kommission, die jährlich mindestens einmal zusammentrat (1. Sitzung: 15. Oktober 1973; 10. u n d 10

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Der Rahmen von Arbeitsteilung und Zusammenarbeit wurde in einem Schreiben des Kultusministeriums vom 6. Februar 1974 Nr. A / 7 - 1 2 / 1 5 7 69 abgesteckt (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Registratur, 340-1). Ursula van Laak (Bearb.), Bibliographie zur Geschichte von Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945, München 1975. Dies. (Bearb.), Bibliographie bayerischer Zeitungen aus der Zeit des Nationalsozialismus mit Fundortnachweis, München 1975. Marianne Schoenwald (Bearb.), Schriften zur Statistik in Bayern 1918-1945. Spezialbibliographie, München 1975. Martin Broszat u. a. (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, 6 Bde., München 1977-1983. Martin Broszat/Elke Fröhlich, Alltag und Widerstand - Bayern im Nationalsozialismus, München 1987.

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letzte Sitzung: 30. Juli 1980) 13 u n d unter der Leitung eines Vertreters des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht u n d Kultus (Eberhard Dünninger) das Institut für Zeitgeschichte, die bayerische Archivverwaltung u n d die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Verfolgtenorganisationen vereinte. Die Kommissionssitzungen waren freilich n u r besondere Wegmarken der Kooperation u n d Koordinierung; Archiwerwaltung u n d Institut für Zeitgeschichte unterrichteten sich laufend über den Fortgang der Arbeiten und den Einsatz der Mitarbeiter, tauschten ständig die fertiggestellten Hilfsmittel aus u n d veranstalteten bei Bedarf themenzentrierte Detailbesprechungen. Die Archiwerwaltung hatte im wesenüichen zwei Aufgabenkomplexe zu bewältigen. Zum einen waren so schnell wie möglich Erfassungsu n d Erschließungsarbeiten mit dem Ziel der Veröffentlichung von Inventaren durchzuführen. Der Forschung sollte dadurch eine umfassende und detaillierte Information über einschlägige unter-, mittel- u n d zentralbehördliche Unterlagen in den staatlichen Archiven (Bayerisches Hauptstaatsarchiv u n d Staatsarchive Amberg, Bamberg, Coburg, Landshut, München, Neuburg a. d. Donau, Nürnberg, Würzburg) u n d in den Registraturen der Behörden u n d Gerichte zur Verfügung gestellt werden. Die fachliche u n d administrative Leitung dieses Arbeitsbereichs wurden dem Vorstand des Staatsarchivs München (zunächst Harald Jaeger, dann Hildebrand Troll) 14 übertragen, das mit einer gesamtbayerischen Aufgabenstellung betraute Arbeitsteam wurde also einem regionalen Staatsarchiv angegliedert. Von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns mußten zum anderen - in enger Abstimmung mit dem Staatsarchiv München u n d den anderen staatlichen Archiven - grundsätzliche Probleme von großer Tragweite gelöst werden. Hierzu gehörten die Öffnung der Registraturen für die zeitgeschichdiche Forschung, die Intensivierung der .Aktenaussonderung" von Unterlagen aus den Jahren 1933-1945 u n d die Entwicklung von Methoden einer sachthematischen Inventarisierung, die den archivwissenschaftlich unverzichtbaren Provenienzgrundsatz nicht verletzten. Bereits im Juli 1972 gelang es, das „Grenzjahr" der Benützungsordnung, bis dahin der 1. Januar 1919, auf den 8. Mai 1945 festzusetzen. 15 13 14 15

Protokolle: Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Registratur, 340-1.1. Als Fachreferent war der Verf. eingesetzt. Gemäß § 6 Abs. 4 der Benützungsordnung für die Staatlichen Archive Bayerns vom 25. April 1955 (BayBSVK S. 1493) hatte der Vorstand eines staatlichen Archivs die Zustimmung der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns einzuholen, ehe er

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Sehr genau mußten die Fragen u n d Probleme des Persönlichkeitsschutzes u n d der „Wahrung schutzwürdiger Belange Dritter" geprüft werden. Die Grundsätze, die bei der Bereitstellung der archivischen Erschließungsergebnisse beachtet werden mußten, sind in Stellungnahmen bayerischer Justizstellen u n d in einem von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns erbetenen Rechtsgutachten des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz formuliert worden. Zusammenfassend läßt sich heute feststellen, daß es bei diesem Forschungsprojekt schon in der Mitte der 70 er Jahre, also lange vor dem Inkrafttreten des Bayerischen Archivgesetzes (1. Januar 1990) und mitten im Jahrzehnt der Datenschutzgesetzgebung, gelungen war, den Zielkonflikt zwischen dem Vertraulichkeitsanspruch der Betroffenen u n d der schriftgutproduzierenden Stellen auf der einen und den aus dem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit resultierenden Ansprüchen der Forschung auf der anderen Seite rechdich einwandfrei, angemessen u n d praktikabel zu lösen. In keinem einzigen Fall ist es zu wirklichen Schwierigkeiten gekommen. Das Arbeitsteam der Archiwerwaltung mußte zunächst eine anwendungsbezogene, die Projektziele berücksichtigende Definition der Begriffe „Widerstand" u n d „Verfolgung" entwickeln, die einschlägigen Unterlagen in den Archiven u n d Registraturen erfassen u n d formale u n d inhalüiche Richtlinien für die Verzeichnung festlegen. 16 Unter Widerstand wurde jedes aktive und passive Verhalten verstanden, das die Ablehnung des NS-Regimes oder eines Teilbereichs der NS-Ideologie erkennen läßt u n d mit gewissen Risiken verbunden war. Dieser Widerstandsbegriff deckte die Verhaltensweisen von konservativer Resistenz, partiellem Ungehorsam, defensiver Oppositionshaltung, Nonkonformismus, Solidarisierung mit aus politischen oder rassischen Gründen Verfolgten oder Diskriminierten, ostentativem Festhalten an einer weltanschaulichen oder religiösen Uberzeugung oder direkten Aktivitäten gegen die NS-Herrschaft. Verfolgung meinte alle Maßnahmen von Staats- u n d Parteistellen, die bestimmte Personen oder Personengruppen aus politischen, rassischen oder weltanschaulichen Gründen ge-

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die Erlaubnis zur Einsicht in Archivalien erteilte, die nach dem vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus festgelegten Zeitpunkt („Grenzjahr") entstanden sind. Die Generaldirektion mußte sich dann der Zustimmung jener Dienststelle oder Behörde versichern, aus deren Geschäftsbereich die Archivalien stammten. Die Benützungsordnung von 1955 trat am 1. Februar 1990 außer Kraft. Diese Richüinien formulierte in erster Linie der Projektmitarbeiter Dr. Rainer Hambrecht.

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genüber der Allgemeinheit in ihrer persönlichen Freiheit oder ihrem materiellen u n d rechtlichen Besitzstand beeinträchtigten oder benachteiligten, ohne daß dazu - nach den Normen eines demokratischen Rechtsstaats - Veranlassung bestanden hätte. Der Dokumentation des Widerstands wurde eindeutig der Vorrang zuerkannt. Zur Prüfung der Überlieferungslage besuchten Beamte der bayerischen Archiwerwaltung seit Herbst 1973 obere, mittlere u n d untere Verwaltungsbehörden u n d Justizstellen im ganzen Freistaat u n d ermittelten dort eine unerwartete Fülle einschlägigen Materials. Außerdem wurden die Magazine u n d Findbücher der staatlichen Archive durchforstet u n d ein reger Schriftwechsel auch mit außerbayerischen Institutionen entfaltet. Eine erste Zusammenfassung der die eigentliche Inventarisierung vorbereitenden Arbeiten unternahm Harald Jaeger 1974 in einem Vortrag auf dem Deutschen Archivtag in Braunschweig. 17 Für die Verzeichnung und die Darbietung der Erschließungsergebnisse wurde ein dem Umfang u n d der Aussagekraft des jeweiligen Schriftguts angepaßter methodischer Wechsel zwischen Archivalienüberblick in Form der herkömmlichen sachthematischen Inventare, Detailnachweisen in einer besonderen Form von Spezialinventaren, Vollrepertorisierung ganzer Bestände, Bestandsbeschreibungen u n d Bestandsanalysen sowie die Anlegung von Kopiensammlungen gewählt. Wichtige Arbeitsergebnisse wurden in einer eigenen Inventarreihe „Widerstand u n d Verfolgung in Bayern 1933-1945. Hilfsmittel. Archivinventare" (WVB) publiziert. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes konnten diese Inventare nicht allgemein veröffentlicht werden. In den Bänden werden nämlich Personen u n d Personengruppen, die Widerstand geleistet haben u n d verfolgt wurden, genannt oder so charakterisiert, daß Rückschlüsse auf ihre soziale Stellung, auf ihre Berufs- u n d Parteizugehörigkeit usw. möglich sind. Die Inventarbände wurden in einer numerierten Auflage für den Dienstgebrauch u n d die wissenschaftliche Forschung vervielfältigt u n d gegen eine Verpflichtungserklärung an Behörden, wissenschaftliche Institutionen oder Forscher abgegeben. Erschienen sind folgende 16 Bände, die über ihren Inhalt im engeren Sinne hinaus für vergleichbare Bestände in den anderen Staatsarchiven paradigmatische Aussagekraft haben: 17

Harald Jaeger, Problematik und Aussagewert der Überlieferungsgestörten Schriftgutbestände der NS-Zeit, in: Der Archivar 28 (1975), Sp. 275-292.

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WVB 1: Spezialinventar zum Bestand Landratsämter im Staatsarchiv München (einschließlich des noch in den Registraturen der Landratsämter liegenden Schriftguts), München 1975. WVB 2: Repertorien u n d Spezialinventare zu den Beständen NSDAP und Gestapo-Leitstelle München im Staatsarchiv München, München 1975. WVB 3: Sondergericht München, 8 Bde., München 1975-1977. WVB 5: Spezialinventar zu den Beständen Bayerische Staatskanzlei und Reichsstatthalter in Bayern (Bayerisches Hauptstaatsarchiv), München 1976. WVB 6: Spezialinventar zu den Berichten des Regierungspräsidenten von Oberbayern, des Polizeipräsidiums München u n d der Gestapo-Lei tstelle München, 2 Bde., München 1977. WVB 7: Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht München, 3 Bde., München 1977. Uber das Ergebnis der Recherchen nach einschlägigem Schriftgut in den staatlichen Archiven und in den Registraturen wurden die am Projekt beteiligten Forscher laufend durch einen „Fundstellennachweis" in Loseblatt-Form unterrichtet. Er enthielt Angaben über Umfang u n d Ordnungszustand der Unterlagen, Benützungsmöglichkeiten u n d Aussagekraft, nannte eine Fülle von Aktentiteln u n d wies auf verlorengegangene oder nicht auffindbare Aktengruppen hin. Auf eine Veröffentlichung dieser Nachweise als Band 4 der WVB-Reihe wurde nach Abschluß des Projekts aus fachlichen Gründen verzichtet. Umfangreiche Verzeichnungsarbeiten sind, in erster Linie aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, nicht publiziert worden. Die Erschließungsergebnisse standen jedoch sofort nach Fertigstellung den Projektmitarbeit e m u n d allen interessierten Archivbenützern zur Verfügung. Zu nennen sind hier insbesondere die Detailverzeichnung der Ermittlungsu n d Verfahrensakten des Bestandes „Sondergericht Nürnberg" im Staatsarchiv Nürnberg, die Akten der Gestapostelle Würzburg und die Erschließung der SD-Berichte aus Unterfranken im Staatsarchiv Würzburg sowie die Akten des Kultusministeriums über das „politische Verhalten" von Geistlichen zwischen 1933 u n d 1945 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. In den genannten „Spezialinventaren" werden Widerstands- u n d Verfolgungsvorgänge einzeln u n d detailliert nachgewiesen. Das Schriftgut eines Registraturbildners wurde dabei für die Forschung sachthematisch u n d regestenartig aufbereitet. Die Verzeichnung ging in der Regel von der inhaltlichen, vordergründigen Aussage des Aktes aus, da quel-

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Hermann Rumschöttel

lenkritische Untersuchungen oder Tatsachenfeststellungen der Forschung überlassen bleiben müssen. Die zahlreichen Bestandsanalysen, ζ. B. über die Unterlagen der Erbgesundheitsgerichte oder die Spruchkammerüberlieferung, die im Rahmen des Projekts erarbeitet wurden, können großenteils bis heute bei Bewertungs- und Ubernahmeentscheidungen sowie bei Benützerfragen herangezogen werden. Zieht man 1998 aus Sicht der Archiwerwaltung ein Resümee aus dem 1980/81 abgeschlossenen Dokumentations- und Forschungsvorhaben, so wird man zunächst feststellen dürfen, daß sich mit dem Projekt „Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945" der Einzug der „regionalen Zeitgeschichte" (Ernst Hanisch) in die staatlichen Archive Bayerns datieren läßt. In den Archiven wurden ungeordnete Bestände, vor allem im stark Überlieferungsgestörten Bereich „NSDAP, Gliederungen und angeschlossene Verbände" provenienzbereinigt, einer exakten Fondsbildung unterzogen und verzeichnet. Bereits bestehende Fonds oder Fondsteile wurden erstmals hinreichend erschlossen, entweder durch Einzelverzeichnung oder durch Bestandsanalysen. Durch die sehr breit angelegte Inventarisierung entstanden Hilfsmittel, die seither nicht nur für den engeren Themenbereich, sondern bei fast allen wissenschaftlichen oder rechüichen Fragestellungen zur NS-Zeit herangezogen werden können. Die Behördenbesuche dienten nicht nur der Erfassung der Unterlagen, sie sicherten diese zugleich und bereiteten die umfangreichen Aktenaussonderungen der folgenden Jahre vor. Die Vorteile für die Archivbenützer liegen auf der Hand: rascher Zugang zu den einschlägigen Quellen, Gesamtüberblick über das vorhandene Material, Nachweis von Ergänzungs- und Ersatzüberlieferung bei Archivalienverlusten, vielfältige Anregungen für wissenschaftliche Fragestellungen in den sachthematischen Inventaren. Die Erfahrungen der staatlichen Archive, die bei der Benützung für zeitgeschichtliche Zwecke im Hinblick auf die Wahrung von Persönlichkeitsrechten gesammelt werden konnten, haben nicht nur bis heute der Archivbenützung gedient, sondern sich auch bei den Beratungen des Bayerischen Archivgesetzes als sehr hilfreich erwiesen. 18 Schließlich wurden durch die Zusammenarbeit von Archiwerwaltung und Institut für Zeitgeschichte im Rahmen des „Bay-

18

Walter Jaroschka, Bayerisches Archivgesetz. Einführung und Textabdruck, in: Der Archivar 44 (1991), Sp. 535-550. Hermann Rumschöttel, Das Bayerische Archivgesetz und die Lokal-, Regional- und Landesgeschichtsforschung, in: Mitteilungen des Verbandes bayerischer Geschichtsvereine 17 (1996), S. 1-21.

Das Projekt Widerstand u n d Verfolgung in Bayern

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ern-Projekts" 19 institutionelle und persönliche Verbindungen geknüpft, die - zum Wohle beider Seiten u n d ihrer Benützer - bis heute tragen. Das Dokumentations- und Forschungsprojekt „Widerstand u n d Verfolgung in Bayern 1933-1945" ist deshalb sicherlich - wie in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder betont wird - ein Meilenstein in der deutschen Widerstandsforschung, es ist aber auch ein Meilenstein in der bayerischen Archivgeschichte.

19

Diese zunächst institutsinterne Bezeichnung hat sich in der wissenschaftlichen Literatur durchgesetzt.

Ian Kershaw Bayern in der NS-Zeit: Grundlegung eines neuen Widerstandskonzeptes* /. Bevor 1973 das „Bayern-Projekt" begonnen wurde, hatte die - wie man das n e n n e n könnte - Sozialgeschichte des Widerstands nur relativ geringe Fortschritte in der Bundesrepublik Deutschland gemacht (und so gut wie gar keine in der DDR, wo während der ganzen Existenz jenes Staates die fast ausschließliche Beschäftigung mit der heroischen Natur des Widerstands der KPD - bei Konzentration auf die Organisationsgeschichte illegaler Gruppen - als Barriere gegen innovative Forschung wirkte). Zwanzig Jahre früher stand Günther Weisenborns Versuch 1 , den Widerstand von unten ins Licht zu rücken, noch recht einsam inmitten der Fülle von Arbeiten, die sich, unter starker Betonung der ethischen Aspekte u n d beeinflußt von dem politischen Motiv, die Existenz des „anderen Deutschland" zu zeigen, vornehmlich mit den „Männern des 20. Juli" befaßten, dazu mit sonstigen Fragen des „Eliten-Widerstands", das heißt des Widerstands konservativer u n d bürgerlicher Gruppen u n d Individuen, schließlich noch mit dem „Kirchenkampf'. Gegen Ende der sechziger Jahre zeigte sich jedoch in der westdeutschen Literatur zum Widerstand eine Verlagerung der Gewichte. Ein wiedererwachtes Interesse an der politischen Linken - zum Teil bewirkt durch den politischen und intellektuellen Klimawechsel im Gefolge der Studentendemonstrationen von 1968 wie auch durch eine Renaissance der Anziehungskraft marxistischer Ideen - führte dazu, daß mit Studien über die bislang weitgehend vernachlässigten Oppositionsgruppen von KPD u n d SPD dem Widerstand der Arbeiterklasse späte * Übersetzt aus dem Englischen von Hermann Graml. 1 Günther Weisenborn, Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933-1945, Hamburg 1953, neuaufgelegt Frankfurt/Main 1974.

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Ian Kershaw

Aufmersamkeit zuteil wurde.2 Auch wenn sich solche Arbeiten, was nicht selten der Fall war, mehr durch emotionalen - politischen oder moralischen - Eifer auszeichneten als durch wissenschaftliche Genauigkeit, so vermittelten die oft von ehemaligen Angehörigen des kommunistischen oder sozialdemokratischen Widerstands geschriebenen Lokalstudien doch etwas von der Atmosphäre der Tätigkeit in der dunklen Welt des Untergrunds, von der stets gegenwärtigen Furcht, der Angst und dem Leiden, wie sie zu den Realitäten jener gefährlichen Sache, der Aktivität gegen das NS-Regime, gehörten. Die besten dieser Arbeiten - einschließlich der Studien über den Arbeiterwiderstand in den Ruhrstädten Dortmund, Essen und Duisburg, die unter den Auspizien der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden - warfen auch ein Licht auf die potentiellen Gewinne systematischer Untersuchungen der Milieus, in denen normale Arbeiter aus den unterschiedlichsten Gründen - oft keineswegs aus heroischem Idealismus - in die Fährnisse der Untergrundopposition gesogen werden konnten.3 Die Begrenzung derartiger Studien lag in ihrer Konzentration auf die institutionelle oder organisatorische Geschichte von Widerstandsaktivität. Doch dürfen sie in gewisser Weise als Teil des historiographischen Hintergrunds gesehen werden, aus dem das „Bayern-Projekt" herauswachsen konnte. Solche Arbeiten hatten indes noch immer der Minorität jener Individuen gegolten, die allein schon durch ihre Beteiligung an illegaler Tätigkeit und ihre Bereitschaft, für ihre politische Uberzeugung Leben und Freiheit - häufig auch Leben und Freiheit ihrer Familien und Freunde - zu riskieren, exzeptionell waren. So stellte es sowohl eine neue Entwicklung in der Historiographie des Widerstands wie auch einen im Grunde ganz natürlichen nächsten Schritt dar, die Forschung vom organisierten Widerstand auf dessen Milieu auszudehnen, von Widerstandskämpfern auf unauffällige, gewöhnliche Menschen, auf ihre Einstellung zum Regime und auf die sozusagen fragmentierten Formen von Opposition und Konflikt, wie sie das Alltagsleben unter nationalsozialistischer Herrschaft hervorbrachte. Dieser Schritt wurde erstmals im „Bayern-Projekt" getan. Den Hintergrund prägte indirekt auch die zunehmende Entfernung von der Vor2

3

Vgl. die Übersicht von Reinhard Mann, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: Neue politische Literatur 22 (1977), S. 425-442. Kurt Klotzbach, Gegen den Nationalsozialismus. Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1930-1945, Hannover 1969; Hans-Josef Steinberg, Widerstand und Verfolgung in Essen 1933-1945, Hannover 1969; Kuno Bludau, Gestapo! Geheim! Widerstand und Verfolgung in Duisburg 1933-1945, Bonn-Bad Godesberg 1973.

Bayern in der NS-Zeit

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Stellung eines monolithischen totalitären Staates. In den sechziger Jahren hatte empirische Forschung frühere Annahmen über die Strukturen des Regierungssystems im Dritten Reich in Frage gestellt. Es war an der Zeit, die Aufmerksamkeit der Wirkung nationalsozialistischer Herrschaft auf die deutsche Gesellschaft zuzuwenden. Hier verband sich das Projekt mit historiographischen Trends, die in der Bundesrepublik bereits am Werke und keineswegs auf die Geschichte des Dritten Reiches beschränkt waren, nämlich mit der Erforschung der „Sozialgeschichte von unten", der „Erfahrungsgeschichte" und der - wie das Genre bald allgemein hieß - „Alltagsgeschichte". Auf die Probleme des Widerstands im nationalsozialistischen Regime angewandt, eröffnete dies die Möglichkeit für neue Einsichten in die vielen und vielfältigen Sphären des Konflikts zwischen Herrschern und Beherrschten. Sollten entlang solcher Wegmarken Fortschritte in empirischer Forschung erzielt werden, mußten jedoch Vorstellung und Begriff von „Widerstand" weit über jede bislang übliche Definition erweitert und zugleich vom konventionellen Schwergewicht auf ethische Motivation und auf organisierte Erscheinungsformen gelöst werden. Hier lag eine frühe Aufgabe des für das „Bayern-Projekt" gesammelten Teams.

II. Die mit dem Projekt befaßte Archivarsgruppe und sein erster Leiter, Dr. Peter Hüttenberger, entwickelten gleich zu Beginn eine Definition und eine theoretische Grundlage für das neue Vorgehen, die den erweiterten Forschungsrahmen klar hervortreten ließen. Dr. Harald Jaeger und Dr. Hermann Rumschöttel, zwei der führenden Archivare des Projekts, lieferten eine wichtige Arbeitsdefinition: „Unter Widerstand wird jedes aktive oder passive Verhalten verstanden, das die Ablehnung des NS-Regimes oder eines Teilbereichs der NS-Ideologie erkennen läßt und mit gewissen Risiken verbunden war."4 Nach dieser Definition konnte also Widerstand sowohl passiv wie partiell sein. Grundsätzliche Ablehnung des Nationalsozialismus in seiner Gesamtheit war nicht länger erforderlich. Widerstand mußte nicht mehr als total begriffen werden und als fundamentale Aktion, die auf die Untergrabung oder Zerstörung des Regimes zielte. Potentiell umfaßte die erweiterte neue Defi-

4

Harald Jaeger/Hermann Rumschöttel, Das Forschungsprojekt „Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945", in: Archivalische Zeitschrift 73 (1977), S. 214.

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nition folglich Verhaltensweisen und Haltungen, die nicht das Monopol heroischer einzelner waren, nicht auf jene mutigen Aktionen und äußersten Opfer beschränkt, die außerhalb des Vermögens normaler Sterblicher liegen, sondern uns im Alltagsleben gewöhnlicher Menschen in breiten Schichten der Gesellschaft begegnen können. Peter Hüttenbergers Begriff von Widerstand, in der Formulierung höchst abstrakt, legte es nahe, den Schlüssel in Form und Charakter von politischer Herrschaft zu suchen.5 Nach ihm impliziert „Herrschaft" in den meisten Systemen - wie etwa in Demokratien - einen stillschweigenden „Handel" zwischen Herrscher und Beherrschten, in dem Interessen und Ziele, oft gegensätzlich, zu einer Balance finden können, die zugleich gerade die Prämisse des Systems darstellt. In dieser Art von „symmetrischer Herrschaft" gibt es Widerstand als solchen nicht. Politische Parteien, Gewerkschaften und andere Interessengruppen und Organisationen stellen, in ihrem Verkehr mit der Regierung, lediglich sicher, daß der „Handel" zustande kommt. Jeder Konflikt, wie heftig auch immer, ist institutionalisiert als Teil des „Handelssystems. Das gilt selbst dann, wenn ein staatliches System versagt und das .Aushandeln" nicht mehr funktioniert. In solcher Sicht ist es mithin unangemessen, von einem „Widerstand" der NSDAP gegen die Herrschaft der Reichsregierung in der zerfallenden Weimarer Republik zu sprechen. „Widerstand" kann es, diesem Modell zufolge, nur dort geben, wo „Herrschaft" asymmetrisch ist, wo ein totales oder umfassendes Herrschaftssystem errichtet ist, das einen totalen Anspruch auf die Beherrschten erhebt und damit jede Balance oder „Handel" zwischen Interessen zerstört. Daher definierte Hüttenberger Widerstand als ,jede Form der Auflehnung im Rahmen asymmetrischer Herrschaftsbeziehungen gegen eine zumindest tendenzielle Gesamtherrschaft".6 Trotz der opaken Sprache sind die Implikationen klar: Sofern Widerstand das Produkt der Natur eines Herrschaftssystems ist, muß es mehr und nicht etwa weniger „Widerstand" geben, j e näher der Anspruch, den der Staat auf seine Bürger erhebt, der Totalität kommt, da der „totale Staat" selber Verhaltensweisen und Aktionen zu Widerstand macht, die unter der symmetrischen Herrschaft eines pluralistischen demokratischen Systems nicht als oppositionell - vielleicht nicht einmal als politisch - gesehen würden. So sind Jugendliche, die englische Kleidermo5

6

Peter Hüttenberger, Vorüberlegungen zum Widerstandsbegriff, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Theorien in der Praxis des Historikers, Göttingen 1977, S. 117-139. Hüttenberger, Vorüberlegungen, S. 126.

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d e n n a c h a h m t e n u n d Swing u n d Jazz h ö r t e n - ein Verhalten, das in ein e r liberalen Demokratie nicht einmal bemerkt würde - , im nationalsozialistischen Polizeistaat als Kriminelle u n d subversive Elemente behandelt worden. 7 „Alles, was mit [Duke] Ellington anfängt, e n d e t bei ein e m Attentatsversuch auf d e n Führer", sagte ein Gestapobeamter im Juli 1944. 8 Die Wirkung bestand unweigerlich darin, daß die betroffen e n J u g e n d l i c h e n selbst ihre H a n d l u n g e n in einem politischen Sinne als bewußte Demonstration gegen das Regime verstanden (was d a n n wiederum als eine Form von „Widerstand" klassifiziert werden kann). Wie hier konzeptualisiert, wurde „Widerstand" in seinen facettenreichen Formen auf viele Teile d e r Gesellschaft u n d auf die unterschiedlichsten Verhaltensweisen u n d Mentalitäten anwendbar. Statt allein in Schwarz u n d Weiß gemalt zu werden, mußte das n e u e Bild, das sich aus einer empirischen Forschung ergab, die d e m Hüttenbergers Definition zugrunde liegenden Verständnis von Widerstand folgte, in unterschiedlichen Schattierungen von Grau gehalten sein, da es u m gewöhnliche Menschen ging, die auf unterschiedliche Weise mit d e m „totalen Anspruch" des Nationalsozialismus auf ihr Alltagsleben fertig zu werd e n suchten u n d dabei m a n c h m a l j e n e n Anspruch partiell blockierten, wenn er ihre Interessen negativ berührte. Mit d e r Betonung d e r Wirkungen j e n e r H a n d l u n g e n , die - oft recht bescheidenen Umfangs u n d begrenzt in ihrer Absicht - d e m „totalen Anspruch" des Regimes Schranken setzten, i n d e m sie seine Fähigkeit blockierten, die Gesellschaft zu durchdringen, wandte sich das „Bayern-Projekt" vom bis dahin gültigen Widerstandsbegriff ab u n d der Erforschung von „Konflikt-Zonen" zu. Es ging nicht m e h r u m die bewußte Absicht, d e m Regime zu schaden, sondern u m das Vermögen von Individuen u n d sozialen o d e r politischen G r u p p e n , von Institutionen wie Kirchen u n d Armee, auch von bestimmten Subkulturen u n d Milieus, eine relative Immunität gegen d e n Nationalsozialismus u n d seine Ideologie zu entwickeln. Die Verlagerung des Schwergewichts, bereits in Hüttenbergers „Vorüberlegungen zum Widerstandsbegriff" angekündigt, wurde in ein völlig neues - u n d sehr umstrittenes - Konzept gefaßt, das Martin Broszat, d e r die Leitung des Projekts schon in einem 7

8

Siehe Detlev Peukert, Die Edelweißpiraten. Protestbewegungen jugendlicher Arbeiter im Dritten Reich, S. 201-220. Im Bayern-Projekt ist die Frage der Jugendopposition von Arno Klönne behandelt worden: Jugendprotest und Jugendopposition, in: Bayern IV, S. 527-620. Zit. nach Michael H. Kater, Different Drummers. Jazz in the Culture of Nazi-Germany, New York/Oxford 1992, S. 194.

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frühen Stadium übernommen hatte, nachdem Peter Hüttenberger auf einen Lehrstuhl in Düsseldorf berufen worden war, in die Terminologie und Historiographie des Widerstands einführte: das Konzept von der „Resistenz". Broszat legte dieses Konzept, das er von der bisherigen WiderstandsVorstellung ab- und ihr entgegensetzte, in einem bedeutenden Essay dar, der die Publikation der ersten vier Bände von „Bayern in der NSZeit" abschloß; jeder Band trug, die Leitlinie angemessen ausdrückend, den Untertitel „Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt".9 Es sei notwendig, so sagte er, die Begriffe „Widerstand und Verfolgung", das eigentliche Thema des „Bayern-Projekts", aus ihrer „monumentalistischen Erstarrung" zu lösen und sie mit neuem Leben zu erfüllen.10 Das Konzept von der „Resistenz" hatte er im Vorwort zum ersten Band entwickelt. „Es galt", so stellte er dort fest, „die zum Mahnmal geronnene Thematik zurückzuholen in die komplizierte reale Wirkungs- und Erfahrungsgeschichte der Hitler-Zeit, zwischen den Grenzsituationen .Widerstand' und ,Verfolgung' die breite Skala der Verhaltensweisen, ihre vielfältigen Bedingungen, ihre oft ,unreine' Mischung sichtbar zu machen und bisher von der Forschung vernachlässigte Bereiche der Lebenswirklichkeit der NS-Zeit aufzusuchen."11 Um dieses Ziel zu erreichen, sei es unverzichtbar, mit einem Konzept zu operieren, das vom „moralisch-politischen Legitimationsbegriff .Widerstand'" unterschieden werden könne, und so prägte er den „strukturgeschichtlichen" an anderer Stelle nannte er ihn den „wirkungsgeschichtlichen" - „Begriff der .Resistenz'".12 Diesen Begriff, abgeleitet aus der Medizin, wo er „Immunität" meint, sah er als „wertneutral" und definierte ihn als: „wirksame Abwehr, Begrenzung, Eindämmung der NS-Herrschaft oder ihres Anspruches, gleichgültig von welchen Motiven, Gründen und Kräften her". 13 Befreit vom Ballast der Vorstellung vom „Widerstand" selbst, könnte ein solches Konzept, so argumentierte er, dazu helfen, die tatsächlichen Wirkungen von Handlungen zu untersuchen, welche das Eindringen des Nationalsozialismus begrenzten und den

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10 11 12 13

Die sechs Bände „Bayern in der NS-Zeit", hrsg. von Martin Broszat, Elke Fröhlich, Falk Wiesemann, Hartmut Mehringer und Anton Großmann, sind zwischen 1977 und 1983 in München bei Oldenbourg erschienen. Broszats Essay „Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts" ist in Bayern IV, S. 691-709, enthalten. Bayern IV, S. 692. Vorwort zu Bayern I, S. 11. Bayern I, S. 11; Bayern IV, S. 699. Bayern IV, S. 697.

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Gebrauch nationalsozialistischer Macht behinderten. „In j e d e m politisch-gesellschaftlichen System, noch m e h r unter einer politischen Herrschaft wie der des NS", schrieb er, „zählt politisch u n d historisch vor allem was getan u n d bewirkt, weniger das, was n u r gewollt oder beabsichtigt war."14 Da das Konzept von der „Resistenz" das Schwergewicht m e h r auf Verhaltensweisen u n d die Wirkung von Handlungen als auf moralisch-ethische oder politische Motivation legte, wie das in der ursprünglichen Definition von Hüttenberger postuliert worden war, Schloß es auch partielle Opposition ein, die durchaus mit partieller Zustimmung zum Regime koexistieren konnte. Dies öffnete das Tor für eine stattliche Reihe von außergewöhnlich fruchtbaren empirischen Untersuchungen der sozialen Grundlagen von Konflikt u n d Konsens im NS-Regime u n d in ihrem Gefolge zu einem vertieften Verständnis der Verhaltensmuster angesichts der extremen Bedingungen einer repressiven Diktatur. Broszats „Resistenz-Konzept" stieß auf viel Kritik u n d fand viel Zustimmung. Vor der Beschäftigung mit der Kritik sollte noch ein kurzer Blick auf die Gewinne geworfen werden, die es in der Reihe „Bayern in der NS-Zeit" einbrachte.

III. Die sechs Bände, die im Rahmen des Projekts zwischen 1977 u n d 1983 entstanden, dürfen als ein Meilenstein nicht n u r der Widerstands-Historiographie, sondern der Erforschung der Sozialgeschichte des Dritten Reiches bezeichnet werden. Die einschränkungsfreie Auffassung von „Konflikt" - verbunden mit Broszats zunehmender Förderung narrativer Methoden, um die lebendigen Realitäten der Geschichte „vor Ort" freizulegen - warf reiche Gewinne ab bei Arbeiten über Themen und Aspekte der NS-Herrschaft, die man bis dahin nicht zum „Widerstand" gezählt hätte. Vielfältige Formen von „zivilem Ungehorsam" wurden entdeckt. Von gleicher Bedeutung waren aber die mannigfaltigen Anzeichen der Zustimmung zu vielen Facetten der Regimepolitik oder Affinität zu den ideologischen Zielen der Nationalsozialisten, nicht selten gepaart mit eindrucksvollen Formen von Dissens und partieller Opposition. In dem Bild, das allmählich entstand, fanden sich nur wenige heroische „Widerstandskämpfer", sondern weit m e h r menschliche We14

Bayern IV, S. 698.

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sen in all ihrer Schwäche u n d Fehlbarkeit, die meist nicht aus grundsätzlicher Ablehnung einer inhumanen Diktatur u n d für die Verwirklichung einer besseren Gesellschaft handelten, vielmehr aus wirtschaftlicher Unzufriedenheit, aus gesellschaftlichem Ressentiment, aus religiösem Konservativismus, aus spontanem Protest oder aus purem Eigennutz. Zu den bemerkenswertesten historiographischen Durchbrüchen des Projekts gehörten die Erkenntnisse über das Leben auf dem Lande, in der hintersten Provinz Bayerns, während der nationalsozialistischen Ära. Schon der allererste Beitrag im ersten Band der Reihe, die Veröffendichung von Quellen aus dem Landkreis Ebermannstadt in Oberfranken, zeigte die Einsichten, die aus solchem Material zu gewinnen waren. 15 „Am 30. Mai 1938 berichtete der Vorstand des Bezirksamtes Ebermannstadt ausführlich von der fortdauernden Maul- u n d Klauenseuche u n d dem starken Futtermangel, der in den hochgelegenen Jura-Dörfern seines Bezirks die Lage der ärmlichen Bauern .äußerst kritisch' gestaltet und eine .recht niedergeschlagene' Stimmung verursacht habe. Große politische Ereignisse, wie der vorangegangene Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich, vermochten bei solchen elementaren Nöten in den rückständigen Dörfern des Bezirks n u r wenig zu beeindrucken." 1 6 So lauteten die ersten Sätze in Broszats Einleitung. Sie setzten den Ton. Das Thema Widerstand wurde in ihnen überhaupt nicht berührt. Aber das plastische Hervortreten des Kontrasts zwischen der Sorge von Bauern um ihr Vieh u n d dem relativ geringen Interesse am Anschluß Österreichs gab der Frage nach den ideologischen Erfolgen des Regimes sogleich eine neue Wendung. Die Zonen alltäglicher Konflikte, die von der Einmischung der NSDAP u n d ihrer Gliederungen in das traditionelle Leben auf dem Lande geschaffen wurden, sind in der einfachen u n d direkten Sprache der lokalen Polizei- u n d Parteiberichte anschaulich geschildert. Von den Beispielen aus dem Landkreis Ebermannstadt abgesehen, ist das Geschehen auf dem Lande in j e n e n Beiträgen des ersten Bandes trefflich illustriert, die das Thema Konflikt am Beispiel des agrarischen und katholischen Milieus im Bezirk Aichach u n d unter dem allgemeinen Titel „die Partei in der Provinz" behandeln (Falk Wiesemann bzw. Elke Fröhlich). 17 „Die Bevölkerung hält nach wie vor daran fest, bei

15

Bayern I, S. 21 ff. Bayern I, S. 21. " Bayern I, S. 327ff., 487ff. 16

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den herkömmlichen Maifeiern die alten Landesfarben zu verwenden. Da HJ u n d SA dieses vielerorts nicht dulden wollten, kam es zu erheblichen politischen Schwierigkeiten", heißt es in einem nicht untypischen Bericht aus dem J u n i 1935.18 Die Konflikte mit der Partei, das machen die Beiträge ganz deutlich, waren häufig vom Charakter der örtlichen NSDAP-Vertreter bestimmt. Galten diese als Emporkömmlinge oder suchten sie als radikale „Alte Kämpfer", oft o h n e Qualifikation oder Eignung für lokale Verwaltung, ideologische NS-Gebote zu verwirklichen, so war die Spanne für Konflikte enorm, der Prestigeverlust der Partei spürbar. Wie aber der Beitrag von Zdenek Zofka zeigen konnte, kam es viel häufiger vor, daß die NSDAP Kompromisse schloß u n d ehemalige BVP-Bürgermeister und Gemeinderäte im Amt beließ, statt sie durch NS-Eiferer zu ersetzen. 19 Die Folge war oft eine Reduzierung der ideologischen Ansprüche an die Bevölkerung. Daß sich daraus eine relative Akzeptabilität des Nationalsozialismus ergab, bedeutete jedoch, daß fundamentale Opposition kaum eine Entfaltungsmöglichkeit hatte bzw. keine breitere Unterstützung fand, falls sie sich doch regte. Zu den größten Konfliktfeldern gehörte das Verhältnis zwischen Regime u n d Kirchen, zu den Konflikten, bei denen der „totale Anspruch" des Nationalsozialismus am kräftigsten durch traditionelle Werte abgeblockt wurde, der „Kirchenkampf'. Hier erschloß das Projekt Neuland, indem es sich von der Opposition der Bischöfe u n d anderer Kirchenf ü h r e r fortbewegte u n d die auf lokaler Ebene u n t e r n o m m e n e n Versuche der NSDAP zur Durchsetzung der NS-Ideologie u n d zur Untergrabung des starken kirchlichen Einflusses in den Blick nahm. Das Resistenz-Konzept erwies sich in derartigen Zusammenhängen als tauglich, indem es zum Beispiel die relative Immunität namentlich der katholischen Subkultur gegen das Eindringen nationalsozialistischer Ideologie erfassen u n d beschreiben ließ. „Die Landbevölkerung nimmt das Gute aus den Maßnahmen der NSDAP als selbstverständlich hin u n d bleibt dabei an dem Weihrauch der Pfaffen hängen", so beschrieb ein Parteifunktionär - in charakteristischem NSJargon - in einem Bericht vom August 1935 die Schwierigkeiten, denen sich die Partei gegenübersah. 2 0 Wo die Kirche besonders fest verankert war, etwa in einem tief katholischen Ort wie Eichstätt, stellte sie für den Radikalismus der NSDAP-Aktivisten geradezu eine Provokation dar, und wenn auf diese Provokation

18 19 20

Bayern I, S. S53. Bayern IV, S. 383 ff. Bayern I, S. 502.

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entsprechend reagiert wurde, verteidigten der örtliche Klerus und die Bevölkerung erst recht den Glauben und die traditionellen Institutionen und Bräuche. Evi Kleinöders Untersuchung der katholischen Jugendverbände in Eichstätt und Franz Sonnenbergs Arbeit über den Kampf um die Gemeinschaftsschule lieferten detaillierte Beschreibungen solcher Konflikte. 21 Vielleicht illustriert die Geschichte eines einzigen Klerikers und seiner Widersetzlichkeit gegen die NS-Gewaltigen am besten, wie in einer kleinen, relativ homogenen Gemeinde ein Konflikt ausbrechen konnte, sofern eine begrenzte gemeinsame Sache gegeben war und ein einflußreicher örtlicher Meinungsführer eine kompromißlose Haltung einnahm 22 ; hier kommt auch die vom Projekt favorisierte narrative Methode zu ihrem Recht. Der - im Schlußband der Serie als eines von mehreren Beispielen individueller Opposition von Elke Fröhlich packend erzählte - Fall des Pfarrers von Mömbris in Unterfranken, der in seiner Pfarrei keinen Aushang des „Stürmer" dulden wollte, zeigt allerdings nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen von „Resistenz". Obwohl ihn nahezu das ganze Dorf unterstützte, wurde der Geistliche schließlich doch verhaftet und aus seiner Pfarrei verbannt. Die Macht des Regimes setzte sich also am Ende durch. Von nicht geringerer Signifikanz: Die Opposition des Pfarrers gegen den „Stürmer" wurde nicht durch die bösartigen Angriffe auf die Juden geweckt, die Julius Streichers Hetzblatt kennzeichneten, vielmehr, so erklärte er, stehe es „unter meiner Ehre, ohne weiteres hinzunehmen, daß das Bild eines Geistlichen neben den Bildern von Verbrechern und Juden erscheint". 23 Und die Bevölkerung stand zu ihm, weil sie ihren Pfarrer nicht auf eine Stufe mit Juden gestellt sehen wollte.24 Wie das Beispiel lehrt, war die von den nationalsozialistischen Attacken auf die Kirchen hervorgerufene Opposition selten fundamental in einem politischen oder ideologischen Sinne. Nonkonformität in bestimmten Fragen konnte ohne weiteres mit Willfährigkeit in anderen Bereichen einhergehen, wo keine besonderen Interessen auf dem Spiel standen. „Resistenz" hatte klare Grenzen, wenn es um die zentralen Forderungen der NS-Ideologie ging. Menschliche Anteilnahme am

21 22 23 24

Bayern Bayern Bayern Bayern

II, S. 175ff.; Bayern III, S. 235ff. VI, S. 52 ff. VI, S. 68. VI, S. 57.

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Los der J u d e n erreichte, wie Falk Wiesemanns Dokumentation im ersten u n d mein eigener Beitrag im zweiten Band dartun, nicht annähernd die Stärke der Emotionen im „Kirchenkampf'. 2 5 Im Gegenteil. Während die solidarische Verteidigung tief verwurzelter religiöser Uberzeugungen u n d Bräuche in lokalen Gemeinden manchmal dazu führte, daß dem Regime unter der Anleitung oft freimütiger u n d tapferer Ortspfarrer Trotz geboten wurde, begegnete die grausame Diskriminierung der Juden, einer weithin isolierten u n d wenig geliebten Minderheit, überwiegend kalter Indifferenz - wenn es nicht sogar zu Beteiligung u n d bereitwilliger Komplizenschaft kam. Trotz der intensiven Beschäftigung mit nicht organisierter „Resistenz" ist aber auf grundsätzlicher Ablehnung beruhende Opposition, namentlich unter Industriearbeitern, in den „Bayern"-Bänden nicht vernachlässigt worden. Der Wert der Beiträge von Konrad Hetzer über die Arbeiteropposition in Augsburg u n d von Klaus Tenfelde über Widerstand in der kleinen oberbayerischen Bergarbeitergemeinde Penzberg lag jedoch darin, daß sie - weit mehr als die in den sechziger Jahren geschriebenen Studien über die illegale Aktivität von KPD- u n d SPD-Gruppen - die Organisierung regimefeindlicher Tätigkeit eindeutig in ihrem sozialen Milieu lokalisierten. 26 Dies galt gleichermaßen für die konventioneller orientierten Arbeiten von Hartmut Mehringer und Anton Großmann über die Untergrund-Opposition der KPD (die sich trotz drakonischer Unterdrückung ständig erneuerte) u n d der SPD (passiver, m e h r auf die Bewahrung der Solidarität und die Abwehr der NS-Ideologie gerichtet) im fünften Band. 27 Solche Untersuchungen, die außerdem den Vorzug hatten, erstmals die unterschiedliche Intensität des Arbeiterwiderstands in einer Anzahl von Orten einer größeren Region genauer zu messen, waren in der Lage, stärker als vielleicht j e zuvor zu unterstreichen, daß sich die organisierten Widerstandsgruppen im Lauf der Zeit notwendigerweise von ihrem sozialen Hinterland isolierten u n d absetzten. Nachahmung, so sagt man, ist die reinste Form von Schmeichelei. Die in den „Bayern"-Bänden präsentierte Methodik wurde zum Anlaß einer rapiden Zunahme des Interesses an der Alltagsgeschichte des Dritten Reiches, unweigerlich auf die grauen Zonen von Konformismus und Abweichung konzentriert: Zahlreiche Lokal- u n d Regionalstudien 25 26 27

Bayern I, S. 427ff.; Bayern II, S. 281 ff. Bayern III, S. Iff.; Bayern IV, S. Iff. Bayern V, S. Iff., 287ff„ 433ff.

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begannen zu erscheinen, dazu individuelle Erinnerungen, zahllose Manifestationen von „Resistenz" wurden entdeckt, die Milieus erforscht, in denen sich fundamentalere Opposition gegen das Hitler-Regime entwickelt hatte, u n d der Mut u n d das Leiden j e n e r demonstriert, die der Rache des Regimes zum Opfer fielen. 28 Nicht zuletzt lenkten die Bände des Projekts die Aufmerksamkeit auf weite Bereiche der Zustimmung zum Regime, auf die Komplizenschaft bei seinen politischen Aktionen, auf vielfältige Kollaboration u n d auf die unterschiedlichen Weisen - so oft eng mit „Resistenz" verquickt - , in denen durchschnittliche Menschen ihr Alltagsleben den Forderungen des Systems anpaßten, dabei gewöhnlich u n d fast unvermeidlich zumindest indirekte Unterstützung leistend. Daß sie praktisch ebensoviel über Konsens wie über Opposition enthüllten, war einer der Gründe, warum „Bayern in der NS-Zeit", als ein Beitrag zur Widerstandsgeschichte, da u n d dort auf so herbe Kritik stieß. Viel davon galt dem kontroversen „Resistenz"-Konzept u n d offenbarte diametral entgegengesetzte Einstellungen zur Frage des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.

IV. Selbst einigen Mitarbeitern des Projekts war bei dem Konzept nicht ganz wohl. Da war schon das Problem, daß „Resistenz" zwar im Deutschen sowohl linguistisch wie konzeptuell von „Widerstand" unterschieden werden kann, jedoch in einer Anzahl anderer europäischer Sprachen, so im Englischen, Italienischen u n d Französischen, den Begriffen „resistance", „resistenza" u n d „resistance" so nahe ist, daß das Wort zu Verwirrung u n d Unklarheit führt, mithin praktisch unverwendbar wird. Die Ableitung aus der Terminologie der Medizin, so wurde zusätzlich - wenn auch etwas pedantisch - argumentiert, sei ebenfalls nicht glücklich, da der Begriff in solchem Kontext nicht n u r Immunität gegen Infektion, sondern auch mangelnde Reaktion auf ein Heilmittel bedeuten könne. Solle der Begriff aber „Immunität" in einem politischen Sinne meinen, drücke er etwas Passives aus, während unter „Wi-

28

Zu den besten neueren Studien, die die erstmals vom „Bayern-Projekt" angewandte sozialgeschichtliche Behandlung des Widerstands bewußt weiterentwickelt haben, gehört Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann, Milieus und Widerstand. Eine Verhaltensgeschichte der Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bonn 1995.

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derstand" doch etwas Aktives verstanden werden müsse.29 Überdies, so hieß es ferner, schließe „Resistenz" die Möglichkeit - ja sogar die Wahrscheinlichkeit - partieller Kollaboration ein und bezeichne damit das genaue Gegenteil jeglichen normalen Verständnisses von politischem „Widerstand", wie er etwa in der französischen resistance aufgetreten sei.30 Walther Hofer führte die Attacke auf das Konzept mit charakteristischer Direktheit: „Der Begriff der Resistenz [führt] zu einer Nivellierung von grundsätzlichem Widerstand gegen das System einerseits und Aktionen, die mehr oder weniger zufällige Erscheinungsformen kritisierten, andererseits: Der Tyrannenmörder erscheint auf derselben Stufe wie der Schwarzschlächter." Und er setzte hinzu, „daß die unter dem Begriff der Resistenz subsumierten oppositionellen Haltungen gerade wenig oder überhaupt keine für das herrschende totalitäre Regime irgendwie relevante Wirkung erzeugt haben". 31 Das war ein etwas grober Angriff, doch traf er schon etwas Richtiges jedenfalls im Hinblick auf die Verwendung des Begriffs „Resistenz". Unter diesem Rubrum habe das „Bayern-Projekt", so kommentierte ein Historiker, der es mit weit größerer Sympathie betrachtete als Hofer, „eine Tendenz gezeigt, das Widerstands-Konzept so zu dehnen, daß es schließlich alles außer regelrechtem Enthusiasmus für das Regime erfaßt".32 Ein weniger befrachteter Begriff - „politische Nonkonformität", „Abweichung" oder, was ich vorziehe, „Dissens" - wäre wahrscheinlich besser gewesen. Aber Hofers Kritik galt nicht nur dem Konzept, das in Wirklichkeit eine sekundäre Sache war. Sie zielte vielmehr auf das Herz des Projekts, indem sie die „Wirkung" von „Resistenz", in der Broszat ein wesentliches Element der „Bayern"-Bände gesehen hatte, geringschätzig behandelt. Hier ging Hofers Angriff jedoch in die Irre. Es ist leider nur zu offensichtlich, daß „Resistenz" ein mächtiges, ideologisch bestimmtes und repressives Regime nicht daran gehindert hat, jenen Ausrottungskrieg zu führen, mit dem die permanente Vorherrschaft eines rassisch gereinigten Deutschen Reiches begründet wer29

30

S1 32

Günther Plum, Widerstand und Resistenz, in: Martin Broszat/Horst Möller (Hrsg.), Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur und Geschichte, München 1983, S. 248-273, hier S. 264 f. Siehe die Bemerkungen von Walther Hofer bei Jürgen Schmädeke/Peter Steinbach (Hrsg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, München/Zürich 1968, S. 1120f. Ebd., S. 1121 f. Richard J . Evans, From Hitler to Bismarck: „Third Reich" and Kaiserreich in Recent Historiography: Part II, in: The Historical Journal 26 (1983), S. 1013.

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den sollte. Dies zu erreichen, hätte einen fundamentalistischen Widerstand erfordert, der jedoch, wie wir alle wissen, bei allem Mut beklagenswert schwach, zersplittert und ineffektiv war. Aber den „Bayern"Bänden etwas vorzuhalten, das sie nie zu tun beabsichtigten, verfehlt ihre Zielsetzung. In ihnen geht es darum, die Art und Weise zu erkunden, in der die totalen Ansprüche des Regimes selbst von geringfügigeren Formen zivilen Ungehorsams berührt und manchmal eingeschränkt wurden. Broszat konnte auf eine ganze Liste von Handlungen verweisen - Streiks, Kritik von der Kanzel, Verweigerung der Teilnahme an NS-Veranstaltungen und des Hitler-Grußes, Verkehr mit Juden, Aufrechterhaltung der Beziehungen zu alten SPD-Genossen -, die Beispiele für die Grenzen der ideologischen Durchdringung und Kontrolle darstellten, für die Schranken, auf die der „totale Anspruch" des Regimes traf. Er konnte auch auf die fortdauernde Existenz von Institutionen verweisen, die eine relative Autonomie zu bewahren vermochten (Kirchen, Wehrmacht, Bürokratie), auf moralische und religiöse Normen, auf wirtschaftliche, rechtliche, intellektuelle und künstlerische Werte, die alle von der NS-Herrschaft nicht ausgetilgt wurden.33 Die Implikationen solcher Befunde sind natürlich, nicht zuletzt für Kontinuitäten in der deutschen Gesellschaft über das Ende des Hitler-Regimes hinaus, beträchtlich. Aber auch für ein vertieftes Verständnis der Operationsmöglichkeiten des Regimes, seiner Beziehungen zu verschiedenen sozialen Gruppen, seiner sozialen Stützen und Herausforderungen, war das „Bayern-Projekt" bahnbrechend und von bleibender Bedeutung. In meinen Augen ist es sehr vernünftig, auch weiterhin zwischen einem bestimmbaren harten Kern von Handlungen, die als fundamentaler Widerstand verstanden werden können, und einem viel weiteren Kranz von Handlungen und Haltungen, die als „Dissens" - oder, wenn man so will, als „Resistenz" - zu bezeichnen sind, zu unterscheiden. Schließlich ist, wie dehnbar man den Begriff „Widerstand" auch fassen mag, nicht leicht einzusehen, daß der Ausdruck bäuerlichen Argers über Maßnahmen des Reichsnährstands oder Schimpfen über das Benehmen örtlicher Parteifunktionäre ohne weiteres mit der Placierung einer Bombe unter Hitlers Tisch unter einen konzeptuellen Schirm gebracht werden sollen. Darüber hinaus aber nach Gegensätzen zwischen einer „fundamentalistischen" und einer sozusagen „gesellschaftlichen" Vorstellung von Widerstand zu fahnden, ist sicherlich falsch. 33

Bayern IV, S. 697.

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Statt letztere Vorstellung abzulehnen oder herabzusetzen, weil sie die genuine Perspektive von Widerstand verfälsche u n d von seiner moralischen Qualität ablenke, wäre es vernünftiger zu untersuchen, wie die Erforschung von Dissens die Erforschung des „fundamentalen Widerstands" ergänzt. Tatsächlich könnte man sagen, daß n u r durch die „sozietale" Annäherung die an Prinzipien orientierten Positionen j e n e r Gruppen, ob aus der Elite, ob aus der Arbeiterklasse, die sich zu totalem Widerstand entschlossen, ganz deuüich werden. Die Widersprüchlichkeiten in den Alltags-Haltungen, der partielle Charakter von Dissens u n d die weiten Bereiche von Zustimmung u n d Kollaboration dies alles ist für Fragen des fundamentalen Widerstands keineswegs irrelevant, vielmehr von wesenüicher Bedeutung für j e d e Erklärung seiner sozialen und ideologischen Isolierung, für seine Ineffektivität u n d sein Scheitern. Denn die Bände des Projekts „Bayern in der NS-Zeit" haben vor allem klargemacht, daß die Geschichte des Widerstands im Dritten Reich nicht von der Geschichte der Anpassung u n d sogar Zustimmung separiert werden darf. Die vom Projekt geleistete Arbeit hat ihr bleibendes Verdienst um die Widerstandsforschung vor allem darin, daß sie zu einem besseren Verständnis der Bedingungen führte, unter denen „fundamentaler Widerstand" Gestalt a n n e h m e n konnte. Auf moralischer Ebene mehrt - nicht verringert - das die Bewunderung, welche j e n e n zukommt, die, aus welchen Gründen auch immer, über die alltäglichen Kompromisse hinausgelangten u n d sich für den gefährlichen Weg entschieden, der die Freiheit kosten konnte u n d n u r allzuoft das Opfer des Lebens forderte.

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Möglichkeiten und Grenzen der Widerstandsforschung heute Einige Überlegungen zur Mikrofiche-Edition Widerstand als „Hochverrat" 1933-1945 Unter denen, die sich 1947 an den Vorbereitungen der Gründung eines „Instituts für die Geschichte der nationalsozialistischen Zeit" beteiligten, befand sich der damalige Leiter der Hessischen Staatskanzlei, Hermann Brill.1 Dem bekannten thüringischen Landespolitiker war es 1933 gelungen, eine kleine konspirative Gruppe Gleichgesinnter zu bilden, die sich „Befreiung der Arbeit" nannte. Daraus kamen er und andere 1934 zu der sozialistischen Widerstandsgruppe „Neu Beginnen". Hermann Brill gehörte zudem zu den Mitbegründern der Gruppe „Deutsche Volksfront" in Berlin und beteiligte sich 1936 maßgeblich an ihrem Programm. Ziel der Deutschen Volksfront war es, möglichst viele Deutsche im Kampf gegen Hitler zu einen, ohne Rücksicht auf deren Parteizugehörigkeit oder politische Bindung. Am 21. September 1938 wurde Hermann Brill verhaftet und am 29. Juli 1939 vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zum Hochverrat" zu zwölfJahren Zuchthaus verurteilt. Bis Ende 1943 im Zuchthaus Brandenburg-Görden inhaftiert, kam er anschließend in das thüringische Konzentrationslager Buchenwald. Dort entwickelte er in Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen, kommunistischen und christlichen Häftlingen programmatische Grundlagen für die Zukunft. 1945 als thüringischer Ministerpräsident maßgebend am Neuaufbau des Landes beteiligt, geriet Brill rasch in Konflikt mit der sich etablierenden kommunistischen Diktatur und ging in die Westzonen, wo er zwischen 1946 und 1949 Staatssekretär und Chef der hessischen Staatskanzlei war.2 Vor die1

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Vgl. Walter Strauß, Stationen der Entwicklung des Instituts für Zeitgeschichte, in: 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Statt einer Festschrift, Stuttgart 1975, S. 30. Vgl. Manfred Overesch, Hermann Brill in Thüringen 1895-1946. Ein Kämpfer gegen Hider und Ulbricht, Bonn 1992.

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sem biographischen Hintergrund verwundert es nicht, daß Hermann Brill sich 1947 für die wissenschaftliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Zeit einsetzte. Früher waren die Verfahrensunterlagen gegen Hermann Brill nur mühsam in Archiven einsehbar. Jetzt sind sie Teil jener monumentalen Edition des Instituts für Zeitgeschichte, die zum unverzichtbaren Handwerkszeug der Widerstandsforschung in Deutschland geworden ist. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus war zwar nie das zentrale, aber immer ein wichtiges Thema der Arbeiten des Instituts. Schließlich war es der spätere Vorsitzende des Beirats des Instituts, Hans Rothfels, der 1949 mit seiner Studie „Deutsche Opposition gegen Hitler" die erste Publikation zum Thema mit wissenschaftlichem Anspruch vorlegte.3 Und man darf nicht vergessen, in welchem Klima dies geschah: In den ersten Jahren nach 1945 gab es keine öffentlichen Gedenkfeiern, in der veröffentlichten Meinung gab es nur einige eher zurückhaltende Schilderungen der Ereignisse, und lediglich die Widerstandskämpfer und -kämpferinnen selbst oder ihre Angehörigen versuchten, die Erinnerung an die Toten aufrechtzuerhalten. Dies sollte sich erst 1948 ändern, als erste Versuche, den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 positiv zu werten, sich auf die Notwendigkeit zum Widerstand gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht stützen konnten, die zu dieser Zeit die Verkehrswege in die deutsche Hauptstadt blockierte. Dennoch wurde bis weit in die fünfziger Jahre hinein gegenüber Widerstandskämpfern der NS-Zeit immer wieder ein offener Verratsvorwurf erhoben. 4 Erst für 1953/54 fanden sich umfassende öffendiche Würdigungen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, für die sich vor allem der erste Bundespräsident Theodor Heuss und der Berliner Bürgermeister Ernst Reuter einsetzten. So wies Heuss etwa in einem veröffentlichten Schreiben an die (in der seinerzeit veröffentlichten Fassung anonymisierte) Witwe eines am 20. Juli 1944 Beteiligten alle Verratsvorwürfe deutlich zurück und äußerte sich auch in seinen Reden zu den Jahres-

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Vgl. dazu das Vorwort von Hermann Graml in: Hans Rothfels, Deutsche Opposition gegen Hitler. Eine Würdigung. Neue, erweiterte Ausgabe. Hrsg. von Hermann Graml, Frankfurt am Main 1977. Vgl. dazu auch Peter Steinbach, Wem gehört der Widerstand gegen Hitler?, in: Dachauer Hefte 6 (1990), S. 57ff. sowie ders., Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen; vgl. auch die Aufsätze in: Jürgen Danyel (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995.

Möglichkeiten und Grenzen der Widerstandsforschung

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tagen klar und eindeutig zum Erbe des Widerstandes: „Die Scham, in die Hiüer uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt. Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung ist noch nicht eingelöst." In der deutschen Bevölkerung allerdings war der Widerstand gegen den Nationalsozialismus überwiegend noch nicht akzeptiert. Mitte der fünfziger Jahren ermittelte das Institut für Demoskopie in Allensbach in einer repräsentativen Umfrage, daß es mehr als die Hälfte der Bevölkerung ablehnte, eine Schule nach dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu benennen. Vor diesem Hintergrund ist auch die zeitgeschichüiche Beschäftigung mit dem Widerstand zu sehen. Die Arbeiten in den fünfziger Jahren besaßen vor allem biographischen Charakter.5 Neben den Sammelwerken von Annedore Leber („Das Gewissen steht auf', „Das Gewissen entscheidet") sind hier als Uberblicke vor allem die Arbeiten von Günther Weisenborn („Der lautlose Aufstand") und Eberhard Zeller („Geist der Freiheit") zu nennen. Politisch bedeutsam war auch die Arbeit von Gerhard Ritter über Carl Goerdeler, die für das Widerstandsbild in den fünfziger Jahren typisch genannt werden kann. Politische Einflüsse zeigten sich aber auch beim Buch von Fabian von Schlabrendorff („Offiziere gegen Hiüer"), das von Auflage zu Auflage veränderte politische Wertungen über Angehörige des deutschen Widerstandes enthielt.6 Hervorzuheben ist auch die prägende Arbeit von Inge Scholl über die „Weiße Rose". Daneben ist eine größere Zahl von Selbstzeugnissen zu nennen, etwa Schriften, Tagebücher oder Briefe von so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp, Ulrich von Hasseil, Julius Leber und Adolf Reichwein, um nur einige zu nennen. Historisch-kritischen Ansprüchen genügten diese Editionen allerdings nicht immer. Um so wichtiger war es, daß sich in den frühen sechziger Jahren Mitarbeiter der Instituts für Zeitgeschichte immer wieder mit Themen aus 5

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Für die bibliographischen Angaben zu den im folgenden genannten Autoren vgl. jetzt die hervorragende Bibliographie von Michael Ruck, Bibliographie zum Nationalsozialismus, Köln 1995, sowie die Auswahlbibliographie in: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hrsg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn und Berlin 1994. Für die Zeit bis 1984 sei auf die von der Forschungsgemeinschaft 20. Juli e. V. herausgegebene Bibliographie von Ulrich Cartarius, Bibliographie „Widerstand", München u. a. 1984 verwiesen. Zu der merkwürdigen Rolle von Schlabrendorffs im Entschädigungsverfahren für die Witwe Rudolf von Schelihas vgl. Ulrich Sahm, Rudolf von Scheliha 1897-1942. Ein deutscher Diplomat gegen Hitler, München 1990, S. 253 f.

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dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus befaßten. Grundlegend sind die vier historisch-kritischen Studien „Der deutsche Widerstand gegen Hitler", in denen mit Hermann Graml und Hans Mommsen erstmals zwei Mitarbeiter des Instituts umfassend die außenpolitischen und gesellschaftlichen Pläne der Widerstandsgruppen des 20. Juli 1944 und ihrer Vorgänger analysierten.7 Sie gaben damit dem Widerstand erstmals die politische Dimension, die in den Jahren davor oftmals hinter der moralisch-ethischen verborgen geblieben war, wieder. Hierzu trug auch das 1969 veröffentlichte Tagebuch des AbwehrOffiziers Helmuth Groscurth bei.8 Aber auch die Legenden, die sich um das Attentat auf Hitler am 9. November 1939 rankten, wurden von zwei Mitarbeitern des Instituts in beharrlicher Kleinarbeit beseitigt. Die Diffamierung des Attentäters Georg Elser hatte bereits unmittelbar nach der Tat 1939 eingesetzt. Die Gestapo akzeptierte zwar kurz nach seiner Festnahme und den ersten Verhören bereits Mitte November 1939 seine Alleintäterschaft. Die NS-Propaganda stellte Elser jedoch als das Werkzeug des englischen Geheimdienstes und des exilierten Führers der „Schwarzen Front", Otto Straßer, dar. Ausländische Pressestimmen, die diese unhaltbaren Behauptungen nicht akzeptierten, gingen dagegen davon aus, die NS-Führung selbst habe den Anschlag inszeniert. Damit solle der Mythos des von der „Vorsehung" geschützten „Führers" Adolf Hitler untermauert werden. Nach 1945 setzte sich diese Einschätzung zuerst auch in Deutschland durch. Die Interpretation, Elser sei ein Agent provocateur der Gestapo, schien zuerst durch vielfache Äußerungen gestützt, u. a. durch Äußerungen von ehemaligen Mithäftlingen. 1969 veröffentlichte der langjährige Leiter des Archivs des Instituts, Anton Hoch, die Ergebnisse seiner Recherchen und konnte zweifelsfrei mit den alten Mythen um Elser aufräumen. Hoch konnte belegen, daß Elser weder der SA noch der SS angehört hatte und sein Lebensweg bis November 1939 eindeutig dokumentierbar ist. Damit war klar, daß El-

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Walter Schmitthenner und Hans Buchheim (Hrsg.), Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Vier historisch-kritische Studien von Hermann Graml, Hans Mommsen, HansJoachim Reichardt und Ernst Wolf, Köln und Berlin 1966. Die beiden Aufsätze von Graml und Mommsen wurden später erneut veröffentlicht: Hermann Graml (Hrsg.), Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten, Frankfurt am Main 1984. Helmut Krausnick/Harold C. Deutsch (Hrsg.), Helmuth Groscurth. Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940, Stuttgart 1970.

Möglichkeiten u n d Grenzen der Widerstandsforschung

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ser vor dem Attentat weder vor 1939 im KZ gewesen noch von Hitler oder Himmler beauftragt worden sein konnte. Ein Jahr später veröffentliche Lothar Gruchmann, der im Institut die grundlegenden Arbeiten über das Reichsjustizministerium in der NSZeit vorgelegt hat u n d damit organisationsgeschichtliche u n d konfliktanalytische Maßstäbe setzte, das Protokoll der Vernehmung Elsers, das er in den Akten des Reichsjustizministeriums im Bundesarchiv gefunden hatte. Dieses eindrucksvolle Dokument ist zwar über weite Strecken in der Sprache der Täter gehalten; es ermöglichte dennoch wichtige Einblicke in Leben u n d Gedanken von Georg Elser. Die Publikationen von Hoch u n d Gruchmann leiteten eine Wende in der öffentlichen u n d wissenschaftlichen Einschätzung Elsers ein. 9 Von besonderer Bedeutung f ü r die moderne Widerstandsforschung war das von Martin Broszat geleitete Großprojekt „Bayern in der NSZeit". Hier wurde erstmals eine deutsche Region in der nationalsozialistischen Zeit umfassend unter einer Vielzahl von Fragestellungen untersucht. 10 Die Debatte um den von Broszat analytisch entwickelten Begriff der „Resistenz" sollte Ende der siebziger u n d Anfang der achtziger Jahre eine Vielzahl von Arbeiten beeinflussen. Ziel des Projekts war es, eine Gesellschaftsgeschichte politischen Verhaltens für Bayern zu entwickeln. Dabei sollte eine breite Skala von Ausdrucksformen des Widerstandes aufgezeigt werden, die von politischer Nonkonformität bis zu illegaler Untergrundarbeit reichte. Ziel Broszats war es auch, das Thema aus „monumentalistischer Erstarrung" zu lösen u n d zu einem historisch-kritischen Verständnis der einzelnen Konflikte zwischen Herrschaft u n d Gesellschaft zu kommen. 1 1 Wer die Ergebnisse der Widerstandsforschung in den achtziger Jahren zur Kenntnis nimmt, merkt, wie stark die analytische Schärfe dieses Projekts andere Arbeiten beeinflußt hat. Für die internationale Forschung haben sich leider die Probleme, die sich mit der Unübersetzbarkeit des Begriffs „Resistenz" ergeben haben, nicht lösen lassen. 9

10 11

Anton Hoch, Das Attentat auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller 1939, in: VfZ 17 (1969); Lothar Gruchmann, Autobiographie eines Attentäters. Johann Georg Elser, Stuttgart 1970. Vgl. dazu neuerdings auch Peter Steinbach/Johannes Tuchel: „Ich habe den Krieg verhindern wollen". Georg Elser und das Attentat vom 9. November 1939. Eine Dokumentation, Berlin 1997. Martin Broszat u. a. (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit. Sechs Bände. München 1977ff. Vgl. Martin Broszat, Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts „Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945", in: Martin Broszat, Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. Revidierte Auflage, München 1988, S. 136 ff.

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Die Etappen der Widerstandsforschung in Deutschland waren immer eng mit der politischen Entwicklung verknüpft. In den sechziger Jahren erschienen die ersten Arbeiten, die sich - von der FriedrichEbert-Stiftung gefördert - mit regionalen Aspekten des Widerstandes befaßten u n d den Widerstand aus der Arbeiterbewegung in den Blick nahmen. Widerstand von sozialistischen Gruppen wurde in den frühen sechziger Jahren vor allem in einer Reihe von Arbeiten erforscht, die von Wolfgang Abendroth in Marburg angeregt wurden. Erst nach Veränderungen in der Forschungsperspektive, für die heute die Chiffre „1968" steht, entstanden die Arbeiten, die sich auch auf westdeutscher Seite mit dem Widerstand aus der Kommunistischen Partei Deutschlands befaßten. Hier sind vor allem die Arbeiten von Hermann Weber, Detlev Peukert u n d Beatrix Herlemann zu nennen. Mit den sozialistischen Gruppen befaßte sich die Arbeit von Jan Foitzik „Zwischen den Fronten", während interessanterweise eine zusammenfassende Monographie über den sozialdemokratischen Widerstand in Deutschland bis heute ein Desiderat der Forschung geblieben ist. Zugleich entstanden in den siebziger u n d achtziger Jahren eine Vielzahl von Publikationen mit lokaler u n d regionaler Perspektive. Es kam aber immer noch zu politischen Auseinandersetzungen u m den Widerstand. Gustav Heinemann würdigte 1969 erstmals mit dem Hamburger Fiete Schulze ein kommunistisches Opfer des Nationalsozialismus; er stieß auf scharfe Kritik. 1974 kam es zu einem Eklat, als ausgerechnet der ehemalige Marinestabsrichter Filbinger bei der Gedenkfeier im Reichstag sprach. Angehörige von Widerstandskämpfern verließen demonstrativ diese Feier. 1976 verhinderte der Sohn von Claus Schenk Graf von StaufFenberg, ein prominenter CSU-Politiker, daß Herbert Wehner auf der Gedenkfeier in Berlin sprechen konnte. Von einem breiten Konsens über den Widerstand konnte also auf gar keinen Fall gesprochen werden. Positiv verlief die Entwicklung in der Forschung dann ab Mitte der siebziger Jahre. Die alltagsgeschichtliche Dimension und die Untersuchung des Widerstandes der Arbeiterbewegung prägten diese Zeit. Es war nicht nur die etablierte u n d die universitäre Forschung, die hier agierte, sondern es waren in vielen Fällen Geschichtswerkstätten u n d Initiativen von unten, die Pionierarbeit leisteten. Viele Zeitzeugen wurden allein in derartigen lokalen oder regionalen Projekten befragt. Daneben entstanden herausragende Regionalstudien etwa von Hermann Weber über Mannheim u n d Inge Marßolek über Bremen.

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Die Diskussion um die Frage nach „unbekanntem Widerstand" blieb den achtziger Jahren vorbehalten. Dazu gehörten politische Deserteure oder Kriegsdienstverweigerer, Helfer für Verfolgte, Zeugen Jehovas oder kleine Gruppen wie die „Gemeinschaft für Frieden u n d Aufbau". 12 Auch der Widerstand von Frauen wurde erst in den achtziger Jahren intensiver erforscht 13 ; wichtige Studien entstanden erneut zum Kampf gegen den Nationalsozialismus aus dem Exil14, für die das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration, das vom Institut für Zeitgeschichte zusammen mit der Research Foundation für Jewish Immigration in New York herausgegeben wurde, als prosopographisches Grundlagenwerk die Voraussetzungen geschaffen hat. 15 Dennoch gibt es in der Widerstandsforschung immer noch viele Desiderate. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Terror u n d Widerstand begann - wissenschaftlich wie politisch - zu spät. Dies mag mit dem Klima der Aufbaugesellschaft der fünfziger Jahre zusammengehangen haben u n d mit dem Etikett des „Verrates", das vielen Widerstandskämpferinnen u n d -kämpfern in der politischen Auseinandersetzung angehängt wurde. Die Auseinandersetzung zwischen der Mehrheit, die sich eben nicht gegen den Nationalsozialismus gewehrt hatte, u n d der ganz geringen Minderheit j e n e r Deutschen, die sich widersetzt hatte, hätte den brüchigen Konsens j e n e r Jahre gefährdet. Eine systematischere u n d früher einsetzende Widerstandsforschung hätte erheblich m e h r Zeitzeugen befragen können, als dies später möglich war. Damit wäre man nicht so umfassend auf die Perspektive der NS-Akten angewiesen gewesen, wie dies in vielen Arbeiten geschieht. Gestapo-Proto12

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Den heutigen Stand der Forschung resümieren zwei Sammelbände: Jürgen Schmädeke/Peter Steinbach (Hrsg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, München und Zürich 1985; Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hrsg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn und Berlin 1994 sowie - aus dem Institut für Zeitgeschichte - Hartmut Mehringer, Widerstand und Emigration. Das NS-Regime und seine Gegner, München 1997. Vgl. als Forschungstand Christi Wickert (Hrsg.), Frauen gegen die Diktatur - Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 1994. Vgl. Helga Grebing/Christi Wickert (Hrsg.), Das „andere Deutschland" im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Beiträge zur politischen Uberwindung der nationalsozialistischen Diktatur im Exil und im Dritten Reich, Essen 1994. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. International Biographical Dictionary of Central European Emigres 1933-1945. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, München, und der Research Foundation für Jewish Immigration, New York, unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Hubert A. Strauss, München 1980/83; dazu außerdem Werner Röder, Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, Hannover 1969.

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kolle und Sondergerichtsakten spiegeln die Realität des Terrors immer aus der Sicht der Verfolger, nicht aus dem Blickfeld der Widerstandskämpfer. Heute sind wir jedoch auf diese Quellen, die die nationalsozialistische Repressionspraxis als Polizei- oder Justizakten spiegeln, dringend angewiesen. Diese Überlegung führt direkt zu dem hier angesprochenen Projekt „Widerstand als .Hochverrat'". Jürgen Zarusky und Hartmut Mehringer haben einen Korpus vorgelegt, der für jeden an der Erforschung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus Interessierten in kurzer Zeit zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel geworden ist.16 Die Verfasser betonen zu Recht, daß es sich dabei um die „umfangreichste Quellensammlung zur Geschichte der inneren Systemopposition gegen den NS-Staat" handelt.17 Die Mikrofiche-Edition umfaßt mehr als 70000 Blatt Gerichtsakten und ist seit diesem Jahr durch ein vorzügliches Register erschlossen. Sie ermöglicht erstmals einen umfassenden Uberblick über jene Formen des politischen Widerstandes, die die Nationalsozialisten unter dem Begriff des „Hochverrats" subsumierten. Unter diesem Blickwinkel wäre der Titel .„Hochverrat' als Widerstand" möglicherweise sogar die perspektivisch richtigere Bezeichnung für diese Edition von Anklageschriften und Urteilen gewesen. Die Dimensionen der Edition lassen die Bedeutung des Vorhabens für die Erforschung des Widerstandes erahnen. Jürgen Zarusky schätzt, daß etwa 2000 Verfahren gegen 7000 deutsche und österreichische „Hochverräter" durchgeführt wurden.18 Insgesamt gab es vor dem Volksgerichtshof mehr als 7000 Verfahren mit über 15000 Angeklagten, von denen über 5200 zum Tode verurteilt wurden, die meisten ab 1942.19 Damit war der Volksgerichtshof für ungefähr ein Drittel aller rund 16000 Todesurteile der zivilen deutschen Justiz verantwortlich. Aus deutscher Perspektive wird zumeist übersehen, daß der Volksgerichtshof seit 1939 auch Terrorinstrument gegen Menschen aus den besetzten Ländern, vor allem gegen Tschechen, Polen und Franzosen, 16

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Vgl. Widerstand als „Hochverrat". Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht. Erschließungsband zur Mikrofiche-Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte bearbeitet von Jürgen Zarusky und Hartmut Mehringer, München 1998. Ebd., S. 13. Jürgen Zarusky, Widerstand als „Hochverrat". Zur politischen Justiz im „Dritten Reich", in: Gerhard Ringshausen/Rüdiger von Voss (Hrsg.), Widerstand und Verteidigung des Rechts. Bonn 1997, S. 189ff., hier S. 208. Vgl. Klaus Marxen, Das Volk und sein Gerichtshof. Eine Studie zum nationalsozialistischen Volksgerichtshof, Frankfurt am Main 1994.

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war. Dies erklärt aber, daß die Zahl der angeklagten deutschen „Hochverräter" weniger als die Hälfte aller Angeklagten ausmachte. Insgesamt dokumentiert die Edition 1891 Verfahren gegen 6030 Angeklagte vor dem Reichsgericht, dem Reichskriegsgericht u n d dem Volksgerichtshof. 20 Aufgrund der Uberlieferungsprobleme ist die Verfahrensdichte im Bereich des Volksgerichtshofs am größten. In der Mikrofiche-Edition werden 60 Verfahren des Reichskriegsgerichts gegen 168 Angeklagte dokumentiert, wobei die Verfasser auf die „sehr fragmentarische Uberlieferung der Akten des RKG" verweisen müssen. 21 Von den Verfahren des Volksgerichtshofs werden 1743 Hochverratsprozesse gegen 5549 Angeklagte dokumentiert. 2 2 Damit ist es Zarusky u n d Mehringer gelungen, mehr als 90 % dieser Verfahren durch Anklage oder Urteil zu erschließen. Welche Perspektiven ergeben sich daraus für die Erforschung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus? In ihrer Darlegung des Widerstandsbegriffs machen die Verfasser deutlich, daß sich ihre Edition „auf den politisch intendierten Widerstand gegen die NS-Herrschaft als solche" bezieht, nicht „auf Haltungen, die aus unterschiedlichen Motiven zum Konflikt mit dem Regime führten, ohne dieses grundsätzlich in Frage zu stellen". 23 Dies Vorgehen ist durch den nicht immer überzeugenden Stand der bisherigen Forschung eindeutig legitimiert. Es zielt in einen Kernbereich des Widerstands. „Hochverrat" betrieben aus nationalsozialistischer Sicht vor allem jene, die sich noch den Traditionszusammenhängen der politischen Parteien der Weimarer Republik verbunden fühlten. Viele von ihnen bekämpften die NS-Diktatur von Anfang an. Die editorische Einschränkung macht aber auch deudich, daß es neben dem genuin politischen Widerstand, der als „Hochverrat" geahndet wurde, eine Vielzahl durchaus systemoppositioneller Aktionen u n d Verhaltensweisen gab, die mit anderen Repressionsinstrumenten geahndet wurden. Die Widerstandsforschung muß daher heute zeiüich, graduell u n d gruppenspezifisch differenzieren u n d stets die Situationen berücksichtigen, in denen sich die im Widerstand Handelnden befanden. Widerstand als Reaktion auf den Nationalsozialismus war ebensowenig statisch wie das dynamische und terroristische Herrschaftssystem der Diktatur selbst.

20 21 22 23

Vgl. Widerstand als „Hochverrat", Erschließungsband (Anm. 16), S. 14. Ebd., S. 34. Ebd., S. 31. Ebd.

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Dies bedeutet, daß die Erforschung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismusjenseits aller Debatten um die Reichweite von Begriffen auch heute noch scheinbar einfache Fragen aufwirft, die sich nur komplex u n d behutsam beantworten lassen: Welche „Wege" führten in den Widerstand? Wer engagierte sich in der Opposition gegen den Nationalsozialismus? Wie agierten Männer u n d Frauen, die sich Hiüer entgegenstellten? Welche Ziele verfolgten sie? Dahinter stehen Fragen, die in der vergleichenden Diktaturforschung von großer Bedeutung sind u n d noch an Relevanz gewinnen werden: Warum setzen sich Menschen gegen eine Diktatur zur Wehr? Gibt es bestimmte Dispositionen, die ein widerständiges Verhalten erleichtern? Welche Rolle spielen endogene Faktoren wie Erziehung, Bildung, Freundeskreise, aber auch Zufälle u n d damit situationsbezogenes Handeln - bei der Entscheidung, sich gegen ein diktatorisches System zur Wehr zu setzen? Die Edition bestätigt auch wieder den Befund, daß es keine gesellschaftliche Großgruppe in Deutschland gab, die in ihrer Gesamtheit gegen den Nationalsozialismus stand. Widerstand war immer die Haltung einer kleinen Minderheit, von einzelnen u n d oft sehr einsamen Menschen. Diejenigen, die überlebten, blieben oftmals auch nach 1945 einsam u n d wurden in der Gesellschaft der entstehenden Bundesrepublik nicht immer akzeptiert. Für die Forschung bedeutet dies aber, daß nicht n u r neue gruppenu n d traditionsorientierte Zugänge zur Widerstandsgeschichte notwendig sind, sondern auch wieder biographische Elemente in den Vordergrund treten sollten. Moderne Biographien haben gezeigt, daß jenseits des Historismus die lebensgeschichtliche Perspektive für die Analyse politischen Handelns unverzichtbar ist.24 Gruppenbiographische Darstellungen und Untersuchungen werden uns auch wertvolle Aufschlüsse darüber geben, welche Innen- u n d Außenbeziehungen im Widerstand vorhanden waren. 25 Hier sollte daher auch nach den „Rekrutierungsmechanismen" im Widerstand gefragt werden. 24

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Vgl. u. a. Hartmut Mehringer, Waldemar von Knoeringen. Eine politische Biographie. Der Weg vom revolutionären Sozialismus zur sozialen Demokratie, München u. a. 1989; Ulrich Heinemann, Ein konservativer Rebell. Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und der 20. Juli, Berlin 1990; Ines Reich, Carl Friedrich Goerdeler. Ein Oberbürgermeister gegen den NS-Staat, Köln u. a. 1997. Hier können Ansätze weiterentwickelt werden, wie sie in einigen gruppenbiographischen Arbeiten eher implizit deutlich werden. Vgl. etwa: Jan Foitzik, Zwischen den Fronten. Zur Politik, Organisation und Funktion linker politischer Kleinorganisationen im Widerstand 1933 bis 1939/40, Bonn 1986; Regina Griebel/Marlies Coburger/ Heinrich Scheel, Erfaßt? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Eine Foto-Dokumenta-

Möglichkeiten und Grenzen der Widerstandsforschung

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Die Vielzahl der edierten Gerichtsverfahren zum politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus wird diese Untersuchungen auf eine erheblich breitere Basis stellen, als dies bisher möglich gewesen ist. Beispielhaft wird dies an der Erforschung des kommunistischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus deuüich. Die Intentionen, Ziele und Handlungen von Männern und Frauen aus dem kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus sind in der Forschung in den vergangenen Jahrzehnten aus unterschiedlichen Gründen oftmals verzerrt dargestellt worden.26 Dies steht in engem Zusammenhang mit der politischen Diskussion in Deutschland vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und des damit verbundenen wechselseitigen Bedrohungsgefühls. Während die Geschichtsschreibung der DDR oftmals sehr stark den Führungsanspruch der KPD im „antifaschistischen Kampf' betonte, wurde kommunistisch motivierter Widerstand in der Bundesrepublik lange Jahre negiert, verschwiegen oder diffamiert.27 Nur wenige Arbeiten, etwa von Hermann Weber28, Hartmut Mehringer29 und Beatrix Herlemann 30 , widmeten sich umfassend dem Thema. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands ist es möglich, neue Fragen an die Geschichte des kommunistischen Widerstandes zu stellen und so zu einem realistischeren Bild zu kommen. Denn eine Vielzahl der Quellen, die hierzu beitragen können, standen der Forschung früher nicht zur Verfügung, weil sie

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tion. Hrsg. in Verbindung mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Halle 1992; Ursel Hochmuth, Illegale KPD und Nationalkomitee „Freies Deutschland" in Berlin und Brandenburg 1943-1945. Biographien und Zeugnisse aus der Widerstandsorganisation um Saefkow, Jacob und Bästlein, Berlin 1998. Vgl. zum Forschungsstand Klaus-Michael Mallmann, Kommunistischer Widerstand 1933—1945. Anmerkungen zu Forschungsstand und Forschungsdefiziten, in: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hrsg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn und Berlin 1994, S. 113ff., sowie Beatrix Herlemann, Kommunistischer Widerstand, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hrsg.), Lexikon des deutschen Widerstandes, Frankfurt 1994, S. 28ff. Vgl. als Uberblick Johannes Tuchel, Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Einige Thesen zu Problemen und Ergebnissen der Forschung 50 Jahre danach, in: Institut für Stadtgeschichte (Hrsg.), Frankfurt am Main, Lindenstraße. Gestapozentrale und Widerstand, Frankfurt am Main - New York 1996, S. 37ff. Als Uberblick mit weiteren Verweisen: Hermann Weber, Kommunistischer Widerstand gegen die Hitler-Diktatur 1933-1939, Berlin 1988. Hartmut Mehringer, Die KPD in Bayern 1919-45. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand, in: Martin Broszat/Hartmut Mehringer (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, Band 5, München und Wien 1983, S. 1 ff. Vgl. als Uberblick mit weiteren Verweisen: Beatrix Herlemann, Der deutsche kommunistische Widerstand während des Krieges, Berlin 1989.

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sich unter Verschluß im Zentralen Parteiarchiv der SED oder (nicht einmal für Wissenschaftler aus der DDR zugänglich) im Geheimarchiv der Hauptabteilung I X / 1 1 des Ministeriums für Staatssicherheit befanden. Jürgen Zarusky u n d Hartmut Mehringer haben zu Recht darauf hingewiesen, mit welcher Akribie der Volksgerichshof die einzelnen Phasen des kommunistischen Widerstandes nachgezeichnet hat. Dies waren nicht die nur vier oder fünf Seiten umfassenden Todesurteile Freislers aus den Jahren nach 1942, sondern oftmals mehrere h u n d e r t Seiten starke Darstellungen „hochverräterischer" Handlungen. Allein mit Hilfe der hier edierten Urteile wird sich eine erheblich umfassendere u n d realistischere Geschichte des kommunistischen Widerstandes schreiben lassen. Dabei wird sich auch ergeben, daß viele, die in der Geschichtsschreibung der DDR unter den Tisch gefallen sind, ihren angemessenen Platz in der Geschichte des Widerstandes erhalten werden. Als Beispiel für viele mag der KPD-„Reichstechniker" Wilhelm Kox stehen, einer der Hauptverantwortlichen für die illegale Arbeit in Berlin 1933/34. 31 Wegen seiner engen Zusammenarbeit mit Herbert Wehner wurde er in der kommunistischen Geschichtsschreibung fast immer verschwiegen. Die Zahl der Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Auch die bisher n u r verstreut vorliegenden Anklagen u n d Urteile des Volksgerichtshofes im Anschluß an den 20. Juli 1944 sind hier erstmals - soweit möglich - zusammengefaßt. 32 Damit kann sich der Leser auch diesem Gegenstand erstmals umfassend nähern, wobei die Besonderheit des Gegenstandes die Frage nach einer kommentierten Edition aufwirft. Ähnliches gilt für die Vielzahl von Verfahren gegen sozialistische Gruppen, Einzelgänger, nach Deutschland zurückgekehrte oder von der Gestapo in den besetzten Ländern verhaftete Emigranten. Die Quellen, die die Verfolger über sie anlegten, sind jetzt schnell greifbar. Das damit verbundene Problem der Quellenkritik wird in der Einleitung zur Mikrofiche-Edition erörtert. Die Akten spiegeln ausschließlich die Perspektive der Verfolger. Ich habe bereits oben darauf hingewiesen, daß Befragungen der Uberlebenden unter methodischer Berück31 32

Vgl. Hans-Rainer Sandvoß, Widerstand in Kreuzberg, Berlin 1996, S. 122 ff. Die Oberreichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof führte für die Prozesse gegen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 die Registraturgruppe OJ neu ein. Für 1944 lassen sich die Verfahren OJ 1 / 4 4 bis OJ 6 7 / 4 4 nachweisen, für 1945 die Verfahren OJ 1 / 4 5 bis OJ 19/45. Vgl. dazu Ulrike Hett/Johannes Tuchel, Die Reaktionen des NS-Staates auf den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944, in: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hrsg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn und Berlin 1994, S. 377ff.

Möglichkeiten u n d Grenzen der Widerstandsforschung

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sichtigung der „oral history" in vielen Fällen diese Perspektive korrigieren könnten. Aber diese Interviews haben eben in vielen Fällen nicht stattgefunden. Und wie schnell die Verfolgerperspektive Einfluß auf die Forschung gewinnen kann, haben die sogenannten „Kaltenbrunner-Berichte" nach ihrer ersten Edition Anfang der sechziger Jahre gezeigt. 33 Wertungen, die die Gestapo formulierte, wurden in vielen Publikationen als Realgeschichte des Widerstandes übernommen. Nur wenige, wie etwa Detlef von Schwerin, konnten akribisch die Ungenauigkeit u n d Vorurteilsbeladenheit der Berichte an einzelnen Beispielen nachweisen. 34 Im Rahmen des Projekts „Widerstand in Berlin 1933 bis 1945" ist seit 1983 von Hans-Rainer Sandvoß umfassend der Versuch der Rekonstruktion vielfältigen widerständigen Verhaltens auf lokaler Ebene untern o m m e n worden. 35 In den mittlerweile fünfzehn Jahre laufenden Befragungen war zumindest für den Raum Berlin in vielen Fällen die Konfrontation der Verfolgerakten mit den Erinnerungen der Beteiligten möglich. Dabei zeigte sich, daß sich die Ermittlungsergebnisse der Polizei, die d a n n Eingang in Anklage u n d oftmals auch in die Urteile fanden, mit viel Distanz zu betrachten sind. Viele Belastungen gingen in Richtung der „großen Unbekannten" u n d an jene, von denen die Verhafteten wußten, daß sie sicher im Ausland waren u n d damit nicht von der Gestapo verhaftet werden konnten. So ist jedes Verfahren individuell zu bewerten u n d in den Kontext seiner Entstehungsgeschichte zu stellen. Dies darf bei der Fülle des zur Verfügung stehenden Materials nicht übersehen werden. Mit Sicherheit hat die Edition von Zarusky u n d Mehringer Maßstäbe gesetzt, von denen aus die Erforschung des Widerstandes neue Impulse 33

Diese Berichte, wegen der vom Chef der Sicherheitspolizei unterzeichneten Begleitschreiben oft fälschlich als „Kaltenbrunner-Berichte" bezeichnet, wurden von SS-Obersturmbannführer Walter von Kielpinski zusammengestellt, der zuvor im Referat III C 4 (Presse) des RSHA gearbeitet hatte. Vgl. Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Spiegelbild einer Verschwörung. Die Kaltenbrunner-Berichte an Hitler, Stuttgart 1984, Vorbemerkung zur Edition, ohne Seitenangabe. In Kielpinskis Berichten sind Wertungen enthalten, die die Position des RSHA wiedergeben und dieses bei Bormann und Hitler stärken sollte. Darauf hat bereits Hans Booms, Bemerkungen zu einer fragwürdigen Quellenedition. Die Veröffentlichung der „Kaltenbrunner-Berichte" vom „Archiv Peter", in: Der Archivar 16(1962), S. 106ff., hingewiesen. Auch der Neuausgabe von 1984 wurde keine Einleitung beigegeben, die die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Berichte ausreichend behandelt.

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Vgl. Detlef Graf von Schwerin, Die Jungen des 20. Juli 1944, Berlin 1991. Hans-Rainer Sandvoß (Hrsg.), Widerstand in Berlin 1933 bis 1945. Bisher 11 Bände, Berlin 1983 ff.

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erhält. H a r t m u t Mehringer hat dies in seiner jüngst erschienenen zusammenfassenden Sicht des Widerstandes an einigen Beispielen pointiert. Ubergreifende u n d vergleichende Studien bieten sich an, systematische Fragestellungen in großer Zahl lassen sich mit d e m n e u e n Material bearbeiten. Auch rechtshistorisch stellt die Mikrofiche-Edition eine H e r a u s f o r d e r u n g dar. Sie macht aber auch schmerzlich deutlich, daß erst fünfzig J a h r e nach d e n historischen Ereignissen erstmals ein Kernbereich des Widerstandes umfassend dokumentiert worden ist. Daß es trotz des Umfanges von 70000 Blatt n u r die Spitze des Eisberges ist, h a b e n die Herausgeber selbst vermerkt. D e n n auch die Volksgerichtshofsverfahren, die gegen „Wehrkraftzersetzer" eingeleitet wurden oder a n d e r e Verstöße gegen die Kriegssonderstrafrechtsverordnungen sanktionierten, richteten sich gegen Widerstandskämpfer u n d -kämpferinnen. Viele Verfahren vor d e n Oberlandesgerichten u n d vor allem vor d e n 1933 eingerichteten Sondergerichten verfolgten j e n e , die das System ablehnten. Der Meilenstein, d e r jetzt mit d e r Edition von Zarusky u n d Mehringer erreicht ist, f o r d e r t von uns die gewissenhafte Interpretation des hier vorgelegten Materials u n d zugleich die Erschließung weiterer Quellen d e r Verfolger, u m zu einem realistischeren Bild des Widerstandes gegen die NS-Herrschaft zu k o m m e n . Noch i m m e r gilt, was Martin Broszat formulierte: „Die Verschwörer des 20. Juli mit ihren vielfach problematischen politischen Zukunftsvorstellungen u n d die deutschen Kommunisten mit ihren fatalen I r r t ü m e r n ü b e r das Wesen des Nationalsozialismus gehören ebenso zur Wirklichkeit d e r zerrissen e n deutschen Geschichte wie die von d e r Emigration h e r tätigen Leiter konspirativer Widerstandstätigkeit, auch wenn d e r Begriff vom .anderen Deutschland' dazu angetan ist, i h n e n eine fiktive Position neben, nicht in d e r Wirklichkeit dieser Geschichte zuzuweisen." 36 Das Institut f ü r Zeitgeschichte u n d die beiden Herausgeber haben das Ihre getan, die Quellen so aufzubereiten, daß der deutsche Widerstand gegen d e n Nationalsozialismus heute besser in seinen politischen Dimensionen, seiner sozialen Vielfalt, seiner ideengeschichtlichen Vielschichtigkeit u n d letztlich in seinem politischen Scheitern analysiert werden kann.

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Martin Broszat, Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts „Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945", in: Martin Broszat, Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. Revidierte Auflage, München 1988, S. 138.

Patrik von zur Mühlen Das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 Es gibt Standardwerke, die in der Geschichte eines Forschungsbereiches Zäsuren setzen. In der Regel tragen diese Zäsuren ein Janus-Gesicht, indem sie einerseits rückblickend das bisher Geleistete resümieren und zusammenfassen, andererseits durch den von ihnen erleichterten Zugang zu bisher verstreuten Informationen neue Fragestellungen anregen oder gar erst ermöglichen. Diese Feststellung gilt auch für das 1980-1986 herausgegebene „Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 193S". Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte der Erforschung von Exil und Emigration 1933-1945 erneut darzustellen. Man weiß, welches Schattendasein dieser Themenkomplex in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten nach dem Kriege führte, welche Einzelgängerrolle eine Persönlichkeit wie Walter A. Berendsohn mit seinen bahnbrechenden Sammlungen spielte. So wie das Thema in der Öffentlichkeit insgesamt verdrängt wurde, so wurde ihm lange Zeit die Würde eines akademischen Forschungsgegenstandes verwehrt. Als erstes widmeten sich ihm Literaturwissenschaftler, die sich mit der Tatsache, daß der größte Teil deutschsprachiger Schriftsteller hatte emigrieren müssen, auseinanderzusetzen hatten. Aber erst ein gewisser politischer Klimawechsel schuf Voraussetzungen für eine neue Sensibilität in diesem Themenbereich. Während der Studentenunruhen der späten sechziger Jahre suchten viele Linke in exilierten Schriftstellern, Philosophen und Wissenschaftlern ihre geistigen Ahnen. Und nicht ohne Bedeutung war, daß mit Willy Brandt 1969 erstmals ein ehemaliger Emigrant das höchste Regierungsamt übernahm. Neben dem Umschwung der politischen Atmosphäre in der (alten) Bundesrepublik spielte aber auch noch eine andere Tatsache eine Rolle. Lange vor der westdeutschen Öffentlichkeit hatte die DDR das Vermächtnis von Exil und Emigration für sich reklamiert und es für eigene Legitimationszwecke instrumentalisiert. Ein großer Teil der politischen

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Führungselite, dazu zahlreiche Schriftsteller, Künstler, Philosophen, Wissenschaftler und andere Vertreter des Kulturlebens der DDR hatten einen Exil-Hintergrund, der sich propagandistisch leicht gegen ehemalige NSDAP-Mitglieder in hohen Amtern u n d Positionen der Bundesrepublik ausspielen ließ. Dieser einseitigen Monopolisierung des kommunistischen Exils und der damit verbundenen Zurücksetzung des Exils demokratischer Parteien oder der (unpolitischen) künstlerischen, wissenschaftlichen u n d literarischen, vor allem aber der jüdischen Emigration sollte ein Gegengewicht gesetzt werden. Offizielle Stellen widmeten sich dem Thema, was zur Folge hatte, daß öffentliche Gelder zur Sicherung von Quellen zur Verfügung gestellt wurden. Zwischen 1969 u n d 1973 förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Projekt zur Erschließung und Sicherung von Archivalien in staatlichen u n d nichtstaatlichen Archiven. Im Institut für Zeitgeschichte wurde ein Zentralkatalog eingerichtet, der als Führer durch die exil- u n d emigrationsrelevanten Bestände des Bundesarchivs, des Auswärtigen Amts, der Deutschen Bibliothek, des Instituts für Zeitgeschichte, der Friedrich-Ebert-Stiftung, des DGB-Archivs u n d anderer Institutionen dienen sollte. Zur gleichen Zeit förderte die DFG den Ankauf, die Sichtung u n d Bearbeitung von Nachlässen u n d Sammlungen von privater Hand aus den Bereichen Literatur, Theater, Film u n d Kunst. Die zentrale Funktion des Instituts für Zeitgeschichte als Sammelstelle für den Bereich Exil u n d Emigration legte es nahe, das Projekt hier anzusiedeln. Eine von Werner Röder geleitete, etwa ein Dutzend Personen umfassende Arbeitsgruppe von Historikern u n d Vertretern anderer Fachgebiete, zu der noch zeitweilig bis zu 30 weitere freiberufliche u n d vorübergehende Mitarbeiter hinzugerechnet werden müssen, bildete den deutschen Stab. Ihm gegenüber stand die von Herbert A. Strauss geleitete, über 40 Personen umfassende Arbeitsgruppe der Research Foundation in New York sowie in London, Jerusalem, Tel Aviv, Rio de Janeiro und Melbourne. Überdies wurden beide Arbeitsgruppen von Archiven, Hochschulen, Institutionen, Verbänden, Vereinigungen und zahlreichen Einzelpersönlichkeiten in aller Welt unterstützt. Zum größten Teil wurde das Projekt aus Mitteln der DFG finanziert. Im Rahmen der erforderlichen Arbeitsteilung wurde von München aus die Emigration in die kontinentaleuropäischen Länder recherchiert, überdies das politische Exil, die christliche Emigration u n d die Remigration nach 1945. Die Research Foundation konzentrierte ihre Arbeit auf Großbritannien u n d die überseeischen Aufnahmeländer sowie auf die jüdischen Organisationen u n d Kultusgemeinden. Durch

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ständigen Informationsaustausch entstanden in München u n d New York identische Informationssammlungen, die die Grundlage für die wechselseitige Koordination der Zusammenarbeit bildeten. Die Leitung zweier solcher Arbeitsstäbe u n d die Koordination ihrer Zusammenarbeit erforderten ein hohes Maß an Logistik u n d Organisation. Unterschiedliche Interessen u n d verschiedene Zugänge zum Themenkomplex mußten abgestimmt werden. Stellte das Institut f ü r Zeitgeschichte die durch Gewaltherrschaft erzwungene Emigration in den Vordergrund, so war die Research Foundation in erster Linie am Prozeß der Akkulturation interessiert, die auch die zweite Generation u m · faßt hätte. Hier war eine Abstimmung der Interessen erforderlich, die gelegentlich beiden Seiten Kompromißbereitschaft abverlangte. Daß ein Projekt dieses Ausmaßes erfolgreich zu Ende geführt wurde, zeigt, daß alle Beteiligten diese Bereitschaft aufbrachten. Die möglichen unterschiedlichen Fragestellungen, von denen die beteiligten Arbeitsgruppen ausgingen, verweisen auf ein grundsätzliches Problem. Ein Handbuch erfordert als erstes theoretische Vorarbeiten, um den Geltungsbereich seines Themenspektrums abzustecken. Eine wichtige Entscheidung bestand darin, es als biographisches Nachschlagewerk zu konzipieren u n d nicht als Kompendium von Sachartikeln. Die Entscheidung fiel für Lebensläufe mit Hinweisen auf persönliche, berufliche u n d politische Aktivitäten vor der Emigration, auf den Fluchtweg u n d auf den Werdegang im Exilland oder auch, soweit dies zutraf, in der Heimat nach der Rückkehr. Eine zweite Entscheidung dehnte den Personenkreis auf die gesamte deutschsprachige Emigration aus, so daß auch die österreichische Emigration seit 1934/1938 u n d die sudetendeutsche seit 1938 einbezogen wurden. Eine Aussonderung dieser beiden Gruppen hätte sich aufgrund der vielen Gemeinsamkeiten mit der reichsdeutschen Emigration, personeller Querverbindungen, gemeinsamer Aktivitäten u n d politischer, kultureller und gesellschaftlicher Interdependenzen nicht aufrecht halten können. In diesem Zusammenhang wurden auch staatenlose Personen oder solche polnischer, ungarischer, jugoslawischer oder anderer Staatsangehörigkeit einbezogen, die zweifelsohne in Wort u n d Schrift dem deutschen mitteleuropäischen Kulturkreis zuzuordnen sind: Georg Lukäcs, Karl Mannheim u n d Arthur Koestler veröffentlichten ihre Schriften zunächst in ungarischer, später in deutscher Sprache u n d kehrten erst später zum Ungarischen zurück bzw. gingen zum Englischen über. Auf Wunsch der Research Foundation wurde bei Rabbinern, jüdischen Verbandsvertretern, Wissenschaftlern und Künstlern vom Kriterium der

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Deutschsprachigkeit abgesehen, wenn diese als Einwanderer aus Osteuropa sich längere Zeit in Deutschland o d e r Österreich aufgehalten hatten u n d gemeinsam mit d e r einheimischen jüdischen Bevölkerung zur Emigration gedrängt worden waren. Nicht unterschieden wurde zwischen Emigranten, die ihre Heimat als Auswanderer in ein angestrebtes Zielland verließen, u n d Exulanten, die sich mit d e r Absicht einer späteren Rückkehr trugen. Der spätere Werdegang d e r Angehörigen beider G r u p p e n entsprach n u r teilweise d e n f r ü h e r e n Absichten u n d d e m eigenen Selbstverständnis u n d hätte dah e r die starre Einteilung rasch ad absurdum geführt. Es bestand frühzeitig Klarheit darüber, daß die Daten u n d Information e n ü b e r d e n erfaßten Personenkreis eine sachliche Gliederung bei ihrer Aufteilung in die geplanten Bände erforderte. Auch dies machte eine klare definitorische Abgrenzung nötig. D e n n d e r im ersten Band vorgestellte Personenkreis („Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben") ist n u r durch fließende Grenzen vom zweiten Band („Künste, Wissenschaften u n d Literatur") zu t r e n n e n . Die Frage entscheiden, ob ein politisch engagierter Schriftsteller m e h r d e r einen o d e r d e r a n d e r e n Kategoriengruppe zuzuo r d n e n sei, verlangt eine Bewertung d e r Persönlichkeit, die die Kompetenzen einer H a n d b u c h r e d a k t i o n mitunter überfordert. Auch die Auswahl d e r Personen nach d e m Kriterium ihrer gesellschaftlichen Stellung u n d B e d e u t u n g (vor o d e r während d e r Emigration bzw. nach ihrer endgültigen Niederlassung bzw. Rückkehr) warf vielfältige u n d schwierige Fragen auf. Eine natürliche Folge d e r Auswahlkriterien ist die weitgehend e Beschränkung auf Emigrationseliten. Einer Kritik, die diese Tatsache zum Vorwurf erhebt, m u ß entgegengehalten werden, daß die Erfassung einer Massenemigration in Form eines biographischen H a n d b u c h s nicht zu leisten ist - weder mit Blick auf die verfügbaren Quellen n o c h im Hinblick auf d e n hierzu erforderlichen Arbeitsaufwand. Konnten die Recherchen auch keine repräsentativen Ergebnisse erzielen, so waren diese gleichwohl umfassend u n d zumindest f ü r bestimmte Personenkreise auch repräsentativ. Mit Hilfe von etwa 16000 Fragebögen in deutscher, englischer, hebräischer, spanischer u n d portugiesischer Sprache, überdies durch schriftliche Befragung einzelner Persönlichkeiten, wurde ein Grundstock von I n f o r m a t i o n e n gelegt, d e r durch weitere Nachforschungen ergänzt u n d erweitert wurde. Hierbei leisteten nicht n u r wissenschaftliche Institutionen in aller Welt wertvolle Hilfe. Synagogengemeinden u n d Vereine, kulturelle Einrichtungen u n d Verwaltungsbehörden in aller Welt trugen durch ihre Mitarbeit zum Gelingen des Projekts bei.

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration 349 Diese Arbeit mußte nicht nur systembedingte Schwierigkeiten überwinden: Verlust von Dokumenten und anderen Quellen, ungenügende Aktenführung in einigen Aufnahmeländern, Tod oder Unauffindbarkeit von Personen, Erinnerungslücken usw.; sie stieß auch auf politische Hindernisse, die nicht immer durch Umwege überwunden werden konnten. Die fachlich einschlägigen Institutionen der DDR - das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, die Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Künste - verweigerten jede Zusammenarbeit, vermutlich weil sie die bisherige Monopolstellung der DDR im Bereich der Exilforschung und des „antifaschistischen Exils" gefährdet sahen. Aus politischen Gründen verweigerten sich auch Institutionen in der Tschechoslowakei, in Polen und der Sowjetunion. Dies erklärt auch die ungleiche Präszision und Informationsdichte in den einzelnen Beiträgen. Da ein Ende der kommunistischen Diktaturen in Europa damals nicht absehbar war, wäre der Ratschlag, auf günstigere Zeiten zu warten, verfehlt gewesen. Überdies hätte ein Aufschub des Projekts die Arbeit zusätzlich erschwert, da mit dem Ableben eines jeden Zeitzeugen auch stets ein Informationsträger weniger ansprechbar war. Aus der Fülle der Einzelinformationen mußte eine Auswahl getroffen werden, die etwa 5 Prozent der in der biographischen Sammlung erfaßten Personen ausmachte. Hier galt es, sinnvolle und wissenschaftliche Auswahlkriterien für schwer vergleichbare Personenkreise zu erarbeiten. Erfüllten beispielsweise ein Hochschullehrer, ein mittlerer Gewerkschaftsfunktionär, ein Rabbiner, ein bekannter Orchestermusiker und ein namhafter Politiker der Nachkriegszeit annähernd gleichwertige Auswahlkriterien? Es war notwendig, unterschiedliche Perspektiven, Maßstäbe und Interessen zu vermitteln und kontroverse Standpunkte notfalls durch Kompromisse zu vereinbaren. Der 1980 erscheinende erste Band des „Biographischen Handbuchs" 1 umfaßt knapp 4000 Biographien, von denen etwa 2500 in München, die übrigen knapp 1500 in New York verfaßt worden waren. Der 1983 in zwei Halbbänden herausgegebene zweite Band 2 enthält 4700 Biographien, von denen 3000 von Mitarbeitern der Research Foundation, die übrigen vom Institut für Zeitgeschichte stammten. Diese Zahlen veran1

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Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. International Biographical Dictionary of Central European Emigres 1933-1945. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, München, und der Research Foundation for Jewish Immigration, New York, unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss. Band I: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben, München 1980. Band II: The Arts, Sciences and Literature, München 1983.

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schaulichen zugleich die Interessenschwerpunkte beider Institutionen. Ein Kuriosum dieser Bipolarität der Arbeitsstäbe u n d ihrer unterschiedlichen Ziele ist die Tatsache, daß der erste Band in deutscher, der zweite in englischer Sprache erschienen ist. Eine ursprünglich geplante deutsche Ausgabe des zweiten Bandes scheiterte an finanziellen Schwierigkeiten. Neben einleitenden Beiträgen zur Thematik u n d dem biographischen Hauptteil enthalten die Bände I u n d II Verzeichnisse der gerade für die politische Emigration wichtigen Decknamen, Pseudonyme u n d der f ü r die Niederlassung in den Aufnahmeländern so häufigen Namensänderungen, überdies Verzeichnisse der Abkürzungen u n d der in den Artikeln in Kurzform angegebenen Literatur. Der gleichfalls 1983 herausgegebene - n u n m e h r zweisprachige - dritte Band enthält Register nach unterschiedlichen Gesichtspunkten: Länder, Berufsgruppen usw. Das Erscheinen des „Biographischen Handbuchs" erleichterte in der Folgezeit ungemein die Emigrationsforschung. Einzeldaten über Personen, die bislang auf eine Vielzahl von Publikationen verstreut waren, überdies Namen u n d Informationen, die hier überhaupt erstmals festgehalten wurden, sind seitdem durch einen bloßen Griff ins Bücherregal zugänglich, wo vorher mühsame Recherchen erforderlich gewesen waren. Innerhalb der Exilforscher bürgerte sich das „Biographische Handbuch" so rasch ein, daß die Schwierigkeiten in Zeiten vor seinem Erscheinen heute kaum noch nachvollziehbar sind. Anerkennung wurde ihm von allen Seiten gezollt. „Die Exilforschung hat mit diesem Standardwerk einen Status erreicht, der den anderer, vergleichbarer Forschungsrichtungen übertrifft", schrieb Heinz Hürten u n d führte weiter aus: „Die Erforschung des deutschen Widerstandes gegen Hitler ist trotz aller monographischen Leistungen [ . . . ] noch weit entfernt von einer solchen Dichte der Dokumentation u n d einer solchen Breite in der Erfassung des Gesamtvorgangs, wie er uns in diesem Lexikon entgegentritt". - Lob kam übrigens auch von unerbetener Seite. Die Presseerzeugnisse des rechtsradikalen Verlegers Gerhard Frey würdigten das „Biographische Handbuch" „trotz aller Tendenz" als wertvolle Quelle für die Lebensläufe von „Marxisten, Juden, Kommunisten, Landesverrätern und Umerziehern". Die Kritik, an der es auch nicht fehlte, beschränkte sich im wesentlichen auf die von Exilforschern, die im Handbuch für ihre teilweise sehr speziellen Fragestellungen keine befriedigenden Antworten fanden. Auch an politischer Kritik fehlte es nicht - von Seiten der DDR, die zu Recht im Handbuch einen Angriff auf ihren Forschungsvorsprung in Sachen Exil u n d Emigration witterte.

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In seiner Würdigung des Werkes hatte Heinz Hürten zutreffend festgestellt, daß das Projekt zwar einen H ö h e p u n k t der Exilforschung bedeute, aber „keinen Abschluß der Exilforschung, sondern die Herausforderung zu einer Fülle neuer Aufgaben, die durch das gesammelte biographische Material ermöglicht, vielleicht erstmalig sichtbar geworden ist". Die Erfolgsgeschichte zeigt sich auch darin, daß es Nachahmungen anregte u n d als Vorbild für weitere Nachschlagewerte zu gleichen oder verwandten Themen diente. Auf sie wird gleich zu verweisen sein. Die Herausgeber waren von der Feststellung ausgegangen, daß eine „Gesamtdarstellung der Exilgeschichte" vor Beginn dieses Handbuchprojekts „in absehbarer Zeit noch nicht erwartet" werden konnte, was offensichdich die H o f f n u n g implizierte, daß dies nach Erscheinen ihres umfassenden Oeuvres möglich sein werde. Diese H o f f n u n g hat sich inzwischen als trügerisch erwiesen. Zu unterschiedlich war der Personenkreis der Hitler-Flüchdinge, als daß er sich als geschlossene Gruppe oder wenigstens als einheidiche Schicksalsgemeinschaft präsentieren ließe. Vielfach bildete die Tatsache nationalsozialistischer Verfolgung als Motiv zur Emigration die einzige Gemeinsamkeit zwischen einer halben Million Individuen mit ihren jeweils eigenen Biographien. Zu verschieden waren Aktivitäten, Wanderungsbewegungen, Fluchtziele, Anpassung u n d Niederlassung in über vierzig Aufnahmeländern, politische u n d kulturelle Orientierung, als daß sich dies in einer - auch mehrbändigen - Darstellung abhandeln ließe. Die auf neun Bände veranschlagte „Geschichte der Exilliteratur 1933-1950" von Hans-Albert Walter 3 , deren Untersuchungsgegenstand sich n u r auf etwa 200 Literaten im Exil beschränkt, zeigt bereits an diesem überschaubaren Personenkreis die Schwierigkeiten, mit denen eine eng spezialisierte Ubersichtsdarstellung konfrontiert wird, u n d läßt ahnen, welches Ausmaß sie mit Blick auf eine Massenbewegung von einer halben Million ann e h m e n würden. Eine Gesamtdarstellung von Exil u n d Emigration wird u n d kann es nicht geben. An ihre Stelle treten Handbücher u n d Sammelbände, deren Themenspektren bereits das Eingeständnis des Fragmentarischen u n d Unvollendbaren enthalten. Seit Erscheinen der Bände des „Biographischen Handbuchs" haben etliche andere Handbücher, Verzeichnis3

Hans-Albert Walter, Deutsche Exil-Literatur 1933-1950. Bd. 1, 2, 7, Darmstadt/Neuwied 1972-1974 (Sammlung Luchterhand; 76, 77, 136). Fortgeführt als: ders., Deutsche Exil-Literatur 1933-1950. Bd. 2-4, Stuttgart 1978, 1984, 1988.

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se, Indices, Bibliographien und andere Hilfsmittel den Themenkomplex weiter erschlossen. Mehrere Exilzeitschriften wurden bibliographiert und ausgewertet sowie Titel der Exilliteratur katalogisiert, Ausbürgerungslisten von Emigranten herausgegeben und die Rolle des Rundfunks im Exil dokumentiert. Vor allem aber wurden Quellenverzeichnisse, Archivführer und andere Findmittel veröffentlicht, von denen hier nur die wichtigsten genannt seien: das von der Deutschen Bibliothek herausgegebene „Inventar zu den Nachlässen emigrierter deutschprachiger Wissenschaftler"4, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung publizierte „Inventar zu den Nachlässen der deutschen Arbeiterbewegung"5, die von der Parlamentarismus-Kommission edierte Dokumentation „M. d. R. Die Reichstagsabgehordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus"6 und schließlich das von der Herbert und Elsbeth Weichmann Stiftung herausgegebene Archiwerzeichnis „Quellen zur deutschen politischen Emigration 1933-1945".7 Das kürzlich herausgebene „Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945"8 stellt - von der biographischen Fragestellung auf Sachfragen umgestellt - in gewisser Weise eine Fortsetzung des „Biographischen Handbuchs" dar. Alle diese Hilfsmittel haben den Zugang zu den Quellen wesenüich erleichtert, aber damit nicht nur Lücken geschlossen. So paradox es klingt, auch das „Biographische Handbuch" hat nicht nur unsere Wissensressourcen um ein Vielfaches erweitert, sondern auch die noch ausstehenden Defizite erkennbar germacht. Nicht nur als Nachschlagewerk wird es daher für die nächsten Generationen nutzbar sein, auch indirekt als Wegweiser zu neuen Fragestellungen und Forschungsinteressen wird es weiterwirken und damit Folgen zeitigen. Ein größeres Ziel kann ein wissenschaftliches Projekt nicht erreichen. Inventar zu den Nachlässen emigrierter deutschsprachiger Wissenschaftler in Archiven und Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland. Bearb. von Deutschen Exilarchiv 1933-45 der Deutschen Bibliothek, München u. a. 1993. (= Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek; 19 1-2) 5 Hans-Holger Paul (Bearb.), Inventar zu den Nachlässen der deutschen Arbeiterbewegung für die zehn westdeutschen Länder und West-Berlin, München u. a. 1993. 6 Martin Schumacher/Katharina Lübbe (Hrsg.), M. d. R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit der NS. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933-45. Eine biographische Dokumentation, Düsseldorf 3 1994. ' Heinz Boberach u . a . (Hrsg.), Quellen zur deutschen politischen Emigration 19331945. Inventar von Nachlässen, nichtstaatlichen Akten und Sammlungen in Archiven und Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland, München 1994. 8 Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945, bearb. von Claus-Dieter Krohn u. a., Darmstadt 1998. 4

Zwischenkriegszeit

Udo Wengst Deutsche und Tschechen in der Zwischenkriegszeit: Bilanz eines Forschungsprojektes Die ersten Anstöße f ü r ein Forschungsprojekt über die deutschtschechoslowakischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit kamen im Sommer 1990 aus dem Kreis der deutsch-tschechoslowakischen Historikerkommission. Beabsichtigt waren Untersuchungen über die Beziehungen zwischen beiden Ländern auf der Regierungsebene und auf der Ebene nichtstaatlicher Organisationen wie Parteien, Verbänden, Kammern u n d Wirtschaftsuntemehmen. Auf diese Weise sollten politische u n d ökonomische Verflechtungen zwischen dem Deutschen Reich u n d der Tschechoslowakischen Republik in den Blick genommen u n d damit Integrationsprozesse deutlich gemacht werden, die durch den Zweiten Weltkrieg u n d die Teilung Europas blockiert bzw. unterbrochen worden sind. Ein solches Projekt wurde von der Kommission um so wichtiger gehalten, als sich nach den revolutionären Umbrüchen in Ostmitteleuropa auch eine „Wiederverdichtung" der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik u n d der Tschechoslowakei anbahnte, die von historischen „Experten" profitieren sollte. Daß es in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auch eine gewisse politische Zielsetzung des Projektes gab, durch eine quellengesättigte Erforschung historischer Entwicklungen ideologische Vorurteile zu beseitigen u n d damit zu einem entkrampften nachbarschaftlichen Verhältnis beizutragen, versteht sich von selbst. Auf der Suche nach einer Finanzierung nahm der damalige Stellvertretende Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Ludolf Herbst, der zu dieser Zeit das Institut kommissarisch leitete, Kontakt mit dem Bundesministerium für Forschung u n d Technologie auf. Bei dem zuständigen Referenten, Ministerialrat Bernhard Doli, fand Herbst mit seinem Anliegen von Beginn an ein positives Echo. Anfang August 1990 teilte Ministerialrat Doli mit, daß er bereit sei, über ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Deutsch-tschechische Beziehungen 1920-1938" nachzudenken.

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Dieses „Nachdenken" führte schon wenige Wochen später zu einem positiven Zwischenergebnis. Bereits am 11. September 1990 stellte das Institut für Zeitgeschichte nach weiteren Gesprächen mit Ministerialrat Doli einen Antrag zur Finanzierung eines Projektes mit dem Titel „Vorstudien zu einem Projekt über die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit". Dieser Antrag wurde n u r wenig später genehmigt. Am 1. Oktober 1990 begann Christoph Boyer mit den Arbeiten an den Vorstudien. Das Ergebnis der Vorstudien Boyers legte das Institut Ende April 1991 dem Ministerium vor. Auf der Basis umfangreicher Archiv- und Literaturrecherchen schlug Boyer vor, die zunächst vorgesehene Thematik einzugrenzen u n d als Hauptgegenstand des geplanten Projektes die Wirtschaftsbeziehungen der Ersten Tschechoslowakischen Republik zum Deutschen Reich (1918-1938) zu wählen. Dieser Blickwinkel bot sich Boyer zufolge insbesondere wegen der „asymmetrischen Verflechtung" der Wirtschaften der beiden Staaten an. Allerdings wurde bereits in diesem Vorbericht Wert auf die Feststellung gelegt, daß das Ziel des Projekts „eine über die Wirtschaftsgeschichte im engeren Sinn hinausgreifende Analyse" sei, die die „politischen Konsequenzen" stets im Blick haben müsse. Als zu behandelnde Themenfelder schlug Boyer vor: a) Außenhandel u n d Außenhandelspolitik; b) Auslandsengagement von Unternehmen, ausländische Kapitalbeteiligungen; c) reichsdeutsche, sudetendeutsche, tschechoslowakische Wirtschaft. Auf der Grundlage der Vorstudien, die insbesondere auf die Informationsfülle in den n u n m e h r zugänglichen Quellenbeständen in der Tschechoslowakischen Republik für die Bearbeitung dieser Themenfelder abgestellt hatten, begann Boyer mit der Ausarbeitung eines Projektantrages. Dieser Antrag wurde bereits im Juni 1991 fertiggestellt u n d Anfang Juli 1991 an das Ministerium weitergeleitet. Der Arbeitstitel des Projektes lautete nunmehr: „Ungleiche Nachbarn. Die deutsch-tschechoslowakischen Wirtschaftsbeziehungen in der Zwischenkriegszeit". Vorgesehen war die Erstellung von zwei Monographien. Die erste sollte die Handelsbeziehungen der Ersten Tschechoslowakischen Republik zum Deutschen Reich zum Gegenstand haben, die zweite die reichsdeutschen Unternehmen u n d die „sudetendeutsche Wirtschaft" in der Ersten Tschechoslowakischen Republik untersuchen. Schwierig waren die mit dem Projekt verbundenen Personalentscheidungen. Während mit Christoph Boyer für die Bearbeitung des zweiten Themas ein ausgewiesener Wissenschaftler mit den erforderlichen Sprachkenntnissen zur Verfügung stand, erwies sich die Besetzung der

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anderen Projektstelle als problematisch. Auf Drängen des Ministeriums richteten sich die Bemühungen zunächst darauf, einen Wissenschaftler aus den neuen Bundesländern zu gewinnen. Dies ist trotz wiederholter Anläufe nicht gelungen, so daß in diese Richtung zielende Versuche Ende September 1991 aufgegeben wurden. Zu diesem Zeitpunkt lag die Bewilligung des Ministeriums für die Finanzierung des Projektes bereits vor. Mit Schreiben vom 12. August 1991 erhielt das Institut den Bescheid, daß f ü r dieses Vorhaben knapp 700000 DM - verteilt auf drei Jahre - aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt würden. In seinem Dankschreiben betonte Ludolf Herbst die Bedeutung des Projektes f ü r die „angestrebte u n d angebahnte Intensivierung der Wissenschaftskontakte" zwischen Deutschen, Tschechen u n d Slowaken. Darüber hinaus hoffte er auf eine „Signalwirkung für die Bemühungen der Deutsch-tschechoslowakische Historikerkommission", u n d er zeigte sich überzeugt, daß das Zustandekommen des Projektes auf tschechoslowakischer Seite als Beweis dafür angesehen werde, daß die Bundesrepublik Deutschland Ernst mache mit der durch die beiden Außenminister vereinbarten Wissenschaftskooperation. Diesem Ziel diente schließlich auch die Besetzung der noch offenen zweiten Projektstelle. Bereits im Abschlußbericht über seine Vorstudien hatte Christoph Boyer eine Reihe von Kontaktpersonen genannt, mit denen er Probleme des geplanten Projektes erörtert habe. Von seinen Gesprächspartnern in der Tschechoslowakei erwähnte er an erster Stelle Jaroslav Kucera. Dieser war zu der Zeit Mitarbeiter des Instituts f ü r osteuropäische u n d allgemeine Geschichte der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften u n d hatte sich als Spezialist für die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen nach 1945 einen Namen gemacht. Kucera hatte sich für Boyer bei seinen ersten Besuchen in Prag als besonders hilfreich erwiesen, da er seine guten persönlichen Kontakte zu den Prager Archiven spielen ließ u n d damit dazu beitrug, bürokratische Hürden schneller zu nehmen. Für den September 1991 lassen sich erste Überlegungen im Institut für Zeitgeschichte nachweisen, die noch offene zweite Projektstelle mit einem Wissenschaftler aus der Tschechoslowakei zu besetzen. In diesem Zusammenhang fiel sogleich auch der Name Kucera. Als dieser davon hörte, meldete er sein Interesse an. Dabei verschwieg er aber nicht, daß er sich mit der spezifischen Thematik des Projektes bisher nicht eingehend beschäftigt hatte. Hierin wurde jedoch kein Einstellungshindernis erkannt, so daß Kucera ab dem 1. Dezember 1991 seine

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Arbeit in München a u f n e h m e n konnte. Boyer war bereits zum 1. September des Jahres eingestellt worden. Mit diesen Entscheidungen war, wie Ludolf Herbst betonte, dieses Projekt „auch personell zu einem richtigen deutsch-tschechoslowakischen Kooperationsprojekt" geworden. In einem Gutachten hat Hans Mommsen diesen Aspekt nachdrücklich herausgehoben, indem er darauf hinwies, die personelle Besetzung gewährleiste, „daß das Forschungsprojekt auch einen Beitrag zu konkreter deutsch-tschechoslowakischer Zusammenarbeit gerade in einem zwischen beiden Nationen bisher höchst strittigen historischen Bereich" erbringe. Nach Ablauf des ersten Jahres schlugen die Projektmitarbeiter aufgrund ihrer Arbeitserfahrungen u n d der Archivrecherchen eine Modifizierung des Teilbereiches von Jaroslav Kucera vor. Im Rückgriff auf die ursprüngliche Absicht, das Forschungsprojekt nicht n u r auf die Wirtschaftsbeziehungen zu beschränken bzw. eine „über der Wirtschaftsgeschichte im engeren Sinne hinausgehende Analyse" zu verfassen, die auch die „politischen Konsequenzen" berücksichtige, entstand die Idee, das zentrale Problem der Sprachenfrage stärker als zunächst vorgesehen zu bearbeiten, dabei allerdings ihrer spezifischen Problematik für den Bereich der Wirtschaft einen besonderen Schwerpunkt einzuräumen. Nach intensiver Diskussion mit den Projektmitarbeitern hat die Institutsleitung dieser Modifizierung zugestimmt u n d das inhaltlich erweiterte Projekt gegenüber dem Ministerium vertreten. Dieses hat den Vorschlag des Instituts akzeptiert u n d die Finanzierung des modifizierten Projektes fortgesetzt. Damit hatte das Forschungsvorhaben seine endgültige Form gefunden. Vom Ausgangspunkt einer Erforschung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen hatte sich der Schwerpunkt der Arbeit auf die Darstellung der Geschichte der Wirtschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik verschoben. Hierzu war als weiteres großes Themenfeld die Sprachen- u n d Kulturpolitik der CSR gegenüber den Deutschen getreten. Das aber hieß, daß Kooperation u n d Konflikt zwischen Tschechen u n d Deutschen unter einer überwölbenden Fragestellung - die Situation der deutschen Volksgruppe im tschechoslowakischen Nationalstaat - in zentralen Bereichen des Zusammenlebens erforscht werden sollten. Zu Beginn des Jahres 1995 lagen die beiden Manuskripte vor. Auf breiter Quellengrundlage ist es darin beiden Autoren gelungen, ein differenziertes Bild vom Zusammenleben von Tschechen u n d Deutschen in der Zwischenkriegszeit zu zeichnen. Sowohl die von deutscher

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Seite oft beklagte Unterdrückung der deutschen Volksgruppe durch die tschechische Mehrheit wie auch die von tschechischer Seite immer wieder betonten Destabilisierungsbemühungen der deutschen Volksgruppe gegenüber dem tschechoslowakischen Staat beschreiben nur bestimmte Zuspitzungen des jeweiligen Wechselverhältnisses. Sie sind aber mitnichten geeignet, ein auch n u r einigermaßen der historischen Wirklichkeit entsprechendes Bild zu zeichnen. Boyer hat sein Thema, die Beziehungen zwischen Deutschen u n d Tschechen in der Wirtschaft der CSR1, in der Weise abgehandelt, daß er diese Beziehungen in zwei verschiedenen Arenen untersucht hat. Zunächst ist er der Frage nachgegangen, wie sich das Verhältnis zwischen Tschechen u n d Deutschen in den Wirtschaftsorganisationen entwickelte. Dabei hat Boyer seine Untersuchung in zwei Kapitel unterteilt. Im ersten geht er auf das Industrieverbandswesen, im zweiten auf die Handels- u n d Gewerbekammern ein. Ein zweiter großer Teil der Studie ist den Beziehungen von Tschechen u n d Deutschen in den Industrieunternehmen gewidmet. Das Kapitel über das Industrieverbandswesen u n d der Teil über die Industrieunternehmen sind in sich chronologisch gegliedert, während für die Behandlung der Handelsund Gewerbekammern ein systematischer Zugriff gewählt wurde. Zielsetzung aller drei Fallstudien ist es, unter Berücksichtigung der jeweils wirksamen ökonomischen, organisatorischen, rechtlichen sowie innenu n d außenpolitischen Rahmenbedingungen die jeweiligen Aktionen der Akteure u n d ihre Beweggründe zu untersuchen u n d sodann die hieraus resultierende „spezifische Mischung" von Konflikt u n d Kooperation herauszuarbeiten. Boyers Schlußfolgerungen geben ein differenziertes Bild wirtschaftlicher Beziehungen von Deutschen u n d Tschechen in der CSR. Trotz aller unfreundlicher Gefühle der Tschechen gegenüber den Deutschen, die Boyer nicht bestreitet, habe es kein „umfassendes und konsistentes antideutsches Politikprogramm" gegeben. Dafür macht er, sofern es den Bereich der Wirtschaft betrifft, „charakteristische Eigengesetzlichkeiten rationaler Ökonomie bzw. funktionaler Organisation" verantwortlich. Das heißt mit anderen Worten, daß „nationalpolitische Bruchlinien" stets durch „übernationale Interessen-, Aktions- u n d Profitgemeinschaften überwölbt" worden seien. Insofern habe es keine „separa1

Christoph Boyer, Nationale Kontrahenten oder Partner? Studien zu den Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen in der Wirtschaft der CSR (1918-1938), München 1999.

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ten oder überhaupt separierbare Wirtschaftskörper" gegeben, sondern wechselseitige Abhängigkeitsbeziehungen, so daß Deutsche u n d Tschechen in der Wirtschaft „geradezu auf Gedeih u n d Verderb" miteinander verbunden gewesen seien. Wert legt Boyer auf die Feststellung, daß der Nationalitätenkonflikt sich in einer „leidlich funktionierenden Demokratie" abgespielt habe, in der die aktivistischen deutschen Parteien ab der zweiten Hälfte der 20 er Jahre am politischen Prozeß teilgenommen hätten. Wichtig sei ebenso die Tatsache, daß es sich bei der CSR um einen Rechtsstaat gehandelt habe. Beide Faktoren, die Einbindung der aktivistischen deutschen Parteien in die Politikgestaltung und eine alles in allem funktionierende Rechtsprechung, hätten trotz aller Defizite zu einer gewissen Stabilisierung der Position der Deutschen in der Wirtschaft der CSR beigetragen. Die gleichwohl nicht zu bestreitende tendenzielle „Diskriminierung" u n d „Verdrängung" der Deutschen wertet Boyer nicht so sehr als das Ergebnis einer gezielten Nationalitätenpolitik, sondern als „Resultat struktureller Defizite des ökonomischen oder politischen Systems oder [als] Folge ungünstiger kontingenter Umstände u n d Ergebnisse". In diesem Zusammenhang weist Boyer insbesondere auf die Eigenheiten der „versäulten Demokratie" hin, die eine Kammerreform u n d damit eine stärkere Stellung der Deutschen in diesen Gremien verhindert habe. Grundsätzlich kommt Boyer in seiner Studie zu dem Ergebnis, daß „die Praktiker der Wirtschaft und in ihrer Folge die Wirtschaftspolitik [ . . . ] im allgemeinen doch eine Konzertierung objektiver gemeinsamer oder paralleler Interessen und die Ausschöpfung der Synergien der Konfrontation" vorzogen. „Regellose Verdrängungskämpfe" hat es Boyer zufolge nur selten gegeben - „normale Zeiten hingegen waren durch relativ stabile, m e h r oder weniger explizite, in freier Vereinbarung praktizierte (im Falle der Industrieverbände) oder staatlich gesatzte (Kammern, Arbeitsmarkt) Regelungen von Ansprüchen u n d Handlungsspielräumen, Eigentums- und Verfügungsrechten charakterisiert". Erst in den 30 er Jahren verschärfte sich die Konfrontation, die schließlich im Vorfeld von „München" auf der ganzen Linie obsiegte. Im Unterschied zur Wirtschaft, in der - wie wir gesehen haben „übernationale Interessen-, Aktions- u n d Profitgemeinschaften" „nationalpolitische Bruchlinien" überwölbt haben, handelt es sich bei der Sprachenfrage um ein „Konfliktfeld par excellence". Denn das Spannungsverhältnis von nationaler Identität auf der einen und Vorhanden-

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sein verschiedener ethnischer Gruppen auf der anderen Seite war und ist für die Nationalstaaten im Europa des 20. Jahrhunderts ein zentrales Problem. Dabei erfolgte und erfolgt die Auseinandersetzung meist in besonderer Härte über die Sprachenfrage. Im Hinblick hierauf kommt der Ersten Tschechoslowakischen Republik gleichsam paradigmatische Bedeutung zu, da hier der Versuch gemacht worden ist, „die Sprachenfrage in einem multiethnischen Staat unter den Bedingungen eines demokratischen politischen Systems zu regeln". Jaroslav Kucera behandelt das Thema in seiner Monographie 2 unter zwei Aspekten. In einem ersten Teil hat er die Entwicklung der tschechoslowakischen Sprachgesetzgebung von 1918 bis 1938 untersucht, in einem zweiten Teil das Sprachenrecht und die Sprachenpraxis dargestellt. Während der erste Teil chronologisch angelegt ist, hat sich Kucera im zweiten Teil für eine systematische Gliederung entschieden. Nach einer Ubersicht über das Sprachenrecht behandelt er den sprachlichen Alltag, die Sprache und die Staatsangestelltenfrage und schließlich die Orts- und Straßennamen. Ausgangspunkt aller Auseinandersetzungen über die Sprachenfrage war die „gesetzlich verankerte Vorrangsstellung der , tschechoslowakischen' Staatssprache", die der tschechoslowakischen Mehrheit von vornherein einen Startvorteil und eine Präponderanz verschaffte. Zwar hatten über 90% der deutschsprachigen Bevölkerung das Recht, im Verkehr mit staatlichen Behörden ihre Muttersprache zu benutzen, und in den mehrheitlich deutschsprachigen Gebieten war Deutsch auch die Unterrichtssprache an den Schulen. Allerdings gab es keine Schutzbestimmungen für die deutschsprachige Bevölkerung in mehrheitlich tschechisch besiedelten Gebieten, während die „Vorrangstellung" der Staatssprache auch in mehrheitlich von Deutschen besiedelten Gebieten galt. Das bedeutete in der Realität eine Abnahme deutscher Sprachinseln im tschechischsprachigen Raum einerseits und eine tschechische Zuwanderung in das deutschsprachige Grenzgebiet andererseits. Dies hatte tendenziell einen Positionsverlust der Deutschen zur Folge. Dieser wurde noch dadurch verstärkt, daß die „Kommunikation mit dem Staat Engpässe" schuf, „die den Angehörigen der Minderheitensprachen den Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Aktivitäten und somit die Wahrnehmung ihrer nationalen, politischen, wirtschaftli2

Jaroslav Kucera, Minderheiten im Nationalstaat. Die Sprachenfrage in den deutschtschechischen Beziehungen 1918—1938, München 1999.

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chen u n d sozialen Belange erschwerten". Anders gewendet hieß dies, daß „besonders höhere sudetendeutsche Schichten" Tschechisch lernen mußten, wenn sie über den engeren sudetendeutschen Bereich hinaus auf die politischen, wirtschaftlichen u n d gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse Einfluß n e h m e n wollten. An H a n d der Sprachengesetzgebung vermag Kucera zu zeigen, daß sich im Lauf der Zeit die „Kluft zwischen Staatssprache u n d den übrigen im Staat gebrauchten Sprachen vertiefte". Hierfür macht er Tschechen u n d Deutsche gleichermaßen verantwortlich, denen es am erforderlichen „Einfühlungsvermögen in die Gedanken- und Empfindungswelt" des jeweiligen Gegenübers gefehlt habe. Als Motiv für die tschechische Intransigenz in dieser Frage sieht Kucera die ,Angst vor dem Verlust der staatlichen Identität": Die tschechoslowakische Mehrheit fürchtete, „auf dem Wege der Gleichberechtigung von Sprachen die These von der Republik als einem Nationalstaat ausschließlich der Tschechen u n d Slowaken" aufgeben zu müssen. Ab Mitte der 30 er Jahre kam schließlich die - nicht unberechtigte - Sorge hinzu, daß eventuelle Konzessionen in der Sprachenfrage einen „Prozeß der Loslösung der [deutschsprachigen] Grenzgebiete aus dem Staatsverband" zur Folge haben könnten. In der Wahrnehmung auf tschechoslowakischer Seite war die Sprachenfrage nicht n u r ein tschechisch-sudetendeutsches Problem, sondern eine Frage, die unter dem Aspekt der tschechisch-gesamtdeutschen Beziehungen zu beurteilen war. Nicht zuletzt hieraus rührte der unklare Kurs „zwischen Anpassung und Integration", der die Sprachenpolitik der Tschechen gegenüber den Sudetendeutschen kennzeichnete. Im Rahmen des Projektes entstand zusätzlich eine Magisterarbeit über die Anfänge der Bodenreform in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, deren Ergebnisse in einem Aufsatz der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte publiziert worden sind. 3 Im Gegensatz zu den Behauptungen zahlreicher deutscher Autoren, daß die Bodenreform dazu gedient habe, den deutschen Grundbesitz in der Tschechoslowakei in tschechische Hände zu überführen, kommt der Autor dieser Studie, Jaromir Balcar, zu einem anderen Ergebnis. Aufgrund der Analyse der Protokolle der internen Sitzungen zieht er die Schlußfolgerung, daß „nationalpolitische Argumente" in den Ausschußsitzungen praktisch keine Rolle gespielt haben. Allerdings habe das Gesetz zahlreiche 3

Jaromir Balcar, Instrument im Volkskampf? Die Anfänge der Bodenreform in der Tschechoslowakei 1919/20, in: VfZ 46 (1998), S. 391-428.

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schwammige und uneindeutige Regelungen enthalten, so daß die für seine Durchführung zuständige Stelle weitgehend freie Hand gehabt habe. Hierin vermag Balcar aber nicht die Absicht erkennen, der Exekutive alle Möglichkeiten zur Benachteiligung von Minderheiten einzuräumen. Vielmehr sieht er hierin eine grundlegende Schwäche der tschechoslowakischen Konsensdemokratie, möglichst einstimmige Abstimmungsergebnisse zu erzielen u n d daher die Lösung der eigentlichen Probleme der Exekutive zu überlassen. Die n u n m e h r vorliegenden Ergebnisse des Forschungsprojektes über die deutsch-tschechischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit zeigen allesamt, wie schwierig das wechselseitige Verhältnis war. So ist nicht zu übersehen, daß das Verständnis für einander oftmals durch einen maßlosen Chauvinismus beeinträchtigt, j a vergiftet wurde u n d der Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen dominierte. Daneben gab es aber auch Konzilianz u n d Toleranz, den Willen zu einem fairen Ausgleich der Interessen u n d die Bereitschaft zu einem friedlichen Zusammenleben. Das schließliche Scheitern der Republik ist nicht darauf zurückzuführen, daß die Kooperationsbestrebungen gegenüber den vorhandenen Konfliktlinien insgesamt zu schwach gewesen sind. Erst die nach Osten ausgreifende Expansionspolitik des nationalsozialistischen Deutschland hat alle Kooperationsansätze blockiert, den inneren Konflikt zwischen den Volksgruppen geschürt u n d schließlich das Ende der Ersten Tschechoslowakischen Republik herbeigeführt.

Andreas Wirsching Krisenzeit der „Klassischen Moderne" oder deutscher „Sonderweg"? Überlegungen zum Projekt Faktoren der Stabilität und Instabilität in der Demokratie der Zwischenkriegszeit: Deutschland und Frankreich im Vergleich

/. Die im Grunde alte Frage nach einem spezifisch deutschen, sich vom Westen abwendenden Weg in die Moderne hat durch das Abgleiten der Weimarer Republik in die nationalsozialistische Diktatur ihren bleibenden Stachel erhalten. In den siebziger und achtziger Jahren diskutierten Historiker und Politikwissenschaftler häufig und intensiv über mögliche langfristige Fehlentwicklungen eines deutschen „Sonderweges", an dessen Ende Hitler stand. Daß das Institut für Zeitgeschichte, zu dessen klassischen Arbeitsfeldern die Geschichte der Weimarer Zeit wie des Nationalsozialismus ja stets gehörte, in diese Diskussion eingreifen würde, war naheliegend. 1981 veranstaltete das Institut ein Kolloquium über die Frage eines deutschen Sonderweges.1 In seinem Verlauf kamen durchaus kontroverse Ansichten zur Sprache: Thomas Nipperdey etwa strich sehr kritisch die deterministischen und teleologischen Elemente der Sonderwegsthese heraus und verwies auf die Gefahr ihrer Ideologisierung. Demgegenüber wunderte sich Kurt Sontheimer darüber, daß die These überhaupt von neuem in die Diskussion geraten war, und betonte ihre bleibende und notwendige Funktion für das politische Selbstverständnis der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Einig war man sich jedoch in der Auffassung, daß die Sonderwegsthese den historischen Vergleich erfordere. Der damalige Gesprächsleiter, Horst Möller, heute Direktor des Instituts für Zeitge1

Deutscher Sonderweg - Mythos oder Realität? Kolloquien des Instituts für Zeitgeschichte München, München u. Wien 1982.

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schichte u n d der Initiator des hier zu diskutierenden Projektes, stellte einleitend die „Forderung nach einem komparatistischen Verfahren" in den Raum; Thomas Nipperdey wies im Anschluß an Hans-Ulrich Wehler auf das „Säurebad des Vergleichs" hin, u n d Karl Dietrich Bracher hielt „Vergleichsstudien auf breitester Ebene" für notwendig. 2 Nun steht es außer Frage, daß der so postulierte deutsche Sonderweg - oder „Eigenweg" 3 - ein Modell westlicher, industriewirtschaftlich-demokratischer „Normalentwicklung" implizierte, dem überdies ein modernisierungstheoretisch begründeter, linearer Fortschrittsverlauf unterstellt wurde. 4 Seit den achtziger Jahren ist demgegenüber verschiedentlich die Krisenhaftigkeit im allgemeinen betont worden, die das moderne Industriezeitalter aus sich selbst hervorbrachte u n d die im besonderen die Zwischenkriegszeit gekennzeichnet habe. Die totalitäre Versuchung des 20. Jahrhunderts wäre dann weniger das Resultat eines spezifischen „Sonderweges"; ihre Wurzeln lägen vielmehr in den Aporien der Moderne selbst, in der ihr grundsätzlich innewohnenden Ambivalenz u n d in der Möglichkeit ihrer Perversion. Solche Überlegungen sind einerseits von neo-marxistischer Seite vorgebracht worden 5 ; andererseits bilden sie die Grundlage einer Konzeption, welche die Zwischenkriegszeit als „Krisenzeit der klassischen Moderne" begreift: Indem diese in exemplarischer u n d in extrem beschleunigter Weise die beispiellosen Möglichkeiten wie die tiefen Abgründe unserer eigenen, industriewirtschaftlich geprägten Existenz durchexerziert habe, bilde sie eine Art Paradigma für die grundsätzliche Ambivalenz der modernen Zivilisation.6 Innerhalb dieses Spannungsfeldes bleibt dann freilich 2 3

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Ebd., S. 11, 20f. u. 50. So die Begriffsprägung von Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, Königstein 5 1971, S. 3ff. Vgl. Klaus Hildebrand, Der deutsche Eigenweg. Uber das Problem der Normalität in der modernen Geschichte Deutschlands und Europas, in: Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen/Hans-Helmuth Knütter und Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa, Düsseldorf 1987, S. 15-34. Statt vieler Belege siehe Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 4 1980, sowie Jürgen Kocka, Ursachen des Nationalsozialismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1980, Β 25, S. 3-15, hier v. a. S. 11-13. Siehe z.B: Geoff Eley, What Produces Fascism: Preindustrial Traditions or a Crisis of a Capitalist State, in: Politics & Society 12 (1983), S. 53-82. Nicht zufällig hat Eley auch die Inanspruchnahme des englischen Falles für die Konstruktion eines westlichen „Normalweges" heftig kritisiert: Geoff Eley, Deutscher Sonderweg und englisches Vorbild, in: David Blackbourn u. Geoff Eley, Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848, Frankfurt am Main u. a. 1980, S. 7-70. Detlev J. K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt am Main 1987, S. 10-12 u. 266f.

Krisenzeit d e r „Klassischen Moderne"

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zu klären, „in welcher Gewichtung deutsche Besonderheiten u n d gemeineuropäische P h ä n o m e n e zur katastrophischen Verschärfung der Modernisierungskrise Anfang d e r dreißiger J a h r e beitrugen". 7 N u n ist auf d e n Mangel an tatsächlich empirisch vergleichenden Studien häufig hingewiesen worden. Gerade die Zwischenkriegszeit, als die eigentliche, zum antidemokratischen Denken u n d zur totalitären Diktatur neigende Krisenzeit, ist kaum zum Gegenstand eines systematischen u n d empirisch f u n d i e r t e n internationalen Vergleichs gemacht worden. 8 Der Demokratievergleich blieb im wesentlichen ein bevorzugtes Studienfeld d e r vergleichenden Politikwissenschaft, f ü r welche die Krise d e r Zwischenkriegszeit zwar ein wichtiges T h e m a darstellt 9 , die sich im wesentlichen aber auf die makro-politische Ebene beschränkt u n d die historische Dynamik nicht immer adäquat zu erfassen vermag. I n d e m das hier diskutierte Projekt einen genuin empirischen Beitrag zum historischen Demokratievergleich leistet, trägt es also zu dessen Konstituierung als Gegenstand vergleichender historischer Forschung bei. In seinen ersten Anfängen auf das J a h r 1988 zurückgehend u n d seit 1995 von d e r Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, ist sein Gegenstand die Krise d e r Demokratie in der Zwischenkriegszeit. Konzentriert auf d e n Vergleich zwischen d e r Weimarer Republik u n d der späten Dritten Französischen Republik, untersucht es in m e h r e r e n Einzelarbeiten exemplarisch Faktoren politischer Stabilität u n d Instabilität, womit es, was Gegenstandswahl u n d Untersuchungszeitraum betrifft, wissenschaftliches Neuland betritt. Das Institut f ü r Zeitgeschichte k n ü p f t damit an die F o r d e r u n g von 1981 an, d e n Diskussionshorizont u m d e n deutschen Sonderweg durch international vergleichende Arbeiten zu weiten. Zwar waren sich die Initiatoren des Projekts, u n d ins-

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Ebd., S. 10. Neben der großen Gesamtdarstellung von Karl Dietrich Bracher, Die Krise Europas. Seit 1917, Frankfurt am Main - Berlin 1993 (zuerst 1976), und der frühen Studie von Karl J. Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie. Europa 1918— 1938, Köln — Berlin 1965, sind v. a. die Arbeiten von Charles S. Maier, Recasting Bourgeois Europe. Stabilization in France, Germany, and Italy in the Decade after World War I, Princeton/N. J. 2 1988, sowie von Jürgen Kocka, Angestellte zwischen Faschismus und Demokratie. Zur politischen Sozialgeschichte der Angestellten: USA 1890-1940 im internationalen Vergleich, Göttingen 1977, zu erwähnen. Eine neue Synthese mit ausführlichem Forschungsbericht bietet jetzt: Horst Möller, Europa zwischen den Weltkriegen (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 21), München 1998. Z. B.Juan Linz, Crisis, Breakdown, and Reequilibration (The Breakdown of Democratic Regimes I), Baltimore u. London 1978; Dirk Berg-Schlosser, Das Scheitern der Weimarer Republik. Bedingungen der Demokratie im europäischen Vergleich, in: Historical Social Research 20 (1995), S. 3-30.

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besondere Horst Möller selbst, von Beginn an darüber im klaren, daß die weitgespannte Problemstellung im Grunde die vergleichende Untersuchung mehrerer europäischer Länder erfordere. Doch ist international vergleichende historische Forschung höchst aufwendig und die zur Verfügung stehenden Ressourcen bleiben beschränkt, so daß die Konzentration auf den Vergleich der beiden zwischen den Weltkriegen bedeutendsten kontinentaleuropäischen Staaten sinnvoll u n d legitim erschien. Indes wirft der deutsch-französische Vergleich eine ganze Reihe von Problemen auf. 10 Dies betrifft nicht n u r die von Hartmut Kaelble konstatierte vorübergehende „Entfremdung" der deutschen u n d französischen Gesellschaft im späten 19. u n d frühen 20. Jahrhundert, die freilich noch eingehender zu erforschen wäre. 11 Den Vergleich erschweren auch solche Faktoren wie der ganz unterschiedliche Staatsaufbau beider Länder, der ungleiche u n d regional stark differenzierte Industrialisierungs- u n d Urbanisierungsgrad, die konträre konfessionelle Signatur oder die einfache, aber folgenreiche Tatsache, daß Frankreich als Siegermacht aus dem Ersten Weltkrieg hervorging, Deutschland dagegen durch die Niederlage in höchstem Maße traumatisiert wurde. In den Parteien u n d Verbänden wies Deutschland eine signifikant höhere Organisationsquote als Frankreich auf: Die Tatsache, daß die intermediären Gewalten diesseits des Rheins weitaus stärker ausgeprägt waren, begünstigte im Vergleich zu Frankreich den korporativen Konfliktaustrag. Dem entsprach ein entscheidend höheres Maß an staatlicher Intervention, wie sie sich insbesondere in der mit Frankreich kaum zu vergleichenden Sozialstaatlichkeit der Weimarer Republik ausdrückte. 12 Hinzu kommt, daß die meisten der epochenspezifischen finanziellen, konjunkturellen u n d politischen Krisenprozesse zwar in beiden Ländern anzutreffen sind, dies jedoch in unterschiedlicher Intensität u n d vor allem in zeitversetzten Abläufen: Geldentwertung u n d (Hyper-)Inflation gab

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Zu den Problemen und Ergebnissen vergleichender Geschichtswissenschaft siehe die Bilanz von Heinz-Gerhard Haupt u.Jürgen Kocka (Hrsg.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt am Main 1996, hier v. a. die Einleitung der Herausgeber, S. 9-45. Hartmut Kaelble, Nachbarn am Rhein. Entfremdung und Annäherung der französischen und deutschen Gesellschaft seit 1880, München 1991, S. 19ff. u. 139ff. Ähnlich auch die Bilanz des Bandes Nachkriegsgesellschaften in Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Pierre Guillen und Ilja Mieck, München 1998. Vgl. dazu Gerhard A. Ritter, Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, München 2 1991, hier v. a. S. 105-114 über allgemeine Entwicklungen im Europa der Zwischenkriegszeit.

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es in Deutschland von 1920 bis 1923, inflationäre Tendenzen, schließlich die Abwertung des Franc um vier Fünftel erlebte Frankreich von 1924 bis 1926. Die Weltwirtschaftskrise erreichte Deutschland Ende 1929, Frankreich dagegen erst 1931/32; sie nahm hier eine weitaus weniger dramatische Form an, dauerte dafür aber länger, nämlich etwa bis 1938. Die offene Krise der Demokratie führte in Deutschland 1933 zum Untergang der Republik, in Frankreich setzte sie erst Ende 1933 ein, um dann bis zum Kriegsausbruch präsent zu bleiben. Um sinnvoll vergleichen zu können, hat das hier besprochene Projekt also von Beginn an einen partiell zeitversetzten Vergleich ins Auge gefaßt, der allein dem divergierenden Krisenverlauf in beiden Ländern gerecht werden kann, zugleich aber die Chronologie als genuin verursachenden Faktor stets berücksichtigen muß. Dem entspricht die Behandlung der gesamten Zwischenkriegszeit, bzw. - mit Blick auf Deutschland - ihrer demokratischen Periode während der Weimarer Republik. Mit diesem zeiüich weit ausgreifenden Untersuchungsansatz konstituiert das Projekt die Zwischenkriegszeit insgesamt als Epoche der europäischen Geschichte und nimmt ihre spezifische Entwicklungsdynamik ernst. Dies erscheint schlüssig angesichts dessen, daß der Vergleich, der j a stets auch langfristige Strukturen, Mentalitäten und Prozesse thematisiert, eine längere zeitliche Perspektive erfordert; und darüber hinaus wird so die Gefahr vermieden, die sich bei einer Beschränkung auf die Krisenzeit der dreißiger Jahre leicht ergeben könnte: die Isolation des Untersuchungsgegenstandes und die letztlich unhistorische Kappung der konstitutiven Phase bis 1929.

II. Das Gesamtprojekt besteht (bislang) aus vier Einzelarbeiten, welche die leitende Fragestellung nach der Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit unter verschiedenen, jeweils für sich stehenden, zugleich jedoch komplementär aufeinander bezogenen Perspektiven verfolgen. Zeitlich am Anfang stand eine Arbeit über politischen Extremismus in Deutschland und Frankreich, exemplarisch untersucht am Beispiel der Metropolen Berlin und Paris, die inzwischen in den „Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte" erschienen ist.13 Der Blick auf die

13

Andreas Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus in Deutschland und Frankreich 1918-1933/39. Berlin und Paris im Vergleich, München - W i e n 1999.

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Hauptstädte wird in einer zweiten Studie, die im Manuskript abgeschlossen ist, um die vergleichende Untersuchung der agrarisch strukturierten Provinzen Westmittelfrankens und der Correze erweitert. 14 Ende 1995 sind zwei weitere Arbeiten in Angriff genommen worden. Wiederum komplementär zum Untersuchungsgegenstand des Extremismus sowie zum regionalgeschichtlichen Zugriff, behandeln sie die zentrale Ebene sowie die Kräfte einer weitgefaßten politischen „Mitte". Dieser Projektteil, der „Parlament u n d politische Parteien in Deutschland u n d Frankreich 1918-1933/40" erforscht, wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. 1 5 Ausgehend von der Frage, was der Vergleich zu leisten vermag, stand daher j e d e Einzelarbeit vor der Herausforderung, eigenständige, dem Gegenstand, der Fragestellung u n d der Quellenlage angemessene Vergleichskategorien zu entwickeln. Allerdings gibt es in der Geschichtswissenschaft keine allgemein akzeptierte Theorie, die die systematische Reduktion der potentiellen Vergleichsvariablen erlauben würde. 16 Der vergleichende Historiker muß also seine theoretischen Kategorien zunächst einmal aus dem historischen Gegenstand selbst heraus entwickeln u n d begründen. Daß er sich dabei an den stärker theoretisch verfahrenden Nachbarwissenschaften orientieren kann u n d soll, bedarf keiner näheren Ausführung. Allerdings sind die hiervon ausgehenden Impulse, auch dies hat das hier vorgestellte Projekt gezeigt, kaum jemals einfach auf die Erkenntnisziele u n d Methoden historischer Forschung übertragbar. In der Regel bedürfen sie erst der Systematisierung, der Historisierung u n d der auf den Gegenstand zugeschnittenen Modifikation, bevor sie f ü r die vergleichende Geschichtswissenschaft handhabbar gemacht werden können. In dem hier besprochenen Projekt hat sich vor allem der Rückgriff auf theoretische Ansätze als fruchtbar erwiesen, die in der Politikwissenschaft profiliert worden sind. So hat sich der Schreiber dieser Zeilen 14

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16

Manfred Kittel, Politische Mentalität und Parteiwesen in der deutschen und französischen Provinz bis 1933/36. Die Bauemlandschaften Westmittelfrankens und der Correze im Vergleich (Arbeitstitel), erscheint München 2000. Thomas Raithel, Von der Krise zur Kapitulation. Vergleichende Untersuchungen zum deutschen Reichstag und zur französischen Abgeordnetenkammer 1919-1933/40 (in Bearbeitung); Daniela Neri, Die Bündnisfähigkeit sozialdemokratischer bzw. sozialistischer und bürgerlicher Parteien in der Zwischenkriegszeit (Arbeitstitel, in Bearbeitung). Vgl. dazu Hans-Jürgen Puhle, Theorien in der Praxis des vergleichenden Historikers, in: Jürgen Kocka u. Thomas Nipperdey (Hrsg.), Theorie und Erzählung in der Geschichte, München 1979, S. 119-136.

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in seiner Arbeit von einem modifizierten totalitarismustheoretischen Modell leiten lassen, das seine wesentlichen Elemente aus den klassischen Ausführungen von Carl J. Friedrich schöpft. 17 Ausgehend von dessen Merkmalen der totalitären Diktatur wird ein Idealtyp der totalitären Bewegung im demokratischen Raum gebildet, welcher in nuce auch bei Hannah Arendt bereits präsent ist.18 Im Sinne Max Webers dient dieser Idealtyp als heuristisches u n d analytisches Arbeitsinstrument, als „begriffliches Mittel zur Vergleichung und Messung der Wirklichkeit" 19 u n d damit zur Herausarbeitung nationaler Gemeinsamkeiten u n d Unterschiede. Ein solcher Idealtyp, der keineswegs mit dem Untersuchungsgegenstand selbst identisch ist, erlaubt es ζ. B., recht präzise die Entstehung u n d Entfaltung, soziale Struktur u n d Wirkung der kommunistischen Bewegung in den beiden Ländern bzw. Hauptstädten zu vergleichen. 20 Gleiches gilt für die vergleichende Analyse der extremen Rechten, die in ihren deutsch-französischen Ausprägungen zwischen einem eher ideologiearmen gegenrevolutionär-antikommunistischen Attentismus u n d dem voll ausgeprägten Typus einer totalitären Bewegung, wie ihn die NSDAP darstellte, variiert. 21 In j e d e m Fall erleichtert die Verwendung eines theoriegestützten Modells die Fokussierung der Untersuchung auf die für die Problemstellung zentralen Variablen. Ähnliches läßt sich mutatis mutandis für die Arbeit von Thomas Raithel sagen. An die von der internationalen Politikwissenschaft vorgelegten demokratietheoretischen Ergebnisse 22 anknüpfend, entwickelt er für die vergleichende Analyse der nationalen Parlamente ein funktionales Parlamentarismusmodell. Zugrunde gelegt werden vier Aufgabenfelder, die jeweils eine unmittelbare Aktivität des Parlaments erfordern: Die legislative Funktion und die Kontrollfunktion ergeben sich aus den klassischen Aufgabenfeldern der parlamentarischen Vertretungs-

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20 21 22

CarlJ. Friedrich, Totalitäre Diktatur, Stuttgart 1957. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, Frankfurt am Main 1955, S. 562 (Ideologie und Propaganda der „totalitären Bewegungen", bevor sie „die Macht haben") u. S. 578ff. („Frontorganisationen" u. Parteiorganisationen „vor der Machtergreifung"). Max Weber, Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, S. 146214, hier S. 199. Siehe Wirsching (Anm. 13), S. 161-268, 333-348, 378-436, 527-574. Ebd., S. 269-330, 437-526. Siehe etwa Winfried Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie. Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979.

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körperschaften. Dagegen sind die regierungstragende Funktion u n d die Alternativfunktion erst nach Durchsetzung der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung relevant geworden u n d bilden die Spezifika des modernen Parlamentarismus. Mittels der durch ein solches funktionales Modell entwickelten und geschärften Analysekriterien können dann die verschiedenen Phasen parlamentarischen „Funktionsverzichts" in beiden Ländern vergleichend analysiert werden, etwa durch die Untersuchung weitreichender Ermächtigungen der Regierung zum Erlaß gesetzesvertretender Rechtsverordnungen. Ebenfalls von politikwissenschaftlichen Vorüberlegungen läßt sich die Studie von Daniela Neri leiten, welche die Möglichkeiten u n d Grenzen der Zusammenarbeit sozialistischer bzw. sozialdemokratischer u n d bürgerlicher Parteien untersucht. Zugrunde gelegt wird zunächst das Modell eines „polarisierten Vielparteiensystems", das von Giovanni Sartori entwickelt worden ist u n d auf die Fälle Deutschland wie Frankreich zutrifft. 23 Fragen der Koalition und der Zusammenarbeit der Parteien besitzen hier von vornherein eine zentrale Bedeutung, u n d nicht zufällig konstatierte bereits die zeitgenössische Parteientypologie von Sigm u n d Neumann eine enge Korrelation zwischen Parteientyp u n d Koalitionsfähigkeit. 24 Das koalitionspolitische Verhalten der in dieser Arbeit untersuchten Parteien prägte daher in entscheidender Weise die Integrations· und Innovationsfunktion der Parteien innerhalb des politischen Systems.25 Auf den konkreten Vergleichsgegenstand bezogen, heißt dies, daß die Möglichkeit einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen sozialdemokratischen bzw. reformistisch-sozialistischen Parteien einerseits u n d bürgerlich-liberalen Gruppierungen andererseits einen entscheidenden Faktor demokratischer Stabilität bzw. Instabilität bildete. Empirisch sich auf den weitaus schlechter erforschten französischen Fall konzentrierend, untersucht Neri in einer Längsschnittanalyse Bedingungen, Möglichkeiten u n d Grenzen eines solchen Linksbündnisses innerhalb des französischen Parteiensystems. Einen anderen, sich ebenfalls aus dem Untersuchungsgegenstand selbst ergebenden Ansatz verfolgt Manfred Kittel in seiner vergleichen23

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Giovanni Sartori, Parties and Party Systems: Α Framework for Analysis, Bd. 1, Cambridge 1976; Ders., Demokratietheorien, Darmstadt 1992. Sigmund Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik (zuerst 1932), Stuttgart u. a. "1977, S. 108 f. Vgl. dazu Ludgar Helms, Parteiensysteme als Systemstruktur. Zum methodisch-analytischen Konzept der funktional vergleichenden Parteiensystemanalyse, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 26 (1995), S. 642-657.

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den regionalgeschichtlichen Studie. Der Rückgriff auf die in der französischen „Annales"-Schule etablierte Kategorie der „longue duree" 2 6 stellt zunächst die langfristig wirksame Determinierung kollektiver Mentalitäten in den Mittelpunkt. Gerade für die Untersuchung ländlicher Räume erscheint dies adäquat, wobei die besondere Herausforderung der Arbeit darin liegt, die dialektische Verschränkung von Ereignis u n d langer Dauer vergleichend zu analysieren u n d darzustellen. Die Frage, ob langfristige Uberlieferungen u n d Mythen gerade zu Zeiten kurzfristiger Krisenschübe eine autonome Integrationskraft zu entfalten vermögen, bzw. ob ihr Fehlen der politischen Desintegration und extremistischen Tendenzen Vorschub leistet, bildet d e n n auch ein wichtiges Tertium Comparationis der Arbeit. Kittel legt in diesem Zusammenhang das Schwergewicht seiner Untersuchung auf die religiösen Elemente kollektiver Mentalitäten, was ihn zu einem vornehmlich konstrastiven Vergleich führt: Für die Krise Europas in der Zwischenkriegszeit u n d die Strategien zu ihrer Bewältigung stellten tief in der Geschichte verwurzelter deutscher Bikonfessionalismus und mittelfränkisches Luthertum ein grundsätzlich anderes Perzeptions- u n d Handlungspotential bereit als französischer Republikanismus u n d Laizismus.

III. Zusammengenommen wird das Projekt als Ganzes einen tieferen Erkenntnisgrad erlauben, als es j e d e r der vier Einzelarbeiten für sich gen o m m e n möglich wäre. Zwar ist es noch zu früh, definitive Ergebnisse des Projektes zu formulieren; u n d zweifellos bedürfte es noch weiterer Einzelstudien, um einen umfassenden Vergleich zu erlauben. 2 7 Gleichwohl seien im folgenden einige vorläufige Resultate des Gesamtprojektes zumindest im Umriß angedeutet. Im Sinne der Funktion des historischen Vergleichs, der sowohl das Allgemeine als auch das Individuell26

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Siehe etwa Michel Vovelle, Die Geschichtswissenschaft und die „longue duree", in: Jacques Le Goff u. a. (Hrsg.), Die Rückeroberung des historischen Denkens, Frankfurt am Main 1990, S. 103-136; Ders., Ideologies et mentalites, Paris 1982. Verwiesen sei aber auf zwei Dissertationen, die im weiteren Kontext des Projekts angesiedelt bzw. entstanden sind: Thomas Raithel, Das „Wunder" der inneren Einheit. Studien zur deutschen und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkrieges, Bonn 1996; Stefan Grüner, Paul Reynaud und die Dritte französische Republik. Liberalismus in Frankreich zwischen den beiden Weltkriegen, phil. Diss. Regensburg 1996.

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Besondere herauszuarbeiten hat 28 , sollen zunächst diejenigen Faktoren hervorgehoben werden, die als deutsch-französische Gemeinsamkeiten gelten können. O h n e Zweifel dokumentiert das Projekt bereits jetzt eine erhebliche, auf den ersten Blick vielleicht überraschende Bandbreite an Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen u n d der französischen Zwischenkriegsdemokratie. Dies betrifft, in jeweils exemplarischer Weise, soziale, ökonomische u n d politische Realitäten gleichermaßen. So verbanden etwa das westliche Mittelfranken u n d die Correze in sozialökonomischer Hinsicht viele Gemeinsamkeiten: Bei weitgehender Abwesenheit des ländlichen Großgrundbesitzes dominierte hier wie dort der bäuerliche Familienbetrieb, während Dienstboten und Tagelöhner weniger als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausmachten. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden beide Regionen von der Strukturkrise der ländlichen Gesellschaft erfaßt, die sich insbesondere in einer starken Tendenz zu „Landflucht" u n d Abwanderung niederschlug. Auch die beiden metropolitanen Großräume, die jeweils zu den wichtigsten Industrie· u n d Dienstleistungszentren des Landes gehörten, wiesen analoge Strukturen auf u n d unterlagen höchst ähnlichen Veränderungsprozessen. In Paris wie in Berlin dominierten die Metall- u n d die Bekleidungsindustrie, in denen weitaus die meisten Erwerbstätigen ihr Auskommen fanden. Während in ersterer vor allem die qualifizierten Facharbeiter den Ton angaben, bildete die Bekleidungsindustrie eine Domäne der Frauenarbeit. In beiden Hauptstädten überlagerten sich so höchst moderne, innovative Sektoren mit sehr traditionellen, im Grunde vorindustriell geprägten Produktions- u n d Vertriebsstrukturen. Berlin u n d Paris glichen sich in der Altersstruktur ihrer Bevölkerung, und in der französischen Hauptstadt gab es, anders als dies im überwiegenden Teil der französischen Provinz der Fall war, während der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre auch eine ausgesprochene Massenarbeitslosigkeit. Auch in finanzpolitischer Hinsicht hatten beide Länder mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen. Der Status als Siegermacht, den 28

So schon Otto Hintze, Soziologische und geschichtliche Staatsauffassung (1929), in: Ders., Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, hrsg. v. Gerhard Oestreich, Göttingen 1964, S. 239-305, hier S. 251. Allerdings dürfte Hintzes Auffassung, wonach es Aufgabe des Soziologen sei, das Allgemeine zu finden, das dem Verglichenen zugrunde liegt, während es dem Historiker obliege, die Individualität der verglichenen Gegenstände schärfer zu erfassen (ebd.), aus heutiger Sicht überholt sein. Vgl. auch Haupt u. Kocka, Einleitung (Anm. 10), S. 11, sowie Jürgen Kocka, Historische Komparatistik in Deutschland, in: Geschichte und Vergleich (Anm. 10), S. 47-60, hier S. 52.

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Frankreich 1918/19 einnahm, konnte nicht lange darüber hinwegtäuschen, daß die Staatsfinanzen durch den Krieg im Grunde in ähnlicher Weise wie in Deutschland ruiniert worden waren. Die Krise des Franc im Anschluß an die Ruhrbesetzung von 1925, der Dawes-Plan u n d die Inflation von 1924 bis 1926, schließlich die Stabilisierung der französischen Währung auf einem Fünftel ihrer Vorkriegsparität dokumentierten dies eindrücklich. Indes wurden damit haushalts- u n d steuerpolitische Problemfelder virulent, die die Steuerungskapazitäten des parlamentarischen Systems auch in Frankreich auf neuartige Weise herausforderten u n d belasteten. Dies trug dazu bei, daß auch in Frankreich eine zunehmende Dysfunktionalität des parlamentarischen Systems zu beobachten ist. Ihren Ausdruck fand sie bereits Mitte der zwanziger, dann aber v. a. in den dreißiger Jahren im mächtigen Trend zum partiellen Funktionsverzicht des Parlaments durch Ermächtigungen sowie im Ruf nach einer letztlich nur gegen die Rechte der Abgeordnetenkammer durchsetzbaren Stärkung der Exekutive. Zugleich erwiesen sich die Gegensätze zwischen der sozialistischen S. F. I. O. u n d den bürgerlichen Mittelparteien gerade in sozial-, haushalts- u n d steuerpolitischer Hinsicht letztlich als unüberbrückbar, so daß die Regierungen des „Linkskartells" wie auch der Volksfront 1926, 1934 und 1938 nach jeweils zweijähriger, problembelasteter Amtszeit an ihren inneren Widersprüchen scheiterten. Auch die späte Dritte Republik ist daher durch extremistische und antiparlamentarische Massenbewegungen gekennzeichnet. Die aus der Weimarer Republik bekannte „Zangenbewegung" von der extremen Linken wie von der extremen Rechten stellte auch in Frankreich in wohl weitaus stärkerem Maße einen Faktor der politischen Kultur dar, als dies bislang beachtet worden ist, u n d war der Ausgangspunkt eines nicht zu unterschätzenden Ausmaßes an politischer Gewalt. Wie stets in der französischen politischen Geschichte bildete die Pariser Region dabei einen besonderen Brennpunkt. Mit dem Kommunismus bolschewistischer Provenienz vermochte sich in Deutschland wie in Frankreich, hier zumindest bis 1934, eine Partei zu etablieren, die das bestehende System radikal bekämpfte u n d deren politische Sprache keinen Zweifel daran ließ, daß sie einen revolutionären Bürgerkrieg als eine historische u n d infolgedessen auch erstrebenswerte Notwendigkeit betrachtete. Diese Form der aus dem Ersten Weltkrieg geborenen totalitären Herausforderung bedeutete im politischen Spektrum Deutschlands wie Frankreichs etwas grundsätzlich Neues u n d rief in beiden Ländern gleichermaßen heftige Gegenbewegungen hervor. Von weiten Teilen

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des politisch-gesellschafdichen Spektrums wurde der Kommunismus als Bedrohung empfunden. Die Reaktionen auf die linksextreme Bewegung seit dem Ende des Ersten Weltkriegs standen dabei in beiden Ländern häufig im Zeichen eines bürgerlichen Notwehr- und Ordnungskonzeptes, das sich an der Verteidigung des persönlichen Eigentums und der öffentlichen Sicherheit orientierte. Ihm entsprach auch in Frankreich das normativ verabsolutierte Leitbild der in sich geschlossenen Nation, das dem interessenpluralistischen und parlamentarischen Konfliktaustrag keinen Raum mehr zu lassen bereit war und fließende Ubergänge zu einem französischen „Faschismus" aufwies.

IV. Aus all dem ergibt sich, daß j e d e Diskussion um einen deutschen „Sonderweg" nur vor dem Hintergrund der Erkenntnis geführt werden sollte, daß die Zwischenkriegszeit durch eine gemeineuropäische Krise gekennzeichnet war. Die Krisenzeit der „klassischen Moderne" war den sich entfaltenden Industriegesellschaften endogen; sie erfaßte alle europäischen Staaten und eben auch eine „alte" Demokratie wie die französische Dritte Republik. Epochenspezifische Faktoren der Krise bildeten umfassende Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse ebenso wie finanzpolitische Kriegsfolgelasten und gestörte Wirtschaftskreisläufe; parlamentarischen Funktionsdefiziten und parteipolitischen Koalitionsproblemen standen antiparlamentarische Protestpotentiale und extremistische Massenbewegungen gegenüber, die zur politischen Gewalt neigten. Alle diese Faktoren lassen sich in Frankreich wie in Deutschland nachweisen, die tatsächlich auch in der Zwischenkriegszeit „Nachbarn und Zeitgenossen" waren, „einer durch den anderen ohne Unterlaß beeinflußt, in ihrer Entwicklung gerade aufgrund ihrer Nähe und Gleichzeitigkeit denselben großen Wirkungskräften unterworfen". 2 9 Unzweifelhaft repräsentieren beide Länder unterschiedliche Ausprägungen eines gemeinsamen Weges in die Moderne. Die sich abzeichnenden Ergebnisse des Projekts werfen daher zunächst sehr nachdrücklich die weiterführende Frage auf, inwieweit sich die empirisch verifizierbaren deutsch-französischen Gemeinsamkeiten auch als gemeineuropäische Krisenfaktoren verallgemeinern las29

Marc Bloch, Pour une histoire comparee des societes europeennes, in: Ders., Melanges historiques, Bd. I, Paris 1963, S. 16-^0, hier S. 19.

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sen. Zwar wird mit einer - freilich auch erst noch vergleichend zu erforschenden - Ausnahmestellung Großbritanniens zu rechnen sein. Und natürlich stellte auch Frankreich selbst mit seiner singulären Revolutionsgeschichte einen „Sonderweg" dar. Doch wäre der Rückzug auf ein historistisch-individualisierendes „Es gibt ohnehin n u r Sonderwege" allzu bequem. Die Geschichtswissenschaft würde sich damit der Möglichkeit berauben, die gemeineuropäische Signatur der Krise zwischen den Weltkriegen mit den ihr eigenen Methoden zu erfassen. Und gerade das im deutsch-französischen Vergleich ermittelte Nebeneinander von einer erheblichen strukturellen Heterogenität zwischen beiden Ländern u n d einer Vielzahl gleichwohl nachweisbarer Gemeinsamkeiten spricht dafür, daß es sich dabei nicht u m kontingente, sondern um regelhafte Ubereinstimmungen handelte. Solche Ubereinstimmungen könnten möglicherweise tatsächlich Elemente bieten für die historische Konstruktion des Modells einer (west-) europäischen „Normalentwicklung", das dann allerdings nicht mehr, wie dies implizit in den siebziger Jahren der Fall war, auf einer linear-normativ ausgerichteten Modernisierungstheorie beruhen würde, sondern die h o h e Krisenhaftigkeit der „klassischen Moderne" als gemeineuropäisches Phänomen ernst n e h m e n müßte. Eben diese Erkenntnis wäre die logisch notwendige Voraussetzung, um in einem weiteren Schritt die nationalspezifischen Differenzvariablen zu isolieren und angemessen zu interpretieren. Und damit sind die durch den deutsch-französischen Vergleich ermittelten Unterschiede angesprochen. Die bisher vorliegenden Einzeluntersuchungen des Gesamtprojektes zeigen bzw. deuten an, daß es häufig kulturelle Faktoren waren, welche die deutsche Entwicklung substantiell von der französischen unterschieden. Tatsächlich scheinen die gravierenden, langfristig gewachsenen deutsch-französischen Traditionsdifferenzen maßgeblich für die schwächer ausgeprägte Krisenresistenz verantwortlich zu sein, die es für die Weimarer Republik zu konstatieren gilt. Am augenfälligsten ist dies beim Vergleich des evangelisch-lutherischen Mittelfranken mit der republikanisch-laizistisch geprägten Correze, auf deren h o h e sozialökonomisch-strukturelle Ähnlichkeit bereits hingewiesen wurde. Die für die Dritte Republik insgesamt charakteristische kulturelle Hegemonie des revolutionär begründeten republikanischen Laizismus mit seinem Mythos von 1789 kennzeichnete die Correze in besonderer Weise u n d verfestigte sich seit Ende des 19. Jahrhunderts parteipolitisch zunächst in der Etablierung des Parti radical, sodann im Aufschwung der Sozialisten. Sichtbares Zeichen dieser linksrepublikanischen politi-

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sehen Tradition u n d Orientierung der correzischen Landbevölkerung war im Mai 1936 der Triumph der Volksfront. Demgegenüber blieb das westliche Mittelfranken durch den die deutsche Geschichte prägenden Bikonfessionalismus bestimmt: In einer doppelten, stark von der lutherisch-orthodoxen Pfarrerschaft ausgehenden Wendung gegen liberale Schulpolitik u n d bayerischen „Ultramontanismus" orientierte es sich politisch seit dem Kulturkampf der 1870 er Jahre zunehmend am Lager der Deutschkonservativen. Während nach 1918 in der Correze Parti radical u n d Sozialisten zu integrierenden laizistischen Milieuparteien wurden, profitierten vom lutherischen Ressentiment des westlichen Mittelfranken zunächst die DNVP, sodann die NSDAP als „evangelische Integrationsparteien". 30 Besonders apart ist dabei, daß sich trotz höchster politisch-ideologischer Divergenz die Milieuzusammenhänge in formal-struktureller Hinsicht weitgehend ähnelten: So gab es in beiden Regionen stark dominante „Sozialfiguren", denen entscheidende Vermittlungsfunktionen zukamen: In der Correze war es der republikanische „instituteur", in Mittelfranken dagegen der evangelische Gemeindepfarrer. Diesen exemplarisch-regionalgeschichtlichen Erkenntnissen entspricht es, wenn die in Frankreich hegemoniale republikanische Tradition auch auf das Problemfeld „Parlament u n d Parteien" maßgeblich einwirkte u n d eine durchaus systemstabilisierende Funktion ausübte. So hinderten die oben bereits erwähnten tiefgreifenden finanz- u n d sozialpolitischen Gegensätze, die zwischen Parti radical und S. F. I. O. bestanden, beide Parteien nicht daran, immer wieder gemeinsam kulturelle „Scheinthemen" wie die eher künsüiche Wiederbelebung des Gegensatzes zwischen Laizismus u n d Klerikalismus erfolgreich in den Vordergrund zu spielen. Gerade in Wahlkampfzeiten überwog dabei nicht selten die republikanische Pose die konkret-politischen Inhalte. Doch wußten beide Parteien damit im Zeichen des „Linksbündnisses" die republikanische Phantasie der Wähler anzusprechen. Die linksrepublikanische Alternative im Zeichen des Fortschritts u n d der sozialen Gerechtigkeit zog in Frankreich immer wieder die Hoffnungen vieler auf sich u n d übte eine stete parlamentarische .Alternativfunktion" aus. Demgegenüber stand der „fragmentierten" politischen Kultur der Weimarer 30

Die große Bedeutung, welche die NSDAP in ländlich-protestantischen Regionen quasi als evangelische „Milieupartei" erzielen konnte, ist kürzlich auch hervorgehoben worden von Wolfram Pyta, Dorfgemeinschaft und Parteipolitik 1918-1933. Die Verschränkung von Milieu und Parteien in den protestantischen Landgebieten in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1996.

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Republik kein revolutionärer Traditionsschatz und kein historisch gewachsener, bereits erprobter republikanischer Grundkonsens zur Verfügung, der einen lager- und schichtenübergreifenden Brückenschlag ermöglicht hätte. Weder die Weimarer noch die Große Koalition stellten ein imaginationsförderndes Modell dar, das auch nur von ferne der Bedeutung der französischen „Linksbündnisse" entsprochen hätte. Auch in bezug auf die parlamentarische Praxis hatten diese deutschfranzösischen Traditionsdifferenzen ihre Auswirkungen. Als sich ζ. B. die Regierung der Großen Koalition unter Reichskanzler Stresemann im Oktober 1923 ein sehr weitgehendes Ermächtigungsgesetz bewilligen ließ und damit auch einen Ausweg aus den Problemen konkreter Gesetzgebung im Rahmen einer äußerst heterogenen Koalition fand, stieß dieses in der Weimarer Republik noch nicht gekannte Maß an legislativem Funktionsverzicht kaum auf grundsätzliche Bedenken. Allein mit der gespannten innenpolitischen Lage in der Endphase der Hyperinflation ist dies nicht zu erklären, vielmehr fehlte es offenkundig auch an einem historisch begründeten Bewußtsein von der potentiellen Gefährdung parlamentarischer Rechte. Statt dessen dominierte das Bestreben, die Wahrnehmung parlamentarischer Kompetenzen der vermeintlichen „Staatsverantwortung" unterzuordnen. Als dagegen der französische Ministerpräsident Poincare im März 1924 von einer liberal-konservativen Mehrheit eine relativ enge Ermächtigung erhielt, Maßnahmen zur Verwaltungsreform per „decrets-lois" durchzuführen, war dies von scharfen Kontroversen begleitet. In ihrem Verlauf wurde von dem sich bereits konstituierenden „Cartel des Gauches" die Ermächtigung der Exekutive vehement als nicht mit der republikanischen Tradition vereinbar kritisiert. Im Rückgriff auf die Nationalgeschichte wurde gleichzeitig vor den Gefahren einer parlamentarischen Entmachtung gewarnt. Nach dem Wahlsieg des Linkskartells rückte die neue Regierung unter Herriot denn auch demonstrativ vom Instrument der „decrets-lois" ab. Der Rekurs auf die republikanische Tradition erleichterte hier also zeitweise die Aktivierung parlamentarischer Funktionen und bremste vorübergehend den Prozeß parlamentarischen Funktionsverzichtes. Schließlich besaß die Tatsache, daß die französische Republik über einen mit Erfolg und Größe konnotierten revolutionären Traditionsschatz verfügte, auch für die Entwicklung des politischen Extremismus entscheidende Bedeutung: Zur heroisierten und mythologisierten revolutionären Tradition von Paris etwa behielt der Parti Communiste Frangais (P. C. F.) stets ein Nahverhältnis. In den dreißiger Jahren erleichter-

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te ihm dies den Übergang zur zumindest nach außen gewendet republikanisch orientierten Volksfronttaktik sowie die ideologische Integration des ursprünglich als „bürgerlich" abgelehnten 14. Juli 1789 in die eigene politische Identität. Beides trug maßgeblich zur relativen Entradikalisierung des P. C. F. Mitte der dreißiger Jahre bei. Demgegenüber zeichnete die KPD eine unüberwindliche Distanz zur deutschen Geschichte aus. Uneingeschränkt „positive", eine erfolgreiche revolutionäre Tradition vermittelnde Elemente konnten die deutschen Kommunisten in der deutschen Geschichte nicht finden. Die Flucht aus der eigen e n Geschichte wurde daher in weitaus höherem Maße durch die Konstruktion „erfundener" Traditionen 3 1 kompensiert, als dies in Frankreich der Fall war. Die bei der KPD zu konstatierende starke Ideologisierung u n d ihre besondere Neigung zu einem abstrakten Voluntarismus besitzen in diesen Traditionsdifferenzen eine wichtige Wurzel. 32 Ahnliches gilt für das Verhältnis der extremen Rechten zu den nationalen Traditionen. Zwar stellte der französische „Faschismus" das bestehende Regime in m e h r als einer Hinsicht in Frage; doch seine Protagonisten unterlagen in der Öffendichkeit der republikanischen Diskursdisziplin. Sich öffentlich gegen die „republikanische" O r d n u n g auszusprechen, konnte sich ein französischer Politiker bei Strafe der politischen Marginalisierung nicht leisten. Auch wenn längst nicht immer klar war, wie der in den dreißiger Jahren zunehmend entleerte Formelbegriff „Republik" konkret zu füllen war, suggerierte seine Evozierung doch zumindest auf der politisch-rhetorischen Ebene eine traditionsbedingte Stabilität, für die es in Deutschland kein Äquivalent gab. Unter dem Strich betrachtet, legen die sich bislang abzeichnenden, hier n u r kurz skizzierten Ergebnisse des Projekts also den Gedanken nahe, daß vor allem bestimmte kulturelle Faktoren bzw. Defizite das Schicksal der Demokratie in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich beeinflußten. Tatsächlich muß im Vergleich zu Frankreich hervorgehoben werden, daß in Deutschland die Absenz einer positiv besetzbaren revolutionären Tradition sowie der Mangel an Erfahrung im parlamentarischen System 33 die Krisenresistenz erheblich minder31

32 33

Zum Begriff der „invented tradition" siehe die Einleitung von Eric Hobsbawm in: Ders. u. Terence Ranger (Hrsg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983, S. 1-14. Siehe dazu Wirsching (Anm. 13), S. 349ff. Vgl. dazu Horst Möller, Parlamentarismus in Preußen 1919-1932, Düsseldorf 1985, v. a. S. 577ff., der die „Sonderwegsthese" unter Verweis auf die vom Reich divergierende, gleichsam „normale" Funktionsstabilität des preußischen Parlamentarismus ablehnt. Stärker im Sinne der „klassischen" Sonderwegsthese argumentierend jetzt: Heinrich

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ten. Am Ende könnte so die Einsicht untermauert werden, daß es dem 1871 gegründeten Nationalstaat an einer gemeinsam durchlebten u n d durchlittenen Geschichte mangelte, die sich im Sinne einer „Whig Interpretation of History", d. h. als lineare Fortschrittsgeschichte interpretieren u n d auch ideologisieren ließ. In der Orientierungslosigkeit der „Klassischen Moderne" traten an ihre Stelle n u r allzuoft Utopismus, ideologischer Voluntarismus oder auch atavistische Vorstellungen. Oder es blieben die nackten Interessengegensätze übrig, die sich nicht durch einen gemeinsamen kulturellen Nenner transzendieren ließen. Sollten sich diese vorläufigen Erkenntnisse des hier diskutierten Projektes erhärten, so wäre am Ende ein im doppelten Sinne differenziertes Ergebnis zu erwarten: Einerseits zeichnen sich Elemente einer (west-) europäischen „Normalentwicklung" ab, an der die Weimarer Republik in großem Umfang partizipierte. Andererseits entsprach die Dritte Französische Republik dem Modell j e n e r Normalentwicklung in deuüich höherem Maße als die erste deutsche Demokratie. Und es besteht zumindest eine Art ,Anfangsverdacht", daß sich zwischen den Weltkriegen die gemeineuropäische Krisenzeit der „Klassischen Moderne" mit der Endphase eines spezifisch deutschen „Sonderweges" unheilvoll verschränkte. Erst vor diesem doppelten Hintergrund erhielte der Untergang der Weimarer Republik seine volle Signifikanz.

A. Winkler, Die deutsche Abweichung vom Westen. Der Untergang der Weimarer Republik im Lichte der „Sonderwegs"-These, in: Gestaltungskraft des Politischen. Festschrift für Eberhard Kolb, hrsg. v. Wolfram Pyta u. Ludwig Richter, Berlin 1998, S. 127-137, hier v. a. S. 132-134. Resümierend zur Parlamentarismusgeschichte in Deutschland Thomas Kühne, Parlamentarismusgeschichte in Deutschland. Probleme, Erträge und Perspektiven einer Gesamtdarstellung, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), S. 323-338.

Nachknegsgeschichte (Besatzungszeit - Bundesrepublik Deutschland - DDR)

Rudolf Morsey Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949 Ein frühes Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte und des Bundesarchivs1 Die rasche Etablierung der Zeitgeschichte nach 1945 begünstigte zunächst die Beschäftigung mit der Weimarer Republik und der HitlerDiktatur. Seit den frühen sechziger Jahren begann dann die Erforschung der viereinhalb Jahre dauernden Besatzungsherrschaft in Deutschland. Das galt zunächst allerdings (und noch lange) nur für die Entwicklung im Gebiet der drei Westzonen, in denen die Siegermächte eine Demokratiegründung durch begrenzte Erziehungsdiktatur praktizierten. Mitte der siebziger Jahre lagen bereits zahlreiche Dokumentationen und Uberblicksdarstellungen sowie thematisch ausgerichtete Monographien vor, eingeschlossen (1975) die sechste Auflage des Bestsellers von Thilo Vogelsang, Das geteilte Deutschland (1966). Dabei blieb das Forschungsinteresse vornehmlich auf die Entwicklung in der amerikanischen Zone konzentriert, weil dafür am frühesten einschlägige Quellen, zunächst amerikanischer Provenienz, zur Verfügung standen, darunter aus der Reihe „Foreign Relations" die Bände für die Jahre 1945 bis 19492 und die Edition „The Papers of General Clay".3 Hinzu kamen Publikationen von Historikern und Politikwissenschaftlern, die teilweise selbst in der Besatzungsverwaltung tätig gewesen waren.4 1

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Band 1: September 1945 - Dezember 1946, bearb. von Walter Vogel und Christoph Weisz, München 1976, 1197 Seiten; Band 2: Januar - Juni 1947, bearb. von Wolfram Werner, 1979, 654 Seiten; Band 3: Juni - Dezember 1947, bearb. von Günter Plum, 1982, 1062 Seiten; Band 4: Januar - Dezember 1948, bearb. von Christoph Weisz, Hans-Dieter Kreikamp und Bernd Steger, 1983, 1076 Seiten; Band 5: Januar - September 1949, bearb. von Hans-Dieter Kreikamp, 1981, 1150 Seiten. Washington 1960-1974. Germany 1945-1949, hrsg. von Jean E. Smith, Bloomington 1974. Die frühe Zugänglichkeit amerikanischer Aktenbestände führte zu einer Ungleichgewichtigkeit in der Beurteilung der Deutschlandpolitik der drei Westmächte, die in der Forschung - auch für die Zeit nach 1949 - charakteristisch blieb.

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Schließlich konnten damals bereits einzelne Forscher Teile des amtlichen Schriftguts zonaler und überzonaler Institutionen und Gremien, die mit Beginn der Bundesrepublik Deutschland aufgelöst bzw. übergeleitet worden waren5, benutzen, auch Unterlagen einzelner Parteien aus der Zeit des zentralstaatlichen Interregnums. Schon Anfang der sechziger Jahre waren Hans-Peter Schwarz für sein 1966 erschienenes Standardwerk „Vom Reich zur Bundesrepublik"6 „portionsweise" auch amüiche deutsche Akten zugänglich, darunter die Protokolle der Konferenzen der elf Ministerpräsidenten aus den Ländern der drei Westzonen im Sommer 1948; er durfte diese zentrale Quelle allerdings noch nicht zitieren7; sie wurde 1975 ediert.8 Ebenfalls auf einer vergleichbar breiten Quellenbasis, auch amerikanischer Provenienz, beruhte Lutz Niethammers Studie von 1972, „Entnazifizierung in Bayern". Zu den bis Mitte der siebziger Jahre bereits aufbereiteten Materialien zählten ferner die „Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945" 9 sowie die Protokolle des Zonenausschusses der CDU in der britischen Zone.10 Schließlich lagen schon gewichtige Politiker-Memoiren vor, ferner erste Politiker-Biographien. Die Quellenlage verbesserte sich schlagartig mit dem Beginn des Erscheinens der .Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland" (künftig: AVBD). Das Konzept dieser fünfbändigen Edition mit insgesamt 5139 Seiten war - wie aus dem Vorwort von Band 1 hervorgeht (S. 5—11)11 - seit 1970 in Zusammenarbeit des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München mit dem Bundesarchiv (BA) in Koblenz entwickelt worden. Dieses voluminöse Werk konnte bis 1983 abgeschlossen werden. Es schuf eine neue Grundlage zur Erforschung der Geschichte

Vorzüglich nachgewiesen in der Dokumentation von Walter Vogel, Westdeutschland 1945-1950. Der Aufbau von Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen, 3 Teile, Koblenz - Boppard 1956-1983. 6 Untertitel: Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945—1949, 2., erweiterte Aufl. Stuttgart 1980. ' S. LXXVIII. 8 Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv. Bd. 1: Vorgeschichte, bearb. von Volker Johann Wagner, Boppard 1975. 9 Bearb. und hrsg. von Ossip Κ Flechtheim (9 Bde.), Berlin 1961-1972. 10 Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone 1946-1949, bearb. von Helmuth Pütz, Bonn 1975. Noch während der Publikationsdauer der AVBD erschienen die Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion des Parlamentarischen Rates unter dem Titel: Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, bearb. von Rainer Salzmann, Stuttgart 1981. 11 Verweise auf einzelne Seiten in den Bänden sind in den Text eingefügt. 5

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des größten Teiles von „Potsdam-Deutschland" - des um seine Ostgebiete u n d das Saargebiet verkleinerten, in vier Besatzungszonen aufgeteilten Reiches - , in dem etwa dreiviertel der Deutschen lebten. Im folgenden soll zunächst die Zielsetzung des Projekts AVBD in Erinnerung gerufen werden, ergänzt um einen Uberblick über Schwerpunktsetzungen bzw. -Verlagerungen in den einzelnen Bänden. In einem dritten Teil werden einzelne inhaltliche Aspekte referiert u n d schließlich der Beitrag der AVBD zur Erforschung der „Vorgeschichte" der Bundesrepublik Deutschland bilanziert. Diese Edition war das erste Gemeinschaftsprojekt des IfZ mit einer anderen Forschungseinrichtung, in diesem Fall mit dem BA. Im Vorwort zum ersten Band haben die beiden Herausgeber, Martin Broszat u n d Hans Booms, das Projekt vorgestellt u n d begründet. Danach war es dessen Ziel, im Unterschied zu den damals bereits vorliegenden Arbeiten über die Rolle Deutschlands als Objekt der internationalen Politik, die „engere Perspektive der inneren deutschen Politik" in den Blick zu rücken u n d den „vielgestaltigen Prozeß" der Wiederherstellung deutscher Staadichkeit zu verdeutlichen, allerdings n u r im „Teilgebiet" der drei westlichen Besatzungszonen, deren Entwicklung im Rückblick als „Vorgeschichte" der Bundesrepublik Deutschland erschien. Die „Eindeutigkeit des Weges" auf diese „staatlich-territoriale Abgrenzung" hin habe sich allerdings erst allmählich herausgestellt, j e d e r „größere Schritt" des Wiederaufbaus jedoch zur „präjudizierenden Festigung administrativer Organe u n d Zuständigkeiten, r e c h l i c h e r N o n n e n u n d gesellschaftlicher Strukturen" geführt u n d so künftige Gestaltungsmöglichkeiten vorgeprägt bzw. eingeengt. Andererseits hätte das Offenhalten von Alternativen, „wenn überhaupt", nur durch „weiteres Verharren im Zustand materieller Verelendung u n d politischer Fremdbestimmung" erkauft werden können. 1 2 Erst die Einbindung der Westzonen in die vom „Kalten Krieg" geprägte Weltlage habe deren „unverhofft raschen materiellen Wiederaufbau u n d partielle politische Mitbestimmung" ermöglicht, allerdings n u r bei gleichzeitiger Festlegung auf die „übergeordneten Interessen u n d Strategien" der Westmächte. Nach dieser - nach wie vor gültigen - Analyse beschrieben die Herausgeber die deutschen „Partner", deren amtliches Schriftgut in den

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Mit dieser Feststellung traten die Herausgeber verbreiteten „revisionistischen" Ansichten entgegen, die - angefangen mit einer unangemessenen Aufwertung der 1945 er „Antifa-Ausschüsse" - Denk- und Handlungsmöglichkeiten als realistische Alternativen überschätzten.

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AVBD ediert ist. Dabei handelt es sich zunächst um die von den Machthabern - noch vor der Wiederzulassung von parteipolitischer und parlamentarischer Betätigung - eingesetzten Chefs der deutschen Spitzenverwaltungen in den Provinzen, Ländern u n d Zonen sowie diejenigen Gremien der 1946 errichteten Bizone, die im „Vakuum deutscher Staatlichkeit" bis 1949 hin gegenüber den Besatzungsmächten „ersatzweise" Politik gemacht bzw. zu machen versucht hätten. In Konsequenz dieser Zielsetzung kommen die Parteien, obwohl sie früh ihren ,Anspruch auf nationale Repräsentation" anmeldeten, nicht zu Wort. Die Publikation der AVBD begann 1976, nach Ablauf der auf 30 Jahre festgesetzten Sperrfrist für amtliches Schriftgut. Um die „Vorformen westdeutschen Regierungs-Handelns oberhalb der Länderebene" zu dokumentieren, galt es, editorische Sonderprobleme zu lösen; denn es ging um Akten von Institutionen u n d Gremien, die „neben- u n d nacheinander mit wechselnder Bedeutung den westdeutschen Regierungsersatz darstellten". Das galt für den Länderrat in Stuttgart u n d den Zonenbeirat in Hamburg, die Konferenzen der Länder- u n d Provinzchefs der britischen Zone, den Exekutiv- bzw. Länderrat in Frankfurt sowie dessen Direktorium bzw. den Verwaltungsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets (künftig: VWG). Deren jeweilige Dokumente von „historischem Gewicht" (S. 87) - Sitzungsberichte dieser Gremien - sind in chronologischer Folge aneinandergefügt, dabei auch Wortprotokolle in Kurzprotokolle inseriert und lange, aber „unergiebige" Dokumente durch Konzentration auf die Tagesordnungspunkte reduziert. Auf diese Weise besitzt die Edition streckenweise Inventarcharakter. Ein derartiger Provenienz- und Quellenmix macht die eine Besonderheit der AVBD aus. Die andere liegt darin, daß die französische Zone abgesehen von wenigen Dokumenten in Band 4 u n d einigen mehr in Band 5 - nicht einbezogen worden ist, weil es dort keine den beiden anderen Zonen vergleichbare Einrichtungen über den Ländern gab (S. 8). Angesichts dieser gravierenden inhaltlichen Begrenzung hätte es - bei ohnehin vollständiger Ausklammerung der sowjetischen Zone - nahegelegen, diese Begrenzung durch einen entsprechenden Untertitel kenntlich zu machen. Die Herausgeber regten statt dessen an, die entsprechende Lücke durch komplementäre Aktenpublikationen aus der Uberlieferung des Schriftguts der einzelnen Länder wie der Militärregierungen zu füllen. Alle Bände enthalten einen ungewöhnlich umfangreichen Anmerkungsapparat, in dem die jeweiligen Bearbeiter, über Bestandsbeschreibungen, Texterläuterungen u n d Verweisungen hinaus, akribisch zuge-

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hörige Sachvorgänge erschlossen u n d aus weiteren Quellenbeständen eine Fülle zusätzlicher Informationen beigesteuert haben. Auf diese Weise schlugen sie weitere Schneisen in das verwirrende Dickicht der (bi-)zonalen Entscheidungsgremien u n d ihrer Entscheidungsprozesse. Die dichte Kommentierung ist ein besonderes Markenzeichen dieser Edition, zu loben auch das ausführliche Sachregister jedes Bandes. Die Bearbeiter haben „ihren" Bänden jeweils lange Einleitungen vorangestellt, in einer Kombination von Sachdarstellung der internationalen Politik und des darin eingebetteten Deutschlandproblems, von Hinweisen auf einzelne Dokumente u n d deren Bedeutung, u n d alles unter Einbeziehung der Forschungsliteratur. Auf diese Weise bilden die fünf Einleitungen mit einem Gesamtumfang von 316 Seiten, inklusive 1730 Anmerkungen, ein Buch für sich. Sie sind jedoch, wie alle frühen Zwischenbilanzen, im Zeitabstand weitgehend „überholt". Von Wert hingegen bleiben diejenigen Teile der Einleitungen, die über die Entstehung u n d Entwicklung der (bi-) zonalen Institutionen sowie ihre Zusammensetzung u n d Arbeitsweise informieren. Die Abhängigkeit der deutschen Repräsentanten von den Machthabern in diesen Jahren, in denen sich die Ministerpräsidenten als „Treuhänder des deutschen Volkes" (Hans Ehard, 1947) verstanden, aber auch Art u n d Umfang der Zusammenarbeit mit ihnen wird durch eine Fülle neuen Materials dokumentiert. Dabei konnten die Bearbeiter für die Kommentierung ab Band 2 inzwischen erschienene amerikanische Quelleneditionen nutzen, eingeschlossen ungedrucktes Material aus den umfangreichen Uberlieferungen der US-Militärregierung (OMGUS). Die Verlagerung von Kompetenzen u n d der Bedeutungsverlust deijenigen Spitzengremien, deren Verhandlungsprotokolle ediert sind, zugunsten anderer wird in der unterschiedlichen Dichte des Abdrucks entsprechender Materialien deutlich. So sind von den 49 Dokumenten in Band 1 (1945/46) 23 Niederschriften von Sitzungen des Länderrats, 10 von Tagungen des Zonenbeirats u n d 8 von Konferenzen der Chefs der Länder u n d Provinzen in der britischen Zone. Von den 35 Dokumenten in Band 2 (1947/1) gelten hingegen n u r noch 8 dem Länderrat und 3 dem Zonenbeirat, der ganz überwiegende Teil der Vorbereitung u n d dem Ablauf der Münchener Ministerpräsidenten-Konferenz vom Juni 1947. In Band 3 (1947/11) ist die Dokumentenauswahl im Verhältnis zu den beiden ersten Bänden erheblich verändert u n d die Zahl der dokumentierten Institutionen, entsprechend der politischen Fortentwicklung zum VWG, ausgeweitet. So sind 96 der insgesamt 123

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Hauptdokumente Protokolle der Sitzungen des Exekutivrats, eines Zwitters zwischen Exekutivgremium u n d kontrollierender Ländervertretung, und nur noch 8 von Sitzungen des Länderrats u n d 3 des Zonenbeirats. In Band 4 (1948) ist der Quellenschwerpunkt erneut verlagert worden. Angesichts der Fülle „dokumentierenswerter Gremien u n d Konferenzen" (S. 61), die nach der Umbildung des VWG entstanden waren, und von Institutionen, die auf zonaler Ebene weiter bestanden, waren schärfere Auswahlkriterien notwendig. So bilden den Grundstock der insgesamt 110 Aktenstücke 42 Protokolle der Sitzungen des Direktoriums des VWG, ergänzt um 26 des Exekutivrats. Dokumentiert sind ferner 27 Besprechungen der bzw. einzelner Militärgouverneure mit den bzw. einzelnen Ministerpräsidenten oder dem Exekutivrat, aber n u r noch 6 von Sitzungen des Länderrats und 5 von denen des Zonenbeirats. Beide Institutionen wurden 1948 aufgelöst. Folglich sind in Band 5 (1949) - der vor Band 3 u n d 4 erschien - Dokumente zonaler Provenienz kaum m e h r berücksichtigt. Den Hauptstock der insgesamt 81 Stücke bilden 30 Protokolle von Direktorialsitzungen, gefolgt von 25 über Besprechungen der bzw. einzelner Militärgouverneure mit den oder einzelnen Ministerpräsidenten sowie Vertretern der Frankfurter Zentralinstanzen. Der Zwang, Protokolle über Sitzungen deutscher Gremien den Militärrregierungen vorzulegen, führte in einzelnen Fällen dazu, daß „sehr freimütige Bemerkungen" nicht festgehalten oder wieder gestrichen wurden (1/S. 427, Anm. 22). Andererseits konnte auf diese Weise aber auch Kritik an die Machthaber herangetragen werden (3/S. 50). Die fünf Bände der AVBD enthalten insgesamt 398 Dokumente. Die darin angesprochenen Themen können im folgenden n u r stichwortartig wiedergegeben werden. Die Hauptaufgabe aller deutschen Gremien - das wird gleich in Band 1 deutlich - blieb die Existenzsicherung der Bevölkerung in der Trümmerwüste, u n d zwar durch Verwaltung bzw. Verteilung der Not, immer auf Weisung u n d unter Kontrolle der Militärregierungen. Am 3. April 1946 konstatierte der Hamburger Bürgermeister Petersen: „Wir sind nichts als Konkursverwalter" (S. 428). Von den zonalen Gremien gewann der Länderrat in Stuttgart als Koordinierungsinstrument der drei (ab 1947: vier) Regierungen der US-Zone rasch ein Eigengewicht. Die zu Beginn seiner Sitzungen von General Clay vorgetragenen politischen Situationsanalysen verschafften den Regierungschefs einen Informationsvorsprung auch vor ihren norddeutschen Kollegen. Sie blieben die wichtigsten Ansprechpartner der Mili-

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tärregierung und verstanden sich angesichts des Fehlens einer „nationalen Gesamtspitze" - so der hessische Ministerpräsident Geiler (S. 640) - als „legitime Erben des Reiches" (S. 34, Anm. 98). Dabei staunten sie über die milde Praxis der Entnazifizierung in der nordwestdeutschen Zone und über eine Massierung früherer, entsprechend politisch belasteter Beamter aus den Berliner Reichsministerien in den zonalen Verwaltungsämtern. Dagegen litten die süddeutschen Regierungschefs unter den Auswirkungen der harten Entnazifizierungspraxis, die sie hatten beschließen müssen, die aber andererseits auch die Voraussetzung dafür bildete - wie Reinhold Maier am 4. Oktober 1946 formulierte -, daß man „mit uns wieder anständig umgeht" (S. 902). 13 Der föderalistischen Aufbaukonzeption der amerikanischen Militärregierung setzte die britische Besatzungsmacht eine Zonenzentralverwaltung entgegen. Der daneben tagende Zonenbeirat in Hamburg besaß nur beratende Funktion.14 Seine Mitglieder, darunter die führenden Politiker, kritisierten die Konstruktion des Stuttgarter Länderrats, der zunächst ohne parlamentarische Kontrolle agierte. In deren Fehlen sah wiederum Reinhold Maier einen Vorzug, denn der Länderrat arbeite ohne „althergebrachte Langstiligkeit parlamentarischer Diskussionen" (S. 996). Hingegen erinnerte der Länderrat Kurt Schumacher an den „polnischen Reichstag im 18. Jahrhundert" (S. 431, Anm. 35). Den Vorsitzenden der SPD in der britischen Zone störte auch die supraföderalistische Einstellung des bayerischen Ministerpräsidenten und SPDVorsitzenden Wilhelm Hoegner: „Wir wollen kein .Gasthaus Zum Bayrischen Löwen'" (ebd.). Die Schwierigkeit, in der von den Militärregierungen verfügten Bildung der Bizone eine effizient arbeitende Verwaltung zu schaffen, führte Bremens Senatspräsident Wilhelm Kaisen am 14. Dezember 1946 darauf zurück, daß ,jeder seinen eigenen Misthaufen verteidigen" wolle und „nicht in das Ganze hineingeht" (S. 1136).

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Am 3. November 1947 wies Clay daraufhin, daß die „Erledigung" der Entnazifizierung für die Welt das „wichtigste Kriterium zur Beurteilung des deutschen .guten Willens'" sei (3/S. 744). Da Niederschriften über die Sitzungen des Zonenbeirats in den AVBD auf Grund der Auswahlprinzipien der Reihe sowie des Umfangs dieses Bestands nur teilweise zum Abdruck gelangten, entschloß sich die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn, diese - damals bereits als Edition vorbereitete — für die parteipolitische Entwicklung in der britischen Zone wichtige Quelle in toto zu publizieren. Bisher sind erschienen: Zonenbeirat - Zonal Advisory Council. Protokolle und Drucksachen 1946-1948. 1.—11. Sitzung 1946/47, bearb. von Gabriele Stüber. 2 Bde., Düsseldorf 1993-1994. Der Abschluß der angekündigten Fortsetzung für die 12.-22. (letzte) Sitzung 1947/48 ist noch nicht abzusehen.

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Auch in den Dokumenten in Band 2 der AVBD (1947/1) n e h m e n die Erörterungen über die Zwangs- u n d Mangelwirtschaft, die katastrophale Ernährungssituation u n d Kohlennot im extrem kalten „Hungerwinter" 1946/47 breiten Raum ein. Ein Bericht des Verwaltungsamts für Wirtschaft in Minden vom Februar 1947 schloß: „Die Lage ist hoffnungslos, aber wir arbeiten weiter" (S. 11); Clay am 5. Mai 1947: „Germany's major problem - food" (S. 411). Auf die Vorbereitung der dann gescheiterten - Moskauer Außenministerkonferenz von März/ April 1947 suchten die Regierungschefs der beiden Zonen durch Materialien eines neugeschaffenen „Deutschen Büros f ü r Friedensfragen" beim Länderrat in Stuttgart Einfluß im Sinne gesamtdeutscher Belange zu nehmen. Die Neuorganisation der Bizone mit fünf (dezentralisierten) Verwaltungsämtern erfüllte nicht die in sie gesetzten Erwartungen auf eine Besserung der Notsituation. Deutsche Instanzen sahen sich weiterhin „nur als Prügelknaben für die Militärregierung u n d Freiwild für deutsche Lumpen" - so der hessische Finanzminister Werner Hilpert am 15. Mai 1947 (S. 434). Der strukturelle Unterschied zwischen den Zonen u n d die nicht koordinierte Politik der Militärregierungen verstärkten den „Zonenföderalismus". Das 1947 in Frankfurt geschaffene parlamentarische Kontrollgremium des VWG, der Wirtschaftsrat, der öffentlich tagte, vergrößerte den Einfluß der Parteien. Deren Vorsitzende entwickelten sich zu Konkurrenten der Ministerpräsidenten. Sie bekräftigten ihren Anspruch politischer Mitsprache bei der künftigen Neuorganisation Deutschlands. Die (breit dokumentierte) Konferenz der Ministerpräsidenten vom 5 7. Juni 1947 in München besaß nicht die Möglichkeit, den künftigen gesamtdeutschen Staatsaufbau zu beeinflussen. 15 Die Konferenz „in einer der allerschwersten Krisen unserer Geschichte" (so Reinhold Maier, S. 424, Anm. 1) wurde jedoch zu einer föderalistischen Demonstration und öffnete den „seidenen Vorhang" zur französischen Zone. Sie führte erstmals j e n e elf Regierungschefs der drei Westzonen zusammen, die ein Jahr später die „Frankfurter Dokumente" ausgehändigt erhielten. 16 15

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Nach wie vor gültig ist die Beurteilung des Bearbeiters Wolfram Werner im Vorwort ( 3 / S. 43), daß es „kaum sinnvoll sei, darüber zu spekulieren, ob letztlich die französischen Vorbehalte oder die Haltung der SPD das Scheitern der Konferenz verursacht habe; denn jeder der beiden Faktoren für sich genommen reichte bereits, um die Konferenz als gesamtdeutsches Unternehmen in Frage zu stellen, da die Länderchefs der sowjetischen Zone auf Grund ihrer Instruktionen ebenfalls ohne Verhandlungsspielraum erschienen waren." In der Einführung des Bearbeiters von Bd. 3, Günter Plum, fällt eine Vorliebe für „eher linke" Positionen auf. Darauf hat Wolfgang Rudzio (in: Archiv für Sozialgeschichte 24,

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Im zweiten Halbjahr 1947 (AVBD 3/II) zeichnete sich das Scheitern der Viermächte-Verhandlungen über Deutschland ab. Die angelsächsischen Militärregierungen suchten daraufhin Mitte des Jahres das neu organisierte VWG zu stabilisieren. Es bestand n u n m e h r aus dem Wirtschaftsrat, dem Exekutivrat u n d einem Fünfer-Direktorium, kontrolliert von einem Bipartite Control Office. Mit dieser Konstruktion schien eine teilstaatliche Lösung der Deutschen Frage institutionell vorgezeichnet zu sein. Die Parteien bestritten im Frankfurter Wirtschaftsrat ihre ersten überregionalen Auseinandersetzungen. In der Konfrontation zwischen der Union, der FDP u n d der DP sowie auf der anderen Seite der SPD (plus KPD) entstand die - später im Bundestag weitergeführte - Koalition bzw. Opposition. Den neugeschaffenen Exekutivausschuß des VWG, eine regierungsähnliche Körperschaft o h n e personelle Spitze, konnte der Wirtschaftsrat - dessen „Wörtliche Berichte u n d Drucksachen 1947-1949" 1977 neu vorlagen 17 - n u r unzureichend kontrollieren. Das Weiterbestehen der zonalen Institutionen - unbeschadet der immer deutlicher hervortretenden Konfrontation zwischen den Blockmächten - über das notwendige Maß hinaus entsprach der Absicht der Militärregierungen, die Neuorganisation der Bizone ausschließlich mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten zu begründen. (In Band 3 ist kein Protokoll von einer der insgesamt fünf Sitzungen der im Frühjahr 1947 gebildeten Konferenz der Ministerpräsidenten der britischen Zone, einem weiteren Koordinations-, Beratungs- u n d Beschlußgremium, aufgenommen.) Die in Band 4 (1948) dokumentierte unmittelbare „Vorgeschichte" der Bundesrepublik, ab Juli 1948, stand im Schatten der Berliner Blockade. Sie war Anfang 1948 mit einer Umorganisation der Institutionen des VWG eingeleitet worden, erstmals unter Einbeziehung deutscher Vertreter. Ehard fand keinen Widerspruch, als er am 28. Januar 1948 versicherte: „Wir sind einig darüber, daß wir unter keinen Umständen einen Weststaat wollen" (S. 260). Die Zahl der Mitglieder des Wirtschaftsrats wurde verdoppelt u n d der ineffektive Exekutivrat in zwei Institutionen überführt: in einen Länderrat als Organ der Landesregierungen (nicht zu verwechseln mit dem noch bis Ende Juni weiterbeste-

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1984, S. 810) zu Recht hingewiesen, Winfried Baumgart zudem auf die „in der Form umständliche, in der Prägnanz des Mitgeteilten nicht auf der Höhe der in anderen Bänden stehenden Einleitung" (in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 70, 1983, S. 559). 5 Bde. mit einem Erschließungsband, hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte und dem Deutschen Bundestag, bearb. von Christoph Weisz und Hans Woller, München 1977.

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henden Länderrat in Stuttgart)18 und einen Verwaltungsrat, gebildet aus den Direktoren der fünf (seit März 1948: sechs) Ressorts, ergänzt um einen Vorsitzenden („Oberdirektor"). Die Protokolle über die „Direktorialsitzungen" des Exekutivrats/Verwaltungsrats machen die Masse der Dokumente aus. (Sie fanden ab September 1949 mit der Edition der Kabinettsprotokolle der Bundesregierung19 eine quasi Fortsetzung.) Die Niederschriften über die regelmäßigen Besprechungen der Militärgouverneure mit deutschen Vertretern der drei bizonalen Spitzengremien und mit den Ministerpräsidenten der bzw. einzelner Länder gehören zu den wichtigsten neuen Quellen. Sie lassen eine Besserung des Klimas zwischen den Machthabern und den Besiegten erkennen, denen schrittweise mit größeren Rechten auch größere Verantwortung zufiel. Das gilt nicht im gleichen Maße für die ebenfalls dokumentierten Treffen des französischen Gouverneurs mit den Länderchefs „seiner" Zone, die weiterhin vom VWG abgeschirmt blieb (auch 1949 kam es nicht zur Bildung der Trizone). Nach der Auflösung des Stuttgarter Länderrats beendete auch der Hamburger Zonenbeirat seine Tätigkeit. Nachdem Clay am 3. Februar 1948 deutlich gemacht hatte, daß die amerikanische und die britische Regierung die „Verantwortung für eine politische Trennung Deutschlands nicht zu übernehmen wünschten" (S. 293), ließ er am 14. Mai 1948 die Katze aus dem Sack. Er teilte den Ministerpräsidenten der Bizone die (damals noch geheim gehaltene) Nachricht mit, daß es in den Westzonen „zu einem ziemlich naheliegenden Zeitpunkt eine begrenzte verfassungsmäßige Regierung" geben und diese die Aufgabe haben werde, „nach weitgesteckten Bedingungen eine Verfassung auszuarbeiten" (S. 515). Die Protokolle der daraufhin seit dem l.Juli anschließenden Besprechungen der Militärgouverneure mit den elf Ministerpräsidenten, deren Ergebnis Ende Juli zur Annahme der „Frankfurter Dokumente" und am 1. September zum Beginn der Arbeit des Parlamentarischen Rates führten, bleiben

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Die Entscheidung der Herausgeber, die Protokolle der insgesamt 29 Sitzungen dieses Länderrats, u. a. wegen ihres Umfangs, nicht abzudrucken (S. 62), hat dazu geführt, daß dieser Vorläufer des späteren Bundesrats bisher von der Forschung übersehen worden ist. Winfried Baumgart hatte seinerzeit angeregt, dessen Niederschriften in einem Nachtragsband der AVBD zu publizieren, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 72 (1985), S. 444. Hrsg. für das Bundesarchiv von Hans Booms. Band 1: 1949, bearb. von Ulrich Enders und Konrad Reiser, Boppard 1982.

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in Band 4 ausgespart. So muß man sie in der damals bereits vorliegenden Edition quasi parallel mitlesen.20 Band 5 (Januar - September 1949) der AVBD enthält neben den bisherigen Quellengruppen auch Protokolle von Besprechungen der Militärgouverneure mit Vertretern des Parlamentarischen Rates.21 Daraus wird deuüich, wie sehr der französische Militärgouverneur sich als ultraföderalistischer „Bremser" betätigte. Die zahlenmäßig überwiegenden Ergebnisprotokolle der Sitzungen des Verwaltungsrats unter Oberdirektor Hermann Pünder belegen, daß diese Exekutivspitze ein beeindruckendes Pensum administrativer und legislativer Arbeit geleistet hat. Ihre Vorbereitung für einen reibungslosen Ubergang auf die kommende Bundesregierung unterstützten die Ministerpräsidenten durch die Einsetzung technischer Ausschüsse, deren Arbeit ebenfalls dokumentiert ist. Der seit dem September 1948 tagende Parlamentarische Rat entwickelte sich zum Rivalen der Ministerpräsidenten, die den Zenit ihres Einflusses überschritten hatten. Die Stunde der Parteien war gekommen. Alle Seiten blieben weiterhin darauf bedacht, den neuen, im Rahmen der alliierten Vorgaben zu schaffenden Weststaat als Provisorium zu deklarieren. Das letzte Aktenstück ist das Protokoll der Direktorialsitzung vom 6. September 1949. Am folgenden Tage konstituierten sich Bundestag und Bundesrat in Bonn. 1983 war das Großprojekt AVBD erfolgreich abgeschlossen. Die Fülle der Quellen sowohl in den Hauptdokumenten als auch in den weiterführenden Anmerkungen verschaffte der Forschung die Möglichkeit zu einem Quantensprung. Allerdings stößt sich der heutige Benutzer, sogar noch stärker als seinerzeit, am Reihentitel dieser Edition; er ließ die Wiederherstellung deutscher Staatlichkeit von 1945 an, und dies nur in den Westzonen, zu eindeutig in die Gründung der Bundesrepublik Deutschland einmünden bzw. suggerierte eine von Anfang an dorthin führende (zu) gradlinige Entwicklung. Dieser Titel weckte Erwartungen, die - so formulierte es Adolf M. Birke nach dem Erscheinen der Bände 1 und 2 - „nicht eingehalten werden können", zudem den „Rahmen eines einzelnen Vorhabens auch weit sprengen würden".22 20 21

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Der Parlamentarische Rat, Band 1 (Anm. 8). Weitere Besprechungen sind dokumentiert in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Band 8: Die Beziehungen des Parlamentarischen Rates zu den Militärgouverneuren, bearb. von Michael F. Feldkamp, Boppard 1995. In: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 3 / 4 (1980), S. 225. Bereits vorher hatte der Bearbeiter von Band 2, Wolfram Werner, am Beispiel der Edition AVBD grundsätzliche

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Abgesehen von Rezensionen der einzelnen Bände der AVBD in Fachzeitschriften hat nach Abschluß der Edition m. W. niemand eine Gesamtwürdigung unternommen 23 - ein „Schicksal", das sie mit nahezu allen mehrbändigen, über einen größeren Zeitraum hin erscheinenden Quellenpublikationen teilt. Unabhängig davon bleiben die Entwicklung dieses Projekts, dessen Realisierung und Bearbeitung, auch unter Berücksichtigung der erwähnten „Schwachstelle" in Band 3, rühmenswert. Die AVBD sind ein Standardwerk der und für die Zeitgeschichtsforschung und insofern auch mehr als eine - wie es im IfZ-Pressedienst 39/83 allzu bescheiden hieß - „Grunddokumentation" zur Beschäftigung mit einem „bedeutenden Kapitel deutscher Geschichte".

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„Probleme zeitgeschichtlicher Editionen" erörtert u n d dabei u. a. auf die Notwendigkeit rechtzeitiger archivischer Erschließung entsprechender Aktenmassen hingewiesen (in: Aus der Arbeit des Bundesarchivs, hrsg. von Heinz Boberach u n d Hans Booms, Boppard 1978, S. 480-486). Eine Gesamtwürdigung sui generis stammt von Günter Benser. Er hat alle Bände in der Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft (Ost-Berlin) einigermaßen sachlich rezensiert, dann aber eine SED-getreue Interpretation angefügt. Nach Abschluß der Reihe hielt er es für erwiesen, daß keine Grund bestehe, „im Lichte der veröffentlichten Akten das von der herrschenden marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung erarbeitete Bild von der Entstehungsgeschichte der BRD in seiner Substanz zu korrigieren". Vielmehr seien die zeitgenössischen Urteile der SED u n d der Volkskongreßbewegung, auf die sich die Historiker der DDR im wesentlichen gestützt hätten, durch „stichhaltiges Beweismaterial bestätigt worden", in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 32 (1988), S. 813. Den Wunsch nach einer parallelen Quellenedition zur etwaigen Stütze dieser „zeitgenössischen Urteile" hat Benser nicht andeutungsweise geäußert.

Hermann Weiß Das OMGUS-Projekt Ein Erfahrungsbericht über die Verfilmung der Akten der amerikanischen Militärregierung in Deutschland

Im Jahr 1967 machte Lutz Niethammer in einem ausführlichen Bericht die Leitung des Instituts für Zeitgeschichte erstmals mit Einzelheiten des Aktenbestandes bekannt, der von 1945 bis 1949 aus der Tätigkeit der amerikanischen Zonenverwaltung in Deutschland, dem „Office of Military Government for Germany, US" (OMGUS) und seinen regionalen Dienststellen, entstanden und zwischen November 1950 und April 1953 in 16 Schiffsladungen in die USA gebracht worden war. Seitdem waren aus den OMGUS-Unterlagen nur einzelne Dokumente aus Veröffentlichungen amerikanischer Autoren bekanntgeworden.1 Die Archivare der US Army hatten den Bestand nach seiner Uberführung in ein Militärarchiv in Kansas City in der Ordnung belassen, die in etwa der OMGUS-Organisationsstruktur vom September 1949 entsprach. Als Ordnungsschlüssel verwendete man nach wie vor die umständlichen Signaturen, die bei der Verschiffung der Akten in den sog. shipping lists vergeben worden waren. Nach der Übernahme des Bestands durch die National Archives und seiner Verwahrung im National Record Center in Suitland bei Washington änderte sich daran nichts, wenn man vom Schriftgut der Abteilung Adjutant General absieht, das nach seiner Umbettung in moderne Archivboxen provenienzbezogene Signaturen erhielt. Da OMGUS mehrfach einschneidende Umorganisationen erfahren hatte, war der Bestand selbst bei genauer Kenntnis dieser Veränderungen ohne eine de-

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Dokumente aus dem OMGUS-Bestand und anderen Aktenbeständen amerikanischer Besatzungsorgane waren zunächst aus Memoiren und Darstellungen ehemaliger Mitarbeiter von US-Behörden in Deutschland wie General Clay selbst sowie seiner Mitarbeiter Edward H. Litchfield, Robert Murphy, Walter L. Dorn und James Pollock, vor allem aber durch die Arbeit des amerikanischen Historikers John Gimbel, The American Occupation of Germany, Stanford 1964 (deutsch u. d. T. Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945-1949, Frankfurt/M. 1971) bekanntgeworden.

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taillierte Erschließung n u r mit erheblichem Zeitaufwand zu benützen. Gerade die inhaltliche Erfassung der Unterlagen war jedoch ausgesprochen dürftig, bestand sie doch n u r aus den erwähnten shipping lists, d. h. aus den Transportlisten der für die Einschiffung in Bremerhaven zusammengestellten Schiffsladungen 2 mit OMGUS-Materialien, deren Angaben zum Akteninhalt jedoch ungenügend und vor allem überaus unzuverlässig waren. Das nachträglich erstellte General Inventory informiert lediglich über die Gliederung des Bestandes entsprechend dem Aufbau der OMGUS-Behörde, bietet aber keine inhaltliche Erschließung. Mit Beginn der siebziger Jahre setzte eine verstärkte Auswertung des OMGUSBestands in Suitland auch durch deutsche Historiker ein 3 , die 1973/74 durch eine gewisse Liberalisierung des Zugangs für ausländische Benutzer noch begünstigt wurde. Andererseits bestanden die technischen Probleme ebenso wie grundätzliche Probleme des Zugangs zu den Akten weiterhin u n d waren eben zu dieser Zeit an einer Arbeit im eigenen Haus noch einmal deutlich geworden. 4 Die Einrichtung eines neuen Forschungsschwerpunkts des Instituts, der die Vor- u n d Frühgeschichte der Bundesrepublik und damit auch die Besatzungszeit 1945-1949 zum Gegenstand hatte, das 1979 zu erwartende Ende der Sperrfrist für das Schriftgut der amerikanischen Besatzungsbehörden und nicht zuletzt der erhebliche finanzielle Aufwand für Archivreisen nach den USAveranlaßten den damaligen Direktor des Instituts, Martin Broszat, ein Projekt zu planen, mit dessen Hilfe in absehbarer Zeit eine substanzielle Auswahl der OMGUS-Akten innerhalb der Bundesrepublik zur Verfügung stehen sollte. 5 Für die immensen archivischen Aufgaben, die mit einem solchen Projekt auf das Institut zukamen, fühlte man sich durchaus gerüstet. Immerhin hatte das Institut bereits durch die Sammlung und Erschließung der Unterlagen aus den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen u n d da2

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Eine 17. Schiffsladung, das shipment 14, enthielt erbeutete Bücher und Filme, die in die Library of Congress gelangten und nicht zurückgegeben wurden. Lutz Niethammer, Die amerikanische Besatzungspolitik zwischen Verwaltungstradition und Parteien in Bayern 1945, in: ViZ 15 (1967), S. 153-210; ders., Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung, Frankfurt am Main 1972; ders., Zum Verhältnis von Reform und Rekonstruktion in der US-Zone am Beispiel der Neuordnung des Öffentlichen Dienstes, in: VfZ 21 (1973), S. 177-188; Hans-Joachim Thron, Schulreform im besiegten Deutschland: Die Bildungspolitik der amerikanischen Militärregierung nach dem Zweiten Weltkrieg, Diss. München 1972. Conrad F. Latour/Thilo Vogelsang, Okkupation und Wiederaufbau. Die Tätigkeit der Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands 1944—1947, Stuttgart 1973. Vgl. Martin Broszat, Vorbemerkung zur Miszelle von James J. Hastings, Die Akten des Office of Military Government for Germany (US), in: VfZ 24 (1976), S. 75-101.

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nach durch den Ankauf u n d die detaillierte Verzeichnung verfilmter Beuteakten der NS-Zeit, die von den National Archives noch vor der Rückführung der originalen Bestände nach Deutschland angeboten worden waren, nicht n u r einen deutlichen Vorsprung bei der Erforschung des Nationalsozialismus erlangt, sondern auch Erfahrungen in der Erschließung großer, überwiegend verfilmter Archivalienbestände gewonnen. Sondierungen Broszats bei der Volkswagen-Stiftung im Dezember 1974 ermutigten die Institutsleitung, am 28. 1. 1975 an die Stiftung einen Förderungsantrag für ein mehrwöchiges Testprogramm u n d ein daran anschließendes dreijähriges Hauptprogramm zu stellen. Das Testprogramm sollte noch im Herbst 1975 durchgeführt werden und zuverlässige Erfahrungen für das Hauptprojekt sammeln, die vor allem den Arbeitsaufwand u n d die Auswahl der erfaßten Unterlagen betrafen. Der Projektantrag des Instituts sah die inhaldiche Erfassung u n d Kopierung der Unterlagen vor, die in den zentralen Abteilungen u n d Amtern (divisions u n d offices) von OMGUS wie dem Adjutant General oder den Director's Files der uns interessierenden Divisions angefallen waren, ferner das Aufspüren, Ergänzen u n d Kopieren möglichst kompletter Befehls- u n d Berichtsserien aus dem Gesamtbestand. Eine eventuelle spätere Erfassung u n d Verfilmung des gesamten OMGUS-Bestandes durch andere Institutionen oder Projekte sollte bei der Planung und Durchführung unseres Projekts berücksichtigt werden. Nach der Antragstellung begann eine Zeit reger Reisediplomatie, die vor allem eine Vereinbarung mit den National Archives in Washington zum Ziel hatte. In den Besprechungen mit dem damaligen Archivist of the United States, James B. Rhoads, u n d seinen Mitarbeitern Robert Wolfe und James Hastings wurde deutlich, daß die National Archives die personellen Belastungen, die durch die Bereitstellung u n d Kopierung großer Archivalienmengen für das OMGUS-Projekt auf sie zukommen würden, nur durch die Finanzierung zusätzlicher Kräfte aus dem Projekt würden auffangen können. Zu vorübergehenden Schwierigkeiten führten Einwendungen des Bundesarchivs, das im Benehmen mit den Staatsarchiven der Länder der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone sich schon f r ü h e r um die Verfilmung des Schriftguts der amerikanischen Besatzungsverwaltung b e m ü h t hatte u n d nun dem Institutskonzept das Konzept der Kopierung des gesamten OMGUS-Bestandes entgegensetzte. 6

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Vgl. dazu Josef Henke, Das amerikanisch-deutsche OMGUS-Projekt. Erschließung und Verfilmung der Akten der amerikanischen Militärregierung in Deutschland 19451949, in: Der Archivar 35 (1982), Sp. 150, Anm. 7.

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Verständliches Ziel des Bundesarchivs war dabei, alle personellen und finanziellen Mittel deutscher Einrichtungen auf diese Gesamterfassung der OMGUS-Akten zu konzentrieren. In Vereinbarungen mit Robert Wolfe, dem Vertreter der National Archives, u n d Professor Hans Booms, dem damaligen Präsidenten des Bundesarchivs, konnten jedoch schon im Juli 1975 die verschiedenen Bedürfnisse koordiniert werden. Als erster Schritt zu einem Gesamtkonzept aller an den OMGUS-Akten interessierten deutschen Einrichtungen war vorgesehen, einen Vertreter des Bundesarchivs in das für das Testprojekt zusammengestellte Institutsteam aufzunehmen. Die Volkswagen-Stiftung hatte bereits am 1. 7.1975 die Mittel für dieses auf neun Wochen angesetzte Vorprojekt bewilligt. Die Zusage der Stiftung erfolgte allerdings unter der Voraussetzung, daß nach Abschluß des Testprojekts das Konzept des Instituts für das Hauptprogramm in einem Kreis interessierter Fachleute diskutiert u n d positiv bewertet würde. Die Beteiligung anderer Forschungseinrichtungen am Projekt des Instituts war schon im Juni 1975 mit den Professoren Lutz Niethammer, damals Universität Essen, u n d Harold Hurwitz von der Freien Universität Berlin erörtert worden. Hurwitz hatte über seine Erfahrungen mit der Archivarbeit in Suitland ein Memorandum vorgelegt, das außerdem eine Reihe von konzeptionellen Vorschlägen für das Projekt enthielt. Ergebnis des Gesprächs war schließlich die voraussichtliche Beteiligung des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin u n d eines von Einrichtungen des Landes NordrheinWestfalen um das Westfälische Wirtschaftsarchiv in Dortmund (Professor Ottfried Dascher) u n d die Ruhruniversität Bochum (Professor Dietmar Petzina) noch zu gründenden Arbeitskreises Ruhr am Projekt des Instituts. Das Testprojekt fiel in einen der schönsten u n d wärmsten Indian Summer Washingtons, der erst unmittelbar vor Weihnachten 1975 mit unserer Abreise zu Ende ging, u n d besaß auch sonst seine exotischen Reize: Wir, die Institutsmitarbeiter Wolfgang Benz, Hermann Graml, Wolfgang Jacobmeyer, Hermann Weiß u n d unser Kollege Wolfram Werner vom Bundesarchiv, lernten nicht n u r unsere vor den Toren Washingtons gelegene Arbeitsstätte, das National Record Center in Suitland, kennen, das in einem gesicherten militärischen Gelände, unmittelbar neben einem weitläufigen Friedhof, lag, sondern wir glaubten auch allen Ernstes, mit zu den wichtigsten und angesehensten Besuchern Washingtons zu gehören, nachdem wir in einer Art Staatsakt vom Archivist of the United States in seinem mit Präsidentenbild und Sternenbanner geschmückten Amtszimmer willkommen geheißen u n d auch in der deut-

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sehen Botschaft vom Gesandten Hansen freundlich und sehr interessiert empfangen worden waren. Untergebracht waren wir in der Nähe des Watergate Buildings in einem Apartment-Haus, das nach dem Watergate-Skandal in „The Intrigue" umbenannt worden war. Die Exotik ging schon in einer der ersten Nächte unseres Washingtoner Aufenthalts so weit, daß die Leichtschläfer unter uns durch eine wilde Schießerei zwischen Gangstern und der Polizei aus dem Schlaf gerissen wurden, von der anderntags die Tiefschläfer unter uns nur durch die Berichte in den örtlichen Zeitungen zu überzeugen waren. Später war allerdings das schwülwarme Klima Washingtons - vom Straßenverkehr einmal abgesehen - das Gefährlichste, was die Stadt für uns zu bieten hatte. Nach wenigen Tagen aktenfressenden Verzeichnens in der Kühlschrankatmosphäre des klimatisierten Lesesaals in Suiüand und des Erkundens der Bundeshauptstadt regulierte freilich wieder der Alltag unser Gefühlsleben. Ein Hauch von Exotik lag allerdings auch über den OMGUS-Akten. Die militärischen Dienststellen der US Army verfügten zwar über einen verbindlichen Dezimal-Aktenplan aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in dem jedoch differenzierte Sachbegriffe aus dem Bereich „Besetzte Gebiete" nicht existierten. Vielleicht war dies der Grund dafür, daß nur ein kleinerer Teil der Unterlagen in solchen Decimal Files abgelegt war. Der größere Teil war nach ad hoc gebildeten Aktentiteln arrangiert, die sich jede Dienststelle bis hinunter zu den branches (etwa: Unterabteilungen) und sections (etwa: Referate) selbst vorgab. Sehr viel unbefriedigender war jedoch, daß in manchen Feldern - den im gesamten Bestand üblichen Akteneinheiten in Form von Hängeregistratur-Taschen, in die das Archivgut lose eingelegt war - ein großes Durcheinander herrschte, sei es durch die verschiedenen Umzüge, denen der OMGUS-Bestand seit seiner Verschiffung unterworfen war, sei es durch die inzwischen erfolgten Benutzungen oder durch eine fehlerhafte oder nachlässige Ablage bereits in den OMGUS-Dienststellen. Das ging so weit, daß ab und zu der angegebene Aktentitel in keinerlei Bezug zum Inhalt des Folders stand oder daß der Folderinhalt nicht selten so unbedeutend oder geringfügig war, daß er bei einer fachlichen Bearbeitung des Bestandes hätte kassiert werden müssen. Eine archivfachliche Ordnung des Bestands war mit Ausnahme der Akten des Adjutant General noch nicht erfolgt. Damit war eine Autopsie und gleichzeitige Bewertung des gesamten Materials nicht zu umgehen. Uber den hohen Quellenwert der OMGUS-Unterlagen und damit ihre außerordentliche Bedeutung für die Sammlungs- und Forschungs-

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tätigkeit des Instituts waren wir uns nach wenigen Tagen der Arbeit mit dem Material im klaren. Das war bei der Entscheidung, ob das für uns relevante Material verfilmt oder in Form von Papierkopien dupliziert werden sollte, aber auch bei der Auswahl der für unser Hauptprojekt ergiebigsten Unterprovenienzen von OMGUS zunächst schon schwieriger. Durch Stichproben in den Akten verschiedener Abteilungen und Amter versuchten wir in der Frage der Auswahl hinreichende Anhaltspunkte zu gewinnen. Eine kleine Überraschung war für uns trotz einiger Hinweise aus den shipping lists die Tatsache, daß auch das Schriftgut der amerikanischen Vertreter in der Alliierten Kontrollbehörde in Berlin u n d der dortigen Alliierten Kommandantur, ferner einiger interalliierter Einrichtungen wie der Allied Bank Commission {ABC), des Combined Travel Board, der Joint Export Import Agency (JEIA), der Joint Foreign Exchange Agency (JFEA) u n d schließlich auch des Bipartite Control Office (BICO) mit seinen zahlreichen Amtern im OMGUS-Bestand enthalten war. Das lag daran, daß zumindest beim Kontrollrat u n d bei BICO die amerikanischen Vertreter in Personalunion als f ü h r e n d e Mitarbeiter der entsprechenden Fachämter von OMGUS fungierten. In ähnlicher Weise waren auch Vorakten von OMGUS aus der Provenienz United States Group Control Council (USGCC) sowie einige Nachakten des US High Commissioner for Germany (HICOM) in den OMGUS-Bestand integriert worden, wie andererseits das vom Hochkommissariat noch benötigte OMGUS-Schriftgut in der Registratur des Hochkommissars verblieb u n d beim amerikanischen Außenministerium archiviert wurde. In das Archiv des Außenministeriums wanderten folgerichtig auch die Unterlagen des dem State Department unterstehenden Political Adviser bei OMGUS. Wegen des engen sachlichen wie personellen Zusammenhangs dieser Akten mit dem OMGUS-Bestand bemühten wir uns während des bereits in Gang befindlichen Projekts darum, sie in das Verfilmungsprojekt einzubeziehen, was dank des Entgegenkommens der Archivare von State Department u n d National Archives gelang. Nach den Erkenntnissen aus dem Vorprojekt umfaßte das historisch bedeutende u n d archivwürdige Material höchstens 30 Prozent des gesamten Aktenbestands; im Hauptprojekt lag das Ergebnis schließlich mit einem Drittel knapp darüber. Rund die Hälfte des bewerteten OMGUS-Schriftguts stammte aus der OMGUS-Zentrale und der Frankfurter BICO-Behörde, die andere Hälfte von der regionalen Ebene der Militärverwaltung, den Militärregierungen in den Ländern WürttembergBaden, Bayern, Hessen, der Enklave Bremen u n d dem amerikanischen

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Sektor in Berlin sowie den Detachments, den Außenposten der Militärregierung in den Landkreisen u n d größeren Städten. Ein gesondertes Problem stellten zunächst die nicht seltenen Aktenentnahmen durch Deklassifizierungsbeamte der National Archives dar. Entnommen wurden die nicht freigegebenen Akten, vor allem aus der Intelligence Division, in der Mehrzahl aber Schriftgut aus dem Dienstverkehr mit britischen Besatzungsdienststellen, deren Akten ursprünglich erst nach Ablauf der 30-Jahres-Frist freigegeben werden durften. Durch das Entgegenkommen der britischen Archiwerwaltung unter dem Keeper of Public Records Jeffery R. Ede wurde es den National Archives jedoch möglich, die britischen Pertinenzen noch während des Hauptprojekts nachzuverfilmen. Die 30jährige Sperrfrist konnte durch diese Regelung praktisch nicht verletzt werden, weil zum Zeitpunkt der Genehmigung mit dem Abschluß unseres Gesamtprojekts nicht vor 1980 zu rechnen war. Andererseits wurde uns dadurch ermöglicht, nach Abschluß der Verfilmung ohne Zeitverlust mit der Indexierung des OMGUS-Bestandes zu beginnen. Zur Standardisierung der Verzeichnung wurde in der Testphase ein Formular (data sheet) entwickelt, das die formale u n d inhaltliche Erfassung der Aktenfolder sehr erleichterte. Da immerhin zwei Drittel des Materials f ü r unser Verfilmungsprojekt nicht in Frage kamen, erlaubten die National Archives auf unseren Antrag für das Hauptprojekt, daß wir die ausgeschiedenen Folder als „Folder of no historical value" ohne genauere Inhaltsangaben lediglich auflisteten. Schließlich lernten wir in Brewster Chamberlin noch einen aussichtsreichen Bewerber um die Stelle des amerikanischen Mitarbeiters für das Hauptprojekt kennen, der nach Genehmigung des Hauptprojekts dann auch ausgewählt wurde u n d dank seiner exzellenten Kenntnisse amerikanischer wie deutscher Zeitgeschichte u n d seiner menschlichen Qualitäten zum allgemein anerkannten Fixpunkt des ganzen Projekts wurde. Ihm ist sicher auch in der Zusammenarbeit mit den National Archives der reibungslose Ablauf des Projekts, in dessen Verlauf immer wieder kleinere, unvorhersehbare Probleme auftauchten, mit zu verdanken. Ausgehend von den Erfahrungen des Testprojekts fand am 5. März 1976 auf Einladung des Instituts das von der VW-Stiftung gewünschte Gespräch über den endgültigen Rahmen des OMGUS-Projekts statt. Vertreten waren das Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung, der Arbeitskreis Ruhr, das Bundesarchiv u n d die Archive der Länder der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone sowie das Institut als voraussichtliche aktive Teilnehmer, ferner natürlich die Na-

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tional Archives u n d die Volkswagen-Stiftung. Die Stiftung erklärte sich dann im Juli 1976 bereit, das Institutsprojekt der Verzeichnung u n d Kopierung der OMGUS-Unterlagen als Teilprojekt des von den staatlichen Archiven gewünschten Gesamtprojekts im beantragten Umfang zu finanzieren. Das bedeutete, daß für die Dauer des Institutsprojekts die Bezahlung zweier Mitarbeiter der National Archives aus Projektmitteln sichergestellt war, was wiederum den National Archives die Gewährung eines günstigen Verfilmungspreises ermöglichte, von dem die staatlichen deutschen Archive, die ihrerseits erhebliche Haushaltmittel für das Gesamtprojekt einzusetzen bereit waren, ihre Teilnahme abhängig gemacht hatten. An internen Finanzierungsproblemen der National Archives wäre das Projekt zur Jahreswende beinahe noch gescheitert. Durch die Erhöhung der Mittel für die beiden amerikanischen Archivare rettete es die VW-Stiftung im März 1977 schließlich in letzter Minute. Das bereits im Februar 1977 nach zähen Verhandlungen vereinbarte und unterzeichnete Abkommen über das German-American Joint Program to Describe and Reproduce OMGUS-Records erlaubte u. a. eine Höchstzahl von fünf gleichzeitig in Suitland arbeitenden deutschen Projektmitarbeitern u n d setzte dem Projekt einen zeitlichen Rahmen von vier bis fünf Jahren u n d ein Kopiervolumen von acht Millionen Aufnahmen, das mit sechs Millionen bis Projektende nicht voll ausgeschöpft wurde. Die Auswahl der zur Verfilmung vorgesehenen Unterlagen überließen die National Archives der deutschen Seite. Sie setzten aber durch, daß nur komplette Folder verfilmt u n d der gesamte Bestand, also auch nicht zur Verfilmung ausgewählte Teile, aufgenommen werden sollten. Noch vor der Unterzeichnung des Abkommens über das OMGUSProjekt hatte Brewster Chamberlin am 1. 10. 1976 in Suitland mit den ersten Arbeiten für das Institutsprojekt begonnen. Als unser Teil des Projekts nach Ablauf der vorgesehenen drei Jahre im Herbst 1979 auslief, wurde Chamberlin, der für das gesamte Projekt inzwischen unentbehrlich geworden war, aus Haushaltmitteln des Bundesarchivs, aber auch des Instituts bis Juni 1980 weiterbeschäftigt. Auch die Partner Arbeitskreis Ruhr u n d Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung beteiligten sich nicht n u r mit der einen Arbeitskraft, die von der VW-Stiftung im Rahmen unseres Teilprojekts für j e ein halbes Jahr finanziert worden war, sondern darüber hinaus mit eigenfinanzierten Arbeitskräften weiterhin am Gesamtprojekt, dessen Organisation in den bewährten H ä n d e n von Klaus Oldenhage vom Bundesarchiv lag, der selbst lange Zeit vor Ort an der Verzeichnungsarbeit beteiligt war.

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Dank des großen Anteils, den das Institut am Zustandekommen u n d an der Durchführung des OMGUS-Projekts hatte, partizipierte es auch am Ergebnis des Projekts, den verfilmten Akten, am stärksten. Als einzige der beteiligten Institutionen übernahmen wir einen vollständigen Satz aller verfilmten Unterlagen, standen dann aber wegen bereits laufender eigener Forschungsprojekte, f ü r die die OMGUS-Akten quellenmäßig ausgewertet werden sollten, wohl auch am stärksten unter dem Druck, diesen wichtigen Bestand möglichst komfortabel für die Forschung aufzubereiten. Sehr früh war klargeworden, daß der ursprüngliche Plan, uns mit den Datenblättern als alleinigem Findmittel zu begnügen, bei der erheblichen Anzahl von Interessenten aus dem eigenen Hause auf lange Sicht zu zeitraubend u n d damit zu teuer werden würde. Die VWStiftung verschloß sich unserer begründeten Bitte auf Umwidmung eingesparter Projektmittel, die durch den Kursverfall des Dollar zwischen 1976 u n d 1980 angefallen waren, nicht u n d genehmigte im März 1980 deren Verwendung für die Erstellung eines eigenen Katalogs. Nach zweijähriger Indexierungsarbeit gaben wir bei der Software- Firma Dr. Tiemann, Frankfurt, ein EDV-erstelltes Findmittel in Auftrag, das die Inhaltsangaben der Aufnahmeformulare nach Deskriptoren geordnet wiedergeben sollte, die dem Generalkatalog unseres Archivs entnommen waren; als Deskriptoren galten auch Personennamen, so daß neben dem Sachteil auch ein Personenteil entstehen konnte. Das verzeichnete Material der Länder-Militärregierungen blieb von der Katalogisierung ausgeschlossen, da inzwischen eigene Findmittel der am OMGUS-Projekt beteiligten Länderarchive im Entstehen waren. Bis Mitte der achtziger Jahre lag ein Computerausdruck des Katalogs vor; allerdings konnten die Akten der Property Division u n d e i n e s Teils d e r Finance Division/Financial

Adviser a u s

Geldmangel zunächst nicht berücksichtigt werden. Dies wurde Anfang der neunziger Jahre nachgeholt, so daß seit 1995 nicht nur ein vollständiges, 25 Bände umfassendes Findmittel zu den im Gesamtprojekt verfilmten OMGUS-Unterlagen vorliegt (einschließlich der Akten des Political Adviser u n d der übrigen unter OMGUS subsumierten alliierten Einrichtungen), sondern on-line auch kumulierte Suchfragen an den Katalog gestellt u n d deren Ergebnisse ausgedruckt werden können. Auf die Bedeutung des OMGUS-Projekts f ü r die Erforschung der Besatzungszeit und der Vorgeschichte der Bundesrepublik ist schon vor Abschluß des Projekts mehrfach hingewiesen worden. 7 Fast 20 Jahre 7

Vgl. John Mendelsohn, The OMGUS-Records Project, in: Prologue 10 (1978), Heft 4, S. 259 f.; Wolfgang Benz, Das OMGUS-Projekt, in: German Studies Review 1979, S. 8 8 -

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später läßt sich auch sein Erfolg, gemessen an der Akzeptanz dieser „deutsch-amerikanischen"8 Quellensammlung, beurteilen. Nicht nur, daß dem Abschlußbericht des Instituts über das Projekt aus dem Jahre 1984 noch eine ganze Reihe von inzwischen erschienenen Institutspublikationen hinzuzufügen sind, die das OMGUS-Material in größerem Umfang ausgewertet haben 9 ; es ist vor allem festzuhalten, daß der im Institut archivierte und damit der zeitgeschichtlichen Forschung generell zugängliche OMGUS-Bestand in der Benutzungshäufigkeit inzwischen den bisherigen „Spitzenreiter" unseres Archivs, den Dokumentenbestand der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse, eingeholt hat. Die Tatsache, den Zugang und die Auswertung einer bedeutenden Quelle für die historische Forschung erheblich erleichtert zu haben, können alle am Projekt beteiligten Mitarbeiter als persönlichen Erfolg verbuchen. Ein vielleicht allzu schnell als rein private Nebensache eingestufter Effekt des OMGUS-Projekts darf dabei nicht übersehen werden. Jeder der beteiligten sieben Institutsmitarbeiter10 - und das gilt sicher auch für die Archivare und Historiker der anderen Institutionen - hat die oft monatelangen Aufenthalte in den USA wohl als eine Möglichkeit vielfältiger persönlicher Bereicherung empfunden, auch wenn bei nach-

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94; Klaus Oldenhage, Die Akten des Office of Military Government for Germany U. S. (OMGUS) - Ersatz-, Ergänzungs- oder Doppelüberlieferung?, in: Der Archivar 32 (1979), Sp. 39f.; Andreas Röpcke, Archivarische Pionierarbeit geleistet. Die besondere kulturpolitische Bedeutung der OMGUS-Akten, in: Das Parlament 3 7 / 3 8 vom 13./ 20. 9. 1980, S. 15; H e r m a n n Weiß, Abschlußbericht über das OMGUS-Projekt (19761983), in: VfZ 32 (1984), S. 318-326. Der OMGUS-Bestand setzt sich zusammen aus internen Verwaltungsakten der OMGUS-Dienststellen (und einiger anderer hier abgelegter Akten sonstiger amerikanischer u n d alliierter Dienststellen der Besatzungszeit), aus Akten dieser Dienststellen, die ihrem Dienstverkehr mit deutschen Verwaltungen u n d Individuen entstammen, u n d schließlich aus einer, freilich kleinen, Zahl von deutschen Akten hauptsächlich der NS-Zeit, die als Anlagen in die Ablagen der US-Dienststellen gelangten. Vgl. u. a. Hans Woller, Gesellschaft u n d Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach u n d Fürth, München 1986; Christoph Weisz (Hrsg.), OMGUSHandbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949, München 1994, 2. Aufl. 1995; Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995, 2. Aufl, 1996; Gunther Mai, Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945-1948, München 1995; Winfried Müller, Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie u n d Besatzungsmacht 1945-1949, München 1995; Karl Ulrich Gelberg (Hrsg.), Kriegsende u n d Neuanfang in Augsburg 1945. Erinnerungen u n d Berichte, München 1996; Thomas Schlemmer, Aufbruch, Krise u n d Erneuerung. Die Christlich-Soziale Union 1945-1955, München 1998. Außer den bereits genannten vier Mitarbeitern aus dem Vorprojekt arbeiteten noch Bernd Steger, Christoph Weisz u n d Hans Woller in den USA am Projekt mit; die mühevolle Arbeit der Indizierung des Materials erledigten als Zeitmitarbeiterinnen im Archiv Angelika Baumann u n d Dagmar Schilling.

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träglicher Bewertung Persönliches u n d Dienstliches nicht immer klar zu trennen ist. Sicherlich unterschied sich der Dienstbetrieb in Suiüand nicht wesentlich von dem in den deutschen Archiven. Und doch waren kleine, atmosphärische Unterschiede nicht zu übersehen. Der lockere, im besten Sinne „demokratische" Umgang miteinander, die gelassene und sehr freundliche Art der Amerikaner in den Landesteilen um die Bundeshauptstadt schufen eine angenehme Lebensatmospäre, die beträchtlich von unseren Vorstellungen vom American way of life abwich. Die Gastfreundschaft unserer amerikanischen Kollegen empfanden wir anfangs vielleicht eher als etwas Normales oder Selbstverständliches. Nach längerer Vertrautheit mit den gesellschaftlichen Riten der Nordamerikaner erkannten wir aber auch die Auszeichnung, die etwa in der Einladung zum Truthahn-Essen am Thanksgiving Day liegt, und schätzten die rührenden Bemühungen, uns den Aufenthalt mit Wochenendfahrten und Picknicks möglichst angenehm zu machen, richtig ein. Als geduldiger Helfer in allen Lebenslagen entpuppte sich dabei „unser Mann in Washington", Brewster Chamberlin, der einen nicht geringen Teil möglicher Reibungsverluste bei der Durchführung des gesamten Projekts gar nicht erst entstehen ließ und dann auch noch Zeit fand, mit uns in Antiquariaten und Plattenläden nach Raritäten u n d occasions zu suchen. Ein absolutes „Must" waren seine Einladungen zum Krabbenessen, bei denen - zumindest im Falle küstenferner, des Offnens und Ausnehmens von Schalentieren unkundiger Süddeutscher - der Hunger teilweise unter Zuhilfenahme von Bier gestillt werden mußte, was der Stimmung keinerlei Abbruch tat. Formelle Einladungen zum Dinner für die Vertreter des renommierten Instituts f ü r Zeitgeschichte, auch zu wissenschaftlichen Vorträgen, Kolloquien und Tagungen rundeten die Bemühungen um unser leibliches u n d geistiges Wohlergehen ab. Natürlich partizipierten wir auch an dem kulturellen Angebot der Bundeshauptstadt, ihren exquisiten Museen und Galerien, den Konzerten im nahegelegenen Watergate Building, die durch die Musikbeiträge eines j e d e n Bundesstaats zu den Zweihundertjahrfeiern der USA 1976 einen besonderen Reiz erhielten. Mit nicht zur Schau getragenem Stolz erfüllte uns, daß während einer unserer Aufenthalte das Gastspiel der Deutschen O p e r Berlin mit Mozarts „Cosi fan tutte" unter dem greisen Karl Böhm den H ö h e p u n k t der Saison bildete, dem Beifall nach zu schließen auch für das amerikanische Publikum. Der anschließende Empfang in der deutschen Botschaft zu Ehren der Künstler, zu dem wir mit zahlreichen Gästen aus dem amerikanischen Kultur- und Wirtschaftsleben u n d der deutschen Kolonie Washingtons eingeladen waren, führte uns den

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Sinn solcher diplomatischen Veranstaltungen vor Augen. Ein Hauch von Zeitgeschichte wehte uns an, als wir zu Beginn des Empfangs vom Botschafter, Herrn v. Staden, und seiner Gattin, einer Tochter des ehemaligen Reichsaußenministers v. Neurath, begrüßt wurden - geschieh tsträchtige Konstellationen, wie sie uns andererseits - fast täglich - auch in der Person unseres amerikanischen Kollegen John Mendelsohn begegneten, der den Holocaust als deutscher Jude im Berliner Untergrund überlebt hatte und nach seiner Auswanderung in die USA Mitarbeiter der National Archives und rechte Hand von Mr. Wolfe geworden war. Einmalig blieb dagegen die Begegnung mit John McCloy, der während einer HistorikerTagung zum Thema .Americans as Proconsuls" mit Erinnerungen an seine Zeit als Hochkommissar in Deutschland glänzte. So selbstverständlich wie die Teilnahme am kulturellen Leben Washingtons waren für uns die Besuche der historischen Stätten Amerikas, soweit sie in einem Entfernungsbereich lagen, der an einem Wochenende mit dem Mietauto „geschafft" werden konnte. Jamestown und Williamsburg, Cape Henry und Annapolis faszinierten uns ebenso wie Harpers Ferry, Manassas Junction oder Gettysburg (mit vielen deutschen Namen auf den Grabkreuzen des großen Friedhofes für die Gefallenen der Schlacht), Schlachtfelder des amerikanischen Bürgerkrieges, dessen Ende wir an einem ungewöhnlich tristen, nebeligen Tag beim Besuch des Appomatox Court House, wo General Lee für die Südstaaten kapitulierte, stimmungsmäßig nachempfinden konnten. Etwas näher lagen natürlich das zur Zeit des Testprojekts von Präsident Gerald S. Ford bewohnte „Weiße Haus", an dem wir auf dem Weg vom Hauptgebäude der National Archives zu unserer Unterkunft ab und zu vorbeispazierten, und das Kapital, durch das uns der amerikanische Kollege John H. Backer, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Senat, in außerordentlich kundiger Weise führte. Höhepunkte dieser Erkundungen amerikanischer Geschichte waren wohl für die meisten von uns trotz der Warteschlangen davor die Besuche in Mount Vernon und Monticello, den wohlerhaltenen Wohnsitzen der Präsidenten George Washington und Thomas Jefferson. Unvergeßlich bleiben aber auch die vielen Erinnerungen an amerikanische Landschaften, an die karge Schönheit der Appalachen im Shenandoah National Park oder die subtropische Üppigkeit am Unterlauf des James River, an die weißen Gartenzäune der Gutshäuser in Virginia, den gewaltigen Magnolienbaum neben dem Geburtshaus von General Lee, vielleicht auch an den Soldatenfriedhof in Arlington mit dem Grab Präsident John F. Kennedys, für jeden von uns Teil seiner ganz persönlichen „Erinnerungen an die Zeit unter Ford".

Adolf M.Birke Politik und Gesellschaft in der amerikanischen Besatzungszone I. „Die mit Hilfe der Stiftung Volkswagenwerk vom IfZ seit 1975/76 erfolgreich initiierte Anstrengung zur Erschließung und Verfilmung der Akten des Office of Military Government United States in Germany (OMGUS) hat die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die Aktivität der amerikanischen Militärregierung in Deutschland ebenso wie die der von ihr weitgehend abhängigen deutschen .Auftragsverwaltung' auf kommunaler, Kreis-, Regierungsbezirks-, Länder- und zonaler Ebene fast vollständig erfaßbar geworden ist."1 Mit dieser optimistischen Einschätzung begründete der damalige Leiter des IfZ, Martin Broszat, im Mai 1978 den Antrag an die VW-Stiftung für ein auf fünf Jahre geplantes zeithistorisches Forschungsprojekt zur „Politik und Gesellschaft in der US-Zone". Ermutigt sah sich der Antragsteller durch die neuen Dimensionen, die das OMGUS-Projekt bereits nach wenigen Jahren eröffnete. Es förderte die Zusammenarbeit zwischen amerikanischen und deutschen Archiven in einem bis dahin nicht gekannten Maße und wirkte sich positiv auf die Freigabe des deutschen Aktenmaterials aus, das nach Ablauf der 30jährigen Sperrfrist endlich sehr viel leichter zugänglich wurde. Die Zeit war reif, um ohne weitere Verzögerungen den Übergang von der Quellenerschließung zur historischen Forschung einzuleiten und 1

Politik und Gesellschaft in der US-Zone 1945-1949. Geschichte der Nachkriegszeit aus amerikanischen und deutschen Dokumenten. Ein Projekt des Instituts für Zeitgeschichte. Antrag auf Förderung durch die Stiftung Volkswagenwerk, IfZ München 18. 5. 1978, S. 3. Zu den anfänglichen Überlegungen vgl. auch Christoph Weisz, Politik und Gesellschaft in der US-Zone 1945-1949. Geschichte der Nachkriegszeit aus amerikanischen und deutschen Dokumenten: Ein Projekt des Instituts für Zeitgeschichte, in: Heinrich August Winkler, Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen 1979, S. 290-297. Vgl. auch den Beitrag von Hermann Weiß in diesem Band.

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damit rechtzeitig dem Institut ein weiteres zentrales Aufgabenfeld zu erschließen. Die sachlichen und personellen Voraussetzungen waren günstig. Schon seit Mitte der sechziger Jahre hatte das IfZ mit ersten Studien und Quellenforschungen den Boden der Nachkriegszeit betreten. Dabei wurde die Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv weiter ausgebaut, die „das archivische Potential der einen Seite mit dem Forschungspotential der anderen Seite" verband.2 Diese Kooperation hatte sich bereits bei der Erschließung und Erforschung von Quellen zur Geschichte der Weimarer und der NS-Zeit vielfältig bewährt und fand ab dem Jahre 1970 ihre Fortsetzung in der Arbeit an den ,Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland".3 Schon zuvor hatten sich Thilo Vogelsang vom IfZ und Conrad F. Latour vom Bundesarchiv, angeregt durch die Pionierarbeiten von John Gimbel 4 und Günter Moltmann 5 , darangemacht, eine erste Darstellung zur Tätigkeit der Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone zwischen 1944 und 1947 zu verfassen.6 Die besondere Aufmerksamkeit dieser noch immer lesenswerten Einführung galt dabei vor allem dem administrativen und politischen Wiederaufbau. Zur gleichen Zeit waren in der Schriftenreihe der Vierteljahrshefte die Denkschriften und Erinnerungen von Walter L. Dorn, einem führenden Berater der amerikanischen Militärregierung in Deutschland 7 , und wenig später die Dissertation von 2

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So Hans Booms u n d Martin Broszat im Vorwort der Herausgeber. Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949. Band 1: September 1945-Dezember 1946, bearb. von Walter Vogel u n d Christoph Weisz, München u. Wien 1976, S. 7. Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom Bundesarchiv u n d Institut f ü r Zeitgeschichte, 5 Bde., München u n d Wien 1976-1983. Vgl. den Beitrag von Rudolf Morsey in diesem Band. J o h n Gimbel, The American Occupation of Germany. Politics and the Military 19451949, Stanford 1968 (deutsch: Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 19451949, Frankfurt a. Μ. 1971); ders., A German Community u n d e r American Occupation. Marburg 1945-1952, Stanford 1961 (deutsch: Eine deutsche Stadt unter amerikanischer Besatzung, Köln 1964). Günter Moltmann, Die f r ü h e amerikanische Deutschlandplanung im Zweiten Weltkrieg, in: VfZ 5 (1957), S. 241-264; ders., Amerikanische Deutschlandpolitik im Zweiten Weltkrieg. Kriegs- u n d Friedensziele 1941-1945, Heidelberg 1958; ders., Zur Formulierung der amerikanischen Besatzungspolitik in Deutschland am Ende des Zweiten Weltkrieges, in: VfZ 15 (1967), S. 299-322. Conrad F. Latour u. Thilo Vogelsang, Okkupation u n d Wiederaufbau. Die Tätigkeit der Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands 1945-1947, Stuttgart 1973. Walter L. Dorn, Inspektionsreisen in der US-Zone. Notizen, Denkschriften u n d Erinnerungen aus dem Nachlaß, übers, u. hrsg. von Lutz Niethammer, Stuttgart 1973.

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Werner Abelshauser über „Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948" 8 erschienen, die die Diskussion um die Voraussetzungen des deutschen „Wirtschaftswunders" neu entfachte. Mit dem zwischen 1976 u n d 1983 durchgeführten OMGUS-Projekt ergab sich freilich für die archivische u n d forscherische Kooperation eine völlig neue Ausgangslage. Die Verfügbarkeit der amerikanischen Akten vor Ort u n d ihre fortschreitende Erschließung veränderten ebenso wie die erweiterten Angebote im Bundesarchiv u n d in den Länderarchiven die Forschungsmöglichkeiten grundlegend. Das IfZ wollte die neue Quellensituation nutzen, um Impulse für eine umfassende Untersuchung der Besatzungszeit zu geben u n d dabei sowohl die regional·, sozial- u n d beziehungsgeschichtlichen Aspekte als auch die Erfahrungsgeschichte zu berücksichtigen. Die Bewilligung des Projektes durch die Stiftung Volkswagenwerk erfolgte am 5. Januar 1979. Im Herbst desselben Jahres konnte mit den Arbeiten begonnen werden. Im Vergleich zur OMGUS-Unternehmung n a h m sich die personelle u n d finanzielle Ausstattung des neuen Projektes eher bescheiden aus. 9 Unter der Leitung des Direktors wurden neben Christoph Weisz, einem Stelleninhaber des Instituts, zwei weitere aus den Projektmitteln geförderte Mitarbeiter, Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller, gewonnen. 1 0 Der Bewilligungszeitraum erstreckte sich über fünf Jahre. Es war von Beginn an klar, daß in diesem zeitlich u n d personell beschränkten Rahmen nicht daran gedacht werden konnte, flächendeckende Forschung in eigener Regie durchzuführen. Dies war auch keineswegs geplant. Vielmehr ging es darum, grundlegende Untersuchungen in Kernbereichen vorzulegen, um auf diese Weise sowohl im Institut als auch im externen, vor allem im universitären Bereich, weitere Forschungen anzuregen u n d Kooperationen zu fördern. Im Zuge der Konzeptualisierung ergaben sich vier methodisch wie thematisch unterschiedlich gegliederte Forschungsschwerpunkte, die dazu gedacht waren, Rahmeninformationen bzw. -Interpretationen mit 8

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Rekonstruktion und Wachstumsbedingungen in der amerikanischen und britischen Zone, Stuttgart 1975. Ein Jahr später erschien in derselben Reihe die Arbeit von Gerold Ambrosius, Die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland 1945-1949. Vgl. Schlußbericht über das Projekt „Politik und Gesellschaft in der US-Zone 19451949", IfZ München 20. 12. 1984. Christoph Weisz gehörte der Editionskommission für die „Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik" an. Zusammen mit Hans Woller hatte er die „Wörtlichen Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947-1949" bearbeitet, die 1977 erschienen.

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exemplarischen Fallstudien zu verbinden. Danach sollte Klaus-Dietmar Henke es übernehmen, eine möglichst quellennahe Darstellung der amerikanischen Besetzung Deutschlands nach der militärischen Niederlage (1944/45) zu verfassen, um in minutiöser Schilderung vor allem die erfahrungs- u n d beziehungsgeschichtlichen Aspekte sichtbar werden zu lassen. Hans Woller fiel die Aufgabe zu, eine regionale Fallstudie über die mittelfränkischen Städte Ansbach u n d Fürth zu erstellen und die dortigen Maßnahmen der Amerikaner während der Besatzungszeit (1945-49) wie auch deren Interaktion mit den Besetzten anhand zentraler, sachthematisch geordneter Komplexe exemplarisch zu durchleuchten. Ein dritter Bereich zielte darauf, die Sozialgeschichte der Besatzungszeit neu zu fundieren. Hier gelang es, externe Mitarbeiter zu gewinnen, die nach eingehender inhaltlicher u n d methodischer Absprache unter der Federführung des Instituts Einzelbeiträge erarbeiteten. Schließlich sollte unter der Regie von Christoph Weisz u n d in enger Zusammenarbeit mit Archivaren, die bereits am OMGUS-Projekt beteiligt waren, ein „Handbuch der amerikanischen Militärregierung" erstellt werden, das als umfassender u n d detaillierter Leitfaden für die weitere Forschung dienen konnte. 1 1 Wenig später trat mit Norbert Frei, der mit einer pressegeschichtlichen Studie beauftragt wurde 12 , noch ein weiterer Mitarbeiter des Instituts dem Projekt bei. Es mag kaum verwundern, daß die beiden Schlußberichte, die der Direktor im Jahre 1984 der VW-Stiftung übersandte, eher wie Zwischenberichte wirkten. 13 Dennoch konnte sich schon das in fünf Jahren Geleistete durchaus sehen lassen. Auch die Absicht, weitere wissenschaftliche Arbeiten zur amerikanischen Besatzungszone zu inspirieren, trug erste Früchte. In Zusammenarbeit mit den Universitäten München u n d Erlangen wurden mehrere Dissertationsvorhaben auf den Weg gebracht. 14 11

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Vgl. dazu den Bericht von Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller, Politik und Gesellschaft in der amerikanischen Besatzungszone. Ein Projekt des Instituts für Zeitgeschichte, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1983, S. 50-53. Vgl. Revidierte Konzeption des IfZ-Projektes „Politik und Gesellschaft in der US-Zone 1945-1949", IfZ München, 1. 10. 1979. Ergebnisbericht über das Projekt, IfZ München 27. 6. 1984, und Schlußbericht, IfZ München 20. 12. 1984. Der Schlußbericht nennt folgende Namen und Arbeitsthemen.· Christoph Boyer, Mittelstand zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaftswunder: Politische und psychologische Auswirkungen der Gewerbepolitik (erschienen als Bd. 41 der Studien zur Zeitgeschichte unter dem Titel: Zwischen Zwangswirtschaft und Gewerbefreiheit. Handwerk in Bayern 1945-1949, München 1992); Paul Erker, Revolution auf dem Dorf? Landwirtschaft und Landbevölkerung im Umbruch der 40 er und 50 er Jahre; Barbara Fait, NS-

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Henke u n d Woller traten mit einer anregenden Edition über die „Lehrj a h r e der CSU" hervor, die auf Funden aus den OMGUS-Beständen basierte u n d den erbitterten Bruderkampf der j u n g e n bayerischen Unionspartei in den vertraulichen Berichten an die amerikanische Militärregierung widerspiegelte. 15 Die Beschäftigung mit der Frühgeschichte der CSU und der Entsteh u n g der bayerischen Verfassung erhielt durch die Verfügbarkeit der amerikanischen Quellen wichtige Impulse. Sie ist später in Zusammenarbeit mit dem Passauer Parteienforscher Alf Mintzel vertieft worden, der dem IfZ sein „CSU-Archiv" überließ. Aus dieser Kooperation erwuchs schließlich eine dreibändige Edition der „Protokolle u n d Materialien zur Frühgeschichte der Christlich-Sozialen Union" 16 , die auf der Seite des Instituts von Barbara Fait unter Mitarbeit von Thomas Schlemmer durchgeführt wurde. Während Barbara Fait sich danach mit einer beeindruckenden Habilitationsschrift über die amerikanische Kontrolle bei der Verfassunggebung in Bayern 17 an der Universität Köln habilitieren konnte, ist Thomas Schlemmer später mit seinem Standardwerk über das Anfangsjahrzehnt der bayerischen Unionspartei 18 an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert worden. Obwohl der Schlußbericht von 1984 bereits detaillierte Zwischenergebnisse der Arbeiten zum eigentlichen Kernprojekt vorstellen konnte, sollten die eindrucksvollsten Veröffentlichungen zum Teil noch etliche Jahre auf sich warten lassen.

Aktivisten nach 1945: Integration oder Ausgrenzung?; Christa Schick, Die InterniertenLager in der US-Zone; Clemens Vollnhals, Evangelische Kirche und Entnazifizierung (erschienen als Bd. 36 der Studien für Zeitgeschichte mit dem Titel: Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949. Die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit, München 1989). Die hier genannten Autoren waren mit diesen Themen auch bei den Einzelstudien vertreten, die 1988 im Sammelband „Von Stalingrad zur Währungsreform" erschienen. 15 Lehijahre der CSU. Eine Nachkriegspartei im Spiegel vertraulicher Berichte an die amerikanische Militärregierung, hrsg. von Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller, Stuttgart 1975. 16 Die CSU 1945-1948. Protokolle und Materialien zur Frühgeschichte der Christlich-Sozialen Union, hrsg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte von Barbara Fait und Alf Mintzel unter Mitarb. von Thomas Schlemmer, 3 Bde., München 1993. Zur Entstehung der Bände die Vorbemerkungen von Horst Möller. " Barbara Fait, Demokratische Erneuerung unter dem Sternenbanner. Amerikanische Kontrolle und Verfassunggebung in Bayern 1946, Düsseldorf 1997. 18 Thomas Schlemmer, Aufbruch, Krise und Erneuerung. Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955, München 1998.

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II. Zuerst erschien im Jahre 1986 die Regionalstudie von Hans Woller über Ansbach und Fürth19, die auch in der Presse breite Resonanz fand 20 und überwiegend als Pionierleistung gewürdigt wurde. Der Verfasser ging davon aus, daß die Zeit zwischen dem Zusammenbruch des NS-Regimes und der Gründung zweier deutscher Staaten auf der Ebene der hohen Politik bereits gut erforscht und beschrieben worden sei. Uber die Art und Weise, wie der Umbruch von der deutschen Gesellschaft erfahren und verarbeitet wurde, lägen entsprechende Erkenntnisse jedoch nicht vor. Es gelte herauszufinden, „welche Wirkungen die von den Besatzungsmächten und der deutschen politischen Führung verfolgten Absichten und ergriffenen Maßnahmen auf der unteren Ebene der Gesellschaft auslösten, ob und inwieweit sie durchdrangen, auf Resistenz stießen und modifiziert wurden, wie sich Besatzungsherrschaft an den deutschen gesellschaftlichen Beharrungs- und Traditionskräften abschliff und wie aus dieser Normativität des Faktischen' die neuen, so von niemandem vorhergesehenen Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland entstanden".21 Woller konnte sich bei seiner Regionalstudie auf dichtes amerikanisches und deutsches Quellenmaterial stützen, das er durch eine Befragung von etwa 100 Zeitzeugen ergänzte, um die Motivation und die Mentalität der Handelnden und Betroffenen eingehender erfassen zu können. Die „Geschichte im Kleinen" sollte bei allen ihr innewohnenden Begrenztheiten neue Zugänge für ein möglichst gerechtes Verständnis der Gesamtgeschichte der Besatzungszeit eröffnen. Die Arbeit ist in sechs Hauptabschnitte gegliedert. Sie beginnt mit dem Versuch, ein sozialkulturelles Profil zu erstellen, das die Einstel19

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Hans Woller, Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach und Fürth, München 1986, 348 S. Zuvor hatte derselbe Autor bereits eine bis heute als vorbildlich geltende Studie über die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung vorgelegt. Hans Woller, Die Loritz-Partei. Geschichte, Struktur und Politik der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945-1955, München 1982. Erste Überblicksdarstellungen zur Besatzungszeit, die im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen und mehrere Auflagen erfuhren, verfaßte Wolfgang Benz. Ders., Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone zum souveränen Staat, München 1984, 4. Aufl. 1994; ders., Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vier-Zonen-Deutschland, München 1986, 3. Aufl. 1994. Vgl. u. a. die Besprechungen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 13. 4. 1987, in La Repubblica vom 18. 4. 1987 und in der Süddeutschen Zeitung vom 17. 2. 1987. Hans Woller, Gesellschaft und Politik, S. 11.

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lungs- u n d Wahrnehmungsmuster der Ansbacher u n d Fürther Bevölkerung während der Weimarer- u n d der NS-Zeit beschreibt. Danach werden die militärische Besetzung der Region u n d der Aufbau der regionalen Militärbehörden untersucht. Zwei weitere Kapitel sind dem Austausch des deutschen Verwaltungspersonals u n d der örtlichen Entnazifizierungspraxis gewidmet. Schließlich werden die Neu- u n d Wiedergründung der politischen Parteien, ihre personellen Rekrutierungsfelder ebenso wie das Problem des Einstellungswandels untersucht. Das abschließend entwickelte Bild von den „Improvisationen wirtschaftlicher Notbewältigung" zwischen Schwarzmarkt, Treuhänderwesen u n d Gründerboom wird durch einen Exkurs über den Aufstieg Max Grundigs vom Radiohändler zum Chef eines Elektrokonzerns ergänzt. Wollers Ergebnisse waren beachtlich u n d haben die weitere wissenschaftliche Diskussion belebt. Seine zusammenfassende These, daß erst die ökonomische Konsolidierung zur Stabilisierung der Gesamtgesellschaft führte und der Westintegration der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren Vorschub leistete, darf inzwischen als communis opinio gelten. Die Untersuchung belegte, daß die Zäsur von 1945 für die Bevölkerung ein tieferer Einschnitt war als die des Jahres 1933. Dies galt auch f ü r die Einstellung zum nationalsozialistischen System. Für seinen Untersuchungsbereich vermochte Woller nachzuweisen, daß es zu keiner „Renazifizierung" des öffentlichen Dienstes gekommen ist. Obwohl die Mehrzahl der Beamten nach ihrer vorübergehenden Entlassung ab 1947/48 wieder eingestellt wurden, blieben Belastete von den Führungspositionen ausgeschlossen. Bei seiner Analyse der örtlichen Spruchkammerverfahren fand Woller zu einer differenzierteren Bewertung als Lutz Niethammer, der sie zuvor in seiner vielbeachteten Dissertation als „Mitläuferfabriken" charakterisiert hatte. 22 Immerhin erhielten „Mitläufer" u n d „Minderbelastete" Denkzettel, die in „ihrer Mischung aus fühlbarer Strafe u n d großzügiger Gnade" so dosiert waren, daß sie für die Betroffenen nicht von vornherein „unüberwindbare Schranken" für eine Integration in den demokratischen Staat errichteten. 23 Die Darlegungen Wollers zur neuentstehenden Parteienlandschaft belegten, wie sehr vieles noch in Fluß war u n d wie ungesichert damals 22

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Lutz Niethammer, Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung, Frankfurt am Main 1972. Hans Woller, Gesellschaft und Politik (Anm. 19), S. 162-165.

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die Zukunft erschien. So wurde f ü r die lokale Ebene deutlich, daß die SPD nach ersten großen Erfolgen wieder in ihr „Unterschichten-Ghetto" abzudriften drohte u n d daß bei der CSU die zunächst faszinierende Idee einer überkonfessionellen Partei durch den betont bayerisch-katholischen Kurs des Hundhammer/Schäffer-Flügels an Stoßkraft verlor, während die j u n g e Partei sich im Bruderkampf verstrickte. Insgesamt ließ die spannende Darstellung der Region Ansbach/Fürth erkennen, wie eine faszinierende Quellengrundlage mit neuen methodischen Zugriffen genutzt werden konnte, u m die historische Realität der Besatzungszeit in detaillierten Studien intensiver, umfassender u n d anschaulicher greifbar werden zu lassen. 24 Dies gilt in anderer Weise auch für die ebenfalls im Jahre 1986 veröffendichte Untersuchung von Norbert Frei. Seine Studie befaßte sich mit der Geschichte des Bad Reichenhaller Südost-Kuriers 25 , einer von 27 amerikanischen Lizenzzeitungen in Bayern, die im Mai 1946 gegründet wurde u n d acht Jahre überdauerte. Entstehung, Krise u n d Niedergang dieses Presseorgans wurden von Frei detailliert nachgezeichnet, um die Erforschung der Medienpolitik in der amerikanischen Besatzungszone u n d die Entwicklung des Pressewesens in der f r ü h e n Bundesrepublik „aus der Perspektive ,νοη unten' [. . .] exemplarisch weiterzuführen". 2 6 Dabei gelang es ihm zu verdeutlichen, wie die vom maßgeblichen Herausgeber des Blattes, dem sozialdemokratischen Reichstags- u n d späteren Bundestagsabgeordneten Josef Felder verfolgte Li24

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Diesem Bestreben diente auch die 1984 eröffnete Reihe „Biographische Quellen zur deutschen Geschichte nach 1945", ab Bd. 16 „Biographische Quellen zur Zeitgeschichte", in der u. a. Tagebücher, Erinnerungen und Berichte aus der Besatzungszeit veröffentlicht wurden. Auf Politik und Gesellschaft in der amerikanischen Besatzungszone beziehen sich dabei die folgenden Bände. Bd. 1: Ludwig Vaubel, Zusammenbruch und Wiederaufbau. Ein Tagebuch aus der Wirtschaft 1945—1949, hrsg. von Wolfgang Benz, München 1984, 2. Aufl. 1985; Bd. 3: Heinrich Troeger, Interregnum. Tagebuch des Generalsekretärs des Länderrats der Bizone 1947-1949, hrsg. von Wolfgang Benz und Constantin Göschler, 1985; Bd. 5: Ludwig Bergsträsser, Befreiung, Besatzung, Neubeginn. Tagebuch des Darmstädter Regierungspräsidenten 1945-1948, hrsg. von Walter Mühlhausen, 1987; Bd. 13; Neuanfang auf Trümmern. Die Tagebücher des Bremer Bürgermeisters Theodor Spitta 1945-1947, hrsg. von Ursula Büttner und Angelika VoßLouis, 1992; Bd. 14; James K. Pollock, Besatzung und Staatsaufbau nach 1945. Occupation Diary and Private Correspondence 1945-1949, hrsg. von Ingrid Krüger-Bulcke, 1994; Bd. 17: Kriegsende und Neuanfang in Augsburg 1945. Erinnerungen und Berichte, bearb. von Karl-Ulrich Gelberg, 1996. Norbert Frei, Amerikanische Lizenzpolitik und deutsche Pressetradition. Die Geschichte der Nachkriegszeitung Südost-Kurier, München 1986. Bereits im Jahre 1976 war die Arbeit von Hansjörg Gehring, Amerikanische Literaturpolitik in Deutschland 19451953, erschienen. Ebd., S. 7.

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nie eines dezidierten Reedukations-Journalismus sich im konservativaltbayerischen Milieu nicht zu behaupten vermochte, obwohl die hohe Qualität des Blattes offensichtlich Spuren hinterließ.

III. Die Ergebnisse des Projektteils „Sozialgeschichte der Besatzungszeit" erschienen im Jahre 1988, gemeinsam herausgegeben von Martin Broszat, Klaus-Dietmar Henke u n d Hans Woller, als voluminöser Sammelband unter dem Titel „Von Stalingrad zur Währungsreform". 2 7 Dem Unternehmen lag die Intention zugrunde, die „Not- u n d Notbewältigungserfahrungen" 2 8 der deutschen Nachkriegsgesellschaft herauszuarbeiten u n d zugleich den Einschnitt des Epochenjahres 1945 zu relativieren. Der Band fand sowohl in der Wissenschaft als auch in den Medien starke Beachtung. Schon die in der Einleitung formulierte griffige Hauptthese ließ aufhorchen: „Die Zeit des gewaltigen Umbruchs zwischen Stalingrad u n d der Währungsreform markiert - m e h r noch als die Jahre 1918 und 1933 - einen epochalen Einschnitt in der neuesten deutschen Geschichte: Hier gelangte das mit unheilvollen Traditionsbeständen beladene u n d unter unüberbrückbaren inneren Spannungen leidende alte Deutschland an das Ende seines im 19. J a h r h u n d e r t betretenen Sonderwegs, aber schon im Niedergang des Hitler-Regimes u n d dann in den nachfolgenden Besatzungsjahren zeichneten sich die Umrisse einer moderneren, homogeneren, sich nach und nach an die westeuropäischen liberal-demokratischen Traditionen angleichenden Gesellschaft ab." 29 Die vielzitierte These von der „Stunde Null" der Kapitulation erschien in diesem Licht als Mythos. Die insgesamt 14 im Band versammelten, teilweise sehr umfangreichen Einzelstudien griffen wichtige Probleme der deutschen Sozialgeschichte aus der Zeit des Ubergangs vom NS-Regime zur Besatzungszeit auf. Uberwiegend lokal- und regionalhistorisch verankert, sollten sie dazu dienen, die „revolutionäre Dimension" des politischen und gesell-

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Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 1988, 3. Aufl. 1990, 767 S. Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller (Anm. 11), S. 50. Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Anm. 27), S. XXV.

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schaftlichen Umbruchs beispielhaft zu verdeutlichen, der, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung betonten, schon in den letzten Kriegsjahren eingesetzt habe. Evakuierungen und die „gewaltige Völkerwanderung im Zuge von Flucht und Vertreibung" hätten zu einer Transformation geführt, die „die ganze deutsche Gesellschaft durcheinanderschüttelte, fast überall die alte konfessionelle und kulturelle Segregation beseitigte und schließlich eine stark nivellierte ,Notstandsgesellschaft' entstehen ließ, in der rückblickend schon die Umrisse der Mittelstandsgesellschaft Bundesrepublik zu erkennen sind".30 Das ambitionierte Werk ist in fünf Themenkomplexe gegliedert. Zunächst werden die Wandlungs- und Offnungsprozesse im kirchlichen Bereich am Beispiel der Diözese Bamberg zwischen 1933 (!) und 1949 (Werner Κ Blessing) 31 und der evangelischen Kirche in der Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und der Entnazifizierung (Clemens Vollnhals)32 erörtert. Die dabei festgestellte Auflösung traditionsgebundener Milieus wird dann in einer weiteren Untersuchung des SPD-Unterbezirks Hamm-Unna (Eberhard Holtmann) 33 auch für den sozialdemokratischen Bereich bestätigt. Der zweite Abschnitt gilt der „NS-Vergangenheit. Täter und Opfer". Dabei fragt Barbara Fait34 erstmals nach den persönlichen und sozialen Folgen der Entnazifizierung für die Verurteilten und deren Familien. Christa Schick35 stellt in ihrer Untersuchung über die Internierungslager in der amerikanischen Besatzungszone fest, daß sich ehemalige NS-Aktivisten eher als Opfer der Besatzungsmacht denn als Täter des NS-Regimes sahen. In einem beklemmenden Beitrag über „München und Umgebung als Zuflucht für die Uberlebenden des Holocaust" konstatiert Juliane Wetzel36, daß es selbst nach der Kapitulation zu „fatalen Ausbrüchen eines auch nach Hitler noch immer unbekümmerten Antisemitismus" kam.37

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Ebd. Werner K. Blessing, „Deutschland in Not, wir im Glauben.. .". Kirche und Kirchenvolk in einer katholischen Region, ebd., S. 3-111. Clemens Vollnhals, Die Evangelische Kirche zwischen Traditionsbewahrung und Neuorientierung, ebd., S. 113-167. Eberhard Holtmann, Die neuen Lassalleaner. SPD und HJ-Generation nach 1945, ebd., S. 169-210. Barbara Fait, Die Kreisleiter der NSDAP - nach 1945, ebd., S. 213-299. Christa Schick, Die Internierungslager, ebd., S. 301-325. Juliane Wetzel, „Mir szeinen doh". München und Umgebung als Zuflucht von Überlebenden des Holocaust 1945-1948, ebd., S. 327-364. Ebd., S. 329.

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Der dritte Teil, dem der Titel „Bruch und Behauptung: Gesellschaftliche Gruppen im Wandel" gegeben wurde, gilt dem Problem der Erosion bzw. des Fortbestandes traditioneller Strukturen und Denkmuster. In ihm werden exemplarische Untersuchungen präsentiert, die der Landbevölkerung, der Handwerkerschaft, der Industriearbeiterschaft und dem Unternehmertum gelten. Zunächst befaßt sich dabei Paul Erker38 mit tiefgreifenden Veränderungen des dörflichen Lebens. Am Beispiel Bayerns werden von ihm die Auswirkungen des Flüchtlingsstroms und die Strukturveränderungen in der Landwirtschaft durchleuchtet. Erker findet zu dem Ergebnis, daß „viele Verhaltensmuster der zwanziger und dreißiger Jahre, soweit sie die Lebensformen und die sozialen Wertsysteme betrafen, noch bis weit in die fünfziger Jahre maßgebend" gewesen seien. Erst danach habe der rapide Modernisierungsschub eingesetzt, der zur „Entprovinzialisierung des dörflichen Lebens" führte.39 Ahnlich sieht Christoph Boyer40 die Situation in der Handwerkerschaft zwischen „Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder", in der nach seinen Erkenntnissen der traditionelle zünftlerische Protektionismus in den ersten Nachkriegsjahren ungebrochen weiterlebte. In einer Detailstudie über Betriebsräte in Großbetrieben des Stuttgarter Raums gelingt Michael Fichter41 der Nachweis, daß hier, anders als die Parolen des DGB vermuten lassen, nicht Klassenkampf, sondern Betriebsloyalität das Arbeitsklima in der Phase des Aufbaus bestimmte. Gerhard Hetzer42 kommt in seiner unternehmensgeschichtlichen Studie von MAN und Messerschmidt AG in Augsburg durchaus zu komplementären Ergebnissen. Nach seinen Erkenntnissen hat die von ihm untersuchte Unternehmerschaft die Umbruchsphase „äußerlich staunenswert ungebrochen überstanden", wobei er im Wiederaufbaupakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen „atmosphärischen Kompromiß" sieht, der von der nationalsozialistischen Völksgemeinschaftsideologie nicht unbeeinflußt war.

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Paul Erker, Revolution des Dorfes? Ländliche Bevölkerung zwischen Flüchdingszustrom und landwirtschafdichem Strukturwandel, ebd., S. 368-425. Ebd., S. 424f. Christoph Boyer, „Deutsche Handwerksordnung" oder „zügellose Gewerbefreiheit". Das Handwerk zwischen Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder, ebd., S. 427-467. Michael Fichter, Aufbau und Neuordnung: Betriebsräte zwischen Klassensolidarität und Betriebsloyalität, ebd., S. 469-549. Gerhard Hetzer, Unternehmer und leitende Angestellte zwischen Rüstungseinsatz und politischer Säuberung, ebd., S. 551-591.

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Im vierten Teil des Bandes wenden sich Barbara Willenbacher43 und Nori Möding44 der Situation der Familie zwischen Desintegration und Restabilisierung und der veränderten Stellung der Frau im Nachkriegsgeschehen zu, die durch das Spannungsverhältnis von „Retraditionalisierung" und fortschreitender Emanzipation bestimmt gewesen sei, die allerdings kaum in politisches oder gesellschaftlichen Engagement umgesetzt werden konnte. Das Schlußkapitel spannt den Bogen „Von der Wehrmacht zur Bundeswehr". Bernhard R. Kroener 45 wagt in seinem Beitrag die These, daß die soziale Öffnung des Offizierskorps während des Zweiten Weltkrieges zur „Entfeudalisierung des Offiziersstandes und seiner Professionalisierung im Sinne eines modernen Berufsverständnisses"46 beigetragen habe. Nicht minder mißverständlich bleibt es, wenn Georg Meyer in seinen Ausführungen über „Soldaten ohne Armee. Berufssoldaten im Kampf um Standesehre und Versorgung" die „formalisierte Vergangenheitsbewältigung der Sieger"47 beklagt und zu dem Ergebnis findet, daß die Deklassierung des Berufsmilitärs nicht verhindert habe, daß dieses ein „konsequentes Verständnis für die Demokratie und die Verfassungsordnung der Bundesrepublik" entwickelte.48 Doch hat der Sammelband insgesamt wichtige Impulse für die Sozialgeschichtsschreibung der Nachkriegszeit gegeben. Er ist seinerzeit überwiegend positiv aufgenommen und als Pionierleistung gewürdigt worden49, zumal die originellen Einzelstudien zur Bearbeitung neuer Forschungsfelder anregten. Es gab aber auch skeptische Stimmen, die sich auf die sozialgeschichtliche Fixierung einer „Geschichte von unten" und damit verbunden auf das Periodisierungsschema der Herausgeber bezogen.50 Zu Recht wurde angemerkt, daß „die äußeren Ereig43

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Barbara Willenbacher, Zerrüttung und Bewahrung der Nachkriegsfamilie, ebd., S. 5 9 5 618. Nori Möding, Die Stunde der Frauen? Frauen und Frauenorganisationen des bürgerlichen Lagers, ebd., S. 6 1 9 - 6 4 7 . Bernhard R. Kroener, Auf dem Weg zu einer „nationalsozialistischen Volksarmee". Die soziale Öffnung des Heeresoffizierskorps in Zweiten Weltkrieg, ebd., S. 651-682. Ebd., S. 682. Georg Meyer, Soldaten ohne Armee. Berufssoldaten im Kampf um Standesehre und Versorgung, ebd., S. 683-750. Zitat: S. 705. Ebd., S. 749. Vgl. u. a. Jürgen Kocka in: Der Spiegel 36 (1988), S. 45-54. Die Periodisierungsproblematik der deutschen Nachkriegsgeschichte ist zum Anlaß des 40jährigen Bestehens des IfZ am 13. Juli 1989 auch Gegenstand eines Symposiums gewesen. Vgl. Martin Broszat (Hrsg.), Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990.

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nisse Stalingrad (1942/43) und Währungsreform (1948) nicht den wirklichen Rahmen des Dargebotenen" 51 abgäben, daß die beiden Ereignisse „weder einen sozialen Umbruch eingeleitet (Stalingrad) noch beendet (Währungsreform) hätten".52 „Stalingrad bedeutet keine sozialgeschichtliche Zäsur", so kritisierte Heinrich August Winkler. .Allenfalls ist es eine Metapher für die Herausbildung einer Notgesellschaft im Zeichen des Bombenkrieges. Die Formel ,Von Stalingrad zur Währungsreform', ebenso assoziativ wie suggestiv, verwischt die Bedeutung des Epochenjahres 1945."5S Zugleich warnte Winkler vor einer Sozialgeschichte „with politics left out".54 Allerdings hat das IfZ, auch bei der damaligen unverkennbaren Präponderanz der Gesellschaftsgeschichte, die außen-, sicherheits- und besatzungspolitischen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit ebensowenig aus dem Auge verloren wie die Felder der deutsch-allierten Interaktion und des notwendigen internationalen Vergleichs.55 Dies ist nicht zuletzt das Verdienst von Horst Möller, der im Jahre 1992 die Leitung des Instituts übernahm und internationale Erfahrungen einbringen konnte, die er vor allem während seiner Amtszeit als Direktor des Deutschen Historischen Instituts Paris gewonnen hatte.

IV. Der Abschluß weiterer Teile des Projektes „Politik und Gesellschaft in der amerikanischen Besatzungszone" ließ schließlich noch eüiche Jahre auf sich warten. Martin Broszat hat das Erscheinen der letzten Ergebnisse jener von ihm initiierten und inspirierten Unternehmung leider nicht mehr erleben dürfen. Lang erwartet, erschien zunächst im Jahre 1994 das stattliche, von Christoph Weisz herausgegebene OMGUSHandbuch 56 , das trotz äußerst schwieriger Recherchen, dank der Be-

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So Friedrich-Wilhelm Henning in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 76 (1989), S. 407. So Heinrich August Winkler, Sozialer Umbruch zwischen Stalingrad und Währungsreform?, in: Geschichte und Gesellschaft 16 (1990), S. 408. Ebd., S. 409. Ebd., S. 407. So erschien ebenfalls bereits im Jahre 1986 als Sondernummer der Schriftenreihe der VfZ: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland 1945-1955. Unterwerfung. Kontrolle. Integration. OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949, hrsg. von Christoph Weisz, München 21996.

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harrlichkeit aller Mitarbeiter, zu einem überzeugenden Ende gebracht werden konnte. Die wenigen Andeutungen im Vorwort lassen die Probleme nur erahnen, mit denen die Bearbeiter sich konfrontiert sahen. Nach Abschluß der Arbeiten sei es müßig, so heißt es da, über die Gründe für die Verzögerungen nachzudenken. „Die Genugtuung und die Freude darüber, daß das Werk nun der Öffentlichkeit übergeben werden kann, wiegen die letztlich überwundenen Schwierigkeiten bei weitem auf." 57 Tatsächlich gehört das von Christoph Weisz herausgegebene OMGUS-Handbuch, neben der großen Darstellung von KlausDietmar Henke, auf die noch einzugehen sein wird, zu den bedeutsamsten Leistungen, die aus den Kernbereichen des ursprünglichen Projektes hervorgangen sind. Mit dem Handbuch zur amerikanischen Militärregierung ist ein dringendes Desiderat der zeithistorischen Forschung in vorbildlicher Weise behoben worden. Uber die sach- und personenbezogenen Findmittel hinaus 58 enthält das Werk unentbehrliche Informationen zu Organisation und Kompetenzen der amerikanischen Behörden im besetzten Deutschland. Es erleichtert durch komprimierte Beschreibungen den Quellenzugang erheblich und bietet unverzichtbare Orientierungshilfe. Das OMGUS-Handbuch ist in sechs Beiträge gegliedert, die überwiegend von Archivaren verfaßt wurden, die bereits an der Verzeichnung und Verfilmung der OMGUS-Akten mitgewirkt hatten. Im ersten Teil stellen Josef Henke und Klaus Oldenhage die Spitzenebene der amerikanischen Militärregierung vor.59 Danach folgen die Abhandlungen zu den Militärregierungen der einzelnen Länder. Der Beitrag für Bayern stammt von Reinhard Heydenreuter. 60 Hessen wird von Dieter Emig und Alfred G. Frei 61 behandelt. Wilfried Schöntag 62 befaßt sich mit der Militärregierung von Württemberg-Baden, Andreas Röpcke 63 mit der Bremens und Jürgen Wetzel64 schließlich mit den Besatzungsbehörden im US-Sektor Berlins. 57 58

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Ebd., S. IX. Seit Anfang der 80 er Jahre waren im Archiv des Instituts solche Findmittel in 42 Bänden erstellt worden, die den Zugang zu den Akten erleichtem sollten. Vgl. Hermann Weiß, Abschlußbericht über das OMGUS-Projekt (1976-1983), in: VfZ 32(1984), S. 322f. Josef Henke und Klaus Oldenhage, Office of Military Government for Germany (U. S.), in: OMGUS-Handbuch, S. 1-142. Ebd., S. 143-315. Ebd., S. 317-453. Ebd., S. 455-596. Ebd., S. 597-670. E b d , S. 671-738.

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Jeder Autor folgt einer klaren, analog gestalteten Gliederung. Zunächst wird ein ausführlicher historischer Uberblick über die politischen Rahmenbedingungen u n d die Verwaltungsgeschichte der Militärbehörden geboten. Daran schließt sich eine systematische Ubersicht über den Aufbau der Militärregierungseinheiten, der jeweiligen Abteilungen u n d ihrer zahlreichen Umorganisationen sowie der Befehlstränge, Zuständigkeiten u n d Aufgabengebiete sowohl auf zentraler als auch auf Länderebene an. Den Abschluß bilden dann jeweils eine detaillierte Beschreibung u n d Auflistung der Quellen u n d ihrer Fundorte. Etwa 350 Tabellen, Graphiken, Geschäftsverteilungspläne, Personalübersichten etc. bieten einen hervorragenden Einblick in die Organisationsstruktur der verschiedenen OMGUS-Dienststellen. Entstanden ist ein „splendid work of reference, a model of clarity, comprehensiveness, and ease of use", so stellt Diethelm Prowe fest, u n d er fährt fort: „No more laborious searches through the jungle of offices, divisions, and agencies to sort out relationships and responsibilities."65 Von marginalen Einwänden abgesehen, fand das Werk bei den Rezensenten eine außergewöhnlich positive Aufnahme. Es wurde als vorbildhaft für ähnliche Bestandsaufnahmen zu den übrigen Besatzungszonen angepriesen. 66 Tatsächlich gibt das Handbuch einen hervorragenden Einblick in die Genesis der amerikanischen Militärregierung, in die Phasen ihrer Umorganisation u n d ihrer vielfältigen Aktivitäten bis auf die regionale Ebene hinab. Es spiegelt dabei alle Facetten der Besatzungstätigkeit u n d damit auch der Interaktion mit den Besetzten wider u n d bietet mit seiner Informationsfülle zahlreiche Anregungen f ü r die weitere Forschung. Rechtzeitig u n d doch wohl eher zufällig zum 50. Jahrestag der deutschen Kapitulation erschien als letzter noch ausstehender Beitrag des Projektes das „imponierend voluminöse Werk" 67 von Klaus-Dietmar Henke über die amerikanische Besetzung Deutschlands. 68 Die Fertigstellung des Bandes hatte sich immer wieder verzögert, nicht zuletzt auch durch neue Aufgaben, die der Autor als Leiter der Forschungsab-

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German Studies Review, Vol. XVIII (1995), S. 183. Für die britische Besatzungszone liegt inzwischen ein computergestützes Sachinventar vor. Vgl. Akten der britischen Militärregierung in Deutschland. Sachinventar 19451955 - Control Commission for Germany. British Element. Inventory 1945-1955, 11 Bde., hrsg. von Adolf Μ. Birke, Hans Booms, Otto Merker, München u. a. 1993. So Karl Wilhelm Fricke in Rheinischer Merkur, Nr. 25, 23. Juni 1995. Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995, 2. Aufl. 1996.

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teilung der Gauck-Behörde seit 1992 in Berlin ü b e r n o m m e n hatte. Was er nun als Frucht löjähriger Arbeit vorlegen konnte, darf zweifellos als großer Wurf u n d als krönender Abschluß der historiographischen Leistungen des Forschungsprojekts gelten. Das dickleibige Buch bietet, flüssig geschrieben, äußerst anregende Lektüre, die nur selten an Spannung verliert. Es verbindet historiographische Analyse mit fesselnder Erzählung u n d ist sowohl für den Fachhistoriker als auch für politisch Interessierte eine Fundgrube, in der es sich zu schürfen lohnt. Thema des Buches ist die Eroberung u n d Besetzung des westlichen, südlichen u n d mittleren Deutschland durch die amerikanische Armee, die im September 1944 mit der Einnahme Aachens begann u n d im Frühjahr u n d Sommer 1945 nach der Kapitulation u n d der Konferenz von Potsdam mit dem Rückzug der Amerikaner aus Sachsen u n d Thüringen endete. In diesem Schicksalsjahr berührten sich, wie Henke betont, zwei Zeitalter: „die überwundene Epoche des Faschismus, der Weltkriege sowie der Dominanz des Alten Kontinents und die heraufziehende Epoche der bipolaren Welt mit der amerikanischen Dominanz in der nicht-kommunistischen Hemisphäre". 69 Auf Deutschland bezogen, bilde es die Kernzone der Katastrophen- u n d Transformationsphase zwischen Stalingrad u n d Währungsreform, die sich in ihrer Beschleunigung und Verdichtung von Krieg, Eroberung u n d Besetzung auch als menschliches Drama darbiete. Facettenreich wird das Mosaik der Ereignisse zusammengefügt u n d dort, wo es nötig ist, auch zeiüich weiter ausholend fundiert. Militär-, Diplomatie- u n d Politikgeschichte werden in diese „histoire totale" eines Epochenjahres ebenso einbezogen wie die Erfahrungs- u n d Mentalitätsgeschichte. Das Werk ist in zwei große Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil, der zeitlich bis zum Rheinübergang Ende März 1945 reicht, beschreibt Henke die Rahmenbedingungen der amerikanischen Deutschlandpolitik u n d die Vorbereitung auf die Besetzung u n d Kapitulation seit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 in den einzelnen Planungsphasen. Er zeichnet die Mobilisierung des wirtschaftlichen u n d militärischen Potentials der Amerikaner ebenso eindringlich nach wie die Entwicklung ihres Deutschlandbildes, das spätestens seit 1937 anti-nationalsozialistisch geprägt war. Das Katastrophenjahr 1944, in dem sich nach der Kriegswende von Stalingrad das militärische Desaster Deutschlands im Westen abzuzeichnen begann, wird nicht n u r aus der Perspektive der USA, sondern auch in seiner Bedeutung f ü r die Einstellung der 69

Ebd., S. 25.

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Deutschen nachgezeichnet. Dabei werden die Konsequenzen, die die „Totalisierung" des Krieges für die Bevölkerung mit sich brachte (Verharmlosung der militärischen Lage durch die politische Führung; Terror gegen die eigene Bevölkerung; Aufstellung des Volkssturms, Hoffnungen auf die Amerikaner etc.), ebenso eindringlich vorgeführt wie die letzten Versuche der Wehrmacht, das Kriegsglück zu wenden (Ardennen-Offensive etc.). Nicht minder erhellend sind die Aussagen über die amerikanischen Kriegsziele, die eben nicht rein negativ geprägt waren, sondern auf eine künftige europäische Friedensordnung zielten, in der auch Deutschland seinen Platz finden sollte. Henke gelingt es u. a., die zählebige Morgenthau-Plan-Legende ebenso zu dekonstruieren wie die Vorstellung von der Naivität der Amerikaner im Umgang mit den Sowjets. Der zweite, noch umfassendere Teil des Buches folgt der amerikanischen Besatzungsarmee „Ins Innere des Reiches". Dabei werden nicht nur die militärischen Aktionen, sondern auch die Situtation der Bevölkerung des eroberten Landes, ihre Einstellung, Erwartung u n d Kooperationsbereitschaft in unterschiedlichen Untersuchungsdimensionen akribisch u n d exemplarisch erfaßt. Die Eroberung des Ruhrgebietes, die Besetzung Mitteldeutschlands bis zum Abzug der Truppen aus Sachsen u n d Thüringen, das Kriegsende in Süddeutschland u n d die Konsolidierung der Militärregierung bilden die wichtigsten Etappen. In der Vielfalt dargebotener Probleme werden u. a. die britisch-amerikanischen Kontroversen über einen schnellen Vorstoß nach Berlin ebenso klärend erörtert wie das bewegende Schicksal hunderttausender Soldaten u n d Zivilisten, die anfangs noch unter wohlwollender Duldung der Amerikaner u n d Briten aus dem sowjetischen Herrschaftsgebiet in die westlichen Zonen gelangten. Zu den Glanzstücken der Forschungsarbeit gehört die m e h r als 200seitige, dicht recherchierte Darstellung der Beziehungen zwischen Besatzungsmacht u n d Wirtschaftselite an Rhein u n d Ruhr. In ihr wird deutlich, wie die „Schlotbarone" zunächst versuchten, sich den Amerikanern als unentbehrlich darzustellen, bis sie später schließlich, als die Briten das Besatzungsgebiet übernahmen, von diesen verhaftet wurden. Das wohl eindringlichste Kapitel des Buches ist der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau gewidmet. Die schockierenden Entdeckungen, die zu einem Tiefstand des deutschen Ansehens führten, veranlaßten auch die Befreier zu Uberreaktion u n d Selbstjustiz. Henke verschweigt amerikanische Kriegsverbrechen u n d Willkürakte keineswegs, aber er rückt sie ins rechte Licht. Anders als die sowjeti-

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sehen Revancheakte stellten sie seltene Ausnahmen dar u n d verstießen eindeutig gegen die eigenen militärischen u n d moralischen Standards. Hingegen bescheinigt er den amerikanischen Besetzern ein pragmatisches u n d insgesamt korrektes Verhalten, das die Goebbelssche Propaganda Lügen strafte u n d die Kooperationsbereitschaft der Deutschen förderte. Er zeigt, wie sich im Vorgang der Besetzung eine deutsch-amerikanische Interessengemeinschaft entwickeln konnte, die zunächst darauf gerichtet war, das Land vor dem Chaos zu bewahren, die in ihrer Fernwirkung jedoch zum Fundament für die innere u n d äußere Westbindung der Bundesrepublik werden sollte. Darin dürfte der bleibende Wert dieser informationsreichen Darstellung liegen. Für den Autor lag es jedenfalls „wegen der überragenden Bedeutung der Vereinigten Staaten für die wirtschaftliche u n d gesellschaftliche Entwicklung Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg" auf der Hand, „Einmarsch und Besatzungsherrschaft der United States Army zu beschreiben u n d so der frühen deutsch-amerikanischen Erfahrungsbildung auf den Grund zu gehen." 70 Nimmt man abschließend die im Rahmen des Gesamtprojektes entstandenen Veröffentlichungen noch einmal als Ganzes in den Blick, dann kann festgehalten werden, daß die Autoren bzw. Bearbeiter der Beiträge der von ihnen selbst aufgestellten Anforderung gerecht geworden sind. Sie haben ihre Absicht, „ausschnitthaft die Wirklichkeit des deutschen politischen u n d gesellschaftlichen Lebens unter den Bedingungen amerikanischer Besatzung, der massiven materiellen Kriegsfolgen u n d der Hypothek der NS-Hinterlassenschaft so anschaulich wie möglich zu beschreiben" (Henke/Woller), überzeugend umgesetzt.

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Thomas Schlemmer Gesellschaft und Politik in Bayern 1949 bis 19731 I.

Die historische Forschung befaßt sich seit etwa zwei Jahrzehnten mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der einschlägigen Monographien, Sammelbände u n d Quelleneditionen ist kaum m e h r zu überblicken, u n d auch an gewichtigen Synthesen u n d Uberblicksdarstellungen herrscht kein Mangel. Es hat jedoch lange gedauert, bis die Forschung das Diktum von Hans-Peter Schwarz ernst gen o m m e n hat, die Ära Adenauer sei weniger eine Phase der Restauration als eine „Periode aufregender Modernisierung" gewesen. 2 Ende der achtziger Jahre war es eine Hamburger Arbeitsgruppe um Axel Schildt u n d Arnold Sywottek, die sich aus dem Blickwinkel einer „materiell definierten Modernisierungsforschung" 3 mit Themen wie neue Medien, Verkehrsentwicklung oder Konsum- u n d Freizeitverhalten beschäftigt hat 4 , u n d wenige Jahre später startete das Westfälische Institut für Regionalgeschichte in Münster ein großangelegtes Projekt zur Untersuchung von Kontinuität u n d Wandel der deutschen Gesellschaft am Beispiel Westfalens zwischen 1930 u n d I960. 5 1996 wurde auch im Institut für Zeitgeschichte ein vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht u n d Kultus, Wissenschaft u n d Kunst 1

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Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Notiz: Gesellschaft und Politik in Bayern 1949 bis 1973. Ein neues Projekt des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 46 (1998), S. 311-325. Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Gründeijahre der Republik 1949-1957, Stuttgart/Wiesbaden 1981, S. 382. Anselm Doering-Manteuffel, Deutsche Zeitgeschichte nach 1945. Entwicklung und Problemlagen der historischen Forschung zur Nachkriegszeit, in: VfZ 41 (1993), S. 1 29, hier S. 21. Vgl. Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hrsg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993. Vgl. Matthias Frese u. a., Gesellschaft in Westfalen. Kontinuität und Wandel 1930-1960. Ein Forschungsprojekt des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte, in: Westfälische Forschungen 41 (1991), S. 444-467.

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gefördertes Projekt begonnen, das sich unter dem Leitthema „Gesellschaft u n d Politik in Bayern 1949-1973" mit der Gesellschaftsgeschichte der fünfziger, sechziger u n d frühen siebziger Jahre befaßt. Anknüpfend an die Projekte zur Geschichte Bayerns in der NS-Zeit u n d zur Geschichte der amerikanischen Besatzungszone zwischen 1945 u n d 1949, soll mit diesem Projekt der Versuch gemacht werden, die Interdependenz von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne einer politischen Sozialgeschichte zu erfassen u n d am Beispiel überschaubarer Räume auf der Mikro- oder Mesoebene zu veranschaulichen. Im Kern wird sich das neue Bayern-Projekt mit drei Problemkomplexen auseinandersetzen: Mit der Frage nach der politischen Steuerung u n d Steuerbarkeit des sozioökonomischen Strukturwandels der fünfziger und sechziger Jahre; mit der Frage nach den Auswirkungen dieser Veränderungsprozesse auf die Gesellschaft bzw. auf ausgewählte gesellschaftliche Gruppen u n d soziale Milieus, wobei nach den Gewinnern u n d Verlierern des sogenannten Wirtschaftswunders ebenso zu fragen sein wird wie nach der Entwicklung geschlechter- oder schichtspezifischer Lebensschancen. Schließlich gilt es zu untersuchen, wie sich im Zuge des Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft Mentalitäten u n d politische Einstellungen entwickelt haben, welchen Metamorphosen sie unterworfen waren, was sich halten konnte und was im Zuge des Wertewandels untergepflügt wurde. Daß die Wahl auf Bayern als Untersuchungsraum fiel, ist vor allem auf vier Faktoren zurückzuführen: Erstens verlief der Strukturwandel in den ausgedehnten ländlichen Regionen Bayerns besonders dramatisch. Zweitens versuchte der bayerische Staat, frühzeitig u n d energisch steuernd einzugreifen. Drittens läßt sich hier besonders anschaulich zeigen, wie im Zuge des zu untersuchenden Strukturwandels langfristig stabile Regionalismen u n d innergesellschaftliche Trennungslinien m e h r u n d m e h r an Bedeutung verloren - eine Art Einschmelzung, die auch in anderen Bundesländern zu beobachten war u n d die dort wie auch in Bayern mit der Hegemonialisierung des politischen Systems durch eine Partei einherging. Viertens haben Recherchen in den wichtigsten bayerischen Archiven ergeben, daß hier nicht n u r mit einer überaus guten Quellenlage, sondern auch mit einer weitgehenden Kooperationsbereitschaft der zuständigen Archiwerwaltungen zu rechnen ist. Bayern steht zwar im Mittelpunkt des Projekts, das heißt aber nicht, daß auf einen übergeordneten Bezugsrahmen oder auf vergleichende Perspektiven verzichtet werden soll, im Gegenteil. Wo immer es mög-

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lieh ist, wird der Blick über Bayern hinaus gerichtet und geprüft, wie die Verhältnisse etwa in Hessen oder in Nordrhein-Westfalen lagen, wo wir es mit teilweise völlig anderen sozioökonomischen Voraussetzungen und politischen Konstellationen zu tun haben. Denn erst der historische Vergleich ermöglicht sinnvolle Aussagen über Sonder- und Normalwege und läßt es zu, die immer wieder apostrophierte regionale Sonderentwicklung Bayerns6 in den Kontext der Gesamtentwicklung Westdeutschlands einzuordnen.

II. Im Institut für Zeitgeschichte entstehen im Rahmen des Projekts „Gesellschaft und Politik in Bayern 1949-1973", das Hans Woller leitet, vier Monographien. 7 Stefan Grüner soll dabei mit seiner Studie über die Wirtschafts- und Strukturpolitik in Bayern den politisch-institutionellen Rahmen für das gesamte Projekt erarbeiten.8 Hier wird es vor allem darum gehen, den sozialen und wirtschaftlichen Strukturwandel von der Ebene der Verantwordichen in Verbänden, Parteien, Regierung und Verwaltung aus in den Blick zu nehmen und die Konzepte, Maßnahmen und Instrumente zu untersuchen, mit denen dieser Strukturwandel in die gewünschte Richtung gelenkt werden sollte.9 Schließlich wandelte sich Bayern in knapp vier Jahrzehnten vom Agrarland zu einer führenden Industrie- und Dienstleistungsregion, die bis heute die höchsten Zuwachsraten im Bund zu verzeichnen hat. Zudem gelang es hier allem Anschein nach, die klassische Dichotomie der sozialen Marktwirtschaft - Wirtschaftswachstum und sozialer Ausgleich - in ein besonders stabiles Gleichgewicht zu bringen. 10

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Vgl. Walter L. Bühl, Die Sondergeschichte der bayerischen Industrialisierung im Blick auf die postindustrielle Gesellschaft, in: Aufbruch ins Industriezeitalter, Bd. 1: Linien der Entwicklungsgeschichte, hrsg. von Claus Grimm, München 1985, S. 203-227. Die folgenden Ausführungen über die einzelnen Studien basieren auf den konzeptionellen Ausarbeitungen von Stefan Grüner, Thomas Schlemmer, Jaromir Dittmann-Balcar und Dietmar Süß für die Tagung am 22./23. 10. 1997 im Institut für Zeitgeschichte. Zur Begrifflichkeit vgl. Ulrich Brösse, Ziele in der Regionalpolitik und in der Raumordnungspolitik, Berlin 1972, S. 26, und Joachim Jens Hesse u. a., Regionalisierte Wirtschaftspolitik. Das Beispiel „Zukunftsinitiative Montanregionen", Baden-Baden 1991, S. 13-16. Vgl. allgemein Paul Erker, Keine Sehnsucht nach der Ruhr. Grundzüge der Industrialisierung in Bayern 1900-1970, in: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), S. 480-511, hier S. 485 f. und S. 490 f. Vgl. Alf Mintzel, Geschichte der CSU. Ein Überblick, Opladen 1977, S. 49 f.

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Wie Paul Erker gezeigt hat, ist der ökonomische Aufholprozeß in Bayern in mancher Hinsicht durchaus mit Entwicklungen in anderen schwächer industrialisierten Bundesländern vergleichbar. 11 So wird immer auch mit Blick auf die bundesdeutsche Entwicklung zu fragen sein: Lagen die Veränderungsprozesse gleichsam in der Natur säkularer Trends und konjunktureller Zyklen, oder mußten sie erst angestoßen werden? Und wenn ja, wie gelang es, die Wasser der günstigen weltwirtschaftlichen und bundesrepublikanischen Entwicklung auf die bayerischen Mühlen zu lenken? Welchen Anteil hatte die bayerische Staatsregierung tatsächlich, und welche Vorstellungen waren in ihren Reihen maßgebend? Welche Ideen vertrat man in den Parteien? Wie beurteilte man die Entwicklung in den Wirtschaftsverbänden oder in den Führungsetagen von Banken und Großunternehmen? Welchen Anteil hatten einflußreiche Unternehmerpersönlichkeiten an strukturpolitischen Grundsatzentscheidungen? Wie waren die Kommunikationsstrukturen zwischen Wirtschaft und Politik beschaffen, und welche personellen Verflechtungen zwischen Parteien und Wirtschaftsverbänden gab es? Schließlich wird auch nach dem Gewicht der Bonner Wirtschafts- und Finanzpolitik und nach der Rolle der entstehenden europäischen Institutionen zu fragen sein. Es ist also ein vordringliches Ziel der Untersuchung, die Mechanismen wirtschaftlicher Strukturgestaltung und die damit verbundenen Konzepte und Ergebnisse zu analysieren, wobei neben wirtschaftsgeschichtlichen Problemen auch politik-, institutions-, diskurs- oder sozialgeschichtliche Fragen an prominenter Stelle behandelt werden. Von besonderer Bedeutung sind auch die strukturpolitischen Eingriffsmöglichkeiten, die sich die bayerische Staatsregierung nach und nach geschaffen hat, um das volkswirtschaftliche Gefüge unter den Aspekten von Wachstum und Ausgleich zu beeinflussen. Spezifisch war hier eine Energiepolitik, die frühzeitig nicht auf Kohle, sondern auf Erdöl, Erdgas und Atomkraft als wichtigste Energieträger setzte; einer forcierten Industrialisierungspolitik wurde im revierfernen Bayern so die energiewirtschaftliche Basis geschaffen. Finanzpolitische Maßnahmen traten hinzu. Bildungs- und wissenschaftspolitische Initiativen, wie die Gründung von Gymnasien und neuen Landesuniversitäten, zielten auf die Mobilisierung geistiger Ressourcen. Die so geschaffenen Rahmenbedingungen erleichterten es Unternehmen der Elektro-, Luft- und Raumfahrtindustrie erheblich, sich in Bayern anzu11

Vgl. Paul Erker (Anm. 9), S. 494 ff.

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siedeln. Es bleibt allerdings zu untersuchen, welchen Einfluß diese strukturpolitischen Aktivitäten auf Investitions- oder Standortentscheidungen hatten und ob nicht Faktoren wie regionaler Arbeitsmarkt oder regionales Lohnniveau für Unternehmer ausschlaggebender waren. Zu den wichtigsten Instrumenten der Verantwortlichen in Regierung und Verwaltung gehörte zweifellos die lange heftig umstrittene Landesplanung. Es dauerte mehr als 25 Jahre, bis ein tragfähiger Kompromiß Gesetz geworden und mit dem bayerischen Landesentwicklungsplan 1976 erstmals ein verbindliches Planungskonzept für ganz Bayern entstanden war.12 Schon 1951 hatte Ministerpräsident Hans Ehard Vorarbeiten für einen Landesentwicklungsplan angekündigt. Die dann einsetzenden Studien zeigen eine allmähliche Ausweitung der landesplanerischen Tätigkeit über die begrenzteren und zugleich drängenderen Aufgaben der ersten Nachkriegszeit hinaus. Betrachtet man die wichtigsten frühen Ausarbeitungen, angefangen bei den „Grundlagen für die Aufstellung von Richtlinien zu einem Landesentwicklungsplan"13, so fällt auf, daß die - positiven wie negativen - Bezugsgrößen für die bayerischen Landesplaner außerhalb Bayerns lagen. Vorbild war ganz offensichtlich Württembergs ökonomische Mischlandschaft, abschreckendes Beispiel das Ruhrgebiet mit seinen schwerindustriell geprägten Ballungsräumen.14 Als globales Ziel galt daher der .Ausbau der gemischten agrar-gewerblichen Struktur Bayerns" sowie die „Einhaltung eines gesunden proportionalen Verhältnisses zwischen der Agrarbasis und dem industriellen Uberbau". 15 Die Idee einer solcherart eingehegten und damit - so hoffte man - krisenstabileren Wirtschaft war für die bayerische Strukturpolitik fortan zentral. Es wird zu den wichtigsten Ansatzpunkten der geplanten Studie gehören, der Herkunft, Ausgestaltung und besonders der Umsetzung solch zentraler landesplanerischer Paradigmen nachzugehen. In den Mittelpunkt des Interesses rücken damit vor allem die Schnittstellen zwischen Politik, Verwaltung und organisierten Interessen. 12

Vgl. Winfried Terhalle, Zur Geschichte der Landesplanung in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg: Landesebene, in: Zur geschichüichen Entwicklung der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung in der Bundesrepublik Deutschland, Hannover 1991, S. 105-133.

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Vgl. Die bayerische Landesplanung. Grundlagen für die Aufstellung von Richdinien zu einem Landesentwicklungsplan, Teil 1: Bestandsaufnahme, Teil 2: Planung, München 1951-1953. Vgl. Paul Erker (Anm. 9), S. 481 f. Grundlagen, Teil 2, S. 196.

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Die Versuche, den sozialen u n d ökonomischen Strukturwandel Bayerns politisch zu steuern, erschöpften sich jedoch nicht in Initiativen zur Landesplanung, Industrieansiedlung u n d Verbesserung der Infrastruktur. Ebenso wichtig dürften flankierende sozial- und agrarpolitische Maßnahmen gewesen sein, etwa um die Auswirkungen der tiefgreifenden Umschichtungen in der Erwerbsstruktur abzufedern oder Kleinbauern den Weg in die abhängige Beschäftigung zu erleichtern. Es wird also auch notwendig sein, nach sozialpolitischen Konzepten zur Dämpfung gesellschaftlicher Konflikte u n d deren Wirksamkeit zu fragen, da sonst ein unausgewogenes, j a einseitig ökonomistisches Bild entstehen würde. Während Stefan Grüner die politisch-institutionelle Ebene in den Blick nehmen wird, untersucht Thomas Schlemmer, welche Folgen strukturpolitische Interventionen oder übergreifende Prozesse an der Basis hatten, wie sich soziale Beziehungen, Milieubindungen, politische Orientierungen u n d gesellschaftliche Normen veränderten u n d welche Antworten Politiker vor Ort auf neue Herausforderungen parat hatten. Eine genaue Untersuchung dieser Problemkreise dürfte am besten aus der Nahoptik einer differenzierten Regionalstudie heraus möglich sein. Erst diese gleichsam größere Tiefenschärfe läßt es zu, gängige Feststellungen zu hinterfragen oder bekannte Thesen aus einer anderen Perspektive zu überprüfen. Auf der Suche nach einer Region, die sich in den ersten Nachkriegsjahren wenig von anderen agrarisch geprägten Gebieten mit einigen industriellen Kernen unterschied, dann aber eine Phase geradezu stürmischer Veränderung erlebte, also vom Strukturwandel der fünfziger u n d sechziger Jahre in besonderer Weise betroffen war, stießen wir rasch auf die Region Ingolstadt, die sich auch von der archivalischen Uberlieferungslage her besonders anbot. Der phasenweise stürmische Aufschwung der Region ist eng mit der Entwicklung der Automobilindustrie verknüpft. Unter den Firmen, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Ingolstadt ansiedelten, erlangte die ursprünglich in Sachsen beheimatete Auto Union - heute unter dem Namen Audi bekannt - besondere Bedeutung. 1 6 Schon 1952 waren m e h r als 5000 Arbeiter u n d Angestellte bei der Auto Union beschäftigt, u n d die Belegschaft wuchs trotz der phasenweise schwierigen Lage des Unternehmens weiter: etwa 11000 Beschäftigte waren es 16

Vgl. Hans-Rüdiger Etzold, Ewald Rother, Thomas Erdmann, Im Zeichen der vier Ringe, Bd. 2: 1945-1968, Bielefeld 1995, S. 13-110.

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1964, u n d fast 20000 am Vorabend der Ölkrise von 1973.17 Kein Wunder, daß die Arbeitskräftereserven der Stadt u n d ihrer unmittelbaren Umgebung bald erschöpft waren. Auf einer Karte, die Gemeindetypen nach der Berufszugehörigkeit der Wohnbevölkerung zeigt, kann man auf einen Blick sehen, welche Sonderstellung die Kernzone um Ingolstadt im regionalen Vergleich einnahm. Bis zum Anfang der sechziger Jahre hatte sich ein Ring aus wachsenden Industrie- u n d Arbeiterwohngemeinden inmitten von Land- u n d Bauerngemeinden um den Stadtbezirk gebildet. 18 Hier war ein stetig fortschreitender Prozeß im Gange, der die Grenzen zwischen Stadt u n d Land allmählich verschwimmen ließ u n d schließlich zu einem ausgeprägten Stadt-Land-Kontinuum führte. Die Stadt war auch hier die Wiege der modernen Konsumund Freizeitgesellschaft, ebenso gehörte sie zu den Katalysatoren des Wertewandels. Es bleibt aber zu untersuchen, wie sich die Diffusion urbaner Lebensweisen in ländliche Regionen vollzog, welcher Transportmedien sie sich bediente u n d welche Auswirkungen sie in bislang eher peripheren Gebieten hatte. Die Landwirtschaft verlor in diesen Jahren in großen Teilen des Untersuchungsraumes rapide an Bedeutung. Viele Bauern fanden einen neuen Arbeitsplatz in der Industrie, führten ihren Hof jedoch im Nebenerwerb weiter. Der zwischen selbständigem Bauerntum u n d abhängiger Lohnarbeit angesiedelte Sozialtypus des Nebenerwerbslandwirts ist in mehrfacher Hinsicht interessant: sozialgeschichtlich als Resultat eines forcierten Strukturwandels, mentalitätsgeschichtlich als Wanderer zwischen den Milieus am neuen Arbeitsplatz u n d am angestammten ländlich-dörflichen Wohnort sowie politikgeschichtlich als Träger bäuerlich-konservativen Gedankenguts. Vieles spricht dafür, daß es dieser „in den ländlichen Grund u n d Boden verwurzelte Typ des bayerischen Industriearbeiters" war19, der der CSU den schwierigen Spagat zwischen ihrer angestammten Anhängerschaft in Landwirtschaft u n d Handwerk u n d den Arbeitnehmern im expandierenden sekundären u n d tertiären Sektor der bayerischen Wirtschaft erleichtert hat.

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Vgl. Rudolf Koller, Ingolstadt baut auf. Ein Rechenschaftsbericht 1960-1965, o. O. (Ingolstadt) o.J., S. 28, und Rudolf Koller, Ingolstadt plant und baut. Ein Rechenschaftsbericht 1972-1982, Ingolstadt o.J., S. 26. Vgl. Raumordnungsplan Mittelbayerisches Donaugebiet, hrsg. vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr, München 1965, S. 103; zum folgenden vgl. ebd., S. 132-139. Paul Erker (Anm. 9), S. 499f.

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Die Region Ingolstadt stand in den sechziger Jahren wiederholt im Blickpunkt der Öffendichkeit. Dafür war nicht zuletzt die von der bayerischen Staatsregierung maßgeblich beeinflußte Entscheidung verantwortlich, Pipelines von den Ölhäfen am Mittelmeer nach Ingolstadt zu bauen u n d so die Voraussetzungen f ü r eines der größten deutschen Rafifineriezentren zu schaffen. Zwischen 1962 u n d 1967 wurden in der Region Ingolstadt fünf Raffinerien errichtet, die über drei Pipelines mit Erdöl versorgt wurden. Die erhofften Beschäftigungseffekte blieben allerdings gering; m e h r als 1600 Arbeitsplätze konnten nicht geschaffen werden. Auch eine weitere H o f f n u n g zerschlug sich spätestens mit der Ölkrise: die Ansiedlung petrochemischer Betriebe in großem Stil blieb aus. Damit war es nicht gelungen, neben der außerordentlich konjunkturabhängigen Automobilindustrie ein zweites ökonomisches Standbein aufzubauen. Kein Wunder, daß die Folgen des Ölschocks Ingolstadt besonders hart trafen. Allein bei Audi sank der Mitarbeiterstand zwischen 1973 u n d 1975 um etwa zwanzig Prozent, u n d die Arbeitslosenquote blieb in Ingolstadt - verglichen mit dem Landesdurchschnitt - auch signifikant hoch, als die Wirtschaft wieder an Fahrt gewann. 20 Die von der Automobilindustrie verursachte ökonomische Disparität sollte das große Problem Ingolstadts bleiben. Die Region schlug eine Art Sonderweg ein und machte die Entwicklung von der Industriezur Dienstleistungsgesellschaft n u r ansatzweise mit. Es ist auch im Rahmen einer Regionalstudie unmöglich, alle wichtigen Themenfelder zu behandeln u n d gleichsam eine histoire totale der Boom-Zeit zu schreiben. Nach eingehendem Aktenstudium haben sich vier Problemkreise als Kern der Untersuchung herauskristallisiert: Erstens die ökonomische Entwicklung der Region Ingolstadt, wobei es vor allem darauf ankommen wird, eine Topographie des Untersuchungsraums anhand seiner Wirtschaftsstruktur zu erarbeiten u n d die Interdependenz der Faktoren Industrie, Landwirtschaft u n d Politik aufzuzeigen. Zweitens soll die Entwicklung politischer Strukturen unter den Bedingungen beschleunigten sozialen Wandels in den Blick genommen werden. Hier muß es unter anderem um die Frage gehen, wie sich demographische Verschiebungen u n d Umschichtungen in der Erwerbsstruktur auf die politische Orientierung der Bevölkerung ausgewirkt haben und wie sich die Zusammensetzung der basisnahen politischen Eli-

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Vgl. Rainer Greca u. a., Gutachten Ingolstadt. Landesplanerisches Gutachten zu den Problemen und Chancen des monostrukturellen Wirtschaftsraumes Ingolstadt, München 1992, S. 103f., und Rudolf Koller, 1972-1982 (Anm. 17), S. 39ff.

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ten dadurch verändert hat. Drittens werden die Handlungsspielräume u n d die Grenzen kommunaler Politik am Beispiel der Stadt Ingolstadt untersucht, wobei beispielsweise zu zeigen sein wird, wie f ü h r e n d e Kommunalpolitiker wiederholt versuchten, der Stadt eine neue Identität zwischen Tradition u n d Moderne zu geben, u n d wie lange es dauerte, bis man im historischen Erbe nicht nur überflüssigen Ballast sah, sondern auch eine Chance. Viertens soll die Erosion u n d Beharrungskraft sozialer Milieus u n d Lebenswelten untersucht werden, u n d zwar bevorzugt am Beispiel des katholischen Milieus, der sozialdemokratischen Arbeiterschaft u n d der Jugendkultur in den Jahren um 1968. Die Studie von Jaromir Balcar über die gleichsam im Windschatten des sozioökonomischen Strukturwandels liegende ländliche Gesellschaft Bayerns bildet das Gegenstück zur Untersuchung von Thomas Schlemmer. Die ländliche oder dörfliche Gesellschaft ist keine terra incognita mehr. Schon in den fünfziger Jahren beschäftigten sich eine ganze Reihe soziologischer Studien mit dem Strukturwandel in ländlichen Regionen, wobei das Hauptaugenmerk vor allem auf dem Agrarsektor lag. In den siebziger Jahren wurde das Dorf zu einem bevorzugten Forschungsfeld der Volkskunde, u n d in den achtziger u n d neunziger Jahren nahm sich schließlich auch die Historiographie dieses Themenbereichs an. 21 Viele dieser Studien haben eines gemeinsam: Sie setzen auf der Ebene eines oder mehrerer Dörfer an; dadurch bleibt der Einfluß regionaler Zentren weitgehend ausgeblendet. Um das zu vermeiden, hat sich Jaromir Balcar f ü r die Landkreise als analytischen Rahmen entschieden, wobei die Auswahl der zu untersuchenden Landkreise anhand zentraler statistischer Strukturdaten für das Stichj a h r 1950 erfolgte. Erste Archivrecherchen ergaben für elf der in Frage kommenden Landkreise eine ausreichende Quellenbasis, u n d anhand dieser elf Landkreise soll die ländliche Gesellschaft in Bayern zwischen Währungsreform u n d Gebietsreform untersucht werden. 1950 umfaßten sie knapp acht Prozent der Gesamtfläche des Freistaats u n d 4,4 Prozent der bayerischen Bevölkerung.

21

Vgl. Paul Erker, Revolution des Dorfes? Ländliche Bevölkerung zwischen Flüchtlingszustrom und landwirtschaftlichem Strukturwandel, in: Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 1988, S. 367-425; Andreas Eichmüller, Landwirtschaft und bäuerliche Bevölkerung in Bayern. Ökonomischer und sozialer Wandel 1945-1970. Eine vergleichende Untersuchung der Landkreise Erding, Kötzting und Obernburg, München 1997; Peter Exner, Ländliche Gesellschaft und Landwirtschaft in Westfalen 1919-1969, Paderborn 1997.

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Die Studie soll drei Kapitel umfassen, die die Überschriften „Politik auf dem Land", ,Arbeit auf dem Land" und „Alltag auf dem Land" tragen. Es wird ein wesentliches Ziel der Untersuchung sein herauszufinden, ob der Strukturwandel eher linear verlief oder ob sich Phasen ausmachen lassen, in denen er besonders rasch voranschritt bzw. sein Tempo spürbar verlangsamte. War dieses Tempo in allen Landesteilen gleich, oder sind manche Veränderungsschübe am frühesten und nachhaltigsten in bestimmten Regionen spürbar gewesen? Schließlich stellt sich auch die Frage, ob sich Stadt und Land in diesem Prozeß tatsächlich einander näherten und - wenn j a - wie sich das neue Stadt-LandKontinuum gestaltete. Das Kapitel „Politik auf dem Land" ist der politischen Szenerie vor Ort gewidmet, die in drei Nahaufnahmen unter die Lupe genommen wird. Erstens geht es um den Elitenwechsel in der Kommunalpolitik, zweitens um den Auf- und Ausbau der Parteiorganisationen auf dem Land und drittens um die Veränderungen der Handlungsfelder und Handlungsspielräume der Kommunalpolitik im Zuge des sozioökonomischen Strukturwandels. Eine wichtige Rolle muß in diesem Kapitel auch die Gemeindegebietsreform der frühen siebziger Jahre spielen, die die politische Landkarte Bayerns fundamental verändert hat und die ein wichtiger Katalysator des Elitenwechsels im ländlichen Raum gewesen ist. Das Kapitel .Arbeit auf dem Land" beschäftigt sich mit den tiefgreifenden Veränderungen in der ländlichen Arbeitswelt, die gerade die Landwirtschaft als wichtigste Säule der traditionellen Wirtschaftsstruktur nachhaltig erschüttert haben. 22 Auch das Dorfhandwerk war einem massiven Anpassungsprozeß unterworfen; ganze Sparten wurden überflüssig und starben aus. Wo fanden Bauern, Knechte und Mägde, aber auch ehemals selbständige Dorfhandwerker eine neue berufliche Existenz? Empfanden die Betroffenen ihre neue unselbständige Tätigkeit als sozialen Aufstieg oder eher als Deklassierung? Ging mit der veränderten Erwerbsstruktur auch ein Wandel politischer Grundhaltungen einher, der nicht zuletzt eine größere Politisierung des Dorfes nach sich zog? Die im Industrie- und Dienstleistungssektor Beschäftigten stellen eine Berufsgruppe dar, die auch auf dem Land eine immer größere Bedeutung gewann. Hier wäre zu untersuchen, ob ihr Auftreten ein all22

Vgl. den Überblick bei Arnd Bauerkämper, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in der Bundesrepublik in den 50 er Jahren, in: Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hrsg.) (Anm.4), S. 188-200.

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gemeines Phänomen war oder ob sie eher auf die regionalen Zentren, also Kleinstädte u n d Märkte, konzentriert blieben, welche Branchen sich in ländlichen Regionen ansiedelten u n d wie das Anforderungsprofil der Arbeitsplätze in diesen Betrieben aussah. Das letzte Kapitel dieser Studie ist dem Alltag auf dem Land gewidmet, wobei der Alltagsbegriff hier keine Erfahrungsgeschichte der betroffenen Bevölkerung impliziert. 23 Es geht vielmehr darum, die Auswirkungen des Strukturwandels auf einige genau abgegrenzte Bereiche wie Ehe u n d Familie, Religion u n d Kirche, Wohnen u n d Konsum, Vereinswesen u n d Feste oder Brauchtum zu untersuchen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen hier zwei Fragen: Erstens, wie entwickelten sich die Lebenschancen auf dem Land im Vergleich mit den Lebenschancen in den Städten? U n d zweitens: Blieb das Landleben weiterhin von einem relativ engen Normenkorsett bestimmt, das den Alltag auf dem Land traditionell reglementiert hatte? 24 Die vierte Monographie, die im Rahmen des Projekts „Gesellschaft u n d Politik in Bayern 1949-1973" erarbeitet werden soll, beschäftigt sich mit der Geschichte der Arbeiterschaft, u n d zwar am Beispiel der Bayerischen Braunkohle Industrie (BBI) in Wackersdorf. Dietmar Süß hat dieses Thema nicht zuletzt deswegen gewählt, weil bislang wenig über die Arbeitergeschichte Bayerns u n d der Bundesrepublik in den fünfziger u n d sechziger Jahren bekannt ist.25 So kann man kaum etwas über das angebliche Ende der Arbeiterbewegung oder den Erosionsprozeß sozialdemokratischer Arbeitermilieus sagen; auch über die Frage, ob die vielzitierten Jahre des Wirtschaftswunders ebenso aus sozialund alltagsgeschichtlicher Perspektive eine revolutionäre Umbruchphase waren, ist m e h r spekuliert als empirisch gearbeitet worden. Die Studie knüpft zunächst an Josef Moosers These an, die Arbeiterschaft habe in der Bundesrepublik „Abschied von der Proletarität" genommen. 2 6 Mooser kommt aus der historisch-soziographischen Makroperspektive zu dem Schluß, daß die Zugehörigkeit zur Arbeiterschaft 23

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Vgl. Winfried Schulze (Hrsg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994. Vgl. Utz Jeggle/Albert Ilien, Die Dorfgemeinschaft als Not- und Terrorzusammenhang. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Dorfes und Sozialpsychologie seiner Bewohner, in: Hans-Georg Wehling (Hrsg.), Dorfpolitik. Fachwissenschaftliche Analysen und didaktische Hilfen, Opladen 1978, S. 38-53. Zu den wenigen Ausnahmen gehört etwa Paul Erker, Emährungskrise und Nachkriegsgesellschaft. Bauern und Arbeiterschaft in Bayern 1943-1953, Stuttgart 1990. Vgl. Josef Mooser, Arbeiterleben in Deutschland 1900-1970. Klassenlagen, Kultur und Politik, Frankfurt a. M. 1984, S. 228; Moosers Bilanz ebd., S. 224-236.

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in den Jahren des Booms trotz weiterhin existierender Klassengegensätze ihre bis dahin lebensweltlich prägende Bedeutung verloren habe. Dietmar Süß wird sich dagegen aus der Binnenperspektive eines engbegrenzten Milieus u n d einer einzigen Branche der Frage nähern, wie sich in den durch Wachstum u n d steigenden Wohlstand gekennzeichneten fünfziger und sechziger Jahren soziale Lage, Arbeit und Alltag der Arbeiter veränderten u n d ob mit der sozioökonomischen Entproletarisierung auch das Klassenbewußtsein zu Grabe getragen wurde. Dann soll die neuere Diskussion über eine Rekonzeptionalisierung der Arbeitergeschichte aufgenommen werden, die unter anderem die Rolle des Betriebes als soziales Handlungsfeld entdeckt hat. 27 Daß dieser Aspekt bisher vernachlässigt wurde, lag vor allem an der vorherrschenden sozialtheoretischen Deutung des Betriebs als zweckrationale Organisation mit Profitinteressen. Diese Interpretation berücksichtigte nicht, daß ein Unternehmen auch als differenziertes „Sozialsystem" zu verstehen ist, in dem betriebsstrategische Entscheidungen nicht allein Ausdruck einer rationalen Managemententscheidung sind, sondern auch Produkt relativer Machtungleichgewichte innerhalb des Systems.28 Der Betrieb erscheint in diesem Licht nicht mehr bloß als streng hierarchisch strukturiertes Gebilde, dessen Handeln in j e d e m Fall der kalten Logik der kapitalistischen Wirtschaft folgt. Vielmehr läßt sich der Aktionsradius von Arbeitnehmerhandeln schärfer als bisher fassen. Die BBI, eine hundertprozentige Tochter des Bayernwerks, war bis zu ihrer Schließung im Jahre 1982 neben der Maxhütte mit etwa 1300 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der Region Schwandorf in der Oberpfalz. 29 Das Unternehmen gehörte zu den wichtigsten Braunkohletagebaubetrieben der Bundesrepublik u n d war auch einer der modernsten u n d produktivsten Betriebe der Branche. Schwierige geologische Voraussetzungen hatten die BBI schon früh zu umfassenden Rationalisierungs- u n d Mechanisierungsmaßnahmen gezwungen. Bandförderung u n d Großraumbagger steigerten aber nicht nur die Produktivität, sondern erzwangen auch ein neues Profil für viele Arbeitsplätze. Die Folge war eine zunehmend differenzierte Arbeiterschaft, die in den

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Vgl. Thomas Welskopp, Der Betrieb als soziales Handlungsfeld. Neuere Forschungsansätze in der Industrie- und Arbeitergeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 118-142. Vgl. allgemein Anthony Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung, Frankfurt a. M. 1988. Vgl. Ludwig Suckert, Braunkohle in Wackersdorf. Die wirtschaftliche Entwicklung der BBI AG, Weiden/Regensburg 1996.

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werkseigenen Ausbildungsstätten geschult und auf die neuen, anspruchsvolleren Arbeitsplätze vorbereitet wurde. Während die Sozialdemokratie in der Oberpfalz traditionell kaum politisches Gewicht besaß, konnte der Landkreis Burglengenfeld auf eine lange Arbeiterbewegungstradition zurückblicken. Der Einzugsbereich der BBI, insbesondere der Raum Wackersdorf, war geradezu eine Hochburg der SPD, wie die Wahlergebnisse bis zum Ende der siebziger Jahre zeigen. Freilich hatten sich die Struktur und Präge kraft des sozialdemokratischen Milieus auch hier zu verändern begonnen. Das Jahr 1968 markiert - zumindest für die gewerkschaftlich und sozialdemokratisch organisierte Arbeiterschaft - eine scharfe Zäsur: Auch in der ostbayerischen Provinz lassen sich Elemente jener eruptiven Bewegungen wiederfinden, wie sie die ganze Bundesrepublik erschütterten. Mit anderen Worten: auch Schwandorf erfuhr sein '68. Die Geschichte eines regional eng umrissenen Sozial- und Produktionsmilieus ist mehr als bloß die Geschichte eines lokalen Sonderfalles: Erstens ist der besondere Verlauf des ökonomischen Aufholprozesses in Bayern nicht nur geprägt durch alte und neue industrielle Kernregionen, sondern auch und zu einem erheblichen Anteil durch traditionsreiche Industrieinseln an der Peripherie. Zweitens läßt sich hier mehr über die weitgehend unerforschte Geschichte der bayerischen SPD nach 1945 erfahren. Zumindest für den Untersuchungsraum soll versucht werden, erste Aussagen über Mitgliederstruktur, Funktionseliten und programmatische Entwicklung der SPD zu machen und die Veränderungen im sozialdemokratischen Milieu exemplarisch zu untersuchen. Die Geschichte der Braunkohleindustrie und ihrer Beschäftigten ist, drittens, bisher von der historischen Forschung fast vollständig ausgeblendet worden. Es fehlen praktisch für alle Epochen und Regionen der Bundesrepublik quellengesättigte Studien, die mehr sind als eine Firmenfestschrift.

III. Bei diesen vier eng aufeinander bezogenen Studien soll es jedoch nicht bleiben. Um möglichst viele Facetten der sozialen, ökonomischen und politischen Prozesse beleuchten zu können, die nicht nur Bayern grundlegend verändert haben, werden in Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen oder Kolleginnen und Kollegen, die über verwandte Themen arbeiten, drei Sammelbände vorbereitet. Der erste

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trägt den Arbeitstitel „Die Erschließung des Landes" und wird Beiträge enthalten, die den forcierten Ausbau der Infrastruktur - etwa im Verkehrs-, Bildungs- und Gesundheitsbereich - in den fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahren nachzeichnen. In diesem Zusammenhang wird auch und vor allem danach zu fragen sein, welche Auswirkungen eine verbesserte Infrastruktur auf den Lebensstil und die Lebenschancen der Menschen hatten, vor allem, wenn sie in peripheren Regionen lebten, die nun Zug um Zug an die Urbanen Zentren angebunden wurden. Der zweite Sammelband wird sich mit der Entwicklung ausgewählter gesellschaftlicher Gruppen unter den Bedingungen des Strukturwandels der fünfziger und sechziger Jahre beschäftigen. Hier gilt es beispielsweise, Handlungsmuster und politische Strategien von Unternehmern und ihren Verbänden zu analysieren, nach der Transformation und Erosion des für Bayern so wichtigen katholischen Milieus zu fragen, die janusköpflge Entwicklung des alten Mittelstandes am Beispiel des Handwerks nachzuzeichnen oder soziale Lage und Lebenswirklichkeit von Unterschichten in Stadt und Land zu untersuchen. Der dritte geplante Sammelband mit dem Arbeitstitel „Bayern im Bund" soll dagegen vergleichend angelegte Studien enthalten, die sozioökonomische Veränderungsprozesse und politische Strategien im Freistaat mit der Entwicklung in anderen Bundesländern in Beziehung setzen oder kontrastieren. Dabei soll nach spezifisch bayerischen Pressure Groups ebenso gefragt werden wie nach divergierenden Konzepten zur Bewältigung ökonomischer Krisen, den Wegen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung sowie nach Instrumenten und politischen Intentionen von Traditionswahrung und Traditionsstiftung.

Wolfgang Krieger Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt Ein Beitrag zur Integrationsforschung

Das Thema dieses Forschungsprojektes gehört in den großen Zusamm e n h a n g der Integrationsforschung, insbesondere j e n e r geschichtswissenschaftlichen Forschung, welche sich seit den 1970 er Jahren intensiv mit den Institutionen der westeuropäischen Integration auf der staatlich-wirtschaftlichen Ebene befaßt. Die drei hier vorzustellenden Publikationen - ein von Ludolf Herbst, Werner Bührer u n d H a n n o Sowade herausgegebener Sammelband, eine kürzere, stark systematisch ausgerichtete Monographie von Christoph Buchheim zur Wirtschaftsgeschichte und eine längere, organisations- und politikgeschichtliche Monographie von Werner Bührer - sind sehr unterschiedich ausgerichtet, lassen aber doch die „Handschrift" des Instituts für Zeitgeschichte erkennen. 1 Sie sollen nicht nur einzeln gewürdigt werden, sondern Anlaß für einige Überlegungen zum heutigen Stand der geschichtswissenschaftlichen Integrationsforschung geben. Dabei nimmt sich der Verfasser die Freiheit, gelegentlich etwas zugespitzt zu formulieren, um j e n e m Harmoniebedürfnis, man möchte fast sagen „group think", entgegenzuwirken, welches die historische ebenso wie die aktuelle Integrationsforschung weithin beherrscht. Dieses f ü r die deutsche Europapolitik seit den 1950 er Jahren charakteristische Verhalten, die unbequemen Fragen der Integration weitgehend auszublenden oder doch herunterzureden, schlägt sich auch in der Geschichtschreibung nieder. 2 Zwar wei1

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Christoph Buchheim, Die Wiedereingliederung Westdeutschlands in die Weltwirtschaft 1945-1958, München 1990; Werner Bührer, Westdeutschland in der OEEC. Eingliederung, Krise, Bewährung 1947-1961, München 1997; Ludolf Herbst/Werner Bührer/ Hanno Sowade (Hrsg.), Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt, München 1990. Rainer Hudemann/Hartmut Kaelble/Klaus Schwabe (Hrsg.), Europa im Blick der Historiker, München 1995; WolfgangJ. Mommsen (Hrsg.), Der lange Weg nach Europa. Historische Betrachtungen aus gegenwärtiger Sicht, Berlin 1992.

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chen die drei hier zu erörternden Bände in erfreulicher Weise davon ab, doch im Vergleich zu den Schriften Alan S. Milwards3, des führenden Ikonoklasten der Integrationshistorie, kommen die Münchner Tabuverweigerungen eher auf leisen Sohlen daher. Welche Bedeutung hat das gewählte Projektthema f ü r die Geschichte der Bundesrepublik u n d f ü r die Entwicklung der internationalen Beziehungen nach 1945? Um diese Fragen zu beantworten, muß man weit über die Einzelthemen hinausblicken. In bezug auf Westdeutschland ist zunächst einmal dem Projektleiter Ludolf Herbst zuzustimmen, daß es sich für die Bundesrepublik nicht um die Geschichte von frei wählbaren Club-Mitgliedschaften in einer Reihe von westeuropäischen Institutionen (dem Europarat, der Montan-Union, der OEEC, der EWG und von EURATOM) handelte. 4 Vielmehr war j e d e r Beitritt, j e d e r Integrationsschritt eine Vorbedingung für eine wesentliche Etappe auf dem Weg zur politischen Selbständigkeit, also zur Souveränität, u n d damit zur Ausformung von Eigenstaaüichkeit. Die Bundesrepublik wurde überhaupt erst zu einem als souverän zu bezeichnenden Staat, indem sie sich westeuropäisch integrierte. Das heißt, Bonn erhielt die von den Westalliierten gewährten Souveränitätsrechte nicht zur freien Verfügung, sondern zur zumindest teilweisen Weitergabe an internationale Institutionen. Diese Tatsache war bei der Wehrhoheit besonders augenfällig, spielte aber auch in anderen Bereichen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus gab es zusätzliche Ausnahmen, denn auch zwischen den Pariser Verträgen (1954) u n d dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag (1990) besaß die Bundesrepublik n u r eine unvollständige Souveränität. Die Frage der Ostgebiete nach dem Stand von 1937, die Berlinrechte und die Bedingungen für einen staatlichen Zusammenschluß der Bundesrepublik mit der DDR u n d mit Berlin blieben bis 1990 ebenso ausschließlich wie fest in alliierten Händen. Unter diesen Umständen waren die außenpolitischen Handlungsspielräume für die frühen Bonner Regierungen eher gering. Man kann deshalb von einer „Option für den Westen" eigentlich n u r dann sprechen, wenn man neben der Anpassung an die von den Westalliierten vorgegebenen Parameter auch einen außenpolitischen Obstrukti3

4

Alan S. Milward, The Reconstruction of Western Europe 1945-51, London 1984; Ders., The European Rescue of the Nation-State, Berkley CA 1992. Ludolf Herbst, Stil und Handlungsspielräume westdeutscher Integrationspolitik, passim, in: Herbst/Bührer/Sowade (Anm. 1). Vgl dazu auch den in einer anderen Buchreihe erschienenen Beitrag zum Integrationsprojekt: Ludolf Herbst, Option für den Westen. Vom Marshallplan zum deutsch-französischen Vertrag, München 2 1996.

Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt 443 onskurs wie nach 1919 oder eine Sowjetisierung Westdeutschlands ins Kalkül zieht. Beides war jedoch für die demokratischen Kräfte der Bonner Republik völlig undenkbar. So gesehen bestand die vielgerühmte Staatskunst von Konrad Adenauer nicht so sehr darin, den westlichen Siegermächten eine deutsche Politik der Westintegration für möglichst h o h e Gegenleistungen zu „verkaufen". Ihre hauptsächliche außenpolitische Leistung war es vielmehr, die Bedingungen dieser Integration wenigstens halbwegs mit dem deutschen Wunsch nach wirtschaftlichem Wiederaufbau u n d nach Rückgabe von Souveränitätsrechten zu verbinden u n d dabei wenigstens die völkerrechtliche Option eines deutschen Gesamtstaates zu wahren. Die Alliierten wiederum wollten keinesfalls die Wiederauflage einer deutschen Obstruktionspolitik oder einen westdeutschen Marsch in das sowjetische Lager zulassen. Das Zauberwort ihrer Verhinderungsstrategie hieß „Integration". Die innenpolitische, in der Forschung noch nicht erschöpfend behandelte Aufgabe der Bonner Politik bestand darin, diese Integration als eine möglichst freiwillige und den deutschen Interessen, darunter auch dem Streben nach Wiedervereinigung, dienliche Schritte hinzustellen. Die „Option" für den Westen war also gleichermaßen eine psychologische Frage der inneren Politik, denn mit der Rückkehr Deutschlands in die Gemeinschaft der Staaten, also in den Status eines (zumindest weitgehend) souveränen Staates, u n d in die Weltwirtschaft mußte eine stabile freiheitlich demokratische O r d n u n g aufgebaut werden. Nur eine solche O r d n u n g konnte nach außen hin das für eine halbwegs selbständige deutsche Politik erforderliche Vertrauen schaffen. Das heißt, bei der Analyse dieser Zusammenhänge läßt sich die neue äußere O r d n u n g von der inneren überhaupt nicht trennen. Insgesamt kann die westeuropäische Integration, welche in die heutige Europäische Union mündete, auf fünf wesenüiche Antriebe der internationalen Politik zurückgeführt werden, die in der vom Münchner Integrationsprojekt behandelten Gründungsphase zu berücksichtigen waren. Erstens ist das deutsche Problem zu nennen, das die westeuropäischen u n d die transatlantischen Beziehungen in vielerlei Hinsichten geformt hat u n d dessen Wirkung noch im Maastrichtvertrag von 1992 sowie in den Debatten um die Osterweiterung der EU spürbar ist. Dieses deutsche Problem bestand zunächst in der Furcht einerseits vor einem deutschen Revanchismus u n d andererseits vor einer potentiellen Chaosmacht Deutschland. Beide Szenarien hätten für Moskau n u r allzu bequem als Vorwand für eine „Ostintegration" Gesamtdeutschlands

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dienen können. Doch auch ohne in eines dieser beiden Extreme umzuschlagen, blieben die ungelösten Territorialfragen, die ungewisse Dauerhaftigkeit der Reorientierung zur freiheitlichen Demokratie und die potentielle Wirtschaftsmacht eines wiederaufgebauten Deutschlands. Uber viele Jahre hin waren diese Gegebenheiten Anlaß zur Besorgnis, sowohl innerhalb der Bundesrepublik wie auch im übrigen Westeuropa, während es heute nur noch die schiere Größe der deutschen Bevölkerung und ihrer Wirtschaft ist, die man in Europa per Integration zähmen („einbinden") will. Der zweite Antrieb der Integrationspolitik war die modernisierende Rekonstruktion der westeuropäischen Nationalstaaten, womit die Suche nach einer unter den Bedingungen des Kalten Krieges überlebensfähigen nationalen Unabhängigkeit verbunden war.5 Diesen Aspekt hat Milward sehr stark hervorgehoben, j a in vielerlei Hinsichten überhaupt erst in die Integrationshistorie hineingetragen. In diesen nationalstaatlichen Prioritäten sind die Ursachen für die meisten Widerstände gegen bestimmte Integrationsvorschläge zu suchen, einerlei ob es deutlich sichtbare britische oder ob es oft verdeckt, aber ebenso hartnäckig verfochtene niederländische, französische oder italienische waren. Für die deutsche Seite galten allerdings besondere Bedingungen, weil die Teilung Deutschlands und die von den Alliierten vorbehaltenen Rechte es gar nicht zuließen, daß in vergleichbarer Weise nationale Interessen vertreten wurden. Vieles wurde deshalb in der politischen Terminologie „europäisch" verpackt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie selbstverständlich man nach 1945 in Westeuropa noch viele Jahre hindurch davon ausging, nicht nur die europäischen Nationalstaaten selbst, sondern auch ihre Kolonialreiche wiederherstellen und modernisieren zu können. Die resultierenden Konflikte beeinträchtigten die Integrationspolitik bis zum Ende des Algerienkrieges 1962, j a bis zum endgültigen britischen EWG-Beitritt 1973. An diesem Punkt zeigt sich abermals, daß die Westeuropäer nach 1945 keineswegs völlig neue internationale Beziehungen anstrebten, wie die ältere, idealistisch-geistesgeschichtlich orientierte Integrationshistorie betonte, sondern daß die Integration eher als ungeliebter Notbehelf angesehen wurde, von dem man nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß Gebrauch machen wollte. 5

Vgl. hierzu: Helmut Berding (Hrsg.), Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1984; Heinrich August Winkler/Hartmut Kaelble (Hrsg.), Nationalismus — Nationalitäten - Supranationalität, Stuttgart 1993.

Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt 445 Der dritte Antrieb zielte auf den Wiederaufbau der europäischen Volkswirtschaften, insbesondere der unverzichtbaren Außenhandelsbeziehungen. In diesem Zusammenhang bedeutete Integration dreierlei: Erstens waren in der Tat viele Führungspersönlichkeiten der Uberzeugung, daß die Weltwirtschaftskrise nach 1929 u n d die damaligen Reaktionen der wichtigsten Staaten als vermeidbares ökonomisches und wirtschaftspolitisches Fehlverhalten anzusehen seien. Durch strukturelle Verbesserungen der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen müsse eine Wiederholung für alle Zukunft vermieden werden. Gleichzeitig wurden jedoch viele hergebrachte wirtschaftspolitische Instrumente u n d Vorstellungen, insbesondere auch solche, die sich gegen einen internationalen Freihandel und gegen eine freie Marktwirtschaft richteten, durchaus für weiterhin brauchbar u n d richtig gehalten. Derartige Traditionslinien lassen sich für die Integrationspolitik ebenso wie für ihre Skeptiker u n d Gegner aufzeigen. 6 Zweitens war bei den damaligen Eliten die Vorstellung von der Wirksamkeit und Notwendigkeit staatlicher Wirtschaftsintervention sehr weit verbreitet. Das hatte etwas mit dem „Erfolgserlebnis" der Kriegswirtschaft zu tun, reichte aber bis in die Zwischenkriegszeit sowie in den Ersten Weltkrieg zurück. Die Planbarkeit und staatliche Steuerung des Wiederaufbaus u n d der wirtschaftlichen Modernisierung beherrschte die Köpfe, führte vor allem in Frankreich u n d Großbritannien zu einer stark planwirtschaftlich orientierten Politik und bestimmte weithin die Parameter der Integrationspolitik. Zwar breitete sich seit den späten 1960 er Jahren zunehmend das marktwirtschaftlich orientierte Denken wieder aus, zumal sich staatliche Wirtschaftslenkung oftmals als unwirksam u n d kostspielig erwiesen hatte. Doch die große wirtschaftspolitische Wende setzte erst mit den massiven Privatisierungsinitiativen u n d Haushaltsbeschränkungen („Monetarismus") seit den 1980 er Jahren ein. Drittens wurde im ersten Nachkriegsjahrzehnt Westeuropa durch die überragende Einflußnahme der USA sehr stark von außen gelenkt. Die von Washington gebotenen Wirtschaftshilfen waren unverzichtbar u n d wurden von den Amerikanern rigoros zur Durchsetzung ihrer mit den Stichworten Bretten Woods u n d GATT zu b e n e n n e n d e n weltwirtschaftlichen Konzepte instrumentalisiert. O h n e viel Ubertreibung läßt sich festhalten, daß die frühe westeuropäische Integration von den USA regelrecht erzwun-

6

In welchem Ausmaß auch in den USA die Widerstände gegen eine Freihandelspolitik bestehen blieben, skizziert Thomas W. Zeiler, Managing Protectionism: American Trade Policy in the Early Cold War, in: Diplomatie History 2 2 / 3 (1998).

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gen wurde. Das galt insbesondere hinsichtlich der durch den Marshallplan gesteuerten Eingliederung Westdeutschlands, wobei allerdings hinzuzufügen ist, daß diese amerikanische Politik in Westeuropa durchaus ihre Anhänger fand. Aus diesem von bestimmten westeuropäischen Integrationsbefürwortern für nützlich gehaltenen Druck der Amerikaner bildete sich jedoch ein vierter Antrieb zur Integrationspolitik, den man plakativ als gaullistisch bezeichnen kann. Um ein „europäisches Europa" zu schaffen, wurden immer wieder neue Anläufe der wirtschaftlichen und technologischen Selbstbehauptung Westeuropas gegenüber der geballten Kapital· und Technologiemacht der USA unternommen. „Le defi americain", so der Titel des überaus populären, 1967 erschienenen Buches von Jean-Jacques Servan-Schreiber, traf einen gewissen Nerv, insbesondere in Frankreich, aber bei weitem nicht nur dort. Gewiß war die Haltung de Gaulles gegenüber den USA zumeist ambivalent, jedenfalls nicht im platten Wortsinn als anti-amerikanisch zu bezeichnen. 7 Doch seine Person verkörperte, was viele in Westeuropa anstrebten, auch wenn sie es manchmal nur versteckt zum Ausdruck brachten. Zugleich ist allerdings daran zu erinnern, daß de Gaulle ein Kritiker j e n e r Formen von Integration war, die sich auf bürokratische Institutionen und damit auf substantielle Übertragungen von Souveränität richteten. Er wollte bekanntlich ein „Europa der Vaterländer". Deshalb verweist das Stichwort „gaullistisch" zugleich auf Integrationsformen, die außerhalb der Brüsseler Institutionen entstanden und die bisher in der Integrationshistorie noch vergleichsweise wenig Berücksichtigung gefunden haben. Dazu gehören die großen westeuropäischen Technologieprojekte, von denen CERN, AIRBUS und ARIANE nur die größten und erfolgreichsten sind. Viele andere, darunter auch zahlreiche militärische, gehören in diesen Kontext. Als fünfter Antrieb zur Integration ist schließlich die Bedrohung durch die Sowjetunion zu nennen. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, warum die innere Stabilisierung Westeuropas - durch politischwirtschaftliche Zusammenarbeit und mit entscheidenden Hilfen der USA - unverzichtbar war, wenn die vom Krieg ausgezehrten Völker wieder Selbstvertrauen und den Willen zum Widerstand gegen die Politik Moskaus finden sollten. Das traf für Westdeutschland in besonderem Maß zu. Die deutsche Frage und der Einfluß der USA waren hier auf 7

Neuestens und sehr differenziert dazu: Maurice Vaisse, La grandeur. Politique etrangere du general de Gaulle 1958-1969, Paris 1998.

Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt 447 das engste mit den Problemen der sowjetischen Bedrohung verknüpft. Allerdings ist es den Westeuropäern bekanntlich nicht gelungen, darauf eine eigenständige institutionelle Antwort zu finden. Die EVG scheiterte, mit ihr auch die Europäische Politische Gemeinschaft. Die WEU sowie die Koordination der EU-Außen- und Sicherheitspolitik sind bis heute schwach geblieben. Bewährt hat sich nur das zweite große institutionelle Gebäude der europäischen Integration, nämlich die NATO, die jedoch eindeutig unter der Führung der USA stand. Für die eingeschworenen Befürworter einer möglichst „tiefen" Integration im EU-Rahmen, des wörtlich genommenen „immer engeren Zusammenschlussfes] der europäischen Völker", wie ihn die Präambel des EWG-Vertrages von 1957 fordert, liegt hier ein gravierender Mangel, dessen Ursprünge bis 1950/1954 zurückreichen und dessen Bedeutung seit 1990 erheblich zugenommen hat. Aus diesem großen, hier nur skizzierten Tableau hat sich das IfZ-Projekt ein begrenztes Feld ausgewählt, nämlich die in den beiden Monographien behandelte wirtschaftliche Eingliederung der Bundesrepublik. Doch mit der im Mai 1988 veranstalteten Tagung, deren 1990 publizierte Beiträge hier gesammelt vorzustellen sind, hat das Projekt zunächst einmal viel weiter ausgegrifFen. Die Integrationspolitik Frankreichs, der Benelux-Staaten und Großbritanniens wurde berücksichtigt. Wirtschaftsfragen wurden angesprochen, die thematisch nicht zu den Vorhaben von Buchheim und von Bührer gehörten - beispielsweise die Handelsinteressen Schwedens (Martin Fritz) und die „Amerikanisierung der deutschen Wirtschaft" (Volker Berghahn) sowie die zivile Kernkraft (Michael Eckert). Weitere sechs Beiträge, von insgesamt 28, behandeln verschiedene Aspekte der militärischen Integration, die damals bereits Gegenstand eines großen Publikationsvorhabens des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg waren - und es mit dem inzwischen in Potsdam laufenden NATO-Projekt noch immer sind.8 Wie bei Sammelbänden üblich, treffen hier Analysen verschiedenen Reifegrades aufeinander. Manche Autoren fassen umfangreiche, bereits publizierte Arbeiten zusammen. Andere, wie Buchheim und Bührer, stellen laufende Projekte vor. Manche Themen fehlen, auch manche Autoren. Beispielsweise war John Gillingham, dessen große Arbeit zur Montan-Union 1991 erschien, damals als Gastwissenschaftler des IfZ 8

Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956, 4 Bde., München 1982-1997.

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mit dem Projekt eng verbunden. 9 Für vielerlei Einzelfragen gibt es ein gewiß interessantes Themenangebot, das von den Herausgebern in der Einleitung vorgestellt wird und an dieser Stelle nicht im Detail rekapituliert werden muß. Von besonderem Interesse ist der bereits genannte Aufsatz von Herbst, weil hier ebenso nüchtern wie pointiert das dem Projekt zugrundegelegte Gesamtverständnis zum Ausdruck kommt. Als konzeptionellen Vorläufer darf man wohl seinen 1986 erschienenen Zeitschriftenaufsatz über die „zeitgenössische Integrationstheorie u n d die Anfänge der europäischen Einigung 1947-1950" sehen, der übrigens, entgegen dem engen Titel, viel weiter in die Geschichte des politischen Denkens ausgreift u n d somit einen Versuch der Systematisierung, einen Brückenschlag zur politikwissenschaftlichen Integrationsforschung darstellt. 10 Nun skizzierte Herbst das Großthema der praktischen Politikgeschichte. Hat es in Bonn überhaupt Alternativen, eben Handlungsspielräume der Integrationspolitik, gegeben? Sollte das nicht der Fall gewesen sein, so wäre die in den Adenauer-Memoiren behauptete und in der f r ü h e n Literatur zur Außenpolitik des Kanzlers oft nachvollzogene „Richtungsentscheidung" weitgehend hinfällig. Wie bereits vorweggenommen, könnte die Bonner Pionierleistung vor allem darin gelegen haben, schrittweise einen innenpolitischen Konsens zugunsten der Westintegration geschaffen zu haben. Herbst geht auf die deutsche Stimmungslage nicht ausführlich ein, deutet jedoch an, daß die Ablehnung eines Beitritts zum Europarat u n d zu der von Robert Schuman vorgeschlagenen Montan-Union „auch die innenpolitische Basis der Regierung Adenauer gefährdet" hätte (S. 8). Unter dieser Annahme kommt die auf nationale Interessen pochende Mahnung Kurt Schumachers zu ihrem Recht, „daß j e d e Form der Erleichterung von den Westalliierten zwangsläufig gewährt" würde, man also ruhig noch höher hätte pokern dürfen, als es von Seiten Adenauers geschehen sei.11 Hier wirkte Schumacher selbst an der Herausbildung jenes Mythos von den westdeutschen Handlungsspielräumen mit, indem er die Ablehnung der Montan-Union durch die SPD mit einem langen Forderungskatalog begründete u n d eine weitgehend andere Orientierung der europäischen Zusammenarbeit postulierte. Zu 9

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John Gillingham, Coal, Steel and the Rebirth of Europe, 1945-1955: The Germans and French from Ruhr Conflict to Economic Community, Cambridge 1991. Ludolf Herbst, Die zeitgenössische Integrationstheorie und die Anfänge der europäischen Einigung 1947-1950, in: VfZ 34 (1986), S. 161-205. Rede vom 13. 6. 1950; zitiert in: Herbst/Bührer/Sowade (Anm. 1), S. 8.

Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt 449 Schumachers Europapolitik enthält der Sammelband einen lesenswerten Beitrag von Wolfgang Benz, der die Hintergründe dieser weitgehend im Wunschdenken verhafteten Argumentation des Oppositionsführers beschreibt. Am Beispiel der Entstehung des Generalvertrages von 1952 weist Herbst auf die n u r spärlichen Verhandlungsmöglichkeiten Adenauers hin. Dieses Vertragswerk wäre „Adenauers politischem Ansehen kaum dienlich gewesen [ . . . ] , wäre es j e in Kraft getreten" (S. 17). Im nachhinein muß man also von Glück sprechen, daß die französische Nationalversammlung die EVG ablehnte, weil sie damit der Bundesrepublik den Weg in die NATO eröffnete, der seinerseits eine Abmilderung der Souveränitätseinschränkungen im Deutschlandvertrag bewirkte. Nun konnte auch die für Westeuropa noch einige Zeit psychologisch wichtige Frage der Sicherheit vor Deutschland primär durch .Amerikanisierung" der Verteidigung im NATO-Rahmen gelöst werden, erst sekundär durch „Europäisierung", wie Hans-Peter Schwarz in seinem Schlußwort zu diesem Band schreibt (S. 601). Für die „regionalen Wirtschaftsklubs" fügt er hinzu: Erst nachdem die Bundesrepublik in der Montan-Union u n d in der EWG Aufnahme fand, konnte sie sich gegen die Hegemonie Frankreichs wehren, wobei sie von Italien u n d von den Benelux-Staaten unterstützt wurde. Später konnte sie sich auch den britischen Großmachtansprüchen entgegenstellen (S. 605). Schwarz hebt hervor, daß die Bundesrepublik zügig lernte, wie die Vielschichtigkeit der neuen Institutionen der Integration und die Schwächen der keineswegs aus einem Guß gefertigten Vorherrschaft der USA zum Nutzen Bonns gewendet werden konnten. Allerdings sei dies n u r mit einer „totalen Westintegration der Bundesrepublik" möglich gewesen, die wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, diplomatisch u n d kulturell gleichermaßen orientiert war. Eine Teilintegration, beispielsweise unter Weglassung der sicherheitspolitischen oder wirtschaftspolitischen Einbindung, wie sie von Osterreich, Finnland, Schweden u n d der Schweiz praktiziert wurde, hätte innenpolitisch nicht das erforderliche „Vertrauen in den Gesamtprozeß der Westorientierung" erbracht (S. 608). Im gleichen J a h r wie der in Ausschnitten vorgestellte Sammelband erschien die von der Universität München angenommene Habilitationsschrift von Christoph Buchheim. Sie beginnt mit einer besonders hilfreichen Darlegung der „Dollar-Klausel", mit der die USA sicherstellen wollten, daß deutsche Exporte in harter Währung verrechnet wurden u n d damit wenigstens teilweise gegen die dringend benötigten Le-

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bensmitteleinfuhren sowie andere in der Bizone benötigten Güter verrechnet werden konnten. Hier erfolgte schon ein wichtiger erster Schritt zu der durch das Bretton-Woods-Abkommen vorgezeichneten neuen Weltwirtschaftsordnung, die auf einem möglichst unbehinderten internationalen Handelsaustausch mit frei konvertierbaren Währungen auf der Basis des Goldstandards, realiter auf Dollar-Basis, beruhen sollte. Den damals gängigen Einwänden zur Dollar-Klausel hält Buchheim entgegen, die Alternative wäre „ein enormer Abfluß deutscher Ressourcen in das Ausland o h n e reale Bezahlung" gewesen - zumal ein Großteil der Bizonen-Exporte in Rohstoffen bestand (S. 14). Als Kontrast zur Bizone kann die Wirtschaftpolitik in der französischen Zone gelten, die der französischen Wirtschaftsplanung unterworfen wurde. Ihre Industrie produzierte „fast ausschließlich für französische Bedürfnisse" (S. 39). 12 In einem längeren Exkurs versucht Buchheim eine Gesamtrechnung der von den USA, in weit geringerem Umfang auch von Großbritannien, insgesamt zugeflossenen staatlichen Wirtschaftshilfe von rund gerechnet 4,2 Milliarden Dollar (bis 1952) u n d den durch die Alliierten auferlegten Belastungen (S. 71). Hier darf man keine Vollständigkeit erwarten, weil die Verrechnungswerte vieler Güter kaum objektivierbar sind. Unverständlich bleibt nur, warum in die ohnehin n u r sehr grobe Schätzung das deutsche Auslandsvermögen nicht eingerechnet wird. Das Weglassen der Arbeitsleistungen der deutschen Kriegsgefangenen läßt sich volkswirtschaftlich noch eher begründen, aber warum werden die Gebietsabtretungen im Osten nicht einmal erwähnt? Waren sie nicht auch eine Art von Reparationen, ein von den Alliierten herbeigeführter Verlust für die deutsche Volkswirtschaft? Buchheims Schätzungen, die weitgehend j e n e n des Tübinger Instituts für Besatzungsfragen folgen, aber doch sehr interessante Gesichtspunkte zu den Bewertungen einzelner Bilanzposten beibringen, ergeben rund 7,6 Milliarden Dollar. Das sind ca. 3,1 Milliarden Dollar mehr als die öffentlichen u n d privaten Hilfen der Bizonenmächte zusammengerechnet (S. 95). Der Nutzen der amerikanischen Hilfe beim westdeutschen Wiederaufbau lag jedoch nicht n u r in den Dollarbeträgen, sondern vor allem in der politischen Unterstützung für die wirtschafdich-politische Eingliederung der Bundesrepublik in Westeuropa. Hier kommt Buchheims Kernthese zum Tragen: „ . . . die USA benutzten diese Hilfe [an 12

Leider erfährt der Leser nicht, welche Preise dafür verrechnet wurden.

Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt 451 Westeuropa] als Hebel zur Durchsetzung ihres Zieles eines multilateralen Welthandels bei gleichzeitiger Eingliederung Westdeutschlands" (S. 99). Mit Hilfe der jährlich budgetierten Marshallplangelder setzten sie die OEEC-Mitglieder unter Druck u n d steuerten sie die EZU. Durch die Aufnahme in das GATT (am 1. 10. 1951) erhielt die Bundesrepublik die Meistbegünstigungsklausel der anderen Mitglieder. Sodann legte Bonn beim Zollabbau ein vergleichsweise hohes Tempo vor. Noch viele andere Schritte waren nötig, um die Bundesrepublik u n d ihre neuen Integrationspartner aus der Fülle von Produktions- u n d Handelsbeschränkungen zu befreien, die überwiegend nach dem Ersten Weltkrieg aufgetürmt worden waren. Buchheim beschreibt eine große Zahl davon u n d geht zumindest ansatzweise auf einige der Widerstände ein, die sich beim Abbau in den Weg stellten. Daß die „kleineuropäische wirtschaftliche Integration", nämlich die EWG, viele dieser Praktiken festzementiert - am stärksten im Bereich der Landwirtschaft - erwähnt er n u r beiläufig in der Einleitung (S. XI). Sein Schlußpunkt ist die 1958 erreichte Konvertibilität der D-Mark, die wie kein anderer Schritt die Integration in den Weltmarkt signalisierte und das hohe Wachstum der westdeutschen Exportindustrie noch beschleunigt haben dürfte. Insgesamt schreibt Buchheim also eine Erfolgsgeschichte, die Westeuropa wirtschaftlich beflügelte und bei der es sich „besonders bis zum Jahr 1950, keineswegs um einen zwangsläufigen Prozeß gehandelt hat" (S. 181). Im Zusammenhang des IfZ-Projektes ist Buchheims Arbeit als Sonderfall anzusehen, weil sie zwar zu erheblichen Teilen aus Archivdokumenten gearbeitet ist, aber „die ökonomisch-politische Argumentation im Vordergrund" steht, während sie „weitgehenden Verzicht auf eine detaillierte Nachzeichnung der Entscheidungsprozesse" übt (Buchheim S. XI-XII). Man kann zwar dem Verfasser zugestehen, daß er damit .Ansätze [ . . . ] aus der ökonomischen u n d politikwissenschaftlichen Theorie aufbereitet u n d interpretiert" (S. XI). Insofern leistete das Projekt einen Beitrag zur Interdisziplinarität, deren Abwesenheit so viel beklagt u n d die selbst im IfZ so selten praktiziert wird. Aber ein wenig vermißt man auch die f ü r die Münchner Jubilarin so charakteristische Arbeitsweise, die eben nicht nur quellengestützt, sondern - von der dort ebenfalls gepflegten Form des sprachlich geschliffenen Essays einmal abgesehen - zugleich ausführlich, historisch beschreibend ist. Nun gut, man mag dem Thema „Die Wiedereingliederung Westdeutschlands in die Weltwirtschaft 1945-1958" auch gerecht werden können, „ohne in einen auf die Rekonstruktion von Entscheidungspro-

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zessen fixierten Historizismus zu verfallen", wie Jürgen Bellers in seiner Rezension lobend hervorhebt. 1 3 Aber die Lektüre läßt da u n d dort zumindest leise Zweifel aufkommen, ob manche schöne ökonomische These - denn um Thesen handelt es sich bei Buchheims Argumentation über weite Strecken - der schnöden Empirie immer standhalten würde. 14 Auch bei den eher politikhistorischen Thesen mag man da u n d dort seine Zweifel haben. Beispielsweise wird nicht hinreichend geprüft, ob die britische Besatzungspolitik nicht doch eine wirtschaftliche Benachteiligung zumindest beabsichtigt u n d stellenweise bewirkt haben könnte. Ein Urteil darüber würde es erforderlich machen, viel mehr britisches Aktenmaterial heranzuziehen u n d die von Buchheim kaum berücksichtigte britische Fachliteratur zu konsultieren. Es ist allerdings ein großes Verdienst von Buchheim, die Diskussion um die Wirtschaftsgeschichte der frühen Bundesrepublik wieder auf die Makroebene, j a die atlantisch-europäische Ebene gehoben und dadurch für die Integrationshistorie, wenn auch thesenartig, postuliert zu haben, daß von einer schlichten Eingliederung Westdeutschlands nicht gesprochen werden kann. Vielmehr habe Deutschland, das auf Außenhandel viel stärker als vor 1933 angewiesen war, als Lokomotive gedient, welche den Zug der westeuropäischen Wirtschaftspolitik stark in Richtung einer freihändlerischen Politik gezogen habe. Diese These wäre allerdings noch plausibler, wenn Buchheim genauer beschrieben hätte, welche Kräfte, welche Staaten gegen eine freihändlerische Weltwirtschaftsordnung eingestellt oder gar tätig waren. Hierher gehört vermutlich die kurz nach Kriegsende einsetzende französische und britische Verstaaüichungspolitik u n d Wirtschaftsplanung sowie die Präferenz beider Staaten für den Austausch mit ihren jeweiligen Uberseegebieten. Großbritannien, die damals weitaus f ü h r e n d e Wirtschaftsmacht in Westeuropa, hat j a überhaupt erst in den 1950 er Jahren den historischen Höhepunkt seines Commonwealth-Handels erreicht! 15 Doch neben den Interventionisten hat es überall auch freihändlerische Kräfte gegeben, die möglichst enge und ungehinderte Wirtschafts-

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Neue Politische Literatur 37 (1992), S. 310. Ob die Kritik von Carl-Ludwig Holtfrerich in diese Richtung geht, läßt sich nicht feststellen. Vgl. seine Rezension in: Historische Zeitschrift 255 (1992), S. 234-236. Erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum in einem Foreign Office-Dokument vom November 1946 vorgeschlagen wird, in Konkurrenzsituationen möge Deutschland Europa beliefern und Großbritannien die übrige Welt, (zit: Buchheim S. 23); Vgl. insgesamt: David Reynolds, Britannia Overruled: British Politics and World Power in the Twentieth Century, London 1991.

Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt 453 beziehungen zwischen den hochentwickelten Industriewirtschaften Westeuropas und Nordamerikas wünschten, weil sie darin die besten Chancen für eine Uberwindung der wirtschaftlichen Kriegsfolgen sahen. Diese Teileliten waren es oft, die gegenüber dem alten autarkistischen Denken jenen neuen, vor allem mit dem Marshallplan und dem GATT verbundenen Konzepten zum Durchbruch verhalfen. 16 Die weitgehende Begrenzung der vorliegenden Untersuchung auf Westdeutschland, auf die Außenwirtschaftspolitik der USA, auf das GATT sowie auf die Europäische Zahlungs-Union (EPZ) ergibt allerdings ein unvollständiges Bild von den maßgebenden Kräften der anderen Führungsstaaten hinsichtlich einer künftigen Weltwirtschaft. Unklar bleibt auch, unter welchen heimischen Bedingungen sie ihre Konzeptionen durchzusetzen versuchten. Gleichermaßen verdienstvoll, insbesondere für die konzeptionelle Weiterentwicklung der Integrationsgeschichte, ist das 1997 erschienene Buch von Werner Bührer über „Westdeutschland in der OEEC". Zwar reicht der Untersuchungszeitraum von 1947 bis 1961, doch der Blick des Lesers wird immer wieder auf vorausgehende und nachfolgende Entwicklungen gelenkt. Für die Integrationshistorie ist das leider ungewöhnlich, obgleich weder die Bildung internationaler Institutionen noch die Politik- und Wirtschaftsverflechtung über Staatsgrenzen hinweg erst 1945 oder auch 1919 begann. Die Ausblicke auf die gesamte Epoche des Kalten Krieges, der die EU und ihre Vorläufer (und Konkurrenten) so stark verhaftet waren, sind sehr instruktiv, weil sie dem Leser erlauben, Entscheidungen anhand ihrer Langzeitfolgen einschätzen zu können. Bührer scheut sich nicht, „deutsche Erfahrungen und Traditionen" der internationalen Zusammenarbeit seit 1918 an den Anfang zu stellen. Hier interessiert vor allem, welche Ideen und Konzeptionen nach 1945 zurückgewiesen wurden und welche eine mehr oder weniger deutliche Fortsetzung fanden. Dabei zeigt sich, daß die ideengeschichtliche Sichtweise der Integrationshistorie zwar nicht völlig falsch, aber doch von begrenztem Nutzen ist. Denn neben allem Umdenken, das in den verschiedenen Zirkeln der europäischen Widerstandsbewegungen und anderswo stattfand, gab es doch viel mehr Kontinuitäten, als man im Zuge der neuen Europabegeisterung nach 1945 wahrhaben wollte. 16

Eine Gesamtschau findet sich in: Robert Skidelsky, The Road from Serfdom, New York 1995.

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Gewiß gab es aus den 1920 er Jahren brauchbare „fortschrittliche" Ideen zur Verflechtung der deutsch-französischen Montan- u n d Stahlindustrien, Pläne für eine europäische Zollunion, sogar für eine Wirtschaftsgemeinschaft. Einige wurden ansatzweise verwirklicht. Aber es existierte auch weiterhin das Denken in wirtschaftlichen Großräumen, in wirtschaftlichen Hegemonialzonen. Derlei Konzeptionen gab es eben nicht n u r im nationalsozialistischen Deutschland und im imperialistischen Japan. Somit fanden sie mit der bedingslosen Kapitulation von 1945 auch nicht ihr Ende. Beispielsweise läßt sich ein Vorläufer der EPZ im Berliner Finanzmanagement für das NS-Imperium erkennen (Bührer S. 34). Aufgrund der vielfältigen gedanklichen, politischen u n d persönlichen Kontinuitäten muß also zumindest in Erwägung gezogen werden, ob die begeisterte Entfernung von Grenzpfählen durch die Nachkriegs-Europabewegung eventuell geistig vorbereitet worden war durch j e n e NS-Auffassung, die Hitler im Mai 1943 von einem zu überwindenden „Kleinstaatengerümpel" in Europa sprechen ließ (S. 36). Sodann wird durch die Verknüpfung der Epochen vor und nach 1945 besser verständlich, warum die Wiederherstellung der westeuropäischen Nationalstaaten außerhalb Deutschlands als eine Wiedergewinnung von rechtmäßiger Heimat e m p f u n d e n wurde, während die Integrationspolitik oft als eine unangenehme Notwendigkeit erschien, um diese Nationalstaaten wieder lebensfähig zu machen. Mit diesem Vorspann will Bührer vor allem den Erfahrungshintergrund skizzieren, der die erste westdeutsche Garde von Politikern und Beamten auf dem Weg in die Integrationspolitik begleitete. Dabei zieht sich das Thema Personalpolitik wie ein roter Faden durch die weitere, zumeist eng auf die OEEC fokussierte Darstellung. Somit werden Bausteine zu j e n e r Soziologie der historischen Integrationsforschung geliefert, die es bisher nur sporadisch gibt. Eliten, Bürokratien, Kommunikationsmuster, kollektive Ideologien u n d vieles andere müssen noch analysiert werden. Personalpolitik, wie Bührer sie beschreibt, ist für die Integrationshistorie eine relativ neue Perspektive mit erheblichem Erklärungspotential. Aus der Gründungsgeschichte der OEEC hebt Bührer zunächst die Widerstände hervor, die es überall in Europa gegen eine Einbeziehung Westdeutschlands in den Marshallplan gab. Sollte Deutschland als Lieferant einer breiten Palette von Waren u n d Dienstleistungen ökonomisch wieder aufgebaut u n d damit zum internationalen Handelskonkurrenten werden, wie man vielerorts in Europa befürchtete? Oder soll-

Die Eingliederung der Bundesrepublik in die wesüiche Welt 455 ten n u r die deutschen Kohlereviere abgeschöpft werden, wie in Deutschland selbst oft behauptet wurde? Der amerikanische Militärgouverneur General Lucius D. Clay führte die Riege deijenigen an, die auf einem ganzheidichen deutschen Wiederaufbau bestanden. Alles andere würde nach seiner Uberzeugung die politisch-ökonomischen Zielsetzungen der USA unerreichbar machen. Deutschland müsse die Hoffnung erhalten, in naher Zukunft als gleichberechtigter Partner behandelt zu werden (S. 42). Diesem Diktum mußten sich sehr bald die Briten anschließen, weil sie ihre eigene Besatzungszone nur noch mit großen amerikanischen Finanzhilfen bewirtschaften konnten. Frankreich hingegen träumte den Traum des Monnetplans für einen nationalen Wiederaufbau, der die französische Stahlindustrie dauerhaft größer als die deutsche machen u n d dafür deutsche Kohlelieferungen in Anspruch n e h m e n wollte. In Westdeutschland gab es f ü h r e n d e Leute in Wirtschaft, Politik u n d Verwaltung, die glaubten, Deutschland könne mit einer abgemilderten Politik ä la Stresemann einen nationalen Forderungskatalog im Gegenzug zu internationaler Kooperation durchsetzen (S. 63-71). Vertreter des alten Geistes der 1920 er Jahre gab es auch in den Reihen der Diplomaten des alten Auswärtigen Amtes (S. 160-163). Zu denen, die früh die Abwegigkeit dieser Vorstellungen erkannten, rechnet Bührer den Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Eisen- u n d Stahlindustrie, Wilhelm Salewski, dessen Nachlaß er ausgewertet hat. Daß es die Beneluxstaaten waren, insbesondere die von NSDeutschland so stark verwüsteten Niederlande, die einen schnellen deutschen Wiederaufbau u n d eine Einbeziehung in den Marshallplan forderten, ist ökonomisch zu erklären, aber psychologisch trotzdem erstaunlich (S. 58, 62). Formal-diplomatisch war es dann der britische Außenminister Ernest Bevin, der im März 1948 den Antrag auf Einbezieh u n g der Westzonen in die OEEC stellte, wobei die tatsächliche Vertretung zunächst bei den Militärgouverneuren lag. Bührer beschreibt ausführlich j e n e Mischung aus Besatzungs- u n d Marshallplanbehörden, die unter einer beschränkten deutschen Mitwirkung die frühen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen vornahmen. Dabei geht er auf einige der f ü h r e n d e n deutschen Köpfe ein, unter anderem auf Ludwig Erhard, der ein Skeptiker der OEEC blieb, bis 1957/58 ihre Ablösung durch die EWG zur Debatte gestellt wurde (S. 97ff.). Der am 31. Oktober 1949 vollzogene Ubergang von der Vertretung durch die Besatzungsmächte zur selbständigen deutschen Mitglied-

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schaft war politisch delikat, weil die anderen OEEC-Mitglieder darauf bestanden, daß die Bundesregierung die von den Militärgouverneuren eingegangenen Verpflichtungen einhalten würde. Sollte die Bonner Regierung zu diesem Zweck noch einmal „beitreten", oder handelte es sich hier u m eine „Nachfolge" im völkerrechtlichen Sinn? Darüber wurde heftig gerungen u n d letztlich zugunsten der Nachfolge entschieden. Sodann gelang es der deutschen Repräsentanz in Paris ziemlich schnell, bei den OEEC-Partnern Vertrauen zu gewinnen. Dafür sorgte eine kluge deutsche Personalpolitik sowie Adenauers umsichtig zurückhaltender Kurs. Sehr detailliert zeichnet Bührer den deutschen Weg innerhalb der OEEC u n d in der parallel-geschalteten EZU nach, auf dem sich die Bundesrepublik als loyaler europäischer Partner u n d als „Liberalisierungslokomotive" zu profilieren suchte. Angesichts des deutschen Geflechtes von Produktions- und Handelsbeschränkungen läßt sich von Liberalisierung allerdings n u r sprechen, wenn man auf das noch dichtere Gestrüpp in anderen Staaten Bezug nimmt. Doch das Streben nach einer baldigen Konvertierbarkeit der D-Mark wies der Bonner Regierung zunehmend eine f ü h r e n d e Rolle zu (S. 313ff.). Allerdings waren selbst die Amerikaner zunächst, beispielsweise 1953, noch skeptisch, weil sie das von ihnen erzwungene Abenteuer der gescheiterten Pfund-Freigabe von 1947 in schlechter Erinnerung hatten (S. 317-320). Nachdem die Zölle f ü r Industriegüter weitgehend vereinheiüicht und gesenkt waren, rückte der anscheinend un-integrierbare Agrarsektor immer m e h r ins Blickfeld (S. 333ff.). Für die Bundesrepublik war das Thema heikel, weil sie einen Großteil ihrer Agrarimporte außerhalb des OEEC-Raumes bezog, überwiegend aus den USA, u n d weil sie zugleich mit Frankreich über eine kleineuropäische Integration verhandelte, die weit über das Wirtschaftliche hinausreichen sollte. Im Rahmen eines von Frankreich geführten Kleineuropa würde Bonn unweigerlich gezwungen sein, anstatt der günstigen US-Importe die teueren Agrarüberschüsse Frankreichs aufzunehmen. Hier stellte Adenauer schließlich die politische „Notwendigkeit" der Achse Bonn-Paris über das ökonomisch Empfehlenswerte. Das Ergebnis ist bekannt. Die bedingungslosen Integrationsbefürworter um Walter Hallstein waren nicht m e h r zu bremsen (S. 353-354, 358-359). Die EWG schrieb sich die Agrarpolitik auf die Fahnen. Die OEEC wurde 1958 entmachtet u n d zu einem übergroßen Institut für Konjunkturforschung, der OECD, degradiert. Für Adenauer ging es dabei wohl auch darum, Erhard auf seinem politischen Weg als „Wirtschaftspapst" u n d

Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt 457 möglichem Kanzlernachfolger zu stoppen. Dessen integrationskritische Argumente sind aber noch heute erfrischend u n d lesenswert. Vieles, was er an Befürchtungen artikulierte, sollte sich bewahrheiten. Nun wurde das durch den Marshallplan zusammengeführte Westeuropa mittels der Römischen Verträge gespalten. Nicht einmal eine Freihandelszone blieb übrig, unter anderem, weil die Briten in der Agrarfrage nicht zu Kompromissen bereit waren (S. 367, 378-380). Der von einem breiten Konsens aus Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften getragene Bundestagsbeschluß vom 5. Juli 1957, daß die Gründung der EWG u n d der EURATOM ausdrücklich mit der Gründung einer europäischen Freihandelszone verbunden werden sollte, ging ins Leere (S. 371 ff.). Paris hatte sein Ziel erreicht, Bonn ins politische Schlepptau zu n e h m e n u n d es dem Einfluß Londons zu entziehen. An diesem Punkt erscheint es bedauerlich, daß Bührer die französische Integrationspolitik nicht ausführlicher würdigt u n d daß er vor allem die von Jean Monnet erdachte u n d geführte Montanunion nicht schärfer in den Blick genommen hat. Auf diese Weise hätte er unter anderem der Frage nachgehen können, wie weit der erwähnte Konsens zwischen Industrie, Gewerkschaften u n d Bundestagsmehrheit zugunsten einer Freihandelszone - u n d damit die von Erhard u n d vielen anderen geäußerte Kritik am kleineuropäischen Integrationskurs - eine Kritik an der Montanunion war (S. 380). Zu fragen wäre aber auch gewesen, inwieweit man in Frankreich hinter dem Europakurs der „classe dirigeante" stand. Wie die Zustimmung zu de Gaulle u n d zuletzt das äußerst knappe Ergebnis des Maastricht-Referendums von 1992 in Frankreich gezeigt haben, hat man sich die französische Europapolitik in der Bundesrepublik oftmals zu einförmig vorgestellt. Jedenfalls wäre durch Hinzunahme der innerfranzösischen Auseinandersetzungen die zwischen 1954 u n d 1957/58 erfolgte Weichenstellung noch besser verständlich geworden. Das gilt auch für die 1957-1960 erfolgte Spaltung in EWG und EFTA sowie für den faktischen Untergang der OEEC. Heute, da niemand mehr ernstlich an der prinzipiellen Notwendigkeit einer engen europäischen Zusammenarbeit zweifelt, erscheint es um so wichtiger, sich eine kritische Distanz zu einzelnen Aspekten u n d Schritten der Souveränitätsübertragungen sowie zu mancherlei Politikinhalten der europäischen Integrationspolitik zu bewahren. Zwar mag diese neuartige Form der quasi-Staatsbildung ebenso ihre Mythen brauchen wie die europäischen Nationalstaaten. Aber, genauso wie diese, braucht sie auch einen öffentlichen kritischen Dialog, um nicht zum Selbstzweck zu erstarren. Großbürokratien entfalten ihre eigene Dyna-

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mik, die oft den ursprünglich gestellten Aufgaben entgegenwirkt; internationale Großbürokratien, das lehrt die n u n m e h r 50jährige Erfahrung mit ihnen, sind weitaus schwerer reformierbar als nationalstaadiche. Sodann sind komplexe Staatskonstruktionen in Gefahr, sich im Ringen um Besitzstände zu erschöpfen. Es mag m e h r als zufällig sein, daß sich die Geschichtswissenschaft in jüngerer Zeit wieder ausgiebig mit dem Heiligen Römischen Reich befaßt hat, dessen verzopfte Bürokraten ein Konzept wie den „acquis communautaire" der EU (den integrationspolitischen Besitzstand) vermutlich o h n e Mühe verstanden hätten. Hier gibt es f ü r die Geschichtswissenschaft eine Fülle von neuen oder von noch nicht zufriedenstellend gelösten Aufgaben. Mit Genugtuung ist deshalb festzuhalten, daß die Integrationshistorie vielerlei fruchtbare Ansätze hervorgebracht hat, zu denen das IfZ-Projekt „Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt" wesentliche Beiträge lieferte.

Gregor Schöllgen Die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland Traditionslinien, Aufbau, Themen

Das Auswärtige Amt hat wie kein zweites Bundesministerium eine fast ungebrochene Tradition. Das zeigt nicht nur der Name der am 4. Januar 1870 durch den preußischen Außenminister Otto von Bismarck aus der Taufe gehobenen Behörde, der bei der Wiedereinrichtung des Amtes am 15. März 1951 ganz selbstverständlich übernommen wurde; es zeigt auch ihr Archiv. Immerhin konnte das Auswärtige Amt seine bedeutenden Bestände über alle Höhen und Tiefen der wechselvollen Geschichte dieses Jahrhunderts hinweg ohne große Substanzverluste retten.

Deshalb und wegen der besonderen Rolle, welche die deutsche Außenpolitik vor allem im Vorfeld der beiden Weltkriege gespielt hat, ging man nach dem Ende der beiden großen Katastrophen daran, die Akten des Auswärtigen Amtes in großangelegten Editionen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Nach dem Ersten Weltkrieg lag dieses Vorhaben ausschließlich in deutscher Hand 1 , und es wurde nicht zuletzt mit der erklärten politischen Absicht betrieben, „der historischen Wahrheit eine breite Geisse" zu bahnen. Die Welt sollte nämlich, wie mit Friedrich Thimme einer der Mitherausgeber erklärte, zumindest „das Eine aus dem Aktenwerk" entnehmen, „daß die deutsche Politik . . . unendlich viel friedfertiger gewesen ist, unendlich viel mehr Verdienste um die Erhaltung des Weltfriedens gehabt hat, als sich irgendjemand im Auslande hat träumen lassen".2 1 2

Vgl. dazu Gregor Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus, München 3 1994, S. 99 ff. Friedrich Thimme, Die Aktenpublikation des Auswärtigen Amts, in: Preußische Jahrbücher 189 (1922), S. 78.

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Das Ergebnis der Editionsarbeiten war jedenfalls beeindruckend: In einer nie m e h r erreichten u n d wohl auch nicht m e h r erreichbaren Rekordzeit von n u r knapp sechs Jahren wurde unter dem Titel „Die Große Politik der Europäischen Kabinette" eine „Sammlung der Diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes" aus den Jahren 1871 bis 1914 publiziert. In der Sache deckten die fast 16000, in 54 Teilbänden vorgelegten Aktenstücke den gesamten Zeitraum von der Begründung des Bismarckreiches bis in die unmittelbare Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges ab. 3 Ein Grund für diese ungewöhnliche Editionstätigkeit ist in der Entscheidung des Amtes u n d der Herausgeber zu sehen, von einer kritischen Kommentierung weitgehend abzusehen. Vor allem wegen der erklärten Absicht, die deutsche Politik bis zum Ausbruch des Krieges ausschließlich oder vornehmlich an ihrem zweifellos bedenklichen Taktieren in der Julikrise zu messen, stieß das Unternehmen von Anfang an auf zum Teil heftige Kritik. Während sich ausländische Historiker bei der im ganzen positiven Aufnahme des „riesenhaften Unternehmen [s]" weitgehend einig waren 4 , wurde vor allem in der deutschen Geschichtswissenschaft immer wieder die Behauptung laut, daß das Aktenwerk das Bild der internationalen Beziehungen vor 1914 verzerre, wenn nicht gar zu Deutschlands Gunsten korrigiere. Als Argument wurde ins Feld geführt, daß die Herausgeber, um die enormen Materialmassen zu bewältigen, einige Dokumente gekürzt, andere zerlegt u n d auf verschiedene Sachkapitel verteilt hatten; u n d auch dieses Gliederungsprinzip selbst, also die Anordnung der Dokumente in Sachkapiteln, stieß nicht selten auf Kritik. Ganz zu überzeugen vermochte diese Kritik allerdings nicht. Immerhin entschlossen sich auch die Herausgeber der entsprechenden französischen Akten zu gelegentlichen Kürzungen von Dokumenten; u n d sowohl sie als auch die Herausgeber der britischen amtlichen Dokumente über den Ursprung des Weltkrieges ordneten die Akten nach thematischen u n d nicht nach chronologischen Gesichtspunkten an. Ahnlich gingen zunächst auch die von den westlichen alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges berufenen Historiker vor, nachdem sich im Juni 1946 Vertreter des amerikanischen Department of State u n d des britischen Foreign Office entschlossen hatten, die ,Akten 3

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Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes, im Auftrage des Auswärtigen Amtes, hrsg. von Johannes Lepsius u. a., 40 Bände in 54, Berlin 1922 ff. Ausländische Gelehrte über die geöffneten deutschen Archive, in: Berliner Monatshefte 4 (1926), S. 900ff. Das Zitat stammt von G. P. Gooch, S. 912.

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zur Deutschen Auswärtigen Politik" für die Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reiches einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Als das Unternehmen, an dem seit dem April 1947 auch Frankreich beteiligt war, 1995 abgeschlossen werden konnte, waren etwa 25000 Dokumente in 75 Bänden bzw. Teilbänden und 5 Serien ediert worden. 5 Seit dem Dezember 1960 beteiligte sich auch die Bundesrepublik Deutschland an den Editionsarbeiten, die im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes vorgenommen wurden. Als erster Hauptherausgeber auf deutscher Seite fungierte Hans Rothfels, gefolgt von Walter Bußmann. Anders als die „Große Politik der Europäischen Kabinette" sind die .Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik" im Laufe ihrer fast fünfzigjährigen Entstehungsgeschichte zu keinem Zeitpunkt einer emsthaften Kritik ausgesetzt gewesen. Das lag einmal an der internationalen Zusammensetzung des Herausgebergremiums, vor allem aber daran, daß es an der maßgeblichen Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges keinen Zweifel geben konnte. Nicht zufällig erschienen seit 1950 zunächst die Bände der Serie D, welche die Entwicklung der Jahre 1937 bis 1941 dokumentiert. Wie bei der „Großen Politik der Europäischen Kabinette" handelt es sich auch bei diesem Dokumentenwerk um eine „Fonds-Edition", welche „nur die politischen Überlegungen u n d Entscheidungen erfaßt [ . . . ] , die vom Auswärtigen Amt getragen wurden". 6 Folgten die ersten Bände, insbesondere diejenigen der Serie D, noch dem Prinzip der Gliederung der Dokumente nach Sachgesichtspunkten, so hielten sich die Bände der Serie Β zunächst an einen Kompromiß zwischen einer rein chronologischen Reihenfolge und der Zusammenfassung in Sachkomplexen. Mit Band IV der Serie B, der 1970 erschien, wurde diese Anordnung endgültig zugunsten einer rein chronologischen aufgegeben.

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Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik, Serie A: 1918-1925, 14 Bde., Göttingen 1982ff.; Serie B: 1925-1933, 21 Bde. in 23, Göttingen 1966ff.; Serie C: 1933-1937, 6 Bde. in 12; Göttingen 1971 ff.; Serie D: 1937-1941, 13 Bde. in 16, Baden-Baden u. a. 1950ff.; Serie E: 1941-1945, 8 Bde., Göttingen 1969ff.; Ergänzungsbd. zu den Serien A-E, Göttingen 1995. Theodor Schieder, Außenpolitik von Weimar bis Hitler. Das Dokumentenwerk .Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945", in: Historische Zeitschrift 238 (1984), S. 633 ff., hier S. 634.

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II. Dieses Prinzip einer rein chronologischen Anordnung der Dokumente verfolgt auch die jüngste Edition der „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" (AAPD). Diese neue Dokumentenreihe schließt zeitlich und in der Sache an ihre beiden bedeutenden Vorgängerinnen an, unterscheidet sich aber zugleich in dreierlei Hinsicht von diesen. Zum einen stand bei ihrer Konzeption kein unmittelbares politisches Interesse Pate, jedenfalls keines, das dem der jeweiligen Herausgeber nach den beiden Weltkriegen vergleichbar wäre; zum anderen, und damit eng verbunden, unterscheidet sich die neue Edition von ihren Vorgängerinnen auch dadurch, daß sie kein abgeschlossenes Kapitel deutscher Vergangenheit zum Gegenstand hat, sondern daß sie die Entwicklung der Bundesrepublik dokumentieren will. Schließlich aber erfolgt die Herausgabe zwar im Auftrag des Auswärtigen Amtes, durchgeführt wird sie aber von einer unabhängigen Institution, nämlich dem Institut für Zeitgeschichte. Äußerer Anlaß für den Beginn des Unternehmens war der 40jährige Geburtstag der Bundesrepublik.7 Den Auftakt bildeten zwei Pilotbände, welche die Besprechungen und Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Hohen Kommissaren in der Zeit zwischen der Konstituierung der ersten Regierung Adenauer am 20. September 1949 und der Unterzeichnung des ersten sogenannten Deutschlandvertrages am 26. Mai 1952 dokumentieren. 8 Seit 1993 hat sich die Edition dann in leicht modifizierter Form fest etabliert. Einmal werden die AAPD seitdem, wie gesehen, vom Institut für Zeitgeschichte herausgegeben; dann aber wurde dem Hauptherausgeber Hans-Peter Schwarz ein Kreis von Mitherausgebern an die Seite gestellt, dem Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey angehören; und schließlich wurde mit Rainer A. Blasius ein erfahrener Editor als Wissenschaftlicher Leiter berufen. Unter seiner Anleitung werden die Jahresbände von zwei bis vier

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Vgl. Gregor Schöllgen, „Im Prinzip kein Unterschied". Adenauer und die Westmächte (1949-52) im Spiegel neuer Akten, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 42 (1991), S. 285ff. Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amtes von Hans-Peter Schwarz, Bd. 1: Adenauer und die Hohen Kommissare 1949-1951; Bd. 2: Adenauer und die Hohen Kommissare 1952, bearb. von FrankLothar Kroll und Manfred Nebelin, München 1989/90.

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jüngeren promovierten Historikern bearbeitet. Indem man sich entschied, die Publikation mit dem Jahr 1963 beginnen zu lassen, machte das Amt seine Bestände zum „frühestmöglichen Zeitpunkt", also nach der international üblichen Sperrfrist von 30 Jahren, allgemein zugänglich. 9 Seither erscheinen die Bände im Jahresrhythmus, u n d zwar in der Regel in zwei bzw. drei Teilbänden. Seit 1997 wird zudem versucht, im Rahmen der personellen u n d finanziellen Möglichkeiten die Lücke für die Jahre 1949 bis 1963 zu schließen. Den Anfang machte 1997 der Band f ü r die Jahre 1949/50. 10 Gerade dieser Band macht besonders deutlich, was für die ganze Reihe gilt: Aufgenommen wurden nicht nur Materialien aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, sondern auch Archivalien der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf oder des Bundesarchivs in Koblenz, hier vor allem Dokumente aus dem Bundeskanzleramt u n d diversen Nachlässen, namentlich demjenigen von Herbert Blankenborn. Für die folgenden Bände gilt Vergleichbares. So wurden für die späten sechziger Jahre zum Beispiel auch einige Schriftstücke aus den Nachlässen von Kurt-Georg Kiesinger oder Willy Brandt aufgenommen. 1 1 Von ihrem Erscheinungsbeginn an hat die Edition, gemessen an ihren Vorgängerinnen, aber auch an ausländischen Paralleleditionen, Maßstäbe gesetzt. Das liegt einmal an der vorzüglichen, ungewöhnlich dichten Kommentierung der einzelnen Dokumente, durch die sich die AAPD von ihren Vorgängerinnen unterscheidet. Hinzu kommen ein ausgesprochen nützliches Dokumentenverzeichnis mit knappen Inhaltsangaben der einzelnen Stücke sowie ausführliche Register, von denen insbesondere das Personenregister mit seinen biographischen Kurzangaben Erwähnung verdient. Auf diese Weise haben sich die AAPD, weit über das engere Feld der auswärtigen Beziehungen hinaus, als unverzichtbare Quellengrundlage für die Erforschung der Ge-

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AAPD 1963, S. VIII. Bislang sind folgende Bände erschienen: AAPD 1949/50, bearb. von Daniel Kosthorst und Michael F. Feldkamp, München 1997; AAPD 1963, 3 Bde., bearb. von Mechthild Lindemann und Ilse Dorothee Pautsch, München 1994; AAPD 1964, 2 Bde., bearb. von Wolfgang Hölscher und Daniel Kosthorst, München 1995; AAPD 1965, 3 Bde., bearb. von Mechthild Lindemann und Ilse Dorothee Pautsch, München 1996; AAPD 1966, 2 Bde., bearb. von Matthias Peter und Harald Rosenbach, München 1997; AAPD 1967, bearb. von Ilse Dorothee Pautsch, Jürgen Klöckler, Matthias Peter und Harald Rosenbach, 3 Bde., München 1998; AAPD 1968, bearb. von Mechthild Lindemann und Matthias Peter, 2 Bde., München 1999. AAPD 1967, S. VII.

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schichte der Bundesrepublik Deutschland insgesamt sowie der internationalen Beziehungen der Nachkriegszeit etabliert.

III. Im Zusammenhang einer Vorstellung der Edition einen auch n u r annähernd vollständigen Uberblick über die dokumentierten Themenfelder geben zu wollen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Immerhin lassen sich einige Schwerpunkte benennen. Im Vordergrund stehen natürlich die besonders wichtigen Beziehungen Bonns zu Washington u n d Paris sowie der Prozeß der europäischen Integration. Mit fortschreitender Zeit schiebt sich das Thema Ostpolitik mit seinen diversen Varianten u n d Variationen immer deutlicher in den Vordergrund, u n d nicht zuletzt gewinnen die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Ländern der Dritten Welt zunehmend an Gewicht. Ein besonderer Vorzug der AAPD besteht darin, daß die vielfältigen Verflechtungen der einzelnen Bereiche deutlich werden. Besonders anschaulich wird das im Falle der deutschen Nahost-Politik des Jahres 1965, die hier, beispielhaft für die Themenvielfalt der Edition, herausgegriffen werden soll. Im Zentrum des verwickelten Geschehens standen die deutsch-israelischen Beziehungen, die damals noch weit von einer Normalisierung entfernt waren. Ihre Grundlage bildeten zum einen das Luxemburger Wiedergutmachungsabkommen vom September 1952 u n d zum anderen Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Israel, die 1957, nach einem geheimen Treffen zwischen Verteidigungsminister Strauß u n d dem Generalsekretär im israelischen Verteidigungsministerium, Shimon Peres, begonnen und seitdem ständig zugenommen hatten. Im Juli 1962 enthielt die israelische Wunschliste, wie jetzt nachzulesen ist, unter anderem 6 Schnellboote, 3 U-Boote, 24 Hubschrauber, 54 Flakgeschütze, 12 Flugzeuge u n d 15 Panzer - letztere aus deutscher Produktion. 1 2 Mit solchen Lieferungen wurde gewissermaßen die Nichtaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Tel Aviv kompensiert. Bonn wollte diesen Schritt, wenn irgend möglich, vermeiden, um nicht das Verhältnis zu den arabischen Staaten zu belasten oder gar zu zerstören. Denn dieses war nicht n u r traditionell vergleichsweise gut, vielmehr hatte die Bonner Position in der arabischen Welt indirekt von den Fehlschlägen 12

AAPD 1965, S. 10.

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der britischen, französischen sowie der amerikanischen Nahostpolitik in den Jahren 1956 bis 1958 profitiert. 13 Eine neue Qualität erreichten die geheimen Geschäfte Mitte 1964, als Kanzler Erhard von Präsident Johnson zu weiteren Panzerlieferungen an Israel aufgefordert wurde. Nicht zum erstenmal wurde die Bundesrepublik von ihrem großen Verbündeten zu einem verstärkten Engagement in der Dritten Welt gedrängt, wenn sich Washington dort zurückhalten wollte. Noch nie aber hatte die Willfährigkeit der Deutschen für sie selbst derart unerfreuliche Konsequenzen gezeigt wie in der aufziehenden nahöstlichen Affäre. Auch jetzt hatte Bonn keine andere Wahl, als sich dem Druck des großen Verbündeten zu beugen. Außerdem fühlte sich die Bundesregierung moralisch verpflichtet, durch Lieferung von Waffen die Sicherheit jenes Landes zu unterstützen, das den Uberlebenden des Holocaust eine neue Heimat bot. Auf abenteuerlichen Umwegen u n d in Einzelteile zerlegt, wurde das Material nach Israel verschifft. Die Spuren waren so gut verwischt, daß der Verteidigungsminister am 22. Februar 1965, einem Sonntag, vom Kanzler den Auftrag erhielt, „bis Mittwoch dieser Woche fest[zu]stellen, wo sich die 60 Panzer" eigentlich befanden, die bereits „verladen worden" waren. 14 Anlaß für diese hektische Suchaktion waren Pressemeldungen, die das delikate Thema Ende Oktober 1964 erstmals an die Öffentlichkeit gebracht u n d damit eine Lawine losgetreten hatten. Die Enthüllung konnte eigentlich niemanden überraschen, weil das Waffengeschäft in einschlägigen Kreisen längst kein Geheimnis mehr war. In dieser Situation wurde bekannt, daß der Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, nach Ägypten reisen werde. Obwohl der Staatsbesuch ursprünglich nichts mit dem bundesdeutsch-israelischen Waffengeschäft zu tun hatte, drohte Nasser nunmehr, im Falle weiterer Lieferungen Bonns an Tel Aviv die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik abzubrechen u n d solche zur DDR aufzunehmen. Andere Staaten der Region folgten Nassers Beispiel. Das war ein Fall für die „Hallstein-Doktrin", deren leidige Geschichte sich wie ein roter Faden durch die AAPD zieht. Ihr zufolge betrachtete die Bundesrepublik eben diesen Schritt nach wie vor als unfreundlichen Akt u n d drohte jedem Staat, der ihn tat, mit entsprechenden Maßnahmen. So auch jetzt:

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Vgl. Gregor Schöllgen, Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 19411991, München 1996, S. 119 ff. AAPD 1965, S. 363.

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Am 17. Februar gab Erhard vor dem deutschen Bundestag die Einstellung der Wirtschaftshilfe an Ägypten bekannt. Bereits eine Woche zuvor hatte der Kanzler die Einstellung der Waffenlieferungen an Israel angekündigt, u n d nach einem turbulenten diplomatischen Intermezzo wurde am 12. Mai 1965 die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen Israel u n d der Bundesrepublik bekanntgegeben. Im Vorfeld hatten die Vereinigten Staaten ihre Bereitschaft signalisiert, 110 Panzer an Tel Aviv zu liefern. Das wiederum erleichterte Israel seine Zustimmung zu dem Bonner Vorschlag, den Rest der vereinbarten, aber eingestellten Waffenlieferungen finanziell kompensieren zu lassen. In Reaktion auf die Herstellung diplomatischer Beziehungen brachen zehn arabische Staaten ihrerseits die Beziehungen zu Bonn ab. Gewiß, dieses Debakel der Bonner Nahostpolitik war insoweit nicht hausgemacht, als es unmittelbar aus den Spannungen zwischen Israel u n d seinen arabischen Nachbarn resultierte. Dennoch ging es zu einem beträchtlichen Teil auch auf das Konto westdeutscher Außenpolitik. Erstmals nämlich kehrte sich die „Hallstein-Doktrin", die j a mit dem Abbruch der Wirtschaftshilfe für Ägypten noch einmal präventiv eingesetzt worden war, mit voller Wucht gegen Bonn selbst. Indem die Bundesrepublik vor Nassers Drohung kapitulierte u n d mit der Einstellung der Waffenlieferungen an Israel reagierte, ließ sie erkennen, daß sie für Erpressungen anfällig war. Damit erwies sich die „Hallstein-Doktrin" endgültig als das, was sie zu diesem Zeitpunkt war: eine .Absurdität", welche die „notwendigerweise verkrampfte" deutsche Außenpolitik daran hinderte, die entscheidende Konsequenz aus der unabweisbaren Tatsache zu ziehen, daß ,,[w]ir den letzten Krieg vom Zaun gebrochen" haben u n d daß dafür „nun einmal bezahlt werden" müsse. So sah es jedenfalls der langjährige Leiter der Ostabteilung im Auswärtigen Amt, Georg Ferdinand Duckwitz, der Ende des Jahres 1965 als einsamer Rufer für einen radikalen Kurswechsel der Bonner Ostpolitik eintrat. 15 Das alles ist im Zusammenhang in den AAPD nachzulesen. Dort wird auch deutlich, welchen Handlungs- u n d Zugzwängen die n u r eingeschränkt souveräne Bundesrepublik ausgesetzt gewesen ist. Das galt in besonderem Maße für alle Turbulenzen der Allianz: Hier saß Bonn zwischen allen Stühlen, u n d auch das ist eine in den AAPD gut dokumentierte Konstante rheinischer Außenpolitik. Mitte der sechziger Jahre zeigte sich das neben den Schwierigkeiten in Nahost vor allem am fran15

Ebd., S. 1971 ff.

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zösisch-amerikanischen Gegensatz, am schleichenden Ende der am Rhein favorisierten multilateralen Atomstreitmacht oder auch am Marsch des transatlantischen Verbündeten in den vietnamesischen Sumpf. Mit dem Rückzug der USA aus Vietnam, der amerikanisch-chinesischen Annäherung oder auch den amerikanisch-sowjetischen Arrangements bei den strategischen Nuklearwaffen u n d in der Berlinfrage begannen sich diese Rahmenbedingungen in einem Maße zu ändern, das auch der Bonner Politik neue Handlungsspielräume eröffnete. Diesen weltpolitischen Hintergrund der deutschen Außenpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer auch mit auszuleuchten, ist o h n e Zweifel der besondere Vorzug der ,Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland".

Günther Heydemann Die SBZ- und DDR-Forschung im Institut für Zeitgeschichte /. Wenngleich Existenz und Entwicklung der SBZ/DDR während des Kalten Krieges und der Spaltung Deutschlands fortwährend eine Aktualität ersten Ranges zukam, ist der „zweite deutsche Staat", gemessen an seiner tatsächlichen internationalen wie deutschlandpolitischen Bedeutung, erst verhältnismäßig spät zum Gegenstand zeitgeschichtlicher Forschung in der früheren Bundesrepublik geworden. Dies hatte zur Folge, daß sich bis Mitte der 60 er Jahre hinein fast ausnahmslos Politik·, Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, einschließlich der Pädagogik, mit der „(Ost-)Zone" befaßten - nicht aber die Zeitgeschichte.1 Ausschlaggebend hierfür war zunächst, daß die Ende der 40 er, Anfang der 50 er Jahre etablierte Zeitgeschichte sich anfangs fast ausschließlich der Erforschung der NS-Diktatur widmete, um sich in unmittelbarem Anschluß daran deren Vorgeschichte, insbesondere der Weimarer Republik, zuzuwenden.2 Mit einer gewissen Zwangsläufigkeit ergab sich aus dieser ersten, thematischen Schwerpunktsetzung,

1

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Siehe den Überblick von Heinz P. Hamacher, DDR-Forschung und Politikberatung 1949-1990. Ein Wissenschaftszweig zwischen Selbstbehauptung und Anpassungszwang, Köln 1991, dem jedoch nicht in allen Punkten gefolgt werden kann. Vgl. hierzu i. E. Hellmuth Auerbach, Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 18 (1970), S. 529-554, und Wolfgang Benz, Wissenschaft oder Alibi? Die Etablierung der Zeitgeschichte, in: Walter H. Pehle/Peter Sillem (Hrsg.), Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945?, Frankfurt/M. 1992, S. 11-25, sowie Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S. 228-242, der die Neugründung historischer Forschungsinstitute, insbesondere auch des IfZ, im Zuge des Wiederbeginns deutscher Geschichtswissenschaft nach dem II. Weltkrieg resümiert. Unter welchen atmosphärischen Bedingungen die damalige Zeitgeschichtsforschung ihren Anfang nahm, ist erst jüngst an einem anderen zeithistorischen Forschungsprojekt nachgewiesen worden, vgl. Mathias Beer, Das Großforschungsprojekt „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte, in: VJZ 46 (1998), S. 345-389.

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daß auch die Geschichte der Besatzungszeit in den Westzonen sowie die Gründung u n d Anfänge der j u n g e n Bundesrepublik Deutschland selbst erst zwei Jahrzehnte nach Kriegsende schrittweise in Angriff gen o m m e n wurden. 3 Diese generelle Forschungsentwicklung ist grosso modo auch vom neugegründeten Institut für Zeitgeschichte vollzogen worden, dessen bis Mai 1952 geltende Bezeichnung „Deutsches Institut f ü r Geschichte der nationalsozialistischen Zeit" 4 den anfangs gleichsam f ü r ausschließlich gehaltenen Forschungszweck in charakteristischer Weise widerspiegelte. Trotz dieser grundsätzlichen Forschungsausrichtung in den beiden ersten Jahrzehnten seines Bestehens ist die Problematik der Teilung Deutschlands u n d die sich abzeichnende Sonderentwicklung der SBZ/ DDR vom Institut jedoch keineswegs ausgeblendet, vielmehr frühzeitig thematisiert worden. Ein Blick in die „Vierteljahrshefte f ü r Zeitgeschichte", die das Institut seit 1955 herausgibt, macht dies deutlich. Bereits im ersten Jahrgang der neuen Zeitschrift, dem j a durchaus eine gewisse Programmatik innewohnte, wird die für ein geschichtswissenschaftliches Fachorgan ungewöhnliche Thematik der „Parteisprache in der Sowjetzone" behandelt 5 ; eine Untersuchung übrigens, die fast ausnahmslos eine sprachwissenschaftlich-germanistische und keine historische ist. Sie steht noch ganz im Zeichen eines frühen, totalitarismustheoretischen Ansatzes unter dem unverkennbaren Eindruck der Lektüre von George Orwells „1984". Aus heutiger Sicht, insbesondere nach erlebter u n d vollzogener Wiedervereinigung, erscheinen die Beiträge des damaligen Vorsitzenden des Beirats, Arnold Bergstraesser, „Deutsche Einheit" 6 sowie des damaligen Herausgebers der Vierteljahrshefte, Theodor Eschenburg 7 , zum 3

4 5

6 7

Vgl. die programmatische Aussage in der Broschüre „Institut für Zeitgeschichte". Selbstverständnis, Aufgaben und Methoden der Zeitgeschichte. Chronik, Bibliothek, Archiv, Publikationen, Personalia, München 2 1973, S. 6: „Der Abschnitt vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart kann auch in den 70 er Jahren noch als eigentliche Periode der Zeitgeschichte gelten. Innerhalb dieses Rahmens verlagern sich aber schon jetzt die zeitlichen Schwerpunkte. So kann sich Zeitgeschichte in der Bundesrepublik mit der Erforschung der Weimarer Republik und der NS-Zeit nicht mehr begnügen und hat mit der Untersuchung der Zeit der alliierten Besatzung, der Gründung der Bundesrepublik und der ,Ara Adenauer' neue wichtige Arbeiten gefunden." Vgl. Auerbach (Anm. 2), S. 549. Ernst Otto Maetzke, Die Parteisprache in der Sowjetzone. Eine gruppensprachliche Untersuchung, in: VfZ 1 (1953), S. 339-346. In: VfZ 3 (1955), S. 335-344. Das Problem der deutschen Einheit nach den beiden Weltkriegen, in: VfZ 5 (1957), S. 107-133.

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gleichen Thema besonders bemerkenswert. Mit unmißverständlicher Klarheit machte Bergstraesser in seinem Aufsatz deutlich, daß die Spaltung Deutschlands eine Folge nationalsozialistischer Hybris u n d Gewalt gewesen sei: „Eines ist gewiß: Hier u n d nirgendwo [sonst] ist der Ursprung der Lage zu suchen, in der sich Deutschland heute befindet. Hier u n d nirgendwo sonst begann das Schicksal der Teilung, das wir heute zu tragen haben. Die Außenpolitik des nationalsozialistischen Staates mußte die Völker der Welt über alle ihre Gegensätze hinweg gegen die Deutschen vereinigen. Sie mußte die Kräfte entfesseln, die schließlich über uns selber zerstörend hereinbrachen." 8 Und weiter im Jahre 1955 - gleichsam prophetisch formuliert: „Die Wiedervereinigung ist eine Frage der Weltpolitik, denn sie ist unlösbar ohne die Lösung des Gegensatzes zwischen den polar einander entgegengesetzten Mächtegruppen, in die nach der Vernichtung des nationalsozialistischen Machtstaates die alliierten Gegner des zweiten Weltkrieges zerfielen. [.. .] Die beiden Grundauffassungen der politischen Daseinsgestaltung, die in der heutigen Welt miteinander ringen, liegen der praktischen Politik der Bundesrepublik einerseits u n d der Sowjetzone andererseits in ihrer Gegensätzlichkeit zugrunde." 9 Schließlich: „Andere Völker können aber der Wiedervereinigung n u r zustimmen, wenn wir sie davon zu überzeugen vermögen, daß ein vereinigtes Deutschland keine Gefahr für ihre eigene Sicherheit u n d für den Frieden der Welt bedeutet. Wir selbst sind verpflichtet, nach der Wiedervereinigung zu streben, um den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs den Weg zu der rechtsstaadichen Freiheit zu eröffnen, die wir selber genießen." 10 Zwei Jahre später lieferte Eschenburg in seinem Beitrag „Das Problem der deutschen Einheit nach den beiden Weltkriegen" eine nüchterne Darstellung und Analyse des Zusammenwirkens sowjetischer Deutschlandpolitik u n d deutscher Kommunisten bei der Etablierung einer sozialistischen Diktatur in der SBZ/DDR, die auch vom heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand aus gesehen durchaus Bestand hat. 11 Man könnte überkritisch einwenden, es handle sich in beiden Fällen um zeitgenössische Rhetorik, zumindest jedenfalls nicht um quellengestützte Zeitgeschichtsforschung; gleichwohl wurde hier programmatisch eine zukünftige Aufgabe umrissen, dem die spätere empirische Er8 9 10 11

Anm. 6, S. 340. Ebd., S. 341. Ebd., S. 342. Anm. 7; vgl. insbesondere S. 118ff. Siehe hierzu auch Hans Rothfels, Geschichtliche Betrachtungen zum Problem der Wiedervereinigung, in: VfZ 6 (1958), S. 327-339.

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forschung der SBZ/DDR durch das IfZ Folge leisten sollte. Alle weiteren Beiträge, die sich mit Aspekten der dortigen Entwicklung befassen und in den Vierteljahrsheften veröffentlicht werden, basieren von diesem Zeitpunkt an auf genuinen Quellen bzw. entsprechenden Dokumenten. 12

II.

Wenn der damalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, bei der Begrüßung anläßlich eines öffentlichen Kolloquiums zum Thema „Der Weg nach Pankow. Zur Gründungsgeschichte der DDR" im November 1979 erklärte, das Institut habe sich zwar schon seit einem guten Jahrzehnt mit der Geschichte der westlichen Besatzungszonen und mit der frühen Bundesrepublik auseinandergesetzt, „wir sind aber erst jetzt dabei, uns zaghaft heranzutasten an das, was man Geschichte der sowjetischen Besatzungszone, Geschichte der DDR nennen kann", so entsprach dies durchaus der bis dahin getätigten, diesbezüglichen Zeitgeschichtsforschung des IfZ. 13 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Institut nur sporadisch bzw. in Einzelbeiträgen mit der Geschichte der SBZ/DDR befaßt. Die vielbeachtete Podiumsdiskussion, an der unter der Leitung Horst Möllers Alexander Fischer, Peter Bender, Hermann Weber, Hermann Rudolph und Wolfgang Leonhard teilnahmen, bildete den Anfang einer ebenso intensiven wie kontinuierlichen Auseinandersetzung des Instituts mit der Geschichte der SBZ/DDR. Mit der Inangriffnahme des dritten Forschungsschwerpunktes, nämlich der Erforschung der Geschichte des zweiten deutschen Staates, wurde ein in zeitgeschichtlicher wie forschungspraktischer Hinsicht 12

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Siehe u. a. Ekkehart Krippendorff, Die Gründung der liberal-demokratischen Partei in der sowjetischen Besatzungszone 1945, in: VfZ 8 (1960), S. 290-309; Alexander Fischer, Der Weg zur Gleichschaltung der sowjetzonalen Geschichtswissenschaft 1945-1949, in: VfZ 10 (1962), S. 149-177; Manfred Overesch, Die Reise des Generalsekretärs des Länderrats Roßmann in die Ostzone vom 15. bis 20. Mai 1947, in: VfZ 23 (1975), S. 454466; Thilo Vogelsang, Oberbürgermeister in J e n a 1945/46. Aus den Erinnerungen von Dr. Heinrich Tröger, in: VfZ 25 (1977), S. 889-930; Manfred Overesch, Hermann Brill und die Neuanfänge deutscher Politik in Thüringen im Mai 1946, in: VfZ 27 (1979), S. 524—569, sowie Werner Abelshauser, Zur Entstehung der ,Magnet-Theorie' in der Deutschlandpolitik. Ein Bericht von Hans Schlange-Schöningen über einen Staatsbesuch in Thüringen im Mai 1946, in: ebd., S. 661-679. Vgl. Der Weg nach Pankow. Zur Gründungsgeschichte der DDR, München/Wien 1980, S. 7.

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konsequenter Schritt vollzogen. Erst jetzt erschien eine fundierte, zeithistorische Auseinandersetzung mit der Geschichte der SBZ/DDR sinnvoll, so die vorherrschende Auffassung der Institutsleitung, nachdem inzwischen gesicherte, empirische Studien zur Vor- u n d Frühgeschichte der Bundesrepublik erarbeitet worden waren. Damit aber war bereits unter dem Vorgänger Broszats, Helmut Krausnick, begonnen worden, als das Institut im Jahre 1964 die Betreuung u n d Koordinierung eines von der Stiftung Volkswagenwerk finanzierten Forschungsvorhabens zur deutschen Geschichte 1945-1949 ü b e r n o m m e n und mit der Erforschung der (west-) deutschen Nachkriegsgeschichte begonnen hatte. 14 Sechs Jahre später war darüber hinaus eine Vereinbarung zwischen dem Bundesarchiv u n d dem IfZ über die gemeinsame Edition von Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik erfolgt. 15 Unbestreitbar blieb, daß der sowjetisch besetzte Teil Deutschlands und die daraus hervorgehende DDR genuine Bestandteile der nach wie vor gemeinsamen deutschen Nachkriegsgeschichte darstellten trotz der bestehenden Spaltung Deutschlands u n d der dadurch bedingten Auseinander- u n d Eigenentwicklung in beiden deutschen Staaten. Hierüber war man sich im IfZ durchaus im klaren, wie Broszat zur Eröffnung des o. g. Kolloquiums weiter ausführte: „Dabei ist die Notwendigkeit, historische DDR-Forschung in die Zeitgeschichte einzubeziehen, uns seit langem bewußt. Bei aller Vielfalt präsentistischer DDRForschung sind SBZ u n d DDR ein Stiefkind der historischen, der zeitgeschichtlichen Forschung geblieben." 16 In der Tat hätte die weitere Ausklammerung dieser „besonderen" deutschen Zeitgeschichte als Forschungsgebiet die unhaltbare Ausblendung eines integralen politischhistorischen Zusammenhanges bedeutet. Broszat bekannte, daß die jetzt wesentlich verstärkt anlaufende zeitgeschichdiche Erforschung der Geschichte der SBZ/DDR im Institut „unvermeidlich begleitet werde von unverkennbar subjektiven, emotionalen Erinnerungen. Gehört es doch zur Gründungsgeschichte dieses Instituts, daß damals, angeführt von Hermann Mau, eine Equipe von da-

14

15 16

Vgl. Walter Strauß, Stationen der Entwickjung des Instituts für Zeitgeschichte, in: 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Statt einer Festschrift, Stuttgart 1975, S. 32f. Siehe auch Krausnicks programmatische Äußerungen zur Erforschung der (westdeutschen) Nachkriegsgeschichte durch das IfZ in dem früherem Beitrag: Ders., Zur Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 19 (1968), S. 90-96, dort besonders S. 95. Vgl. 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte (Anm. 14), S. 114. Ebd., S. 8.

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mals noch jüngeren wissenschaftlichen Mitarbeitern aus Mitteldeutschland, zumal aus Leipzig, zusammenkam, die, kurz vor oder nach Gründung der DDR, hier in München, in diesem Institut anfing, Zeitgeschichte zu betreiben. Vielleicht hat es ein wenig mit dieser auch persönlichen Betroffenheit von SBZ- und früher DDR-Geschichte zu tun, daß wir bisher ein wenig zaghaft waren bei der Einschätzung der Möglichkeit, ob dieser Themenkomplex eigentlich schon wissenschaftsfähig ist und wenn ja, auf welche Weise."17 Bei der nunmehr erfolgenden Etablierung dieses Forschungszweiges konnte das Institut zudem auf einen neuen Förderungsschwerpunkt der Stiftung Volkswagenwerk mit dem Rahmenthema „Deutschland nach 1945. Entstehung und Entwicklung der Bundesrepublik und der DDR" zurückgreifen, der im gleichen Jahr eingerichtet worden war.18 Dank dieser Förderung, die überdies durch die enge wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim im April 1981 neugegründeten Arbeitsbereich „Geschichte und Politik der DDR" verstärkt werden konnte, hatte in München zwischenzeitlich die Arbeit am Projekt „Organisation des politischen und gesellschaftlichen Lebens in der sowjetischen Besatzungszone 1945-1949/52" begonnen. 19 Im Verbund mit dem Mannheimer Arbeitsbereich wurde im Jahre 1984 dann der Plan gefaßt, ein „Handbuch der Geschichte der politischen Institutionen, staatlichen Verwaltungen und gesellschaftlichen Organisationen der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945—1949" zu erstellen. Im Zuge eigener zeitgeschichtlicher Forschungen war in beiden Wissenschaftseinrichtungen das Fehlen gesicherten Wissens über die Sowjetische Militäradministration (SMAD), die regionalen und zonalen Verwaltungen, die Parteien und Massenorganisationen etc. als gravierendes Defizit empfunden worden. Einen gemeinsamen Förderungsantrag bewilligte die Stiftung Volkswagen werk schließlich im Juni 1985 und schuf somit die Grundlage für die Erarbeitung des Handbuchs. Das Gemeinschaftswerk, das im Jahre 1990 erschien und trotz inzwischen neu zugänglicher Quellen bis heute ein Standardwerk darstellt, bedeutete einen Meilenstein in der zeithistorischen SBZ/DDR-Forschung; es ist zugleich eine enorme, wissenschaftsorganisatorische Lei" Ebd., S. 7 f. 18 Vgl. Wolfgang W. Wittwer, Deutschland nach 1945. Entstehung und Entwicklung der Bundesrepublik und der DDR, in: VfZ 27 (1979), S. 151-154. 19 Siehe Horst Möller, Forschungsvorhaben zur Geschichte der DDR, in: VfZ 29 (1981), S. 126 f.

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stung. 20 Das llOOseitige Handbuch enthält insgesamt 36 eigenständige Darstellungen von 19 Autoren. Beschrieben und analysiert werden die SMAD, die einzelnen Landes-, Zentral- und Kommunalverwaltungen, die parlamentarischen Gremien und die Verfassunggebung, Wahlen und Abstimmungen einschließlich der politischen Parteien, sowie gesellschaftliche Organisationen, Kirchen und Religionsgemeinschaften; zudem wurden umfangreiche biographische Angaben zu Führungskräften in Staat, Politik und Gesellschaft erstellt, insgesamt 3500 Kurzbiographien. Gleichzeitig geht das SBZ-Handbuch über eine rein lexikographische institutionengeschichtliche Dokumentation und Datensammlung weit hinaus, weil aus den ursprünglich gedachten, relativ kurzen Einleitungen zu den einzelnen Sachgebieten im Lauf seiner Erarbeitung selbst genuine Bestandteile wurden. Deutlich wird dabei erneut, daß die Jahreswende 1947/48 eine Zäsur darstellte, zumal jetzt die eigentliche Sowjetisierung einsetzte. Bei der Geschichte der Länder in der SBZ bzw. DDR, die bekanntlich 1952 abgeschafft und an deren Stelle Bezirke eingeführt wurden, umschließt die Darstellung nicht nur deren Entwicklung nach Gründung der DDR, sondern auch vor Kriegsende. Noch vor der Wiedervereinigung entstanden, ergab sich die für die frühere SBZ/DDR-Forschung charakteristische Problematik, daß „wesentliche Stränge der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR vorwiegend aufgrund der ,im Westen' zugänglichen Quellen und der einschlägigen Sekundärliteratur zu rekonstruieren" waren. 21 Gleichwohl gelang es, durch intensive Auswertung von vorhandenem Archivmaterial, Nachlässen, gedruckten Quellen, Zeitungen und Zeitschriften u. a. m. bestehende Defizite weitgehend zu überbrücken, zumal sich die Quellenlage zur SBZ und Frühgeschichte der DDR im Laufe der 80 er Jahre insgesamt wesentlich gebessert hatte. Die Abhandlungen zu den einzelnen Sachgebieten werden im übrigen jeweils von Uberblicken zu vorhandenen Quellen und zum Forschungsstand abgeschlossen. In einer umfassenden Rezension stellte Rudolf Morsey im Juni 1990 fest: „Das im März 1990 erschienene Sammelwerk bleibt auf eigenartige Weise über die Zäsur der letzten Monate hinaus gültig, zumal es gelun-

20

21

Vgl. SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 19451949, München 2 1993 (Erstaufl. 1990). Ebd. (Erstaufl. 1990), S. 2.

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gen ist, noch einige der Ende des Jahres 1989 eingetretenen Veränderungen in der DDR auf subtile Weise einzubeziehen."22 Entsprechend konnte das SBZ-Handbuch auch im Jahre 1993 ohne wesenüich grundlegende Veränderungen in zweiter Auflage erscheinen; seine wissenschaftliche Aktualität und praktische Benutzbarkeit hat sich auch nach Öffnung der bis 1989/90 verschlossenen DDR-Archive kaum reduziert. Als qualitativer Höhepunkt der DDR-Forschung vor der Wende impliziert es im übrigen zugleich deren Endpunkt, zumal es durch seine quellenfundierte Darstellung und Analyse überzeugend unter Beweis stellt, daß es auch unter schwierigen Forschungsbedingungen möglich war, präzise, überprüfbare Ergebnisse zu erarbeiten und zu entsprechenden Erkenntnissen zu gelangen. Herausgeber und Mitarbeiter des SBZ-Handbuchs sind deshalb auch nicht in die nach der Wende häufig geäußerte, ζ. T. durchaus berechtigte Kritik an der früheren DDR-Forschung einbezogen worden.23 Ubersehen werden sollte in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht, daß während der Erstellung des SBZ-Handbuchs eigenständige Forschungsarbeiten entstanden sind, deren Erträge unmittelbare Aufnahme in ihm fanden. Exemplarisch seien hier nur die Studie von Wolfgang Zank zum Arbeitskräftepotential in der SBZ und dessen Steuerung beim dortigen Wiederaufbau genannt 24 sowie die vergleichende Untersuchung zur Entnazifizierung in der SBZ am Beispiel Thüringens und Sachsens von Helga A. Welsh25, die beide in Publikationsreihen des IfZ veröffentlicht wurden. 22

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25

Rudolf Morsey, Bevor die DDR entstand. Handbuch der Sowjetischen Besatzungszone, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 6. 1990, S. 12. Vgl. hierzu das bislang ausgewogenste Resüme von Eckhard Jesse, Die politikwissenschaftliche DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), DDR-Forschung. Bilanz und Perspektiven, Berlin 1995, S. 315-357, ein Beitrag, der auch die zeitgeschichtliche DDR-Forschung mit einbezieht. Wolfgang Zank, Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland 1945—1949. Probleme des Wiederaufbaus in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, München 1987. Helga A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen (1945-1948), München 1989. In der Reihe des IfZ „Biographische Quellen zur deutschen Geschichte" erschienen als Bde. 6, 7 und 12 darüber hinaus: Wolfgang Schollwer, Potsdamer Tagebuch 1948-1950. Liberale Politik unter sowjetischer Besatzung, hrsg. von Monika Faßbender, München 1988; Wilhelm Külz, Ein Liberaler zwischen Ost und West. Aufzeichnungen 1947-1948, hrsg. von Hergard Röbel, München 1989; Johannes Vogler, Von der Rüstungsfirma zum volkseigenen Betrieb. Aufzeichnungen eines Unternehmers der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands von 1945-1948, hrsg. von Burghard Ciesla, München 1992. In diesen Zusammenhang gehört auch Wolfgang Buschfort, Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung bis zur Berlin-Krise, München 1991.

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III. Für die bis 1989/90 vorherrschenden wissenschaftlichen Bedingungen der DDR-Forschung stellte die Wiedervereinigung eine Art Quantensprung dar. Gleichsam mit einem Schlag beseitigte der erstmals auf allen Ebenen möglich gewordene Zugriff auf authentische Quellen und Daten jahrzehntelang bestehende gravierende Beeinträchtigungen der Forschung. Seit dem Zusammenbruch der DDR erwuchs deshalb im IfZ der Plan, durch die Einrichtung einer eigenen Forschungsabteilung die bisher geleistete SBZ/DDR-Forschung noch weiter auszubauen und zu intensivieren. Mit der Errichtung des Bundesarchivs, Abteilungen Potsdam, einschließlich der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR im Bundesarchiv (SAPMO), sowie des Archivs des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, um nur die wichtigsten zu nennen, zeichnete sich im Großraum Berlin eine solche Konzentration SBZbzw. DDR-spezifischer Archive ab, daß sich die Institutionalisierung der geplanten Forschungsabteilung an diesem Standort geradezu zwingend ergab. Bereits im Jahre 1993 wurde mit dem Aufbau - noch von München aus - begonnen, Anfang 1994 nahm die Außenstelle auf dem Gelände des Bundesarchivs in Potsdam ihre Arbeit auf; seit Juni 1996 hat sie ihren Sitz in Berlin. 25 Seit Aufnahme der Forschung der IfZ-Außenstelle in Potsdam bzw. Berlin hat man sich - in Absprache mit anderen Forschungseinrichtungen - vornehmlich auf sechs Forschungsprojekte konzentriert. Dabei wurde deren Auswahl auch von der Überlegung bestimmt, das individuelle Spezialwissen sowie vorhandene spezifische Archiv- und Quellenkenntnisse der neuen Mitarbeiter durch entsprechend konzipierte Forschungsprojekte gleichsam wissenschaftlich „maßgeschneidert" zu nutzen, um dadurch eine ansonsten notwendige, längere Einarbeitungszeit zu vermeiden. Wenngleich gegenwärtig ein deudicher zeitlicher und inhalüicher Schwerpunkt bei der Geschichte der SBZ und frühen DDR zu konstatieren ist, wird die mehr als vierzigjährige Geschichte des Ulbricht- und Honecker-Staates als integraler Bestandteil der gesamten deutschen Zeitgeschichte gesehen - und nicht als isolierte, „ost26

Zur Errichtung der Außenstelle vgl. den Beitrag von Hartmut Mehringer, S. 145157.

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deutsche Teilgeschichte". 27 Im Juli 1995 wurde die Außenstelle schließlich mit einer internationalen Tagung in Potsdam unter dem Thema: „Erobert oder befreit? Deutschland im internationalen Kräftefeld und die Sowjetische Besatzungszone (1945/46)" 2 8 offiziell vorgestellt, und im gleichen J a h r erschienen erste Forschungsergebnisse. 29 In zwei, auch thematisch in engem Zusammenhang stehenden Untersuchungen, die inzwischen abgeschlossen werden konnten, wird die überragende sowjetische Einflußnahme in der SBZ und frühen DDR analysiert. Der gegenwärtig beste Kenner der Sowjetischen Militäradministration, Jan Foitzik, der bereits im SBZ-Handbuch die bis dahin umfassendste Darstellung der SMAD verfaßt hatte, hat in einer kommentierten Dokumentation - der ersten Publikation der Außenstelle des IfZ überhaupt - ein Inventar der Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) zusammengestellt und mit einer ausführlichen Einleitung versehen. Ein Verzeichnis der sog. „offenen" Befehle (im Unterschied zu den geheimen bzw. streng geheimen Befehlen) stand der zeithistorischen Forschung bisher nicht zur Verfügung. 30 Vornehmlich aus russischen Archiven erarbeitet und nach unterschiedlichen Gesichtspunkten auch statistisch und komparativ ausgewertet, liegt hier erstmals eine kommentierte Kompilation der wichtigsten Befehle der SMAD vor, deren Zusammenstellung im übrigen schon allein dadurch erschwert wurde, daß die Numerierung der Befehle von der sowjetischen Besatzungsmacht selbst keineswegs stringent durchgeführt worden ist. Foitzik hat seine eingehenden Untersuchungen zu Aufbau und Funktionsweise der SMAD in dem jüngst erschienenen Band „Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Struktur und Funktion" fortgesetzt und vertieft. 31 Dabei handelt es sich um weit mehr als eine bloße Strukturanalyse des „Instruments" der sowjetischen Besatzungspolitik, zumal

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Vgl. Horst Möller/Hartmut Mehringer, Die Außenstelle Potsdam des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 43 (1995), S. 3-16. Die auf dieser Konferenz gehaltenen Referate sind, hrsg. von Hartmut Mehringer, Michael Schwartz und Hermann Wentker, unter diesem Titel veröffentlicht worden (München 1998). Hartmut Mehringer (Hrsg.), Von der SBZ zur DDR. Studien zum Herrschaftssystem in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik, München 1995. Inventar der Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949 - Offene Serie. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte zusammengestellt und bearbeitet von Jan Foitzik, München u. a. 1995. Berlin 1999.

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darüber hinaus auch das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen den politisch-strategischen Entscheidungsebenen in Moskau u n d den territorial-fachlichen Abteilungen der Besatzungsverwaltung detailliert behandelt wird, ebenso wie das ambivalente Verhältnis zwischen SMAD und KPD/SED u n d die von wechselnden Prioritätensetzungen gekennzeichnete sowjetische Deutschlandpolitik. Hier ist zweifellos, auch aufgrund intensiver Auswertung weiterer russischer Archivmaterialien, ein Standardwerk entstanden. Eine in zeitgeschichtlicher wie wissenschaftlicher Hinsicht konsequente Fortsetzung dieses Untersuchungsgegenstandes hat die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland (SKK), die Nachfolgeinstitution der SMAD, durch Elke Scherstjanoi erfahren, ebenfalls auf der Basis bisher unbekannter sowjetischer Quellen. 32 Das Statut der Kontrollkommission, die trotz ihrer überragenden Bedeutung für die Frühzeit der DDR (bis 1953) weitgehend ein Stiefkind der zeithistorischen Forschung geblieben ist, wird in dieser Edition (mit ausführlicher Einleitung) erstmals herausgegeben u n d kommentiert. Obwohl der Autorin die Einsichtnahme in weitere, wichtige Quellenbestände verwehrt wurde, liegt hiermit doch eine eingehende Skizzierung der Befugnisse, Strukturen und Funktionen der SKK vor, die es bisher nicht gab. Mit diesen Publikationen zur entscheidenden Machtinstanz sowohl in der SBZ als auch in der f r ü h e n DDR haben die beiden miteinander vernetzten Forschungsprojekte neue Grundlagen für die Vor- u n d Frühgeschichte des zweiten deutschen Staates gelegt, wobei besonders hervorzuheben ist, daß dies quellenmäßig - soweit es möglich war - , zum größten Teil aus der russischen Gegenüberlieferung erfolgt ist. Ebenfalls am Beginn der Forschungsarbeit der neuen Außenstelle stand eine Untersuchung des Transformationsprozesses der Justiz in der SBZ/DDR; ein zweiteiliges Forschungsprojekt, das ab 1995 von der Volkswagen-Stiftung gefördert wurde. Im Zentrum steht die Errichtung der sog. „Klassenjustiz" in der Sowjetischen Besatzungszone auf zentraler wie regionaler Ebene, wobei in bezug auf letztere zwei exemplarische Studien zu Brandenburg u n d Thüringen von Dieter Pohl u n d Petra Weber erarbeitet worden sind; damit soll überprüft werden, ob beide Länder unterschiedliche Entwicklungen bei der Herausbildung eines „sozialistischen Rechts- u n d Justizwesens" nahmen. Auf der Lei32

Das SKK-Statut. Zur Geschichte der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland 1949 bis 1953. Eine Dokumentation. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte zusammengestellt und eingeleitet von Elke Scherstjanoi, München 1998.

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tungsebene erfolgt eine Untersuchung der „Deutschen Zentralverwaltung f ü r Justiz" sowie daran anschließend, nach Staatsgründung der DDR, des „Ministeriums der Justiz", einschließlich der weiteren zentralen Justizorgane durch Hermann Wentker. Das Gesamtprojekt ist diktaturvergleichend angelegt, um die erzielten Forschungsergebnisse dieses Transformationsprozesses dem analogen Vorgang im Nationalsozialismus gegenüberstellen zu können; bei der Erforschung der nationalsozialistischen Justiz hat das IfZ ohnehin wegweisende Grundlagenforschung geleistet. 33 Erster Ertrag dieses Projekts ist die von Hermann Wentker mit einer umfangreichen Einleitung versehene Dokumentation „Volksrichter in der SBZ/DDR 1945 bis 1952"34, in der anhand ausgewählter, bislang unveröffentlichter Dokumente der keineswegs geradlinige Weg zu einer politisch-ideologisch linientreuen Volksrichterausbildung nachgezeichnet wird. Der vielleicht massivste Elitenaustausch, der in der SBZ/DDR überhaupt erfolgt ist, steht hier im Mittelpunkt, wobei mit der bevorzugten Auswahl von Lehrgangsteilnehmern aus dem Arbeitermilieu zugleich versucht wurde, ein der KPD/SED ergebenes, verläßliches Justizpersonal heranzubilden. Dabei kam juristischen Fachkenntnissen und entsprechenden Berufsqualifikationen eher sekundäre Bedeutung zu. Gleichfalls auf einen Diktaturvergleich angelegt ist ein Projekt zur Jugendpolitik unter beiden deutschen Diktaturen in den Jahren 1935 bis 1955. Grundlage für die komparative Untersuchung wird die Entwicklung von HJ u n d FDJ bilden, insbesondere die Struktur u n d Funktion beider Partei- bzw. staatlichen Jugendorganisationen, sind doch moderne Diktaturen - gleich welcher Provenienz - bekanntlich besonders bemüht, die nachwachsende(n) Generation(en) für sich zu gewinnen. 35 Dieses Projekt wird von Michael Buddrus bearbeitet, der für die noch immer in den Anfängen stehende praktische Durchführung eines dik-

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Neben weiteren Publikationen siehe besonders Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, München 2 1990. Erschienen München 1997. Hermann Wentker, der jetzige Leiter der Außenstelle in der Nachfolge von Hartmut Mehringer, hatte zuvor bereits den umfangreichen Forschungsüberblick Geschichte der Justiz in der DDR, in: Neue Politische Literatur 39 (1994), S. 4 4 2 ^ 5 8 , publiziert. Von ihm stammt auch der Beitrag zu den Auseinandersetzungen zwischen SED und Evangelischer Kirche in den 50 er Jahren: Die Einführung der Jugendweihe in der DDR: Hintergründe, Motive und Probleme, in: Von der SBZ zur DDR (Anm. 29), S. 139-165. Zu ersten Forschungsergebnissen vgl. Michael Buddrus, „Kaderschmiede für den Führungsnachwuchs"? Die Kadettenschule der Nationalen Volksarmee in Naumburg 1956-1961, in: ebd., S. 167-232.

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taturvergleichenden Ansatzes in der Zeitgeschichtsforschung umfassende Quellenkenntnisse zu dieser Thematik für das NS- wie das KPD/ SED-Regime mitbringt. Theoretische Überlegungen zu einem fundierten Vergleich, in dem gleichgewichtig Gemeinsamkeiten und Unterschiede der keineswegs deckungsgleichen Jugendpolitik von NSDAP u n d KPD/SED sowie der Organisationsstrukturen von Hitleijugend und Freier Deutscher Jugend herausgearbeitet u n d einander gegenübergestellt werden sollen, wurden von Buddrus inzwischen publiziert. 36 Am Schnittpunkt von Politik- u n d Sozial- bzw. Wirtschaftsgeschichte angesiedelt sind die beiden übrigen laufenden Forschungsprojekte der Außenstelle. Bis vor wenigen Jahren ist die Vertriebenen- u n d Flüchtlingsproblematik nach Kriegsende in der SBZ, von der KPD/ SED euphemistisch als „Umsiedler"-Frage definiert, ein gravierendes Forschungsdefizit im Vergleich zum weit fortgeschrittenen Kenntnisstand in den westlichen Besatzungszonen bzw. in der f r ü h e n Bundesrepublik gewesen. Allein die demographische Dimension von viereinhalb Millionen Flüchtlingen zu Beginn des Jahres 1948 brachte - ähnlich wie im Westen - enorme soziale u n d wirtschaftliche Folgeprobleme mit sich, wobei die „Umsiedlerintegration" in der SBZ, die im Zentrum des Forschungsprojekts steht, durchaus auch andere Lösungsstrategien avisierte. Das von Michael Schwartz bearbeitete Projekt betrachtet dementsprechend die unumgängliche Aufgabe der „Vertriebenen-Integration als politische Herausforderung" des entstehenden SED-Regimes 37 und analysiert die diesbezügliche, zwischen 1945 und 1953 erfolgende „Umsiedlerpolitik" in der SBZ/DDR. Dabei werden die schon in der totalitären Sprachpolitik des „Umsiedler"-Begriffs deutlichen Strukturelemente dieser autoritär-integrativen „Umsiedlerpolitik" in den Blick genommen, die durch außenpolitische Desillusionierung der Rückkehrhoffnung, repressive innenpolitische Domestizierung, aber eben auch durch gezielte sozialpolitische Hilfs- u n d Integrationsangebote gekennzeichnet war. Besonders berücksichtigt werden die sich rapide wandelnden institutionellen Träger dieser „Umsiedlerpolitik" auf diversen

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Michael Buddrus, Überlegungen zu einem Vergleich: Hitleijugend (HJ) und Freie Deutsche Jugend (FDJ), in: Wolfgang Edelstein/Dietmar Sturzbecher (Hrsg.), Jugend in der Krise. Ohnmacht der Institutionen, Potsdam 1996, S. 55-77. Vgl. auch die im Auftrag des IfZ herausgegebene, naturgemäß noch unter gesamtdeutscher Perspektive stehende Familiengeschichte des Flucht- und Vertreibungserlebnisses: Werner Terpitz, Wege aus dem Osten. Flucht und Vertreibung einer ostpreußischen Pfarrersfamilie, bearbeitet von Michael Schwartz, München 1997.

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Handlungsebenen 38 sowie wesentliche Felder der vertriebenenspezifischen Sozialpolitik in der SBZ und frühen DDR, die jeweils mit der westdeutschen Integrationspolitik in Beziehung gesetzt werden. 39 Dadurch soll das Projekt auch einen Beitrag zu einer gesamtdeutschen „Zeitgeschichte der Nachkriegszeit" leisten. In diesem Zusammenhang veranstaltete die Außenstelle deshalb zwei interdisziplinäre Kolloquien zur Problematik der Vertriebenenintegration, welche die neuesten Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet bewußt in einen gesamtdeutschen Kontext zu stellen suchten. 40 Wirtschaftshistorisch ausgerichtet ist schließlich das Forschungsvorhaben zu Arbeitskräftelenkung und -mobilisierung in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1965, das von Dierk Hoffmann bearbeitet und am Beispiel der Grundstoff- und metallverarbeitenden Industrie untersucht wird. An Hand der Steuerung des ostdeutschen ,Arbeitsmarktes" durch die KPD/SED bzw. Ministerien und staatlichen Verwaltungen soll der Aufbau der zentralen Planwirtschaft in der DDR nachgezeichnet werden. 41 In der Tat kam der stetigen Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen keine bloß wirtschaftspolitische, sondern auch rein politische Bedeutung zu: Nur mit einem wachsenden Arbeitskräftepotential waren die Reparationsforderungen der sowjetischen Besatzungsmacht

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Vgl. hierzu die bereits publizierten Studien: Michael Schwartz, Zwischen Zusammenbruch u n d Stalinisierung. Zur Ortsbestimmung der Zentralverwaltung f ü r deutsche Umsiedler (ZVU) im politisch-administrativen System der SBZ, in: Von der SBZ zur DDR (Anm. 29), S. 43-96; ders., Kontrollierte Partizipation. Die .Umsiedler-Ausschüsse' der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Spannungsfeld von Sonderverwaltung, Parteipolitik u n d sozialen Interessen 1945-1949, in: Sylvia Schraut/Thomas Grosser (Hrsg.), Die Flüchtlingsfrage in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, Mannheim 1996, S. 161-191; ders., Apparate u n d Kurswechsel. Zur institutionellen u n d personellen Dynamik von „Umsiedler'-Integrationspolitik in der SBZ/DDR 1945— 1953, in: Dierk H o f f m a n n / M i c h a e l Schwartz (Hrsg.), Geglückte Integration? Spezifika u n d Vergleichbarkeiten der Vertriebenen-Eingliederung in der SBZ/DDR, München 1999, S. 105-135. Siehe auch die gesamtdeutsch-vergleichende Skizze: Michael Schwartz, Vertreibung u n d Vergangenheitspolitik. Ein Versuch über geteilte deutsche Nachkriegsidentitäten, in: Deutschland-Archiv 30 (1997), S. 177-195. Die Ergebnisse dieser Forschungskolloquien liegen publiziert vor (Anm. 38) bzw. werden demnächst in einem Sammelband erscheinen, der von Dierk Hoffmann, Marita Krauss u n d Michael Schwartz herausgegeben wird. Vgl. hierzu auch den Bericht von Dierk Hoffmann, Die Integration von Flüchtlingen u n d Vertriebenen nach 1945. Interdisziplinäre Ergebnisse u n d Forschungsperspektiven, in: VfZ 46 (1998), S. 551553. In den Studien zur Zeitgeschichte des IfZ ist auch die Münchner Dissertation von Dierk Hoffmann, Sozialpolitische N e u o r d n u n g in der SBZ/DDR. Der Umbau der Sozialversicherung 1945-1956, München 1996, veröffendicht worden.

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zu erfüllen, während vice versa die millionenfache Flucht qualifizierter Arbeitskräfte bis 1961 kompensiert werden mußte. Die Studie sucht die Lenkung u n d Mobilisierung von Arbeitskräften einerseits auf der zentralen Entscheidungsebene, bis 1952 ebenso auf Länderebene, zu analysieren und will andererseits auch deren Auswirkungen auf einzelne Betriebe exemplarisch beleuchten.

IV. Ein kurzes Resümee, sowohl retrospektiv als auch in die Zukunft gerichtet, dürfte zu folgenden Einschätzungen gelangen: Zweifellos ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der SBZ/ DDR relativ spät zu einem Schwerpunkt der zeitgeschichtlichen Forschung des IfZ geworden; eine Entwicklung, die aber weitgehend mit der nach Kriegsende etablierten Zeitgeschichte in der früheren Bundesrepublik in Einklang steht. Mehr als zwei Jahrzehnte lang nahm die Erforschung des Nationalsozialismus u n d der Weimarer Republik Priorität ein, wobei nicht vergessen werden sollte, daß diese Ziel- u n d Zwecksetzung gerade in der Gründung des Instituts bis hin zur ersten Namensgebung ihren programmatischen Ausdruck fand. Motive u n d Ursachen hierfür müssen nicht noch einmal rekapituliert werden. Diese Schwerpunktsetzung, die auch an Universitäten u n d sonstigen Forschungseinrichtungen der frühen Bundesrepublik vorherrschend war, wobei das IfZ gerade in bezug auf die intensive u n d innovative Erforschung der NS-Diktatur lange Jahre eine Vorreiterrolle einnahm, brachte es mit sich, daß eine fundierte, zeithistorische Auseinandersetzung mit dem „zweiten deutschen Staat" anfangs überhaupt nicht oder nur vereinzelt vorgenommen wurde. Entsprechend wurde die SBZ/ DDR in den ersten beiden Dekaden der Bundesrepublik zunächst zum Untersuchungsgegenstand der Politikwissenschaft, Wirtschafts- u n d Rechtswissenschaften sowie der Pädagogik - u n d erst in der zweiten Hälfte der 60 er Jahre zum Gegenstand der Zeitgeschichtsforschung. Ausschlaggebend f ü r diese späte Inangriffnahme war zweifellos die schwierige Quellenlage, die eine seriöse, wissenschaftliche Auseinandersetzung damit als nicht tragfähig erscheinen ließ. Offensichtlich herrschte aber auch eine gewisse innere Reserviertheit gegenüber diesem Forschungsgegenstand vor, zumal nicht wenige Mitarbeiter des neuen Instituts als Zeithistoriker gleichzeitig Zeitzeugen der mit Hilfe u n d Unterstützung der Sowjetunion errichteten zweiten deutschen Dik-

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tatur geworden waren u n d sich nicht allzu schnell zu deren Erforschung bereit finden konnten bzw. wollten. 42 Aufbauend auf umfassende zeithistorische Editionen, Dokumentationen, Darstellungen u n d Analysen der wesüichen Besatzungszonen sowie der Frühgeschichte der Bundesrepublik, die Ende der 60 er, besonders aber dann in den 70 er Jahren erstellt wurden, Schloß sich mit Beginn der 80 er Jahre eine breite Erforschung der Sowjetischen Besatzungszone u n d der Anfänge der DDR an, deren Höhepunkt das SBZHandbuch darstellt(e). Es ist, 1990 mitten im Wendeprozeß erschienen, zugleich qualitativer Endpunkt einer zeitgeschichtlichen DDR-Forschung, welcher der Zugriff auf Originalquellen jahrzehntelang verwehrt oder sehr erschwert war. Die forschungsstrategisch konsequente u n d trotz knapper staatlicher Mittel vergleichsweise rasche Gründung einer Außenstelle in unmittelbarer Nähe zu einschlägigen Archiven zur Geschichte der SBZ/DDR, die Anfang 1994 ihre Arbeit aufnahm, hat sodann zu einer weiteren Verstärkung u n d Intensivierung diesbezüglicher zeithistorischer Forschung geführt. In bewährter Tradition der Erschließung, Sichtung u n d Auswertung von Archivmaterialien ist seither Grundlagenforschung betrieben worden, o h n e im Boom der Zeitgeschichtsforschung zur SBZ/DDR nach der Wende der Neigung zu „Schnellschüssen" zu erliegen. 43 Besonders bemerkenswert ist dabei deren .Aufarbeitung" gerade auch mittels sowjetischer Archive, die trotz aller Schwierigkeiten des Archivzugangs u n d entsprechender Quellenauswertung eine unverzichtbare Perspektive u n d Perzeption der Geschichte des SED-Staates impliziert; dies wird von der zeithistorischen SBZ/DDR-Forschung insgesamt bis heute noch immer zu wenig vorgenommen. Im übrigen ist die bisherige Forschungsarbeit der Außenstelle auch keineswegs stärker politikgeschichtlich als wirtschafts- u n d sozialhistorisch ausgerichtet gewesen, wie dies noch vor einiger Zeit vermutet wurde. 44 Die noch laufenden Forschungsprojekte zur Vertriebenen- u n d Flüchtlingsproblematik sowie zur Lenkung des Arbeitskräftepotentials sprechen hier für 42 43

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Vgl. hierzu noch einmal die Aussagen Martin Broszats (Anra. 13). Vgl. hierzu die grundlegenden Einschätzungen des Altmeisters der DDR-Forschung, Hermann Weber, „Asymmetrie" bei der Erforschung des Kommunismus und der DDR-Geschichte? Probleme mit Archivalien, dem Forschungsstand und bei den Wertungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 26 (1997), S. 3-14, sowie erneut in dem Beitrag Zum Stand der Forschung über die DDR-Geschichte, in: Deutschland-Archiv 31 (1998), S. 249-257. Vgl. Christoph Kleßmann/Martin Sabrow, Zeitgeschichte in Deutschland nach 1989, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 39 (1996), S. 3-14, dort bes. S. 6.

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sich. Zudem wäre eine zeitgeschichdiche Erforschung der SBZ/DDRGeschichte ohne die intensive Auseinandersetzung mit der untrennbar damit verbundenen Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte, einschließlich Mentalitäts- u n d Alltagsgeschichte, historisch inadäquat u n d befände sich auch historiographisch nicht auf dem Stand moderner Zeitgeschichte. Was die mögliche Weiterentwicklung und Fortführung der vom IfZ insbesondere seiner Außenstelle - betriebenen SBZ/DDR-Forschung betrifft, so lassen sich durchaus einige Zielsetzungen und Wegmarken umreißen, die in nächster Zukunft angegangen werden könnten eventuell sollten. Angebracht wäre sicherlich, die gegenwärtig feststellbare starke Konzentration auf die SBZ- und frühe DDR-Zeit zu reduzieren u n d in nachfolgenden Projekten auf weitere Etappen auszurichten, wobei die Ulbricht-Ära, insbesondere in den 60 er Jahren, forschungsmäßig noch immer vergleichsweise unterbelichtet geblieben ist. Verstärkte Umsetzung sollten künftig auch komparative Ansätze finden, da sonst die allenthalben geforderte Einbettung und Historisierung der Geschichte des SED-Staates u n d seiner Gesellschaft theoretisches Peitschengeknall bleibt. Die Weiterentwicklung des Totalitarismusmodells ist inzwischen erheblich fortgeschritten, aber gegenwärtig an einen gewissen Endpunkt angelangt; es fehlt an methodisch-praktischer und entsprechend historiographischer Umsetzung. Für die Realisierung dieser Aufgabe brächte das IfZ gute Voraussetzungen mit: Das gilt nicht n u r für seine lange Erfahrung auf dem Gebiet der NS-Forschung überhaupt, die den komplizierten, aber notwendigen Vergleich zwischen NS- und SED-Diktatur erleichtern hilft. So bietet sich etwa der Vergleich der Jugendpolitik und ihrer entsprechenden Organisationen in beiden Regimen auf der Basis eines „sektoralen" Vergleichs in idealer Weise an. 45 Dies gilt auch für den Vergleich zwischen den Besatzungszonen u n d den beiden deutschen Staaten, noch m e h r aber für den von der zeithistorischen wie politikwissenschaftlichen Forschung viel zu selten vorgenommenen Vergleich zwischen der DDR und den früheren Ostblock-Staaten, den sog. „Ost-Ost-" bzw. „intrasystemaren" Vergleich. Gerade für die praktische Durchführung und Umsetzung eines solchen komparativen Ansatzes vermag das Institut durch Mitarbei-

45

Vgl. Günther Heydemann, Zur Theorie und Methodologie des Diktaturenvergleichs, in: Norbert Haase/Bert Pampel (Hrsg.), Doppelte Last - doppelte Herausforderung. Gedenkstättenarbeit und Diktaturenvergleich an Orten mit doppelter Vergangenheit, Frankfurt am Main u. a. 1998, S. 53-59.

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ter, die auch über die dafür notwendige, aber selten anzutreffende Sprachkompetenz verfügen, ein Forschungspotential einzubringen, das sonst meist nicht vorhanden ist. „Zeitgeschichte ist", wie Raymond Aron auf einem der ersten großen internationalen Kongresse für Zeitgeschichte feststellte, die das damals noch j u n g e IfZ vor n u n m e h r vierzig Jahren organisierte, eine „permanente, nie definitiv zu lösende Aufgabe". 46 Diese Definition mag auf den ersten Blick eher entmutigend als ermutigend erscheinen. Gleichwohl hat sich das Institut von dieser eventuellen Unlösbarkeit der Aufgabe nie abschrecken lassen. Vielmehr hat es - nicht zuletzt auch durch die von seinen Mitarbeitern betriebene SBZ/DDR-Forschung - hierzu ansehnliche Lösungsversuche im Verlauf seines 50jährigen Bestehens beigesteuert.

46

Hans Herzfeld, Internationaler Kongreß für Zeitgeschichte, München 24.-27. 11. 1959, S. 510-522; ZitatS. 511.

Varia

U d o Wengst Einzelveröffentlichungen Eine kommentierte Bibliographie

Neben größeren Forschungsprojekten, an denen mehrere Wissenschaftler des Instituts für Zeitgeschichte beteiligt waren u n d deren Ergebnisse sich in mehrbändigen Veröffentlichungen niedergeschlagen haben, gab es auch stets Projekte, die weniger groß dimensioniert waren. Hierbei handelte es sich um Editionen gewichtiger Quellenbestände, um Monographien oder aber - in einem Fall - um einen Sammelband. Eine Ubersicht über die Forschungsleistungen des Instituts wäre unvollständig, wenn die Einzelveröffendichungen nicht gewürdigt würden. Dies soll im folgenden in der Weise geschehen, daß die betreffenden Werke kurz vorgestellt werden und durch Hinweise auf Bewertungen in Rezensionen die Bedeutung der einzelnen Werke wenigstens ansatzweise herausgearbeitet wird. Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokollfragmente seiner militärischen Konferenzen 1942-1945. Herausgegeben von Helmut Heiber. 1962 Im September 1942 hatte Hitler angeordnet, sämtliche Lagebesprechungen von Stenographen festhalten zu lassen. Damit wollte sich der „Führer" nicht n u r „gegen eine falsche Interpretation seiner Befehle" schützen, sondern vor allem „vor der Nachwelt, vor der Geschichte, die Verantwortlichkeit festgehalten" wissen für alles, „was auf deutscher Seite in diesem Krieg auf militärischem Gebiet getan oder unterlassen worden sei" (Einleitung Heibers, S. 14). Den Umfang der bis zum Kriegsende angefertigten Protokolle schätzte Heiber auf 103000 Blatt, die jedoch durch Brand größtenteils vernichtet wurden. Von der Zerstörung verschont blieben lediglich etwa 800 Blatt von 50 Lageprotokollen, die ganz oder teilweise erhalten geblieben sind. Diesen Restbestand hat Heiber 1962 im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte herausgegeben.

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Tageszeitungen kommentierten das Erscheinen mit Überschriften wie „Einmalige Dokumente aus dem ,Führerhauptquartier'" 1 oder „Hitlers ,Lagen': Dokumente des Dilettantismus". 2 Die Resonanz in der Presse war sehr groß - die Rezensionen fielen überaus positiv aus. Walter Görlitz faßte sein Urteil in der Feststellung zusammen: „Mit ungeheuerem Fleiß u n d treffsicherem ruhigen Urteil hat Heiber die militärische Situation, die Bestimmung der zahllosen, in den Protokollen erwähnten Personen, die Erklärung waffen- u n d rüstungstechnischer Einzelheiten u n d die Bewertung der Maßnahmen Hitlers vorgenommen. Bemerkenswert ist vor allem das Streben, bei der Kommentierung objektive Urteile zu finden. Somit bilden die ,Führerlagen' heute eine der wichtigsten Quellen zur Beurteilung Hitlers u n d der Führung von Staat u n d Wehrmacht im letzten Krieg überhaupt." 3 Ahnlich positiv fiel das Urteil Bodo Scheurigs - trotz einiger kritischen Anmerkungen - aus: „Heibers breit angelegte Einführung rekonstruiert vorbildlich [. . .] Entstehen u n d Geschichte der Lagebesprechungen. [. . .] Besonders gut wird man über den Quellenwert der Protokolle unterrichtet. Selbst wo Heiber deutet, vermag man sich ihm weitgehend anzuschließen. Wo er freilich den Politiker Hitler zu strikt vom Feldherrn trennt, gelangt er zu Schlußfolgerungen, die nicht vorbehaltlos hinzunehmen sind. [ . . . ] Dieser Einwand tastet indes nirgends Heibers imponierende Arbeit an. Mit ihr ist eindrucksvoll bewiesen, was wissenschaftliche Zeitgeschichte leisten kann." 4 D E I S öffentliche Interesse an der Edition war im folgenden so groß, daß bereits 1963 die Deutsche Buch-Gemeinschaft eine Auswahl der Protokolle unter dem Titel „Lagebesprechungen im Führerhauptquartier. Protokollfragmente aus Hitlers militärischen Konferenzen 1942-1945", herausgegeben von Helmut Heiber, veröffentlichte.

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So die Überschrift einer Artikelserie in der Frankfurter Abendpost am 13., 15., 16. und 17. Oktober 1962. So übereinstimmend die Titel im Heidelberger Tagblatt, im Mannheimer Morgen und in den Fränkischen Nachrichten, jeweils am 14. Dezember 1962. Die Welt vom 24. März 1962. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Januar 1963.

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Thilo Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP. Beiträge zur deutschen Geschichte 1930-1932. 1962 Inhalt des Buches ist der Untergang der Weimarer Republik, wobei die „übergreifenden Ambitionen des Reichswehrministeriums eindeutig im Vordergrund" stehen. „Daher ist auch Kurt von Schleicher zwangsläufig die zentrale Figur des Buches, mitsamt seinen Taktiken u n d Überlegungen sowie den ihm eigenen Methoden in der Auseinandersetzung mit der NSDAP u n d Hitler." Vogelsang hat seine Darstellung dabei weniger als eine Untersuchung, sondern eher als eine Erzählung angelegt, „die unter Berücksichtigung möglichst vieler der [damals] zur Verfügung stehenden Quellen" geschrieben worden ist (S. 10). Die Bedeutung, die Vogelsang den Quellen beimaß, ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß sein Buch einen ausführlichen Quellenanhang enthält. An der wissenschaftlichen Leistung Vogelsangs bestanden keine Zweifel. Allerdings ist sein erzählender Ansatz auch auf Kritik gestoßen. So bemängelte ζ. B. Kurt Sontheimer: „Die bloß erzählende Geschichtsschreibung, deren sich der Verfasser mit so großer Gründlichkeit u n d Redlichkeit befleißigte, bewirkt im Leser noch kein zureichendes Verstehen." 5 Ahnlich fiel auch die Kritik von Waldemar Besson aus, der die Auseinandersetzung mit der Literatur vermißte u n d schließlich feststellte: „Es hätte die großartige Arbeitsleistung des Verfassers wirkungsvoll ergänzt, wenn [. . .] strukturelle u n d prinzipielle Erwägungen in das Detail der Erzählung hineinkomponiert worden wären." 6 Gleichwohl ist Vogelsang zu Schlußfolgerungen gekommen, die bis heute Bestand haben. Sie hat Karl Otmar Frhr. von Are tin bereits in einer Besprechung im Dezember 1962 mit den Worten zusammengefaßt: Schleicher habe sich seit 1930 außerhalb der Verfassung bewegt. „Das, was die Zeitgenossen den Sturmangriff des dritten Garderegiments zu Fuß [.. .] gegen die deutsche Reichsverfassung nannten, war j a der Versuch, die unter der Wirtschaftskrise sich abzeichnenden politischen Schwierigkeiten zur Beseitigung des parlamentarischen Systems, der Weimarer Republik, zu benutzen. So ist schließlich eine Situation entstanden, in der nur ein Staatsstreich Deutschland vor Hitler hätte retten können." 7 5 6 7

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. September 1963. Zeitschrift für Politik 12 (Neue Folge, 1965), S. 404f. Süddeutsche Zeitung vom 1./2. Dezember 1962.

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Helmut Heiber: Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands. 1966 In seiner voluminösen Studie von knapp 1300 Seiten hat sich Helmut Heiber als erster Historiker nach 1945 auf der Basis eines umfangreichen Quellenmaterials mit der Geschichtswissenschaft im Dritten Reich befaßt. Mit Walter Frank u n d seinem Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands werden der Mann u n d die Einrichtung behandelt, mit denen der NS-Staat ein neues Geschichtsbild durchsetzen wollte. Für Heiber ist Frank kein Held, aber ein Symbol. Das Wirken Franks u n d seiner Freunde im Dritten Reich - so Heiber - zeige „paradigmatisch, wie damals Wissenschaft betrieben wurde". Heiber versucht also, die Geschichtswissenschaft - u n d nicht n u r diese - im NS-Staat gleichsam in to to zu behandeln, u n d dies in einer Mischung von Darstellung u n d Dokumentation. Die mit der Anlage des Buches verbundenen Voru n d Nachteile bedingen sich gegenseitig. Bernd-Jürgen Wendt hat die Leistung Heibers betont, die darin bestehe, „eine unendliche Stoffülle erschlossen u n d aufgearbeitet" sowie „Entwicklungslinien u n d Schicksale oft bis in die letzten Verästelungen verfolgt" zu haben. Dies sei allerdings selbst für Experten „nur schwer zu bewältigen", und daher sei das Werk „in erster Linie nur als informatives Nachschlagewerk zu benutzen". Darüber hinaus hat Wendt jedoch auch kritisiert, daß Heiber den Eindruck erwecke, „als habe das nationalsozialistische Deutschland in Wissenschaft u n d Lehre, Verwaltung u n d Politik - von wenigen ausdrücklich gewürdigten Ausnahmen abgesehen - n u r aus einer Galerie von Possenreißern, Wirrköpfen u n d Schurken bestanden". 8 Ahnlich wie Wendt hat auch Karl Otmar Frhr. von Aretin den Wert des Buches in erster Linie als „Materialsammlung" gesehen, in diesem Zusammenhang jedoch das Fehlen detaillierter Register bemängelt. Insgesamt hielt er Heiber vor, mit seinem Buch in den Fakten steckengeblieben zu sein u n d den Leser ratlos zu lassen. 9 Der Gestaltung des Buches stand auch Wilhelm Treue kritisch gegenüber: Es sei „im Stile der besten Essays von Maximilian Harden geschrieben" - aber Essays im Umfang von mehr als 1200 Seiten gebe es nicht. Trotz aller Einwände im einzelnen fand Treue im Unterschied zu Aretin zu einem positi8 9

Das Parlament vom 22. Mai 1968. Süddeutsche Zeitung vom 26. Juni 1968.

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ven Urteil: „Heibers Buch ist sehr gut und auch ein Gewinn f ü r die Geschichtswissenschaft selbst." 10

Helmuth Groscurth: Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940. Mit weiteren Dokumenten zur Militäropposition gegen Hitler. Herausgegeben von Helmut Krausnick und Harold C. Deutsch unter Mitarbeit von Hildegard von Kotze. 1970 Helmuth Groscurth, ab August 1939 Verbindungsoffizier der Abwehr beim Oberkommando des Heeres, fiel in den Planungen der militärischen Opposition gegen Hitler eine Schlüsselfunktion zu. In den Darstellungen über den militärischen Widerstand taucht sein Name allerdings selten auf, da er bereits im Frühjahr 1943 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gestorben ist. Groscurth führte vom Sommer 1938 bis zum Februar 1940 ein privates Tagebuch. Dieses bildet den Kern der hier vorgestellten Edition. Ergänzt wurde es durch Aufzeichungen, Handakten, Denkschriften und Privatbriefe. Als zentrale Ergebnisse dieser Edition hat Ger van Roon folgende drei Punkte festgehalten: 1. Die Edition belege „mit Sicherheit die Staatsstreichplanung des Generalstabs im Spätjahr 1939"; 2. die Publikation liefere neue Erkenntnisse zur „Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, vor allem zur Sudetenkrise"; 3. die Edition biete neue Dokumente „zu den Judenerschießungen in Bjelaja Zerkow 1941", die Groscurth „mit Androhung von Gewalt" wenn auch n u r zeitweise - unterbrochen habe. Darüber hinaus gibt die Veröffentlichung Einblick in die Motive, die Groscurth zum Widerstandskreis stoßen ließen. Es war zum einen seine christliche Uberzeugung, zum anderen seine Entrüstung über die Judenverfolgungen und die Mordaktionen der SS u n d der Einsatzkommandos. 11 Andreas Hillgruber hat diesem „vorzüglich edierten, durch Einführung, umfangreichen Anmerkungsapparat u n d Personenregister für die Auswertung aufbereiteten Band" bescheinigt, „sowohl für die Erforschung des Widerstandes als auch f ü r die allgemeine Forschung zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges in seiner Anfangsphase eine wichtige, 10 11

Die Zeit vom 14. April 1967. Die Zeit vom 4. Dezember 1970.

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j a in vielem grundlegende Bereicherung" darzustellen. 12 Ähnlich positiv fiel die Bewertung durch Walter Görlitz aus, der eine ausführliche Rezension mit der Feststellung abschloß: „Die Groscurth-Tagebücher sind eine der bedeutendsten Veröffentlichungen zur deutschen Zeitgeschichte in den letzten 25 Jahren." 1 3

Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 1939-1945. Herausgegeben von Werner Präg und Wolfgang Jacobmeyer. 1975 Hans Frank, der Chef des Generalgouvernements in Polen, hat für die Dauer seiner gesamten Amtszeit vom Oktober 1939 bis Anfang April 1945 ein Diensttagebuch geführt, das einen Umfang von insgesamt 11 367 Schreibmaschinenseiten aufweist. Eigenem Bekunden zufolge wollte Frank mit diesem Tagebuch Zeugnis ablegen von seiner Aufbauarbeit u n d den historischen Leistungen der deutschen Verwaltung im besetzten Polen u n d dabei auch seine Rolle als Antipode der SS genügend herausstreichen. Obwohl das Tagebuch - wie Christoph Kleßmann mit Recht betont hat - „ohne Zweifel ein einzigartiges Dokument in der u n d für die Geschichte nationalsozialistischer Okkupationspolitik" darstellt, war es schlechterdings nicht möglich, das Gesamtwerk zu publizieren. Die Herausgeber haben sich deshalb für eine Auswahledition mit einem Umfang von ca. 900 Textseiten entschieden. Alle Auslassungen sind durch Kurz- bzw. Langregesten kenntlich gemacht, so daß das „Gesamtbild des Tagebuches gleichwohl erhalten geblieben ist".14 Dieses Konzept, ergänzt durch kommentierende Anmerkungen sowie ein Sach- u n d Personenregister, hat große Anerkennung gefunden. Christoph Kleßmann bezeichnete die Publikation als „exzellente Edition". Gotthold Rhode sprach von einer imposanten u n d höchst dankenswerten Arbeitsleistung 15 , Andreas Hillgruber von einer „Kompromißlösung, die hier indes als voll gelungen bezeichnet werden darf'. 1 6 Klaus Zernack hielt die Edition f ü r so wichtig, daß sie „ohne Zweifel für die Forschung in aller Welt Bedeutung erlangen" werde 17 , u n d Ludwig Jedlicka faßte sein Urteil in dem Satz zusammen: Franks „berühmte 12 13 14 15 16 17

Das Historisch-Politische Buch, 19 (1971), S. 83 f. Die Welt vom 21. Januar 1971. Neue Politische Literatur 22 (1977), S. 136 ff. Zeitschrift für Ostforschung 25 (1976), S. 695-699. Historische Zeitschrift 222 (1976), S. 759f. Osteuropa 27 (1977), S. 631 f.

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Diensttagebücher, die nun in einer ausgezeichneten Edition mit einer entsprechenden Kürzung der unwesentlichen Verwaltungsberichte vorliegen, sind eine der wichtigsten Quellen zur Okkupationspolitik, aber auch zur polnischen Geschichte u n d zur inneren Geschichte des Dritten Reiches". 18 Nicht unerwähnt bleiben sollte schließlich noch die Schlußfolgerung, die die Herausgeber in ihrer Einleitung aus der kritischen Auswertung des Tagebuches gezogen haben. Im Gegensatz zu allen gegenteiligen Beteuerungen Franks selbst sei das Diensttagebuch „eher ein Zeugnis für die straffe Außenlenkung u n d den mangelnden Spielraum als für den autonomen Charakter der Gouvernementspolitik" (S. 29).

Helmut Krausnick/Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938-1942.

1981

Im Zusammenhang mit der Ausstellung über die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ist an die Adresse der Historiker wiederholt der Vorwurf gerichtet worden, daß sich diese mit diesem Problem bisher nicht befaßt hätten. Dabei ist übersehen worden, daß das Institut für Zeitgeschichte mit obigen Werk bereits eine entsprechende Publikation vorgelegt hat, die seinerzeit große Resonanz in der Öffentlichkeit gef u n d e n hatte, deren Existenz anscheinend jedoch mittlerweile der Vergessenheit anheimgefallen war. Der Band Krausnick/Wilhelm enthält zwei Studien, für die jeweils einer der beiden Autoren verantwortlich zeichnet. Helmut Krausnick behandelt die Tätigkeit der Einsatzgruppen vom Anschluß Österreichs bis zum Feldzug gegen die Sowjetunion, wobei ihn besonders das Verhältnis der Einsatzgruppen zur Wehrmacht interessiert. Hans-Heinrich Wilhelm steuert eine exemplarische Studie über die Einsatzgruppe Α der Sicherheitspolizei u n d des SD 1941/42 bei, die im Baltikum u n d in Weißrußland eingesetzt war u n d in kaum vorstellbarem Ausmaß Massentötungen an J u d e n vorgenommen hat. Zu „bedrückenden Erkenntnissen" im Hinblick auf die Rolle der Wehrmacht - so Martin Broszat im Vorwort - führte insbesondere die Studie von Helmut Krausnick. Denn dieser konstatierte ein hohes Maß 18

Die Furche 10 (6. 3. 1976), S. 11.

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an Willfährigkeit der Wehrmacht gegenüber den Einsatzgruppen, die schließlich mit dem Beginn des Rußlandfeldzuges in „die in ihrem Ausmaß erschreckende Integration des Heeres in das Vernichtungsprogramm u n d die Vernichtungspolitik Hitlers" geführt habe. Während Krausnick u n d Wilhelm im rechten politischen Spektrum auf Kritik stießen, fielen die Rezensionen der Fachkollegen zustimmend aus. Die vorgelegten Ergebnisse wurden nicht in Zweifel gezogen, u n d Dietmut Majer wagte frühzeitig die Prognose, daß das Buch „sicherlich zum Standardwark zum Thema .Einsatzgruppen' werden wird". 19 Zu einem ähnlichen Urteil kam Peter H. Merkl, der eine englischsprachige Rezension mit der Feststellung abschloß: „No multilingual library should be without it."20

Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. Herausgegeben von Wolfgang Benz. 1. Aufl. 1988, 4. Aufl. 1996 Es ist das Ziel dieses Buches, wie Wolfgang Benz in der Vorbemerkung schreibt, „kulturelle Leistung und Eigenart, geistiges u n d soziales Leben, wirtschaftliche Betätigung, Selbsthilfe und Reaktion gegen die Politik des Regimes, politische und gesellschaftliche Strukturen des deutschen Judentums" in einem Sammelband möglichst umfassend abzuhandeln (S. 12). Neben dem Herausgeber haben fünf weitere Autoren, bis auf einen Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte, versucht, ein „informatives u n d ausgewogenes Bild des vielschichtigen u n d facettenreichen Alltags jüdischer Bürger" unter der nationalsozialistischen Herrschaft zu zeichnen. Dies ist ihnen nach dem Urteil von Wolfgang Michalka gelungen 2 1 , während andere Rezensenten darauf hingewiesen haben, daß die einzelnen Beiträge in ihrer Qualität durchaus unterschiedlich ausgefallen u n d nicht alle relevanten Themen behandelt worden seien. Dabei handelt es sich jedoch u m Einwände, die mehr oder weniger gegen j e d e n Sammelband vorgebracht werden können. Obwohl das Buch - worauf Avram Barkai hingewiesen hat - kaum als eine „konsistente Sozialund Kulturgeschichte des jüdischen Lebens" im Dritten Reich angese-

19 20 21

Historische Zeitschrift 235 (1982), S. 488 ff. Journal of Modern History 55 (1983), S. 582ff.. Das Historisch-Politische Buch 37 (1989), S. 87.

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hen werden könne 22 , bietet es jedoch - so Wilhelm Schreckenberg „ein nuancen- und facettenreiches Bild, das nicht nur erkennen, sondern miterleben läßt, wie die deutschen Juden in dieser Zeit lebten und leben mußten". 23 Die Bedeutung, die die Mehrzahl der Rezensenten dem Buch bescheinigten, ist auch daraus zu ersehen, daß es ζ. B. von Klaus Schwabe, Hans J . Teuteburg und Wolfgang Michalka als „Pflichtlektüre für jeden historisch Interessierten", insbesondere aber für Studenten und Schüler bezeichnet wurde. Angesichts der Tatsache, daß nunmehr bereits die 4. Auflage vorliegt, scheint dieser Einschätzung zumindest teilweise Rechnung getragen worden zu sein.

Hermann Graml: Europas Weg in den Krieg. Hitler und die Mächte 1939. 1990 Uber 50 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erschien Hermann Gramls Buch. Rezensenten haben festgesellt, daß es sich hierbei eigendich um zwei Bücher handele: zum einen - im ersten Teil um eine Darstellung des europäischen Mächtesystems von 1918 bis 1938, zum anderen - im umfangreicheren zweiten Teil - um die minutiöse Nachzeichnung der Entwicklung vom Herbst 1938 bis zum Kriegsausbruch im September 1939. Dieser Ansatz, ein Wechsel der Perspektive „vom Zeitraffer zur Zeitlupe" 24 bzw. eine Aufeinanderfolge von „langfristigen Ursachen" und „kurzfristigen Anlässen" 25 ist als durchaus gelungen bezeichnet worden. Ebenso haben zwei Rezensenten die Entscheidung Gramls ausdrücklich gelobt und ihm bescheinigt, mit seinem Buch eine „gute, alte .reinrassige' Diplomatiegeschichte" vorgelegt zu haben 26 , „die dem Leser ein sehr klares und nuancenreiches Bild vermittelt, ohne ihn im Detail zu überfordern oder aber die großen Linien zu vernachlässigen". 27 Graml stützt sich in seiner Darstellung in erster Linie auf Quellen und läßt die Auseinandersetzung mit der Literatur meist außen vor. Während Eberhard Jäckel diese Vorgehensweise moniert, hält sie Ignaz Miller durchaus für erlaubt. Die Hauptthese Gramls, daß Hitlers Wille 22 23 24 25 26 27

Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 80 (1994), S. 397f. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 41 (1990), S. 242f. Sojost Dülffer in: Die Zeit vom 25. Januar 1991. So Eberhard Jäckel in: Historische Zeitschrift 257 (1993), S. 241 ff. Michael Salewski in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 51 (1992), S. 203-206. Ignaz Miller in: Neue Zürcher Zeitung vom 14. Februar 1991.

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zum Krieg hauptveranwortlich für dessen Ausbruch war, hat allseits Bestätigung gefunden. Dagegen sind andere Thesen des Autors, ζ. B. seine relativ positive Einschätzung des Versailler Vertrages und seine Ausführungen zu Hitlers taktischen Überlegungen in der Bündnisfrage im letzten Jahr vor Ausbruch des Krieges, auf Widerspruch gestoßen am nachdrücklichsten vorgebracht von Rainer Zitelmann. 28 Was die Gesamteinschätzung des Werkes anbetrifft, blieb das Urteil uneinheitlich. Bei Jäckel hinterließ es einen „zwiespältigen Eindruck", während Michael Salewski mit Nachdruck auf die weit überwiegenden „Glanzpartien des Buches" hinwies. Hierin stimmte ihm Ignaz Miller zu, der das Ergebnis der Studie mit den Worten zusammenfaßte: „Nein, kein gänzliches neues Bild, wie es auch nicht anders zu erwarten war von einem seriösen Autor, aber einige schöne Einsichten (im wissenschaftlichen Sinne), eine interessante Perspektive - und eine in sich geschlossene Darstellung europäischer Großmachtdiplomatie von 1919 bis 1939."

Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Herausgegeben von Wolf gang Benz. 1991 Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es eine Debatte über die Zahl der unter nationalsozialistischer Herrschaft ermordeten Juden. Diese Debatte spielt insbesondere in rechtsextremen Kreisen eine Rolle - hier mit der Tendenz, den Völkermord zu leugnen. Obwohl einer mathematisch-exakten Beweisführung, die in genauen Zahlenangaben mündet, erhebliche methodische Schwierigkeiten entgegenstehen, ist in vorliegendem Buch der Versuch gemacht worden, mit streng wissenschaftlichen Mitteln die Zahl der jüdischen Opfer möglichst genau zu erfassen. Dabei ist der Herausgeber so vorgegangen, daß er für die insgesamt 17 Verfolgungsgebiete Spezialisten beauftragt hat, auf möglichst breiter Quellengrundlage die Verfolgungsmaßnahmen zu schildern und zahlenmäßig zu bilanzieren. Als Gesamtbilanz ergibt sich „ein Minimum von 5,29 Millionen und ein Maximum von knapp über sechs Millionen" ermordeter Juden (S. 17). Die sog. Revisionisten, d. h. die Rechtsextremen, ließen sich von der Untersuchung wenig beeindrucken. Sie halten weiterhin an ihrer Auffassung fest und werfen Benz vor, „in bekannter Manier die Auseinan28

Süddeutsche Zeitung vom 1 6 . / 1 7 . März 1991.

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dersetzungen mit d e n Forschungsergebnissen des Revisionismus" verweigert zu haben. 2 9 Im Gegensatz hierzu h a b e n die durch einschlägige Studien ausgewiesenen Fachhistoriker übereinstimmend auf die methodisch einwandfreie Arbeit hingewiesen u n d d a r ü b e r hinaus betont, daß die n u n m e h r vorliegenden Zahlen in d e r G r ö ß e n o r d n u n g mit den e n übereinstimmen, die Gerald Reidinger, Raul Hilberg o d e r auch Yad Vashem ermittelt haben. Eberhard Jäckel, Klaus Drobisch, Rüdiger Overmans u n d J. Friedrich Battenberg haben die U n t e r s u c h u n g übereinstimmend als „Standardwerk" bezeichnet. Als problematisch hat j e d o c h Ulrich von H e h l die „nüchtern-distanzierte Darstellungsweise" e m p f u n d e n u n d a u ß e r d e m moniert, „daß hier die Leidensgeschichte von Millionen schuldlos Gemordeter n u r in die Spalten einer d ü r r e n Statistik eingefangen ist". 30 Dagegen steht der Hinweis von Klaus Drobisch, daß trotz „aller sachlich-nüchternen Aufzeichnung d e r Fakten [ . . . ] auf fast j e d e r Seite die Anklage gegen d e n Völkermord [spricht], d e n das NS-Regime u n d seine Helfershelfer begingen". 3 1 Auch Peter Steinbach ist der Ansicht, daß die Studie nicht n u r als eine statistische Erfassung des Völkermordes zu werten sei, sondern ebenfalls vor Augen f ü h r e , daß mit diesem das .jüdische u n d insbesondere das ostjüdische Element europäischer Kultur unwiederbringlich" dahingegangen sei. „Mit d e n Mitteln einer vorbildlich argum e n t i e r e n d e n Zeitgeschichtsforschung" werde auf diese Weise „auch die europäische Dimension d e r ,Endlösung'" deutlich gemacht. 3 2

Hans Wolter: Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948. 1996 Im Unterschied zur Entnazifizierung in Deutschland war die Abrechn u n g mit d e m Faschismus in Italien, die epurazione, ein u n e r h ö r t dramatischer u n d gewaltsamer Prozeß, der durch Lynchjustiz, Volkstribunale u n d Säuberungswellen gekennzeichnet war. Dieser setzte j e d o c h nicht mit d e m Sturz Mussolinis im J a h r 1943 ein, mit d e m Wollers Darstellung beginnt, sondern war erst eine Folge des neofaschistischen Regimes von Salö. Hiermit verbunden war ein zweijähriger Bürgerkrieg, 29

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Wolfgang Hackert in: Deutschland in Geschichte und Gegenwart 40, Heft 2 (1992), S. 19-23. Archiv für Sozialgeschichte 34 (1994), S. 690f. Deutsche Literaturzeitung 113 (1992), S. 106f. Jahrbuch Extremismus und Demokratie 4 (1992), S. 261-265.

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der nach dem Ende von Salo von „wilden" Säuberungen abgelöst wurde, in denen schätzungsweise 12000 Italiener ihr Leben lassen mußten. 1946 wurde dann jedoch bereits eine Generalamnestie erlassen u n d damit für längere Zeit j e d e weitere Abrechung mit der faschistischen Vergangenheit unterbunden. In der deutschen Fachöffentlichkeit ist das Werk Wollers auf eine insgesamt positive Resonanz gestoßen. So hat Kurt Sontheimer nicht nur die außerordentliche Forschungsleistung Wollers herausgestrichen, sondern ebenfalls dararauf verwiesen, daß das Werk phasenweise eine literarische Dichte erreiche, „wie man sie bei Historikern selten findet". 33 Ahnlich lobend hat sich Hansjakob Stehle geäußert, der Woller bescheinigte, das „Kunststück" fertiggebracht zu haben, „die verwickelten Vorgänge u n d ihre Hintergründe bis in die kleinsten Einzelheiten zu schildern und - dank seines stets lebendigen Stils - spannend lesbar zu durchleuchten". 3 4 Kritisch ist dagegen die Stellungnahme von Rudolf Lill ausgefallen, der Wollers Leistung allein darin sieht, „die in Umrissen bereits bekannten Säuberungsbemühungen [.. .] erstmals minutiös nachgezeichnet" zu haben. 3 5 Dagegen haben andere den „bahnbrechenden Charakter des Werkes" betont 3 6 oder es als „Standardwerk, auch für die italienische Geschichtsschreibung" bezeichnet. 37 Die Voraussetzung hierfür ist mittlerweile dadurch geschaffen worden, daß Wollers Buch seit 1997 auch in italienischer Ubersetzung vorliegt. 38

Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. 1996 In seiner Studie untersucht Frei den Umgang der Westdeutschen mit der NS-Vergangenheit in den Jahren von 1949 bis 1955 unter den Gesichtspunkten der Amnestie, der Integration u n d der Abgrenzung. Diesen Ansatz faßt er unter dem Begriff der „Vergangenheitspolitik" zusammen. Die Amnestie erfolgte nach Frei durch eine entsprechende 33 34 35 36 37 38

Süddeutsche Zeitung vom 23. Juli 1996. Die Zeit vom 30. Mai 1997. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. November 1996. Carlo Moos in: Historische Zeitschrift 265 (1997), S. 810f. Erich B. Busch in: Handelsblatt vom 14./15. Dezember 1997. Hans Woller, I conti con il fascismo. L'epurazione in Italia 1943-1948 (Biblioteca storica), Bologna 1997.

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Gesetzgebung des Deutschen Bundestages (Straffreiheitsgesetze von 1949 u n d 1954, die „Liquidation" der Entnazifizierung u n d das 131erGesetz), die Integration durch die Abwicklung der Kriegsverbrecherfrage u n d die Abgrenzung durch die Behandlung des Falles Hedler, das Verbot der SRP u n d die H a n d h a b u n g der Naumann-Affäre. Frei bewertet die von ihm definierte „Vergangenheitspolitik" sehr kritisch, wenn er abschließend feststellt: „Mitte der fünfziger Jahre hatte sich ein öffentliches Bewußtsein durchgesetzt, das die Verantwortung für die Schandtaten des .Dritten Reiches' allein Hider u n d einer kleinen Clique von .Hauptkriegsverbrechern' zuschrieb, während es den Deutschen in ihrer Gesamtheit den Status von politisch ,Verführten' zubilligte, die der Krieg u n d seine Folgen schließlich sogar selber zu .Opfern' gemacht hatten" (S. 405). Die Arbeit hat ein starkes Echo u n d großes Interesse gefunden, das u. a. daraus hervorgeht, daß inzwischen eine Taschenbuchausgabe erschienen 3 9 u n d eine Veröffentlichung in englischer Ubersetzung geplant ist. In den bisher erschienenen Rezensionen ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die „aus den Quellen gearbeiteten Fallstudien" die „historische Substanz" der Studie ausmachen 4 0 bzw. Frei durch eine „breit angelegte Quellenforschung" die „historische Urteilsbildung [ . . . ] auf ein festes Fundament gestellt" habe. 41 Freis Wertungen selbst haben jedoch nicht n u r Zustimmung gefunden. So spricht Anselm Doering-Manteuffel von „hier u n d da zu stark zugespitzten Urteilen, die aus einem breiter gefaßten Blickwinkel sicherlich anders formuliert werden müßten". Auch Jost Dülffer findet Freis Thesen „bisweilen ein wenig zu zupackend" 42 , u n d Kurt Sontheimer stellt die Frage, ob Frei der politischen Notwendigkeit, „auch die alten Nazis in den neuen Staat zu integrieren", nicht „zu wenig Gewicht" beimesse. An seiner Bewertung, daß Frei einen „beachtlichen Beitrag" zur bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte geleistet habe, läßt Sontheimer aber keinen Zweifel aufkommen, u n d auch Doering-Manteuffel u n d Dülffer betonen übereinstimmend, daß es sich bei vorliegender Studie um ein wichtiges Buch handelt.

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München 1999 (dtv). Kurt Sontheimer in: Die Zeit vom 4. Oktober 1996. Anselm Doering-Manteuffel in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. August 1996. Beitrag im Sender Freies Berlin am 14. Oktober 1996.

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Udo Wengst: Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie. 1997

Zum 100. Geburtstag u n d 30. Todestag Thomas Dehlers erschien diese Biographie, in der der spannende Lebensweg eines zutiefst humanistisch gesinnten Liberalen vom Kaiserreich bis zum Ende der Ära Adenauer nachgezeichnet wird. Wichtige Stationen wie die Weimarer Republik, in der Dehler erstmals in der Politik tätig wurde, u n d das Dritte Reich, in dem er ein Leben zwischen Anspassung, Resistenz u n d Widerstand führte, werden ausführlich gewürdigt. Im Zentrum der Darstellung steht jedoch die Nachkriegszeit mit Dehlers anfänglichem Wirken in Bamberg u n d München, sodann seine Bonner Jahre als Mitglied des Parlamentarischen Rates, als erster Bundesjustizminister und als Parteiu n d Fraktionsvorsitzender der FDP. Wengst zeigt, daß seit 1948 Konrad Adenauer zum archimedischen Punkt von Dehlers Denken u n d Handeln wurde, in dessen Zentrum in immer stärkerem Maße die Deutschlandpolitik rückte. Vom treuen Gefolgsmann Adenauers wurde Dehler zu einem von dessen schärfsten Kritikern, weil er die Wiedervereinigung als Nahziel bundesdeutscher Politik ansah u n d entsprechende Initiativen einforderte. Der Biographie liegt eine systematische Auswertung der Quellen zugrunde. Was die Darstellungsform anbetrifft, so hat sich der Autor daf ü r entschieden, Dehler - aber auch die Politiker in seinem unmittelbaren Umfeld - möglichst oft selbst zu Wort kommen zu lassen, um auf diese Weise in dichter Beschreibung ein facettenreiches Bild von Thomas Dehler u n d seinem Wirken zu zeichnen. Diese Vorgehensweise ist positiv und negativ gewertet worden. So hat Edgar Wolfrum festgestellt, daß die Biographie „von einer dichten, überaus lebendigen, weil Dehler häufig zitierenden Beschreibung" lebe 43 , zugleich aber in Ubereinstimmung mit Rudolf Morsey (anläßlich der Präsentation der Biographie am 23. September 1997 in Bonn) darauf hingewiesen, daß dadurch die Beschreibung des „politischen Umfeldes" bzw. des „zeitgenössischen Klimas" etwas aus den Blick geraten bzw. etwas blaß ausgefallen sei. Diese Kritik ist von Brigitte Seebacher-Brandt noch erheblich schärfer formuliert worden, indem sie dem Autor vorwarf, seine Aufgabe verfehlt zu haben. 4 4 43 44

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), S. 47ff. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Dezember 1997.

Einzelveröffentlichungen

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Im Gegensatz dazu fanden andere Autoren zu insgesamt positiven Urteilen. Marie-Luise Recker bescheinigte dem Biographen Kompetenz und überzeugende Argumentationsführung.45 Bernhard Wördehoff bezeichnete das Buch „als eine Bereicherung im Kreis der Politikerbiographien aus der Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik".46 Ein anderer Rezensent hat insbesondere die „umfassende Recherche, [die] unbeirrte Objektivität und Fairness diesem schwierigen Mann" gegenüber gewürdigt und darüber hinaus die „eindrückliche Schilderung des Bonner .Betriebes' der fünfziger und sechziger Jahre, nicht zuletzt aber auch der Gefährdungen eines demokratischen - mit einer jüdischen Frau verheirateten - deutschen Liberalen im Dritten Reich" hervorgehoben.47

45 46 47

Historische Zeitschrift, Bd. 267 (1998), S. 258ff. Die Zeit vom 12. Dezember 1997. Neue Zürcher Zeitung vom 22./23. August 1998.

Anhang

Chronik des Instituts (Hellmuth Auerbach/Hermann Weiß/Udo Wengst) 1945

1947 13. Februar

14. April

8. September

7. Oktober

1948 8. Dezember

1949 27. Februar 28. Februar

Ende des Jahres werden erste Vorschläge zur Gründung eines Instituts gemacht, das die beschlagnahmten nationalsozialistischen Parteiakten auswerten soll. Auf der 23. Tagung des Direktoriums des Länderrats der US-Zone wird die Errichtung eines „Amts für Politische Dokumentation" angeregt. Nach einer Besprechung zwischen Vertretern Bayerns, Hessens, Württemberg-Badens und des Länderrats wird ein Ausschuß gebildet, aus dem später ein Organisationskomitee hervorgeht. Die Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone beraten einen Staatsvertrag über die Errichtung eines „Instituts für Politische Dokumentation". Die Ministerpräsidenten von Bayern, Hessen und Württemberg-Baden und der Senatspräsident von Bremen unterzeichnen die Stiftungsurkunde für das „Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik". Nach einer Unterbrechung durch die Währungsreform erfolgt ein neuer Startversuch; die Bayerische Staatskanzlei stellt Räume im Hause Reitmorstraße 29 zur Verfügung. Gerhard Kroll (MdL, CSU) wird mit der Geschäftsführung des Instituts beauftragt. Der Wissenschaftliche Rat des Instituts tritt erstmals zusammen. Er besteht aus den Professoren Ludwig Bergsträsser, Walter Goetz, Theodor

508

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

Mai 5. August

12./15. September

Oktober/November

1950 1. März

8. September

11. September

September

Heuss, Erich Kaufmann, Gerhard Ritter, Franz Schnabel u n d General a. D. Hans Speidel. Das Institut beginnt trotz der ungeklärten finanziellen Lage mit der praktischen Arbeit. Die Ministerpräsidenten-Konferenz diskutiert den Entwurf eines Staatsabkommens über das Institut. Auf dem ersten Deutschen Historikertag nach dem Kriege in München wird eine Entschließung verabschiedet: „Wir halten die schleunige Errichtung eines gut ausgestatteten deutschen Instituts zur zentralen Organisierung zeitgeschichtlicher Forschungen für äußerst vordringlich . . ." Zwischen Bayern u n d der Bundesregierung finden Verhandlungen über die Finanzierung des Instituts durch den Bund statt, da sich die anderen Länder nicht zu einer Beteiligung entschließen können. Unter dem Vorsitz von Bundesinnenminister Gustav Heinemann wird in Bonn die künftige Form und Arbeit des Instituts besprochen. Heinemann unterzeichnet die neue Satzung des „Deutschen Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit", das vom Bund u n d Bayern gemeinsam getragen wird. Unter Vorsitz von Bundespräsident Heuss treten in Bad Godesberg Kuratorium u n d Beirat des neugegründeten Instituts zu einer konstituierenden Sitzung zusammen (dem Beirat gehören an: Philipp Auerbach, Ludwig Bergsträsser, Herm a n n Brill, Ludwig Dehio, Constantin v. Dietze, Fritz Härtung, Ernst v. Hippel, Erich Kaufmann, Eugen Kogon, Theodor Litt, Gerhard Ritter, Franz Schnabel, Hans Speidel, Bernhard Vollmer u n d Wilhelm Winkler; Bergsträsser wird zum Vorsitzenden gewählt; Theodor Heuss u n d Friedrich Meinecke werden Ehrenmitglieder). Kontroversen um die Aufgaben des Instituts zwischen Gerhard Kroll u n d Gerhard Ritter f ü h r e n

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

1951 1. Februar März Juni

Juni/Juli

Herbst

1. November

1952 17. Mai 25. Oktober

8. November

509

zum Rücktritt Krolls, der bis Januar 1951 die Geschäfte kommissarisch weiterleitet. Hermann Mau, Privatdozent an der Universität München, wird Generalsekretär des Instituts. Mau plant die Herausgabe einer Zeitschrift. Als erstes Arbeitsergebnis des Instituts wird in der Zeitschrift „Europa-Archiv" ein Aufsatz von Heinrich Stübel „Die Finanzierung der Aufrüstung im Dritten Reich" veröffentlicht. Mau informiert sich in den Vereinigten Staaten über deutsche Akten in amerikanischen Archiven. Nach internen Kontroversen über die Vertretbarkeit der editorischen Einrichtung erscheinen „Hitlers Tischgespräche" als erste Buchveröffentlichung des Instituts. Im Zusammenhang mit der Kritik an dieser Publikation nimmt der Herausgeber G. Ritter in den folgenden Jahren an den Sitzungen des Beirats nicht mehr teil. Archiv und Bibliothek des Instituts werden geteilt; die Leitung des Archivs übernimmt Anton Hoch, die Leitung der Bibliothek Thilo Vogelsang. Die Bibliothek umfaßt ca. 12000 Bände, das Archiv besitzt bereits Kopien eines beträchtlichen Teils der Nürnberger Prozeßakten und beginnt mit dem Aufbau einer Dokumentenkartei und der Sammlung von Zeugenschrifttum. Auf Beschluß von Kuratorium und Beirat lautet die offizielle Bezeichnung des Instituts jetzt „Institut für Zeitgeschichte". Hermann Mau verunglückt auf einer Dienstreise tödlich; mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Generalsekretärs wird Helmut Krausnick beauftragt. Das erste Heft der im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte von Hans Rothfels und Theodor Eschenburg herausgegebenen Zeitschrift „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" wird auf einer

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Dezember

1953 27. Juli

1954 3. Mai 1955 Oktober

Dezember

1956 März

April 22./25. Mai

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) Pressekonferenz vorgestellt (offizielles Erschein e n im Januar 1953). Da ein Teil der zugesagten Zuschüsse des Bundes u n d der beteiligten Länder ausbleibt, gerät das IfZ in eine sehr prekäre finanzielle Lage. Als neuen Generalsekretär beruft das Kuratorium den Berliner Privatdozenten Paul Kluke; er tritt das Amt am 1. Oktober 1953 an. Bundespräsident Theodor Heuss besucht das Institut. Die ersten in den USA bestellten Mikrofilme (ca. 25000 Blatt) aus deutschen Aktenbeständen treffen ein. Das Institut wird - obwohl noch o h n e Rechtsform - in das Königsteiner Abkommen zur Finanzierung überregionaler wissenschaftlicher Institute durch den Bund u n d die Länder aufgenommen; durch die Verbesserung der finanziellen Basis des IfZ können dringend benötigte Mitarbeiterstellen geschaffen u n d längerfristige Arbeitspläne aufgestellt werden. Allerdings sind die Räumlichkeiten unzulänglich (2 Wohnungen in einem Mietshaus). Umzug in das Haus Möhlstraße 26. Dem IfZ gehören jetzt (neben dem Generalsekretär) fünf planmäßige wissenschaftliche Mitarbeiter und drei wissenschaftliche Honorarmitarbeiter an. Die Bibliothek ist auf 36000 Bände angewachsen. Einrichtung eines Lesesaals für Benutzer (noch im selben J a h r über 400 Besucher). Das IfZ veranstaltet in Tutzing eine Internationale Tagung für Zeitgeschichte unter dem Generalthema „Das Dritte Reich und Europa" mit Referaten von Theodor Eschenburg (Tübingen), Georges Castellan (Paris), Thilo Vogelsang

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

Oktober

1957 Juni

1958 April

29. September

1959 8./9. Januar

31. März

8./9. Mai

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(München), Ettore Anchieri (Padua), Jean Baptiste Duroselle (Paris), James Joll (Oxford), Paul Kluke (München), Louis de J o n g (Amsterdam), Josef Matl (Graz) und Theodor Litt (Bonn). Die Rockefeller Foundation stellt dem IfZ 26000 Dollar für Forschungen über die nationalsozialistische Judenverfolgung und Besatzungspolitik im Zweiten Weltkrieg zur Verfügung. Der Generalsekretär Paul Kluke erhält einen Ruf an die Universität Frankfurt. Die ersten zwei Bände der neuen Publikationsreihe „Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte" erscheinen, außerdem wird im Selbstverlag ein Band „Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte" veröffentlicht; die Zahl der Abonnenten der Vierteljahrshefte übersteigt 2000. Mehrere Mitarbeiter des IfZ n e h m e n erstmals an Tagungen der Niedersächsischen Landeszentrale für Heimatdienst teil und halten zeitgeschichtliche Vorträge. Das Bayerische Kultusministerium weist die Schulverwaltungen an, die Forschungsergebnisse des IfZ f ü r den Geschichtsunterricht nutzbar zu machen. Die Leiter der Landeszentralen für Heimatdienst bzw. für staatsbürgerliche Bildung tagen im IfZ. Die Zusammenarbeit mit dem Institut wird intensiviert. Paul Kluke, der seit Mitte 1958 das IfZ kommissarisch weiterleitete, scheidet aus dem Institut aus; Helmut Krausnick wird Generalsekretär des IfZ. Die „prinzipielle Wünschbarkeit" einer Aufnahme der Nachkriegszeit in das Arbeitsprogramm des IfZ wird auf einer Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats festgestellt.

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Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

24./27. November

1960 25. Mai

Oktober

21. Oktober

1961 2. August

20. September

Das IfZ veranstaltet gemeinsam mit dem Kulturreferat der Stadt München und der Münchener Volkshochschule in der Aula der Universität ein e n Internationalen Kongreß zur Zeitgeschichte mit Vorträgen von Hugh Trevor-Roper (Oxford), Theodor Eschenburg (Tübingen), Raym o n d Aron (Paris), Ernst Fraenkel (Berlin) u n d Helmut Krausnick (München). Bundespräsident Heinrich Lübke besucht in Begleitung des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard u n d des bayerischen Kultusministers Theodor Maunz das Institut. Als erster Band der „Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" erscheint das Tagebuch von Joseph Goebbels 1925/26, hrsg. von Helmut Heiber. Nach dem Tode von Ludwig Bergsträsser wählt der Wissenschaftliche Beirat Hans Rothfels (der seit 1951 dem Beirat angehört) zum Vorsitzenden. Die vom IfZ herausgegebene Edition „Hitlers zweites Buch" wird auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Die Publikation erregt in der Öffentlichkeit viel Aufsehen. Als Träger des IfZ wird nach jahrelangen Bemühungen eine „Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung der Zeitgeschichte" gegründet (Rechtsform: öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts); im Stiftungsrat sind der Bund mit drei Stimmen, Baden-Württemberg, Bayern u n d Hessen mit j e einer, die übrigen über das Königsteiner Abkommen an der Finanzierung beteiligten Länder mit insgesamt zwei Delegierten (Nordrhein-Westfalen u n d Niedersachsen) mit j e einer Stimme vertreten; zur Beschlußfähigkeit sind sechs Stimmen erforderlich; der Generalsekretär des IfZ führt künftig den Titel Direktor.

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) 1962 März

Juni

30. Juli

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In der konstituierenden Sitzung des Stiftungsrates wird Ministerialdirigent Dr. Dr. Walter Keim zum Vorsitzenden gewählt. Das Archiv nimmt ein von der Thyssen-Stiftung finanziertes Sonderprogramm zur Erschließung von Mikrofilmen deutscher Akten in amerikanischen Archiven in Angriff. Der neue Wissenschaftliche Beirat des IfZ tritt erstmals zusammen; ihm gehören an: Hans Rothfels (Vorsitzender), Hellmut Becker, Karl Dietrich Bracher, Max Braubach, Karl G. Bruchmann, Werner Conze, Karl Dietrich Erdmann, Theodor Eschenburg, Ernst Fraenkel, Otto Heinrich von der Gablentz, Hans Herzfeld, Paul Egon Hübinger, Erich Kaufmann, Paul Kluke, Golo Mann, Theodor Schieder, Hans Speidel u n d Georg Stadtmüller; der Direktor des IfZ gibt auf dieser Sitzung einen Uberblick über die bisherige Entwicklung des Instituts; es hat jetzt 12 wissenschaftliche Mitarbeiter, bisher wurden 23 Bücher publiziert.

1963 19. Februar 11./12. März

1964 Januar

Der Stiftungsrat stellt fest, daß eine räumliche Erweiterung des IfZ dringend notwendig ist. Gemeinsam mit dem IfZ veranstaltet die Politische Akademie in Tutzing eine Tagung über das „Unbehagen an der Zeitgeschichte", die vor allem einer Auseinandersetzung mit den revisionistischen u n d apologetischen Thesen David Hoggans u n d seiner neonazistischen Gesinnungsgenossen gewidmet ist; auch bei zahlreichen anderen Gelegenheiten treten das IfZ u n d seine Mitarbeiter Versuchen rechtsradikaler Geschichtsklitterung entgegen. Das IfZ übernimmt die Betreuung u n d Koordinierung eines von der Stiftung Volkswagenwerk finanzierten Forschungsvorhabens zur deutschen Geschichte 1945-1949 (Federführung Thilo Vogelsang).

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Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

7./21. Februar

März

19./20. Mai

1965

18. Juni 1966 23. Februar

Juni

1967

1968 20./21. Februar

Beim Frankfurter ,Auschwitz-Prozeß" werden H. Krausnick, M. Broszat u n d H. Buchheim als Sachverständige zugezogen (die Gutachten erscheinen 1965 unter dem Titel .Anatomie des SS-Staates" in einer zweibändigen Buchausgabe); damit erreicht die Gutachtertätigkeit von IfZ-Mitarbeitern einen Höhepunkt. Als Nachfolger von Ministerialdirigent Dr. Dr. Walter Keim wird Ministerialdirigent Dr. Emil Kessler zum Vorsitzenden des Stiftungsrates gewählt. Der Direktor u n d mehrere Mitarbeiter des IfZ folgen einer Einladung der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften in Prag zu einem „Kolloquium tschechoslowakischer u n d deutscher Historiker über die Entwicklung zwischen dem Münchner Abkommen 1938 u n d der Besetzung Prags 1939". Die Bibliothek besitzt über 50000 Bände; der Generalkatalog des Archivs enthält ca. 10000 Sach- u n d Personennachweise; der Lesesaal verzeichnet etwa 1300 Benutzer jährlich. Der Stiftungsrat beschließt einen Neubau für das Institut für Zeitgeschichte. Der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel besucht das Institut und überzeugt sich von den beengten räumlichen Verhältnissen. Der Freistaat Bayern stellt dem IfZ ein Grundstück im Nordwesten der Stadt, an der Leonrodstraße, zur Verfügung. Mit der Philosophischen Fakultät der Universität München wird vereinbart, daß das IfZ „in Arbeitsgemeinschaft mit dem Historischen Seminar der Universität München, Lehrstuhl für Neuere u n d Neueste Geschichte" steht. Die Lehrtätigkeit von Mitarbeitern des IfZ an der Universität wird in den folgenden Jahren intensiviert. Das IfZ veranstaltet in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München ein Kolloquium

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

26. Juli

14. August Herbst

16. Dezember

1969 1. Januar

12. Dezember

1970 Januar

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tschechoslowakischer u n d deutscher Historiker zum Thema „Die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen zwischen den beiden Weltkriegen" mit je drei tschechoslowakischen u n d deutschen Referaten u n d ausführlichen Diskussionen. Zur Finanzierung des Neubaus wird eine Regelung erreicht, nach der die Stiftung Volkswagenwerk die Hälfte der Baukosten trägt u n d die andere Hälfte im Verhältnis 2 : 1 zwischen Bund u n d Bayern geteilt wird. Helmut Krausnick wird zum Honorarprofessor an der Universität München bestellt. Nach jahrelanger Vorarbeit im IfZ (Federführung L. Gruchmann) erscheint der erste Band des Forschungsprojekts „Die deutsche Justiz u n d der Nationalsozialismus". Der Stiftungsrat genehmigt den Erwerb des Grundstücks Leonrodstraße 46b zur Errichtung des Institutsgebäudes u n d stimmt dem Vorprojekt des Architekten Sepp Pogadl zu. Gemeinsam mit dem Bundesarchiv, der Deutschen Bibliothek, der Friedrich-Ebert-Stiftung u n d dem Archiv des DGB wird die von der DFG finanzierte „Dokumentation zur Emigration 1933-1945" gegründet, deren Zentralstelle im IfZ eingerichtet wird. Das IfZ veranstaltet eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema „Faschismus - Neofaschismus, wissenschaftlicher Begriff oder politisches Schlagwort?"; an der von Martin Broszat geleiteten Diskussion n e h m e n teil: Wilhelm Alff (Braunschweig), Iring Fetscher (Frankfurt), Hermann Graml (München), Reinhard Kühnl (Marburg), Hans Mommsen (Bochum), Dietmar Petzina (München), Theo Pirker (München) u n d Wolfgang Schieder (Heidelberg). Die Zahl der Abonnenten der Vierteljahrshefte überschreitet 4000.

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Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

März 10. März

29. Oktober Dezember

1971 15. Juli

1972 15. März

1-Juli

Beginn der Bauarbeiten für das neue Institutsgebäude. Zwischen dem Bundesarchiv und dem IfZ wird eine Vereinbarung über die gemeinsame Edition von Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik 1945 bis 1949 getroffen. Richtfest in der Leonrodstraße. Aus Anlaß des 20jährigen Bestehens des IfZ u n d des 65. Geburtstags seines Direktors erscheint ein Sonderheft der Vierteljahrshefte ausschließlich mit Beiträgen von IfZ-Mitarbeitern. Das IfZ veranstaltet einen öffentlichen Vortragsabend, an dem Hermann Graml zum Thema „Nationalstaat oder westdeutscher Teilstaat. Die Reaktion auf die sowjetischen Deutschlandnoten des Jahres 1952" spricht. Heinz Förster, der sich um Aufbau u n d Entwicklung des IfZ als Verwaltungsleiter seit 1952 ungewöhnliche Verdienste erwarb, stirbt unerwartet im Alter von 60 Jahren. Der erste Band einer von mehreren Mitarbeitern des IfZ erarbeiteten dreibändigen Gesamtdarstellung „Deutsche Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg" erscheint. Nach dem Umzug des IfZ in das neue Gebäude in der Leonrodstraße findet die offizielle Einweihungsfeier statt mit Ansprachen des Bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel, des Staatsministers für Unterricht u n d Kultus Hans Maier u n d der Staatssekretärin im Bundesministerium f ü r Bildung u n d Wissenschaft Hildegard Hamm-Brücher. Martin Broszat hält einen Vortrag über die Konferenzen der westdeutschen Ministerpräsidenten 1948. Als Nachfolger des in den Ruhestand getretenen Helmut Krausnick wird Martin Broszat Direktor des IfZ; noch im selben Monat wird er zum Ho-

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

Herbst

1973 Januar 15. März

April September

13. Oktober 15. November

517

norarprofessor an die Universität Konstanz berufen. Beginn der Arbeiten für ein Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, die als gemeinsames Projekt des IfZ und der Research Foundation for Jewish Immigration, New York, durchgeführt werden. Die erste Nummer des Pressedienstes des IfZ erscheint. Gershom Scholem (Jerusalem) hält im IfZ einen Vortrag über die soziale u n d psychologische Problematik jüdisch-deutscher Beziehungen vor Hitler. Thilo Vogelsang wird zum Honorarprofessor an der Technischen Universität München bestellt. Arbeitsbeginn des vom Bayerischen Staatsministerium f ü r Unterricht u n d Kultus finanzierten Sonderprojektes „Widerstand u n d Verfolgung in Bayern 1933-1945". Bundespräsident Gustav Heinemann besucht das IfZ. Vortrag im IfZ von Alfred Grosser (Paris) über Fragen des politischen Bewußtseins in Deutschland u n d Frankreich nach 1945.

1974 16. J a n u a r

7. März

März

21. Oktober

Kolloquium im IfZ über die Haltung der französischen Gewerkschaften in der , . A f f ä r e Lip" (Referent M. Michel Cullin, Paris). Hans Rothfels legt den Vorsitz des Wissenschaftlichen Beirats aus Altersgründen nieder. Karl Dietrich Erdmann wird zum Nachfolger gewählt. Öffentliche Kritik des IfZ an einer IllustriertenSerie über das Dritte Reich, in deren Verlauf es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt, die im Dezember 1974 überwiegend im Sinne des IfZ entschieden werden. Ministerialdirektor Dr. Karl Böck (Bayerisches Staatsministerium f ü r Unterricht u n d Kultus) wird als Nachfolger des in den Ruhestand tre-

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Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) tenden Ministerialdirigenten Dr. Emil Kessler zum Vorsitzenden des Stiftungsrats gewählt. In den Räumen des Instituts wird die Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs Marbach ,Als der Krieg zu Ende war - Literarisch-politische Publizistik 1945-1950" gezeigt. Anläßlich der Eröffnung hält Peter de Mendelssohn einen Vortrag über die Neuanfänge der Publizistik nach 1945.

1975 April

12. Mai

17. Oktober

3. Dezember

1976 22. März

Der erste Band der Edition „Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland" geht in Satz. Kolloquium im IfZ mit Peter Gunst (Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest) über „Agrarwirtschaft u n d Agrargesellschaft in Ungarn seit 1945". Festakt zur Feier des 25jährigen Bestehens des Instituts mit Ansprachen des Direktors Martin Broszat, des bayerischen Kultusministers Hans Maier, des Staatssekretärs im Bundesministerium für Forschung u n d Technologie Hans-Hilger Haunschild u n d einem Vortrag von Theodor Eschenburg „Regierung, Bürokratie u n d Parteien 1945-1949. Ihre Bedeutung für die politische Entwicklung in der Bundesrepublik". Anschließend Empfang der bayerischen Staatsregierung mit Begrüßung durch den bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel in den Räumen des IfZ. Nach jahrelangen Verhandlungen wird eine Rahmenvereinbarung zwischen Bund u n d Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Art. 91b GG geschlossen. Aufgrund dieser Vereinbarung werden Bund u n d Sitzland (Bayern) künftig Hauptträger des Instituts (Blaue Liste). Besuch des Bundespräsidenten Walter Scheel im Institut und Diskussion mit einigen Gästen u n d den wissenschaftlichen Mitarbeitern des IfZ

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

519

über Probleme der Geschichtswissenschaft u n d die Situation der historischen Bildung in der Bundesrepublik. 1977 7. März

5. Mai

18. November

1978 April

24. November

1979 Januar

Nach längeren Vorarbeiten u n d Verhandlungen wird zwischen dem Institut für Zeitgeschichte und dem Bundesarchiv einerseits u n d den National Archives (Washington) andererseits ein Vertrag über die Erschließung und Verfilmung der Akten der amerikanischen Militärverwaltung in Deutschland 1945-1949 (OMGUS) unterzeichnet. Das Projekt wird durch die Stiftung Volkswagenwerk finanziert. Nach dem Tod von Hans Rothfels und dem Rücktritt von Theodor Eschenburg beruft der Stiftungsrat Karl Dietrich Bracher u n d Hans-Peter Schwarz als neue Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte". Öffentliches Kolloquium des IfZ zum Thema „Die Informationsfreiheit der zeitgeschichtlichen Forschung u n d ihre rechtlichen Schranken" (mit Eberhard Jäckel/Stuttgart, RA Ferdinand Sieger/Stuttgart, Arch.Dir. Klaus Oldenhage/Koblenz, MdB Hans A. Engelhard/München u n d Gert Kolle/München). Nach dem plötzlichen Tod von Thilo Vogelsang übernimmt Hellmuth Auerbach, schon bisher wissenschaftlicher Mitarbeiter des IfZ, die Leitung der Bibliothek. Öffentliches Kolloquium des IfZ zum Thema „Totalitarismus u n d Faschismus. Eine wissenschaftliche u n d politische Begriffskontroverse" (mit Karl Dietrich Bracher/Bonn, Hans Mommsen/Bochum, Ernst Nolte/Berlin, Wolfgang Schieder/Trier, Jürgen Kocka/Bielefeld, Martin Broszat und Günter P l u m / b e i d e IfZ). Horst Möller, Mitarbeiter im Bundespräsidialamt in Bonn und Privatdozent an der Freien

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Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

27. April

23. November

30. November

1980 7. März

25.-27. März

3. April l.Juli

Universität Berlin, tritt als ständiger Stellvertretender Direktor in das IfZ ein. Nach dem Ausscheiden von Anton Hoch wegen Erreichung der Altersgrenze wird das Archiv kommissarisch von Hermann Weiß geleitet. Das Archiv des Instituts besitzt inzwischen ca. 1650 Meter u n d ca. 3000 Mikrofilmrollen an Archivalien überwiegend deutscher Provenienzen, vor allem aus der Zeit zwischen 1933 u n d 1945 u n d nach 1945. Die Bibliothek hat jetzt ca. 100000 Bände und hält 303 laufende Zeitschriften. Der Stiftungsrat beruft Martin Broszat für weitere sieben Jahre zum Direktor des IfZ. Gegen Ende des Jahres besucht eine Kommission des Wissenschaftsrates das Institut, um dessen Förderungswürdigkeit im Rahmen der „Blauen Liste" zu untersuchen. Das Herbstkolloquium steht unter dem Titel: „Der Weg nach Pankow. Zur Gründungsgeschichte der DDR". Unter der Leitung von Horst Möller diskutieren Alexander Fischer, Peter Bender, Hermann Weber, Hermann Rudolph und Wolfgang Leonhard. Ministerialdirektor Herbert Kießling wird als Nachfolger von Ministerialdirektor Dr. Karl Böck zum Vorsitzenden des Stiftungsrates gewählt. Karl Dietrich Erdmann legt nach sechsjähriger Amtsführung den Beiratsvorsitz nieder. Der Beirat wählt Karl Dietrich Bracher zu seinem Nachfolger. Karl Dietrich Erdmann und Paul Egon Hübinger werden Ehrenmitglieder. Im Institut findet ein von Horst Möller vorbereitetes ,Justizgeschichtliches Kolloquium" statt, das der rechtshistorischen Erforschung des Nationalsozialismus neuen Anstoß geben soll. Martin Broszat wird zum Honorarprofessor an der Universität München bestellt. Werner Röder übernimmt die Leitung des Archivs.

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

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9. Juli

Aus Anlaß der Vorstellung des 1. Bandes des Biographischen Handbuchs der deutschsprachigen Emigration veranstaltet das Institut ein Podiumsgespräch über „Erfahrungen des Exils", das von Horst Möller eingeleitet wird und an dem Fritz Heine, Mitglied des Exilvorstandes der SPD, Herbert Weichmann, ehem. Hamburger Bürgermeister, und Johannes Schauff, ehem. Zentrumsabgeordneter, teilnehmen. Die DFG bewilligt ein Projekt zur Nachweisung und systematischen Sammlung von Hitler-Dokumenten aus den Jahren 1925-1932, das später mit einer Auswahledition abgeschlossen werden soll; mit der Durchführung wird Anton Hoch beauftragt. Für ein geplantes Editionsprojekt der Goebbels-Tagebücher können in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv und mit Unterstützung der DFG vom Verlag Hoffmann und Campe 15000 Blatt Tagebuchtexte erworben werden.

21. November

Das Herbstkolloquium behandelt das Thema „Nachkriegsgesellschaften im historischen Vergleich. Großbritannien - Frankreich - Bundesrepublik". Unter Leitung von Martin Broszat diskutieren Gordon Smith, Pierre Birnbaum und M. Rainer Lepsius.

1981 26. März

19./20. Mai

20. Juli

Zusammen mit der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus veranstaltet das Institut in Rhöndorf ein Symposion zum Thema „Deutschlandpolitik und sowjetische Märznote 1952", an dem sich nach einem Vortrag von Hermann Graml Botschafter a. D. Wilhelm Grewe als Koreferent beteiligt. Das Archiv des Instituts ist Gastgeber der Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 (Archive an Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen) im Verein Deutscher Archivare mit den Hauptthemen Datenschutz und EDV in Archiven. Unter dem Titel „Datenschutz und historische Forschung" kommen im Institut etwa 30 Histori-

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Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

26. November

1982 19./20. April

8. Juli

31. Juli

25. November

Wintersemester 1982/83

ker, Juristen und die Datenschutzbeauftragten mehrerer Bundesländer zu einem Expertensymposion zusammen, um die Auswirkungen der jüngsten Datenschutzgesetze auf die historische Forschung zu erörtern. Beim Herbstkolloquium des Instituts zum Thema „Deutscher Sonderweg - Mythos oder Realität?" referieren unter Leitung von Horst Möller Thomas Nipperdey, Karl Dietrich Bracher, Ernst Nolte, Kurt Sontheimer und Michael Stürmer. Zusammen mit einer Göttinger Forschungsgruppe unter Helga Grebing veranstaltet das Institut ein Symposion mit ehem. Verlegern und Publizisten kulturhistorischer Zeitschriften der unmittelbaren Nachkriegszeit, unter ihnen Heinz Friedrich, Eugen Kogon, Berthold Spangenberg und Dolf Sternberger, das mit einem öffentlichen Diskussionsabend abgeschlossen wird. Informationsbesuch des Bundesministers für Forschung und Technologie, Andreas von Bülow, im Institut. Horst Möller, bisher Stellvertretender Direktor des Instituts und Privatdozent an der LudwigMaximilians-Universität München, nimmt einen Ruf auf den Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Universität Erlangen an. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Institut in Rom veranstaltet das Institut ein vielbeachtetes Kolloquium über den italienischen Faschismus im Verständnis der Gegenwart. Mitarbeiter des Instituts beteiligen sich mit einer elfteiligen Vorlesungsreihe zum Thema Nationalsozialismus an den Veranstaltungen des Studium generale der Ludwig-Maximilians-Universität. Sie erscheint, hrsg. von Martin Broszat und Horst Möller, unter dem Titel „Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur und Geschichte. Vorträge aus dem Institut für Zeitgeschichte" 1983 in erster und 1986 in zweiter Auflage.

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) 1983 13.-15. Januar

21. Januar

4. Februar

11. Februar

September

6. Oktober

Oktober/November

17. November

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Zusammen mit der Historischen Kommission zu Berlin u n d der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen veranstaltet das Institut im Berliner Reichstagsgebäude eine internationale Konferenz zum Thema „Deutschlands Weg in die Diktatur". Die Referate u n d Diskussionen der Veranstaltung erscheinen in einem Sammelband unter dem Titel „Deutschlands Weg in die Diktatur" im J a h r 1983. Walter Bußmann u n d Paul Kluke werden zu Ehrenmitgliedern des Wissenschaftlichen Beirates berufen. Zum 30jährigen Bestehen der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" laden Redaktion u n d Verlag zu einer Festveranstaltung ein, auf der der Botschafter Italiens in Bonn, Luigi Vittorio Graf Ferraris, den Festvortrag hält. Der Stiftungsrat beruft Ludolf Herbst, Universität Göttingen, mit Wirkung vom 1. Mai 1983 zum neuen Stellvertretenden Direktor des Instituts. Paul Kluke wird Ehrenmitglied des Beirats. Mit dem Erscheinen der Bände V u n d VI ist das 1974 begonnene u n d vom Bayerischen Kultusministerium finanzierte Projekt „Bayern in der NS-Zeit" abgeschlossen. Bundesarchiv u n d Institut geben in Bonn den Abschluß der von der DFG finanzierten Editionsreihe ,Akte η zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949" bekannt. Mit Band II, Teil 1 u n d 2, sowie dem Registerband liegt das „Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933" vollständig vor. Das Herbstkolloquium des Instituts zum Thema ,Alltagsgeschichte der NS-Zeit. Neue Perspektive oder Trivialisierung?" steht in engem thematischen Zusammenhang mit dem kurz zuvor abgeschlossenen Projekt „Bayern in der NS-Zeit". Unter der Leitung von Martin Broszat diskutieren

524

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) Karl Bosl, Detlev Peukert, Hartmut Mehringer, Klaus Tenfelde und Heinrich August Winkler.

1984

19.Januar

13.-15. November

1985

15. Januar 14. November

Die Zahl externer Benutzer im Lesesaal überschreitet erstmals die Zahl von 4000. Zur Veröffentlichung biographischer Quellen wird die Reihe „Biographische Quellen zur deutschen Geschichte nach 1945" eingerichtet. Zum Abschluß des Projekts „Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933" findet ein öffentliches Kolloquium unter der Leitung von Horst Möller über das Thema „Kultur in der Emigration" statt. Auf Einladung des Instituts befaßt sich eine von über 50 in- und ausländischen Historikern besuchte Konferenz mit dem ersten Jahrzehnt der deutschen Nachkriegsgeschichte; die Historiker bilanzieren den bisherigen Forschungsstand und versuchen, neue Forschungsanstöße zu geben. Das die Konferenz abschließende Herbstkolloquium des Instituts steht unter dem Thema „Die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland". Die VW-Stiftung übernimmt die Finanzierung eines gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe unter Hermann Weber, Universität Mannheim, vereinbarten Projekts, das ein Handbuch der politischen Institutionen, staatlichen Verwaltungen und gesellschaftlichen Organisationen der sowjetischen Besatzungszone 1945-1949/52 zum Ziele hat. Hans Woller wird für drei Jahre an das Deutsche Historische Institut in Rom abgeordnet, um dort die politischen Säuberungen nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes zu untersuchen. Christoph Weisz übernimmt die Leitung der Bibliothek. Das Herbstkolloquium ist dem Thema „Konrad Adenauer in zeitgenössischer und historischer Sicht" gewidmet; an ihm beteiligen sich die ehemaligen Bonn-Korrespondenten und Kommen-

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

1986

25. April

6. November

11. November

1987 28.-30. Mai

27. August

5. November 6. November Dezember

525

tatoren Rüdiger Altmann, Franz Hange, Fred Luchsinger, Claus Heinrich Meyer, Alfred Rapp, Max Schulze-Vorberg u n d Fried Wesemann. Nach der Teilung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht u n d Kultus ist das neu errichtete Staatsministerium für Wissenschaft u n d Kunst für das Institut zuständig. Die ThyssenStiftung übernimmt die Projekt-Förderung für die Nachweisung von Akten der NS-Zeit in staatlichen Archiven, bearbeitet von Heinz Boberach. Der Stiftungsrat verlängert das Mandat von Martin Broszat als Direktor des Instituts bis August 1991. Zum 60. Geburtstag wird er mit dem Bundesverdienstkreuz I. Kl. ausgezeichnet. Das Herbstkolloquium des Instituts behandelt das Thema „Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland". An Herausgeber u n d Mitarbeiter des „Biographischen Handbuchs der deutschsprachigen Emigration nach 1933" wird die Walter-MeckauerPlakette für besondere Verdienste um die Werke verfolgter Autoren verliehen. Das Institut veranstaltet zusammen mit dem Deutschen Historischen Institut in Rom, der dortigen Universität u n d dem Goethe-Institut ein von 16 italienischen u n d deutschen Referenten bestrittenes Kolloquium über die italienische u n d die deutsche Emigration der Jahre 1933-1945 im Vergleich. Eine vierbändige Ausgabe des handschrifdichen Teils des Goebbels-Tagebuchs wird im Institut vorgestellt. Das Herbstkolloquium behandelt das Thema „Medizin im Nationalsozialismus". Bundespräsident Richard von Weizsäcker würdigt während eines Besuchs im Institut dessen Arbeit. Hartmut Mehringer habilitiert sich an der Universität Erlangen-Nürnberg.

526

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

1988 Februar

18. April

3.-5. Mai

8. November

25.-27. November

1989 Januar/Februar

3.-5. Mai

13. Juli

Der langjährige Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats, Karl Dietrich Bracher, gibt den Vorsitz des Gremiums an den vom Beirat gewählten Nachfolger Hans-Peter Schwarz ab. Das Institut stellt gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium die umfangreiche Studie .Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung u n d Unterwerfung in der Ära Gürtner" vor; Bundesjustizminister Engelhard würdigt dabei die Verdienste des Autors Lothar Gruchmann. Im Institut findet eine internationale Tagung über „Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt" statt, an der ca. 60 Forscher aus aller Welt teilnehmen. Das Herbstkolloquium behandelt das Thema „Die ,Reichskristallnacht' in historischer Perspektive". Das Institut veranstaltet zusammen mit der Stadtbibliothek München u n d dem Collegium Carolin u m in München das vom Adalbert-Stifter-Verein angeregte internationale Kolloquium „Drehscheibe Prag. Deutsche Emigranten 1933-1939". Im 40. Jahr der Gründung der Bundesrepublik veranstaltet das Institut in Verbindung mit dem Institut für Sozialwissenschaften der Technischen Universität München im Lenbachhaus einen von Wolfgang Benz vorbereiteten Vortragszyklus „Fragen an die Bundesrepublik". Ludolf Herbst wird zum apl. Professor an der Universität München ernannt. Im Institut findet eine internationale Tagung über „Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt" statt, an der ca. 60 Forscher aus aller Welt teilnehmen. Das Institut feiert sein 40jähriges Bestehen; zum Thema „Zäsuren der Bundesrepublik-Geschichte" referieren in einem wissenschaftlichen Kolloquium unter der Leitung von Martin Broszat

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

12.-15. August

21.-23. August

18. September

14. Oktober

November

1990 22. Januar

527

Hellmut Becker, Knut Borchardt, Thomas Ellwein, Hans Günter Hockerts, Joachim Kaiser u n d Hans-Peter Schwarz; am Abend feiern zahlreiche Freunde des Instituts mit den Mitarbeiterinnen u n d Mitarbeitern. Auf Einladung der Stadt organisiert das Institut in Pforzheim ein wissenschaftliches Symposium zum Thema „Der nationalsozialistische Krieg". Über das Thema „Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges u n d das internationale System" veranstaltet das Institut in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission zu Berlin eine international besetzte Konferenz, an der auch Historiker aus dem Ostblock teilnehmen. Der Neubau des Instituts mit Archivmagazin, Buchbinderei, Lesesaal u n d Cafeteria wird in Betrieb genommen; die Einweihungsfeier fand bereits am 13. Juli statt. Nach längerem Leiden stirbt Martin Broszat, seit 1956 Mitarbeiter, seit 1972 Direktor des Instituts. In einer Trauerfeier am 7. November würdigen der Vorsitzende des Stiftungsrats, Herbert Kießling, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats, Hans-Peter Schwarz, der Stellvertretende Direktor des Instituts, Ludolf Herbst, u n d Christian Meier, Vorsitzender des Verbands deutscher Historiker, den Verstorbenen. Auf einer Arbeitstagung der Evangelischen Akademie in Tutzing diskutieren unter Leitung von Volker Dahm Zeitzeugen, Buchhändler, Verleger, Lektoren, Dramaturgen u n d Schriftsteller sowie der Verlagsreferent des ehem. Reichspropagandaministeriums mit Historikern u n d Literaturwissenschaftlern über den Literaturbetrieb im Dritten Reich. In Stuttgart stirbt Helmut Krausnick, seit 1952 Mitarbeiter, von 1959 bis 1972 Leiter des Instituts, der der Arbeit des Instituts auch danach

528

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

Frühjahr

September

13./14. Dezember

bis 1978 als Mitherausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" eng verbunden war. Das Institut erhält eine Außenstelle in Bonn, die im Auftrag des Auswärtigen Amts u n d unter einem Herausgebergremium unter Vorsitz von Hans-Peter Schwarz die Edition der ,Akte η zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" bearbeitet. Die Außenstelle wird von Rainer A. Blasius geleitet. Auf dem 38. Deutschen Historikertag organisiert das Institut die unter Vorsitz von Ludolf Herbst tagende Sektion „Die Abrechnung mit Faschismus u n d Kollaboration in Europa". Wolfgang Benz wechselt als Professor u n d Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an die Technische Universität Berlin. Die Historische Fakultät der Universität, das Goethe-Institut u n d das Deutsche Historische Institut in Rom veranstalten eine Tagung, die sich mit den Forschungen des Instituts u n d seines verstorbenen Direktors Martin Broszat zur Geschichte des Dritten Reichs befaßt; Klaus-Dietmar Henke referiert zum Thema.

1991

10. September

Das Institut erhält eine auf 20 Bildschirm-Arbeitsplätze ausgelegte, leistungsfähige EDV-Anlage (Siemens-Nixdorf MX-500-90), in die die alte Anlage integriert wird. In der Reihe der „Quellen u n d Darstellungen zur Zeitgeschichte" erscheint der nach Ländern geordnete Sammelband „Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus". Der K. G. Saur Verlag stellt den ersten Band des im Auftrag des Instituts von Heinz Boberach erarbeiteten „Inventars archivalischer Quellen des NS-Staates" vor; der Vorsitzende des Vereins Deutscher Archivare, H e r m a n n Rumschöttel, referiert über die Bedeutung des Inventars für die historische Forschung.

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) 5. November

1992 14. Februar

1. April

1. Dezember

529

Das Herbstkolloquium des Instituts beschäftigt sich mit dem aktuellen Thema „Der Zusammenbruch der DDR". Unter der Leitung von Ludolf Herbst beteiligen sich Peter Bender, Dietrich Geyer, Carl-Ludwig Holtfrerich und M. Rainer Lepsius an der Diskussion. Die Bände I und II der Hitler-Dokumentation werden der Offendichkeit präsentiert. Hauptredner ist Ian Kershaw mit einem Vortrag über „Hitler in der Weimarer Republik". Horst Möller, bisher Direktor und Professor des Deutschen Historischen Instituts in Paris, tritt sein Amt als Direktor des Instituts an; parallel zu dieser Ernennung erfolgt die Berufung auf den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Der nach dem Tod von Martin Broszat geschäftsführende Stellvertretende Direktor Ludolf Herbst folgt einem Ruf auf den Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Humboldt-Universität in Berlin; ab 1. Oktober wird die Stelle des Stellvertretenden Direktors mit Udo Wengst, bisher wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, besetzt. Das Jahreskolloquium behandelt das Thema „Nationalbewegung und Staatsbildung in Europa". Unter der Leitung von Horst Möller diskutieren Sir Julian Bullard, Hans Maier, Torsten Orn, Joseph Rovan und Gerhard Simon.

1993

22. April

Der bayerische Kultusminister Zehetmair beruft Horst Möller in den Beirat für Wissenschafts- und Hochschulfragen seines Ministeriums. Er wird außerdem in das Herausgebergremium der Zeitschrift „Revue d'Allemagne" berufen. Unter dem Thema „30 Jahre deutsch-französischer Vertrag" findet ein Kolloquium statt. Un-

530

Mai

Juli September

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) ter der Gesprächsleitung von Horst Möller diskutieren Jacques Bariety, Francis Bellanger, Pierre Maillard, Hans-Peter Schwarz, Jürgen SudhofF u n d Bernard Tricot. Werner Röder wird zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats der Herbert u n d Elsbeth Weichmann Stiftung gewählt. Horst Möller wird in den Heisenberg-Ausschuß der DFG berufen. Konrad Repgen wird Ehrenmitglied des Wissenschaftlichen Beirats. Der erste Jahresband der „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland", der dem J a h r 1963 gewidmet ist, wird von Horst Möller u n d Hans-Peter Schwarz gemeinsam mit Staatsminister Schäfer (Auswärtiges Amt) in Bad Godesberg vorgestellt. Host Möller wird zum Membre Correspondant des Institut Charles de Gaulle (Paris) sowie zum Mitglied des Conseil scientifique des Centre Marc Bloch gewählt. In der Reihe der „Quellen u n d Darstellungen zur Zeitgeschichte" erscheint mit dem von Christoph Weisz herausgegebenen OMGUS-Handbuch die für die Benutzung der im Institut befindlichen OMGUS-Akten unentbehrliche Organisationsgeschichte j e n e r Behörde (2. Auflage 1994). Klaus-Dietmar Henke schließt seine Studie über die amerikanische Besetzung Deutschlands ab, die 1995 in der gleichen Reihe veröffentlicht wird (2. Auflage 1996). In Potsdam wird eine weitere Außenstelle des Instituts eingerichtet, die insbesondere die Geschichte der SBZ u n d der DDR wissenschaftlich untersuchen wird. Horst Möller, bisher Vorsitzender der Gründungskommission für das DHI Warschau, wird in den Wiss. Beirat des DHI Warschau berufen sowie zu dessen Vorsitzendem gewählt. Er wird außerdem in den Wiss. Beirat des DHI London

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

Oktober

551

berufen sowie in den Stiftungsrat deutscher historischer Auslandsinstitute gewählt. Im Rahmen eines internationalen Kolloquiums über das Thema „Nationalsozialismus und Region" finden öffenüiche Vorträge von Horst Möller über „Regionalismus u n d Zentralismus in der neueren deutschen Geschichte" und von Walter Ziegler über „Gaue u n d Gauleiter" statt. Mit Ablauf des Jahres scheidet Hermann Graml nach 14 Jahren als Chefredakteur aus der Redaktion der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte", die 40 Jahre alt werden, aus; Nachfolger wird Hans Woller. Horst Möller wird in den Wiss. Beirat der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv berufen.

1994

20. Juli

In Zusammenarbeit mit dem Archiv der Gedenkstätte Auschwitz beginnt unter der Leitung von Norbert Frei ein Projekt zur Erforschung der Sozialgeschichte des Konzentrationslagers Auschwitz, das u. a. die Edition der Kommandanturu n d Standortbefehle beinhaltet. Ein vom Bundesministerium für Forschung u n d Technologie gefördertes Projekt zur Erforschung der deutsch-tschechischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit wird von Christoph Boyer u n d Jaroslav Kucera bis Jahresende abgeschlossen. Das Archiv erstellt in Verbindung mit der Bayerischen Staatskanzlei eine Dokumentation zum Thema „Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1933-1945". Zum Jahrestag des Hitler-Attentats veranstaltet das Institut ein Kolloquium über das Thema „Tyrannis, Autokratie, Diktatur: Wie benennt man die Gewaltregime des 20. Jahrhunderts", an dem unter Leitung von Horst Möller Hans Maier, Klaus Hildebrand, Hermann Lübbe und Gilbert Merlio teilnehmen.

532 September

1995 1. Januar

21. Februar

März

Juli

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) Ein von Horst Möller vorbereitetes gemeinsames Kolloquium des IfZ und der Association internationale d'histoire contemporaine de l'Europe mit dem Thema „Das deutsche Problem in der Neueren Geschichte" wird mit einem Vortrag von Karl Otmar Freiherr von Aretin über „Das deutsche Problem im Alten Reich" eingeleitet. An den folgenden zwei Tagen diskutieren Wissenschaftler aus aller Welt verschiedene Aspekte des Themas. Die Bibliothek stellt mit Beginn des Jahres die Erfassung ihrer Buchbestände auf EDV um. Seit März ist sie dem Bibliotheksverbund Bayern (BVB) angeschlossen. Das Institut präsentiert die wissenschaftliche Gesamtedition der „Tagebücher von Joseph Goebbels" der Öffentlichkeit. Im Rahmen dieser Veranstaltung hält Joachim Fest einen Vortrag über Joseph Goebbels. Ministerialdirektor Herbert Kießling tritt Ende März in den Ruhestand. Als sein Nachfolger als Vorsitzender des Stiftungsrates wird im November Ministerialdirektor Dr. Wolfgang Quint gewählt. Der bayerische Ministerrat beauftragt nach Gesprächen mit Horst Möller das Institut, das Konzept für eine Dokumentationsstelle auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden zu entwickeln. In Potsdam veranstaltet das Institut eine Tagung über das Thema „Erorbert oder befreit? Deutschland im internationalen Kraftfeld u n d die sowjetische Besatzungszone (1945/46)". Mehrere Publikationsprojekte werden im Lauf des Jahres abgeschlossen: Heinz Boberach veröffentlicht den 2. Teil seines Inventars archivalischer Quellen des NS-Staates, in dem die regionalen Behörden u n d Hochschulen in den ostdeutschen Ländern, ferner Quellen aus Osterreich und den ehemals eingegliederten Gebieten Polens u n d der Tschechoslowakei berück-

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

1. Oktober

16. Oktober

533

sichtigt sind; Jürgen Zarusky schließt das Projekt „Widerstand als .Hochverrat' 1933-1945" ab, mit dem rund 1950 Verfahren vor obersten Gerichten des NS-Staats in einer Mikrofiche-Edition vorliegen; ein Einleitungs- u n d Registerband folgen noch. Unter der Leitung von Horst Möller u n d Andreas Wirsching wird mit der Arbeit an dem von der DFG finanzierten vergleichenden Projekt zur deutschen u n d französischen Geschichte der Zwischenkriegszeit begonnen; zwei Teilprojekte, darunter die Arbeit, mit der sich Andreas Wirsching im Juli an der Universität Regensburg habilitiert, werden seit 1992 bzw. 1993 aus Mitteln des Instituts bzw. durch Habilitationsstipendien finanziert. Das Institut wird durch eine Evaluierungsgruppe des Wissenschaftsrates begangen. Der Evaluierungsbericht von Januar 1996 empfiehlt eine weitere Förderung im Rahmen der „Blauen Liste". Die Außenstelle Potsdam entwickelt eine Reihe von Forschungsvorhaben zur SBZ/DDR-Geschichte. Horst Möller wird in den Beirat der Herausgeber des „Historischen Jahrbuchs" sowie das Herausgebergremium der Zeitschrift „Kirchliche Zeitgeschichte" berufen und erhält mehrere hohe französische Auszeichnungen.

1996

Januar

Mit dem Erscheinen der letzten drei Bände schließt der Mitarbeiterstab des Goebbels-Projekts unter Leitung von Elke Fröhlich die Edition der diktierten Teile des Goebbelsschen Tagebuchs in 15 Bänden ab. Am Jahresanfang beginnt die Arbeit am von Hans Woller geleiteten Forschungsprojekt über Gesellschaft u n d Politik in Bayern 1949-1973, das vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht u n d Kultus, Wissenschaft u n d Kunst finanziert wird.

534

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

Februar/März

1. April

5. Juni 25./2Θ. Juni

26. August

September 9. Oktober

Das Institut wird mit einer leistungsfähigeren EDV-Anlage (RM 400 im Netz mit SINIX-Z) ausgerüstet, die u. a. die Software-Entwicklungen der nächsten Jahre im Bibliotheksverbund auffangen kann. Die Außenstelle des Instituts in Bonn tauscht Erfahrungen im Bereich der Editionsprobleme u n d Quellenbestände mit dem Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, speziell mit dessen Willy-Brandt-Archiv, u n d dem Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung aus. Im Institut findet ein Workshop im Zusammenhang mit dem Projekt „Studien zur Sozialgeschichte des Konzentrationslagers Auschwitz" statt. Horst Möller, weiterhin Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, wird auf einen Lehrstuhl für Neuere u n d Neueste Geschichte an der Universität München berufen. Nobert Frei habilitiert sich an der Universität Bielefeld, die Habilitationsschrift erscheint unter dem Titel „Vergangenheitspolitik" als Institutsveröffentlichung im Beck-Verlag. Die Außenstelle Potsdam des Instituts zieht nach Berlin-Lichterfelde um. Das Institut veranstaltet ein Kolloquium zum Thema „Integration von Flüchtlingen im Nachkriegsdeutschland", das von der Außenstelle Berlin (Michael Schwartz) vorbereitet wurde. Das Institut wird vom bayerischen Finanzministerium mit der Planung für die Dokumentationsstelle auf dem Obersalzberg beauftragt. Udo Wengst erhält eine Honorarprofessur an der Universität Regensburg. Zur Einleitung eines Kolloquiums über das Thema „Emigration in autoritären Staaten: Das Beispiel Portugal" findet im Institut eine Podiumsdiskussion über die Frage „Was ist u n d zu welchem Zweck studiert man Exilgeschichte?" statt.

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

535

Unter der Leitung von Horst Möller diskutieren Sven Papcke, Hans-Albert Walter und Hans Würzner. Horst Möller wird erneut zum Vorsitzenden der AHF gewählt. 1997

Januar

März

5. Juni

Anstelle der Ausgabe von Fragmenten der handschriftlichen Goebbelsschen Tagebücher erscheint unter Leitung von Elke Fröhlich eine Neuausgabe der vollständigen Texte nach einer neuen, teilweise originalen Uberlieferung. Volker Dahm erhält von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels den Auftrag für eine Geschichte des Buchhandels im Dritten Reich und in der Emigration. Zur Verbesserung der EDV-Situation hinsichtlich der zukünftigen Anwendung des Bibliotheksprogramms SOKRATES und des Anschlusses an das Internet wird das Institut neu verkabelt und ζ. T. mit neuen, netzwerkfähigen PCs ausgestattet. Bundesinnenminister Kanther beruft Horst Möller in die deutsch-russische Historikerkommission, deren deutscher Co-Vorsitzender er wird. Andreas Wirsching erhält zunächst eine Professur an der Universität Tübingen und wird im folgenden Jahr auf den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg berufen. Das vom Institut entwickelte Konzept für eine Dokumentationsstelle auf dem Obersalzberg wird vom Fachbeirat genehmigt und im Oktober in Auftrag gegeben. Als gemeinsame Veröffendichung des Instituts und der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien erscheint von Udo Wengst die politische Biographie von Thomas Dehler 1897-1967.

536

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

September

Oktober

November

2./3. Dezember

Norbert Frei wird als Nachfolger Hans Mommsens auf den Lehrstuhl für Neuere u n d Neueste Geschichte an der Universität Bochum berufen. Auf einer zweitägigen Veranstaltung wird das Projekt „Gesellschaft u n d Politik in Bayern 1949 bis 1973" der Öffentlichkeit vorgestellt. Die im Frühjahr 1996 veröffentlichten Studie von Hans Woller über die politischen Säuberungen in Italien 1943-1948 erscheint in einer italienischen Ausgabe. Das Institut veranstaltet ein Kolloquium über das Thema „Die Integration von Flüchtlingen u n d Vertriebenen nach 1945", an dem sich zahlreiche Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen beteiligen.

1998 20. Februar 24.-26. März

Ö.Juli

August

Rudolf Morsey u n d Gerhard A. Ritter werden Ehrenmitglieder des Wissenschaftlichen Beirats. Im Zusammenhang mit dem vergleichenden Projekt „Frankreich und Deutschland in der Zwischenkriegszeit" findet im Goethe-Institut in München ein Kolloquium über „Demokratie in der Zwischenkriegszeit" statt. Eingeleitet wird die Veranstaltung mit einem Vortrag von Alfred Grosser über „Politische Kultur in Deutschland u n d Frankreich". Mit dem Erscheinen des Bandes V/2, der den Zeitraum vom Oktober 1932 bis Januar 1933 abdeckt, wird die Hitler-Dokumentation in 12 Teilbänden abgeschlossen. Ebenfalls zum Abschluß gelangt mit der Vorlage des Registerbandes die Mikrofiche-Edition „Widerstand als .Hochverrat'". Sie wird in einer Veranstaltung im Institut durch Hans-Jochen Vogel, gemeinsam mit Horst Möller u n d Jürgen Zarusky, der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Institut beginnt die Arbeit an einem nach Verhandlungen mit Horst Möller vom Bayerischen Staatsministerium f ü r Wissenschaft, Forschung u n d Kunst finanzierten Forschungspro-

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst)

Oktober

November

Dezember

1999 Januar

537

jekt über die „Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur", das von Christian Hartmann geleitet wird. In Bonn findet die 5. Internationale Konferenz der Herausgeber diplomatischer Akten statt, die von der Außenstelle Bonn, gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt, vorbereitet u n d durchgeführt wird. An einem internationalen Kolloquium zum Thema „Entstalinisierung in Ostmitteleuropa im Vergleich" in Warschau beteiligt sich das Institut als Mitveranstalter. Die Außenstelle Berlin des Instituts veranstaltet ein Kolloquium zum Thema „Das letzte Jahr der SBZ im Prozeß der Staatsgründung der DDR", auf dem alle Mitarbeiter der Außenstelle mit Beiträgen vertreten sind. Horst Möller wird die Ehrendoktorwürde der Universität Bordeaux verliehen. Der Fachbeirat für die Dokumentationsstelle Obersalzberg billigt unter dem Vorsitz von Horst Möller das vom Institut vorgelegte „Drehbuch" mit dem dazugehörigen „Textbuch". Unter dem Titel „Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus in Deutschland u n d Frankreich 1918-1933/39. Berlin und Paris im Vergleich" erscheint die Habilitationsschrift von Andreas Wirsching als erste Veröffentlichung aus dem vergleichenden Projekt zur deutschen u n d französischen Geschichte in der Zwischenkriegszeit. Das Institut erhält den Internet- u n d E-Mail-Anschluß. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion, an der sich unter der Leitung von Horst Möller Ian Kershaw, Frank-Lothar Kroll, Andreas Wirsching und Christian Hartmann beteiligen, wird die Hitler-Dokumentation der Öffentlichkeit präsentiert.

538 April

Juli

Chronik des Instituts (Auerbach/Weiß/Wengst) Ende des Monats trifft Georg Maisinger, seit 1973 Verwaltungsleiter des Instituts, in den Ruhestand. In der Abschiedsveranstaltung am 28. April werden seine großen Verdienste um das Institut durch den Vorsitzenden des Stiftungsrates, Dr. Wolfgang Quint, und dem Institutsdirektor gewürdigt. Horst Möller wird in den Wissenschaftlichen Beirat der „Stiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur" berufen.

Personalienverzeichnisse Mitglieder des Kuratoriums bzw. des Stiftungsrates: Kuratorium (1949-März 1962): Bund:

Bayern:

Hessen:

WürttembergBaden:

WürttembergHohenzollern: BadenWürttemberg: Bremen:

Staatssekretär a. D. Dr. Erich Wende Staatssekretär Dr. Walter Strauß Min.Dir. Prof. Dr. Paul Egon Hübinger Min.Rat/Min.Dir. Karl-Ulrich Hagelberg Staatsminister Dr. Anton Pfeiffer Staatssekretär Dr. Dieter Sattler Min.Rat/ Johannes von Min.Dirig. Elmenau Staatssekretär Dr. Hermann L. Brill Dr. Dr. Walter Kühn Min.Rat Prof. Dr. Hans Heckel Min.Dir. Dr. Fritz Eberhard Staatssekretär Dr. Hermann Gögler Min.Dir. Dr. Hans Rupp Min.Rat/ Bundesrichter Staatsrat Prof. Dr. Theodor Eschenburg Staatsrat Prof. Dr. Theodor Eschenburg Staatsrat Dr. Wilhelm Haas Vortr. Leg.Rat Dr. Wilhelm Melchers

1950-1953 1950-1962 1954-1959 1959-1962 1949 1949-1952 1952--1962 1949--1950 1951--1959 1960--1962 1949--1950 1951 1951-1952

1951-1952 1952-1962 1949 1949

Vorsitzende (Kuratorium): Staatssekretär a. D. Min.Dir. Staatssekretär

Dr. Erich Wende Prof. Dr. Paul Egon Hübinger Dr. Walter Strauß (Geschäftsführender Vorsitzender)

1951-1953 1954-1959 1960-1962

540

Personalienverzeichnisse

Stiftungsrat (ab März 1962): Bund:

Min.Rat Reg.Dir. Reg.Dir. Min.Rat Min.Rat Vortr. Leg.Rat I Vortr. Leg.Rat/ Vortr. Leg. Rat I

Karl-Ulrich Hagelberg Dr. Konrad Petersen Dr. Walter Strauß Dr. Horst-Harald Lewandowski Manfred Hohnstock Dr. Peter Busse Klaus Leonhardt Dr. Bernhard Doli Dr. Herbert Linden Heinz Waldner Dr. Hans Jochen Pretsch

Bayern:

Min.Dirig. Min.Dir. Min.Dir. Min.Dir. Min.Dir.

Dr. Dr. Walter Keim Dr. Emil Kessler Dr. Karl Böck Herbert Kießling Dr. Wolfgang Quint

1962-1964 1964-1974 1974-1979 1979-1995 1995 - j e t z t

BadenWürttemberg

Min.Dir. Min.Dirig. Min.Dirig. Min.Dirig. Ltd. Min.Rat

Heinz Authenrieth Karl Otto Schlau Dr. Siegfried Dederer Dr. Bernhard Bläsi Dr. Klaus Herberger

1962-1969 1969-1985 1985-1987 1987-1991 1991 - j e t z t

Brandenburg

Min.Dirig. Min.Rat/ Min.Dirig.

Dr. Klaus Faber Dr. Heinz-Ulrich Schmidt

1993-1995 1995 - jetzt

Min.Dirig. Min.Dirig.in Min.Rat Min.Dir. Min.Rat Reg.Dir./Min.Rat

Prof. Dr. Hans Heckel Dr. Helene von Bila Dr. Dr. Udo Kollatz Dr. Kurt Kettner Helmut Weber Gerd Mangel

1962-1966 1966-1970 1970-1975 1975-1985 1985-1988 1988 - j e t z t

Conrad Müller Albert Nouvortne Hans Wedemeyer

1962-1968 1968-1970 1970-1973

Hessen:

Min.Dir. Reg.Dir./Min.Rat Staatssekretär Min. Rat

Niedersachsen: Staatssekretär Staatssekretär Staatssekretär

1962-1972 1966-1983 1962-1972 1972-1973 1973-1976 1977-1980 1981-1992 1984 - jetzt 1992 - j e t z t 1994-1996 1996 - jetzt

541

Personalienverzeichnisse Staatssekretär Staatssekretär Staatssekretär Staatssekretär Min. Dir. Staatssekretär NordrheinWestfalen:

Sachsen:

Min. Rat Min.Dirig.

Dr. Günther Wiehert Prof. Dr. Axel Frhr. v. Campenhausen Rolf Möller Weert Börner Dr. Christian Hodler Dr. Uwe Reinhardt

1975 1976-1979 1979-1983 1983-1987 1987-1996 1996 - jetzt

Min.Dirig. Min.Dirig. Min. Rat

Prof. Dr. Theo Kordt Hans Wolfgang Rombach Dr. Ekkehard Wienholtz Dr. Franz-Josef Hessing Dr. Ulrich Heinemann

1962-1966 1966-1985 1985-1989 1989-1995 1995 - j e t z t

Min.Dirig. Min. Rätin

Dr. Jürgen Poeschel Dr. Eva Wiese

1993-1996 1997 - jetzt

Vorsitzende (Stiftungsrat): Min.Dirig. Min. Dir. Min.Dir. Min.Dir. Min.Dir.

Dr. Dr. Walter Keim Dr. Emil Kessler Dr. Karl Böck Herbert Kießling Dr. Wolfgang Quint

1962-1964 1964-1974 1974-1979 1979-1995 1995 - jetzt

542

Personalienverzeichnisse

Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates bzw. des Wissenschaftlichen Beirates: Wissenschaftlicher Rat (1949/1950): Prof. Dr. Ludwig Bergsträsser Prof. Dr. Walter Goetz Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss Prof. Dr. Erich Kaufmann Prof. Dr. Gerhard Ritter Prof. Dr. Franz Schnabel General a. D. Prof. Dr. Hans Speidel Wissenschaftlicher Beirat (ab 1950): Prof. Dr. Helmut Altrichter Dr. Philipp Auerbach Prof. Dr. h. c. Hellmut Becker Prof. Dr. Ludwig Bergsträsser Prof. Dr. Adolf M. Birke Prof. Dr. Hans Booms, Präsident des Bundesarchivs Prof. Dr. Drs. h. c. Knut Borchardt Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Karl Dietrich Bracher Prof. Dr. Dr. h. c. Max Braubach Prof. Dr. Hermann Brill Dr. Karl G. Bruchmann, Direktor des Bundesarchivs Prof. Dr. Hans Buchheim Prof. Dr. Walter Bußmann Prof. Dr. Werner Conze Staatsarchivdirektor Prof. Dr. Ludwig Dehio Prof. Dr. Dr. h. c. Constantin von Dietze Prof. Dr. Karl Dietrich Erdmann Prof. Dr. Theodor Eschenburg Prof. Dr. Alexander Fischer Prof. Dr. Ernst Fraenkel Prof. Dr. Otto Heinrich von der Gablentz Prof. Dr. Lothar Gall Prof. Dr. Dr. h. c. Fritz Härtung Prof. Dr. Hans Hattenhauer Prof. Dr. Ulrich von Hehl Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Herzfeld

1996-jetzt 1950-1951 1951-1977 1950-1959 1994-jetzt 1972-1989 1969-1988 1962-jetzt 1953-1970 1950-1959 1962-1968 1969-1977 1966-1982 1958-1968 1950-1958 1950-1958 1962-1979 1962-1977 1992-1995 1962-1972 1958-1972 1993-jetzt 1950-1958 1977-1988 1998-jetzt 1958-1977

Personalienverzeichnisse Prof. Dr. Klaus Hildebrand Prof. Dr. Ernst von Hippel Prof. Dr. Hans Günter Hockerts Prof. Dr. Carl-Ludwig Holtfrerich Prof. Dr. Paul Egon Hübinger Prof. Dr. Walter Jaroschka, Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns Prof. Dr. Wolfgang Jäger, Rektor der Universität Freiburg i. Br. Prof. Dr. Friedrich P. Kahlenberg, Präsident des Bundesarchivs Prof. Dr. Erich Kaufmann Prof. Dr. Paul Kluke Prof. Dr. Eugen Kogon Prof. Dr. M. Rainer Lepsius Prof. Dr. Theodor Litt Prof. Dr. Golo Mann Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans Maier, Staatsminister a. D. Dr. Wolfgang Mommsen, Präsident des Bundesarchivs Prof. Dr. Rudolf Morsey Prof. Dr. Thomas Nipperdey Prof. Dr. Ernst Nolte Prof. Dr. Dr. h. c. Konrad Repgen Prof. Dr. Dr. h. c. Gerhard Ritter Prof. Dr. Drs. h. c. Gerhard A. Ritter Prof. Dr. Keith Robbins, Vice-Chancelor der University of Wales, Lampeter Prof. Dr. Hans Rothfels Prof. Dr. Karl Heinz Ruffmann Prof. Dr. Hermann Rumschöttel, Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns Prof. Dr. Theodor Schieder Prof. Dr. Dr. h. c. Franz Schnabel Prof. Dr. Gerhard Schulz Prof. Dr. Hans-Peter Schwarz Prof. Dr. Georges-Henri Soutou General a. D. Prof. Dr. Hans Speidel Prof. Dr. Georg Stadtmüller Prof. Dr. Dolf Sternberger Prof. Dr. Günther Stökl

543 1983-jetzt 1950-1951 1988-jetzt 1988-jetzt 1962-1979 1978-1998 1992-jetzt 1989-jetzt 1950-1968 1959-1982 1950-1953 1985-1995 1950-1962 1962-1970 1995-jetzt 1968-1972 1978-1998 1972-1992 1978-1988 1970-1992 1950-1955 1979-1998 1999^jetzt 1960-1974 1983-1991 1998-jetzt 1958-1974 1950-1962 1983-1993 1980-jetzt 1998-jetzt 1950-1977 1962-1975 1976-1984 1969-1982

544

Personalienverzeichnisse

Staatssekretär a. D. Dr. Walter Strauß Prof. Dr. Friedrich H. Tenbruck Staatsarchivdirektor Dr. Bernhard Vollmer Prof. Dr. Hermann Weber Prof. Dr. Heinrich August Winkler Prof. Dr. Wilhelm Winkler, Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns Dr. Georg Winter, Direktor des Bundesarchivs Prof. Dr. Bernhard Zittel, Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns

1972-1975 1978-1983 1950-1958 1979-jetzt 1998-jetzt 1950-1961 1958-1961 1970-1976

Vorsitzende: Prof. Prof. Prof. Prof. Prof.

Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.

Ludwig Bergsträsser Hans Rothfels Karl Dietrich Erdmann Dr. h. c. mult. Karl Dietrich Bracher Hans-Peter Schwarz

1950-1959 1959-1974 1974-1980 1980-1988 1988-jetzt

Ehrenmitglieder: Prof. Dr. Walter Bußmann Prof. Dr. Karl Dietrich Erdmann Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss Prof. Dr. Paul Egon Hübinger Prof. Dr. Paul Kluke Prof. Dr. Friedrich Meinecke Prof. Dr. Rudolf Morsey Prof. Dr. Dr. h. c. Konrad Repgen Prof. Dr. Drs. h. c. Gerhard A. Ritter

1983-1993 1980-1990 1950-1963 1980-1987 1983-1987 1950-1954 1998-jetzt 1993-jetzt 1998-jetzt

Personalienverzeichnisse

Wissenschaftliche Mitarbeiter und

545

Mitarbeiterinnen:

Christiana Abele Prof. Dr. Wilhelm Alff Dr. Ino Arndt Hellmuth Auerbach

Ol. Ol. Ol. 06. Ol. 01. Ol. 07.

1973 1962 1963 1969

bis bis bis bis

31. 12. 30. 09. 03. 06. 31.08.

1976 1968 1986 1995

Prof. Dr. Wolfgang Benz Dr. Sven Olaf Berggötz Dr. Rainer A. Blasius PD Dr. Christoph Boyer Prof. Dr. Martin Broszat Brigitte Bruns Prof. Dr. Christoph Buchheim Prof. Dr. Hans Buchheim Prof. Dr. Karl Buchheim Dr. Michael Buddrus PD Dr. Werner Bührer

Ol. 10. Ol. 08. Ol. 05. 17. 09. Ol. 10. 14. 07. Ol. 06. Ol. 03. Ol. 04. Ol. 05. Ol. 01. Ol. 09.

1969 1997 1990 1990 1956 1975 1977 1985 1953 1950 1994 1985

bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis

31. 10. 1990 18. 04. 1998 jetzt (befristet) 30. 09. 1994 14. 10. 1989 31. Ol. 1976 30. 11. 1978 30. 04. 1989 30. 09. 1966 30. 09. 1952 jetzt 31. 03. 1992

Dr. Brewster S. Chamberlin

Ol. 10. 1978

bis

31. 03. 1980

Dr. Volker Dahm

Dr. Armand Dehlinger Ulrike Druwe Bärbel Dusik

Ol. 11. 16. 01. Ol. 08. Ol. 01. Ol. 03. Ol. 07. Ol. 06.

1981 1987 1989 1993 1950 1983 1989

bis bis bis bis bis bis bis

17. 09. 31.05. 15. 03. jetzt 30. 06. 31. 12. 30. 04.

Dr. Ludwig Eiber Dr. Franz Eibl Dr. Andreas Eichmüller Dr. Ulrich Enders Dr. Roger Engelmann-Moock Dr. Paul Erker Dr. Friederike Euler

Ol. 02. 15. 05. 16. 08. Ol. 12. Ol. 07. Ol. 07. Ol. 10.

1979 1998 1999 1977 1990 1990 1975

bis bis bis bis bis bis bis

31.01. 1980 jetzt (befristet) jetzt (befristet) 30. 11. 1978 31. 07. 1992 30. 04. 1992 31. 12. 1975

PD Dr. Barbara Fait Dr. Siegfried Fauck

Ol. 07. 1988 Ol. 09. 1959

bis bis

31. 10. 1989 31. 05. 1962

1985 1989 1992 1951 1984 1992

546

Personalienverzeichnisse

Dr. Michael Feldkamp Dr. Hermann Foertsch Dr. Jan Foitzik

1996 1951 1978 1994 1979 1977 1990 1973

bis bis bis bis bis bis bis bis

31. 10. 30. 09. 30. 06. jetzt 31. 08. 28. 02. 30. 11. jetzt

1997 1952 1978

Prof. Dr. Nobert Frei Gudrun Friedrich Dr. Michael Fröhlich Dr. Elke Fröhlich-Broszat

Ol. 01. Ol. 04. Ol. 02. Ol. 01. Ol. 09. 15. 12. Ol. 06. 15. 09.

Gisela Gerdes Prof. Dr. John Gillingham Dr. Constantin Goschler Hermann Graml Dr. Anton Großmann Dr. Lothar Gruchmann Dr. Stefan Grüner Dr. Maximilian Gschaid

01. 08. 01. 01. 01. 02. 01. 04. 01. 01. 01. 10. 01. 07. 01. 11.

1975 1985 1991 1960 1980 1960 1997 1992

bis bis bis bis bis bis bis bis

31. 12. 31. 12. 30. 06. 30. 11. 28. 02. 30. 04. 31. 10. 30. 04.

1976 1985 1992 1993 1982 1992 1998 1993

Dr. Christian Hartmann Dr. Helmut Heiber Dr. Frank Heinlein Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke Dr. Wolfram von Hentig Prof. Dr. Ludolf Herbst Dr. Anton Hoch Dr. Wolfgang Hölscher Dr. Dierk Hoffmann Dr. Johannes Hürter Prof. Dr. Peter Hüttenberger

01. 01. 01. 04. 01. 06. 01. 10. 01. 07. 01. 12. 01. 05. 01. 12. 01. 07. 01. 09. 01. 08. 01. 02.

1993 1954 1999 1979 1985 1962 1983 1949 1990 1994 1998 1974

bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis

jetzt 30. 11. 1984 jetzt (befristet) 30. 09. 1984 31. 07. 1992 31. 05. 1964 31. 03. 1992 30. 09. 1978 31. 12. 1993 jetzt jetzt (befristet) 31. 03. 1975

Prof. Dr. Wolfgang Jacobmeyer Dr. Utejancke Dr. Matthias Jaroch

01. 08. 1971 01. 04. 1996 15. 05. 1998

bis bis bis

30. 04. 1978 jetzt jetzt (befristet)

PD Dr. Manfred Kittel Katja Klee Helmar Klier Dr. Jürgen Klöckler Prof. Dr. Paul Kluke

01. 01. 01. 12. 01. 06. 01. 01. 01. 10.

bis bis bis bis bis

jetzt 30. 09. 31. 05. 31. 03. 31. 03.

1993 1995 1977 1996 1953

1997 1978 1992

1998 1979 1998 1959

Personalienverzeichnisse

547

Dr. Martin Koopmann Dr. Daniel Kosthorst Dr. Hildegard von Kotze Prof. Dr. Helmut Krausnick Prof. Dr. Wolfgang Krieger Dr. Gerhard Kroll Dr. Jaroslav Kucera

Ol. 06. Ol. 01. Ol. 10. Ol. 04. Ol. 09. Ol. 03. Ol. 12.

1998 1993 1962 1952 1985 1949 1991

bis bis bis bis bis bis bis

jetzt (befristet) 31. 07. 1997 31. 08. 1989 30. 06. 1972 30. 06. 1986 31.01. 1951 30. 11. 1994

Dr. Klaus Lankheit Dr. Mechthild Lindemann Prof. Dr. Hans Dietrich Loock

Ol. 05. 1992 Ol. 08. 1991 Ol. 04. 1959

bis bis bis

jetzt jetzt 31. 03. 1962

Prof. Dr. Gunther Mai

Ol. 03. Ol. 10. Ol. 02. Ol. 06. Ol. 08. Ol. 06. Ol. 01. Ol. 04.

1986 1987 1951 1978 1982 1988 1979 1992

bis bis bis bis bis bis bis bis

30. 09. 31. 10. 25.10. 28. 02. 31. 10. jetzt 31.07. jetzt

1986 1989 1952 1982 1982

Carla Mojto (geb. Braun von Stumm) Prof. Dr. Hans Mommsen Maria Helene Müller Martin Müller

Ol. 01. Ol. 04. Ol. 08. Ol. 03.

1975 1961 1983 1973

bis bis bis bis

31. 31. 15. 31.

1976 1962 1988 1975

Dr. Manfred Nebelin Dr. Daniela Neri Mathias Niendorf Dr. Sonja Noller

Ol. Ol. Ol. Ol.

01. 12. 08. 07.

1990 1995 1992 1960

bis bis bis bis

31. 12. 1992 jetzt (befristet) 31. 12. 1992 30. 04. 1969

Dr. Ilse Dorothee Pautsch Dr. Matthias Peter Prof. Dr. Dietmar Petzina Dr. Günter Plum Dr. Dieter Pohl

Ol. 06. 21. 02. Ol. 01. Ol. 09. Ol. 04.

1990 1994 1967 1963 1995

bis bis bis bis bis

jetzt jetzt 31. 07. 1970 10. 02. 1989 jetzt (befristet)

Dr. Edith Raim Dr. Thomas Raithel Dr. Jana Richter Dr. Werner Röder Dr. Harald Rosenbach

Ol. 08. Ol. 11. Ol. 01. Ol. 09. Ol. 07.

1999 1995 1996 1968 1993

bis bis bis bis bis

jetzt (befristet) jetzt (befristet) jetzt (befristet) jetzt 31. 05. 1998

PD Dr. Hermann Mau Dr. habil. Harmut Mehringer

Prof. Dr. Dr. h. c. Horst Möller

12. 12. 03. 03.

1982

548

Personalienverzeichnisse

Helmut Schabel Dr. Elke Sehers tjanoi Dr. Thomas Schlemmer Dr. Dieter Marc Schneider Helmut Schneider Dr. Alexander Schönwiese Dr. Michael Schwartz Dr. Bernd Steger Dr. Sybille Steinbacher Dr. Heinrich Stübel

01. 01. 01. 01. 01. 01. 01. 01. 01. 01.

1978 1994 1993 1975 1978 1949 1994 1976 1994 1950

bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis

30. 04. 1980 jetzt jetzt (befristet) jetzt 31.05. 1979 30. 06. 1951 jetzt 31. 12. 1980 31. 03. 1996 15. 05. 1951

Dr. Daniela Taschler

01. 03. 1999

bis

jetzt (befristet)

Prof. Dr. Thilo Vogelsang Dr. Clemens Vollnhals

01. 11. 1951 16. 05. 1989

bis bis

02. 04. 1978 16. 08. 1992

Dr. Petra Weber Ingrid Wehrle-Willeke Dr. Gerhard Weiher Florian Weiß Hermann Weiß Dr. Christoph Weisz Prof. Dr. Helga Welsh

01. 15. 01. 01. 01. 01. 17. 07. 01. 01. 01. 01. 01. 01. 17. 01. 01. 01.

1995 1977 1977 1991 1975 1970 1980 1981 1992 1994 1988 1974 1992 1972 1999 1992 1980 1988

bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis

jetzt 31.07. 1978 31.08. 1981 31. 01. 1993 28. 02. 1997 jetzt 15. 06. 1980 30. 09. 1984 jetzt jetzt 31.01. 1991 31. 12. 1978 31.03. 1994 31. 10. 1973 jetzt (befristet) 04. 03. 1997 28. 02. 1985 jetzt

Ol. 10. 1990 01. 12. 1997

bis bis

jetzt 31. 3. 1999

Prof. Dr. Udo Wengst Dr. Hermann Wentker Dr. Juliane Wetzel Dr. Falk Wiesemann Dr. Cornelia Wilhelm Hans-Heinrich Wilhelm Dr. Joachim Wintzer Prof. Dr. Andreas Wirsching Dr. Hans Woller

Dr. Jürgen Zarusky Dr. Hubert Zimmermann

08. 01. 08. 04. 08. 04. 01. 09. 04. 06.

05. 11. 04. 08. 01. 02. 03. 10. 10. 01. 04. 03. 04. 01. 05. 04. 07. 03.

Personalienverzeichnisse

549

Direktoren und Stv. Direktoren: Direktoren Gerhard Kroll

1949-1951

Geschäftsführer

Hermann Mau Generalsekretär

Paul Kluke

1951-1952 1953-1959

Generalsekretär

Helmut Krausnick

1959-1972

Generalsekretär/Direktor ab 1961

Martin Broszat

Direktor

Horst Möller

1972-1989 Seit 1992

Direktor

Stellvertretende Direktoren Horst Möller Ludolf Herbst

Udo Wengst

1979-1982 1983-1992 (1989-1992 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Direktors beauftragt) Seit 1992

Verwaltungsleiter:

Heinrich Teichgreber Heinz Förster Horst Gewiese Georg Maisinger Ingrid Morgen

1949-1952 1952-1971 1972-1973 1973-1999 1999-jetzt

Institutsveröffentlichungen I. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1-46 (1953-1998) (Deutsche Verlagsanstalt/Oldenbourg) Herausgeber: Theodor Eschenburg (1953-1976); Hans Rothfels (19531976); Helmut Krausnick (1973-1976); Karl Dietrich Bracher (1977jetzt); Hans-Peter Schwarz (1977-jetzt); Horst Möller (1992-jetzt) Schriftleitung/Redaktion: Helmut Krausnick (1953-1972, Schriftleiter); Martin Broszat (1969-1989); Thilo Vogelsang (1969-1978); Hermann Graml (1973-1993, Chefredakteur: 1978-1993); Hellmuth Auerbach (1967-1995); Wolfgang Benz (1978-1990); Horst Möller (19801983); Ludolf Herbst (1983-1992); Klaus-Dietmar Henke (19871992); Norbert Frei (1988-1997); Hans Woller (1992-jetzt, Chefredakteur: 1994-jetzt); Udo Wengst (1992-jetzt); Andreas Wirsching (19921997);Jürgen Zarusky (1996-jetzt); Manfred Kittel (1997-jetzt); Christian Hartmann (1997-jetzt) Register: Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1-22, zusammengestellt von Ruth Körner, 1975; Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1-33, zusammengestellt von Helga u n d Hellmuth Auerbach, 1983; Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1 (1953) - 45 (1997), zusammengestellt von Helga u n d Hellmuth Auerbach, 1998

II. Bibliographie zur Zeitgeschichte 1-46 (1953-1998) (Beilage der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte) (Deutsche Verlagsanstalt/Oldenbourg) 1-26 27-32 33—36 37-38 39

zusammengestellt von Thilo Vogelsang zusammengestellt von Hellmuth Auerbach unter Mitarbeit von Ursula van Laak zusammengestellt von Christoph Weisz u n d Ursula van Laak zusammengestellt von Christoph Weisz u n d Hedwig Straub-Woller zusammengestellt von Christoph Weisz, Ingeborg Unal u n d Hedwig Straub-Woller

Institutsveröffentlichungen

552 40-46

zusammengestellt von Christoph Weisz u n d Ingeborg Ünal

III. Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (Deutsche Verlagsanstalt/Oldenbourg) Band 1

Band Band

Band

Band Band

Band Band Band Band Band

Band

Band Band

Das Tagebuch von Joseph Goebbels 1925-1926. Mit weiteren Dokumenten herausgegeben von Helmut Heiber, 1961 2 Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik 19391945, 1961 3 Hermann Pünder, Politik in der Reichskanzlei. Aufzeichnungen aus den Jahren 1929-1932, hrsg. von Thilo Vogelsang, 1961 4 Lothar Gruchmann, Nationalsozialistische Großraumordnung. Die Konstruktion einer „deutschen Monroe-Doktrin", 1962 5 Conrad F. Latour, Südtirol u n d die Achse Berlin - Rom 1938-1945, 1962 6 Rudolf Heberle, Landbevölkerung u n d Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918-1932, 1963 7 Enno Georg, Die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS, 1963 8 Ladislaus Hory/Martin Broszat, Der kroatische UstaschaStaat1941-1945, 1964 9 Rolf Geißler, Dekadenz u n d Heroismus. Zeitroman u n d völkisch-nationalistische Literaturkritik, 1964 10 Theo Pirker, Komintern u n d Faschismus. Dokumente zur Geschichte u n d Theorie des Faschismus, 1965 11 Jose Antonio Primo de Rivera. Der Troubadour der spanischen Falange. Auswahl u n d Kommentar seiner Reden und Schriften von Bernd Nellessen, 1965 12 Alan S. Milward, Die deutsche Kriegswirtschaft 19391945. Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Maria Petzina, 1966 13 Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich, 1966 14/15 Babette Gross, Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Mit einem Vorwort von Arthur Koestler, 1967

Institutsveröffentlichungen Band 16 Band

Band Band Band

Band

Band

Band

Band

Band

Band

Band

Band

553

Dieter Petzina, Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vieijahresplan, 1968 17 Konrad Kwiet, Reichskommissariat Niederlande. Versuch u n d Scheitern nationalsozialistischer Neuordnung, 1968 18 Hermann Bott, Die Volksfeind-Ideologie. Zur Kritik rechtsradikaler Propaganda, 1969 19 Peter Hüttenberger, Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP, 1969 20 Klaus von Schubert, Wiederbewaffnung u n d Westintegration. Die innere Auseinandersetzung um die militärische u n d außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik 1950-1952, 2 1972 21 Studien zur Geschichte der Konzentrationslager. Beiträge von Henning Timpke, Werner Johe, Gisela Rabitsch, Ino Arndt, Eberhard Kolb, Manfred Bornemann, Martin Broszat, 1970 2 2 / 2 3 Politik in Bayern 1919-1933. Berichte des württ. Gesandten Carl Moser von Filseck, hrsg. von Wolfgang Benz, 1971 24 Hildegard Brenner, Ende einer bürgerlichen Kunst-Institution. Die politische Formierung der Preußischen Akademie der Künste ab 1933, 1972 25 Peter Krüger, Deutschland u n d die Reparationen 1918/ 19. Die Genesis des Reparationsproblems in Deutschland zwischen Waffenstillstand und Versailler Friedensschluß, 1973 26 Walter L. Dorn, Inspektionsreisen in der US-Zone. Notizen, Denkschriften u n d Erinnerungen aus dem Nachlaß, übersetzt und hrsg. von Lutz Niethammer, 1973 27 Norbert Krekeler, Revisionsanspruch u n d geheime Ostpolitik der Weimarer Republik. Die Subventionierung der deutschen Minderheit in Polen 1919-1933, 1973 28 Zwei Legenden aus dem Dritten Reich - Die Prognosen der Abteilung Fremde Heere Ost 1942-1945 - Felix Kersten u n d die Niederlande. Quellenkritische Studien von Hans-Heinrich Wilhelm und Louis de Jong, 1974 29 Heeresadjutant bei Hitler 1938-1943. Aufzeichnungen des Majors Engel. Hrsg. und kommentiert von Hildegard von Kotze, 1974

554 Band 30

Band 31 Band 32

Band 33

Band 34

Band 35

Band 36

Band 37 Band 38 Band 39

Band 40

Band 41

Band 42

Band 43

Band 44

Institutsveröffentlichungen Werner Abelshauser, Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948. Rekonstruktion und Wachstumsbedingungen in der amerikanischen u n d britischen Zone, 1975 Günter J. Trittel, Die Bodenreform in der Britischen Zone 1945-1949, 1975 Hansjörg Gehring, Amerikanische Literaturpolitik in Deutschland 1945-1953. Ein Aspekt des Re-EducationProgramms, 1976 Die revolutionäre Illusion. Zur Geschichte des linken Flügels der USPD. Erinnerungen von Curt Geyer. Hrsg. von Wolfgang Benz u n d Hermann Graml, mit einem Vorwort von Robert F. Wheeler, 1976 Reinhard Frommelt, Paneuropa oder Mitteleuropa. Einigungsbestrebungen im Kalkül deutscher Wirtschaft u n d Politik 1925-1933, 1977 Hans Robinsohn, Justiz als politische Verfolgung. Die Rechtsprechung in „Rassenschandefällen" beim Landgericht Hamburg 1936-1943, 1977 Fritz Blaich, Grenzlandpolitik im Westen 1926-1936. Die „Westhilfe" zwischen Reichspolitik u n d Länderinteressen, 1978 Udo Kissenkoetter, Gregor Straßer u n d die NSDAP, 1978 Seppo Myllyniemi, Die baltische Krise 1938-1941, 1979 Brewster S. Chamberlin, Kultur auf Trümmern. Berliner Berichte der amerikanischen Information Control Section Juli-Dezember 1945, 1979 Kai von Jena, Polnische Ostpolitik nach dem Ersten Weltkrieg. Das Problem der Beziehungen zu Sowjetrußland nach dem Rigaer Frieden von 1921, 1980 Ian Kershaw, Der Hitler-Mythos. Volksmeinung u n d Propaganda im Dritten Reich. Mit einer Einführung von Martin Broszat, 1980 Klaus-Dietmar Henke, Politische Säuberung unter französischer Besatzung. Die Entnazifizierung in WürttembergHohenzollern, 1981 Rudolf Uertz, Christentum u n d Sozialismus in der f r ü h e n CDU. Grundlagen u n d Wirkungen der christlich-sozialen Ideen in der Union 1945-1949, 1981 Dorothee Klinksiek, Die Frau im NS-Staat, 1982

Institutsveröffentlichungen Band 45 Band 46 Band 47 Band 48

Band 49 Band 50

Band 51 Band 52

Band 53

Band 54

Band 55

Band 56

Band 57 Band 58

Band 59

555

Horst Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie. Der Mythos vom Sieg der Gewerkschaften, 1982 Ingeborg Fleischhauer, Das Dritte Reich u n d die Deutschen in der Sowjetunion, 1983 Andreas Kranig, Lockung u n d Zwang. Zur Arbeitsverfassung im Dritten Reich, 1983 Lehrjahre der CSU. Eine Nachkriegspartei im Spiegel vertraulicher Berichte an die amerikanische Militärregierung. Hrsg. von Klaus-Dietmar Henke u n d Hans Woller, 1984 Hans Buchheim, Deutschlandpolitik 1949-1972, 1984 Gerald D. Feldman/Irmgard Steinisch, Industrie u n d Gewerkschaften 1918-1924. Die überforderte Zentralarbeitsgemeinschaft, 1985 Arthur L. Smith, Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Entlassung der deutschen Kriegsgefangenen, 1985 Norbert Frei, Amerikanische Lizenzpolitik u n d deutsche Pressetradition. Die Geschichte der Nachkriegszeitung Südost-Kurier, 1986 Werner Bührer, Ruhrstahl u n d Europa. Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- u n d Stahlindustrie u n d die Anfänge der europäischen Integration 1945-1952, 1986 Das Tagebuch der Hertha Nathorff Berlin-New York. Aufzeichnungen 1933-1945. Hrsg. u n d eingeleitet von Wolfgang Benz, 1987 Anfangsjahre der Bundesrepublik. Berichte der Schweizer Gesandtschaft in Bonn 1949-1955. Hrsg. von Manfred Todt, 1987 Nikolaus Meyer-Landrut, Frankreich u n d die deutsche Einheit. Die Haltung der französischen Regierung u n d Öffentlichkeit zu den Stalin-Noten 1952, 1988 Italien u n d die Großmächte 1943-1949. Hrsg. von Hans Woller, 1988 Helga A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- u n d Personalpolitik in Thüringen u n d Sachsen (1945-1948), 1989 Die Deutschnationalen u n d die Zerstörung der Weimarer Republik. Aus dem Tagebuch von Reinhold Quaatz 1928-1933. Hrsg. von Hermann Weiß u n d Paul Hoser, 1989

556 Band 60

Band 61

Band 62 Band 63 Band 64 Band 65

Band 66

Band 67

Band 68

Band 69 Band 70 Band 71 Band 72

Band 73

Band 74

Institutsveröffentlichungen Andreas Wilkens, Der unstete Nachbar. Frankreich, die deutsche Ostpolitik u n d die Berliner Vier-Mächte-Verhandlungen 1969-1974, 1990 Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. Hrsg. von Martin Broszat, 1990 Elisabeth Chowaniec, Der „Fall Dohnanyi" 1943-1945. Widerstand, Militäijustiz, SS-Willkür, 1991 Wolfgang Buschfort, Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung bis zur Berlin-Krise, 1991 Christian J a n s e n / A r n o Weckbecker, Der „Volksdeutsche Selbstschutz" in Polen 1939/40, 1992 Arthur L. Smith, Die „vermißte Million". Zum Schicksal deutscher Kriegsgefangener nach dem Zweiten Weltkrieg, 1992 Roger Engelmann/Paul Erker, Annäherung u n d Abgrenzung. Aspekte deutsch-deutscher Beziehungen 19561969, 1993 Spanien nach Franco. Der Ubergang von der Diktatur zur Demokratie 1975-1982. Hrsg. von Walther L. Bernecker und Carlos Collado Seidel, 1993 Von Adenauer zu Erhard. Studien zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger Jahren. Hrsg. von Rainer A. Blasius, 1994 Martin Sabrow, Der Rathenaumord. Politische Attentate gegen die Weimarer Republik 1921/22, 1994 Michael F. Scholz, Herbert Wehner in Schweden 19411946, 1995 Die Judenpolitik des SD 1935 bis 1938. Eine Dokumentation. Hrsg. u n d eingeleitet von Michael Wildt, 1995 Monika Dickhaus, Die Bundesbank im westeuropäischen Wiederaufbau. Die internationale Währungspolitik der Bundesrepublik Deutschland 1948 bis 1958, 1996 Uwe Gerrens, Medizinisches Ethos u n d theologische Ethik. Karl u n d Dietrich Bonhoeffer in der Auseinandersetzung um Zwangssterilisation u n d „Euthanasie" im Nationalsozialismus, 1996 Die Volksrichter in der SBZ/DDR. Eine Dokumentation. Hrsg. u n d eingeleitet von Hermann Wentker, 1997

InstitutsveröfFentlichungen Band 75 Band 76 Band 77

Band 78

557

Vom Ständestaat zur Demokratie. Portugal im zwanzigsten Jahrhundert. Hrsg. von Fernando Rosas, 1997 Drei Wege deutscher Sozialstaadichkeit. Hrsg. von Hans Günter Hockerts, 1998 Reinhard Otto, Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42, 1998 Katja Klee, Im „Luftschutzkeller des Reiches". Evakuierte in Bayern 1939-1953: Politik, soziale Lage, Erfahrungen, 1999

Sondernummern Aspekte deutscher Außenpolitik im 20. Jahrhundert. Aufsätze. Hans Rothfels zum Gedächtnis. Hrsg. von Wolfgang Benz und Hermann Graml, 1976 Sommer 1939. Die Großmächte und der Europäische Krieg. Hrsg. von Wolfgang Benz und Hermann Graml, 1979 Westdeutschland 1945-1955. Unterwerfung, Kontrolle, Integration. Hrsg. von Ludolf Herbst, 1986 Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Ludolf Herbst und Constantin Goschler, 1989 Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit. Hrsg. von Norbert Frei, 1991 Von der SBZ zur DDR. Studien zum Herrschaftssystem in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik. Hrsg. von Hartmut Mehringer, 1995 Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich. Hrsg. von Horst Möller, Andreas Wirsching und Walter Ziegler, 1996 Das deutsche Problem in der neueren Geschichte. Hrsg. von Karl Otmar Freiherr von Aretin, Jacques Bariety und Horst Möller, 1997 Erobert oder befreit? Deutschland im internationalen Kräftefeld und die sowjetische Besatzungszone (1945/46). Hrsg. von Hartmut Mehringer, Michael Schwartz und Hermann Wentker, 1998 Geglückte Integration? Spezifika und Vergleichbarkeiten der Vertriebenen-Eingliederung in der SBZ/DDR. Hrsg. von Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, 1999

Institutsveröffentlichungen

558

TV. Studien zur Zeitgeschichte (Deutsche

Band 1

Band 2 Band 3

Band 4 Band 5

Band 6 Band 7

Band 8 Band 9

Band 10 Band 11 Band 12 Band 13 Band 14

Verlagsanstalt/Oldenbourg)

Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg u n d seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, 2 2000 Shlomo Aronson, Reinhard Heydrich u n d die Frühgeschichte von Gestapo u n d SD, 1971 Günter Plum, Gesellschaftsstruktur u n d politisches Bewußtsein in einer katholischen Region 1928-1933. Untersuchungen am Beispiel des Regierungsbezirks Aachen, 1972 Lothar Kettenacker, Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsaß, 1973 Conrad F. Latour/Thilo Vogelsang, Okkupation u n d Wiederaufbau. Die Tätigkeit der Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands 1944-1947, 1973 Michael H. Kater, Das ,Ahnenerbe" der SS 1935-1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, 2 1997 Marie Elise Foelz-Schroeter, Föderalistische Politik u n d nationale Repräsentation 1945-1947. Westdeutsche Länderregierungen, zonale Bürokratien u n d politische Parteien im Widerstreit, 1974 Alexander Fischer, Sowjetische Deutschlandpolitik im Zweiten Weltkrieg 1941-1945, 1975. Wilfried Loth, Sozialismus und Internationalismus. Die französischen Sozialisten und die Nachkriegsordnung Europas 1940-1950, 1977 Gerold Ambrosius, Die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland 1945-1949, 1977 Johannes H. Voigt, Indien im Zweiten Weltkrieg, 1978 Heribert Piontkowitz, Anfänge westdeutscher Außenpolitik 1946-1949. Das Deutsche Büro für Friedensfragen, 1978 Christian Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht u n d die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, 1978 Hans-Dieter Kreikamp, Deutsches Vermögen in den Vereinigten Staaten. Die Auseinandersetzung um seine Rückf ü h r u n g als Aspekt der deutsch-amerikanischen Beziehungen 1952-1962, 1979

Institutsveröffentlichungen Band 15

Band 16 Band 17

Band 18

Band 19

Band 20

Band 21

Band 22 Band 23

Band 24

Band 25 Band 26

Band 27 Band 28

Band 29

559

H a n s j o a c h i m Hoppe, Bulgarien - Hitlers eigenwilliger Verbündeter. Eine Fallstudie zur nationalsozialistischen Südosteuropapolitik, 1979 Ilse Unger, Die Bayernpartei. Geschichte u n d Struktur 1945-1957, 1979 Norbert Frei, Nationalsozialistische Eroberung der Provinzpresse. Gleichschaltung, Selbstanpassung u n d Resistenz in Bayern, 1980 Heidrun Holzbach, Das „System Hugenberg". Die Organisation bürgerlicher Sammlungspolitik vor dem Aufstieg der NSDAP, 1981 Hans Woller, Die Loritz-Partei. Geschichte, Struktur u n d Politik der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV), 1945-1955, 1982 Peter Weilemann, Weltmacht in der Krise. Isolationistische Impulse in der amerikanischen Außenpolitik der siebziger Jahre, 1982 Ludolf Herbst, Der Totale Krieg und die O r d n u n g der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie u n d Propaganda 1939-1945, 1982 Peter Jakob Kock, Bayerns Weg in die Bundesrepublik, 1983 Holm Sundhausen, Wirtschaftsgeschichte Kroatiens im nationalsozialistischen Großraum 1941—1945. Das Scheitern einer Ausbeutungsstrategie, 1983 Ger van Roon, Zwischen Neutralismus u n d Solidarität. Die evangelischen Niederlande u n d der deutsche Kirchenkampf 1933-1942, 1983 Gerhard Hirschfeld, Fremdherrschaft u n d Kollaboration. Die Niederlande unter deutscher Besatzung 1940-45,1984 Leonid Luks, Entstehung der kommunistischen Faschismustheorie. Die Auseinandersetzung der Komintern mit Faschismus und Nationalsozialismus 1921-1935, 1984 Heinz Dieter Hölsken, Die V-Waffen. Entstehung - Propaganda - Kriegseinsatz, 1984 Patrick Moreau, Nationalsozialismus von links. Die „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten" u n d die „Schwarze Front" 1930-1935, 1984 Marie-Luise Recker, Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, 1985

560 Band 30

Band 31

Band 32

Band 33 Band 34

Band 35

Band 36

Band 37

Band 38

Band 39

Band 40

Band 41 Band 42 Band 43

Institutsveröffentlichungen Michael Prinz, Vom neuen Mittelstand zum Volksgenossen. Die Entwicklung des sozialen Status der Angestellten von der Weimarer Republik bis zum Ende der NS-Zeit, 1986 Wolfgang Zank, Wirtschaft u n d Arbeit in Ostdeutschland 1945-1949. Probleme des Wiederaufbaus in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, 1987 Klaus Segbergs, Die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Die Mobilisierung von Verwaltung, Wirtschaft u n d Gesellschaft im „Großen Vaterländischen Krieg" 1941-1943, 1987 Peter Longerich, Propagandisten im Krieg. Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop, 1987 Kai-Uwe Merz, Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948-1959, 1987 Margit Szöllösi-Janze, Die Pfeilkreuzlerbewegung in Ungarn. Historischer Kontext, Entwicklung u n d Herrschaft, 1989 Clemens Vollnhals, Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949. Die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit, 1989 Elisabeth Kraus, Ministerien für das ganze Deutschland? Der Alliierte Kontrollrat u n d die Frage gesamtdeutscher Zentralverwaltungen, 1990 Reinhold Brender, Kollaboration in Frankreich im Zweiten Weltkrieg. Marcel Deat u n d das Rassemblement national populaire, 1992 Jürgen Zarusky, Die deutschen Sozialdemokraten u n d das sowjetische Modell. Ideologische Auseinandersetzung u n d außenpolitische Konzeptionen 1917-1933, 1992 Roger Engelmann, Provinzfaschismus in Italien. Politische Gewalt u n d Herrschaftsbildung in der Marmorregion Carrara 1921-1924, 1992 Christoph Boyer, Zwischen Zwangswirtschaft u n d Gewerbefreiheit. Handwerk in Bayern 1945-1949, 1992 Detlef Garbe, Zwischen Widerstand u n d Martyrium. Die Zeugen Jehovas im „Dritten Reich", 3 1997 Stefan Zauner, Erziehung u n d Kulturmission. Frankreichs Bildungspolitik in Deutschland 1945-1949, 1994

Institutsveröffentlichungen Band 44

Band 45 Band 46 Band 47

Band 48

Band 49 Band 50

Band 51

Band 52

Band 53 Band 54 Band 55

Band 56 Band 57

561

Bettina Blank, Die westdeutschen Länder u n d die Entsteh u n g der Bundesrepublik. Zur Auseinandersetzung um die Frankfurter Dokumente vom Juli 1948, 1995 Petra Marquardt-Bigman, Amerikanische Geheimdienstanalysen über Deutschland 1942-1949, 1995 Eckart Lohse, Ostliche Lockungen und westliche Zwänge. Paris u n d die deutsche Teilung 1949 bis 1955, 1995 Dierk Hoffmann, Sozialpolitische Neuordnung in der SBZ/DDR. Der Umbau der Sozialversicherung 19451956, 1996 Abdolreza Scheybani, Handwerk u n d Kleinhandel in der Bundesrepublik Deutschland. Sozialökonomischer Wandel u n d Mittelstandspolitik 1949-1961, 1996 Reiner Marcowitz, Option für Paris? Unionsparteien, SPD u n d Charles de Gaulle 1958 bis 1969, 1996 Dieter Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941-1944. Organisation u n d Durchführung eines staatlichen Massenverbrechens, 2 1997 Matthias Peter, J o h n Maynard Keynes u n d die britische Deutschlandpolitik. Machtanspruch u n d ökonomische Realität im Zeitalter der Weltkriege 1919-1946, 1997 Dirk Kroegel, Einen Anfang finden! Kurt Georg Kiesinger in der Außen- u n d Deutschlandpolitik der Großen Koalition, 1997 Magnus Brechtken, „Madagaskar f ü r die Juden". Antisemitische Idee u n d politische Praxis 1885-1945, 1997 Astrid von Pufendorf, Otto Klepper (1889-1957). Deutscher Patriot u n d Weltbürger, 1997 Jürgen Klöckler, Abendland - Alpenland - Alemannien. Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland 1945-47, 1998 Damian van Melis, Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern. Herrschaft und Verwaltung 1945-1948, 1999 Ulrike Haerendel, Kommunaler Wohnungsbau im Dritten Reich. Siedlungsideologie, Kleinhausbau u n d „Wohnraumarisierung" am Beispiel Münchens, 1999

562

Institutsveröffentlichungen

V. (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte (Deutsche Verlagsanstalt/Oldenbourg) Band 1 Band 2 Band 3 Band 4 Band 5

Band 6 Band 7

Band 8 Band 9

Band 10

Band 11 Band 12 Band 13 Band 14 Band 15 Band 16/1

Peter Schneider, Ausnahmezustand u n d Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, 1957 Bernhard Vollmer, Volksopposition im Polizeistaat. Gestapo- u n d Regierungsberichte 1934-1936, 1957 Boris Celovsky, Das Münchner Abkommen 1938, 1958 Louis de Jong, Die deutsche 5. Kolonne im 2. Weltkrieg, 1959 Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen von Rudolf Höss. Eingeleitet u n d kommentiert von Martin Broszat, 1961 Tendenzen u n d Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit der Partei von Albert Krebs, 1959 Hitlers zweites Buch. Ein Dokument aus dem J a h r 1928. Eingeleitet u n d kommentiert von Gerhard L. Weinberg. Mit einem Geleitwort von Hans Rothfels, 1961 Alexander Hohenstein, Wartheländisches Tagebuch aus den Jahren 1941-1942, 1961 Der Hitler-Putsch. Bayerische Dokumente zum 8. u n d 9. November 1923. Eingeleitet u n d herausgegeben von Ernst Deuerlein, 1962 Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokollfragmente seiner militärischen Konferenzen 1942-1945. Hrsg. von Helm u t Heiber, 1962 Thilo Vogelsang, Reichswehr, Staat u n d NSDAP. Beiträge zur deutschen Geschichte 1930-1932, 1962 Hermann Böhme, Entstehung u n d Grundlagen des Waffenstillstandes von 1940, 1966 Helmut Heiber, Walter Frank u n d sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, 1966 Eberhard Jäckel, Frankreich in Hitlers Europa, 1966 Dieter Wolf, Die Doriot-Bewegung. Ein Beitrag zur Geschichte des französischen Faschismus, 1967 Hermann Weinkauff, Die deutsche Justiz u n d der Nationalsozialismus. Ein Uberblick. Albrecht Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung u n d des Verfahrensund Richterrechts im nationalsozialistischen Staat, 1968

Institutsveröffentlichungen Band 16/2 Band 1 6 / 3 Band 17 Band 18

Band 19

Band 20

Band 21 Band 22

Band 23

Band 24 Band 25

Band 26

Band 27 Band 28

Band 29

563

Rudolf Echterhölter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat, 1970 Walter Wagner, Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat, 2 2000 Wolfgang Rudzio, Die Neuordnung des Kommunalwesens in der Britischen Zone, 1968 Hans-Dietrich Loock, Quisling, Rosenberg u n d Terboven. Zur Vorgeschichte u n d Geschichte der nationalsozialistischen Revolution in Norwegen, 1970 Helmut Groscurth, Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940. Mit weiteren Dokumenten zur Militäropposition gegen Hitler. Hrsg. von Helmut Krausnick und Harold C. Deutsch unter Mitarbeit von Hildegard von Kotze, 1969 Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 1939-1945. Hrsg. von Werner Präg u n d Wolfgang Jacobmeyer, 1975 Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924. Hrsg. von Eberhard Jäckel zusammen mit Axel Kuhn, 1980 Helmut Krausnick/Hans-Heinrich Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei u n d des SD 1938-1942, 1981 Lehrstücke in Solidarität. Briefe u n d Biographien deutscher Sozialisten 1945-1949. Hrsg. von Helga Grebing, 1983 Alfred Kube, Pour le merite u n d Hakenkreuz. Hermann Göring im Dritten Reich, 1986 Hans Woller, Gesellschaft u n d Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach u n d Fürth, 1986 Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. Hrsg. von Martin Broszat, Klaus-Dietmar Henke u n d Hans Woller, 3 1990 Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, 2 1996 Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 19331940. Anpassung u n d Unterwerfung in der Ära Gürtner, 2 1990 H e r m a n n Graml, Europas Weg in den Krieg. Hitler u n d die Mächte 1939, 1990

564 Band 30

Band 31 Band 32 Band 33 Band 34

Band 35

Band 36

Band 37 Band 38 Band 39

Band 40

Band 41 Band 42

Band 43

Band 44

Institutsveröffentlichungen Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt. Hrsg. von Ludolf Herbst, Werner Bührer u n d H a n n o Sowade, 1990 Christoph Buchheim, Die Wiedereingliederung Westdeutschlands in die Weltwirtschaft 1945-1958, 1990 Werner Bührer, Westdeutschland in der OEEC. Eingliederung, Krise, Bewährung 1947-1961, 1997 Dimension des Völkermords. Die Zahl derjüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Hrsg. von Wolfgang Benz, 1991 Constantin Goschler, Wiedergutmachung. Westdeutschland u n d die Verfolgten des Nationalsozialismus 19451954, 1992 OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949. Hrsg. von Christoph Weisz, 2 1996 Winfried Müller, Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Besatzungsmacht 19451949, 1995 Gunther Mai, Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945-1948. Alliierte Einheit - deutsche Teilung?, 1995 Hans Woller, Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948, 1996 Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft u n d Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrieeliten. Hrsg. von Paul Erker u n d Toni Pierenkemper, 1999 Andreas Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus in Deutschland und Frankreich 1918-1933/39. Berlin u n d Paris im Vergleich, 1999 Thomas Schlemmer, Aufbruch, Krise u n d Erneuerung. Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955, 1998 Christoph Boyer, Nationale Kontrahenten oder Partner? Studien zu den Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen in der Wirtschaft der CSR (1918-1938), 1999 Jaroslav Kucera, Minderheit im Nationalstaat. Die Sprachenfrage in den tschechisch-deutschen Beziehungen 1918-1938, 1999 Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Struktur u n d Funktion, 1999 (Akademie Verlag)

Institutsveröffentlichungen Band 45

565

Werner Plumpe, Betriebliche Mitbestimmung in der Weimarer Republik. Fallstudien zum Ruhrbergbau u n d zur Chemischen Industrie, 1999

VI. Biographische (Quellen zur Zeitgeschichte (Bd. 1 - Bd. 15: Biographische Quellen zur deutschen Geschichte nach 1945) (Oldenbourg) Band 1

Band 2 Band 3

Band 4

Band 5

Band 6

Band 7 Band 8 Band 9

Band 10

Band 11

Ludwig Vaubel, Zusammenbruch u n d Wiederaufbau. Ein Tagebuch aus der Wirtschaft 1945-1949. Hrsg. von Wolfgang Benz, 2 1985 Entscheidung für die SPD. Briefe u n d Aufzeichnungen linker Sozialisten 1944-1948. Hrsg. von Helga Grebing, 1984 Heinrich Troeger, Interregnum. Tagebuch des Generalsekretärs des Länderrats der Bizone 1947-1949. Hrsg. von Wolfgang Benz und Constantin Goschler, 1985 Kriegsende und Neuanfang am Rhein. Konrad Adenauer in den Berichten des Schweizer Generalkonsuls Franz-Rudolph von Weiss 1944-1945. Hrsg. von Hanns Jürgen Küsters u n d Hans Peter Mensing, 1986 Ludwig Bergsträsser, Befreiung, Besatzung, Neubeginn. Tagebuch des Darmstädter Regierungspräsidenten 19451948. Hrsg. von Walter Mühlhausen, 1987 Wolfgang Schollwer, Potsdamer Tagebuch 1948-1950. Liberale Politik unter sowjetischer Besatzung. Hrsg. von Monika Faßbender, 1988 Wilhelm Külz, Ein Liberaler zwischen Ost u n d West. Aufzeichnungen 1947-1948. Hrsg. von Hergard Röbel, 1989 Unruhige Zeiten. Erlebnisberichte aus dem Landkreis Celle 1945-1949. Hrsg. von Rainer Schulze, 1990 Wolfgang Schollwer, Liberale Opposition gegen Adenauer. Aufzeichnungen 1957-1961. Hrsg. von Monika Faßbender, 1990 Kriegsgefangenschaft. Berichte über das Leben in Kriegsgefangenenlagern der Allierten von Otto Engelbert, Hans Jonitz, Kurt Glaser und Heinz Pust. Hrsg. von Wolfgang Benz und Angelika Schardt, 1991 Ursula Hübler, Meine Vertreibung aus Prag 1945/46. Erinnerungen an den Prager Aufstand 1945 u n d seine Folgen. Hrsg. von Juliane Wetzel, 1991

566 Band 12

Band 13

Band 14

Band 15 Band 16

Band 17 Band 18

Band 19

Band 20

Band 21

Institutsveröffentlichungen Johannes Vogler, Von der Rüstungsfirma zum volkseigenen Betrieb. Aufzeichnungen eines Unternehmers der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands von 19451948. Hrsg. von Burghard Ciesla, 1992 Neuanfang auf Trümmern. Die Tagebücher des Bremer Bürgermeisters Theodor Spitta 1945-1947. Hrsg. von Ursula Büttner u n d Angelika Voß-Louis, 1992 James K. Pollock, Besatzung und Staatsaufbau nach 1945. Occupation Diary and Private Correspondence 19451948. Hrsg. von Ingrid Krüger-Bulcke, 1994 Wolfgang Schollwer, FDP im Wandel. Aufzeichnungen 1961-1966. Hrsg. von Monika Faßbender, 1994 Karl Buchheim. Eine sächsische Lebensgeschichte. Erinnerungen 1889-1972. Bearbeitet von Udo Wengst und Isabel F. Pantenburg, 1996 Kriegsende und Neuanfang in Augsburg 1945. Erinnerungen u n d Berichte. Bearbeitet von Karl-Ulrich Gelberg, 1996 Werner Terpitz, Wege aus dem Osten. Flucht u n d Vertreibung einer ostpreußischen Pfarrersfamilie. Bearbeitet von Michael Schwartz, 1997 Manfred Gebhard/Joachim Küttner, Deutsche in Polen nach 1945. Gefangene u n d Fremde. Bearbeitet von Dieter Bingen, 1997 Max Hirschberg. J u d e u n d Demokrat. Erinnerungen eines Münchener Rechtsanwalts 1883 bis 1939. Bearbeitet von Reinhard Weber, 1998 Hans Reichmann, Deutscher Bürger u n d verfolgter Jude. Novemberpogrom u n d KZ Sachsenhausen 1937 bis 1939. Bearbeitet von Michael Wildt, 1998

VII. Texte und Materialien zur Zeitgeschichte

Band 1

Band 2

Wördiche Berichte u n d Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947-1949. 6 Bände. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte u n d dem Deutschen Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. Bearbeitet von Christoph Weisz u n d Hans Woller, 1977 (Oldenbourg) Hinrich Rüping. Bibliographie zum Strafrecht im Nationalsozialismus. Literatur zum Straf-, Strafverfahrens-

Institutsveröffentlichungen

Band 3

Band 4

Band 5

Band 7

Band 8

Band 9

567

und Strafvollzugsrecht mit ihren Grundlagen und einem Anhang: Verzeichnis der öffentlichen Entscheidungen der Sondergerichte. Unter Mitarbeit von Josef Deuringen Gisela von Knorring und Kerstin Langen, 1985 (01denbourg) Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates. Die Uberlieferung von Behörden und Einrichtungen des Reichs, der Länder und der NSDAP. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte bearbeitet von Heinz Boberach. Teil 1: 1991, Teil 2: 1995 (Saur) Die CSU 1945-1948. Protokolle und Materialien zur Frühgeschichte der Christlich-Sozialen Union. Hrsg. von Barbara Fait und Alf Mintzel unter Mitarbeit von Thomas Schlemmer, 1993 (Oldenbourg) Amter, Abkürzungen, Aktionen des NS-Staates. Handbuch für die Benutzung von Quellen der nationalsozialistischen Zeit. Amtsbezeichnungen, Ränge und Verwaltungsgliederungen, Abkürzungen und nichtmilitärische Tarnbezeichnungen. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte bearbeitet von Heinz Boberach, Rolf Thommes und Hermann Weiß, 1997 (Saur) Widerstand als „Hochverrat" 1933-1945. Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht. Erschließungsband zur Mikrofiche-Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte bearbeitet von Jürgen Zarusky und Hartmut Mehringer, 1998 (Saur) Inventar der Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949 - Offene Serie - Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte zusammengestellt und bearbeitet von Jan Foitzik, 1995 (Saur) Deutsche und Polen zwischen den Kriegen. Minderheitenstatus und „Volkstumskampf" im Grenzgebiet. Amtliche Berichterstattung aus beiden Ländern 1920-1939. Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und der Generaldirektion des Polnischen Staatsarchives von Rudolf Jaworski und Marian Wojciechowksi. Bearbeitet von Mathias Niendorf und Przemyslaw Hauser, 2 Bände, 1997 (Saur)

568 Band 10

Band 11

Institutsveröffentlichungen Deutschland im ersten Nachkriegsjahr. Berichte von Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) aus dem besetzten Deutschland 1945/46. Herausgegeben und bearbeitet von Martin Rüther, Uwe Schütz und Otto Dann, 1998 (Saur) Das SKK-Statut. Zur Geschichte der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland 1949-1953. Eine Dokumentation. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte zusammengestellt und eingeleitet von Elke Scherstjanoi 1998 (Saur)

VIII. Kolloquien des Instituts für Zeitgeschichte (Oldenbourg) Wissenschaftsfreiheit und ihre rechtlichen Schranken, 1978 Totalitarismus und Faschismus. Eine wissenschaftliche und politische Begriffskontroverse, 1980 Der Weg nach Pankow. Zur Gründungsgeschichte der DDR, 1980 NS-Recht in historischer Perspektive, 1981 Nachkriegsgesellschaften im historischen Vergleich. Großbritannien, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland, 1982 Deutscher Sonderweg - Mythos oder Realität?, 1982 Der 1983 italienische Faschismus. Probleme und Forschungstendenzen, Alltagsgeschichte der NS-Zeit. Neue Perspektive oder Trivalisierung?, 1984 Medizin im Nationalsozialismus, 1988

IX. Einzelwerke Deutsche Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg (Oldenbourg) Band 1

Helmut Heiber, Die Republik von Weimar. Hermann Graml, Europa zwischen den Kriegen. Martin Broszat, Der Staat Hiüer, 1971

Institutsveröffentlichungen Band 2

Band 3

569

Lothar Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg. Thilo Vogelsang. Das geteilte Deutschland. Dietmar Petzina, Grundriß der deutschen Wirtschaftsgeschichte 1918-1945, 1973 Wolfgang Benz, Quellen zur Zeitgeschichte, 1973

Bayern in der NS-Zeit. Studien und Dokumentationen in sechs Bänden ( Oldenbourg) Bayern in der NS-Zeit I. Soziale Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte. Hrsg. von Martin Broszat, Elke Fröhlich und Falk Wiesemann, 1977 Bayern in der NS-Zeit II. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. Teil A. Hrsg. von Martin Broszat und Elke Fröhlich, 1979 Bayern in der NS-Zeit III. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. Teil B. Hrsg. von Martin Broszat, Elke Fröhlich und Anton Grossmann, 1981 Bayern in der NS-Zeit IV. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. Teil C. Hrsg. von Martin Broszat, Elke Fröhlich und Anton Grossmann, 1981 Bayern in der NS-Zeit V. Hrsg. von Martin Broszat und Hartmut Mehringer. Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand. Von Hartmut Mehringer, Anton Grossmann und Klaus Schönhoven, 1983 Bayern in der NS-Zeit VI. Hrsg. von Martin Broszat und Elke Fröhlich. Die Herausforderung des Einzelnen. Geschichten über Widerstand und Verfolgung. Von Elke Fröhlich, 1983 Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949 ( Oldenbourg) Hrsg. von Bundesarchiv und Institut für Zeitgeschichte Band 1 Band 2 Band 3 Band 4 Band 5

September 1945 - Dezember 1946. Bearbeitet von Walter Vogel und Christoph Weisz, 1976 Januar 1947 - Juni 1947. Bearbeitet von Wolfram Werner, 1979 Juni 1947 - Dezember 1947. Bearbeitet von Günter Plum, 1982 Januar 1948 - Dezember 1948. Bearbeitet von Christoph Weisz, Hans-Dieter Kreikamp und Bernd Steger, 1983 Januar 1949 - Dezember 1949. Bearbeitet von Hans-Dieter Kreikamp, 1981

570

Institutsveröffentlichungen

Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949. Sonderausgabe: 9 Bände broschiert in Kassette, 1989 Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland ( Oldenbourg) Hrsg. i. A. des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte Hauptherausgeber Hans-Peter Schwarz, Mitherausgeber Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey 1949/50. Bearbeitet von Michael F. Feldkamp und Daniel Kosthorst. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius, 1997 1963. Drei Teilbände. Bearbeitet von Mechthild Lindemann und Ilse Dorothee Pautsch. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius, 1994 1964. 2 Teilbände. Bearbeitet von Wolfgang Hölscher und Daniel Kosthorst. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius, 1995 1965. 3 Teilbände. Bearbeitet von Mechthild Lindemann und Ilse Dorothee Pautsch. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius, 1995 1966. 2 Teilbände. Bearbeitet von Matthias Peter und Harald Rosenbach. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius, 1997 1967. 3 Teilbände. Bearbeitet von Ilse Dorothee Pautsch, Jürgen Klöckler und Harald Rosenbach. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius, 1998 1968. 2 Teilbände. Bearbeitet von Mechthild Lindemann und Matthias Peter. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius, 1999 Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. International Biographical Dictionary of Central European Emigres 1933-1945 (Saur) Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte, München, und der Research Foundation for Jewish Immigration, New York, unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss Band I Band II Band III

Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben (in Deutsch), 1980 The Arts, Sciences and Literature (in Englisch), 1983 Gesamtregister/Index (zweisprachig)

Institutsveröffentlichungen

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SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945-1949 (Oldenbourg) Im Auftrag des Arbeitsbereiches Geschichte und Politik der DDR an der Universität Mannheim und des Instituts für Zeitgeschichte, München, hrsg. von Martin Broszat und Hermann Weber, 1990 Bibliographie zur Zeitgeschichte 1953-1995 (Saur) Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte, München, begründet von Thilo Vogelsang, bearbeitet von Hellmuth Auerbach, Christoph Weisz, Ursula van Laak, Hedwig Straub-Woller und Ingeborg Unal Band Band Band Band Band

I II III IV V

Allgemeiner Teil, 1982 Geschichte des 20. Jahrhunderts bis 1945, 1982 Geschichte des 20. Jahrhunderts seit 1945, 1983 Supplement 1981-1989, 1991 Supplement 1990-1995, 1996

Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP (Oldenbourg/Saur) Mikrofiche-Edition. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte Erschließungsbände Teil I Regesten, Band 1. Bearbeitet von Helmut Heiber unter Mitwirkung von Hildegard von Kotze, Gerhard Weiher, Ino Arndt und Carla Mojto, 1983 Regesten, Band 2. Bearbeitet von Helmut Heiber unter Mitwirkung von Gerhard Weiher und Hildegard von Kotze, 1983 Register, Band 1/2. Bearbeitet von Helmut Heiber unter Mitwirkung von Volker Dahm, Hildegard von Kotze, Gerhard Weiher und Reinhilde Staude, 1983 Teil II Regesten, Band 3. Bearbeitet und mit einer ausführlichen Einleitung von Peter Longerich: „Hitlers Stellvertreter", 1992 Regesten, Band 4. Bearbeitet von Peter Longerich, 1992 Register, Band 3/4. Bearbeitet von Peter Longerich, 1992 Mikrofiche-Edition des Bestandes. Ca. 200000 Seiten auf 491 Mikrofiches. Lesefaktor 48 χ.

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Institutsveröffentlichungen

Die Tagebücher von Joseph Goebbels (Saur) a) Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Hrsg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und in Verbindung mit dem Bundesarchiv, 1987 Teil I: Aufzeichnungen 1924-1941 Band 1: 27. 6. 1924-31. 12. 1930 Band 2: 1. 1. 1931-31. 12. 1936 Band 3: 1. 1. 1937-31. 12. 1939 Band 4: 4. 11. 1940-8. 7. 1941 Interimsregister b) Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Hrsg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands Teil I: Aufzeichnungen 1923-1941 (9 Bände, bisher erschienen 4 Bände) Band 6: August 1938-Juni 1939. Bearbeitet von Jana Richter, 1998 Band 7: Juli 1939-März 1940. Bearbeitet von Elke Fröhlich, 1998 Band 8: April-November 1940. Bearbeitet von Jana Richter, 1998 Band 9: Dezember 1940-Juli 1941. Bearbeitet von Elke Fröhlich, 1998 Teil II: Diktate 1941-1945 Band 1 Juli-September 1941. Bearbeitet von Elke Fröhlich, 1996 Band 2 Oktober-Dezember 1941. Bearbeitet von Elke Fröhlich, 1996 Band 3 Januar-März 1942. Bearbeitet von Elke Fröhlich, 1995 Band 4 April-Juni 1942. Bearbeitet von Elke Fröhlich, 1995 Band 5 Juli-September 1942. Bearbeitet von Angela Stüber, 1995 Band 6 Oktober—Dezember 1942. Bearbeitet von Hartmut Mehringer, 1996

Institutsveröffentlichungen

573

Band 7 Januar-März 1943. Bearbeitet von Elke Fröhlich, 1993 Band 8 April-Juni 1943. Bearbeitet von Hartmut Mehringer, 1993 Band 9 Juli-September 1943. Bearbeitet von Manfred Kittel, 1993 Band 10 Oktober-Dezember 1943. Bearbeitet von Volker Dahm, 1994 Band 11 Januar-März 1944. Bearbeitet von Dieter Marc Schneider, 1994 Band 12 April-Juni 1944. Bearbeitet von Hartmut Mehringer, 1995 Band 13 Juli-September 1944. Bearbeitet von Jana Richter, 1995 Band 14 Oktober-Dezember 1944. Bearbeitet von Jana Richter und Hermann Graml, 1995 Band 15 Januar-April 1945. Bearbeitet von Maximilian Gschaid, 1995 Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933 (Saur) Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte, mit einem Ergänzungsband „Der Hiüer-Prozess 1924" Band I Band II

Band IIA

Band III

Die Wiedergründung der NSDAP. Februar 1925-Juni 1926. Hrsg. und kommentiert von Clemens Vollnhals, 1992 Vom Weimarer Parteitag bis zur Reichstagswahl. Juli 1926-Mai 1928. Hrsg. und kommentiert von Bärbel Dusik. Teil 1: Juli 1926-Juli 1927, 1992. Teil 2: August 1927Mai 1928, 1992 Außenpolitische Standortbetimmung nach der Reichstagswahl. Juni-Juli 1928. Hrsg. und kommentiert von Gerhard L. Weinberg, Christian Hartmann und Klaus A. Lankheit, 1995 Zwischen den Reichstagswahlen. Juli 1928-September 1930. Teil 1: Juli 1928-Februar 1929. Hrsg. und kommen-

574

Institutsveröffentlichungen

tiert von Bärbel Dusik und Klaus A. Lankheit unter Mitwirkung von Christian Hartmann, 1994. Teil 2: März 1929-Dezember 1929. Hrsg. und kommentiert von Klaus A. Lankheit, 1994. Teil 3: Januar 1930-September 1930. Hrsg. und kommentiert von Christian Hartmann, 1995 Von der Reichstagswahl bis zur Reichspräsidentenwahl. OkBand IV tober 1930-März 1932. Teil 1: Oktober 1930-Juni 1931. Hrsg. und kommentiert von Constantin Goschler, 1994. Teil 2: Juli 1931-Dezember 1931. Hrsg. und kommentiert von Christian Hartmann, 1996. Teil 3: Januar 1932-März 1932. Hrsg. und kommentiert von Christian Hartmann, 1997 Band V Von der Reichspräsidentenwahl bis zur Machtergreifung. April 1932-Januar 1933. Teil 1: April 1932-September 1932. Hrsg. und kommentiert von Klaus A. Lankheit, 1996. Teil 2: Oktober 1932-Januar 1933. Hrsg. und kommentiert von Christian Hartmann und Klaus A. Lankheit, 1998 Ergänzungsband: Der Hitler-Prozess 1924. Hrsg. von Lothar Gruchmann und Reinhard Weber unter Mitarbeit von Otto Gritschneder Teil 1: 1.-4. Verhandlungstag, 1997 Teil 2: 5.-11. Verhandlungstag, 1998 Teil 3: 12.-18. Verhandlungstag, 1998 Teil 4: 19.-25. Verhandlungstag, 1999 Widerstand als „Hochverrat" 1933-1945. Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht ((Saur) Mikrofiche-Edition. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte. Bearbeitet von Jürgen Zarusky und Hartmut Mehringer, 1998 Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich: Dokumente 1949-1963 (Saur) Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Zeitgeschichte Band 1

Band 2

Außenpolitik und Diplomatie. Hrsg. von Horst Möller und Klaus Hildebrand. Bearbeitet von Ulrich Lappenküper, 1997 Wirtschaft. Hrsg. von Horst Möller und Klaus Hildebrand. Bearbeitet von Andreas Wilkens, 1997

Institutsveröffentlichungen Band 3

Band 4

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Parteien, Öffentlichkeit, Kultur. Hrsg. von Horst Möller und Klaus Hildebrand. Bearbeitet von Herbert Elzer, 1997 Register. Bearbeitet von Herbert Elzer, in Zusammenarbeit mit Ulrich Lappenküper und Andreas Wilkens, in Vorbereitung

Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918-1945. Geschichte und Zerstörung (Oldenbourg) Hrsg. und bearbeitet von Baruch Z. Ophir und Falk Wiesemann, 1979 Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. Beiträge von Martin Broszat (Oldenbourg) Hrsg. von Hermann Graml und Klaus-Dietmar Henke, 1986 Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft (Beck) Unter Mitarbeit von Volker Dahm, Konrad Kwiet, Günter Plum, Clemens Vollnhals, Juliane Wetzel hrsg. von Wolfgang Benz, 1988, 4 1996 Hartmut Mehringer, Waldemar von Knoeringen. Teil 1 - Eine politische Biographie. Der Weg vom revolutionären Sozialismus zur sozialen Demokratie (Saur) Hrsg. vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Institut für Zeitgeschichte (Schriftenreihe der Georg-von-VollmarAkademie, Band 2), 1989 Peter Longerich, Hitlers Stellvertreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die ParteiKanzlei Bormanns (Saur) Eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte, 1992 Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, 1996, 21997 (Beck) Udo Wengst, Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie ( Oldenbourg) Eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte und der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 1997

576

Institutsveröffentlichungen

Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz (Saur) Publiziert mit Unterstützung des Instituts für Zeitgeschichte Teil I Teil II

Der Professor im Dritten Reich. Bilder aus der akademischen Provinz, 1991 Die Kapitulation der Hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen. Band 1: 1992, Band 2: 1994

X.

Taschenbuchreihen

1. dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts (Deutscher Taschenbuch Verlag) Hrsg. von Martin Broszat und Helmut Heiber Hans Herzfeld, Der Erste Weltkrieg, 71985 Gerhard Schulz, Revolutionen und Friedensschlüsse 1917-1920, 61985 Helmut Heiber, Die Republik von Weimar, 221996 Ernst Nolte, Die faschistischen Bewegungen, 91984 Hermann Graml, Europa zwischen den Kriegen, 51982 Gottfried-Karl Kindermann, Der Ferne Osten, 1970 Erich Angermann, Die Vereinigten Staaten von Amerika seit 1917, 9 1995 Karl-Heinz Ruffmann, Sowjetrußland. Struktur und Entfaltung einer Weltmacht, 101984 Martin Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlagen und Entwicklung seiner inneren Verfassung, 141995 Lothar Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg. Kriegsführung und Politik, 101995 Thilo Vogelsang, Das geteilte Deutschland,

131985

Franz Ansprenger, Auflösung der Kolonialreiche, 41981 Wilfried Loth, Die Teilung der Welt 1941-1945, 92000 Wolfgang Wagner, Europa zwischen Aufbruch und Restauration, 1968

Institutsveröffentlichungen

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2. Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Deutscher Taschenbuch Verlag) Hrsg. von Martin Broszat, Wolfgang Benz und Hermann Graml in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte Peter Burg, Der Wiener Kongreß. Der Deutsche Bund im europäischen Staatensystem, 1993 Wolfgang Hardtwig, Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum, überarbeitete Neuauflage 4 1998 Hagen Schulze, Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, 5 1997 Michael Stürmer, Die Reichsgründung. Deutscher Nationalstaat und europäisches Gleichgewicht im Zeitalter Bismarcks, 5 1997 Wilfried Loth, Das Kaiserreich. Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung, 2 1997 Richard H. Tilly, Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschafdichsoziale Entwicklung Deutschlands 1834-1914, 1990 Helga Grebing, Arbeiterbewegung. Sozialer Protest und kollektive Interessensvertretung bis 1914, 3 1993 Hermann Glaser, Bildungsbürgertum und Nationalismus. Politik und Kultur im Wilhelminischen Deutschland, 1993 Michael Fröhlich, Imperialismus. Deutsche Kolonial- und Weltpolitik 1880-1914, 2 1997 Gunther Mai, Das Ende des Kaiserreichs. Politik und Kriegführung im Ersten Weltkrieg, s 1997 Klaus Schönhoven, Reformismus und Radikalismus. Gespaltene Arbeiterbewegung im Weimarer Sozialstaat, 1989 Horst Möller, Weimar. Die unvollendete Demokratie, 6 1997 Peter Krüger, Versailles. Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung, 2 1993 Corona Hepp, Avantgarde. Moderne Kunst, Kulturkritik und Reformbewegungen nach der Jahrhundertwende, 2 1992 Fritz Blaich, Der Schwarze Freitag. Inflation und Wirtschaftskrise, 3 1994

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Institutsveröffentlichungen

Martin Broszat, Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP u n d die Zerstörung der Weimarer Republik, 5 1994 Norbert Frei, Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, 5 1997 Bernd-Jürgen Wendt, Großdeutschland. Außenpolitik u n d Kriegsvorbereitung des Hitler-Regimes, 2 1993 Hermann Graml, Reichskristallnacht. Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich, 3 1998 Hartmut Mehringer, Widerstand u n d Emigration. Das NS-Regime und seine Gegner, 2 1998 Lothar Gruchmann, Totaler Krieg. Vom Blitzkrieg zur bedingungslosen Kapitulation, 1991 Wolfgang Benz, Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vier-Zonen-Deutschland, s 1994 Wolfgang Benz, Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone zum souveränen Staat, 5 1999 Dietrich Staritz, Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat, 3 1995 Kurt Sontheimer, Die Adenauer-Ära. Grundlegung der Bundesrepublik, 2 1996 Ludolf Herbst, Option f ü r den Westen. Vom Marshallplan bis zum deutsch-französischen Vertrag, 2 1996 Peter Bender, Die „Neue Ostpolitik" u n d ihre Folgen. Vom Mauerbau bis zur Vereinigung, 4 1996 Thomas Ellwein, Krisen u n d Reformen. Die Bundesrepublik seit den sechziger Jahren, 2 1993 Helga Haftendorn, Sicherheit u n d Stabilität. Außenbeziehungen der Bundesrepublik zwischen Ölkrise u n d Nato-Doppelbeschluß, 1986

Institutsveröffentlichungen

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XI. Selbständige Veröffentlichungen bis 1955 (Deutsche Verlagsanstalt) Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 19411942. Im Auftrag des Deutschen Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit geordnet, eingeleitet u n d veröffentlicht von Gerhard Ritter, 1951 Hermann Foertsch, Schuld u n d Verhängnis. Die Fritsch-Krise im Frühj a h r 1938 als Wendepunkt in der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, 1951 Erich Matthias, Sozialdemokratie u n d Nation. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der sozialdemokratischen Emigration in der Prager Zeit des Parteivorstandes 1933-1938, 1952 Hans Buchheim, Glaubenskrise im Dritten Reich. Drei Kapitel nationalsozialistischer Religionspolitik, 1953 Walther Hofer, Die Entfesselung des zweiten Weltkrieges. Eine Studie über die internationalen Beziehungen im Sommer 1939, 1954 Hedwig Conrad-Martius, Utopien der Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus u n d seine Folgen, 1955 (Kösel-Verlag) Fritz Frhr. v. Siegler, Die höheren Dienststellen der deutschen Wehrmacht 1933-1945. Im Auftrag des Instituts f ü r Zeitgeschichte zusammengestellt u n d erläutert von Fritz Frhr. v. Siegler, 1953 Franz Herre u n d Hellmuth Auerbach, Bibliographie zur Zeitgeschichte und zum Zweiten Weltkrieg f ü r die Jahre 1945-1950, 1955

XII. Weitere Veröffentlichungen Das Dritte Reich u n d Europa. Bericht über die Tagung des Instituts f ü r Zeitgeschichte in Tutzing, 1957 (Selbstverlag des IfZ) Günter Plum, Die Gauleiter der NSDAP, 1925-1945 (Bibliographie), 1966 (2. Aufl. 1970 u. d. T.: Bibliographie der Gauleiter der NSDAP) (Selbstverlag des IfZ) Hermann Mau u n d Helmut Krausnick, Deutsche Geschichte der jüngsten Vergangenheit, 1933-1945. Mit einem Nachwort von Peter Rassow,

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Institutsveröffentlichungen

1956 (Erstmals in: Deutsche Geschichte im Überblick. Ein H a n d b u c h . Hrsg. von Peter Rassow, 1955) (Bundeszentrale für Heimatdienst) H e l m u t Krausnick, Vorgeschichte u n d Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler. Sonderdruck aus: Die Vollmacht des Gewissens (Einmaliger Sonderdruck f ü r die Teilnehmer der Internationalen Tag u n g f ü r Zeitgeschichte), 1956 (Selbstverlag des IfZ) Gutachten des Instituts f ü r Zeitgeschichte. Band 1, 1958, Band 2, 1966 (Bd. 1: Selbstverlag des IfZ, Bd. 2: Deutsche Verlagsanstalt) Stationen der deutschen Geschichte 1919-1945. Internationaler Kongreß zur Zeitgeschichte M ü n c h e n . Hrsg. von Burghard Freudenfeld, 1962 (Deutsche Verlagsanstalt) Anatomie des SS-Staates. Gutachten des Instituts f ü r Zeitgeschichte (Mit Beiträgen von Hans Buchheim, Martin Broszat, Hans-Adolf Jacobsen u n d H e l m u t Krausnick), 2 Bände, 1965 (Walter) Karlheinz Dederke, Reich u n d Republik. Deutschland 1917-1933. In Verbindung mit d e m Institut f ü r Zeitgeschichte, 1969 (Klett) Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur u n d Geschichte. Vorträge aus d e m Institut f ü r Zeitgeschichte. Hrsg. von Martin Broszat u n d Horst Möller, 2 1986 (Beck) Deutschlands Weg in die Diktatur. Internationale Konferenz zur nationalsozialistischen M a c h t ü b e r n a h m e im Reichstagsgebäude in Berlin. Referate u n d Diskussionen. Im Auftrag d e r Historischen Kommission in Berlin, d e m Institut f ü r Zeitgeschichte, München, der Deutschen Vereinigung f ü r Parlamentsfragen, Bonn, hrsg. von Martin Broszat u. a„ 1983 (Siedler)

Veröffentlichungen über das Institut

Hellmuth Krausnick, Das Institut für Zeitgeschichte in München. Im Dienste der Aufklärung über den Nationalsozialismus. Echte Erforschung vom deutschen Standpunkt aus. Vom Kommissarischen Generalsekretär, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 86, 8. Mai 1953, S. 735-736 Paul Kluke, Das Institut für Zeitgeschichte in München, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 12 (1954), S. 238-244 Günter Paulus, Wissenschaftliche Zeitgeschichte oder Apologie des deutschen Imperialismus?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3 (1955), S. 3-28 Joachim Höppner, Das Institut für Zeitgeschichte in München und seine Arbeit im Dienste der militaristisch-klerikalen Herrschaft des westdeutschen Imperialismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 7 (1959), S. 346-267 Robert Koehl, Zeitgeschichte and the new German Conservatism, in: Journal of Central European Affairs 20 (1960), S. 131-157 Hans Schwab-Felisch, Ein Institut in Nöten, in: Der Monat 13 (1961), Heft 153, S. 84-90 John Gimbel, The origins of the Institut für Zeitgeschichte. Scholarship, politics, and the American occupation, 1945-1949, in: American Historical Review 70 (1964/65), S. 714-731 Helmut Krausnick, Zur Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 19 (1968), S. 90-96 Hellmuth Auerbach, Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 18 (1970), S. 529-554 Werner Röder, Die Dokumentation zur Emigration, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 9 (1972), S. 54-57

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Veröffentlichungen über das Institut für Zeitgeschichte

Anton Hoch, Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, in: Der Archivar 26 (1973), S. 295-308 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Statt einer Festschrift. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, München-Stuttgart 1975 Werner Röder, Quellen zur Geschichte der deutschsprachigen Emigration im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, in: Jahrbuch f ü r Internationale Germanistik 7 (1975), S. 142-170 Karl Ferdinand Werner, 25 Jahre Institut f ü r Zeitgeschichte. Bemerkungen zu einem Jubiläum, in: Francia 4 (1976), S. 785-802 Gitta Wolff, Behörden- u n d verbandsgeschichtliche Dokumentation der Vor- u n d Frühgeschichte der Bundesrepublik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1977), S. 931 f. Hellmuth Auerbach, Das Institut für Zeitgeschichte u n d seine Bibliothek, in: Bibliotheksforum Bayern 8 (1980), S. 220-232 Hermann Weiß, Abschlußbericht über das OMGUS-Projekt, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 32 (1984), S. 318-326 Werner Röder, Die archivalischen Sammlungen im Institut für Zeitgeschichte in München, in: Der Archivar 3 (1985), S. 415-424 Horst Möller, Zeitgeschichte - Fragestellungen, Interpretationen, Kontroversen, in: Aus Politik u n d Zeitgeschichte Β 22 (1988), S. 3-16 Winfried Schulze, Die Auseinandersetzungen um das Institut für Zeitgeschichte, in: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S. 229-242 Werner Röder, Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte u n d seine Pressesammlungen, in: Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern 31 (1989), S. 74-82 Mit dem Pathos der Nüchternheit. Martin Broszat, das Institut f ü r Zeitgeschichte u n d die Erforschung des Nationalsozialismus. Herausgegeben von Klaus-Dietmar Henke und Claudio Natoli, Frankfurt am Main 1991 Werner Röder, Quellen u n d Quellennachweise zur deutschsprachigen Skandinavien-Emigration im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, in: Hans Uwe Petersen (Hrsg.), Hitlerflüchtlinge im Norden. Asyl u n d politisches Exil, 1933-1945, Kiel 1991, S. 327-339

Veröffentlichungen über das Institut für Zeitgeschichte

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Wolfgang Benz, Wissenschaft oder Alibi? Die Etablierung der Zeitgeschichte, in: Wissenschaft im geteilten Deutschland. Herausgegeben von Walter H. Pehle und Peter Sillem, Frankfurt am Main 1992, S. 1125 Horst Möller, Die Grenzen der Betroffenheit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Juli 1992, S. 25 Hans Günter Hockerts: Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder, in: Aus Politik u n d Zeitgeschichte Β 29-30 (1993), S. 3-19, u n d Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 98-127 Horst Möller, Die Relativität historischer Epochen: Das J a h r 1945 in der Perspektive des Jahres 1989, in: Aus Politik u n d Zeitgeschichte Β 18-19 (1995), S. 3-9 Horst Möller/Hartmut Mehringer, Die Außenstelle Potsdam des Instituts für Zeitgeschichte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 43 (1995), S. 173-186 Horst Möller, Der öffentliche Auftrag der Zeitgeschichte seit der Wende, in: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv 3/1995, S. 3-9 Udo Wengst, Geschichtswissenschaft u n d „Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland nach 1945 u n d nach 1989/90, in: Geschichte in Wissenschaft u n d Unterricht 46 (1995), S. 189-205 L'„Institut für Zeitgeschichte". Creation, missions et structure, in: Bulletin de Nouvelles du Centre de Recherches et d'Etudes Historiques de la Seconde Guerre Mondiale, ,30-'50. Nr. 27/1996 Horst Möller, Wie sinnvoll sind zeitgeschichtliche Editionen heute? Beispiele aus der Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte, in: Lothar Gall/ Rudolf Schieffer (Hrsg.), Quelleneditionen u n d kein Ende? Symposium der Monumenta Germaniae Historica u n d der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 22./23. Mai 1998, Historische Zeitschrift, Beiheft 28, München 1999, S. 93-112.

Personenregister (Beiträge und Chronik)

Abelshauser, Werner 175,411 Abendroth, Wolfgang 336 Adenauer, Konrad 31, 35 f., 54, 132f., 137, 427, 443, 448f., 456, 462, 470, 502, 524 Adorno, Theodor W. 2 Alff, Wilhelm 515 Altmann, Rüdiger 525 Amann, Max 92, 259 Ambros, Otto 269 Anchieri, Ettore 511 Angermann, Ernst 46 Arendt, Hannah 38f., 371 Aretin, Karl Otmar Frhr. von 175, 491 f., 532 Arlt, Fritz 276 Arndt, Ino 6, 222 Aron, Raymond 486, 512 Auerbach, Hellmuth 9, 89, 96, 176, 519 Auerbach, Philipp 21, 508 Backer, John Η. 408 Bader, KarlS. 193 Balcar, Jaromir 362f., 435 Bariety, Jacques 530 Barkai, Avram 496 Battenberg, Friedrich 211,499 Bauer, Clemens 172 Bauer, Fritz 74f., 266 Bauer, Jehuda 175

Baumann, Angelika 406 Baumgart, Winfried 393 f. Bechstein, Edwin 161 Becker, Carl Heinrich 32 Becker, Hellmut 26, 32, 513, 527 Becker, Siegfried 156 Beer, Mathias 175 Bellanger, Francis 530 Bellers, Jürgen 452 Bender, Peter 472, 520, 529 Benser, Günter 396 Bentham, Jeremy 204 Benz, Wolfgang 48f., 400, 449, 496, 498, 526, 528 Berendsohn, Walter A. 345 Berghahn, Volker 447 Bergstraesser, Arnold 470 f. Bergsträsser, Ludwig 17, 20f., 23f., 26, 30, 40, 507f„ 512 Besson, Waldemar 491 Best, Werner 58 Bevin, Ernest 455 Birke, Adolf Μ. 395 Birnbaum, Pierre 521 Bismarck, Otto von 1, 27, 459 Blasius, Rainer A. 53, 462, 528 Blessing, Werner Κ 418 Boberach, Heinz 112, 193, 525, 528, 532 Bock, Fedor von 283 Böck, Karl 12,517,520

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Personenregister

Böhm, Karl 407 Boidevaix, Serge 132 Bonhoeffer, Dietrich 333 Booms, Hans 225, 343, 387, 400 Borchardt, Knut 175, 224, 527 Bormann, Martin 161 f., 215ff., 238, 343 Bornkamm, Heinrich 92 Bosl, Karl 524 Boyer, Christoph 66, 356-360, 419,531 Bracher, Karl Dietrich 27, 44ff„ 131, 174, 176, 219, 366, 513, 519f„ 522, 526 Brandt, Willy 54, 119, 345, 463 Braubach, Max 41, 513 Brill, Hermann 13ff., 17f., 21, 24, 26, 70, 331 f., 508 Broszat, Martin 2, 3, 6, 27-30, 32, 46-50, 52f., 56, 58, 61, 69, 72, 74, 78, 117, 121 ff., 133-140, 146, 174f., 184, 195, 216ff., 220-227, 229-233, 252f., 266, 305 ff., 319-322, 328, 335, 344, 387, 398f., 409, 411 f., 417, 421, 472f., 495, 514ff, 518-523, 525-529 Bruchmann, Karl G. 513 Bubis, Ignatz 83 Buchheim, Christoph 175, 441, 447, 449-452 Buchheim, Hans 3f., 6, 27, 30, 34, 71 f., 74f., 77-80, 175, 266, 514 Buchheim, Karl 15, 22 ff., 26, 30 Buchheit, Gert 23 Buchstab, Günter 54 Buddrus, Michael 480 f. Bührer, Werner 441, 447, 453-457

Bullard, Sir Julian 529 Bülow, Andreas von 522 Busch, Ernst 283 Bußmann, Walter 128f„ 140, 461, 523 Büttner, Siegfried 156 Caesar, Julius 1 Castellan, Georges 510 Celan, Paul 2 Chamberlin, Brewster 403f., 407 Chladenius, Johann Martin 2 Cicero 1 Clay, Lucius D. 385, 390ff., 394, 455 Conrad-Martius, Hedwig 33, 71 Conway, John S. 175 Conze, Werner 14, 175, 513 Cornberg, Jobst Frhr. von 175 Cornides, Thomas von 132 Craig, Gordon 175 Cullin, M. Michel 517 Czichon, Eberhard 33 Dahm, August 200 Dahm, Volker 61, 527, 535 Dahrendorf, Lord Ralf 56 Dascher, Ottfried 400 Dehio, Ludwig 21, 26, 508 Dehler, Thomas 54, 502 f. Dehlinger, Armand 34 Delp, Alfred 333 Deuerlein, Ernst 46 Deutsch, Harold C. 58, 493 Di Nolfo, Ennio 175 Diehl-Thiele, Peter 195 Dietl, Eduard 283 Dietze, Constantin von 21, 26, 508

Personenregister Dillgard, Hans-Georg 156 Doering-Manteuffel, Anselm 501 Dohms, Peter 232 Doli, Bernhard 12, 355 ff. Domarus, Max 238 Dorn, Walter L. 410 Drobisch, Klaus 499 Duckwitz, Georg Ferdinand 466 Dülffer, Jost 501 Dünninger, Eberhard 308 Duroselle, Jean Baptiste 511 Eberhard, Fritz 120 Echterhölter, Rudolf 182, 206-209 Eckart, Dietrich 161 Eckert, Michael 447 Ede, JefFery R. 403 Ehard, Hans 20, 36, 389, 393, 431, 512 Eichmann, Adolf 195 Eickhoff, Ekkehard 129 Ellington, Duke 319 Ellwein, Thomas 527 Elser, Georg 334f. Emig, Dieter 422 Engelhard, Hans A. 211, 519, 526 Epp, Franz Xaver Ritter von 92, 303 Eppelsheimer, Hanns W. 90, 94 Erdmann, Karl Dietrich 46, 224f., 230, 513, 517, 520 Erhard, Ludwig 455 ff., 465f. Erichsen, Johannes 160 Erker, Paul 419, 430 Eschenburg, Theodor 5, 14, 16, 23, 26, 68, 169, 175f„ 470f., 509f., 512f., 518f.

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Fait, Barbara 413, 418 Falkenhorst, Nikolaus von 283 Fauck, Erwin 6 Felder, Josef 416 Feldman, Gerald D. 175 Ferraris, Luigi Vittorio Graf 175, 523 Fest, Joachim 45, 532 Fetscher, Iring 515 Fichter, Michael 419 Filbinger, Hans 195, 336 Fischer, Alexander 147, 472, 520 Fischer, Erwin 25Iff. Foertsch, Hermann 26, 33, 71 Foitzik, Jan 6 3 , 3 3 6 , 4 7 8 Ford, Gerald S. 408 Förster, Heinz 78, 516 Förster, Jürgen 284 Forsthoff, Ernst 200 Fraenkel, Emst 46, 175, 181, 192, 198, 212, 219, 512f. Frank, Anne 51 Frank, Hans 494 f. Frank, Walter 59, 492 Franz, Georg 33 Frei, Alfred G. 422 Frei, Norbert 48, 60, 175, 218, 267, 280, 412, 416, 500f., 531, 534, 536 Freisler, Roland 342 Freud, Sigmund 213 Freund, Michael 23 f. Frey, Gerhard 350 Friderici, Erich 283 Friedländer, Saul 175 Friedrich der Große 1 Friedrich, CarlJ. 371 Friedrich, Heinz 522 Fritsch, Werner Frhr. von 33, 71

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Personenregister

Fritz, Martin 447 Fröhlich, Elke 56, 62f., 250, 253f., 322, 324, 533, 535 Gablentz, Otto Heinrich von der 513 Gadamer, Hans Georg 2 Ganghofer, Ludwig 160 Gaulle, Charles de 446, 457 Geiler, Karl 391 Genoud, Francois 37, 62, 252if. Genscher, Hans-Dietrich 128f., 132 Gerstein, Kurt 49, 72, 174 Geyer, Dietrich 174, 529 Geyr von Schweppenburg, Leo Frhr. von 120 Gillingham, J o h n 447 Gimbel, J o h n 175,410 Giordano, Ralph 80 Goebbels,Joseph 37, 40f., 62, 249, 250-264, 426, 512, 521, 525, 532f., 535 Goerdeler, Carl 18, 36, 333 Goetz, Walter 17f., 507 Goldhagen, Daniel 175 Goppel, Alfons 514, 516, 518 Göring, Hermann 161 f. Görlitz, Walter 490, 494 Graml, Hermann 6, 35, 47ff., 55, 60, 72, 78, 175f., 334, 400, 497, 515 f., 521, 531 Grebing, Helga 522 Grewe, Wilhelm 521 Griewank, Karl 23 Grimm, Claus 159 Grimm, Dieter 200 Gritschneder, Otto 62, 211 Gropper, Helmut 159 Groscurth, Helmuth 58,334,493 f.

Grosser, Alfred 212, 517, 536 Großmann, Anton 325 Gruchmann, Lothar 47, 58, 62, 78, 140, 182f., 185, 192f., 206, 210ff., 335, 515, 526 Grüner, Stefan 64, 429, 432 Guderian, Heinz 283 Gunst, Peter 518 Gürtner, Franz 182 Gussow, Carl 160 Haftendorn, Helga 53, 140, 174f., 462 Hallstein, Walter 456, 465 f. Hamm-Brücher, Hildegard 78, 516 Hammer, Walter 120 Hange, Franz 525 Hanisch, Ernst 312 Harden, Maximilian 492 Hartmann, Christian 60, 62, 281 f., 286, 537 Härtung, Fritz 21, 24, 26f„ 40, 508 Hassel, Kai-Uwe von 465 Hasseil, Ulrich von 333 Hastings, James 399 Hattenhauer, Hans 193 Haunschild, Hans-Hilger 518 Hayes, Peter 268 Heffter, Heinrich 23 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 27 Hehl, Ulrich von 499 Heiber, Helmut 16, 46f„ 59ff„ 78, 174, 222 f., 225f., 228-232, 238, 251 f., 489f., 492f., 512 Heiden, Konrad 120 Heim, Heinrich 38, 238 Heimpel, Hermann 23,27,50,175 Heine, Fritz 521

Personenregister Heinemann, Gustav 11, 20, 22, 336, 508, 517 Heinrici, Gotthard 283 Henke j o s e f 232, 422 Henke, Klaus-Dietmar 411 f., 417, 422-426, 528, 530 Herbert, Ulrich 58 Herbst, Ludolf 65, 140, 149, 151, 355, 357f., 441 f., 448f., 523, 526-529 Herder, Johann Gottfried 2 Herlemann, Beatrix 336, 341 Herre, Franz 25, 34, 95 f. Herriot, Edouard 379 Herzfeld, Hans 27, 46, 175, 513 Heß, Rudolf 161, 216 Hetzer, Gerhard 325,419 Heuss, Theodor 17, 20f., 23, 26, 36, 54, 332, 507f., 510 Heydemann, Günther 155, 157 Heydenreuter, Reinhard 422 Hilberg, Raul 499 Hildebrand, Klaus 35, 45, 53, 62, 64, 141, 159, 246, 462, 531 Hillgruber, Andreas 38, 45, 128f., 239, 493 f. Hilpert, Werner 392 Himmler, Heinrich 269, 274, 276f., 303, 335 Hinrichs, Carl 15 Hippel, Ernst von 21, 40, 508 Hider, Adolf 2, 4, 8, 12, 20, 35, 38-41, 45, 62, 70, 74, 81, 95, 161-167, 186, 190, 215-218, 237-247, 252, 254, 257f., 262f., 282, 305, 319f., 326, 328, 331, 333ff., 343, 351, 365, 385, 4l7f., 454, 489ff„ 493, 496 ff., 501, 509, 512, 521, 529, 531, 536 f.

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Hoch, Anton 9, 22, 26, 62, 90, 112, 115f., 121 f., 222, 226, 228, 334f., 509, 520f. Hochhuth, Rolf 195 Hockerts, Hans Günter 62, 151, 159, 175, 527 Hoegner, Wilhelm 120, 391 Hoepner, Erich 283 Hofer, Walther 34, 45, 50, 327 Hoffmann, Dierk 482 Hoffmann, Günther 159 Hoggan, David 513 Höhn, Reinhard 200 Holldack, Heinz 23 Holstein, Friedrich von 27 Holtfrerich, Carl-Ludwig 529 Holtmann, Eberhard 418 Holzhausen (MinRat) 23 Honecker, Erich 477 Horn, Wolfgang 243 Höss, Rudolf 3, 72, 280 Hoth, Hermann 283 ff. Hubatsch, Walther 238 Huber, Ernst Rudolf 200 Hübinger, Paul Egon 513, 520 Huch, Ricarda 111 Hundhammer, Alois 416 Hürten, Heinz 350 f. Hürter, Johannes 281 ff. Hurwitz, Harold 400 Hüttenberger, Peter 307, 317321 Irsch, Katharina 92 Irving, David 254 Jäckel, Eberhard 238, 240, 497ff., 519 Jacobmeyer, Wolfgang 58, 400, 494

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Personenregister

Jacobsen, Hans-Adolf 3, 45, 74, 266 Jaeger, Harald 308, 310, 317 Jansen, Michael 138, 141 Jedlicka, Ludwig 494 Jefferson, Thomas 408 Jesse, Eckhard 193 Johe, Werner 193, 195 Johnson, Lydon B. 465 Joll, James 511 Jong, Louis de 511 Kaelble, Hartmut 368 Kahlenberg, Friedrich P. 150 f. Kaisen, Wilhelm 391 Kaiser, Joachim 527 Kaltenbrunner, Ernst 343 Kanther, Manfred 535 Kaufmann, Erich 17, 21, 23, 26, 181, 508, 513 Keim, Walter 513 f. Kennedy, J o h n F. 408 Kershaw, Ian 263, 325, 529, 537 Kessler, Emil 514, 518 Kielpinski, Walter von 343 Kiesinger, Kurt-Georg 463 Kießling, Herbert 12, 135ff„ 140£, 151, 153, 520, 527, 532 Kindermann, Gottfried-Karl 46 Kirchner, Hildebert 183 Kirn, Michael 209 Kittel, Manfred 64, 372 f. Klein, Hans 131 Kleinöder, Evi 324 Kleist, Ewald von 283 Klemperer, Klemens von 55, 175 Kleßmann, Christoph 494 Kluge, Günter von 283 Kluke, Paul 6, 27, 29, 35, 510f., 513, 523

Knoblich, Georg 182 Knoeringen, Waldemar von 54 Kocka, Jürgen 147, 149, 175, 519 Koellreutter, Otto 92 Koenig, Pierre 394f. Koestler, Arthur 347 Kogon, Eugen 21, 26, 36, 40f., 50, 70, 92, 508, 522 Kohl, Helmut 131 Kolle, Gert 519 Körner, Ruth 112 Kotze, Hildegard von 58, 62, 222, 493 Kox, Wilhelm 342 Krausnick, Helmut 3, 6, 26-32, 42, 51, 55, 58, 69, 74, 80, l 7 5 f „ 183, 192, 222f., 266, 473, 493, 495f., 511 f., 514ff., 527 Kroener, Bernhard R. 420 Kroll, Frank-Lothar 537 Kroll, Gerhard 13-23, 29, 507 ff. Krüger, Peter 129, 133 Kübler, Friedrich 194 Kucerajaroslav 66, 357f., 361 f., 531 Küchler, Georg von 283 Kues, Nikolaus von 1 Kühn, Walter 26 Kühnert, H a n n o 194 Kühnl, Reinhard 515 Kuhn, Axel 238,240 Küsters, Hans Jürgen 175 Lammers, Hans Heinrich 217 Langendorff, Ernest 92 Lankheit, Klaus A. 62 Larenz, Karl 200 Latour, Conrad F. 410 Lautenschlager, Hans-Werner 135 f., 138

Personenregister Leber, Annedore 333 Leber, Julius 333 Lee, Robert Edward 408 Leeb, Wilhelm Ritter von 283 Lenz, Otto 35 f. Leonhard, Wolfgang 472, 520 Lepsius, Oliver 201 Lepsius, M. Rainer 151, 521, 529 Lieb, Peter 281, 297 Lill, Rudolf 500 Linde, Carl 160 Lindemann, Georg 283 Link, Werner 53, 140, 462 Linsert, Ludwig 56, 303 f. Litt, Theodor 21, 26, 41, 508, 511 Lochner, Louis P. 251 Longerich, Peter 233 Loock, Hans-Dietrich 2, 6, 58, 113 Loth, Winfried 46 Löwenthal, Richard 56 Lübbe, Hermann 531 Lübke, Heinrich 512 Luchsinger, Fred 525 Lukäcs, Georg 347 Luther, Martin 1 Mackensen, August von 285 Maier, Hans 56, 304, 516, 518, 529, 531 Maier, Reinhold 391 f. Maillard, Pierre 530 Maisinger, Georg 134, 140, 538 Majer, Dietmut 211,496 Malleby, Christopher 132 Mann, Golo 513 Mann, Thomas 171 f. Mannheim, Karl 347

591

Manstein, Erich von 283 ff. Mareks, Erich 172 Marshall, George C. 446, 453, 455, 457 Marßolek, Inge 336 Masur, Gerhard 121 Matl, Josef 511 Matthias, Erich 33, 45, 71 Mau, Hermann 7, 23-27, 30ff., 36ff., 42, 69, 175, 473, 509 Maunz, Theodor 512 Mayer, Mauritia 160, 164 McCloy, J o h n 408 Mehringer, Hartmut 54, 56f., 63, 155, 160, 325, 338f., 341-344, 524 f. Meier, Christian 527 Meinecke, Friedrich 2, 21, 26, 172, 508 Meise, Rudolf 182 Meixner, Georg 78 Mendelsohn, J o h n 408 Mendelssohn, Peter de 518 Merkl, Peter H. 496 Merlio, Gilbert 531 Metternich, Fürst Klemens Wenzel von 1 Meyer, Claus Heinrich 525 Meyer, Georg 420 Meyer-Landrut, Andreas 128 f. Michalka, Wolfgang 496 f. Mielke, Erich 253 Miller, Ignaz 497 f. Milward, Alan S. 170, 442, 444 Mintzel, Alf 413 Mitscherlich, Alexander 80 Mitscherlich, Margarete 80 Model, Walter 283 Möding, Norf 420

592

Personenregister

Moeller van den Bruck, Artur 70 Möller, Horst 7, 10, 27, 47f., 51, 53, 57, 62, 64, 68, 143f., 146, 149, 153£f., 159, 175f„ 250, 254, 365, 368, 421, 462, 472, 519, 520ff., 524, 529-538 Moltmann, Günter 410 Mommsen, Hans 6, 47, 175, 334, 338, 515, 519, 536 Mommsen, Wolfgang J. 175 Monnet,Jean 455, 457 Moser, Justus 2 Mooser, Josef 437 Morgenthau, Henry 425 Morsey, Rudolf 45, 53, 141, 175, 462, 475, 502, 536 Müller, Ingo 195 f. Mussolini, Benito 499 Nachama, Andreas 160 Napoleon 1 Nasser, Gamel Abdel 465 f. Neri, Daniela 372 Neumann, Franz 46, 219 Neumann, Sigmund 372 Neurath, Konstantin Frhr. von 408 Niethammer, Lutz 175, 386, 397, 400, 415 Nipperdey, Thomas 365f., 522 Nolte, Ernst 45f„ 175, 519, 522 Oeschey, Rudolf 187 Oldenhage, Klaus 117, 404, 422, 519 Oncken, Dirk 129 Oncken, Hermann 27 Örn, Torsten 529 Orwell, George 470 Overmans, Rüdiger 499

Paetel, Karl Otto 120 Papcke, Sven 535 Paulus, Friedrich 283 Peres, Shimon 464 Petersen, Rudolf 390 Petzina, Dietmar 48, 400, 515 Peukert, Detlev 336, 524 Pfeiffer, Anton 13, 15, 17f„ 88, 92 Picker, Henry 35, 38, 40, 238 Pirker, Theo 515 Plum, Günter 41, 51, 392, 519 Pogadl, Sepp 515 Pohl, Dieter 58, 60, 175, 281 f., 290f., 479 Poidevin, Raymond 175 f. Poincare, Raymond 379 Pommerin, Reiner 132 Präg, Werner 58, 494 Pretsch, Hans Jochen 129, 134, 140 Prowe, Diethelm 423 Pünder, Hermann 395 Quint, Wolfgang 12, 532, 538 Radbruch, Gustav 205 Raithel, Thomas 371 Ranke, Leopold von 2 Rapp, Alfred 525 Rebentisch, Dieter 47, 73, 262 Recker, Marie-Luise 503 Rehse, H a n s j o a c h i m 195 Reichenau, Walter von 283 ff. Reichwein, Adolf 333 Reinhardt, Hans-Georg 283 Reiüinger, Gerald 499 Repgen, Konrad 34, 175, 530 Reuter, Ernst 332 Reuth, Ralph Georg 254 Rhoads, James B. 399

Personenregister Rhode, Gotthold 494 Ritter, Gerhard 12, 15-24, 26, 35-41, 333, 508 f. Ritter, Gerhard A. 175, 536 Röder, Werner 9, 57, 62f., 66, 346, 520, 530 Roon, Ger van 176,493 Röpcke, Andreas 422 Roques, Franz von 283 Roques, Karl von 283 Rosegger, Peter 160 Roßmann, Erich 8 Rothaug, Oswald 187 Rothfels, Hans 5, 14, 16, 25f„ 68, 72f., 96, 169f„ 174ff„ 225, 332, 461, 509, 512f., 517, 519 Rottleuthner, Hubert 200 Rovan, Joseph 529 Ruck, Michael 50 Rückert, Joachim 200 Rudolph, Hermann 472, 520 Rudzio, Wolfgang 392 Ruffmann, Karl-Heinz 46 Rumschöttel, Hermann 317, 528 Rundstedt, Gerd von 283 Ruoff, Richard 283 Rupp, Hans 26 Rupp, Michael 159 Rüthers, Bernd 194ff„ 200, 211 Salewski, Michael 455, 498 Salmuth, Hans von 283 Salomon, Ernst von 38 Sandkühler, Thomas 269 Sandvoß, Hans-Rainer 343 Sartori, Giovanni 372 Sattler, Dieter 8, 21 f., 24, 26, 36 Sauer, Wolfgang 45, 219 Schaaf, Christian 281, 297 Schäfer, Helmut 144, 530

593

Schäffer, Fritz 416 Schäffer, Hans 120 Schaffstein, Friedrich 200 Schärl, Walter 31 Schauff, Johannes 54, 521 Schaupp, Rudolf 160 Scheel, Walter 518 Schenckendorff, Max von 283 Scherstjanoi, Elke 63, 479 Scheurig, Bodo 111, 490 Schick, Christa 418 Schieder, Theodor 27, 29, 513 Schieder, Wolfgang 175, 515, 519 Schildt, Axel 427 Schiller, Friedrich von 4 Schilling, Dagmar 406 Schlabrendorff, Fabian von 333 Schleicher, Kurt von 491 Schlemmer, Thomas 413, 432 Schmädeke, Jürgen 35 Schmelt, Albrecht 276 f. Schmid, Richard 193 f. Schmidt, Rudolf 283 Schmitt, Carl 71, 200 Schmuhl, Hans-Walter 269 Schnabel, Franz 5, 17, 21, 23f., 26, 170, 508 Schneider, Dieter Marc 7, 54, 57 Schneider, Peter 71 Schobert, Eugen Ritter von 283 Scholder, Klaus 34, 175 Scholem, Gershom 517 Scholl, Hans 70 Scholl, Inge 333 Scholl, Sophie 70 Schöntag, Wilfried 422 Schramm, Percy Ernst 38, 74 Schramm, Wilhelm Ritter von 33 Schramm-von Thadden, Ehrengart 74 f.

594

Personenregister

Schreckenberg, Wilhelm 497 Schreiber, Gerhard 245 Schröder, Rainer 211 Schubert, Werner 211 Schulz, Gerhard 45ff., 175, 219 Schulze, Fiete 336 Schulze-Vorberg, Max 525 Schumacher, Kurt 391, 448 f. Schuman, Robert 448 Schwab, Dieter 193, 210 Schwabe, Klaus 497 Schwartz, Michael 481, 534 Schwarz, Albert 45 Schwarz, Hans-Peter 45, 53, 68, 129, 131-134, 137-141, 151, 175f., 386, 427, 449, 462, 519, 526ff., 530 Schwarz, Wolfgang 33 Schweling, Otto 182 f. Schwerin, Detlef von 343 Seebacher-Brandt, Brigitte 502 Seidl, Martin 160 Servan-Schreiber, Jean-Jacques 446 Siebert, Wolfgang 200 Sieger, Ferdinand 519 Siegler, Fritz Frhr. von 30 Simon, Gerhard 529 Smith, Gordon 521 Smolka, Georg 24 Sonnenberg, Franz 324 Sontheimer, Kurt 41, 71, 175, 365, 491, 500f., 522 Sösemann, Bernd 253, 256 Sowade, H a n n o 441 Spangenberg, Berthold 522 Speer, Albert 161 Speidel, Hans 17, 21, 26, 508, 513 Spendel, Günter 211 Spindler, Max 24

Spörl, Johannes 24 Staden, Berndt von 408 Stadtmüller, Georg 34, 513 Stalin, Josef 2, 252 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 333,336 Steger, Bernd 406 Stehle, Hansjakob 175, 500 Steinbach, Ernst 8 Steinbach, Peter 499 Steinbacher, Sybille 60, 273, 277 ff. Steiner, J o h n M. 175 Steinwascher, Gerd 190 Stercken, Hans 131 Sternberger, Dolf 522 Stieff, Hellmuth 174 Stolleis, Michael 193, 211 Stölzl, Christoph 160 Straßer, Otto 120, 334 Strauß, Adolf 283 Strauß, Franz Josef 132, 464 Strauss, Herbert A. 57, 346 Strauß, Walter 14, 26, 31, 36, 181 Streicher, Julius 324 Streit, Christian 59 Stresemann, Gustav 379, 455 Stübel, Heinrich 509 Stülpnagel, Carl-Heinrich von 283 Stürmer, Michael 522 Sudhoff,Jürgen 141,530 Süß, Dietmar 437 f. Sweet, William 210 Sywottek, Arnold 427 Tenfelde Klaus 325,524 Teuteburg, H a n s J . 497 Thieme, Karl 120 Thimme, Friedrich 459

Personenregister Thorwald, Jürgen 111 Thoss, Peter 194, 196 Thukydides 1, 171 Toppe, Andreas 281 f., 293f. Treitschke, Heinrich von 1, 5 Treue, Wilhelm 33, 492 Trevor-Roper, Hugh 512 Tricot, Bernard 530 Troeltsch, Ernst 2 Troll, Hildebrand 308 Turner, Henry A. 33 Tyrell, Albrecht 243 Uhlig, Heinrich 33 Ulbricht, Walter 465, 477, 485 Vogel, H a n s j o c h e n 536 Vogelsang, Thilo 6, 9, 26f., 47, 51 f., 78, 90, 94-97, 174, 385, 410, 491,509f„ 513, 517, 519 Vogt, Martin 38 Volkov, Shulamit 176 Vollmer, Bernhard 21, 26, 33, 56, 508 Vollnhals, Clemens 62, 418 Voß, Richard 160 Vrba, Rudolf 175 Wagner, Albrecht 182, 194, 201, 206f., 209 Wagner, Bernd C. 60, 267-273 Wagner, Walter 182 Wagner, Wolfgang 206, 209 ff. Waldner, Heinz 128, 131, 133f., 138, 140 Walser, Martin 80-83 Walter, Hans-Albert 351, 535 Walters, Vernon Α. 132 Warlimont, Walter 281 Washington, George 408

595

Watt, Donald C. 176 Weber, Hermann 53, 146, 150f„ 175, 336, 341, 472, 520, 524 Weber, Max 1,371 Weber, Petra 58, 479 Weber, Reinhard 62 Wehler, Hans-Ulrich 366 Wehner, Herbert 336, 342 Weichmann, Herbert 521 Weichs, Maximilian Frhr. von 283 Weiher, Gerhard 227 Weinberg, Gerhard L. 242 Weininger, Karl 136, 140 Weinkauff, Hermann 182-196, 199, 201-204, 206, 208 Weisenborn, Günther 315, 333 Weiß, Hermann 49, 400, 520 Weisz, Christoph 9, 51 f., 63, 406, 411 f., 421 f., 524, 530 Weizsäcker, Richard von 211, 525 Welsh, Helga A. 476 Wende, Erich 26, 36 Wendt, Bernd-Jürgen 492 Wengst, Udo 10, 54, 62, 66, 175, 502f., 529, 534f. Wentker, Hermann 58, 155, 480 Werle, Gerhard 211 Werner, Karl Ferdinand 175 Werner, Wolfram 392, 395, 400 Wesemann, Fried 525 Wetzel, Juliane 418 Wetzel, Jürgen 422 Wiek, Margot 159 Wiesemann, Falk 322, 325 Wilhelm, Hans-Heinrich 58, 495 f. Willenbacher, Barbara 420 Willoweit, Dietmar 211

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Personenregister

Winkler, Heinrich August 175, 421, 524 Winkler, Wilhelm 21, 26, 508 Winter, Otto 161 Wirsching, Andreas 64, 370, 533, 535, 537 Wohleb, Leo 18 Wolf, Erik 200 Wolfe, Robert 399 f., 408 Wolfrum, Edgar 502 Woller, Hans 51, 66, 176, 406, 411-415, 417, 426, 429, 499f., 524, 531, 533, 536

Wördehoff, Bernhard 503 Würzner, Hans 535 Zank, Wolfgang 476 Zarusky, Jürgen 57, 338f., 342ff., 533, 536 Zehetmair, Hans 529 Zeller, Eberhard 333 Zernack, Klaus 35, 494 Ziegler, Walter 531 Zitelmann, Rainer 498 Zofka, Zdenek 323

Autorenverzeichnis Auerbach, Hellmuth, ehemaliger wiss. Mitarbeiter im Institut für Zeitgeschichte Baass, Ingrid, stv. Leiterin der Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte Birke, Adolf. M., Dr. phil., o. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München Blasius, Rainer Α., Dr. phil., Wiss. Leiter der Außenstelle Bonn des Instituts für Zeitgeschichte Buchheim, Hans, Dr. phil., em. o. Professor für Politikwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Dahm, Volker, Dr. phil., wiss. Mitarbeiter im Institut für Zeitgeschichte Graml, Hermann, ehemaliger wiss. Mitarbeiter im Institut für Zeitgeschichte Hartmann, Christian, Dr. phil., wiss. Mitarbeiter im Institut für Zeitgeschichte Heydemann, Günther, Dr. phil., o. Professor für Neuere und Zeitgeschichte an der Universität Leipzig Hockerts, Hans Günter, Dr. phil., o. Professor für Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München Kershaw, Ian, Ph. D., Professor of Modern History an der University of Sheffield Krieger, Wolfgang, Dr. phil., Professor für Neuere Geschichte an der Philipps-Universität Marburg Kroll, Frank-Lothar, Dr. phil., Privatdozent für Neuere Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Lankheit, Klaus Α., Dr. phil., stv. Leiter des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte Maier, Hans, Dr. phil., Dr. h. c. mult., Staatsminister a. D., em. o. Professor für Chrisdiche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München Mehringer, Hartmut, Dr. phil. habil., wiss. Mitarbeiter im Institut für Zeitgeschichte

598

Autorenverzeichnis

Möller, Horst, Dr. phil. Dr. h. c., Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, o. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der LudwigMaximilians-Universität München Morsey, Rudolf, Dr. phil., em. o. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Mühlen, Patrik von zur, Dr. phil., wiss. Mitarbeiter im Historischen Forschungszentrum für Sozial- und Zeitgeschichte der Friedrich-EbertStiftung Quint, Wolfgang, Dr. phil., Ministerialdirektor im Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Röder, Werner, Dr. phil., Leiter des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte Ruck, Michael, Dr. phil., Privatdozent in der Lehreinheit Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte der Universität Mannheim Rückert, Joachim, Dr. jur., o. Professor für juristische Zeitgeschichte und Zivilrecht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main Rumschöttel, Hermann, Dr. phil., Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, Honorarprofessor für Archivwissenschaft und Militärgeschichte an der Hochschule der Bundeswehr in München Schlemmer, Thomas, Dr. phil., wiss. Projektmitarbeiter im Institut für Zeitgeschichte Schöllgen, Gregor, Dr. phil., o. Professor für Neuere Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Schwarz, Hans-Peter, Dr. phil., em. o. Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn Steinbacher, Sybille, Dr. phil., wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Bochum Tuchel, Johannes, Dr. phil., Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin Weisz, Christoph, Dr. phil., Leiter der Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte Weiß, Hermann, ehemaliger stv. Leiter des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte Wengst, Udo, Dr. phil., Stv. Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Honorarprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Regensburg Wirsching, Andreas, Dr. phil., o. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg