35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven: Vorträge der 74. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung vom 9. bis 11. Februar 2011 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428537556, 9783428137558

35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes sind Anlass, eine kritische Bilanz zu ziehen und eine Weiterentwicklung

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35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven: Vorträge der 74. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung vom 9. bis 11. Februar 2011 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428537556, 9783428137558

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 212

35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven Vorträge der 74. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung vom 9. bis 11. Februar 2011 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Hermann Hill, Karl-Peter Sommermann, Ulrich Stelkens, Jan Ziekow

Duncker & Humblot · Berlin

HERMANN HILL, KARL-PETER SOMMERMANN, ULRICH STELKENS, JAN ZIEKOW (Hrsg.)

35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 212

35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven Vorträge der 74. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung vom 9. bis 11. Februar 2011 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von Hermann Hill, Karl-Peter Sommermann, Ulrich Stelkens, Jan Ziekow

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-13755-8 (Print) ISBN 978-3-428-53755-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-83755-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes, das am 25. Mai 1976 ausgefertigt wurde, trat am 1. Januar 1977 in Kraft. Aus Anlass des 35. Jahrestages widmete die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ihre Staatswissenschaftliche Fortbildungstagung 2011 unter der Leitung der Professoren Hermann Hill, Karl-Peter Sommermann, Ulrich Stelkens und Jan Ziekow dem Thema „35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven“. Die Veranstaltung, die in der Zeit vom 9. bis 11. Februar 2011 in Speyer stattfand, bot zum einen eine kritische Analyse der gegenwärtigen Rechtslage, zum anderen eine Erörterung möglicher Reformen und Perspektiven einer Weiterentwicklung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts in Deutschland, die sich aus Veränderungen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Kontextes ergeben. Die Vorträge, die Grundlage lebhafter Diskussion waren, sind nachfolgend abgedruckt. Für die logistische Unterstützung und die redaktionelle Betreuung des Bandes danken die Herausgeber Frau Beate Bukowski, Frau Rechtsassessorin Franziska Kruse, Frau Rechtsassessorin Olivia Seifert sowie Herrn Dr. Alfred Debus und Herrn Dr. Joachim Wentzel. Speyer, im Juli 2011

Hermann Hill Karl-Peter Sommermann Ulrich Stelkens Jan Ziekow

Inhaltsverzeichnis

35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz Hermann Hill Eröffnung und Begrüßung .................................................................................. 11 Cornelia Rogall-Grothe 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz ............................................................... 17 Thomas Groß Stuttgart 21 – Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren ........................................................................................ 31

Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus Sicht der Anwender Hans-Jörg Birk Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus anwaltlicher Sicht ........................................................................................ 45 Andreas Metschke Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht des Anwenders: Verwaltung .......................................................... 55 Jürgen Held Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht der Rechtsanwender: Verwaltungsgerichtsbarkeit ........................... 69 Jan Ziekow Governance des Verwaltungsverfahrens als Aufgabe des Verwaltungsverfahrensrechts ............................................................................. 95

Das Verwaltungsverfahrensgesetz im europäischen Kontext Wolfgang Kahl Entwicklung des Rechts der Europäischen Union und der Rechtsprechung des EuGH ........................................................................................................ 111 Jacques Ziller Die Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts in Frankreich ...................... 141 Diana-Urania Galetta Das Verwaltungsverfahrensgesetz im europäischen Kontext: Der Fall Italiens ............................................................................................... 155 Andrzej Wróbel Entwicklung des polnischen Verwaltungsverfahrensrechts ................................ 171

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Inhaltsverzeichnis

Karl-Peter Sommermann Das Verwaltungsverfahrensgesetz im europäischen Kontext: eine rechtsvergleichende Bilanz ....................................................................... 191

Das Verwaltungsverfahrensgesetz und der Kodifikationsgedanke Martin Burgi Das VwVfG und der Kodifikationsgedanke: Reform der Eröffnungskontrollen und des förmlichen Verfahrens I ...................................................................... 215 Wolfgang Durner Reform der Eröffnungskontrollen und des förmlichen Verfahrens II: die Normierung eines allgemeinen Genehmigungsverfahrens im Verwaltungsverfahrensgesetz ........................................................................... 237 Heribert Schmitz Simultangesetzgebung von Bund und Ländern im Verwaltungsverfahrensrecht: Notwendigkeit und Umsetzungsmechanismen .................................................. 253 Klaus Schönenbroicher VwVfG, AO, KAG, SGB X und UGB? Wie viele „Säulen“ braucht das Verwaltungsverfahrensrecht? ..................................................................... 263 Ulrich Stelkens Kodifikationssinn, Kodifikationseignung und Kodifikationsgefahren im Verwaltungsverfahrensrecht ........................................................................ 271

Das Verwaltungsverfahrensgesetz vor neuen Herausforderungen Kay Ruge Das VwVfG vor neuen Herausforderungen – Informations- und Kommunikationstechniken .................................................. 299 Veith Mehde Haushaltskonsolidierung und betriebswirtschaftliche Steuerung ........................ 313 Hermann Hill Verwaltungsverfahren bei unerwarteten und ungewissen Ereignissen und Entwicklungen .......................................................................................... 333 Hermann Hill Das VwVfG vor neuen Herausforderungen ....................................................... 351

Verzeichnis der Autoren ........................................................................................ 359

35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz

Eröffnung und Begrüßung Hermann Hill

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch im Namen der Mitveranstalter, meiner Kollegen Univ.-Prof. Dres. Karl-Peter Sommermann, Ulrich Stelkens und Jan Ziekow, darf ich Sie zu dieser Tagung „35 Jahre VwVfG – Bilanz und Perspektiven“ an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer sehr herzlich begrüßen. Ich freue mich, dass Frau Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe aus dem Bundesministerium des Innern den Eröffnungsvortrag halten wird. Der ursprünglich vorgesehene Vortrag aus der Sicht der Länder, zu dem sich der ehemalige thüringische Innenminister Univ.-Prof. Dr. Peter Huber bereiterklärt hatte, musste leider wegen eines Besprechungstermins am Bundesverfassungsgericht ausfallen. Stattdessen freuen wir uns, dass Herr Kollege Thomas Groß von der Universität Frankfurt am Main einen aktuellen Zwischenruf zu Stuttgart 21 – Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren einbringen wird. Wir haben die Tagung in vier Blöcke aufgebaut: Zunächst geht es heute Nachmittag um Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus Sicht der Anwender. Morgen früh werden wir das VwVfG im europäischen Kontext beleuchten, morgen Nachmittag steht der Kodifikationsgedanke im Mittelpunkt und am Freitagmorgen werden wir uns neuen Herausforderungen widmen, denen sich das VwVfG gegenübersieht. Das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes wurde am 25. Mai 1976, also vor rund 35 Jahren, verkündet, und ist am 1. Januar 1977 in Kraft getreten. Speyerer Kollegen haben sich schon sehr früh mit Problemen des Verwaltungsverfahrens beschäftigt und in verschiedenen Tagungen und Forschungsarbeiten dazu wegweisende Impulse gegeben. Nach Carl Hermann Ule mit seinem Lehrbuch zum Verwaltungsverfahrensrecht1 war es insbesondere Willi Blümel etwa mit den Tagungen „Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen“ 1981, ___________ 1 Carl Hermann Ule/Hans-Werner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995; vgl. noch Klaus König (Hrsg.), Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Symposium zum Gedächtnis an Carl Hermann Ule, 2000.

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Hermann Hill

„Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts“ 1983 oder gemeinsam mit dem Kollegen Rainer Pitschas das Forschungsseminar über die „Reform des Verwaltungsverfahrensrechts 1993 und die Tagung „Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess im Wandel der Staatsfunktionen“ 19942. Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes habe ich für die österreichische „Zeitschrift für Verwaltung“ eine Bilanz gezogen3, die in erweiterter Fassung auch als Speyerer Arbeitsheft erschienen ist. Ich habe darin nochmals geblättert und u. a. folgende Aussagen – aus 1987 – gefunden: „Die entscheidungsbezogene Sicht des VwVfG scheint den Anforderungen der Zukunft nur noch teilweise gerecht zu werden.“ Oder: „Die ständige Erweiterung der Möglichkeiten der Datenverarbeitung sowie die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Informationen werden nicht ohne Auswirkungen auf die Bürokommunikation und das Verwaltungsverfahren bleiben.“ Oder: „Im Rahmen der Entwicklung und Gestaltung von Rechtsverhältnissen gehört dem kooperativen Verwaltungshandeln die Zukunft.“4 Weitere Bilanzen liegen von Ferdinand Kopp nach zehn Jahren, von Friedrich Schoch nach 15 Jahren, von Heinz Joachim Bonk nach 25 Jahren sowie von Friedrich Hufen nach 30 Jahren vor5. In den 90-iger Jahren stand, verbunden mit dem Aufbau der Verwaltung in den neuen Ländern, vor allem das Thema Beschleunigung von Verwaltungsverfahren im Zentrum der Diskussion6. 1996 habe ich dazu, gemeinsam mit Annette Weber, eine empirische Untersuchung zu Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren in den neuen Ländern vorgelegt7. Kollege Jan Ziekow hat 1998 eine Tagung zum Thema „Beschleunigung von Planungs- und ___________ 2 Willi Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982; Willi Blümel (Hrsg.), Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 1984; Willi Blümel/Rainer Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994; Willi Blümel/Rainer Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfunktionen, 1997. 3 Hermann Hill, Zehn Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz, ZfV 1987, 501. 4 Die Zitate finden sich in Hermann Hill, Zehn Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz, Speyerer Arbeitshefte 78, 1987, S. 56, 57, 58. 5 Ferdinand Kopp, Zehn Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz, Die Verwaltung 1987, 1; Friedrich Schoch, Der Verfahrensgedanke im Allgemeinen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 1992, 21; Heinz Joachim Bonk, 25 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2001, 636; Friedhelm Hufen, Das VwVfG nach 30 Jahren: Wahrgenommene Chance – Hürde – Meilenstein?, in: Dirk Heckmann (Hrsg.), Modernisierung von Justiz und Verwaltung, Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, 2007, S. 38. 6 Vgl. etwa Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren, Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1994. 7 Hermann Hill/Annette Weber, Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren in den neuen Ländern, im Auftrag des Umweltbundesamtes, 1996.

Eröffnung und Begrüßung

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Genehmigungsverfahren“8 veranstaltet und 2005 gemeinsam mit Mitarbeitern am Forschungsinstitut eine weitere Untersuchung zur Dauer von Zulassungsverfahren abgeschlossen9. In den 90er Jahren wurden auch der europäische Vergleich von Verwaltungsverfahren sowie die Europäisierung des nationalen Verwaltungsverfahrens immer mehr zum Thema. Gemeinsam mit dem Kollegen Rainer Pitschas habe ich 2002 eine Tagung zum „Europäischen Verwaltungsverfahrensrecht“ an der DHV Speyer durchgeführt10. Insbesondere Kollege Karl-Peter Sommermann hat sich dieser Problematik in vielen Forschungsprojekten, Symposien und Veröffentlichungen, auch durch Beiträge bei Tagungen im Ausland, gewidmet11. Zuletzt haben etwa die Kollegen Ulrich Stelkens und Wolfgang Weiß im April 2010 eine vergleichende Veranstaltung zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in Europa durchgeführt.12 Ein vergleichender Workshop zu „Contracts“ ist für den 18./19. Februar 2011 geplant13.  ___________ 8 Siehe Jan Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998. 9 Jan Ziekow/Martin-Peter Oertel/Alexander Windoffer, Dauer von Zulassungsverfahren, eine empirische Untersuchung zu Implementation und Wirkungsgrad von Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung, 2005. 10 Hermann Hill/Rainer Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004. 11 Vgl. etwa Karl-Peter Sommermann, Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts?, DVBl 1996, 889; ders., Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, DÖV 1999, 1017; zur Einordnung des deutschen Rechts vgl. auch ders., Verfahren der Verwaltungsentscheidung, in: Klaus König/Heinrich Siedentopf (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in Deutschland, Baden-Baden 1996/97, S. 459; zur Begleitung der Ausarbeitung eines Verwaltungsverfahrensgesetzes in Thailand ders., Der Dialog mit dem Staatsrat und dem Obersten Verwaltungsgerichtshof Thailands – Modernisierung des Verwaltungsverfahrens und Errichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in Thailand, in: Siegfried Magiera/Karl-Peter Sommermann (Hrsg.), Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung, Speyer 2007, S. 231. 12 Vgl. Ulrich Stelkens/Wolfgang Weiß/Michael Mirschberger (Hrsg.), The Implementation of the Services Directive – Transposition, Problems and Strategies, T.M.C. Asser Press, Den Haag, im Erscheinen. Zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Verwaltungsverfahrensrecht siehe bereits Jan Ziekow, Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, GewArch 2007, 179, 217; ders., Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Verwaltungsverfahrensrecht, WiVerw 2008, 176; Hermann Hill, Vom Aufbrechen und der Veränderung der Verwaltungsrechtsordnung – verwaltungswissenschaftliche Perspektiven, in: ders./Utz Schliesky, Herausforderung e-Government, 2009, 349 ff. 13 Vgl. auch Ulrich Stelkens/Rozen Nogellou, Droit comparé des Contrats Publics/ Comparative Law on Public Contracts, Bruxelles 2010; Hanna Schröder/Ulrich Stelkens, Le contentieux des contrats publics en Europe – Allemagne, rfda 2011, 16.

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Hermann Hill

Im Tagungsband zum 25-jährigen Bestehen des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Speyer im Jahre 2001, herausgegeben von Karl-Peter Sommermann und Jan Ziekow, hat etwa Herr Sommermann zu „Konvergenzen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht europäischer Staaten“ und Herr Ziekow zu „Public Private Partnership und Verwaltungsverfahrensrecht“ geschrieben14. Unter dem Innenminister Otto Schily spielte das Thema des Verwaltungskooperationsrechts, dessen sich insbesondere Kollege Jan Ziekow angenommen hat, eine große Rolle15. Die vielzähligen Fachtagungen zum Planungs- und Vergaberecht unter seiner Leitung haben weitere Marksteine bei der Entwicklung des Verwaltungsverfahrens gesetzt16. Sein Kommentar zum VwVfG17 ist ebenso wie die Kommentierung von Ulrich Stelkens im Kommentar von Stelkens/Bonk/Sachs18 in der Fachwelt anerkannt. Natürlich verdienen auch die Kommentierung von Ulrich Ramsauer19 sowie andere Kommentare20 der lo___________ 14 Karl-Peter Sommermann/Jan Ziekow (Hrsg.), Perspektiven der Verwaltungsforschung, 2002, S. 163 bzw. S. 269; vgl. noch Jan Ziekow/Alexander Windoffer, Public Private Partnership, Struktur und Erfolgsbedingungen von Kooperationsarenen, 2008. 15 Gunnar Folke Schuppert/Jan Ziekow, Verwaltungskooperationsrecht (Public Private Partnership), Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, 2001; Hermann Hill, 25 Thesen zu einer Verfahrensordnung für öffentlich-private Kooperationen (Verwaltungskooperationsrecht), Verwaltung und Management 2001, 10. 16 Vgl. etwa zuletzt Jan Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2009, 2010; ders. (Hrsg.), Speyerer Vergaberechtstage 2009, Sonderheft 2a/2010 der Zeitschrift Vergaberecht, 2010. 17 Jan Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2010; vgl. noch ders., Modernisierung des Verfahrensrechts, in: Klaus König/Detlef Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Symposium zum Gedächtnis an Carl Hermann Ule, 2000, S. 69; ders., Die Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts bei der Modernisierung und Internationalisierung des Staates, in: Rainer Pitschas/Shigeo Kisa (Hrsg.), Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts, 2002, S. 187; ders./Thorsten Siegel, Entwicklung und Perspektiven des Rechts des öffentlichrechtlichen Vertrages, Verwaltungsarchiv 94 (2003), 593; 95 (2004), 133, 281, 573; ders., Allgemeines und bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: MaxEmanuel Geis/Dieter C. Umbach (Hrsg.), Planung – Steuerung – Kontrolle, Festschrift für Richard Bartlsperger, 2006, S. 247; ders., Von der Reanimation des Verfahrensrechts, in: NVwZ 2005, 263. 18 Ulrich Stelkens, Kommentierung der §§35 bis 39, 41, 42a VwVfG bei Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/ Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2011; vgl. noch ders., Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, DVBl 2010,1078; ders., Der rechtliche Rahmen elektronischen Verwaltungshandelns, in: Wirtz, Bernd W. (Hrsg.), E-Government – Grundlagen, Instrumente, Strategien, Wiesbaden, 2010, S. 53. 19 Ferdinand O. Kopp/Ulrich Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 11. Aufl. 2010. 20 Hans Joachim Knack/Hans-Günter Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), Kommentar, 9. Aufl. 2010; Michael Fehling u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Hand-

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benden Erwähnung. Für die Wissenschaft vom Verwaltungsverfahren waren weiterhin neben verschiedenen Festschriften, Vorträgen und Monografien21 die Tagungsreihe von Eberhard Schmidt-Aßmann und Wolfgang Hoffmann-Riem22 sowie die Beiträge im Handbuch „Grundlagen des Verwaltungsrechts“23 prägend. Dem neuen Thema E-Government haben etwa Utz Schliesky und ich verschiedene Tagungen gewidmet. Bei der ersten Tagung 2009 in Speyer hat z. B. Jan Ziekow zum Thema „Vom Verwaltungsverfahren über den Geschäftsprozess zum IT-Workflow“ und Ulrich Stelkens zur Frage der „Kontrolle technikgestützter hoheitlicher Entscheidungen“ referiert24. Freilich werden auch außerhalb Speyers interessante Tagungen veranstaltet, wie etwa zuletzt jene von Martin Burgi und Klaus Schönenbroicher zur Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts im Oktober 2009 in Düsseldorf25. Aus Zeitgründen konnte ich die Entwicklung von 35 Jahren VwVfG nur in großen Strichen nachzeichnen. Die Zukunft bringt spannende Herausforderungen. Utz Schliesky in der FAZ vom 8.10.200926 und Martin Burgi in der FAZ

___________ kommentar, 2. Aufl. 2010; Johann Bader, u. a. (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 2010. 21 Walter Schmitt Glaeser (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, 1977; Rainer Wahl/Jost Pietzcker, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151, 193; Jürgen Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984; Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986; Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002; Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, 2005; Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2006. 22 Vgl. insbesondere Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, Schriften zur Reform des Verwaltungsrechts, Band 9, 2002, darin etwa Jan Ziekow, Inwieweit veranlasst das Neue Steuerungsmodell zu Änderungen des Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsverfahrensgesetzes?, S. 349. 23 Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 2008, §§ 27–32. 24 Hermann Hill/Utz Schliesky (Hrsg.), Herausforderung e-Government, 2009, darin Jan Ziekow, S. 69 und Ulrich Stelkens, S. 149; s. auch den Band zur zweiten Tagung dieser Reihe, die 2010 in Kiel stattfand: Hermann Hill/Utz Schliesky (Hrsg.), Innovationen im und durch Recht, 2010, darin die „Speyerer“ Ulrich Stelkens, S. 127; Mario Martini, S. 153, Margit Seckelmann, S. 201, Thorsten Siegel, S. 189 und Hermann Hill, S. 285 ff. 25 Martin Burgi/Klaus Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010. 26 Utz Schliesky, Der überforderte Phönix, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Oktober 2009, S. 8.

Hermann Hill

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vom 3.12.200927 haben dazu verschiedene Entwicklungen angemahnt. Ein unveröffentlichtes Eckpunkte-Papier des ehemaligen Thüringer Innenministers Peter Huber28 zeigt weitere Forderungen auf. Defizite werden vor allem bei der notwendigen Anpassung an das EU-Recht und bei der Bereitstellung und Ausgestaltung geeigneter Genehmigungsverfahren für das Fachrecht gesehen29. Dieser Problematik ist u. a. der Donnerstagnachmittag gewidmet. Weitere Themen werden wir am Freitagmorgen ansprechen. Das Verwaltungsmodernisierungsprogramm der Bundesregierung vom August 2010 heißt „Vernetzte und transparente Verwaltung“30. Beide Themen finden im VwVfG noch kaum Niederschlag. Prozessmanagement, Wirkungsorientierung oder Finanzkrise sind ebenfalls für das VwVfG noch Fremdworte. Auch das Management von Unsicherheit oder neue Entwicklungen von Demokratie und Bürgerbeteiligung werden als Herausforderung im VwVfG noch nicht gesehen. Der Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI, dem auch verschiedene Anwesende angehören, hat im letzten Jahr eine Empfehlung zum Novellierungsbedarf der Verwaltungsverfahrensgesetze unter dem Titel „Bewährtes weiterentwickeln“ vorgelegt31. Nach dieser Empfehlung des Beirats sollten „Anpassungen, aber mit großer Behutsamkeit und nicht vorschnell erfolgen“. Und weiter heißt es: „Vor einem Tätigwerden des Gesetzgebers bedarf es gründlicher wissenschaftlicher und praxisorientierter Diskussion.“ Dazu sind wir hier und ich hoffe und wünsche, dass wir dabei am Freitagnachmittag etwas weitergekommen sind. Und nun ganz offiziell: Ich erkläre die Tagung hiermit, auch im Namen meiner Kollegen Mitveranstalter, für eröffnet und wünsche ihr einen guten und erfolgreichen Verlauf. Ich freue mich auf eine gute und ertragreiche Diskussion. Ich bitte nun Frau Staatssekretärin Rogall-Grothe um ihr Eingangsreferat.

___________ 27 Martin Burgi, Ordnung muss sein, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. Dezember 2009, S. 8. 28 Freistaat Thüringen, Innenministerium, Eckpunktepapier zum Reformbedarf des (Thüringer) Verwaltungsverfahrensgesetzes (unveröffentlicht). 29 Vgl. noch Martin Burgi, Verwaltungsverfahrensrecht zwischen europäischem Umsetzungsdruck und nationalem Gestaltungswillen, JZ 2010, 105. 30 www.verwaltung-innovativ.de. 31 „Bewährtes Weiterentwickeln“, Empfehlungen des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern zum Novellierungsbedarf der Verwaltungsverfahrensgesetze, NVwZ 2010, 1078.

35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz Cornelia Rogall-Grothe

Die Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“1 ist eine berühmte Streitschrift von Friedrich-Carl von Savigny, in der sich dieser gegen Thibauts Schrift „Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“2 richtet. Beide Schriften sind 1814 erschienen und vor dem Hintergrund der damals herrschenden Kleinstaaterei und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit zu sehen. Thibaut wollte die deutsche Einheit durch ein allgemeines deutsches Gesetzbuch befördern und vertrat damit die demokratisch-liberale Richtung. Savigny trat Thibauts Forderung entgegen und begründete dies damit, es sei nicht Aufgabe des Gesetzgebers, Recht zu erzeugen; vielmehr hemme der Gesetzgeber dadurch die Fortbildung des Rechts. Entsprechende Einwände wurden gegen die Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts geltend gemacht. Eine Kodifikation hemme die Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts, dieses sei noch nicht hinreichend entwickelt, um als gesetzliche Regelung maßstabbildend zu wirken. Diese grundsätzlichen Bedenken gegen die Aufgabe des Gesetzgebers, Recht zu erzeugen, haben die Schöpfer des Verwaltungsverfahrensgesetzes, wie ich meine, gottlob nicht geteilt. Am 25. Mai 1976 konnte daher das Verwaltungsverfahrensgesetz im Bundesgesetzblatt verkündet werden.3 Es ist zum 1. Januar 1977 in Kraft getreten. Das Verwaltungsverfahrensgesetz ist gestaltet als fachgebietsübergreifendes, „vor die Klammer“ gezogene allgemeines Dachgesetz für diejenigen Verwaltungsverfahren, die in seinen Anwendungsbereich fallen. Ungeachtet unterschiedlicher Bewertungen, die die Verabschiedung des Verwaltungsverfahrensgesetzes gefunden hat, markiert sein Inkrafttreten ohne Übertreibung ein rechtshistorisches Ereignis. ___________ 1 Friedrich Carl von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, Nachdruck 1997. 2 Anton Friedrich Justus Thibaut, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, 1814, Nachdruck 1997. 3 BGBl. I S. 1253.

Cornelia Rogall-Grothe

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Bis zu Beginn der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts wirkte noch das Wort Labands fort, dass der weitaus größte Teil der Staatsverwaltung dem Recht fern stehe und deshalb nicht in Rechtsregeln gebracht werden könne. Herrschend war die Auffassung, dass es nach der Eigenart des Verwaltungshandelns nicht möglich sei, – wie Herbert Krüger es formulierte – „dieses in Verfahren zu bringen“.4 Nur in Teilbereichen gelang eine Kodifikation im weitesten Sinne verwaltungsrechtlicher Regelungen, so insbesondere im Polizeirecht. Eine wichtige Station in der Entwicklung des modernen Polizeirechts war dabei das von Bill Drews geschaffene Preußische Polizeiverwaltungsgesetz (PVG) von 1931.5 § 14 Abs. 1 des Gesetzes enthielt dabei eine Generalklausel, die in der Tradition des Kreuzberg-Urteils sowie von § 10 II 17 ALR stand und zugleich Vorbild für alle späteren Generalklauseln geworden ist: „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.“ In den Bestimmungen des PVG von 1931 hat das Polizeirecht seine klassische Gestalt gewonnen, in der es später auf die Bundesrepublik erheblichen Einfluss ausüben sollte. Die rechtshistorische Vorreiterrolle für das Verwaltungsverfahrensgesetz kommt allerdings dem seit 1925 in Österreich geltenden Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz zu. Dieses Vorbild konnte jedoch erst helfen, tief verwurzelte Einwände gegen eine Kodifizierung zu überwinden, nachdem der 43. Deutsche Juristentag 1960 die Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts unter Einbeziehung konnexer Materien des allgemeinen Verwaltungsrechts als wünschenswert und notwendig begrüßt hatte.6 Ein Bund/LänderAusschuss zur Erarbeitung eines Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes legte bereits 1964 einen Gesetzentwurf vor, jedoch verstrickte sich die Beratung in den Erfordernissen konzertierten Vorgehens im föderalen Staat. Mit der Verabschiedung des Verwaltungsverfahrensgesetzes fanden schwierige und langjährige Arbeiten des Gesetzgebers zu einer Kodifizierung der vorher weitgehend nur ungeschriebenen, durch Rechtsprechung und Literatur entwickelten allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsverfahrens bei der öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit der Behörden von Bund, Ländern und Kommunen einen vorläufigen gesetzgeberischen Abschluss. 35 Jahre später besteht Anlass zurückzublicken und eine Bilanz zu wagen, ob und wie weit sich ___________ 4 5 6

Herbert Krüger, VVDStRL 17, 221. Bill Drews, Preußisches Polizeirecht, Allgemeiner Teil, 1927. Verhandlungen des 43. DJT, Tübingen 1962.

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das Verwaltungsverfahrensgesetz bewährt und seine gesetzgeberischen Ziele erreicht oder aber möglicherweise auch verfehlt hat. Die Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts entspricht zunächst dem Postulat, verfassungsrechtliche Anforderungen an eine rechtsstaatliche Ausrichtung des Verwaltungsverfahrens zu erfüllen. Die Verfassungsbezogenheit des Verwaltungsverfahrensrechts für die die von Fritz Werner stammende Kennzeichnung des Verwaltungsrechts als konkretisiertes Verfassungsrecht7 steht, ist ein Konkretisierungsauftrag an den Gesetzgeber, den er, wie ich meine, gut erfüllt hat. So sind denn auch die in der Literatur seit seinem Inkrafttreten vorgenommenen Würdigungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes grundsätzlich positiv ausgefallen.8 Zwar beginnt entgegen allzu euphorischen Stimmen mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz keine neue Zeitrechnung der Verwaltungsrechtswissenschaft. Gleichwohl stellt es ein solides Fundament dar, auf dessen Grundlage die Verwaltungspraxis und Verwaltungsrechtsprechung notwendige Fortbildungen und Anpassungen vornehmen können. Das Verwaltungsverfahrensgesetz hat sich im Grundsatz bewährt. Dieser grundsätzliche positive Befund ist weitgehend unstreitig. Denn dem Verwaltungsverfahrensgesetz kommt bereits deshalb eine beachtliche Kodifikationswirkung zu, weil mit ihm die bis dahin weitgehend nur ungeschriebenen, richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Verwaltungsverfahrens auf eine gesicherte und einheitliche Rechtsgrundlage gestellt wurden.9 Damit ist zugleich ein Mindestmaß an Harmonisierung der Behördenverfahren bei der Ausführung von Bundes- und Landesrecht erreicht. Wegen dieser Harmonisierungs- und Vereinheitlichungswirkung wird das Verwaltungsverfahrensgesetz deshalb auch mit einem gewissen Recht als „Grundgesetz der Verwaltung“ bezeichnet. Das Verwaltungsverfahrensrecht ergänzt das materielle Verwaltungsrecht in den einzelnen Rechtsgebieten und hat u.a. deshalb eigenständige Bedeutung, weil der Inhalt einer Behördenentscheidung auch von dem von den Behörden einzuhaltenden Verfahren und den Verfahrensrechten des von einer Verwaltungsentscheidung betroffenen Bürgers abhängt. Allerdings ist auch eine viel beklagte Verlustliste der Rechtseinheit zu verzeichnen. Im Gesetzgebungsverfahren hatten die federführenden Ausschüsse des Deutschen Bundestags bis zuletzt vergeblich versucht, für das Abgaben-, das Sozial- und das allgemeine Verwaltungsverfahren ein einheitliches Verwaltungsverfahrensgesetz zu schaffen und die Realisierung der so genannten DreiSäulen-Theorie zu verhindern. Das ist im Ergebnis nicht gelungen, weil in die___________ 7

Fritz Werner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht, DVBl. 1959, 527. 8 Hermann Hill, Zehn Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz, Speyer, 1987. 9 Thomas von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 16.

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sem Fall zu viele Besonderheiten hätten berücksichtigt werden müssen, die der Einheitlichkeit der Kodifizierung entgegenstanden. Deshalb sind die Verfahren nach der Abgabenordnung und nach dem Sozialgesetzbuch aus dem Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes ausgenommen. Zwischen Abgabenordnung, Sozialgesetzbuch X und Verwaltungsverfahrensgesetz gibt es daher eine Reihe von Abweichungen, die in bestimmten nicht überwindbaren Spezifika der drei Säulen begründet sind. An den gleichen nicht harmonisierbaren Unterschieden in den drei Bereichen ist Jahre später auch die Aufhebung von VwGO, SGG und FGO unter Ersetzung durch eine einheitliche Verwaltungsprozessordnung (VwPO) gescheitert. Bei nüchterner und realistischer Betrachtung gibt es systemimmanente Grenzen für eine Vereinheitlichung auch im Verwaltungsverfahrensrecht, weil sie für sich genommen noch kein Ersatz für Sach- und Fachgerechtigkeit ist und Einheitlichkeit um ihrer selbst willen als Rechtfertigungsgrund nicht ausreicht. Bei der Betrachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes fällt zudem sein begrenzter Anwendungsbereich ins Auge. Gemessen an dem gesetzgeberischen Anspruch, demzufolge die Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts eine Schneise in das Dickicht der verschiedensten verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften schlagen sollte, bleibt das Verwaltungsverfahrensgesetz der Kompromisshaftigkeit moderner Gesetzgebung verhaftet. Denn das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes gilt wegen der bis 1976 streitig gebliebenen Frage nach der Gesetzgebungskompetenz für das Verwaltungsverfahren bei der Ausführung von Bundes- und Landesrecht auf Grund des im Vermittlungsverfahrens gefundenen Kompromisses nur für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden des Bundes. Die Länder haben auf dieser Grundlage eigene Verwaltungsverfahrensgesetze – als so genannte Voll- oder Verweisungsgesetze erlassen – und dabei bis auf zumeist landesrechtlich bedingte Besonderheiten die entsprechenden Änderungen des Bundesgesetzes wort- oder inhaltsgleich übernommen. Diese weitgehende Rechtseinheit zwischen Bundes- und Landesrecht ist durch die Revisibilitätsklausel des § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO abgesichert. Damit ist im Ergebnis die im Interesse eines einheitlichen Verwaltungsvollzugs notwendige Homogenität öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit der Behörden von Bund, Ländern und Kommunen bei der Ausführung von Bundes- und Landesrecht im Grundsatz sichergestellt. Das ist ein rechtlich und praktisch nicht zu unterschätzender Effekt. Die Länder haben in den vergangenen 35 Jahren letztlich jedenfalls im Ergebnis der Versuchung widerstanden, im Verwaltungsverfahrensrecht für ihre Bereiche vom Bundesrecht abzuweichen und eigene Wege zu gehen. Bei einem Rückblick auf 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz ist zunächst eines besonders bemerkenswert: Diese zentrale Kodifikation des Verfahrens-

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rechts wurde zwischenzeitlich zwar 16 Mal geändert.10 Die erste größere Änderung erfolgte aber erst 1996. Das Gesetz blieb also fast zehn Jahre nahezu unverändert. In der Folge wurden die Abstände deutlich kürzer. Inzwischen steht schon jedes Jahr eine Änderung an, manchmal sind es sogar mehrere in einem Jahr. Damit steht es natürlich nicht allein da. Die zunehmende Geschwindigkeit, in der wir heute neue Gesetze schaffen und bestehende ändern ist ein allgemeines und oft beklagtes Phänomen. Zweifellos gibt es dafür oft auch gute Gründe. Wir leben ja auch in einer sich immer schneller verändernden Welt, die nach Regeln verlangt, die sich veränderten Bedingungen anpassen. Vor allem die rasante informationstechnische Entwicklung ist ein Hauptgrund für diesen hohen Anpassungsdruck. Man kann – um einmal die Begrifflichkeit dieses Lebensbereichs aufzugreifen – das Verwaltungsverfahrensgesetz mit dem Betriebssystem eines Computers vergleichen. Im Idealfall arbeitet es zuverlässig und vor allem unauffällig im Hintergrund. Seine Aufgabe ist es, eine möglichst reibungslose und oft gleichzeitige Arbeit mit den verschiedenen Arbeitsprogrammen zu ermöglichen, damit die „eigentliche“ Arbeit zuverlässig und schnell erledigt werden kann. Ähnlich ist es mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Es soll gewährleisten, dass der Vollzug des materiellen Rechts regelgerecht erfolgt und die verschiedenen oft gegenläufigen Interessen der Beteiligten zu einem vernünftigen Ausgleich kommen. Ein gutes Verfahrensrecht zeichnet sich wie ein gutes Betriebssystem dadurch aus, dass es sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern ebenso unauffällig wie zuverlässig im Hintergrund arbeitet. Im Idealfall sollte es auch schonend mit den Ressourcen umgehen. Als mindestens ärgerlich empfinden wir zu häufige Neuauflagen und Updates, wenn sich ihre Notwendigkeit nicht unmittelbar erschließt. Deren Mehrwert scheint oft in keinem rechten Verhältnis zu Umstellungsaufwand und Folgekosten zu stehen. Ganz davon abgesehen, das Altes Bewährtes damit zuweilen nicht mehr richtig funktioniert. Ich möchte diesen Vergleich nicht zu sehr strapazieren. Aber auch bei so mancher ver___________ 10 Art. 7 Nr. 4 AdoptionsG v. 2.7.1976 (BGBl. I S. 1749), Art. 7 § 3 BtG v. 12.9.1990 (BGBl. I S. 2002), Art. 12 Abs. 5 PostneuordnungsG v. 14.09.1994 (BGBl. I S. 2325), Art. 1 des (1.) VwVfÄndG v. 2.5.1996 (BGBl. I S. 656), Art. 1 GenBeschlG v. 12.9.1996 (BGBl. I S. 1354), Art. 14 des 2. PatGÄndG v. 16.7.1998 (BGBl. I S. 1827), Art. 1 des 2. VwVfÄndG v. 6.8.1998 (BGBl. I S. 2022), Art. 16 6. Euro-EG v. 3.12.2001 (BGBl. I S. 3306), Art. 13 HZvNG v. 21.6.2002 (BGBl. I S. 2167), Art. 1 des 3. VwVfÄndG v. 21.8.2002 (BGBl. I S. 3322), Art. 4 Abs. 8 KostRMoG v. 5.5.2004 (BGBl. I S.718), Art. 1 des 4. VwVfÄndG v. 11.12.2008 (BGBl. I S. 2418), Art. 10 FGG-ReformG v. 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586, 2696), Art. 4a des DIRLUG v. 17.7.2009 (BGBl. I S. 2091), Art. 4 des RAuNOBRÄndG v. 30.7.2009 (BGBl. I S. 2449), Art. 2 des PABRMoG v. 14.8.2009 (BGBl. I S. 2827).

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meintlichen Modernisierung des Verfahrensrechts fragt sich nicht nur im Nachhinein, ob sich der Aufwand wirklich gelohnt hat. Das Verwaltungsverfahrensgesetz ist nach seinem Inkrafttreten also lange unverändert geblieben. Seit 1996 sind dann drei Änderungen unterschiedlichen Gewichts erfolgt. Durch das (1.) Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (VwVfÄndG) vom 2.5.199611 wurden im Wesentlichen vorhandene Regelungen aus dem Haushaltsrecht in das VwVfG übernommen. Bemerkenswert ist bei dieser Novelle der Gesetzgebungsprozess: Erstmalig hatte die Bundesregierung den auf der Basis eines Bund/LänderMusterentwurfs erstellten Gesetzentwurf bereits 1986 im Bundestag vorgelegt. In den folgenden Wahlperioden jeweils erneut eingebracht, konnte sich der BTInnenausschuss erst 1996 zu einem positiven Votum entschließen. Zu diesem Zeitpunkt hatten zahlreiche Länder ihre Verwaltungsverfahrensgesetze bereits entsprechend geändert. Die Änderungen durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12.9.1996 sind von unterschiedlicher Qualität. Sie sind auch innerhalb der Bundesregierung bei der Gesetzesvorbereitung kontrovers diskutiert worden.12 –

So wurde etwa die Einfügung des Merkmals „zügig“ in § 10 VwVfG als typisches Beispiel sog. Signalgesetzgebung bezeichnet, nachdem der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung den bislang schon normierten Merkmalen „einfach und zweckmäßig“ entnommen worden war.



Gegen die Erweiterung der Heilungsmöglichkeiten in § 45 VwVfG wurden nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Sie wurden auch betrachtet als Regelung eines vermeintlichen Missstandes in der Judikatur, der im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr bestand, da weitgehende Heilungsmöglichkeiten nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits gegeben waren.



Umstritten war auch die Einfügung eines eigenen Abschnitts „Beschleunigung von Genehmigungsverfahren“ (§§ 71a ff. VwVfG). Diskutiert wurde hier vor allem die Frage der Normwürdigkeit. Vielfach wurde die Auffassung vertreten, dass die Regelungen über Zügigkeit (§ 71b VwVfG), Beratung und Auskunft (§ 71c VwVfG), Sternverfahren – gleichzeitige, mit Fristsetzung verbundene Beteiligung der betroffenen Behörden – (§ 71d VwVfG) und Antragskonferenz (§ 71e VwVfG) eher auf der Ebene von Verwaltungsvorschriften hätten getroffen werden müssen. Ein kleiner Teil dieser Regelungen ist inzwischen in den Allgemeinen Teil als eigener Ab-

___________ 11

BGBl. I S. 656. Zusammenfassend Michael Sachs/Bernd Wermeckes NVwZ 1996, 1185; Christoph Gröpl VerwArch 1997, 23. 12

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satz in § 25, der Beratungs- und Auskunftspflichten der Behörden regelt, übertragen worden. Der größere Rest wurde im Rahmen der Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie mit dem Vierten Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (4. VwVfÄndG) vom 11.12.200813 ersetzt durch die neuen Vorschriften über das Verfahren über eine einheitliche Stelle. Der Wegfall war offenbar zu verschmerzen – sei es weil sich die dort beschriebenen Verfahren so etabliert haben, dass es keiner Regelung mehr bedarf, sei es weil sie von Anfang eher als Symbolcharakter hatten.14 Die nächste bedeutendere Änderung des VwVfG war der technischen Entwicklung geschuldet. 1976 war der EDV-Einsatz auch bei Behörden noch die Ausnahme, weil diese Technik damals noch in den Anfängen steckte. Das hat sich seitdem grundlegend geändert. Heute sind die Nutzung des Internet, die Kommunikation per E-Mail und überhaupt der Umgang mit elektronischen Dokumenten im Berufsalltag, im Geschäftsverkehr aber auch in der Verwaltung selbstverständlich und unverzichtbar geworden. Wie kaum eine andere Entwicklung haben die rasanten Fortschritte und Innovationen der Informationstechnik die Verwaltung verändert. Elektronische Datenverarbeitung ist längst nicht mehr Angelegenheit hochspezialisierter Nischen, sondern bestimmt weitgehend Arbeitsabläufe und Kommunikation innerhalb der Verwaltung. Schrittmacher in dieser Entwicklung waren sicher die Computer- und ITIndustrie und der Markt, der sehr schnell einfach zu handhabende Instrumente für die Abwicklung aller möglichen Rechtsgeschäfte des Alltags und deren Bezahlung via Internet bereit gestellt hat. Was die Menschen hier im Alltag schätzen gelernt haben, erwarten sie selbstverständlich auch als Angebot von Seiten der Verwaltung. Das Verwaltungsverfahrensgesetz als „Grundgesetz der Verwaltung“ ist naturgemäß Referenzgebiet für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. In den zahlreichen Änderungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes seit 1996 schlägt sich das Bemühen um Effizienz staatlichen Handelns nieder. Stets hat das Verwaltungsverfahrensrecht zu fragen, welche Funktionen und Aufgaben die Verwaltung zu erfüllen hat, und das Erforderliche vorzuhalten, damit dieses auch geleistet werden kann. Solche neuen Aufgaben erwachsen auch aus der Fortentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik. Informationen jeder Art, insbesondere auch Willenserklärungen, können mit dieser Technik schnell elektronisch übermittelt werden. Damit Bürger und Verwaltung diese technischen Errungenschaften nutzen können, bedarf es aber eines einheitlichen rechtlichen Rahmens. Diesen schaffte das Dritte Gesetz zur Änderung verwal___________ 13 14

BGBl. I S. 2418. Vgl. BT-Drs. 16/10493 v. 7.10.2008, S. 12.

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tungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (3. VwVfÄndG) vom 21.8.200215 mit wesentlichen Änderungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Die maßgeblichen Vorschriften dieses Gesetzes können als Musterbeispiel einer klaren und einfachen, ja fast möchte man sagen eleganten Regelung des Verfahrensrechts bezeichnet werden. Durch wenige knappe Formulierungen wurde eine tragfähige Grundlage für die flächendeckende Einführung der elektronischen Kommunikation in der gesamten Verwaltung geschaffen. Wesentlich war vor allem die Einführung einer Generalklausel (§ 3a VwVfG), die die Gleichwertigkeit von durch Gesetz angeordneter Schriftform und – mit qualifizierter elektronischer Signatur versehener – elektronischer Form bestimmt. Diese Generalklausel im Verwaltungsverfahrensgesetz wirkt grundsätzlich auch auf das gesamte besondere Verwaltungsrecht ein. Durch Gesetz angeordnete Schriftform umfasst die Begriffe „schriftlich, schriftliche Form, Schriftform“; sie erfasst auch Sachverhalte, bei denen die Schriftlichkeit durch die gesetzliche Umschreibung vorgegeben ist, wie bei den Begriffen „Unterschrift, Unterschriftenliste, Niederschrift“. Daneben gibt es weitere Bereiche, wo die Schriftförmlichkeit nur mittelbar aus gesetzlichen Anforderungen folgt: z.B. wenn die Zustellung eines Verwaltungsakts oder die Aushändigung eines Dokuments vorgeschrieben ist. Auch hier greift die Regelung des § 3a VwVfG. Ist die Schriftförmlichkeit jedoch durch Rechtsvorschrift an die Verwendung eines bestimmten Mediums geknüpft, handelt es sich um eine der Ersetzungsmöglichkeit entgegenstehende Regelung, soweit das betreffende Fachrecht nicht eine elektronische Variante ausdrücklich vorsieht. Im Bereich des formfreien Verwaltungshandelns sind weiterhin einfache elektronische Handlungsformen möglich, an die das Erfordernis einer qualifizierten Signatur nach dem Signaturgesetz nicht gestellt wird. Leider hat sich jedoch die Verwendung der qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) bislang nicht recht durchsetzen können. Das hat zur Folge, dass, immer wenn das Fachrecht die Schriftform verlangt, die Verwendung elektronischer Dokumente in der Praxis scheitert. Die Gründe dürften vor allem darin liegen, dass es nicht gelungen ist, ein attraktives Trägersystem für diese Signatur zu finden. Die Beschaffung der erforderlichen Signiereinrichtung und die regelmäßige kostenpflichtige Aktualisierung sind offenbar den meisten Menschen schlicht zu aufwendig und kompliziert. Das ist auch deshalb nachvollziehbar, weil der einzelne Bürger nicht häufig mit der Verwaltung zu tun hat und für die Abwicklung von Internetgeschäften die Signatur nicht benötigt wird. In den Verwaltungsbereichen, in denen ein entsprechender Geschäftsanfall eine regelmäßige Nutzung des Systems mit sich bringt und sich auch die Anschaffung der erforderlichen Technik lohnt, wird die qeS übrigens sehr er___________ 15

BGBl. I S. 3322.

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folgreich eingesetzt und wegen ihrer Sicherheit und einfachen Handhabung durchaus gelobt. Die qeS ist deshalb keinesfalls ein Auslaufmodell und wird auch in Zukunft unverzichtbar sein. Ihr entscheidender Vorteil ist die Verbindung mit dem elektronischen Dokument, die – auch bei dessen weiterer Verwendung – unmittelbar Authentizität und Integrität gewährleisten kann. Trotzdem und auch, weil sich die Technik fortentwickelt hat, müssen wir künftig einfachere Formen der elektronischen Kommunikation mit der Verwaltung finden, die einen akzeptablen Sicherheitsstandard gewährleisten. Wir prüfen deshalb derzeit gemeinsam mit den Ländern eine Erweiterung des § 3a VwVfG, um zusätzliche Verfahren, die geeignet sind, eine gesetzliche angeordnete Schriftform zu ersetzen. Hier müssen wir darauf achten, den bisher geltenden Gleichklang der Verfahrensordnungen – insbesondere auch mit dem Zivilrecht – nicht zu gefährden. Die grundlegenden Formvorschriften sollen auch in Zukunft einheitlich sein. Niemandem ist zuzumuten, am Computer entscheiden zu müssen, ob er sich gerade im Zivil- oder im Verwaltungsrecht bewegt und einmal die eine und dann die andere Anforderung z. B. an die Ersetzung der Schriftform zu erfüllen hat. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier schon bald im Rahmen des geplanten E-Governmentgesetzes der Bundesregierung zukunftweisende und sichere neue Verfahren etablieren können. Dabei dürften sowohl der elektronische Personalausweis als auch die Kommunikation via DeMail eine Schlüsselrolle spielen. Ich komme zu einem anderen Thema: Das Bundesministerium des Innern hat im Dezember letzten Jahres einen Entwurf für ein Planungsvereinheitlichungsgesetz16 in die Ressortabstimmung und Verbändebeteiligung gegeben, der Gegenstand intensiver öffentlicher Debatten ist. Ein Kernpunkt ist die Übertragung der Fakultativstellung des Erörterungstermins in das Verwaltungsverfahrensgesetz. Ausgangspunkt des Vorhabens war eine Forderung von Bundestag und Bundesrat an die Bundesregierung. Beide Verfassungsorgane haben 2006 mit dem Inkrafttreten des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz eine Übertragung der Neuregelungen zum Planfeststellungsverfahren in das VwVfG gefordert, die lediglich aus Gründen der Beschleunigung in die wichtigen sechs Fachplanungsgesetze statt in das VwVfG und anschließend in die VwVfGe der Länder eingeführt worden waren.17 Die positiven Erfahrungen gaben also keinen Anlass, den Auftrag von Bundestag und Bundesrat nicht nachträglich in Frage zu stellen. Nun hat es – verstärkt durch die aktuelle Diskussion um Stuttgart 21 – zum Teil heftige Kritik an dem Gesetzentwurf gegeben. Wir nehmen diese Kritik ___________ 16 Entwurf für ein Gesetz zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren. 17 BT-Plenarprotokoll 16/61 und BR-Drs. 764/06.

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sehr ernst. Die Offenheit für konstruktive Kritik ist ja auch Voraussetzung und Sinn einer Beteiligung von Interessenverbänden im Gesetzgebungsprozess. Wir prüfen gegenwärtig intensiv, welche Verbesserungen möglich sind. Wir beraten uns dazu in unseren bewährten Gremien wie Beirat18 und Konferenz der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten von Bund und Ländern, aber auch mit den betroffenen Resorts, der Wissenschaft und der Fachöffentlichkeit. Ich glaube nicht, dass hier der Blick auf den Erörterungstermin oder überhaupt das Planfeststellungsverfahren genügt. Offenbar geht es um mehr. Kritisiert wird doch vor allem, dass eine breite Öffentlichkeit nicht früh genug über wichtige Vorhaben informiert wird. Dass wichtige Projekte nicht so erläutert werden, dass auch dem technischen und planungsrechtlichen Laien verständlich wird, worum es eigentlich geht, welche Auswirkungen ein solches Vorhaben haben wird. Diese Transparenz wird eingefordert für einen Zeitpunkt, in dem noch die realistische Chance besteht, Einfluss auf eine Planung nehmen zu können. Wir müssen uns also Gedanken machen, wie diesem gewachsenen Bedürfnis nach Partizipation künftig besser entsprochen werden kann. Sowohl den Vorhabenträgern, als auch der Verwaltung steht bereits jetzt eine breite Palette von Möglichkeiten zur Verfügung. Das reicht von der schlichten aber wirkungsvollen Veröffentlichung von Planunterlagen samt Erläuterungen im Internet über online-Konsultationen bis zu Mediationsveranstaltungen bei sich abzeichnenden Konflikten. Vieles davon wird auch schon mit Erfolg in der Praxis angewandt. Wir müssen uns aber fragen, ob hier nicht auch gesetzliche Regelungen sinnvoll sein können, um insgesamt zu einer breiten Anwendung zu kommen. Eine gesetzliche Regelung müsste sich jedenfalls in den vorhandenen Rechtsrahmen einfügen und darf nicht zu unbeabsichtigten neuen Problemen führen. Die Diskussion ist noch nicht beendet. Ich komme zu einem anderen Aspekt, der jetzt und in weiterer Zukunft ständig im Auge zu behalten ist, wenn es um die Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts geht: Europa. Zunehmenden Einfluss auf das nationale Verwaltungsverfahrensrechts üben das primäre und vor allem das sekundäre Gemeinschaftsrecht aus. Es gibt zwar keine zentrale Kodifikation im Sinne eines Europäischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – das ließe schon das Primärrecht nicht zu. Soweit das Gemeinschaftsrecht keine Vorgaben zur Handhabung seiner Bestimmungen festlegt, wird folglich das nationale Verfahrensrecht angewandt. Es gilt der Grundsatz der beschränkten Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht. Tatsächlich nehmen verfahrensrechtliche Vorgaben im Sekundärrecht aber laufend zu. Sie finden sich an vielen Stellen bereichsspezifischer Rechtsakte. Dahinter ist aber nicht etwa ein in sich geschlossenes und stimmiges System zu ___________ 18

Vgl. Fn. 21.

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erkennen. Regelmäßig steht der materielle Regelungsgehalt im Vordergrund. Vorgaben zum Verwaltungsverfahren im Sekundärrecht orientieren sich an den wechselnden Anforderungen, die das jeweilige Spezialgebiet stellt. Die Situation ist vergleichbar mit dem auch bei unseren Fachrechtlern festzustellenden Drang, sich das passende und vermeintlich beste Verfahrensrecht selbst und immer wieder neu zu konstruieren. Allerdings mit dem Unterschied, dass es eben auf europäischer Ebene weder eine Orientierung noch eine Disziplinierung durch eine zentrale Kodifikation gibt. Diese Art der Rechtsetzung führt zwangsläufig zu Konflikten mit dem Verfahrensrecht in Deutschland, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen werden Verfahren normiert, die wegen der begrenzten Regelungskompetenz nur für grenzüberschreitende Sachverhalte Geltung beanspruchen können. Für gleichgelagerte aber eben nicht grenzüberschreitende Inlandssachverhalte wäre somit das nationale Verfahrensrecht einschlägig. Ein solches Nebeneinander ist natürlich problematisch und führt häufig dazu, dass bei der Umsetzung von Sekundärrechtsakten die verfahrensrechtlichen Vorgaben gleich auf die reinen Inlandssachverhalte erstreckt werden. Diese überschießende Wirkung ist aus Sicht des europäischen Gesetzgebers natürlich alles andere als unerwünscht. Sie führt aber zu einer zunehmenden Überlagerung ja Verdrängung des nationalen Verfahrensrechts, die keinem sinnvollen System oder einer konzeptionellen Grundentscheidung folgt. Die Wegmarken verlaufen hier eher zufällig, nämlich abhängig von aktuellen politischen Programmen und Gegenstand und Reichweite der aus ihrer Umsetzung folgenden Rechtsakte. So hat zuletzt die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie einen bislang nicht dagewesenen Einfluss auf das VwVfG genommen.19 Es wurde nicht nur das bereits erwähnte „Verfahren über eine einheitliche Stelle“ als verallgemeinerungsfähiges neues Verfahrensmodell eingeführt, sondern auch ein neuer Abschnitt über die „Europäische Verwaltungszusammenarbeit“.20 In diesem Fall kann man wohl von einer gelungenen Implementierung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben sprechen. Die besondere Bedeutung dieser Ergänzungen liegt darin, dass sie die Grundgedanken der umzusetzenden europäischen Vorgaben aufgreifen und nutzbar machen. In der bewährten Zusammenarbeit von Bund und Ländern wurde eine eigenständige Lösung gefunden, die sich einfügt in das Vorhandene und nicht etwa einen Fremdkörper darstellt. Glücklicherweise wurde nicht der Weg der simplen Übertragung von Regelungstext aus dem EU-Rechtsakt gewählt, der leider allzu oft beschritten wird. Der zweite Aspekt, der mir wichtig erscheint, wird durch den gerade beschriebenen Effekt noch verstärkt: Es fehlt nicht nur an einem europäischen ___________ 19 20

Hierzu Heribert Schmitz/Lorenz Prell, NVwZ 2009, 1. Hierzu Heribert Schmitz/Lorenz Prell, NVwZ 2009, 1121.

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Pendant zu unserem Verwaltungsverfahrensgesetz, auch die Vorstellungen darüber, welche Funktion Verfahrensrecht haben soll, gehen auseinander. Dem deutschen Konzept des eher dienenden Verfahrens und der Betonung der materiellen Richtigkeit von Verwaltungsentscheidungen steht z.B. eine starke Betonung der strikten Befolgung von Verfahrensvorschriften gegenüber. Traditionell legen wir auch ein viel stärkeres Gewicht auf präventive Kontrolle, während die stark wirtschaftsorientierte europäische Gesetzgebung Vorabkontrollen zugunsten möglichst großer unternehmerischer Bewegungsfreiheit zurückdrängt und ein repressives Verwaltungshandeln zur Kontrolle bevorzugt. Sehr deutlich ist dieser ganz unterschiedliche Ansatz in der Dienstleistungsrichtlinie geworden. Dabei kann keineswegs die Rede davon sein, dass der dort verfolgte Ansatz der grundsätzlich überlegene wäre. Wir werden auch in Zukunft mit den soeben beschriebenen Effekten leben müssen, die unseren Gestaltungsspielraum zunehmend einzuschränken drohen. Wenn wir Verfahrensrecht auch künftig selbst gestalten wollen, müssen wir eine doppelte Strategie verfolgen. Ziel muss es erstens sein, stärker Einfluss zu nehmen, wenn fachspezifisch Verfahrensrecht auf europäischer Ebene geschaffen wird. Dafür ist es erforderlich, bereits in den frühsten Planungsphasen aktiv mitzuwirken. Dazu bedarf es auch einer starken und frühen Einbindung der Länder. Und zweitens sollten wir durch eigene vorbildgebende Fortentwicklung unseres Verfahrensrechts dieses auch für Europa attraktiv machen. Im Hinblick auf den Trend zur Europäisierung auch in diesem Bereich könnte es sich empfehlen, die Möglichkeiten und Grenzen einer Harmonisierung des nationalen und europäischen Verwaltungsverfahrensrechts in einem Symposium gesondert zu diskutieren. Lassen Sie mich zum Schluss noch einige grundsätzliche Anmerkungen machen: Notwendige Korrekturen im Verfahrensrecht sollten die gesamte Anlage des Gesetzes nicht verändern. Bei der Vorbereitung weiterer Änderungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes soll die bewährte Praxis beachtet werden, dass nach Vorbereitung von den hierzu fachlich qualifizierten Experten, nämlich der Konferenz der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten von Bund und Ländern, ein Musterentwurf für die Simultangesetzgebung von Bund und Ländern erstellt wird. Um die Ergebnisse der wissenschaftlichen Diskussion nutzbar zu machen, ist seit 1997 die Zusammenarbeit durch Einrichtung eines Beirats beim Bundesministerium des Innern institutionalisiert. Ihm gehören indes nicht nur Wissenschaftler an. Der anzustrebenden Praxisnähe kommt die Mitwirkung von Vertretern der betroffenen Kreise zugute. Der Beirat fördert den Dialog zwischen Wirtschaft, Verwaltung, Anwaltschaft und Justiz.21 Ich bin sicher, dass er ___________ 21 Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern. Mitglieder sind: RA Prof. Dr. Hans-Jörg Birk (Vorsitz), RA Thomas Frangenberg (Daimler AG), RegVPräs Dr. Andreas Metschke (Reg. v. Unterfranken), VRiBVerwG Werner

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weiter wichtige Impulse für die Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts geben wird. Bei der Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts muss die Tendenz zur Rechtsvereinheitlichung nicht übertrieben werden. Bemühungen zur Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, mit denen inhaltlich übereinstimmende oder entgegenstehende Spezialregelungen beseitigt werden sollen, stoßen regelmäßig auf den Widerstand der davon Betroffenen. Im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts von 1986 wurden bei etwa drei Viertel der anpassungsfähigen Gesetzesvorschriften und etwa sieben Achtel der Vorschriften in Rechtsverordnungen fachliche Einwände gegen eine alsbaldige Vereinheitlichung vorgebracht. Vorbehalte sind jedenfalls insofern berechtigt, als insbesondere Beschleunigungsaspekte – etwa im Verkehrswegeplanungs- und im Asylverfahrensrecht – vom allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht abweichende Regelungen erzwingen können. Die Frage, ob und wie weit Abweichungen erforderlich sind oder nicht, lässt sich sinnvoll nur aus fachlicher Sicht entscheiden. Aus verwaltungsverfahrensrechtlicher Sicht ist Vereinheitlichung jedenfalls kein Selbstzweck. Vielmehr dürfte weiter folgendes richtig sein: Unität für sich genommen ist noch keine Garantie für Qualität und Fach- und Sachgerechtigkeit. Insofern kann notwendiges bereichsspezifisches Recht nicht einfach zugunsten einheitlicher Regelungen abgeschafft werden, zumal die strengen verfassungsrechtlichen Gebote der Berechenbarkeit des Rechts, der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und insbesondere die neuen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Grundrechtskonformität des Verwaltungsverfahrens detaillierte Regelungen geradezu bedingen und einer zu weitgehenden Pauschalierung entgegenstehen. Deshalb sind kleinere, fachgerechte und durchsetzbare Änderungen und Anpassungen der Verwaltungsverfahrensgesetze nach Maßgabe der jeweiligen Materie unter den gegebenen Umständen einer umfassenden, aber nicht durchsetzbaren Lösung vorzuziehen. Mit dieser Prämisse gilt: Verfahrensrechtsvereinheitlichung und Rechtsbereinigung bleiben Daueraufgabe für die Gesetzgeber von Bund und Ländern!

___________ Neumann (stellv. Vorsitz), VRiOVG Prof. Dr. Ulrich Ramsauer, RA Dr. Dieter Sellner, MR Dr. Cornelius Thum (BayStMI), Prof. Dr. Jan Ziekow (DHV Speyer); BMI: MR Dr. Heribert Schmitz, RD Lorenz Prell.

Stuttgart 21 – Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren Thomas Groß

Der Protest gegen den Bau eines neuen Tiefbahnhofs in Stuttgart im Rahmen der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm hat zu einer grundsätzlichen Diskussion über das deutsche Planungsrecht geführt. Nachdem immer deutlicher wird, dass die Schlichtung unter der Leitung von Heiner Geißler nicht zu einer Befriedung des Konflikts geführt hat, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen für die Zukunft aus den Auseinandersetzungen gezogen werden sollten. Zum besseren Verständnis wird zunächst ein Überblick über den Ablauf des Stuttgarter Planungsverfahrens gegeben (I.). Nach einigen grundlegenden Überlegungen zur Bedeutung des Demokratieprinzips für die öffentliche Verwaltung (II.) werden Möglichkeiten zur Verbesserung der Partizipation in Planungsverfahren (III.) und zum Einsatz der direkten Demokratie in solchen Fällen (IV.) erörtert.

I. Ablauf des Stuttgarter Planungsverfahrens Im Folgenden wird ein knapper Überblick über die Vorgeschichte (1.), das förmliche Planungsverfahren (2.) und die nachfolgenden Auseinandersetzungen über die Kosten des Projekts (3.) gegeben.1

1. Die Vorgeschichte Die Idee eines Tiefbahnhofs tauchte zum ersten Mal im Jahr 1988 in einer Denkschrift von Prof. Gerhard Heimerl, Leiter des verkehrswissenschaftlichen Instituts der Universität Stuttgart, auf, der ihn allerdings zunächst nur als Ergänzung des Kopfbahnhofs konzipierte. Im April 1994 stellte die Bahn öffentlich das Projekt vor, den Kopfbahnhof durch einen Tiefbahnhof zu ersetzen, um ___________ 1 Die Darstellung stützt sich auf http://de.wikipedia.org/wiki/Stuttgart_21 (3.2.2011) und die weiteren Quellen in den folgenden Fußnoten.

Thomas Groß

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eine städtebauliche Entwicklung des Gleisvorfeldes zu ermöglichen. Im Januar 1995 schätzte eine Machbarkeitsstudie die Kosten auf 4,8 Mrd. DM. Im November 1995 wurde eine erste Rahmenvereinbarung zur Finanzierung zwischen Bahn, Bund, Land und Stadt geschlossen.

2. Das förmliche Planungsverfahren Das förmliche Planungsverfahren begann mit dem Raumordnungsverfahren, das einschließlich einer Umweltverträglichkeitsprüfung in den Jahren 1996/1997 durchgeführt wurde. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung wurden 13.700 Einwendungen erhoben. Das Projekt wurde mit Modifikationen für raumverträglich erklärt. Im Oktober 2001 begann das Planfeststellungsverfahren, das in mehrere Abschnitte aufgeteilt wurde. Insgesamt wurden mehr als 10.000 Einwendungen erhoben, davon betrafen 2.700 den Bahnhof.2 Am 29. Januar 2005 wurde der Planfeststellungsbeschluss „Talquerung mit neuem Hauptbahnhof“ erlassen.3 Gegen diesen Planfeststellungsbeschluss erhoben zwei Enteignungsbetroffene Klage beim VGH Mannheim, außerdem gab es eine naturschutzrechtliche Verbandsklage. Sie wurden in drei Urteilen vom 6. April 20064 zurückgewiesen, deren Argumentation in den Kernpunkten identisch ist. Insbesondere hielt das Gericht die planerische Rechtfertigung für gegeben, da die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs nicht offensichtlich unzureichend sei. Eine abschließende Klärung der Finanzierung sei nicht erforderlich. Außerdem sei der Ausbau des Kopfbahnhofs nicht eine eindeutig vorzugswürdige Alternative.5 Nachdem die Revision nicht zugelassen wurde, ist der Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig.6

___________ 2

Vgl. Klaus Schönenbroicher, VBlBW 2010, 466 (467). Die Planfeststellungsbeschlüsse sind abrufbar unter http://www.das-neue-herzeuropas.de/informationsmaterial/pdf-download/default.aspx (3.2.2011). 4 VGH Mannheim, Az. 5 S 847/05, UPR 2006, 454; Az. 5 S 848/05, juris; Az. 5 S 596/05, UPR 2006, 453. 5 Vgl. Rn. 97 bzw. 102 bzw. 100: „Denn ob sich eine Alternative als eindeutig vorzugswürdig erweist, ist allein im Hinblick auf die Verwirklichung der Planungsziele und die sonstigen bei der Abwägung zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Belange zu beurteilen. Zu diesen gehören die Kosten des beantragten Vorhabens grundsätzlich nicht; die Prüfung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses obliegt vielmehr ausschließlich dem Vorhabenträger und den sich an der Finanzierung beteiligenden Körperschaften im Rahmen ihrer Finanz- bzw. Haushaltsverantwortung“. 6 Schönenbroicher (Fn. 2) S. 467. 3

Stuttgart 21 – Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren

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3. Die Auseinandersetzungen über die Kosten Damit war der Konflikt jedoch keineswegs beendet, er verlagerte sich vielmehr auf die Frage der Kosten. Im Juli 2007 unterzeichneten Bahn, Bund, Land, Stadt und Region ein Memorandum of Understanding über die Kostentragung. Im Dezember 2007 wurde ein Bürgerbegehren, mit dem der Ausstieg der Stadt aus dem Projekt verlangt wurde, durch den Stuttgarter Gemeinderat für unzulässig erklärt. Die dagegen erhobene Klage wurde am 17. Juli 2009 vom VG Stuttgart abgewiesen, das u.a. damit argumentierte, dass das Ziel des Bürgerbegehrens gegen vertragliche Verpflichtungen der Stadt verstoße.7 Im Oktober 2008 mischte sich der Bundesrechnungshof mit einer kritischen Stellungnahme ein.8 Er bemängelte, dass die Projektkosten bisher falsch eingeschätzt wurden und veranschlagte sie in Höhe von 5,3 Mrd. €. Die im April 2009 unterzeichnete endgültige Finanzierungsvereinbarung ging trotzdem nur von einer Summe von 4,088 Mrd. € aus, errichtete aber zusätzlich einen Risikofonds über 1,45 Mrd. €.9 Im August 2010 begannen die Abrissarbeiten am Hauptbahnhof und die öffentlichen Proteste fanden deutlich mehr Zulauf und Medienaufmerksamkeit. Als Folge wurde auf Vorschlag des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Mappus im Oktober/November 2010 eine öffentliche „Sach- und Faktenschlichtung“ unter der Leitung von Heiner Geißler durchgeführt.10 Die im Schlichterspruch vorgeschlagenen Veränderungen des Projekts fanden Zustimmung durch die Projektpartner, nicht aber durch die Mehrheit der Gegner. Auseinandersetzungen gibt es allerdings darüber, wie der sog. „Stresstest“ richtig durchgeführt werden sollte. Als Fortsetzung der Schlichtung hat die Landesregierung ein Dialogforum eingerichtet, dessen Leitung der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Johann-Dietrich Wörner, übernimmt, der eine entsprechende Funktion bereits beim Flughafenausbau in Frankfurt wahrgenommen hat.

II. Demokratie und Verwaltung Das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 2 GG ist ein Staatsstrukturprinzip mit Geltung für alle Erscheinungsformen der öffentlichen Gewalt. Man könnte den Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zwar so verstehen, dass als Instru___________ 7

VG Stuttgart, VBlBW 2009, 432. Abrufbar unter http://www.kopfbahnhof-21.de/fileadmin/bilder/stellungnahmen/ 081030_brh-bericht_zu_s21.pdf (3.2.2011). 9 http://www.landtag-bw.de/WP14/Drucksachen/4000/14_4382_d.pdf (3.2.2011). 10 Der Ablauf ist dokumentiert unter http://www.schlichtung-s21.de (3.2.2011). 8

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mente der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk nur Wahlen und Abstimmungen in Frage kommen. Diese beiden Verfahren zeichnen sich durch die strenge Egalität der Mitwirkung aus.11 Eine Beschränkung auf diese beiden Legitimationsinstrumente würde die Reichweite des Demokratieprinzips jedoch unzulässig verkürzen, das auch viele andere Formen der Willensbildung kennt und benötigt, um lebendig zu sein. Ebenso wenig beschränkt sich die Mitwirkung des Volkes auf die Funktion der Gesetzgebung. Für die demokratische Legitimation der Verwaltung gibt es verschiedene Formen (1.). Auch der Verwaltungsrechtsschutz erfüllt eine demokratische Funktion (2.).

1. Die demokratische Legitimation der Verwaltung Schon lange ist klar, dass die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung nicht in einem mechanischen Gesetzesvollzug besteht. Sie genießt vielfältige Entscheidungsspielräume, die mit dem Oberbegriff des Ermessens nur ungenau erfasst werden. Zu nennen sind etwa der Erlass untergesetzlicher Normen, die gesetzesfreie Verwaltung in weiten Bereichen der Leistungserbringung, die Beurteilungsspielräume und eben auch die Planung. Deshalb ist die eigenständige demokratische Legitimation der Verwaltung von großer Bedeutung, da die sachliche Legitimation durch die Gesetze keinesfalls ausreichend ist. Als weiterer Bestandteil der demokratischen Steuerung der Verwaltung ist in erster Linie die personelle Legitimation über die parlamentarische Verankerung der Regierung als Verwaltungsspitze zu nennen, wie sie in Deutschland seit 1918/19 verfassungsrechtlich garantiert ist. Allerdings ist hier zu beachten, dass die Ebenen der Gesetzgebung und des Vollzugs in weiten Bereichen auseinanderfallen. Die Bundesgesetze werden aufgrund von Art. 83 GG überwiegend von den Ländern ausgeführt. Dort sind wiederum weite Bereiche des Gesetzesvollzugs den kommunalen Behörden überantwortet. Die Bundesländer und die kommunalen Körperschaften haben jedoch ihre eigenen demokratischen Legitimationsverfahren, so dass die Personen, die für die Ausfüllung der administrativen Handlungsspielräume verantwortlich sind, häufig nicht von dem Parlament bestellt werden, das die entsprechenden gesetzlichen Regelungen erlassen hat.12 Auch diese Divergenz zwischen dem Ursprung der sachlichen und der personellen Legitimation belegt die eigenständige Bedeutung der Implementationsinstanzen und -verfahren. ___________ 11

Die Gleichheit betonen z.B. Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 1. Aufl. 1987, § 22 Rn. 42 f.; Eberhard Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (378). 12 Vgl. dazu näher Thomas Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 179 ff.

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Nach der traditionellen Auffassung hat die Beteiligung der Betroffenen oder der Öffentlichkeit in Verwaltungsverfahren keinen Bezug zum Demokratieprinzip. Ihre Funktion wird allein im Rechtsschutz und in der Information der Behörde gesehen.13 Wenn man aber ernst nimmt, dass gerade komplexe Infrastrukturplanungen durch ein hohes Maß an Gestaltungsspielräumen gekennzeichnet sind, kann man jedenfalls der Öffentlichkeitsbeteiligung, wie sie in Planfeststellungsverfahren vorgeschrieben ist, auch einen eigenständigen demokratischen Gehalt zubilligen.14 Ebenso dienen die Informationsrechte der Bürger dem demokratischen Prinzip, indem sie eine zusätzliche Rechenschaftspflicht der Verwaltung einführen.15

2. Die demokratische Funktion des Verwaltungsrechtsschutzes In diesem Zusammenhang ist auch kurz die dritte Gewalt zu erwähnen. Die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung durch Gerichtsverfahren dient nicht nur dem individuellen Rechtsschutz, wie er durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet wird. Die Möglichkeit der Überprüfung des Verwaltungshandelns durch eine unabhängige Instanz verbessert auch die Chancen, dass die Gesetze eingehalten werden, was zweifellos ein demokratisches Anliegen ist.16 Insbesondere die Verbandsklage, wie sie auch gegen den Tiefbahnhof erhoben wurde, ist in dieser Perspektive ein Instrument der demokratischen Verwaltungskontrolle.

III. Partizipation in Verwaltungsverfahren Das Fachplanungsrecht sieht im gestuften Verfahren der Verkehrswegeplanung verschiedene Partizipationsmöglichkeiten vor, die insgesamt aber nicht ___________ 13 So z.B. Ferdinand Kopp/Ulrich Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 73 Rn. 11; Heinz Joachim Bonk/Werner Neumann in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 73 Rn. 7 ff.; Hansjochen Dürr, in: Hans Joachim Knack/Hans-Günter Henneke (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 73 Rn. 6 ff.; Annette Guckelberger, DÖV 2006, 97 (99 f.). Auch die Rechtsprechung stellt maßgeblich auf den Gedanken des vorverlagerten Rechtsschutzes ab: BVerfGE 53, 30 (65); BVerwG, NVwZ 1997, 489 (490). 14 Helge Rossen-Stadtfeld, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard SchmidtAßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts (GVwR), Bd. II, 2008, § 29 Rn. 9 f.; allgemein zur Diskussion über die Betroffenenbeteiligung zuletzt Karsten Herzmann, Konsultationen, 2010, S. 230 ff. 15 Johannes Masing, VVDStRL 63 (2004), 377 (394 f.). 16 Thomas Groß, DV 2010, 349 (371); Klaus Ferdinand Gärditz, EuRUP 2010, 210 (211).

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befriedigend ausgestaltet sind (1.). Eine zusätzliche Option der Bürgerbeteiligung ist die Durchführung eines Mediationsverfahrens (2.).

1. Partizipationsmöglichkeiten in der Verkehrsplanung Die Planungsverfahren für Verkehrswege sind durch eine komplexe Stufung der Entscheidungsvorgänge mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Partizipation durch die Öffentlichkeit gekennzeichnet. Ausgangspunkt für die großen Infrastrukturvorhaben ist der auf 15 Jahre angelegte Bundesverkehrswegeplan. Er stellt einen Investitionsrahmenplan dar, der von der Bundesregierung beschlossen wird, ohne dass bisher eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen war. Dann folgen die Bedarfspläne für Straße und Schiene, die vom Bundestag in Gesetzesform verabschiedet werden. Die Beratungen sind zwar öffentlich, in welcher Form gesellschaftliche Gruppen daran beteiligt werden, entscheidet jedoch der Bundestag autonom. In Zukunft unterfallen allerdings sowohl der Bundesverkehrswegeplan wie auch die Bedarfspläne nach einem Verkehrswegeausbaugesetz des Bundes nach § 14b Abs. 1 S. 1 i.V.m. Anlage 3 Nr. 1.1 UVPG der obligatorischen strategischen Umweltprüfung, so dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 14i UVPG durchzuführen ist. Das konkrete Projekt wird zunächst in einem Raumordnungsverfahren geprüft, wobei allerdings nach § 15 Abs. 3 S. 3 ROG die Öffentlichkeitsbeteiligung fakultativ ist.17 Eine weitere Zwischenstufe stellen die Linienbestimmung nach § 16 Abs. 1 FStrG bzw. § 13 Abs. 1 WaStrG sowie das vorgelagerte Verfahren nach § 6 Abs. 1 LuftVG dar, die allerdings für die Schienenwege kein Pendant haben. Hierfür ist eine eingeschränkte Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 15 UVPG vorgesehen. Ausschlaggebend für die Zulassung des Vorhabens ist letztlich allein das Planfeststellungsverfahren, für das in § 73 VwVfG eine öffentliche Auslegung der Planunterlagen, die Möglichkeit von Einwendungen und die Durchführung eines Erörterungstermins vorgesehen ist. Seine Durchführung ist allerdings im Bereich der Verkehrsplanung seit einigen Jahren in das Ermessen der Behörde gestellt, vgl. z.B. § 17a Nr. 5 FStrG.18 Diese Regelung soll nach Presseberichten nunmehr in das Verwaltungsverfahrensgesetz übernommen und damit verallgemeinert werden.19 Problematisch ist am Erörterungstermin, dass er von den Betroffenen oft nicht als unvoreingenommene Diskussion über Vor- und ___________ 17 Dazu sowie zum nach § 28 Abs. 3 ROG fortgeltenden älteren Landesrecht vgl. Konrad Goppel, in: Willli Spannowsky/Peter Runkel/Konrad Goppel, ROG, § 15 Rn. 60 f. 18 Kritisch zur Neuregelung Pascale Cancik, DÖV 2007, 107 ff. 19 FAZ v. 7.1.2011.

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Nachteile eines Vorhabens erlebt wird, sondern als mehr oder weniger lästige Pflicht zur Abarbeitung von Einwänden gegen ein Projekt, das zwischen Behörde und Vorhabenträger längst abgestimmt ist.20 Hier könnte die Praxis ohne weiteres geändert werden, indem die Anhörungsbehörde ihre neutrale Rolle ernster nimmt, u.U. auch durch den Einsatz eines externen Sitzungsleiters, wie bei der Erweiterung des Frankfurter Flughafens.21 Allenfalls in unbedeutenden Ausnahmefällen sollte der Erörterungstermin entfallen können. Ein weiteres Problem besteht in der Entkoppelung der Planung von den Finanzierungsentscheidungen durch die Parlamente. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist die Finanzierung in der Abwägung nicht zu prüfen.22 Auch im Fall Stuttgart 21 ist die verbindliche Kostenaufteilung erst nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vereinbart worden. Dies wird durch die lange Durchführungsfrist von zehn Jahren bis zum Baubeginn begünstigt, die um weitere fünf Jahre verlängert werden kann (§ 17c Nr. 1 FStrG, § 18c Nr. 1 AEG, § 9 Abs. 5 LuftVG, § 14c Nr. 1 WaStrG).

2. Mediation Eine Form der alternativen Streitbeilegung, die auch im Verwaltungsrecht langsam Anerkennung findet, ist die Mediation. Sie wird definiert als von den Beteiligten selbst erarbeitete, konsensuale Konfliktbewältigung unter neutraler Anleitung ohne Entscheidungsbefugnis.23 Um ihren Zweck zu erreichen, sollte sie möglichst im Vorfeld von Planungsverfahren durchgeführt werden. Dies ist zweifellos grundsätzlich mit dem Planungsrecht vereinbar.24 Dagegen ist die nachträgliche Durchführung einer Schlichtung, wie sie in Stuttgart erfolgte, erheblich problematischer. Zwar ist eine Änderung von Planfeststellungsbeschlüssen und Finanzierungsverträgen grundsätzlich möglich. Dies führt aber zu erheblichen Zusatzaufwänden, während eine gelungene frühzeitige Mediation zur Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung betragen kann. Planungsvorhaben sind allerdings nur dann für eine Mediation geeignet, wenn sie nicht Gegenstand eines ideologischen Grundsatzkonflikts sind, wie etwa Atomkraftwerke, denn solche fundamentalen Gegensätze lassen sich nicht ___________ 20

Vgl. z.B. Hermann Pünder, DV 2005, 1 (2). Vgl. den Erfahrungsbericht von Günter Gaentzsch, in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann u.a. (Hrsg.), FS für Dieter Sellner, 2010, S. 219 ff. 22 BVerwG, UPR 1999, 355 f.; BVerwGE 125, 116 (182); UPR 2008, 186 (187 f.). 23 Vgl. Lars Schäfer, NVwZ 2006, 39 (39); Markus Kaltenborn, Streitvermeidung und Streitbeilegung im Verwaltungsrecht, 2007, S. 106. 24 Pünder (Fn. 20), 16; Ivo Appel, GVwR II, § 32 Rn. 123. 21

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durch Verhandlungen ausräumen.25 Diese Voraussetzung lag aber in Stuttgart durchaus vor, denn das Ziel der Verbesserung des Schienenverkehrs wurde von allen Beteiligten anerkannt, nur die Varianten waren strittig. Nicht unproblematisch ist die Auswahl der Beteiligten, da der Kreis einerseits repräsentativ für die betroffenen Interessen sein muss,26 andererseits aber nicht zu groß sein darf, um ein arbeitsfähiges Gremium zu ermöglichen. Hier lag ein Defizit im Frankfurter Flughafenverfahren, das von den Umweltverbänden boykottiert wurde.27 In der Regel dürfte aber eine pragmatische Lösung möglich sein. Klärungsbedürftig ist auch die Finanzierung der Mediation, hier sind Mischmodelle mit öffentlichen und privaten Beiträgen denkbar. Eine schwierige Frage ist, ob die Ergebnisse einer Mediation verbindlich gemacht werden können, da eine Bindung des Planungsermessens grundsätzlich nicht zulässig ist.28 Möglich ist aber die Absicherung von gewissen Eckpunkten durch Verträge mit dem Vorhabenträger.29 Ein offensichtlich gelungenes Beispiel sind die Vereinbarungen im Vorfeld des Ausbaus des Wiener Flughafens.30 Ihre Umsetzung kann insbesondere durch Nebenbestimmungen zum Planfeststellungsbeschluss erfolgen.31 Eine gesetzliche Regelung der Mediation im Verwaltungsrecht wäre nicht einfach. Der Regierungsentwurf des Mediationsgesetzes zur Umsetzung der EG-Richtlinie32 schließt den öffentlichen Bereich als Tätigkeitsfeld der Mediatoren ein, er enthält aber sonst keine Vorschriften in Bezug auf Verwaltungsverfahren. Eine Einführung der Mediation als obligatorische Vorstufe wäre jedenfalls abzulehnen, da die Freiwilligkeit der Beteiligung konstitutiv ist.33 Eine gesetzliche Rahmenregelung könnte als Anreiz aber sinnvoll sein.34

___________ 25

Kaltenborn (Fn. 23), S. 109; a.A. Lars Schäfer, Mediation im öffentlichen Bereich, Diss. Gießen 2011, S. 59 ff. 26 Pünder (Fn. 20), 6 ff. 27 Schäfer (Fn. 25), S. 114 ff. 28 Schäfer (Fn. 25), S. 170. 29 Pünder (Fn. 20), 27 f. 30 Vgl. die Informationen unter http://www.viemediation.at/jart/prj3/via-mf/mforum.jart (3.2.2011). 31 Appel (Fn. 24), Rn. 139. 32 http://www.bmj.bund.de/files/4d14e695e693e06ac41848fdbd8cc701/4792/GE%20 Mediation.pdf (3.2.2011). 33 Anders Schäfer (Fn. 23), 43. 34 Groß (Fn. 16), 376.

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IV. Erweiterung der direkten Demokratie Im Zusammenhang mit den Stuttgarter Auseinandersetzungen wird manchmal auch eine Ausweitung der direkten Demokratie auf solche Großvorhaben gefordert. Dies wirft die Frage auf, inwieweit projektbezogene Abstimmungen überhaupt zulässig sind (1.). Außerdem ist zu klären, ob sie auf Länderebene unter die Ausnahme für finanzrelevante Vorhaben fallen (2.).

1. Projektbezogene Abstimmungen Projektbezogene Abstimmungen sind auf kommunaler Ebene inzwischen in allen Bundesländern möglich und in der Praxis gut verankert.35 Sofern die Maßnahme, die Gegenstand des Bürgerbegehrens ist, Kosten verursacht, ist ein Finanzierungsvorschlag erforderlich. Da der Projektträger in Stuttgart jedoch nicht die Stadt, sondern die Bahn war, konnte der Tiefbahnhof selbst nicht Gegenstand eines Bürgerentscheids sein. Die gewählte Umwegkonstruktion, nämlich die Beteiligung der Gemeinde an dem Projekt zum Gegenstand eines Bürgerbegehrens zu machen, wurde wegen bereits geschlossener Verträge Stuttgarts mit der Bahn für unzulässig gehalten.36 Auf Bundesebene sind Volksabstimmungen bisher trotz der Erwähnung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht möglich. Anders sieht es inzwischen in allen Bundesländern aus. Dort sind die möglichen Gegenstände von Volksabstimmungen allerdings überwiegend auf die Gesetzgebung begrenzt.37 Nur in vier Ländern ist auch eine Befassung mit „bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung“ möglich (Art. 61 Abs. 1 S. 1 LV Berlin, Art. 76 Abs. 1 S. 1 LV Brandenburg, Art. 50 Abs. 1 S. 1 LV Hamburg, Art. 42 LV SchleswigHolstein). In fünf weiteren Bundesländern ist eine entsprechende Erweiterung auf Gegenstände der politischen Willensbildung nur bei der Volksinitiative, d.h. einem Vorschlag an das Landesparlament, erfolgt (Art. 79 Abs. 1 S. 1 LV Mecklenburg-Vorpommern, Art. 47 LV Niedersachsen, Art. 67a LV Nordrhein-Westfalen, Art. 108a Abs. 1 S. 1 LV Rheinland-Pfalz, Art. 80 Abs. 1 S. 1 LV Sachsen-Anhalt), während Volksabstimmungen auch dort nur über Gesetze möglich sind.

___________ 35

Vgl. den Überblick bei Volker Mittendorf, in: Hermann K. Heußner/Otmar Jung (Hrsg.), Mehr direkte Demokratie wagen, 2. Aufl. 2009, S. 327 ff.; s.a. Martin Müller, Bürgerbeteiligung in Finanzfragen, 2009, S. 58 ff.; zu weiteren Formen der Bürgerbeteiligung vgl. die Beiträge in Hermann Hill (Hrsg.), Bürgerbeteiligung, 2010. 36 s.o. Fn. 7. 37 Krit. Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 396 f.

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Großprojekte der Infrastrukturplanung sind zweifellos Gegenstände der politischen Willensbildung. Soweit die Entscheidungshoheit, wie im Bereich der Schienenwege, bei einer Bundesbehörde, dem Eisenbahnbundesamt, liegt, könnte zumindest eine Finanzierungsbeteiligung des Landes Thema einer Volksinitiative und ggf. einer Volksabstimmung sein. Im Übrigen zeigt sich die Relativität der Unterscheidung zwischen Einzelvorhaben und Gesetz an den Bedarfsplangesetzen des Bundes, die inhaltlich nur eine Summe von Projektentscheidungen darstellen. Die Gesetzesform hat hier u.a. den Sinn, die Bedarfsfeststellung der Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte zu entziehen.38 Auch bei einer Einkleidung einer Projektentscheidung in Gesetzesform wäre jedenfalls Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG nicht betroffen, da weder staatliche Vorhabenträger wie im Fall des Straßenbaus noch die Bahn als bundeseigenes Unternehmen Grundrechtsträger sind.

2. Die Ausklammerung finanzrelevanter Entscheidungen Ein Problem könnte jedoch die Frage darstellen, ob finanzwirksame Abstimmungsgegenstände auf Landesebene überhaupt zulässig sind. Da im Fall Stuttgart 21 auch Landesmittel für das Infrastrukturvorhaben eingesetzt werden, spielte diese Frage in den Auseinandersetzungen eine Rolle. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sie in den Bundesländern durchaus unterschiedlich eng geregelt ist.39 Deshalb ist es wichtig, den Wortlaut der Landesverfassungen zu betrachten, ein generelles Finanztabu gibt es keineswegs.40 Ausgangspunkt für die Länderregelungen war Art. 73 Abs. 4 WRV, wonach eine Volksabstimmung über Haushaltsplan, Abgabengesetze und Besoldung nicht aufgrund von Volksbegehren erfolgen konnte, sondern nur durch den Reichspräsident angeordnet werden durfte.41 Zunächst haben die Landesverfassungsgerichte den Ausschluss finanzwirksamer Vorhaben sehr extensiv gehandhabt.42 Eine besonders weitgehende Interpretation des Ausschlussgegenstandes „Haushalt“ in Art. 41 Abs. 2 LV Schleswig-Holstein hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2000 mit wenig überzeugender Argumentation vorgenommen.43 Zu Recht offener haben dagegen die Verfassungsgerichte in Bran___________ 38

Grundlegend BVerwGE 72, 15 (21 ff.); 98, 339 (345 ff.). Umfassend dazu Rux (Fn. 37), S. 259 ff.; Müller (Fn. 35), S. 112 ff. 40 Insofern kritisch zur Rechtsprechung Fabian Wittreck, in: Heußner/Jung (Fn. 35), S. 397 (399 ff.). 41 Ausführlich dazu Christian Waldhoff, in: Martin Bertschi u.a. (Hrsg.), Freiheit und Demokratie, 1999, S. 181 (191 ff.). 42 Dazu ausführlich Fabian Wittreck, JöR N.F. 53 (2005), 111 ff. 43 BVerfGE 102, 176 (185 ff.); krit. Johannes Rux, DVBl. 2001, 549 ff. 39

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denburg44, Sachsen45 und Berlin46 entschieden. Restriktiver für die direkte Demokratie wiederum war die Interpretation der „Haushaltsangelegenheit“ nach Art. 50 Abs. 1 S. 2 LV Hamburg durch das dortige Verfassungsgericht, das auch klarstellte, dass der Ausschlusskatalog nicht nur für Gesetze, sondern auch für sonstige Vorlagen gilt.47 Auch Art. 60 Abs. 6 LV Baden-Württemberg beschränkt den Ausschluss von Volksabstimmungen auf das „Staatshaushaltsgesetz“ und betrifft damit nicht allgemein finanzwirksame Gesetze.48 Dagegen ist in der Schweiz das Finanz- bzw. Verwaltungsreferendum, d.h. die Möglichkeit einer Abstimmung über finanzwirksame Entscheidungen, in allen Kantonen verankert.49 Diese Regelung wird von vielen als Grund dafür angeführt, dass die Schweiz deutlich solidere öffentliche Finanzen als viele andere Länder hat.50 Trotz der unterschiedlichen Traditionen ist kein Grund erkennbar, warum diese Praxis nicht auch auf Deutschland übertragbar sein sollte.51 Es gibt keine empirischen Erkenntnisse, dass die Bürger weniger sorgfältig mit den Steuergeldern umgehen als ihre gewählten Vertreter. Soweit sich eine Abstimmung auf die grundsätzliche Billigung eines Projekts bzw. die Auswahl zwischen zwei Varianten bezieht, geht auch der Einwand in die Leere, das komplexe Planungsrecht eigne sich nicht für Verfahren der direkten Demokratie.52 Das Volk soll keinen Planfeststellungsbeschluss erlassen, sondern eine Grundsatzentscheidung über die Verwendung öffentlicher Gelder treffen. Wenn man dies den Bürgern auf kommunaler Ebene zutraut, warum sollte es nicht auch auf Landes- oder Bundesebene ermöglicht werden?

V. Ausblick Allerorten wird über Konsequenzen aus „Stuttgart 21“ diskutiert. Verbesserungen der Bürgerbeteiligung im Planungsverfahren sind zweifellos möglich. ___________ 44

VerfGBbg, LKV 2002, 77. SächsVerfGH, NVwZ 2003, 472. 46 BerlVerfGH, NVwZ-RR 2010, 169. 47 HVerfG, DVBl. 2006, 631. 48 Gutachten Georg Hermes/Joachim Wieland, abrufbar unter http://spd.landtagbw.de/cgi-sub/fetch.php?id=521 (3.2.2011); anders Paul Kirchhof, ZSE 2010, 412 ff. 49 Vgl. Waldhoff (Fn. 41), S. 211 ff. 50 Axel Tschentscher, Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 205 (210 f.); Andreas Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie, 2006, S. 165 f.; Waldhoff (Fn. 41), S. 215 ff.; zur Praxis s.a. Lars P. Feld/Gebhard Kirchgässner, in: Heußner/Jung (Fn. 35), S. 417 (424): „empirische Evidenz, … dass die Bürger auch bei finanzpolitischen Fragen vernünftig entscheiden.“ 51 Glaser (Fn. 50), S. 380 ff. 52 Rudolf Steinberg, FAZ v. 14.12.2010. 45

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Obwohl das Internet hier schon große Fortschritte bei der Transparenz gebracht hat, ist eine noch aktivere Informationspolitik der Vorhabenträger und Planungsbehörden im Frühstadium eines Planungsverfahrens sinnvoll. Begrüßenswert ist insbesondere, dass künftig eine strategische Umweltprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung schon für den Bundesverkehrswegeplan vorgesehen ist. Hierbei muss die Alternativenprüfung, auch im Hinblick auf die Auswirkungen für den Klimaschutz, ein besonderes Augenmerk erhalten.53 Verbesserungsfähig ist außerdem die Neutralität der Behörde bei der Durchführung des Erörterungstermins, der dann auch seine Funktion erfüllen kann. Noch größer ist das Befriedungspotential jedoch durch die Nutzung neuer Instrumente zur Konfliktbewältigung im Vorfeld. In allen geeigneten Fällen, bei denen sich eine Kontroverse abzeichnet, die nicht auf unüberbrückbaren Gegensätzen beruht, sollte eine Mediation stattfinden. Wenn es gelingt, alle Beteiligten frühzeitig an einen Tisch zu holen und eine konsensfähige Lösung auszuarbeiten, wird das förmliche Planungsverfahren stark entlastet. Noch weitergehend ist der Vorschlag, Abstimmungen über Großprojekte auf Bundes- und Landesebene zu ermöglichen. Dies ist die beste Möglichkeit, frühzeitig eine breite öffentliche Diskussion über Kosten und Nutzen von Großprojekten durchzuführen. Ihr Ergebnis würde nicht in schwer durchschaubaren Abwägungsüberlegungen untergehen, sondern zu einer Entscheidung von denjenigen führen, die mit ihren Steuern das Geld für ein Vorhaben aufbringen. Es ist auch schwer vorstellbar, dass selbst ein knappes Ergebnis eines Volksentscheids zu langwierigen Protesten führt. Es ist nun an der Politik, die notwendigen Konsequenzen aus den Stuttgarter Erfahrungen zu ziehen.

___________ 53 Dazu allgemein Thomas Groß, NVwZ 2001, 513 ff.; zum Klimaschutz in der UVP vgl. Thomas Würtenberger, ZUR 2009, 171 ff.

Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus Sicht der Anwender

Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus anwaltlicher Sicht∗ Hans-Jörg Birk

I. 1. Stuttgart 21 und die sogenannte „Schlichtung“ Heiner Geißlers sind Synonyme für diese verengte Sicht auf das Verwaltungsverfahrensrecht. Wer als Anwalt seit vielen Jahren die Öffentlichkeitsbeteiligung der Verwaltungsverfahren erlebt, kann den Versuch unternehmen, deren Bedeutung – durchaus und bewusst subjektiv – zu definieren. Lassen Sie mich das an einem Beispiel festmachen, das scheinbar mit dem Verwaltungsverfahren (noch) nichts zu tun hat. Stellen Sie sich vor, Sie haben als Anwalt die Aufgabe, einem Gremium (z.B. einem Gemeinderat) oder einem Firmen- bzw. Privatmandanten zu erläutern, unter welchen Voraussetzungen eine Beitrags- oder Gebührenkalkulation im Abgabenrecht, eine Abwägung im Bebauungsplanverfahren zur Zurückstellung des naturschutzrechtlichen Ausgleichs oder eine Ermessensentscheidung über eine baurechtliche Befreiung rechtmäßig ist. Wer den Versuch unternimmt, dies auf der Basis der kenntnisreichen Kommentare oder der detaillierten Rechtsprechung zu tun, wird ob der vielen, scheinbar notwendigen Relativierungen Fassungslosigkeit produzieren und den Entscheidungsträgern oder sonstigen Mandanten keine Hilfe sein. Die Hilfe gelingt nur, wenn der Vortragende mit seinen Worten, ohne lateinische Sentenzen, ohne Paragraphen und Rechtsprechung zu zitieren, das, was zu entscheiden ist, verdeutlicht und dabei so viel Vertrauen produziert, dass man ihm als Vortragendem den referierten Inhalt glaubt. Es geht nicht um die Darstellung der Rechtslage, sondern um die Vermittlung von Vertrauen. Ich schildere das so ausführlich, weil darin aus meiner Sicht die hervorragende Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechtes liegt. Mit dem Verfahren muss so viel Klarheit und Vertrauen geschaffen werden, dass dieses geeignet ist, „Trägerfrequenz“ für die zu treffende materielle Entscheidung zu werden. ___________ ∗

Der Vortragsstil wurde beibehalten.

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Dies mag ein selten erreichbares Ziel sein, danach zu streben ist allemal den Versuch wert. Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens liegt darin, allen Beteiligten, also Antragstellern, Betroffenen, Entscheidungsträgern und beteiligten sonstigen Behörden und Städten einen Rechtsrahmen zu bieten, der diesen Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der aus dem Verfahren resultierenden Entscheidungen gibt. Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit heißt hier, neben allem, was wir darunter verstehen, auch sprachliche Verständlichkeit, Toleranz, Fairness und Akzeptanz anderer Ansichten und damit letztlich auch eine Entscheidung, die nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. 2. Spricht man von Bedeutung, dann tut man gut daran, auch den Bedeutungswandel in den Blick zu nehmen. Offene Verwaltungsverfahren haben keine lange Tradition und trotzdem sind sie ständigen Veränderungen unterworfen. Ich bin weder Soziologe noch Psychologe, kann deshalb nur auf meine in vielen Jahren angewachsene Erfahrung zurückgreifen. Alle Verfahrensbeteiligten haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten geändert. Das kommt sicherlich zu guten Teilen von der zunehmend leichten Zugänglichkeit zu Informationen, von der Abnahme der Gläubigkeit gegenüber Spezialisten, aber auch realen oder vermeintlichen Autoritäten und einer deutlich zunehmenden Zurückhaltung gegenüber Fachsprachen. Die Bereitschaft von Teilen der Presse, seltene Ereignisse und Vorgänge, vor allem auch solche, die nicht von vorne herein verständlich sind, zu skandalisieren, kommt genauso dazu, wie die Annahme von uns allen, die staatlichen Einrichtungen hätten ausschließlich Dienstleistungsfunktion und für das Funktionieren und das Nichtfunktionieren von allem müsste immer jemand anderes verantwortlich sein. Die Bedeutung eines – nach meiner Ansicht – richtig verstandenen Verwaltungsverfahrensrechtes besteht darin, eine Trägerfrequenz zu bieten, mit der materielle Entscheidungen offen, nicht überraschend und nachvollziehbar vorbereitet und getroffen werden können. Natürlich – dies an dieser Stelle zu verdeutlichen verbieten eigentlich die Veranstaltung und die Anwesenden – steht die Einhaltung der Rechtsordnung und die Rechtsstaatlichkeit über allem, ist letztlich das zentrale Steuerungselement eines jeden Verfahrens. Nicht zu vergessen, was mir bei der jetzigen Diskussion zu leicht übersehen wird, ist allerdings die Forderung, dass jedes Verfahren bei all den genannten Rahmenbedingungen in der Lage bleiben muss, dass Entscheidungen herbeigeführt und getroffen werden können. Ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren hat keinen Selbstzweck, sondern ausschließlich das Ziel, materielle Entscheidungen vorzubereiten und zu ermöglichen. 3. Verlassen wir die Fixierung auf den öffentlichkeitsbezogenen Teil des Verwaltungsverfahrens, besinnen wir uns auf die Grundfesten und -regelungen der Kodifikation des VwVfG. Manche von uns mögen sich noch an die Zeiten ohne dieses „Grundgesetz des Verwaltungsrechtes“ erinnern und die vielen, nur von der Rechtsprechung mühsam und nicht immer widerspruchsfrei definierten Grundprinzipien und Regeln. Vieles ist uns heute, gerade auch in der anwaltli-

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chen Tätigkeit – Beratung, Gestaltung und Rechtsstreit – in Fleisch und Blut übergegangen. Dazu nur einige wenige Stichworte: Verwaltungsakt, dessen Nebenbestimmungen, die Abgrenzung von dessen Rechtswidrigkeit zur Nichtigkeit, Heilung von Fehlern, Rücknahme und Widerruf, die Folgenbeseitigung und das Wiederaufgreifen, aber auch Zusicherung, Besorgnis der Befangenheit bilden ein sicheres, stabiles Fundament, das die überragende praktische Bedeutung für Verwaltungshandeln und dessen Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit prägt. In diesen Regelungen und in ihrer heute so selbstverständlichen Anwendung, wenn nötig mit Unterstützung der Gerichte, liegt gerade auch aus der Sicht des Rechtsanwaltes die Gewähr für rechtsstaatliches Handeln und wenn notwendig für dessen Durchsetzung. 4. Kommen wir zur Wahrnehmung des Verwaltungsverfahrens aus anwaltlicher, aus meiner anwaltlichen Sicht. Ich versuche, dies nicht nur als Jurist zu schildern, sondern aus meiner, jeweils konkreten, durch das Mandat bestimmten Aufgabe als Anwalt heraus. Der Anwalt berät und vertritt seine Mandanten. Eine ordnungsgemäße, zielgerichtete Beratung und Vertretung, die beinhaltet, etwas zu tun oder auch nicht zu tun, hat als zentrale Aufgabe die Erläuterung von Verfahrensabläufen, Entscheidungsvoraussetzungen und Entscheidungsinhalten. Ich fühle mich oft als Übersetzer. Da wir mit wachem Geist Vorschriften lesen und interpretieren, wissen wir als Fachleute, dass in großem Umfang im materiellen Recht das Vorverständnis und der Stand der Rechtsprechung eine gewaltige Rolle spielen. Viele vom Gesetzgeber verwandte Begriffe bauen auf den Erkenntnissen der Rechtsprechung auf, setzen diese zum Verständnis gesetzlicher Regelungen voraus. Versucht man also, die Wahrnehmung des Verwaltungsverfahrensrechtes „unjuristisch“ zu erklären, dann fällt auf, dass wir ein breit angelegtes, wie ich (ich hoffe zu Recht) meine, ausgezeichnetes Verwaltungsverfahrensgesetz haben. Allerdings: Nur wenige Fachgesetze sind nicht der Versuchung erlegen, eigene Verfahrensregelungen zu schaffen. Bemüht man sich, dem Interessierten oder betroffenen Nichtjuristen zu erläutern, warum dies so ist, dann fallen einem erstaunlich wenig fachliche und sachliche Gründe hierfür ein. Die Wahrnehmung ist sehr stark davon geprägt, dass jedes Fachrecht seine eigenen Verfahrensregeln benötigt, obwohl die Verwaltungsverfahrensgesetze einen umfangreichen Strauß an möglichen Verfahren anbieten. Es spricht vieles dafür, den Versuch zu unternehmen, die speziellen Regelungen in den Fachgesetzen einer kritischen Überprüfung hinsichtlich ihrer Notwendigkeit zu unterziehen. Damit könnte die zuvor geschilderte Bedeutung des Verfahrens allgemein und in Richtung auf die materielle Akzeptanz des Entscheidungsergebnisses gestärkt werden. Dabei ist die Wahrnehmung des zentralen Verfahrensrechtes in den Verwaltungsverfahrensgesetzen aus anwaltlicher Sicht ausgezeichnet. Wir haben ein Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und gleichlautend Landesverwaltungsverfahrensregesetze, die kaum föderale Ausreißer aufweisen: Schleswig-

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Holstein hat eine andere Paragraphenfolge und die Bayern nennen die Paragraphen Artikel. Bei dieser Einheitlichkeit soll, ja muss es bleiben. Ist man als Anwalt über die eigene Landesgrenze hinaus tätig, dann gibt einem Sicherheit, dass zumindest das Verwaltungsverfahrensgesetz in allen Bundesländern den gleichen Inhalt hat. Auch deswegen warnt der Anwalt davor, die Einheitlichkeit des kodifizierten Verwaltungsverfahrensrechtes aufzugeben1. Hinzu kämen bei unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Ländern und zwischen diesem und dem Bund nicht mehr erklärbare Regelungsdifferenzen: Für einen Erschließungsvertrag nach § 124 BauGB oder einen städtebaulichen Vertrag nach § 11 BauGB würden möglicherweise ergänzte unterschiedliche Regelungen der jeweiligen Länderverwaltungsverfahrensrechte gelten! Ich weiß, von unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen leben ganze Berufsstände und so gesehen sollte ich nicht gegen eine Diversifizierung oder Föderalisierung sein. Trotzdem: Lassen wir es bei den auf Bundes- und allen Länderebenen einheitlichen Regelungen. Wer mir nicht glauben will, der bearbeite einmal in verschiedenen Bundesländern Fragen des Kommunalabgabenrechtes (Beiträge und Gebühren für leitungsgebundene Anlagen)2 oder erarbeite sich nur die unterschiedlichen Begriffe in den verschiedenen Landesbauordnungen. 5. Lassen Sie mich nochmals auf mein Petitum zurückkommen, die Diversifizierung der Verfahrensregelungen in den verschiedenen Fachgesetzen ist zurückzunehmen. Analysiert man, wie es zu manchen Sonderregelungen gekommen ist, dann lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, sie seien oftmals einer politisch für notwendig erachteten raschen Reaktion – aus welchen Gründen auch immer – geschuldet. Viele Regelungen, die unter der Überschrift „Verfahrensvereinfachung oder Verfahrensbeschleunigung“ das Licht der Welt erblickt haben, erwecken diesen Eindruck. 6. Eine Wahrnehmung bereitet Sorge und soll nicht verschwiegen werden: Die geregelten Öffentlichkeitsbeteiligungen setzen eine beteiligungsbereite und -fähige Öffentlichkeit voraus. Und an ihr fehlt es erstaunlich oft. Beteiligungsbereit meint, die Bereitschaft, die Informationsangebote anzunehmen, sie zu diskutieren, Änderungen in der Präsentation, Art der Beteiligung usw. zu fordern. Viele Verfahren stoßen, trotz ihrer guten Vorbereitung und Bekanntmachung, auf geringes oder gar kein Interesse der Öffentlichkeit. Das frustriert verständlicherweise jene, die sich von der Partizipation Anregungen erhoffen, und wird bei weiteren Verfahren zu eingeschränkten, eher schematisch anmutenden Vorbereitungen führen. ___________ 1 Siehe „Bewährtes Weiterentwickeln“, Empfehlung des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern zum Novellierungsbedarf der Verwaltungsverfahrensgesetze, NVwZ 2010, 1078 f. 2 Vgl. dazu Birk, Die Beitragskalkulation bei leitungsgebundenen Anlagen im Ländervergleich, Sachsenlandkurier 1998, 310.

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Noch schwieriger ist es mit der Beteiligungsfähigkeit. Damit spreche ich die Stilfrage, die „Kultur“ von Öffentlichkeitsbeteiligungen an. Hier erlebt man, wenn nicht in der Regel, so doch in der Mehrheit der Veranstaltungen, wenig Erfreuliches, eher Abschreckendes. Nicht nur, dass die Konfrontation im Mittelpunkt steht, dass damit der Austausch der Argumente, verbunden mit dem Zuhören, die Toleranz gegenüber anderen Ansichten zu kurz kommen oder entfallen, sondern auch, dass von der Ansicht verschiedener Einwender abweichende Feststellungen mit dem Verdikt der Manipulation, der Lüge, der Unredlichkeit belegt werden. Eine offene Erörterung in einer Bürgerbeteiligung setzt zur offenen Diskussion bereite Bürger voraus, die jenen, die Verfahren betreiben und jenen, die sie zu entscheiden haben, nicht von vorne herein die Redlichkeit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit absprechen, die sie für sich einfordern. Natürlich bedingt dies auch Beteiligte auf Behörden- und Antragstellerseite, die Anhörungen und Verfahren nicht nur als „Abwehrkampf“, sondern als ein erkenntnisorientiertes Ringen um eine richtige und rechtmäßige Entscheidung begreifen. Vielen Öffentlichkeitsbeteiligungen und ihrer Vorbereitung fehlt – auch das ist aus meiner Sicht ein Teil der angemahnten Kultur – die Erläuterung, wer was in welchem rechtlichen Rahmen zu entscheiden hat; damit, welche Bedeutung die Verfahrensbeteiligung haben kann. Falsche Vorstellungen sind früh zu zerstören; auch das ist Teil eines rechtsstaatlichen Verfahrens und hilft den Beteiligten, mit der Tatsache umzugehen, dass trotz Verständnis für vorgetragene Belange diese in der Entscheidung zurückgestellt werden können. Es hilft auch zu verdeutlichen, dass nicht jede Entscheidung deshalb schlecht und rechtswidrig ist, weil sie vorgetragenen Argumenten nicht in jedem Fall folgt. 7. Natürlich sollte nach dem Gesagten überlegt werden, ob die in den Verfahren des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung noch zeitgemäß ist. Ich habe vor kurzem dazu einige Überlegungen zu Papier gebracht3, die zusammengefasst darauf hinauslaufen, die Öffentlichkeitsbeteiligung nach den Verfahren des Verwaltungsverfahrensgesetzes und vieler Fachgesetze jenen des Baugesetzbuches anzugleichen. Dort findet die Anhörung – im Idealfall – zu Beginn des Verfahrens in der sogenannten vorgezogenen Bürgerbeteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB statt. Diesen ersten Verfahrensschritt kann die jeweilige Stadt oder Gemeinde frei gestalten. Sie kann entsprechend der Bedeutung der konkreten Planung ausführlich in einer Veranstaltung, in Einzelgesprächen oder schriftlich informieren und über die Lösungsansätze diskutieren. Dem folgt die Ausarbeitung des Rechtsplanes, der dann zusammen mit den bis zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Gutachten und Umweltprüfungen für einen Monat zur Einsichtnahme ausgelegt wird. Eine öffentliche Anhö___________ 3

Birk, Offen und tolerant, FAZ 27.1.2011, S. 6.

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rung ist nicht mehr vorgesehen, sondern nur noch die abwägungsgeprägte Entscheidung des zuständigen gemeindlichen Gremiums. Nach meiner Beobachtung leitet sich viel Unzufriedenheit aus der Öffentlichkeitsbeteiligung in Planfeststellungsverfahren, immissionsschutzrechtlichen Verfahren usw. daraus ab, dass der fertige Antrag, vielfach aus unendlich vielen Leitz-Ordnern bestehend, ohne nähere Erläuterung ausgelegt und damit zur Einsichtnahme bereitgehalten wird. Der Interessierte sieht sich vielfach, speziellem Wissen gegenüber, das ihm nicht erläutert wird und dem er deshalb misstraut. Wer wie ich schon Tage in Anhörungsveranstaltungen verbracht hat, ahnt die Gründe für die dort stets gereizte, weniger auf die Sachprobleme bezogene Stimmung. Dieser Verfahrensablauf muss den Eindruck erwecken, als ob „eigentlich“ schon alles gelaufen und entschieden wäre. Dies wird noch dadurch befördert, dass die Auslegung nur stattfindet, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde davon ausgeht, dem Antrag könnte stattgegeben werden. Es sollte darüber nachgedacht werden, ob nicht die dem Antrag nachgeschaltete Anhörung in eine Darstellung und Erläuterung des Projektes umgewandelt wird und die dann folgende Offenlage der Unterlagen nicht nur auf der Basis von vielen Leitz-Ordern, sondern vielleicht zusätzlich internetgestützt erfolgt. Einer frühen Vorstellung des Projektes in einer öffentlichen Veranstaltung muss keine Anhörung nach Auslegung folgen. Im Übrigen ist die Erörterung von speziellen Interessen Einzelner sinnvoll und nicht ausgeschlossen.

II. Analysiert man aus der anwaltlichen Praxis heraus die Wahrnehmung des Verwaltungsverfahrensrechtes, dann gelangt man natürlich auch zu Regelungsdefiziten ganz unterschiedlicher Art. Lassen Sie mich das, durchaus nur exemplarisch, an insgesamt drei Problemkonstellationen erläutern. Sie sind nicht hochproblematisch, aber in der Praxis nicht ohne Bedeutung. 1. Ich will mit einer Verfahrenssituation beginnen, die ich mit dem Begriff „fehlende dynamische Auslegung des Verwaltungsverfahrensgesetzes“ umschreiben will. Dazu muss ich Sie tief in die Alltagspraxis eines Verwaltungsrechtlers entführen. Hohe Personalkosten und klamme kommunale Haushalte führen nicht nur zu gemeinsamer Aufgabenerfüllung, z.B. in Zweckverbänden, sondern auch manches Mal dazu, dass diese die eigentlich zu erfüllende Tätigkeit auf einen Dritten, einen Betriebsführer, übertragen. Mehrere Gemeinden bilden einen Zweckverband, der eine gemeinsame Kläranlage als öffentliche Einrichtung betreibt. Der eingeschaltete Betriebsführer sorgt nicht nur für das technische Funktionieren der Entwässerungseinrichtung, sondern er erarbeitet auch die jährlich zu versendenden Gebührenbescheide. Dies geschieht heute durch EDV-gestützten

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Datenabruf, samt deren automatischer Umsetzung und Versendung der Bescheide an die Zahlungspflichtigen. Der Zweckverband hat einen Verbandsvorsitzenden und eine Verbandsversammlung. Diese beschließt ordnungsgemäß die notwendigen Gebührensatzungen und darin konkrete Gebührensätze. Sonstiges Personal hat der Zweckverband keines. Der Betriebsführer tut das, womit er beauftragt ist: Er versendet die von ihm zuvor berechneten Bescheide auf dem Briefkopf des Zweckverbandes. Wir unterstellen, dass dies alles rechtlich und rechnerisch fehlerfrei geschehen ist, von der Gebührenkalkulation über die Ausweisung des Gebührensatzes bis zur Berechnung der konkreten Gebühr. Da muss die Frage erlaubt sein, warum man darüber streiten kann, ob dies ein Verwaltungsakt ist, der dem Zweckverband zuzurechnen ist. In der Rechtsprechung wird heftig darüber gestritten. Das OVG Schleswig4 und das OVG Weimar5 kommen zu dem Ergebnis, dies könne kein Verwaltungsakt sein, weil eine Organisation ohne eigenes Personal keinen Verwaltungsakt erlassen könne und ohne eine tatsächliche Überprüfung auch keine Einzelfallentscheidung vorläge. Das OVG Bautzen6 sieht das anders. Ohne auf die höchst spannenden Einzelheiten der Begründung und der Abgrenzungsüberlegungen in unseren einschlägigen Kommentaren zum Verwaltungsverfahrensgesetz hier nachgehen zu wollen, stellt sich doch die „Wahrnehmungsfrage“, warum wir nicht mit einem schlichten Instrument der Zurechenbarkeit eine hinreichende Legitimation dieses Handelns annehmen können. Ich lasse die Frage dahingestellt, halte allein fest, dass unsere Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes hinreichend beweglich sind, um im Beispielsfall einen ordnungsgemäß für den Zweckverband handelnden Verwaltungshelfer anzunehmen, um damit jegliche Zweifel an einem rechtmäßig erlassenen Verwaltungsakt zu überwinden. Einer gesetzlichen Konkretisierung bedarf es eigentlich nicht, um diese weit verbreitete, sinnvolle Praxis rechtssicher zu gestalten. Ich verschweige nicht, dass auch bei Akzeptanz dieser Lösung genug rechtlich relevante Fragen bleiben: Gilt das Ergebnis auch, wenn der Betriebsführer auf eigenem Briefpapier, aber im Auftrag des Zweckverbandes, handelt, wenn er sein Konto angibt und nicht das des Zweckverbandes usw.? 2. Ein zweiter Wahrnehmungsbereich, den ich ansprechen will, soll mit der Überschrift „fehlende Anpassung an die sonst geltende Rechtsordnung oder Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung?“ gekennzeichnet sein. Auch dies ist ein Thema aus meiner Tätigkeit. Die öffentlich-rechtlichen Verträge haben in der Praxis, vor allem der der Kommunen, seit Anfang der 90er Jahre deutlich zugenommen. Wir haben hier zu viele spezielle Regelungen, sei es der städte___________ 4

OVG Schleswig, Urt. vom 15.3.2006, 2 LB 9/05. OVG Weimar, Beschl. vom 19.10.2009, EO 26/09. 6 OVG Bautzen, Urt. vom 30.4.2004, 4 B 10/01. 5

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bauliche Vertrag nach § 11 BauGB, der Durchführungsvertrag des vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB oder der Erschließungsvertrag nach § 124 BauGB, abgesehen von den vielfältigen Verträgen, die wir im Bereich des städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsrechtes kennen. All diese vertraglichen Regelungen sind hinterlegt durch die strengen Vorschriften der §§ 54 ff VwVfG, Regelungen, die seit Inkrafttreten dieses Gesetzes in ihrer grundsätzlichen Konsistenz nicht geändert worden sind. Interessant ist die Regelungskette, die sich hier auftut. Von den speziellen Regelungen im BauGB gelangen wir zu den Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag im Verwaltungsverfahrensgesetz und dort über § 62 S. 2 weiter in das BGB, dessen Anwendung „ergänzend entsprechend“ angeordnet wird. Trotz dieser Kette bleiben einige grundsätzliche Fragen unbeantwortet, nicht zuletzt abgeleitet aus der Bindung der öffentlichen Hand an Art. 20 Abs. 3 GG. Verstoßen vertragliche Regelungen gegen Recht und Gesetz, so führt dies zur Nichtigkeit des Gesamtvertrages, wenn nicht § 59 Abs. 3 VwVfG greift, wonach der Vertrag ohne die nichtige Vorschrift weiter gilt, weil er auch ohne diese abgeschlossen worden wäre. Dies ist allerdings, wie die Praxis zeigt, eher selten der Fall. Das Problem in der Praxis liegt darin, dass z.B. Verstöße gegen die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung zur Nichtigkeit dieser Vertragsregelung (und meist zur Nichtigkeit des Gesamtvertrages und nicht etwa zur Anpassung) führen. Hier stellt sich die spannende rechtliche Frage, ob der Regelungsgehalt der Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag im Verwaltungsverfahrensgesetz mit seiner Verweisung in das BGB, eine ausreichende Rechtsgrundlage für salvatorische Klauseln bietet. Der Bundesgerichtshof hat damit keine Probleme7, vielleicht auch deshalb, weil er in der genannten Entscheidung weder die §§ 54 ff, noch § 62 S. 2 VwVfG zitiert, sondern schlicht vom BGB ausging! Würde sich diese Anpassungsmöglichkeit durchsetzen, bestünde kein Regelungsbedarf. Da dies ungewiss ist, spricht alles für eine gesetzliche Regelung durch Anpassung der Vorschriften. Die festzuhaltende Wahrnehmung führt zu dem Ergebnis: Eine Änderung des VwVfG kann öffentlich-rechtliche Verträge rechtssicher machen, ohne dass dadurch rechtsstaatswidrigem Verhalten Vorschub geleistet wird8. 3. Waren wir bei der zuletzt genannten Wahrnehmung noch im Zweifel, ob eine gesetzliche Anpassung erforderlich ist oder nicht, so will ich mit dem letzten Beispiel eine Situation beschreiben, die ohne Gesetzesänderung nicht „bereinigt“ werden kann. Die Tatsache, dass die meisten Fachgesetze eigene Verfahrensregelungen enthalten, führt in der Praxis dazu, dass manch ein Vorhaben ___________ 7

BGH, Urt. vom 16.4.2010, V ZR 175/09, NJW 2010, 3505. Fortentwicklung der Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag (§§ 54–62 VwVfG), Beschlussempfehlung des Beirates Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern, NVwZ 2002, 834 f. 8

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erst dann realisiert werden kann, wenn es mehrere, manchmal sogar viele, für erforderlich erachtete Genehmigungen erhalten hat, die ihrerseits getrennten Verfahren, z.T. mit, z.T. ohne Öffentlichkeitsbeteiligungen unterworfen sind. Dies ist ein Vorgang, der weder den Betroffenen, noch der Öffentlichkeit verständlich gemacht werden kann. Solche Verfahren sind nicht nur in hohem Maße kompliziert und zeitaufwendig; sie sind auch in erheblicher Intensität dazu geeignet, Ärger zu produzieren, vor allem bei der beteiligten Öffentlichkeit. Sie können in einem Erörterungstermin eines großen immissionsschutzrechtlichen Verfahrens niemandem erklären, dass, um nur ein Beispiel zu nennen, Fragen der Waldumwandlung (Fällen von Bäumen) in einem anderen Verfahren in einer eigenen, nach Landesrecht vorgesehenen Erörterung zu behandeln sind. Die Idee der integrierten Vorhabengenehmigung ist mit dem Entwurf des UGB gescheitert. Dessen ungeachtet ist der Beirat für Verwaltungsverfahrensrecht, den das Bundesministerium des Innern vor 14 Jahren eingerichtet hat, dabei, hier Überlegungen anzustellen. Vielleicht lassen diese sich erfolgreich in das VwVfG einführen. Mit dem Hinweis auf den Beirat für Verwaltungsverfahrensrecht will ich mit meiner „Wahrnehmungs-Wahrnehmung“ aus der Sicht eines Anwaltes zum Ende kommen, nicht ohne zu verdeutlichen, dass dieses Gremium ein geradezu ideales Forum darstellt, um verschiedene Sichtweisen – eben auch jene der Anwaltschaft – offen und ohne politische Aufgeregtheiten zu diskutieren. Vertreter aus Ministerien des Bundes und der Länder diskutieren mit Richtern, Rechtswissenschaftlern, Praktikern aus der Verwaltung, der Industrie und Rechtsanwälten. So werden unterschiedliche Wahrnehmungen genutzt, um die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechtes zu mehren und es darf, ohne falsche Bescheidenheit, festgehalten werden, dass dies in erstaunlichem Maße gelingt. Ich erlaube mir diese Feststellung gleichsam qua Amtes als Vorsitzender dieses Beirats, hier und heute einmal verbunden mit dem Dank nicht nur an das Bundesministerium des Innern, sondern ebenso an alle Beiratsmitglieder.

Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht des Anwenders: Verwaltung Andreas Metschke

I. Die praktische Relevanz des VwVfG Die Frage nach der praktischen Relevanz des Verwaltungsverfahrensrechts lässt sich pauschal vielleicht so beantworten, dass das VwVfG den Rahmen abgibt, innerhalb dessen jeden Tag unzählige Verwaltungsvorgänge ordnungsgemäß einer Lösung zugeführt werden, ohne dass dies dem vollziehenden Verwaltungsmitarbeiter oder gar dem beteiligten Bürger bewusst wäre. Niemand wird sich in der Verwaltungspraxis beim Erlass eines Bescheides ernsthaft die Frage stellen, ob er dabei ein Verwaltungsverfahren im Sinne der Definition des § 9 VwVfG betreibt oder nicht. Niemand, mit einer zum Verwaltungsmitarbeiter qualifizierenden Ausbildung, wird den Inhalt des § 13 VwVfG über die Beteiligten an einem Verwaltungsverfahren problematisieren oder eine Beratung oder Auskunft i.S.v. § 25 VwVfG deshalb nicht geben, weil dem Sachbearbeiter der Inhalt der Vorschrift nicht präsent ist. Diese Aussage gilt für eine Vielzahl von Vorschriften des I. und II. Teils (§§ 1–8e und §§ 9–34) des VwVfG. Dies gilt aus etwas anderen Motiven auch für die Frage der Notwendigkeit der Anhörung Beteiligter nach der für das Verwaltungsverfahren zentralen Vorschrift des § 28 VwVfG. Denn bei dieser Vorschrift wird ersichtlich, dass das hier zur Handlungsanweisung der Verwaltung geronnene Verfassungsrecht seine Bedeutung durch das bloße Vorhandensein gewinnt und vom geschulten Verwaltungsmitarbeiter im Sinne einer Selbstverständlichkeit beachtet wird, ohne dass in der täglichen Praxis ein Fall weises Zurückgreifen auf die Vorschriften des Gesetzes erfolgen würde. Mag es in der Anfangszeit des Umgangs mit dem VwVfG noch viele grundsätzliche Fragen gegeben haben, die auf die Praxis der Verwaltungsbehörden, vor allem auch mit Hilfe der Rechtsprechung, von steuerndem Einfluss waren, so ist nach 35 Jahren aus der Sicht der Verwaltungspraxis ein Zustand zu konstatieren, in dem das Verwaltungsverfahrensgesetz als Grundlage von Verwal-

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tungshandeln seine selbstverständliche Daseinsberechtigung hat und in der Praxis so auch wahrgenommen wird, nicht aber das Privileg hat, im Fokus der gesteigerten Aufmerksamkeit des Verwaltungsvollzugs zu stehen.

II. Häufig in der Praxis zum Tragen kommende Vorschriften Es gibt indes eine ganze Reihe von Vorschriften des VwVfG, die im Vollzug deshalb häufiger eine Rolle spielen, weil die Verwaltung vom Regelfall des schriftlich ergehenden Bescheids aus Gründen der Effizienz abweichen muss oder weil die zu regelnde Materie andere Handlungsformen erfordert oder weil schlicht die Quantität der eingehenden Einzelfälle eine häufige Befassung notwendig machen.

1. Bekanntgabe von VA’en Während die Bekanntgabe von VA’en im Regelfall in der Praxis keine Probleme aufwirft, weil der VA in schriftlicher Form dem Adressaten auf dem Postwege zugeht, treten Zugangsprobleme, im weitesten Sinne gesprochen, vor allem im Bereich der aufsichtlichen Tätigkeit der Gewerbeaufsichtsämter (in Bayern an die Bezirksregierungen angegliedert), der Veterinärverwaltung, der Lebensmittelüberwachung, der Bauaufsicht und anderer Verwaltungsbereiche deshalb häufiger auf, weil hier bei „Gefahr im Verzug“ (Bautätigkeit wird im Falle eines tödlichen Unfalls gestoppt; Anordnung von Quarantäne für Geflügelhof bei Verdacht von Vogelgrippe; Sicherstellung von sog. „Gammelfleisch“ etc.) regelmäßig mündliche VA’e ergehen, die mit dem Problem des richtigen Adressaten (§§ 41, 43 VwVfG) behaftet sind, etwa weil der Betriebsinhaber oder ein von ihm beauftragter Angestellter nicht anwesend oder nicht so schnell ermittelbar ist. Immer wieder ergeben sich in solchen Fällen auch Probleme unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit von Verwaltungsakten (§ 37 VwVfG), wenn im Nachhinein über das tatsächlich Angeordnete gestritten wird. Letzteres ist allerdings oft weniger eine Frage der Bestimmtheit des mündlich ergangenen VA als eine Frage des Nachweises dessen, was die Verwaltung tatsächlich angeordnet hat. Hier hilft die schriftliche Bestätigung des VA (§ 37 Abs. 2 S. 2 VwVfG) im Regelfall nicht weiter, weil dann der Streit (etwa im Bußgeldverfahren wegen des Verstoßes gegen die mündliche Anordnung) oft um den (vermeintlichen) Unterschied zwischen der mündlichen Anordnung und der schriftlichen Bestätigung geht. Hier helfen dem Verwaltungsbeamten meist nur zeitnah gefertigte eigene Aufzeichnungen oder Zeugen.

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2. Rückforderung von Zuwendungen Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Förderung von Vorhaben und Projekten kommt es, insbesondere auch bei der Förderung von Kommunen, immer wieder zu verfahrensrechtlichen Fragestellungen. Wenn etwa bei einer Kommune die Rechnungsprüfung einen Verstoß gegen Vergaberecht feststellt (VOB-Verstoß), hat dies Auswirkungen auf die vom Staat ausgereichte Förderung, da diese nur bei Einhaltung der Vergabevorschriften rechtmäßig gewährt wurde1. Folge ist die Rückforderung (§ 49 Abs. 3 i.V.m. § 49a Abs. 1 VwVfG) von Zuwendungen mit all den in diesem Zusammenhang bekannten Problemstellungen. Ein in der Praxis einer Mittelbehörde recht häufiger Fall.

3. Öffentlich-rechtlicher Vertrag Im Bereich der Beseitigung von Altlasten gewinnt der öffentlich-rechtliche Vertrag (§§ 54 ff. VwVfG) in letzter Zeit stark an Bedeutung. In Fällen in denen ein Interessenausgleich innerhalb einer Mehrzahl von Beteiligten, wie dem Staat, einem Landkreis sowie den betroffenen Grundstückseigentümern gefunden werden muss oder eine wegen ihrer Planungshoheit beteiligte Gemeinde, ein Investor, der Zustandsstörer und die Anordnungsbehörde involviert sind, lassen sich vernünftige Regelungen oftmals nur mit dem Handlungsinstrumentarium des öffentlich-rechtlichen Vertrags finden. In diesen und anderen Fällen – meist mehrseitiger Verhältnisse – hat die Verwaltung das gestalterische Potential von Verträgen erkannt und die früher zu beobachtende Zurückhaltung zunehmend aufgegeben. Mit ein Grund hierfür mag auch das immer stärker sich wandelnde und gewandelte Selbstverständnis der öffentlichen Verwaltung weg von der eher obrigkeitlich ausgerichteten Behörde der Nachkriegszeit hin zu einer serviceorientierten, bürgerfreundlichen Institution sein.

4. Planfeststellungsverfahren Das in den §§ 72 ff. VwVfG geregelte Planfeststellungsverfahren stellt wegen seiner Ausgestaltung als formalisiertes, fast schon justizförmiges Verfahren, in vielen Fachbereichen einer Mittelbehörde einen alltäglichen Anwendungsbereich des VwVfG dar. Häufigster Anwendungsfall dürften hierbei straßenrechtliche Planfeststellungsverfahren nach dem Bundesfernstraßengesetz ___________ 1 Hierzu Thorsten Attendorn, Der Widerruf von Zuwendungsbescheiden wegen Verstoßes gegen Vergaberecht, in: NVwZ 2006, 991 ff.

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(§§ 17 ff. FStrG) sein; häufiger kommen aber auch wasserrechtliche Verfahren, Verfahren nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (§§ 18 ff. AEG) sowie Verfahren zur Genehmigung von Straßenbahnen nach dem Personenbeförderungsgesetz (§§ 28 ff. PBefG) vor. Wegen der in diesen Bereichen herausgehobenen Bedeutung als „Prozessordnung“ für den Ablauf des Verwaltungsverfahrens, ergänzt durch die jeweiligen, ggfs. auch abweichenden, Sonderregelungen des Fachplanungsrechts, beanspruchen die Regelungen der §§ 72 ff. VwVfG in der Praxis gesteigerte Aufmerksamkeit und Beachtung. Nach herkömmlichem deutschem Rechtsverständnis ist die Bindung der Behörden an das Verwaltungsverfahrensrecht kein Selbstzweck, sondern hat die Funktion, dem materiellen Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. In Bereichen allerdings, in denen keine eindeutigen materiell-rechtlichen Entscheidungsvorgaben vorhanden sind, wie es typischerweise bei Ermessens-, Planungs- und Abwägungsentscheidungen der Fall ist, kommt der Einhaltung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen höhere Bedeutung für die – auch materielle – Richtigkeit der behördlichen Entscheidung zu, da es insoweit auch den Gerichten an verbindlichen materiellen Kontrollmaßstäben fehlt2. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Einhaltung von verfahrensrechtlichen Bestimmungen eine noch größere Bedeutung zugemessen werden kann, soweit diese auf der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht beruhen. Klassisches Beispiel ist die im deutschen Recht als unselbständiger Teil des Verwaltungsverfahrens ausgebildete Umweltverträglichkeitsprüfung. Hier hat die Verwaltung lernen müssen, dass die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften nicht vernachlässigt werden darf, auch wenn dem Amtswalter die Sicherstellung einer materiell-rechtlich korrekten Entscheidung auch schon vor Einführung der UVP in hohem Maße gewährleistet erschien. Dieser aus dem Gemeinschaftsrecht gewonnene „prozedurale“ Ansatz, nämlich der „Richtigkeitsgewähr durch das Verfahren“, gewinnt aus der Sicht der Verwaltung zunehmend an Bedeutung. Letztlich ist festzuhalten, dass die auf einen komplexen Abwägungsprozess ausgerichteten Planfeststellungsverfahren mit einer Vielzahl von Betroffenen aus der Sicht der Verwaltung nur bei der geforderten Einhaltung des für alle Beteiligten im wesentlichen gleich ablaufenden (Förmlichkeiten, Fristen) und mit gleichen Einflussnahmemöglichkeiten (Einwendungen, Erörterung) ausgestatteten Verfahrens erfolgreich und auch in angemessener Zeit durchführbar sind und mit einem nachvollziehbaren und nachprüfbaren Ergebnis abgeschlossen werden können. ___________ 2 Vgl. zur Problematik Ulrich Stelkens, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, in: DVBl. 2010, 1078 ff.

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III. Ausgewählte Problembereiche Während im Regelfall verwaltungsverfahrensrechtliche Fragestellungen in der Praxis der Verwaltungsbehörden kaum eine Rolle spielen, gibt es Problembereiche, die auch dem Verwaltungsmitarbeiter hin und wieder eine nähere Befassung mit verfahrensrechtlichen Fragen nahelegen.

1. Akteneinsicht durch Beteiligte, insbesondere durch Anwälte Ein sehr häufiger Streitpunkt ist in der Praxis die Frage, wann und wie die Behörde Akteneinsicht gewährt bzw. gewähren muss. Der als Ermessensvorschrift ausgebildete § 29 Abs. 3 VwVfG wirft in der Praxis erhebliche Probleme auf3, soweit es nicht lediglich um die Einsichtnahme bei der Behörde selbst geht, wie sie als Regelfall in § 29 Abs. 3 HS. 1 VwVfG verankert ist. Da die Akten führende Behörde weitergehende Ausnahmen gemäß Halbsatz 2 gestatten kann, wird von der h.M. entsprechend der Regelung in § 100 Abs. 2 S. 2 VwGO die Überlassung der Akten zur Einsicht in der Kanzlei eines Rechtsanwalts als zulässig angesehen. In Bayern ist diese Möglichkeit in Art. 29 Abs. 3 S. 1 BayVwVfG ausdrücklich vorgesehen. Entgegen der Formulierung des Gesetzes, das hier ausdrücklich von weiteren „Ausnahmen“ spricht, wird diese Möglichkeit allerdings von vielen Vertretern der Anwaltschaft teilweise schon als quasi verfassungsmäßig verbrieftes Recht angesehen. Indes steht diese Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, die insbesondere das Verlustrisiko und andere Hinderungsgründe berücksichtigen kann4. Es liegt auf der Hand, dass hier unterschiedliche Interessen der Anwaltschaft und der öffentlichen Verwaltung einander widerstreiten und das Bestreben der Verwaltung, „ihre“ Akten in eigener Obhut zu behalten, nicht das Wohlgefallen der beteiligten Rechtsvertreter findet5. Zumindest was die Regelung in Art. 29 Abs. 3 S. 1 BayVwVfG anlangt wird hier vertreten, dass darin eine gesetzliche Wertung enthalten sei, die im Regelfall im Sinne eines gebundenen Ermessens zu einer Überlassung der Akten in die Kanzleiräume führen muss6. In ähnlicher Weise wird die häufige Verwaltungspraxis angeprangert, die Akteneinsicht in den Amtsräumen und nur unter Aufsicht eines Behörden___________ 3

Vgl. auch Kopp/Ramsauer, § 29 VwVfG, Rn. 1. Vgl. Kopp/Ramsauer, § 29 VwVfG, Rn. 41. 5 Hierzu Bohl, Johannes, Der „ewige Kampf“ des Rechtsanwalts um die Akteneinsicht, in: NVwZ 2005, S. 133 ff. 6 Hierzu Bohl, Johannes, a.a.O, S. 136. 4

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mitarbeiters zu gewähren. Eine Praxis, die in Bayern vor allem dann zum Tragen kommt, wenn der Beteiligte nicht anwaltschaftlich vertreten ist7. Die weiteren Problemfelder in diesem Zusammenhang, wie etwa die Frage, ob und in welchem Umfang Kopien angefertigt werden dürfen, die Frage über das „Wann“ der Akteneinsicht sowie die Kosten oder die rechtliche Durchsetzung der Akteneinsicht können hier nicht vertieft werden, kennzeichnen aber die umfassende Problemlage.

2. Nebenbestimmungen Ein in Rechtswissenschaft und Ausbildung stark beachteter Bereich stellen die Nebenbestimmungen gem. § 36 VwVfG dar, die auch in der Verwaltungspraxis eine große Rolle spielen. Allerdings werden in der Praxis der Verwaltungsbehörden die in § 36 Abs. 2 VwVfG beschriebenen Typen von Nebenbestimmungen im Regelfall alles andere als systematisch auseinandergehalten, geschweige denn, die von der Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien im Einzelnen in die Betrachtung einbezogen8. Oft werden unspezifische Bezeichnungen verwendet, etwa im Sinne einer „allgemeinen Überschrift“ („… ergeht unter folgenden Auflagen und Bedingungen …“) oder Formulierungen wie „… ist folgender Vorbehalt zu beachten …“ oder „… gelten die folgenden Bestimmungen …“. Insbesondere reine Inhaltsbestimmungen werden häufig als „Auflagen“ oder „sonstige Nebenbestimmungen“ bezeichnet und behandelt. Da hilft es der Verwaltung durchaus, dass es nach h.M. für die Zuordnung der Nebenbestimmung und damit für die daraus fließende Rechtsfolge auf den materiellen Gehalt ankommt und auf den objektiven Erklärungswert und nicht auf die Bezeichnung abzustellen ist9. Diese „Unbeachtlichkeit“ der falschen Bezeichnung wird man gegebenenfalls bei der Frage nach der Ursache dieses dogmatischen Defizits heranziehen müssen. Der Verwaltungsmitarbeiter weiß in der Regel sehr wohl, was er mit der Nebenbestimmung erreichen will, und formuliert diese im Regelfall auch ___________ 7 So hat die Regierung von Unterfranken unter Hinweis auf das Verlustrisiko erst kürzlich einen ehemaligen Beamten, der seine Personalakte zur Einsichtnahme an seine Privatadresse geschickt haben wollte, darauf verwiesen, eine Einsichtnahme an einer hierzu bereiten Behörde in der Nähe seines Wohnsitzes vorzunehmen. 8 Salopp formuliert könnte man sagen, es geht durcheinander wie „Kraut und Rüben“. 9 Vgl. Kopp/Ramsauer, § 36 VwVfG, Rn. 14.

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zielgerichtet, sieht aber aus der Praxis heraus keine Notwendigkeit, diese begrifflich richtig einzuordnen. Man mag dies bedauern10, muss aber berücksichtigen, dass nicht alle Verwaltungsmitarbeiter eine spezifische Verwaltungsausbildung oder ein juristisches Studium absolviert haben. Insbesondere in den Fachabteilungen, wie etwa der Wirtschaftsförderung, im Bereich des Veterinärwesens, der Pharmazie oder des Gewerbeaufsichtsamts müssen immer wieder Fachleute Entscheidungen ohne juristische Rückkoppelung treffen, die sich dann hin und wieder in der Nomenklatur vergreifen.

3. § 46 VwVfG Während die Heilung von Verfahrens- und Formmängeln nach § 45 VwVfG, insbesondere wegen der für die Verwaltung segensreichen Vorschrift des § 45 Abs. 2 VwVfG, relativ unproblematisch ist, findet sich eine in der täglichen Praxis der Verwaltungsbehörden nur schwer zu „handhabende“ Vorschrift in § 46 VwVfG. Diese ist ihrem Wesen nach auf eine nachträgliche Überprüfung von Verwaltungsakten ausgerichtet und kann daher kaum von den Verwaltungsbehörden antizipiert werden. Dies schon aus Gründen der „Verwaltungspsychologie“, die dazu führt, dass der Verwaltungsmitarbeiter grundsätzlich davon ausgeht, rechtmäßig zu handeln und alle notwendigen Verfahrensregeln einzuhalten, wobei man ihm getrost unterstellen darf, dass er dies auch immer anstrebt. Mit anderen Worten, es ist für die Verwaltung einfacher und sinnvoller, zu versuchen, Verfahrensfehler zu vermeiden, als sich auf deren Unbeachtlichkeit zu verlassen. Es liegt auf der Hand, dass ein Versuch, für alle möglichen Verfahrensfehler die Offensichtlichkeit der fehlenden Ursächlichkeit des Mangels von vornherein zu „konstruieren“, schon allein wegen der kaum eingrenzbaren Fülle möglicher Fehler ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Aus diesem Grunde kann die Befürchtung, die Vorschrift trage zur Entdisziplinierung der Verwaltung bei11, aus der Sicht der Praxis nicht bestätigt werden. Was angesichts der Interpretation von § 46 VwVfG durch Literatur und Rechtsprechung der Verwaltung allerdings dringend zu raten ist, ist, dass sie ihre Entscheidungsvorgänge in den Akten in nachvollziehbarer Form schriftlich festhält. Dadurch lässt sich nicht nur die allenthalben der Verwaltung gut anstehende Transparenz von Verwaltungsvorgängen herstellen und festhalten, ___________ 10 11

Wie es Kopp/Ramsauer tun, § 36 VwVfG, Rn. 9a. So Kopp/Ramsauer, § 46 VwVfG, Rn. 5.

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sondern gegebenenfalls auch im Sinne von § 46 VwVfG die „Offensichtlichkeit“ an Hand der Akten objektiv und eindeutig nachweisen12.

IV. „Leerlaufende“ Regelungen aus der Sicht der Praxis 1. Das förmliche Verfahren Wenig Aufnahme hat das förmliche Verfahren der §§ 63 ff. VwVfG in die Praxis der Verwaltung gefunden. Dies findet seine Begründung bekanntermaßen darin, dass der Fachgesetzgeber in Bund und Ländern offenbar eher die erforderlichen Förmlichkeiten im eigenen Fachgesetz regelt, als auf das förmliche Verfahren zu verweisen. Dabei ist klar, dass dieser „Leerlauf“ vom Gesetzgeber und nicht von der Verwaltung „verursacht“ ist, gleichwohl sollte dies in diesem Kontext nicht unerwähnt bleiben. Wenn es hier um die Wahrnehmung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht der Verwaltung geht, dann ist zu konstatieren, dass die §§ 63–71 VwVfG von der Verwaltungspraxis nicht wahrgenommen werden.

2. Die „alten“ Verfahrensbeschleunigungsnormen Wenn die §§ 71a–e (alte Fassung) VwVfG nicht aus Anlass der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Jahre 2009 den Regelungen über das Verfahren über eine einheitliche Stelle gewichen wären, hätten sie an dieser Stelle einen prominenten Platz einnehmen müssen. Einmal, weil sie aus der Sicht der Verwaltung entweder Allgemeinplätze enthalten haben (z.B. § 71b: „Die Genehmigungsbehörde trifft die ihr rechtlich und tatsächlich möglichen Vorkehrungen dafür, dass das Verfahren in angemessener Frist abgeschlossen… werden kann“, oder § 71c Abs. 1: „…erteilt Auskunft über Möglichkeiten zur Beschleunigung des Verfahren…“) zum Anderen, weil sie längst in der Praxis der Verwaltungsbehörden gängige und auch ohne gesetzliche Regelung praktizierte Verfahrensweisen „regelt“ (z.B. § 71c Abs. 2: „…erörtert bereits vor Stellung des Antrags… 1. welche Nachweise und Unterlagen von ihm zu erbringen sind...“). In diesen Kontext gehören auch das Sternverfahren (§ 71d) und die Antragskonferenz (§ 71e). Aus der Erwähnung dieser „historischen“ Regelungen sollte – auch vor dem Hintergrund der aufgrund der Erfahrungen mit „Stuttgart 21“ jetzt wieder einsetzenden Debatte über Änderungen des Verwaltungsverfahrensrechts – klar ___________ 12

Vgl. Kopp/Ramsauer, § 46 VwVfG, Rn. 36.

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werden, dass sich der Gesetzgeber jeweils sehr genau überlegen sollte, ob und wie weit er einen bestimmten Bereich regeln will. Bestenfalls sind solche gesetzlichen Regelungen überflüssig oder laufen leer und richten damit keinen Schaden an. Schwierig wird es, wenn neue Vorschriften dazu führen, dass die notwendigen Spielräume der Verwaltung so eng werden, dass Verfahren nicht mehr in vernünftigen Zeiträumen abgearbeitet werden können oder mit einem unangemessen großen bürokratischen Aufwand verbunden sind. Die ausführende Verwaltung schafft sich selten ihre bürokratischen Regeln selbst, sie „haftet“ aber für zeitliche Verzögerungen, rechtliche Fehlschläge und aus der Sicht des Bürgers unangemessene Ergebnisse.

V. Zukünftige Problemfelder Unter dem Stichwort „Zukünftige Problemfelder“ sollen einige Überlegungen aus der Sicht der Verwaltung angestellt werden, die zugegebenermaßen eine zufällige Auswahl darstellen und Probleme unterschiedlicher Wichtigkeit anreißen13.

1. „Automatischer VA“ gem. § 37 VwVfG Der Vorschrift des § 37 Abs. 5 VwVfG über den mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassenen VA kann man ohne zu übertreiben eine beachtliche Karriere bestätigen, die Hand in Hand mit der fortschreitenden und nahezu allumfassenden Vernetzung unseres Lebens durch die elektronische Datenverarbeitung einhergeht. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist allerdings aus Sicht der Verwaltung zu eng begrenzt, wenn in Literatur und Rechtsprechung darauf abgestellt wird, dass bereits die Regelung als solche automatisch erstellt werden muss14, weshalb darunter weder in üblicher Weise vervielfältigte, gleichlautende Bescheide fallen, noch elektronisch erstellte Bescheide, die durch die Behörde so individualisiert worden sind, dass sie aus der Sicht des Empfängers ihren prägenden Charakter als „mit Hilfe einer automatischen Einrichtung erlassene Verwaltungsakte“ verlieren. Zumindest vermag man kaum zu erkennen, warum bei automatisch erstellten Verwaltungsakten Unterschrift und Namenswiedergabe verzichtbar sein sollen, während dies bei massenhaft anfallenden, ähnlichen, gleichwohl aber vom Ver___________ 13 Die Tagung hat sich an einem Vormittag eingehend den Aspekten dieser Thematik gewidmet. 14 Vgl. Kopp/Ramsauer, § 38 VwVfG, Rn. 39.

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waltungsmitarbeiter in gewissem Umfang individualisierten Verwaltungsakten nicht der Fall sein soll. Weshalb es nur im ersteren Fall ausreichend sein soll, dass die Behörde als solche erkennbar ist, erschließt sich nicht15. Etwas unverständlich erscheint in diesem Zusammenhang auch, warum bei automatisierten Verwaltungsakten auf die Namenswiedergabe verzichtet werden kann, während es bei sonstigen schriftlichen Verwaltungsakten generell üblich ist, neben dem Namen des Unterzeichnenden auch den Namen des Sachbearbeiters anzugeben. Gerade bei durch die EDV erstellten Verwaltungsakten wäre es ein Leichtes, den Namen des zuständigen Sachbearbeiters aufzunehmen.

2. Elektronische Aktenführung Aus der Sicht der Praxis noch relativ wenig klar ist das weite Feld der elektronischen Aktenführung. Zwar enthält das VwVfG an einigen Stellen Hinweise und Regelungen zur elektronisch gestützten Verwaltungstätigkeit, wie z.B. in § 3a zur elektronischen Kommunikation und zur Übermittlung elektronischer Dokumente, in § 37 Abs. 2 zum Erlass und in § 41 Abs. 2 S. 2 zur Bekanntgabe von elektronischen Verwaltungsakten oder in § 71 e zur elektronischen Verfahrensabwicklung über eine einheitliche Stelle. Diese Vorschriften befassen sich aber ausschließlich mit Sachverhalten, bei denen es um die Art und Weise und den Weg der Kommunikation der Verwaltung mit dem Bürger geht. In ähnlicher Weise haben sich auch die Prozessordnungen der Problematik angenommen und entsprechende Regelungen zur elektronischen Kommunikation (§ 55a VwGO) und Aktenführung (§ 55b VwGO) getroffen. Bisher nicht näher geregelt ist dagegen der Umgang der Verwaltung mit elektronischen Akten, woraus sich eine Reihe von praktischen Fragen ergibt, die hier kurz angesprochen werden sollen: ___________ 15

Dass diese Regelung zunehmende Bedeutung gewinnt, kann man an den nachfolgenden Beispielen erkennen: – Die Gewährung von Teilzeit (nach Art. 88 ff. BayBG) ist im Lehrerbereich ein Massengeschäft, für das in Bayern in Teilbereichen die Bezirksregierungen zuständig sind. Allein in diesem Bereich hat eine Mittelbehörde wie die Regierung von Unterfranken etwa 2500 Fälle pro Jahr zu behandeln, die im Prinzip immer gleichförmig ablaufen. An der bezogen auf die Zahl der Einwohner in ihrem Einzugsbereich etwa dreimal so großen Regierung von Oberbayern (München) kommen jährlich etwa 5000–6000 Fälle zusammen. – Auch die Entscheidungen über Altersteilzeit mit etwa 200–300 Fällen pro Jahr fallen aus Sicht der Verwaltung noch unter ein solches Massengeschäft und könnten von einer etwas großzügiger bemessenen Anschauung dessen, was ein Verwaltungsakt ist, der „mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird“, profitieren.

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Wenn in der Verwaltung ein elektronisches Dokumentenmanagement- und Vorgangsbearbeitungssystem eingeführt ist, dann werden die Originalschriftstücke eingescannt und danach vernichtet. Ziel ist die medienbruchfreie Vorgangsbearbeitung und Archivierung. Die „Gerichtsfestigkeit“ der elektronischen Akte scheint dabei aber immer noch nicht völlig klar zu sein16. Nicht absehbar bleibt, wie die Gerichte entscheiden, wenn ein Anwalt die Vorlage von rein elektronischen Akten rügt. Zwar kann aus einer elektronischen Akte wieder eine in Papierform „rekonstruiert“ werden, hierzu bedarf es aber einer amtlichen Beglaubigung der einzelnen Vorgänge. Weder im VwVfG des Bundes noch in den meisten Länderverfahrensgesetzen gibt es bisher eine Regelung, die herkömmliche und elektronische Akten gleichstellt. Zu überlegen bleibt daher, ob es nicht geboten oder zumindest sinnvoll ist, eine dem § 55b VwGO nachgebildete Vorschrift auch in das VwVfG aufzunehmen, um damit dem Thema Rechtsverbindlichkeit des elektronischen Verwaltungsvorgangs von vornherein rechtliche Akzeptanz zu verleihen.



Schwierigkeiten bereitet wohl auch die Einsichtnahme in solche elektronischen Akten: Ist der Bürger im Umgang mit elektronischen Medien unerfahren, kann Akteneinsicht nur gewährt werden, indem der Inhalt der elektronischen Akte wieder ausgedruckt und in Papierform zur Verfügung gestellt wird. Stellt die Behörde den elektronischen Akteninhalt auf Datenträgern oder per E-Mail zur Verfügung, muss sie dafür Sorge tragen, dass die Daten veränderungssicher bleiben und dass vertrauliche Daten (Geschäftsgeheimnisse) nicht einsehbar sind. Soweit die Behörde der Einsicht nehmenden Person einen externen Zugriff auf den elektronischen Akteninhalt einräumen will (wie es sich bei Anwälten anbieten könnte), muss sie sicherstellen, dass dies in einem besonderen, elektronisch von sonstigen Verwaltungsbereich abgesonderten Bereich geschieht, was derzeit z.B. in Bayern aufgrund fehlender Funktionalität (noch) nicht möglich ist.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass mit den elektronischen Medien, von denen eigentlich Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekte erwartet werden, je___________ 16 So hat ein Verwaltungsgericht in Bayern im Rahmen eines Rechtsgesprächs geäußert, es fehle in den elektronischen Verfahrensakten ein eingescannter, physisch unterschriebener Entwurf des Planfeststellungsbeschlusses. Im Ergebnis waren die gerichtlichen Zweifel im konkreten Fall allerdings nicht entscheidungserheblich. In ähnlicher Weise hat sich ein Verwaltungsrichter nur sehr schwer überzeugen lassen, dass die elektronische Akte der Papierakte gleichsteht, was die Vollständigkeit ihres Inhalts anlangt, sogar sicherer ist.

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denfalls derzeit noch Erschwernisse für Verwaltung und Bürger verbunden sind.

3. Widerspruchsverfahren Ein ebenfalls sehr stark verwaltungspolitisch geprägtes Thema ist das der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in den Ländern17. Dabei soll das Widerspruchsverfahren hier unter dem Blickwinkel als Teil des Verwaltungsverfahrens und nicht als Sachurteilsvoraussetzung betrachtet werden. In Bayern ist die Abschaffung des Widerspruchverfahrens durch Gesetz vom 22.06.2007 zur Änderung des Ausführungsgesetzes zur VwGO (Art. 15 AGVwGO) erfolgt. Mit ihm ist in bestimmten Rechtsbereichen, wie etwa dem Kommunalabgabenrecht, ein fakultatives Widerspruchverfahren eingeführt worden. Beobachtungen in der Praxis zeigen, dass ein sehr hoher Prozentsatz der Betroffenen, die gegen den sie belastenden Bescheid vorgehen wollen, dies durch Einlegung eines Widerspruch tun und nur ein sehr geringer Teil direkt Klage zum Verwaltungsgericht erhebt18. Daraus ergibt sich, dass die in Anspruch genommenen fakultativen Widerspruchsmöglichkeiten Hinweise auf das Vertrauen der Bürger in die Selbstüberprüfung der Verwaltung zulassen. Als mögliche Gründe hierfür lassen sich anführen: –

hohe Befriedungsquote,



weniger hohe Hemmschwelle als Klage beim Gericht,



Rücknahmemöglichkeit mit geringerer Gebühr nach nochmaliger Darlegung der Rechtsgründe (ggfs. im Gespräch),



im Regelfall schnellere Entscheidung als vor Gericht.

Angesichts des Verhaltens der Betroffenen bei den fakultativen Widerspruchsverfahren wäre es sicher eine lohnende Aufgabe für die empirische Verwaltungsforschung eine Evaluation der Auswirkungen der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens vorzunehmen, insbesondere zu untersuchen, ob die erwarteten Beschleunigungseffekte tatsächlich eingetreten sind19.

___________ 17

Vgl. Kopp/Ramsauer, § 79 VwVfG, Rn. 5. Diese Beobachtungen aus der Praxis sind hier allerdings nicht mit empirisch erhobenen Zahlen belegbar. 19 Vgl. die Kritik bei Kopp/Ramsauer, § 79 VwVfG, Rn. 5a f. 18

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4. Verfahren über eine einheitliche Stelle Als letzten Hinweis soll aus der Sicht der Verwaltung kurz auf das Verfahren über eine einheitliche Stelle gem. § 71a ff. VwVfG eingegangen werden. Diese, aus Anlass der Umsetzung der EU-Dienstleitungsrichtlinie im Jahr 2009 neu in das VwVfG eingefügten Regelungen gehen über den engeren Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus und stellen einen neuen Verfahrenstypus dar20. Die Erwartungen und Hoffnungen die teilweise mit diesem neuen Verfahren verknüpft werden, sind von Seiten der Verwaltung eher skeptisch zu sehen. Zu Recht äußert Ramsauer21 Zweifel, ob die Zwischenschaltung eines Verfahrensmittlers zu einer Vereinfachung der Abläufe und zu einer Beschleunigung führt und auch der Hinweis, dass die Verwaltung nicht einseitig auf der Seite der Dienstleister und „Kunden“ stehen könne22, führt beim Fachgesetzgeber hoffentlich zu einer zurückhaltenden Beurteilung der Anwendbarkeit dieser Vorschriften. Vor dem Hintergrund eines stetig weitergehenden Personalabbaus in der Inneren Verwaltung in allen deutschen Ländern, kann die Bewältigung zusätzlicher Aufgaben durch Bereitstellung eines Verfahrensmanagers nur kritisch gesehen werden, wobei als besonders problematisch zu werten ist, wenn mit der Regelung der Anwendbarkeit der §§ 71 ff. VwVfG Tatbestände für Genehmigungsfiktionen verbunden werden sollten. Hier würde man sich von Seiten der Verwaltung realistische Personalkostenabschätzungen wünschen, die nicht mit meist nicht eintretenden Synergieeffekten und Reformrenditen gegen gerechnet werden.

VI. Resümee Grundsätzlich lässt sich aus der Sicht der Verwaltung konstatieren, dass die Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes in der Praxis der Verwaltungsbehörden kaum größere Anwendungsprobleme mit sich bringt. Das VwVfG hat sich in den 35 Jahren seines Bestehens uneingeschränkt bewährt. Für die Sichtweise der Verwaltung auf das VwVfG lässt sich das Bild von Leitplanken an der Autobahn bemühen. Man nimmt die Leitplanken in ihrer ___________ 20

Kopp/Ramsauer, § 71a VwVfG, Rn. 4. Kopp/Ramsauer, § 71 Rn. 5. 22 Heribert Schmitz/Lorenz Prell, Verfahren über eine einheitliche Stelle – Das vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, in: NVwZ 2009, 1 (2). 21

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den Fahrtweg markierenden und begrenzenden Funktion wahr und weiß um ihre hilfreiche Wirkung. Dabei fahren jeden Tag unzählige Kraftfahrzeuge auf der Autobahn, ohne mit den Leitplanken in Berührung zu kommen, die allein durch ihre Existenz und die allgemeine Kenntnis ihrer Funktion geleitende und sichernde Wirkung entfalten. Für das VwVfG kann man abschließend feststellen, dass das damalige Ziel des Gesetzgebers, mit der Zusammenfassung und Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts im VwVfG ein höheres Maß an Übersichtlichkeit, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit herzustellen und die Anwendung und Beachtung des Verfahrensrechts für Behörden und Bürger gleichermaßen zu erleichtern, erreicht worden ist.

Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht der Rechtsanwender: Verwaltungsgerichtsbarkeit Jürgen Held

I. Einleitung Die Wahrnehmung des Verwaltungsverfahrensrechts durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist durch deren Rechtsprechungsauftrag bestimmt. Im Unterschied zu den am Verwaltungsverfahren Beteiligten und den Behörden sind die Verwaltungsrichter nicht Akteure im Verwaltungsverfahren. Die Richter sind vielmehr distanzierte Betrachter. Sie nehmen die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts nicht als Handlungs-, sondern als Kontrollnormen wahr, und zwar in grundsätzlich retrospektiver Beurteilung des Verfahrensergebnisses. Der Rechtsprechungsauftrag besteht vorrangig in der Gewährleistung subjektiven Rechtsschutzes. Nur bei der Normenkontrolle und der Verbandsklage findet eine objektiv-rechtliche Kontrolle statt. Der Zugang des Verwaltungsrichters zum Verwaltungsverfahrensrecht ist aufgrund gesetzlicher Vorgaben gleich mehrfach gefiltert. Als solche Filter sind zu nennen: das subjektiv öffentliche Recht als Voraussetzung für den Erfolg eines Rechtsbehelfs, die Ausrichtung der Kontrolle auf das Verfahrensergebnis anstelle eines verfahrensbegleitenden Rechtsschutzes, ferner die Regelungen über die Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrensfehlern. Den Verwaltungsgerichten wird vorgeworfen, die Bedeutung des Verfahrensrechts nicht genügend zu betonen.1 Dem soll im Folgenden entgegengetreten werden, indem die Herangehensweise der Richter an die Fälle erläutert wird. Dabei sollen auch einige Missverständnisse ausgeräumt werden. Die Ausrichtung der Fallbearbeitung auf die Sachentscheidung und die Verletzung subjektiver Rechte schränkt die Kontrolle des Verwaltungsverfahrens zwar ein. Sie lässt jedoch genügend Raum, um der Bedeutung eines ordnungs___________ 1 Vgl. zuletzt: Christian Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 276 („verhaltene Rechtsprechung“) und durchgehend.

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Jürgen Held

gemäßen Verfahrens für die Richtigkeit der Sachentscheidung Rechnung zu tragen. Darüber hinaus ermöglicht sie eine endgültige Klärung des Rechtsstreits, woran die Beteiligten in aller Regel ein großes Interesse haben. Diese Chance, im Verwaltungsprozess den Streit abschließend zu bereinigen, sollte nicht leichthin aufgegeben werden. Schwierig wird es mit den europarechtlichen Auswirkungen auf das Verwaltungsrecht. In das zum Teil filigrane Netz des deutschen Verwaltungsprozesses müssen die Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts eingeflochten werden, denen eine gänzlich andere Funktion des Verwaltungsrechtsschutzes (objektive Kontrolle) und andere Struktur des Verwaltungsrechts (verfahrensbezogene statt inhaltliche Steuerung) zugrunde liegt. Diese Integration kann die Rechtsprechung nur punktuell leisten, nämlich bei europarechtlich zwingenden Verfahrensanforderungen. Bevor die einzelnen Filter erläutert werden, bedarf es zunächst einiger begrifflicher Klärungen.

II. Begriff und Funktion des Verwaltungsverfahrensrechts Wenn nach Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts gefragt wird, soll dies nicht auf alle im Verwaltungsverfahrensgesetz enthaltenen Regelungen bezogen werden, sondern nur auf die das Verfahren betreffenden Vorschriften, also das formelle Recht.2

1. Begriff des Verwaltungsverfahrensrechts Wenn im Verwaltungsverfahrensgesetz von Verfahrensvorschriften die Rede ist, sind Vorschriften gemeint, die die äußere Ordnung der Informationsbeschaffung und die Interaktion der Verfahrensbeteiligten regeln.3 Dieses Verständnis kommt in der Legaldefinition des Verwaltungsverfahrens in § 9 VwVfG zum Ausdruck, wenn dort auf die „nach außen wirkende Tätigkeit der ___________ 2

Daneben finden sich im VwVfG eine Fülle von Regelungen, die das Handeln der Behörden inhaltlich regeln, also das materielle Recht: etwa Vorschriften über die Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte, §§ 48 ff. oder über die Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge (§§ 54 ff.). 3 Vgl. Jan Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 9 Rn. 3: Verfahren als „Strukturierung eines Kommunikationsprozesses zwischen mehreren Beteiligten zur Vorbereitung einer Entscheidung“; Hermann Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 13 Rn. 1: „Verfahrensrecht bewirkt eine Ordnung der behördlichen Entscheidungsabläufe, es koordiniert die Zusammenarbeit mit anderen Verwaltungsstellen und regelt die Einbeziehung betroffener Bürger.“

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Behörden“ abgestellt wird. Typische Regelungen des Verwaltungsverfahrens sind daher: –

Vorschriften über den Beginn des Verfahrens (§ 22 VwVfG);



Anhörung von Behörden oder anderer Träger öffentlicher Belange (Regelungen im jeweiligen Fachrecht bzw. für die Planfeststellung in § 73 Abs. 2 VwVfG);



Anhörung des Betroffenen (§ 28 VwVfG) bzw. der Öffentlichkeit (§ 73 Abs. 2 und Abs. 4 VwVfG);



Akteneinsichtsrecht (§ 29 VwVfG).

Von der Interaktion der Verfahrensbeteiligten ist der (innere) Prozess der Willens- und Entscheidungsbildung zu unterscheiden.4 Die interne Willensbildung bei den Angehörigen der Behörde wird auf der Grundlage der im Verfahren gewonnenen Informationen durch inhaltliche Vorgaben gesteuert, neben Vorschriften des zwingenden Rechts etwa durch Ermessens- oder Abwägungsdirektiven. Sie sind dem materiellen Rechts zuzurechnen.5 Nach außen wirksame Koordination der Verfahrensbeteiligten und interner Prozess der Entscheidungsfindung sind natürlich aufeinander bezogen. Nicht selten führen unterlassene oder fehlerhaft durchgeführte Verfahrenshandlungen zu Defiziten im inhaltlichen Willensbildungsprozess der zur Entscheidung berufenen Amtswalter.6 Nur sollte im deutschen Verwaltungsrecht beides auseinandergehalten werden. In einem weiten Verständnis werden allerdings auch Vorgaben zur Strukturierung des inneren Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses als Verfahrensvorschriften (für das „innere Verfahren“) aufgefasst. Ein solch weites Begriffsverständnis findet sich auch im Europäischen Gemeinschaftsrecht.7 So verlangt die UVP-Richtlinie – als Verfahrensnorm – die Bewertung und Berücksichtigung der ermittelten Auswirkungen eines Projekts auf die Schutzgüter (Art. 3 und 8 UVP-RL). Nach deutschem Verwaltungsrecht handelt es sich um Abwägungsdirektiven.8 Diese Unterschiede im Verfahrensbegriff müssen ___________ 4

Vgl. Ziekow (Fn. 3), § 9 Rn. 5. Vgl. Jürgen Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 19 f. 6 Vgl. BVerwG, Urt. vom 16. Oktober 2008 – Konversion Militärflugplatz WeezeLaarbruch –, BVerwGE 132, 123: Verletzung des Anspruchs auf gerechte Abwägung wegen unterbliebener UVP. 7 Vgl. Quabeck (Fn. 1), S. 1 und S. 120 f. zum weiten Verfahrensbegriff des EUEigenverwaltungsrechts einschließlich des sog. „inneren Verfahrens“. 8 Der weite Verfahrensbegriff des EU-Rechts hat inzwischen allerdings auch Eingang ins deutsche Recht gefunden, wenn in § 2 Abs. 3 BauGB das Gebot zur Ermittlung und Bewertung der abwägungsbeachtlichen Belange als Verfahrensnorm ausgestaltet wird (§ 214 I 1 Nr. 1 BauGB); hierzu BVerwG, Urt. vom 9.4.2008, UPR 2009, 59 (Rn. 22). 5

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bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in nationales Recht bedacht werden. Was nach dem weiten Verfahrensbegriff ein Verfahrensfehler ist, wird nach unserer Rechtsordnung etwa als Abwägungsdefizit erfasst.9 Die Unterschiede relativieren sich zum Teil durch ähnliche Fehlerfolgenregelungen (vgl. § 75 Abs. 1 a VwVfG). Dem weiten Verfahrensbegriff liegt letztlich ein anderes Modell zur Steuerung des Verwaltungshandelns zugrunde. So gehen etwa die UVP- und die IVU-Richtlinie davon aus, dass die beim Betrieb einer Industrieanlage zu beachtenden Schutzstandards nicht, jedenfalls nicht vollständig, materiellrechtlich vorgegeben sind, sondern erst im jeweiligen Genehmigungsverfahren situativ erarbeitet und dann festgeschrieben werden.10 In einem solchen Modell verliert die Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Recht an Bedeutung, zugunsten eines prozeduralen Verständnisses des Verwaltungshandelns.11

2. Funktion des Verwaltungsverfahrens Für die Verwaltungsgerichte steht die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens im Vordergrund. Die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens erfüllt keinen Selbstzweck.12 Sie dient vielmehr der Hervorbringung einer richtigen Entscheidung. Die Beachtung der Vorschriften des Verwaltungsverfahrens ist somit Mittel zum Zweck, im Rahmen der materiell-rechtlichen Vorgaben zu einer richtigen, nämlich unter Auswertung aller entscheidungsrelevanten Informationen sachangemessenen Entscheidung zu gelangen.13 Die „Richtigkeitsgewähr durch Verfahren“ gilt unabhängig von der Intensität der materiell-rechtlichen Steuerung des Behördenhandelns. Auch gebundene Entscheidungen verlangen eine sorgfältige Ermittlung des Sachverhalts. Bei Entscheidungsspielräumen der Behörde hat die Beachtung des Verfahrensrechts darüber hinaus komplementäre Rechtsschutzfunktion. ___________ 9 Vgl. BVerwG, Urt. vom 16. Oktober 2008 – Konversion Militärflugplatz WeezeLaarbruch –, BVerwGE 132, 123 (Rn. 16), wo eine unzureichende UVP-Vorprüfung als Verstoß gegen das materielle Abwägungsgebot gewertet wird. 10 Vgl. hierzu Klaus Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2010, § 8 Rn. 6 (prozeduraler Charakter der UVP als transparenter Prozess der Entscheidungsvorbereitung und der Verzicht auf konkrete materielle Maßstäbe), § 10 Rn. 56 f. (integriertes Genehmigungsverfahren entsprechend englischer Tradition zur flexiblen Erarbeitung von Qualitätsstandards je nach den besonderen örtlichen Verhältnissen). 11 Vgl. Quabeck (Fn. 1), S. 1 und S. 281 ff. 12 So auch Quabeck (Fn. 1), S. 284. 13 Vgl. Quabeck (Fn. 1), S. 8.

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Mit der Zuschreibung eines dienenden Charakters von Verfahrensregelungen ist noch keine Wertung verbunden, etwa im Sinne einer Geringschätzung des Verfahrensrechts, was aber oft unterstellt wird.14 Das Herausstellen der dienenden Funktion soll nur den Zusammenhang zwischen Verfahren und Sachentscheidung betonen und die Vorstellung vermeiden, Verwaltungsverfahren fänden um ihrer selbst willen statt. Neben der primären Funktion der Gewährleistung rechtmäßiger und sachangemessener Entscheidungen kommt dem Verwaltungsverfahren auch konsensstiftende Bedeutung zu. Die Art und Weise, in der die Behörde ihre Entscheidung erarbeitet, kann zu deren Akzeptanz beim davon betroffenen Bürger beitragen. Erfolgt die Informationsbeschaffung in einem offenen und transparenten Verfahren, dessen Ablauf den Bürgern erklärt und bei dem ihr eigener Beitrag zur Erarbeitung der Entscheidungsgrundlage erkannt wird, kann dies zur Annahme der Behördenentscheidung beitragen. Ein in dieser Hinsicht gelungenes Verfahren erbringt einen Mehrwert, der über die Gewährleistung einer sachrichtigen Entscheidung hinausgeht. Diese auch als demokratische Funktion umschriebene Bedeutung des Verwaltungsverfahrens wird gerade aktuell aus Anlass der Erfahrungen mit dem Eisenbahnprojekt „Stuttgart 21“ diskutiert.15 Es wird über eine Stärkung der Mitwirkungsmöglichkeiten, bis hin zu Elementen direkter Demokratie nachgedacht. Insbesondere wird über eine frühere und aktivere Information der Öffentlichkeit durch eine von der Entscheidungsbehörde unabhängige Anhörungsoder „Verfahrensbehörde“ nachgedacht und die Unvoreingenommenheit und das Geschick des Verhandlungsleiters im Erörterungstermin als Bedingung für eine erfolgreiche Partizipation der Öffentlichkeit herausgestellt.16 Ob Verfahrensvorschriften insgesamt oder einzelnen von ihnen wegen dieser „demokratischen Funktion“ der Rang absoluter Verfahrensvorschriften zuerkannt werden muss, bedarf m.E. der Entscheidung des Gesetzgebers (vgl. § 4 Abs. 1 UmwRG). § 46 VwVfG betont die relative Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts.

___________ 14

Vgl. Held (Fn. 5), S. 28; stellvertretend für das negative Verständnis der „nur“ dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens „im GegenSatz zu dem positiven Verständnis im Sinne einer Richtigkeitsgewähr: Quabeck (Fn. 1), S. 1, 289 und durchgehend; ferner Wilfried Erbguth, DÖV 2009, 921 (927): „fest zementierte Vorstellung (in Gesetzgebung und Rechtsprechung) von der dienenden Kraft des Verfahrens“. 15 Vgl. etwa Rudolf Steinberg, „Lehren aus Stuttgart 21“, FAZ vom 14. Dezember 2010; Klaus Schönenbroicher, VBlBW 2010, 466; Walter Leisner, NJW 2011, 33; Hans-Jörg Birk, „Offen und tolerant“, FAZ v. 27. Januar 2011. 16 So Steinberg (Fn. 15), und Birk (Fn. 15).

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III. Der Filter „subjektiv öffentliches Recht“ Als erster starker Filter für die Wahrnehmung des Verwaltungsverfahrensrechts in der richterlichen Fallbearbeitung erweist sich die Ausrichtung des deutschen Verwaltungsprozesses auf den Schutz subjektiver Rechte. Die Zuerkennung einer subjektiven Rechtstellung hat nicht nur Bedeutung für die Eröffnung des Rechtsschutzes, d.h. die Zulässigkeit der Klage (§ 42 Abs. 2 VwGO), sondern auch für dessen Umfang. Eine Nachbarklage kann nur dann Erfolg haben, wenn die Behördenentscheidung nicht nur objektiv rechtswidrig ist, sondern die verletzte Norm des objektiven Rechts Schutzwirkungen zugunsten des Klägers entfaltet (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO);17 dann wird er nämlich durch die objektive Rechtswidrigkeit zugleich („dadurch“) in seinen Rechten verletzt. Dies gilt gleichermaßen für subjektive Rechte des materiellen wie des formellen Rechts. Beim Adressaten eines belasteten Verwaltungsakts führt die subjektive Rechtsschutzkonzeption deshalb zu keiner Einschränkung in der Kontrolle des objektiven Rechts, weil ihm ein Anspruch auf objektive Rechtmäßigkeit des Hoheitsakts zuerkannt wird.18 Dasselbe gilt für die von einem Planfeststellungsbeschluss enteignungsrechtlich vorwirkend Betroffenen, denen nach Art. 14 Abs. 3 GG ein Vollüberprüfungsanspruch auf Beachtung der Anforderungen des objektiven Rechts zusteht, sofern dies für die eigene Rechtsbetroffenheit erheblich ist.19

1. Schutznormlehre bei mittelbarer Betroffenheit Problematisch sind die Fälle der sogenannten mittelbaren Betroffenheit. Den mittelbar Betroffenen wird kein Vollüberprüfungsanspruch zugestanden. Vielmehr prüfen die Gerichte mittels der Schutznormlehre, ob die verletzte Vorschrift des objektiven Rechts auch den individuellen Interessen Einzelner zu dienen bestimmt ist und der Kläger zum Kreis der Begünstigten gehört.20 Die Schutznormlehre hat ihren Sinn: die Tätigkeit der Gerichte wird auf die jeweils eigene Rechtsbetroffenheit der klagenden Partei konzentriert; der Einzelne soll ___________ 17 Vgl. zur normativen Bestimmung des subjektiv öffentlichen Rechts und damit des Kontrollzugangs Arno Scherzberg, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 12 Rn. 41 f.; Friedrich Schoch, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 3, 2009, § 50 Rn. 136. 18 Vgl. Friedhelm Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2008, § 14 Rn. 60. 19 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12. August 2009, NuR 2010, 276 (LS 1). 20 Vgl. Hufen (Fn. 18), § 14 Rn. 72 ff.

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sich nicht zum Sachwalter fremder Interessen machen.21 Sie führt allerdings nicht selten zu sehr selektiven Prüfungsprogrammen, bei denen nur bestimmten Vorschriften des objektiven Rechts – zum Teil auch nur partiell – drittschützende Wirkung zuerkannt wird. Hierin liegt der tragende Unterschied im System des deutschen Verwaltungsprozesses etwa zur französischen Konzeption der objektiven Rechtskontrolle, die durch einen betroffenen Interessenten lediglich initiiert wird.22

2. Verfahrensvorschriften als Schutznormen Die Schutznormlehre hat auch bei der Interpretation von Verfahrensvorschriften zu gelten. Zur Bejahung der drittschützenden Wirkung ist also zu fragen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die jeweilige Verfahrensvorschrift den individuellen Interessen Einzelner zu dienen bestimmt ist und der Kläger zum Kreis der Begünstigten gehört. Eine solche Schutzwirkung wird etwa den Vorschriften über die Beteiligung der Betroffenen zuerkannt, allerdings nur im Hinblick auf die Geltendmachung ihrer jeweils eigenen Belange.23 Aus Gründen begrifflicher Klarheit gilt es, die Frage der drittschützenden Wirkung einer Verfahrensvorschrift von der Sanktionsfolge im Falle ihrer Verletzung zu trennen.24 Die drittschützende Wirkung von Verfahrensvorschriften ist nicht auf die Fälle sog. absoluter Verfahrensrechte beschränkt.25 Ob eine Verfahrensvorschrift den individuellen Interessen eines Beteiligten zu dienen ___________ 21

Vgl. BVerwG, Urt. vom 9. November 2006 – Flughafen Leipzig-Halle –, NVwZ 2007, 445 und juris, Rn. 20 und 22. 22 Vgl. Scherzberg (Fn. 17), Rn. 41 ff; Rainer Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, vor § 42, Rn. 7 und 17 ff.; Thomas von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 59 ff. (61). 23 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 28. Mai 1985, NVwZ 1985, 745 (LS) – atomrechtliches Genehmigungsverfahren: kein Drittschutz, sofern anderen Betroffenen oder der Öffentlichkeit die Einwendungsmöglichkeit vorenthalten wurde. 24 Für diese Trennung Rainer Wahl/Peter Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 Rn. 81. 25 So allerdings noch die ältere Rechtsprechung: vgl. BVerwG, Urt. vom 22. Februar 1980, NJW 1981, 239 und juris, Rn. 26 – kein Anspruch auf Durchführung eines straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahrens; auch: Urt. vom 29. Mai 1981, BVerwGE 62, 243 und juris, Rn. 12 bis 14 – kein Anspruch auf Aufhebung einer wasserrechtlichen Genehmigung trotz Unterlassens des objektiv-rechtlich gebotenen Planfeststellungsverfahrens; hierzu Held, (Fn. 5), S. 198; deutlich gegen die Gleichsetzung von subjektivem Verfahrensrecht und absolutem Sanktionsanspruch: BVerfG, Kammerbeschl. vom 22. März 2000, NVwZ-RR 2000, 487 und juris, Rn. 2; ebenso bereits BVerwG, Urt. vom 5. Oktober 1990, BVerwGE 85, 368 und juris, Rn. 21 und 22; für die Unterscheidung auch Jost Pietzcker, JZ 1991, 670.

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bestimmt ist, ist also unabhängig von der Fehler- oder prozessualen Rechtsfolge im Falle ihrer Verletzung zu beurteilen.

a) Relative Verfahrensrechte Drittschutz entfalten Verfahrensvorschriften auch dann, wenn sie eine lediglich relative drittschützende Wirkung haben. Solche relativen Verfahrensrechte zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem Einzelnen, d.h. dem von der im Verfahren erarbeiteten Sachentscheidung potentiell in seiner materiellen Rechtsstellung Betroffenen, nicht um ihrer selbst willen gewährt sind, sondern wegen ihrer mittelbaren Bedeutung zur Gewährleistung einer richtigen und die (materiellen) Rechte des Bürgers wahrenden Sachentscheidung der Behörde.26 Dennoch verbürgen auch diese relativen Verfahrensrechte subjektive Rechte im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Lässt sich im Falle der Verletzung einer derart drittschützenden Verfahrensvorschrift nicht ausschließen, dass sie sich auf die materielle Rechtsstellung des Klägers ausgewirkt hat, führt dies zur Aufhebung der Sachentscheidung27, und zwar nicht wegen Verletzung des materiellen Rechts, sondern wegen Verletzung des – relativen – Verfahrensrechts.28 Gerade hierin kommen die relative Schutzwirkung des Verfahrensrechts und seine Funktion für die Sachrichtigkeit der Entscheidung zum Ausdruck. § 46 VwVfG bestätigt diesen Zusammenhang, indem er einen Aufhebungsanspruch wegen (ergebnisrelevanter) Verfahrensfehlerhaftigkeit unterstellt. Diese Bedeutung relativer Verfahrensrechte wird in der Rechtsprechung zunehmend anerkannt. Als Beispiele seien genannt: –

Vorschriften über die Beteiligung Betroffener im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, allerdings nur zur Geltendmachung der jeweils eigenen Belange;29

___________ 26 Vgl. BVerwG, Urt. vom 21. April 1999, UPR 1999, 451; Urt. vom 10. Oktober 2002, BVerwGE 117, 93 und juris, Rn. 65 – relative Verfahrensrechte, vgl. im Übrigen zur Konzeption relativer Verfahrensrechte Wahl/Schütz (Fn. 2 § 42 Abs. 2, Rn. 74 ff.; ferner Peter Wysk, VwGO, 2011, § 42 Rn. 181 m.w.N. 27 Ein vergleichbarer Rechtsfolgenausspruch ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses, hierzu BVerwG, Urt. vom 16. Oktober 2008, BVerwGE 132, 123 Rn. 73. 28 Nicht selten hat die Verletzung des Verfahrensrechts zusätzlich noch die Verletzung eines materiellen Rechts (etwa auf gerechte Abwägung der eigenen abwägungsbeachtlichen Belange) zur Folge. 29 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 28. Mai 1985, NVwZ 1985, 745 (LS).

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Vorschriften über den Umfang auszulegender Unterlagen im förmlichen Genehmigungsverfahren nach § 10 Abs. 2 Satz 2 BImSchG zwecks Ermöglichung einer substantiierten Anhörung;30



Anforderungen an die Vollständigkeit auszulegender Unterlagen in der eisenbahnrechtlichen31 oder der luftverkehrsrechtlichen32 Planfeststellung;



Pflicht zur Durchführung eines luftverkehrsrechtlichen33 oder eisenbahnrechtlichen34 Planfeststellungsverfahrens, wobei den von dem Vorhaben materiell Betroffenen natürlich kein Anspruch auf Durchführung des Planfeststellungsverfahrens (um seiner selbst willen) zuerkannt, jedoch ein Abwehranspruch gegen die verfahrensfehlerhafte und die Beteiligungsmöglichkeiten missachtende Zulassungsentscheidung (Baugenehmigung/ Plangenehmigung) geprüft wird.35

___________ 30

BVerwG, Urt. vom 22. Oktober 1982, NJW 1983, 1507 und juris Rn. 15. BVerwG, Beschl. vom 26. August 1998, NVwZ 1999, 535 und juris, Rn. 6 und 7: das BVerwG prüft, ob dem Kläger wegen der Unvollständigkeit der ausgelegten Unterlagen und der damit verbundenen Verletzung des Beteiligungsrechts ein Anspruch auf Aufhebung der Sachentscheidung zustehen kann; es hat dies – anders als bei der verletzten Amtshilfepflicht einer beteiligten Behörde – nicht wegen der fehlenden drittschützenden Wirkung der Verfahrensnorm, sondern allein deshalb verneint, weil sich der Fehler nicht nachteilig auf die Möglichkeit einer substantiierten Anhörung (d.h. der Geltendmachung der – materiell geschützten – Belange des Betroffenen) bzw. nicht auf das Ergebnis der Sachentscheidung ausgewirkt hat. 32 BVerwG, Urt. vom 9. November 2006 – Flughafen Leipzig/Halle – NVwZ 2007, 445 und juris, Rn. 20, 22 und 28 (Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses wegen Verfahrensfehlerhaftigkeit, wenn der Kläger an der Geltendmachung seiner Belange gehindert wurde); ferner OVG RP, Urt. vom 21. Mai 2008 – 8 A 10911/07.OVG – (Militärflughafen Ramstein), LKRZ 2008, 314 und juris, Rn. 60 ff. – Prüfung relativer Verfahrensrechte, Rn. 64 ff. – Prüfung absoluter Verfahrensrechte, Rn. 69 ff. – Prüfung materieller Rechte. 33 BVerwG, Urt. vom 26. September 2001, BVerwGE 115, 158 und juris, Rn. 25 – Flughafen Tegel: Anfechtung der Baugenehmigung wegen rechtswidrig unterbliebenem Planfeststellungsverfahren; anders noch BVerwG, Urt. vom 29. Mai 1981, BVerwGE 62, 243: keine Anfechtungsbefugnis gegen wasserrechtliche Genehmigung wegen rechtswidrig unterbliebenem Planfeststellungsverfahren. 34 BVerwG, Beschl. vom 31.10.2000, NVwZ-RR 2001, 90 und juris, Rn. 3; Urt. vom 10.12.2003, NVwZ 2004, 613 und juris Rn. 22; anders allerdings Urt. vom 28.3.2007, NuR 2007, 488 und juris, Rn. 15 unter Hinweis auf das Urteil vom 10.12.2003: „Aus der Entscheidung der Beklagten, an Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung zu erteilen, kann der Kläger für den Erfolg seiner Klage nichts herleiten. Denn der Einzelne kann zwar verlangen, dass seine materiellen Rechte gewahrt werden; er hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass dies in einem bestimmten Verfahren geschieht.“ 35 Im Beschl. vom 23.11.2011 – 4 B 37/10 – hat das BVerwG offen gelassen, ob der Einzelne bei Zulassung einer Windenergieanlage unter rechtwidrigem Unterlassen eines förmlichen Genehmigungsverfahrens nach § 10 BImSchG in seinen Rechten verletzt 31

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Eine eindeutige Klärung ist indes noch nicht erfolgt. Oft bedarf es genauer Analyse, um zu erkennen, ob die verweigerte Aufhebung der Sachentscheidung schon auf der Ablehnung einer drittschützenden Wirkung der Verfahrensvorschrift oder erst auf der fehlenden Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers beruht. Unklarheiten bestehen auch bei der Zuordnung von Verfahrensfehlern zur formellen oder materiellen Rechtsposition des Klägers. So hat sich das Bundesverwaltungsgericht im Urteil zum Militärflugplatz Weeze-Laarbruch hinsichtlich der Pflicht zur Durchführung einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung nicht eindeutig festgelegt: Einerseits stellt es einen Verfahrensfehler wegen unzureichender UVP-Vorprüfung fest und betont, dass lärmbetroffene Anwohner „diesen Verfahrensfehler nach deutschem Recht rügen (können)“.36 Andererseits wird die Rechtsverletzung unmittelbar anschließend ins materielle Recht verlagert und ausgeführt, dass lärmbetroffene Anwohner im Rahmen ihres Anspruchs auf gerechte Abwägung geltend machen könnten, ihre Lärmschutzbelange seien wegen Unterlassens der erforderlichen UVP fehlerhaft ermittelt, bewertet und gewichtet worden.37 Im Ergebnis bleibt jedenfalls festzuhalten, dass der UVP-Fehler zur prozessualen Sanktion führte. Im Übrigen gilt es zu betonen, dass eine drittschützende Wirkung der UVP-Vorschriften nur hinsichtlich der den Einzelnen berührenden Prüfungs- und Ermittlungspflichten erwogen wird, bei den lärmbetroffenen Anwohnern also nur im Hinblick auf die Ermittlungen zum Schutzgut „Mensch, einschließlich der menschlichen Gesundheit“ (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG).38

b) Absolute Verfahrensrechte Ein absolutes Verfahrensrecht, d.h. eine vom materiellen Recht unabhängige, selbstständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition, ist bislang nur vereinzelt anerkannt worden, und zwar in Fällen, in denen dem im Verwaltungsverfahren Beteiligten eine gerichtliche Überprüfung des Inhalts der Sachentscheidung nicht möglich war. Das ist zum einen für das – isolierte – Beteiligungsrecht der Naturschutzverbände vor Einführung des Verbandsklagerechts entschieden worden.39 Einer Gemeinde ist sogar ein Anspruch auf Durchfüh___________ sein kann, weil aufgrund der gebundenen Entscheidung eine Verletzung materieller Rechte auszuschließen war. 36 BVerwG, Urt. vom 16. Oktober 2008, BVerwGE 132, 123 Rn. 14 f. und 27. 37 BVerwG (Fn. 37), Rn. 16 und LS 1. 38 Ähnlich BVerwG, Urt. vom 15. Dezember 2006, BVerwGE 127, 272 und juris, Rn. 19: Anfechtung einer bergrechtlichen Planfeststellung erfolglos u.a. weil Untersuchungen zum Schutzgut „Mensch“ ausreichend. 39 Vgl. BVerwG, Urt. vom 31. Januar 2002, NVwZ 2002, 1103 (1105) – Partizipationserzwingungsklage.

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rung eines luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahrens – zwecks ordnungsgemäßer Beteiligung und Vornahme einer Abwägungsentscheidung – zuerkannt worden, weil Rechtsbehelfe gegen das ungenehmigte Vorhaben wegen Einschränkungen infolge des NATO-Truppenstatuts ausgeschlossen waren.40 Von absoluten Verfahrensrechten wird aber auch dann gesprochen, wenn dem Begünstigten eine Anfechtung der Sachentscheidung möglich ist, das Verfahrensrecht aber als so essentiell bewertet wird, dass ihm nur ein ergebnisunabhängiger Sanktionsanspruch gerecht werden kann. Als Musterbeispiel gilt das Einvernehmenserfordernis der Gemeinden bei Erteilung einer Baugenehmigung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB).41 Insgesamt kann die Rechtsprechung zum deutschen Verwaltungsverfahrensrecht dahin zusammengefasst werden, dass die Verwaltungsgerichte mit der Anerkennung absoluter Verfahrensrechte zurückhaltend sind, indes durch die Bejahung relativer Verfahrensrechte durchaus die Schutzwirkung eines ordnungsgemäß durchgeführten Verfahrens und dessen Funktion für die Sachrichtigkeit der Entscheidung anerkennen.

3. Europarechtliche Vorgaben Die Bestimmung des subjektiven öffentlichen Rechts mittels der Schutznormlehre wird gerade im Hinblick auf die europäische Rechtsentwicklung als zu eng kritisiert.42 Die Kritik betrifft zunächst die Normen des materiellen Rechts. Das Abstellen auf den Schutz eines individualisierbaren, sich von der Allgemeinheit unterscheidenden Personenkreises sei bei den vielfältigen und weiträumigen Auswirkungen technischer Vorhaben verfehlt. Die deutsche Schutznormlehre müsse weiterentwickelt und dem europarechtlichen Verständnis des subjektiven Rechts angenähert werden. Zur Anerkennung eines subjektiven öffentlichen Rechts müsse die Ausrichtung der Norm auf den Schutz personaler Rechtsgüter (z.B. Gesundheit von Menschen) und die Betroffenheit in dem geschützten Gut genügen, was die Geltendmachung des in aggregierten Interessen eingeschlossenen individuellen Interesses einschließe.43 Darüber hinaus entspreche es eu___________ 40 Vgl. BVerwG, Urt. vom 16. Dezember 1988, BVerwGE 81, 95 und juris, Rn. 25, 42, 45 und 50. 41 Vgl. Jan Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 46, Rn. 7. 42 Vgl. Scherzberg (Fn. 17), § 12, Rn. 32 ff. und 41 ff. 43 Vgl. den Überblick bei Schoch (Fn. 17), § 50 Rn. 133 ff. (zusammenfassend Rn. 161); zum Gemeinschaftsrecht: Klaus Ferdinand Gärditz, JuS 2009, 385 (389 f.); zur großzügigen Bejahung einer Schutzwirkung durch den EuGH: Urt. vom 25. Juli

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ropäischer Rechtsentwicklung, die tradierte Beschränkung des subjektiven Rechts auf Fälle der Verfolgung eigener, individueller Interessen zugunsten einer funktionalen Subjektivierung aufzugeben und stattdessen schlicht nach der Verleihung von Rechtsmacht zur Durchsetzung des objektiven Normbefehls zu fragen (Instrumentalisierung des Einzelnen zur effektiven Durchsetzung des objektiven Rechts).44

a) Subjektivierung bei europarechtlich gebotenen Verfahrensvorschriften Bei europarechtlich gebotenen Vorschriften zum Verwaltungsverfahren wird man zu einer großzügigeren Einklagbarkeit von Verfahrensrechtsverletzungen kommen müssen. Zwar sind die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Verfahrensrechts autonom; diese Autonomie ist jedoch durch sachgebietsbezogene Vorgaben des Gemeinschaftsrechts und das Gebot zu dessen effektiver Durchsetzung überformt.45 Die Fragen stellen sich vor allem bei der Anwendung der Vorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung, die als unselbständiger Teil des verwaltungsbehördlichen Verfahrens ausgestaltet ist (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG). Ob und in welchem Umfang der Einzelne europarechtlich zwingend einen Anspruch auf Beachtung dieser Verfahrensvorschriften hat, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. § 10a UVP-RL differenziert bei der Zuerkennung subjektiver Klagerechte zwischen betroffenen Einzelpersonen und Umweltverbänden.46 Lediglich für die Umweltverbände (Nichtregierungsorganisationen) enthält Art. 10a Abs. 3 Satz 3 UVP-RL die Fiktion einer Rechtsinhaberschaft. Grundsätzlich wird den Mitgliedstaaten jedoch freigestellt, den Zugang zu dem gebotenen Überprüfungsverfahren an die Voraussetzung einer Rechtsverletzung zu knüpfen (Art. 10a Abs. 1 UVP-RL). „Was als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedsstaaten“ (Art. 10a Abs. 3 Satz 1 UVP-RL). Zwar haben sie dieses Bestimmungsrecht mit dem Ziel auszuüben, „der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu den Gerichten zu gewähren“ (Art. 10a Abs. 3 Satz 1 UVP___________ 2008, NVwZ 2008, 984 – Janecek – (Anspruch auf Erlass eines Aktionsplans zur effektiven Durchsetzung der Feinstaubrichtlinie). 44 Vgl. Scherzberg (Fn. 17), § 12 Rn. 45; zum Konzept funktionaler Subjektivierung: Schoch (Fn. 17), § 50 Rn. 154; zur Herleitung des Klagerechts unmittelbar aus dem Effektivitätsgebot: Jan Ziekow, NVwZ 2010, 793 (794). 45 Vgl. Oliver Dörr, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, Rn. 226 und 233 m.w.N. 46 So deutlich: Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 16. Dezember 2010 – Rs. C-115/09 – (Vorlage OVG NRW zu § 2 Abs. Nr. 1 UmwRG), Rn. 60 ff.

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RL). Würde hieraus indes die Pflicht hergeleitet, für jede von der Zulassungsentscheidung betroffene Person einen Anspruch auf Beachtung sämtlicher UVP-Pflichten anzuerkennen, käme dem in Art 10a Abs. 1 UVP-RL neben dem „ausreichenden Interesse“ ausdrücklich genannten Merkmal der „Rechtsverletzung“ keine nennenswerte eigenständige Bedeutung zu.47 Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Januar 2004 in der Rechtssache Wells48 hat Grund und Umfang einer Subjektivierung von UVPVorschriften für den deutschen Verwaltungsprozess noch nicht mit der wünschenswerten Eindeutigkeit geklärt. Zwar hat er entschieden, dass sich der Einzelne unter Umständen wie demjenigen des Ausgangsfalles auf die Beachtung der Vorschriften über die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung soll berufen können und die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, dem Unterlassen der UVP abzuhelfen. Es stellt sich indes die Frage, ob den Vorschriften über die UVP, wie z. B. die Pflicht zu fehlerfreier Durchführung der UVPVorprüfung, auch im deutschen Verwaltungsprozess für betroffene Privatpersonen europarechtlich zwingend drittschützende Wirkung zuerkannt werden muss.49 So könnten sich die Aussagen im Urteil des EuGH auch nur auf die unmittelbare Wirkung des europäischen Richtlinienrechts – bei nationalstaatlich begründetem Klagerecht – bezogen haben.50 Selbst wenn man die Begründung eines Klagerechts von Privatpersonen bei Verletzung von UVP-Vorschriften als europarechtlich zwingend annimmt, ist jedenfalls der gebotene Umfang der Subjektivierung noch offen. In welchem Umfang der Einzelne die Beachtung des objektiven Verfahrensrechts einfordern kann, hängt von dem Grund für die Zuerkennung des Klagerechts ab. Dieser kann entsprechend den einleitenden Bemerkungen auf zwei Aspekten beruhen. ___________ 47 So Günter Halama, in: Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 763 (Erläuterung H Rn. 316). 48 EuGH, Urt. vom 7. Januar 2004 – C 201/02 –, NVwZ 2004, 593, Vorlage des High Court of Justice (England & Wales) (Bergbauvorhaben). 49 So allerdings OVG RP, Beschl. vom 25. Januar 2005 – 7. Senat –, NVwZ 2005, 1208; OVG NRW, Urt. vom 3. Januar 2006 – Weeze-Laarbruch, NVwZ-RR 2007, 89 und juris, Rn. 98 (Kläger können Mangel der UVP „so wie einen Verstoß gegen zu ihren Gunsten ergangener Verfahrensvorschriften geltend machen“ und Rn. 118 zur „betroffenen Öffentlichkeit“: anderweitig begründete Beziehung zum Vorhaben); dagegen OVG RP, Urt. vom 29. Oktober 2008 – 1. Senat –, LKRZ 2009, 227; offen gelassen in: BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – Flugplatz Memmingen, BVerwGE 130, 83 und juris, Rn. 43, weil ein Sanktionsanspruch nur bei Kausalität des Verfahrensfehlers für die Sachentscheidung bestehe, was mit Europarecht vereinbar sei. 50 Vgl. insbesondere die Ausführungen des EuGH (Fn. 48), Rn. 54 ff. zum Problem der sog. umgekehrten unmittelbaren Wirkung; zum Unterschied zwischen unmittelbarer Wirkung und dem Zuerkennen subjektiver Rechte: Oliver Dörr, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, Rn. 184–187.

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Beruht die Subjektivierung von UVP-Vorschriften darauf, dass man ihnen individualschützende, auf personale Rechtsgüter bezogene Wirkung beimisst, wird man den Drittschutz nur teilweise, nämlich nur hinsichtlich der Ermittlungen zum Schutzgut „Mensch“ annehmen können.51 Träger des Verfahrensrechts wären die in dem geschützten Gut Betroffenen. Ist die Zuerkennung des Klagerechts hingegen Ausdruck einer funktionalen Subjektivierung, bei der dem Einzelnen als Teil der betroffenen Öffentlichkeit subjektive Rechtsmacht zur Durchsetzung des objektiven Rechts zuerkannt wird, spricht dies für einen Vollüberprüfungsanspruch aller UVP-Vorschriften.52 Die erste Variante lässt sich ohne Weiteres in das deutsche System subjektiven Rechtsschutzes integrieren. Bei der zweiten Variante kommt als Einbruchstelle der Gesetzesvorbehalt in § 42 Abs. 2 VwGO in Betracht. Dies setzt eine entsprechende Entscheidung des Gesetzgebers voraus, wie jetzt etwa in § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG; im Übrigen gelten auch zwingende Normen des Gemeinschaftsrechts als „Gesetz“ im Sinne des Vorbehalts.53

b) Umweltrechtsbehelfsgesetz Der Bundesgesetzgeber hat im Umweltrechtsbehelfsgesetz Regelungen zur Einklagbarkeit von Verfahrensverstößen getroffen, die auch die subjektive Rechtsstellung von Privatpersonen betreffen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung der Sachentscheidung verlangt werden, wenn eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer erforderliche UVP-Vorprüfung gänzlich unterblieben ist. Die Vorschrift gilt zunächst für das Verbandsklagerecht der Umweltschutzvereinigungen und erweitert es in zweierlei Hinsicht. Weil der Erfolg der Verbandsklage nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG davon abhängt, dass die verletzte Umweltschutzvorschrift „Rechte einzelner begründet“, wird § 4 Abs. 1 UmwRG einmal als „subjektiv-rechtliche Anreicherung“ der erfassten UVP-Vorschriften verstanden, zum anderen als Anordnung eines absoluten Verfahrensrechts, so dass Erwägungen zur Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers entbehrlich sind.54 ___________ 51

So Klaus Ferdinand Gärditz, JuS 2009, 385 (390). So wohl OVG NRW, Urt. vom 3. Januar 2006 – Weeze-Laarbruch –, NVwZ-RR 2007, 89 und juris, Rn. 98; vgl. auch OVG RP, Beschl. vom 25. Januar 2005 – 7. Senat –, NVwZ 2005, 1208; hierzu Quabeck (Fn. 1), S. 271 (übergreifende Begründung im Kontext der Prozeduralisierung des Verwaltungsrechts); dagegen: OVG RP, Urt. vom 29. Oktober 2008 – 1. Senat –, LKRZ 2009, 227. 53 Vgl. Peter Wysk, VwGO, 2011, § 42 Rn. 109. 54 Vgl. Jan Ziekow, NVwZ 2007, 259 (261); Martin Kment, NVwZ 2007, 274 (276). 52

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Hinsichtlich der von § 4 Abs. 1 UmwRG nicht erfassten Verstöße gegen Umweltschutzvorschriften bleibt es indessen bei der Subjektivierung des Verbandsklagerechts nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG. Ob dies eine ausreichende und effektive Umsetzung der Vorgaben des § 10a der UVP-RL darstellt, ist zweifelhaft.55 Über die im Vorlagebeschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 5. März 200956 geäußerten Bedenken wird der EuGH in Kürze zu entscheiden haben. Für Rechtsbehelfe betroffener Privatpersonen ordnet § 4 Abs. 3 UmwRG die entsprechende Anwendung von § 4 Abs. 1 UmwRG an. Dies wird man in beiderlei Hinsicht annehmen müssen, also nicht nur hinsichtlich des Ausschlusses des § 46 VwVfG, sondern auch im Hinblick auf die Zuerkennung der drittschützenden Wirkung der erfassten Verfahrensnormen.57

IV. Der Filter „Ergebniskontrolle statt verfahrensbegleitendem Rechtsschutz“ § 44a VwGO verbietet eine unmittelbare Befassung der Gerichte mit einzelnen Verfahrenshandlungen zugunsten der retrospektiven Überprüfung der Sachentscheidung. Nach § 44a Satz 1 VwGO können behördliche Verfahrensfehler nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Während die am Verfahren Beteiligten etwa unmittelbar über den Umfang der in einem Planfeststellungsverfahren auszulegenden Unterlagen, über das (negative) Ergebnis einer UVP-Vorprüfung oder über die Befangenheit eines Amtsträgers oder die Unvoreingenommenheit des Verhandlungsführers in einem Erörterungstermin streiten, prüft der Verwaltungsrichter die Rechtmäßigkeit von Verfahrenshandlungen nur inzident zusammen mit dem Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung. Der Zweck der Regelung, die Parallelen im Rechtsmittelrecht der VwGO hat (vgl. § 146 Abs. 2 VwGO), leuchtet ein: Es soll eine Mehrspurigkeit von Verwaltungsprozessen und eine aus nachträglicher Sicht eventuell unnötige Inan___________ 55

So Ziekow (Fn. 54), S. 260; Kment (Fn. 54), S. 277; Halama (Fn. 47), S. 762 ff., Rn. 321; jetzt ebenso: Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 16. Dezember 2010 – Rs. C-115/09 – (Vorlage OVG NRW zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG), Rn. 85; für die EU-Konformität Christine Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2010, 1233 (1236). 56 NVwZ 2009, 987. 57 So Ziekow (Fn. 54), S. 261 mit Zweifeln, ob dies europarechtlich geboten war; Kment (Fn. 54), S. 279; anderer Ansicht: Wolf Friedrich Spieth/Markus Appel, NuR 2009, 312 (315).

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spruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes vermieden, die Verfahrensherrschaft der Behörde vor Abschluss des Verfahrens gesichert und generell einer Verlängerung des Verwaltungsverfahrens entgegengewirkt werden.58 Der Vorteil eines verfahrensbegleitenden Verwaltungsrechtsschutzes liegt ebenso auf der Hand: Die möglichst frühzeitige Korrektur von Verfahrensfehlern garantiert am ehesten, das Verfahren unbelastet von Streitigkeiten über die Entscheidungsgrundlagen zu beenden. Denn selbst wenn die Sachentscheidung wegen Verfahrensfehlerhaftigkeit aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Behörde verwiesen wird, lässt sich eine wirklich „offene“ Entscheidungssituation kaum wiederherstellen.59 Die Entscheidung darüber, in welchem Verfahrensstadium Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können, obliegt indes dem Gesetzgeber. Insofern lässt auch das Europarecht die Entscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten unberührt (vgl. § 10a Abs. 3 UVP-RL). Aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bedarf die Verweisung auf den Rechtsschutz gegen die verfahrensabschließende Entscheidung allerdings dann der Einschränkung, wenn die Verfahrenshandlung eine isolierte Rechtsverletzung bewirkt, die durch den Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung nicht mehr beseitigt werden kann (Rechtsschutz im Verfahren).60

V. Der Filter „Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern“ Der Richter nimmt Verwaltungsverfahrensvorschriften dann nicht näher in den Blick, wenn deren Verletzung für die Fallbearbeitung unerheblich ist. Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern ergibt sich – vorbehaltlich spezieller Regelungen im jeweiligen Fachrecht – aus § 46 VwVfG. Hiernach entfällt der Aufhebungsanspruch im Falle der Verletzung von Vorschriften u.a. über das Verfahren, wenn die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, wobei die fehlende Kausalität für die Sachentscheidung offensichtlich sein muss. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber am klarsten seine Konzeption zum Ausdruck gebracht, dass Verfahrensvorschriften grundsätzlich nur eine dienende Funktion für die Richtigkeit der Sachentscheidung haben. ___________ 58 Vgl. Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 44a Rn. 4 und 14; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 44a Rn. 1; Friedhelm Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2008, § 23 Rn. 20. 59 Vgl. Ulrich Stelkens, DVBl. 2010, 1078 (1080). 60 Vgl. Ziekow (Fn. 58), § 44a Rn. 73 f.; Geiger (Fn. 58), § 44a Rn. 16; Kopp/ Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 44a Rn. 9, jeweils m.w.N.; zum Grundrechtsschutz im Verfahren: Held (Fn. 5), S. 248 f.

Verwaltungsverfahrensrecht aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit

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Auch diese Vorschrift hat Parallelen im Rechtsmittelrecht (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Die Vorschrift selbst, mehr aber noch die Art und Weise ihrer Anwendung durch die Gerichte ruft seit Jahrzehnten heftige Kritik hervor.61 Durch eine allzu großzügige Anwendung der Norm werde der Eigenwert eines ordnungsgemäß in Einklang mit den Verfahrensvorschriften durchgeführten Verfahrens verkannt. Zudem bestehe die Gefahr eines „laxen Umgangs“ der Behörden mit dem Verfahrensrecht.62 Für die Beurteilung der Anwendungspraxis der Verwaltungsgerichte ist es wesentlich, zwischen den Fällen tatsächlicher und rechtlicher Alternativlosigkeit der getroffenen Sachentscheidung zu differenzieren.

1. Fälle tatsächlicher Alternativlosigkeit der Sachentscheidung Nach dem Wortlaut von § 46 VwVfG in der heutigen Fassung kommt es für die Beachtlichkeit des Verfahrensfehlers nur auf die tatsächliche Möglichkeit einer anderen Sachentscheidung an. So ist der Verfahrensfehler unbeachtlich, „wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Die Vorschrift wird nach allgemeiner Meinung aber als Erweiterung der früheren Regelung verstanden, die auf die Fälle rechtlicher Alternativlosigkeit bezogen war, also auf gebundene Entscheidungen. Danach trat die Unbeachtlichkeitsfolge nur ein, „wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können“. Was die Fälle tatsächlicher Alternativlosigkeit anbelangt, also bei Entscheidungen mit Ermessens-, Beurteilungs- und Planungsspielräumen, kommt es für die Relevanz eines Verfahrensverstoßes auf die besonderen Umstände des jeweiligen Falles an. Eine Beurteilung der Entscheidungspraxis der Gerichte verlangt eine Detailanalyse der jeweiligen Urteile, die in der Rechtsprechungskritik oft fehlt.

a) Interesse an der Unbeachtlichkeit „unwesentlicher“ Verfahrensfehler Aus Gründen der Verfahrensökonomie besteht grundsätzlich ein Interesse daran, „unwesentliche“ Verfahrensfehler als unbeachtlich zu behandeln, um ___________ 61

Vgl. den Überblick bei Held (Fn. 5), S. 143 ff. m.w.N.; zuletzt etwa: Erbguth, DÖV 2009, 921 (927) „fest zementierte Vorstellung (in Gesetzgebung und Richterschaft) von der dienenden Kraft des Verfahrens“. 62 Vgl. Hermann Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 14 Rn. 63.

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nämlich eine endgültige Entscheidung in der Sache zu ermöglichen. Eine solche Praxis liegt in aller Regel im wohlverstandenen Interesse des Klägers, erweist sich die Aufhebung der Sachentscheidung wegen eines Verfahrensfehlers doch oft als „Pyrrhussieg“. Dies hat auch bei Drittanfechtungsklagen zu gelten, wenn dem Dritten nicht nur an der Verzögerung des angegriffenen Vorhabens gelegen ist. Bei der Drittanfechtungssituation müssen zusätzlich auch die Belange des Genehmigungsempfängers und dessen Interessen an der zügigen Realisierung seines – als materiell rechtmäßig und sachrichtig bewerteten – Vorhabens mit in den Blick genommen werden.63 Es wundert deshalb nicht, dass sich Regelungen über die Unbeachtlichkeit von „unwesentlichen“ – nicht ergebnisrelevanten – Verfahrensfehlern bereits im ungeschriebenen Recht vor Erlass des Verwaltungsverfahrensgesetzes finden,64 aber auch in ausländischen Rechtsordnungen, etwa von England und Frankreich,65 bis hin zum Gemeinschaftsrecht der europäischen Union.66 Als Beispiel für einen in diesem Sinne unwesentlichen Fehler ist etwa an den Fall zu denken, bei dem einem Betroffenen die Äußerungsmöglichkeit vorenthaltenen wird, etwa weil die Frist zur Auslegung der Planungsunterlagen um einen Tag zu kurz bemessen war. Stellt sich heraus, dass die von dem Kläger nachträglich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgebrachten Argumente sämtlich im Verwaltungsverfahren – etwa von anderen Beteiligten – zur Sprache gekommen und von der Behörde abgearbeitet worden sind und ist deren Sachentscheidung nicht zu beanstanden, dann entspricht es der Verfahrensökonomie, den Fehler der verkürzten Auslegungsfrist als nicht wesentlich zu bewerten. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem ähnlichen Fall auch aus der Grundrechtsrelevanz der Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung – es handelte sich um ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren – nicht die Folgerung eines zwingenden Aufhebungsanspruchs gezogen.67 ___________ 63 Vgl. zur grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Rechtspositionen des Genehmigungsempfängers und des Drittbetroffenen: BVerfG, Kammerbeschl. vom 1. Oktober 2008, BauR 2009, 1285, Rn. 18 – Eilrechtsschutz –. 64 Vgl. BVerwG, Urt. vom 10. April 1968, BVerwGE 29, 282 (284); Karl August Bettermann, DVBl. 1963, 826 (827); vgl. ferner den Überblick bei Held (Fn. 5), S. 196; das BVerwG sieht das Kausalitätserfordernis bis heute neben seiner Positivierung in § 46 VwVfG als ungeschriebenen allgemeinen GrundSatz an: so BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – Flugplatz Memmingen –, BVerwGE 130, 83 (Rn. 43) – zum Fachplanungsrecht –. 65 Vgl. Pünder (Fn. 62), § 13 Rn. 23 f. m.w.N.; Schoch (Fn. 17), § 50 Rn. 301 „europäischer Standard“. 66 Vgl. Pünder (Fn. 62), § 14 Rn. 67; Ziekow, NVwZ 2007, 259 (264); Quabeck (Fn. 1), S. 131-135 und S. 110 f. zum Eigenverwaltungsrecht. 67 Vgl. BVerfG, Kammerbeschl. vom 22. März 2000, NVwZ-RR 2000, 487 und juris, Rn. 2.

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Umgekehrt – und das gilt es hervorzuheben – betont § 46 VwVfG geradezu die Sachrichtigkeitsfunktion eines ordnungsgemäß durchgeführten Verwaltungsverfahrens. Wenn nämlich die Irrelevanz des Verfahrensfehlers nicht mit der gebotenen Offensichtlichkeit festgestellt werden kann, bleibt der Aufhebungsanspruch bestehen, sofern die verletzte Verfahrensvorschrift ein relatives Verfahrensrecht des Klägers beinhaltet.68

b) Anwendung der Unbeachtlichkeitsklausel Entscheidend ist mithin die Anwendung der Unbeachtlichkeitsklausel im Einzelfall. Hier verlangt das BVerwG mit seinem – heftig kritisierten – Merkmal der „konkreten Möglichkeit“ einer anderen Sachentscheidung eine am jeweiligen Fall orientierte Betrachtung, die sich nicht lediglich mit der theoretischen Möglichkeit einer alternativen Entscheidung begnügt. Vom Richter wird verlangt, sich auf die konkret getroffene Sachentscheidung einzulassen und ihre tragenden Erwägungen nachzuvollziehen. Das Bundesverwaltungsgericht umschreibt die geforderte Prüfung im Fachplanungsrecht wie folgt: „Eine solche konkrete Möglichkeit besteht immer dann, wenn sich anhand der Planungsunterlagen oder sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände bei realistischer Betrachtungsweise ergibt, dass sich ohne den Mangel im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses ein anderes Abwägungsergebnis abgezeichnet hätte.“69

Bleibt sich der Richter der Grenzen seiner eigenen Sachkunde bewusst, führt die Formel von der „konkreten Möglichkeit“ zu vernünftigen Ergebnissen, mit denen kleinere, eindeutig nicht ergebnisrelevante Fehler als unerheblich aussortiert werden können.70 Der Gefahr, dass der Richter sich gerade bei Entscheidungen mit Ermessens-, Beurteilungs- oder Planungsspielräumen zum Ersatzentscheider aufschwingt, ist das Bundesverwaltungsgericht selbst entgegengetreten, wenn es im Urteil zum Flugplatz Memmingen formuliert:

___________ 68 Vgl. zur Rechtsfolge des § 46 VwVfG: Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 46 Rn. 13; Franz Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 46 Rn. 44; Pünder (Fn. 62) § 14 Rn. 66. 69 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12. April 2000, BVerwGE 111, 108 und juris, Rn. 99 – dort zum Abwägungsdefizit. 70 Vgl. BVerwG, Urt. vom 29. Oktober 2008, NVwZ 2009, 653, Rn. 42 – Telekommunikationsrecht: Regulierungsentscheidung der Bundesnetzagentur ohne die vorgeschriebene mündliche Verhandlung; Verfahrensfehler unbeachtlich, weil ausführliche schriftliche Stellungnahme der Kläger, deren Argumente sämtlich abgearbeitet wurden, ohne Hinweis auf weitere, in einer mündlichen Verhandlung geltend zu machende entscheidungsrelevante Umstände.

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Jürgen Held „Die Möglichkeit, dass das Abwägungsergebnis bei korrektem Vorgehen [streitig war die UVP] anders ausgefallen wäre, [darf] nicht leichthin von der Hand gewiesen werden.“71

c) Fehlende Sanktionierung Die Unbeachtlichkeitsvorschrift in § 46 VwVfG führt zweifelsohne dazu, dass Verstöße gegen geltendes (Verfahrens-)Recht nicht sanktioniert werden. Die Gefahr einer auf die Unbeachtlichkeitsregel zurückzuführenden „laxen Anwendung“ des Verwaltungsverfahrensrechts durch die Behörden sollte allerdings nicht überbewertet werden. Zum einen unterliegt die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen der Kontrolle der Fach- und Dienstaufsicht. Zum anderen wird nicht eine bestimmte Verfahrensvorschrift per se als unwesentlich bewertet, sondern der konkrete Verfahrensfehler im Hinblick auf die konkret getroffene Sachentscheidung, so dass die Behörde sich nie sicher sein kann, ein nachlässiger Umgang mit Verfahrensnormen bleibe folgenlos.

2. Absolute Verfahrensrechte Beeinhaltet eine Verfahrensvorschrift ein absolutes Verfahrensrecht, so geht dieser Regelungsinhalt als spezielle Vorschrift der allgemeinen Norm des § 46 VwVfG vor. Die Anerkennung als absolutes Verfahrensrecht kann ausdrücklich geschehen, wie jetzt in § 4 Abs. 1 UmwRG. Ansonsten ist durch sorgfältige Auslegung der jeweiligen Vorschrift zu ermitteln, ob mit ihrer Beachtung ein von dem konkreten Inhalt der Sachentscheidung unabhängiger Zweck verfolgt wird oder ob ihre Befolgung – vergleichbar einem absoluten Revisionsgrund – als essentiell anzusehen ist.72

3. Fälle rechtlicher Alternativlosigkeit der Sachentscheidung In den Fällen rechtlicher Alternativlosigkeit beruht die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern darauf, dass – in den Worten der ursprünglichen Fassung des § 46 VwVfG – „keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können“. Diese Fallgruppe verweist auf die Rechtsfigur der „gebundenen Ent___________ 71

BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007, BVerwGE 130, 83 (Rn. 43). Vgl. zur Unanwendbarkeit des § 46 VwVfG bei absoluten Verfahrensrechten: BVerwG, Urt. vom 27. Mai 1981, NJW 1982, 120; Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 46 Rn. 7; Pünder (Fn. 62), § 14 Rn. 65. 72

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scheidung“ bzw. auf Fälle der Reduzierung des Ermessens- oder Beurteilungsspielraums auf null und damit letztlich auf das materielle Recht.

a) Rechtsfigur der „gebundenen Entscheidung“ Bei gebundenen Entscheidungen liegt die Unbeachtlichkeitsfolge nicht darin begründet, dass tatsächlich nur eine richtige Entscheidung möglich ist.73 Müsste über die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, etwa die Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden oder die Fahreignung eines Kraftfahrers in einem fehlerfreien Verwaltungsverfahren aufgrund zusätzlicher Informationen von der Behörde erneut entschieden werden, besteht aus der ex ante-Perspektive tatsächlich durchaus die Möglichkeit unterschiedlicher Entscheidungen.74 Die Unbeachtlichkeitsfolge beruht in diesen Fällen vielmehr auf der rechtlichen Setzung, dass den Gerichten eine Letztentscheidungskompetenz hinsichtlich der materiell-rechtlichen Richtigkeit der Sachentscheidung zuerkannt wird. Stimmt die Anwendung des materiellen Rechts durch das Gericht mit derjenigen der Behörde überein, wird der Fehler im Verwaltungsverfahren durch das ordnungsmäße Gerichtsverfahren „überholt“. Die Verletzung des Verwaltungsverfahrensrechts hat sich gleichsam erledigt.75 Die Rechtsfigur der gebundenen Entscheidung stößt auf Kritik. Bemängelt wird das Konzept einer materiell zwingend vorgegebenen Rechtslage, die mittels Subsumtionstechnik festgestellt werden kann. Die Kritik richtet sich in erster Linie gegen den Gesetzgeber. Es wird aber schon vorschlagen, die Anwendung des § 46 VwVfG entsprechend seinem Wortlaut auf die Fälle tatsächlicher Alternativlosigkeit zu beschränken.76 Bei allen Vorbehalten sollte man nicht außer Acht lassen, dass die Rechtsfigur der gebundenen Entscheidung auch zu einer Stärkung der Stellung des Einzelnen gegenüber der Verwaltung führt, indem er nämlich die Beachtung zwingender gesetzlicher Vorgaben vor Gericht einfordern kann. Sie ist in diesem Sinne bürgerfreundlich. Im Rahmen der Diskussion um eine Prozeduralisierung des Verwaltungsrechts77 sollte deshalb immer bedacht werden, ob die allzu großzügige Preisgabe einer inhaltlichen Steuerung des Behördenhandelns durch klare, vor Gericht einklagbare mate___________ 73 Vgl. zu dieser „frommen Lebenslüge der Verwaltungsgerichtsbarkeit“: Hubert Meyer, NVwZ 1986, 513 (521). 74 Vgl. Schemmer (Fn. 68), § 46 Rn. 36.1; Ulrich Ramsauer, Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 (704). 75 Vgl. Michael Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 46 Rn. 64; Schemmer (Fn. 68)Held (Fn. 5), S. 244. 76 Vgl. Quabeck (Fn. 1), S. 286. 77 Hierzu instruktiv: Quabeck (Fn. 1), S. 281 ff. und durchgehend.

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riell-rechtliche Standards nicht zu einer Schwächung der Rechtsstellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung führt. Umgekehrt bleibt einzuräumen, dass die Vorstellung, der Richter werde (oder könne) den Tatsachenstoff vollkommen eigenständig erfassen und bewerten und sich nicht auf eine bloß nachvollziehende Kontrolle der Behördenentscheidung beschränken, umso größere Bedenken hervorruft, je komplexer der Sachverhalt ist. Dass sich die Gerichte der Grenzen ihrer Entscheidungskapazitäten auch bei gebundenen Entscheidungen sehr wohl bewusst sind, zeigt etwa die Rechtsprechung zum Verzicht auf Spruchreifmachung bei komplexen technischen Sachverhalten in Fällen des sog. „steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens“.78

b) Vereinbarkeit mit Europarecht Diese deutsche Konzeption einer materiell zwingend vorgegebenen Rechtslage, die mittels Subsumtionstechnik festgestellt werden kann, ist den anderen Rechtsordnungen in Europa und auch dem europäischen Recht fremd.79 Das europäische Recht weist eine geringere materiell-rechtliche Steuerung des Behördenhandelns auf und setzt auf die Sachrichtigkeit der Entscheidung als Ergebnis der Kooperation der Beteiligten eines ordnungsgemäß durchgeführten Verwaltungsverfahrens.80 Dies schließt die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern nicht aus, beschränkt sie aber auf Fälle tatsächlicher Alternativlosigkeit der getroffenen Sachentscheidung.81 Problematisch ist die Annahme rechtlicher Alternativlosigkeit der Sachentscheidung bei europarechtlich zwingenden Verfahrensanforderungen. Das Problem stellt sich etwa bei der Integration des europäischen UVP-Rechts in das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren mit seiner gebundenen Erlaubnis. Hier ist es in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers, zu einer Harmonisierung des nationalen Rechts mit der europäischen Rechtsentwicklung zu gelangen, was gegebenenfalls Anpassungen im materiellen Recht mit ein-

___________ 78

Vgl. Eyermann/Schmidt, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 113 Rn. 39; OVG RP, Urt. vom 11. Mai 2005, BauR 2005, 1606. 79 Vgl. Ulrich Stelkens, DVBl. 2010, 1078 (1085); Klaus Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2010, § 10 Rn. 17. 80 Vgl. etwa: Messerschmidt (Fn. 79) zum Entscheidungskonzept nach der IVURichtlinie: § 10 Rn. 56 f. 81 Vgl. Pünder (Fn. 62), § 14 Rn. 67 zum „harmless error principle“ und zur strengeren Rechtsprechung des EuGH; Quabeck (Fn. 1), S. 131 ff.

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schließt.82 Im Übrigen bietet es sich bei Aufrechterhaltung gebundener Entscheidungen an, europarechtlich zwingenden Verfahrensvorschriften den Charakter absoluter Verfahrensrechte zuzuerkennen, so dass § 46 VwVfG ausgeschlossen wäre. Dieser Weg ist – wie bereits erwähnt – in § 4 Abs. 1 UmwRG beschritten worden, allerdings nur hinsichtlich des gänzlichen Unterbleibens einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer erforderlichen UVP-Vorprüfung.83

VI. Der Filter „Heilung von Verfahrensfehlern“ Verstöße gegen die in § 45 Abs. 1 VwVfG näher bezeichneten Vorschriften zum Verwaltungsverfahren spielen für die richterliche Entscheidungsfindung auch dann keine Rolle, wenn sie geheilt wurden. Die Heilung erfolgt durch Nachholung der unterbliebenen oder fehlerhaft durchgeführten Verfahrenshandlung. Der Gesetzgeber hat diese Heilungsmöglichkeit in § 45 Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erweitert. Auch diese Vorschrift dient der Verfahrensökonomie. Weil der Normbefehl der Verfahrensvorschrift mit der Nachholung der gebotenen Verfahrenshandlung Beachtung findet, ist diese Fehlerfolgenregelung geringeren Bedenken ausgesetzt als die Regelung in § 46 VwVfG.84 Sie unterliegt auch beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts keinen grundlegenden Zweifeln. Lediglich die Heilung noch im gerichtlichen Verfahren wird kritisch gesehen.85 Die Vereinbarkeit von § 45 Abs. 2 VwVfG mit Europarecht wird letztlich vom EuGH entschieden werden müssen.

VII. Selbstverständnis und Arbeitsweise der Richter War bislang von gesetzlich vorgeschriebenen Einschränkungen der Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts für die richterliche Entscheidungsfin___________ 82 Vgl. zu den Auswirkungen eines prozeduralen Verfahrensverständnisses auf die Ausgestaltung des materiellen Rechts: Stelkens (Fn. 79), S. 1085; Meßerschmidt (Fn. 79), § 8 Rn. 129 – zur UVP-RL –, § 10 Rn. 19 – zur IVU-RL. 83 Vgl. demgegenüber für das Verständnis der UVP-Pflicht als relatives Verfahrensrecht: BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – Flugplatz Memmingen, BVerwGE 130, 83 (Rn. 43); a.A. OVG RP, Beschl. vom 25. Januar 2005, ZfBR 2005, 487 – absolutes Verfahrensrecht. 84 Vgl. Pünder (Fn. 62), § 14 Rn. 58; Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 45 Rn. 18. 85 Vgl. die Nachweise der Rechtsprechung zum Eigenverwaltungsrecht des EuGH bei Pünder (Fn. 62), § 14 Rn. 62; Schoch (Fn. 17), § 50 Rn. 310; Quabeck (Fn. 1), S. 136 f.

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dung die Rede, soll abschließend gefragt werden, ob es Gründe im Selbstverständnis und in der Arbeitsweise von Richtern gibt, die zu einer Relativierung der Verfahrensvorschriften führen, wie zum Teil vermutet wird.86

1. Sachentscheidungsorientierte Herangehensweise Die Frage zielt auf die Praxis richterlichen Handelns. Gefragt ist nach der Art und Weise, wie der Richter an den ihm vorgelegten Fall herangeht. Wegen der Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) darf es jenseits der gesetzlichen Vorgaben natürlich keine weiteren Einschränkungen bei der Kontrolle des Verwaltungsverfahrensrechts geben. Dennoch lässt sich eine gewisse Prägung richterlichen Handelns feststellen. Aufgrund der Ausrichtung des deutschen Verwaltungsprozesses auf den subjektiven Rechtsschutz ist der Richter bestrebt, den an ihn herangetragenen Konflikt möglichst endgültig zu klären, soweit dies rechtlich möglich ist. Dabei gehört es zu seinen vornehmsten Aufgaben, auf eine einvernehmliche Streitschlichtung hinzuwirken. Dies lenkt den Blick auf den Kern der Auseinandersetzung, in aller Regel also auf den Inhalt der Behördenentscheidung. Diese Herangehensweise liegt auch im Interesse der Beteiligten, die durchweg an einer endgültigen Klärung ihres Rechtsstreits interessiert sind und nicht „Steine statt Brot“ haben wollen.

2. Einschränkung der objektiven Kontrolle der Verwaltung Bei dieser am Ergebnis und an der subjektiven Rechtsverletzung orientierten Verfahrensweise erfährt der Aspekt der objektiven Kontrolle des Behördenhandelns natürlich Abstriche. Die Rechtmäßigkeitsüberprüfung findet nur statt, soweit es für die Fallbearbeitung notwendig ist. Gerade Fehler im Verwaltungsverfahren können so ohne Sanktion bleiben. Dabei sind sich die Verwaltungsrichter der oft fallübergreifenden Bedeutung ihrer Entscheidungen für zukünftiges Behördenhandeln sehr wohl bewusst. Die Breitenwirkung ihrer Urteile ist gerade ein Kennzeichen der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dennoch sind objektive Kontrolle der Verwaltung und „erzieherische Wirkung“ verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen im deutschen Verwaltungsprozess immer nur mittelbare Folge der an der subjektiven Rechtsverletzung ausgerichteten Prüfung. Hierin liegt der fundamentale Unterschied einer auf die Wahrung der objekti-

___________ 86 Vgl. Wilfried Erbguth, DÖV 2009, 921 (927) „fest zementierte Vorstellung (in der Richterschaft) von der dienenden Kraft des Verfahrens“.

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ven Rechtslage orientierten Verwaltungsjustiz, die – wie etwa in Frankreich – von dem Einzelnen nur initiiert wird.87

3. „Keine ungefragte Fehlersuche“ Schließlich lässt die Mahnung des BVerwG, nicht „gleichsam ungefragt“ auf Fehlersuche zu gehen, nicht besorgen, der Richter werde den Anforderungen des Verwaltungsverfahrensrechts nicht die gebotene Achtung schenken. Zum einen deshalb, weil die Kläger zunehmend auch die Beachtung des Verfahrensrechts „nachfragen“. Zum anderen zielt diese Mahnung nicht spezifisch auf die Kontrolle des Verfahrensrechts. Vielmehr handelt es sich um eine allgemeine Maxime richterlichen Handelns, die im Hinblick auf die Kontrolle von Bebauungsplänen88 und Abgabensatzungen89 aufgestellt wurde. Gerade bei diesen fehleranfälligen Normen sollen sich die Tatsachengerichte auf das Rechtsschutzbegehren des Klägers oder Antragstellers konzentrieren. Es soll vermieden werden, dass der Kläger durch das Auffinden eines „ungefragten“ Fehlers nur einen Pyrrhussieg erreicht, sein eigenes Anliegen aber weiterhin offenbleibt.90 Keineswegs soll diese Maxime des BVerwG den Richter dazu verpflichten, vor erkannten, aber vom Kläger nicht gerügten Fehlern die Augen zu verschließen.91 Sie setzt also nicht bei der Folge erkannter Fehler an und verlangt deren Unbeachtlichkeit; dies wäre mit der Gesetzesbindung und dem Gebot der Gleichbehandlung mit anderen Betroffenen auch nicht vereinbar. Die Mahnung zielt vielmehr auf die Intensität der Sachverhaltsdurchdringung und Sachverhaltsaufklärung. Sie bewegt sich damit im Kontext allgemeiner Anforderungen an das Gebot gerichtlicher Amtsermittlung. Über den konkreten Umfang des Amtsermittlungsgebots sagt § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nichts. Deshalb muss das Gericht aufgrund der jeweiligen Umstände des Falles selbst darüber befinden, ob Anlass besteht, die entscheidungserheblichen Tatsachen näher aufzuklären. Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht wird erst dann angenommen, wenn sich weitere Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt haben.92 Das Gebot der Amtsermittlung unterliegt immanenten Einschränkungen, die sich vor ___________ 87

Vgl. Thomas von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht 2008, S. 60. Vgl. BVerwG, Urt. vom 7. September 1979 – 4 C 7.77, Buchholz 406.11 § 10 BbauG. 89 Vgl. BVerwG, Urt. vom 17. April 2002, BVerwGE 116, 188 und juris. 90 Vgl. BVerwG, Urt. vom 17. April 2002 (Fn. 89), juris, Rn. 43. 91 Vgl. Stephan Gatz, juris-Praxis-Report, Fn. zu BVerwG, Beschl. vom 4. Oktober 2006 – 4 BN 26/06. 92 Vgl. Eyermann/Geiger, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 86 Rn. 10 m.w.N. 88

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allem aus der Mitwirkungslast der Beteiligten ergeben. Danach sind die Gerichte grundsätzlich dann zu keinen weiteren Sachverhaltsaufklärungen verpflichtet, wenn nicht einmal die am Ausgang des Rechtsstreits interessierten Beteiligten entsprechende Angaben machen.93 Die Amtsermittlung erfordert keine Sachverhaltsaufklärung „ins Blaue hinein“.94 Bezogen auf das Verwaltungsverfahrensrecht bedeutet dies, dass von der ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens ausgegangen werden kann, wenn Verstöße gegen das Verfahrensrecht nicht geltend gemacht werden und bei Durchsicht der Akten auch nicht sofort ins Auge springen.

VIII. Schluss Die Ausführungen sollten gezeigt haben, dass die Verwaltungsrichter nicht unsensibel sind für die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts. Sie sind aber natürlich an die Vorgaben unseres Systems des subjektiven Rechtsschutzes gebunden. Darin haben die Verfahrensvorschriften grundsätzlich nur eine relative Schutzwirkung. In diesem Rahmen wird die Bedeutung eines ordnungsgemäßen Verfahrens für die Richtigkeit der Sachentscheidung aber keineswegs verkannt.

___________ 93 Vgl. Markus Kenntner, in: Quaas/Zuck, Prozesse in Verwaltungssachen, 2008, § 3 Rn. 384; Michael Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 86 Rn. 72. 94 Kenntner (Fn. 93), Rn. 386.

Governance des Verwaltungsverfahrens als Aufgabe des Verwaltungsverfahrensrechts Jan Ziekow

Von prominenter Seite, in der Einleitung eines der größeren Kommentare zum VwVfG, ist der Bestand im VwVfG des Bundes geregelter Normen als „totes Recht“ bezeichnet worden, wenngleich, das muss fairerweise hinzugefügt werden, der Exitus noch nicht eingetreten, das VwVfG aber jedenfalls auf dem besten Weg dorthin sein soll1. Ob das so ist, bleibt zu klären. Jedenfalls ist der Totgesagte dann ein „Untoter“, der beträchtlichen Aufruhr im Lande verursacht. Wie anders ist es zu erklären, dass ein Gesetzentwurf, der wie der Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren lediglich explizite Beschlüsse parlamentarischer Gremien umsetzt, äußerst kontrovers in der Tagespresse diskutiert wird? Nach Nachrufen hörte sich das jedenfalls nicht an. Vor einem Jahr hätte dies wohl noch ganz anders ausgesehen. Erst dadurch, dass die Veröffentlichung des Gesetzentwurfs, der schon viel länger vorbereitet wurde, in die politischen Nachbeben der Diskussion um den Stuttgarter Hauptbahnhof fiel, ist die noch immer anhaltende Dynamik entstanden. Deren Wurzeln mögen klarer werden, wenn man sich der Aufgabe des Verwaltungsverfahrensrechts, die Governance des Verwaltungsverfahrens zu strukturieren, nähert. Diese Annäherung soll im Folgenden in mehreren Schritten unternommen werden: Zunächst werden die Rollen im Verwaltungsverfahren und ihre Koordination durch Verwaltungsverfahrensrecht kurz umrissen (unten I.). Anschließend sollen die Regelungsebenen zur Bewältigung der gestellten Governance-Aufgabe abgeschichtet werden, sowohl im Verhältnis zwischen fachspezifischem und allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht als auch in föderaler Perspektive (unten II.). Drittens soll versucht werden, aus diesen beiden Schritten allgemeine Anforderungen für Struktur und Inhalt des Verwaltungsverfahrensrechts zu entwickeln (unten III.).

___________ 1 Hans-Günter Henneke/Matthias Ruffert, in: Knack, VwVfG, 9. Aufl. 2010, Vor § 1 Rdnr. 12.

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I. Koordination der Rollen im Verwaltungsverfahren durch Verwaltungsverfahrensrecht Mit der Frage, welche Konzepte mit dem Begriff „Governance“ eigentlich bezeichnet werden, betritt man den Boden einer Großdiskussion2, der im vorliegenden Rahmen kaum vermessen werden kann. Der Versuch einer Kondensierung könnte etwa mit Schuppert lauten: „Bei Governance geht es um … die Koordination von Handlungen unterschiedlicher Akteure – staatlicher und nicht-staatlicher – mit unterschiedlichen Handlungslogiken zur Verfolgung gemeinsamer Ziele und zur Regelung kollektiver Sachverhalte.“3 Die Relevanz dieser Formulierung für das vorliegend behandelte Thema wird schnell augenfällig: Wenn – um eine häufig gebrauchte Formulierung aufzugreifen – Verwaltungsverfahrensrecht das „Handlungsrecht“ der Verwaltung ist4, so weist der Begriff der Governance hierüber hinaus. Es geht eben beim Verwaltungsverfahren nicht nur darum, die Perspektive der Verwaltung einzunehmen, sondern es sind auch andere Akteure zu berücksichtigen. Anknüpfend an die Beiträge von Birk, Metschke und Held5 sollen zunächst die wesentlichen Akteure kurz skizziert werden: –

Da ist zunächst „Verwaltung“ – bewusst nicht „die“ Verwaltung. Denn in einer Vielzahl von Verfahren leistet mehr als eine Einheit der Verwaltung Beiträge zu einem Verwaltungsverfahren. Daher greift auch die Beschreibung, die Rollenerwartung an Verwaltung bestehe darin, das Gesetz im Sinne des Treffens rechtmäßiger Entscheidungen zu vollziehen, zu kurz. Selbstverständlich ist das der Kern dessen, was der „vollziehenden Gewalt“ verfassungsrechtlich aufgegeben ist. Allerdings wäre damit zum einen die Pluralität von administrativen Akteuren in Verwaltungsverfahren nicht erklärt. Vielmehr sind die Rollenerwartungen an die verschiedenen in ein Verwaltungsverfahren einbezogenen Verwaltungseinheiten durchaus unterschiedlich. Neben der verfahrensführenden Behörde gibt es auch Behörden, die nur einzelne Gesichtspunkte in das Verfahren einzubringen haben und dies nicht selten in durchaus nicht auf Anhieb harmonischer Weise

___________ 2 Siehe dazu nur Gunnar Folke Schuppert, Was ist und wozu Governance?, Die Verwaltung 40 (2007), 463 ff.; Margrit Seckelmann, Keine Alternative zur Staatlichkeit – Zum Konzept der Global Governance, VerwArch 98 (2007), 30 (35 ff.); Thorsten Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S. 21 ff. 3 Gunnar Folke Schuppert, Die Rolle des Gesetzes in der Governancetheorie, in: Hans-Heinrich Trute/Thomas Groß/Hans Christian Röhl/Christoph Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 161 (172). 4 Vgl. nur Wolfgang Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: ders./ Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 10 Rdnr. 13 ff. 5 Siehe die Beiträge von Birk, Metschke und Held in diesem Band.

Governance des Verwaltungsverfahrens

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tun. Zum anderen – und das spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle für eine Beschreibung der Rolle der Verwaltung – ist die Verwaltung auch Organisation des politischen Systems6. In Konfliktsituationen wird die Verwaltung nicht selten keineswegs nur als der gesetzesgebundene neutrale Sachwalter des Allgemeininteresses wahrgenommen. –

Zweitens die Bürgerinnen und Bürger. Noch wesentlich stärker als bei der Verwaltung haben wir es hier mit einer äußerst heterogenen Pluralisierung von Akteuren zu tun, die als Einzelpersonen wie Personengesamtheiten wie Unternehmen auftreten können. Dies sind zum einen die Beteiligten im Sinne von § 13 VwVfG, also Antragsteller und Antragsgegner, Adressaten eines Verwaltungsakts, der Vertragspartner der Behörde beim Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags sowie hinzugezogene Drittbetroffene. Der Kreis der Akteure geht aber weit über die Verfahrensbeteiligten hinaus. Zu nennen sind beispielsweise die sog. Planbetroffenen (§ 73 Abs. 4 VwVfG), die ebenso wenig Beteiligte im engeren Sinne sind wie die Umweltvereinigungen7, deren Rolle in bestimmten Verwaltungsverfahren fachgesetzlich festgelegt ist (vgl. §§ 58 ff. BNatSchG; § 2 UmwRG). Hierüber hinausgehend findet sich die „Öffentlichkeit“ in einem nicht näher bestimmten Sinne, wie sie sich insbesondere in der unionsrechtlichen Legislation findet (vgl. nur Art. 2 RL 2003/35/EG vom 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme). Allerdings lässt sich nicht nur in der Diskussion um den Stuttgarter Hauptbahnhof, sondern auch in zahlreichen anderen Fällen der Verwirklichung von größeren Vorhaben feststellen, dass eine „Öffentlichkeit“ auch dann in der Lage ist, eine – wie auch immer geartete – Position gegenüber Verwaltungsverfahren einzufordern, wenn eine Beteiligung der Öffentlichkeit im weiteren Sinne nicht explizit vorgesehen ist. Eine solche Öffentlichkeit ist vielfach binnendifferenziert, von Einzelpersonen über NGOs – seien es Umweltverbände oder andere – bis hin zu Bürgerinitiativen mit dem alleinigen Ziel der Vorhabensverhinderung.

Dieser Vielfältigkeit des mit dem Begriff „Bürgerinnen und Bürger“ zusammengefassten Akteurs entspricht eine Differenziertheit der Rollen. Im VwVfG taucht der Bürger in erster Linie als Beteiligter oder sonst Teilnehmender in einem durch feste Rollen definierten Rechtsverhältnis auf, wobei die Erwartung besteht, dass der Bürger ausschließlich sein Individu___________ 6 Hans-Heinrich Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: HansHeinrich Trute/Thomas Groß/Hans Christian Röhl/Christoph Möller (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 211 (225). 7 Heinz Joachim Bonk/Werner Neumann, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/ Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 73 Rdnr. 103 ff.; Jan Ziekow/Thorsten Siegel, Anerkannte Naturschutzverbände als „Anwälte der Natur“, 2000, S. 61 ff.

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alinteresse verfolgt.8 Die Geltendmachung überindividueller Interessen wie solcher des Umweltschutzes bedarf einer expliziten Rollenzuweisung. Erfolgt eine solche nicht, so besteht die Erwartung, dass eine weitergehende „Öffentlichkeit“ eben gerade keine verfahrensbezogene Rolle zu spielen habe. Das gesetzliche und in Anspruch genommene Rollenerwartung9 hier auseinander fallen, bedarf hier wohl keiner Erläuterung. –

Worin die gesetzliche Rollenerwartung an die Verwaltungsgerichte besteht, hat Held in seinem Modell der Filter10 deutlich gemacht: Die Gerichte können sich grundsätzlich nur dann mit dem Verwaltungsverfahrensrecht befassen, wenn ein subjektives öffentliches Recht betroffen ist, das Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist und die sog. dienende Funktion des Verwaltungsverfahrensrechts in Rede steht. Die fremdprojizierte Rollenerwartung, die Held mit dem Stichwort „edukatorische Wirkung“ angesprochen hat, geht durchaus darüber hinaus. Sie besteht vor allem in den Erwartungen, ein gegenwärtiges Verfahrensrechtsverhältnis verbindlich zu konkretisieren und damit zu stabilisieren sowie Handlungserwartungen bei der künftigen Durchführung von Verwaltungsverfahren zu formulieren.

Man wird schnell Einigkeit darüber herstellen können, dass für die Koordination der Akteure mit Bezug zu einem Verwaltungsverfahren nicht auf Autonomiekonzepte rekurriert werden kann. Dem steht schon entgegen, dass wir es mit Akteuren unterschiedlicher Nähe und Ferne zum Verfahren und zu den informationellen Grundlagen sowie verschiedener Gesetzesbindung zu tun haben. Schuppert hat zu Recht auf die zentrale Rolle des Gesetzes bei der Zusammenführung von staatlichen und privaten Handlungskompetenzen – es wäre zu ergänzen: und Rollen – hingewiesen11. Es ist gerade die demokratische Gestaltungsfunktion des Gesetzes, die Orchestrierung dieser Rollen nicht ad hocDiskursen mit diffusen Vermachtungen zu überlassen. Will man diese allgemeine Aufgabe des Gesetzgebers auf konkrete Anforderungen für die Ausgestaltung der Governance herunterbrechen, so stellen sich ___________ 8 Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard SchmidtAßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2008, § 27 Rdnr. 13. 9 Zur Wahrnehmung von öffentlichen Interessen in Verwaltungsverfahren durch die Bürgerinnen und Bürger vgl. Hinnerk Wißmann, Öffentliche Interessen im Verwaltungsverfahren – eine funktionsbezogene Rekonstruktion, in: Wilfried Erbguth/Johannes Masing/Konrad Nowacki (Hrsg.), Kontrolle des Verwaltungshandelns, 2010, S. 11 (16 f.). 10 Siehe den Beitrag von Held in diesem Band. 11 Vgl. Gunnar Folke Schuppert, Die Rolle des Gesetzes in der Governancetheorie, in: Hans-Heinrich Trute/Thomas Groß/Hans Christian Röhl/Christoph Möller (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 161 (189).

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vor allem zwei Fragen: Erstens welche Regelungsebene zu wählen ist und zweitens – wenngleich damit zusammenhängend – was soll geregelt werden.

II. Regelungsebenen zur Bewältigung der Governance-Aufgabe Die erste Frage der Regelungsebene ist noch einmal binnendifferenziert in die Unterscheidung fachspezifisches/allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht sowie bundeseinheitliches/diversifiziertes Verwaltungsverfahrensrecht.

1. Fachspezifisches und allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht Zum Verhältnis zwischen dem fachspezifischen und dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Wenngleich in der neuesten Zeit durchaus ein gewisser Aufschwung des allgemeinen Verwaltungsververfahrensrechts als Regelungsstandort zu verzeichnen ist, ist die Bemerkung Klappsteins „Die Kurzarmigkeit der heutigen Gesetzgebung wirkt sich zum Nachteil des allgemeinen Rechts aus“12 im Kern immer noch gültig. Hintergrund ist – neben vielem anderen, z. B. den Eigeninteressen der Ressorts – auch das überkommene Verständnis des Verhältnisses zwischen allgemeinem und besonderem Verwaltungsverfahrensrecht, das sich als vertikales Modell bezeichnen lässt. In ihm stehen allgemeines und besonders Verfahrensrecht in einer gestuften Korrelation von Induktion und Deduktion. Das besondere Verwaltungsrecht ist das an Sachgesetzlichkeiten orientierte Sonderrecht. Es soll sektoral spezifische Problemlagen unterschiedlicher Aufgabenbereiche bewältigen.13 Wegen der Differenziertheit der Sachmaterien entsteht ein Speicher von vielartigen Lösungsmustern, die auf ihre Generalisierbarkeit durchgemustert werden. Durch Reduktion bereichsspezifischer Erscheinungsformen entstehen verallgemeinerungsfähige Grundmuster. Deren Abstraktion ermöglicht dann die Entwicklung bereichsübergreifender Regelungsmodelle, die in allen oder doch mehreren Gebieten des Verwaltungsrechts Anwendung finden14 und deshalb in das VwVfG überführt werden. ___________ 12

Walter Klappstein, Rechtseinheit und Rechtsvielfalt im Verwaltungsrecht, 1994, S. 153 f. 13 Vgl. Rainer Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht?, in: Willi Blümel (Hrsg.), Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 1984, S. 19 (45). 14 Thomas Groß, Die Beziehungen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Verwaltungsrecht, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, Die Verwaltung Beiheft 2, 57 (70 ff.); Wolfgang Hoffmann-Riem, Ermöglichung von Flexibilität und Inno-

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Der Beitrag des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts für die Governance des Verwaltungsverfahrens besteht in diesem vertikalen Modell in erster Linie in der Erbringung einer Rezeptionsleistung, wobei der Auswahl des auf seine Transferierbarkeit durchzumusternden sektoralen Materials entscheidende Bedeutung zukommt. Die Auswahl der Referenzgebiete des besonderen Verfahrensrechts prägt die Themen des allgemeinen Verfahrensrechts. Starrheit oder Flexibilität des allgemeinen Verfahrensrechts hängen davon ab, ob keine durchgreifenden Wandlungen unterworfene oder unter hohem Innovationsdruck stehende Bereiche auf ihren Entwicklungshorizont überprüft werden. Dazu nur ein Beispiel: § 46 VwVfG lässt sich – bei entsprechender Auswahl der Referenzgebiete – durchaus als eine etablierte Regelung des Verfahrensrechts bezeichnen. Man kann aber den Blick auch gerade auf neuere Entwicklungen wie die unionsrechtlich induzierte Regelung des § 4 Abs. 1 UmwRG hinsichtlich des Fehlens einer erforderlichen UVP oder einer erforderlichen EinzelfallVorprüfung über die UVP-Pflichtigkeit oder das Vergaberecht, wo es für die Entscheidung der Nachprüfungsinstanzen nicht auf die konkrete Möglichkeit ankommt, ob die Vergabestelle dieselbe Entscheidung auch ohne den Fehler im Vergabeverfahren getroffen hätte oder nicht, sondern nur darauf – und zwar als Zulässigkeitsvoraussetzung eines Nachprüfungsantrags, ob der Antragsteller bei einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren bessere Chancen gehabt haben könnte15, richten. Ein anderer Hinweis in diese Richtung ergibt sich aus den die Verwaltungszusammenarbeit regelnden Art. 28 ff. der europäischen Dienstleistungsrichtlinie16. Hier sind die Beiträge der Behörden anderer Mitgliedstaaten in der Verwaltungszusammenarbeit selbständige Teilbeiträge, die am gleichen Ziel wie das Hauptsacheverfahren ausgerichtet sind, aber außerhalb desselben ergehen. § 46 VwVfG ist deshalb auf diese Beiträge nicht anwendbar.17 Ob man aus einem solchen Perspektivenwechsel eine Aufgabe oder eine Revision der Auslegung des § 46 VwVfG folgern würde, ist eine weitere Frage.18 ___________ vationsoffenheit im Verwaltungsrecht – einleitende Problemskizze, in: ders./Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 9 (16). 15 Siehe nur Heinz-Peter Dicks, in: Jan Ziekow/Uwe-Carsten Völlink (Hrsg.), Vergaberecht, 2011, § 107 GWB Rn. 21 m.w.N. 16 Utz Schliesky/Sönke E. Schulz, §§ 8a ff. VwVfG n. f. – die Europäische Verwaltungszusammenarbeit im deutschen Verwaltungsverfahrensrecht, DVBl 2010, 601 ff.; Heribert Schmitz/Lorenz Prell, Europäische Verwaltungszusammenarbeit – Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2009, 1121 ff. 17 Utz Schliesky, Die Verwaltungszusammenarbeit nach der Dienstleistungsrichtlinie und das Verhältnis zu den nationalen Amtshilfevorschriften, in: ders. (Hrsg.), Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung, Bd. I: Grundlagen, 2008, S. 203 (223 ff.). 18 Dazu Christian Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 286 f.

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Die Governance-Aufgabe des Verwaltungsverfahrensrechts aber muss über diese Abstrahierungsfunktion des allgemeinen Verfahrensrechts im vertikalen Modell hinausweisen. Auf der Grundlage der Bereitstellungs- und Strukturierungsaufgabe des Rechts19 muss das Verwaltungsrecht ein als legitim empfundenes, rechtsstaatlich geordnetes, sachadäquate Entscheidungen produzierendes, bürgernahes und effektives Verwaltungshandeln ermöglichen. Das Recht muss die hierfür erforderlichen Rechtsformen, Institute, Verfahren und Organisationstypen bereitstellen. Methodisch ergibt sich daraus die Forderung nach einer aufgaben- und funktionenorientierten Betrachtungsweise: Das Verwaltungsrecht hat danach zu fragen, welche Funktionen und Aufgaben die Verwaltung zu erfüllen hat, und dasjenige bereitzustellen, das für die in der genannten Akteurskonstellation zu erbringende Aufgabenerfüllung benötigt wird.20 Dass die Bereitstellungsfunktion des Verwaltungsrechts für das Verfahrensrecht in besonderem Maße zutrifft, weil das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht den Charakter einer Angebotsordnung trägt, hat Rainer Wahl klar herausgearbeitet21. Die Institute des allgemeinen Verfahrensrechts zwingen nicht, sondern bieten nur an. Dementsprechend hängt die konkrete Aufgabenverteilung zwischen allgemeinem und bereichsspezifischem Verfahrensrecht in erster Linie von der Regelungsdichte des allgemeinen Verfahrensrechts ab: Je größer dessen Angebot ist, desto weiter kann das Sonderverfahrensrecht zurückgenommen werden. Je größer umgekehrt die Lücken des allgemeinen Verfahrensrechts, um so intensiver muss in den einzelnen Regelungsbereichen geregelt werden. Für die Zuordnung eines Regelungsproblems zum allgemeinen oder bereichsspezifischen Verfahrensrecht ist vor allem nach der Nähe zum jeweiligen materiellen Recht zu unterscheiden. Alles das, was mehr als einen Spezialbereich berührende Verfahrensfragen betrifft, gehört in das allgemeine Verfahrensrecht und all das, was an Sonderfragen des materiellen Rechts gekoppelt ist, in das bereichsspezifische Verfahrensrecht. Vor der Folie der Governance-Aufgabe des Verwaltungsverfahrensrechts wird deutlich, dass damit eine Weiterentwicklung des im vertikalen Modell angelegten abstrahierenden Transfers über Jahre bewährter Regelungen des bereichsspezifischen Verwaltungsverfahrensrechts in das VwVfG gefordert ist. ___________ 19 Zur Bedeutung für die Rolle des Gesetzes für die Governance-Aufgabe vgl. nur Gunnar Folke Schuppert, Die Rolle des Gesetzes in der Governancetheorie, in: HansHeinrich Trute/Thomas Groß/Hans Christian Röhl/Christoph Möller, Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 161 (174 f.). 20 Vgl. grundlegend Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/ Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 (96 f.). 21 Rainer Wahl, Fehlende Kodifizierung der förmlichen Genehmigungsverfahren im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2002, 1192 (1194).

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Zu Recht hat Schmidt-Aßmann schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Diskussion und Erprobung innovativer Ansätze in erster Linie auf der Ebene des allgemeinen Verwaltungsrechts zu erfolgen habe.22 In diesem Sinne kommt dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht eine Leitfunktion vor, die für die Koordination der Akteure und deren Interaktion maßgeblichen Grundsätze zum Ausdruck zu bringen. Dem bereichsspezifischen Verfahrensrecht kommt hingegen lediglich und nur soweit die Funktion einer Brücke zu, um spezifische materiellrechtliche Regelungen in die Leitgedanken des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts zu übersetzen. Eine Vernachlässigung der integrierenden Governance-Aufgabe des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts führt auf die Dauer zu Systembrüchen und Intransparenzen, die sowohl den rechtsunterworfenen Bürgerinnen und Bürgern als auch den mit der Rechtsanwendung befassten Behörden kaum zu vermitteln ist.23 Dies ist für die teilweise nur unzureichend aufeinander abgestimmten fachgesetzlichen Verfahrensregelungen im Zuge der sog. Beschleunigungsgesetzgebung der 1990er Jahre von verschiedener Seite herausgearbeitet worden24. So ist es einer der problematischen Punkte im Verhältnis zwischen EURecht und deutschem Recht, dass – mit der lobenswerten Ausnahme der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie25 – zu oft der Weg über die Schaffung von transformierendem Sonderrecht gewählt wird. Vielmehr wird es auf Dauer notwendig sein, dass das deutsche Recht die unionsrechtlichen Prinzipien in Formen typisiert und systematisiert, die offen und anschlussfähig für neue Entwicklungen sind. Diese Leitfunktion wahrzunehmen ist gerade Aufgabe des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts.26 Entsprechendes gilt für die Nor___________ 22

Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Die Verwaltung 1994, 137. 23 So zu Recht schon Heribert Schmitz/Franz Wessendorf, Das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz – Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz und der Wirtschaftsstandort Deutschland, NVwZ 1996, 955 (961 f.). 24 Vgl. nur Wolfgang Kahl, Das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Kodifikationsidee und Sonderrechtsentwicklungen, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 67 (74). 25 Dazu Volkmar Kuhne, Die Implementierung der allgemeinen Anforderungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie im Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetz und weitere Neuregelungen, BayVBl 2010, 551 ff.; Ben Michael Risch, Die Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie in Hessen aus kommunaler Perspektive, LKRZ 2010, 1 ff.; Heribert Schmitz/Lorenz Prell, Verfahren über eine einheitliche Stelle – Das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, NVwZ 2009, 1 ff.; Jan Ziekow, Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Verwaltungsverfahrensrecht, WiVerw 2008, 176 ff.; skeptischer Daniel Reichelt, Änderungen im Verwaltungsverfahren im Zuge der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie, LKV 2010, 97 ff. 26 Vgl. insbesondere Rainer Wahl, Fehlende Kodifizierung der förmlichen Genehmigungsverfahren im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2002, 1192 (1195).

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mativierung von Innovationen, die Leitentscheidungen für die Entwicklung der Verwaltungskultur enthalten. Wegen seiner die Sachbereiche überwölbenden Ausstrahlungswirkung ist hier das VwVfG als innovationsimplementierendes Medium unverzichtbar.

2. Die föderale Dimension des Verwaltungsverfahrensrechts Im Ergebnis gilt Vergleichbares für die Frage bundesweit einheitliches/länder-diversifiziertes Verwaltungsverfahrensrecht. Bekanntlich besteht eine seit mehr als drei Jahrzehnten gefestigte Tradition der Selbstkoordination von Bund und Ländern in einem Arbeitskreis der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten. Selbstverständlich kann man wie Martin Burgi mit Blick auf die Entflechtung von Verantwortungsräumen durch die Föderalismusreform darauf hinweisen, dass ein Vorwurf der Dekodifikation im föderalen Staat nur innerhalb der gleichen Ebene erhoben werden könne und ein föderaler Wettbewerb auch bei der Gestaltung der Verwaltungsverfahrensgesetze wünschenswert sei.27 Doch würde ich dies in Anbetracht der zu erfüllenden GovernanceAufgabe im Ergebnis anders beurteilen. Denkt man das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht nicht von seinen Rechtsquellen, sondern von den Akteuren her, so kann es sich sowenig in der bloßen Abstrahierung von Bewährtem wie in der föderalen Perspektive erschöpfen. Der Beitrag von Held hat noch einmal sehr deutlich gemacht, wie fragil und in Anbetracht des vorherrschenden Verständnisses des Verhältnisses von materiellem Recht und Verfahrensrecht defizitär die Möglichkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Stabilisierung von Handlungserwartungen bei der künftigen Durchführung von Verwaltungsverfahren als notwendiger Beitrag zur Governance sind. Eine landesrechtliche Diversifizierung der Landes-VwVfGe über das Maß der bereits bestehenden Unterschiede hinaus würde mit Blick auf § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO die Revisibilität verwaltungsverfahrensrechtlicher Regelungen und damit die für die Wahrnehmung des VwVfG zentral wichtige Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit weiter zurückdrängen.

3. Zwischenergebnis Die Frage nach der Regelungsebene ist also zusammenfassend dahingehend zu beantworten, dass die Governance-Aufgabe des Verwaltungsrechts in erster ___________ 27

Vgl. Martin Burgi, Gesetzgebung im Verwaltungsverfahrensrecht zwischen europäischem Umsetzungsdruck und (fehlendem) nationalem Gestaltungswillen, in: Martin Burgi/Klaus Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 31 (46 f.).

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Linie auf der Ebene des allgemeinen Verwaltungsrechts der VwVfGe zu erfüllen ist, und zwar in einer Weise, die die Einheitlichkeit des Verwaltungsverfahrensrechts zwischen Bund und Ländern so weit wie möglich wahrt.

III. Folgerungen der Governance-Aufgabe für Struktur und Inhalt der Verwaltungsverfahrensgesetze Wenn es richtig ist, dass dem VwVfG bei der Koordination der verschiedenen Akteure die Leitfunktion zukommt, dann müssen die Leitgedanken auch im Gesetz zum Ausdruck kommen. Dies berührt sich mit der Forderung von Martin Burgi, eine zentrale Vorschrift über die Funktionsbestimmung des VwVfG zu schaffen28, ist aber nicht ihr identisch. Das gesetzgeberische Mikromanagement des Verwaltungsverfahrens scheint mir durchaus zurücknehmbar; hier wissen die Verwaltungen ohnehin besser, was zu tun ist. Unverzichtbar ist hingegen, die die politisch gewollte Verwaltungskultur prägenden Grundentscheidungen im Gesetz hinreichend zum Ausdruck zu bringen. Was darunter zu verstehen ist, ist in meinem Gutachten für das Bundesinnenministerium am Beispiel der Verankerung des Kooperationsgedankens im VwVfG ausführlich dargelegt29. Ein anderes Beispiel hierfür ist der Umgang mit der Frage der Bürgerbeteiligung. Hier haben die Diskussionen in Stuttgart Erwartungen geweckt, und zwar bundesweit, die nicht so ohne weiteres mit Wahlen in verschiedenen Bundesländern wieder verschwinden werden. Für mit Planfeststellungsverfahren Vertraute war es zwar durchaus erstaunlich, dass sich dieser Druck nun ausgerechnet in einem Planfeststellungsverfahren mit seinem in Form des Erörterungstermin eher weit ausgebauten Beteilungsinstrument entlud. Gerade deshalb sollte dies aber um so mehr zu denken geben, insbesondere auch für Infrastrukturprojekte, die nicht UVP-pflichtig sind und deshalb keiner Öffentlichkeitsbeteiligung unterliegen, gleichwohl von den Bürgerinnen und Bürgern aber als problematisch wahrgenommen werden. Hier besteht unter anderem die Gefahr, dass in der öffentlichen Wahrnehmung Rollen verwechselt und vermeintliche Lager vermutet werden. Die zuständigen Behörden können sich noch so oft darauf berufen, dass sie gesetzesgebunden sind und keine Partikularinteressen verfolgen – das hilft ihnen meist ___________ 28 Martin Burgi, Gesetzgebung im Verwaltungsverfahrensrecht zwischen europäischem Umsetzungsdruck und (fehlendem) nationalem Gestaltungswillen, in: Martin Burgi/Klaus Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 31 (39 f.). 29 Jan Ziekow, Verankerung verwaltungsrechtlicher Kooperationsverhältnisse (Public Private Partnership) im Verwaltungsverfahrensgesetz, 2001.

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nichts und zwar nicht einmal bei gebundenen Entscheidungen. Vielmehr wird die Verwaltung häufig als derjenige Akteur angesehen, der im Lager des jeweiligen Vorhabensträgers steht, ihm den Weg bahnt und das Vorhaben „durchwinkt“. Für wenig geglückte Kommunikationsstrategien des Vorhabensträgers wird die Verwaltung mit in Haftung genommen. Das ist keineswegs nur so, wenn es sich um einen Vorhabensträger handelt, dessen Anteile zu 100 % bei der öffentlichen Hand liegen, sondern auch bei rein privaten Investoren. An dieser Stelle wird die Wahrnehmung der Verwaltung als Organisation des politischen Systems deutlich. Es ist deshalb unbedingt erforderlich, von vornherein auf eine klare Kommunikation zu achten und alle Akteure einzubinden. Hiergegen Gründe der Verfahrenseffizienz in Stellung bringen zu wollen, ist wenig begründet. Zum einen haben unsere im Auftrag des Landes Baden-Württemberg schon vor Jahren in Analyse mehrer tausend Verfahren durchgeführten empirischen Untersuchungen belegt, dass die Bedeutung der Öffentlichkeitsbeteiligung als Verzögerungsfaktor vernachlässigbar ist.30 Zum anderen dürfte es deutlich zeit- (und geld-!)aufwändiger sein, defizitäre Kommunikation durch immer neue, ad hoc gelegte Kommunikationsschleifen während des Verfahrens oder sogar erst nach diesem zu kompensieren. Dazu liegen bereits Vorschläge vor und weitere werden hinzukommen. Unverzichtbar wird sein, zu einem deutlich vor der eigentlichen Antragstellung liegenden Termin eine Information der Öffentlichkeit durchzuführen, und zwar verpflichtend. Bei der Frage der Ausgestaltung und der Bedeutung des Termins endet die Einigkeit dann aber auch schon. Kernfragen sind zunächst, wer den Termin organisiert, wer ihn bezahlt, wer ihn leitet und wer in welcher Weise die Öffentlichkeit anspricht. Natürlich hat es viel für sich, die bekannte Unterscheidung zwischen Anhörungs- und federführender Behörde auch hier zu übernehmen.31 Zur Vermeidung der genannten Rollenverwechslung ist allerdings eher dazu zu raten, die Behörden zu einem derart frühen Zeitpunkt aus dem Spiel zu lassen und die Organisation und Moderation des Termins einer neutralen Stelle oder Institution zu übertragen. Ebenso wenig ist es sinnvoll, dass der Vorhabensträger selbst den Termin durchführt. Aus der gescheiterten Kommunikation auf solchen von Vorhabensträgern meist in bester Absicht in Eigenregie angebotenen frühen Terminen ist häufig erst die eigentliche Verbissenheit der Auseinandersetzung entstanden. Die Kosten dieses Termins dem Vorhabensträger aufzubürden, ist zumutbar. ___________ 30 Jan Ziekow/Martin-Peter Oertel/Alexander Windoffer, Dauer von Zulassungsverfahren, 2005, S. 121 ff., 211 ff. 31 So etwa der Vorschlag von Hans-Jörg Birk, Offen und tolerant, FAZ 27.1.2011, S. 6.

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Es wird auch nicht ausreichen, die Durchführung dieses frühen Termins in der bekannten Weise ortsüblich bekannt zu machen. Die Mobilisierungswirkung einer solchen Bekanntmachung dürfte sich um Null bewegen, womit man das Anliegen eines solchen Termins als gescheitert ansehen dürfte. Man wird also offensivere Mobilisierungsstrategien verfolgen müssen. Auch dies spricht eher dafür, einen Neutralen damit zu beauftragen. Im Weiteren wird die Funktion eines solchen frühen Termins zu klären sein. Die Spannbreite der Vorstellungen, die hierzu im Raume stehen, reicht von einer Information über das beabsichtigte Vorhaben und dessen mögliche Auswirkungen sowie das durchzuführende Verfahren32 über eine erste Aufnahme von Reaktionen aus der Öffentlichkeit, mit denen eine Auseinandersetzung bereits bei der Erstellung der Antragsunterlagen erfolgen soll bis hin zu einer echten Partizipation im Sinne einer Verwerfungskompetenz der Bürgerinnen und Bürger. Eine abschließende Auslotung dieser Varianten kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Deshalb nur so viel: Ziel einer erweiterten Bürgerbeteiligung kann es nur sein, die Bürgerinnen und Bürger möglichst frühzeitig aktiv in das Verfahren einzubinden, um das Gefühl des „Ausgeliefertseins“, das gerade zu der Einnahme einer Fundamentalopposition führt und konstruktive Lösungen außerordentlich erschwert, zu vermeiden. Eine Veranstaltung, die nur zur Belehrung ex cathedra ohne Eröffnung einer Möglichkeit sich einzubringen führt, würde als Farce angesehen werden. Versteht man die Einbeziehung der Öffentlichkeit als Bestandteil der vom Verfahrensrecht zu erfüllenden Governance-Aufgabe, so sollte die in einem solchen frühen Termin aufgebaute Kommunikation stabilisiert und perpetuiert werden. Die in den Verfahrensvorschriften derzeit angelegte fragmentierte – und zwar horizontal wie vertikal fragmentierte – Beteiligung ist nur schwer vermittelbar. Zu Recht hat Birk vorgeschlagen, dass dann, wenn für ein Vorhaben fachgesetzlich mehrere Öffentlichkeitsbeteiligungen durchzuführen sind, diese zusammengefasst werden und gleichzeitig stattfinden sollten.33 Ich würde dies ergänzen und es für sinnvoll halten, die vor der Antragstellung aufgebaute Kommunikationsstruktur in eine das Verfahren im Längsschnitt begleitende Beteiligungsform zu überführen, z. B. in Form eines Dialogforums. Eine solche Offenheit der Kommunikationskultur zum Ausdruck zu bringen, ist einer der Leitgedanken, der sich im VwVfG wiederfinden sollte. Da es ja auch gerade darum geht, verschiedene fachrechtliche Verfahren zu verklammern, ist eine Regelung im bereichsspezifischen Verfahrensrecht wenig sinnvoll. ___________ 32 33

So Hans-Jörg Birk, Offen und tolerant, FAZ 27.1.2011, S. 6. Hans-Jörg Birk, Offen und tolerant, FAZ 27.1.2011, S. 6.

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Hieraus ergibt sich zwangsläufig ein weiterer Gesichtspunkt: Eine Bürgerbeteiligung, die zeitlich noch vor der Stellung eines Antrags liegt, erfolgt nicht im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens im Sinne von § 9 VwVfG. Ein die Büchse der Pandora öffnender Systembruch wäre dies freilich nicht. Bereits bei der Einfügung der neuen §§ 71a ff. ist in § 71a Abs. 1 VwVfG ein Begriff des Verwaltungsverfahrens verwendet worden, der über den des § 9 VwVfG hinausgeht34, und die in § 71c VwVfG angesprochen Informationspflichten stehen gänzlich außerhalb eines Verwaltungsverfahrens. Vielmehr entspräche es der Governance-Aufgabe des Verwaltungsverfahrensrechts, die Fokussierung auf den strikten Verfahrensbegriff des § 9 VwVfG weiter zu öffnen. Dies gäbe auch zumindest die Möglichkeit zur vielfach angemahnten Inblicknahme auch des sog. inneren Verfahrens35. Zum Abschluss ist noch einmal in aller Kürze daran zu erinnern, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz im Sinne einer Angebotsordnung alles das an Bausteinen und Instrumenten enthalten sollte, was zur Koordination der Akteure erforderlich ist. Hierzu könnte z. B. eine Ausdifferenzierung der Handlungsund Entscheidungstypen gehören36. Dazu gehören aber auch sog. „weiche“ Instrumente wie die Mediation. Wird die Mediation nun durch ein Gesetz zur Förderung der Mediation37 geadelt, so ist bemerkenswert, dass der in der Öffentlichkeit spektakulärsten Fälle, nämlich der Mediation im Kontext politisch aufgeladener Verwaltungsverfahren38, dort nicht gedacht wird. Es wäre durchaus geboten, diese Lücke durch Aufnahme in das VwVfG zu schließen39. Selbstverständlich ist den Bedenken, die Aufnahme eines Übermaßes an „weichen“ Vorschriften und symbolischem Recht würde das VwVfG überfrachten und dessen Steuerungskraft erst recht zurückdrängen, im Kern zuzustimmen: Das VwVfG darf nicht zur Sammlung politischer Lyrik verkommen, auch nicht unter der Überschrift „Governance“. Dies ändert aber nichts daran, dass es den wesentlichen Orientierungs- und Koordinierungsrahmen für die Ak___________ 34

Jan Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2010, § 71a Rdnr. 12. Dazu den Beitrag von Held in diesem Band; Christian Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 120 f. 36 Dies fordernd bereits Rainer Wahl, Fehlende Kodifizierung der förmlichen Genehmigungsverfahren im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2002, 1192 ff.; siehe dazu jetzt die Beiträge von Burgi und Durner in diesem Band. 37 Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung, BT-Drs. 17/5335. 38 Dazu etwa Gerhard Falk (Hrsg.), Das Mediationsverfahren am Flughafen WienSchwechat, 2006; Johann-Dietrich Wörner (Hrsg.), Abschlussdokumentation RDF, 2010. 39 So auch bereits Helmuth Schulze-Fielitz, Der Konfliktmittler als verwaltungsverfahrensrechtliches Problem, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990, S. 55 (64 ff.). 35

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teure bereitstellen muss. Dass das Verwaltungsverfahrensrecht im Regelfall ja ohnehin nicht „hart“ im Sinne von zu gerichtlichen Interventionen führend, sondern nur Diener seines „materielles Recht“ genannten Herrn ist, hat uns Held nochmals vor Augen geführt40.

IV. Zusammenfassung 1. Das Verwaltungsverfahrensrecht hat eine Governance-Aufgabe im Sinne der Koordinierung der Akteure mit einem Bezug zu einem Verwaltungsverfahren in einem weiteren Sinne als dem des § 9 VwVfG zu erfüllen. 2. Hierfür ist das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht der VwVfGe ganz überwiegend der richtige Regelungsstandort. 3. Dabei ist die Einheitlichkeit des Verwaltungsverfahrensrechts zwischen Bund und Ländern so weit wie möglich zu wahren. 4. Die die gewollte Verwaltungskultur prägenden Grundentscheidungen sind im Gesetz hinreichend zum Ausdruck zu bringen. 5. Dies hat bspw. zur Folge, dass die Gedanken einer Offenheit für eine kooperierende Verwaltung und für eine erweiterte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger verankert werden sollten. 6. Es sollte über eine behutsame Anreicherung des Instrumentenbaukastens des VwVfG nachgedacht werden, soweit sich dies aus seiner – in den Worten des Beirats Verwaltungsrecht beim Bundesministerium des Innern – „prospektiven Leitfunktion“41 ableiten lässt.

___________ 40

Vgl. den Beitrag von Held in diesem Band. Siehe zu diesen Fragen auch Christian Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010; Matthias Rossi, Gerichtliche Kontrolle des Verwaltungsverfahrens, in: Wilfried Erbguth/Johannes Masing/Konrad Nowacki (Hrsg.), Kontrolle des Verwaltungshandelns, 2010, S. 61 ff. 41 „Bewährtes Weiterentwickeln“ – Empfehlung des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern zum Novellierungsbedarf der Verwaltungsverfahrensgesetze, NVwZ 2010, 1078 f.

Das Verwaltungsverfahrensgesetz im europäischen Kontext

Entwicklung des Rechts der Europäischen Union und der Rechtsprechung des EuGH Wolfgang Kahl

I. Einleitung Die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts kann in drei Hauptphasen eingeteilt werden:1 Die erste Phase, die in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts einsetzt, ist geprägt durch die allmähliche Ausbildung allgemeiner Rechtsgrundsätze durch die europäische Gerichtsbarkeit. In der zweiten Phase erfolgt eine quantitative und qualitative Intensivierung gemeinschaftsrechtlicher Einwirkungen auf das nationale Verwaltungsrecht, von der auch die Strukturen des allgemeinen Verwaltungsrechts, nicht zuletzt des Verwaltungsverfahrensrechts,2 erfasst werden. Den Beginn dieser zweiten Phase wird man auf die zweite Hälfte der achtziger bzw. den Anfang der neunziger Jahre datieren können.3 Diese Phase auch struktureller Einwirkung auf das nationale Verwaltungsrecht in seiner Breite und Tiefe4 wird sodann abgelöst bzw. überlagert durch eine dritte Phase, in deren Vordergrund eine umfangreiche (vertikale und horizontale) Verflechtung, zumal Verwaltungskooperation, stehen, gekennzeichnet durch den Übergang vom Mehrebenensystem5 zum gegenwärtig beherrschenden Paradigma des Verwaltungsverbundes.6 ___________ 1 Ute Mager, Entwicklungslinien des Europäischen Verwaltungsrechts, Beiheft 10, Die Verwaltung 2010, 11 (12). 2 So Karl-Peter Sommermann, Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts?, DVBl. 1996, 889; vgl. auch Hermann Hill, Verwaltungskommunikation und Verwaltungsverfahren unter europäischem Einfluß, in: Hermann Hill/Rainer Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 273 (295 ff.). 3 Vgl. Wolfgang Kahl, Die Europäisierung des Verwaltungsrechts als Herausforderung an Systembildung und Kodifikationsidee, Beiheft 10, Die Verwaltung 2010, 39 (42). 4 Vgl. Friedrich Schoch, Impulse des Europäischen Gemeinschaftsrechts für die Fortentwicklung der innerstaatlichen Rechtsordnung, VBlBW 2003, 297 (301). 5 Hierzu Eckhard Pache und Thomas Groß, Verantwortung und Effizienz in der Mehrebenenverwaltung, VVDStRL 66 (2007), S. 106 ff., 152 ff.; vgl. auch Helmuth Schulze-Fielitz, Die Verwaltung im europäischen Verfassungsgefüge, in: Wilfried Erbguth/

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„35 Jahre VwVfG“ bedeuten insofern zugleich „35 Jahre Europäisierung des VwVfG“ und geben Anlass für eine erneute7 Zwischenbilanz über Entwicklung, Stand und Perspektiven der unionsrechtlichen Überlagerung des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts (II.). Einer solchen grundsätzlichen Vergewisserung bedarf es immer wieder in regelmäßigen Abständen. Dies gilt in besonderem Maße für das Europarecht, dessen dynamische Expansion und teilweiser Wildwuchs gleichsam kompensatorisch nach Phasen der Reflektion, Ordnung und Systembildung verlangen.8 Die wesentliche Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Erfüllt das VwVfG als die maßgebliche Rechtsgrundlage9 für den indirekten Vollzug10 des Unionsrechts seine Funktionen als Kodifikation im Spannungsverhältnis von verfahrensrechtlicher Auto___________ Johannes Masing (Hrsg.), Verwaltung unter dem Einfluss des Europarechts, 2006, S. 93 (109 ff.). 6 Grundlegend Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2006, S. 36, 38; ders./Bettina Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005; weiterführend zuletzt Wolfgang Weiß, Der Europäische Verwaltungsverbund, 2010; vgl. zum Ganzen auch Klaus Ferdinand Gärditz, Die Verwaltungsdimension des Lissabon-Vertrags, DÖV 2010, 453 ff.; Wolfgang Kahl, Europäische Behördenkooperation – Typen und Formen von Verbundsystemen und Netzwerkstrukturen, in: Michael Holoubek/Michael Lang (Hrsg.), Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, 2011, im Erscheinen; Hans Christian Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2008, § 30 Rn. 48 ff.; Matthias Ruffert, Hat die Europäisierung des Verwaltungsrechts Methode?, Beiheft 10, Die Verwaltung 2010, 205 (215 f.); ders., Von der Europäisierung des Verwaltungsrechts zum Europäischen Verwaltungsverbund, DÖV 2007, 761 ff.; Jens-Peter Schneider, Strukturen des Europäischen Verwaltungsverbunds, Beiheft 8, Die Verwaltung 2009, 9 ff.; Thorsten Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009 sowie für eine eng benachbarte Thematik Matthias Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 388 ff. 7 Grundlegend bereits der Band von Hill/Pitschas (Fn. 2), vgl. insbesondere die Beiträge von Jürgen Jekewitz, Auf dem Weg zu einem europäischen Verwaltungsverfahrensrecht – Strategien, Probleme, Perspektiven, ebd., S. 13 ff. und von Heribert Schmitz, Länderbericht Deutschland, ebd., S. 20, 23 ff. 8 Zu den Funktionen von Systembildung auch für eine europäische Verwaltungsrechtswissenschaft Schmidt-Aßmann (Fn. 6), Ordnungsidee, S. 2 ff., 403 ff.; Thomas von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S. 25 ff.; Kahl (Fn. 3), S. 43 ff.; eher skeptisch dagegen Matthias Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein …, 2006, S. 81 ff.; Oliver Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1 (36 ff.). 9 Zu den Rechtsgrundlagen des indirekten Vollzugs Ferdinand O. Kopp/Ulrich Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 11. Aufl. 2010, Einführung II Rn. 28 ff. 10 Zu den Formen des Vollzugs von Unionsrecht: Dirk Ehlers, Europäisches Recht und Verwaltungsrecht, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 2010, § 5 Rn. 31 f., 43 ff.; Astrid Epiney, in: Roland Bieber/Astrid Epiney/Marcel Haag, Die Europäische Union, 9. Aufl. 2011, § 8 Rn. 3, 7 ff., 12 ff.

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nomie der Mitgliedstaaten11 (Art. 291 Abs. 1 AEUV) einerseits sowie Äquivalenz- und vor allem Effektivitätsgrundsatz12 (Art. 4 Abs. 3 EUV) andererseits noch überzeugend und zeitgemäß? Antworten auf diese Frage sollen im Folgenden in drei Schritten entwickelt werden: Zunächst sollen einige ausgewählte, besonders wesentliche Einflussnahmen des Unionsrechts und der EuGH-Judikatur auf das VwVfG nachgezeichnet und jeweils an den konkreten Einwirkungsstellen im Text des Gesetzes festgemacht werden (II.). Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei nicht auf der referierenden Darstellung der Probleme, sondern auf deren dogmatischer Einordnung und den in Hinblick auf den Anpassungsbedarf für das VwVfG zu ziehenden Folgerungen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann und soll nicht erhoben werden.13 Nicht behandelt werden insbesondere: –

Die Einflüsse des Rechtsakte des Ministerkomitees des Europarates sowie der EMRK und deren Zusatzprotokolle auf das deutsche Verwaltungsrecht;14



die Europäisierung der Verfahrensrechte Beteiligter (z.B. Anhörung [§ 28 VwVfG], Akteneinsicht [§ 29 VwVfG], Begründung [§ 39 VwVfG]);15

___________ 11 Hierzu EuGH, Rs. C-201/02, Wells, Slg. 2004, I-723 Rn. 65, 67; Rs. C-1/06, Bonn Fleisch, Slg. 2007, I-5609 Rn. 41; Carl Friedrich Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der Europäischen Union, 2009, S. 259 ff.; Wolfgang Kahl, in: Christian Calliess/Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 4 EUV Rn. 61. 12 EuGH, Rs. 309/85, Barra, Slg. 1988, 355 Rn. 18; Rs. C-343/96, Dilexport, Slg. 1999, I-579 Rn. 26 f.; Rs. C-201/02, Wells, Slg. 2004, I-723 Rn. 67; verb. Rs. C392/04 und C-422/04, i-21 Germany GmbH bzw. Arcor/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 2006, I-8559 Rn. 57; Armin von Bogdandy, Grundprinzipien, in: Armin von Bogdandy/Jürgen Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 13 (38 ff., 54 f.); Armin Hatje, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 10 EGV Rn. 17; Kahl (Fn. 11), Art. 4 EUV Rn. 62; Robert Uerpmann-Wittzack, Die Kommission als Behörde im Sinne von § 1 Abs. 4 VwVfG, in: Herbert Roth (Hrsg.), Europäisierung des Rechts, 2010, S. 277 (281); Jan Ziekow, Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, in: Jan Ziekow (Hrsg.), Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 9 (16 f.). 13 Vgl. ergänzend vor allem die umfassenden Studien von Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in den Europäischen Union, 1996; Thomas von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008; Armin Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 1998; Stefan Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999; Eberhard Schmidt-Aßmann/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999. 14 Dazu Matthias Ruffert, Rechtsquellen und Rechtsschichten des Verwaltungsrechts, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 17 Rn. 143 ff. 15 Siehe dazu stellvertretend und m.w.N. Kopp/Ramsauer (Fn. 9), Einführung II Rn. 29; § 28 Rn. 11 f.; § 29 Rn. 11 ff.; § 39 Rn. 6 f.; Jens-Peter Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-

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die europarechtlich veranlasste Forcierung elektronischer Verwaltungskommunikation (vgl. insbesondere §§ 3a, 71e VwVfG);16



unionsrechtliche Impulse für das deutsche allgemeine Verwaltungsrecht außerhalb des VwVfG,17 beispielsweise das subjektive öffentliche Recht,18 den transnationalen Verwaltungsakt,19 Verwaltungsvorschriften,20 Verwaltungsorganisation21 oder staatliche Ersatzleistungen22;



sektorale EU-Vorgaben mit lediglich mittelbarer Relevanz auch für das VwVfG, etwa die Einwirkungen der UVP- oder FFH-Richtlinie auf Planfeststellungsverfahren und fachplanerisches Abwägungsgebot gem. §§ 72 ff. VwVfG23 und vor allem

___________ Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2008, § 28 Rn. 42 ff.; Jürgen Schwarze, Verfahren und Rechtsschutz im europäischen Wirtschaftsrecht, in: ders. (Hrsg.), Verfahren und Rechtsschutz im europäischen Wirtschaftsrecht, 2010, S. 9 (11 ff.); vgl. auch – wenngleich nach h. M. nicht an die Mitgliedstaaten adressiert – Art. 41 Abs. 2 GRCh sowie allgemein zu den Verfahrensgarantien des Unionsrechts Dieter H. Scheuing, Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit im Recht der Europäischen Union, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Bestand und Perspektiven des Europäischen Verwaltungsrechts, 2008, S. 45 (52 f.). Zu den mit dem Recht auf Akteneinsicht in sachlichem Zusammenhang stehenden, in Deutschland jedoch systemwidrig außerhalb des VwVfG, nämlich in Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der überwiegenden Zahl der Länder sowie in bereichsspezifischen Informationsgesetzen (Umwelt, Verbraucherschutz) geregelten Jedermann-Informationszugangsrechten vgl. für einen ersten Überblick und weitere Nachweise Reiner Schmidt/Wolfgang Kahl, Umweltrecht, 8. Aufl. 2010, § 1 Rn. 78 ff. 16 Vgl. nur Utz Schliesky, in: Hans Joachim Knack/Hans-Günter Henneke (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 3a Rn. 15 ff.; § 71e Rn. 1 ff. 17 Dazu Wolfgang Kahl, Grundzüge des deutschen Verwaltungsrechts, in: Armin von Bogdandy/Sabino Cassese/Peter M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. V, § 75, im Erscheinen; Matthias Ruffert, Europäisiertes allgemeines Verwaltungsrecht im Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 41 (2008), 543 ff. 18 Zusammenfassend Wolfgang Kahl/Lutz Ohlendorf, Die Europäisierung des subjektiven öffentlichen Rechts, JA 2011, 41 ff. 19 Hierzu statt vieler Matthias Ruffert, Der transnationale Verwaltungsakt, Die Verwaltung 34 (2001), 453 ff. 20 Zum Problem Schmidt/Kahl (Fn. 15), § 10 Rn. 70 ff., m.w.N. 21 Wolfgang Kahl, Europäisches und nationales Verwaltungsorganisationsrecht, Die Verwaltung 29 (1996), 341 ff. 22 Monika Böhm, Haftung, in: Reiner Schulze/Manfred Zuleeg/Stefan Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 12 Rn. 83 ff. 23 Dazu bündig Hansjochen Dürr, in: Hans Joachim Knack/Hans-Günter Henneke (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2010, Vor § 72 Rn. 27 ff. einerseits (UVP-RL), Rn. 33 ff.; § 74 Rn. 113 f. andererseits (FFH-RL); systematisch Klaus Ferdinand Gärditz, Europäisches Planungsrecht, 2009, insbes. S. 18 f., 35 ff., 108 ff.

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Einflussnahmen in umgekehrter Richtung, also des VwVfG auf das Unionsrecht und die europäische Rechtsprechung („Rechtsexport“)24.

Nach der Bestandsaufnahme wird der Versuch einer übergreifenden zwischenbilanzierenden Bewertung des aktuellen Standes der Europäisierung des VwVfG unternommen (III.). In dem abschließenden perspektivischen Teil (IV.) sollen einige rechtspolitische Überlegungen zum zukünftigen Verhältnis von „VwVfG und Europa“ vorgestellt werden.

II. Ausgewählte Schwerpunkte unionsrechtlicher Einflussnahmen auf das VwVfG 1. Die Lehre der Verwaltungsspielräume (§ 40 VwVfG) Was die Debatte um die Europäisierung der Ermessenslehre angeht, so haben sich – im Vergleich zur Diskussion noch in den neunziger Jahren, die insoweit noch ein Bild des scharfen Gegensatzes zwischen deutschen und europäischen Recht zeichnete – die Vorzeichen in jüngerer Zeit ersichtlich verschoben und die Konturen verwischt. Von einer „Phobie“25 gegenüber Tatbestandsermessen und Beurteilungsspielräumen der Verwaltung kann heute kaum mehr die Rede sein. Grund für diesen Wandel ist vor allem, aber nicht nur die als neue, eigenständige Kategorie26 des Regulierungsermessens. Der Begriff geht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Bereich des Tele___________ 24

Gerade hierbei handelte es sich aus wissenschaftlicher Sicht um einen interessanten, bislang eher vernachlässigten Untersuchungsgegenstand. Dazu dass es sich bei „der“ Europäisierung um ein reziprokes Phänomen und nicht um eine Einbahnstraße handelt bereits grundlegend Manfred Zuleeg und Hans-Werner Rengeling, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht – Wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), 154 ff.; 202 ff.; zuletzt Wolfgang Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft – ein Zwischenbericht, Die Verwaltung 42 (2009), 463 (470 f.). 25 So noch Rainer Wahl, Das deutsche Genehmigungs- und Umweltrecht unter Anpassungsdruck, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 237 (258 m. Fn. 64); vgl. auch mit ähnlicher Tendenz Brenner (Fn. 13), S. 391 ff., 412 ff., 430 f. 26 Claudio Franzius, Wer hat das letzte Wort im Telekommunikationsrecht?, DVBl. 2009, 409 (412 f.). A. A. (strukturelle Vergleichbarkeit mit dem Planungsermessen) Manfred Aschke, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), VwVfG, 2010, § 40 Rn. 28; zu den Unterschieden zur planerischen Abwägung vgl. aber überzeugend Klaus Ferdinand Gärditz, „Regulierungsermessen“ und verwaltungsgerichtliche Kontrolle, NVwZ 2009, 1005 (1008, 1010). Differenzierend Markus Ludwigs, Das Regulierungsermessen als Herausforderung für die Letztentscheidungsdogmatik im Verwaltungsrecht, JZ 2009, 290 (297).

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kommunikationsrechts (§§ 21, 30 TKG) zurück.27 Diese Rechtsprechung verwischt die Dichotomie von Tatbestand und Ermessen weiter28 und fügt sich in der Stoßrichtung in die entsprechende Judikatur des EuGH im Bereich des Regulierungsverwaltungsrechts ein. Auch der EuGH spricht mit Blick auf die dem TKG zugrunde liegenden sekundärrechtlichen Bestimmungen den nationalen Behörden in der Frage der Zugangs- und Entgeltregulierung weit reichende Beurteilungs- und Entscheidungsspielräume zu.29 Kennzeichnend für den Rückgriff auf die Figur des Regulierungsermessens ist, dass die Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe und die Ermessensentscheidung miteinander verknüpft werden. Die durch unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerte Tatbestandsabwägung (z. B. nach § 21 Abs. 1 Satz 2 TKG) kann so nicht mehr von der sich daran anschließenden Ermessensbetätigung getrennt werden. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich in der Folge auf das Vorliegen eines Abwägungsfehlers, handelt es sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts bei der national zuständigen Bundesnetzagentur doch um ein Organ mit besonderer fachlicher Kompetenz, das bei der Ausübung des Regulierungsermessens wertend tätig werde.30 Ungeachtet der – meines Erachtens berechtigten – Kritik, die an dem zu großzügigen Einsatz der Figur des Regulierungsermessens unter den Aspekten von Rechtsstaat, parlamentarischer Demokratie (insbesondere demokratischer und rechtsstaatlicher Vorbehalt des Gesetzes, effektiver Rechtsschutz), geübt wird,31 zeigt sich damit eines: Die Konvergenz der Dogmatik in Sachen Letztentschei___________ 27 Vgl. BVerwGE 130, 39 (48); 131, 41 (45 ff.); BVerwG, NVwZ 2009, 653 (658); 2010, 1359 (1361); zur Diskussion (mit unterschiedlicher eigener Bewertung) Thorsten Attendorn, Das „Regulierungsermessen“, MMR 2009, 238 ff.; Martin Eifert, Die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen der Bundesnetzagentur, ZHR 174 (2010), 449 ff.; Ludwigs (Fn. 26), S. 292, 295 f.; Franzius (Fn. 26), S. 410 ff.; Jan Oster, Normative Ermächtigungen im Regulierungsrecht, 2010, S. 158 ff. 28 Ebenso Ludwigs (Fn. 26), S. 291; zweifelnd Kopp/Ramsauer (Fn. 9), § 40 Rn. 21a. 29 EuGH, Rs. C-55/06, Arcor, Slg. 2008, I-2931Rn. 153 ff.; Rs. C-424/07, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, JZ 2010, 195 Rn. 61, 74, 81 ff., 91 ff.; dazu Franzius (Fn. 26), S. 409 f.; Klaus Ferdinand Gärditz , Urteilsanmerkung, JZ 2010, 198 (199 f.); ders. (Fn. 26), S. 1008. 30 BVerwGE 130, 39 (49); mit ähnlicher Grundtendenz Johannes Masing, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, Gutachten D zum 66. DJT, 2006, S. 156. 31 Überzeugend Gärditz (Fn. 26), S. 1006 ff.; vgl. auch ders., Regulierungsrechtliche Auskunftsanordnungen als Instrument der Wissensgenerierung, DVBl. 2009, 69 (71), wonach die „mangelnde Informiertheit des Gesetzgebers“ nicht ausreicht, um „innerhalb der abstrakten Regulierungsziele marktstrukturpolitische Grundsatzentscheidungen einseitig der vollziehenden Regulierungsverwaltung zu überlassen“, mit Blick auf den Energieregulierungsverbund ders., Europäisches Regulierungsverwaltungsrecht auf Abwegen, AöR 135 (2010), 251 (275 ff.); für den TK-Regulierungsverbund ders., Gestaltungsspielräume und Gestaltungsverantwortung des nationalen Gesetzgebers im europäischen Telekommunikationsregulierungsrecht, N&R Beilage 2/2011, 1 (8 ff., 36 ff.).

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dungsbefugnisse der Verwaltung hat sich innerhalb der EU spürbar erhöht.32 Hierzu tragen auch andere nationale Tendenzen bei, etwa die starke Betonung fachlich-administrativer Einschätzungsprärogativen in der jüngeren Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts zum Europäischen Naturschutzrecht.33 Es lässt sich somit von einer generellen Entwicklungslinie sprechen, die auf beiden Ebenen (national und unional) in Richtung von Eigenständigkeit der Verwaltung, Rückbau der Kontrolle und Ausdünnung parlamentsgesetzlicher Steuerung weist. Kurzum: Es gibt einen Megatrend innerhalb der EU in Richtung von mehr entpolitisierter Expertokratie und „unabhängiger Verwaltung“,34 den das Primärrecht in Art. 298 Abs. 1 AEUV nunmehr ausdrücklich begrüßt35 und dem der EuGH durch sein (zu) extensives, auf nationale organisationsrechtliche Strukturen keine Rücksicht nehmendes Verständnis von „völliger Unabhängigkeit“36 der für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich in den deutschen Ländern zuständigen Stellen weiteren Vorschub geleistet hat37.

___________ 32

So für das Regulierungsermessen auch Ulrich Stelkens, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, DVBl. 2010, 1078 (1085). 33 Vgl. BVerwGE 118, 15 (20); 121, 72 (84); 126, 166 (179); 131, 274 (296); kritisch dazu Wolfgang Kahl, Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zum Umweltrecht, JZ 2010, 718 (724). Weitere Bereiche gesteigerter Ermessensverwaltung ergaben sich infolge der Umsetzung der IVU- und der Wasserrahmenrichtlinie der EU, vgl. dazu Kahl (Fn. 3), S. 75 f. Auch im Schrifttum gibt es eine breitere Strömung für eine stärkere Eigenverantwortung der Verwaltung unter Relativierung sowohl des Vorbehalts des Gesetzes und des tradierten Konzepts gerichtlicher Kontrolle, vgl. etwa dezidiert in diesem Sinne Wolfgang Hoffmann-Riem, Gesetz und Gesetzesvorbehalt im Umbruch, AöR 130 (2005), 5 (41, 51 f.). 34 Gärditz (Fn. 29), S. 200 f.; ders. (Fn. 26), S. 1010: „Ausdruck eines allgemeinen administrative turn, der bedenklich stimmt“ (Hervorhebung im Original). 35 Vgl. Claudio Franzius, Gewährleistung im Recht, 2009, 416 ff. (424 ff.), 516 ff. 36 I.S.v. Art. 28 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl.EG 1995 Nr. L 281, S. 31. Vgl. auch Art. 16 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 AEUV. 37 EuGH, Urt. v. 9.3.2010, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-518/07, NJW 2010, 1265 Rn. 27 ff. (36). Mit Recht kritisch hierzu Hans Peter Bull, Die „völlig unabhängige“ Aufsichtsbehörde – Zum Urteil des EuGH vom 9.3.2010 in Sachen Datenschutzaufsicht, EuZW 2010, 488 (491 f.); Wolfgang Durner, Unabhängigkeit der Kontrollstellen für den Datenschutz, JA 2010, 678 (680); Eike Frenzel, „Völlige Unabhängigkeit“ im demokratischen Rechtsstaat, DÖV 2010, 925 (927 ff.); Indra Spiecker genannt Döhmann, Anmerkung, JZ 2010, 787 (789 f., 791); anders auch GA Ján Mázak, Schlussantr. v. 12.11.2009, Rs. C-518/07, Nr. 31. Dem EuGH dagegen zustimmend Dirk Ehlers, JK 2/11, EG RL 95/46/EG Art. 28/1; Alexander Roßnagel, Urteilsanmerkung, EuZW 2010, 299 (299 f.); vgl. auch Marie-Theres Tinnefeld/Thomas Petri, Urteilsanmerkung, MMR 2010, 355.

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2. Verfahrensfehlerfolgen beim Verwaltungsakt (§§ 45, 46 VwVfG) Auch was die Unterschiede hinsichtlich der Folgen von Verfahrensfehlern beim Erlass eines Verwaltungsaktes angeht, werden die Unterschiede zwischen deutscher und europäischer Konzeption häufig zu pauschal und holzschnittartig gezeichnet. Letztlich hilft auch insoweit nur eine genauere Betrachtung der jeweils konkreten Ausgestaltung des Grundsatz-Ausnahme-Verhältnisses. Gewiss: Nicht zuletzt die erhebliche Zahl und Reichweite der in den §§ 45 und 46 VwVfG normierten Ausnahmen enthüllt einen im europäischen Vergleich eher niedrigen Stellenwert des Verwaltungsverfahrens in Deutschland (sog. dienende Funktion des Verfahrens).38 Die Kausalitätsrechtsprechung des BVerwG, die die Sachentscheidung nur aufheben will, wenn die „konkrete Möglichkeit“ besteht, dass die Sachentscheidung ohne den Verfahrensfehler in Bezug auf die materielle Rechtsposition des Klägers anders, das heißt für ihn günstiger, ausgefallen wäre,39 hat diesen „deutschen“ Grundansatz ebenso noch weiter verschärft wie die sog. Beschleunigungsgesetzgebung (insbesondere das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12.9.1996)40. Zugleich darf aber zweierlei nicht übersehen werden: Zum einen gibt es auch in Deutschland seit einiger Zeit verschiedene, in Richtung auf eine verstärkte Prozeduralisierung weisende Gegenentwicklungen.41 Zum anderen kennen weder die ausländischen Rechtsordnungen noch das EU-Eigenverwaltungsrecht eine ausnahmslose Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern auch bei Nicht-Kausalität für die

___________ 38 Eingehend und differenziert dargelegt bei Renate Bülow, Die Relativierung von Verfahrensfehlern im Europäischen Verwaltungsverfahren und nach §§ 45, 46 VwVfG, 2007, S. 58 ff., 239 ff., 304 ff., 320 ff.; Benedikt Grünewald, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, 2010, S. 123 ff.; Christian Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 116 ff. 39 BVerwGE 69, 256 (269 f.), st. Rspr.; vgl. etwa noch BVerwGE 78, 347 (356); 100, 238 (246, 250); 100, 370 (376); 122, 207 (213); 130, 83 (94 f.); berichtend (und dabei mit Recht kritisch zur Divergenz zwischen dem konkreten Auswirkungskriterium der Rechtsprechung und dem Normtext des § 46 VwVfG) dazu Anja Kleesiek, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 58 f., 60 ff., 67. Der Kausalitätsnachweis ist deshalb problematisch, weil er sich in der Praxis häufig nur schwer führen lässt, vgl. Ralf Alleweldt, Verbandsklage und gerichtliche Kontrolle von Verfahrensfehlern, DÖV 2006, 621 (627). 40 Zum Ganzen statt vieler Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/ ders./Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2008, § 27 Rn. 86 ff., m.w.N. 41 Näher: Kleesiek (Fn. 39), S. 24 ff.; Quabeck (Fn. 38), S. 173 ff., 190 ff.

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Sachentscheidung.42 §§ 45, 46 VwVfG als solche sind daher nicht unionsrechtswidrig, insbesondere verstoßen sie nicht gegen das Effektivitätsgebot.43 Wenn das Eigenverwaltungsrecht der Union Verfahrensbestimmungen gleichwohl insgesamt in der Tendenz eine größere Bedeutung beimisst als das deutsche Verwaltungsrecht, so mag man dies aus Gründen der Transparenz oder Einheit des Rechts politisch bedauern, rechtlich zwingende Folgen resultieren aus diesem Nebeneinander freilich nicht (Trennungsprinzip, Verfahrensautonomie);44 politisch lässt sich der Einheitsthese entgegenhalten, dass es der ___________ 42

So zutreffend Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 487 (502); vgl. auch Peter Baumeister, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, 2006, S. 281 ff.; Kleesiek (Fn. 39), S. 107; Martin Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und Europäisches Recht, 2005, S. 55 f.; Jost Pietzcker, Verfahrensrechte und Folgen von Verfahrensfehlern, in: FS für Hartmut Maurer, 2001, S. 695 (698 ff.). Auf die neben der gerichtlichen Kassation bestehenden sonstigen Sanktionsmöglichkeiten (Rechtsaufsicht, Disziplinarrecht) weist U. Stelkens (Fn. 32), S. 1082 f. hin, räumt aber selbst deren Leistungsschwächen ein (ebd., S. 1083); daher mit Recht für „Unerlässlichkeit“ der grundsätzlichen Einklagbarkeit von Verfahrensfehlern Kleesiek, ebd., S. 37 f. 43 Zuletzt für § 46 VwVfG zutreffend herausgearbeitet von Kleesiek (Fn. 39), S. 120 ff., 123 f.; im Ergebnis ebenso Schmidt-Aßmann (Fn. 40), § 27 Rn. 110; U. Stelkens (Fn. 32), S. 1081, m.w.N. in Fn. 32. A. A. (Unionsrechtswidrigkeit) dagegen bei Bernhard Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 297 f.; Kopp/Ramsauer (Fn. 9), § 46 Rn. 20; wohl auch Claus Dieter Classen, Rechtsschutz, in: Reiner Schulze/Manfred Zuleeg/Stefan Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 4 Rn. 123 (Verstoß gegen Effektivitätsgebot), allerdings mit eher unklarer Folgerung; generell wird das eindeutige Urteil einer Unionsrechtswidrigkeit von § 46 VwVfG auch von den Kritikern der Norm eher selten gezogen, vgl. berichtend Kleesiek, ebd., S. 82 ff. 44 Schmidt-Aßmann (Fn. 42), S. 502; Rainer Wahl, Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessrecht in europäischer Sicht, DVBl. 2003, 1285 (1290 f.); diesem zustimmend Grünewald (Fn. 38), S. 248: „kein Anlass für eine derartige Radikalkur, deren Umsetzbarkeit auch politisch fragwürdig ist“. Weitergehend dagegen Hermann Pünder, Verwaltungsverfahren, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 13 Rn. 20; § 14 Rn. 62 und auch noch Wolfgang Kahl, Grundrechtsschutz durch Verfahren in Deutschland und in der EU, VerwArch 95 (2004), 1 (16 ff.). Die dortige „Homogenisierungsthese“ zielt nach meiner heutigen Einschätzung primär auf einen generellen faktischen Konvergenzdruck auf Deutschland in Richtung auf eine Aufwertung des Verfahrensgedanken und ist insofern primär eine Frage der Rechtspolitik; zur Kritik an der „Homogenisierungsthese“ s. stellv. Susanne Hegels, EG-Eigenverwaltungsrecht und Gemeinschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 186 ff. Bei juristisch-dogmatischer Betrachtung ist von einer eingeschränkten, nämlich durch punktuelle Homogenisierung bzw. (synonym) Parallelisierung durchbrochenen Autonomiethese auszugehen; ähnlich, mit Unterschieden im Detail Bülow (Fn. 38), S. 425 ff.; Kleesiek (Fn. 39), S. 108 ff. (112); Wahl, ebd., S. 1291 ff.; Friedrich Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Eberhard Schmidt-Aßmann/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 279 (312 f.); Grünewald (Fn. 38), S. 249; Eberhard Schmidt-Aßmann, Europäisches Verwaltungsverfah-

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EU ausweislich der Verträge nicht um Einheit als solche, sondern um „Einheit in Vielfalt“ geht. Andererseits bedeutet dies aber keine uneingeschränkte Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Verfahrensfehlerfolgenregime.45 Gravierende Abweichungen des deutschen Rechts vom Eigenverwaltungsrecht der EU können vielmehr im Einzelfall ein negatives Indiz dafür sein, dass das nationale Recht auch den effektiven Vollzug des Unionsrechts beeinträchtigen könnte.46 In diesem Sinne lässt sich dann auch eine punktuelle unionsrechtskonforme restriktive Auslegung der nationalen Vorschriften fordern, soweit die nationalen Vorschriften ansonsten die Durchsetzung elementarer europäischer Verfahrenspositionen behindern würden.47 Konkret trifft jeden Mitgliedstaat, dessen Normgestaltung im Einzelfall erheblich von der des Eigenverwaltungsrechts abweicht, die Beweislast dafür, dass es sich jeweils um eine den Effektivitätsvorgaben des Art. 4 Abs. 3 EUV und den allgemeinen Grundrechtspositionen noch genügende Lösung handelt.48 Den vorstehend genannten Beweis kann der deutsche Gesetzgeber mit Blick auf § 46 VwVfG für wesentliche Verfahrensvorschriften, die – wie häufig im Unionsrecht – einen substanziellen Eigenwert haben und Mitwirkungsrechte anderer Personen oder Stellen begründen, rechtliches Gehör gewährleisten oder eine effektive gerichtliche Kontrolle garantieren, nicht antreten, weshalb § 46 VwVfG insoweit der einschränkenden unionsrechtskonformen Auslegung bedarf.49 Aber auch § 45 Abs. 2 VwVfG bedarf der partiellen Korrektur: Aus ___________ rensrecht, in: Peter-Christian Müller-Graff (Hrsg.), Perspektiven des Rechts in der Europäischen Union, 1998, S. 131 (139); Quabeck (Fn. 38), S. 109 ff. 45 So aber z. B. Hans-Jürgen Papier, Direkte Wirkung von Richtlinien der EG im Umwelt- und Technikrecht, DVBl. 1993, 809 (814). Hierzu und zu weiteren Vertretern einer uneingeschränkten Autonomiethese kritisch Kahl (Fn. 44), S. 13 ff. (15 f. m. Fn. 108). 46 Jörg Gundel, Verwaltung, in: Reiner Schulze/Manfred Zuleeg/Stefan Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 3 Rn. 178 f., der darauf hinweist, dass die für das Eigenverwaltungsrecht der EU etablierten Lösungen aber zugleich auch die „Obergrenzen“ dessen markieren, was von den Mitgliedstaaten gefordert werden kann; ähnlich Martin Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, in: GS für Eberhard Grabitz, 1995, S. 447 (460). 47 Kahl (Fn. 3), S. 74; ders. (Fn. 44), S. 25; vgl. auch Hegels (Fn. 44), S. 84 ff. (88); Kleesiek (Fn. 39), S. 124. 48 Gundel (Fn. 46), § 3 Rn. 178. 49 Ebenso – mit Unterschieden im Detail – Klaus Ferdinand Gärditz, Klagerechte der Umweltöffentlichkeit im Umweltrechtsbehelfsgesetz, EurUP 2010, 210 (216); Grünewald (Fn. 38), S. 268 ff.; ders., Subjektive Verfahrensrechte als Folge der Europäisierung des Bauplanungsrechts, NVwZ 2010, 1520 (1524); Kahl (Fn. 44), S. 26; Kleesiek (Fn. 39), S. 264 f.; Pünder (Fn. 44), § 14 Rn. 67; Matthias Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 269 f.; Jan Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, 263 (266); allgemein kritisch zur Wertentscheidung des § 46 VwVfG Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungskultur, NVwZ 2007, 40 (41); a. A. Markus Appel, Subjektivierung von

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der Rechtsprechung des EuGH für das Eigenverwaltungsrecht lässt sich die Wertung entnehmen, dass eine Heilung bei Verstößen gegen fundamentale Verfahrenspositionen wie das Anhörungs- und Begründungsrecht nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens grundsätzlich ausgeschlossen ist, weil bei einer nachträglichen Anhörung oder Begründung deren potentieller Einfluss auf das Ergebnis der Entscheidung nicht mehr hinreichend sichergestellt ist.50

3. Bestandskraft und Aufhebung von Verwaltungsakten (§§ 43 Abs. 2, 48 ff. VwVfG) Besonders maßgeblich hat das Unionsrecht und hier vor allem die Rechtsprechung des Gerichtshofs die Anwendung der nationalen Vorschriften über die Bestandskraft (§ 43 Abs. 2 VwVfG) und Aufhebung (§§ 48 ff. VwVfG) von Verwaltungsakten beeinflusst. Betroffen hiervon sind sowohl begünstigende als auch belastende Akte.51

___________ UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz?, NVwZ 2010, 473 (477 f.); U. Stelkens (Fn. 32), S. 1081 f., dessen Ansicht mit Blick auf die unterlassene(!) UVP aber § 4 UmwRG gegen sich haben dürfte. § 4 Abs. 1 UmwRG ist – im Gegenteil – insoweit unionsrechtswidrig, als die dort nicht erwähnten wesentlichen Verfahrensfehler weiterhin grundsätzlich folgenlos bleiben, wie hier Gärditz, ebd.; Mario Genth, Ist das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz europarechtskonform?, NuR 2008, 28 (31 f.); Grünewald (Fn. 38), S. 261; Kleesiek, ebd., S. 266; Martin Kment, Das neue UmweltRechtsbehelfsgesetz und seine Bedeutung für das UVPG – Rechtsschutz des Vorhabenträgers, anerkannter Vereinigungen und Dritter, NVwZ 2007, 274 (277 f.); Alexander Schmidt/Peter Kremer, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und der „weite Zugang zu Gerichten“, ZUR 2007, 57 (62). 50 Vgl. EuGH, Rs. C-315/99, Ismeri Europa/Rechnungshof, Slg. 2001, I-5281 Rn. 31 (nachträgliche Anhörung); verb. Rs. C-329/93, C-62/95 und C-63/95, Deutschland u. a./Kommission, Slg. 1996, I-5151 Rn. 48 (nachträgliche Begründung); Kahl (Fn. 44), S. 20 ff.; Juliane Kokott, Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, Die Verwaltung 31 (1998), 335 (367 f.); Kopp/Ramsauer (Fn. 9), § 28 Rn. 11a; § 45 Rn. 5a; Claus Dieter Classen, Das nationale Verwaltungsverfahren im Kraftfeld des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Die Verwaltung 31 (1998), 307 (324); Grünewald (Fn. 38), S. 263 ff.; Kment (Fn. 42), S. 83 ff.; Pünder (Fn. 44), § 14 Rn. 62; wohl auch UerpmannWittzack (Fn. 12), S. 285; weitergehend (Verdrängung von § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG auch im behördlichen Verfahren) Juliane Kokott, Nationales Subventionsrecht im Schatten der EG, DVBl. 1993, 1235 (1238); zum Ganzen auch Schoch (Fn. 44), S. 296 ff.; a. A. U. Stelkens (Fn. 32), S. 1081. 51 Henning Juntunen, Die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf die Bestandskraft von Verwaltungsakten und die Rechtskraft von Gerichtsurteilen, 2009, S. 132 ff., 162 ff.

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a) Alcan-Doktrin Zwar hat der EuGH frühzeitig betont, dass er der Bestandskraft von begünstigenden Verwaltungsakten aus Gründen des Vertrauensschutzes einen hohen Stellenwert einräumt,52 gleichwohl macht insbesondere das Alcan II-Urteil53 deutlich, dass die §§ 48, 49a VwVfG im Fall der Rückabwicklung unionsrechtswidriger staatlicher Beihilfenbescheide ohne eine sehr weitgehende europarechtliche Überformung nicht mehr unionsrechtskonform wären. Zur Sicherstellung eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt hat die AlcanDoktrin von § 48 VwVfG letztlich nur noch eine leere Hülse übrig gelassen und auch § 49a VwVfG modifiziert. Das Problem ist dabei nicht so sehr, dass der EuGH dabei im Interesse der Wettbewerbsfreiheit der Konkurrenten sowie der Sicherung eines unverfälschten Wettbewerbs von der Gefahr eines „kollusiven“ Zusammenwirkens und folglich im Hinblick auf die Grundsätze von Vertrauensschutz und Rechtssicherheit von einer „Haftungseinheit“ von Beihilfeempfänger und dessen Mitgliedstaat ausgeht; diese Prämisse ist heute weithin akzeptiert und auch nicht unschlüssig. Das Problem ist ein anderes: Es besteht zum einen in der diametralen Diskrepanz von formaler und materialer Rechtslage in Deutschland. Zum anderen liegt es in dem weitgehenden faktischen Ausfall eines an ein Verhalten der Kommission54 anknüpfenden Vertrauens___________ 52

EuGH, verb. Rs. 205-215/82, Deutsche Milchkontor GmbH u. a./Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1983, 2633 Rn. 33; Rs. C-298/96, Oelmühle und Schmidt Söhne, Slg. 1998, I-4767 Rn. 24 ff.; Rs. C-104/97, Atlanta, Slg. 1999, I-6983 Rn. 52; Rs. C336/00, Huber, Slg. 2002, I-7736, Rn. 56 f.; Paul Craig, EU Administrative Law, 2006, S. 607 ff. 53 EuGH, Rs. C-24/95, Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH, Slg. 1997, I-1607 Rn. 34 ff., ebenso BVerwGE 106, 328 (334 ff.); BVerfG, NJW 2000, 2015; zur Kritik und Anti-Kritik an der Alcan-Doktrin vgl. statt vieler Hubert Meyer, in: Hans Joachim Knack/Hans-Günter Henneke (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 48 Rn. 27 f., m.w.N. Die kritische deutsche Debatte um den Vertrauensschutz bei der Rücknahme bestandskräftiger unionsrechtswidriger Beihilfebescheide rechtsvergleichend als „singulär“ bezeichnend Matthias Ruffert, Europäisierung des Verwaltungsrechts, in: Armin von Bogdandy/Sabino Cassese/Peter M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum (IPE), Bd. V, im Erscheinen, § 95 Rn. 36. Darauf, dass die filigrane Regelung des § 48 VwVfG „keine rechtsstaatlich zwingende Systementscheidung“ abbildet, sondern die Feingewichtung zwischen rechtsstaatlicher Fehlerkorrektur und rechtsstaatlichem Vertrauensschutz auch jederzeit anders vorgenommen werden könnte, weist Klaus Ferdinand Gärditz, in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblattwerk (Stand: 1/2011), C Art. 20 (6. Teil), Rn. 94 (im Erscheinen), hin; vgl. zum Ganzen auch Stephan Neidhardt, Nationale Rechtsinstitute als Bausteine europäischen Verwaltungsrechts, 2008, S. 119 ff.; Joachim Suerbaum, Die Europäisierung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts am Beispiel der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger staatlicher Beihilfen, VerwArch 91 (2000), 169 ff. 54 v. Danwitz (Fn. 13), S. 558; Dieter H. Scheuing, Rechtsprechungsanalyse – Europäisierung des Verwaltungsrechts, Die Verwaltung 34 (2001), 107 (131). Dazu, dass Vertrauensschutz auf nationaler Ebene nur in „theoretischen Extremfällen“ in Betracht

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schutzes in der bisherigen Rechtsprechungspraxis der EU-Gerichte. Diese führen Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zwar als Verbalfloskeln gerne im Munde, bejahen deren Voraussetzungen, insbesondere das Vorliegen eines ein berechtigtes Vertrauen entstehen lassenden „außergewöhnlichen Umstands“, aber so gut wie nie.55

b) Kühne und Heitz-Doktrin Hinsichtlich der Europäisierung der Durchbrechung der Bestandskraft unionsrechtswidriger belastender Verwaltungsakte stand in den zurück liegenden Jahren vor allem die sog. Kühne und Heitz-Doktrin56 im Vordergrund, die in der Folgezeit vor allem in den Entscheidungen „i-21 Germany und Arcor“57 und „Kempter“58 fortgeführt und teilweise fortentwickelt wurde.59 Diese Rechtsprechung respektiert die nationale Verfahrensautonomie überzeugend und zielt ersichtlich auf eine schonende Einpassung der dem Effektivitätsgrundsatz geschuldeten unionsrechtlichen Vorgaben in die gewachsenen mitgliedstaatlichen Verwaltungsstrukturen unter Vermeidung einer Überbetonung des effet-utileGedankens.60 Der Gerichtshof geht davon aus, dass allein aus der Europarechtswidrigkeit noch keine Pflicht zur Überprüfung des in Frage stehenden Verwaltungsaktes oder gar zu dessen Aufhebung resultiert.61 Nur in besonderen ___________ kommt Markus Ludwigs, Handlungsmöglichkeiten des Beihilfeempfängers im Rahmen der Dezentralisierung der Europäischen Beihilfenkontrolle, EWS 2007, 7 (10 f.). 55 Vgl. die Darstellung der Rechtsprechung bei v. Danwitz (Fn. 13), S. 558 f.; Ludwigs (Fn. 54), S. 8 ff. Zuletzt etwa restriktiv im Hinblick auf Vertrauensschutz und Rechtssicherheit für den Fall, dass die Kommission drei aufeinanderfolgende, eine Beihilfe für binnenmarktkonform erklärende Entscheidungen erlassen hat, die vom Unionsgericht für nichtig erklärt worden sind, EuGH, Rs. C-1/09, CELF II, NVwZ 2010, 631 Rn. 41 ff. (51 f.; 53, 55). 56 EuGH, Rs. C-435/00, Kühne & Heitz NV/Produktschap voor Pluimvee en Eieren, Slg. 2004, I-837 Rn. 20 ff. (25 ff.). 57 EuGH, verb. Rs. C-392/04 und C-422/04, i-21 Germany GmbH bzw. Arcor/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 2006, I-8559 Rn. 33 ff. (52 ff.). 58 EuGH, Rs. C-2/06, Willy Kempter, Slg. 2008, I-411 Rn. 38 ff. (insbes. Rn. 44 ff., 59 f.). 59 Zusammenfassend Ruffert (Fn. 17), S. 544 ff. 60 Kahl (Fn. 11), Art. 4 EUV Rn. 118; Markus Ludwigs, Urteilsanmerkung, JZ 2008, 466 (466, 469); Ruffert (Fn. 17), S. 591. Dies gilt auch für die – teilweise parallele – Rechtsprechung des EuGH zur Durchbrechung der Rechtskraft nationaler Gerichtsentscheidungen aus Gründen des Art. 4 Abs. 3 EUV, vgl. Stefanie Schmahl/Michael Köber, Durchbrechung der Rechtskraft nationaler Gerichtsentscheidungen zu Gunsten der Effektivität des Unionsrechts?, EuZW 2010, 927 (insbes. deren Gesamtbewertung ebd., S. 932). 61 EuGH, Rs. C-435/00, Kühne & Heitz NV/Produktschap voor Pluimvee en Eieren, Slg. 2004, I-837 Rn. 28; Ehlers (Fn. 10), § 5 Rn. 46; Klaus Ferdinand Gärditz, Die Be-

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Ausnahmekonstellationen, sprich bei qualifizierten Verstößen ist die Verwaltungsbehörde nach Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, sofern sie eine entsprechende Befugnis im nationalen Recht hierzu ermächtigt, ihre Entscheidung zumindest zu überprüfen, etwa um im Falle einer nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftigen, aber unionsrechtswidrigen Verwaltungsentscheidung einer später vorgenommenen Auslegung der zugrunde liegenden Norm durch den EuGH Rechnung zu tragen, aus der sich diese Unionsrechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung ergibt.62 Eine solche Ausnahme sah der EuGH im Fall „Kühne und Heitz“ in der offenen Missachtung der Vorlagepflicht (Art. 267 Abs. 3 AEUV)63 durch das letztinstanzliche nationale Gericht.64 Die Umsetzung der Kühne und Heitz-Vorgaben im deutschen Verwaltungsrecht fordert keine Korrektur des § 51 VwVfG, weder hinsichtlich der Auslegung von dessen Abs. 1 Nr. 165 noch gar de lege ferenda (Schaffung eines § 51 Abs. 1 Nr. 4 n.F. für Kühne und Heitz-Konstellation).66 Weitaus ungezwungener lassen sich die Vorgaben nämlich bereits in den Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiten Sinne aus § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG einpassen, wobei den Interessen des Unionsrechts im Einzelfall durch ___________ standskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte zwischen Kasuistik und Systembildung, NWVBl. 2006, 441 (447). 62 EuGH, Rs. C-453/00, Kühne & Heitz NV/Produktschap voor Pluimvee en Eieren, Slg. 2004, I-837 Rn. 25 ff.; EuGH, Rs. C-2/06, Willy Kempter, Slg. 2008, I-411 Rn. 38 ff.; EuGH, verb. Rs. C-392/04 und C-422/04, i-21 Germany GmbH bzw. Arcor/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 2006, I-8559 Rn. 52. 63 Voraussetzung ist jedoch, dass der unionsrechtliche Gesichtspunkt, dessen Auslegung sich in Anbetracht eines späteren Urteils des EuGH als unrichtig erwiesen hat, von dem letztinstanzlichen nationalen Gericht entweder geprüft wurde oder von Amts wegen hätte aufgegriffen werden können; für ein insoweit negatives Beispiel (wegen Bindung des VGH an die Nicht-Darlegung eines auf das Unionsrecht bezogenen Berufungszulassungsgrundes durch den Kläger gemäß § 124a Abs. 5 S. 2 VwGO) vgl. BVerwG, NVwZ 2010, 652 Tz. 21 f. 64 Zu den präzisen Einzelvoraussetzungen der Kühne und Heitz-Doktrin s. EuGH, Rs. C-453/00, Kühne & Heitz NV/Produktschap voor Pluimvee en Eieren, Slg. 2004, I837 Rn. 27 f.; Kahl (Fn. 11), Art. 4 EUV Rn. 74. 65 So aber Anne Lenze, Die Bestandskraft von Verwaltungsakten nach der Rechtsprechung des EuGH, VerwArch 97 (2006), 49 (58). Nach (bisheriger) st. Rspr. bedeutet ein Wandel der Rechtsprechung keine „Änderung der Rechtslage“ i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, vgl. zuletzt wieder BVerwG, NVwZ 2010, 656 Tz. 21; dies gilt auch für die Rspr. europäischer Gerichte (EuGH, EuG, EGMR), vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 1097; NVwZ 2010, 652 Tz. 16. Zur abschließenden Natur der Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 Nr. 1-3 VwVfG und folglich Unzulässigkeit einer Analogie: BVerwG, NVwZ 2010, 652 Tz. 18. 66 Wie hier Markus Ludwigs, Der Anspruch auf Rücknahme rechtswidriger belastender Verwaltungsakte, DVBl. 2008, 1164 (1172).

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eine Ermessensreduzierung auf Null67 mit der dann eintretenden Folge einer Pflicht zur Aufhebung der unionsrechtswidrigen Maßnahme hinreichend Rechnung getragen werden kann.68

c) Papenburg(-Doktrin?) Im Vergleich mit den Vorgaben der Alcan-Doktrin konnte bislang gelten, dass unionsrechtliche Überlagerungen im Falle der Aufhebung rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakte nur in sehr geringem Umfang bestanden.69 Dies hat sich mit der Rechtssache Papenburg70 geändert. Mit ihr ist auch die Widerrufsdogmatik in den „Griff“ des Europarechts geraten. Allerdings ist gegenwärtig noch offen, ob es sich dabei um eine Entscheidung nur für eine eng begrenzte Sonderkonstellation (Gebietsschutz nach der FFH–Richtlinie, insbesondere Wahrung des Störungs- und Verschlechterungsverbots gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie) oder gleichfalls um einen für das Verwaltungsverfahrensrecht allgemein wichtigen „leading case“ mit weitreichenden (in der Tendenz abträglichen) Auswirkungen für Rechtssicherheit und Vertrauensschutz handelt. Für Letzteres dürfte in Anbetracht des vom EuGH allgemein formulierten Anspruchs, bestandskräftige Genehmigungen dürften die Verwirklichung nachträglich erlassenen Unionsrechts nicht schlechterdings ausschließen, mehr sprechen.71 Die Einpassung dieser Judikatur in die deutsche Verwaltungsrechtsdogmatik ist nicht ganz einfach: Der Widerruf einer alten Genehmigung gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwVfG wegen veränderter Rechtslage scheitert in der Regel daran, dass der Betroffene von der Vergünstigung (Genehmigung) be___________ 67

Zu deren Voraussetzungen s. BVerwG, NVwZ 2010, 652 Tz. 20. Wie hier Gabriele Britz/Tobias Richter, Die Aufhebung eines gemeinschaftsrechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts, JuS 2005, 198 (201 f.); Ehlers (Fn. 10), § 5 Rn. 46; Gärditz (Fn. 61), S. 447; Juntunen (Fn. 51), S. 206 ff.; Kahl (Fn. 11), Art. 4 EUV Rn. 74; Meyer (Fn. 53), § 48 Rn. 21, der insbesondere darauf hinweist, dass der EuGH die nationale Behörde im Fall „Kühne und Heitz“ nur zur „Überprüfung“, nicht zur Revision verpflichtet hat. Daher ist keine generelle Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen von § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG anzunehmen; a.A. Ludwigs (Fn. 66), S. 1172 f.; Wolfgang Weiß, Bestandskraft nationaler belastender Verwaltungsakte und EG-Recht, DÖV 2008, 477 (485 f.); offenlassend BVerwG, NVwZ 2010, 652 Rn. 18; dazu Friedrich Schoch, JK 11/10, VwVfG § 51/6. 69 v. Danwitz (Fn. 13), S. 566. 70 EuGH, Rs. C-226/08, Stadt Papenburg/Deutschland, DVBl. 2010, 242 Rn. 41-51 (insbes. Rn. 46). 71 Wie hier Klaus Ferdinand Gärditz, Kein Bestandsschutz für rechtmäßig genehmigte Vorhaben im europäischen Naturschutzrecht?, – Zu EuGH, Urt. v. 14.1.2010 – C-226/08 (Stadt Papenburg/Deutschland), DVBl. 2010, 247 (249); Andreas Glaser, Anmerkung, EuZW 2010, 225 (226). 68

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reits Gebrauch gemacht hat. Sofern der Widerruf nicht von vornherein im Verwaltungsakt vorbehalten war (§ 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwVfG), kann er daher nach geltendem deutschen Recht überhaupt nur auf § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG gestützt werden. Dies setzt eine entsprechende unionsrechtskonforme Auslegung des Begriffs „schwere Nachteile des Gemeinwohls“ voraus, die in Anbetracht der Weite dieser Begriffe aber möglich sein dürfte. Soweit Spezialvorschriften den § 49 VwVfG an sich verdrängen, aber einen Widerruf ausschließend oder keinen passenden Widerrufsgrund kennen, verschärfen sich die Umsetzungsprobleme zusätzlich.72 Perspektivisch wäre daher aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit die Aufnahme eines speziellen Widerrufsgrundes zu erwägen, sollte sich „Papenburg“ zu einer allgemeinen Doktrin verfestigen.

4. Fehlerfolgen beim Verwaltungsakt (§§ 58, 59 VwVfG) Im Gegensatz zur Rückabwicklung auch materiell unionsrechtswidriger Subventionsbescheide ist die Rückabwicklung nur formell unionsrechtswidriger73 Beihilfenverwaltungsverträge bislang dogmatisch noch nicht abschließend gesichert.74 Eine Möglichkeit wird hier darin gesehen, parallel zur BGHRechsprechung für privatrechtliche Subventionsverträge,75 Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages gemäß § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB entsprechend anzunehmen.76 Dies setzt voraus, dass man § 134 BGB im Rahmen des § 59 Abs. 1 VwVfG überhaupt anwendet77 und Art. 108 Abs. 3 Satz 3 ___________ 72

Gärditz (Fn. 71), S. 249 f., der aber auch zutreffend darauf hinweist, dass der Widerruf alter Genehmigungen auch im Lichte von „Papenburg“ nicht generell geboten ist, sondern nur eine „hinreichende Verwirklichungschance für das Unionsrecht“ bestehe müsse. Dies schließt etwa auch die Möglichkeit zur nachträglichen Befristung von Altgenehmigungen im Einzelfall mit ein. 73 „Rechtswidrige Beihilfen“ i.S.d. Art. 1 lit. f der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 88 des EGVertrages (jetzt: Art. 108 AEUV), sog. Beihilfeverfahrensverordnung (im Folgenden: BVVO); vgl. auch Art. 10 ff., insbes. Art. 11, 14 Abs. 3 BVVO. 74 Vgl. Martin Gellermann, Verwaltungsvertragliche Subventionsverhältnisse im Spannungsverhältnis zwischen Beihilfenkontrolle und Verwaltungsverfahrensrecht, DVBl. 2003, 481 (481 f.). 75 BGH, EuZW 2003, 444 f.; NVwZ 2004, 636 (637); EuZW 2004, 254 (255); berichtend, auch zu der – m.E. überzeugenden – Gegenansicht im zivilrechtlichen Schrifttum Christopher Finck/Elke Gurlit, Die Rückabwicklung formell unionsrechtswidriger Beihilfen, JURA 2011, 87 (90 f.). 76 Hierfür Barbara Remmert, Nichtigkeit von Verwaltungsverträgen wegen Verstoßes gegen das EG-Beihilfenrecht, EuR 2000, 469 (477 f.); Gellermann (Fn. 74), S. 485 f.; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 14 Rn. 43a. 77 Dafür die h.M., vgl. zum Meinungsstand statt vieler Maurer (Fn. 74), § 14 Rn. 41 ff.

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AEUV78 als gesetzliches Verbot (i.S.d. § 134 BGB entsprechend) qualifiziert.79 Letztlich geht diese Position aber über das zur Beachtung des Effektivitätsgebots Erforderliche hinaus und ist daher insbesondere80 aus Gründen des sowohl die EU (Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 EUV) als auch Deutschland (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) bindenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abzulehnen. Stattdessen ist davon auszugehen, dass ein Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV nur zur schwebenden Unwirksamkeit des Beihilfenvertrages führt. § 58 Abs. 2 VwVfG i.V.m. §§ 1 und 9 VwVfG müssen und können insoweit unionsrechtskonform ausgelegt werden.81 Wenn die Kommission einen bestandskräftigen82 Positivbeschluss über die Binnenmarktkonformität der Beihilfe fasst, wird der Vertrag ex nunc wirksam.83 Eine solche Heilung ist europarechtlich zulässig, was im Übrigen auch auf den Fall der (nur) formell unionsrechtswidrigen staatlichen Beihilfenverwaltungsakte zutrifft (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG84). Die Zulässigkeit kann seit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache CELF I85 als geklärt gelten. Danach untersagt das EU-Recht im Fall des Verstoßes gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV zum Zwecke der Sicherung von dessen praktischen Wirksamkeit nur eine ___________ 78 Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV begründet keinen „qualifizierten Fall der Rechtswidrigkeit“, der nach h.M. notwendig ist, um die Nichtigkeitsfolge gem. § 59 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 134 BGB (entsprechend) auszulösen (vgl. BVerwGE 98, 58 [63]; Maurer [Fn. 74], § 14 Rn. 41), da es Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV primär um Verfahrens- und Kompetenzsicherung (der Kommission), nicht um die materielle Zielsetzung der Sicherung eines unverfälschten Wettbewerbs geht. Im Fall der auch materiell unrechtswidrigen Beihilfe ergibt sich das gesetzliche Verbot i. S. d. § 134 BGB zwar nicht aus Art. 107 Abs. 1 AEUV (mangels unmittelbare Anwendbarkeit), aber aus Art. 107 Abs. 1 AEUV i. V. m. dem unmittelbar anwendbaren Negativbeschluss (Art. 288 Abs. 4 AEUV i. V. m. Art. 13 Abs. 1 S. 2, Art. 7 Abs. 5 BVVO) der Kommission, vgl. Hatje (Fn. 13), S. 270 f. 79 Vgl. zur Frage, ob Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV ein Verbotsgesetz darstellt, im Ergebnis allerdings ablehnend Dirk Ehlers, in: Rolf Stober/Hanspeter Vogel (Hrsg.), Subventionsrecht und Subventionspolitik auf dem Prüfstand, 1999, S. 127 (164). 80 Zu weiteren Argumenten (insbes. Art. 11 Abs. 2, 15 Abs. 3 BVVO) s. Finck/ Gurlit (Fn. 75), S. 10 f. 81 Finck/Gurlit (Fn. 75), S. 93; Willy Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, 1994, S. 310; Uerpmann-Wittzack (Fn. 12), S. 287 f. 82 Zur Voraussetzung der Bestandskraft der Genehmigung für zunächst nicht notifizierte Beihilfen EuGH, Rs. C-196/06, CELF I, Slg. 2008, I-409 Rn. 63, 66 ff. 83 Walter Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, 2007, Rn. 1499; Martin Heidenhain, Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot des Art. 88 Abs. 3 S. 2 EG, EuZW 2005, 135 (137). 84 Finck/Gurlit (Fn. 75), S. 91; vgl. dort (Fn. 63) auch die Nachw. zu der Streitfrage, ob die Heilung gem. § 45 Abs. 1 und 2 VwVfG generell nur ex nunc wirkt. 85 EuGH, Rs. C-196/06, CELF I, Slg. 2008, I-409 Rn. 45 ff.

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Heilung ex tunc.86 Bei einer Heilung ex nunc bleibt der Verstoß gegen das Durchführung dagegen nicht sanktionslos, zugleich wird der im Ergebnis positiven Bewertung der Kommission Rechnung getragen.87 Eine Benachteiligung von Konkurrenten nicht zu befürchten, da diese selbst nach einer Genehmigung der Beihilfe durch die Kommission jedenfalls einen Anspruch auf Abschöpfung ungerechtfertigter Vorteile, insbesondere etwaiger Zinsvorteile, für die Zeit bis zum nachträglichen Positivbeschluss der Kommission haben (öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch).88 Unter Beachtung dieser Mindestvoraussetzungen (Abschöpfung des durch die vorzeitige Verfügbarkeit der Beihilfe entstandenen Zinsvorteils) überlässt es der EuGH der Ausgestaltung des nationalen Rechts, ob die Beihilfe zunächst zurückgefordert und anschließend – auf der Basis der nunmehr vorliegenden Genehmigung – erneut gewährt werde oder ob sie dem Begünstigten belassen werde.89 Die bei der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts zu beachtende Wortlautgrenze wird bei der hier favorisierten Lösung über § 58 Abs. 2 VwVfG auch nicht überschritten. Die Kommission kann – ungeachtet des § 1 Abs. 1 VwVfG – als „andere Behörde“ i.S.d. § 58 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 4 VwVfG angesehen werden.90 Der (Un-)Vereinbarkeitsbeschluss der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 Satz i.V.m. Abs. 2 UAbs. 1 AEUV stellt einen Beteiligungsakt mit Bindungswirkung für die vertragsschließende Behörde91 und mithin eine „Mitwirkungshandlung“ i.S.d. § 58 Abs. 2 VwVfG dar.92 ___________ 86 EuGH, Rs. C-196/06, CELF I, Slg. 2008, I-409 Rn. 40; vgl. auch UerpmannWittzack (Fn. 12), S. 285, 287, der hiervon mit Recht auch eine Rückwirkung auf die bisherige BGH-Rechtsprechung (Fn. 75) erwartet (ebd., S. 288). 87 EuGH, Rs. C-196/06, CELF I, Slg. 2008, I-409 Rn. 49. 88 Vgl. EuGH, Rs. C-199/06, CELF I, Slg. 2008, I-409 Rn. 51 ff.; Jörg Gundel, Die Rückabwicklung von nicht notifizierten, aber schließlich genehmigten Beihilfen vor den nationalen Gerichten: Vorgaben für die Bewehrung des Durchführungsverbots, EWS 2008, 161 (164); Uerpmann-Wittzack (Fn. 12), S. 287, der zutreffend unter Hinweis auf die Alcan-Doktrin von einer verschärften Haftung wegen grober Fahrlässigkeit (Begründung: Rechtsgedanke des § 49a Abs. 2 Satz 2 VwVfG) ausgeht. § 819 Abs. 1 BGB (entsprechend) ist insoweit unanwendbar. 89 EuGH, Rs. C-199/06, CELF I, Slg. 2008, I-409 Rn. 53 ff. 90 Vgl. Elke Gurlit, Wirksamkeit von Verwaltungsverträgen, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 32 Rn. 2; Jens-Peter Schneider, Vertragliche Subventionsverhältnisse im Spannungsfeld zwischen europäischem Beihilfenrecht und nationalem Verwaltungsrecht, NJW 1992, 1197 (1199); Spannowsky (Fn. 81), S. 310. A. A.: Hatje (Fn. 13), S. 269; Gellermann (Fn. 74), S. 484. 91 Vgl. zu dieser Definition der „Mitwirkungshandlung“ i.S.d. § 58 Abs. 2 VwVfG Heinz Joachim Bonk, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 58 Rn. 27; Schliesky (Fn. 16), § 58 Rn. 28 f. 92 Finck/Gurlit (Fn. 75), S. 93; Gurlit (Fn. 90), § 32 Rn. 2; J.-P. Schneider (Fn. 90), S. 1200; Volker Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, 2000, S. 556; Spannowsky (Fn. 81), S. 310. A. A. Gellermann (Fn. 74), S. 484; Maurer (Fn. 74), § 14 Rn. 43a.

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Dem steht auch die im Sinne des Unionsrechts weit auszulegende Begriffsbestimmung des Verwaltungsverfahrens in § 9 VwVfG nicht entgegen, da spätestens ab dem Zeitpunkt, in dem ein Mitgliedstaat die Vergabe einer Subvention konkret plant und in die Wege leitet, eine nach außen wirkende Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist.93

5. Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie (§§ 8a ff., 42a, 71a ff. VwVfG) a) „Heilung“ des VwVfG von dessen „Europarechtsblindheit“ Alle bislang erwähnten Einflussnahmen des Unionsrechts auf das VwVfG haben eines gemeinsam: Sie führten allenfalls zu einem Anpassungsbedarf hinsichtlich der Auslegung der nationalen Normen, der Text des VwVfG blieb hiervon dagegen unberührt. Das VwVfG musste erst fast 35 Jahre alt werden, bis es einen ersten auch seinen Text betreffenden „Europäisierungsschub“ erlebte, der es aus seiner langjährigen völligen „Europablindheit“ befreite und ihm zumindest eingeschränkte „europäische Sehkraft“ verlieh. Anlass hierfür war die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie (DLR)94, die in Deutschland – neben verschiedenen fachgesetzlichen Anpassungen – vor allem im VwVfG erfolgte.95

b) „VwVfG-Lösung“ als richtungweisendes Signal Die bei der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie gefundenen Lösungen sind aus mehreren Gründen positiv zu bewerten: Die §§ 8a ff., 42a, 71a ff. VwVfG sind rechtstechnisch in den Einzelvorschriften – ungeachtet einiger regelungstechnischer Defizite und Unklarheiten im Detail, auf die Utz Schliesky zutreffend hingewiesen hat96 – überwiegend ein Beispiel für eine in___________ 93

Uerpmann-Wittzack (Fn. 12), S. 283 f. (dort zu der Parallelproblematik im Rahmen von § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG bei nicht notifizierten Subventionsbescheiden); a. A. wohl Gellermann (Fn. 74), S. 484. 94 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und Rates v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl.EU 2006 Nr. L 376, S. 36. 95 Auch insoweit kann hier nur die deutsche Bundesebene berücksichtigt werden. Zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf Länderebene vgl. am Beispiel Bayerns Volkmar Kuhne, Die Implementierung der allgemeinen Anforderungen der EUDienstleistungsrichtlinie im Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetz und weitere Neuregelungen, BayVBl. 2010, 551 ff. 96 Vgl. zum Folgenden Utz Schliesky/Sönke E. Schulz, §§ 8a ff. VwVfG n. F. – Die Europäische Verwaltungszusammenarbeit im deutschen Verwaltungsverfahrensrecht,

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haltlich gelungene Transformationsrechtsetzung. Die Neuregelungen unterstreichen auch, dass vom Unionsrecht sog. „spill-over“-Effekte ausgehen können.97 Gemeint sind damit freiwillige Anpassungsleistungen des nationalen Rechts über das europarechtlich zwingend geforderte Maß hinaus. Die Folge hiervon kann auch sein, dass bislang im nationalen Rechtsraum nicht mehrheitsfähige Institute und Regelungen wie die bereichsübergreifende Genehmigungsfiktion98 gleichsam auf dem Umweg über die EU doch noch „salonfähig“ werden. Schließlich dokumentiert die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie die Fähigkeit des Gesetzgebers, auch unter den Bedingungen moderner Gesetzgebung des 21. Jahrhunderts entgegen einer verbreiteten Gesetzgebungskritik eben doch planvoll-konzeptionell zu handeln und dabei auch die Bedeutung der Kodifikationsidee hinreichend zu berücksichtigen.99 Insofern geht von der Transformation eine über den geregelten Bereich hinaus weisende grundsätzliche Signalwirkung aus: Sie ist Ausweis einer Re-Vitalisierung der innovationsleitenden und -vertypenden Funktion100 des allgemeinen Verwaltungsrechts.101 ___________ DVBl. 2010, 601 (603 ff., 608). Zu eher praktischen Problemen dagegen Franziska Kruse, Das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Jahreszeiten – Die raison d’être der Europäischen Verwaltungszusammenarbeit, in: Hermann Hill (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung 2010, S. 169 (184 ff.); Lorenz Prell, Verwaltungszusammenarbeit im Binnenmarkt, in: Martin Burgi/Klaus Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 48 (58 f.). 97 Dazu Martin Burgi, Verwaltungsverfahrensrecht zwischen europäischem Umsetzungsdruck und nationalem Gestaltungswillen, JZ 2010, 105 (108); Karl-Peter Sommermann, Veränderungen des nationalen Verwaltungsrechts unter europäischem Einfluss – Analyse aus deutscher Sicht, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Bestand und Perspektiven des Europäischen Verwaltungsrechts, 2008, S. 181 (195 f.); vgl. auch KarlHeinz Ladeur, Supra- und transnationale Tendenzen in der Europäisierung des Verwaltungsrechts – eine Skizze, EuR 1995, 227 (228), im Anschluss hieran Eberhard Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 5 Rn. 34: „‚überwirkende’ Veränderungseffekte“. 98 Zur früheren Kritik an diesem Instrument vgl. stellvertretend Henning Jäde, Bauordnungsrecht im Wandel, GewArch 1995, 187 (188 ff.); Alfred Sauter, Die neue Bauordnung und der „schlanke Staat“, BayVBl. 1998, 2 (4); mit Recht relativierend demgegenüber Michael Uechtritz, Die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG, in: Martin Burgi/Klaus Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 61 ff.; Jan Ziekow, Möglichkeiten zur Verbesserung der Standortbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen durch Einführung von Genehmigungsfiktionen, 2008, S. 24 ff. 99 Ähnlich Heribert Schmitz/Lorenz Prell, Europäische Verwaltungszusammenarbeit – Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2009, 1121 (1123); dezidiert positiv zu der gewählten VwVfG-Lösung auch bereits Kahl (Fn. 3), S. 77. 100 Vgl. Jan Ziekow, Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, GewArch 2007, 217 (224 f.); ders., Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Verwaltungsverfahrensrecht, WiVerw 2008, 176 (180).

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Mit der Bereitstellung eines Regelungsmodells in der Kodifikation, zu dem das Fachrecht lediglich begrenzte Modifikationen beisteuert (sog. Angebotsgesetzgebung),102 wird zugleich ein Beitrag zur präventiven Deregulierung geleistet. Statt einer Vielzahl paralleler Einzelregelungen bleibt es bei einer Stammregelung, deren Zusammenspiel mit dem bereichsspezifischen Recht keine größeren Schwierigkeiten bereitet, wie die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht103 verdeutlicht.

III. Zwischenbilanz: Das Verhältnis von „VwVfG und Europa“ nach 35 Jahren 1. Vielschichtigkeit „der“ Europäisierung und damit verbundene wissenschaftliche Herausforderungen Lässt man die bisherigen Einflüsse der EuGH-Rechtsprechung und des Unionsrechts auf das VwVfG in einer Gesamtbetrachtung Revue passieren, so ergibt sich ein sehr vielschichtiges Bild, das mit dem Begriff „der“ Europäisierung alleine, aber auch mit vereinfachenden „Von-Zu-Modellen“ und dramatisierenden Konfliktszenarien nicht mehr hinreichend eingefangen werden kann. Differenzierung und Einzelfallbetrachtung erweisen sich daher als unumgänglich. Die „Wahrheit“ liegt auch insoweit regelmäßig nicht im Schwarz-Weiß, sondern in den Nuancen der Grautöne. Welche Folgerungen sind aus diesem Befund für die Europäische Verwaltungsrechtswissenschaft zu ziehen? Erstens bleibt es ein Desiderat, zusätzlich zur zwischenstaatlichen Rechtsvergleichung fortan die Binnenrechtsvergleichung, also die Rechtsvergleichung zwischen den Regeln und Grundsätzen des Eigenverwaltungsrechts, des Unionsverwaltungsrechts und des Verbundverwaltungsrechts, noch mehr in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Daneben bildet es zweitens eine wissenschaftliche Herausforderung, dogmatisch noch genauer zwischen den verschiedenen Modi der Einwirkung des Uni___________ 101

Ebenso Uechtritz (Fn. 98), S. 65; vgl. auch Jens Kersten/Sophie-Charlotte Lenski, Die Entwicklungsfunktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Die Verwaltung 42 (2009), 501 (533 f.). 102 Hierzu allgemein Kahl (Fn. 3), S. 72 f. 103 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften v. 17.7.2009, BGBl. I, S. 2091; s. für die Genehmigungsfiktion: § 6a GewO, § 10 Abs. 1 Satz 3 HandwO. Tendenziell kritisch aber zum Entfallen der Anzeigepflicht bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (vgl. § 4 GewO) Pascale Cancik, Fingierte Rechtsdurchsetzung?, DÖV 2011, 1 (2 m. Fn. 11).

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onsrechts zu unterscheiden und die diesbezüglichen Begriffe weiter zu schärfen.104

2. Direkte und indirekte Europäisierungsmechanismen Für einen ersten Zugriff gut geeignet ist dabei die Zweiteilung in direkte und indirekte Europäisierung.105 Die meisten der hier angesprochenen Einwirkungen stellen Fälle einer direkten Europäisierung dar, wobei als Unterfallgruppen insbesondere die Umsetzung von Sekundärrecht (Beispiel: Dienstleistungsrichtlinie) und die zur Vermeidung indirekter Kollisionen106 gebotene, unionsrechtlich induzierte Neuinterpretation des nationalen Gesetzes sowie die umdirigierte Ermessensausübung genannt werden können. Schwerer zu fassen, da diffuser, sind dagegen Phänomene der indirekten Europäisierung, die tendenziell gegenläufige Wertungen, Strukturen oder „Regelungsphilosophien“ bezeichnen.107 Insofern besteht kein rechtlich zwingender Anpassungsbedarf, höchstens ein faktischer (politischer) Anpassungsdruck. In den Bereich der indirekten Europäisierung fällt auch die autonome Möglichkeit eines Staates zu einer unionsrechtsfreundlichen Auslegung oder zu einer über___________ 104

Daneben kann aus der nationalen Perspektive der Einwirkung zwischen Instrumentalisierung, Umorientierung und Umstrukturierung des nationalen Rechts unterschieden werden, vgl. Schmidt-Aßmann (Fn. 40), § 27 Rn. 71, der insoweit den Ansatz von Dieter H. Scheuing, Europarechtliche Impulse für innovative Ansätze im deutschen Verwaltungsrecht, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 289 (298 ff., 331 ff.) aufgreift und weiterführt; ähnlich Schoch (Fn. 4), S. 300 sowie mit Beispielen aus dem Verwaltungsprozessrecht ders., Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507 (513). Wieder andere Begriffe bei Sommermann (Fn. 2), S. 889: „Überlagerung, Durchdringung und Verdrängung der Normen des nationalen Verwaltungsrechts“. 105 Grundlegend Sommermann (Fn. 97), S. 190 ff., 193 ff.; zustimmend Ruffert (Fn. 53), § 95 Rn. 40 f. 106 Zur Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Kollisionen Karl Eugen Huthmacher, Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen, 1984, S. 134 ff.; Kadelbach (Fn. 13), S. 23 ff. (28 ff., 31 ff.); Matthias Niedobitek, Kollision zwischen EG-Recht und nationalem Recht, VerwArch 92 (2001), 58 (73 ff.). Hinsichtlich des VwVfG handelt es sich stets um indirekte Kollisionen, da die EU über keine Kompetenz zur Regelung des Unionsverwaltungsrechts verfügt, vgl. zur Kompetenzproblematik statt vieler Kahl (Fn. 3), S. 59 f., m.w.N. 107 Kadelbach (Fn. 13), S. 32 ff., spricht insoweit von „Systemkonflikten“. Hierbei gehe es um einen „durch verschiedene Zielvorgaben der Rechtsordnungen hervorgerufenen Mangel an innerer Kohärenz des innerstaatlichen Rechtssystems“, nicht um einen Kollisionsfall. Die Lösung von Systemkonflikten „kann nur in einer Annäherung zwischen den Systemen oder in der Spaltung der internen Rechtsordnung in zwei Untersysteme bestehen“ (ebd., S. 35).

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schießenden Änderung seines Rechts in einem Bereich, der mit den unionsrechtlich determinierten Fragen sachlich zusammenhängt; die Folge sind dann die erwähnten „spill-over“-Effekte.108 Für solche überwirkenden Anpassungen streiten die Ziele der Einheit der unionalen und nationalen Rechtsordnung sowie der Vermeidung eines dualen Rechtsregimes im nationalen Recht, je nachdem, ob sich ein Sachverhalt im Anwendungsbereich des EU-Rechts bewegt oder nicht. Rechtlich zwingend sind derartige Effekte nicht. Dies haben insbesondere die Beispiele § 40 VwVfG und §§ 45, 46 VwVfG gezeigt.

3. Harmonisierungs- und Unitarisierungstendenzen Eine rein juristische Betrachtung des Europäisierungsprozesses griffe indes zu kurz. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass nicht mehr nur von den Grundsätzen des Eigenverwaltungsrechts und der diesbezüglichen EuGHRechtsprechung, sondern verstärkt auch von den Ebenenverflechtungen im Europäischen Verwaltungsverbund und der EU-Grundrechtecharta, zumal deren Art. 41 (Recht auf eine gute Verwaltung)109 i.V.m. dem hierzu vom Europäischen Bürgerbeauftragten erarbeiteten Kodex für gute Verwaltungspraxis, schon jetzt ein faktischer Unitarisierungsdruck ausgeht, der zukünftig noch zunehmen dürfte;110 dies würde erst recht gelten, sofern es zu einer Kodifikation der Grundsätze des (direkten) Vollzugs auf Unionsebene kommen sollte. Mit Recht hat Wolfgang Weiß einen gemeinsamen Bestand an verfahrensrechtlichen Grundregeln als „unhintergehbares Petitum“ für einen Verbund bezeichnet, der maßgeblich auf transnationales Entscheiden und damit wechselseitiges Vertrauen setzt. Exemplarisch sei auf den Kompensationsgedanken verwiesen, wonach dem Verfahren (und dessen gerichtlicher Kontrolle) überall dort ein erhöhter Stellenwert zukommt, wo die materiell-rechtliche Determinierung der Verwaltung ausgedünnt ist.111 Dieser Kompensationsgedanke hat mittlerweile – vom Eigenverwaltungsrecht ausgehend – den Rang eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des gesamten Europäischen Verwaltungsrechts auf allen Ebenen ___________ 108

Ruffert (Fn. 53), § 95 Rn. 41 f. Umfassend: Kai-Dieter Classen, Gute Verwaltung im Recht der Europäischen Union, 2008; Kristin Pfeffer, Das Recht auf eine gute Verwaltung, 2006. 110 Kahl (Fn. 3), S. 63. 111 Vgl. Hanns Peter Nehl, Europäisches Verwaltungsverfahren und Gemeinschaftsverfassung, 2002, S. 168 f.; Eckhard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 397; Jürgen Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 308, 354; grundsätzlich zum Problem auch Rainer Wahl, Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessrecht in europäischer Perspektive, in: Hermann Hill/Rainer Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 357 ff. 109

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erlangt.112 Aus diesem Befund wäre dann etwa die notwendige Konsequenz dahingehend zu ziehen, dass in Fällen von Beurteilungsspielräumen, Ermessen, Planungs- oder Regulierungsermessen § 46 VwVfG so ausgelegt werden muss, dass in diesen Fällen eine offensichtliche Nicht–Ergebnisrelevanz eines Verfahrensfehlers stets zu verneinen ist.113 Zu diesen unionsrechtlich veranlassten, quasi exogenen Harmonisierungsund Unitarisierungstendenzen treten noch endogene, von den Mitgliedstaaten herbeigeführte Annäherungen an die europäische Dogmatik hinzu,114 wie sie in Deutschland mit den Stichworten „Regulierungsermessen“, „Regulierungsverwaltung“ bzw. „unabhängige Verwaltung“ einerseits sowie „Prozeduralisierung“ andererseits aufgezeigt wurden. Auch insoweit hilft Konflikt- und Kollisionsdenken alleine nicht mehr weiter, sondern muss erneut in die – komplexere – Detailanalyse und Einzelfallbetrachtung eingetreten werden.

4. Das VwVfG als (material) „europäisches“ und (formal) „inlandszentriertes“ Gesetz Insgesamt kann heute weitgehend als Konsens gelten, dass das VwVfG einem dichten Geflecht von unionsrechtlichen Vorgaben unterschiedlicher, vor allem richterrechtlicher Art ausgesetzt ist. Diese Vorgaben durchdringen und überformen das Gesetz etwa seit Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts verstärkt nicht mehr nur in der Breite, sondern teilweise auch in die Tiefe, sprich in den Strukturen. Das VwVfG ist somit an seinem „35. Geburtstag“ material ein „europäisches Gesetz“. Dabei dürfte allerdings der Zenit der, jedenfalls strukturellen, europarechtlichen Einflussnahmen mittlerweile erreicht, wenn nicht gar überschritten sein, was auch insoweit auf eine gewisse Phase der (relativen) Konsolidierung115 hoffen lässt. In Anbetracht dieses Umfangs europarechtlicher Determinierung und der hierdurch geforderten oder stimulierten Anpassungsprozesse im nationalen Recht116 verwundert es, dass das VwVfG hierauf bislang – abgesehen von der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie – keine spezifischen oder gar kreativen ___________ 112

Jürgen Schwarze, Verfahren und Rechtsschutz im europäischen Wirtschaftsrecht, DVBl. 2010, 1325 (1326, 1331 f.). 113 U. Stelkens (Fn. 32), S. 1084 und die dortigen Nachw. in Fn. 57 f. 114 Zutreffend zum Phänomen der wachsenden Konvergenz in Europa aufgrund von Prozessen der Selbstkoordinierung der Mitgliedstaaten Karl-Peter Sommermann, Europäisches Verwaltungsrecht als „die großartigste Rechtsbildung der Weltgeschichte“? – Die Vision von Lorenz von Stein aus heutiger Perspektive, DÖV 2007, 859 (865). 115 Hierzu differenziert Kahl (Fn. 3), S. 40 f. 116 Vgl. auch Schoch (Fn. 44), S. 302 ff.

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Antworten formuliert hat.117 Stattdessen wird die Anpassungsaufgabe den Gesetzesinterpreten, zumal den Gerichten, aber auch dem Sondergesetz überlassen, wie das Beispiel der systematisch verfehlten Regelung der Informationszugangsrechte (IFG, VIG, UIG) stellvertretend zeigt. Das VwVfG erweist sich damit formal noch immer als ein weitgehend „inlandszentriert(es)“ Gesetz (Eberhard Schmidt-Aßmann)118. Vergegenwärtigt man sich die Funktionen einer Kodifikation,119 so erfüllt das VwVfG mit Blick auf den Vorgang der Europäisierung seine Kanalisierungs- und Rationalisierungsfunktion, seine Entlastungsfunktion, seine Innovations- und Reformfunktion sowie seine Transparenz-, Orientierungs- und Stabilisierungsfunktion entweder nicht oder nicht so, wie es jedenfalls einer ambitionierten Kodifikation entsprechen würde.

IV. Rechtspolitische Perspektiven 1. Problemaufriss Das deutsche Verwaltungsrecht, und dies gilt auch für das VwVfG, hat zwar in der Vergangenheit eine erhebliche Anpassungsfähigkeit und Elastizität gegenüber den Vorgaben des europäischen Rechts an den Tag gelegt. Zum Einsatz gebracht wurde dabei eine Strategie des geringstmöglichen textuellen Eingriffs, man könnte auch sagen des pragmatischen „muddling through“. Damit konnten Ergebnisse erzielt werden, die zwar das Ziel der Unionsrechtskonformität herbeiführten, allerdings nur um den Preis der Entstehung einer partiellen ungeschriebenen „Nebenrechtsordnung“, die sich nicht mehr aus dem VwVfG erschließt und die kaum das Attribut „bürgernah“ bzw. adressatenfreundlich verdient.120 Die beharrliche Nichtreaktion des Gesetzgebers auf die durch die ___________ 117

Ähnlich die allgemeine Kritik von Burgi (Fn. 97), S. 107: Das „oberste Gestaltungsziel“ des VwVfG sei „offenbar die Nicht-Gestaltung“. 118 Schmidt-Aßmann (Fn. 6), Ordnungsidee, S. 357. Dabei stellt Deutschland rechtsvergleichend betrachtet keinen Sonderfall dar: Nach Ruffert (Fn. 53), § 95 Rn. 35, hat mit Ausnahme von Ungarn bislang kein Mitgliedstaat mit einer Änderung des Textes seines Verwaltungsverfahrensgesetzes auf die Europäisierung reagiert. 119 Eingehend hierzu die Funktionstypologie bei Wolfgang Kahl, Das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Kodifikationsidee und Sonderrechtsentwicklungen, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 67 (89 ff.); zustimmend Martin Burgi, Übergreifende Regelung des Rechts der Regulierungsverwaltung – Realisierung der Kodifikationsidee?, NJW 2006, 2439 (2442); Oriol Mir Puigpelat, Die Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts im Europäischen Verwaltungsverbund, Beiheft 8, Die Verwaltung 2009, 177 (198 ff.); zuletzt weiter entwickelt bei Kahl (Fn. 3), S. 56 f. 120 Kahl (Fn. 3), S. 73 f. Kritisch auch Gärditz (Fn. 53), C Art. 20 (6. Teil), Rn. 94 a. E.

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Alcan-Doktrin bewirkte materiale Entkernung des § 48 VwVfG121 ist insoweit das signifikanteste Beispiel einer aus Gründen der Rechtssicherheit, aber auch der Gewaltenteilung befremdenden Regelungsverweigerung des Gesetzgebers. Verwaltungsrechtswissenschaft und Gesetzgeber müssen sich aber insgesamt verstärkt die Frage stellen, wie das Verhältnis „VwVfG und Europa“ künftig gestaltet werden soll. Hierfür kommen grundsätzlich zwei Ansätze in Betracht:

2. Zukünftige Optionen a) Fortsetzung der Dekodifikation durch „Flucht“ in Richterrecht und Sondergesetz Zunächst lässt sich der bisherige Kurs einer sehr zurückhaltenden Europäisierung des VwVfG fortführen, sei es aus inhaltlicher Überzeugung, sei es aus Pragmatismus oder Resignation. Dieser Ansatz baut darauf, dass die deutschen Verwaltungsgerichte im Wege der Auslegung oder Rechtsfortbildung auch weiterhin im Einzelfall eine (noch) mit dem Unionsrecht vereinbare Linie finden werden, gegebenenfalls eben – siehe Alcan – als funktionaler Ersatzgesetzgeber. Zugrunde liegt diesem Ansatz der Zweifel, ob vor dem Hintergrund der Dynamik und Technizität europäischer Rechtsetzung das Zeitalter der Kodifikation nicht irreversibel vorbei und stattdessen das Zeitalter der Dekodifikation122 angebrochen sei.123 Global betrachtet verbindet sich diese Einschätzung zum Teil auch mit der Erwartung, das angelsächsische Rechtsdenken und das Case law-Modell würden sich über kurz oder lang innerhalb der EU als „das stärkere“ durchsetzen und das deutsche dogmatisch-rechtsstaatliche Modell zurück- oder verdrängen. Einer solchen Betrachtung wird in besonderem Maße zuneigen, wer Systembildung und Kodifikation im Öffentlichen Recht – anders als im Zivilrecht – ohnehin aufgrund der vertikalen Pluralität rechtsetzender Akteure in Mehrebenensystemen für strukturell unmöglich hält.124 ___________ 121

Ähnlich Schoch (Fn. 104), FG BVerwG, S. 522. Berichtend zu seit längerem zu beobachtenden Dekodikationstendenzen im deutschen Allgemeinen Verwaltungsrecht Kahl (Fn. 3), S. 64 ff. 123 Zu diesen – keineswegs neuen – Einwänden einer (angeblichen) Antiquiertheit der Kodifikationsidee siehe die instruktive Darstellung bei Franz Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Wolfgang HoffmannRiem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 9 Rn. 22 m. Fn. 180 f.; vor allem die – teilweise parallelen – Diskussionen und Entwicklungen im Zivilrecht nachzeichnend Gregor Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 47 ff., 147 ff. 124 Vgl. Oliver Lepsius, Hat die Europäisierung des Verwaltungsrechts Methode? Oder: Die zwei Phasen der Europäisierung des Verwaltungsrechts, Beiheft 10, Die Verwaltung 2010, 179 (194 ff.). 122

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b) Rekodifikation durch Rückanbindung des Europäisierungsprozesses an das VwVfG Dem Dekodifikationsansatz ist zuzugeben, dass der Großteil der unionsrechtlichen Vorgaben sicherlich so speziell ist, dass er grundsätzlich nur im jeweiligen Fachrecht passgenau, das heißt vor allem hinreichend differenziert, normiert werden kann. Auch ist ein gewisses Maß an Rechtsfortbildung durch die nationalen Gerichte im Einzelfall stets unentbehrlich. Neben der Steuerungspräzision des Besonderen Verwaltungsrechts und der richterrechtlichen „Nachjustierung“ der Norm im Einzelfall bedarf es aber weiterhin der Allgemeinen Teile als Projekt primär der Wissenschaft und der Kodifikation als Projekt primär des Gesetzgebers.125 Allgemeinen Teilen und Kodifikationen kommt auch weiterhin und gerade für den Europäisierungsprozess eine Schlüsselfunktion zu, sichern sie doch die „Konzept- und Systemfähigkeit“ (Rainer Wahl)126 der deutschen Rechtsordnung innerhalb Europas und darüber hinaus, auch mit Blick auf den sich tendenziell verschärfenden „Wettbewerb der Rechtsordnungen“. Allgemeine Teile und Kodifikationen sind es, die durch ihre Verknüpfungs- und Ordnungsleistung die – unausweichliche – Pluralisierung, Fragmentierung und Technizität des Fachrechts für eine Rechtsordnung überhaupt erst aushaltbar machen. Von dieser Prämisse ausgehend habe ich in meiner Heidelberger Antrittsvorlesung einen ersten, noch weiter verfeinerungsbedürftigen Vorschlag für eine Rekodifikation des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts sub specie des Unionsverwaltungsrechts gemacht.127 Dieser Vorschlag setzt auf eine integrativspiegelnde Lösung mit dem Ziel einer Rückanbindung des Europäisierungsprozesses an das nationale Parlamentsgesetz in dessen demokratischrechtsstaatlicher Verklammerungsfunktion. Er kann hier nicht im Detail wiederholt werden. Nur die Grundidee sei abschließend in aller Kürze skizziert. Empfohlen wird zunächst die Verwirklichung einiger punktueller Änderungen des VwVfG mit EU-Bezug, die aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, aber auch zur Gewährleistung einer hinreichend bestimmten und präzisen dezentralen Steuerung im Unionsverwaltungsrecht notwendig oder zumindest für eine Kodifikation mit dem Anspruch, sich auf der Höhe der Zeit zu bewegen, rechtspolitisch wünschenswert sind. Diese punktuellen Änderungen hätten den auf Einzelnormen bezogenen oder abschnittsspezifischen Anpassungsbedarf an unionale Vorgaben zu befriedigen, der ohne allgemeine ___________ 125

Kahl (Fn. 3), S. 43, 91 ff.; gleichsinnig Kersten/Lenski (Fn. 101), S. 528 ff. Grundlegend Rainer Wahl, Europäisierung: Die miteinander verbundenen Entwicklungen von Rechtsordnungen als ganzen, in: Hans-Heinrich Trute u.a. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2009, S. 869 (883 f.). 127 Kahl (Fn. 3), S. 82 ff., dort auch m.w.N. zum Folgenden. 126

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Wolfgang Kahl

Bedeutung für das Verwaltungsverfahren insgesamt ist. Zu denken wäre etwa an einen § 48a VwVfG für die Rücknahme unionsrechtswidriger Subventionsbescheide oder die Aufnahme einer neuen Nummer in § 49 Abs. 2 Satz 1 VwVfG für die „Papenburg“-Konstellation. Vorgeschlagen wird ferner die zusätzliche Aufnahme eines neuen Teils VIII (§§ 94 ff. VwVfG n.F.)128 mit der Überschrift „Internationales und Europäisches Verwaltungsrecht“. Dieser Teil setzte sich aus drei Abschnitten zusammen: einem Abschnitt 1 „Gemeinsame Vorschriften“, einem Abschnitt 2 „Internationales Verwaltungsrecht“129 und einem Abschnitt 3 „Europäisches Verwaltungsrecht“. Kernanliegen speziell der Kodifikation des Europäischen Verwaltungsrechts, also des Abschnitts 3, wäre es, übergreifende, grundsätzlich relevante Regelungsstrukturen zu erfassen, die zum einen verallgemeinerungsfähig sind, sich zum anderen aber auch von den Regelungen des internationalen Verwaltungsrechts abheben. Im Übrigen, also soweit die Europäisierung keine Besonderheiten aufweist, ließen sich die Vorschriften über das Internationale Verwaltungsrecht in Abschnitt 3 in Bezug nehmen. Der Abschnitt über das Europäische Verwaltungsrecht sollte vor allem der Ort sein, um ein systematisches, ausdifferenziertes Recht der (1.) Kooperationsverwaltung (insbes. Aufsichtsbehördenkoordination, Amtshilfe), (2.) Informationsverwaltung (insbes. Datenerhebung, Datenübermittlung, Datenschutz) und (3.) der Partizipationsverwaltung (insbes. grenzüberschreitende Anlagenzulassung, Bürgerbeteiligung, Mitwirkungsrechte von Vereinigungen) im Europäischen Verwaltungsverbund zu etablieren. Dabei könnte auch auf den §§ 8a ff. VwVfG im Sinne eines Nukleus aufgebaut werden, bilden diese doch schon heute eine Art „codification en miniature“. Im Rahmen ihrer Eingliederung in den Abschnitt über das Europäische Verwaltungsrecht wären die §§ 8a ff. VwVfG zugleich inhaltlich fortzuentwickeln; das insoweit bestehende Gestaltungspotenzial erscheint noch keineswegs ausgeschöpft.130 Insgesamt hat die Europäische Verwaltungsrechtswissenschaft mittlerweile einen reichhaltigen Fundus an Erkenntnissen zu den Herausforderungen vorzuweisen, vor die der Europäische Verwaltungsverbund nicht nur das Verfassungs-, sondern auch das Verwaltungsrecht stellt.131 Betroffen hiervon sind das (deutsche und europäische) Verwaltungsprozessrecht und Verwaltungsverfahrensrecht gleichermaßen. Man denke etwa nur an die nationale Verfahrensge___________ 128 Der bisherige Teil VIII (Schlussvorschriften) würde dann zu Teil IX, die bisherigen §§ 94-102 VwVfG wären in der Durchzählung entsprechend anzupassen. 129 Zu diesem – eigenständigen – Themenkreis, der hier nicht behandelt werden kann, vgl. statt vieler und m.w.N. Ruffert (Fn. 14), § 17 Rn. 149 ff. 130 So auch Kruse (Fn. 96), S. 187. 131 Grundlegend Weiß (Fn. 6), S. 152 ff.

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staltung mit Blick auf die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Ausland,132 die grenzüberschreitende Bekanntmachung von Vorhaben oder die Tatbestandswirkung transnationaler Verwaltungsakte gegenüber ausländischen Behörden und Gerichten, die dogmatische Bewältigung gestufter oder gemischter Entscheidungen,133 aber auch an die mitunter defizitäre Verfahrensstellung von Betroffenen (z. B. Beihilfenrecht). An die wissenschaftlichen Überlegungen hierzu gilt es anzuknüpfen und noch stärker den Dialog von Wissenschaft und Praxis hierüber zu suchen, um so das rechtspolitische Umsetzungspotenzial auszuloten.

___________ 132 Dazu Christoph Ohler/Tobias Kruis, Die Bekanntgabe inländischer Verwaltungsakte im Ausland, DÖV 2009, 93 ff. 133 Vgl. dazu bereits Rainer Pitschas, Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht und Handlungsformen der gemeinschaftlichen Verwaltungskooperation, in: Hermann Hill/Rainer Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 301 ff. sowie Rainer Priebe, Handlungsformen für Verwaltungskooperation im europäischen Staatenverbund, in: ebd., S. 337 ff.

Die Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts in Frankreich Jacques Ziller

Das französische Verwaltungsverfahrensrecht ist noch heute dadurch geprägt, dass es kein allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz gibt, obwohl die Frage nach einer Kodifizierung in den letzten 35 Jahren in den Debatten der Praxis zentral gewesen ist, von der Lehre freilich nur selten aufgegriffen wurde. Heutzutage scheint die Frage der Kodifizierung indes nicht mehr auf der Tagesordnung zu stehen. Bemerkenswert, obwohl bislang wenig debattiert, ist auch der europäische Einfluss auf das französische zeitgenössische Verwaltungsverfahren.

I. Ein Verwaltungsverfahrensrecht ohne allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1. Die zeitgenössische Problematik der Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens Im Arbeitsprogramm 1996–2000 des französischen Kodifikationsausschusses wurde das Vorhaben eines Verwaltungsgesetzbuches (Code de l’Administration) niedergelegt, um allgemeine Regeln betreffend Verwaltungsverfahren und -strukturen zu sammeln, die nicht von spezifischen Gesetzbüchern erfasst werden. Der Kodifikationsausschuss (Commission supérieure de Codification), ein Gremium, das vor allem aus Beamten, die sich in der Staatsverwaltung mit Gesetzgebung befassen, besteht, unter Vorsitz von einem Mitglied des Staatsrats (Conseil d’Etat – der zugleich der höchste französische Verwaltungsgericht ist), wurde 1989 von der Regierung gegründet, um bestehendes Gesetzes- und Verordnungsrecht zu kodifizieren. Mehr als 75 kodifizierte Gesetzbücher (Codes) sind so in 20 Jahren zustande gekommen. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Gesetzestätigkeit, die etwa den großen Kodifizierungen der Napoleonischen Zeit entspräche, sondern um sogenannte „codification à droit constant“, d.h. Kodifizierung ohne Rechtsänderung. Es geht dabei darum, so viel wie möglich vom bestehenden Recht zu ko-

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difizieren, ohne aber den Gesetzgeber mit mehr Arbeit zu belasten. Deshalb wird ein Vorschlag von Beamten vorbereitet, der anschließend von der Regierung dem Parlament zur Ratifizierung ohne Debatte vorgelegt wird. Eine Ratifizierung ohne Debatte ist aber eben nur dann möglich, wenn die bestehende Lage des geschriebenen Rechts (Gesetze – lois – und Verordnungen – décrets) inhaltlich nicht verändert wird. Diese Gesetzbücher bestehen alle aus zwei Teilen: Ein erster Teil enthält die Gesetzesbestimmungen und ein zweiter Teil die Bestimmungen mit Verordnungsrang. Es sei hier darauf hingewiesen, dass in Frankreich ein Gesetzesvorbehalt seit 1958 üblicherweise nur zur Festlegung der Grundsätze und Hauptregeln hinsichtlich der in Artikel 34 der Verfassung dem Parlament vorbehaltenen Materien besteht, und deswegen neben den üblichen Verordnungen, die auf Gesetzen beruhen und zu deren Anwendung beitragen, auch eine Anzahl von Verordnungen bestehen, die unmittelbar auf der Verfassung beruhen. Die Nummerierung der Artikel des Zweiten Teils folgt der des Ersten Teils, damit sich die Anwendungsregeln zu den Gesetzenormen – sofern vorhanden – leicht auffinden lassen. Zumindest zwölf dieser Gesetzbücher (im Folgenden: GB) sind für das Thema des Verwaltungsverfahrens besonders relevant: das VerwaltungsgerichtsbarkeitsGB (Code de justice administrative), das Ausländereinreise-, aufenthalts- und AsylGB (Code de l'entrée et du séjour des étrangers et du droit d'asile), das UmweltGB (Code de l'environnement), das EnteignungsGB (Code de l'expropriation pour cause d'utilité publique), das StädtebauGB (Code de l'urbanisme), das VerteidigungsGB (Code de la défense), das Familien- und SozialhilfeGB (Code de la famille et de l'aide sociale), das ZollGB (Code des douanes), das VergabeGB (Code des marchés publics – schon zweimal nacheinander kodifiziert), das Post- und elektronische KommunikationenGB (Code des postes et des communications électroniques), das StaatsbesitzGB (Code du domaine de l'Etat) und das allgemeine GB der Gebietskörperschaften (Code général des collectivités territoriales). Das 1996 bekanntgemachte Vorhaben eines horizontalen VerwaltungsGB wurde zehn Jahre später vom Kodifikationsausschuss aufgegeben. Im Jahresbericht für 2006 stand, dass die Regierung im vorigen Jahre nach den Vorbereitungsarbeiten darauf verzichtet hatte, weil einerseits manche Normen, die in solch einem GB stehen müssten, eigentlich nicht nur für die Verwaltung bestimmt wären, wie z.B. das Datenschutzgesetz, das eigentlich mehr die Betriebe als die Verwaltung beträfe, und weil andererseits andere wichtige Gesetze, wie etwa die Gesetze über den Zugang zu Verwaltungsdokumenten, über den Volksbeauftragten oder über die Beziehungen zwischen Verwaltungen und deren Benutzern (diese werden unter II. besprochen), ihre eigene Logik hätten. Der Kodifikationsausschuss fügte hinzu, dass die Zielsetzung einer Kodifizierung eigentlich auch durch einen Wegweiser der Verwaltungen (guide de l’administration) erreicht werden könne und dass dies ja schon von manchen

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privaten Verlagen gemacht worden sei. Zu diesen nicht besonders ausführlichen Erklärungen des Kodifikationsausschusses sollte eigentlich hinzugefügt werden, dass das Verzichten auf ein GB aber nicht heißt, dass der Gesetzgeber bzw. die Regierung aufgegeben hätte, das Verwaltungsverfahren – mittels Verordnungen – zu regeln. Es bestehen in Frankreich in der Tat schon seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Privatveröffentlichungen von sogenannten „Verwaltungsgesetzbüchern“, wie zum Beispiel das „Code administratif“ vom Verlagshaus Dalloz, dass seit Anfang des XX. Jahrhunderts kommentierte Fassungen der französischen Zivil-, Straf-, Prozess- und Handelsgesetzbücher herausgibt, die von der gesamten Praxis – sowohl von Anwälten als auch von Richtern – benutzt werden. 2004 veröffentlichte der Verlag Litec von der Gruppe LexisNexis zum ersten Mal auch einen „Code de l’administration“, der unter Leitung von u.a. Bernard Stirn, nun Vorsitzender der Section du contentieux des Conseil d’Etat – die dessen gerichtliche Zuständigkeiten wahrnimmt, zustande gekommen ist, und seitdem sowohl von der Praxis als auch von der Lehre intensiv genutzt wird. Das Inhaltsverzeichnis dieses „Code de l’administration“ folgt eigentlich dem der von der Commission supérieure de Codification aufgebauten Teilung für ein mögliches VerwaltungsGB, auf das unterdessen, wie gesagt, verzichtet worden ist. Deswegen ist es interessant ins Detail zu gehen, um ein genaueres Bild dessen zu bekommen, was der Inhalt eines VerwaltungsGB in Frankreich sein könnte. Nach einem einleitenden Buch, das die relevanten Verfassungsbestimmungen enthält, wird ein erstes Buch den „Beziehungen zwischen Bürgern und Verwaltung“ gewidmet, mit einem Titel 1 „Zugang zum Recht und Offenheit der Verwaltung“, das aus vier Kapiteln besteht, nämlich 1) Zugang zu den Rechtsregeln und Kodifizierung, 2) Zugang zu Verwaltungsdokumenten, 3) Offenheit und Begründung, und 4) Beteiligung und Information der Bürger. Der zweite Titel dieses Buches „Verbesserung und Vereinfachung der Verwaltungsverfahren“ besteht aus zwei Kapiteln: 1) Beziehungen zwischen Verwaltung und Benutzer und 2) Verwaltungsvereinfachungen. Der dritte Titel „Elektronische Verwaltung, EDV und Freiheiten“ enthält ebenfalls zwei Kapitel: 1) EDV, und 2) Entmaterialisierung der Verwaltungsverfahren. Der vierte Titel „Beschwerden und Rechtswege“ besteht wiederum aus vier Kapiteln: 1) Vermittlung, Schlichtung und Vergleich, 2) Verwaltungsrechtsbehelfe und pflichtige Vorverfahren, 3) Vollstreckung der Gerichtsentscheidungen und 4) Gerichtsrechtswege und Fristen. Das zweite Buch dieses „Code de l’administration“ wird der Verwaltungsorganisation gewidmet. Das dritte Buch wird sich schließlich mit dem „Verwaltungshandeln“ befassen. Der erste Titel dieses dritten Buchs „System der Verwaltungsakte“ umfasst vier Kapitel: 1) Zuständigkeit, 2) Verfahren: Zustandekommen; Amtssprache; Beratende Einrichtungen, 3) Bekanntmachung und Inkrafttreten und 4) Krisengesetzgebung und au-

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ßerordentliche Zustände. Der zweite Titel dieses dritten Buches umfasst die Regeln betreffend die Statute der Beamten (mit den Bestimmungen des offiziellen BeamtenGB) und der anderen Bediensteten der Verwaltung. Dieser „Code de l’administration“ geht also weit über ein Verwaltungsverfahrensgesetz hinaus, beinhaltet aber schon alle Bestimmungen des geschriebenen Rechts, die dem Verwaltungsverfahren gewidmet sind. Wie später gezeigt werden soll, bestand also wahrscheinlich die größte Schwierigkeit, auf die der Kodifikationsausschuss gestoßen ist, nicht so sehr in der Methodik einer Einordnung der Bestimmungen des geschriebenen Rechts, sondern eher darin, eine große Anzahl von Regeln und Grundsätze in eine gute Kodifizierung hineinzuziehen, die zur Zeit nicht geschriebenes Recht sind, sondern nur in der Rechtsprechung zu finden sind. Es ist nämlich ganz deutlich, dass eine Kodifizierung der Rechtsprechung nicht über den Weg der „codification à droit constant“ gehen könnte, sondern nur auf dem Wege der Gesetzgebung. Dies würde erfahrungsgemäß eine viel längere Zeit erfordern. Es ist daher anzunehmen, dass der Conseil d’Etat als höchstes Verwaltungsgericht bei einer Kodifizierung durch den Gesetzgeber zweierlei Sorgen haben könnte: einerseits, dass der Gesetzgeber willentlich oder unwillentlich einen Teil der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und Regeln zu sehr ändern oder gar abschaffen könnte, und andererseits, dass eine Kodifizierung einen Verlust an Anpassungsvermögen mit sich bringen könnte.

2. Das Verwaltungsverfahren in der Lehre Im Unterschied zu anderen Ländern, in denen eine Kodifikation fehlte oder fehlt und im Unterschied auch zu anderen Gebieten des Verwaltungsrechts in Frankreich, werden die möglichen Lücken, die angesichts des Fehlens eines allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes bestehen, nicht etwa durch die Lehre gefüllt. Meines Wissens gibt es weder in der Rechtswissenschaft noch in Aus- und Weiterbildung besondere Lehrveranstaltungen betreffend eines allgemeinen Verwaltungsverfahrens: weder in den Rechtsfakultäten und politikwissenschaftlichen Fakultäten (Instituts d’Etudes Politiques) einerseits, die den Universitäten angehören, noch in den Verwaltungsschulen andererseits, die aus etwa zweihundert spezialisierten staatlichen Fachhochschulen, sechs allgemeinen Verwaltungsfachhochschulen für die Stellen, die etwa der unteren Stufe des höheren Dienstes entsprechen, und den Ingenieurschulen sowie der Ecole Nationale d’Administration für die obere Stufe des höheren Dienstes bestehen. Leicht nachzuweisen ist das Fehlen einer allgemeinen Lehre des Verwaltungsverfahrens in den Lehrbüchern des Verwaltungsrechts. Beispielhaft kann man das Lehrbuch von Professor René Chapus „Droit administratif général“ nennen, nicht zuletzt weil Chapus seit drei Jahrzehnten beim Conseil d’Etat ei-

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ne besondere Anerkennung genießt. Das Recht des Verwaltungsverfahrens wird von Chapus im V. Teil seines Lehrbuchs dargestellt, der dem System der Verwaltungsakte (le régime des actes administratifs) gewidmet ist, dort im zweiten Kapitel „das System der Entscheidungen“ (le régime des décisions), das einem ersten Kapitel mit dem Titel der Grundsatz der Rechtmäßigkeit (le principe de légalité) folgt. Dieses Kapitel über das System der Entscheidungen enthält drei Abschnitte: 1) die Verabschiedung der Entscheidungen (l’édiction des décisions), 2) das Inkrafttreten der Entscheidungen und 3) das Außerkrafttreten der Entscheidungen. Die weit wichtigste dieser drei Abteilungen ist die erste (Verabschiedung), mit drei Paragraphen, die 1) die Zuständigkeitsregeln und 2) das Ausarbeitungsverfahren betreffen. Im Letzteren werden a) das Beratungssystem (le régime des consultations), b) die Regel der Einzelprüfung der Umstände (la règle de l’examen particulier des circonstances) und c) die Organisation des kontradiktorischen Verfahrens behandelt. Im Paragraphen über die Formvorschriften werden a) die Begründungspflichten gemäß dem Gesetz vom 11. Juli 1979, b) Begründungspflichten in anderen Fällen und c) die Pflicht zur Begründung stillschweigender Entscheidungen erörtert. Interessanterweise gibt es zu all diesen Aspekten im Lehrbuch „Le droit administratif français“, das von zwei Mitgliedern des Conseil d’Etat, dem verstorbenen Guy Braibant und dem bereits erwähnten Bernard Stirn, verfasst wurden, fast nichts darüber zu lesen, was die Grundsätze und Regeln betrifft, die von Chapus behandelt werden. Vielleicht noch interessanter ist der Aufbau des vergleichenden Lehrbuchs von Michel Fromont, „Droit administratif des Etats européens“, das 2006 erschienen ist: Die Fragestellung des Verwaltungsverfahrens wird im zweiten Teil („Recht der Verwaltungsentscheidungen“) behandelt, genauer in dessen Kapitel V, das mit „Ausarbeitung und Inhalt der Verwaltungsentscheidungen“ überschrieben ist. Bemerkenswert ist dabei, dass Michel Fromont, der das deutsche Recht vorzüglich kennt, vor allem für ein französisches Publikum schreibt und deswegen das Verwaltungsverfahren auch dort behandelt, wo die französischen Kollegen es erwarten. Die Stelle, an der das Verwaltungsverfahren erörtert wird, ist meines Erachtens einfach Konsequenz dessen, dass die französische Lehre wie gezeigt bisher niemals wirklich versucht hat, eine Systematik des Verwaltungsverfahrensrechts aufzubauen. Es gibt dazu meines Wissens nur zwei wichtige Ausnahmen: die Habilitationsschrift von Guy Isaac „La procédure administrative non contentieuse“ aus dem Jahre 1968 und das von Michel Fromont im Jahr 2000 herausgegebene Buch „La procédure administrative non contentieuse en droit français“. Hierzu einige Bemerkungen und Erklärungen: Herkömmlich war und ist das Verwaltungsrecht in Frankreich noch als Rechtsprechungswissenschaft zu verstehen, eben weil die Rechtsprechung die qualitative Hauptquelle des Verwal-

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tungsrechts gewesen ist und zum Großteil bleibt. Dazu kommt auch die besondere Stellung des Conseil d’Etat im französischen Verwaltungssystem und im Verwaltungsrecht. Der Conseil d’Etat, 1799 gegründet, ist nicht nur das höchste Verwaltungsgericht, sondern auch der Rechtsberater der obersten Staatsorgane und dazu noch einer der sogenannten „grands corps“, d.h. der wichtigsten Laufbahngruppen des französischen Staatsdienstes, die außerhalb ihrer eigenen Institution wie dem Staatsrat auch in andere Verwaltungen und öffentliche Anstalten entsandt werden, um dort auf Zeit höhere Stellen zu besetzen. Dazu kommt, dass Mitglieder des Conseil d’Etat auch zu den eigentlichen Gründern der Verwaltungsrechtlehre in der Pariser Rechtsfakultät gehören, wie zum Beispiel Edouard Laferrière, der 1887/1888 das erste Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit und -rechtsbehelfe schrieb: „Traité de la juridiction administrative et des recours contentieux“. Es sei auch auf den Umfang des französischen Verwaltungsrechts hingewiesen. Seit mehr als einem Jahrhundert wird in Frankreich das Verwaltungsrecht nicht nur als Recht der öffentlichen Gewalt (puissance publique) begriffen, das heißt das Recht der Exekutive (Staat und Gebietskörperschaften), sondern auch als Recht des „service public“, ein Begriff, der sowohl dem der Daseinsvorsorge wie dem des sozialen Staatsziels nahekommt, aber in der Verwaltungsrechtsdogmatik viel bedeutender ist als diese letzteren in Deutschland. Weiter beinhaltet der französische Begriff des Verwaltungsaktes sowohl einseitige Entscheidungen als auch Verträge; einseitige Entscheidungen sind aber nicht nur Einzelfallentscheidungen, sondern auch allgemeine bzw. normative Entscheidungen (d.h. vor allem Verordnungen: décrets der Regierung, und arrêtés der Verwaltungsbehörden). Das bedeutet, dass das, was in Frankreich als Allgemeines Verwaltungsrecht begriffen wird, nicht nur das Recht der Verwaltungsakte im deutschen Sinne umfasst, sondern auch wichtige Fragestellungen des Verfassungsrechts, wie die Stellung und die Kontrolle der Verordnungen, und außerdem das Recht der Verträge und die Haftung der Verwaltung. Diese werden grundsätzlich weder vom Zivilrecht geregelt noch unterliegen sie der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Dieser immense Umfang des Verwaltungsrechts hat auch zur Folge, dass das Verwaltungsverfahrensrecht eigentlich nur einen kleinen Teil des Verwaltungsrechts bilden kann. Dies wiederum kommt im herkömmlichen Wortschatz des französischen Verwaltungsrechts zum Ausdruck, wo man vom „nicht streitigen Verwaltungsverfahren“ (procédure administrative non contentieuse) spricht, um es vom Verwaltungsprozess (contentieux administratif) zu unterscheiden; die französische Sprache macht gerade keinen Unterschied zwischen Prozess und Verfahren, die beide „procédure“ heißen, im Unterschied etwa zur italienischen oder spanischen Sprache, wo zwischen procedimento oder procedimiento und procedura bzw. proceso unterschieden wird.

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Das Fehlen einer französischen Verwaltungsverfahrensrechtslehre und eines allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes sollte aber nicht als Symptom des Fehlens eines französischen Verwaltungsverfahrensrechts gedeutet werden. Ganz im Gegenteil gibt es schon seit langem eine Vielzahl von Grundsätzen und Regeln des positiven Rechts, die denen des deutschen Rechts zum großen Teil entsprechen.

II. Die Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts: eine kurze Bestandsaufnahme 1. Die herkömmliche Entwicklung durch die Rechtsprechung: die sogenannten allgemeinen Rechtsgrundsätze Die allgemeinen Rechtsgrundsätze (principes généraux du droit) sind herkömmlich eine besonders wichtige Quelle des französischen öffentlichen Rechts, schon seit langem vom Conseil d’Etat als höchstem Verwaltungsgericht, und seit nunmehr vier Jahrzehnten auch von der Verfassungsgerichtsbarkeit, dem Conseil Constitutionnel entwickelt. Um dies zu verstehen, sollte man darauf hinweisen, dass die Französische Verfassung während der sogenannten III. Republik (von 1870 bis 1940) nur aus drei Verfassungsgesetzen bestand, die die Stellung des Parlaments, des Präsidenten der Republik und die Beziehungen zwischen Staatsorganen betrafen. Es gab keinen förmlichen Grundrechtskatalog, denn die Menschenrechtserklärung von 1789 war seit langem kein positivrechtlich verbindliches Gesetz mehr. Ab 1872 wurde der Conseil d’Etat auch formell ein unabhängiges Gericht, und entwickelte sich mehr und mehr zum Beschützer der Grundfreiheiten und -rechte. Dazu fand er die notwendigen Grundsätze sowohl in der nicht verbindlichen Erklärung von 1789 als auch zum Teil im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1804, das er aber als nicht direkt auf die Verwaltung anwendbar betrachtete. So bezeichnete er diese Grundsätze und Regeln als „allgemeine Rechtsgrundsätze“, die unter anderem in der Erklärung von 1789 und im Code Civil niedergelegt waren. Dazu entwickelte der Conseil d’Etat ferner Grundsätze, deren Ursprung im Zivil- und Strafprozessrecht und meistens auch in den betreffenden Prozessordnungen zu finden waren, die aber als solche nicht auf die Verwaltung anwendbar waren. So wurden während der III. Republik eine Reihe von wichtigen Grundsätzen entwickelt, die auf das Handeln der Verwaltung anzuwenden waren, wie etwa der Grundsatz der Einzelprüfung der Umstände (7. August 1920, Rechtssache Secrettant) oder die Grundsätze betreffend Rücknahme und Widerruf (3. November 1922 Rechtssache Dame Cachet und danach viele andere Entscheidungen).

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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Entwicklung solcher allgemeinen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsverfahrens intensiviert, z.B. mit –

den Grundsätzen der Anhörung und Akteneinsicht (26. Oktober 1945, Rechtssache Aramu und 5. Mai 1944, Rechtssache Veuve TrompierGravier (der Grundsatz der Akteneinsicht war eigentlich schon seit 1905 durch Gesetz für die Beamten eingeführt worden);



dem Grundsatz der Achtung der Verteidigungsrechte, der sogar vom Conseil Constitutionnel am 28. Dezember 1990, Rechtssache Loi de finances pour 1991 betreffend Steuersanktionen, als Verfassungsgrundsatz bezeichnet wurde;



dem Grundsatz paralleler Entscheidungszuständigkeiten bei Änderung und Rücknahme von Verwaltungsakten (13. März 1953, Rechtssache Teissier) sowie paralleler Verfahren (5. Juli 1950, Rechtssache Syndicat national des administrateurs des colonies) usw.;



dem System der Übertragung von Amtsbefugnissen (25. Februar 1949, Rechtssache Roncin, 8. Februar 1950, Rechtssache Chauvel);



den Grundsätzen betreffend Bekanntmachung und Inkrafttreten der Verwaltungsakte (19. Dezember 1952, Rechtssache Delle Mattéi, 28. November 1952, Rechtssache Dame Lefranc);



dem Verbot rückwirkender Verwaltungsakte (25. Juni 1948, Rechtssache Société du Journal l’Aurore und 3. Februar 1956, Rechtssache Dame Silvestre) und der einschränkenden Auslegung der diesbezüglichen Gesetzesvorschriften (25. Februar 1949, Rechtssache Ecole de Gerson, 28. Januar 1971, Rechtssache Emery);

Was Rücknahme und Widerruf betrifft, ist nicht nur auf die bereits erwähnte Entscheidung vom 3. November 1922, Dame Cachet zu verweisen, in der die Maßstäbe der Rechtswidrigkeit und Vorläufigkeit entwickelt worden sind, sondern auch auf die Entscheidung vom 24. Oktober 1997, Mme de Laubier, in der der Conseil d’Etat gegen die Möglichkeit eines Widerrufs auf eigene Initiative der Verwaltung nach Ablauf der Zweimonatsfrist für die Nichtigkeitsklage entschied. Hinsichtlich der wesentlichen und unwesentlichen Formvorschriften (formalités substantielles) sei auch Folgendes bemerkt: Frankreich wird allzu oft fälschlicherweise als typisches Modell zitiert, bei dem die Möglichkeit einer Heilung von Formfehlern besteht. Die Rechtsprechung besagt tatsächlich, dass unwesentliche Formvorschriften nicht die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (im französischen, breiten Sinne) nach sich zieht. Wenn aber eine Formvorschrift mit Gesetzesrang ein Recht oder ein Interesse des Bürgers schützt, handelt es sich definitionsgemäß um eine „wesentliche“ Formvorschrift. Was die

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Möglichkeit einer Heilung während des Verwaltungsprozesses betrifft, war diese bis 2004 nur bei Entscheidungen ohne Ermessensspielraum möglich. Seit einem Urteil des Conseil d‘Etat vom 6. Februar 2004, Rechtssache Hallal, ist die Heilung durch den Verwaltungsrichter auf Antrag der Verwaltung möglich, wenn 1) die neue Begründung tatsächlich die Entscheidung rechtlich begründen kann und 2) die Verwaltung tatsächlich mit dieser Begründung die gleiche Entscheidung getroffen hätte. Dies darf aber nicht dazu führen, dass dem Kläger eine Verfahrensgarantie entzogen wird; er soll sich zu der Änderung der Begründung vorher äußern dürfen. Was die Rechtssicherheit angeht, so kann darauf hingewiesen werden, dass diese nun insbesondere durch einen verbesserten Zugang der Bürger zum Recht zum Ausdruck kommt und die Zugänglichkeit und die Verständlichkeit des Gesetzes in den Rang eines Verfassungsziels erhoben worden ist (Entscheidung des Conseil Constitutionnel, Rechtssache 99-421 DC vom 16.12.1999). Schließlich darf die äußerst umfangreiche Rechtsprechung sowohl des Conseil Constitutionnel als auch des Conseil d’Etat zur Auslegung und Anwendung der neuen Gesetze nicht vergessen werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Rechtsprechung durch die Entdeckung allgemeiner Rechtsgrundsätze ein umfangreiches französisches Recht des Verwaltungsverfahrens entwickelt hat und fast täglich weiterentwickelt.

2. Die Entwicklung durch den Gesetzgeber Schon 1905 hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz über Akteneinsicht und Anhörung der Beamten eine wichtige Garantie im Verwaltungsverfahren entwickelt. Vor allem aber seit Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hat er wirklich zur Entwicklung der Verfahrensgarantien beigetragen. Nicht nur der Gesetzgeber selbst – das Parlament –, sondern auch die Regierung als Verfasser von Verordnungen haben dazu beigetragen. Laut Artikel 34 der Verfassung von 1958 sollen durch Gesetz u.a. geregelt werden: […] –

die Steuerbemessungsgrundlagen, die Steuersätze und das Erhebungsverfahren für Steuern und Abgaben aller Art […],[…]



das Wahlsystem […] der lokalen Versammlungen und der Gremien […] sowie die Bedingungen für die Ausübung von Wahlmandaten und -ämtern der Mitglieder der beratenden Versammlungen der Gebietskörperschaften;



die Schaffung neuer Kategorien von öffentlichen Anstalten;



die den zivilen und militärischen Staatsbeamten gewährten grundlegenden Garantien;

und weiter sollen durch Gesetz die Grundsätze geregelt werden für:

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die allgemeine Organisation der nationalen Verteidigung;



die Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften, ihre Zuständigkeiten und ihre Einnahmequellen;



das Unterrichtswesen;



die Erhaltung der Umwelt.

Laut Artikel 37 werden die Bereiche, die nicht zur Gesetzgebung zählen, auf dem Verordnungsweg geregelt. Dies heißt grundsätzlich, dass es dem Parlament zwar frei steht, in alle Bereiche einzugreifen, die die Grundsätze und Regeln des Verwaltungsverfahrens betreffen, aber auch, dass die Regierung bei Fehlen einer gesetzlichen Grundlage – außer in den in Artikel 34 genannten Gebieten – Verordnungen erlassen kann unter der gerichtlichen Kontrolle des Conseil d’Etat. Vom Parlament für diese Bereiche in Gesetzesform erlassene Texte können nach Genehmigung vom Conseil Constitutionnel durch Verordnung geändert werden. In chronologischer Reihenfolge können folgende wichtige Texte genannt werden: –

das Gesetz vom 3. Januar 1973, das den Bürgerbeauftragten (Médiateur de la République) einführte;



das Gesetz vom 6. Januar 1978 über Datenschutz („EDV und Freiheiten“) (Informatique et libertés) und das Gesetz vom 17. Juli 1978 („Zugang zu Verwaltungsdokumenten“), beide durch die Einrichtung einer besonderen unabhängigen Verwaltungsbehörde (Autorité administrative indépendante) gekennzeichnet, nämlich die „Commission de l’Informatique et des Libertés (CNIL)“ (Datenschutzbehörde) und die „Commission d’Accès aux Documents Administratifs (CADA)“ (Behörde für Zugang zu Dokumenten), die es beide geschafft haben, sich neben dem Bürgerbeauftragten ein besonderes Ansehen in der Öffentlichkeit zu erwerben;



das Gesetz vom 11. Juli 1979 über Begründung von (individuellen) Verwaltungsakten;



die Verordnung vom 28. November 1983 über die Beziehungen zwischen der Verwaltung und den Benutzern, die zum Teil eine Kodifizierung der Rechtsprechung über kontradiktorisches Verfahren, über Fristen und stillschweigende Entscheidungen und die Begründung der Verwaltungsentscheidungen enthielt, die Anonymität des Beamten abschaffte und den Grundsatz der Empfangsbestätigung und der Rechtswegbelehrung enthielt. Da dieser Text als Verordnung erlassen wurde, konnte er jedoch nur für die Staatsverwaltung gelten, nicht aber für die vom Grundsatz der freien Verwaltung geschützten Gebietskörperschaften;

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das Gesetz vom 12. April 2000 über die Rechte der Bürger in ihren Beziehungen zur Verwaltung, das die umfangreichste gesetzliche Regelung zum allgemeinen Verwaltungsverfahren darstellt. Zum Teil wurde damit die Ausdehnung der Grundsätze und Regeln der Verordnung von 1983 auf die Gebietskörperschaften erreicht, zum Teil wurden andere Grundsätze der Rechtsprechung kodifiziert und ausgedehnt, zum Teil auch neue Regeln und Grundsätze geschaffen wie etwa hinsichtlich der Form der Anträge (Brief/elektronisch) oder die Pflicht des Widerrufs.



Seit kurzem zu nennen sind außerdem noch das Gesetz vom 2. Juli 2003 zur Rechtvereinfachung (das u.a. eine Ermächtigung der Regierung zur Vereinfachung der Verwaltungsvorgänge enthielt), und die Verordnung vom 22. Oktober 2002 betreffend die Organisation der öffentlichen Debatte und den Nationalen Ausschuss der öffentlichen Debatte (Commission Nationale du Débat Public).

Mit den Gesetzen der 1970er Jahre wurden in Frankreich im Wesentlichen die Grundsätze einer „offenen Verwaltung“ übernommen, die einen Abschied vom sogenannten Napoleonischen Verwaltungsmodell verkörpern. Mit dem Gesetz vom Jahre 2000 hat ein Teil der Rechtslehre angefangen, einen Begriff der Verwaltungsdemokratie (Démocratie administrative) bzw. der Verwaltungsbürgerschaft (Citoyenneté administrative) zu entwickeln, der nun auch das EU-Grundrecht auf eine gute Verwaltung (Art. 41 EU-Grundrechte-Charta) umfasst.

3. Die Rolle des Conseil d’Etat in der Gesetzgebung Es muss darauf hingewiesen werden, dass der Conseil d’Etat nicht nur als höchstes Verwaltungsgericht bei der Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts eine wichtige Rolle spielt, sondern auch bei deren Entwicklung durch den Gesetzgeber und die Regierung. Formell ist der Conseil d’Etat am Gesetzgebungsverfahren beteiligt, da dessen Stellungnahmen bei Gesetzesvorlagen der Regierung sowie bei Verordnungsvorlagen unentbehrlich sind. Diese Stellungnahmen werden von den sogenannten Verwaltungssektionen (Sections administratives) des Conseil d’Etat erlassen. Jedes Mitglied des Conseil d’Etat war bis 2010 Mitglied einer dieser Sections administratives des Conseil d’Etat, auch diejenigen Mitglieder, die zur Section du Contentieux (dem obersten Verwaltungsgericht Frankreichs) gehören. Dazu kommt in informeller Hinsicht noch die weithin anerkannte Erfahrung und das Prestige der Conseillers d’Etat, die in Verwaltung und Politik einen wichtigen Einfluss haben. Als Beispiel soll die Einrichtung des Médiateur de la République erwähnt werden: vor 1973 sagten die meisten Mitglieder des Conseil d’Etat, dass eine

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Art Ombudsmann in Frankreich nicht nötig wäre, da es eine ausgezeichnete Verwaltungsgerichtsbarkeit gebe. Eines der Mitglieder jedoch, Guy Braibant, hatte seit den 1960er Jahren rechtsvergleichende Studien geleitet, in denen u.a. die wichtige Rolle des skandinavischen Ombudsman gelobt wurde. Braibant, der zu Beginn seiner Karriere Mitarbeiter von René Cassin war, der einer der Verfasser der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und der EMRK von 1950 war, hatte sich ab den 1960er Jahren innerhalb des Conseil d’Etat für eine größtmögliche Effektivität des Verwaltungsrechts eingesetzt. Jahrelang war er Vorsitzender des schon erwähnten Kodifikationsausschusses; in den 90er Jahren war er Vorsitzender des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften und im Jahre 2000 Vertreter der französischen Exekutive im Konvent der die Grundrechte-Charta, wo er mit dem Europäischen Bürgerbeauftragten Jakob Söderman einer der Initiatoren des Artikels 41 der EUCharta über das Recht auf eine gute Verwaltung war. Der Conseil d’Etat hat bei den meisten oben genannten Gesetzen und Verordnungen eine herausragende Rolle gespielt, ohne aber darauf zu verzichten, von Zeit zu Zeit wichtige Rechtsänderungen durch Rechtsprechungsänderungen zu schaffen, wie etwa mit der Entscheidung vom 16. Juli 2007 in der Rechtssache Tropic, die die Konkurrentenklage im Vergaberecht betrifft. Mehr und mehr fördert er aber Reformen durch die Vorbereitung von Gesetzesvorlagen, wie etwa 1995 die Reform des Verwaltungsprozessrechts, durch die die Verpflichtungsklage – auch hinsichtlich Verordnungen – eingeführt wurde. Diese wichtige Rolle des Conseil d’Etat hat zur Folge, dass die Lehre in Frankreich bei solchen Reformen eine viel geringere Rolle spielt als in vielen anderen kontinentaleuropäischen Ländern.

III. Ein paar Bemerkungen zum europäischen Einfluss auf das französische Verwaltungsverfahren 1. Allgemeiner Einfluss a) Europäische Menschenrechtskonvention Bemerkenswert ist die Rolle, die in Frankreich seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts insbesondere Art. 6 EMRK gespielt hat, der das Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet, und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die französischen Verwaltungsgerichte haben die diesbezüglichen Rechte im Verwaltungsprozess angewendet, obwohl es im Absatz 1 heißt: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem

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unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“ Mehr und mehr finden die Verwaltungsgerichte auch in der Straßburger Rechtsprechung Anregungen für die Entwicklung der eigenen Rechtsprechung hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens. b) EG/EU-Recht Seit Anfang des XXI. Jahrhunderts gibt es zwischen der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und dem EuGH immer mehr Übereinstimmung, im Gegensatz zur eher zögernden Haltung des Conseil d’Etat bis zum Ende der achtziger Jahre. Dies erklärt unter anderem, warum bei der Umsetzung von Richtlinien mit einem verwaltungsverfahrensrechtlich relevanten Inhalt eigentlich kein Widerstand seitens der Gerichte zu spüren ist, und der Conseil d’Etat, der auch eine Struktur für die Beratung von EU-Recht geschaffen hat, als treibende Kraft einer guten Umsetzung agiert. Hierfür kann man beispielsweise die sektorspezifischen Richtlinien zu Netzwerkindustrien bzw. -dienstleistungen nennen. Unter anderem ist zu bemerken, dass unabhängige Verwaltungsbehörden nur akzeptiert werden, da es seit den siebziger Jahren eine parallele Entwicklung auch in Frankreich gegeben hat. Beim Datenschutz und dem Vergaberecht ist die Lage zwar kompliziert, aber es gibt genügend beiderseitige Einflüsse, um nun eine insgesamt eher reibungslose Zusammenarbeit mit den EU-Organen zu gewährleisten. Das heißt natürlich nicht, dass es gar keine Umsetzungsprobleme gibt; diese sind jedoch meistens nur technischer Art. Als letztes sei kurz die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006 erwähnt. Bisher hat diese nur zu sektoriellen Umsetzungsmaßnahmen geführt. Weder in der Lehre, noch beim Conseil d’Etat gibt es eine besondere Aufmerksamkeit, noch besondere Befürchtungen hinsichtlich der Neuheiten, die in Deutschland diskutiert werden.

IV. Zusammenfassend Es gibt in Frankreich zwar kein allgemeines Gesetz zum Verfahrensrecht, aber ein ausgedehntes und sich weiterentwickelndes Verfahrensrecht, dessen Quellen sowohl die Gesetze als auch die Rechtsprechung sind, und zwar für Verwaltungsakte im deutschen Sinne, für Verordnungen und andere allgemeine Bestimmungen der Verwaltungsbehörden sowie für Verträge der Verwaltung.

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Einige eher isolierte Stimmen in der Lehre setzen sich für die Entwicklung einer Dogmatik des Verwaltungsverfahrens ein; der Staatsrat behält indes die Hauptrolle in der pragmatischen Entwicklung des Rechtschutzes. Die Entwicklungen bleiben von der Argumentation des New Public Management wenig beeinflusst, ganz im Gegenteil heißt das Motto: „Verwaltungsbürgerschaft“.

V. Bibliographische Angaben Hinsichtlich der rechtsvergleichenden Analyse Deutschland/Frankreich sei unter anderen auf den Vortrag von Prof. Dr. Michael Fehling bei der Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 2010 hingewiesen. Für eine Darstellung des zeitgenössischen französischen Verwaltungsrechts in deutscher Sprache ist auf zwei Autoren zu verweisen, deren Texte bald veröffentlicht werden: Prof. Dr. Jean Louis Mestre in: von Bogdandy/Cassese/ Huber (Hrsg.) Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band III, Verwaltungsrecht in Europa: Grundlagen, Heidelberg 2011; und Prof. Dr. Pascale Gonod in: von Bogdandy/Cassese/Huber (Hrsg.) Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band V, Verwaltungsrecht in Europa: Grundzüge, Heidelberg 2011 oder 2012.

Das Verwaltungsverfahrensgesetz im europäischen Kontext: Der Fall Italiens Diana-Urania Galetta

I. Einführende Bemerkungen: Zur Entstehung des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes Das Verwaltungsverfahren ist in Italien durch ein Gesetz von 1990 normiert worden. Vor dem Erlass dieses Gesetzes gab es entweder spezielle Gesetze für bestimmte Sektoren (wie z.B. das Gesetz zum Enteignungsverfahren1) oder von der Rechtsprechung geschaffene allgemeine Rechtsgrundsätze2. Ein erster Entwurf eines allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes wurde Mitte der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts vorgelegt, der das österreichische Modell als Vorbild hatte3. Der Gesetzentwurf wurde dem Parlament mehrmals vorgelegt, aber nie als Gesetz angenommen4. Anfang der 1980er Jahre hatte sich die Diskussion über die Rolle und die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der italienischen Lehre so weit ausgebreitet, dass eine neue Kommission benannt wurde, die den spezifischen Auftrag hatte, einen neuen Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes vorzubereiten5.

___________ 1 Gesetz vom 25. Juni 1865, Nr. 2359, Espropriazioni per causa di utilità pubblica, in: Gazzetta Ufficiale vom 8.7.1865. 2 Siehe dazu A. Sandulli, Il procedimento amministrativo, in: Cassese (a cura di), Trattato di diritto amministrativo, Band II, Milano 2003, S. 1035 ff. 3 Es handelte sich um die Arbeit von zwei verschiedenen Kommissionen, die zwischen 1944 und 1947 arbeiteten und beide von Prof. Ugo Forti als Vorsitzenden geleitet wurden. Vgl. dazu De Valles, Sul progetto di una legge generale sulla pubblica amministrazione, in: Riv. amm. 1949, 451 ff.; Di Giovanni, La concezione della pubblica amministrazione nei lavori della prima Commissione Forti, in: Jus 1984, 156 ff. 4 Siehe dazu Pastori (Hrsg.), La procedura amministrativa, Milano 1964. 5 Die sog. „Nigro-Kommission“, benannt nach ihrem Vorsitzenden Prof. Mario Nigro.

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Die Arbeit dieser Kommission dauerte viel länger als vorgesehen und ihre Ergebnisse fanden nur teilweise Entsprechung im Gesetz6. Insbesondere wurde der Gesetzentwurf für ein Verwaltungsverfahrensgesetz mit einem anderen verbunden, der ein Gesetz über den Zugang zu Akten enthielt. Daher findet man im italienischen Verwaltungsverfahrensgesetz alle Vorschriften zum Aktenzugang7. Der Grund, warum das Verwaltungsverfahrensgesetz in Italien – im Vergleich zu Deutschland und anderen europäischen Staaten – so spät verabschiedet wurde, liegt darin, dass sich die Analyse in der italienischen Lehre bis Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts auf die Theorie und das Konzept des Verwaltungsaktes konzentriert hat, da in Italien die Problematik der Art und Weise des Gerichtsschutzes nur über den Begriff und die Eigenschaften des Verwaltungsaktes determiniert wurde8. Erst seit der Monographie von Prof. Aldo Mazzini Sandulli aus dem Jahre 19409 sprach man von Verwaltungsverfahren im Sinne einer Reihenfolge von miteinander verbundenen Aktivitäten und Akten, die auch eine Bedeutung an sich haben und nicht nur in Verbindung mit dem zu erlassenen Verwaltungsakt. Dennoch ist es noch heutzutage die Regel im italienischen Recht, dass normalerweise nur der das Verfahren beendende Verwaltungsakt anfechtbar ist, weil eine Verwaltungsklage erst dann erhoben werden kann, wenn die Verletzung der Rechtsinteressen der Kläger direkt und aktuell ist. Deswegen sind die Akte, die im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens erlassen werden, nicht selbstständig, sondern erst in Verbindung mit dem Endverwaltungsakt anfechtbar10.

II. Das italienische Verwaltungsverfahrensgesetz (Gesetz Nr. 241 vom 7. August 1990): Philosophie und Hauptfunktionen des Verwaltungsverfahrens Das italienische Gesetz über Verwaltungsverfahren wurde erst im August 1990 erlassen. Es ist das Gesetz Nr. 241 vom 7. August 1990: Ein allgemeines ___________ 6 Die wichtigsten Änderungen wurden nach dem Gutachten des „Consiglio di Stato“ angenommen worden (Cons. St., Gutachten vom 19. Februar 1987, Nr. 7, in: Foro italiano, 1988, III, S. 22 ff.). 7 Es handelt sich um Titel V des Gesetzes Nr. 241/90. 8 Siehe dazu weiter A. Sandulli, Il procedimento amministrativo (Anm. 2), S. 1056 ff. 9 A. M. Sandulli, Il procedimento amministrativo, Milano, 1940. 10 Siehe infra Par. VII.

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Gesetz, das nur die allgemeinen Grundzüge des Verwaltungsverfahrens normiert. Das Gesetz Nr. 241/1990 nimmt insbesondere Bezug auf das Modell des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1976; im Vergleich zu diesem ist es jedoch kürzer11. Was Sinn und Zweck des Verwaltungsverfahrens angeht, hat die italienische Lehre insbesondere vier Hauptfunktionen des Verwaltungsverfahrens identifiziert, die im Gesetz Entsprechung finden12: Die erste Funktion ist die sog. Ermittlungsfunktion. Das Verwaltungsverfahren dient in diesem Sinne der Überprüfung, ob Gesetz und zu adoptierender Verwaltungsakt miteinander übereinstimmen. Es gibt, zweitens, eine Ergänzungsfunktion. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens wird das Gesetz mit Ermessensentscheidungen integriert und ergänzt. Diese zweite Funktion des Verwaltungsverfahrens ist besonders wichtig, wenn es sich um besonders komplexe Verwaltungstätigkeiten handelt, wie es zum Beispiel im Rahmen der Wirtschaftsverwaltung sehr oft der Fall ist. Die dritte Funktion dient der Identifizierung und Auswahl der relevanten Interessen. Hierbei spielen insbesondere die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter eine zentrale Rolle. Schließlich kann man eine der Hierarchisierung der relevanten Interessen dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens ausmachen. Hierbei spielen insbesondere die allgemeinen Rechtsgrundsätze eine wichtige Rolle, worauf sich das Gesetz Nr. 241/90 in Art. 1 bezieht13. Das Gesetz Nr. 241/90 ist seit seinem Inkrafttreten schon mehrmals geändert worden, insbesondere durch die Gesetze Nr. 15/200514, Nr. 80/200515, ___________ 11 Siehe dazu Morbidelli, Il procedimento amministrativo, in: Mazzarolli/Pericu e.a. (a cura di), Diritto amministrativo, vol. I parte generale, Bologna, 4. Aufl., 2005, S. 531 ff. (553 ff.). 12 Siehe dazu Galetta, Il potere amministrativo e il procedimento, in: Cacciavillani/Corletto/Galetta/Gola/Police/Spasiano (Hrsg.), La pubblica amministrazione e il suo diritto, Bologna, 2011. 13 Siehe dazu Morbidelli, Il procedimento amministrativo (Anm. 11), S. 560 ff. 14 Gesetz vom 11. Februar 2005, Nr. 15, „Modifiche ed integrazioni alla legge 7 agosto 1990, Nr. 241/90, concernenti norme generali sull'azione amministrativa“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 42 vom 21.02.2005. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 15 Gesetz vom 14. Mai 2005, Nr. 80, „Conversione in legge, con modificazioni, del decreto-legge 14 marzo 2005, Nr. 35, recante disposizioni urgenti nell’ambito del Piano di azione per lo sviluppo economico, sociale e territoriale. Deleghe al Governo per la modifica del codice di procedura civile in materia di processo di cassazione e di arbitrato nonché per la riforma organica della disciplina delle procedure concorsuali“, in: Gaz-

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Nr. 69/200916 und Nr. 122/201017. Infolge dieser Gesetze, mit denen der italienische Gesetzgeber das Gesetz Nr. 241/90 seit 2005 substantiell modifiziert hat, ist mittlerweile auch viel von den Grundideen und Grundprinzipien verloren gegangen.

III. Anwendungsbereich des Gesetzes Nr. 241/1990 vor und nach der „föderalistischen“ Verfassungsreform von 2001 In Italien fand 2001 eine „föderalistische“ Reform der Verfassung statt18. Als Folge ist Art. 29 des Gesetzes Nr. 241/1990 geändert worden. Laut seiner neuen Fassung können die Regionen und die anderen innerstaatlichen Körperschaften Italiens im Rahmen ihrer Kompetenzen auch Vorschriften über das Verwaltungsverfahren erlassen. Als Grenze dieser Kompetenz sind aber explizit die Grundsätze des Gesetzes 241/1990 genannt19. Diese Vorschrift hatte zu verschiedenen Auslegungen dessen geführt, was unter dem Begriff „Grundsätze des Gesetzes 241/1990“ zu verstehen ist. So hat der Gesetzgeber mit Gesetz Nr. 69/200920 den Absatz 1 des Art. 29 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes abermals geändert und dort explizit die Vorschriften aufgelistet, die für alle öffentlichen Verwaltungen Anwendung finden, somit auch für die öffentlichen Verwaltungen der 20 italienischen Regionen21. ___________ zetta Ufficiale Nr. 111 vom 14.05.2005 – S.O. Nr. 91. Im Internet abrufbar (www. parlamento.it). 16 Gesetz vom 18. Juni 2009, Nr. 69, „Disposizioni per lo sviluppo economico, la semplificazione, la competitività nonché in materia di processo civile“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 140 vom 19.06.2009 – S.O. Nr. 95. Im Internet abrufbar (www. parlamento.it). 17 Gesetz vom 30. Juli 2010 Nr. 122, „Conversione in legge, con modificazioni, del decreto-legge 31 maggio 2010, Nr. 78, recante misure urgenti in materia di stabilizzazione finanziaria e di competitività economica“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 176 vom 30.07.2010. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 18 Gesetz vom 18. Oktober 2001, Nr. 3, „Modifiche al titolo V della parte seconda della Costituzione“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 248 vom 24.10.2001. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 19 „Le regioni e gli enti locali, nell’ambito delle rispettive competenze, regolano le materie disciplinate dalla presente legge nel rispetto del sistema costituzionale e delle garanzie del cittadino nei riguardi dell’azione amministrativa, così come definite dai principi stabiliti dalla presente legge“ (Art. 29 Abs. 2). 20 Siehe Fn. 16. 21 Es handelt sich um die Vorschriften bezüglich des verspäteten Erlasses eines Verwaltungsaktes (Art. 2-bis), bezüglich der den Verwaltungsakt ergänzenden oder ersetzenden Verwaltungsabkommen (Art. 11), bezüglich der Verwaltungsabkommen unter

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Mit Gesetz Nr. 69/2009 sind zwei neue Absätze in Art. 29 hinzugefügt worden (Abs. 2-bis u. 2-ter), die Bezug auf diejenigen Vorschriften nehmen, die für die regionalen Gesetzgeber laut Art. 117 Abs. 2 lit. m) der italienischen Verfassung als Mindeststandard gelten (livelli essenziali delle prestazioni)22. Deshalb ist es möglich – wie es von Art. 29 Par. 2-quater genau erklärt wird – mit Regionalgesetzen Vorschriften zu erlassen, die ein höheres Schutzniveau bestimmen als das vom Gesetz 241/1990 bestimmte. Dagegen ist es nicht möglich, Vorschriften zu erlassen, die im Bezug auf das Gesetz 241/1990 ein niedrigeres Schutzniveau für den Privaten bestimmen23. Alle diese Normen gelten auch für die fünf Regionen mit Sonderstatus.

IV. Die jüngsten Entwicklungen des Verwaltungsverfahrensrechts in Italien Zu den wichtigsten von Gesetz Nr. 241/90 eingeführten Neuheiten gehören die Vorschriften zur Anhörung und Mitwirkung Beteiligter. Sie entsprechen zur gleichen Zeit verschiedenen Funktionen des Verwaltungsverfahrens, insbesondere der oben genannten dritten Funktion, die der Identifizierung und Auswahl der relevanten Interessen dient. Die Grundidee war – ähnlich wie in § 28 des deutschen VwVfG – dass es für diejenigen, die vom Verwaltungsakt in ihren Rechten oder legitimen Interessen betroffen sein könnten, eine Möglichkeit bestehen muss, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, und zwar vor Erlass des Verwaltungsaktes24. Dafür enthält das Gesetz Nr. 241/90 einen Titel III, der die Vorschriften über die Mitwirkung im Verfahren enthält (Capo III – Partecipazione al procedimento amministrativo). ___________ öffentlichen Verwaltungen (Art. 15), bezüglich der Beschwerde über den Aktenzugang (Art. 25 c. 5, 5-bis e 6), und bezüglich der Vorschriften von Titel IV-bis des Gesetzes. 22 Es sind insbesondere die Vorschriften des Gesetzes 241/1990, die die Verwaltung dazu verpflichten, die Mitwirkung der Privaten im Verfahren sicherzustellen, die Vorschriften über die zuständigen Behörden, die Vorschriften über die Frist für den Erlass der Verwaltungsaktes, die Vorschriften über den Zugang zu den Akten, die Vorschriften über die stillschweigend erteilten Verwaltungsakte und – nach dem Gesetz Nr. 122/2010 – auch die Vorschriften über die „bescheinigte Ankündigung des Anfangs einer Tätigkeit“ (segnalazione certificata di inizio attività – SCIA). 23 „Le regioni e gli enti locali, nel disciplinare i procedimenti amministrativi di loro competenza, non possono stabilire garanzie inferiori a quelle assicurate ai privati dalle disposizioni attinenti ai livelli essenziali delle prestazioni di cui ai commi 2-bis e 2-ter, ma possono prevedere livelli ulteriori di tutela“ (Art. 29 Abs 2-quater). 24 Vgl. dazu Morbidelli, Il procedimento amministrativo (Anm. 11), S. 633 ff. m.w.N.

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Darin findet man die Vorschriften über die Mitteilung des Beginns eines Verfahrens (Art. 7 u. 8) und über die Anhörung und Mitwirkung Beteiligter (Art. 9 ff.). Mit einer wichtigen Reform von 200525 hat der Gesetzgeber dem Verwaltungsverfahrensgesetz von 1990 eine Vorschrift hinzugefügt, die die Verfahrensgarantien der Privaten im Verwaltungsverfahren im Grunde entwertet. Es handelt sich um die Vorschrift des neuen Art. 21-octies des Gesetzes Nr. 241/9026, wonach „[d]ie Aufhebung eines gebundenen Verwaltungsaktes […] nicht allein deshalb beansprucht werden [kann], weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren oder die Form zustande gekommen ist, wenn es offensichtlich ist, dass es keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können“27 (Abs. 2-1). Laut Abs. 2-2 kann aber auch die Aufhebung eines nicht gebundenen Verwaltungsaktes „ […] jedenfalls nicht wegen Verletzung der Vorschriften zur Mitteilung des Anfangs eines Verfahrens beansprucht werden, wenn die Verwaltung im Gerichtsverfahren beweist, dass keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können“28 (Abs. 2-1). Es handelt sich bei dieser Vorschrift um eine „Mischfassung“ zwischen Art. 46 des deutschen VwVfG in der Fassung vor und der Fassung nach der Reform des Gesetzes über die Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens von 1996. Das Problem liegt aber nicht in der Vorschrift an sich, sondern in der Art und Weise, wie sie von den italienischen Gerichten angewendet worden ist. Die italienischen Gerichte haben in der Tat – ganz im Gegenteil zur Haltung der deutschen Verwaltungsgerichte – nicht nur eine ausgedehnte Anwendung der Vorschrift des Art. 21-octies Abs. 2 von Anfang an unterstützt. Sie haben mit ihren in der Zwischenzeit erlassenen Urteilen die für die öffentliche Verwaltung großzügigste Auslegung der Vorschrift durchgesetzt. Insbesondere haben sie in ihren Urteilen sehr oft so entschieden, als ob weder das Adverb „offensichtlich“ von Abs. 2-1 noch der Zwischensatz „wenn die Verwaltung im ___________ 25

Gesetz 11. Februar 2005, Nr. 15 (Anm. 14). Siehe dazu Galetta, Violazione di norme sul procedimento amministrativo e annullabilità del provvedimento. Milano, Giuffré, 2003, S. 166 ff; dies., Notazioni critiche sul nuovo Art. 21-octies della legge n. 241/90, in: Giustizia amministrativa (www.giustamm.it) 2005/2, S. 1 ff. 27 Art. 21-octies Abs. 2-1: „Non è annullabile il provvedimento adottato in violazione di norme sul procedimento o sulla forma degli atti qualora, per la natura vincolata del provvedimento, sia palese che il suo contenuto dispositivo non avrebbe potuto essere diverso da quello in concreto adottato“. 28 Art. 21-octies Abs. 2-2: „Il provvedimento amministrativo non è comunque annullabile per mancata comunicazione dell'avvio del procedimento qualora l'amministrazione dimostri in giudizio che il contenuto del provvedimento non avrebbe potuto essere diverso da quello in concreto adottato“. 26

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Gerichtsverfahren beweist“ von Abs. 2-2, existent wären29. Im Ergebnis bedeutete dies de facto eine Entwertung der im Gesetz Nr. 241/90 den Privaten gewährten Verfahrensgarantien. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine der größten Neuheiten des Gesetzes Nr. 241/90 praktisch zunichte gemacht worden ist.

V. Fortsetzung: Allgemeine Rechtsgrundsätze des EU-Rechts und Verwaltungsverfahren vor und nach dem Gesetz Nr. 15/2005 Was das Gesetz Nr. 15/2005 den Privaten im Verwaltungsverfahren mit der Einfügung von Art. 21-octies im Gesetz Nr. 241/90 einerseits genommen hat, hat es andererseits aber mit der Modifizierung des Art. 1 Abs. 1 potentiell zurückgegeben. Das gilt insbesondere seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages. Nach der durch das Gesetz Nr. 15/2005 modifizierten, aktuellen Fassung von Art. 1 Abs. 1 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist „die Verwaltungstätigkeit […] von den Grundsätzen der EG-Rechtsordnung geleitet“30. Diese Grundsätze sind jetzt in Art. 41 der nach Lissabon rechtlich verbindlichen EU-Grundrechte-Charta (GRC) zu finden. Es ist deshalb jetzt einfacher, darauf zu verweisen, als früher, als man hinsichtlich der genannten Grundsätze noch direkt auf die Rechsprechung der EU-Gerichte Bezug nehmen musste. Dies heißt jedoch nicht, dass es nun nicht mehr nötig wäre, die Rechtsprechung der EU-Gerichte in die Betrachtung einzubeziehen, um die konkreten Inhalte der Verfahrensrechte zu ermitteln31. Dass es sich aber um Verfahrensrech-

___________ 29 Siehe dazu Galetta, L’Art. 21-octies della novellata legge sul procedimento amministrativo nelle prime applicazioni giurisprudenziali: un’interpretazione riduttiva delle garanzie procedimentali contraria alla Costituzione e al diritto comunitario, in: Sandulli (Hrsg.), Riforma della L. 241/90/1990 e processo amministrativo- Il Foro amministrativo/TAR, Sonderheft Nr. 2. (auch in: www.giustamm.it – 2006/9); s. auch zuletzt dies. Diritto ad una buona amministrazione e ruolo del nostro giudice amministrativo dopo l’entrata in vigore del Trattato di Lisbona, in: Diritto Amministrativo 2010/3, 601 ff. 30 Art. 1 Abs. 1: „L’attività amministrativa (...) è retta (…) dai princípi dell'ordinamento comunitario.“ 31 Siehe dazu insbes. Galetta/Grzeszick, Kommentar zu Art. 41 Grundrechtecharta, in: Stern/Tettinger (Hrsg.), Europäische Grundrechtecharta, Kölner GemeinschaftsKommentar, Köln 2006, S. 661 ff. (668 ff.), sowie dies., Inhalt und Bedeutung des europäischen Rechts auf gute Verwaltung, in: Europarecht, 2007, 57 ff.

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te handelt, kann man jetzt zweifellos aus dem Wortlaut des Art. 41 GRC entnehmen, wonach „[j]ede Person […] ein Recht darauf“ hat32. Was den Inhalt dieses Rechts angeht, handelt es sich laut Art. 41 Abs. 1 GRC um das Recht jeder Person darauf, „dass ihre Angelegenheiten […] unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden“. Laut Abs. 2 der Vorschrift geht es dann insbesondere um: –

ein Anhörungsrecht, das heißt „das Recht einer jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird“,



ein Recht auf Zugang zu den Akten, das heißt „das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des legitimen Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses“;



und ein Recht auf Begründung von Verwaltungsakten, das heißt „die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen“33.

Konkret bedeutet dies, dass die mit Gesetz Nr. 241/90 den Privaten gewährten Verfahrengarantien, die durch die Modifizierung des Gesetzes von 2005 (insbes. mit der Einfügung vom Art. 21-octies Abs. 2) entleert worden sind, durch Art. 41 GRC wieder ihren Platz im Verwaltungsverfahren zurückgewinnen können: Der italienische Gesetzgeber hat – wenn auch völlig unbewusst – den Spill-over-Effekt dieser (in Art. 41 GRC enthaltenen) Rechte im italienischen Recht durch die gleichzeitige Modifizierung der Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 italienisches Verwaltungsverfahrensgesetz34 sichergestellt35.

___________ 32 Das heißt, dass die Vorschrift damit nicht auf Unionsbürger beschränkt ist, sondern ein Menschenrecht darstellt. 33 Siehe Anm. 31. 34 Noch mit Gesetz 11. Februar 2005, Nr. 15 (Anm. 14). 35 Wie ich bereits an anderer Stelle argumentiert habe, entspricht der Anwendungsbereich von Art. 41 GRC dem von Art. 51 GRC, der festlegt, dass die Grundrechtecharta auch „für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ gilt. Es ist aber schon lange bekannt, dass die vom EU-Recht anerkannten Rechte sich dann immer mehr auf die nationalen Rechtsordnungen erstrecken, und zwar nicht nur in den unionsrechtlich relevanten Fällen, sondern auch in den Fällen, die völlig zur Kompetenz der Mitgliedstaaten gehören. In diesem spezifischen Fall handelt es sich um einen durch nationale Gesetze verursachten Spill-over-Effekt; vgl. dazu m.w.N. Galetta, Recht auf eine gute Verwaltung und Fehlerfolgenlehre nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages: Der Fall Deutschlands und Italiens, in: Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat, Festschrift für Klaus Stern, Berlin 2011, insbes. Par. 3 ff.

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Das Vorabentscheidungsersuchen des italienischen Rechnungshofs (Corte dei Conti) vom 6. Oktober 2010 im Fall Cicala36 ist ein wichtiger Beweis dafür, dass auch die nationalen Gerichte sich dessen langsam bewusst werden.

VI. Dienstleistungsrichtlinie und Verwaltungsvereinfachung: Keine Neuheit für das italienische Verwaltungsverfahrensrecht Verwaltungsvereinfachung ist eines der „Zauberworte“ der Dienstleistungsrichtlinie „Bolkestein“ aus dem Jahre 200637. Im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie steht der Begriff „Verwaltungsvereinfachung“ insbesondere für die folgenden vier Aspekte: 1.

„Die Beschränkung der Pflicht zur Vorabgenehmigung auf die Fälle, in denen diese unerlässlich ist“ 38.

2.

„Die Einführung des Grundsatzes, wonach eine Genehmigung nach Ablauf einer bestimmten Frist als von den zuständigen Behörden stillschweigend erteilt gilt“39.

3.

Die Abschaffung von generellen formalen Anforderungen, „[…] wie etwa die Vorlage von Originaldokumenten, beglaubigten Kopien oder beglaubigten Übersetzungen“40.

4.

Die Schaffung „einheitlicher Ansprechpartner“, die für die Dienstleistungserbringer als einzige Kontaktstelle dienen müssen41.

Wie ich nun kurz darlegen werde, fanden alle vier Punkte ihre Entsprechung in bereits bestehenden Vorschriften des italienischen Verwaltungsverfahrensrechtes. Das wird nunmehr von den Vorschriften der Gesetzesverordnung

___________ 36

Corte dei Conti, Sezione Giurisdizionale per la Regione Siciliana (Italien), Teresa Cicala/Region Sizilien, Rechtssache C-482/10, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:328:0025:0025:DE:PDF. Das Vorabentscheidungsersuchen im Fall Cicala basiert eben auf der Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes, die vorsieht, dass auch die rein nationale Verwaltungstätigkeit „von den Grundsätzen der EG-Rechtsordnung geleitet ist“. 37 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, in: Amtsblatt EU, 27.12.2006, L. 376/36. 38 Siehe Erwägungsgrund Nr. 43 der Richtlinie. 39 Siehe Erwägungsgrund Nr. 43 der Richtlinie. 40 Siehe Erwägungsgrund Nr. 47 der Richtlinie. 41 Siehe Erwägungsgrund Nr. 48 der Richtlinie.

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59/2010 direkt bestätigt, mit der die Dienstleistungsrichtlinie in italienisches Recht umgesetzt wurde42. 1. Was den ersten Punkt angeht, findet man von Anfang an in Art. 19 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes Nr. 241/1990 eine Vorschrift, die der Idee der „Beschränkung der Pflicht zur Vorabgenehmigung“ der Dienstleistungsrichtlinie entspricht. In der ersten Fassung dieser Vorschrift hieß das Institut „Anmeldung zum Anfang einer Tätigkeit“ (denuncia di inizio attività) und war nur in begrenzten Fällen benutzbar. Mit Gesetz Nr. 80/200543 wurde es in „Erklärung zum Anfang einer Tätigkeit“ (dichiarazione di inizio attività) umbenannt und die Möglichkeiten seiner Benutzung erweitert. Bis dahin entsprach es einfach der Idee, von der auch in der Richtlinie die Rede ist, dass die Ausübung einer Tätigkeit von einer Genehmigung nur dann abhängig zu machen ist, wenn es „notwendig und verhältnismäßig“ ist und wenn „nachträgliche Kontrollen nicht gleich wirksam wären“44, d.h. im Grunde nur im Fall von gebundenen Verwaltungsakten ohne Verwaltungsermessen. Die neue Fassung des Art. 19 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes nach dem Gesetz 122/201045 hat das Institut nicht nur wieder umbenannt: Es heißt jetzt „bescheinigte Ankündigung über den Anfang einer Tätigkeit“ (Segnalazione certificata di inizio attività – SCIA), sondern es auch inhaltlich so geändert, dass es nun auch für diejenigen Fälle genutzt werden kann, in denen der Verwaltung Ermessen eingeräumt ist. Es ist ferner nicht mehr nötig, eine bestimmte Zeit abzuwarten, bevor man mit der Ausübung der Tätigkeit anfangen kann, so dass die Verwaltung ihre Kontrolle im Voraus ausüben kann. Laut der neuen Fassung des Art. 19 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes kann mit der Tätigkeit noch am Tag der Vorlage der „bescheinigten Ankündigung“ begonnen werden (Art. 19 Abs. 2); die Verwaltung hat dann 60 Tage, um die Kontrolle auszuüben und um die Fortsetzung der Tätigkeit eventuell zu verbieten46. 2. Was die von der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehene „Einführung des Grundsatzes, wonach eine Genehmigung nach Ablauf einer bestimmten Frist als von den zuständigen Behörden stillschweigend erteilt gilt“ angeht, findet ___________ 42

Gesetzesverordnung vom 26. März 2010, Nr. 59, Attuazione della direttiva 2006/123/CE relativa ai servizi nel mercato interno, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 94 vom 24.04.2010. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 43 Siehe Anm. 14. 44 Siehe Erwägungsgrund Nr. 54 der Richtlinie. 45 Siehe Anm. 17. 46 Deswegen ist diese neue Fassung des Art. 19 italienischen Verwaltunsgverfahrensgesetzes nicht unproblematisch. Siehe dazu Bottino, Introduzione alla „segnalazione certificata di inizio attività“, in: Foro amministrativo/TAR, 2011.

Verwaltungsverfahrensrecht in Italien

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man bereits in der ursprünglichen Fassung des Art. 20 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes Nr. 241/1990 eine Vorschrift, die dieser Idee entspricht. Die Vorschrift des Art. 20 des Verwaltunsgverfahrensgesetzes spricht diesbezüglich von „stillschweigender Genehmigung“ (silenzio assenso). Art. 17 der Gesetzesverordnung Nr. 59/201047 nimmt deshalb auf diese schon lange bestehende Vorschrift Bezug. Die stillschweigende Genehmigung ist nur für die auf Antrag durchgeführten Verwaltungsverfahren möglich und mit vielen Ausnahmen versehen: Insbesondere ist eine stillschweigende Genehmigung laut des Art. 20 Abs. 4 des italienischen Verwaltungsverfahrens nicht möglich, wenn es um Verfahren geht, die mit dem Schutz von Kultur- und Landschaftsgütern, mit Umwelt, Landesverteidigung, öffentlicher Sicherheit, Immigration, Asyl und Staatsbürgerschaft oder mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu tun haben. Gleiches gilt für die Fälle, in denen das EU-Recht verlangt, dass ein formeller Verwaltungsakt erlassen wird. 3. Die Philosophie der von der Richtlinie vorgesehenen Abschaffung von generellen formalen Anforderungen, „[…] wie etwa die Vorlage von Originaldokumenten, beglaubigten Kopien oder beglaubigten Übersetzungen“, findet ihre Entsprechung in Art. 18 des italienischen Verwaltunsgverfahrensgesetzes über die Selbstbeurkundung (autocertificazione). Die speziellen Vorschriften für die von der Dienstleistungsrichtlinie genannten Fälle findet man in Art. 27 der Gesetzesverordnung Nr. 59/201048. 4. Die von der Richtlinie vorgesehene Schaffung „einheitlicher Ansprechpartner“, die für die Dienstleistungserbringer als einzige Kontaktstelle dienen sollen, findet keine Entsprechung im italienischen Verwaltungsverfahrensgesetz. Ein entsprechendes Institut ist jedoch in speziellen Gesetzen und Verordnungen vorgesehen, die Verwaltungsverfahren für bestimmte Sektoren enthalten. Ich beziehe mich auf die (jetzt zahlreichen) Vorschriften für die Schaffung eines „einheitlichen Ansprechpartners“ (sportello unico), der als einzige Anlaufstelle im Rahmen eines bestimmten Verwaltungsverfahrens dienen soll. Das erste Beispiel dafür findet man in einer Verordnung von 1998, die diese Idee der „einheitlichen Ansprechpartner“ in Bezug auf den Erlass von Erlaubnissen zur Gründung eines Produktionsunternehmens implementiert (sportello unico delle attività produttive – SUAP)49. Art. 25 der Gesetzesverordnung Nr. 59/2010 nimmt deshalb darauf Bezug50. ___________ 47

Gesetzesverordnung vom 26. März 2010, Nr. 59 (Anm. 42). Gesetzesverordnung vom 26. März 2010, Nr. 59 (Anm. 42). 49 Siehe Art. 4 Par. 4 der Verordnung der Präsidenten der Republik vom 20. Oktober 1998, Nr. 447, „Regolamento recante norme di semplificazione dei procedimenti di autorizzazione per la realizzazione, l'ampliamento, la ristrutturazione e la riconversione di 48

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In der Zwischenzeit ist das Institut des „einheitlichen Ansprechpartners“ im italienischen Recht mehrfach implementiert worden, insbesondere mit Art. 5 der Verordnung des Präsidenten der Republik Nr. 380/2001 (einheitlicher Ansprechpartner für Bauwesen)51; mit Art. 38 des Gesetzes 133/2008 (sog. „Unternehmen in einem Tag“)52; mit Verordnung des Präsidenten der Republik Nr. 334/2004 (einheitlicher Ansprechpartner für Immigration)53 und mit Gesetzesverordnung Nr. 59/2005 (sog. „integrierte Umweltgenehmigung“)54.

VII. Mischverwaltung und Verwaltungsverfahren: Die Probleme im italienischen Recht Im Zusammenhang mit dem Phänomen der Mischverwaltung55 hat sich auch eine weitere, noch tiefer gehende Einwirkung des Unionsrechts auf das innerstaatliche Verwaltungsverfahren gezeigt. Man spricht in Italien von verknüpften Verwaltungsverfahren oder – wörtlich übersetzt – von „Mitverwaltungsverfahren“ (procedimenti di coamministrazione). Damit wird auf den Mechanismus der Verknüpfung von Verwaltungsverfahren hingewiesen, die teilweise auf ___________ impianti produttivi, per l'esecuzione di opere interne ai fabbricati, nonché per la determinazione delle aree destinate agli insediamenti produttivi, a norma dell'articolo 20, comma 8, della legge 15 marzo 1997, n. 59“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 301 vom 28.12.1998. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 50 Gesetzesverordnung vom 26. März 2010, Nr. 59 (Anm. 42). 51 „Sportello unico per l’edilizia“. Verordnung des Präsidenten der Republik vom 6. Juni 2001, Nr. 380 „Testo unico delle disposizioni legislative e regolamentari in materia edilizia. (Testo A)“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 245 vom 20.10.2001. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 52 „Impresa in un giorno“, Gesetz vom 6. August 2008, n. 133, „Conversione in legge, con modificazioni, del decreto-legge 25 giugno 2008, n. 112, recante disposizioni urgenti per lo sviluppo economico, la semplificazione, la competitività, la stabilizzazione della finanza pubblica e la perequazione tributaria“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 195 vom 21. August 2008. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 53 „Sportello unico immigrazione“. Verordnung des Präsidenten der Republik vom 18. Oktober 2004, Nr. 334, „Regolamento recante modifiche ed integrazioni al decreto del Presidente della Repubblica 31 agosto 1999, n. 394, in materia di immigrazione“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 33 vom 10.02.2005. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 54 „Autorizzazione integrata ambientale“. Gesetzesverordnung vom 18. Februar 2005, Nr. 59, „Attuazione integrale della direttiva 96/61/CE relativa alla prevenzione e riduzione integrate dell’inquinamento“ in: Gazzetta Ufficiale Nr. 93 vom 22.05.2005. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). Siehe aber jetzt Gesetzesverordnung vom 29. Juni 2010, Nr. 128, „Modifiche ed integrazioni al decreto legislativo 3 aprile 2006, n. 152, recante norme in materia ambientale, a norma dell’articolo 12 della legge 18 giugno 2009, n. 69“, in: Gazzetta Ufficiale Nr. 186 vom 11. August 2010. Im Internet abrufbar (www.parlamento.it). 55 Siehe dazu, mit zahlreichen bibliographischen Hinweisen, von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, Berlin/Heidelberg 2008, S. 608 ff.

Verwaltungsverfahrensrecht in Italien

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innerstaatlicher und teilweise auf europäischer Ebene durchgeführt werden, weil die Kompetenzen bezüglich der verschiedenen Phasen eines bestimmten Verfahrens zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union geteilt sind. Was vom organisatorischen Gesichtspunkt aus als gemeinsame Inhaberschaft (oder besser „Mitinhaberschaft“ – contitolarità) der Kompetenzen zwischen EU und Mitgliedstaaten beschrieben werden kann, ist vom Gesichtspunkt des Verfahrens als ständiger Wechsel der Kompetenzen zu verstehen. Im Rahmen der sogenannten Mischverwaltung sind also die Probleme nicht nur organisatorischer, sondern auch verwaltungsprozessualer Art. Für die italienische Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht das Problem, dass normalerweise nur der das Verfahren beendende Verwaltungsakt anfechtbar ist, weil eine Verwaltungsklage erst dann erhoben werden kann, wenn die Verletzung der Rechtsinteressen der Kläger direkt und aktuell ist. Deswegen sind normalerweise die Akte eines Verwaltungsverfahrens nicht selbständig, sondern erst in Verbindung mit dem Endverwaltungsakt anfechtbar. In dem berühmten Fall Oleificio Borrelli von 199256 hat sich der EuGH mit der Frage beschäftigen müssen, welche Akte vor welchem Gericht angefochten werden können, wenn es sich um die Anfechtung von Akten eines Verwaltungsverfahrens handelt, das teilweise der Kompetenz der EU-Organe und teilweise der Kompetenz der Organe der mitgliedstaatlichen Verwaltung unterliegt. Zu dieser Zuständigkeitsfrage hat der EuGH entschieden, dass die Überprüfung der Handlung der nationalen Behörde im Rahmen eines Verfahrens der Mischverwaltung den nationalen Gerichten obliegt. Da aber diese Handlung „Teil eines Verfahrens ist, das zum Erlass einer Gemeinschaftsentscheidung führt, hat dieser Mitgliedstaat für die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle Sorge zu tragen“57. Eine entsprechende Klagemöglichkeit muss deshalb im Rahmen der innerstaatlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgesehen werden und „eine entsprechende Klage ist somit zulässig, selbst wenn die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dies in einem solchen Fall nicht vorsehen“58. Das Urteil Oleificio Borrelli ist für das italienische System der Verwaltungsgerichtsbarkeit von großer Bedeutung gewesen, weil der EuGH damit eine substantielle Hilfe zugunsten derjenigen Lehre und Rechtsprechung geleistet hat, die sich schon früher für die unmittelbare Anfechtbarkeit der Stellungnahme von Behörden im Rahmen eines komplexen Verwaltungsverfahrens ausgesprochen hatte und allgemein für die unmittelbare Anfechtbarkeit der Akte eines ___________ 56 57 58

EuGH, Urteil vom 3. Dezember 1992, Rs. C-97/91, in: http://eur-lex.europa.eu. Rn. 15 der Urteilsbegründung in der zuvor genannten Rs. Oleificio Borrelli. Rn. 13 der Urteilsbegründung in Rs. Oleificio Borrelli.

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Verwaltungsverfahrens eingetreten war, die die rechtlich geschützten Interessen der Bürger unmittelbar verletzten. Dies führt zu dem vom EuGH schon mehrmals erwähnten Prinzip der gerichtlichen Nachprüfbarkeit aller Entscheidungen nationaler Behörden, das sich jetzt in Art. 47 der nach Lissabon rechtlich verbindlichen EU-Grundrechte-Charta befindet. In dieser Hinsicht muss man auch Bezug auf die Rechtssache Greenpeace France59 nehmen. Hier hat der EuGH zur Frage des Rechtsschutzes im Rahmen eines verknüpften Verwaltungsverfahrens noch präzisiert, dass, wenn „das nationale Gericht […] feststellt, dass die zuständige nationale Behörde infolge von Unregelmäßigkeiten im Ablauf der […] vorgesehenen Prüfung der Anmeldung durch diese Behörde die Akte nicht […] mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission weiterleiten durfte“, es verpflichtet ist, „den Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsersuchens anzurufen, wenn es der Auffassung ist, dass diese Unregelmäßigkeiten geeignet sind, die Gültigkeit des positiven Beschlusses der Kommission zu beeinträchtigen“60. Mit dieser Entscheidung geht der EuGH hinsichtlich der Frage des Rechtsschutzes in verknüpften Verwaltungsverfahren einen Schritt weiter. Er sieht es zwar nicht als ausgeschlossen an, dass ein Verfahrensfehler einer mitgliedstaatlichen Verwaltung die Rechtswidrigkeit einer Kommissionsentscheidung bewirken kann, die vom EuGH festzustellen wäre61. Die Rechsprechung Oleificio Borrelli bleibt jedenfalls – unter dem Gesichtspunkt des Rechtschutzes im italienischen System – notwendige Voraussetzung, denn ein solches Ergebnis kann nur eintreten, wenn die Akte des mitgliedstaatlichen Verwaltungsverfahrens im Rahmen eines verknüpften Verwaltungsverfahrens selbständig und nicht erst in Verbindung mit dem abschließenden Verwaltungsakt anfechtbar sind62.

___________ 59

EuGH, Urteil vom 21. März 2000, Rs. C-6/99, in: http://eur-lex.europa.eu Rn. 57 der Urteilsbegründung in Rs. Greenpeace France; s. dazu Caranta, Coordinamento e divisione dei compiti tra Corte di giustizia delle comunità europee e giudici nazionali nelle ipotesi di coamministrazione: il caso dei prodotti modificati geneticamente, in: Rivista italiana di diritto pubblico comunitario, 2000, S. 1133 ff. 61 So von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 645. 62 Es gäbe in diesem Fall – ähnlich wie in der Rs. Oleificio Borrelli – keinen abschließenden Verwaltungsakt auf nationale Ebene! 60

Verwaltungsverfahrensrecht in Italien

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VIII. Die Tendenzen im EU-Verwaltungsverfahrensrecht: Keine Vereinfachung und Beschleunigung auf Kosten der Verfahrensgarantien – Schlussbemerkungen In der deutschen Lehre ist kürzlich wieder betont worden, dass „Rationalität und Struktur einer (gelungenen) Kodifikation […] ein Faszinosum“ bleiben, „das auch andere Rechtskulturen in seinen Bann ziehen kann“: d.h. auch den EU-Gesetzgeber63. Ich teile diese Meinung weitgehend und bin der Auffassung, dass der Mangel an Rationalität, der die Reformen des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes charakterisiert hat, sich in diesem Sinne als eine „verpasste Chance“ erweist, die das italienische Verwaltungsverfahren von der Zahl der potentiellen Regelungsmodelle für den EU-Gesetzgeber entfernt. Die vier Gesetze, durch die das italienische Verwaltungsverfahrengesetz seit 2005 geändert wurde, gehen zwar alle in Richtung einer Vereinfachung und Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens, dies aber leider auf Kosten der Verfahrensrechte der Privaten. Man könnte behaupten, dass die Verwaltungsvereinfachung auch im Rahmen der EU-Dienstleistungsrichtlinie im Mittelpunkt steht, was sich relativ einfach beweisen ließe64. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Dienstleistungsrichtlinie nur eine sektorielle Regelung darstellt, wenngleich sie einen weiten Anwendungsbereich hat. Im Grunde ist für die Entwicklung des Verwaltungsverfahrens auf EU-Ebene jedoch Anderes kennzeichnend, nämlich durch die in Art. 41 EU-Grundrechte-Charta enthaltenen Verfahrensgarantien65. Das Recht auf eine gute Verwaltung des Art. 41 GRC besteht grundsätzlich aus Verfahrensrechten der Privaten in Verwaltungsverfahren66, und die Verfahrensgarantien der Privaten im Verwaltungsverfahren besitzen in diesem Kontext eine eigenständige Bedeutung und sind nicht nur im Bezug auf den zu erlassenden Verwaltungsakt relevant. Deswegen gehen diejenigen Vorschriften ___________ 63 So Kahl, Die Europäisierung des Verwaltungsrechts als Herausforderung an Systembildung und Kodifikationsidee, in: Die Verwaltung, Beiheft 10, 2010, S. 39 ff. (70), der seine Argumentation so fortsetzt: „Bietet das nationale Recht dagegen kein eigenes kohärentes und nachvollziehbares Regelungsmodell an, so wird es immer häufiger abseits stehen und zusehen müssen, wie sich Begriffe, Institute und Konzepte ausländischer Provenienz in der europäischen Gesetzgebung durchsetzen.“ 64 Siehe oben sub VI. 65 Für die Feststellung, dass Verwaltungsverfahren auch im EU-Wirtschaftsrecht dem Schutz von Privaten dienen, s. zuletzt Schwarze, Verfahren und Rechtsschutz im europäischen Wirtschaftsrecht, in: DVBl. 2010, S. 1325 ff. 66 Braibant, La Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne (témoignages et commentaires de), Paris, 2001, S. 211 ff. (217).

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des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes, die im Grunde die Verfahrensgarantien der Privaten im Verwaltungsverfahren in ihrer praktischen Bedeutung entwerten, in die entgegengesetzte Richtung, wenn man – wie ich es behaupte – Art. 41 GRC als Modell der Entwicklung auf EU-Ebene betrachtet67.

___________ 67 In diesem Sinne (und m.w.N.) s. zuletzt Galetta, Recht auf eine gute Verwaltung und Fehlerfolgenlehre nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages (Anm. 35).

Entwicklung des polnischen Verwaltungsverfahrensrechts Andrzej Wróbel

I. Zu Beginn ist daran zu erinnern, dass Polen für die Dauer von fast 150 Jahren (1795–1918) der eigenen Staatlichkeit beraubt war; konsequenterweise galt auf seinem Gebiet die Gesetzgebung der Teilungsstaaten (Russland, Preußen und Österreich), darunter das Verwaltungsrecht der Staaten, deren Einflüsse nach Wiedergewinnung der Unabhängigkeit im Jahr 1918 bestehen blieben. Die Jahre der II. Republik Polen (1918–1939) bilden die Zeitspanne der Gestaltung des polnischen Verwaltungsrechtssystems, insbesondere einer intensiven Vereinheitlichungs- und Kodifikationsarbeit auf dem Rechtsgebiet der Verwaltungsverfahren. Sodann waren es die Jahre der sog. Volksrepublik Polen (1945–1989), in denen mit unterschiedlicher Intensität das rechtliche und politische System umgestaltet wurde, wobei der beherrschende Einfluss der kommunistischen Ideologie auch das Verwaltungsverfahrensrecht nicht unberührt ließ, wenngleich in einem geringerem Maße als das politische System. Die Zeit der souveränen Gestaltung des Verwaltungsaufbaus und des Verwaltungsverfahrens ist in Polen also relativ kurz, da sie insgesamt 50 Jahre nicht überschreitet. II. In der frühen Entwicklungsphase der Verwaltungsverfahren (1918–1924) waren die Verfahrensvorschriften in Gesetzen enthalten, in denen bestimmte Gebiete geregelt wurden (z. B. das Wasserrecht im Jahr 1922). Jedoch wurde bereits im Jahr 1923 ein Gesetz verabschiedet, das ausschließlich Verfahrensvorschriften enthielt, und zwar das Gesetz über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, sowie ferner, im Jahr 1924, das Gesetz über Rechtsmittel gegen Entscheidungen und Verordnungen der Schulbehörden. III. Die wesentliche Reform des polnischen Verwaltungsverfahrens wurde durch drei Verordnungen des Präsidenten der Republik Polen kraft Gesetz vom 22. März 1928 eingeleitet, konkret dem Gesetz über Verwaltungsverfahren, Zwangsverwaltungsverfahren und über verwaltungsstrafrechtliche Verfahren. Als Ergebnis dieser Kodifikationen wurde Polen, nach Spanien (1889), Österreich (1925) und der Tschechoslowakei (1928) der vierte Staat, in dem das sog. allgemeine Verwaltungsverfahren, das Vollstreckungsverfahren und das verwaltungsstrafrechtliche Verfahren kodifiziert wurden. Diese Kodifizierung blieb unter einem überwältigenden Einfluss der im österreichischen Recht an-

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genommenen Lösungen1. Davor, d.h. im Jahr 1922, wurde das Gesetz über den Höchsten Verwaltungsgerichtshof verabschiedet, der eine Gesetzmäßigkeitskontrolle der von öffentlichen Verwaltungsbehörden, d.h. sowohl von staatlichen Organen als auch von Selbstverwaltungsorganen, getroffenen Entscheidungen ausübte. IV. Die Verordnung über die Verwaltungsverfahren fand auf alle Angelegenheiten auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts Anwendung, sofern sie durch Behörden und Ämter der staatlichen Verwaltung und der territorialen Selbstverwaltung ausgeführt wurden, mit Ausnahme von Angelegenheiten der Militärverwaltung, der unmittelbaren und mittelbaren Steuern, der Stempel- und Zollgebühren und Monopole, der Botschaften und Konsulate im Ausland sowie des Hauptkommissariat der Republik Polen in Danzig, der Bergwerksbehörden, des Verwaltungsstrafrechts und des Disziplinarrechts, sowie der streitigen Verwaltungsangelegenheiten in den Woiwodschaften Posen, Pommern und Schlesien und schließlich der Liquidationsangelegenheiten deutscher Privatvermögen in Ausführung des Friedensvertrages von Versailles vom 28. Juni 1919. V. Die Verordnung unterschied zwischen der Verfahrenspartei und der beteiligten Partei. Beteiligte Person war diejenige Person, die eine Handlung der Behörde forderte, auf die sich eine Handlung der Behörde bezogen hat oder deren Interesse die Handlung der Behörde zumindest mittelbar betraf. Parteien hingegen waren nur diejenigen beteiligten Personen, die aufgrund eines Rechtsanspruches oder aufgrund eines rechtlich geschützten Interesses an einem Verfahren teilnahmen (Art. 9). Ob die betroffene Person Partei des Verfahrens war, regelten die Vorschriften des materiellen Rechts, die die Grundlage des Rechtsanspruchs oder des rechtlich geschützten Interesse darstellten. Beteiligte Person war hingegen diejenige Person, die an dem Verfahren aufgrund faktischen Interesses teilgenommen hat, welches in den Vorschriften des materiellen Rechts nicht geregelt war. Diese Unterscheidung hatte bedeutende rechtliche Konsequenzen, da nur der Partei das Recht zustand, gegen die Entscheidung im Wege der Berufung eine Klage zu erheben; nur die Partei konnte die Wiederaufnahme des Verfahrens fordern und eine Klage gegen die Entscheidung beim Verwaltungsgericht einreichen. VI. Die Verordnung aus dem Jahr 1928 kodifizierte nicht die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsverfahrens; diese wurden durch die Rechtsprechung des Höchsten Verwaltungsgerichthofes definiert, darunter die Grundsätze des Schutzes des öffentlichen Interesses und des Interesses der Parteien, die Grundsätze der objektiven Wahrheitsermittlung, Grundsätze der freien Beweiswürdigung, Grundsätze der Transparenz, Grundsätze der Zwei Instanzen ___________ 1

Siehe z. B. C. H. Ule (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz des Auslandes, Berlin 1967, S. 60–61.

Entwicklung des polnischen Verwaltungsverfahrensrechts

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und die Grundsätze der Klageerhebung gegen die Entscheidung beim Verwaltungsgericht. VII. Angelegenheiten der Sozialversicherung gehörten nicht zum Geltungsumfang der Verordnung, diese wurden nach besonderen Verfahren durchgeführt, wie auch Steuersachen, die seit 1934 einem einheitlichen, in der Steuerordnung bestimmten Verfahren unterlagen. Eine bedeutende Eigenschaft der Steuerverfahren war unter anderem die Gewährleistung der Teilnahme der Bürger an der Erörterung von Berufungen durch Steuerkommissionen. VIII. In der Zeit der II. Republik Polen erfolgte nicht nur die Kodifikation des allgemeinen Verwaltungsverfahrens, sondern auch die des Vollstreckungsverfahrens in der Verwaltung, des Verfahrens in strafverwaltungsrechtlichen Angelegenheiten sowie die eines besonderen Verfahrens, und zwar dem Steuerverfahren. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum sowohl normative Grundsätze der Verwaltungsverfahren ausgebildet als auch Hauptinstitutionen und allgemeine Grundsätze dieser Verfahren im Wege der gerichtlichen Rechtsprechung geschaffen. Aus der in diesem Zeitraum entwickelten Rechtsprechung und Lehre wurde nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges auch Gebrauch gemacht, was einerseits darin begründet war, dass die Verordnung formell bis 1960 gültig blieb, aber andererseits auch damit, dass die damalige Rechtsprechung viele ideologisch neutrale Rechtsgrundsätze ausgearbeitet hat, die erfolgreich in den neuen Bedingungen des politischen Systems genutzt werden konnten. IX. Nach dem Zweiten Weltkrieg kann in den sog. sozialistischen Staaten eine deutliche Tendenz zur Aufhebung des bisherigen Verwaltungsverfahrensrechts beobachtet werden. Dies erfolgte eindeutig aus ideologischen Gründen und wurde mit der Änderung des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems, aber auch mit der Bildung der Grundlagen des Sozialismus, dem Grundsatz des demokratischen Zentralismus und dem Grundsatz der Planungswirtschaft, der Theorie des Klassenkampfes, dem klassischen Charakter der Staatsverwaltung usw. begründet. Theoretisch sollte es die Möglichkeit einer Kollision zwischen dem gesellschaftlichen Interesse und dem Interesse der Einheit nicht gegeben; es wurde angenommen, dass mit dem Inhalt eines Verwaltungsaktes in einem sozialistischen Staat, als einem Werkzeug der Änderung des politischen Systems, nicht mehr der Schutz der Rechte einer Einheit gegeben wird, sondern die Auswirkung auf die sog. gesellschaftliche Basis. Der Schutz des Rechts eines Einzelnen ist weder das einzige noch ausschließliche Ziel eines Verwaltungsverfahrens. Das subjektive Recht ist nicht die zentrale Institution der Rechtdogmatik, ganz im Gegenteil, das subjektive Recht wandelt sich stufenweise in eine ideologisch verdächtige Institution um, zumindest in der Doktrin des Verwaltungsrechts nach dem sowjetischen Muster wird sie mit der Kategorie des Interesses ersetzt. Das ideologisch begründete gesellschaftliche Interesse, in der Praxis durch den Staat verkörpert, hat zweifellos Vorran-

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gigkeit vor dem Interesse der Einheit, auch dann, wenn in der Doktrin angenommen wird, dass es zwischen dem gesellschaftlichen und persönlichen Interesse an Widersprüchlichkeit fehlt2. X. Vorkriegsvorschriften über Verwaltungsverfahren galten in dem Zeitraum der sog. Volksrepublik Polen, was unter anderem mit Stalins Doktrin begründet wurde, nach der in der Übergangszeit vom Kapitalismus zum Kommunismus „manche Gesetze des alten Politiksystems im Interesse des Kampfes um das neue Politiksystem genutzt werden können, und somit […] die alte Gesetzgebung zu nutzen [ist]“. Dies ist nur dann zulässig, wenn diese Vorschriften mit den grundsätzlichen Annahmen des neuen Politiksystems nicht im Konflikt stehen. In der Praxis galt in der ersten Dekade der sog. Volksrepublik Polen die Verordnung von 1928 rein formell; trotz der Tatsache, dass die Verordnung nicht geändert wurde und erst am Tag des Inkrafttretens des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs, d.h. mit dem 31. Dezember 1960, außer Kraft trat, wurde die Verordnung durch die Organe der staatlichen Verwaltung in der Praxis nicht angewandt. Der Höchste Verwaltungsgerichtshof hat seine Tätigkeit nach 1945 nicht wieder aufgenommen, und so verfügte Polen, mit Ausnahme einzelner Fälle der Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen durch allgemeine Gerichte, bis 1980 über keine gerichtliche Kontrolle der öffentliche Verwaltung. XI. Bis zum Tage des Inkrafttretens des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs (1960) war die praktische Bedeutung der Verordnung von 1928 marginal, und zwar aufgrund folgender rechtspolitischer und rechtsanwendungsbezogener Entwicklungen: erstens der Dekodifizierung der Verwaltungsverfahren durch Festlegung von Verwaltungsprozeduren in besonderen Gesetzen, z. B. Bau-, Bergbau- und Wasserrecht, zweitens die Einführung der Rechtsinstitute der Beschwerde und des Antrages nach sowjetischem Muster im Jahr 1950, Korrelate der aus dem Grundsatz der Teilnahme der Gesellschaft an der Staatsregierung ergebenden Prinzipien der sozialistischen Gesetzlichkeit und der gesellschaftlichen Kontrolle über Verwaltungstätigkeiten, Prinzipien, die mit einer Verneinung subjektiver Rechte einhergehen. Beschwerden und Anträge, ähnlich der Actio popularis-Konstruktion, stellten eine nicht formalisierte und dadurch für die unprofessionellen, ideologisch motivierten Verwaltungsbehörden sehr attraktive Art der Befassung mit Verwaltungsangelegenheiten dar. In der Praxis haben die Behörden, zumindest in den fünfziger Jahren, die gesetzförmige Erörterung von Verwaltungsangelegenheiten abgewiesen, indem sie willkürliche Regeln eingeführt, den Grundsatz der Bestandskraft unterstellt und die Rechtssicherheit sowie Handlungsmaßstäbe der staatlichen Verwaltung gesenkt ha___________ 2 Siehe A. Wróbel, Polen, in: Handbuch Ius Publicum Europaeum, von Bogdandy/Casese/Huber (Hrsg.). Bd. III Verwaltungsrecht in Europa: Grundlagen, Heidelberg 2010, Rn. 47-68.

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ben. Hinzu kommt, dass Instruktionen der territorialen Instanzen der kommunistischen Partei (PZPR) beim Erörterungsprozess von Beschwerden und Anträgen eine wesentliche Bedeutung hatten. XII. Unter dem Einfluss einer gewissen Milderung der orthodoxen Rechtspolitik und ihrer Anwendung in Folge der sog. Oktober-Transformation (1957), wurde die Liquidation des bisherigen Dualismus auf dem Gebiet der Verwaltungsverfahren durch die Aufnahme von Beschwerden und Anträgen in Verwaltungsverfahren versucht, was mit der Verabschiedung des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs am 14. Juni 1950 erfolgte. Gleichzeitig wurde in das Verwaltungsverfahrensgesetzbuch nach sowjetischem Muster die Kontrolle der Staatsanwaltschaft über das Verwaltungsverfahren eingeführt, die sog. Staatsanwaltschaftsaufsicht. XIII. Das Verwaltungsverfahrensgesetzbuch in seiner 1960 verabschiedeten Fassung stellte seinerzeit einen vernünftigen Kompromiss zwischen einerseits den politischen und ideologischen Anforderungen, die das damalige politische System an das Verwaltungsverfahren stellte (gesellschaftliche Kontrolle über die Verwaltung, Vorrang der gesellschaftlichen Interessen, Grundsatz der sozialistischen Gesetzlichkeit, darunter die Beachtung der leitenden Rolle der kommunistischen Partei, der fehlenden Gerichtskontrolle über die Verwaltung, staatsanwaltschaftliche Kontrolle der Rechtswahrung) und andererseits den aus der Verordnung von 1928 übernommenen Institutionen und Rechtsgrundsätzen (Konstruktion der Verfahrenspartei, Zuständigkeit der Organe, Zustellungen, zweiinstanzliches Verfahren usw.). Charakteristisch für die Kodifizierung ist die Aussonderung der allgemeinen Grundsätze eines Verwaltungsverfahren, die eine Anwendung des gesetzlichen Verfahrensrechts durch die Behörden auf eine effektive Art und Weise gewährleisteten und weiterhin gewährleisten, und die die Änderungen in dem rechtlichen und gesellschaftlichen Kontext berücksichtigen. Bis zum Zeitpunkt der Einführung der verwaltungsrechtlichen Gerichtsbarkeit in Polen, d.h. bis 1980, erfüllte das Gesetzbuch gewiss seine Funktion der Rationalisierung der Verwaltungsverfahren. Doch stand die Auslegung der Vorschriften des Gesetzbuches den Organen, die das Recht anzuwenden hatten, zu, was unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Bürger ungünstig erschien; hier war die Auslegung durch die Rechtslehre nützlich. In den Jahren 1960–1980 wurde das Gesetzbuch mehrmals abgeändert, grundsätzlich um die Vorschriften an die neue Struktur der Staatsverwaltung anzupassen (Reform der Jahre 1972–1975). Eine komplexe und weit reichende Novellierung des Gesetzbuches erfolgte 1980 im Zusammenhang mit der Einführung der gerichtlichen Kontrolle über die Staatsverwaltung. Nun wurden bestimmte Verwaltungsentscheidungen der öffentlichen Kontrolle des in diesem Jahr neu gegründeten Obersten Verwaltungsgerichts unterworfen. Nach der Transformation des politischen Systems im Jahr 1989 wurden in das Gesetzbuch viele Änderungen aufgenommen, die sich ihrerseits aus der Änderung des staatlichen Verwal-

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tungssystems (demokratischer Rechtsstaat), neuen Erscheinungen in der Verwaltung (Elektronisierung) oder der nächsten Reform der verwaltungsrechtlichen Gerichtsbarkeit (2000) ergeben haben. Bislang war keine der bisherigen Änderungen des Gesetzbuchs mit den Verpflichtungen Polens aus der Mitgliedschaft in der Europäischen Union (2004) begründet worden. XIV. Ein erstes Problem, das kurz erläutert werden muss, ist der Geltungsumfang des Gesetzbuchs. Er ist im damaligen Wortlaut (Art. 195) durch die Generalklausel bestimmt, nach der das Verwaltungsverfahrensgesetzbuch individuelle Verfahren in der Staatsverwaltung regelt. Diese Klausel hat ihren Inhalt stufenweise derartig geändert, dass ihr die Bedingung hinzugefügt wurde, dass es sich um Angelegenheiten im Wege einer Verfaltungsentscheidung handelt, und danach wurden in dieser Klausel auch andere als das allgemeine, im Gesetzbuch geregelte Verwaltungsverfahren aufgeführt, und zwar Kompetenzstreitigkeiten zwischen Selbstverwaltungsorganen und staatlichen Verwaltungsorganen sowie zwischen den in Pkt. 2 genannten Organen und Einheiten sowie Verfahren über die Ausstellung von Bescheinigungen (in einer gewissen Zeit, d.h. von 1980 bis 1996, regelte das Gesetzbuch auch Verfahren vor dem Obersten Verwaltungsgericht). In der ersten Fassung des Gesetzbuches (1960) war vorgesehen, dass die Vorschriften auf bestimmte Kategorien der Verwaltungsverfahren keine Anwendung finden; als ausgeschlossene Verfahren wurden folgende benannt: 1) vor staatlichen Wirtschaftsschiedsgerichtsorganen, 2) strafverwaltungsrechtliche Verfahren, 3) Steuerstrafverfahren, 4) vor Vermittlungsausschüssen, 5) in Sozialversicherungsangelegenheiten sowie Rentenund Versorgungsangelegenheiten aus anderen Titeln, 6) Disziplinarangelegenheiten, 7) Steuersachen, 8) vor militärischen Verwaltungsorganen: in Angelegenheiten, die mit gesonderten Vorschriften geregelt sind, 9) vor dem Patentamt der Volksrepublik Polen, 10) vor polnischen diplomatischen Vertretern und Konsulatvertretern im Ausland, 11) der allgemeinen Militärpflicht, 12) der Zustellung von Transportmittel für Staatsschutzzwecke und der öffentlichen Sicherheit sowie in persönlichen und dinglichen Angelegenheiten erforderlich für den Staat und schließlich 13) Vermögenshaftung für erlittene Schäden aus dem Staatsvermögen, geregelt in gesonderten Vorschriften. Stufenweise wurde die Anzahl der ausgeschlossenen Verfahren herabgesetzt; derzeitig finden die Vorschriften des Gesetzbuches nach Art. 3 keine Anwendung auf 1) Steuerstrafverfahren, 2) die mit Steuerordnung geregelten Verfahren, 3) Verfahren des Zuständigkeitsbereichs der polnischen Botschaften und Konsulate, 4) der sich aus den folgenden Angelegenheiten ergebenden Verfahren: a) organisatorische Überordnung und Unterordnung der Verhältnisse zwischen den staatlichen Organen und anderen staatlichen Organisationseinheiten, b) amtliche Unterordnung der Mitarbeiter der Organe und Organisationseinheiten, soweit gesonderte Vorschriften nicht anderes bestimmen.

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Die Aufhebung einer großen Anzahl der ausgeschlossenen Verfahren bedeutete jedoch nicht automatisch eine Erweiterung des Geltungsumfangs des Gesetzbuchs auf die bisher ausgeschlossenen Verfahren. Besondere Vorschriften, die die bisher ausgeschlossenen Verfahren regeln, enthalten nämlich in der Regel umfangreiche verfahrensrechtliche Bestimmungen, und nur in den dort nicht geregelten Angelegenheiten wird auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Gesetzbuchs verwiesen. Zum Beispiel enthält das Gesetz über das Recht des geistigen Eigentums verfahrensrechtliche Vorschriften, die im Übrigen auf das Gesetzbuch verweisen. Darüber hinaus enthalten die neuen Vorschriften des materiellen Rechts in der Regel einen mehr oder weniger ausgebauten Teil der Verfahrensvorschriften, wie z. B. Vorschriften über Regulierungsverfahren in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Post, wobei diese Gesetze zahlreiche Besonderheiten im Verhältnis zu dem im Gesetzbuch geregelten Verfahren aufweisen. Ein Teil der Lehre ordnet diese Besonderheiten als eine Manifestation der Dekodifizierung der Verwaltungsverfahren ein, andere behandeln sie als pragmatischen Ausdruck des Versuchs, der „aus der Anpassung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen im Hinblick auf ausgewählte Kategorien der Verwaltungsverfahren besteht“3. Dagegen sind die aus dem Gesetzbuch ausgeschlossenen steuerrechtlichen Verfahren, die ganz in der Steuerordnung von 1997 geregelt sind, zweifellos als Dekodifizierung der Verwaltungsverfahren anzusehen.4 Einen besonderen Status haben Sozialversicherungsverfahren, die zwar im großen Umfang in gesonderten Vorschriften niedergelegt sind, auf die aber, soweit spezialgesetzliche Regelungen fehlen, die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs Anwendung finden (Art. 181 des Gesetzbuchs). XV. Der Anwendungsbereich des Gesetzbuchs im sog. allgemeinen Verwaltungsverfahren, und damit sein rechtlicher Schutzumfang wird durch drei Elemente bestimmt: die Verwaltungsentscheidung, die Zuständigkeit des öffentlichen Verwaltungsorgans und die Partei des Verwaltungsverfahrens. XVI. Nach der herrschenden Rechtsprechung finden die Vorschriften des Gesetzbuches nur auf individuelle Angelegenheiten Anwendung, die im Wege einer Entscheidung getroffen werden. Das Gesetzbuch umfasst keine Verfahren, die in zweiseitiger Form durchgeführt werden, z.B. in Form von Verträgen und Vereinbarungen (die im Gesetzbuch vorgesehene Form des Vergleichs ist ___________ 3 J. Borkowski, Prawo procesowe ogólne, prawo procesowe szczególne (Das allgemeine Prozessrecht, das besondere Prozessrecht), in: System prawa administracyjnego (System des Verwaltungsrechts) R. Hauser/ Z. Niewiadomski/A. Wróbel (Hrsg.), Tom 9 Prawo procesowe administracyjne (Verwaltungsprozessrecht), Warszawa 2010, S. 90. 4 J. Borkowski, Prawo procesowe ogólne, prawo procesowe szczególne (Das allgemeine Prozessrecht, das besondere Prozessrecht), in: System prawa administracyjnego (System des Verwaltungsrechts) R. Hauser/ Z. Niewiadomski/A. Wróbel (Hrsg.), Tom 9 Prawo procesowe administracyjne (Verwaltungsprozessrecht), Warszawa 2010, S. 45.

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ein zwischen den Vertragsparteien unter Aufsicht des führenden Verwaltungsorgans geschlossener Vergleich) oder in Form der sog. materiellen und technischen Handlungen. Sofern auf bestimmte Handlungen des öffentlichen Verwaltungsorgans, die nicht den Charakter einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung haben und auf die Vorschriften des Gesetzbuches keine Anwendung finden, so kann gegen diese, jedoch nur unter bestimmten Bedingungen beim Verwaltungsgericht eine Klage erhoben werden. In der Rechtsprechung und im Schrifttum wird die Verwaltungsentscheidung als qualifizierte Form eines Verwaltungsaktes verstanden, der eine Willenserklärung der öffentlichen Verwaltungsorgane darstellt. Er wird als hoheitliche Maßnahme auf der Grundlage des allgemein geltenden Verwaltungsrechts und mit Außenwirkung in einem durch verfahrensrechtliche Vorschriften geregeltem Verfahren erlassen und entscheidet über eine bestimmte Angelegenheit; er ist an eine bestimmte natürliche oder juristische Person gerichtet. Darüber, ob ein gegebener Akt eine Verwaltungsentscheidung ist, entscheidet ihr Inhalt und nicht ihre Form oder Bezeichnung. Eine Verwaltungsentscheidung, die nicht alle im Gesetzbuch vorgesehenen Elemente enthält, wird gleichwohl als eine Entscheidung angesehen, wenn in der Entscheidung eine Partei und ein die Entscheidung erlassene Verwaltungsorgan genannt sind, ein Beschluss und die Unterschrift eines Beamten, der zur Erteilung der Entscheidung berechtigt ist, enthalten sind. Dies bedeutet, dass dann, wenn ein öffentliches Verwaltungsorgan über Rechte oder Pflichten einer individuellen Einheit in einer bestimmten Angelegenheit entschieden hat, anzunehmen ist, dass dieser Beschluss die Form einer Entscheidung hat. Beschlüsse der öffentlichen Verwaltung, die an unbestimmte Kreise adressiert sind, werden nicht als Entscheidungen behandelt, sondern als quasi normative Akte. Die Konstruktion einer Schein-Entscheidung hat sich in der Rechtsprechung hingegen nicht etabliert. XVII. Verwaltungsangelegenheiten werden durch zuständige öffentliche Verwaltungsorgane entschieden. Der Begriff der Zuständigkeit wird eng ausgelegt und als die sich aus dem materiellen Recht ergebende Berechtigung des Organs zur Entscheidung über bestimmte Kategorien von Verwaltungsangelegenheiten verstanden, die in den allgemein geltenden Vorschriften enthalten sind. Grundlagen zur Erteilung einer Entscheidung können nicht die allgemeinen Vorschriften des politischen Systems oder die Vorschriften über Aufgabenbestimmung darstellen. Zur Erteilung von Entscheidungen sind sowohl die staatlichen Verwaltungsorgane und territorialen Selbstverwaltungsorgane zuständig, als auch andere Organe und Institutionen, die kraft Gesetzes zur Erledigung von individuellen Angelegenheiten im Wege einer Entscheidung zuständig sind, z. B. Organe der Höheren Schule. XVIII. Zentraler Begriff eines Verwaltungsverfahrens ist die „Partei“. In der polnischen Doktrin des Verwaltungsverfahrens wird seit den zwanziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts ein Streit hinsichtlich der sog. subjektiven und ob-

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jektiven Bestimmung der Parteien geführt, was in der Konsequenz eine unklare rechtliche Definition des Begriffes der Partei bedeutet. Nach Art. 28 ist Partei „jede Person, deren rechtliches Interesse oder deren rechtliche Verpflichtung das Verfahren betrifft, oder wer Handlungen eines Organs wegen seines rechtlichen Interesse oder Pflicht fordert. Eine maßgebliche Bedeutung hat die Auslegung nämlich für die Frage, wer und auf welcher Grundlage er über das Bestehen oder Nichtbestehen eines rechtlichen Interesses oder über den Unterschied zwischen faktischem Interesse und rechtlichen Interesse entscheidet. Nach Auffassung der herrschenden Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, ist ein rechtlichen Interesse: 1) nur das mit der Norm des materiellen Rechts geschützte rechtliche Interesse, 2) das „eigene“ rechtliche Interesse; es kann nicht ausschließlich aus der Rechtssituation eines anderen Subjekts hergeleitet werden, auch wenn in einer bestimmten Angelegenheit zwischen ihnen ein enges Verhältnis bestanden hätte und auch wenn diese Verhältnisse nicht nur einen faktischen, sondern auch einen rechtlichen Charakter hätten. Dies bedeutet, dass wenn eine bestimmte Angelegenheit zwei oder mehr Subjekte betrifft, das rechtliche Interesse nur die Subjekte umfasst, deren rechtliche Position sich eindeutig aus der Norm des materiellen Rechts ergibt und nicht durch Vermittlung eines zweiten Subjekts entsteht, 3) das direkte rechtlichen Interesse. Der Begriff des rechtlichen Interesses nähert sich also der Konstruktion des subjektiven Rechts nach der deutschen Doktrin an. Eine solche Auffassung des Rechtsinteresse und damit konsequenterweise der Prozesslegitimation der Partei wird als zu eng kritisiert.5 Die Rechtsprechung und die Lehre ermöglichen den Schutz von Interessen, der sich mittelbar aus dem rechtlichen Interesse einer anderen Person ergibt, mit der sie ein bestimmtes Rechtsverhältnis bindet. Zahlreiche Meinungsverschiedenheiten wecken die Frage des Rechtsinteresses einer Gemeinde in Angelegenheiten, in denen die Organe einer Gemeinde kraft der Vorschriften des materiellen Rechts zur Erörterung individueller Angelegenheiten, die ihr Rechtsinteresse betreffen, zuständig sind. Folgende drei Auffassung werden hierzu vertreten: 1) die Gemeinde hat in solchen Angelegenheiten nicht den Status der Partei, 2) die Gemeinde hat den Status einer Partei, ist aber vor Erörterung dieser Angelegenheiten ausgeschlossen, 3) die Gemeinde ist als eine juristische Person Partei und das Verfahren führt das Organ der juristischen Person. Die gerichtliche Rechtsprechung ist abweichender Meinung, jedoch sprechen mehr Argumente dafür, dass der Gemeinde der Status einer Partei in Angelegenheiten, die ihr Rechtsinteresse betreffen, gegeben wird. XIX. Das Verwaltungsverfahren wird auf allgemeine Grundsätze gestützt, die in Teil II des Gesetzbuchs niedergelegt sind. Der Katalog dieser Grundsätze ist seit 1960 unverändert geblieben, mit Ausnahme des 1980 hinzugefügten ___________ 5

Siehe M. JaĞkowska/A. Wróbel, Kodeks postĊpowania administracyjnego. Komentarz, Warszawa 2009, S. 223–227.

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Grundsatzes der Prüfung der endgültigen Entscheidungen durch die Verwaltungsgerichte. Die allgemeinen Grundsätze der Verwaltungsverfahren sind rechtliche Grundsätze, die in allen Phasen des Verwaltungsverfahrens gelten; die Verletzung der allgemeinen Grundsätze wird als Verletzung der Vorschriften des Gesetzbuchs behandelt, die zu einer fehlerhaften Verwaltungsentscheidung führen. Ihre Hauptfunktion ist die Vereinheitlichung der Auslegung der gesonderten Vorschriften des Gesetzbuches. In Teil II des Gesetzbuchs wurden die folgenden allgemeinen Grundsätze bestimmt: 1) Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, 2) Grundsatz der Berücksichtigung des öffentlichen Interesses und des rechtmäßigen Interesses der Bürger von Amts wegen, 3) Grundsatz der objektiven Wahrheit, 4) Grundsatz der Vertrauensvertiefung der Bürger in die Staatsorgane, 5) Grundsatz der Inkenntnissetzung der Teilnehmer des Verfahrens, 6) Grundsatz der aktiven Teilnehme der Parteien am Verfahren, 7) Überzeugungsgrundsatz, 8) Grundsatz der Schnelligkeit und Einfachheit der Verfahren, 9) Grundsatz der einvernehmlichen Beendigung von Angelegenheiten, 10) Grundsatz der schriftlichen Durchführung der Angelegenheiten, 11) Grundsatz der zwei Instanzen eines Verfahrens, 12) Grundsatz der Prüfung der endgültigen Entscheidungen außerhalb der Instanz und 13) Grundsatz der gerichtlichen Prüfung endgültiger Entscheidungen.6 XX. Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass öffentliche Verwaltungsorgane ein Verfahren führen und auf Grundlage der entsprechenden Rechtsvorschriften Verwaltungsentscheidungen erlassen. Nach der herrschenden Rechtsprechung sind solche Vorschriften die Vorschriften des materiellen Rechts mit Gesetzesrang, also allgemein geltende Vorschriften im Sinne des Art. 97 der Verfassung; Verwaltungsorgane sind nicht berechtigt zu bewerten, ob die angewandte Rechtsvorschrift mit einer Vorschrift höheren Ranges kollidiert, zum Beispiel, ob eine Verordnung mit dem Gesetz im Widerspruch steht oder das Gesetz mit der Verfassung. Organe dürfen erst recht nicht die Anwendung einer allgemein geltenden Rechtsvorschrift ablehnen, die ihrer Meinung nach mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift im Widerspruch steht. Dieser Grundsatz gilt auch im Verhältnis zwischen Europarecht (Recht der Europäischen Union) und polnischem Recht. XXI. Art. 7 in fine, der den Grundsatz der Berücksichtigung des öffentlichen Interesses und des rechtmäßigen Interesse der Bürger von Amts wegen einführt, bestimmt weder die Rangordnung ihrer Werte, noch die Grundsätze der Konfliktlösung zwischen ihnen. Der Struktur und dem Ziel eines Verwaltungsverfahrens ist jedoch zu entnehmen, dass die in diesem Artikel angeführten Interessen rechtlich gleichrangig sind, was bedeutet, dass sich das staatliche Ver___________ 6

Siehe auch K. Ziemski, Das allgemeine Verwaltungsverfahren in Polen, Wirtschaft und Recht in Osteuropa, 2005, Heft 11, S. 326–328.

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waltungsorgan bei der Auslegung der verfahrensrechtlichen Normen nicht von einer a priori angenommenen Rangordnung dieser Interessen leiten lassen darf, z. B. der Überordnung des öffentlichen Interesse gegenüber dem individuellen Interesse, sondern dass es ausschließlich zur Feststellung dieser Interessen verpflichtet ist und bei Konflikten zwischen dem öffentlichen Interesse und dem rechtlichen Interesse der Bürger aufgrund einer Abwägung entscheidet. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass diese Vorschrift dem das Verfahren führenden Organ die Pflicht der Harmonisierung dieser Interessen auferlegt, wenn diese in einem gegebenen Fall einander widersprechen. XXII. Nach dem in Art. 7 bestimmten Grundsatz der objektiven Wahrheit unternehmen die staatlichen Verwaltungsorgane „alle erforderlichen Schritte, um den Sachverhalt genau aufzuklären und die Angelegenheit zu beenden“. Nach diesem Grundsatz ist das dieses Verfahren führende Organ verpflichtet, Beweismaterial zu sammeln und zu erörtern, um den Sachverhalt wahrheitsgemäß festzustellen. Insbesondere ist das Organ verpflichtet, die Umstände des einzelnen Falls aufgrund einer Analyse des gesamten Beweismaterials in jeder Hinsicht zu prüfen und die in der Entscheidung eingenommene Position auf die in den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs vorgesehene Art und Weise zu begründen.7 Dieser Grundsatz war Gegenstand einer abweichenden Rechtsprechung der Gerichte. So bedeutete zum Beispiel nach dem Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 4. Juli 2001, I SA 301/00 Lex Nr. 53964 die Pflicht der Sammlung des gesamten Beweismaterials in einem Verwaltungsverfahren, dass „das öffentliche Verwaltungsorgan aus eigener Initiative Beweismaterial in den Akten sammeln sollte, wenn dies seiner Meinung nach zur ordnungsgemäßen Erörterung der Angelegenheit notwendig gewesen wäre, und dass auch die durch die Parteien benannten oder zugestellten Beweise in den Akten geführt werden sollte, wenn diese für die Angelegenheit von Bedeutung sind“. Anders jedoch im Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 11. Juli 2002, I SA/Po 788/00, Biul. Skarb (Steuerblatt) 2002, Nr. 6, Pos. 25, in dem festgestellt wurde, dass „das Verwaltungsverfahrensgesetzbuch die Fragen der Beweiskraft in einem Verfahren nicht bestimmt. Die allgemeine Regel der Beweiskraft aus Art. 6 des polnischen Zivilgesetzbuches, die in einem solchen Fall Anwendung findet, bestimmt, dass die Beweislast auf dem Organ oder der Partei ruht, welches Rechtsfolgen aus diesen Tatsachen herleitet. Der Grundsatz der objektiven Untersuchung der Wahrheit (Art. 7 des VwVfGB) bestimmt nicht die Verteilung der Beweislast“. Hierzu die These im Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 23. September 1998 (III SA 2792/97, Lex Nr. 44742): „Nach dem Grundsatz der objektiven Wahrheit ist in Fällen, in denen die Beibringungslast auf der Seite der Partei ruht, die aus den entsprechenden Tatsa___________ 7

Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 26. Mai 1981, SA 810/81, ONSA 1981, Nr. 1, Pos. 45.

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chen für sich bestimmte Rechtsfolgen herleitet, und in denen die Behauptungen der Partei in diesem Rahmen allgemein und wortkarg sind, das dieses Verfahren führende Organ verpflichtet, diese Partei zur Vervollständigung und Präzision dieser Behauptungen aufzufordern. Erst wenn diese Partei keine konkreten Umstände benennt, kann dies negative Folgen für sie haben.“ Die Änderung von Art. 7 (mit dem 1. April 2011) hat eine aktive Teilnahme der Parteien am Verfahren zum Ziel. Es handelt sich hierbei einerseits darum, dass die Parteien die gesamte Beweiskraft nicht dem das Verfahren führenden Organ auferlegen, und andererseits steht den Parteien auch das Recht zu, aktiv auf die Erörterung des Sachverhalts Einfluss zu nehmen. XXIII. Der in Art. 8 gesonderte Grundsatz der Vertrauensvertiefung der Bürger in die Staatsorgane bestimmt eindeutig das, was sich unmittelbar aus dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit ergibt. Aus dem in Art. 8 genannten Grundsatz ergibt sich nämlich vor allem das Erfordernis der Rechtsstaatlichkeit und der gerechten Verfahrensführung sowie der Entscheidung von Angelegenheit durch ein Organ der öffentlichen Verwaltung, was hauptsächlicher Inhalt des Rechtsstaatlichkeitgrundsatzes ist. Nur Verfahren, die diesen Erfordernissen entsprechen und die im Wege eines so gestalteten Verfahrens Entscheidungen treffen, können das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Verwaltungsorgane auch dann wecken, wenn Verwaltungsentscheidungen ihre Forderungen nicht berücksichtigen. Fehlendes Vertrauen der Bürger in die Staatsorgane ist in der Regel die Folge der Rechtsverletzung durch die Staatsorgane, insbesondere darin ausgedrückter Werte, wie Gleichheit und Gerechtigkeit. Das Oberste Verwaltungsgericht betont, dass zur Durchführung dieses Grundsatzes „vor allem die strenge Einhaltung des Rechts erforderlich ist, insbesondere im Rahmen der genauen Aufklärung der Umstände der Angelegenheit, der konkreten Stellungnahme zu den Forderungen und Behauptungen der Parteien sowie der Berücksichtigung sowohl des öffentlichen Interesses als auch des rechtlichen Interesses der Bürger in der Entscheidung, ausgehend von der Annahme, dass alle Bürger vor dem Recht gleich sind“. Diesen Grundsätzen entspricht jedenfalls nicht eine Verfahrensführung, in denen streitige Interessen der Parteien aufeinandertreffen und das verfahrensleitende Organ ohne umfassende Aufklärung der Umstände der Angelegenheit nur eines der auf dem Spiel stehende Interesse berücksichtigt, ohne Stellung zu den im Laufe des Verfahrens erhobenen Behauptungen und eingereichten Anträgen der Parteien zu nehmen, die ein anderes Interesse vertreten8. XXIV. Der in Art. 9 genannte Grundsatz der Benachrichtigung der Parteien und sonstigen Teilnehmer eines Verfahrens durch das staatliche Verwaltungsorgan gestaltet die sich aus diesem Grundsatz ergebenden Pflichten auf unter___________ 8

Begründung des Urteils des Obersten Verwaltungsgerichts vom 10. August 1983, I SA 367/83, ONSA 1983, Nr. 2, Pos. 64.

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schiedliche Art und Weise, d.h. abhängig von dem Subjekt, gegenüber welchem die Pflicht ausgeführt werden soll. Das staatliche Verwaltungsorgan ist also verpflichtet, vollständige Informationen (über faktische und rechtliche Umstände) ausschließlich an die Parteien des Verfahrens zu erteilen, wohingegen das Organ gegenüber den Beteiligten des Verfahrens nur verpflichtet ist, Informationen über die rechtlichen Umstände zu erteilen. Das Organ ist verpflichtet, den Parteien vollständige Informationen aufgrund der in Art. 9 Satz 1 genannten Grenzen zu erteilen, d.h. also dann, wenn sich die Information auf faktische und rechtliche Umstände bezieht und die Information Einfluss auf die Feststellung der Rechte und Pflichten der Parteien des gegenständlichen Verfahrens haben können. Die Grenzen dieser Pflicht bestimmen gleichzeitig die Grenzen des Rechts der Parteien auf Erteilung der genannten Informationen. Die sich aus Art. 9 Satz 1 ergebende Pflicht umfasst die sich aus Satz 2 der Vorschrift ergebende Pflicht des Organs, dass das Verwaltungsorgan „darüber wacht, dass die Parteien [...] keinen Schaden aufgrund der Rechtsunkenntnis tragen, und deshalb weisen die Organe die Parteien auf erforderliche Hinweise und Erläuterungen hin“, zumal die Bedingungen der Pflicht der vollständigen Informationserteilung an die Parteien durch die Organe umfangreicher sind und auch die Notwendigkeit der Information beachten müssen, um Schäden wegen Rechtsunkenntnis vorzubeugen. Die Differenzierung der oben genannter Bedingungen wäre nur dann begründet, wenn anzunehmen wäre, dass die sich aus Art. 9 Satz 1 ergebende Pflicht, nur dann aktualisiert, wenn die Partei einen Antrages auf Informationserteilung stellt, hingegen die in Satz 2 genannte Pflicht, eine Pflicht seitens des Organs kraft Gesetz darstellt, was jedoch wegen der Diktion des Art. 9 Satz 1 nicht anzunehmen ist. Gegenüber den Beteiligten des Verfahrens ist das Organ von Amts wegen nur darüber zu überwachen verpflichtet, dass die Beteiligten keinen Schaden wegen Rechtsunkenntnis tragen, was mit der Pflicht der Erteilung von rechtlichen Informationen an die Beteiligten nur in diesem engen Umfang verbunden ist. Soweit diese Vorschrift gegenüber den Parteien den Grundsatz ignorantia iuris nocet aufhebt, schränkt sie demgemäß gegenüber den Beteiligten des Verfahrens diesen Grundsatz ein. Art. 9 „bestellt“ das Verwaltungsorgan nicht als einen Bevollmächtigten der Parteien, da die in dieser Vorschrift geregelte Pflicht trotz allem eingeschränkt wird und es nicht Ziel dieser Pflicht ist, die Angelegenheit zugunsten des Bürgers zu entscheiden, sondern lediglich Chancengleichheit hergestellt werden soll. Aus dem hier besprochenen Grundsatz ergibt sich für die Verwaltungsorgane das absolute Verbot, sich die Rechtsunkenntnis der Bürger zu Nutze zu machen, bzw. die wegen Rechtsunkenntnis der Beamten eintretenden Folgen auf die Bürger abzuwälzen.9 Den Grundsatz der Informationserteilung an die Parteien und die Beteiligten des Verfahrens konkretisieren zahlreiche Vor___________ 9

Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 20. Juli 1981, SA 1478/81, ONSA 1982, Nr. 2, Pos. 72.

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schriften des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs, Art. 101 § 2 Art. 107 § 1 Satz 2, wobei der allgemeine Grundsatz seine volle Anwendung auch dann findet, wenn die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs die Verwaltungsorgane nicht ausdrücklich zur Informationserteilung (Erläuterungen, Belehrungen, Hinweise) an die Parteien und die Beteiligten des Verfahrens in bestimmten verfahrensrechtlichen Angelegenheiten verpflichten. Die Pflicht zur Informationserteilung obliegt den Verwaltungsorganen insbesondere in den Angelegenheiten, in denen Umstände zu der Schlussfolgerung führen, dass die Partei zum ersten Mal mit solchen faktischen und rechtlichen Problemen in Berührung gekommen ist, ohne die Möglichkeit zu haben, sich auf diese zusätzlich vorzubereiten.10 XXV. Der Grundsatz der aktiven Teilnahme der Partei an einem Verfahren (Art. 10) verpflichtet das öffentliche Verwaltungsorgan, den Parteien eine aktive Teilnahme in jedem Stadium des Verfahrens zu gewährleisten und ihnen die Möglichkeit der Stellungnahme zum gesammelten Beweismaterial, den Unterlagen sowie zur Stellung von Anträgen zu geben. Als Korrelat zu dieser Pflicht des Verwaltungsorgans umfasst das Recht der aktiven Teilnahme der Partei am Verfahren das Recht zur Vornahme von rechtlichen Handlungen, die Einfluss auf die Feststellung des faktischen und rechtlichen Sachstands der verwaltungsrechtlichen Angelegenheit haben. Im Rahmen des Rechts der aktiven Teilnahme an dem Verfahren kann die Partei viele Verfahrensrechte, die sich eindeutig aus den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs ergeben, wahrnehmen (z. B. Art. 78 § 1, Art. 79); im Rahmen des Rechtsschutzes steht der Partei das Recht zu, eine Stellungnahme zum gesammelten Beweismaterialen und Unterlagen abzugeben und vor Erlass einer Entscheidung Anträge zu stellen (vgl. Art. 81). Soziale Organisationen machen Gebrauch von dem Recht der Partei nach Art. 10 des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs ab dem Zeitpunkt des Beschlusses, mit dem die Organisation zur Teilnahme am Verfahren aufgrund von Art. 31 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs zugelassen wurde.11 XXVI. Das Hauptziel des in Art. 11 genannten Grundsatzes, auch Grundsatz der Überzeugungskraft genannt, ist die den Parteien zu gebende Erläuterung der Kriterien, nach denen sich das Organ bei Erörterung Angelegenheit gerichtet hat. Die sich aus diesem Grundsatz ergebenden Pflichten der Organe beschränken sich nicht auf eine überzeugende Begründung des Inhalts der Entscheidung im Hinblick auf rechtliche und tatsächliche Umstände, obwohl die Verletzung dieser Pflicht der häufigste Fall der Verletzung des Grundsatzes aus Art. 11 ist, ___________ 10 Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 7. Dezember 1984, III SA 729/84, ONSA 1984, Nr. 2, Pos. 117. 11 Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 20. Januar 2005, OSK 1755/04, ONSAiWSA 2005, Nr. 6, Pos. 111.

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insbesondere im Fall der sog. Anerkennungsentscheidung12. Der hier besprochene Grundsatz wird durch das Organ auch dann verletzt, wenn „das Organ überhaupt keine Stellung zur den Behauptungen nimmt, die eine Partei als bedeutend für die Entscheidung der Angelegenheit ansieht. Die Partei kann nämlich geltend machen, dass das Organ bei Nichtbeachtung der vorgetragenen Behauptungen die Angelegenheit ohne Berücksichtigung aller Umstände betrachtet und daher parteiisch und ungerecht gehandelt hat13. Der Grundsatz der Überzeugung ist also eng mit dem Grundsatz der Vertiefung des Vertrauens der Bürger an die Staatsorgane verbunden. Der Grundsatz aus Art. 11 verfolgt mithin auch ein pragmatisches Ziel, und zwar einen Vollzug der Entscheidung, der möglichst ohne Zwangsmittel, d.h. ohne Vollstreckungsverfahren auskommt. XXVII. Der Grundsatz der Schnelligkeit und der Einfachheit des Verfahrens verpflichtet die staatliche Verwaltung, gründlich und rasch zu handeln, in dem sie von möglichst einfachen Mitteln zur Erörterung der Angelegenheit Gebrauch macht (Art. 12). Die Schnelligkeit der Rechtsanwendung in der Verwaltung dient funktional der Verwirklichung der Rechtsstaatlichkeit. Das allgemein bestehende Problem der Verzögerung und der Langsamkeit eines Verfahrens schränkt oft die Durchsetzung der Rechte der Parteien ein oder verhindert sogar deren Durchsetzung und steht damit im „Widerspruch mit der Stabilität und der Sicherheit sozialer Verhältnisse“. Art. 12 Abs. 2 erlegt den Verwaltungsorganen die Pflicht der unverzüglichen Erörterung der Angelegenheiten auf, in denen die Beweis-, Informations- oder Erläuterungssammlung nicht erforderlich ist; die allgemeine Pflicht zum schnellen Handeln ist in Art. 35 aufgeführt, in dem Fristen der Erörterung der verschiedenen Kategorien der Verwaltungsangelegenheiten bestimmt sind. Ziel des Grundsatzes ist die möglichst schnelle Erteilung einer Verwaltungsentscheidung, so dass der hier besprochene Grundsatz auch zu dem Postulat der Zuverlässigkeit eines Verwaltungsverfahrens (Zuverlässigkeit der Entscheidungserteilung) führt. Eine unbegründete Hinauszögerung der Entscheidungserteilung durch das Organ oder das Hinausschieben der Erörterung der Angelegenheit verletzt Art. 12 Abs. 1. Das Oberste Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Berufungsorgan, das trotz Durchführung eines Verwaltungsverfahrens und trotz der Tatsache, dass das Organ über das Wissen zum Sachstand verfügt, der Erörterung der Angelegenheit im Wesentlichen nach Art. 138 Abs. 1 ausweicht und dass die Rückverweisung der Angelegenheit zur erneuten Erörterung an das Organ erster Instanz (Art. 138 Abs. 2) zugleich Art. 12 Abs. 1 missachtet14 Der Grundsatz der Schnelligkeit ___________ 12 Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 22. Oktober 1981, I SA 2147/81, ONSA 1981, Nr. 2, Pos. 104. 13 Begründung des Urteils des Obersten Verwaltungsgericht vom 6. August 1984, II SA 742/84, ONSA 1984, Nr. 2, Pos. 67. 14 Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 28. Juni 1982, I SA 406/82, Anlage Nr. 5 zu Problemen der Rechtsstaatlichkeit 1983, Nr. 5.

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und der Einfachheit des Verfahrens und der Grundsatz der Objektivität stehen allerdings in einem Spannungsverhältnis. Das Streben der Organe nach schneller Erörterung der Angelegenheit in einer vereinfachten Form der Beweisführung kann mit dem Grundsatz der objektiven Wahrheit in Widerspruch stehen und daher gesetzwidrig sein. Aus diesem Grund sind die Organe nach Art. 12 Abs. 1 verpflichtet, nicht nur schnell, sondern auch sorgfältig zu handeln. Die am 11. April 2011 in Kraft getretene Novellierung des Gesetzbuches gibt den Parteien eines Verwaltungsverfahren das Recht, nicht nur gegen die Untätigkeit der Organe der öffentlichen Verwaltung Klage zu erheben, sondern auch gegen die Verzögerung der durch diese Organe geführten Verfahren. Nach den derzeitigen Vorschriften des Gesetzbuches ist es nicht möglich, gegen verzögernde Verfahren eine Klage zu erheben, was im Endeffekt dazu führt, dass die Organe der öffentlichen Verwaltung die Verfahren sehr oft auf eine uneffektive Art und Weise führen, indem sie eine Reihe von Handlungen in großer Zeitspanne durchführen oder Scheinhandlungen vornehmen, was wiederum bewirkt, dass die Organe, formell betrachtet, nicht untätig sind. Die Erweiterung des Klagerechts beim Organ der höheren Instanz gegen die Verzögerung der Verfahrensführung wird auch dazu führen, dass es bei einer Verzögerung des Verfahrens, analog zur Untätigkeit (Nichterledigung der Angelegenheiten in der vorgesehenen Frist) im Ermessen der Verwaltungsgerichte liegen wird, die das Verwaltungsverfahren verzögernden Organe mit einer Geldstrafe zu belegen. XXVIII. Der Grundsatz der zwei Instanzen eines Verwaltungsverfahrens (Art. 15) drückt die Regel aus, dass gegen alle nicht endgültigen Entscheidungen durch die berechtigte Person beim staatlichen Verwaltungsorgan höheren Grades gegen das Organ, das die angeklagte Entscheidung erteilt hat, Klage erhoben werden kann. Dieser Grundsatz bezieht sich nicht nur auf den gewöhnlichen Ablauf eines Verwaltungsverfahrens, sondern auch auf die im Wege der Verwaltungsverfahren erteilten Entscheidungen, was das Oberste Verwaltungsgericht im Urteil vom 11. Juni 1981 (SA 584/81) festgestellt hat: „Das Verwaltungsorgan des [zweiten] Grades stellt die Nichtigkeit der Entscheidung des Organs des [ersten] Grades aufgrund Art. 156 als Aufsichtsorgan fest, und nicht als Berufungsorgan, was zu dem Ergebnis führt, dass gegen die Entscheidungen, die die Nichtigkeit feststellen, Berufung in einem Instanzverfahren zusteht“ (ONSA 1981, Nr. 1, Pos. 55). Nach der Rechtsprechung des Obersten Verwaltungsgerichts bringen die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs den dargelegten Grundsatz der Zulässigkeit der Überprüfbarkeit der nicht endgültigen Entscheidung im Verlauf des Verwaltungsverfahrens dieser Instanz zum Ausdruck. Während die berechtigten Personen die Überprüfung der Entscheidung durch die gewöhnlichen Rechtsmittel (Berufung, Beschwerde gegen die Entscheidung) erreichen können, geht es im anderen Falle zulässig, eine erneute Erörterung und Entscheidung einer Angelegenheit durch das Organ eines höheren Grades zu erreichen, deren Erörterung nicht mit einer endgültigen Entscheidung abgeschlossen wurde. Die Prüfung von Verwaltungsent-

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scheidungen im Verlauf der verwaltungsrechtlichen Instanz erfolgt ausschließlich in Folge einer Prozesshandlung einer Partei, d.h. durch Einlegung eines gewöhnlichen Rechtsmittels ist; das Berufungsorgan (Organ der zweiten Instanz) kann nicht von Amts wegen handeln15. Von der Regel des Durchlaufens zweier Instanzen machen die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs sowie besondere Vorschriften folgende Ausnahmen: a) gegen die in der ersten Instanz erteilten Entscheidung durch das oberste staatliche Verwaltungsorgan steht keine Berufung zu, jedoch kann die mit der Entscheidung unzufriedene Partei sich an dieses Organ mit einem Antrag auf erneute Erörterung der Angelegenheit wenden (Art. 127 Abs. 3), b) gegen die in der ersten Instanz getroffene Entscheidung durch das Berufungskollegium bei einer Kammer, in sog. eigenen Gemeindeangelegenheiten, steht keine Berufung zu. Die unzufriedene Partei kann sich mit einem Antrag auf erneute Erörterung der Angelegenheit an das Berufungskollegium wenden (Art. 127 Abs. 4); c) Entscheidungen über Entschädigungen unterliegen keiner Prüfung im Verlauf eines Instanzverfahrens (Art. 160 Abs. 5), sowie schließlich d) manche Entscheidungen werden auf Grundlage besonderer Vorschriften erteilt, z. B. die Entscheidung über die Abschirmung von Grundstücken, die mit Oberflächenwasser anliegender Grundstücke bedeckt sind (Art. 38 Abs. 1 des Gesetzes vom 27. Oktober 1974 – Gesetz über Wasser- und Bodenverbände Wasserrecht – G.Bl. Nr. 38, Pos. 230 mit Änd.). Die Änderung einschlägiger Vorschriften des Gesetzbuches durch die am 11. April 2011 in Kraft getretene Reform führt zu einer Einschränkung der zu häufig angewandten Kassation der Verwaltungsentscheidungen durch Berufungsorgane (Art. 138 Abs. 2), die eine Ausnahmen vom Grundsatz der meritorischen Erörterung der Angelegenheit durch das Berufungsorgan bedeutet. Denn die Möglichkeit der Anwendung einer Kassationsentscheidung entzieht Verfahren der Erörterung und Entscheidung einer Angelegenheit durch das Berufungsorgan, was dem Grundsatz des zweiinstanzlichen Verwaltungsverfahrens widerspricht. Darüber hinaus wird das Organ der ersten Instanz an die Entscheidung des Berufungsorgans gebunden, insbesondere an die in der Begründung dieser Entscheidung enthaltenen Hinweise. XXIX. Der Beitritt Polens zur Europäischen Union bildete bislang keinen Grund zur Vornahme von Änderungen im Verwaltungsverfahrensgesetzbuch. Vielmehr enthält die Begründung des letzten Änderungsvorhabens der Regierung die Anmerkung, dass das Vorhaben nicht der Umsetzung von Recht der Europäischen Union dient. Nichtsdestotrotz hat jedoch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union einen bedeutenden Einfluss auf die Anwendung der Vorschriften des Gesetzbuches, wenn es darum geht, die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, so z.B. in der Rechtssache ___________ 15

Urteil NSA vom 25. Mai 1984, II SA 2048/83, ONSA 1984, Nr. 1, Pos. 51.

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Kühne & Heitz.16 Einerseits haben sowohl die Vorschriften des Gesetzbuches als auch Rechtsprechung und Lehre die Zulässigkeit der Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens ausgeschlossen, welches mit einer rechtskräftigen Verwaltungsentscheidung auf Grundlage der Auslegung der materiellen Rechtsvorschriften abgeschlossen wurde, die im Widerspruch zu einem später ergangenen Gerichtsurteil (eines Verwaltungsgerichts oder internationalen Gerichts) steht, andererseits fordert jedoch der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts von den EU-Mitgliedstaaten die Anwendung jeglicher Mittel, die die tatsächliche Wirksamkeit der Rechte sicherstellen, um die Einheit des EU-Rechts zu gewährleisten. Bislang wurde die Durchführung entsprechender Änderungen im Gesetzbuch nicht in Betracht gezogen, sondern der Praxis die Lösung dieses Problem überlassen. Der Einfluss des EU-Rechts auf die Weiterentwicklung der Verfahrensvorschriften wird hingegen an den besonderen Verwaltungsverfahren sichtbar, darunter insbesondere an den Regulierungsverfahren, die in materiellen Gesetzen enthalten sind und die Energie und Telekommunikation oder den Wettbewerb und Verbraucherschutz betreffen. Diese Verfahren wurden nämlich nach den in den Richtlinien der Europäischen Union bestimmten Anforderungen gestaltet und ihre Anwendungspraxis berücksichtigt die sie betreffende Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union. Problematisch bleibt der den Regulierungsbehörden zugesicherte Status als politisch unabhängige Behörden. Nach der polnischen Gesetzgebung haben mittlerweile ausnahmslos alle Regulierungsbehörden den Status eines Zentralorgans der Verwaltungsbehörden, was Anlass gibt, an ihrer Unabhängigkeit von der Regierungspolitik zu zweifeln.17 Die Notwendigkeit der Einführung vieler Verfahrenslösungen in besonderen Gesetzen ergab sich aus der Pflicht der Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, die in das polnische Rechtsystem durch Gesetz vom 4. März 2010 über Dienstleistungen auf dem Gebiet der Republik Polen umgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die mit diesem Gesetz geänderte Vorschrift des Art. 11 des Gesetzes vom 2. Juli 2004 über die Gewerbefreiheit, unter anderem vorsieht, dass: 1) das zuständige Organ Angelegenheiten der Unternehmer ohne überflüssige Verzögerung zu erledigen verpflichtet ist, 2) das zuständige Organ die Annahme von unvollständigen Unterlagen und Anträgen nicht verweigern kann und die Vorlage oder Einreichung bestimmter Unterla___________ 16

Siehe A. Wróbel, Fehlerhaftes Verwaltungshandeln zwischengerichtlicher Aufhebung und staatlicher Entschädigungspflicht – Die Entwicklung im Gemeinschaftsrecht, in: Erbguth/Masing/Nowacki (Hrsg), Kontrolle des Verwaltungshandelns, 2010, S. 145– 170. 17 Siehe z.B. A. Krasuski, Prawo telekomunikacyjne. Komentarz (Telekommunikationsrecht. Kommentar), Warschau 2010, S. 752–753.

Entwicklung des polnischen Verwaltungsverfahrensrechts

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gen nicht fordern kann, ohne dass sich die Pflicht zur Vorlage oder Einreichung eindeutig aus Gesetzesvorschriften ergibt, 3) das zuständige Organ mit der Annahme eines Antrages, seine Annahme unverzüglich bestätigt, 4) dann, wenn festgestellt wird, dass ein Antrag vervollständigt werden muss, die Frist der Erörterung des Antrages mit dem Tage der Einreichung des Vervollständigung des Antrages zu laufen beginnt, 5) die Frist der Antragserörterung zusätzlich nur einmal verlängert werden kann, wobei die Fristverlängerung der Antragserörterung zwei Monate nicht überschreiten darf, und das zuständige Organ verpflichtet ist, über die Fristverlängerung vor Ablauf der in der Bestätigung der Antragsannahme genannten Frist der Antragserörterung zu informieren, und 6) dann, wenn das zuständige Organ den Antrag fristgemäß nicht erörtert, angenommen wird, dass das Organ eine Entscheidung antragsgemäß entschieden hat, es sei denn spezialgesetzliche Vorschriften treffen wegen überwiegenden öffentlichen Interesses eine andere Regelung.

Das Verwaltungsverfahrensgesetz im europäischen Kontext: eine rechtsvergleichende Bilanz Karl-Peter Sommermann

I. Einführung Die systematische Herausbildung eines Verwaltungsverfahrensrechts als eigenständiger Teil des allgemeinen Verwaltungsrechts ist historisch gesehen jüngeren Datums. Die Entwicklung eines modernen Verwaltungsrechts setzte in den kontinentaleuropäischen Staaten im 19. Jahrhundert ein, als die auf zahlreiche Rechtsinstrumente verstreuten Normen durch die Verwaltungsrechtslehre systematisiert, ihnen zugrundeliegende gemeinsame Prinzipien identifiziert und diese zu rechtsstaatlichen Grundsätzen in Beziehung gesetzt wurden1. Vor allem den Handlungsmaßstäben und bald den Handlungsformen galt das Interesse. Hinsichtlich prozeduraler Elemente stand zunächst der gesetzlich geregelte Verwaltungsrechtsschutz2 im Vordergrund, noch nicht die Ausgestaltung des zur Entscheidung der Verwaltung führenden Verfahrens3. Während das besondere Verwaltungsrecht nach und nach durch Fachgesetze kodifiziert wurde, ___________ 1 Dazu näher Karl-Peter Sommermann, Prinzipien des Verwaltungsrechts, in: A. von Bogdandy/P. M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. V, Heidelberg 2011 (im Erscheinen). 2 Wegen einer kommentierten Zusammenstellung von Gesetzen des 19. Jahrhunderts über das Verfahren des Verwaltungsrechtsschutzes in ausgewählten europäischen Staaten vgl. Joël Hautebert/Sylvain Soleil (Hrsg.), La procédure et la construction de L’État en Europe (XVIe-XIXe siècle), Rennes 2011, S. 741-918. 3 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., Berlin 1924 (1. Aufl. 1895), S. 122 ff.; Gaston Jèze, Les principes généraux du droit administratif, Bd. 1, 3. Aufl., Paris 1925 (1. Aufl. 1904), S. 254 ff.; Santi Romano, Principii di diritto amministrativo italiano, Milano 1906, S. 185 ff. (zur Entwicklung in Italien vgl. im Übrigen Diana-Urania Galetta in diesem Band) ; Frank Johnson Goodnow, Comparative Administrative Law, 2 Bde, New York/London 1893 (zum Verwaltungsrechtsschutz in Bd. 2, S. 135 ff.); Fritz Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 6. u. 7. Aufl., Tübingen 1922, S. 220 ff.; auch noch Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 7. Aufl., München/Berlin 1958, S. 461 ff. (zu Verfahrensaspekten nur im Zusammenhang mit Einzelaspekten der „Lehre vom Verwaltungshandeln“, so unter dem Aspekt „Verfahrensmängel“ auf S. 216-218).

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blieben die Systematisierung und Entwicklung des allgemeinen Verwaltungsrechts lange der Rechtsprechung und Rechtslehre überlassen4. Dies änderte sich erst, als man im 20. Jahrhundert die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Verfahrens für die Wahrung der Rechte des Einzelnen und die Rationalität des Verwaltungshandelns lenkte. Da sich die Kodifizierung von Verfahrensgrundsätzen und -regeln besser zur Kodifizierung eignet als die von Rechtsinstituten und verwaltungsrechtsdogmatischen Figuren, setzte die Kodifizierung des allgemeinen Verwaltungsrechts letztlich erst mit der Verabschiedung von Verwaltungsverfahrensgesetzen ein, deren Regelungen sich freilich häufig nicht auf reine Verfahrens- oder auch Organisationsfragen beschränken. Abgesehen von frühen Kodifikationsansätzen wie insbesondere dem österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetz vom 21. Juli 19255 ist die Verabschiedung von Verwaltungsverfahrensgesetzen ein Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine besondere Dynamik gewann die Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts in den neunziger Jahren. Sie spiegelt sich freilich nur bedingt in der Kodifikation allgemeiner Grundsätze und Regeln des Verwaltungsverfahrens wider. Ein Vergleich und die Einordnung des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts in den europäischen Kontext ist nicht zuletzt deshalb von Interesse, da auch in unseren Nachbarstaaten neben der Rolle des Verwaltungsverfahrens für einen fairen, rechtswahrenden Umgang der Verwaltung mit den Bürgern seine besondere Rolle für eine effektive Verwirklichung des materiellen Rechts anerkannt wird. Aus der rechtlichen Umsetzung dieser Ziele in anderen europäischen Staaten können gegebenenfalls Erkenntnisse über den Entwicklungsstand und Zukunftsperspektiven des deutschen Rechts gewonnen werden. Nach einem Blick auf den Kodifikationsstand in ausgewählten europäischen Staaten (II.) soll daher die Wirkung verfahrensrechtlicher Vorgaben und Konzepte des europäischen Unionsrechts für die Weiterentwicklung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts erörtert (III.), sollen sodann gemeinsame Kernthemen der Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts ausgewählter europäischer Staaten identifiziert (IV.) und soll schließlich nach einer Transformation des Verwaltungsverfahrens durch außerrechtliche Elemente gefragt werden (V.).

___________ 4 Erste Ansätze sind freilich bereits im 19. Jahrhundert zu finden, vgl. zu Spanien unten Anm. 9. 5 BGBl. 1925, S. 945.

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II. Stand der Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts in Europa Eine Kodifikation soll eine Rechtsmaterie möglichst kohärent strukturieren, eine Rechtszersplitterung aufheben oder ihr entgegenwirken und letztlich systembildend wirken6. Sie beruht in der Regel auf der Herausarbeitung der den bestehenden Einzelregelungen des zu kodifizierenden Rechtsgebiets zugrundeliegenden allgemeinen Prinzipien und setzt eine gewisse Konsolidierung oder Reife der Rechtsentwicklung voraus, es sei denn, sie wird unabhängig von der bisherigen Rechtsentwicklung bewusst als Transformationsinstrument eines legal engineering7 eingesetzt; in diesem Fall muss der Gesetzgeber freilich darauf vertrauen, dass der Transformationsprozess nicht an den Gegenkräften der älteren Substrukturen scheitert. Auf die rationalisierende, Handlungsabläufe standardisierende und damit stabilisierende Wirkung einer Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens haben im 20. Jahrhundert teilweise auch autoritäre Regimes nicht verzichten wollen. So wurde in Ungarn im Jahr 19578, in Spanien im Jahr 19589 und in Polen im Jahr 196010 das Verwaltungsverfahren kodifiziert, wobei man in Polen an eine ältere Tradition anknüpfen konnte11. Für die ___________ 6 Zu den Zwecken einer Kodifikation vgl. im Übrigen Rémy Cabrillac, Les codifications, Paris 2002, S. 136 ff., Bruno Oppetit, Essai sur la codification, Paris 1998, S. 17 ff. Bei den von Oppetit (S. 18) erwähnten Codices, die aus einer bloße Zusammenstellung existierender Rechtsnormen bestehen, handelt es sich hingegen nicht um Kodifikationen im oben genannten Sinn. 7 Begriff in Anlehnung an Giovanni Sartori, Comparative Constitutional Engineering. An Inquiry into Structures, Incentives and Outcomes, 2. Aufl., New York 1997, insbes. S. 195 ff. 8 Gesetz über die allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsverfahrens (Magyar Közlöny Nr. 64/1957), in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Carl Hermann Ule/ Franz Becker/Klaus König (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes, Bd. 2, Berlin 1967, S. 865 ff. 9 Ley de Procedimiento Administrativo v. 17.7.1958 (B.O.E. núm. 171 v. 18.7.1958). Franz Becker und Klaus König weisen darauf hin, dass in Spanien mit der Ley de Bases sobre el Procedimiento Administrativo v. 19.10.1889 „das erste Verwaltungsverfahrensgesetz überhaupt“ verabschiedet wurde, was freilich wegen der Anlage des Gesetzes die „völlige Zersplitterung des Verwaltungsverfahrens“ nicht verhinderte, vgl. dies., Allgemeine Einleitung, in: Ule/Becker/König (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes (vorige Anm.), Bd. 1, Berlin 1967, S. 3, 57, 63. 10 Gesetz v. 14.6.1960 – Verwaltungsverfahrensordnung (DzU v. 25.6.1960, deutsche Übersetzung in: Ule/Becker/König (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes (Anm. 8), Bd. 1, S. 508 ff. 11 Vgl. Joseph Litwin, Einführung, in: Ule/Becker/König (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes (Anm. 8), Bd. 1, S. 481 ff.; Friedrich E. Schnapp/ Andrzej Wasilewski, Das polnische Verwaltungsverfahrensgesetzbuch, in: VerwArch. Bd. 83 (1992), S. 409, 410 f.; Andrzej Wróbel, Probleme der Effektivität des polnischen Verwaltungsverfahrensgestzes, in: C. D. Classen/H. Heiss/A. Suprón-Heidel (Hrsg.), Polens Rechtsstaat am Vorabend des EU-Beitritts, Tübingen 2004, S. 75, 79.

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Rechtssicherheit vermittelnde Wirkung eines Verwaltungsverfahrensgesetzes ist freilich entscheidend, inwieweit die statuierten Prinzipien und Regeln auch gelten, wenn der Bürger im Rahmen von Verwaltungsverfahren in Widerstreit zu politischen Zielsetzungen des Regimes gerät. Überblickt man die Gesetzgebungslandschaft in Europa12, so stellt man fest, dass heute eine Mehrzahl der Staaten Gesamt- oder zumindest Teilkodifikationen des Verwaltungsverfahrens besitzen. Einen bedeutenden Kodifikationsschub gab es in den 90er Jahren13. Relativ kurze Gesetze wurden in den Jahren 1990 bzw. 1999 in Italien14 und Griechenland15 verabschiedet, umfangreiche Kodifikationen bzw. Neukodifikationen erhielten Portugal16 und Österreich17 im Jahr 1991, Spanien18 und die Niederlande19 im Jahr 1992. ___________ 12

Vgl. auch die Hinweise bei Michel Fromont, Droit administratif des États européens, Paris 2006, S. 212 f. Wegen eines Überblicks über die seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzende Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts in Lateinamerika vgl. Allan R. Brewer-Carías, Los principios generales del procedimiento administrativo en la Ley 1437 de 2011 contentiva del Código de procedimiento administrativo y de lo contencioso administrativo de Colombia, in: A. Canónico Sarabia (Coord.), Visión actual de los procedimientos administrativos, Caracas 2011, S. 13, 15 ff. 13 In den 80er Jahren waren es vor allem die skandinavischen Staaten, die Verfahrensgesetze verabschiedeten: Finnland das 29 Artikel umfassende Gesetz Nr. 598 vom 6.8.1982 (englische Übersetzung mit Änderungen bis 1999 im Internet unter http://www.finlex.fi/en/laki/kaannokset/1982/en-19820598.pdf.), Dänemark das Gesetz über das allgemeine Verwaltungsverfahren (Forvaltningsloven) vom 19.6.1985 (Gesetz 571/1985) und Schweden das aus 33 Artikeln bestehende Gesetz Nr. 223 von 1986 (englische Übersetzung mit Änderungen bis 2007 im Internet unter http://www.sweden. gov.se/content/1/c6/06/48/92/a02dc523.pdf). Norwegen hatte bereits 1967 ein Gesetz über die Öffentliche Verwaltung verabschiedet, in dem das allgemeine Verwaltungsverfahren geregelt wird (Gesetz vom 10.2.1967; englische Übersetzung mit Änderungen bis 2003 unter http://www.ub.uio.no/ujur/ulovdata/lov-19670210-000-eng.pdf). 14 Legge 7 agosto 1990 n. 241 “Nuove norme in materia di procedimento amministrativo e di diritto di accesso ai documenti amministrativi” (Gesetz 241/1990 vom 7. August 1990 über Neuregelungen auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrens und des Rechts auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten), Gazzetta Ufficiale n. 192 v. 18.8.1990; zuletzt geändert durch Gesetz 69/2009 v. 18.6.2009, Gazetta Ufficiale n. 140 v. 19.6.2009. 15 Gesetz 2690/1999 vom 9.3.1999 (Gesetzbuch des nichtstreitigen Verwaltungsverfahrens; englische Übersetzung im Internet unter http://www.unhcr.org/refworld/category,LEGAL,,,GRC,4c90ecf12,0.html). 16 Código do procedimento administrativo de 1991, Decreto-Lei no. 442/91, de 11 de novembro (Diário da República, I Série-A, N.º263 – 15-11-2001), erlassen auf der Grundlage des Gesetzes 32/91 vom 20.7.1991 (Diário da República, I Série-A, N.º165 – 20-7-2001). 17 Das 1993 in Kraft getretene Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 fasste das Gesetz von 1925 neu. Ebenfalls im Jahr 1991 wurde in Kroatien eine Neufassung des Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1956 durch den General Administrative Procedure Act v. 8.10.1991 (englische Übersetzung im Internet abrufbar unter http://www.

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Keine Kodifikation besitzt naturgemäß das Vereinigte Königreich, wo allerdings mittlerweile eine durch bereichsspezifische Regelungen induzierte und durch das Schrifttum geförderte differenzierte Strukturbildung im Verwaltungsrecht zu beobachten ist20, aber auch nicht in Frankreich, wo zwar einzelne Gesetze wesentliche Elemente des Verwaltungsverfahrens regeln, eine kohärente Gesamtschau indes nur durch einen kompilatorischen Code administratif, der aus einer Zusammenstellung der geltenden Gesetze und Verordnungen besteht, annäherungsweise erreicht werden kann21. In Frankreich ist zudem die Ansicht weit verbreitet, eine Kodifizierung der Prinzipien und Regeln des Verwaltungsverfahrens könne eine dynamische Weiterentwicklung durch Praxis und Rechtsprechung behindern22. Nimmt man die Ausgestaltung der verschiedenen Handlungsformen der Verwaltung zum Maßstab, so lässt sich sagen, dass Vollkodifikationen weitgehend fehlen. Die meisten Verwaltungsverfahrensgesetze konzentrieren sich auf die zentrale Handlungsform der Einzelfallentscheidung, des Verwaltungsakts im deutschen Sinne. Nur die portugiesische Verwaltungsverfahrensordnung von 1991 verfolgte den Ansatz, wenigstens die drei wichtigsten Handlungsformen in einer Kodifikation zu erfassen. Sie regelt das Verfahren der Verordnungsgebung, ___________ unhcr.org/refworld/topic,4565c2252,4565c25f2,3f537962a,0.html) verabschiedet; seit dem 1.1.2010 ist eine durch Gesetz vom 21.12.2009 verabschiedete Neuregelung in Kraft. 18 Ley 30/1992, de 26 de noviembre, de Régimen Jurídico de las Administraciones Públicas y del Procedimiento Administrativo Común (Gesetz 30/1992 vom 26. November 1992 über das Rechtsregime der öffentlichen Verwaltung und das allgemeine Verwaltungsverfahren), B.O.E. núm. 85 v. 27.11.1992; geändert durch Gesetz 4/1999. 19 Das in Tranchen fortzuschreibende Gesetzeswerk über das Allgemeine Verwaltungsrecht (Algemene wet bestuursrecht) vom 4. Juni 1992 umfasst auch Vorschriften über den Verwaltungsrechtschutz (englische Übersetzung mit Stand 1.10.2009 im Internet verfügbar unter http://www.cilc.nl/downloads/General_Administrative_Law-_Act.pdf). 20 Vgl. A. W. Bradley/K. D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, 14. Aufl., Harlow u.a. 2007, S. 657 ff. 21 Vgl. etwa die vom Verlag Dalloz herausgegebene Textsammlung „Code administratif“, in der das Verwaltungsverfahrensrecht freilich nur einen kleinen Ausschnitt bildet. Zur Regelung des Verwaltungsrechts in Frankreich und zu den Kodifizierungsansätzen der 1989 eingerichteten Commission supérieure de codification näher Pascale Gonod, La codification de la procédure administrative, in: AJDA 2006, S. 489 f.; Jean Waline, Droit administratif, 23. Aufl., Paris 2010, S. 8 f., 289 f.; Yves Gaudemet, Droit administratif, 19. Aufl., Paris 2010, S. 15 f.; vgl. bereits Franz Becker/Klaus König, Allgemeine Einleitung, in: Ule/Becker/König (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes (Anm. 8), Bd. 1, S. 3, 19 ff. – Vgl. im Übrigen Jacques Ziller, in diesem Band, S. 141, 143. 22 Als prägend gilt insoweit die Einschätzung von Edouard Laferrière (1841-1901), vgl. dazu Gonod (vorige Anm.), S. 491; siehe ferner Auby und Drago, zitiert bei Jean Pierre Ferrier, El procedimiento administrativo en Francia, in: J. Barnés (Coord.), El procedimiento administrativo en el Derecho comparado, Madrid 1993, S. 355, 357; vgl. auch Gaudemet (vorige Anm.), S. 17 f.

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des Erlasses eines Verwaltungsaktes, verstanden als Entscheidung einer Verwaltungsbehörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines individuellen und konkreten Falles23, sowie den Verwaltungsvertrag. In Deutschland leistet Vergleichbares bekanntlich nur das Allgemeine Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein24. Im Jahr 2008 hat sich in Portugal die Rechtslage freilich dahin verändert, dass die zwölf Artikel umfassenden allgemeinen Regelungen über den Verwaltungsvertrag aus der Verwaltungsverfahrensordnung zu Gunsten einer Gesamtkodifikation des Verwaltungsvertragsrechts aus der Verwaltungsverfahrensordnung gestrichen wurden. Das Gesetzbuch über öffentliche Verträge von 200825, das zugleich der Umsetzung der Vergaberichtlinien der Europäischen Union dient, umfasst 473 Artikel und übertrifft damit noch das aus 309 Artikeln und zahlreichen Zusatzbestimmungen bestehende spanische Gesetz über Verträge des öffentlichen Sektors26. Bemerkenswert ist die Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrecht in Katalonien durch Gesetz von 2010, wo neben allgemeinen Regelungen zum Verfahren des Verwaltungshandelns (ohne spezifische Festlegung auf den Verwaltungsakt im Sinne der Einzelfallentscheidung) ausführlich das Verfahren der Verordnungsgebung und der Verwaltungszusammenarbeit geregelt ist27. Fand im portugiesischen Beispiel eine formelle Ent- oder Dekodifizierung statt – vielleicht sollte richtiger von einer Umkodifizierung die Rede sein –, so ist in anderen Fällen eine materielle Dekodifizierung zu beobachten. Diese kann zum einen dadurch eintreten, dass der Gesetzgeber allgemeine Regelungen für bestimmte Verfahrensfragen oder Verfahrensgestaltungen erlässt, die neben das Verwaltungsverfahrensgesetz treten, wie es z.B. in Deutschland mit

___________ 23 Siehe Art. 120 der portugiesischen Verwaltungsverfahrensordnung (oben Anm. 12): „Para os efeitos da presente lei, consideramse actos administrativos as decisões dos órgãos da Administração que ao abrigo de normas de direito público visem produzir efeitos jurídicos numa situação individual e concreta.“ 24 Vgl. §§ 53 ff., 106 ff. u. 121 ff. Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein in der Fassung v. 2.6.1992 (GVOBl. Schl.-H.1992, S. 243, ber. S. 534), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.12.2010 (GVOBl. Schl.-H. 2010, S. 789). 25 Código dos Contratos Públicos (CCP), Decreto-Lei no. 18/2008, de 29 de Janeiro (Diário da República, I Série-A, N.º 20 – 29-1-2008). 26 Ley 30/2007 de 30 de octubre de Contratos del Sector Público, B.O.E. núm. 261 vom 31.10.2007. 27 LLEI 26/2010, del 3 d’agost, de règim jurídic i de procediment de les administracions públiques de Catalunya (Diari Oficial de la Generalitat de Catalunya núm. 5686 v. 5.8.2010); das Gesetz 26/2010 trat an die Stelle der LLEI 13/1989 vom 14.12.1989 „d’organització, procediment i règim jurídic de l’Administració de la Generalitat de Catalunya“ (DOGC núm. 1234 v. 22.12.1989), die bereits besondere Regelungen zur „Ausarbeitung allgemeiner Bestimmungen“ (elaboració de disposicions de caràcter general) enthielt.

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dem Erlass des Informationsfreiheitsgesetzes geschehen ist28. Zum anderen kann mit Blick auf das Ziel einer Kodifizierung, Spezialregelungen auf das sachlich gebotene Mindestmaß zu reduzieren, dann von einer materiellen Dekodifizierung gesprochen werden, wenn der Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes sich durch eine zunehmende Zahl fachgesetzlicher Sonderregelungen immer weiter verringert. Derartige Phänomene einer wieder wachsenden Zersplitterung des Verfahrensrechts sind nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen europäischen Staaten zu beobachten; für Polen hat Andrzej Wróbel bereits in einem im Jahr 2004 erschienenen Beitrag zu Problemen der Effektivität des polnischen Verwaltungsverfahrensgesetzes darauf hingewiesen29. Was die Regelungstiefe der Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts anbetrifft, so ist das deutsche Verwaltungsverfahrensgesetz im Mittelfeld zu verorten. Die in der deutschen Regelung dominierende Konkretisierung rechtsstaatlicher Standards im Verwaltungsverfahren entfaltete Vorbildwirkung für einige spätere Kodifikationen, so insbesondere für die Verwaltungsverfahrensgesetze der iberischen Staaten. Auch Vorschriften über Fehlerfolgen, darunter solche über Heilungsmöglichkeiten30 finden sich in beiden Gesetzen. Im spanischen Recht ist bei der Verletzung von Formvorschriften für die Anfechtbarkeit (anulabilidad) entscheidend, ob es sich um ein für die Erreichung des Ziels wesentliches Formerfordernis handelt, oder ob es bei Nichtbeachtung, was insbesondere für die Frage der Anhörung von Bedeutung ist, die Beteiligten ohne Verteidigungsmöglichkeit lässt31. Im Ergebnis ist dies letztlich wieder Tatfrage. Vergleichbar ist die Lage in Italien32, wo das Gesetz 241 von 1990 die Verwaltung verpflichtet, die Eröffnung eines Verfahrens zum Erlass eines Verwaltungsakts den unmittelbar Betroffenen mitzuteilen33. Auf der Staatsrechtslehrertagung 2010 hat Michael Fehling entsprechend mit Blick auf Frankreich und ___________ 28

Vgl. Martin Burgi, Gesetzgebung im Verwaltungsverfahrensrecht zwischen europäischem Umsetzungsdruck und (fehlendem) nationalem Gestaltungswillen, in: M. Burgi/K. Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, Baden-Baden 2010, S. 31, 42: „Aus der Sicht des VwVfG hat man es jedenfalls mit einem Vorgang der Dekodifikation zu tun …“. 29 Andrzej Wróbel (Anm. 11), S. 94. 30 Vgl. Art. 137 portugiesischen Verwaltungsverfahrensordnung (Anm. 16) und Art. 65 ff. des spanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Anm. 18). Eine der Unbeachtlichkeitsregel des § 46 VwVfG verwandte Bestimmung enthält Art. 66 des spanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes, der freilich eine besondere Erklärung der für die Aufhebung zuständigen Behörde voraussetzt. 31 Art. 63 Abs. 2 des spanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Anm. 18). 32 Vgl. Giandomenico Falcon, Lezioni di diritto amministrativo, Bd. 1, Padova 2005, S. 86; Thomas von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, Heidelberg 2008, S. 75 f. 33 Vgl. Art. 7 u. 8 Legge 7 agosto 1990 n. 241 (oben Anm. 10).

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England zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die deutschen Heilungs- und Unbeachtlichkeitsregelungen bislang nicht völlig außerhalb der europäischen Üblichkeiten halten34. In Frankreich, wo – einem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz folgend – seit 1983 ein Dekret und später ein Gesetz ausdrücklich vorschreiben, dass vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts der Adressat grundsätzlich anzuhören ist35, führt nach der Rechtsprechung die unterlassene Anhörung nicht stets zur Aufhebung des Verwaltungsakts36. Im Vereinigten Königreich wird ebenfalls die Pflicht zur Anhörung grundsätzlich anerkannt; die Gerichte heben bei Unterlassung eine Verwaltungsmaßnahme indes nur dann auf, wenn dies im konkreten Fall nach den Grundsätzen der Natural justice eine Verletzung des Fairnessgebots bedeutet37. Insgesamt wird man freilich sagen können, dass großzügige Heilungs- bzw. Unbeachtlichkeitsregeln, wie sie auch das deutsche Recht kennt, der Schutzfunktion des Verwaltungsverfahrens zuwider laufen. Im Hinblick auf die Aufwertung der Verfahrensrechte durch das Europarecht, insbesondere Art. 41 der Europäischen Grundrechtecharta, dürfte diese Linie auf Dauer nicht durchzuhalten sein, auch wenn diese Bestimmung zunächst nur für das Handeln der Unionsorgane gilt38. Die positiv rechtlichen Regelungen bzw. Rechtsprechungsgrundsätze der anderen betrachteten europäischen Länder sind hier flexibler und könnten gesteigerten Anforderungen auch ohne Rechtsänderung leichter Rechnung tragen.

III. Konvergenz durch Europäisierung? Der Einfluss des europäischen Unionsrechts auf das nationale Verwaltungsverfahrensrecht ist vielfach beschrieben worden. Der sog. Grundsatz der Ver___________ 34 Michael Fehling, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, Abschnitt III 2 seines Thesenpapiers (demnächst in VVDStRL Bd. 71). 35 Siehe Art. 8 des Décret no. 83-1025 du 28 novembre 1983 concernant les relations entre l’administration et les usagers (Journal Officiel v. 3.12.1983), aufgehoben durch Décret no. 2001-492 du 6 novembre 2001 (Journal Officiel v. 10.6.2001), verankert sodann in Art. 24 der Loi n°2000-321 du 12 avril 2000 relative aux droits des citoyens dans leurs relations avec les administrations (Journal Officiel v. 13.4.2000). 36 Vgl. Jean Rivero/Jean Waline, Droit administratif, 19. Aufl., Paris 2002, S. 96 f.; zu den Einschränkungen des Rechts auf Anörung in Frankreich aus rechtsvergleichender Perspektive Fromont, Droit administratif des États européens (Anm. 12), S. 216 f.; von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht (Anm. 32), S. 59 f., hält die französische Rechtslage insgesamt für strenger. Vgl. auch Jacques Ziller, in diesem Band, sub II. 1. 37 Vgl. Neil Parpworth, Constitutional and Administrative Law, 4. Aufl., Oxford 2006, S. 304 f.; Timothy Endicott, Administrative Law, Oxford 2009, S. 109 ff., 129 ff. 38 Vgl. aber Diana-Urania Galetta/Bernd Grzeszick, Art. 41, in: P. J. Tettinger/ K. Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen GrundrechteCharta, München 2006, S. 661, 665 (Rdnr. 13 f.), und Clemens Ladenburger, Art. 51, ebd., S. 759, 761 (Rdnr. 7). Siehe auch unten unter V.

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fahrensautonomie der Mitgliedstaaten39, der aus einem Fehlen einer allgemeinen Kompetenz der Europäischen Union zur Regelung des Verwaltungsverfahrens folgt, hat zahlreiche Durchbrechungen erfahren40. Das Unionsrecht stößt, ausgehend von binnenmarktbezogenen Rechtsakten in immer weitere Bereiche des Verwaltungsverfahrens vor, etabliert neue Verfahrensformen und transformiert das Verständnis der grundlegenden Prinzipien in einem gemeineuropäischen Sinne.

1. Dominanz fachrechtlicher Europäisierung Aus der Logik des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung41 und dem Fehlen einer allgemeinen unionalen Kompetenz für das Verwaltungsverfahren ergibt sich freilich, dass der europäische Einfluss sich bislang in erster Linie im Fachrecht entfaltet hat. Die Europäisierung, verstanden als Prozess der Neuinterpretation, Inhaltsänderung und Substituierung selbstbestimmter Rechtssetzung durch unionsdeterminierte Regelungen42, vollzieht sich dabei auf direktem oder indirektem Wege43. Eine direkte Europäisierung liegt vor, wenn die nationale Regelung unmittelbar auf einer gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe beruht. Beispiele hierfür sind Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung, wie sie in der UVP-Richtlinie und der maßgeblichen Richtlinie zur Umsetzung der AarhusKonvention vorgeschrieben ist. Ein weiteres Beispiel bereichsbezogener Verfahrensgestaltung bilden die Rechtsakte der Union zur Vergabe öffentlicher ___________ 39

Dazu von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht (Anm. 32), S. 302 ff.; DianaUrania Galetta, Procedural Autonomy of EU Member States: Paradise Lost?, Berlin/ Heidelberg 2010. 40 Vgl. bereits Gil Carlos Rodríguez Iglesias, Zu den Grenzen der verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, in: EuGRZ 1997, S. 289–295; zur wachsenden Funktionalisierung des nationalen Verfahrensrechts für das Unionsrecht näher Galetta, Procedural Autonomy (vorige Anm.), insbesondere S. 47 ff.; zu den die Verfahrensautonomie kategorial begrenzenden, aus der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit folgenden Grundsätzen der Gleichwertigkeit und der Effektivität vgl. Vincent Couronne, L’autonomie procédurale des États Membres de l’Union Européenne à l’épreuve du temps, in: Cahiers de droit européen 2010, S. 273, 281 ff. 41 Art. 5 Abs. 1 u. 2 des Vertrags über die Europäische Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon v. 13.12.2007 (BGBl. 2008 II, S. 1038). 42 Karl-Peter Sommermann, Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts?, in: DVBl. 1996, S. 889, 891. 43 Näher Karl-Peter Sommermann, Veränderungen des nationalen Verwaltungsrechts unter europäischem Einfluss – Analyse aus deutscher Sicht, in: J. Schwarze (Hrsg.), Bestand und Perspektiven des Europäischen Verwaltungsrechts, Baden-Baden 2008, S. 181, 190 ff.

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Aufträge44. Neben die direkten, auf einer Vielzahl unionsrechtlicher Vorgaben beruhenden Veränderungen des nationalen Fachrechts treten Phänomene einer indirekten Europäisierung, die – wie an anderer Stelle gezeigt45 – funktionaler Anpassung, Spill-over-Effekten, wettbewerbsbedingter Anpassung und Effekten einer Transnationalisierung geschuldet sind. Von besonderem Interesse für das allgemeine Verwaltungsverfahren sind die Spill-over-Effekte. Hier wird eine bereichsbezogene Verfahrensregelung generalisiert, was aus Gründen der Kohärenz des Rechtsregimes oder Erfahrung praktisch bewährter Rationalität erfolgen kann. Ein Beispiel bildet die Umweltinformationsrichtlinie46, die in Verbindung mit im Primärrecht verankerten Bestimmungen zum Informationszugang auf Unionsebene zu einer tiefgreifenden Erweiterung der Informationsfreiheit in zahlreichen Mitgliedstaaten geführt hat47. Freilich gibt es noch nicht viele solcher Beispiele, in denen auf diesem Wege das allgemeine nationale Verfahrensrecht im Gleichklang weiterentwickelt wurde. Die bislang wirkmächtigsten Impulse des Unionsrechts für die Weiterentwicklung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts dürften von der Dienstleistungsrichtlinie ausgehen.

___________ 44 Nachdem die früheren Richtlinien – abgesehen von der Richtlinie 89/665/EWG – vor allem das Vergabeverfahren betrafen, zielt die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. Nr. L 335 v. 20.12.2007, S. 31) auf eine substantielle Verbesserung des einstweiligen Rechtsschutzes der Mitbieter. Von einem italienischen Autor wird die Wirkung der Richtlinie auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten mit einem „Erdbeben“ verglichen, vgl. Guido Greco, Introduzione, in: ders. (Hrsg.), Il sistema della giustizia amministrativa negli appalti pubblici in Europa, Milano 2010, S. VII. 45 Sommermann, Veränderungen des nationalen Verwaltungsrechts unter europäischem Einfluss (Anm. 42), S. 193 ff. 46 Richtlinie 90/313/EWG, über den freien Zugang zu Umweltinformationen, ABl. 1990 Nr. L 158 v. 23.6.1990, S. 56; an ihre Stelle ist die Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.1.2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates, ABl. 2003 Nr. L 41 v. 14.2.2003, S. 26, getreten. 47 Vgl. Ricardo García Macho, El derecho a la información, la publicidad y transparencia en las relaciones entre la Administración, el ciudadano y el público, in: ders. (Hrsg.), Derecho administrativo de la información y administración transparente, Madrid u.a. 2010, S. 27, 36 ff.; Karl-Peter Sommermann, La exigencia de una Administración transparente en la perspectiva de los principios de democracia y del Estado de Derecho, ebd., S. 11, 13 ff.

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2. Konvergente Strukturveränderung mittlerer Reichweite: die Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie Die Dienstleistungsrichtlinie vom 12. Dezember 200648 , die einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarktes und zur Effektuierung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit leisten soll, unterscheidet sich von anderen verfahrensbezogenen Richtlinien dadurch, dass ihr Anwendungsbereich weite Bereiche des Verwaltungsrechts erfasst, unbeschadet der in Art. 2 niedergelegten Bereichsausnahmen etwa hinsichtlich nicht wirtschaftlicher Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder von Finanzdienstleistungen. Die vorgesehenen Verfahrenserleichterungen wie insbesondere die Abwicklung über einen einheitlichen Ansprechpartner, die elektronische Verfahrensabwicklung und die Rationalisierung der europäischen Verwaltungszusammenarbeit, besitzen großes Potential, Spill-over-Effekte auszulösen und bald zu Bestandteilen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts zu werden. Bislang haben wesentliche Elemente der Dienstleistungsrichtlinie allein in Deutschland in das Verwaltungsverfahrensgesetz Eingang gefunden, an den entscheidenden Stellen freilich noch unter dem Vorbehalt eines fachrechtlichen Rechtsanwendungsbefehls49. In den meisten Ländern wurde zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie ein eigenes Gesetz erlassen, wobei überwiegend neben einer Anpassung der Fachgesetze eine für alle betroffenen Dienstleistungsbereiche geltende allgemeine Regelung erlassen wurde50. Das notwendige Screening aller dienstleistungsrelevanten Vorschriften hat in allen Staaten dazu geführt, dass nicht nur ___________ 48

Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. Nr. L 376, S. 36. 49 Vgl. § 42a Abs. 1 und § 71a Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz. 50 Für das Vereinigte Königreich siehe The Provision of Services Regulations 2009, Statutory Instruments 2009 No. 2999; für Italien Decreto Legislativo 59/2010 „Attuazione della direttiva 2006/123/CE relativa ai servizi nel mercato interno“ (Gazzetta Uffiziale n. 94 v. 23.4.2010 – Suppl. Ordinario n. 75); für Spanien Ley 17/2009 („Ley Paraguas“) v. 23.11.2009 „sobre el libre acceso a las actividades de servicios y su ejercicio“ (B.O.E. núm. 283 v. 24.11.2009) sowie Ley 25/2009 („Ley ómnibus“) v. 22.12.2009 „de modificación de diversas leyes para su adaptación a la Ley sobre el libre acceso a las actividades de servicios y su ejercicio“ (B.O.E. núm. 308 v. 23.12.2009); Kritik beider Gesetze bei Mercedes Fuertes López, Luces y sombras en la incorporación de la Directiva de Servicios, in: Revista catalana de dret públic 2011, núm. 42, S. 57, 64 ff.; für Portugal Decreto-Lei 92/2010 v. 26.7.2010 (Diária da República, 1.a série , no. 143, v. 26.7.2010), in Österreich gibt es bislang nur die Regierungsvorlage eines Bundesgesetzes, „mit dem ein Bundesgesetz über die Erbringung von Dienstleistungen (Dienstleistungsgesetz – DLG) und ein Bundesgesetz über das internetgestützte Behördenkooperationssystem IMI (IMI-Gesetz) erlassen, das Preisauszeichnungsgesetz, das Konsumentenschutzgesetz, das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, das Verwaltungsstrafgesetz 1991 und das Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 geändert und einige Bundesgesetze aufgehoben werden“ (http://www.bmwfj.gv.at/Ministerium/Rechtsvorschriften/regierungsvorlagen/Documents/RV%20Dienstleistungsrichtlinie.pdf; Abfrage v. 17.3.2011).

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die Vorschriften auf der zentralen Ebene, sondern auch die der subnationalen Ebenen auf die Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie ausgerichtet wurden51. Nimmt man die Internet-Auftritte als Maßstab, sind es häufig subnationale Körperschaften, die Dienstleistern in vorbildlicher und transparenter Weise die erwünschte Hilfestellung leisten. Einheitliche Regeln für die Allokation der einheitlichen Ansprechpartner (points of single contact/guichets uniques/Ventanilla única/Sportello unica) bestehen weder im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander noch innerhalb der subnationalen Ebenen. Doch wurden – soweit ersichtlich – durchgehend auf nationaler Ebene Informationsstellen geschaffen, die hier Wegweisung geben. Im Ergebnis kann man sagen, dass die Europäische Dienstleistungsrichtlinie in einem wichtigen Bereich des Verwaltungshandelns konvergente Verfahrensstrukturen bewirkt hat, die man als Harmonisierung mittlerer Reichweite qualifizieren kann. Von einer Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts kann freilich noch keine Rede sein.

IV. Kernthemen der Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts Die Ausdifferenzierung der Handlungsformen und die wachsende Vielfalt verfahrensrechtlicher Ansätze, die sich – wie dargelegt – nicht zuletzt unter dem Einfluss des Unionsrechts im besonderen Verwaltungsrecht der europäischen Staaten entwickeln, haben wenn überhaupt nur in geringem Maße die allgemeinen Verfahrensgesetze Eingang gefunden. Rechtliche Rahmenregelungen, die einer neuen Typik des Verwaltungshandelns und -steuerns Rechnung trügen, wurden nicht geschaffen. Entsprechende Appelle namentlich der Vertreter der sog. Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft52 sind bisher verhallt; in den europäischen Nachbarstaaten sind entsprechend theoretisch unterfütterte Analysen der Verwaltungsrechtsentwicklung bislang erst selten zu finden. Allerdings hat ein Prozess der Rezeption neuer Erkenntnisse der deutschen und der US-amerikanischen Verwaltungsrechtsdogmatik wie auch managerialisti___________ 51 Vgl. für Deutschland beispielsweise Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.), InfoBrief 3-2009 „Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie im Land Brandenburg“ und Sigrid Hermsdorf, Europäische Dienstleistungsrichtlinie und ihre Umsetzung in Hamburg, in: blickpunkt personal 2/2010, S. 6 ff.; für Spanien z.B. die galizische Lei 1/2010 v. 11.2.2010 „de modificación de diversas leis de Galicia para a sua adaptación á Directiva 2006/123/CE do Parlamento Europeo e do Consello, do 12 de decembro de 2006, relativa aos servizos no mercado interior“ (DOG núm 36 v. 11.2.2010). 52 Vgl. zuletzt Andreas Voßkuhle, Das Verwaltungsverfahren im Spiegel der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft, in: M. Burgi/K. Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, Baden-Baden 2010, S. 13, 28 f.

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scher und steuerungstheoretischer Ansätze begonnen53. Insgesamt überwiegen bei der Weiterentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts indes pragmatische Ansätze. Auf der Grundlage einer Sichtung der jüngeren Rechtsentwicklung in den europäischen Staaten sind vor allem vier Bereiche der Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts zu identifizieren.

1. Ausbau der rechtsstaatlichen Sicherungen und kooperativer Ansätze Sowohl die in den 90er Jahren geschaffenen Kodifikationen des Verwaltungsverfahrensrechts und ihre nachträglichen Änderungen als auch eine Reihe von Einzelgesetzen spiegeln den stetigen Ausbau rechtsstaatlicher Sicherungen wider. Ausdifferenzierte Begründungs-, Anhörungs-, Untersuchungs- und Informationspflichten gehören ebenso zum gemeineuropäischen Kernbestand des Verwaltungsverfahrens wie Aktenzugangs- und Verteidigungsrechte. Zur Harmonisierung rechtsstaatlicher Standards haben die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und mittelbar – insbesondere in den Transformationsstaaten – Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats54 ebenso beigetragen, wie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Verfahrensgarantien bei der Anwendung von Unionsrecht55. Trotz der in den 80er und 90er Jahren geführten Debatte über die Dienstleistungsorientierung ___________ 53 Von den franzöischen Autoren vgl. etwa Jacques Caillosse, La constitution imaginaire de l’administration, Paris 2008, insbes. Teil II (S. 225–407), von den spanischen Autoren insbesondere Javier Barnés, Sobre el procedimineto administrativo: evolución y perspectivas, in: ders. (Hrsg.), Innovación y reforma en el Derecho administrativo, Sevilla 2006, S. 263 ff.; ders., Procedimientos administrativos y nuevos modelos de Gobierno. Algunas consecuencias sobre la transparencia, in: R. García Macho (Hrsg.), Derecho administrativo de la información y administración transparente, Madrid u.a. 2010, S. 49 ff.; ders., Hacia procediminetos administrativos de tercera generación, in: A. Canónico Sarabia (Coord.), Visión actual de los procedimientos administrativos, Caracas 2011, S. 49 ff. Javier Barnés (ebd., S. 63 ff.) sieht nach der Entfaltung eines in hierarchischen Strukturen auf den Erlass individueller Verwaltungsakte und sodann auf administrative Rechtsetzung bezogenen Verwaltungsverfahrensrechts (erste und zweite Generation) ein dritte Generation des Verwaltungsverfahrens heranwachsen, die sich zugleich auf die prospektive Gestaltung von Politikfeldern wie der Regulierung der Finanzmärkte, der Lebensmittelsicherheit oder der Telekommunikation beziehe und durch „kooperative Governance“ (gobernanza colaborativa) geprägt sei, d.h. durch vernetztes Zusammenwirken verschiedener Verwaltungen innerhalb der nationalen Grenzen wie über diese hinweg. 54 Vgl. dazu Ulrich Stelkens, Europäische Rechtsakte als „Fundgruben“ für allgemeine Grundsätze des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts, in: ZEUS 2004, S. 129, 133 f. 55 Dazu Jörg Gundel, Justiz- und Verfahrensgrundrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl., Berlin 2009, S. 685, 705 ff. (Rdnr. 44 ff.).

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und die Ökonomisierung des Verwaltungsverfahrens56 haben entsprechende Aspekte nur zögernd in das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht Eingang gefunden. Beschleunigungsvorschriften und Vereinfachungsregelungen57 zählen hierzu ebenso wie die gesteigerten Informationsrechte der Bürger, die man freilich auch unter dem Gesichtspunkt des Ausbaus rechtsstaatlicher Sicherungen betrachten kann. Als Stärkung der Dienstleistungsorientierung, aber auch als Rezeption steuerungstheoretischer Erkenntnisse kann man die Stärkung des auf das Verhältnis zwischen Verwaltung und Bürger bezogenen Kooperationsprinzips werten. Dieses wird insbesondere von der portugiesischen Verwaltungsverfahrensordnung und dem spanischen Verwaltungsverfahrensgesetz auch unter dem Aspekt der Bürgerpartizipation betont58. Nicht allein als Instrument der Effizienzsteigerung, sondern vor allem auch als Mittel der Förderung der Informations- und Kommunikationsrechte der Bürger verstehen jüngere Gesetze die Nutzung elektronischer Medien59. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die traditionelle Orientierung der rechtlichen Verfahrenssteuerung an rechtsstaatlichen Standards weiterhin im Vordergrund steht.

2. Transparenz/Informationszugang Durch das Europäische Unionsrecht induziert sind – wie dargelegt – seit den 90er Jahren die besonders dynamischen Entwicklungen im Bereich der Verbesserung der Transparenz sowie, als eines ihrer Kernelemente, des Informationszugangs zu verzeichnen. Staaten, die bereits früher den Informationszugang unabhängig von individueller Betroffenheit eröffnet hatten, wie insbesondere die skandinavischen Staaten60 oder auch – seit den 70er Jahren – beispielsweise ___________ 56

Dazu Andreas Voßkuhle, „Ökonomisierung“ des Verwaltungsverfahrens, in: Die Verwaltung 2001, S. 347 ff.; vgl. auch Klaus König, Verwaltungsstaat im Übergang, Baden-Baden 1999, S. 169 ff.; Jens-Peter Schneider, Zur Ökonomisierung von Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Die Verwaltung 2001, S. 317 ff. 57 Hierzu bereits Karl-Peter Sommermann, Konvergenzen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht europäischer Staaten, in: DÖV 2002, S. 133, 140 f.; aus jüngerer Zeit vgl. insbesondere Art. 2 lit. b u. c sowie Art. 31 Abs. 2 u Art. 34 des katalanischen Gesetzes von 2010 (oben Anm. 27). 58 Vgl. Art. 7 der portugiesischen Verwaltungsverfahrensordnung (Anm. 16) und Art. 3 Abs. 2 u. 5 des spanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Anm. 18). Vgl. auch Art. 22 Abs. 1 lit. b u. Abs. 2 des katalanischen Gesetzes von 2010 (oben Anm. 27). 59 Vgl. die in Art. 3 der spanischen Ley 11/2007 vom 22.6.2007 „de acceso electrónico de los ciudadanos a los Servicios Público“ (B.O.E. núm. 150 v. 23.6.2007) genannten Ziele sowie Art. 24 u. 32 des katalanischen Gesetzes von 2010 (oben Anm. 27). 60 Vgl. Joachim Conradi, Das Öffentlichkeitsprinzip in der schwedischen Verwaltung, Diss. jur. Berlin 1968; Helmut Bergner, Das schwedische Grundrecht auf Einsicht in öffentliche Akten, Diss. Jur. Heidelberg 1969. Zur aktuellen Rechtslage vgl. den däni-

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Frankreich61, haben die Zugangsrechte erweitert. Andere Staaten wie das Vereinigte Königreich62 und Deutschland63 haben sich vom Prinzip der begrenzten Aktenöffentlichkeit im Zuge der allgemeinen Öffnungswelle abgewandt64 und einen allgemeinen Anspruch auf Informationszugang eingeräumt. Der Rechtfertigungsdruck der Regierungen bzw. der Parlamente in den Staaten, die noch kein Informationsfreiheitsgesetz besitzen, ist erheblich. In Spanien, wo bereits das Verwaltungsverfahrensgesetz von 1992 weitgehende Informationszugangsrechte gewährt65, wurde ein umfassend begründetes Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg gebracht66, dessen Verabschiedung in der laufenden Legislaturperiode offenbar wegen eines Streits über den Anwendungsbereich und die Reichweite des Informationszugangs auf Eis gelegt ist67. Die Begründung zum letztgenannten Vorhaben ist zugleich ein Beispiel dafür, dass in den Reformdebatten neben rechtsstaatliche und managerialistische Überlegungen zunehmend – wenn auch noch verhalten – demokratisch-funktionale Erwägungen treten. ___________ schen Access to Public Administration Files Act (Act No. 572 v. 19.12.1985 mit späteren Änderungen, in englischer Übersetzung im Internet abrufbar unter https://www. privacyinternational.org/countries/denmark/dk-foi-85.doc) sowie die in deutscher Sprache verfügbare finnische Verordnung über Öffentlichkeit und gute Informationshandhabung bei der Tätigkeit von Behörden (Verordnung 1030/1999 mit Änderungen durch die Verordnung 380/2002; im Internet abrufbar unter http://www.finlex.fi/-en/laki/ kaannokset/1999/de19991030.pdf). 61 Bereits das Gesetz Nr. 78-753 vom 17.7.1978 (Journal Officiel vom 18.7.1978) in der Fassung des Gesetzes Nr. 79-5877 vom 11.7.1979 (Journal Officiel vom 12.7.1979) regelte ausführlich die „liberté d’accès aux documents administratifs“. 62 Vgl. den Freedom of Information Act 2000 (2000 chapter 36). 63 Vgl. auf Bundesebene das Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG) vom 5.9.2005 (BGBl. I, S. 2722) sowie die entsprechenden Landesgesetze. 64 Zu der früher herrschenden, bis zu den neunziger Jahren durch den „Official Secrets Act“ von 1911 geprägten „culture of secrecy and confidentiality“ in der Öffentlichen Verwaltung vgl. Patrick Birkinshaw, Freedom of Information. The Law, the Practice and the Ideal, 4. Aufl., Cambridge 2010, S. 83 ff. (Zitat auf S. 84); zum Prinzip der begrenzten Aktenöffentlichkeit in Deutschland und seinen konzeptionellen Hintergründen näher Martin Ibler, Zerstören die neuen Informationszugangsgesetze die Dogmatik des deutschen Verwaltungsrechts?, in: C.-E. Eberle/M. Ibler/D. Lorenz (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart. Festschrift für Winfried Brohm, München 2002, S. 405 ff. 65 Siehe Art. 37 des Gesetzes 30/1992 vom 26. November 1992 über das Rechtsregime der öffentlichen Verwaltung und das allgemeine Verwaltungsverfahren (Anm. 18); weitergehende Informationspflichten sind für Katalonien in Art. 28 des katalanischen Gesetzes von 2010 (oben Anm. 27) niedergelegt. 66 Ministerio de la Presidencia, Anteproyecto de ley de transparencia y acceso de los ciudadanos a la información pública (ohne Datum). 67 Vgl. Diario Público v. 17.1.2011 (http://www.publico.es/espana/356578/el-gobiernoentierra-la-ley-de-transparencia).

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Insgesamt wäre es lohnend, in einer rechtsvergleichenden Studie die unterschiedliche Reichweite der Informationszugangsrechte zu ermitteln. Alle Informationsfreiheitsregelungen enthalten Ausnahmen zum Schutz persönlicher, geschäftlicher und gewerblicher Daten sowie zur Gewährleistung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Staates. Für die Gewährleistung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem Informationszugangsrecht und dem notwendigen Geheimnisschutz benutzen die nationalen Gesetze unterschiedliche Techniken. Eine mehr oder weniger explizit auch in anderen Gesetzen genutzte Struktur weist der britische Freedom of Information Act aus dem Jahr 2000 auf: Neben absoluten Beschränkungen des Informationszugangs sieht er für weitere Fallgruppen Beschränkungsmöglichkeiten vor, wenn ein entsprechender „prejudice test“ zu einem Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses führt68. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass alle untersuchten europäischen Staaten den Informationszugang zum Prinzip erhoben haben und demgemäß Ausnahmen von diesem Prinzip zu rechtfertigen sind.

3. Europäische Zusammenarbeit Die Zunahme europäischer Verwaltungszusammenarbeit, nicht nur im vertikalen Verhältnis zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten, sondern auch im horizontalen Verhältnis letzterer untereinander wird seit geraumer Zeit beobachtet69. Fachspezifische Regelungen des Verfahrens der Zusammenarbeit finden sich in einer Reihe von Richtlinien, etwa im Produktzulassungsrecht70, andere Regelungen beispielsweise im europäischen Unions- und Völkerrecht der polizeilichen Zusammenarbeit71. Mit einem weiten Anwendungsbereich regelt die europäische Dienstleistungsrichtlinie im Einzelnen Kooperationspflichten der Mitgliedstaaten72, die in ihrer Strukturbildung und Detailliertheit bislang beispiellos sind. Ihrer Effektuierung dient das bei der Kommission angesiedelte ___________ 68 Vgl. Section 21 ff. des Freedom of Information Act 2000 und die Analyse bei Birkinshaw, Freedom of Information (Anm. 64), S. 155 ff. 69 Vgl. Gernot Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, Tübingen 2004; von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht (Anm. 32), S. 616 ff. 70 Siehe beispielsweise die Verordnung (EG) Nr. 258/97 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, ABl. 1997 Nr. L 43, S. 1. 71 Thomas Oppermann/Claus Dieter Classen/Martin Nettesheim, Europarecht, 4. Aufl., München 2009, § 37 Rdnr. 27 ff. (S. 664 ff.); Thomas Würtenberger/Stephan Neidhardt, Distanz und Annäherung zwischen deutschem und französischem Verwaltungsrecht im Zeichen europäischer Integration, in; Jürgen Schwarze (Hrsg.), Bestand und Perspektiven des Europäischen Verwaltungsrechts, Baden-Baden 2008, S. 255, 267 ff. 72 Siehe Art. 28 ff. der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. Nr. L 376, S. 36.

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Binnenmarkt-Informationssystem73, das freilich eine Reihe praktischer, insbesondere sprachenbezogener Fragen nicht ohne weiteres lösen kann74. Die meisten Staaten haben den unionsrechtlichen prozeduralen Vorgaben zur europäischen Zusammenarbeit in den allgemeinen Umsetzungsregelungen zur Dienstleistungsrichtlinie Rechnung getragen. Bislang hat nur die Bundesrepublik Deutschland das geschärfte europäische Verwaltungskooperationsrecht in das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz integriert75. Eine allgemeine Bestimmung zu Informationspflichten gegenüber Gemeinschaftsorganen enthielt bereits seit 1992 das spanische Verwaltungsverfahrensgesetz76. Wenngleich das europäische Kooperationsverwaltungsrecht erst in Ansätzen Eingang in die Kodifikationen des allgemeinen Verwaltungsverfahrens gefunden hat, lässt sich doch unschwer voraussagen, dass es sich hier um einen Bereich im Moment zwar noch verhaltener, aber potentiell hoher Entwicklungsdynamik handelt. Für das deutsche Recht hat Wolfgang Kahl in seiner Heidelberger Antrittsvorlesung Vorschläge für eine weitere Kodifizierung unterbreitet77.

4. Sonderfall Genehmigungsfiktion/„positives Schweigen“ Die durch Art. 13 Abs. 4 der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehene Einführung einer Genehmigungsfiktion im Falle der nicht fristgerechten Bescheidung eines Antrags auf Erteilung einer Genehmigung wird vielfach als eine Maßnahme der Verwaltungsvereinfachung und damit der Verwaltungsmodernisierung gelobt. In Deutschland waren entsprechende Genehmigungsfiktionen bislang von einigen Fachgesetzen, insbesondere vom Baurecht her bekannt78. Der ___________ 73 Internal Market Information System (IMI); errichtet in Durchführung der Art. 8 Abs. 3, 21 Abs. 4, 34 Abs. 1 und Art. 36 der Dienstleistungsrichtlinie. 74 Vgl. Franziska Kruse, Das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Jahreszeiten – Die raison d’être der Europäischen Zusammenarbeit, in: H. Hill (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung 2010, Baden-Baden 2010, S. 169, 187 f.; Lorenz Prell, Verwaltungszusammenarbeit im Binnenmarkt, in: M. Burgi/K. Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, Baden-Baden 2010, S. 48, 55 f. 75 §§ 8a–8e VwVfG. 76 Art. 10 des Gesetzes 30/1992 vom 26. November 1992 über das Rechtsregime der öffentlichen Verwaltung und das allgemeine Verwaltungsverfahren (Anm. 18). 77 Wolfgang Kahl, Die Europäisierung des Verwaltungsrechts als Herausforderung an Systembildung und Kodifikationsidee, in: P. Axer/B. Grzeszick/W. Kahl/U. Mager/ E. Reimer (Hrsg.), Das Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase – Die Verwaltung Beiheft 10, Berlin 2010, S. 39 ff. 78 Vgl. Christian Hullmann/Mirko Zorn, Probleme der Genehmigungsfiktion im Baugenehmigungsverfahren, in: NVwZ 2009, S. 756 ff.; Annette Guckelberger, Die Rechtsfigur der Genehmigungsfiktion, in: DÖV 2010, S. 109, 113.

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Sache nach handelt es sich hingegen um einen verwaltungsrechtlichen Atavismus, der eher dem Eingeständnis einer teilweisen Überforderung der Verwaltung im Hinblick auf die Einhaltung von Fristen denn einer Rationalisierung des Verfahrens geschuldet ist. Für das Verständnis der europäischen Regelung ist es wichtig zu wissen, dass sie an die von den romanischen Ländern her bekannte Rechtsfigur des negativen Schweigens (eine fehlende Antwort der Verwaltung wird als Ablehnung eines Antrags gewertet) bzw. des positiven Schweigens (die fehlende Antwort der Verwaltung nach Ablauf einer bestimmten Frist als Genehmigung gewertet) anknüpfen kann79. Sie wurde anfangs von der Rechtsprechung entwickelt, um in einem auf die Annullierung von Rechtsakten konzentrierten Rechtsschutzsystem auch denjenigen Bürgern Rechtsschutz gewähren zu können, die von der Verwaltung eine positive Maßnahme begehrten. So hat z.B. der spanische Gesetzgeber in seiner Begründung zum Verwaltungsverfahrensgesetz 1992, einer Zeit, in der der Verwaltungsrechtsschutz noch ganz am sog. carácter revisor, d. h. der Überprüfung von (erlassenen) Verwaltungsakten ausgerichtet war80, die Regelung der Figur des negativen oder positiven Schweigens dadurch zu rechtfertigen gesucht, dass er auf eine sonst bestehende Gefahr einer Aushöhlung der Rechte der Beteiligten verwies, zugleich aber die mit der Genehmigungsfiktion verbundene Überordnung der „Effektivität über den Formalismus“81 nur für Ausnahmefälle vorsehen wollte. Nachdem vor den Verwaltungsgerichten auch Verpflichtungsbegehren zulässig sind82 und die Instrumente des einstweiligen Rechtsschutzes ausgebaut wurden, bleiben wenige Argumente für die Beibehaltung der Figur des negativen und positiven Schweigens. Die in Deutschland geführte Debatte über die Frage, inwieweit bei verfassungskonformer Betrachtung die Anwendung der

___________ 79 Vgl. aus dem geltenden Recht für Frankreich Art. 21 et 22 der Loi n°2000-321 du 12 avril 2000 relative aux droits des citoyens dans leurs relations avec les administrations (Journal Officiel vom 13.4.2000), für Italien Art. 20 des Gesetzes 241/1990 vom 7. August 1990 (oben Anm. 14) und Art. 43 des spanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Anm. 18). 80 Vgl. Juan Alfonso Santamaría Pastor, Veiniticinco años de aplicación de la Ley reguladora de la jurisdicción contencioso-administrativa: Balance y perspectivas, in: Revista de Administración Pública (RAP) 1981, Nr. 95, S. 125 ff. 81 Siehe Ziff. IX Abs. 5 der Exposición de motivos des spanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Anm. 18). 82 Vgl. für Spanien Art. 25 Abs. 2 der Ley 29/1998 v. 13.7.1998 „reguladora de la Jurisdicción Contencioso-Administrativa“ (B.O.E. núm. 167 v. 14.7.1998), für Italien Art. 21-bis Legge 6 dicembre 1971 n. 1034. „Istituzione dei tribunali amministrativi regionali“ (Gazzetta Ufficiale n. 314 v. 13.12.1971), eingefügt durch Legge 21 luglio 2000 n. 205 (Gazzetta Ufficiale n. 173 v. 26.7.2000). Rechtsvergleichend zu Italien, Österreich und Deutschland Cristina Fraenkel-Haeberle, Il silenzio dell’amministrazione: echi d’oltralpe, in: Diritto Processuale Amministrativo Bd. 28 (2010), S. 1046 ff.

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Genehmigungsfiktion überhaupt fachgesetzlich angeordnet werden könne83 und inwieweit die Rücknahme einer nach § 42a fingierten Genehmigung einen Weg zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit darstellen kann84, verdeutlicht die Reichweite der mit einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Genehmigungsfiktion verbundenen Probleme. Darauf, dass § 42a auch deshalb einen Fremdkörper im Verwaltungsverfahrensgesetz darstellt, da er nicht im Kontext einer Regelung von Genehmigungsverfahren steht, wurde zu Recht hingewiesen85.

V. Modernisierung des Verwaltungsverfahrens durch Transformation der Verwaltungskultur? Die Europäische Gemeinschaft und später Europäische Union hat das Ziel der Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes durch eine Vielzahl von Rechtsakten verfolgt, die in den Mitgliedstaaten in einer wachsenden Zahl von Politikfeldern gemeinsame materiell-rechtliche, und bald auch prozedurale Standards bis hin zur organisationellen Strukturähnlichkeiten geschaffen haben86. Trotz dieser funktionellen Angleichungen, die sich in entsprechenden nationalen Rechtsnormen niederschlagen, bleiben bei der Implementierung des Unionsrechts erhebliche Unterschiede. Diese beruhen zum einen darauf, dass die gemeinschaftsrechtlich determinierten Regelungen nach wie vor in die jeweiligen Strukturen des nationalen Verwaltungsrechts und der nationalen Verwaltungsorganisation eingeordnet bleiben, zum anderen auf den Unterschieden der Verwaltungskulturen der Mitgliedstaaten87. Es gibt nach wie vor starke kontextabhängige institutionelle Identitäten und unterschiedliche korporative und individuelle Werthaltungen. Mit dem in Art. 41 der Europäischen Grundrechtecharta88 verankerten Recht auf gute Verwaltung und seinen rechtli___________ 83

Vgl. bereits Johannes Caspar, Der fiktive Verwaltungsakt – Zur Systematisierung eines aktuellen verwaltungsrechtlichen Instituts, in: AöR Bd. 125 (2000), S. 131, 149 ff. 84 Vgl. Michael Uechtritz, Die Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG, in: M. Fehling/ K. W. Grewlich (Hrsg.), Struktur und Wandel des Verwaltungsrechts, Baden-Baden 2011, S. 57, 67 f. 85 Burgi, Gesetzgebung im Verwaltungsverfahrensrecht (Anm. 28), S. 43 m.w.N. 86 Dazu näher Sommermann, Veränderungen des nationalen Verwaltungsrechts unter europäischem Einfluss (Anm. 42), S. 184 ff. 87 Dazu grundsätzlich Joachim Wentzel, Europäische Verwaltungskulturen, in: H. Hill/ D. Engels (Hrsg.), Verwaltungsressourcen und Verwaltungsstrukturen, Baden-Baden 2009, S. 9 ff. 88 Zunächst als gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission am 7.12.2000 verabschiedet (ABl. Nr. C 364 v. 18.12.2000); durch Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 (ABl. Nr. C 83/13 v. 30.3.2010; BGBl. 2008 II, 1038; Ber. 2010 II, S. 151), der am 1.12.2009 in Kraft trat, in den Rang von Primärrecht erhoben (Art. 6 Abs. 1 EUV).

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chen und metarechtlichen Ausformungen89 zielt der Integrationsprozess nunmehr deutlich auf eine Annäherung der verwaltungskulturellen Substrukturen. Zwar gelten das in Art. 41 der Grundrechtecharta verankerte Grundrecht auf gute Verwaltung90 und der zu seiner Konkretisierung vom Europäischen Bürgerbeauftragten entwickelte Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis91 zunächst nur für die Unionsorgane; die in ihnen entfalteten Standards sind indes Teil einer gesamteuropäischen Debatte92, die auch im Europarat geführt wird und dort beispielsweise in der an die Mitgliedstaaten gerichteten Empfehlung des Ministerkomitees zur guten Verwaltung aus dem Jahre 200793 Gestalt gewonnen hat. Sowohl im Kodex als auch in der Empfehlung stehen rechtsstaatliche und bürgerfreundliche Verfahrensweisen im Vordergrund, im Kodex werden zusätzlich persönliche Verhaltensstandards niedergelegt. Die in den USA bereits vor längerer Zeit geführte Debatte über die Ethik des öffentlichen Dienstes94 hat alle europäischen Staaten erfasst95. Auffällig ist, dass Ethic Codes oder Codes of Conduct, die teilweise als außerrechtliche Verhaltensdirektiven Gegenstand der Personalführung sind, zunehmend mit dem Recht verknüpft werden, wie es in Frankreich schon länger hinsichtlich der professionel-

___________ 89 Vgl. zu den metarechtlichen Ausformungen insbesondere den vom Europäischen Bürgerbeauftragten ausgearbeiteten und am 6.9.2001 vom Europäischen Parlament angenommenen „Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis“ (Broschüre Luxemburg 2001). 90 Auf nationaler Ebene ausdrücklich zuerst in Art. 21 der finnischen Verfassung verankert. 91 Vgl. zu diesem Kodex (vorige Anm.) und weiteren Kodizes José Martínez Soria, Die Kodizes für gute Verwaltungspraxis – ein Beitrag zur Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts der EG, in: EuR Bd. 36 (2001), S. 682 ff. 92 Vgl. Lord Millett, The Right to Good Administration in European Law, in: Public Law 2002, S. 309 ff. (auf S. 320 ff. zu Anknüpfungspunkten im britischen Recht); Martina Lais, Das Recht auf eine gute Verwaltung unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, in ZeuS 2002, S. 447 ff.; Beatriz Tomás Mallén, El derecho fundamental a una buena administración, Madrid 2004 (mit einer Analyse der entsprechenden Prinzipien im spanischen Recht); Rhita Bousta, Essai sur la notion de bonne administration en droit public, Paris 2010. Vgl. auch die in Art. 22 des katalanischen Gesetzes von 2010 (Anm. 27) genannten Konkretisierungen des „Rechts auf gute Verwaltung“. 93 Recommendation CM/Rec(2007)7 of the Committee of Ministers to member states on good administration (im Vorspann Hinweis auf die früheren Empfehlungen zu Standards des Verwaltungshandelns). 94 Dazu Karl-Peter Sommermann, Brauchen wir eine Ethik des öffentlichen Dienstes?, in: Verwaltungsarchiv Bd. 89 (1998), S. 290, 292 ff.; Nathalie Behnke, Ethik in Politik und Verwaltung. Entstehung und Funktionen ethischer Normen in Deutschland und den USA, Baden-Baden 2004. 95 Vgl. Olivia Seifert, Codes of Conduct, in: H. Hill (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung im europäischen Vergleich, Baden-Baden 2009, S. 113 ff.

Rechtsvergleichende Bilanz

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len Deontologie der Fall war96. Jüngere Beispiele bilden das spanische Basisstatut über den öffentlichen Dienst aus dem Jahre 2007, das in einem eigenen Kapitel einen detaillierten Verhaltenskodex (Código de conducta) normiert97. Die dort niedergelegten Pflichten gehen weit über die im deutschen Beamtenrecht niedergelegten Grundpflichten der Beamten hinaus. Bemerkenswert ist auch der britische Constitutional Reform and Governance Act 201098, der den Erlass eines Verhaltenskodex für den öffentlichen Dienst vorschreibt. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die rechtliche und außerrechtliche Verhaltensstandards verknüpfende Ethikdiskussion zu deutlichen Veränderungen bei der Gestaltung von Verwaltungsverfahren und einer Annäherung der Verwaltungskulturen beitragen wird.

VI. Fazit Das deutsche Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und die entsprechenden Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder zählen in Europa mittlerweile zu den älteren Kodifikationen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts. Das Verwaltungsverfahrensgesetz hat Vorbildwirkung für mehrere nachfolgende Gesetze entfaltet; so betonte beispielsweise der portugiesische Gesetzgeber in der Begründung der portugiesischen Verwaltungsverfahrensordnung ausdrücklich die besondere Aufmerksamkeit, die auf das deutsche Gesetz und die Weiterentwicklung seiner Prinzipien im Schrifttum gerichtet gewesen sei99. Demgemäß enthalten das portugiesische Gesetz wie auch andere in den 90er Jahren erlassene Gesetze bereits zusätzliche Elemente, die aber nicht substantiell über den traditionellen Bereich rechtsstaatlicher Standardisierung von Verwaltungsverfahren hinausgehen. Am ehesten lassen sich noch Erweiterungen durch ökonomische, kooperative und dienstleistungsorientierte Elemente erkennen, die freilich teilweise auch in das deutsche Verwaltungsverfahrensgesetz Eingang gefunden haben. Am wenigsten entwickelt erscheint im deutschen Recht die Regelung der Verwaltungsverträge; die Rumpfbestimmungen

___________ 96

Vgl. Nicole Decoopman, Droit et déontologie : contribution à l’étude des modes de régulation, in : Centre universitaire de recherches administratives et politiques de Picardie, Les usages sociaux du droit, Paris 1989, S. 88 ff. 97 Siehe Art. 52 ff. des Gesetzes 7/2007 (Ley 7/2007, de 12 de abril, del Estatuto Básico del Empleado Público), B.O.E. núm. 89 v. 13.4.2007. 98 2010 Chapter 25. 99 Absatz 2 der Präambel der portugiesischen Verwaltungsverfahrensordnung von 1991: „… Particular atenção mereceu a Lei do Procedimento Administrativo da República Federal da Alemanha, publicada em 1976, e a riquíssima elabpração doutrinal a que deu lugar. ... “.

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Karl-Peter Sommermann

im Verwaltungsverfahrensgesetz100 genügen in keiner Weise den Anforderungen eines eben häufig auch im Vertragswege agierenden modernen kooperativen Verwaltungsstaats101. Freilich erscheint es auch nicht ratsam, dem von einigen Staaten eingeschlagenen Weg einer Großkodifikation des Rechts der Verwaltungsverträge zu folgen, in der eine akribische Erfassung der europarechtlich induzierten Detailregelungen die systembildenden und Orientierung gebenden allgemeinen Prinzipien überwuchert. Was die im Übrigen häufig angemahnte Erweiterung der Perspektive des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf neue Handlungs- und Steuerungsformen anbetrifft, so besteht in der Tat Systematisierungsbedarf. Es ist nicht zuletzt Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft, hier die Systembildung zu einem gewissen Reifegrad zu treiben, der eine konsolidierte Kodifizierung erlaubt. Dass die rechtswissenschaftliche Diskussion in Deutschland hier erheblich weiter geht als die zur Zeit im Ausland zu beobachtenden Debatten, sollte nicht von weiterer Reflexion abhalten, sondern als Aufforderung und Chance begriffen werden, den europäischen Diskurs hier maßgeblich mitzugestalten.

___________ 100 §§ 54 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und der entsprechenden Gesetze der Länder. 101 Dazu und zu den im Auftrag des Bundesministeriums des Innern erstellten Gutachten von Gunnar Folke Schuppert und Jan Ziekow (2001) näher Hans-Detlef Horn, Zum Fortentwicklungsbedarf des Verwaltungsvertragsrechts, in: S. Detterbeck/J. Rozek/ C. v. Coelln (Hrsg.), Recht als Medium der Staatlichkeit. Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, Berlin 2009, S. 339 ff. m.w.N.

Das Verwaltungsverfahrensgesetz und der Kodifikationsgedanke

Das VwVfG und der Kodifikationsgedanke: Reform der Eröffnungskontrollen und des förmlichen Verfahrens I Martin Burgi

Der nachfolgende Vortrag soll die (hoffentlich) interessierte Fachöffentlichkeit auf ein gegenwärtig in Arbeit befindliches Gutachten zur Stärkung des VwVfG als Generalkodifikation, insbesondere im Verfahren der Eröffnungskontrolle, aufmerksam machen, mit dem das Land Nordrhein-Westfalen im Anschluss an die im Jahre 2009 durchgeführte Tagung „Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts“1 den Kollegen Durner und mich beauftragt hat. Den Veranstaltern dieser Tagung ist sehr für diese Gelegenheit zu danken, und dafür, dass die Kollegen der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ebenso wie weitere Redner Brücken betreten, die sowohl zwischen Wissenschaft und Praxis als auch zwischen dem Verwaltungsverfahrensrecht auf der nationalen und auf der europäischen Ebene immer wieder gebaut werden müssen. Selbstverständlich wird das sehr umfassende Gutachten im Laufe des Jahres 2011 in Buchform veröffentlicht werden. Die nachfolgenden Ausführungen stellen die zugrunde liegenden Zielsetzungen und die aktuelle kodifikatorische Herausforderung aus der Sicht der Verfasser dar (I); sodann werden einige Leitvorstellungen zum Themenfeld der Kodifikation des Anzeige- und Genehmigungsbedürftigkeitsverfahrens im VwVfG (gleichsam eine Art „Eröffnungskontrolle I“) vorgestellt (II) und ferner zur Reform des Fehlerfolgenrechts der §§ 45 und 46 VwVfG, die im Schwerpunkt ebenfalls das Recht der Eröffnungskontrollen betreffen, teilweise aber auch für weitere Anwendungsfälle des Fachrechts relevant würden (III). Der Kollege Durner wird sich sodann mit dem Genehmigungsverfahren (gleichsam „Eröffnungskontrolle II“), u. a. mit der besonders wichtigen Frage der Konzentrationswirkung beschäftigen. Der Leiter des Referats „Verwaltungsverfahrensrecht“ im Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Klaus Schö___________ 1 Die dort gehaltenen Vorträge, u. a. von dem heutigen Präsidenten des BVerfG, Andreas Voßkuhle, sind veröffentlicht in Burgi/Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrens, 2010. Der Beitrag von Burgi, in dem die Gestaltungsnotwendigkeit eingehend begründet worden ist, ist (leichter zugänglich) weitgehend wortlautgleich veröffentlicht in JZ 2010, 105 ff.

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Martin Burgi

nenbroicher, wird im Anschluss daran feststellen, dass die vorgelegten Vorschläge primär auf eine bundesweit einheitliche Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze zielen.

I. Ausgangslage und Reformimpulse 1. Politische Impulse Der Auftraggeber, das Land Nordrhein-Westfalen, hat als politische Zielsetzungen formuliert, dass das Verwaltungsverfahren moderner und bürgerfreundlicher gestaltet werden müsse. Als gemeinsame Klammer aller angestellten Überlegungen soll das Verwaltungsverfahrensgesetz gestärkt werden, beruhend auf der Einschätzung, dass die genannten Ziele konzentriert in diesem „Grundgesetz des Verwaltungsrechts“2 realisiert werden können und realisiert werden müssen, im Interesse von Transparenz, Vereinfachung, Rechtssicherheit und Rechtsschutzgewähr. Neben dem Land Nordrhein-Westfalen ist von verschiedenen anderen Akteuren in jüngerer Zeit Gestaltungsbedarf in Bezug auf das Allgemeine Verwaltungsrecht, konkret das Verwaltungsverfahrensgesetz, geltend gemacht worden. So heißt es im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die laufende Legislaturperiode auf Bundesebene:3 „Wir prüfen, wo Initiativen ergriffen werden können, um Genehmigungsverfahren, die bundesgesetzlich geregelt sind, zu verkürzen und zu beschleunigen. Genehmigungsverfahren sind, wenn möglich, inhaltlich zu reduzieren und verfahrens- und kompetenzmäßig zu konzentrieren. Dabei ist dem Anzeigeverfahren ein größeres Gewicht einzuräumen“. Baden-Württemberg hat jüngst im Bundesrat einen Entschließungsantrag mit dem Ziel eingebracht, aus Anlass der in diesem Land gemachten Erfahrungen mit dem Projekt „Stuttgart 21“ die Öffentlichkeit schon im Vorfeld von Großprojekten stärker zu beteiligen und im Verfahren möglichst vollständige Transparenz zu erreichen.4 Gegenwärtig wird das VwVfG mithin nicht mehr „lediglich“ durch Rechtsprechung und Kommentarliteratur entfaltet, vielmehr scheint die Stunde der Gesetzgeber und damit der Gestaltungsnotwendigkeit angebrochen zu sein.

___________ 2

Diese Titulierung verwendet u. a. der langjährige Bundesinnenminister Schily, NVwZ 2000, 883 (887); vgl. ferner den zuständigen Referatsleiter im BMI, Schmitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2003, S. 135 (141). 3 I. 1.3, S. 17 vom 26.10.2009. 4 BR-Drs. 135/11.

Reform der Eröffnungskontrollen und des förmlichen Verfahrens I

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2. Europarechtliche Impulse Das EU-Verwaltungsverfahrensrecht in Gestalt der Regeln über den sog. indirekten Vollzug des Unionsrechts bzw. der Regeln für die Verbund- bzw. Kooperationsverwaltung in Europa5 hat über Jahrzehnte mit zunehmender Intensität zahlreiche bindende Vorgaben hervorgebracht und Impulse gegeben, die im Hinblick auf einzelne Regelungsbereiche einen Anpassungs- bzw. Änderungsbedarf auslösen. Nach Summe und Intensität haben diese Prozesse ein Maß erreicht, dass der soeben auf dieser Tagung von Wolfgang Kahl erneut gemachte Vorschlag einer „Rekodifikation des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts sub specie des Unionsverwaltungsrechts“ ernsthaft bedacht und diskutiert werden muss.6 Noch diesseits solcher Überlegungen ist zu konstatieren, dass sich das Verwaltungsverfahrensrecht auf der EU-Ebene in voller Blüte befindet und gerade im vergangenen Jahrzehnt in Gestalt der UVP-7, der IVU-8, der Umweltinformations-9 und zuletzt der Dienstleistungsrichtlinie10 mit sehr prononciertem Gestaltungsanspruch nicht nur einzelne, fachgesetzlich vergleichsweise rasch zu bewirkende Änderungen provoziert, sondern einen insgesamt stärker konzeptionell motivierten Zugriff auf das Verwaltungsverfahren vorgelebt hat.11

3. Impulse aus Anwendungspraxis und Wissenschaft Die Anwendungspraxis, d. h. die tägliche Begegnung von Bürgern und Verwaltungsbehörden sowie ggf. von Verwaltungsgerichten, spürt etwaige Defizite der bestehenden gesetzlichen Ausgestaltung daran, dass bei der Anwendung und Auslegung einzelner Vorschriften Rechtsunsicherheit besteht, und dass demokratisch formulierte Ziele des Verwaltungshandelns bzw. bestimmte subjektive Positionen nicht mit dem gewünschten Inhalt oder nicht innerhalb des für wünschenswert erachteten Zeitrahmens realisiert werden können. Das Angewiesensein auf immer neue, vielfach verschiedenartige Fachgesetze bedeutet einen weiteren Schub in Richtung Vollzugs- bzw. Schutzdefizit. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion werden bereits seit mehreren Wissenschaftler___________ 5

Vgl. zu den Einzelheiten hier nur von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 609 ff.; Kahl, Beiheft 10, DV 2010, 39 ff., jeweils m. w. N. 6 Entfaltet in Beiheft 10, DV 2010, 39 (82 ff.); vgl. ferner in diesem Band. 7 85/337/EWG (ABl. EU Nr. L 175/40), in der Fassung der EG-Öffentlichkeits-RiL 2003/35/EG (ABl. EU Nr. L 156/17). 8 2008/1/EG (ABl. EU Nr. L 24/8). 9 2003/4/EG (ABl. EU Nr. L 41/26). 10 2006/123/EG (ABl. EU Nr. L 376/36). 11 Näher analysiert bei Burgi, JZ 2010, 105 ff.

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Generationen mehr oder weniger umfangreiche Listen mit (vermeintlichen?) Lücken und Desideraten formuliert.12 Bewegen sich diese Einzelvorstöße weitgehend innerhalb des durch § 1 und § 9 VwVfG gezogenen Rahmens, so ist im Zuge der Arbeiten an einer sog. Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft13 ferner die Forderung nach der Aufnahme zusätzlicher Regelungsgegenstände in das VwVfG immer lauter geworden. Dies betrifft jenseits der Verwaltungsakte und öffentlich-rechtlichen Verträge u. a. die exekutivischen Handlungsformen, die sog. Real- und Tathandlungen, Verfahren im Innenverhältnis der Verwaltungsträger und bestimmte Verwaltungstypen, die bislang als solche gar nicht oder höchst randständig erfasst sind; insoweit werden etwa genannt Verteilungsverfahren,14 Verfahren der Wissensgenerierung und Verfahren im europäischen Verwaltungsverbund.15 Noch weiter gehend wird teilweise die Beschränkung des VwVfG auf die „öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit“ durch § 1 Abs. 1 beklagt, da die Verwaltung in nicht wenigen, teilweise höchst bedeutungsvollen Sachbereichen (etwa im Vergaberecht) mit den Instrumenten des Privatrechts agiert.16

4. Stärkung des VwVfG Ausschlaggebend für die thematische und methodische Ausrichtung unserer Untersuchung ist die Erkenntnis, dass die Kritik an zahlreichen Einzelregelungen innerhalb des VwVfG ebenso wie die Diagnose seiner Lückenhaftigkeit ge___________ 12 Vgl. aus der jüngeren Vergangenheit Schmitt Glaeser, in: ders., Verwaltungsverfahren, FS Boorberg-Verlag, 1977, S. 1 ff.; Wahl, NVwZ 2002, 1192 ff., und noch zuvor mit bereits praktischem Einschlag Schmitz, NVwZ 2000, 1238 ff. (insbesondere zu den hier im Rahmen dieses Gutachtens auch untersuchten Elementen der Eröffnungskontolle); Ziekow, NVwZ 2005, 263 ff., der von der „Agonie der Wissenschaft vom Verwaltungsverfahrensrecht“ spricht. 13 Dort werden folgende methodische Elemente besonders betont: Die Realbereichsanalyse, der steuerungstheoretische AnSatz mit Wirkungs- und Folgenorientierung von Normen, die Intra-, Multi-, Trans- und Interdisziplinarität sowie das Arbeiten mit Schlüsselbegriffen, Leitbildern und Referenzgebieten (vgl. zu all dem stellvertretend Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle [Hrsg.], Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 1 Rn. 29 ff.). In neuerer Zeit hat es verschiedene kritische Vorstöße gegeben (etwa von Grzeszick, DV 2009, 105 ff.; teilweise auch Schoch, Beiheft 7, DV 2007, 177 ff.). 14 Monographisch hierzu jüngst Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010. 15 Ausführlich entfaltet bei Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren (Fn. 2), S. 277 ff.; Röhl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts II, 2008, § 30 Rn. 10 ff. 16 Eingehend zur Bedeutung der Rechtsregimes des Öffentlichen Rechts und des Privatrechts für die Verwaltung Burgi, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen I (Fn. 13), § 18 Rn. 1 ff.

Reform der Eröffnungskontrollen und des förmlichen Verfahrens I

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rade darauf beruhen, dass in den vergangenen Jahren – und dies mit zunehmender Dynamik – verfahrensrechtliche Regelungen von vornherein außerhalb des VwVfG geschaffen worden sind.17 Während beim VwVfG die Gestaltungskraft über die Jahre deutlich nachgelassen hat und bis zum Jahre 2008 lediglich eine einzige VwVfG-Novelle erfolgt ist, der man einen explizit gestalterischen Zugriff attestieren kann,18 sind in verschiedenen, wichtigen Bereichen des Fachverwaltungsrechts Änderungen verfahrensrechtlicher Natur ebensolchen Profils erfolgt, getragen von genau der Durchsetzungskraft, die dem VwVfG seither ermangelt. Ein gutes Beispiel ist das aus mehreren Teilgesetzen bestehende Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz im Jahre 2006.19 Dieses wurde verabschiedet, noch bevor der Vorschlag einer Aufnahme jener Verfahrensregeln in das VwVfG überhaupt recht diskutiert werden konnte. Immerhin bestand ein Schuldbewusstsein des Gesetzgebers dahingehend, dass er sich in der Entwurfsbegründung dazu verpflichtete, „alsbald“ auf der Ebene des VwVfG tätig werden zu wollen.20 Diese Entwicklung wird dadurch noch virulenter, dass es sich bei den konkurrierenden Verfahrensgesetzen keineswegs immer „nur“ um Fach- oder Artikelgesetze handelt. Vielmehr sind teilweise Gesetze entstanden, die einen Allgemeinen Teil des Fachrechts konstituieren, also ihrerseits kodfikatorischen Charakter tragen – nur das es sich eben um eine Bereichskodifikation und nicht, wie beim VwVfG, um eine Generalkodifikation handelt.21 Aus der Sicht des VwVfG hat man es jedenfalls mit einem Vorgang der Dekodifikation zu tun, der belegt werden kann an den Beispielen des Informationsfreiheitsgesetzes sowie an den Plänen, ein allgemeines Regulierungsgesetz zu schaffen22 und natürlich ein „Umweltgesetzbuch“23. Dieses verstand sich selbst als Ausdruck der Kodifikationsidee, während es gleichzeitig zur Dekodifikation des bestehenden Verfahrensgesetzes, eben des VwVfG, einen gewichtigen Beitrag geleistet hät___________ 17 Die nachfolgenden Überlegungen beruhen auf dem Impulsbeitrag von Burgi, JZ 2010, 105 (109 f.). 18 Die sog. Beschleunigungsnovelle des Jahres 1996 (die Abläufe sind eingehend geschildert bei Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, Einführung, Rn. 29 ff.; Burgi, JZ 2010, 105 [107 f.]). 19 Vom 27.10.2006 (BGBl. I, 2883); krit. hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, (Fn. 18), § 72 Rn. 3. 20 BT-Drs. 16/3158, S. 53 f., sowie ferner die Entschließung des Bundesrats, BRDrs. 764/06, S. 1. 21 Zu diesen Entwicklungen näher Burgi, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen I (Fn. 13), § 18 Rn. 113 f.; bereits früher Wahl, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 177 (211 ff.). 22 In dieser Forderung gipfeln die Überlegungen von Masing, in: 66. DJT, 2006, Band I, D, S. 1 ff.; krit. Burgi, NJW 2006, 2439 ff. 23 Vgl. hierzu nur die Nachweise bei Kloepfer, DV 2008, 195.

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te. Dies manifestiert sich konkret an den Verfahrenselementen „Verfahrenskonzentration“24 und „Eröffnungskontrollen“. Welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um nun stattdessen Verfahrenselemente in das VwVfG aufzunehmen, kann nur im Hinblick auf den jeweils in Frage stehenden Regelungsgegenstand beantwortet werden. Als Prüfungsraster zur Vorbereitung auf diese teilweise sehr detaillierten Ausführungen können die beiden Stationen der Kodifikationsfähigkeit und der Kodifikationswürdigkeit dienen:25 Die Kodifikationsfähigkeit ist dann gegeben, wenn die konkret betroffenen Verfahrenselemente nicht durch bereichsspezifische Besonderheiten geprägt sind, sondern sich verallgemeinern lassen. Ist dies der Fall, hängt die Annahme ihrer Verankerung im VwVfG, also die Kodifikationsbedürftigkeit, vor allem davon ab, ob ein positiver Beitrag zu den oben beschriebenen Funktionen des VwVfG (Rechtsvereinheitlichung, Kohärenz des Verfahrenskonzepts, Entlastung der Rechtsanwender) geleistet wird. Tendenziell sprechen diese Argumente für die General- und gegen die Bereichskodifikation, die stets die Nachteile der Zerschneidung, Nivellierung und Zementierung fachgesetzlicher Besonderheiten aufweist. Das, was nachfolgend vorgeschlagen wird, betrifft mithin – bezogen auf die historische Entwicklung, die zum Erlass des VwVfG geführt hat – einen Prozess der Rekodifikation. Angesichts der bis heute unbestrittenen Qualität des VwVfG erscheint ein solches Vorhaben in hohem Maße lohnend.

II. Eröffnungskontrollen: Anzeige- bzw. Genehmigungsbedürftigkeitsverfahren 1. Ausgangslage Die bisherigen Erscheinungsformen dieser Verfahren verteilen sich in etwa hälftig zwischen dem Bau- und dem Umweltrecht einerseits sowie dem Wirtschaftsverwaltungsrecht andererseits, finden sich aber auch im Versammlungsrecht. In die erste Kategorie fallen die Anzeige- und Anmeldevorschriften nach §§ 8 Abs. 2, 12 GenTG, § 11 Abs. 1 AtG i. V. m. §§ 11, 12, 17, 20 StrlSchVO, § 15 BImSchG,26 § 8 Abs. 1 der 20. BImSchVO vom 27.5.1998,27 § 7 der ___________ 24

Diesbezügliche Kritik am Konzept des UGB und dem Umstand der dortigen Verortung üben Schönenbroicher/Gregor, NWVBl. 2009, 329 ff.; Durner, NuR 2008, 293 (296; im Hinblick auf Planfeststellungsverfahren); vgl. bereits früher Jarass, DÖV 1978, 21 ff. 25 Im Anschluss u. a. an Kahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren (Fn. 2), S. 101 ff. 26 Hierbei handelt es sich nicht um eine Genehmigungsfiktion im Sinne von § 42a VwVfG (so aber Cancik, DÖV 2011, 1 [5]). Dies gilt auch für § 15 Abs. 2 Satz 2

Reform der Eröffnungskontrollen und des förmlichen Verfahrens I

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26. BImSchVO vom 16.12.1996,28 § 67 BauO NRW, § 51 LBO BW, § 4 RöntgenVO i. d. F. d. B. v. 13.4.2003,29 § 98 Abs. 1 LWG NRW (Erstellung oder wesentliche Veränderung zum Betrieb von Kanalisisationsnetzen), § 49 LWG NRW (Planung zur Errichtung oder wesentlichen Veränderung einer Aufbereitungsanlage für die öffentliche Trinkwasserversorgung) sowie § 97 des UGB-KomE bzw. § 63 UGB-RefE. In die zweite Kategorie fallen beispielsweise die Anzeigepflichten für den Betrieb eines selbständigen Gewerbes nach § 14 GewO, für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen in reglementierten Berufen nach § 13a GewO, nach § 12 HeimG und nach den neuen Regulierungsgesetzen (vgl. § 6 TKG, § 36 PostG und § 5 EnWG). Gleichsam unterhalb der hierdurch gebildeten Stufe der Eröffnungskontrolle (welche ihrerseits unterhalb der Stufe der Genehmigungsverfahren angesiedelt ist) befindet sich die schlichte Verfahrensfreiheit,30 d. h. der Bereich, in dem sich die Träger von Vorhaben oder die handelnden Akteure ohne jeglichen Vorbehalt staatlicher Präventivkontrolle bewegen können. Die rechtliche Basis bilden dort zunächst „nur“ die jeweils einschlägigen Grundrechte. Der Blick in das VwVfG führt im Hinblick auf Anzeigeverfahren und Verfahren zur Prüfung der Genehmigungsbedürftigkeit schlicht zu einer Fehlermeldung: Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber diese Verfahren im Blick gehabt hat, geschweige denn, dass er sie in einem eigenen Verfahrenstyp hätte kodifikatorisch erfassen wollen. In dieser Ausgangslage muss das Fachrecht als Ausgangsmaterial und Versuchslabor für verallgemeinerungsfähige Regelungen fungieren, wie dies ganz allgemein im Verhältnis zwischen Allgemeinem Verwaltungsrecht und Fachrecht funktioniert.31 Die nähere, tabellarisch gestützte Analyse der weit verstreuten fachgesetzlichen Regelungen erweist einen erstaunlich großen Fundus an Gemeinsamkeiten. So finden sich beinahe durchgehend Bestimmungen über die Schriftform, das Erfordernis der Beifügung bestimmter Unterlagen, teilweise auch der schriftlichen Bestätigung und Entgegennahme sowie von Prüfungspflichten. Auch Regelungen über die Rechtswirkungen von Anzeigen, mit denen auf eine behördliche Aussage zur Frage einer etwaigen Genehmigungsbedürftigkeit gezielt wird, sind weit verbreitet. Vereinzelter anzutreffen ist die Erwähnung der Befugnis zugunsten der ___________ GenTG, wonach mit dem Vorhaben begonnen werden darf, wenn die Behörde sich nicht innerhalb einer bestimmten Frist über die Genehmigungsbedürftigkeit geäußert hat. 27 BGBl. I, 1174, zuletzt geändert durch die VO vom 4.5.2009 (BGBl. I, 1043). 28 BGBl. I, 1966. 29 BGBl. I, 604. 30 Vgl. zuletzt Cancik, DÖV 2011, 1 (7). 31 Ausführlicher hierzu mit zahlreichen weiteren Nachweisen Burgi, in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem/Voßkuhle, Grundlagen I (Fn. 13), § 18 Rn. 96 ff.

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Bürger, von Anfang an ins Genehmigungsverfahren zu wechseln (vgl. z. B. § 51 Abs. 6 LBO BW) und sind Pflichten zur Beteiligung anderer Behörden. Neben den Gemeinsamkeiten in den Strukturen und den einzelnen Inhalten sind die Gemeinsamkeiten in den zugrunde liegenden Zielsetzungen bemerkenswert. Die Einführung von Eröffnungskontrollen unterhalb der Genehmigungsebene, d. h. von Vorbehalten der behördlichen Kenntniserlangung von einem bestimmten Vorhaben bzw. einer bestimmten Tätigkeit erfolgt typischerweise aus drei unterschiedlichen Zielsetzungen heraus: Verfahrenserleichterung unter Stärkung der Eigenverantwortung (oftmals kritisch diskutiert, wie der Blick in die in den 90er Jahren geführten Diskussionen um entsprechende gesetzliche Regelungen in den Landesbauordnungen32 zeigt). Die zweite Zielsetzung ergibt sich aus dem Charakter dieser Verfahren als Mechanismen zur Kenntniserlangung der zuständigen Behörden, denen damit Informationen an die Hand gegeben werden, auf die sie ggf. nachträgliche Maßnahmen stützen können (Untersagungsverfügungen und nachträgliche Anordnungen jeglichen fachgesetzlichen Inhalts. Bei materieller Illegalität des angezeigten Vorhabens bzw. der angezeigten Tätigkeit können ferner Ordnungswidrigkeiten-Tatbestände des Fachrechts eingreifen33). Drittens dienen diese Verfahren der Befriedigung weiterer behördlicher bzw. staatlicher Informationsbedürfnisse, z. B. statistischer Art.

2. Berechtigung einer Kodifikation Als Beleg für das Verallgemeinerungspotenzial der anzeigerelevanten Bestimmungen des Besonderen Verwaltungsrechts können sowohl die passagenweise Wortlautidentität als auch die vielfach bestehenden hohen inhaltlichen Übereinstimmungen gelten. Als Belege für eine beinahe 100%ige Wortlautidentität seien § 12 Abs. 3 GenTG („die zuständige Behörde hat dem Anmelder den Eingang der Anmeldung und der beigefügten Unterlagen unverzüglich schriftlich zu bestätigen“ und § 15 Abs. 1 Satz 3 BImSchG („die zuständige Behörde hat dem Träger des Vorhabens den Eingang der Anzeige und der beigefügten Unterlagen unverzüglich schriftlich zu bestätigen“) genannt. ___________ 32 Vgl. aus der überbordenden Literatur hierzu statt vieler Jäde, ZfBR 1996, 241 ff.; Korioth, DÖV 1996, 665 ff.; Schulte, DÖV 1996, 551 ff.; Führ, UPR 1997, 421 ff.; Fluck, VerwArch 1997, 265 ff.; Baumeister/Sennekamp, Jura 1999, 259 ff.; Löffelbein, Genehmigungsfreies Bauen und Nachbarrechtsschutz, 2000; Bull, DV 2005, 285 ff.; zuletzt und zusammenführend Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 9 Rn. 88 f.; Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2010, § 16 Rn. 25 ff. 33 Anschaulich geschildert im Hinblick auf die Anzeige nach § 15 BImSchG bei Jarass, BImSchG, 8. Aufl. 2010, § 15 Rn. 23.

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Die bestehenden Unterschiede dürften zu einem großen Teil auf historischen Zufälligkeiten und fehlendem gesetzgeberischen Systematisierungswillen beruhen. Dies gilt namentlich für den Umgang mit der Bestätigung des Eingangs der Anzeige, für die daher künftig eine Regelung vorgeschlagen wird. Hingegen dürften die Fristen zwischen Eingang der Anzeige und der Bestätigung des Eingangs ebenso wie die Fristen bis zur Entscheidung über die Genehmigungsbedürftigkeit (im Falle der Anzeige zu deren Prüfung) auf fachlich begründeten Unterschieden beruhen, weil das Gesamtspektrum der Anzeigepflichten eben doch sehr unterschiedliche Fachbereiche umspannt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint es daher sinnvoll, im VwVfG durch das Tatbestandsmerkmal „gesetzlich bestimmte Frist“ eine Öffnungsklausel für jene fachgesetzlichen Fristenbestimmungen zu schaffen. Ebenso wie auch im Hinblick auf das Genehmigungsverfahren war es Rainer Wahl, der die Kontrollformen der Anmeldung und Anzeige auf die Tagesordnung der Kodifikationsdiskussion betreffend das VwVfG gesetzt hat, indem er34 eine „Modellregelung … (zum Zwecke der Konstruktion und Strukturierung) dieser Institute“ gefordert hat. Inhaltlich müsse insbesondere darüber entschieden werden, „welche Prüfungspflichten die Behörde während der Wartezeit treffen und ob am Ende eine fiktive Genehmigung steht oder nicht“. Aus der Praxis ist ein Beitrag von Schmitz aus dem Jahre 200035 zu nennen, der hinsichtlich der Anzeigeverfahren „normative Lücken“ diagnostiziert und als Regelungsstandort die Verwaltungsverfahrensgesetze für „wünschenswert“ erachtet. Allerdings handle es sich um „durch das Fachrecht zu heterogen gestaltete Verfahren“, weswegen es nicht „um eine systematische Erfassung dieser Verfahren in all ihren Spielarten“ gehen könne. Wohl aber könne das Verwaltungsverfahrensgesetz „eine Auswahl entsprechender Verfahrenstypen anbieten“. Vor einem Tätigwerden des Gesetzgebers bedürfe es aber noch „weiterer wissenschaftlicher Diskussionen“. Wägt man die zu I skizzierten Vor- und Nachteile36 einer Kodifikation ab, so zeigt sich, dass im Hinblick auf die Kodifikation des Anzeigeverfahrens die Vorteile deutlich überwiegen. Denn diese Verfahren erfüllen fachrechtlich übergreifend im Wesen die gleichen Zielsetzungen und haben gleich gelagerte Konflikte zu kanalisieren. Es würde also mithin der Transparenz der Rechtsordnung und des Verwaltungshandelns dienen, sie „vor die Klammer zu ziehen“, wovon überdies sowohl die Behörden als aber auch die Bürger profitieren könnten. Die gegenwärtige Rechtslage hingegen ist geeignet, den Bürger zu verwirren und (mit den Worten von Breuer, bezogen auf das Genehmigungs___________ 34

NVwZ 2002, 1192 (1194). NVwZ 2000, 1238 (1240). 36 Zuletzt bündig Kahl, Das europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase, Beiheft 10, DV 2010, 39 (56 f.). 35

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verfahren) „somit Irrtümer, Versäumnisse, sonstige Fehler und Frustrationen auf Seiten der Öffentlichkeit und der Verfahrensbeteiligten herbeizuführen“.37 Dies gilt erst recht, wenn neben den bereits bislang im VwVfG kodifizierten Planfeststellungsverfahren und der seit kurzem kodifizierten Genehmigungsfiktion nunmehr auch das Genehmigungsverfahren dort einen Regelungsstandort finden würde. Eine sachliche Begründung dafür, dann innerhalb des Gesamtsystems der Eröffnungskontrollen nur noch die Anzeigeverfahren wegzulassen, ist nicht ersichtlich. Das bereits als kodifikationsfähig beschriebene Anzeigeverfahren erscheint daher zugleich auch als kodifikationswürdig und gesetzgebungstechnisch sinnvoll.38

3. Leitvorstellungen Die Durchsicht der weit verstreuten fachgesetzlichen Vorbehalte der behördlichen Kenntniserlangung zeigt, dass sich bei allen terminologischen (und nur teilweise inhaltlichen) Unterschieden letztlich zwei verschiedene Verfahrenstypen erkennen lassen: Verfahren, bei denen die Anzeige ausschließlich den soeben genannten Zielen der Deregulierung und Informationsbeschaffung zwecks etwaigem repressivem Tätigwerden der Behörde dient, einerseits, und Verfahren, die darüber hinaus auf die Klärung der etwaigenfalls umstrittenen Genehmigungsbedürftigkeit zielen, andererseits. Als Paradebeispiel für den erstgenannten Verfahrenstyp kann die Anzeigepflicht nach § 14 GewO dienen, während § 15 BImSchG (betreffend die Änderung von Anlagen) ebenso wie § 12 Abs. 5 GenTG dem zweiten Verfahrenstyp zuzuordnen ist. Terminologisch sollen die beiden Verfahrenstypen bezeichnet werden als Anzeige- bzw. Genehmigungsbedürftigkeitsverfahren, wobei jeweils die Verfahrensöffnung durch eine Anzeige erfolgt, die aber im letzten Fall auf die Klärung der Genehmigungsbedürftigkeit zielt, während es sich im ersten Fall um eine schlichte Anzeige handelt. Sämtliche in den Blick genommenen fachgesetzlichen Anzeigeverfahren lassen sich einem dieser beiden Typen zuordnen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich insbesondere, dass auch die in der Literatur oftmals als besonders ausdifferenziert eingeschätzte Typenvielfalt der Landesbauordnungen keine über diese beiden Grundkategorien hinausgehenden Erscheinungsformen hervorgebracht

___________ 37 38

Gutachten B zum 59. DJT, 1992, S. 68 f. Vgl. bereits Burgi, JZ 2010, 105 (110).

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hat. Die Unterschiede liegen in der Bezeichnung des gesamten Verfahrens oder einzelner Verfahrenselemente, nicht aber in der Typenbildung.39 Die Orientierung an zwei Verfahrenstypen führt ebenso wie die Integration des gesamten Verfahrens in das VwVfG (mit der Konsequenz der Anwendbarkeit der §§ 9 ff.) zur Reduzierung von Problemen.40 Sie sollte auf bereits erfolgte übermäßige Ausdifferenzierungen, wie sie namentlich beim Umgang mit den Landesbauordnungen zu beobachten sind, ebenso dämpfend einwirken wie sie künftige Erscheinungen dieser Art vermeiden kann. Mit der Kodifikation der Anzeigeverfahren im VwVfG gewinnen diese eine erhöhte, stärker auch in den allgemeinen politischen Raum hineinwirkende Sichtbarkeit. Dies mag Anstöße geben zur Diskussion darüber, ob ggf. zusätzlich zu den bereits bisher fachgesetzlich erfassten Vorhaben und Tätigkeiten weitere Tatbestände in dieses Regime überführt werden können. Dadurch würden die Stärkung der privaten Eigenverantwortung und die Deregulierung befördert. Gleichsam bei Gelegenheit der Kodifizierung im VwVfG könnten und sollten verschiedene normative Lücken geschlossen werden, um der neuen Regelung von vornherein die größtmögliche Effektivität zu sichern.41 Dies betrifft beispielsweise die Qualifizierung dieser fachgesetzlich geregelten Verfahren als „Verwaltungsverfahren“ i. S. v. § 9 VwVfG, welche überwiegend verneint wird.42 Bedeutet diese zutreffende h. A., dass die Befangenheitsregeln der §§ 20 und 21 VwVfG hier nicht gelten und somit befangene Personen die Anzeige entgegennehmen und ggf. den Empfang bescheinigen können? Wie ist der Kreis der Beteiligten i. S. v. § 13 zusammengesetzt? Diese normative Lücke konnte geschlossen werden mit der Aufnahme jener Verfahren in das VwVfG, bei gleichzeitiger Bestimmung der Anwendbarkeit der §§ 9 bis 62. Wie bereits erwähnt, würde es die Normierung allgemeiner Regelungen zum Anzeigeverfahren im VwVfG ferner ermöglichen, mittelfristig einige Doppelungen aus dem bestehenden Fachrecht zu entfernen und somit eine Harmoni___________ 39 Die bei Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 35 Rn. 35 ff., vorgeschlagene Dreiteilung in „reine Anzeigeverfahren mit Untersagungsbefugnis“, „Anzeigeverfahren mit Verpflichtung zur Entscheidung über die Genehmigungsbedürftigkeit“ und „Anzeigeverfahren unter Vorbehalt“ lässt sich mithin auf eine Zweiteilung reduzieren, wobei innerhalb der schlichten Anzeigeverfahren Fälle erkennbar sind, in denen die zuständige Behörde oder eine andere Behörde die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens verlangen kann. 40 Auch Jäde, ZfBR 1996, 246 ff., warnt davor, an jedes Anzeigeverfahren immer noch mehr neue juristische Probleme zu knüpfen. 41 So auch Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 9 Rn. 91. 42 Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 9 Rn. 89 m. w. N.; Martinez, in: Pielow, GewO, 2009, § 14 Rn. 6; Hermes, in: Britz/Hellermann/Hermes (Hrsg.), EnWG, 2. Aufl. 2010, § 5 Rn. 28; a. A. Fluck, in: Hendler u. a. (Hrsg.), Rückzug des Ordnungsrechts im Umweltschutz, 1999, S. 165 (196).

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sierung und Systematisierung des Verfahrensrechts über eine fachneutrale Regelung allgemeiner Fragestellungen zu schaffen. Bei der Erarbeitung neuer Fachgesetze können diese Regelungen als „Baukasten“ verwendet werden. Bei einer durchgehenden Orientierung am Wortlaut der bereits bestehenden Formulierungen des Fachrechts würde zugleich ein Beitrag zur Reduzierung neuer Auslegungsprobleme und Unsicherheiten geleistet.

III. Zweckbestimmung und Fehlerfolgenrecht 1. Ausgangslage Gegenstand dieser Überlegungen ist die erstmalige Aufnahme einer Zweckbestimmungsklausel in das VwVfG und eine Reform des Fehlerfolgenrechts der §§ 45 und 46 VwVfG. § 45 VwVfG eröffnet die Möglichkeit der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern, und zwar durch nachträgliche Stellung eines erforderlichen Antrags (Abs. 1 Nr. 1), nachträgliche Begründung (Abs. 1 Nr. 2), nachgeholte Anhörung eines Beteiligten (Abs. 1 Nr. 3), nachträgliche Befassung eines Ausschusses (Abs. 1 Nr. 4) und nachgeholte Mitwirkung einer anderen Behörde (Abs. 1 Nr. 2). Dies ist möglich in den Fällen der Nr. 2 bis 5 „bis zum Abschluss der ersten Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens“ (Abs. 2 des VwVfG NRW) bzw. „bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens“ (so die mithin noch weitergehende, überdies auch den Fall des Abs. 1 Nr. 1 einschließende Fassung des BundesVwVfG). § 46 VwVfG schließt den per Anfechtungsklage durchzusetzenden Aufhebungsanspruch gegenüber rechtswidrigen Verwaltungsakten, die den Kläger in seinen Rechten verletzen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dann aus, wenn der betreffende Verwaltungsakt „unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren … zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eine ausdrückliche Vorschrift über den Zweck des Verwaltungsverfahrensgesetzes bzw., konkreter, über den Zweck des Verwaltungsverfahrens nach § 9 VwVfG ist zu keinem Zeitpunkt im Gesetz nachweisbar. Sie wurde auch im Zuge der Diskussionen vor dem Erlass der Verwaltungsverfahrensgesetze, soweit ersichtlich, nicht thematisiert. Die Auseinandersetzung um den Zweck oder die Zwecke des Verwaltungsverfahrens kreist vielmehr seit Jahrzehnten um Inhalt, Bedeutung und Reichweite der als solcher unumstrittenen (jedenfalls auch) „dienenden Funktion“ des Verwaltungsverfahrens, einem Begriff, der von Groschupf43 in die Diskussion eingeführt worden ist mit dem Satz: „Das ___________ 43

DVBl. 1962, 627 (630).

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Verfahrensrecht ist nicht das Recht selbst, es soll nur eine Entscheidung über das materielle Recht ermöglichen, hat also eine dem materiellen Recht gegenüber dienende Funktion.“ Daran anknüpfend hieß es in den Regierungsentwürfen zum Verwaltungsverfahrensgesetz:44 „Verfahrens- und Formvorschriften sollen überwiegend das Verfahren nur im Interesse einer richtigen Sachentscheidung in bestimmte Bahnen und Formen zwingen, haben mithin gegenüber dem materiellen Recht nur eine dienende Funktion.“ Erst später hat diese Zweckzuschreibung Eingang in die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte45 und des Bundesverwaltungsgerichts46 gefunden. Beide Vorschriften (§ 45 wie § 46) wurden durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12.9.1996 (BGBl. I, S. 1354) verändert. Bei § 45 VwVfG hat dies zur heutigen Regelung in Abs. 2 geführt, wonach eine Heilung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich ist, während bis dahin die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte die Heilungsmöglichkeit teilweise auf die Zeit bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens begrenzt hatte.47 Nach § 46 VwVfG konnte in der bis zum Inkrafttreten des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes am 13.9.1996 geltenden Fassung die Aufhebung wegen eines Verfahrensfehlers dann nicht beansprucht werden, „wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können“. Der Gesetzgeber wollte durch die Neufassung den bis dahin auf gebundene Entscheidungen begrenzten Anwendungsbereich der Vorschrift um Entscheidungen erweitern, bei denen Behörden über Entscheidungsspielräume verfügen. Dies hat er nicht (wie im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagen)48 durch die Aufnahme eines entsprechenden Passus bewirkt. Vielmehr wurde § 46 gänzlich neu formuliert und in der heutigen Version verabschiedet. Die geltende Fassung stellt dabei überhaupt nicht mehr auf die materiellrechtliche Gebundenheit der Entscheidung ab, sondern auf den konkreten Einfluss des Fehlers auf die Entscheidung in der Sache. Damit wird es erforderlich, den Entscheidungsvorgang zu rekonstruieren und eine Prüfung des Kausalzusammenhangs zwischen Fehler und Ergebnis vorzunehmen. Nach allgemeiner

___________ 44 Begründung eines VwVfG 1970, BT-Drs. 6/1173, S. 52, bzw. Begründung des Regierungsentwurfs eines VwVfG 1973, BT-Drs. 7/910, S. 65. 45 Vgl. z. B. VGH BW, NVwZ 1986, 663 (664). 46 Vgl. BVerwGE 92, 258 (261). 47 Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG (Fn. 18), § 45 Rn. 1; zu früheren Tendenzen Durner, VerwArch 2006, 345 (346 f.). 48 Gesetzentwurf des Landes Baden-Württemberg vom 10.5.1994 (BR-Drs. 422/94, Anlage S. 1).

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Einschätzung hat dies die verfahrensabschwächende bzw. (je nach Standpunkt) verfahrensentwertende Wirkung der Vorschrift deutlich verstärkt.49

2. Berechtigung einer Kodifikation Zusammenhänge zwischen der bislang nicht im Gesetz enthaltenen Zweckbestimmung des Verwaltungsverfahrens einerseits, dem Fehlerfolgenrecht der §§ 45 und 46 VwVfG andererseits, bestehen in zweifacher Hinsicht. Es erscheint daher naheliegend, einen Reformvorschlag an diese Zusammenhänge zu knüpfen, anstatt isoliert lediglich die Bestimmungen über das Fehlerfolgenrecht zu reformieren, wie es der Mehrzahl der bislang gemachten Reformvorschläge entspräche. (1) Die erste Dimension eines Zusammenhangs zwischen Zweckbestimmung und Fehlerfolgenrecht besteht darin, dass die §§ 45 und 46 sowohl in ihrer Ausgangsfassung als auch, und erst recht, in der seit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz geltenden Fassung als unmittelbarer Ausfluss der vorherrschenden Bestimmung des Verfahrensrechts als gegenüber dem materiellen Recht „dienend“ angesehen werden. So findet sich in den Kommentierungen zum VwVfG bei § 1 VwVfG, wo der Zweck des Gesetzes und des Verwaltungsverfahrens erörtert wird, jeweils der Hinweis auf die §§ 45 und 46 VwVfG.50 Im wissenschaftlichen Schrifttum heißt es, dass die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens normativ namentlich durch die §§ 45 und 46 VwVfG zur „Philosophie des deutschen Verfahrensrechts … zementiert“ worden sei.51 (2) Gleichsam umgekehrt besteht die zweite Dimension des Zusammenhangs zwischen Zweckbestimmung und Fehlerfolgenrecht darin, dass die Kritik an den §§ 45 und 46 VwVfG sowie die daraus abgeleiteten diesbezüglichen Reformvorschläge gerade auf die angeblich unzutreffende Reduzierung des Verfahrenszwecks auf eine „nur“ dienende Rolle, bei gleichzeitiger Geltendmachung weiterer Verfahrenszwecke, gestützt wird. Diese Argumentationslinie

___________ 49 Vgl. statt vieler Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002, S. 386, Rn. 628; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 46 Rn. 57 ff. 50 Vgl. nur Kopp/Ramsauer, VwVfG (Fn. 18), § 1 Rn. 4; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 1 Rn. 4; Meyer, in: Knack/Henneke (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 46 Rn. 8; vgl. ferner Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozedualisierung, 2010, S. 286, jeweils m. w. N. 51 Quabeck, Verwaltungsverfahren (Fn. 50), S. 9 ff.; Gurlit, VVDStRL 70 (2011), vor I, bei Fn. 3.

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findet sich u. a. bei so einflussreichen Autoren wie Wahl,52 Schmidt-Aßmann53 und zuletzt Voßkuhle.54 Vollkommen unumstritten ist,55 dass das Verwaltungsverfahren jedenfalls und vor allem anderem „Verwirklichungsmodus des materiellen Rechts“ ist (in den Worten von Rainer Wahl)56. Seine Ausgestaltung muss die Verwirklichung des objektiven materiellen Rechts und der subjektiven Rechte der Einzelnen sicherstellen. Dabei sollen Entscheidungen ermöglicht werden, die in der Sache auf einer richtigen und zweckmäßigen Rechtsanwendung beruhen.57 Sowohl im Hinblick auf gebundene Entscheidungen als auch, und erst recht, zur Vorbereitung von Entscheidungen, bei denen Spielräume ausgefüllt werden müssen, dient das Verfahren zur Generierung des notwendigen Wissens.58 Diese Zusammenhänge sollen gemeinhin zum Ausdruck gebracht werden, wenn von der „dienenden Funktion des Verfahrens“ die Rede ist.59 Der Begriff des „Dienens“ kann freilich ebenso zum Ausdruck bringen, dass das Verfahren nicht nur einen unverzichtbaren Beitrag zur Gewinnung rechtmäßiger und sachrichtiger Entscheidungen liefert, sondern darüber hinaus oder stattdessen auch einen Beitrag (beispielsweise) zur Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen liefern mag – ganz unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit und Sachrichtigkeit. Viele Autoren verwenden den Begriff „dienen“ nun aber gerade dazu, um auszudrücken, dass diese zweite Funktionsrichtung des Verwaltungsverfahrens unter dem VwVfG gerade nicht erfasst sei. Diese Begriffsverwendung setzt „dienen“ mit einer untergeordneten, geringeren Bedeutung gleich und übt sodann an diesem Zustand Kritik.60 Konsequenter wäre es dann, zwischen der „nur dienenden Funktion“ und der „dienenden Funktion“ zu unterscheiden.61 ___________ 52

VVDStRL 41 (1983), S. 175. In: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen II (Fn. 15), § 27 Rn. 64 f. 54 In: Burgi/Schönenbroicher, Verwaltungsverfahrensrecht (Fn. 1), S. 18. 55 Vgl. statt aller Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 9 Rn. 97. Dazu, dass es sich hier um den Regelfall und nicht etwa um eine infolge neuerer Entwicklungen zur Ausnahme gewordene Erscheinung handelt, vgl. zuletzt Fehling, VVDStRL 70 (2011), II 1 b. 56 VVDStRL 41 (1983), S. 151 (153); vgl. ferner Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren (Fn. 49), Rn. 8. 57 Zu dieser Anforderung Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen I (Fn. 13), § 10 Rn. 67 ff. und 101 ff. 58 Dazu zuletzt Eifert, VVDStRL 67 (2008), S. 286 (325 ff.). 59 Paradigmatisch: BVerfGE 105, 48 (60). 60 Vgl. u. a. Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1287); Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen II (Fn. 15), § 27 Rn. 4 u. 64 f. 61 Wie es jüngst Quabeck, Verwaltungsverfahren (Fn. 50), S. 14, getan hat; im Anschluss daran Schneider, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen II (Fn. 15), § 28 Rn. 1. 53

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Nachfolgend wird im Anschluss an Fehling62 die „dienende Funktion“ als Oberbegriff verstanden, der einerseits eine instrumentelle Funktion des Verwaltungsverfahrens und andererseits eine nichtinstrumentelle Funktion als Unterfälle zugeordnet sind. Mit dem Begriff „instrumentelle Funktion“ wird der soeben beschriebene Regelfall erfasst, in dem das Verfahren als Verwirklichungsmodus des materiellen Rechts dient. Eine „nichtinstrumentelle Funktion“ kommt dem Verfahren demgegenüber zu, wenn es zusätzlich, d. h. verstärkend oder ausschließlich, Zwecken jenseits einer rechtmäßigen und sachrichtigen Verwaltungsentscheidung dient. Dass die instrumentelle Funktion (in diesem Sinne) nicht den Ausnahme-, sondern den Regelfall bildet, folgt aus Grundannahmen des deutschen rechtstaatlich fundierten Verständnisses von Verwaltung, Gesetz und Rechtsschutz: Klare inhaltliche Vorgaben entlasten die Entscheidungsfindung der Behörde und erhöhen die Rechtssicherheit, dem Bürger geht es in allererster Linie um das Ergebnis und nicht um das Verfahren als solches, und aus beiden Gründen wäre eine Reduzierung der materiellrechtlichen Anforderungen an das Verwaltungshandeln bei gleichzeitigem kompensatorischen Ausbau von Verfahrenssicherungen nicht angezeigt.63 Diese „nur“ dienende oder instrumentelle Funktion des Verwaltungsverfahrensrechts bildet somit dessen allgemein anerkannte Zweckbestimmung. Sie hat sich aber nicht in einer Zweckbestimmungsklausel innerhalb des VwVfG (etwa im Umfeld des § 1 oder des § 9) niedergeschlagen, sondern wird (inhaltlich zutreffend) den §§ 45 und 46 VwVfG entnommen im Wege der verfassungskonformen und gleichzeitig die Gesamtsystematik des VwVfG einbeziehenden Auslegung. Obgleich sonach feststeht, dass allein die instrumentelle (die nur dienende) Funktion des Verwaltungsverfahrens Niederschlag im VwVfG, namentlich in den §§ 45 und 46, gefunden hat, ist allgemein anerkannt, dass es daneben weitere Funktionen des Verwaltungsverfahrensrechts gibt. Dafür plädieren nicht nur Autoren, die sich der Modernisierung des Verwaltungsrechts im Sinne einer „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ verschrieben haben, bzw. Autoren, die ausschließlich aus europarechtlichen Vorgaben Reformimpulse ableiten wollen. Vielmehr kann es als Bestandteil der gesicherten VwVfG-Kommentarliteratur gelten, dass unter bestimmten normativ geprägten Voraussetzungen dem Verwaltungsverfahrensrecht Funktionen jenseits der Herstellung rechtmäßiger und sachrichtiger Entscheidungen zukommen.64 So heißt es bei Michael Sachs in ___________ 62

VVDStRL 70 (2011), II 1. Ebenso zuletzt Fehling, VVDStRL 70 (2011), VI. 64 Vgl. Pünder, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 13 Rn. 1; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 45 Rn. 11; Burgi, JZ 2010, 105 (108). 63

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der Standard-Kommentierung „Stelkens/Bonk/Sachs“, dass die „alleinige Rückführung auf den Gesichtspunkt (der nur) instrumentellen Bedeutung zu weit (ginge) und dadurch andere Dimensionen einschlägiger Regelungen vernachlässigt (würden), die namentlich Selbstzweckcharakter haben oder Zwecken außerhalb des Ziels des Verwaltungsverfahrens verpflichtet sein können“.65 Dass die §§ 45 und 46 VwVfG diesem Gedanken nicht Ausdruck verleihen, macht den Gedanken weder falsch noch obsolet, sondern löst Reformbedarf im Hinblick auf eine Zweckklausel im VwVfG, u. U. auch im Bereich der §§ 45 und 46 (VwVfG) aus. Zwecksetzungen des Verwaltungsverfahrens außerhalb des Verfahrensergebnisses, d. h. jenseits des Ziels einer rechtmäßigen und sachrichtigen Entscheidung, müssen allerdings ebenfalls normativ verfestigt sein.66 Als Quelle entsprechender Aussagen kommen explizite Vorschriften (etwa die Bestimmungen des UVPG über das Ob der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung) in Betracht. Deutlich häufiger ist die Etablierung solcher Zwecke durch die Interpretation normativer Kontexte. Diese liegen nicht selten außerhalb des VwVfG, d. h. im Fach-Verfahrensrecht. Allerdings kommt es auch vor, dass eine Verfahrensvorschrift im VwVfG gleichzeitig eine „nur“ dienende (instrumentelle) Funktion hat und zusätzlich einem Zweck jenseits der Sachentscheidung dient, also eine nichtinstrumentelle Funktion hat. Als Beispiel hierfür sei die Ausschlussregelung für bestimmte Personen nach § 20 VwVfG genannt, die sowohl die Sachentscheidung vor sachfremden Einflüssen schützen soll (instrumentelle Funktion) als auch dem entscheidungsexternen Zweck dient, die Akzeptanz der getroffenen Sachentscheidung zu fördern.67 Die Fehlerfolgenregelungen der §§ 45 und 46 VwVfG sind unabhängig von den neuerdings vielfach in den Vordergrund gestellten europarechtlichen Argumenten (dazu sogleich) bereits seit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz verfassungsrechtlicher Kritik ausgesetzt. Diese Kritik hat allerdings bislang nicht genug Durchschlagskraft entwickelt, um einzelne Gerichte oder gar den Gesetzgeber zu Reaktionen zu veranlassen. Dies liegt vor allem daran, dass sich keine einheitliche Linie in der Frage herausgebildet hat, in Bezug auf den Umgang mit welchen Verfahrensfehlern denn nun welche Rechts___________ 65 In: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 45 Rn. 11; im Anschluss an Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlern am Beispiel kommunaler Satzungen, 1988, S. 118 ff.; vgl. ferner Ladenburger, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 297 ff.; Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2007, S. 296 f. 66 Schmidt-Aßmann, in: Erichsen/Hoppe/v. Mutius, FS Menger, 1985, S. 107; Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 29; Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 199 ff., 208 ff.; Gurlit, VVDStRL 70 (2011), I 2 a. 67 Hinweis nach Gurlit, VVDStRL 70 (2011), Fn. 207.

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folgen eingreifen sollten, d. h. ob einzelne Bestimmungen in diesen beiden Normen verfassungswidrig sind und bzw. ob ihre „Rettung“ im Wege der verfassungskonformen Auslegung möglich ist. Festgehalten werden kann aber, dass Rechtsunsicherheit sowohl im Hinblick auf einzelne tatbestandliche Aspekte (und zwar in beiden Normen) als auch im Hinblick auf die ggf. auf der Rechtsfolgenseite von Verfassungsrechts wegen zu ziehenden Konsequenzen besteht. So wird § 45 Abs. 2 VwVfG, durch den die Heilungsmöglichkeit auf das gerichtliche Verfahren erweitert wird, entweder vollständig oder zumindest bei Verstößen gegen die Begründungs- und/oder die Anhörungspflicht für verfassungswidrig gehalten.68 Im Bereich des § 46 VwVfG stellt sich die „Gefechtslage“ ganz ähnlich dar. Dort konzentrieren sich die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen auf die einzelnen, komplizierten Formulierungen innerhalb des § 46 und insbesondere an die Verteilung der Beweislast dafür, dass es „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat“.69 So stellt Ramsauer stellt ausdrücklich fest, dass die Vorschrift die Gefahr begründe, „dass Bürger die im Interesse von Partizipation, Transparenz und Rechtschutz geschaffenen Form- und Verfahrensgarantien verlieren.“ Dies sei insbesondere bedenklich, „wenn Grundrechte betroffen sind“. Daran ist nicht nur die Deutlichkeit der Kritik bemerkenswert, sondern auch die Berufung auf die Zwecke „Partizipation“ und „Transparenz“, die ja nicht (nur) instrumentell (im oben genannten Sinne) auf rechtmäßige und sachrichtige Entscheidungen bezogen sind, sondern einen darüber hinausgehenden Wert verkörpern. Schärfer akzentuiert und in der Forderung nach Konsequenzen vielfach härter sind die europarechtlichen Angriffe auf das Fehlerfolgensystem der §§ 45, 46 VwVfG. Allein ihre Existenz verstärkt die sich bereits aus den verfassungsrechtlichen Vorstößen ergebenden Rechtsunsicherheiten und stellt die Rechtsanwender in Verwaltung und auf Seiten der Bürger geradezu in ein Karussell der kaum mehr zu überschauenden, sich teilweise wechselseitig verstärkenden

___________ 68

U. a. von Bracher, DVBl. 1997, 534 ff.; Hatje, DÖV 1997, 477 (481); Bredemeier, Verfahrenshandlungen (Fn. 65), S. 361 (Begründung); Gurlit, VVDStRL 70 (2011), IV 2 (Anhörung). 69 Vgl. aus neuerer Zeit Quabeck, Verwaltungsverfahren (Fn. 50), S. 69 f.; Bredemeier, Verfahrenshandlungen (Fn. 65), S. 368, und früher Bonk, NVwZ 1997, 326; vgl. ferner Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 46 Rn. 2. Das Fazit der Kommentatoren lautet (auch) hier, dass den verfassungsrechtlichen Bedenken „durch strenge Anforderungen an die fehlende Offensichtlichkeit des Einflusses auf das Entscheidungsergebnis Rechnung zu tragen“ sei (Ziekow a. a. O.; ähnlich Kopp/Ramsauer [Fn. 18], § 46 Rn. 5.) Die Rechtsprechung hält § 46 VwVfG für verfassungsgemäß; vgl. BVerfGE 70, 147.

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(vermeintlichen) Pflichten zur konformen Auslegung oder gar zur Nichtanwendung der sich aus jenen beiden Vorschriften ergebenden Rechtsfolgen.70 Das somit breite, wenn auch nicht durchgehend auf festen Säulen ruhende Unbehagen am gegenwärtigen Fehlerfolgenregime der §§ 45 und 46 VwVfG hat über die Jahre zur Herausbildung einer spezifischen Binnenkategorie innerhalb der Verfahrensfehlerlehre geführt, den sog. absoluten Verfahrensfehlern. Beinahe jedes Lehrbuch und jeder Kommentar weist sie nach.71 Für Fehler dieser Kategorie soll die Unbeachtlichkeitsregel des § 46 VwVfG nicht gelten, und zwar deshalb, weil diese Fehler auf Vorschriften beruhten, deren Auslegung ergeben hat, dass sie nicht allein der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, „sondern von der Sachentscheidung unabhängige Zwecke im Verfahren verwirklicht“ werden sollen (Pünder). Dadurch werde den Betroffenen eine selbstständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition gewährt.72 So unsicher mithin der Kreis der einen absoluten Verfahrensfehler begründenden Verfahrensvorschriften ist, so gefestigt ist die Anerkennung dieser Kategorie und so bemerkenswert der Umstand, dass es sich wiederum um einen sich extra legem vollziehenden Vorgang handelt. Dies stützt die Annahme, dass das VwVfG in diesem Bereich seiner Kodifikationsfunktion nicht hinreichend nachkommt. In inhaltlicher Hinsicht bemerkenswert ist, dass (ebenso wie schon im Bereich des Umgangs mit den §§ 45, 46 VwVfG aus verfassungs- bzw. europarechtlicher Perspektive) es letztlich auf die Auslegung der jeweils in Frage stehenden, sich zumeist aus dem Fachrecht ergebenden Verfahrensvorschrift ankomme, und dass es jedenfalls Verfahrensvorschriften gibt, die andere Zwecke als den Primärzweck der Sicherung einer rechtmäßigen und richtigen Sachentscheidung sicherstellen sollen. ___________ 70

Zu § 45 VwVfG vgl. hier nur Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 64), § 14 Rn. 62; v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht (Fn. 5), S. 542; Bredemeier, Verfahrenshandlungen (Fn. 65), S. 563 ff.; Gurlit, VVDStRL 70 (2011), IV 2; Fehling, VVDStRL 70 (2011), VII; zurückhaltender Durner, VerwArch 2006, 351 ff. Auch § 46 VwVfG ist Gegenstand intensiver europarechtlicher Debatten, die regelmäßig in Forderungen nach einer Ergänzung um eine den angeblichen europarechtlichen Anforderungen entsprechende veränderte Beweislastregelung (zuletzt Bredemeier, Verfahrenshandlungen [Fn. 65], S. 578) oder nach einer unionsrechtskonformen Auslegung der bisher getroffenen Regelung münden (dafür u. a. Epiney, VVDStRL 61 [2002], S. 362 [412]; Kahl, VerwARch 95 [2004], 1 [25]). 71 Vgl. stellvertretend Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 64), § 14 Rn. 65; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (Fn. 32), § 45 Rn. 119 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG (Fn. 18), § 46 Rn. 7a u. 18 f., sowie aus dem sonstigen Schrifttum Appel, NVwZ 2010, 473 ff. 72 Vgl. aus der Rspr. BVerwGE 41, 58 (64); BVerwGE 44, 235 (239); NJW 1981, 239 (240); zurückhaltend Meyer, in: Knack/Henneke, VwVfG (Fn. 50), § 46 Rn. 23, der „jedenfalls (eine) genaue Eingrenzung“ anmahnt.

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3. Leitvorstellungen Nach dem Bisherigen sollte deutlich geworden sein, dass eine isolierte Reform des Fehlerfolgenrechts der §§ 45 und 46 VwVfG zu kurz greifen würde. Da ein erheblicher Teil der sich bei der Anwendung dieser beiden Vorschriften stellenden Probleme mit dem Verständnis von den Zwecken des Verwaltungsverfahrens verknüpft ist, ist es schlüssig, dort auch einen Teil der Problemlösung zu suchen. Ebenso schlüssig ist es, die Reform des Fehlerfolgenrechts nicht vollständig nach außen, d. h. auf das Fachrecht zu verlagern, wie es zuletzt durch § 4 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gemacht worden ist. Abgesehen davon, dass hierdurch immer nur einzelne Teilbereiche einer Lösung zugeführt werden könnten, während im Hinblick auf andere, immer wieder neue Teilbereiche erneut Probleme entstehen dürften, würde hierdurch das Allgemeine Verwaltungsrecht, und damit das VwVfG geschwächt. Aufgrund seines Charakters als Stammgesetz muss dieses aber auch in Zukunft der Ort bleiben, an dem die Grundfrage nach dem Stellenwert des Verfahrens und dem Umgang mit Verfahrensfehlern, wenn nicht vollständig beantwortet, so doch als erster Schritt zur Antwort markiert wird. Wie Jan Ziekow hervorgehoben hat, können „derart gravierende Abkoppelungsprozesse in einem bedeutenden Referenzgebiet (…) nicht hingenommen werden“, vielmehr sollte der Gesetzgeber „die Gelegenheit nutzen, das Folgenregime von Verfahrensfehlern (…) zu restrukturieren.“73 Nicht gefolgt werden sollte der Einschätzung von Ziekow aber, soweit sie sich für eine Restrukturierung des Folgenregimes im Verwaltungsverfahrensgesetz „in toto“ ausspricht.74 Denn die Analyse der verschiedenen gegenwärtig diagnostizierten Defizite des Fehlerfolgenrechts und der zur ihrer Behebung gemachten Vorschläge hat ergeben, dass die Anforderungen an eine bestimmte Verfahrensgestaltung sich vielfach aus dem jeweils relevanten Fachrecht (etwa dem Umwelt- oder auch dem Prüfungsrecht) ergeben. Immer wieder wird in der Literatur zutreffend hervorgehoben, dass letzten Endes „die Funktion“ der missachteten Verfahrensvorschrift maßgeblich sei.75 In den Worten von Pietzcker76 kann nicht das Gesamtkonzept des Fehlerfolgenrechts des VwVfG oder jede einzelne Aussage innerhalb der §§ 45 und 46 mit dem Etikett „verfas___________ 73 NVwZ 2005, 263 (267); vgl. ferner Grünewald, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, 2009, S. 262. 74 So jedenfalls die Formulierung in NVwZ 2005, 263 (267). 75 So im Anschluss namentlich an Morlok, Verfahrensfehler (Fn. 65), S. 118 ff., Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen II (Fn. 15), § 35 Rn. 178, 185 und 204; noch stärker differenzierend Hill, Fehlerhaftes Verfahren (Fn. 66), S. 365 ff. 76 VVDStRL 41 (1983), S. 173; ähnlich jüngst auch Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 230.

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sungsrechtlich oder europarechtlich problematisch“ versehen werden, vielmehr ist der Konflikt zwischen „Effizienz und Rechtswahrung“ mit Hilfe einer sektoralen, d. h. bereichsspezifischen Betrachtung zu lösen. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht es zugleich, die bewährten Kerne innerhalb der (wie mehrfach betont) nicht per se verfassungs- oder europarechtswidrigen Vorschriften der §§ 45 und 46 VwVfG zu erhalten. Es geht also nicht um eine Totalrevision, sondern um eine den verschiedenen Funktionen des Verfahrens nach Maßgabe insbesondere des Fachrechts Rechnung tragende differenzierte Weiterentwicklung.77 Diese Weiterentwicklung soll erreicht werden durch die Schaffung einer Zweckbestimmungsklausel, durch die erstmals ausdrücklich der seit jeher allgemein anerkannte Zweck des Verwaltungsverfahrens, rechtmäßige und zweckmäßige Sachentscheidungen zu ermöglichen, kodifiziert wird. Nichtinstrumentelle Zwecke sollen hingegen nicht in dieser Klausel genannt werden. Es soll aber zum Ausdruck gebracht werden, dass es auch solche Zwecke geben kann. Ob eine einzelne Verfahrensvorschrift auch solchen Zwecken zu dienen bestimmt ist, ergibt sich dann aus dieser Verfahrensvorschrift selbst, was im VwVfG erstmals klar ausgesprochen würde. Die Zweckbestimmung wäre mithin verfahrensvorschrifts-, insbesondere fachrechtsakzessorisch. In den Fehlerfolgenregelungen der §§ 45 und 46 VwVfG würde erstmals im Normtext der bereits bisher bestehende Zusammenhang zwischen den Zwecken des Verwaltungsverfahrens und dem Fehlerfolgenrecht Niederschlag finden. Die §§ 45 Abs. 2 und 46 VwVfG würden ergänzt um eine zweckakzessorische Aussage: Ergibt die Interpretation der konkret verletzten Verfahrensvorschrift des VwVfG oder des (insbesondere europäisch beeinflussten) Fachrechts, dass mit ihr (zumindest mit gleichem Gewicht auch) nichtinstrumentelle Zwecke verfolgt werden, dann ist weder die Nachholung einer von der Verwaltung bislang unterbliebenen Verfahrenshandlung i. S. v. § 45 Abs. 2 VwVfG gerechtfertigt noch macht das auf die klassische, dienende Funktion von Verwaltungsverfahren, d. h. auf die Sachentscheidung, bezogene Konzept des § 46 VwVfG Sinn. Geschaffen würde mithin eine zweckakzessorische Fehlerfolgenregelung. Indem diese nicht unmittelbar an die betroffenen Verfahrensvorschriften bzw. Verfahrensfehler anknüpft, bietet sie größere Flexibilität bei gleichzeitiger Sicherung der Stabilität des Verwaltungsverfahrensgesetzes als Stammgesetz.

___________ 77 Darauf weisen auch Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen II (Fn. 15), § 27 Rn. 110, und Kahl, Beiheft 10, DV 2010, 39 (91), hin; vgl. ferner bereits Hill, Fehlerhaftes Verfahren (Fn. 66), S. 477.

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IV. Fazit Das Ziel dieser Überlegungen war es, das VwVfG als Ort zu stärken, an dem frühere, gegenwärtige und künftige übergreifende Reformvorschläge betreffend das Verwaltungsverfahren diskutiert und realisiert werden sollen. Wenn schon alles fließt, dann muss immer wieder Ordnung geschaffen werden und zwar am besten auf der Ebene der Generalkodifikation und nicht nur durch immer neue, weder der Transparenz noch der Bürgerfreundlichkeit dienende Fachgesetze.

Reform der Eröffnungskontrollen und des förmlichen Verfahrens II: die Normierung eines allgemeinen Genehmigungsverfahrens im Verwaltungsverfahrensgesetz Wolfgang Durner

I. Das Recht der Genehmigung als Gegenstand des Allgemeinen Verwaltungsrechts Die öffentlich-rechtliche Genehmigung lässt sich bis in die Anfänge der Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts zurückverfolgen1 und galt ursprünglich ganz selbstverständlich als Institut des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Noch in dem klassischen Lehrbuch von Otto Mayer findet sich ein eigenes Kapitel zum Genehmigungsrecht.2 Mayer unterscheidet – einer heute überwundenen Differenzierung folgend – die Erlaubnis als „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ von der sog. „Konzession“, gebundene und Ermessenserlaubnistatbestände, präventive und repressive Erlaubnisvorbehalte, die Erlaubniserteilungen mit und ohne Nebenbestimmungen sowie Personal- und Sacherlaubnis. Aus dieser das Fachrecht überwölbenden Perspektive bildet der Erlass des Verwaltungsverfahrensgesetzes vor 35 Jahren einen Zäsurpunkt, der das Ende der Wahrnehmung des Genehmigungsrechts als übergreifendes Institut des Allgemeinen Verwaltungsrechts einläutete. Die öffentlich-rechtliche Genehmigung teilt damit das Schicksal manchen anderen Instituts, das keine Aufnahme in das Verwaltungsverfahrensgesetz fand und damit – scheinbar – auch nicht als Teil des Allgemeinen Verwaltungsrechts gelten kann. Der allzu begrenzte Regelungsumfang des Gesetzes, der auch im zeitgenössischen Schrifttum auf ___________ 1

Näher dazu Wahl, Das deutsche Genehmigungs- und Umweltrecht unter Anpassungsdruck, in: GfU (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 237 (239 f.); Wagner, Die Genehmigung umweltrelevanter Vorhaben in parallelen und konzentrierten Verfahren, 1987, S. 47 f. 2 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 1924, § 22 „Die Polizeierlaubnis“, S. 239 ff.; näher zur Bedeutung der Systematisierungen Mayers für das Recht der Genehmigung Gromitsaris, Die Lehre von der Genehmigung, VerwArch 1997, 52 ff. (86); Schreiber, Das Regelungsmodell der Genehmigung im integrierten Umweltschutz, 2000, S. 24 ff.

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deutliche Kritik stieß,3 nahm Rechtsprechung und Lehre offenbar jeden Impetus, das Recht der Genehmigung als übergreifendes verwaltungsrechtliches Institut zu entwickeln, und läutete eine Stagnation der verallgemeinernden Dogmatik ein. So stellt aus heutiger Sicht Hans-Günther Henneke in Zusammenfassung eines verbreiteten Befunds fest, dass aus der Sicht des Allgemeinen Verwaltungsrechts „für die bau- und umweltrechtlichen Verfahren eine prägende Modellbildung fehlt“ und sich dies negativ in der Gesetzgebung der letzten Jahre bemerkbar gemacht habe, da „die gleichen Ziele terminologisch und sachlich verschieden geregelt worden sind“4.

II. Der normative Ausgangsbefund 1. Fehlende Regelung im Verwaltungsverfahrensgesetz Heute finden wir in den bestehenden Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder mit dem Planfeststellungsverfahren einen genehmigungstechnischen Sonderfall, nämlich das Genehmigungsrecht einiger besonders umweltrelevanter Großvorhaben, das durch die Kodifikation der §§ 72 ff. VwVfG eine einzigartige dogmatische Durchdringung erfuhr.5 Von jeher wurde diese Kodifikation des Fachplanungsrechts als Beleg für die These gesehen, dass eine allgemeinere Regelung der Genehmigung im Verwaltungsverfahrensgesetz möglich und sinnvoll wäre. Zudem regelt seit kurzem der neue § 42a die Genehmigungsfiktion.6 Bestimmungen zur Genehmigung selbst oder auch nur eine Definition enthält das Verwaltungsverfahrensgesetz jedoch nicht, ohne dass ein einsichtiger systematischer Grund für diese unterschiedliche Herangehensweise erkennbar wäre.7 In einem der letzten Hefte des Deutschen Verwal-

___________ 3 Vgl. etwa Allesch, Die Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze auf das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, 1984, S. 254; Schmitt Glaeser, Das Verwaltungsverfahren und sein Gesetz – eine einleitende Bemerkung, in: Verwaltungsverfahren – Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Richard Boorberg Verlags, 1977, S. 1 (45). 4 Henneke, in: Knack/Henneke, VwVfG, Kommentar, 9. Aufl. 2010, Vor § 1 Rn. 13. 5 Näher Blümel, Die Entwicklung des Instituts der Planfeststellung, in: Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 3 ff. 6 Dazu Uechtritz, Die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG, in: Burgi/Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 61 ff. m. w. N. 7 So besonders nachdrücklich Burgi, Gesetzgebung im Verwaltungsverfahrensrecht zwischen europäischem Umsetzungsdruck und (fehlendem) nationalem Gestaltungswillen, in: Burgi/Schönenbroicher (Fn. 6), S. 31 (43) m. w. N.

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tungsblatts haben Wolfgang Kahl und Britta Welke diese Lücken nochmals herausgearbeitet.8

2. Verallgemeinerbare Grundstrukturen im Fachrecht Angesichts des Schweigens des Verwaltungsverfahrensgesetzes muss die Normierung eines allgemeinen Genehmigungsverfahrens ihren Ausgangspunkt im Fachrecht nehmen, das aus Sicht des Allgemeinen Verwaltungsrechts von jeher als Ausgangsmaterial und Versuchslabor für in späteren Schritten verallgemeinerungsfähige Regelungen fungiert.9 Dabei ist auch die Verordnungsebene mit einzubeziehen: Vor allem im Anlagenrecht werden regelmäßig in erster Linie die Grundzüge des Genehmigungsverfahrens im Gesetz geregelt, die Details hingegen der Verordnungsebene überlassen, wie sich beispielhaft anhand der allgemeinen Bestimmungen zum Genehmigungsverfahren im Immissionsschutzrecht10 verdeutlichen lässt. Hinzu kommen verfahrensrelevante Verwaltungsvorschriften, etwa die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Genehmigung der Anlage und des Betriebs von Hubschrauberflugplätzen. Diese Aufteilung des Genehmigungsverfahrens auf die Gesetzes-, Verordnungs- und Verwaltungsvorschriftenebene führt bisweilen zu Doppelungen, wofür als Beispiel § 10 Abs. 3 BImSchG und § 8 Abs. 1 der 9. BImSchVO dienen können.

a) Anlagengenehmigung Im Anlagenbereich finden sich für die Bestandsaufnahme maßgebliche Regelungen des Fachrechts vor allem im Bauordnungsrecht, im Umweltrecht sowie im umweltrelevanten Wirtschafts- und Infrastrukturrecht, etwa im Bergrecht oder im Luftverkehrsrecht. In all diesen Bereichen haben sich sektorale ___________ 8 Kahl/Welke, Über die unveränderte Notwendigkeit einer integrierten Vorhabengenehmigung und deren Regelungsstandort, DVBl. 2010, 1414 ff. 9 Vgl. dazu etwa Groß, Die Beziehungen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 1999, S. 57 (73); Hoffmann-Riem, Ermöglichung von Flexibilität und Innovationsoffenheit im Verwaltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 9 (16); Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das öffentliche Recht der letzten Jahrzehnte, 2006, S. 104; Ziekow, Umsetzungsstrategien in Deutschland: Einbettung in das allgemeine Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht oder sektorspezifische Sonderlösung für das Umweltrecht?, in: Durner/Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Århus-Konvention, 2005, S. 39 (45 ff.); ders., Allgemeines und bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Festschrift für Bartlsperger, 2006, S. 247 ff. 10 Vgl. § 10 Abs. 6 BImSchG und die ausführlichen Regelungen der §§ 14 ff. der 9. BImSchVO.

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Genehmigungsregime herausgebildet, die nur in beschränktem Umfang auf das Verwaltungsverfahrensgesetz Bezug nehmen. Die einschlägigen Vorschriften sind meist deutlich umfangreicher als jene für Personalgenehmigungen und weisen insoweit zahllose Unterschiede, in ihren Grundstrukturen jedoch etwa im Hinblick auf die Beteiligung der Öffentlichkeit11 auch zahlreiche handgreifliche Gemeinsamkeiten auf. Namentlich die Institute der Teilgenehmigung, des Vorbescheids oder des vorzeitigen Beginns sind zwar bislang nur im Besonderen Verwaltungsrecht normiert, ihre Anerkennung als Bestandteil des Allgemeinen Verwaltungsrechts kommt indes bereits in ihrer Behandlung in Einführungslehrbüchern zum Ausdruck.12

b) Personalgenehmigung Personalgenehmigungen finden sich vor allem in berufs- und wirtschaftsrechtlichen Zusammenhängen. Verfahrensrechtlich sind diese rein personenbezogenen Erlaubnistatbestände meist deutlich knapper ausgestaltet. Sie beschränken sich regelmäßig auf die bloße Statuierung der Genehmigungspflicht, regeln allerdings punktuell eher selbstverständliche Details oft sehr uneinheitlich und ohne erkennbare Systematik: So wird das Erfordernis der Schriftform teilweise – etwa in § 2 Abs. 2 Satz 1 Kriegsdienstverweigerungsgesetz – lediglich für den Antrag, bisweilen hingegen – etwa in § 21 Abs. 5 Satz 1 Arzneimittelgesetz – lediglich für die Genehmigung explizit normiert. Keinerlei Vorgaben finden sich regelmäßig angesichts des meist überschaubaren Kreises Betroffener zur Beteiligung der Öffentlichkeit. Insgesamt sind damit keine grundsätzlichen Gründe erkennbar, eine Stammregelung im Verwaltungsverfahrensgesetz nicht auch auf Personalgenehmigungen zu beziehen. Allerdings legt es der fachrechtliche Befund zugleich nahe, bestimmte Regelungen – namentlich die im Anlagenbereich verallgemeinerbaren Vorgaben zur Beteiligung der Öffentlichkeit – nicht generell auf Personalgenehmigungen auszudehnen. ___________ 11 Dazu zuletzt der Überblick bei Müller, Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Recht der Europäischen Union und ihre Einwirkungen auf das deutsche Verwaltungsrecht am Beispiel des Immissionsschutzrechts, 2010, S. 145 ff.; im älteren Schrifttum Graffe, Die Beteiligung des Bürgers an umweltschutzrechtlich relevanten Verfahren, 1980, S. 29 ff.; Hellmann, Die Öffentlichkeitsbeteiligung in vertikal gestuften Zulassungsverfahren für umweltrelevante Großvorhaben, 1992, S. 230 ff.; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994, S. 21 ff. 12 Vgl. nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 9 Rn. 63, § 19 Rn. 7a; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2009, § 10 Rn. 525 ff.; zu den entsprechenden Vereinheitlichungspotentialen zuletzt Beaucamp, Sonderformen umweltrechtlicher Genehmigungen. Stand und Perspektiven, DV-Beiheft 11/2010, 55 (66 f.).

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3. Die Fragwürdigkeit historisch gewachsener Detailunterschiede Blickt man auf die Summe der Regelungen, bei denen Wortidentität, Querverweise, funktionale Äquivalenz die Verallgemeinerbarkeit indizieren, so wird insgesamt deutlich, dass das Genehmigungsrecht ein erhebliches Verallgemeinerungspotential aufweist. Auch dort, wo das Fachrecht einzelne genehmigungsverfahrensrechtliche Details unterschiedlich regelt, dürften diese Unterschiede zudem an manchen Stellen einer subsidiären Vereinheitlichung im Rahmen des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht entgegenstehen. Gerade im Gesamtkontext teilidentischer Regelungsmuster ist nämlich bisweilen augenfällig, dass einigen der verbleibenden regelungstechnischen Unterschiede durchaus etwas Zufälliges anhaftet und sich manche Abweichung lediglich aus einem fehlenden gesetzgeberischen Systematisierungswillen erklärt. Handgreiflich wird dies etwa bei der unterschiedlichen Ausgestaltung der Auslegungs- und Einwendungsfristen.13 Gerade in solchen Bereichen könnte die Normierung eines subsidiären allgemeinen Genehmigungsverfahrens Anstöße für eine kritische Durchsicht der jeweiligen Besonderheiten des historisch gewachsenen Normbestandes liefern.

III. Reformüberlegungen und Vorarbeiten 1. Rechtswissenschaftliche Vorarbeiten Der Entwurf eines allgemeinen Genehmigungsrechts kann auf einer ganzen Reihe rechtswissenschaftlicher Vorüberlegungen aufbauen. Dabei ist zusammenfassend festzustellen, dass die Möglichkeit der Normierung eines allgemeinen Genehmigungsverfahrens im Verwaltungsverfahrensgesetz im Schrifttum sowohl seitens der Wissenschaft als auch der Praxis zum Einen bereits eingehend diskutiert und zum Anderen im Grundsatz praktisch einhellig bejaht wurde.14 Auffallend ist allerdings der in all diesen Debatten vorherrschende Bezug ___________ 13

Grundlegend dazu Kloepfer/Meßerschmidt, Innere Harmonisierung des Umweltrechts, Berichte des Umweltbundesamtes 6/86, S. 160. 14 Wegweisende Überlegungen finden sich namentlich bei Wahl, Neues Verfahrensrecht für Planfeststellung und Anlagengenehmigung – Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrens oder bereichsspezifische Sonderregelung, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 111 ff.; ders., Fehlende Kodifizierung der förmlichen Genehmigungsverfahren im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2002, 1192 ff., und dem folgend u.a. bei Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008, § 71a Rn. 7; Burgi (Fn. 7), S. 41 ff.; Dolde, Verwaltungsverfahren und Deregulierung, NVwZ 2006, 857 (864); Schmitz/Olbertz, Das Zweite Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften – Eine Zwischenbilanz?, NVwZ 1999, 126 (131); Schmitz, Moderner Staat – Modernes Verwaltungsverfahrens-

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auf vorhabenbezogene Anlagengenehmigungen. Die Frage, ob und in welchem Umfang auch das Recht der Personalgenehmigungen in ein allgemeines Genehmigungsregime einbezogen werden könnte, bleibt in den meisten Stellungnahmen hingegen weitgehend ausgespart. Ebensowenig sind bislang Aussagen zu dem Zusammentreffen von anlagen- und personenbezogenen Formen der Eröffnungskontrolle ersichtlich.

2. Das Vorhaben einer Kodifikation des Genehmigungsrechts im Umweltgesetzbuch Entscheidende Impulse für die Verallgemeinerung des Genehmigungsrechts gingen freilich weniger von den originär auf das Verwaltungsverfahrensrecht selbst bezogenen Reformvorhaben als vielmehr von dem – zweimal gescheiterten – Versuch einer Kodifikation des Umweltrechts in einem umfassenden Umweltgesetzbuch aus. Bereits die Vorarbeiten15 verdeutlichten nicht nur das im materiellen Umweltrecht bestehende Kodifikationspotential, sondern zugleich auch die Existenz verallgemeinerungsfähiger Strukturen im Genehmigungsverfahrensrecht. Mit dem Anspruch der Einbeziehung dieses verallgemeinerten Genehmigungsrechts in das Umweltgesetzbuch und damit der Schaffung eines eigenständigen Umweltverfahrensrechts trat das Vorhaben des Umweltgesetzbuchs freilich unweigerlich in ein Spannungsverhältnis zu dem Harmonisierungsanspruch des Verwaltungsverfahrensgesetzes.16 Es ist daher in Erinnerung zu rufen, dass insbesondere die für das Umweltgesetzbuch wegweisenden Beschlüsse des 59. Deutschen Juristentags nicht nur die Sinnhaftigkeit einer Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrens zur Genehmigung umweltrelevanter Vorhaben bestätigten, sondern zugleich mit überwältigender Mehrheit forderten, dass „die verfahrensrechtlichen Regelungen möglichst weitgehend in den Verwaltungsverfahrensgesetzen getroffen werden sollen.“17 ___________ recht, NVwZ 2000, 1238 (1239 f.); Schlarmann, Vorhabengenehmigung nach dem UGB-KomE statt Planfeststellung, in: Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 846 ff. 15 Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, Berichte des Umweltbundesamtes 8/78; ders./Meßerschmidt (Fn. 13). Diese Studien waren von der Bundesregierung als Vorarbeiten für eine künftige Kodifikation des Umweltrechts in Auftrag gegeben worden. 16 Vgl. zuletzt Kahl/Welke (Fn. 8), S. 1420 f. m. w. N. sowie in diesem Band Schönenbroicher, S. 263 ff. 17 Verhandlungen des Neunundfünfzigsten Deutschen Juristentags 1992, Band II, Sitzungsberichte, Teil N, Beschluss Nr. 20, S. 14 f.; ähnlich auch die Überlegungen des damaligen Gutachters Breuer, Empfiehlt es sich, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, gegebenenfalls mit welchen Regelungsbereichen?, Gutachten zum 59. DJT, a. a. O. S. B 84, sowie des Referenten Dolde, Verhandlungen des 59. DJT, Band II – Sitzungsberichte, a. a. O. S. N 36 ff.

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Die bereits ab 1988 entwickelten Entwürfe zum Umweltgesetzbuch18 freilich gingen von anderen Vorstellungen aus. Ihr jeweiliges Kernstück19 bildeten zwei im Einzelnen sehr unterschiedliche Modelle einer integrierten Genehmigung umweltrelevanter Vorhaben, die jeweils durch umfangreiches selbständiges Verfahrensrecht flankiert wurden.20 Aus Sicht des Verwaltungsverfahrens waren jedoch vor allem die starken verfahrensrechtlichen Verselbständigungstendenzen beider Entwürfe kritisch zu sehen,21 die daher folgerichtig zu Diskussionen über das regelungstechnische Verhältnis von Verwaltungsverfahrensgesetz und Umweltgesetzbuch führten.22 Diese Debatten wiederholten sich, als im November 2007 der durch das Bundesumweltministerium vorgelegte Referentenentwurf für ein „Umweltgesetzbuch 2009“ wiederum in zahlreichen Passagen wortgleiche Regelungen wie das Verwaltungsverfahrensgesetz traf. Die Ende Juni 2008 vorgelegte Überarbeitung des Referentenentwurfs trug der hiergegen geäußerten Kritik23 allerdings Rechnung, indem die kritisierten Regelungen weithin gestrichen und durch Verweise auf das Verwaltungsverfahrensgesetz ersetzt wurden.24 ___________ 18

Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, Berichte des Umweltbundesamtes 7/90; Jarras/Kloepfer/Kunig/Papier/Peine/ Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch – Besonderer Teil, Berichte des Umweltbundesamtes 4/94 (meist einheitlich als Professorenkommission bezeichnet); BMU (Hrsg.), Umweltgesetzbuch, 1998. 19 So bereits die Einschätzung bei Bohne, Die integrierte Genehmigung als Grundlage der Vereinheitlichung und Vereinfachung des Zulassungsrechts und seiner Verknüpfung mit dem Umweltaudit, in: Rengeling (Hrsg.): Integrierter und betrieblicher Umweltschutz, 1996, S. 105 ff. 20 Vgl. dazu im Rückblick Breuer, Problematik der integrierten Vorhabengenehmigung auf der Basis des derzeitigen Entwurfs eines Umweltgesetzbuches. Unveröffentlichtes Rechtsgutachten, 2008; Durner, Die Reform des Wasserrechts im Referentenentwurf zum Umweltgesetzbuch, NuR 2008, 293 (294 f.); Franzius, Die integrierte Vorhabengenehmigung, in: Brandner u.a. (Hrsg.), Umweltgesetzbuch und Gesetzgebung im Kontext, 2008, S. 113 ff.; Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2010, S. 80 ff. und 357 ff. 21 Vgl. aus der Debatte zu dem Entwurf der Sachverständigenkommission etwa Michler, Zum Entwurf eines Umweltgesetzbuches, in: Blümel (Hrsg.), Umweltgesetzbuch – Klagebefugnis, 1999, S. 1 ff. m. w. N. 22 Vgl. einerseits Schmitz, 20 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Neue Tendenzen im Verfahrensrecht auf dem Weg zum schlanken Staat, NJW 1998, 2866 (2870 f.) mit der Forderung, „die verfahrensrechtlichen Anliegen des Umweltgesetzbuchs“ in die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder zu integrieren, und dagegen Sendler, Verwaltungsverfahrensgesetz und Umweltgesetzbuch, NVwZ 1999, 132 ff. 23 Vgl. nur BMI, Stellungnahme zum Umweltgesetzbuch vom 3.1.2008, sowie BMWi/BMELV, Alternativvorschlag zur Ausgestaltung der integrierten Vorhabengenehmigung vom 25.2.2008; Durner (Fn. 20), S. 296. 24 Kritisch gleichwohl die Argumentation bei Schönenbroicher/Gregor, Der Streit um das UGB I – Verfahrenskonzentration im Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrecht, NWVBl. 2009, 329 (334 ff.).

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Diese verfahrensrechtlichen Entkodifizierungstendenzen aller drei Entwürfe ändern nichts an der hohen Qualität und der Verallgemeinerungsfähigkeit einer ganzen Reihe der entsprechenden Vorschriftenvorschläge. Wie die Überschneidungen zwischen dem – im Hinblick auf das Verfahrensrecht wohl ambitioniertesten – Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission und dem geltenden Fachrecht verdeutlichen, zielte nämlich auch dieser Entwurf auf eine abstrahierende Kodifikation der anlagenbezogenen Genehmigungsverfahren. Der Anwendungsbereich des im Umweltgesetzbuch normierten Verfahrensrechts blieb dabei stets weit hinter dem immanenten Potential der vorgeschlagenen Regelungen zurück. So war namentlich die Ausklammerung des Bauund Bergrechts durch das Umweltgesetzbuch in keiner Weise systematisch, sondern allein ressorttechnisch zu erklären.25 Letztlich lassen sich die durch das Umweltgesetzbuch angestrebten Vereinheitlichungen des Genehmigungsverfahrens umfassender und sinnvoller im Rahmen des Verwaltungsverfahrensgesetzes verwirklichen, zumal durch dessen subsidiären Angebotscharakter den Besonderheiten im Fachrecht besser Rechnung getragen werden kann. Was die Normierung eines allgemeinen Genehmigungsverfahrens im Verwaltungsverfahrensgesetz demgegenüber von vornherein nicht zu leisten vermag, ist eine Harmonisierung der materiell-rechtlichen Zulassungstatbestände. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass sich jedenfalls in den zuletzt diskutierten Entwürfen für ein „Umweltgesetzbuch 2009“ nach Überzeugung des Verfassers die versprochene Integration trotz eines äußerlich scheinbar vereinheitlichten Zulassungstatbestandes weitestgehend auf die Wirkungen einer formellen Konzentrationswirkung beschränkte.26 Das Konzept einer Regelung der Anlagengenehmigung im Verwaltungsverfahrensgesetz bietet daher insgesamt nach dem zweimaligen Scheitern des Umweltgesetzbuchs eine Chance, wesentliche verfahrensrechtliche Erträge und Chancen dieser umweltrechtlichen Kodifikationsbemühungen in einer umfassenderen, nicht auf den Fachbereich Um___________ 25 Erbguth/Schubert, Zum Scheitern des Umweltgesetzbuches – Ursachen und Folgen für das nationale Umweltrecht, JbUTR 2010, 7 (24); wenig überzeugt demgegenüber die Begründung für die Ausklammerung bei Sellner, Die integrierte Vorhabengenehmigung als zentrales Element für ein UGB, in: Köck (Hrsg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch, 2009, S. 49 (53) („Es ist erkennbar, dass diese Ausnahmen selten im Rahmen der Vorhabenzulassung vorkommen und deshalb tatsächlich der Integration in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht fähig sind.“). 26 Näher Durner (Fn. 20), S. 295; dieser Einschätzung folgend etwa Faßbender, Das neue Wasserhaushaltsgesetz, ZUR 2010, 181 (185); Schönenbroicher/Gregor (Fn. 24), S. 336; ähnlich auch Erbguth/Schubert (Fn. 25), S. 24 f.; Franzius (Fn. 20), S. 122 ff.; Salzwedel/Scherer-Leydecker, Wasserrecht, in: Hansmann/Sellner (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 3. Aufl. 2007, Kap. 8 Rn. 229; Welke (Fn. 20), S. 363 f.; dagegen jedoch Kahl/Welke (Fn. 8), S. 1415 f.; Waskow, Die integrierte Vorhabengenehmigung, in: Durner (Hrsg.), Umweltgesetzbuch, S. 21 (26); als konzeptionell „zwiespältig“ wertet den Entwurf Breuer (Fn. 20), S. 11 ff.

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welt beschränkten Weise zu verallgemeinern und somit auf einer insgesamt geeigneteren Ebene fruchtbar zu machen.27

3. Die Überlegungen der interministeriellen Arbeitsgruppe in Bayern Einen den umweltrechtlichen Kodifikationsbemühungen vergleichbaren Anlauf zur Normierung eines allgemeinen Genehmigungsverfahrens für Anlagen im Verwaltungsverfahrensgesetz hat bislang allein der Freistaat Bayern unternommen. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist der Zwischenbericht einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern diverser bayerischer Staatsministerien,28 die sich im Jahr 2000/2001 mit den Möglichkeiten einer Verfahrensvereinheitlichung durch Normierung allgemeingültiger Regelungen aus den Fachgesetzen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen auseinandersetzte. Wie in den zuvorigen Vorschlägen des Schrifttums stand auch in der Bayerischen Arbeitsgruppe das Recht der Anlagengenehmigung im Mittelpunkt sämtlicher Überlegungen. Kennzeichnend ist zudem der Anspruch, auch die Regelungen zur Planfeststellung in die Vereinheitlichungsbemühungen einzubeziehen.

IV. Leitvorstellungen und Inhalte der vorgeschlagenen Stammregelung im VwVfG 1. Differenzierung zwischen verschiedenen Verfahrensarten Bei der Ermittlung des Verallgemeinerungspotentials der Genehmigungstatbestände stellt sich die konzeptionelle Frage, inwieweit sich aus dem bestehenden Fachrecht unterschiedliche Grundmodelle herausdestillieren und typisieren lassen.29 Der Kommissionsentwurfs zum Umweltgesetzbuch schlug insoweit beispielsweise vor, dass die Vorhabengenehmigung in drei Formen erteilt werden sollte: als gebundene Vorhabengenehmigung, als planerische Vorhabenge-

___________ 27

So bereits Schönenbroicher/Gregor (Fn. 24), S. 336. Gemeinsame Arbeitsgruppe der Bayerischen Staatsministerium des Inneren, für Landesentwicklung und Umweltfragen, für Wirtschaft, Verkehr und Technologie, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und für Arbeit, Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit (im Folgenden: Bayerische Arbeitsgruppe), Einheitliche Zulassungsverfahren im VwVfG, 2000/2001; vgl. dazu auch Weinl, Einheitliche Vorhabensgenehmigung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen?, UPR 2001, 46 ff. 29 Vgl. Kahl, Das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Kodifikationsidee und Sonderrechtsentwicklung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 133. 28

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nehmigung oder als einfache Vorhabengenehmigung.30 Dieser Ansatz orientierte sich somit an dem materiell-rechtlichen Prüfprogramm der jeweiligen Genehmigung, beschränkte sich generell auf Vorhaben im Umweltbereich und ließ zudem im Hinblick auf das Verhältnis der planerischen Vorhabengenehmigung zur Planfeststellung zahlreiche Fragen offen. Keiner dieser drei Gesichtspunkte lässt das Modell des Kommissionsentwurfs für die Ausgestaltung einer Stammregelung im Verwaltungsverfahrensgesetz als anschlussfähig erscheinen. Eine andere Aufteilung sah der Entwurf der bayerischen Arbeitsgruppe in Form einer Trennung von Verfahren mit einem abgegrenzten (sog. ‚kleiner Topf‘) und einem weitem (sog. ‚großer Topf‘) Personenkreis vor.31 Dieser Ansatz erscheint für das Verwaltungsverfahrensgesetz sachgerechter, weil er nach unterschiedlichen Verfahrenselementen differenziert, nicht jedoch nach den materiell-rechtlichen Prüfprogrammen des Fachrechts. Das hier vorzustellende Projekt verfolgt indes abweichende Leitvorstellungen im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Genehmigungsrechts, das sich nicht auf den Anlagenbereich beschränken, sondern auch Personalgenehmigungen sowie Mischformen erfassen soll. Anders als der Entwurf der bayerischen Arbeitsgruppe sieht das vorliegende Vorhaben zudem die unveränderte Aufrechterhaltung der Planfeststellung vor. Sinnvoll erscheint auf dieser Grundlage eine Einteilung in drei Genehmigungsarten: 1.

Zunächst soll die Planfeststellung, mit der sich nach § 75 Abs. 1 VwVfG spezifische vom sonstigen Genehmigungsrecht abweichende Rechtsfolgen und Anforderungen verbinden, als die Genehmigungsart für Großvorhaben mit planerischer Abwägung unverändert beibehalten werden.

2.

Unter dieser Ebene ist ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung anzusiedeln, das qualitativ in etwa dem Zulassungsverfahren nach § 10 BImSchG oder dem Bewilligungsverfahren nach § 11 WHG entspricht.

3.

Hinzu tritt auf der untersten Stufe eine einfache Genehmigung für alle anderen Anlagen und Tätigkeiten.

Vervollständigt werden diese drei Genehmigungsarten schließlich durch die unterhalb eines förmlichen Genehmigungsvorbehalts angesiedelten Anzeigeverfahren, die ebenfalls im Verwaltungsverfahrensgesetz systematisiert werden sollen und bereits Gegenstand des ersten Vortrags waren.32 Insgesamt werden somit sämtliche Formen der präventiven Eröffnungskontrolle für Vorhaben ___________ 30

Vgl. BMU (Fn. 18), S. 614 ff. und zusammenfassend Kloepfer/Durner, Zum Umweltgesetzbuch-Entwurf der Sachverständigenkommission, DVBl. 1997, 1081 (1088). 31 Vgl. Bayerische Arbeitsgruppe (Fn. 28), S. 9. 32 Dazu in diesem Band Burgi, S. 215 ff.

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oder Tätigkeiten durch Stammregelungen im Allgemeinen Verwaltungsrecht subsidiär vereinheitlicht.

2. Fachrechtliche Konzentrationswirkung und verfahrensrechtliche Komplementärnormen Die beiden neu vorgeschlagenen Genehmigungsverfahren sollen nach Maßgabe des Fachrechts eine begrenzte Konzentrationswirkung unter Einbeziehung von Personalgenehmigungen ermöglichen. Dieser Ansatz folgt der bereits erwähnten Einsicht, dass sich eine Verknüpfung verschiedener sektoraler Genehmigungen, wie sie die integrierte Genehmigung vorsah, mit ähnlichem Ergebnis auch durch die Anordnung einer formellen Konzentrationswirkung verwirklichen lässt.33 Die mit einer solchen Ausweitung der Konzentrationswirkung verbundenen verfahrensrechtlichen Vereinfachungen wären von eminenter rechtspolitischer Sinnhaftigkeit.34 Das entsprechende Ziel einer „Genehmigung aus einer Hand“ wird in Nordrhein-Westfalen im Bereich des Umweltrechts schon heute durch das sog. Zaunprinzip nach § 2 der Zuständigkeitsverordnung Umweltschutz verwirklicht.35 Diese organisationsrechtliche Norm bündelt zwar die Zuständigkeiten für bestimmte Industrieanlagen in einer Behörde, ändert aber nichts daran, dass nach Maßgabe des Fachrechts rechtlich selbständige und ggf. unterschiedlich ausgestaltete Genehmigungsverfahren durchgeführt und selbständige Verwaltungsakte erlassen werden.36 Auch das in dem Abschnitt 1a in den §§ 71a ff. VwVfG geregelte „Verfahren über eine einheitliche Stelle“ beruht auf einem vergleichbaren Konzept.37 Die Weiterentwicklung dieses Ansatzes durch Einführung einer echten formell-rechtlichen Zuständigkeits-, Verfahrens- und Entscheidungskonzentration erscheint im Rahmen der unter 1. skizzierten Verfahrensarten letztlich für sämtliche Genehmigungsverfahren sinnvoll. Die Regelungstechnik des § 75 Abs. 1 VwVfG lässt sich allerdings auf eine begrenzte Konzentrationswirkung, wie sie das geltende Recht etwa in § 13 BImSchG kennt, im Rahmen des Verwaltungs___________ 33

Vgl. bereits oben in und bei Fn. 26. So auch Franzius (Fn. 20), S. 121 f. 35 Dazu Schönenbroicher/Palmen, Die Verwaltungsstrukturreform in NordrheinWestfalen, NVwZ 2008, 1173 (1177); Burbat, Das Umweltgesetzbuch 2009, ZUR 2008, 610 f. 36 Näher Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltverwaltungen unter Reformdruck, 2007, S. 185 und 204; Schönenbroicher, Das Verwaltungsverfahrensgesetz als Regelungsstandort für Konzentrationswirkungen bei Genehmigungen, in: Burgi/Schönenbroicher (Fn. 6), S. 82 (99 f.); Wirtz, Zulassung und Überwachung von Industrieanlagen im Umweltgesetzbuch. Die integrierte Umweltbehörde, 2007, S. 8 f. 37 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 14), § 71a Rn. 11 ff. 34

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verfahrensgesetzes nicht übertragen. Letztlich kann nämlich im Rahmen des Verwaltungsverfahrensgesetzes keine differenzierte Aussage zur Reichweite der Genehmigungswirkung und zum Prüfprogramm getroffen werden. Solche materiell-rechtlichen Maßstabsbildungen müssen dem jeweiligen Fachrecht vorbehalten bleiben.38 Möglich und sinnvoll sind daher nur verfahrensrechtliche Regelungen, die dann zur Anwendung kommen, wenn das Fachrecht eine Konzentrationswirkung vorsieht, etwa zur Beteiligung jener Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben bzw. die mitkonzentrierten Erfordernisse jeweils berührt wird. Daher ist im Fachrecht festzulegen, ob – auch im Rahmen einfacher Genehmigungen ohne Beteiligung der Öffentlichkeit – eine begrenzte Zuständigkeits-, Verfahrens- und Entscheidungskonzentration angeordnet werden soll. Diese Konzentrationswirkung kann sich – insoweit geht der vorliegende Ansatz über jenen des Umweltgesetzbuchs deutlich hinaus – nicht nur auf Anlagen, sondern auch auf Personalgenehmigungen und auf die Kombination eines Vorhabens und einer damit zusammenhängenden Tätigkeit erstrecken. Mögliche Anwendungsfälle wären beispielsweise die Verbindung einer Gaststättenerlaubnis mit einer Baugenehmigung oder das Zusammentreffen einer Baugenehmigung mit einer wasserrechtlichen Genehmigung nach § 78 Abs. 3 WHG.39 Da gerade in Nordrhein-Westfalen in den Fällen des Zusammentreffens bau- und umweltrechtlicher Genehmigungserfordernisse erhebliche Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die Reichweite der Gestattungswirkung der Baugenehmigung bestehen,40 könnte eine entsprechende Regelung auch Anstöße dafür geben, die Reichweite der fachrechtlichen Genehmigungen gesetzgeberisch präziser zu bestimmen. Kompetenzrechtlich ist die Anordnung einer landesrechtlichen Konzentrationswirkung ohne weiteres zulässig. Zwar regelt das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes in § 100 Nr. 2, dass die Länder durch Gesetz bestimmen können, dass für landesrechtliche Planfeststellungen die Rechtswirkungen des § 75 Abs. 1 Satz 1 auch gegenüber nach Bundesrecht notwendigen Entscheidungen gelten. Jedenfalls seit der Föderalismusreform ist diese wohl ohnehin rein de-

___________ 38

Grundlegend hierzu Weinl (Fn. 28), S. 49 in Verallgemeinerung des Ansatzes der bayerischen Arbeitsgruppe. 39 Vgl. zu dem zweiten Beispiel zuletzt OVG Münster, ZUR 2010, 268 ff. mit Anm. Zabel, IBR 2010 185 f.; Queitsch, in: Queitsch/Koll-Sarfeld/Wallbaum, Wassergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, § 113 (2010) Erl. 12. 40 Vgl. etwa zu dem Problem der für ein Bauvorhaben erforderlichen landschaftsrechtlichen Befreiung die abweichenden Standpunkte des 7. und des 10. Senat des OVG Münster, einerseits OVG Münster, NVwZ-RR 564 ff. und andererseits OVG Münster, ZfBR 2004, 384 ff.

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klaratorische41 Regelung jedoch gänzlich überholt, da nach Art. 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren grundsätzlich Sache der Länder ist, die damit ohne weiteres auch über § 100 Nr. 2 VwVfG hinaus Regelungen über eine formelle Konzentrationswirkung erlassen können.

3. Orientierung an vorhandenen Gesetzesformulierungen – Verbesserungen im Einzelfall Bereits aus kompetenzrechtlichen und ressorttechnischen Gründen kann die Schaffung eines entsprechenden Verfahrens im Verwaltungsverfahrensgesetz nicht mit einer automatischen Bereinigung des Fachrechts verbunden werden. Zur Ermutigung einer solchen Rechtsbereinigung orientieren sich die neuen Vorschläge jedoch vielfach am Wortlaut der bestehenden Formulierungen des Fachrechts. Dies dient zugleich der Reduzierung neuer Auslegungsprobleme und Unsicherheiten, die mit der Modifikation bestehender Bestimmungen regelmäßig einhergeht. Aus diesem Grund versuchen die Vorschläge, neue Formulierungen nach Möglichkeit nur in geringem Umfang zu entwickeln und stattdessen vorhandene Regelungen des Fachrechts zu übernehmen, wo diese verallgemeinerbar erscheinen, um die Erzeugung neuer Auslegungsfragen zu reduzieren. Dies bedeutet freilich nicht, dass bereits bekannte Schwächen des Fachrechts nicht anlässlich der Verallgemeinerung im Verwaltungsverfahrensgesetz behoben werden könnten. Ein Beispiel hierfür liefert die Zulassung des vorzeitigen Beginns, die derzeit fachrechtlich in § 8a BImSchG, § 24a der 9. BImSchV sowie Ziffer 3.3 der 1. Allg.VwV zum BImSchG, in § 17 WHG, in § 57b BBergG und in § 33 Krw/AbfallG geregelt ist, jedoch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht im Rahmen des allgemeinen Genehmigungstatbestands verallgemeinert werden sollte.42 Im Zuge der Verallgemeinerung folgt der entsprechende Vorschlag der Forderung im Schrifttum, gesetzlich klarzustellen, dass auch für den vorzeitigen Beginn die nach Maßgabe des jeweiligen Fachrechts ange-

___________ 41

So BVerwGE 82, 17 (23) m. w. N.; Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 14), § 100 Rn. 5; Manner, Grundlagen des Planfeststellungsverfahrens, 1976, S. 56 f.; a. A. Bayerische Arbeitsgruppe (Fn. 28), S. 51; Breuer, Die hoheitliche raumgestaltende Planung, 1968, S. 96 ff. und 130 f. 42 Eingehend zum dem Verallgemeinerungspotential des Instituts Ochtendung, Die zulassung des vorzeitigen Beginns im Umweltrecht, 1998, S. 293 ff.; Bayerische Arbeitsgruppe (Fn. 28), S. 65; zur Vorsicht bei der Ausdehnung des Instituts mahnt jedoch Scheuing, in: Koch/Scheuing (Hrsg.), GK-BImSchG, Kommentar, § 8a (2001) Rn. 175.

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ordnete Konzentrationswirkung zur Anwendung kommt.43 Damit wird eine Streitfrage, die im Vollzug zu erheblichen Unsicherheiten führt, im Sinne der vorherrschenden, dem gesetzlich beabsichtigten Beschleunigungseffekt gerecht werdenden Sichtweise44 positiv entschieden. Zudem enthält der Vorschlag anstelle des in den fachrechtlichen Bestimmungen normierten verfahrensrechtlichen Erfordernisses, dass „der Vorhabenträger sich verpflichtet, alle bis zur Entscheidung durch das Vorhaben verursachten Schäden zu ersetzen und, falls die Genehmigung nicht erteilt wird, den früheren Zustand wiederherzustellen“, eine unmittelbar geltende gesetzliche Pflicht gleichen Inhalts.45 Die Rechtsnatur der Verpflichtungserklärung, die Anforderungen an ihre Wirksamkeit und die Kriterien für die Entstehung und Konkretisierung der Pflicht sind nämlich bis zum heutigen Tag weithin umstritten geblieben.46 Die wohl vorherrschende Deutung der Verpflichtung als öffentlich-rechtlicher Vertrag führt zudem zu der Konsequenz, dass eine behördliche Durchsetzung der eingegangenen Verpflichtung nur nach Maßgabe des § 61 VwVfG möglich wäre. Diese Problemfelder werden durch die unmittelbare gesetzliche Verankerung vermieden.

4. Einzelne Elemente des Entwurfs Inhaltlich wird sich die einfache Genehmigung voraussichtlich auf die folgenden verfahrensrechtlichen Elemente beschränken: In einer Vorschrift zur Verfahrenseröffnung wird zu regeln sein, dass jedem Antrag die zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderlichen Unterlagen beizufügen sind, die Behörde zunächst die Vollständigkeit dieser Unterlagen prüft und gegebenenfalls ihre Komplettierung fordert. Weiter sollen die bereits erwähnten47 Institute des Vorbescheids, der Teilgenehmigung und des vorzeitigen Beginns ___________ 43

So Scheuing, in: Koch/Scheuing (Fn. 42), § 8a (2001) Rn. 28 ff., 146 und 179; vgl. auch bereits Hansmann, Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren, NVwZ 1997, 105 (106). 44 Vgl. dazu die Belege bei Beckmann, in: Beckmann/Durner/Mann/Röckinghausen (Hrsg.), Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Kommentar, § 33 KrW-/AbfG (2004) Rn. 11; Sellner, ebenda § 8a BImSchG (1997) Rn. 108 ff.; beiläufig wohl auch VG Schleswig, ZUR 2008, 211 (212). 45 Ein entsprechender Vorschlag findet sich bereits bei Scheuing, in: Koch/Scheuing (Fn. 42), § 8a (2001) Rn. 179. 46 Dazu mit sehr unterschiedlichen Einordnungen etwa Beckmann, in: Landmann/Rohmer (Fn. 44), § 33 KrW-/AbfG (2004) Rn. 27; Czychowski/Reinhardt, WHG, Kommentar, 10. Aufl. 2010, § 17 Rn. 15; Franßen, Abfallwirtschaftsrecht, in: Hansmann/Sellner (Fn. 26), Kap. 14 Rn. 301; Jarass, BImSchG, Kommentar, 8. Aufl. 2010, § 8a Rn. 9; Ochtendung (Fn. 42), S. 96 ff.; Salzwedel/Scherer-Leydecker (Fn. 26), Kap. 8 Rn. 192 („unklar“, aber „zivilrechtliche Haftungsübernahme“); Sellner, in: Landmann/Rohmer (Fn. 44), § 8a BImSchG (1997) Rn. 78 m. w. N. 47 Vgl. die Ausführungen und Nachweise in und bei Fn. 12.

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verallgemeinert werden. Außerdem werden sich Mindestvorgaben zum Genehmigungsinhalt finden. Das Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung baut auf diesen Regelungen auf, sieht aber zusätzlich eine Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung vor, die sich aus Gründen der Einheitlichkeit vollständig an das Planfeststellungsrecht anlehnt und damit die Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung auf dem Niveau des – durch verschiedene Beschleunigungspakete ohnehin bereits erheblich gestrafften – Planfeststellungsrecht des § 73 VwVfG vereinheitlicht;48 dies entspricht dem Charakter etwa des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens als vereinfachte Version des Planfeststellungsverfahrens.49 Da die im Zuge der Debatten um das Projekt „Stuttgart 21“ erhobenen Forderungen nach mehr Bürgerbeteiligung im Zulassungsverfahren50 ggf. im Planfeststellungsrecht geregelt werden müssten, würden entsprechende Verbesserungen durch den Verweis automatisch auch im Zuge dieses Verfahrens zur Anwendung kommen. Im Unterschied zu dem Ansatz des Kommissionsentwurfs zum Umweltgesetzbuch soll das Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung unabhängig von dem für das Vorhaben jeweils einschlägigen materiellen Prüfprogramm sein und gleichermaßen für gebundene wie für Ermessensentscheidungen zur Anwendung kommen. Insgesamt wäre dieses Modell – wenn man es etwa mit der Neunten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vergleicht – nur eine knappe Stammregelung. Der Verzicht auf Details ist jedoch im Rahmen des Verwaltungsverfahrensgesetzes sinnvoll, weil dessen Regelungen einen subsidiären Angebotscharakter aufweisen und von vornherein auf die Ergänzung durch das Fachrecht angelegt sind. Dennoch ist das Einspar- und Rationalisierungspotential auch bei einer bloßen Stammregelung nicht unerheblich. Wie der Verfasser bereits an anderer Stelle dargestellt hat,51 könnten beispielsweise im Zuge der anstehenden Überarbeitung des Landeswassergesetzes NRW sämtliche Verfahrensregelungen entfallen, das künftige Landeswassergesetz könnte sich somit auf die Anordnung beschränken, dass die Erteilung einer Bewilligung oder einer gehobenen Erlaubnis in dem Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung zu erfolgen hat. Im Falle einer bundesweiten ___________ 48

Ähnlich bereits Kloepfer/Meßerschmidt (Fn. 13), S. 160 m. w. N.; auch die Bayerische Arbeitsgruppe (Fn. 28), S. 40, kam zu dem Ergebnis, dass einer „Rückführung des Sonderverfahrensrechts“ in diesem Punkt keine grundsätzlichen Hindernisse entgegenstehen. 49 Schönenbroicher (Fn. 36), S. 92 („‚abgespecktes‘ bereichsspezifisches Planfeststellungsverfahren“); vgl. auch Graffe (Fn. 11), S. 30. 50 Vgl. einerseits Prantl, Zwischenruf: Die Apfelbaum-Demokratie, ZRP 2011, 24 f.; andererseits Leisner, Stuttgart 21: „Wir sind das Volk!“ – Wer?, NJW 2011, 33 ff. 51 Durner, Verfahrensrecht, in: ders. (Hrsg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, im Erscheinen.

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Übernahme dieser Vorschläge könnte zudem auch auf die Regelung des vorzeitigen Beginns in § 17 WHG verzichtet werden. Über die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Bestimmungen wird dabei gewiss zu diskutieren sein; die grundsätzlichen Entlastungseffekte und der mit einer solchen Vereinheitlichung verbundene Gewinn an Rechtsklarheit und Vollzugsvereinfachung sind jedoch schlechthin nicht zu bestreiten.

Simultangesetzgebung von Bund und Ländern im Verwaltungsverfahrensrecht: Notwendigkeit und Umsetzungsmechanismen Heribert Schmitz

I. Simultangesetzgebung Ein Mitarbeiter des Bundesministeriums des Innern (BMI), zu dessen Aufgabengebiet die Verwaltungsmodernisierung gehörte, schilderte in seiner Abschiedsrede die Hindernisse bei seinen Fortschrittsbemühungen – verpackt in das Bild der Schaffung einer „Hymne an die Bundesverwaltung“. Dort hieß es: „Die Konferenz der Kompositionsverfahrensreferenten von Bund und Ländern und der Beirat Kompositionsverfahrensrecht beim BMI weisen auf die notwendige Einheit der Verwaltungs-Hymnen von Bund und Ländern hin, die es herzustellen gelte. Es habe sich bewährt, dass die Konferenz eine einheitliche Musterkomposition für Bund und Länder erarbeitet und der Beirat dem Entwurf zustimmt. Das müsse nachgeholt werden. So könne die gute alte deutsche Musiktradition am besten vor allzu neuartigen Entwicklungen und Einflüssen aus dem In- und Ausland bewahrt werden. (…) Am Ende war die Zustimmung aller Beteiligten für die neue Hymne nicht zu gewinnen. Die Einheit der Verwaltungshymnen von Bund und Ländern nach dem Muster der Kompositionsverfahrensreferenten wäre nur mit erheblichen Abstrichen an Qualität der Hymne, an Farbigkeit, Lebendigkeit und Esprit der Musik erreichbar gewesen.“ Der u. a. für Verwaltungsrecht zuständige Abteilungsleiter eines Bundeslandes wies bei einer Konferenz der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten von Bund und Ländern darauf hin, dass alle Beteiligten ein Interesse daran haben müssen, das Verfahrensrecht für die Zukunft auszurichten. Dabei dürfe es keine Denkverbote geben. Das vom Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI in NVwZ 2010 S. 1078 hochgehaltene Prinzip der Einheitlichkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze sei zwar verständlich, aber für sein Land nicht alleinentscheidend. An erster Stelle lege das betreffende Land Wert auf ein zukunftsorientiertes Verfahrensrecht für Verwaltung und Bürger. Diese beiden Stimmen erwecken den Eindruck, das praktizierte Verfahren zur Fortentwicklung der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern

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sei innovations- und qualitätsfeindlich, farb- und espritlos, rückwärtsorientiert, den Bedürfnissen von Verwaltung und Bürgern nicht genügend. Dieses Verfahren wird inzwischen allgemein als Simultangesetzgebung bezeichnet.1 Darüber, wie diese Simultangesetzgebung funktioniert und was sie tatsächlich bewirkt, scheint jedoch mancherorts Unklarheit zu bestehen.

II. Praxis der Simultangesetzgebung Die Praxis der Simultangesetzgebung im Verwaltungsverfahrensrecht geht zurück auf die Auseinandersetzung über den Geltungsbereich des VwVfG des Bundes, die schließlich mit der geltenden Fassung des § 1 Abs. 3 VwVfG endete. Hierzu hatte der damalige NRW-Innenminister Hirsch im Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses vorgeschlagen und zugleich einen Beschluss der Innenministerkonferenz angekündigt, darauf hinzuwirken, dass nach Erlass des Bundesgesetzes im Interesse der Rechtseinheit unverzüglich Landesgesetze gleichen Wortlauts erlassen werden.2 An dieser Simultangesetzgebung wurde seither festgehalten. Der Deutsche Bundestag hat zuletzt am 27.10.2006 mit dem Gesetzesbeschluss zum Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz die Bundesregierung aufgefordert, die beschleunigenden Maßgaben dieses Gesetzes auf den gesamten Anwendungsbereich der Planfeststellungsverfahren auszudehnen und im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes sowie der Länder sobald wie möglich mit einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren zu verankern.3 Der Bundesrat hat sich dem in einer Entschließung ausdrücklich angeschlossen;4 er hatte bereits in seiner ersten Stellungnahme vom 17.6.2005 die Bundesregierung aufgefordert, einen Entwurf zu erarbeiten, „dem sich die Länder hinsichtlich ihrer Verwaltungsverfahrensgesetze anschließen können, um unnötigen Rechtszersplitterungen vorzubeugen.“5 ___________ 1 Der Begriff geht zurück auf Klappstein, Rechtseinheit und Rechtsvielfalt im Verwaltungsrecht, 1994, S. 7; ders., Möglichkeiten und Grenzen einer Simultangesetzgebung, ZG 1997, 126. Der von Roth, Ungleichzeitige Parallelgesetzgebung – Verlust der Revisibilität des Offenkundigkeitsmerkmals in § 44 I LVwVfG?, NVwZ 1999, 388 (389) präferierte Begriff „Parallelgesetzgebung“ hat sich nicht durchgesetzt. Vgl. auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, Einf. I Rn. 6. 2 Vgl. Klappstein/von Unruh, Rechtsstaatliche Verwaltung durch Gesetzgebung, 1987, S. 136. 3 BT-Drs. 16/3158 v. 25.10.2006, S. 53 f. 4 BR-Drs. 764/06 (B) v. 24.11.2006, S. 1 unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Entschließung des Bundestags. 5 BT-Drs. 16/54, S. 42; vgl. Blümel, Verwaltungsverfahrensgesetz – Umweltgesetzbuch, FS Steiner, 2009, S. 81.

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1. Simultangesetzgebung als exklusive Veranstaltung der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten und des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI? Die eingangs zitierte Klage des gehinderten Verwaltungsmodernisierers gibt vor, dass Verfahrensrechtsreferenten und Beirat die Praxis der Simultangesetzgebung nutzten, die Weiterentwicklung des VwVfG exklusiv zu betreiben. Die jeweiligen Musterentwürfe würden von den Referenten in einem Prozess erstellt, an dem nur der Beirat beim BMI vor Abschluss beteiligt sei. Einwänden der nach Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung (GGO) zu beteiligten Bundesressorts werde ebenso wie anderen Abteilungen des Innenministeriums entgegengehalten, dass Änderungen ausgeschlossen sind, um die Simultangesetzgebung der Länder nicht zu gefährden. Die Länderkollegen verführen auf Landesebene entsprechend. Damit werde eine geschäftsordnungsgemäße Beteiligung innerhalb der Bundesregierung wie innerhalb der Landesregierungen unterlaufen. Auch die Kompetenz der Gesetzgeber, also der Parlamente, werde unzulässig beschränkt.6 Tatsächlich ist die Genese der Gesetze zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften komplexer. Handlungsbedarf erkennt die Konferenz der Verfahrensrechtsreferenten aus der Beobachtung der Verwaltungspraxis und der wissenschaftlichen Diskussion7, der Rechtsprechung, der europäischen Rechtsentwicklung8 und von politischen Programmen9. Schon in diesem frühen Stadium wird auch der Beirat kontinuierlich mit dem jeweiligen Projekt befasst. Der Beirat wurde 1997 erstmals berufen, um die Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts als Daueraufgabe10 ministerieller Tätigkeit zu organisieren. Dazu wurde ein Vorschlag aus der Literatur11 aufgegriffen, bei dem für das VwVfG federführenden Ministerium ein kon___________ 6 Vgl. Burgi, Gesetzgebung im Verwaltungsverfahrensrecht zwischen europäischem Umsetzungsdruck und (fehlendem) nationalem Gestaltungswillen, in: Burgi/ Schönenbroicher, Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 31 (46): Form der Mischgesetzgebung, durch die politische Verantwortlichkeiten verwischt werden. 7 Vgl. Schmitz, Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensgesetzes: Konkrete Gesetzgebungspläne und weitere Perspektiven, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 135 (140 f.). 8 Bsp.: §§ 8a ff., 71a ff. im Zusammenhang mit der EG-Dienstleistungsrichtlinie. 9 Bsp.: Aktuelle Planungen im Zusammenhang mit der eGovernment-Initiative der Bundesregierung. 10 Vgl. Schmitz/Olbertz, Das Zweite Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften – Eine Zwischenbilanz?, NVwZ 1999, 126 (130). 11 Vgl. Schmitz, 20 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Neue Tendenzen im Verfahrensrecht auf dem Weg zum schlanken Staat, NJW 1998, 2866 (2868, Fn. 35 m. Hinw. auf Blümel, Klappstein, Kopp).

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tinuierlich beratendes Gremium einzurichten. Dieses soll die aktuelle wissenschaftliche Diskussion auswerten und deren Vorschläge bewerten; Bedürfnisse der Praxis erfassen und hieraus konkrete Vorschläge entwickeln; die einschlägige Rechtsprechung auf Regelungslücken beobachten und Bedürfnisse der Klarstellung und Korrektur durch Gesetzgebung erkennen; die Umsetzbarkeit von Vorschlägen aus dem Gesetzgebungsprogramm der jeweiligen Bundesregierung prüfen; bei allem auch die Akzeptanz in den Ländern im Hinblick auf den Bundesrat und die Einheit des Verwaltungsverfahrensrechts von Bund und Ländern berücksichtigen. Aus diesem Programm ergab sich die Zusammensetzung des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht: Wissenschaftler, wissenschaftlich tätige Praktiker (insb. aus Anwaltschaft und Justiz), Vertreter der Länderinnenministerien sowie Verwaltungspraktiker.12 Soweit sich im Kreis der Verfahrensrechtsreferenten Fragen ergeben, die die Zuständigkeit anderer Stellen berühren, werden diese auf Bundes- und Landesebene beteiligt.13 Betrifft die Novellierungsabsicht Vorschriften, die Parallelen im SGB X oder in der Abgabenordnung haben,14 werden spätestens jetzt auch mit Arbeits- und Finanzministerium Koordinierungsgespräche geführt. Hat ein Vorhaben ausreichenden Konkretisierungsgrad erreicht, wird regelmäßig die politische Billigung zu den Eckpunkten eingeholt. Dies kann durch die Verfahrensreferenten jeweils gesondert bei ihrer Hausleitung oder auch durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz15 erfolgen. Es werden also keine politischen Verantwortlichkeiten verwischt. Die vermeintliche Enthaltsamkeit der Landesparlamente gibt gleichfalls keinen Anlass zur Beanstandung des Verfahrens. Hier kann auf die Argumente verwiesen werden, die zur – auch vom Bundesverfassungsgericht gebilligten – dynamischen Verweisung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen von inzwischen immerhin sechs Ländern ausgetauscht worden sind.16 ___________ 12 Zu den Mitgliedern des Beirats (Stand: September 2010) siehe NVwZ 2010, 1078 (1079). 13 Bsp.: Wirtschaftsressorts bei Umsetzungsfragen zur EG-Dienstleistungsrichtlinie, IT-Verantwortliche und Organisationsreferate bei dem Projekt eGovernment. 14 Zum System der drei parallelen Kodifikationen („Drei-Säulen-Theorie“) Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2008, Einl. Rn. 50 ff. 15 Bsp.: Billigung des Konzepts eines Bund/Länder-Musterentwurfs (hierzu ausführlich Catrein, Moderne elektronische Kommunikation und Verwaltungsverfahrensrecht, NWVBl 2001, 50; ders., Anmerkungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, NVwZ 2001, 413), der Grundlage für das 3. VwVfÄndG und die entsprechenden Gesetze der Länder war, durch die Innenministerkonferenz am 24.11.2000 (auf Vorlage von NordrheinWestfalen). 16 Vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (o. Fn. 14), § 1 Rn. 75, 287; Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 1 Rn. 13.

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Nach Beschluss des Musterentwurfs, der einen hohen Grad an Bestandsfestigkeit haben muss, um allen Beteiligten Anschlussplanungen – d.h. Entwürfe zum LandesVwVfG oder Folgeänderungen im Fachrecht – zu ermöglichen, sind kleinere Änderungen durchaus noch möglich. Oft kann durch die elektronische Kommunikation noch eine qualitative Verbesserung der Entscheidungsergebnisse erzielt werden kann. Hierzu wird dann die Diskussion weitgehend durch e-Mail geführt. Formulierungsvorschläge werden gleichzeitig allen Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten übermittelt – und nicht telefonisch sukzessive unter einzelnen erörtert –, so dass diese eindeutig dokumentiert sind, jeder den gleichen Kenntnisstand hat und unmittelbar reagieren kann. Dieses Verfahren führt zu einer schnellen Klärung und – durch die Einbindung aller Diskussionsteilnehmer – zugleich wiederum zur Verbindlichkeit der Ergebnisse.17

2. Simultangesetzgebung innovationsfeindlich? Ein weiterer Vorhalt gegenüber der Simultangesetzgebung ist, dass diese auf minimale Volatilität programmiert sei.18 Dem ist entgegen zu halten, dass regelmäßig eine vorschnelle und unreflektierte Übernahme nicht ausreichend praxiserprobter Instrumente in bundesweit geltendes Dauerrecht nicht angezeigt erscheint. Bei Überlegungen zu einer Änderung des VwVfG sind dessen fachbereichsübergreifender Charakter und Ausrichtung zu berücksichtigen. Schnelle Veränderungen in einem Querschnittsgesetz, das auf eine Vielzahl von Verfahren unterschiedlichster tatsächlicher und rechtlicher Komplexität Anwendung findet, sind nur begrenzt sachgerecht und möglich.19 Das heißt aber nicht, dass oberstes Gestaltungsziel die Nichtgestaltung, das Bewahren der bestehenden normativen Zustände ist.20 Die Prüfung von Kodifikationsfähigkeit und Kodifikationswürdigkeit neuer Verfahrenselemente ist eine Daueraufgabe,21 der sich die Verfahrensrechtsreferenten mit Unterstützung des Beirats und der

___________ 17

Schmitz, Änderungen des Verwaltungsverfahrensrechts durch moderne Informationstechniken, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 677 (690). Zur Akzeptanzwirkung von durch Information legitimierten Entscheidungen auch Hoffmann-Riem, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, 2000, S. 9 (13 f.). 18 Burgi (o. Fn. 6), S. 35. Beispielhaft für eine für erforderlich gehaltene Erweiterung des bisherigen Verfahrenskonzepts des VwVfG Röhl, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2008, § 30 Rn. 10 ff. m. w. N. 19 Schmitz, Rechtseinheit und Rechtsvielfalt im Verwaltungsrecht, NVwZ 1996, 151. 20 So aber Burgi (o. Fn. 6), S. 36. 21 Vgl. Burgi (o. Fn. 6), S. 42 f.

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Fachwissenschaft22 kontinuierlich widmen. So hat das Verwaltungsverfahrensgesetz in der vergangenen Wahlperiode wesentliche Änderungen erfahren, die im Zusammenhang mit der Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie stehen. Nach der Einführung neuer Verfahrensinstrumente im VwVfG durch das 4. VwVfÄndG23 – Verfahren über einheitliche Stelle, Genehmigungsfiktion – folgten Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften24 – Europäische Verwaltungszusammenarbeit –. Die Umsetzung der DLRL im Verwaltungsverfahrensgesetz zeigt auch, dass die deutsche Rechtsordnung in der Lage ist, vom europäischen Recht ausgehenden Regelungsbedarf systembildend zu implementieren.25

III. Ziele der Simultangesetzgebung Die Simultangesetzgebung entspricht nicht nur dem Interesse des Bundes an einem Vollzug seiner Gesetze nach einheitlichen Regeln in allen Ländern, sondern auch dem Interesse der Länder, Verfahren, Zusammenarbeit von Behörden und Rechtsprechung zu vereinfachen. Damit wiederum wird eine wesentliche Verfahrensbeschleunigung erreicht.26

___________ 22 Vgl. nur die 1993 bis 2004 erschienenen 10 Bände der Schriften zur Reform des Verwaltungsrechts, Hrsg. Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann. 23 Hierzu Schmitz/Prell, Verfahren über eine einheitliche Stelle - Das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, NVwZ 2009, 1; Prell, Das vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (4. VwVfÄndG) – Einführung des „Verfahrens über eine einheitliche Stelle“ im Verwaltungsverfahrensgesetz, apf 2009, 65. 24 Hierzu Schmitz/Prell, Europäische Verwaltungszusammenarbeit – Neue Regelungen im VwVfG, NVwZ 2009, 1121. 25 Dies hoffte Ziekow, Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, GewArch 2007, 217 (225); ders., Allgemeines und bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, FS Bartlsperger, 2006, S. 247 (257 f.); zum Verhältnis deutsches/europäisches Recht prägnant Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 94 ff. 26 RegE Brandenburg, Gesetz zur Einführung des Einheitlichen Ansprechpartners für das Land Brandenburg und zur Änderung weiterer Vorschriften, LT-Drs. 4/7370, S. 33; Schulze, Die „heimliche Änderung“ des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Brandenburg, LKV 2009, 547 (549).

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1. Einheitliches Verwaltungsverfahrensrecht Die weitgehende Harmonisierung, die bisher das Verfahrensrecht des Bundes und der Länder prägte, hat sich bewährt. 27 Dieses Prinzip der Einheitlichkeit des Verfahrensrechts und seines Vollzugs28 in der Bundesrepublik Deutschland29 erfordert eine Anpassung der LVwVfGe an die Regelungen des VwVfG. Da insbesondere wegen § 1 Abs. 3 VwVfG die meisten Genehmigungsverfahren nach Landesrecht abgewickelt werden30, könnten die jeweiligen Ziele von Novellierungen des VwVfG, z. B. Beschleunigung von Verfahren, Umsetzung von EU-Recht, Öffnung für eGovernment, andernfalls nicht erreicht werden31. Bei der Übernahme der Bundesregelung ist es von entscheidender Bedeutung, dass diese vollständig und ohne Modifikationen erfolgt. Wenn einzelne Bundesländer von einer wortgleichen Umsetzung in Landesrecht absehen, entstünde innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bei der Ausführung von Bundesrecht ein Rechtsgefälle zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern. 32 Dadurch entfiele auch die für eine einheitliche Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts so wichtige Revisibilität des Landesverwaltungsverfahrensrechts nach § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO.33 Solche Unterschiede wären nicht nur der – bisher im Wesentlichen – bewahrten Rechtseinheit abträglich. Ein von Bundesland zu Bundesland differierendes Verfahrensrecht hätte fatale Folgen für die Bemühungen um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das gute Funktionieren der Verwaltung ist hier ein Wett___________ 27

Blümel (o. Fn. 5), S. 79, 80. Gem. § 137 Abs 1 Nr. 2 VwGO ist die Anwendung einer Vorschrift der LVwVfGe durch das BVerwG revisibel, soweit die Vorschrift ihrem Wortlaut nach mit dem VwVfG des Bundes übereinstimmt. 29 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (o. Fn. 14), Einl Rn. 36 ff., 86; Bonk/Schmitz, ebda., § 1 Rn. 288; Klappstein/v. Unruh, Rechtsstaatliche Verwaltung durch Gesetzgebung, 1987, S. 136 ff. 30 Vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (o. Fn. 14), § 1 Rn. 71. 31 So hat bei dem GenBeschlG 1996 die Bundesregierung hat stets darauf hingewiesen, dass die Übernahme der Regelungen in die Landesverwaltungsverfahrensgesetze unabdingbar ist, um eine wirkungsvolle Verfahrensbeschleunigung zu erreichen: z. B. Vorblatt des Gesetzentwurfs, Buchst. D, BT-Drs. 13/3995; auch MdB Schlee in der 2./3. Lesung im Bundestag, BT-StenBer.-Plenarprot. 13/116, S. 10347. Bundesinnenminister und Chef des Bundeskanzleramts hatten mit Schreiben ihre Länderkollegen nachdrücklich gebeten, für die vollständige Übernahme Sorge zu tragen. Hierzu Schmitz, 20 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Neue Tendenzen im Verfahrensrecht auf dem Weg zum schlanken Staat, NJW 1998, 2866 (2867). 32 Vgl. Kahl, Das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Kodifikationsidee und Sonderrechtsentwicklungen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (o. Fn. 7), S. 67 (79), der die Gefahr der Zersplitterung als vertikale Dekodifikation beschreibt, dagegen Burgi (o. Fn. 6), S. 47. 33 So auch Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. (2009), § 5 Rn. 21. 28

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bewerbsfaktor34. Die Normenvielfalt ist bereits jetzt selbst für Spezialisten nahezu unüberschaubar. Investoren würden erheblich verunsichert, wenn sie sich in jedem Bundesland auf eine jeweils andere verfahrensrechtliche Situation einstellen müssten. Keine Änderung ist in den Ländern erforderlich, deren LVwVfGe statt einer Wiederholung des VwVfG eine dynamische Verweisung auf dieses in der jeweils geltenden Fassung enthalten35.

2. Vermeidung von Sonderverwaltungsverfahrensrecht in Fachgesetzen des Bundes Die Verwaltungsverfahrensgesetze werden weiterentwickelt. Aus Sicht des Bundes hat die Staatssekretärin des Bundesinnenministeriums hierzu gestern schon einiges gesagt, so dass ich mich hier kurz fassen kann. Bei jeglicher Rechtsetzung ist stets das generelle und vorrangige Ziel der Deregulierung zu beachten. Neue Gesetze sind danach nur dann gerechtfertigt, wenn für sie ein unabweisbares Bedürfnis besteht und das Gewollte nicht auch ohne gesetzliche Regelung erreicht werden kann.36 Ebenso wenig dürfen Änderungen die Rechtssicherheit gefährden, die seit 35 Jahren bei der Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze gewachsen ist. In diesen Jahren hat sich immer wieder gezeigt, dass nur die Simultangesetzgebung eine Partikularisierung des Verfahrensrechts verhindert. Unabdingbare Voraussetzung für die Abwehr vielfältiger Bestrebungen der Ressorts, Sonderverwaltungsverfahrensrecht in ihren Fachgesetzen zu schaffen,37 war die Gewährleistung einer einheitlichen Umsetzung des Fachrechts in allen Ländern. In aller Klarheit kann hier nur festgehalten ___________ 34 Vgl. Pünder, Zur Verbindlichkeit der Kontrakte zwischen Politik und Verwaltung im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells, DÖV 1998, 63. 35 Durch diese Sicherung permanenten Gleichklangs wird dem Anliegen, ein für Bund und Länder einheitliches Verwaltungsverfahrensrecht zu schaffen und zu erhalten, besonders effektiv Rechnung getragen. Vgl. Schmitz, NJW 1998, 2866 (2867); Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (o. Fn. 14), § 1 Rn. 76; Giegerich, DÖV 1989, 379 (383). 36 Für das Verwaltungsverfahrensrecht kommt hinzu, dass Regelungen der Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren dienen müssen und nicht einer weiteren Bürokratisierung und Verkomplizierung (etwa durch zu weitgehende Verrechtlichung von Abläufen und Verlust von Handlungsflexibilität) Vorschub leisten dürfen. 37 Zur Dekodifikation durch das (gescheiterte) UGB I Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (o. Fn. 14), § 2 Rn. 2 ff.; Schmitz, 20 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Neue Tendenzen im Verfahrensrecht auf dem Weg zum schlanken Staat, NJW 1998, 2866 (2870 f.); Durner, Die Reform des Wasserrechts im Referentenentwurf zum Umweltgesetzbuch, NuR 2008, 293 (296); Schönenbroicher/Gregor, Der Streit um das UGB I – Verfahrenskonzentration im Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrecht, NWVBl 2009, 329 (335); Weber/Riedel, Brauchen wir das Umweltgesetzbuch noch? Wider die Legendenbildung über das gescheiterte UGB, NVwZ 2009, 998; Burgi (o. Fn. 6), S. 42.

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werden: Das Ausscheren eines Landes bei einer wesentlichen Regelung der Verwaltungsverfahrensgesetze würde alle Bemühungen um Rechtsbereinigung durch Beseitigung bereichsspezifischen Verfahrensrechts zunichtemachen.

VwVfG, AO, KAG, SGB X und UGB? Wie viele „Säulen“ braucht das Verwaltungsverfahrensrecht?* Klaus Schönenbroicher

I. Die „Säulen“ Wenn man von mehreren „Säulen“ des Verwaltungsverfahrensrechts spricht und diese in Beziehung setzt zu dem Gedanken einer Kodifikation des Verfahrensrechts, so zeigt sich sogleich ein Widerspruch, denn eine ernsthafte Kodifikation sollte in einem einzigen Normwerk vollzogen werden1. Lässt man die in Praxis und Rechtsprechung bedeutsamen Kommunalabgabengesetze aus methodischen Überlegungen ebenso fort wie den 2009 (vor dem Einbringungsbeschluss des Bundeskabinetts) gescheiterten Entwurf eines UGB I,2 so verbleiben als „Säulen“ de lege lata die Abgabenordnung, das SGB X und die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder. Die älteste dieser Normen ist die auf die Reichsabgabenordnung von 1919 zurückgehende Abgabenordnung. Die Reichsabgabenordnung, maßgeblich formuliert von Enno Becker, war ein präzises und knappes Meisterwerk der Gesetzgebungskunst,3 auf Reichsvereinheitlichung4 und Einnahmeerzielung angelegt, aber durchaus schon mit rechtsstaatlich-verfahrensrechtlichen Rege___________ * Die Vortragsform wurde beibehalten, ergänzt um wenige weiterführende Hinweise. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder. 1 Vgl. Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, S. 26 f.; Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 426, 432 m. w. N. Gegen die Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts in einem allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz sprach sich seinerzeit u. a. Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, in: VVDStRL 17 (1959), S. 118 (141 ff., 161) aus, für die Kodifikation Ule, ebenda, S. 224 f. Die Argumente für und wider sind zusammengestellt bei Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995, § 5 Rn. 1 ff. 2 Näher m. w. N. Schönenbroicher, Das Verwaltungsverfahrensgesetz als Regelungsstandort für Konzentrationswirkungen bei Genehmigungen?, in: Burgi/ Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 82 ff. 3 Vgl. nur Schneider (Fn. 1), Rn. 99. 4 Zum zentralistisch-technokratischen Konzept der Finanzverfassung seit 1918 grdl.: Waldhoff, Finanzautonomie und Finanzverflechtung in gestuften Rechtsordnungen, in: VVDStRL 66 (2007), S. 216 (233 ff.).

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lungen; man könnte in den Kategorien der Kunstgeschichte von der gewissermaßen strengen „dorischen Säulenordnung“ sprechen. Die heutige Abgabenordnung mag man freilich als ein wenig ausgeufert charakterisieren,5 die dtvBeck-Textausgabe weist 2011 fast 600 Seiten Rechtstexte (Gesetz und Verwaltungsvorschriften) aus. Aus dieser Sicht stellt das Buch X des Sozialgesetzbuchs von 1980 eine zweite bereichsspezifische verfahrensrechtliche Vollregelung dar, und, in den Kategorien der Kunstgeschichte gesprochen, mögen AO und SGB X den einen oder anderen ein wenig an die ionische Säulenordnung der hellenisch-kleinasiatischen Spätphase erinnern. Hier zeigt sich beiläufig auch, wie umfassend der Sieg des Interventions- und Wohlfahrtsstaates nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland gewesen ist. 6 Ebenso wird deutlich, dass man all diese modernen Entwicklungen und Mechanismen kaum mehr in den – in mehrfacher Hinsicht zeitgebundenen – Kategorien Savignys erfassen kann.7 Zur Rechtfertigung des SGB X wird berichtet, sozial schwächere Bürger seien beteiligt, die stärker zu schützen seien, auch in ihrem Vertrauen in einmal ___________ 5

Insofern passt sie in das derzeitige „System“ des Steuerrechts, vgl. P. Kirchhof, Das Gesetz der Hydra, 2006. 6 Vgl. die jährlichen Sozialberichte des zuständigen Bundesministeriums: deutsches Sozialbudget 2009 ca. 750 Mrd. Euro, vor wenigen Jahren lag das gesamte Bruttoinlandsprodukt Indiens noch darunter. Zu den gravierenden Zukunftsproblemen etwa Sodan, Die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, in: VVDStRL 64 (2005), S. 144 ff. 7 Savignys Vorstellungen vom deutschen Recht, das nach den Befreiungskriegen aus seiner Sicht anzustreben war, waren hochromantisch: „Wir werden etwas höheres erreicht haben, als bloß sichere und schnelle Rechtspflege: der Zustand klarer, anschaulicher Besonnenheit, welcher dem Recht jugendlicher Völker eigen zu seyn pflegt, wird sich mit der Höhe wissenschaftlicher Ausbildung vereinigen. … Als das Jüdische Volk am Berge Sinai das göttliche Gesetz nicht erwarten konnte, machte es aus Ungeduld ein goldenes Kalb, und darüber wurden die wahren Gesetztafeln zerschlagen“; Savigny meinte, auf keines der vorhandenen Gesetzbücher (Code Civil, ALR, österr. Gesetzbuch) könne eine „wirkliche lebendige Rechtswissenschaft“ gegründet werden (Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1828, S. 133 f., 146 ff.). Mit der Ausblendung der repressiven gesellschaftlichen Verhältnisse (Machtherrschaft des Adels) und der recht naiv anmutenden Beschwörung eines angeblichen Volksgeistes einerseits und der Betonung der „fachlichen“ (dezidiert unpolitisch vorgestellten) juristischen Kunstfertigkeiten andererseits läutete die Schrift 1814 geistesgeschichtlich schon die Restauration nach dem Wiener Kongress ein. Die entscheidenden Gesichtspunkte für oder gegen eine umfassende deutsche Zivilrechtskodifikation nach den Befreiungskriegen spricht Savigny indes nur beiläufig oder gar nicht an: Gefahr der weiteren Rechtszersplitterung aufgrund der nicht gegebenen Einheit Deutschlands (einschließlich Österreichs); das Fehlen sowohl einer gesamtgesellschaftlichen Repräsentation (Bruch der Verfassungsversprechen) wie auch einer (in heutigen Begriffen) gesetzgebungstechnisch versierten Ministerialbürokratie; keine allgemein akzeptierte Methoden- und Gesetzgebungslehre etc. – Aktuelle Diskussion: Hillgruber, Verfassungsrecht zwischen normativem Anspruch und politischer Wirklichkeit, in: VVDStRL 67 (2008), S. 7 ff.

Wie viele „Säulen“ braucht das Verwaltungsverfahrensrecht?

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gewährte Sozialleistungen; hinsichtlich der AO wird auf die Mitwirkungswirkungspflichten des Steuerpflichtigen und die Rücksicht auf die materiellen Steuerregelungen hingewiesen.8 Beide Begründungen vermögen indes nicht zu überzeugen. Das SGB betrifft keineswegs nur sozial schwächere Bürger, man denke nur an die vermachteten Lobbyinteressen und die Einkommensverhältnisse von Berufsgruppen wie den Laborärzten. Zudem implizierte diese Auffassung die unzutreffende Annahme, das VwVfG sei „sozial unausgewogen“ (wie immer man dies definieren mag). Dass beide Gesetze umfangreiche Vollregelungen enthalten und Verweisungen auf das VwVfG vermeiden, wird man vor allem mit dem von Frido Wagener beschriebenen Streben nach Fachautarkie, der „Lust auf Selbstbestimmung in vertikalen Fachbruderschaften“9 in einen Erklärungszusammenhang setzen können. Dieses Phänomen dürfte auch für die Tatsache verantwortlich sein, dass AO, SGB (X) und VwVfG nur wenig aufeinander abgestimmt sind. Anhand vieler Beispiele könnte dies belegt werden, etwa hinsichtlich der derzeitigen Diskussionen um die Zulässigkeit des „Ersetzenden Scannens“ (§ 110 a SGB IV).

II. Die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder Die Vorstellung, das Verfahren der Verwaltung allgemein zu regeln, gewann in den 1950er-Jahren Raum, zumal es vermehrt zu partikularen Regelungen wie jener zur Kriegsopferversorgung (1955) gekommen war.10 Eine Bund-LänderKommission unter Vorsitz des späteren Staatssekretärs im NRW-Innenministerium Dr. Fritz Rietdorf, beraten von den Professoren Fröhler, Bachof und Ule, erarbeitete in vorbildlich kurzer Zeit (1960–1963) einen Musterentwurf, welcher indes Dogmatik und Sichtweise der Eingriffsverwaltung verhaftet blieb; das Preußische Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 und das nordrhein___________ 8 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 7. Aufl. 2008, Einleitung Rn. 50 ff. sowie Schmitz, ebenda, § 2 Rn. 95. 9 Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, in: VVDStRL 37 (1979), S. 215 (238, 296 f.). Vgl. auch den Diskussionsbeitrag von Ule, VVDStRL 17 (1959), S. 234: jedes Ressort gestalte sein eigenes Verwaltungsverfahrensrecht. Von der „Verdammnis unserer Zeit zur Gesetzgebung“ hat Mußgnug gesprochen (Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, in: Hill [Hrsg.], Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 23 [28]). 10 Für den Hinweis auf die Kriegsopferversorgung danke ich Herrn Professor Dr. Merten. In der Tat hatte der Bund 1951 die seit 1920 Reichsbehörden vorbehaltene Kriegsopferversorgung als Auftragsverwaltung an die Länder gegeben und sodann mit einem eigenen Verfahrensrecht versehen. Aufgrund der Föderalismusreform I konnte NRW die Aufgaben kommunalisieren, dies ist erschöpfend nachgezeichnet in BSG, Urteil vom 11.12.2008, RBeckRS 2009 65761. Vgl. ferner Palmen/Schönenbroicher, Die Verwaltungsstrukturreform in Nordrhein-Westfalen, in: Palmen/Burgi (Hrsg.), Die Verwaltungsstrukturreform des Landes Nordrhein-Westfalen, Vortragsband, 2008, S. 9 ff.

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westfälische Ordnungsbehördengesetz von 1956 dürften insoweit prägende Bedeutung gehabt haben. Endlos erscheinende Diskussionen um Kompetenz- und Machtfragen schlossen sich an.11 Wäre Schleswig-Holstein nicht 1968 vorangegangen, wäre es vielleicht bis heute nicht zur Verabschiedung der Verwaltungsverfahrensgesetze gekommen; Sendler, Mitglied der Rietdorf-Kommission für Berlin, hat Schleswig-Holstein bescheinigt, dadurch, dass es den „Musterentwurf aus dem gleichsam theoretischen Retortenstadium in die Lebenswirklichkeit der Praxis gehoben hat“, habe es ein „vorzügliches Versuchsfeld für die Erprobung“ eröffnet.12 Zum Inkrafttreten 1977 waren mehrere Rechtsgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts schon durch die „Fachgesetzgeber“13 aufgegriffen (insbesondere das Verfahrensrecht des Immissionsschutzes ist zu nennen)14; der Sozialbereich zog, wie schon erwähnt, 1980/82 nach. Die Verwaltungsverfahrensgesetze sind aus dogmatischer und rechtstechnischer Sicht ebensolche Meisterwerke wie die Reichsabgabenordnung von 1919, wobei auf ihre – oft beschriebene15 – Funktion als Angebots- und Grundsatzgesetzgebung besonders hinzuweisen ist. Aus neuerer Zeit sind insoweit zum Beispiel die präzisen Formulierungen zur Europäischen Verwaltungszusammenarbeit (§§ 8a ff.) bzw. zur – rechtspolitisch zugegeben umstrittenen – Genehmigungsfiktion nach § 42a16 zu nennen. Zu der anstehenden Novellierung des § 3a wird man eine positive Prognose wagen dürfen. Rechtsänderungen wurden bisher in der Konferenz der Verwaltungsrechtsreferenten der Länder unter Vorsitz Nordrhein-Westfalens vorbereitet und – in der Regel17 – im Wege der sog. Simultangesetzgebung in die Gesetze des Bundes und der Länder eingefügt.18 ___________ 11

Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 8), Einleitung Rn. 29 ff. In der Aussprache der Staatsrechtslehrertagung 1958 (VVDStRL 17, S. 231) ergriff der österreichische Professor Schima das Wort, „um als einer der ältesten anwesenden Österreicher auf Grund seiner langjährigen Wahrnehmungen Fn. 8 zu bekunden, dass die erziehende Gewalt der Verwaltungsverfahrensgesetze gar nicht überschätzt werden könne. Herr Melichar (der österreichische Mitberichterstatter) habe die schreckliche Zeit vor Erlass der Verfahrensgesetze nicht mehr selbst erlebt; er, Schima, kenne sie aber noch“. 12 Erörterungen über ein Verwaltungsverfahrensgesetz, in: AöR 94 (1969), S. 130 (156). 13 Ein unpräziser, gleichwohl eingeführter Begriff. 14 Dazu Sendler, Verwaltungsverfahrensgesetz und Umweltgesetzbuch, in: NVwZ 1999, 132 ff. 15 Vgl. insbes. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 8), § 1 Rn. 1 ff. 16 Umfassend Uechtritz, Die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG, in: Burgi/Schönenbroicher (Fn. 2), S. 61 ff. 17 Eigenständige Regelungen in einzelnen Ländern hat es immer gegeben, so in einzelnen Ländern etwa zum Planfeststellungsrecht. 18 Näher Schmitz in diesem Band.

Wie viele „Säulen“ braucht das Verwaltungsverfahrensrecht?

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Die Diskussionen um das UGB AT haben den Blick indes erneut auf die schon lange beklagte „Verlustliste“ der Verwaltungsverfahrensgesetzkodifizierung gelenkt.19 Schon erwähnt wurde, dass die dogmatische Struktur der Gesetze an der Eingriffsverwaltung ausgerichtet ist, mit dem Handlungsinstrument „Verwaltungsakt“ im Mittelpunkt.20 Nicht nur fehlt eine grundlegende Regelung des Anzeige- und Genehmigungsverfahrens, auch zu dem gesamten Thema der Eröffnungskontrollen verschweigen sich die Verwaltungsverfahrensgesetze. Die Heilungsvorschriften – besonders jene hinsichtlich der Verletzung der Anhörungspflicht – stehen immer wieder im Zentrum rechtspolitischer Diskussionen. Die in der Verwaltungspraxis überragend wichtige Konzentrationswirkung, im UGB-Entwurf Kernelement des AT, findet sich nur bei der Planfeststellung (§ 75 Abs. 1 VwVfG) – als ob sie sonst keine Rolle spielen würde und verwaltungspraktisch ohne Bedeutung wäre. Grundsatz- und Angebotsgesetzgebung auf diesen und anderen wichtigen Feldern findet nicht statt; von einer prägenden Rolle der Verwaltungsverfahrensgesetze kann nicht die Rede sein, der „Wildwuchs“ von Instrumenten und Bezeichnungen etwa im Bauordnungs- oder Wasserrecht zeigt die staatspraktische Bedeutung dieses Umstands überdeutlich. Nordrhein-Westfalen hat sich daher im Jahre 2009 entschlossen, den Professoren Dr. Martin Burgi (Ruhr-Universität Bochum) und Dr. Dr. Wolfgang Durner (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) den Auftrag zu erteilen, rechtsförmlich ausformulierte Vorschläge zur Modernisierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorzulegen.21 Im Falle der entsprechenden politischen Meinungsbildung würde nicht nur eine – sicher vorrangig anzustrebende – bundesweit einheitliche Änderung der Gesetze, sondern auch eine landesbezogene Einführung neuer Instrumente und Institute als Angebotsgesetzgebung in Betracht kommen. Die bislang praktizierte „Simultangesetzgebung“ sieht sich nicht erst aufgrund der Länderforderungen und Ergebnisse der Föderalismus-

___________ 19 Vgl. vor allem Wahl, Fehlende Kodifizierung der förmlichen Genehmigungsverfahren im Verwaltungsverfahrensgesetz, in: NVwZ 2002, 1192 ff.; Schmitt Glaeser, Anspruch, Hoffnung und Erfüllung. Das Verwaltungsverfahren und sein Gesetz – eine einleitende Bemerkung, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, Festschrift BoorbergVerlag, 1977, S. 1 ff.; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 8), § 2 Rn. 1 ff.; Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, in: NVwZ 2005, 263 ff. („Agonie der Wissenschaft vom Verwaltungsverfahrensrecht“). Ausführlich zur Entwicklung und zu den Rollen von Politik und Wissenschaft: Voßkuhle, Das Verwaltungsverfahren im Spiegel der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Burgi/Schönenbroicher (Fn. 2), 2010, S. 13 ff. 20 Zur Bedeutung des Verwaltungsakts m. w. N.: U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs (Fn. 8), § 35 Rn. 2 ff. 21 Vgl. Burgi und Durner in diesem Band.

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kommission I grundsätzlich in Frage gestellt.22 Es spricht verfassungsrechtlich und rechtspolitisch nichts dagegen, dass einzelne Bundesländer – wie seinerzeit Schleswig-Holstein – bei Novellen vorangehen, wenn die Einheitlichkeit der Grundstrukturen und Begriffe gewahrt bleibt; Letzteres ist insbesondere der Fall, wenn Vorschriften vorgesehen werden, ohne dass inhaltliche Änderungen im Verhältnis zu bestehenden Bundes- oder Ländervorschriften verfügt werden.

III. Der gescheiterte Entwurf eines Umweltgesetzbuchs (Allgemeiner Teil) Weiteres partikulares (allgemeines) Verwaltungsverfahrensrecht in Deutschland sollte aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und einer möglichst schlanken, präzisen Gesetzgebung vermieden werden. Nicht nur dieser Gesichtspunkt sprach und spricht gegen ein UGB; auch ist die Tatsache zu nennen, dass der vorhandene Bestand an Umweltrechtsvorschriften (cum grano salis) in der Verwaltungspraxis bewährt und durch die Rechtsprechung ausjudiziert ist. Mit den zahlreichen neuen Grundsatzregelungen und unbestimmten Rechtsbegriffen des UGB wären dagegen wiederum Grundsatzstreitigkeiten aufgeworfen worden, deren Klärung durch die Rechtsprechung ein Jahrzehnt oder länger gedauert hätte, verbunden mit neuen (grundsätzlichen) rechts- und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen und überdies zu erwartenden starken Ingerenzen europäischer Organe.

IV. Europa Was den Einfluss des EU-Rechts angeht, sollten Änderungen in den VwVfG erst und nur insoweit erfolgen, als die entsprechende Rechtsentwicklung abgeschlossen und von Deutschland nicht mehr zu beeinflussen ist.23 Solange dies nicht der Fall ist, sollte Deutschland (hier ist in erster Linie die Bundesregierung und dort BMI, BMJ sowie BMWi gefordert) stets für die Beibehaltung bzw. europäische Übernahme seiner Institute, Instrumente und rechtspoliti___________ 22

Bewertung der Ergebnisse der FöKo I im Hinblick auf die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen des Landes: Schönenbroicher, in: Heusch/Schönenbroicher (Hrsg.), Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, 2010, Art. 1 Rn. 52 ff. 23 Zu § 48 Abs. 4 VwVfG (Entreicherungseinwand) vgl. Kahl in diesem Band. Zu den internen Schwierigkeiten der europäischen Organe, selbst zu einheitlichen verwaltungsrechtlichen Vorstellungen zu finden: Priebe, Gemeinsame europäische Verwaltungskultur?, in: Hill (Hrsg.), Staatskultur im Wandel, 2002, S. 159 ff. Nachzeichnung der europäischen Entwicklungen bei Hill, Verwaltungskommunikation und Verwaltungsverfahren unter europäischem Einfluss, in: Hill/Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 273 ff.

Wie viele „Säulen“ braucht das Verwaltungsverfahrensrecht?

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schen Grundentscheidungen werben. Als Beispiel wäre auf das erfolgreiche Eintreten der Bundesregierung für die Europafestigkeit des Entreicherungseinwands in den Rs. Deutsche Milchkontor (205 bis 215/82) und Ölmühle (C-298/96) hinzuweisen. Freilich kann es aufwendig und anspruchsvoll sein, in Ratsberatungen und Komitologie deutsches Recht hochzuhalten – im Kreis von derzeit 27 Mitgliedstaaten und bei dem Initiativrecht der Kommission.24 Es besteht indes kein Anlass, Rat oder Kommission Rechtsetzungsmacht hinsichtlich des (Allgemeinen) Verfahrensrechts einzuräumen bzw. Kompetenzübergriffe der Kommission, des Rats oder des Parlaments wehrlos hinzunehmen.25 Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie erscheint (auch vor diesem Hintergrund) nicht nur bedenklich. Sie könnte vielmehr als Beleg für die Einschätzung herangezogen werden, wie verfehlt eine Brüsseler Suprematie auf dem Gesetzgebungsfeld des Verwaltungsverfahrensrechts wäre: Die Einführung des einheitlichen Ansprechpartners, überflüssig und von der Kommission aufoktroyiert (mit der üblichen Androhung von Vertragsverletzungsverfahren bei nicht fristgerechter Umsetzung), hat in Deutschland erheblichen Aufwand und Kosten (hinsichtlich Gesetzgebung und Verwaltung) verursacht. Die Bedeutung in der Verwaltungspraxis geht indes – mit „Ansage“ – gegen Null,26 so dass manche „eA“ sich gerade auf die Suche nach „Verwaltungskunden“ machen. Parkinson27 hätte seine helle Freude gehabt.

V. Novellierung der Verwaltungsverfahrensgesetze Die Fortentwicklung der Verwaltungsverfahrensgesetze bietet die Chance zur erneuten Systematisierung, Gestaltung, inhaltlichen Vereinheitlichung und Verschlankung z. T. disparater Regelungen im (Besonderen) Verwaltungsrecht, und dies im Wege der Angebots- und Grundsatzgesetzgebung.28 Auf die ge___________ 24 Zur machtpolitisch überragenden Rolle der Kommission im Rechtsetzungsprozess (Initiativrecht und Komitologie): Schönenbroicher, Zum Stand der europäischen Integration. Beobachtungen und Bemerkungen aus der Praxis des EU-Rechts und der EUPolitik, in: Depenheuer/Heintzen/Jestaedt/Axer (Hrsg.), Nomos und Ethos. Hommage an Josef Isensee zum 65. Geburtstag von seinen Schülern, 2002, S. 479 (487 ff.). 25 Vgl. Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, in: Die Verwaltung 2009, S. 463 (475). Den dringenden verfassungsrechtlichen Prüfbedarf hinsichtlich europäischer Neuerungen hat Durner jüngst am Beispiel des europäischen „Verbraucherschutzregulierungsrechts“ dargelegt (VVDStRL 70, i. E.). 26 Entsprechende Prognose schon bei Palmen/Schönenbroicher (Fn. 10), S. 9 (35). 27 Parkinsons Gesetz und andere Studien über die Verwaltung (1957), dt. Ausgabe 2001, passim. 28 Zum Innovationsgedanken zu Recht abwägend: Brüning, Innovation in und durch Gesetzgebung, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Innovationen im und durch Recht, 2010, S. 85 ff.

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Klaus Schönenbroicher

wachsene Bedeutung der Länder im Bereich von Verfahren und Organisation der Verwaltung nach der Föderalismusreform I ist besonders hinzuweisen. Bislang zu Unrecht unbeachtete Instrumente und Institute wie das allgemeine Anzeige- und Genehmigungsrecht bzw. die Konzentrationswirkung (außerhalb der Planfeststellung) aufzugreifen, hat Wahl schon vor zehn Jahren als vornehme Verpflichtung derjenigen charakterisiert, die federführend mit Verwaltungsverfahrensrecht befasst sind.29 Nordrhein-Westfalen wird sich dieser Verpflichtung stellen. Die Frage nach der Zahl der notwendigen „Säulen“ sollte vor diesem Hintergrund recht eindeutig zu beantworten sein: Eine reicht eigentlich, mehr als drei sollten es nie werden.30

___________ 29

Wahl (Fn. 19). Hufen hat die „entschlossene Fortführung der Kodifikation des Allgemeinen Verwaltungsrechts über das Verwaltungsverfahren hinaus“ als Anwendungsfall der von ihm vorgeschlagenen „Grundlagengesetzgebung“ beschrieben (Gesetzesgestaltung und Gesetzesanwendung im Leistungsrecht, in: VVDStRL 47 (1989), S. 142 (153). Während ich seinem Kodifikationsvorschlag hinsichtlich des Verwaltungsrechts materiell zustimmen würde, erheben sich gegen die von ihm vorgeschlagene allgemeine neue Kategorie durchgreifende verfassungsrechtliche und staatspraktische Bedenken, näher Schönenbroicher (Fn. 22), Art. 65 Rn. 8 und 78 Rn. 55 ff. (am Beispiel Konnexitätsausführungsgesetz NRW). 30

Kodifikationssinn, Kodifikationseignung und Kodifikationsgefahren im Verwaltungsverfahrensrecht Ulrich Stelkens

In der rechtspolitischen Diskussion und der rechtswissenschaftlichen Literatur werden vielfach – so auch in diesem Band – Erwartungen an das VwVfG und Reformvorschläge für das VwVfG formuliert und die Frage gestellt, welche neuen Entwicklungen eigentlich als Herausforderung gerade für das VwVfG angesehen werden können. Derartige Überlegungen setzen jedoch voraus, dass man sich den Sinn der Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts in einem Verwaltungverfahrensgesetz verdeutlicht – in einem Gesetz, das Fragen des Verwaltungsverfahrens, die sich grundsätzlich in allen Zweigen der Verwaltung stellen können, nach Art eines Allgemeinen Teils vor die Klammer zieht (I). Dieser Kodifikationssinn bestimmt dann auch, welche Materien sich zur Kodifikation in einem solchen Gesetz eignen und welche sich nicht eignen (II). Und ein Fehlverständnis von diesem Kodifikationssinn begründet auch die Kodifikationsgefahren, wobei es hier nicht um die Gefahren für die Kodifikation gehen soll – insoweit reicht der Hinweis auf eine erneute zunehmende Rechtszersplitterung durch fachrechtliche Besonderheiten aus1 –, sondern um die Gefahren, die durch eine Kodifikation entstehen, eben v. a. dann, wenn der Sinn der Kodifikation zunehmend in Vergessenheit gerät.

I. Kodifikationssinn Was ist nun der Sinn der Kodifikation gerade des Verwaltungsverfahrensrechts im VwVfG? Insoweit scheint im Hinblick auf die Zielrichtung und die speziellen Funktionen einer Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts2 nach wie vor maßgebend, was nach der Entstehungsgeschichte des ursprüngli___________ 1 Ausführlich zur seit der Wiedervereinigung wieder „auf vollen Touren laufenden“ Dekodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts: Kahl, Das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Kodifikationsidee und Sonderrechtsentwicklungen, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, Baden-Baden 2002, S. 67 (71 ff.). 2 Allgemein zur Kodifikationsidee im öffentlichem Recht: Kahl (Fn. 1), S. 89 ff.

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Ulrich Stelkens

chen VwVfG3 Anliegen der Gesetzesverfasser war. Nur zu diesem Zeitpunkt war das VwVfG als Gesamtwerk im Blick und stellte sich gerade die Kodifikationsfrage für ein „Gesamtwerk“. Bei den späteren Änderungen ging es dagegen – soweit es sich nicht nur um Minimaländerungen handelte4 – immer „nur“ darum, dieses Gesamtwerk an spätere tatsächliche Entwicklungen anzupassen (Stichwort: Elektronisches Verwaltungsverfahren5), tatsächliche oder vermeintliche Fehlentwicklungen durch Gesetzesänderung zu korrigieren bzw. Problemlösungskompetenz gesetzgeberisch zu signalisieren6 (Stichwort: Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz7) oder auch europäischen Vorgaben nachzukommen, wie dies (bisher leider nur)8 bei dem 4. VwVfÄndG9 zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie der Fall war.

1. Das VwVfG als „handfeste“ Arbeitsgrundlage Das ursprüngliche Anliegen des VwVfG wird im Gesetzesentwurf der Bundesregierung für ein Verwaltungsverfahrensgesetz von 1973, der Grundlage des schließlich in Kraft getretenen VwVfG wurde, recht klar umschrieben. Zur Ausgangslage wird zunächst festgestellt, dass es auf vielen Gebieten überhaupt keine oder aber nur sehr lückenhafte Vorschriften gegeben habe, so dass auf ungeschriebene Rechtsgrundsätze zugegriffen werde. Das Fehlen entsprechender gesetzlicher Bestimmungen habe jedoch dazu geführt, dass in die Fachgesetze auch Bestimmungen über das Verwaltungsverfahren aufgenommen wor-

___________ 3 Zur Entstehungsgeschichte des VwVfG ausführlich: Klappstein/von Unruh, Rechtsstaatliche Verwaltung durch Gesetzgebung, Heidelberg 1987, S. 58 ff. 4 s. hierzu Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl., München 2008, Einl. Rn. 42, 44 ff. 5 Drittes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21.8.2002 (BGBl. I 3322). 6 Schmitz, Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann (Fn. 1), S. 135 (136 ff.). 7 Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz – GenBeschlG) v. 12.6.1996 (BGBl. I 1354). 8 Zum bisher weitgehend „fehlenden Gestaltungswillen“ des Gesetzgebers, die unionsrechtlichen Vorgaben für das mitgliedstaatliche Verwaltungsverfahren im VwVfG umzusetzen: Burgi, Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Umsetzungsdruck und Gestaltungswillen, JZ 2010, 105 (107); Kahl, Die Europäisierung des Verwaltungsrechts als Herausforderung an Systembildung und Kodifikationsidee, in: Axer/Grzeszick/Kahl/ Mager/Reimer (Hrsg.), Das Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase, Die Verwaltung – Beiheft 10, Berlin 2010, S. 38 (73 ff.). 9 Viertes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (4. VwVfÄndG) v. 11.12.2008 (BGBl. I 2418).

Kodifikationssinn, Kodifikationseignung und Kodifikationsgefahren

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den seien. Diese seien aber nicht untereinander abgestimmt.10 So heißt es wörtlich: „Diese Situation führte zwangsläufig zu einer Vielzahl der verschiedensten Vorschriften mit verfahrensrechtlichem Gehalt, die das Verfahrensrecht zu einer unübersichtlichen Materie macht, so daß es auch dem erfahrenen Verwaltungsbeamten, der die Gesetze auszuführen hat, nur schwer möglich ist, einen Überblick über die Gestaltung der einzelnen Verfahren zu behalten. Daß der Staatsbürger keine Chance hat, dieses Dickicht zu durchdringen, bedarf keiner besonderen Erwähnung.“11

Hiervon ausgehend wird dann betont: „Der Erlaß eines guten und praktikablen Verfahrensgesetzes ist für die Verwaltung jedes Staates von eminent politischem Interesse […]. [Durch] ein solches Gesetz [wird] die Arbeitsweise der Behörden entscheidend verbessert. Das Verwaltungsverfahren stellt die Arbeitsgrundlage der Verwaltung dar. Es bestimmt ihre Arbeitstechnik und rationelle Arbeitsweise und hat dadurch entscheidenden Einfluß auf die Verwirklichung staatlicher Aufgaben. Je einfacher und übersichtlicher dieses Instrument „Verwaltungsverfahren“ gestaltet ist, desto besser wird die Effektivität der Verwaltung.“12

Neben dieser Verwaltungssicht wurde auch die Bedeutung eines VwVfG für den Bürger hervorgehoben: „Für den Staatsbürger bedeutet die Vereinheitlichung und Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens eine Stärkung seiner Rechtsstellung. Für ihn ist von besonderer Bedeutung, dass ein einheitliches Verfahrensrecht die Tätigkeit der Behörden übersichtlicher und ihm verständlicher macht. Dadurch wird gleichzeitig auch dem Grundsatz der Rechtssicherheit Rechnung getragen.“13

Das Erstaunliche ist, dass das so formulierte spezifische Kodifikationsanliegen des VwVfG bis heute unumstritten ist.14 Wenn man sich die Überlegungen zur Kodifizierung des Verfahrensrechts auf EU-Ebene – aber auch auf der Ebene des Europarates – ansieht, insbesondere in Zusammenhang mit dem „Grundrecht auf gute Verwaltung“, fallen ebenfalls ganz ähnliche Argumente:15 Auch hier geht es darum, für den einzelnen Verwaltungsbediensteten und den Bürger durch eine Kodifizierung allgemeiner Verfahrensgrundsätze sichtbar zu machen, welche Rechte und Pflichten im Verwaltungsverfahren bestehen und wie ___________ 10

BT-Drs. 7/910, S. 28 (Nr. 1). BT-Drs. 7/910, S. 28 (Nr. 2). 12 BT-Drs. 7/910, S. 28 (Nr. 5). 13 BT-Drs. 7/910, S. 29 (Nr. 5.2). 14 s. beispielsweise Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz – eine Problemskizze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Fn. 1), S. 9 (13 ff.). 15 s. hierzu nur U. Stelkens, Sicherung guter elektronischer Verwaltungspraxis durch „E-Citizen-Charters“, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Innovationen im und durch Recht, Baden-Baden 2010, S. 127 (129 ff.) m. w. N. 11

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Ulrich Stelkens

sich mit Mitteln des Verfahrensrechts Willkürentscheidungen verhindern lassen. Wenn verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen diesen Sinn erfüllen sollen, ergeben sich hieraus relativ konkrete Anforderungen an den Inhalt und die Ausgestaltung einer solchen Kodifikation. Sollen verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmungen Grundlage der täglichen Verwaltungsarbeit sein, müssen sie dem entsprechen. Sie müssen letztlich für die betroffenen Behördenbediensteten und Bürger selbsterklärend sein. Das bedeutet vor allem: Sie müssen unmittelbar operabel sein und dürfen nicht allzu große Wertungsspielräume offen lassen. In der Begründung des Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1963,16 der in der zitierten Regierungsbegründung ausdrücklich als Grundlage für den schließlich zum Gesetz gewordenen Regierungsentwurf bezeichnet wird,17 heißt es insoweit: „Jede übermäßige Perfektion zu vermeiden, war das Bestreben des Ausschusses. Ausnahmefälle von überwiegend theoretischer Bedeutung blieben daher unberücksichtigt. Andererseits wurde das entgegengesetzte Extrem einer Flucht in verfahrensrechtliche Generalklauseln vermieden. Ein Verwaltungsverfahrensgesetz muss für alle interessierten Stellen und nicht zuletzt für die Fachverwaltung ein „handfestes“ Verfahrensrecht bieten.“18

Dass das VwVfG diesen Anforderungen gerecht wird, wird man für weite Teile dieses Gesetzes (mit Ausnahme der §§ 54 ff. VwVfG, hierzu unten II 1) annehmen können.19 Gerade auch deshalb dürfte es zu einem „Exportschlager“ ___________ 16 Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bund-Länderausschusses (EVwVerfG 1963), Köln und Berlin 1964. 17 BT-Drs. 7/910, S. 29 f. 18 EVwVerfG 1963 (Fn. 16), S. 71. 19 Die „Handfestigkeit“ der Regelungen des VwVfG zeigt sich gerade auch bei der Frage, ob der für einen Verfahrensfehler verantwortliche Beamte für einen hierdurch entstehenden Schaden seines Dienstherrn nach § 48 BStG, § 75 BBG haftbar gemacht werden kann. In der Regel besteht nämlich bei Verletzung der StandardVerfahrensvorschriften jedenfalls der §§ 3 ff., §§ 9 ff., §§ 81 ff. VwVfG (unabhängig davon, ob der Fehler nach § 45, § 46 VwVfG heilbar oder unbeachtlich ist) die Vermutung des grob fahrlässigen Handelns. Dies gilt auch und gerade dann, soweit das Verfahrensrecht der Behörde Ermessen einräumt, von der Durchführung bestimmter Verfahrensschritte abzusehen (vgl. z. B. § 28 Abs. 2, § 39 Abs. 2 VwVfG). Hier ist die von der Anwaltshaftung her bekannte Rechtsprechung zur Verpflichtung, bei mehreren Möglichkeiten, die Interessen des Mandanten zu wahren, den „sichereren Weg“ einzuschlagen (grundlegend BGH, Urteil v. 22.9.1958 – III ZR 16/58 – NJW 1959, 141), auf die Rechtsanwendung durch die Verwaltung im Verfahrensrecht zu übertragen: Es besteht kein rechtfertigender Grund, sich bei unklarer Rechtslage allein deshalb gegen die Durchführung von Verfahrensschritten zu entscheiden, weil deren Nichtdurchführung rechtlich zulässig sein könnte, jedoch in jedem Fall auch ihre Durchführung zulässig ist. Siehe zum Ganzen U. Stelkens, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, DVBl. 2010, 1078 (1082).

Kodifikationssinn, Kodifikationseignung und Kodifikationsgefahren

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deutscher Rechtskultur in das europäische und außereuropäische Ausland geworden sein.20

2. Das VwVfG als nicht-abschließende Regelung Schon in dem Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1963 wird auch dargelegt, was nicht Sinn des VwVfG ist. Denn dort heißt es: „Es wäre falsch zu glauben, dass eine Kodifikation des Verfahrensrechts die klärende und rechtsschöpferische Funktion, die die Rechtsprechung auf allen Rechtsgebieten ausübt, gerade hier überflüssig machen würde. [Mit dem VwVfG] ist die Grundlage geschaffen, auf der sich das Recht des Verwaltungsverfahrens in einheitlichen Bahnen weiterentwickeln kann.“21

Dies ist in Zusammenhang mit folgender Aussage zu sehen: „Nur eine gesetzliche Regelung kann die notwendige Klärung der vielen Zweifelsfragen bringen, die auch heute noch das Verwaltungsverfahren belasten. Zwar haben Wissenschaft und Rechtsprechung in vieler Hinsicht klärend gewirkt. Die Gesamtsituation ist aber noch ungefestigt. Diese Labilität ist aber für niemanden wünschenswert.“22

Hieraus folgt v. a., dass das VwVfG nur einen Zwischenschritt in der rechtsstaatlichen Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts darstellen sollte: Das bisher Erreichte sollte kodifiziert werden, nicht jedoch eine Weiterentwicklung verwaltungsverfahrensrechtlicher Grundsätze durch Rechtsprechung und Wissenschaft verhindert werden. Das VwVfG sollte die Grundlage für eine solche Weiterentwicklung bilden, sofern sie notwendig erscheint, ihr aber nicht entgegenstehen. Es sollte das bisher Labile festigen, aber nicht versteinern. Dies ist ein deutlicher Hinweis an Rechtsprechung und Wissenschaft, sich an einer rechtsstaatlich gebotenen Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts im Wege der Rechtsfortbildung durch das VwVfG nicht gehindert zu sehen. Das VwVfG nimmt nur für sich in Anspruch, einen Mindestschutz des Bürgers im Verwaltungsverfahren dadurch zu gewährleisten, dass er „nach dem damaligen Stand der Technik“ mit dem Werkzeug ausgestattet wird, das ihm ermöglicht, das Verfahren zu seinen Gunsten zu gestalten. Zeigen sich diese Werkzeuge nach dem heutigen Stand der Technik als unzureichend, steht das VwVfG ihrer Ergänzung und Modernisierung durch weitergehende unge-

___________ 20 21 22

s. hierzu Kahl (Fn. 1), S. 94 ff. EVwVerfG 1963 (Fn. 16), S. 62. EVwVerfG 1963 (Fn. 16), S. 61.

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schriebene bürgerschützende Rechtsgrundsätze nicht entgegen, sofern diese Notwendigkeit methodengerecht begründet wird.23 Dies gilt zunächst innerhalb des Anwendungsbereichs des VwVfG: Wird ein Verfahrensrecht durch das Gesetz in einer bestimmten Situation ausdrücklich nicht gewährt, bedeutet dies deshalb nicht, dass der Gesetzgeber ein solches Recht in dieser Situation völlig ausschließen wollte.24 Es bedeutet nur, dass es nach dem damaligen Kenntnisstand in dieser Situation nicht für notwendig erachtet wurde. So normiert etwa § 37 Abs. 2 S. 2 VwVfG ausdrücklich nur eine behördliche Pflicht, mündliche oder elektronische Verwaltungsakte schriftlich oder elektronisch zu bestätigen. Dieser „klare Wortlaut“ kann aber nicht sinnvoll der Annahme entgegengehalten werden, es bestehe auch für bestimmte „in anderer Weise erlassener Verwaltungsakte“ eine Pflicht zur schriftlichen oder elektronischen Bestätigung, wenn es hierfür gute Gründe gibt, an die im Gesetzgebungsverfahren nicht gedacht worden ist.25 Ebenso sieht etwa § 28 Abs. 1 VwVfG eine Anhörung nur vor Erlass eingreifender Verwaltungsakte zwingend vor. Dennoch würde das VwVfG einer Rechtsfortbildung nicht entgegenstehen, die dieses Anhörungsrecht auch auf die Fälle beabsichtigter Ablehnung von Anträgen ausweitet. Eine solche Rechtsfortbildung – deren Notwendigkeit hier offen bleiben soll26 – wäre nicht contra, sondern allenfalls extra legem. Entsprechendes gilt aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs des VwVfG: Dass das VwVfG im Wesentlichen nur Verwaltungsverfahren regelt, die auf Erlass von Verwaltungsakten oder auf Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge gerichtet sind, bedeutet nicht, dass nicht jenseits des Anwendungsbereichs des VwVfG ungeschriebene Verfahrensregeln, die Verwaltungsverfahren anderer Art erfassen, entwickelt werden können und sollen. Der beschränkte Anwendungsbereich des VwVfG schließt damit auch die analoge Anwendung seiner Bestimmungen auf andere Verfahrensarten nicht aus (s. u. III. 2.).

___________ 23 U. Stelkens, Europäische Rechtsakte als „Fundgruben“ für allgemeine Grundsätze des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts, ZEuS 2004, 129 (149 f.). 24 Hiervon geht etwa deutlich BVerwG, Urt. 2.7.2003 – 3 C 46/02 – BVerwGE 118, 270 (271) aus, wenn es in einem Fall, in dem das VwVfG keinen Informationsanspruch vorsieht, nicht zögert, einen solchen aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleiten; zur teilw. gegenläufigen Rechtsprechung und Literatur s. aber unten bei Fn. 95. 25 So aber Ruffert, in: Knack/Henneke (Begr. u. Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl., Köln 2010, § 37 Rn. 48, gegen U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 4), § 37 Rn. 92. 26 Zu dieser Diskussion (mit unterschiedlichen Ergebnissen) etwa Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 4), § 28 Rn. 26 ff.; Ritgen, in: Knack/Henneke (Fn. 25), § 28 Rn. 8 ff.

Kodifikationssinn, Kodifikationseignung und Kodifikationsgefahren

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3. Kodifizierung als Instrument zur Steuerung rechtswissenschaftlicher Aufmerksamkeit Weder bei der Entstehung des VwVfG noch bei anderen Kodifikationsarbeiten ausdrücklich angesprochen wird schließlich ein Nebeneffekt einer bundesrechtlichen Kodifikation, den man nicht unterschätzen sollte: Indem der Bundesgesetzgeber eine bestimmte Regelung in eine (größere) bundesrechtliche Kodifikation aufnimmt, entscheidet er letztlich über die Beachtung, die diese Bestimmung in der Rechtswissenschaft finden wird. Hintergrund ist die Tradition des Kommentars, die den Kommentator zwingt, ein gesamtes Gesetz zu kommentieren, auch die Vorschriften, die ihn vielleicht weniger interessieren. 27 Der Bundesgesetzgeber steuert somit mit Aufnahme bestimmter Bestimmungen in eine Kodifikation letztlich den Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung: Denn nicht nur die Kommentatoren selber befassen sich mit den in die Kodifikation aufgenommenen Bestimmungen. Durch die Aufnahme einer Regelung in eine Kodifikation, die von zahlreichen Kommentaren „begleitet“ wird, steigt generell ihre „Prominenz“, was Anlass geben mag, ihr auch den einen oder anderen rechtswissenschaftlichen Aufsatz oder gar eine Monographie zu widmen. So gab es z. B. schon früher vereinzelte Aufsätze zum fiktiven Verwaltungsakt.28 Durch die Aufnahme dieser Rechtsfigur in § 42a VwVfG durch das 4. VwVfÄndG hat sie jedoch nicht nur in den allgemeinen „Einführungsaufsätzen“ zum 4. VwVfÄndG,29 sondern auch darüber hinaus bereits we___________ 27

Zu den Aufgaben des Kommentars Ramsauer, Das Verwaltungsverfahrensrecht im Spiegel der Kommentarliteratur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Fn. 1), S. 387 (399 ff.). 28 Z. B. Caspar, Der fiktive Verwaltungsakt – Zur Systematisierung eines aktuellen verwaltungsrechtlichen Instituts, AöR 125 (2000), 131 ff.; Jachmann, Die Fiktion im Öffentlichen Recht, Berlin 1998; Müller, Über den fiktiven Verwaltungsakt, DÖV 1966, 704 ff.; v. Mutius, Zum Dilemma der fehlerhaften fingierten Bodenverkehrsgenehmigung, VerwArch 67 (1976), 317 ff.; Oldiges, Der fiktive Verwaltungsakt – Bemerkungen auch zu § 15 II BImSchG, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts (UTR) 2000, S. 41 ff.; Ortloff, Die fiktive Baugenehmigung, in: Lenz (Hrsg.), Festschrift für Konrad Gelzer zum 75. Geburtstag, 1991, S. 223 ff.; Sauer, Die Fiktionstatbestände im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren, DVBl. 2006, 605 ff.; Spitzhorn, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren – fingierte Genehmigungen, ZRP 2002, 196 ff.; Steiner, Bindungswirkung und Bestandskraft der fingierten Bodenverkehrsgenehmigung, DVBl. 1970, 34 ff.; Ziekow, Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, GewArch 2007, 217 (221 ff.). 29 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier nur genannt: Eisenmenger, Das Öffentliche Wirtschaftsrecht im Umbruch, NVwZ 2010, 337 (339); Heiß/Jedlitschika, Einheitliche Stelle – elektronisches Verfahren – Genehmigungsfiktion: Neuerungen im Verwaltungsverfahren aufgrund der EU-Dienstleistungsrichtlinie, ThürVBl. 2009, 265 (271 ff.); Krajewski, Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie an Genehmigungsregelungen und ihre Umsetzung im deutschen Recht, NVwZ 2009, 929 (933 f.); Kuhne, Die Implementierung der allgemeinen Anforderungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie im Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetz und weitere Neuregelungen, BayVBl.

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Ulrich Stelkens

sentlich größere Aufmerksamkeit in der Rechtswissenschaft gefunden,30 was hoffentlich die behördliche und gerichtliche Rechtsanwendung erheblich erleichtern wird.

II. Kodifikationseignung Was bedeuten diese spezifischen Funktionen des VwVfG nun für die Frage, welche Gegenstände geeignet sind, in das VwVfG aufgenommen zu werden? Insoweit kursieren bekanntlich regelrechte Wunschlisten31 – von offizieller Sei___________ 2010, 551 (552 f.); Lenders, Aktuelles zum Verwaltungsverfahrensrecht – Teil I, NWVBl. 2009, 457 (458 ff.); Reichelt, Änderungen im Verwaltungsverfahren im Zuge der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie, LKV 2010, 97 (98); Ramsauer, Änderungsbedarf im Verwaltungsverfahrensrecht aufgrund der Dienstleistungs-Richtlinie, NordÖR 2008, 417 (424); Reichelt, Änderungen im Verwaltungsverfahren im Zuge der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, LKV 2010, 97 (98); Röckinghausen, Das „Verfahren über eine einheitliche Stelle“, NWVBl. 2009, 464 (468 f.); Schmitz/Prell, Verfahren über eine einheitliche Stelle – Das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, NVwZ 2009, 1 (7 ff.); Schulz, Das 4. VwVfÄndG – zum weitergehenden Änderungsbedarf im Verfahrensrecht im Kontext der EU-Dienstleistungsrichtlinie, NdsVBl. 2009, 97 (99); Windoffer, Die Gesetzgebungsvorhaben des Bundes und der Länder zur verwaltungsverfahrensrechtlichen Umsetzung der EGDienstleistungsrichtlinie, DÖV 2008, 797 (800 f.); Ziekow, Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Verwaltungsverfahrensrecht, WiVerw 2008, 176 (185 ff.). 30 Bernhardt, Fingierte Genehmigungen nach der Dienstleistungsrichtlinie – Möglichkeiten der Regelung und Einschränkung, GewArch 2009, 100 ff.; Biermann, Verfahrens- und Entscheidungsfristen – Sinnvolle Instrumente zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren oder „Irrweg der Fiktionen“?, NordÖR 2009, 377 ff.; Cancik, Fingierte Rechtsdurchsetzung, DÖV 2011, 1 ff.; Fehling, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, in: Fehling/Grewlich (Hrsg.), Struktur und Wandel des Verwaltungsrechts, Baden-Baden 2011, S. 43 (51 ff.); Guckelberger, Die Rechtsfigur der Genehmigungsfiktion, DÖV 2010, 109 ff.; Hissnauer, Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, Baden-Baden 2009, S. 226 ff.; Hullmann/Zorn, Probleme der Genehmigungsfiktion im Baugenehmigungsverfahren, NVwZ 2009, 756 ff.; Jäde, Die verwaltungsverfahrensrechtliche Genehmigungsfiktion, UPR 2009, 169 ff.; Uechtritz, Die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG, DVBl. 2010, 684 ff.; ders., Die Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG, in: Fehling/ Grewlich (Hrsg.), Struktur und Wandel des Verwaltungsrechts, Baden-Baden 2011, S. 57 ff.; Weidemann/Barthel, Die Genehmigungsfiktion und das 4. VwVfÄndG, JA 2010, 221 ff.; Ziekow, Möglichkeiten zur Verbesserung der Standortbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen durch Einführung von Genehmigungsfiktionen, Berlin 2008; ders., Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für mittelständische Unternehmen durch Einfügung von Genehmigungsfiktionen in das rheinland-pfälzische Landesrecht, LKRZ 2008, 1 ff. und 52 ff. 31 s. z. B. Hoffmann-Riem (Fn. 14), S. 48 ff.; Kahl (Fn. 1), S. 129 ff. Teilweise werden solche Wunschlisten auch in der Form formuliert, dass aufgezählt wird, welche Verfahrensarten und Typen das VwVfG alles nicht berücksichtigt: So etwa bei Pünder, Verwaltungsverfahren, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht,

Kodifikationssinn, Kodifikationseignung und Kodifikationsgefahren

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te wurde eine solche vom früheren Innenminister des Freistaats Thüringen Peter M. Huber als (undatiertes und unveröffentlichtes) „Eckpunktepapier zum Reformbedarf des (Thüringer) Verwaltungsverfahrensgesetzes“ erstellt. Gefordert wird in diesen Wunschlisten u. a. –

die Ausweitung des VwVfG auf weitere Handlungsformen (wobei die exekutivische Normsetzung sowie privatrechtliches und schlichtes Verwaltungshandeln genannt werden);32



die Schaffung weiterer besonderer Verfahrenstypen im VwVfG, wie die des Genehmigungsverfahrens,33 des Anzeigeverfahrens,34 daneben aber auch Verteilungs- und Akkreditierungsverfahren;35



die Reform des Verwaltungsvertragsrechts,36 teilweise bis hin zur Forderung, das Vergaberecht in das VwVfG zu überführen;37



die Einbeziehung auch der sogenannten „internen Verwaltungsverfahren“, also der Verfahrensabläufe innerhalb von und zwischen Behörden, in das VwVfG;38



die (weniger spektakuläre) Aufnahme auch des Verwaltungszustellungsrechts und des Verwaltungsvollstreckungsrechts in das VwVfG.39

___________ 14. Aufl., Berlin 2010, § 13 Rn. 6; Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts II, München 2008, § 27 Rn. 13. 32 s. z. B. Kahl (Fn. 1), S. 130 f.; Pitschas, Entwicklung der Handlungsformen im Verwaltungsrecht – Vom Formendualismus des Verwaltungsverfahrens zur Ausdifferenzierung der Handlungsformen, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, Berlin 1994, S. 229 (231 ff.); im Ergebnis auch Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl., Baden-Baden 2002, Rn. 426 ff. 33 Wahl, Fehlende Kodifizierung der förmlichen Genehmigungsverfahren im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2002, 1192 ff. 34 Schmitz, Moderner Staat – Modernes Verwaltungsverfahrensrecht, NVwZ 2000, 1239 f. 35 Grundlegend für die Herausarbeitung dieser Verfahrenstypen: Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Fn. 2), S. 279 (290 ff.). 36 s. hierzu unten bei Fn. 88. 37 Kahl (Fn. 1), S. 131. 38 Hierzu schon Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17 (1959), 118 (135 f.) (mit der zutreffenden Aussage, dass hier dieselben Regelungen unabhängig davon gelten sollten, ob die Verwaltung nach außen öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich handelt). 39 Schmitt Glaeser, Anspruch, Hoffnung und Erfüllung – Das Verwaltungsverfahren und sein Gesetz, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsverfahren – Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Richard Boorberg Verlags, Stuttgart 1977, S. 1, 6 ff.; für nicht zwingend erachtet bei Spanner, Empfiehlt es sich, den allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts zu kodifizieren?, Verhandlungen des 43. DJT – Band I, 2 Teil A, München 1960, S. 40.

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Der Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI hat eher verhalten auf diese Vorschläge reagiert.40 Der Thüringer Vorstoß scheint nach dem Wechsel von Peter Huber zum BVerfG ebenfalls nicht weiter verfolgt zu werden. In Zusammenhang mit der Kodifikationseignung geht es aber ohnehin nicht darum, ob bestimmte Gegenstände in das VwVfG aufgenommen werden sollten. Es geht vielmehr darum, bestimmte Gegenstände nur dann zu regeln, wenn wirklich sicher ist, dass sie dem spezifischen Kodifikationssinn im Verwaltungsverfahrensrecht, der spezifischen Funktion des VwVfG gerecht werden. Wenn sie also der Behörde und dem Bürger in der praktischen Umsetzung helfen. Dies soll im Folgenden anhand zweier Beispiele erläutert werden, bei dem dies bereits in der ursprünglichen Fassung des VwVfG nicht geschehen ist.

1. Das Problem der §§ 54 ff. VwVfG Das erste Negativ-Beispiel sind die §§ 54 ff. VwVfG über den öffentlichrechtlichen Vertrag. Dies zeigt sich daran, dass kaum eine der Bestimmungen der §§ 54 ff. VwVfG ihrem Wortlaut entsprechend ausgelegt wird.41 Problematischer ist jedoch noch, dass die §§ 54 ff. VwVfG keine Antwort auf eine Reihe von Grundfragen liefern, deren gesetzgeberische Beantwortung diese Handlungsform erst wirklich operabel machen würde. Man kann daher sagen, dass die praktische Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Vertrags weniger wegen, sondern trotz seiner Regelung in §§ 54 ff. VwVfG stetig zunimmt. –

So geht zwar das VwVfG davon aus, dass grundsätzlich derselbe Sachverhalt geeignet sein kann, durch Verwaltungsakt oder durch öffentlichrechtlichen Vertrag geregelt zu werden. Es bleibt aber die Grundfrage offen, warum das Gesetz zur Regelung desselben Sachverhalts zwei unterschiedliche Handlungsformen mit unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen, Fehlerfolgenregelungen und unterschiedlichen Durchsetzungsund Vollstreckungsmöglichkeiten vorsieht.42 Dies wird zumeist schlicht als geboten vorausgesetzt, nicht hinterfragt.43 Ebenso bleibt oft offen, nach

___________ 40 „Bewährtes Weiterentwickeln“ – Empfehlung des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern zum Novellierungsbedarf der Verwaltungsverfahrensgesetze, NVwZ 2010, 1078 f.; s. hierzu auch Bonk/Schmitz, in: Stelkens/ Bonk/Sachs (Fn. 4), § 1 Rn. 271 ff. 41 Siehe hierzu die Zusammenstellung bei U. Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, Berlin 2005, S. 961 ff. 42 U. Stelkens (Fn. 25), § 35 Rn. 3. 43 Besonders deutlich ist dieses Nichthinterfragen (weil man es bei einem Werk über die „Grundlagen des Verwaltungsrechts“ eigentlich erwarten würde) bei HoffmannRiem, Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Fn. 31), § 33 Rn. 96 ff., 100 ff.

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welchen Kriterien die Behörde die jeweilige Handlungsform auswählen sollte44 und ob und wie der Bürger auf die Auswahl der Handlungsform Einfluss nehmen und eine bestimmte Auswahl gegebenenfalls auch erzwingen kann45 – eine Frage die z. B. Bedeutung erlangt, wenn es darum geht, ob die Behörde den Eintritt einer Genehmigungsfiktion im Sinne des § 42a VwVfG auch dadurch verhindern kann, dass sie auf den „fiktionsfähigen“ Antrag des Antragstellers nicht mit dem Erlass einer Genehmigung oder deren Ablehnung reagiert, sondern mit einem Angebot auf Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages. –

Die zweite offen gebliebene Frage ist, warum das Gesetz den öffentlichrechtlichen Vertrag eigentlich einem Rechtsregime unterstellt, das mit dem privatrechtlicher Verträge vergleichbar ist. Worin wird die Ähnlichkeit gesehen?46 Auch hier stellt sich die Grundfrage, weshalb nicht eher eine Ähnlichkeit mit dem Verwaltungsakt gesehen wird und wieso sich etwa das Fehlerfolgenregime beim öffentlich-rechtlichen Vertrag grundsätzlich von dem des Verwaltungsakts unterscheidet oder weshalb die Verwaltung bei Verletzung eines durch Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses nach anderen Grundsätzen haftet als bei Verletzung von Rechtsverhältnissen, die durch Verwaltungsakt begründet worden sind.47



Das Hauptproblem der Ausgestaltung der §§ 54 ff. VwVfG scheint aber darin zu liegen, dass das VwVfG keine klare Antwort auf die Frage gibt, ob eine vertragliche Verpflichtung des Bürgers geeignet ist, einen behördlichen Eingriff in die Rechte des Bürgers auch ohne gesetzliche Grundlage zu rechtfertigen: Kann die Verwaltung vom Bürger auf Grund eines Vertrages (gegen eine entsprechende Gegenleistung) mehr oder etwas anderes verlangen als dies das Gesetz ohne Vertrag vorsieht? Auch wenn mittlerweile weitgehend – aber eben auch nur weitgehend – anerkannt ist, dass die selbstbestimmte vertragliche Übernahme von Pflichten Grundrechtsverwirklichung des Privaten und kein Grundrechtseingriff ist, so dass insoweit bereits deshalb der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes nicht

___________ 44 s. hierzu aber Bumke, Verwaltungsakte, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Fn. 31), § 35 Rn. 35 ff. 45 Vgl. hierzu nur BSG, Urt. v. 22.9.2009 – B 4 AS 13/09 – BSGE 104, 185 ff. zur (verneinten) Frage, ob ein Anspruch auf Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II anstelle einer Einzel-Festsetzung von Sozialleistungen durch Verwaltungsakt besteht. 46 Vgl. zur „Unähnlichkeit“ öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Verwaltungsverträge: U. Stelkens (Fn. 41), S. 953 ff. 47 Die Unterschiede in den Entstehungsbedingungen vermögen die Unterschiede in den Rechtsfolgen für sich allein nicht zu rechtfertigen. Anders wohl Bauer, Verwaltungsverträge, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Fn. 31), § 36 Rn. 76.

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gilt,48 scheint § 56 VwVfG dies doch gerade auszuschließen.49 Welchen Vorteil hat dann aber die Verwaltung, wenn sie einen Vertrag an der Stelle eines Verwaltungsaktes wählt? Diese Zusammenstellung von Fragen, die hier nicht beantwortet werden sollen, zeigt, dass es sich bei den §§ 54 ff. VwVfG letztlich um einen frühen Fall der „Signalgesetzgebung“ handelt. Es ging darum, ein „Lebensgefühl“, ein Verwaltungsleitbild zu kodifizieren, nämlich dass des kooperierenden Staates, der dem Bürger nicht obrigkeitlich, sondern partnerschaftlich gegenübertritt.50 Man war sich aber nicht klar darüber, welche Rechtsfolgen man hieran knüpfen sollte. So zeigt sich bei einer Analyse der Entstehungsgeschichte der §§ 54 ff. VwVfG, dass das Hauptanliegen ihrer Aufnahme in das VwVfG nur war, die bisher bestrittene Zulässigkeit der Handlungsform des öffentlich-rechtlichen Vertrages im Hinblick auf zukünftige Einsatzfelder festzuschreiben. Außer dem vagen Hinweis auf die vergleichsweise Erledigung vieler Verfahren in Wiedergutmachungssachen und die Anerkennung öffentlich-rechtlicher Verträge im Anliegerrecht, Wege- und Wegereinigungsrecht und im Bauordnungsrecht51 finden sich aber keine Aussagen in den Gesetzesmaterialien, die eine Vorstellung darüber vermitteln, in welchen Bereichen nach Auffassung der Entwurfsverfasser diese neue Handlungsform anzuwenden sein könnte. Die §§ 54 ff. VwVfG sind daher letztlich auf dem Reißbrett entworfen worden, wobei man sich zudem noch damit begnügen wollte, lediglich „die für die Verwaltungspraxis unbedingt erforderlichen Vorschriften zu schaffen“.52 Herausgekommen ist dabei nicht mehr als „eine mehr oder weniger sporadische Ansammlung von Vorsichtsmaßnahmen zur Verhinderung des Machtmissbrauchs“.53 Tatsächlich konnten die Entwurfsverfasser auch nur auf einen sehr geringen Erfahrungsschatz zurückgreifen, was die rechtlichen Fragen der Durchführung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages betraf.54 Wie die Probleme ___________ 48

Grundlegend wohl Krebs (Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 [1993], S. 248 [265]) und Schmidt-Aßmann (Verwaltungsverträge im Städtebaurecht, in: Lenz [Hrsg.], Festschrift für Konrad Gelzer, München 1991, S. 117 [122]); ferner OVG Koblenz, Urt. v. 5.2.2003 – 8 A 10775/02 – NVwZ-RR 2003, 825 (826); Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, Tübingen 2000, S. 389 ff.; Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, Tübingen 2000, S. 66 ff.; U. Stelkens, Von der Nichtigkeit zur Vertragsanpassungspflicht, Die Verwaltung 37 (2004), 193 (195 ff.). 49 Zur Problematik des insoweit über das verfassungsrechtlich Gebotene „hinausschießenden“ § 56 VwVfG: Butzer, Brauchen wir das Koppelungsverbot nach § 56 VwVfG?, DÖV 2002, 881 ff. 50 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 4), § 54 Rn. 2 f. 51 BT-Drs. 7/910, S. 77. 52 BT-Drs. 7/910, S. 77. 53 So Ossenbühl, Die Handlungsformen der Verwaltung, JuS 1979, 681 (684). 54 So damals auch die Kritik von Baring, Zur Problematik eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, DVBl. 1965, 180 (181 f., mit Fn. 10); ähnlich auch Fiedler, Die materiell-

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bisher in der Praxis gelöst worden waren, blieb den Entwurfsverfassern unbekannt, da es hierüber keine Erhebungen oder Berichte gab. In Rechtsprechung und Literatur waren jedenfalls keine Fragen behandelt worden, die über die bloße Feststellung der Möglichkeit vertraglichen Verwaltungshandelns und der Betonung der Bedeutung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Koppelungsverbots in diesem Zusammenhang hinausgingen.55 Die Entwurfsverfasser konnten daher allenfalls ahnen, wo in Zukunft die Rechtsprobleme des öffentlich-rechtlichen Vertrages liegen könnten. Deshalb konnte damals wohl die Kodifizierung des öffentlich-rechtlichen Vertrages nicht besser gelingen. Deshalb kann aber auch heute eine Reform des öffentlich-rechtlichen Vertragsrechts nicht gelingen, wenn der Gesetzgeber nicht zeitgleich auch diese Grundfragen beantwortet. Eine Gesetzesänderung, die – wie die bisherigen in diese Richtung gehenden Gesetzes-Entwürfe56 – sich letztlich auf ein bloßes Bekenntnis zu Public Private Partnership reduzieren lässt, nützt niemandem und wird auch nicht zur Stärkung vertraglichen Verwaltungshandelns beitragen.57 Eine echte Lösung der Grundfragen des öffentlich-rechtlichen Vertrages, die auch eine Klärung des Verhältnisses von VwVfG und Vergaberecht erfordern würde, scheint allerdings politisch nicht durchsetzbar zu sein. Die Gesetzgebungsmaschine scheint dem Prinzip zu folgen: „Ich sehe die bessere Gesetzgebung und heiße sie gut. Dem politisch Machbaren folge ich.“ Die verschiedenen Ressorts scheinen zudem hier eher gegen- als miteinander zu arbeiten, so ___________ rechtlichen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die Systematik der verwaltungsrechtlichen Handlungsformen, AöR 105 (1980), 79 (90). 55 s. z. B. BVerwG, Urt. v. 24.10.1956 – V C 236.54 – BVerwGE 4, 111 (114 f.); BVerwG, Urt. v. 26.6.1957 – V C 109.56 – BVerwGE 5, 128 (136); BVerwG, Urt. v. 6.7.1973 – IV C 22.72 – BVerwGE 42, 331 (334); BVerwG, Urt. v. 14.11.1975 – IV C 84.73 – BVerwGE 49, 359 (361); Bosse, Der subordinationsrechtliche Verwaltungsvertrag als Handlungsform öffentlicher Verwaltung, Berlin 1974, S. 82 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts – Erster Band: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 283; Salzwedel, Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages, Berlin 1958, S. 107 ff.; ferner die Nachweise bei Pakeerut, Die Entwicklung der Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrages, Berlin 2000, S. 102 f. 56 Hierzu Schmitz, „Die Verträge sollen sicherer werden“ – Zur Novellierung der Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag, DVBl. 2005, 17 (19 ff.); ders., in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 4), § 1 Rn. 278 ff. 57 U. Stelkens, „Kooperationsvertrag“ und Vertragsanpassungsansprüche: Zur beabsichtigten Reform der §§ 54 ff. VwVfG, NWVBl. 2006, 1 ff.; ähnlich auch die Bewertung bei Burgi, Privatisierung öffentlicher Aufgaben – Gestaltungsmöglichkeiten, Grenzen, Regelungsbedarf, Verhandlungen des 67. DJT – Band I, München 2008, D 111 f. Aus der Sicht des Ministerialpraktikers Schmitz leidet derartige Kritik allerdings an fehlender „Einsicht in den realen Aspekt von Gesetzgebung als Signal politischer Problemlösungskompetenz“ (Kooperationsverträge, in: Bauer/Büchner/Brosius-Gersdorf [Hrsg.], Verwaltungskooperation, Potsdam 2008, S. 51 [55]).

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dass sich die Ressortaufteilung als Reformbremse erweist.58 Dies zeigt sich etwa daran, dass offenbar keinerlei vertiefte Kommunikation zwischen dem Bundesinnenministerium (als dem für das VwVfG zuständigen Ressort) und dem Bundeswirtschaftsministerium (als dem für das Vergaberecht zuständigen Ressort) stattfindet, obwohl es inzwischen einen Allgemeinplatz darstellt, dass es sich beim Vergaberecht um Verwaltungsverfahrensrecht handelt59 – und zudem bei öffentlichen Aufträgen i. S. des § 99 GWB, die zugleich öffentlichrechtliche Verträge i. S. des § 54 VwVfG sind, die §§ 9 ff. VwVfG und die §§ 97 ff. GWB auch parallel anzuwenden sind,60 ohne dass das Verhältnis dieser Verwaltungsverfahrensrechtsordnungen zueinander auch nur ansatzweise geklärt wäre.61

2. Das Problem des § 38 VwVfG Ein ähnliches Problem stellt sich bei einer weiteren – weniger spektakulären – Vorschrift des VwVfG, nämlich bei der eigentlich unschuldigen Regelung ___________ 58 Insoweit lassen sich die Überlegungen von Brosius-Gersdorf (Verfassungsrechtliches Ressortprinzip als Hindernis staatlicher Innovationen, in: Hill/Schliesky [Fn. 15], S. 23 ff.), die sich unmittelbar nur mit dem Verhältnis zwischen Ressortprinzip und Querschnittsaufgaben bei der Verwaltungsmodernisierung befasst, auch auf Querschnittsgesetzgebung übertragen, zu der auch und gerade das Verwaltungsverfahrensrecht und das Vergaberecht gehört. 59 Hök, Zum Vergabeverfahren im Lichte des Internationalen Privatrechts, ZfBR 2010, 440 (446 f.); Ruthig, Vergaberechtsnovelle ohne Gesetzgeber, NZBau 2006, 137 (139 ff.) und 208 (213); U. Stelkens (Fn. 41), S. 1015 ff.; Ziekow/Siegel, Das Vergabeverfahren als Verwaltungsverfahren, ZfBR 2004, 30 (33 ff.); Ziekow, Allgemeines und bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Geis/Umbach (Hrsg.), Planung – Steuerung – Kontrolle – Festschrift für Richard Bartlsperger, Berlin 2006, S. 247 (250 f.). 60 Zur Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB (auch) auf öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne des § 54 VwVfG s. nur: BGH, Beschl. v. 1.12.2008 – X ZB 31/08 – BGHZ 179, 84 Rn. 17; BayOblG, Beschl. v. 28.5.2003 – Verg 7/03 – VergabeR 2003, 563 (564 f.); OLG Brandenburg, Beschl. v. 9.9.2004 – Verg W 9/04 – NZBau 2005, 236 (237); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.3.2002 – Verg 43/01 – NZBau 2003, 55 (58 f.); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.4.2006 – VII-Verg 7/06, Verg 7/06 – NZBau 2006, 595 (596); Antweiler, Erschließungsverträge mit Kommunalunternehmen: Zulässigkeit und Ausschreibungspflicht, NZBau 2003, 93 (95 f.); Althaus, Öffentlich-rechtliche Verträge als öffentliche Aufträge gem. § 99 GWB, NZBau 2000, 277 ff.; Bauer (Fn. 47), § 36 Rn. 85; Burgi, Verwaltungsvertrag und Vergaberecht, NZBau 2002, 57 (60 ff.); Graef, Grundsatzfragen des Vergaberechts bei der Übertragung von Aufgaben der Notfallrettung und des Krankentransports, VergabeR 2004, 166 (168 f.); Schulte, Ausnahmen vom neuen Vergaberecht durch öffentlich-rechtliche Verträge?, NZBau 2000, 272 (275 f.); Ziekow/Siegel, Public Public Partnerships und Vergaberecht: Vergaberechtliche Sonderbehandlung der In-State-Geschäfte?, VerwArch 96 (2005), 119 (124 f.). 61 Jahn, Beauftragung Dritter mit der Durchführung von Rettungsdienstleistungen, NdsVBl. 2010, 33 (38); U. Stelkens (Fn. 57), S. 4 f.

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des § 38 VwVfG über die Zusicherung von Verwaltungsakten. Hier ist eigentlich klar, was der Gesetzgeber regeln wollte, nämlich dass und unter welchen Voraussetzungen ein Versprechen der Verwaltung wirksam sein kann, in Zukunft einen Verwaltungsakt zu erlassen oder zu unterlassen. Dieses Ziel wurde mit der Regelung auch erreicht. Die Zusicherung ist ein gängiges Instrument. Und dennoch wäre ein „Mehr“ an gesetzlicher Regelung erforderlich gewesen, um der Funktion des VwVfG gerecht zu werden. Bereits vor Inkrafttreten des VwVfG war nämlich bereits umstritten gewesen, ob es sich bei Zusage oder Zusicherung (die Begriffe wurden früher weitgehend synonym verwendet)62 um einen Verwaltungsakt63 oder um eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung eigener Art handelt.64 Der Gesetzgeber dachte nun, die Zusicherung regeln zu können, ohne die Frage nach der Rechtsnatur der Zusicherung regeln zu müssen.65 Der fehlende Wille des Gesetzgebers, hier klar Stellung zu beziehen, löst aber verbunden mit der nur teilweisen Regelung der Rechtsfolgen der Zusicherung in § 38 VwVfG eine Fülle von Folgefragen auf,66 die unterschiedlich beantwortet werden, je nach dem, ob man die Zusicherung jetzt als Verwaltungsakt ansieht, für den § 38 VwVfG innerhalb seines Anwendungsbereichs beson-

___________ 62

U. Stelkens (Fn. 25), § 38 Rn. 1. So Achterberg, Der Verwaltungsvorakt, DÖV 1971, 397 ff.; Kimminich, Die Verbindlichkeit mündlicher Zusagen im Verwaltungsrecht, JuS 1963, 268 (272); Pieper, Zur öffentlich-rechtlichen Zusage, VerwArch 59 (1968), 217 (247 ff.); Obermayer, Der Verwaltungsakt als Gegenstand von Zusagen und Rechtsauskünften, NJW 1962, 1465 (1468); Rohwer-Kahlmann, Behördliche Zusagen und Vertrauensschutz, DVBl. 1962, 622 (625); differenzierend Mayer, Zur Frage der Verbindlichkeit behördlicher Zusagen, JZ 1964, 677 (678) (Rechtsnatur der Zusage folgt der Rechtsnatur der zugesagten Handlung). 64 So BVerwG, Urt. v. 7.12.1954 – I C 75.53 – NJW 1955, 805 (806) (insoweit in BVerwGE 1, 254 nicht abgedruckt); BVerwG, Urt. v. 8.3.1956 – I A 3.54 – BVerwGE 3, 199 (203); BVerwG, Urt. v. 21.2.1958 – I CB 147.57 – BVerwGE 6, 198 (199); BVerwG, Urt. v. 27.3.1963 – V C 133.62 – JZ 1964, 687; BVerwG, Urt. v. 25.2.1965 – VIII C 80.63 – BVerwGE 20, 292 (294); BVerwG, Urt. v. 29.7.1965 – I C 91.62 – DÖV 1966, 202 (204 f.); BVerwG, Urt. v. 24.6.1966 – VI C 72.63 – DVBl. 1966, 857 (859); BVerwG, Urt. v. 19.1.1967 – VI C 73.64 – BVerwGE 26, 31 (36); BVerwG, Urt. v. 17.10.1975 – IV C 66.72 – BVerwGE 49, 244 (248); BVerwG, Urt. v. 21.10.1983 – 8 C 174/81 – NJW 1984, 2113 (zu einer vor Inkrafttreten des VwVfG abgegebenen Zusicherung); dem folgend Forsthoff (Fn. 55), S. 171 f.; Haueisen, Die Bedeutung von Zusagen im Verwaltungsrecht, NJW 1961, 1901. 65 BT-Drs. 7/910, S. 59. 66 So etwa im Hinblick auf die Frage, welche Rechtsfolge eine analoge Anwendung des § 38 VwVfG auf Zusagen hat, die nicht auf Erlass von Verwaltungsakten gerichtet sind (U. Stelkens [Fn. 25], § 38 Rn. 46 ff.) oder in welchem Umfang der Verweis des § 38 Abs. 2 VwVfG auf einzelne für Verwaltungsakte geltenden Bestimmungen als abschließend oder nicht abschließend zu verstehen ist (U. Stelkens [Fn. 25], § 38 Rn. 68 ff.). 63

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dere Wirksamkeitsvoraussetzungen aufstellt67 oder als eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung eigener Art,68 deren Verpflichtungswirkung sich nicht nach den für Verwaltungsakte geltenden Grundsätzen bestimmt, sondern nach den Grundsätzen, die die Rechtsprechung vor Erlass des VwVfG zur Bindungswirkung von Zusagen aufgestellt hat, sofern sich aus § 38 VwVfG nichts anderes ergibt.69 § 38 VwVfG ist daher ein Beispiel dafür, dass der Verwaltungsverfahrensgesetzgeber sich klar entscheiden muss, was er mit welchen Konsequenzen wie regeln will und – wenn er sich für die Regelung entscheidet – dann auch alle in diesem Zusammenhang stehenden Fragen „durchregeln“ sollte.70

3. Zwischenfazit: Aus Fehlern lernen! Was lehren jetzt diese Beispiele für den Fall, dass der Gesetzgeber einmal die erwähnten „Wunschlisten“ „abarbeiten“ sollte. Allgemein wohl, dass er „Mut zur Entscheidung“ – auch zwischen der „Richtigkeit“ verschiedener wissenschaftlicher Lösungsvorschläge – haben muss: Will er ein neues Prinzip, eine neue behördliche Pflicht, eine neue Handlungsform, ein neues Recht einführen, darf er sich nicht darauf beschränken, ein „Signal“ zu setzen, sondern muss ein operables Recht schaffen, das nicht einen Großteil der Lösung etwaiger Streitfragen der „Wissenschaft und Praxis“ überlässt.71 ___________ 67 So z. B. Brüning, Einstweilige Verwaltungsführung, Tübingen 2003, S. 153; Guckelberger, Behördliche Zusicherungen und Zusagen, DÖV 2004, 357 (359); Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, 8. Aufl., Heidelberg 2009, Rn. 783; Henneke, in: Knack/Henneke (Fn. 25), § 38 Rn. 21; Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Köln 2009, Rn. 434; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., München 2010, § 38 Rn. 2; Ruffert, Verwaltungshandeln und Verwaltungsrechtsverhältnis, in: Erichsen/Ehlers (Fn. 31), § 21 Rn. 62. 68 So z. B. Ernst, Die Verwaltungserklärung, Berlin 2008, S. 117 f.; Erichsen, Die Zusage, Jura 1991, 109 (110); Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl., Heidelberg 2008, Rn. 872 f.; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl., München 2007, § 53 Rn. 9. 69 So (für von § 38 VwVfG nicht geregelte allgemeine Zusage): BVerwG, Urt. v. 26.11.1987 – 2 C 53/86 – NJW 1988, 783; BVerwG , Beschl. v. 15.12.1992– 1 WB 35/92 – NVwZ-RR 1993, 643 f.; OVG Bautzen, Urt. v. 18.12.2000 – 2 B 59/98 – SächsVBl. 2001, 142 (144 f.); VGH Mannheim, Urt. v. 16.10.1989 – 1 S 1056/88 – NVwZ 1990, 892; VGH Mannheim, Beschl. v. 30.1.1995 – 4 S 1867/93 – VBlBW 1996, 14 (16); Guckelberger (Fn. 67), S. 365; Erichsen (Fn. 68), S. 111; Henneke (Fn. 67), § 38 Rn. 35; Schwarz, in: Fehling/Kastner (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Baden-Baden 2010, § 38 VwVfG Rn. 3. 70 In diese Richtung auch die Kritik an § 38 VwVfG bei Fiedler (Fn. 54), S. 103 ff. 71 Zu den Problemen dieser Art „gewollter Lücken“ im Gesetz (am Beispiel des BGB): Brodführer, Bewusste Lücken im Gesetz und der Verweis auf „Wissenschaft und

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Generell dürfte gelten: Je langweiliger eine verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung aus rechts- oder verwaltungswissenschaftlicher Sicht ist, desto eher gehört sie ins VwVfG. So dürfte es an der Zeit sein, das Verwaltungszustellungs- und das Verwaltungsvollstreckungsrecht – wie in MecklenburgVorpommern geschehen72 – in das VwVfG zu überführen.73 Immerhin gilt das VwZG seit der Änderung des § 56 Abs. 2 VwGO durch das Zustellungsreformgesetz vom 25.6.200174 tatsächlich nur (noch) für die Verwaltungszustellung.75 Auch hinsichtlich der „Überführungsreife“ des Verwaltungsvollstreckungsrechts in das VwVfG bestehen keine Bedenken mehr, seit dem Hanno-Dirk Lemke76 alle Verwaltungsvollstreckungsregelungen des Bundes und der Länder (einschließlich der Regelungen über die Polizeivollstreckung) analysiert und verglichen hat, so dass auf dieser Grundlage „best practice“-Lösungen, die auch die entsprechenden Sondervorschriften in den Polizeigesetzen weitgehend entbehrlich machen könnten,77 ohne weiteres gefunden werden können. Regelungen, die dagegen nur so etwas wie ein „Lebensgefühl“, ein „gewandeltes Verständnis der Staat-Bürger-Beziehung“ zum Ausdruck bringen sollen, ohne hieran konkrete, „ausbuchstabierte“ Rechtsfolgen zu knüpfen, werfen demgegenüber in der Regel mehr Probleme auf als sie lösen. Im besten Fall ist so inspirierte „Signalgesetzgebung“ – wie die alten §§ 71a ff. VwVfG – nur überflüssig.78 Die allgemeine Frage nach Verwaltungsleitbildern,79 die Frage ___________ Praxis“, Baden-Baden 2010, S. 19 ff. (mit für Zivilrecht grundsätzlich positiver Bewertung dieses gesetzgeberischen „Kunstgriffs“). 72 Das Verwaltungsverfahrens-, Zustellungs- und Vollstreckungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Landesverwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG M-V) enthält im 2. Hauptteil (§ 94 bis § 109) Regelungen über das Zustellungsverfahren und im 3. Hauptteil (§ 110 bis § 111) Regelungen über die Verwaltungsvollstreckung (wobei es aber dem Kodifikationsgedanken eher entspräche, nicht – wie in § 110 VwVfG M-V geschehen – auf das Polizeivollstreckungsrecht zu verweisen, sondern im VwVfG selbst (auch) die für die Polizeivollstreckung maßgeblichen Bestimmungen aufzunehmen. 73 Eine Gesamtkodifikation weiter Teile des Allgemeinen Verwaltungsrechts nach dem Vorbild des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz – LVwG –) erscheint demgegenüber als kaum realisierbar. 74 Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) v. 25.6.2001 (BGBl. I 1206). 75 Insbes. weil § 56 Abs. 2 VwGO (ebenso § 53 Abs. 2 FGO, § 63 Abs. 2 SGG) bis zum ZustRG für die Zustellung der Verwaltungsgerichte auf das VwZG verwies, ist das VwZG bewusst nicht in das VwVfG eingearbeitet worden: U. Stelkens (Fn. 25), § 41 Rn. 199 ff. 76 Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes und der Länder, BadenBaden 1997. 77 Wobei wegen der Einzelheiten über die Vollstreckung wegen Geldforderungen nach dem Vorbild des § 5 VwVG nach wie vor auf die Abgabenordnung verwiesen werden könnte. 78 In gewisser Weise entlarvend insoweit die Begründung des Regierungsentwurf zum 4. VwVfÄndG, der die alten §§ 71a ff. VwVfG ersetzt hat: BT-Drs. 16/10493,

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etwa, ob der Staat schlank oder dienstleistungsorientiert, autoritär oder kooperativ, fürsorglich oder kundenfreundlich, aktivierend oder gewährleistend tätig sein oder ob er sich sonst wie beschäftigen soll, ist ein Thema (nur) für Regierungserklärungen, Koalitionsvereinbarungen, Fortbildungsveranstaltungen für Führungskräfte und vielleicht auch für Verwaltungsvorschriften und Verhaltenskodizes, die die guten Absichten nach unten weiterleiten sollen, aber nicht für das VwVfG als Kodifikation eines „handfesten“ Verwaltungsverfahrensrechts.

III. Kodifikationsgefahren Damit sind wir bei den Kodifikationsgefahren, also den Gefahren, die dadurch entstehen, dass der Gesetzgeber bestimmte Regelungen in das VwVfG aufnimmt.

1. „Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“? Bei derartigen Fragen liegt natürlich eine Bezugnahme auf den Streit zwischen Thibaut und Savingy zum „Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ nahe, bei dem es bekanntlich um die Kodifikationsreife und Kodifikationsfähigkeit eines gemeindeutschen Zivilrechts im 19. Jahrhun___________ S. 16 f.: „Die Regelungen über die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren wurden mit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz von 1996 eingeführt. Im damaligen Gesetzentwurf der Bundesregierung war bereits darauf hingewiesen worden, dass statt einer gesetzlichen auch eine untergesetzliche Regelung durch Verwaltungsvorschriften in Betracht gekommen wäre (Bundestagsdrucksache 13/3995, S. 2). Mit einer gesetzlichen Regelung sollte vor allem eine Signalwirkung erzielt werden. Diese Signalund Anstoßwirkung hat das Gesetz in vollem Umfang erreicht: Das Sternverfahren (bisher § 71d) und die Antragskonferenz (bisher § 71e) sind fester Bestandteil des Repertoires der Verwaltung geworden, soweit sie nicht schon davor angewandt wurden. Heute ist das Sternverfahren, bei dem die Behörde in einem Verfahren zu beteiligende andere Träger öffentlicher Belange gleichzeitig und unter Fristsetzung zur Stellungnahme auffordert, überall gebräuchlich. Auch die als Antragskonferenz bezeichnete gemeinsame Besprechung mit beteiligten Stellen und dem Antragsteller ist aus der Verwaltungspraxis nicht mehr wegzudenken. Der ursprüngliche Gesetzeszweck, eine Signal- und Anstoßwirkung zu erzielen, ist so weit erfüllt, dass – auch im Sinne einer Rechtsbereinigung – auf eine ausdrückliche Erwähnung der einzelnen Instrumente im Gesetz selbst verzichtet werden kann.“ 79 Zu derartigen Leitbildern und ihrer politischen „Verschlagwortung“: Franzius, Modalitäten und Wirkungsfaktoren der Steuerung durch Recht, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, München 2006, § 1 Rn. 23 ff.

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dert ging.80 Tatsächlich bestehen auch gewisse Parallelen zwischen diesem „klassischen“ Kodifikationsstreit und der Diskussion über die Notwendigkeit einer Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts in den 1960er Jahren. Diese Parallelen, die in den 1960er Jahren durchaus gesehen worden sind,81 bestehen im Wesentlichen in der gemeinsamen Frage, ob und inwieweit „die Zeit dafür reif“ sei, das bisherige ungeschriebene Recht in geschriebenes Recht umzuwandeln. Oder sei es nicht notwendig, insbesondere der Rechtsprechung und Wissenschaft weitere Zeit zu geben, dieses bisher nur ungeschriebene Recht zu konkretisieren, zu konsolidieren und zu verfestigen? Bezogen auf das VwVfG ist etwa der Ausruf Martin Barings82 „Bloß kein Gesetz!“ von 1960 unvergessen, der hiermit im Wesentlichen betonen wollte, dass die Erkenntnisse der Verwaltungsrechtswissenschaft eben noch nicht weit genug gediehen seien, um kodifiziert zu werden.83 Ähnlich argumentiert heute Hans-Christian Röhl84: Bezogen auf neuartige Verfahren – er denkt v. a. an Verteilungs- und Akkreditierungsverfahren – betont er, dass die hierfür von der Rechtswissenschaft entwickelten und noch zu entwickelnden Grundsätze „flexibel“ bleiben müssten, so dass sie sich einer Kodifikation sperrten. Letztlich sind und waren derartige „Kodifikationsstreitigkeiten“ jedoch immer nur Diskussionen über die Leistungsfähigkeit „des Gesetzgebers“: Ist ihm – in der heutigen Zeit (im Gegensatz zu [welcher?] guten alten Zeit?) – zuzutrauen ein Gesetzeswerk zu schaffen, das den Bedürfnissen der Rechtsunterworfenen besser gerecht wird als der bisherige ungeschriebene, von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft geschaffene Rechtszustand?85 Gerade im Verwaltungsverfahrensrecht sind diese Zweifel so alt wie die Kodifikationsbemühungen.86 Insoweit gilt jedoch: Wer eine gesetzliche Regelung fordert, muss in einer Demokratie nun einmal damit rechnen, dass etwas dabei herauskommt, was man nicht wollte und der bestehende Rechtszustand „verschlimmbessert“ wird. Das ist allerdings auch vielleicht gar nicht das Problem, gerade bei der Frage der Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts. Hier dürfte es eher ___________ 80 s. hierzu nur Fortunato, Vom römisch-gemeinen Recht zum Bürgerlichen Gesetzbuch, ZJS 2009, 327 (328 ff.). 81 Baring, Bloß kein Gesetz!, JR 1960, 241 (242); Werner, Empfiehlt es sich, den allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts zu kodifizieren?, Verhandlungen des 43. DJT – Band I, 2 Teil B, München 1960, S. 22 f. 82 Titel eines Aufsatzes von Baring, erschienen in JR 1960, 241. 83 Die Gefahr einer Rechtszersplitterung durch Landesverwaltungsgesetze betonte dagegen insbesondere Scheuner, Die Aufgabe der Gesetzgebung in unserer Zeit, DÖV 1960, 601 (608 f.). 84 Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Fn. 31), § 30 Rn. 9. 85 So deutlich bereits Werner (Fn. 81), S. 23. 86 s. hierzu die Darstellung bei Spanner (Fn. 39), S. 30 ff.

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schwierig sein, die politischen Akteure davon zu überzeugen, dass sie ihre Arbeitskraft einem Kodifikationsvorhaben widmen sollen, das sich (heute?) kaum in „politische Münze“ umrechnen lässt. Eine solche Überzeugungsarbeit fällt jedenfalls besonders schwer, wenn nur gefordert wird, der Gesetzgeber solle sich etwa auch der Regelung interner Verfahrensabläufe zwischen Behörden vermehrt zuwenden oder er möge sich dem durch „neue Herausforderungen“ wie Technisierung, Informalisierung, Ökonomisierung, Globalisierung etc. verursachten Regelungsbedarf stellen.87 Man muss vielmehr bereits bei dieser Forderung den spezifischen Funktionen des VwVfG Rechnung tragen, soll sie auch nur ansatzweise Aussicht auf Erfolg haben. Hier gilt wie sonst: Die Forderung, jemand anderes solle mal in eine bestimmte Richtung denken, führt meist zu enttäuschenden Ergebnissen. Soll es nicht bei einer der Funktion des VwVfG nicht gerecht werdenden Signalgesetzgebung bleiben, müssen derartige Forderungen vielmehr selbst mit konkreten, durchbuchstabierten Gesetzesvorschlägen kombiniert werden.88

2. Fehlsteuerung wissenschaftlicher Aufmerksamkeit durch das VwVfG? Bedenkenswert ist dagegen eher eine andere Gefahr, die vielleicht als „Fehlsteuerung wissenschaftlicher Aufmerksamkeit durch das VwVfG“ bezeichnet werden kann. Wie bereits beschrieben, kann der Bundesgesetzgeber mit der Aufnahme bestimmter Regelungen in eine Kodifikation in gewisser Weise auch die Aufmerksamkeit der Rechtswissenschaft auf diese Regelung lenken (s. o. I 3). Nun sind aber die Ressourcen der Wissenschaft beschränkt: Wer sich auf die Auslegung einzelner Bestimmungen eines Gesetzes konzentriert, wird vielleicht dem Umstand weniger Aufmerksamkeit schenken, dass die Rechtsent-

___________ 87

In diese Richtung Hoffmann-Riem (Fn. 14), S. 16 ff. Zur Öffnung des VwVfG für grenzüberschreitende Sachverhalte hat Kahl ([Fn. 8], S. 82 ff.) schon relativ ausgereifte Vorschläge gemacht. Burgi und Durner entwickeln zur Zeit Gesetzgebungsvorschläge für ein im VwVfG aufzunehmendes Genehmigungsverfahren. Zur Neuregelung des Verwaltungsvertragsrechts liegen aus der Wissenschaft ebenfalls recht konkrete Gesetzesvorschläge zur Neuregelung des Verwaltungsvertragsrechts vor, über deren Brauchbarkeit (unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Vorverständnisse über die Aufgaben des VwVfG) konkret nachgedacht werden sollte (v. a. im Hinblick darauf: Warum nicht? Welche besseren Alternativen gibt es?), anstatt sie umgehend als „politisch nicht machbar“ zu verwerfen: S. z. B. Schuppert, Grundzüge eines zu entwickelnden Verwaltungskooperationsrechts, 2001, S. 124 ff. (abrufbar bei verwaltung-innovativ.de); Schlette (Fn. 48), S. 685 ff.; U. Stelkens (Fn. 48), S. 225 ff.; Ziekow, Verankerung verwaltungsrechtlicher Kooperationsverhältnisse (Public Private Partnership) im Verwaltungsverfahrensgesetz, 2001, S. 198 ff. (abrufbar bei verwaltung-innovativ.de). 88

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wicklung auch außerhalb dieses Gesetzes weitergeht.89 Hiermit verbunden ist das Phänomen der gleichsam rückwirkenden Versteinerung und damit der Verewigung früherer ungeschriebener Rechtsprechungsgrundsätze und Lehrmeinungen. Und tatsächlich beschränken sich Darstellungen in Lehrbüchern und Aufsätzen zu Einzelfragen des VwVfG immer noch vielfach darauf zu untersuchen, ob das VwVfG von den früheren Rechtsprechungsgrundsätzen abweicht oder wie zu erreichen sein könnte, dass in Auslegung des VwVfG die früheren Rechtsprechungsgrundsätze beibehalten werden können. Dabei wird diesen Grundsätzen einerseits eine Stetigkeit – man muss schon sagen – „angedichtet“, die sie so niemals hatten.90 Dies zeigt sich etwa, wenn angenommen wird, die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Zusage richteten sich, soweit § 38 VwVfG nicht greife, nach wie vor nach den Grundsätzen, die vor Inkrafttreten des VwVfG von der Rechtsprechung zur Verbindlichkeit von Zusagen und Zusicherungen entwickelt wurden91 – Grundsätze, bei denen schlicht unterstellt wird, sie wären von der Rechtsprechung nie fortentwickelt worden, auch wenn das VwVfG nie in Kraft getreten wäre. Analysiert man das VwVfG vor allem vor dem Hintergrund der früheren Rechtsprechung, verliert aber andererseits auch sein Wortlaut bei der Argumentation an Gewicht, das Lösungspotential des geschriebenen Rechts wird nicht ansatzweise ausgelotet. Dies zeigt etwa die nicht aufhörende Diskussion zur Abgrenzung von Rechtsnormen zu Allgemeinverfügungen, die in der Regel ohne Berücksichtigung des Wortlauts des § 35 S. 2 VwVfG allein unter Heranziehung eines fast schon naturrechtlich aufgeladenen „Einzelfallbegriffs“ geführt wird.92 Als weiteres Beispiel ist zu nennen, dass die von § 36 VwVfG geregelte Frage, wann genau der Einsatz von Nebenbestimmungen zulässig ist, in Rechtsprechung und Literatur nahezu vollständig von der Frage in den Hintergrund gedrängt wurde, wie der Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen aus___________ 89

In diese Richtung wohl die allgemeine Kritik von Voßkuhle, Allgemeines Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht, in: Willoweit (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, München 2007, S. 935 (967 f.); ähnlich auch Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Fn. 31), § 28 Rn. 13. 90 A. A. aber schon 1973 Forsthoff (Fn. 55), S. 163: „Inzwischen sind die ungeschriebenen Grundsätze des Verwaltungsrechts durch eine umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts festgeschrieben, und es stehen Änderungen kaum noch zu erwarten. Damit hat die Frage der Normierung nur noch eine mehr oder weniger rechtstechnische Bedeutung […].“ 91 s. hierzu die Nachw. bei Fn. 69. 92 Sehr deutlich etwa bei Buchwald, Kritik der herkömmlichen Dogmatik des Verwaltungsaktes, Rechtstheorie 28 (1997), 86 ff.; Laubinger, Das „Endiviensalat-Urteil“ – eine Fehlentscheidung, in: Arndt (Hrsg.), Völkerrecht und deutsches Recht – Festschrift für Rudolf, München 2001, S. 305 ff.; zur Kritik U. Stelkens (Fn. 25), § 35 Rn. 267, 282 ff.

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gestaltet ist, so dass es Unmengen an Material für die Zulässigkeit, jedoch kaum Material für die Begründetheit derartiger Klagen gibt93 – und kaum Empfehlungen an die Verwaltung, wie Nebenbestimmungen klug und rechtmäßig eingesetzt werden können. Tatsächlich hat das VwVfG vielfach auch den Blick auf neue Entwicklungen verstellt. Es wurde oft – anders als dies Absicht der Gesetzesverfasser war (s. o. I 2) – eben doch nicht nur als „Zwischenschritt“ bei der Weiterentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts gesehen, sondern als letztlich abschließende Regelung des Verwaltungsverfahrensrechts, die als gegenteilige gesetzgeberische Entscheidung der Anerkennung weitergehender Verfahrensrechte und damit der Fortentwicklung des Verfahrensrechts entgegengehalten wurde.94 Symptomatisch ist insoweit folgende Aussage des BGH: „Auszugehen ist davon, dass der Gesetzgeber den sachlichen Geltungsbereich des Verwaltungsverfahrensrechts in Kenntnis der sich aus dem Verwaltungsprivatrecht ergebenden Probleme auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit von Behörden beschränkt hat und vor diesem Hintergrund bei der Heranziehung verfahrensrechtlicher Bestimmungen des öffentlichen Rechts Zurückhaltung geboten ist.“95

Für möglich gehalten wurde eine Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts im Wege der Rechtsfortbildung daher vielfach nur, wenn dies als verfassungsrechtlich geboten ausgegeben werden konnte.96 Die Diskussion zu Verfahrensrechten, Verfahrenspflichten und Verfahrensfehlerfolgen ist damit im Wesentlichen fast ausschließlich eine Diskussion darüber, welche Vorgaben das Rechtsstaatsprinzip, Art. 19 Abs. 4 GG und sonstige Verfassungsprinzipien für das Verwaltungsverfahren machen.97 Dabei wird vielfach zu wenig berücksichtigt, dass aus der Verfassung hergeleitete Rechtsgrundsätze noch kein „handfestes“ Verwaltungsverfahrensrecht schaffen. Gerade hier führt kein Weg ___________ 93 Lobenswerte Ausnahme bei Heitsch, Neben- und Inhaltsbestimmungen bei begünstigenden Verwaltungsakten: Kriterien für die Auswahl des passenden Regelungsinstruments, DÖV 2003, 367 ff.; ferner U. Stelkens (Fn. 25), § 36 Rn. 115 ff. 94 Sehr deutlich diese Entwicklung voraussagend (und billigend) Müller, Zum Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes, Die Verwaltung 19 (1977), 513 (515): Die Positivierung der allgemeinen Grundsätze des materiellen Verwaltungsrechts „bringt – ungeachtet des eingeschränkten Anwendungsbereichs des VwVfG – vorerst eine schöpferische Rechtsentwicklung zum Abschluß, deren wesentliche Träger Rechtsprechung und Rechtslehre waren, und verweist für die Zukunft die Rechtsfortbildung in die – freilich nicht immer genau auszumachenden – Schranken der ergänzenden rechtsfortbildenden Interpretation.“ Krit. hierzu Fiedler (Fn. 54), S. 100 ff. 95 BGH, Urt. v. 6.11.2009 – V ZR 63/09 – NVwZ 2010, 531 Rn. 36. 96 In diese Richtung Bonk/Schmitz (Fn. 40), § 1 Rn. 283 ff. 97 Vgl. insoweit (für Entwicklung eines Verwaltungsverfahrensrechts in Zusammenhang mit dem Abschluss und der Durchführung privatrechtlicher Verwaltungsverträge): BGH, Urt. v. 17.6.2003 – XI ZR 195/02 – BGHZ 155, 166 (175 ff.); BGH, Urt. v. 6.11.2009 – V ZR 63/09 – NVwZ 2010, 531 Rn. 36; allgemein Park, Rechtsfindung im Verwaltungsrecht, Berlin 1999, S. 287 ff.

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daran vorbei, das geschriebene Verwaltungsverfahrensrecht zu vergleichbaren verfahrensrechtlichen Regelungen bis ins Detail analog anzuwenden, soll der aufgefundene „neue“ verfassungsrechtliche Verfahrensgrundsatz „operabel“ werden.98 Eine Rechtsfortbildung entlang des geltenden einfachen Rechts, wie sie im Zivilrecht gang und gäbe ist und die allgemeinen Lehrbücher zur juristischen Methodenlehre beherrscht, wird jedoch im Verwaltungsrecht nur selten erwogen.99 Aufgrund der „konstitutionellen Aufladung“ des Verwaltungsverfahrensrechts geht umgekehrt oft der Blick dafür verloren, dass nicht jede Bestimmung des VwVfG bis ins Detail konkretisiertes Verfassungsrecht ist, sondern dass sie vielfach – wie etwa die Vertrauensschutzregelungen des § 48 VwVfG – Ergebnis einer gesetzgeberischen Abwägung sind, die auch in verfassungsrechtlich zulässiger Weise anders hätte ausfallen können und die in Abgabenordnung, SGB X oder auch dem Fachrecht vielfach anders ausfällt.100 Auch diese verfehlte Konstitutionalisierung des VwVfG ist wohl ein Grund dafür, weshalb europarechtliche Impulse auf das Verwaltungsverfahrensrecht in Deutschland sich so schwer tun, akzeptiert zu werden.101 Völlig verfehlt ist es jedenfalls, einzelne ___________ 98

Auch das ungeschriebene Recht muss z. B. genau festlegen, ob eine aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten erachtete Begründung einer Maßnahme, die als Nicht-Verwaltungsakt von § 39 VwVfG nicht erfasst wird (für Beispiele, in denen dies diskutiert wird: U. Stelkens [Fn. 25], § 39 Rn. 18 ff. m. w. N.), nur soweit begründet werden muss, wie dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist (vgl. § 121 Abs. 1 AO), ob in der Begründung grundsätzlich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen sind, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (§ 39 Abs. 1 S. 2 VwVfG und § 35 Abs. 1 S. 2 SGB X) und ob Ermessensentscheidungen begründet werden sollen (§ 39 Abs. 1 S. 3 VwVfG) oder begründet werden müssen (§ 35 Abs. 1 S. 3 SGB X). Zur Frage, ob und wann insoweit auf das VwVfG des Bundes, das der Länder, die AO oder das SGB X zurückzugreifen ist: U. Stelkens (Fn. 23), S. 162 f.; ders. (Fn. 41), S. 1019 ff. 99 Eine Ausnahme bildet insoweit die analoge Anwendung zivilrechtlicher Bestimmungen auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse, die sich aber nicht auf die hier interessierenden Verfahrensrechte bezieht und auch sonst einige Besonderheiten aufweist, s. Park (Fn. 97), S. 63 ff.; de Wall, Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, Tübingen 1999, S. 62 ff. Auch kommt die analoge Anwendung einzelner Normen des besonderen Verwaltungsrechts durchaus vor, wobei i.d.R. jedoch nur die Frage der Zulässigkeit belastender Analogien untersucht wird; s. hierzu die Zusammenstellung der einschlägigen Rechtsprechung bei Hemke, Methodik der Analogiebildung im öffentlichen Recht, 2006, S. 27 ff.; Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, Tübingen 2007, S. 196 ff. 100 Deutlich für die Rücknahme von Verwaltungsakten jetzt wieder BVerfG (K), Beschl. v. 10.6.2009 – 1 BvR 571/07 – NVwZ-RR 2009, 705 Rn. 24 ff. 101 Dies wird sehr deutlich in dem Beitrag von Scholz, Zum Verhältnis von europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrensrecht, DÖV 1998, 261 (264 ff.); krit. hierzu zu Recht Roland Winkler, Das „Alcan“-Urteil des EuGH – eine Katastrophe für den Rechtsstaat, DÖV 1999, 148 ff.; s. ferner zum Problem Lepsius,

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Normen des VwVfG der „nationalen Identität“ Deutschlands (Art. 4 Abs. 2 EUV) zuzuschlagen, um sie gegenüber einer Europäisierung zu schützen. Ausdruck nationaler Identität können nur rechtsstaatliche Grundstrukturen des Verwaltungsrechts und die hierin gespiegelten historischen Erfahrungen sein, nicht aber deren einfachrechtliche Ausformungen, die in der Bevölkerung in der Regel unbekannt und damit auch nicht verankert sind. Die Annahme, die Bürger eines Staates würden sich mit bestimmten nationalen Instituten des Verwaltungsrechts identifizieren,102 ist durchgängig Fiktion. Selbst das BVerfG hat im Lissabon-Urteil103 das Allgemeine Verwaltungsrecht nicht zu den Rechtsgebieten gezählt, deren nationale „Selbstgestaltung“ für einen demokratischen Verfassungsstaat besonders sensibel und daher einer „Europäisierung“ weitgehend entzogen seien.104 Die Gefahr, die als „Fehlsteuerung wissenschaftlicher Aufmerksamkeit durch das VwVfG“ bezeichnet werden kann, ist also letztlich die Gefahr der Selbstbegrenzung der Verwaltungsrechtswissenschaft auf die vom VwVfG vorgegebenen Themen. Tatsächlich regelt das VwVfG das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht aber nicht (mehr) erschöpfend, sondern nur teilweise, und wird durch neue (ungeschriebene) Allgemeine Rechtsgrundsätze und deren gesetzliche Teil-Konkretisierungen (z. B. durch die §§ 97 ff. GWB aber auch durch neue Verfahrenskonzepte des EU-Sekundärrechts) ergänzt. Es sperrt nicht die Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Rechtsprechung und Verwaltungsrechtswissenschaft, sondern kann ihr Ausgangspunkt sein.

IV. Fazit in Thesen Das Anliegen dieses Beitrags lässt sich damit in vier Thesen zusammenfassen: 1.

Aufgabe des VwVfG als Kodifikation ist, der Verwaltung eine „handfeste“ Arbeitsgrundlage für ihre tägliche Arbeit zu geben und dem Bürger sichtbar zu machen, welche Rechte, Pflichten und Obliegenheiten er im Verwaltungsverfahren hat.

___________ Hat die Europäisierung des Verwaltungsrechts Methode?, in: Axer/Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer (Fn. 8), S. 179 (185 f.). 102 So z. B. Neidhardt, Nationale Rechtsinstitute als Bausteine europäischen Verwaltungsrechts, Tübingen 2008, S. 189, 199 ff. 103 BVerfG, Urt. v. 30.6.2009 – 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09 – BVerfGE 123, 267 (359 ff., Rn. 252 ff.). 104 Schmidt-Aßmann, Perspektiven des Europäischen Verwaltungsrechts, in: Axer/ Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer (Fn. 8), S. 263 (267).

Kodifikationssinn, Kodifikationseignung und Kodifikationsgefahren

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2.

Diesem spezifischen Kodifikationssinn werden nur solche Regelungen gerecht, die der Behörde tatsächlich operable Handlungsanweisungen geben. Signalgesetzgebung, die eher Staats- und Verwaltungsleitbilder definiert als konkrete Rechtsfolgen anordnet, gehört nicht ins VwVfG.

3.

Kodifikationssinn des VwVfG war nie, das Verwaltungsverfahrensrecht auch innerhalb seines Anwendungsbereichs abschließend zu regeln; ihm lässt sich insbesondere nicht entnehmen, dass dem Bürger im Wege der Rechtsfortbildung keine weitergehenden Rechte gewährt werden dürfen.

4.

Konkret bedeutet dies, dass das VwVfG nicht das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht regelt, sondern dass es ein Teil von ihm ist, so dass seine Regelungen auch als Rechtserkenntnisquelle für Verfahren dienen können, die von ihm nicht erfasst werden.

Das Verwaltungsverfahrensgesetz vor neuen Herausforderungen

Das VwVfG vor neuen Herausforderungen – Informations- und Kommunikationstechniken Kay Ruge

Die Einwirkungen moderner Informations- und Kommunikationstechniken auf die Verwaltung und damit auch auf das Verwaltungsverfahren sind – anders als die thematische Festlegung auf „neue Herausforderungen“ vermuten lässt – kein grundsätzlich neues Phänomen. Bereits Ende der 60er Jahre wurde durch die Wissenschaft eine „revolutionierende Wirkung der Verwaltungsautomation“ angekündigt1. In den 90er Jahren postulierten insbesondere Reinermann und Lenk eine generelle Verwaltungsmodernisierung durch die Nutzung informationstechnischer Systeme2. Auch die zum Teil lediglich begriffliche, zum Teil inhaltliche Veränderung hin zum E-Government, die damit verbundene organisations-, aber auch verfahrensrechtlich bezogene Betrachtung fand bereits am Beginn dieses Jahrtausends statt3. Insofern handelt es sich um einen kontinuierlichen, wenn auch in Wellen verlaufenden Anpassungsprozess, bei dem verwaltungsverfahrensrechtliche Veränderungen erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand neue technische Möglichkeiten nachzuzeichnen versuchen4. Seine Ursache findet dies zum einen darin, dass Verwaltungsverfahrensrecht nach wie vor auf die einzelfallbezogene Betrachtung bzw. auch die Wahrung der Rechte der Bürger durch Verfahren ausgerichtet ist und damit Standardisierungen, Bündelungen und Vereinheitlichungen nur bedingt zugänglich ist. Zum anderen sind neben dem erforderlichen Kulturwandel auch im Bereich der ___________ 1

Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, 1966, S. 141. Vgl. nur Reinermann, Anforderungen an die Informationstechnik: Gestaltung aus Sicht der Neuen Verwaltungskonzepte, in: ders. (Hrsg.), Neubau der Verwaltung, 1995, S. 382 ff.; Lenk, Information und Verwaltung, in: ders./Traunmüller (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Informationstechnik, 1999, S. 123 ff. 3 Vgl. dazu nur Eifert, Electronic Government als gesamtstaatliche Organisationsaufgabe, ZG 2001, S. 115 ff.; Heckmann, E-Government im Verwaltungsalltag, K & R 2003, 425 ff.; Groß, Die Informatisierung der Verwaltung – eine Zwischenbilanz auf dem Weg in die Verwaltungsautomation zum E-Government, VerwArch 95 (2004), S. 400 ff. 4 Vgl. bspw. Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt. Die Verwaltung an der Schwelle von der Automation zur Informations- und Kommunikationstechnik. 1993, S. 24 ff. 2

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Verwaltung, der sich nur sukzessive vollziehen kann, Innovationszyklen im Bereich der IT nur in Zeiträumen von fünf bis zehn Jahren überhaupt umsetzbar. Angesichts dessen erscheint vor dem Hintergrund zahlreicher aktueller EGovernment-Vorhaben mit nur bedingter flächenhafter bzw. erfolgreicher Umsetzung, sei es die einheitliche Behördenrufnummer D 115, sei es die europäische Dienstleistungsrichtlinie, aktuell wieder eine gewisse Stagnation bis hin zur Resignation feststellbar5. Mit Blick auf 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz gilt es angesichts dessen, zunächst zu rekapitulieren, inwieweit sich bereits jetzt E-Governmenttaugliche Ansätze finden (I.), im Anschluss daran die aktuellen Veränderungen im Bereich der IuK-Techniken in der Verwaltungspraxis aufzuzeigen (II.), um im Anschluss daran mögliche neuere Anpassungsbedarfe im VwVfG zu skizzieren (III.).

I. Der aktuelle Stand von E-Government im VwVfG Das Verwaltungsverfahrensgesetz ordnet seit nunmehr 35 Jahren in bewährter und gewöhnter Form das Verwaltungsverfahren. Ziel ist dabei die effektive Wahrung der Rechte des Bürgers durch ein staatlich geordnetes Verfahren6. Ausgangspunkt der Betrachtungsweise des VwVfG ist dabei gemäß § 9 (Begriff des Verwaltungsverfahrens) die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Es handelt sich damit um ein auf bestimmte Handlungsformen beschränktes Verfahren, das seinen Blickwinkel nicht aus der Adressatenperspektive heraus, sondern aus der Sicht der Verwaltung bezieht. Trotz mittlerweile erfolgter Zulassung auch einer elektronischen Kommunikation ist es üblicherweise ein papiergebundenes lineares Verfahren. Dennoch sind gerade mit Blick auf die auch verwaltungsverfahrensrechtliche Umsetzung von EGovernment jedenfalls drei Anpassungen der vergangenen Jahre aufzuzeigen, die den soeben beschriebenen herkömmlichen Begriff des Verwaltungsverfahrens jedenfalls in Teilbereichen verändert haben.

___________ 5 Vgl. bspw. zur Dienstleistungsrichtlinie Schulz, Elektronische Verfahrensabwicklung und IT-Umsetzung, in: Schliesky (Hrsg.), Die Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung – Teil III: Information, Wissen und Verantwortung –, 2010, S. 249. 6 Vgl. dazu Bachof, DÖV 1992, 757; so auch bereits Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1895, S. 122.

VwVfG und Informations- und Kommunikationstechniken

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1. Einfügung des Abschnitts „Beschleunigung von Genehmigungsverfahren“ Der damalige Abschnitt 1a des Teils V „Besondere Verfahrensarten“ im VwVfG enthielt Sondervorschriften für bestimmte Genehmigungsverfahren, nämlich solche, die „der Durchführung von Vorhaben im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung des Antragstellers dienen“7. Der gesamte Abschnitt, der die §§ 71a bis 71e (a. F.) VwVfG enthielt, wurde durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz eingeführt8. Die neu eingeführten Vorschriften, insbesondere § 71b (a. F.) VwVfG zur Zügigkeit des Verfahrens, § 71d alt VwVfG zum Sternverfahren sowie § 71e (a. F.) VwVfG zur Antragskonferenz sollten der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren dienen9. Sie waren verwaltungsverfahrensrechtliche Reaktionen auf immer komplexer werdende und mehrdimensionale Problemlagen im Bereich unternehmerischer Genehmigungsverfahren. Die mittlerweile gelebte und fortgeltende Verwaltungspraxis in Anwendung dieser Regelungen berücksichtigt bereits über die bis dato vorherrschende lineare Betrachtung, den wichtigen Aspekt einer vernetzten Verwaltungstätigkeit. Dies wird bspw. beim Sternverfahren besonders deutlich, weil der Genehmigungsantrag nebst Unterlagen nicht nacheinander, sondern grundsätzlich gleichzeitig und unter Fristsetzung an alle beteiligten Behörden zu versenden ist.

2. Zulässigkeit elektronischer Kommunikation durch Einfügung des § 3a VwVfG Spätestens mit Inkrafttreten des Dritten Verwaltungsverfahrensänderungsgesetzes zum 1.2.200310 ist die elektronische Verwaltung in Deutschland auch verwaltungsverfahrensrechtlich etabliert. Ausgangspunkt für die Ermöglichung elektronischer Verwaltungskommunikation war die europäische Signaturrichtlinie11. Diese stellte die Schriftform mit der qualifizierten elektronischen Signatur gleich. Deren Anforderungen setzt § 3a VwVfG als maßgebliche Vorschrift zur elektronischen Kommunikation im Verwaltungsverfahrensrecht um. Die damit mögliche elektronische Form der Kommunikation unter Einbeziehung des elektronischen Verwaltungsaktes (§ 37 Abs. 2 VwVfG) gestatten insofern ___________ 7

Vgl. § 71a alt VwVfG. BGBl. I 1996, S. 1354. 9 Siehe zur Entstehungsgeschichte Schmitz/Wessendorf, NVwZ 1996, 955 ff.; Bonk, NVwZ 1997, 320 ff. 10 BGBl. I 2002, S. 3322. 11 Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlamentes und Rates vom 13.12.1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für die elektronische Signaturen, ABl. 2000 L13, S. 12. 8

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bereits eine medienbruchfreie elektronische Aktenführung12. Voraussetzung für die Übermittlung elektronischer Dokumente im Verwaltungsverfahren ist danach die Eröffnung eines Zugangs durch den Empfänger. Während 2003 diesbezüglich mit Blick auf den Bürger noch eine ausdrückliche Kundgabe als erforderlich angesehen wurde13, dürfte mittlerweile angesichts der fortgeschrittenen technischen und gesellschaftlichen Entwicklung in diesem Bereich die bloße Angabe einer E-Mail-Adresse auf einem Briefbogen ausreichen. Erfolgt der Austausch zwischen den Verfahrensbeteiligten dann auf elektronischem Wege, kann gemäß § 3a Abs. 2 VwVfG eine gesetzlich angeordnete Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden.

3. Einfügung des Abschnitts „Verfahren über eine einheitliche Stelle“ Mit den Regelungen für das neue Verfahren über eine einheitliche Stelle (§§ 71a bis 71e VwVfG) wird das Konzept des einheitlichen Ansprechpartners in Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie14 im nationalen Verwaltungsrecht umgesetzt. Durch das dazu im Wege der Simultangesetzgebung erlassene Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften15 wurden die bis dahin bestehenden Regelungen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren ersetzt16. Das nationale Regelungskonzept sieht vor, das Verfahren über die Einheitliche Stelle nur dann zur Anwendung gelangen zu lassen, wenn dies durch Rechtsvorschrift (im Fachrecht) angeordnet wird. Zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie waren entsprechende Anordnungen in den Fachgesetzen mithin zwingend vorzunehmen. Dies erfolgte bspw. im Bereich der Handwerks- und Gewerbeordnung. Die mit Blick auf E-Government maßgeblichen Regelungen des Verfahrens über die Einheitliche Stelle finden sich in § 71b VwVfG zum Einheitlichen Ansprechpartner17 sowie in § 71e VwVfG, mit welchem abweichend vom bisherigen Prinzip der Freiwilligkeit gemäß § 3a VwVfG für diesen Teilbereich von Verwaltungsdienstleistungen erstmals eine rechtliche Verpflichtung zur elekt___________ 12

Bachmann/Pavlitschko, MMR 2004, 370. Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 3a Rn. 10. Richtlinie 123/2006/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376 vom 27.12.2006, S. 36 ff. 15 BGBl. I 2008, S. 2418. 16 Vgl. dazu Amtl. Begr. BT-Drs. 16/10493 S. 12, 15; Ruge, Nds. VBl. 2008, 305 (308). 17 s. dazu bspw. Ruge, Dienstleistungsrichtlinie 2010, S. 17 f.; Neidert, Die Aufgaben des Einheitlichen Ansprechpartners in: Schliesky (Hrsg.), Die Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung, Teil I, 2008, S. 117 (119 ff.); Windoffer, in: Ziekow/ders. (Hrsg.), Ein einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 22 (25 ff.); Schulz, Nds. VBl. 2009, 97 (100). 13 14

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ronischen Verfahrensabwicklung etabliert wird18. Mit der Einführung dieses Verfahrens über eine einheitliche Stelle findet weit über den Verwaltungsverfahrensbegriff des § 9 VwVfG hinaus eine ganzheitliche Geschäftsprozessbetrachtung statt, die zudem nicht die Sichtweise der Verwaltung in den Mittelpunkt stellt, sondern die Perspektive des Antragstellers, besser noch die „Kundensicht“, in den Blick nimmt. Zudem kann die durch den Einheitlichen Ansprechpartner zu gewährleistende Bündelung der Einzelgenehmigungen als Ausprägung des für E-Government maßgeblichen Konzepts der Unterscheidung zwischen Front- und Back-Office gelten. In diese durch die Dienstleistungsrichtlinie angestoßene Öffnung des Verwaltungsverfahrensrechts ist auch der neue Abschnitt 3 zur Europäischen Verwaltungszusammenarbeit (§§ 8a bis 8e VwVfG) einzubeziehen19. Die neuen Regelungen stellen eine Rechtsgrundlage für eine vertiefte Zusammenarbeit im Sinne einer Netzwerkverwaltung zwischen den für Dienstleistungsfragen zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten dar20.

4. Zwischenergebnis Nach alledem ist deutlich geworden, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz sich in den vergangenen 35 Jahren – wenn auch oftmals durch europäische Anstöße – als anpassungsfähig im Hinblick auf Anknüpfungspunkte für die Einführung von E-Government erwiesen hat. Allerdings handelt es sich nach wie vor eher um punktuelle, weniger um strukturelle Anstöße. Eine grundsätzliche strategische Ausrichtung auf E-Government ist im deutschen Verwaltungsverfahrensrecht nach wie vor nicht erkennbar. Insofern teilt das Verwaltungsverfahrensrecht die generell bei der Verwirklichung von E-Government in Deutschland bestehenden Defizite.

II. Aktuelle Veränderungen der IuK-Techniken in der Verwaltungspraxis Maßgebliche Umsetzungselemente von E-Government sind nach einem vielfach beschriebenen Entwicklungstrend die Vernetzung der Verwaltung, eine stärkere Orientierung auf die Geschäftsprozesse sowie eine Trennung im Be___________ 18

Vgl. dazu auch Amtl. Begr. BR-Drs. 580/08, S. 1. Vgl. Art. 4a des Gesetzes vom 17.7.2009, BGBl. I, S. 2091. 20 Ausführlich dazu Schliesky, Zwang zur „Netzwerkverwaltung“ am Beispiel der EU-Dienstleistungsrichtlinie in: ders. (Hrsg.), Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung, Teil II: Verfahren, Prozesse, IT-Umsetzung, 2009, S. 91 ff.; ders., Die Europäisierung der Amtshilfe, 2008. 19

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reich von Front- und Back-Office. Ausgangspunkt dieser Betrachtungen ist zunächst die begriffliche Klarstellung von „E-Government“. Die Europäische Kommission definiert E-Government als „Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien in öffentlichen Verwaltungen in Verbindung mit organisatorischen Änderungen, um öffentliche Dienste zu verbessern und die Gestaltung und Durchführung staatlicher Politik zu erleichtern“21. Diese umfassende Definition stellt zugleich zu Recht klar, dass es sich nicht lediglich um eine Elektrifizierung bestehender Verwaltungsverfahren handelt, sondern vielmehr eine Neugestaltung von Verwaltungsabläufen in Rede steht. Insofern hat die bereits 2003 getroffene Feststellung der OECD „E-Government ist more about Government than about ‚e‘“ nach wie vor seine Berechtigung22.

1. Vernetzte Verwaltung Vernetzte Verwaltung kann verstanden werden als das Zusammenwirken formal unterschiedlicher Behörden mit jeweils eigenen Genehmigungen, Verwaltungsakten, Realakten oder sonstigen Beiträgen zu einem ganzheitlich zu betrachtendem Geschäftsprozess der Erfüllung öffentlicher Aufgaben23. Als konkrete Beispiele für derartige Strukturen der Kooperation mag der europäische Verwaltungsverbund gemäß § 8d VwVfG unter Nutzung des Binnenmarktinformationssystems gelten. Auch der bloße Antrag auf Elterngeld, der bspw. bei einem Landkreis zu stellen ist, enthält als Teilleistung einer davon getrennt zu betrachtenden Behörde, nämlich der Deutschen Rentenversicherung, die Zulieferung des elektronischen Entgeltnachweises, der auf Grundlage des dazu etablierten Systems auf Bundesebene aus einer zentralen Speicherstelle übermittelt wird, in welche wiederum die jeweiligen Arbeitgeber die Entgeltdaten des Arbeitnehmers eingespeist haben.

2. Prozessorientierung Weiteres Schlagwort im Zusammenhang mit der Umsetzung von E-Government-Konzepten ist die Prozessorientierung. Die deutsche öffentliche Verwal___________ 21 Mitteilung der Kommission „Die Rolle elektronischer Behördendienste (eGovernment) für die Zukunft Europas“, KOM (2003) 567 endg. v. 29.9.2003, S. 8; s. auch Schulz, VM 2009, 3; zu Recht stellt Skrobotz klar, dass der Begriff nach wie vor nicht abschließend festgelegt ist. Siehe dazu Skrobotz, Das elektronische Verwaltungsverfahren, 2005, S. 20 ff. 22 OECD-Bericht, The E-Government Imperativ, 2003, zitiert nach OECD, Policy Brief, S. 1. 23 Vgl. Ziekow, Vom Verwaltungsverfahren über den Geschäftsprozess zum ITWorkflow, in: Hill/Schliesky, Herausforderung E-Government, 2009, S. 69 (76).

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tung ist sowohl nach verschiedenen Ebenen wie nach Ressorts, Zuständigkeiten und Hierarchien gegliedert. Aus Sicht von Bürger und Wirtschaft sind derartige Zuständigkeitsregelungen allerdings nicht relevant. Im Mittelpunkt steht vielmehr eine ganzheitliche Betrachtung von Lebens- bzw. Unternehmenslagen wie ein Umzug oder gesamter Gründungsvorgang. Ziel ist deshalb die Vernetzung neu zu gestaltender, medienbruchfreier Verwaltungsprozesse24. Diese Gestaltung setzt in einem ersten Schritt eine Erfassung der konkreten Verwaltungsabläufe, wie sich seit langem eingespielt vollziehen, voraus. Dabei gilt es, sowohl Vorfälle zu beschreiben, die durch externe Anstöße wie bspw. Bürgeranträge ausgelöst werden, die auch solche Vorgänge, die gleichsam verwaltungsintern angestoßen wurden, bspw. durch eine andere Behörde im Rahmen einer Beteiligung. Neben diesen auch als Produktherstellungsprozesse zu beschreibenden Vorgängen sind die Steuerungs- oder Führungsprozesse sowie die innerhalb der Verwaltung stattfindenden Unterstützungsprozesse einzubeziehen. Die sich daraus ergebende Zustandsbeschreibung ist auf Wiederholungen, Überschneidungen, parallele Bearbeitung von Vorgängen oder Rückverweisungen und ähnliches hin zu analysieren, um die Verfahren bzw. Prozesse im Anschluss daran so auszugestalten, dass sie auf eine möglichst effiziente Aufgabenerledigung unter Vermeidung von Organisations- und Medienbrüchen neu gestaltet werden. Dabei können einzelne Teilschritte wie bspw. Informationsbereitstellung oder Gebührenerhebungen bis hin zu Mahnverfahren, die also in vielen Prozessen in gleicher Art und Weise eingebunden sind, standardisiert und ggfs. auch an einer Stelle gebündelt werden25. Eine derartige Neustrukturierung von Verwaltungsabläufen ist nicht nur in der Praxis keineswegs eine profane Übung, sie unterliegt auch rechtlichen Rahmenbedingungen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die dargestellten Bündelungen gleicher Verfahrensbestandteile bzw. deren gemeinsame Erledigung in Dienstleistungszentren. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu Arbeitsgemeinschaften im SGB II ausdrücklich die grundsätzliche Herrschaft über die jeweiligen Geschäftsprozesse bei bestehenden Zuständigkeiten betont: „Zugewiesene Zuständigkeiten sind mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen“26. Insofern wird sich sowohl die Prozessorientierung wie auch die Bündelung in Dienstleistungszentren unterhalb der damit gezogenen roten Linie des Bundesverfassungsgerichts bewegen müssen. ___________ 24

Vgl. dazu J. Becker/Algermissen/Falk, Prozessorientierte Verwaltungsmodernisierung, 2007; Heitzer/Fischer, Geschäftsprozessmanagement als Kernaufgabe der Verwaltungsmodernisierung, Verwaltung und Management 2008, 312 ff. 25 Ziekow, Fn. 23, S. 69 (80 ff.); Hill, Vom Aufbrechen und der Veränderung der Verwaltungsrechtsordnung – Verwaltungswissenschaftliche Perspektiven, in: ders./ Schliesky (Hrsg.), Herausforderung eGovernment: E-Volution des Rechts- und Verwaltungssystems, Bd. 11, 2009, S. 349 (361 f.). 26 BVerfGE 119, 331 (364, 367).

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3. Trennung zwischen Front- und Back-Office Die aufgezeigten Komponenten der Vernetzung wie der Prozessorientierung beruhen systematisch auf einer Trennung zwischen der nach außen gegenüber dem Bürger bzw. Unternehmen agierenden Behörde als Front-Office sowie den die Teilleistung erbringenden weiteren Behörden in hier so bezeichnetem BackOffice.

III. Anpassungsbedarfe im VwVfG Bereits die seitens der Europäischen Kommission vorgenommene Definition von E-Government belegt, dass neben dem Verwaltungsverfahrensrecht insbesondere die Verwaltungsorganisation, ggfs. auch die Frage von Zuständigkeiten berührt sind. Dennoch erscheint vor dem Hintergrund fortschreitender Veränderungen sowohl mit Blick auf die technischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen auch eine systematische Analyse des VwVfG in Bezug auf EGovernment angesichts der bisherigen eher punktuellen Einwirkungen durchaus geboten.

1. VwVfG als Impulsgeber für E-Government ausformen Über die bisherigen beschränkten Regelungen zu einem verpflichtenden elektronischen Verwaltungsverfahren nach § 71e VwVfG oder die bloße Möglichkeit zum Erlass eines elektronischen Verwaltungsaktes gemäß § 37 Abs. 2, 2. Var. VwVfG hinaus ist eine generelle zwingende elektronische Kommunikation denkbar. So ist mittlerweile in Österreich eine Verpflichtung zum Erlass eines elektronischen Verwaltungsaktes als dem jeweiligen Original etabliert worden27. Damit verbunden wäre als Paradigmenwechsel eine Umkehrung der bisherigen Ausrichtung des Verwaltungsverfahrens auf Schriftlichkeit. Ein derartiger Impuls erscheint mit Blick auf den mittlerweile erzielten technischen Fortschritt, die gesellschaftliche Durchdringung mit elektronischer Kommunikation wie auch vor dem Hintergrund einer impulsgebenden Funktion der öffentlichen Hand wie sie in vielen anderen Bereichen wie bspw. dem öffentlichen Vergaberecht immer wieder angemahnt wird, mittlerweile durchaus vertretbar28. Dieses würde, ohne Bevölkerungskreise, denen die elektronische Kommunikation nicht offen stehen, auszuschließen, dem Anspruch gerecht ___________ 27 Vgl. §§ 19 ff. Öst E-Government-Gesetz i. v. m. Allg. VwVfG; ausführlich Brünner/Walter, Verwaltungsreform durch E-Government in Österreich, in: Heckmann (Hrsg.), Modernisierung von Justiz und Verwaltung, 2007, S. 142 (150 ff.). 28 Anders Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 3a Rn. 1.

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werden, für Bürger und Wirtschaft übliche Standards der Kommunikation zu erfüllen29. Lediglich die nach wie vor geringe Verbreitung der qualifizierten elektronischen Signatur in der Bevölkerung könnte aktuell noch als Argument gegen einen derartigen strukturellen Ansatz angeführt werden. Allerdings bieten hier sowohl die Einführung des neuen Personalausweises, der eine Nutzung der qualifizierten elektronischen Signatur spätestens Anfang 2012 gewährleisten soll wie auch andere bei vielen Bürgern und Unternehmen bereits vorhandene Karten, wie bspw. der Sparkassen-Finanzgruppe, die diese Möglichkeit ebenfalls vorsehen, Ansatzpunkte zu einer praktischen Verbesserung zu gelangen.

2. Normative Einzelanpassungen in Bezug auf E-Government Eine zuvor skizzierte strukturelle Ausrichtung auf E-Government würde in zahlreichen weiteren Normierungen des VwVfG Anpassungsbedarf auslösen, um dem generellen Anspruch des Vorrangs elektronischer Kommunikation vor der schriftlichen Verwaltungsverfahrensabwicklung gerecht zu werden. Derartige Anpassungen können aber auch unabhängig von einem solchen grundsätzlichen Paradigmenwechsel bereits geprüft bzw. umgesetzt werden, alleine um aktuelle Entwicklungen aufzugreifen und verfahrensrechtlich umzusetzen. Dies könnte im Einzelnen folgende Normierungen betreffen:

a) § 3 VwVfG Mit Blick auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 3 VwVfG stellt sich die Frage der Vereinbarkeit der bestehenden Regelungen mit der Aufspaltung zwischen Front- und Back-Office. So lange diesbezüglich die sachlichen Zuständigkeiten der jeweiligen Behörden unangetastet bleiben, wie dies bisher beim Einheitlichen Ansprechpartner gemäß der Dienstleistungsrichtlinie der Fall ist, dürften sich hier keine vertieften rechtlichen Probleme stellen. Durch die Zusammenführung einzelner Genehmigungen beim Einheitlichen Ansprechpartner verändert sich nicht die Zuständigkeit der den Ausgangsbescheid erlassenen Behörde. Anders stellt sich dies allerdings bei einer Erledigung von Verwaltungsaufgaben in „flexibleren“ Organisationsmodellen dar, etwa durch sogenannte Shared Service-Center, die ihren Dienst auch behördenübergreifend

___________ 29 Dazu Eifert, Electronic Government – Das Recht der elektronischen Verwaltung, 2006, S. 59 f.

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anbieten30. Hier kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass Einzelbeiträge eines zusammenhängenden Verwaltungsverfahrens nicht von einer Behörde bzw. nicht von der Behörde durchgeführt werden, die für den Erlass eines Verwaltungsaktes letztlich sachlich wie örtlich zuständig ist. Bei einem derartig „arbeitsteiligen“ Vorgehen ist festzuhalten, dass es bereits jetzt für das wirksame Vorliegen eines Verwaltungsaktes nicht entscheidend ist, ob alle Arbeitsschritte unmittelbar in den Händen von Amtswaltern einer Behörde liegen. Von einer behördlichen Maßnahme i. S. d. § 35 Satz 1 VwVfG ist vielmehr bereits dann auszugehen, wenn sie einer Behörde zugerechnet werden kann. Dies gilt auch für die von automatischen Einrichtungen erlassenen Verwaltungsakte31, an deren Zustandekommen neben der Behörden noch andere Stellen beteiligt waren. Die Zurechenbarkeit ergibt sich insbesondere dann, wenn sich die den Verwaltungsakt erlassende Behörde die fragliche Maßnahme dadurch zu Eigen macht, dass sie sie als einheitlichen Verwaltungsakt unter eigenem Namen bekannt gibt. Derartige Grundsätze dürften auch für die Teilbeiträge einzelner Behörden verschiedener Mitgliedstaaten im Rahmen eines europäischen Verwaltungsverbundes gemäß §§ 8a ff. VwVfG zur Anwendung gelangen.

b) § 3a VwVfG Mit Blick auf § 3a VwVfG als Zentralnorm für die elektronische Kommunikation im geltenden Verwaltungsverfahrensrecht bleibt als verwaltungspraktisches Problem zunächst festzuhalten, dass durchgängige E-GovernmentProzesse aktuell an der mangelnden Verbreitung der qualifizierten elektronischen Signatur scheitern. Angesichts dessen ist als Vorfrage zunächst zu ermitteln, ob eine Schriftform gesetzlich überhaupt rechtlich angeordnet ist bzw. ob nicht – wie dies derzeit bei dem geplanten Erlass eines Bundes-E-GovernmentGesetzes auch der Fall ist – eine deutliche Reduktion der Schriftformerfordernisse ein weitaus praktikablerer Weg zu einer verstärkten elektronischen Kommunikation zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Bürgern sein kann. Darüber hinaus gilt es, die Funktion der öffentlich-rechtlichen Schriftform zu prüfen. Bereits aktuell werden Steuerbescheide, Grundbuchauszüge u. a. als automatisierte Verwaltungsakte ohne Unterschrift erlassen32. Dies um so mehr als bereits jetzt im VwVfG an unterschiedlichen Stellen besondere Vorschriften au___________ 30 s. dazu bspw. Franzius, Flexible Organisationsmodelle: Netzwerke, Organisationshoheit, Shared Services, Verwaltungsverbünde, Mischverwaltung, in: Hill/Schliesky, Fn. 25, 2009, S. 39 ff. 31 Dazu etwa Polomski, Fn. 4, S. 79 f., 88 ff. 32 Zur Zulässigkeit automatisierter Verwaltungsakte bspw. Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, Verwaltungsrecht Band I, 12. Aufl., 2010, § 45 Rn. 37.

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tomatisiert erstellte Verwaltungsakte ausdrücklich vorsehen, wie dies bspw. in § 37 Abs. 5 Satz 2 oder § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG der Fall ist.

c) §§ 9, 10 VwVfG Mit Blick auf den Begriff des Verwaltungsverwaltungsverfahrens gemäß §§ 9, 10 VwVfG wird eine Überprüfung mit dem Ziel angeregt, die Möglichkeiten zur leichteren Änderung und Optimierung von Entwürfen (Wiki-Prinzip) und die Einbeziehung von externem Wissen zu ermöglichen33. Ob dies tatsächlich erforderlich ist, kann mit Blick auf die Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens und die Weite des gleichsam als Generalklausel ausgestalteten Verwaltungsermessens allerdings bezweifelt werden. Das Verwaltungsverfahren in seiner grundsätzlich nicht-förmlichen Ausgestaltung ermöglicht im Rahmen einer strukturierten Entscheidungsfindung bereits jetzt umfänglich die Möglichkeit auch im Wege neuer Kommunikations- und Web 2.0-Techniken die Berücksichtigung externen Wissens wie externer Reaktionen. Bedenklich ist demgegenüber mit Blick auf E-Government nicht die fehlende Berücksichtigung externen Feed-Backs, sondern die Beschränkung von Verwaltungsermessen durch standardisierte IT-Strukturen, die eine einzelfallbezogene Verfahrensgestaltung ggfs. gefährden kann. Als Lösung derartiger Problemkonstellationen wird eine Vorverlagerung der Ermessensentscheidung auf die Frage vorgeschlagen, welche Workflow-Organisation der jeweiligen Behörde zugrunde gelegt wird34. Auch wenn derartige hilfsweise Überlegungen Ansätze für eine rechtsförmliche Berücksichtigung dieser Fragestellungen liefern, bleibt eine gesetzgeberische Klarstellung bspw. in Form von Regelbeispielen oder abschließenden Grenzziehungen wünschenswert.

d) § 25 VwVfG Die erst jüngst erweiterte Beratungs- und Auskunftsverpflichtung gemäß § 25 VwVfG könnte zu einer Verpflichtung, Formulare und Informationen elektronisch bereit zu stellen, erweitert werden. Denkbar ist zudem eine Ver___________ 33 Hill, Vision 2013 – Anregungen für eine deutsche eGovernment-Strategie, in: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.), Szenarien für die Zukunft – Anregungen für eine Deutsche E-Government-Gesamtstrategie, Dritter Nationaler ITGipfel, Arbeitsgruppe 3, 2008, S. 54 (61). 34 s. Britz, Reaktionen des Verwaltungsverfahrensrechts auf die informationstechnischen Vernetzungen der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 213 (264 f.); Groß, Fn. 3, S. 400 (409); noch weitergehend Eifert, Fn. 29, S. 142 f., der von einer planerischen Entscheidung der Verwaltung ausgeht.

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pflichtung, eine interaktive Bearbeitung von Antragsformularen sicherzustellen. Vor dem Hintergrund des Einheitlichen Ansprechpartners als Bündelungseinheit sowie einer lebenslagenorientierten Betrachtung ist zudem eine Bereitstellung aller mit einem Gesamtverfahren zusammenhängenden Formulare denkbar. Praktisch umsetzbar wäre dieses durch Verweise bzw. Verlinkungen auf entsprechende umfängliche Portale, wie sie bspw. zur Umsetzung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie mittlerweile in allen Bundesländern bestehen. Rechtstechnisch bieten sich diesbezüglich Anleihen bei den bereits seit langem bestehenden allgemeinen kommunalrechtlichen Beratungs- und Betreuungspflichten an35.

e) §§ 28, 29 VwVfG Hinsichtlich der Bestimmungen zur Anhörung Beteiligter wie auch zur Akteneinsicht (§§ 28, 29 VwVfG) ist in Anlehnung an die Regelung in § 17 Abs. 1 Öst. Allg. VwVfG Akteneinsicht wie auch Anhörung im Wege des Zugriffs über das Internet zu ermöglichen. Im Zusammenspiel mit der Verpflichtung zum Erlass eines elektronischen Verwaltungsakts36 verdichtete sich dies zu einer Verpflichtung zu einer durchgängig elektronischen Verfahrensgestaltung. Dies ließe zudem eine Verknüpfung sowohl mit Online-Konsultationen wie auch in der Praxis bereits zur Anwendung kommenden Möglichkeiten einer elektronischen Antrags- bzw. Prozessverfolgung zu37. Zwingende Voraussetzung für eine flächenhafte Anwendung derartiger Systeme wäre allerdings neben einer durchgängigen elektronischen Aktenführung insbesondere eine bessere Basisinfrastruktur im Bereich von Identifizierung und Authentifizierung.

f) § 40 VwVfG Einer gesetzgeberischen Überprüfung sollte zudem der § 40 VwVfG vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im Bereich von Open Government unterzogen werden. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber aktuell in verfassungsrechtlich wie in wirtschaftlich sensiblen Bereichen beim Schutz von Geschäftsgeheimnissen mit Blick auf den Verbraucherschutz durch neue Vorschläge zu einer zwangsweisen Veröffentlichungspflicht durch Behörden bei ___________ 35 Dazu ausführlich Ruge, Die allgemeinen kommunalrechtliche Beratungs- und Betreuungspflichten – dargestellt am Beispiel von § 16d GO SH, 2000. 36 s. dazu oben unter III.1. 37 Noch weitergehend Hill, Open Government als Form der Bürgerbeteiligung, in: Beck/Ziekow (Hrsg.), Mehr Bürgerbeteiligung wagen. Wege zur Vitalisierung der Demokratie, 2011, S. 57 ff.

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ggfs. gesundheitlich bedenklichen Produkten zu anderen als den bisherigen Bewertungen bereit ist38.

g) § 41 VwVfG Die Normierungen zur Bekanntgabe im § 41 VwVfG sind insbesondere bezogen auf Allgemeinverfügungen bzw. öffentliche Verwaltungsakte nicht mehr auf die ortsübliche Veröffentlichung zu beschränken, sondern eine solche im Internet vorzusehen. Darüber hinaus sehen neuere Dienste im Bereich der elektronischen Kommunikation auch eine gesicherte Ablage von Dokumenten bspw. in Form sog. Dokumentensafes vor. Dies könnte sowohl im Bereich der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes nach § 41 VwVfG wie auch bei der Zustellung gemäß §§ 5, 5a Verwaltungszustellungsgesetz Anpassungsmöglichkeiten eröffnen, die noch über die jüngst in Kraft getretenen Regelungen im Rahmen des Gesetzes zur Regelung von DE-Mail-Diensten hinaus gehen39.

h) § 71a VwVfG § 71a VwVfG bestimmt, dass es für die Anwendung des Verfahrens über eine einheitliche Stelle einer spezialgesetzlichen Anordnung dieses besonderen Verfahrenstypus im jeweiligen Fachgesetz bedarf. Bereits bei Erlass dieser Bestimmung ist diese Regelungssystematik kritisiert worden40. Eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Verfahrensabwicklung über die einheitliche Stelle in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis hätte nicht nur die nunmehr erforderlich gewordene Einzelfallüberprüfung, welche Verfahren über die einheitliche Stelle abgewickelt werden dürfen, vermieden, sondern in zu begrüßender Art und Weise eine Rechtfertigung in den Fällen erfordert, in denen eine solche Abwicklung gerade nicht stattfinden soll. Dies hätte zum einen die Attraktivität der einheitlichen Stelle gerade mit Blick auf die ganzheitliche Abwicklung von Lebenslagen aus Sicht eines Unternehmens oder Bürgers befördert, zum anderen generell die Vernetzung der Verwaltung und die Umsetzung von One-StopGovernment-Konzepten beschleunigt. Angesichts dessen sollte dieser Schritt ___________ 38

Vgl. Gesetzentwurf zur Novelle des Verbraucherinformationsgesetzes, einsehbar unter: http://www.vigwirkt.de/fileadmin/sites/default/files/2011-02-02-VIGAendG-Laenderund-Verbaende.pdf, Art. 2 Nr. 2 Gesetzentwurf zu einem neuen Absatz 1a in § 40 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. 39 BGBl. 2011 I, S. 666. 40 s. nur Schulz, Nds. VBl. 2009, 97 (99 f.); Windoffer, DÖV 2008, 797 (798 f.); ausdrücklich für eine fachgesetzliche Anordnung dagegen Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (3 f.).

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im Zuge des neu geplanten E-Government-Gesetzes des Bundes nachgeholt werden.

IV. Fazit Nach alledem konnte aufgezeigt werden, dass nach 35 Jahren VwVfG bereits Ansatzpunkte für eine Anpassung des Verwaltungsverfahrensrechts an eine E-Government-getragene Verwaltung bestehen. Allerdings fehlt es nach wie vor an einer systematischen Ausrichtung auf E-Government, zumal die bisherigen Anstöße regelmäßig auf europäischen Vorgaben beruhten. Vor dem Hintergrund einer ganzheitlichen und selbstbestimmten Verwaltungsmodernisierung durch E-Government wird statt dessen eine grundsätzliche Ausrichtung der Verwaltung auf die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie anzustreben sein. Dies betrifft neben dem Organisationsrecht als weiterem zentralen Aspekt auch das Verwaltungsverfahrensrecht. Eine generelle Verpflichtung zur Durchführung von Verwaltungsverfahren auf elektronischem Wege sowie die grundsätzliche Anwendung von Verfahren über eine einheitliche Stelle könnten insoweit Impulse setzen. Die Verwaltung würde sich auf diese Weise den neuen Herausforderungen stellen. Dies um so mehr als mittlerweile 72 % der Bürger insgesamt, bei Jugendlichen mehr als 90 % das Internet mit steigender Tendenz nutzen. Die Erfahrung, dass die meisten Dienstleistungen im Internet rund um die Uhr verfügbar sind, spiegelt sich angesichts dessen zunehmend auch in den wachsenden Erwartungen vor allem jüngere Menschen gegenüber der Verwaltung wider. Vor diesem Hintergrund ist auch das VwVfG mit einer Perspektive für die kommenden fünf Jahre noch stärker auf die damit verbundenen Veränderungen auszurichten.

Haushaltskonsolidierung und betriebswirtschaftliche Steuerung Veith Mehde

I. Einleitung Das Verwaltungsverfahrensrecht ist eines der zentralen Elemente des allgemeinen Verwaltungsrechts. Intensiv geführte Debatten über Verwaltungsreformen, die an den Grundlagen der Verwaltungstraditionen rühren, müssten daher, so sollte man annehmen, Auswirkungen auch auf dieses Rechtsgebiet haben. Dies gilt umso mehr, als viele der Modernisierungsbemühungen tatsächlich die Ablauforganisation und damit natürlich Verfahrensfragen betreffen. Darüber hinaus sind die letzten Änderungen des VwVfG im selben Zeitraum erfolgt, in dem auch Verwaltungsreformen propagiert wurden, die mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung und den Mitteln der betriebswirtschaftlichen Steuerung erfolgten. Der Beitrag untersucht, inwieweit sich diese Annahme auf tatsächliche Rechtsentwicklungen zurückführen lässt. Im Folgenden sollen zunächst einige Vorüberlegungen die Ansätze zur Haushaltskonsolidierung und betriebswirtschaftlicher Steuerung für die Zwecke dieser Untersuchung zuspitzen. Daran anschließend werden die Auswirkungen der Verwaltungsreformen auf das VwVfG dargestellt. Als ein für diesen Kontext besonders wichtiger Reformanlass werden die Europäische Dienstleistungsrichtlinie und ihre Umsetzung im deutschen Verfahrensrecht angesprochen. Schließlich soll es um die Frage gehen, welche weiteren Potenziale sich für die Integration von Elementen betriebswirtschaftlicher Steuerung in das Verwaltungsverfahrensrecht ergeben.

II. Vorüberlegungen Im Ausgangspunkt stellt sich zunächst die Frage, warum ein Zusammenhang zwischen dem Verwaltungsverfahren und Ansätzen zur betriebswirtschaftlichen Steuerung einerseits und den Bemühungen um die Haushaltskonsolidierung andererseits bestehen könnte. Dabei sind die beiden Ansätze durchaus voneinander zu unterscheiden.

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1. Haushaltskonsolidierung Die erheblichen Defizite in den Haushalten der Gebietskörperschaften auf allen staatlichen bzw. kommunalen Ebenen sind in den letzten Jahrzehnten zu einem der wichtigsten politischen Probleme geworden. Für die Haushaltskonsolidierung gibt es zwei mögliche – sich wechselseitig nicht ausschließende – Ansatzpunkte: die Reduzierung von Ausgaben und die Erhöhung von Einnahmen. Auf beides nimmt das Verwaltungsverfahrensrecht grundsätzlich keinen Einfluss. Durch Verwaltungsreformen wird allerdings durchaus das Ziel von Einsparungen verfolgt1, insbesondere durch das Senken der Personalkosten und die effizientere Verwendung der für die Aufgabenerfüllung zur Verfügung stehenden Mittel. In der Debatte um das Neue Steuerungsmodell ist früh beschrieben worden, dass die massiven Probleme der öffentlichen Haushalte einen wichtigen Reformmotor bildeten, wenn auch damit bestimmte thematische Verengungen verbunden waren und die Knappheit der Mittel in Anbetracht der erheblichen Ressourcenanforderungen bei Beratung und IT-Ausstattung ein großes Problem im Umsetzungsprozess darstellte2. Insofern erscheint es durchaus naheliegend, dass auch das Verfahrensrecht als eine Ressource zur Umsetzung von Instrumenten genutzt wird, die durch das Bemühen um Haushaltskonsolidierung motiviert sind. Die folgenden Abschnitte werden zeigen, inwieweit diese Erwartung in der Realität abgebildet wird.

2. Betriebswirtschaftliche Steuerung Auf den ersten Blick ganz offensichtlich erscheint der Zusammenhang zwischen dem Verfahrensrecht und der Nutzung betriebswirtschaftlicher Mechanismen in der Verwaltung. Die Nutzung von Steuerungsinstrumenten aus dem privaten Management3 ist seit den 1990er Jahren eine Art kleinster gemeinsamer Nenner der meisten Verwaltungsreformmodelle4. Recht bescheidene Ansätze zu einer leistungsabhängigen Bezahlung und der Budgetierung von einzelnen Stellen in der öffentlichen Verwaltung wurden begleitet von wesentlich ambitionierteren Überlegungen zu einem gänzlich „Neuen Steuerungsmodell“5. ___________ 1

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform – A Comparative Analysis, 2. Aufl., Oxford 2004, S. 107 ff. 2 Hill, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, Baden-Baden 1997, S. 65 (95 f.). 3 Zur Diskussion über die Unterschiede von Private und Public Management vgl. die zusammenfassende Darstellung von Rainey/Chun, in: Ferlie/Lynn/Pollitt (Hrsg.), The Oxford Handbook of Public Management, Oxford 2005, S. 72 ff. 4 Vgl. Hill, NVwZ 2002, 1059 (1059 f.). 5 Dazu noch unter III.2.

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Unabhängig von der Frage, inwieweit sich diese Tendenzen tatsächlich erfolgversprechend durchgesetzt haben, war damit der Gedanke einer Orientierung der Reformbemühungen an Modellen aus dem privaten Sektor mit einer Intensität diskutiert worden, die von da ab prägend bleiben sollte. Einen (vorläufigen) Höhepunkt erreichte diese Tendenz mit den landesrechtlichen Vorgaben6 an die Kommunen, ihr Haushalts- und Rechnungswesen auf die kaufmännische Buchführung (Doppik) umzustellen7. Damit wurde eine Reformblockade bei der freiwilligen Einführung des Neuen Steuerungsmodells, die auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Definition von Produkten zurückzuführen war, durch ein verbindliches Vorschreiben eines etablierten Modells aus dem privaten Sektor überwunden8, wobei die Kommunal- und Landesbehörden die Last der Anpassungsleistung auf die Bedürfnisse der öffentlichen Hand trugen9.

3. Gemeinsame Klammer Redet man über die Einbeziehung der eben beschriebenen Mechanismen betriebswirtschaftlicher Steuerung in den Verwaltungsablauf, so erfolgt das mit der Prämisse, dass diese Mechanismen im Vergleich zu den traditionellen Steuerungsmechanismen in der Verwaltung ein größeres Effizienzpotenzial aufweisen10. Durch die Hebung dieser Effizienzpotenziale soll auch ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet werden11. Für die weitere Untersuchung ist dabei auch hervorzuheben, dass diese Debatte im Kontext der Bemühungen um die Verbesserung des „Standorts Deutschland“ zu sehen ist. Neben verschiedenen Änderungen der Rechtsbeziehungen zu Investoren ist davon auch das effizientere Arbeiten der Behörden als ein Ansatzpunkt für eine Lösung der Haushaltsprobleme der öffentlichen Hand umfasst12. Die Standortfrage bildet, obwohl die beiden Ansätze durchaus auch aus eigenem Recht verfolgt werden, die inhaltliche Klammer um die Fragen der Haushaltskonsolidierung und der betriebswirtschaftlichen Steuerung wie auch um die – später noch eingehend dar___________ 6 Zu den zum Teil recht deutlich voneinander abweichenden Regelungen in den Bundesländern vgl. Krengel, VM 2008, 213 ff.; Lasar, VM 2010, 3 ff. (Teil 1); 128 ff. (Teil 2). 7 Vgl. Hill, DÖV 2010, 789 (792). 8 Vgl. Banner, DMS 2/2008, 447 (449 f.). 9 Zu den ersten praktischen Ergebnissen vgl. Deutscher Städtetag/PwC, Evaluierung der Reform des kommunalen Haushalts- und Rechnungswesens, Januar 2011. 10 Vgl. dazu König, DÖV 2001, 617 (618 f.). 11 Vgl. dazu die Aussage von Banner (DMS 2/2008, 447 [451]): „Ohne Anknüpfung an den Zeitgeist – die Kommunen sahen damals in den wachsenden Haushaltsungleichgewichten ihr größtes Problem – wäre das verwaltungspolitische Programm der KGSt ziemlich chancenlos geblieben“; vgl. auch Holtkamp, DMS 2/2008, 423 (425). 12 Pein, BB 1996, 1399.

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zustellenden13 – Bemühungen um eine Beschleunigung von Verwaltungsverfahren. Vor diesem Hintergrund erscheint es angezeigt, im Folgenden jene Reformvorhaben in die Betrachtung einzubeziehen, die im Interesse der Standortpolitik verfolgt wurden und dabei Auswirkungen auf das Verfahrensrecht mit sich gebracht haben.

III. Reformtrends und Verwaltungsverfahrensrecht Trotz der eben dargestellten Überlegungen zur zentralen Motivation und zu den diskutierten Instrumenten der Verwaltungsreform sind die zentralen Veränderungen des Verwaltungsverfahrensrechts in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten auf die klassische außenwirksame Verwaltungstätigkeit bezogen gewesen.

1. Überblick Das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (1996)14 hatte insofern programmatischen Charakter15, als es die allgemeinen Vorgaben für die Durchführung des Verwaltungsverfahrens veränderte. Die „sog. dienende Funktion des Verfahrens gegenüber der Einhaltung materiellrechtlicher Standards“ wurde dadurch „stark akzentuiert“16. Zusätzlich zu der bis dahin in § 10 S. 2 erhobenen Forderung, das Verfahren „einfach und zweckmäßig“ durchzuführen, sollte dies nunmehr ausdrücklich auch „zügig“ erfolgen. Darüber hinaus erhielten die §§ 45 f. VwVfG ihre bis heute geltende Fassung. Dadurch wurde die Heilung von formellen Fehlern erleichtert. Auch die Möglichkeiten, gemäß § 46 VwVfG Fehler im Ergebnis für unbeachtlich zu erklären, wurden ausgeweitet17. Für Genehmigungsverfahren, die Vorhaben im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung des Antragstellers betrafen18, wurden in den damaligen §§ 71a ff. neue Instrumente geschaffen, die auf eine Beschleunigung der ___________ 13

III.3. BGBl. I, 1354. 15 Zu Hintergründen und Gesetzgebungsverfahren vgl. Schmitz/Wessendorf, NVwZ 1996, 955 (956 f.). 16 Ziekow, in: Pitschas/Kisa (Hrsg.), Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts, Berlin 2002, S. 187 (229). 17 Vgl. dazu statt vieler Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., München 2010, § 46, Rn. 2 ff. 18 Zu den daraus folgenden Beschränkungen vgl. Schmitz/Wessendorf, NVwZ 1996, 955 (959). 14

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Verfahren zielten. Das damit verbundene Instrumentarium war als Rechtsformangebot ausgestaltet und damit in seiner Anwendung von der Bereitschaft der zuständigen Behörden abhängig, es als Reformmodell aufzugreifen. Offenbar ist auch der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen, dass die Regelungen in Zukunft eine größere praktische Bedeutung erlangen könnten19, so dass sie mittlerweile schon wieder ersetzt worden sind20. Das nächste für die Zwecke dieser Untersuchung bedeutsame Reformvorhaben ist dann schon auf den Reformimpuls der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt21 zurückzuführen22. Durch das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (2008)23 sind die §§ 25 II, 42a, 71a ff. in das VwVfG gelangt. Schon der § 25 II VwVfG zeigt auf, dass Transparenz und Verfahrensbeschleunigung für Antragsteller mit Instrumenten geschaffen werden sollen, die sich in das bestehende System einfügen24. Der § 42a war eine notwendige Ergänzung, um die Genehmigungsfiktion systematisch in das Gesetz einzupassen, ohne eine solche generell vorzusehen. Im Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie wird sie gefordert für den Fall, dass über einen Antrag nicht binnen einer Frist von regelmäßig drei Monaten entschieden worden ist. Die neuen §§ 71a ff. sehen schließlich Regeln für die Funktionsfähigkeit des Verfahrens über eine einheitliche Stelle vor. Damit wird der Impuls des Art. 6 der Dienstleistungsrichtlinie umgesetzt, nach dem Dienstleister aus anderen EU-Mitgliedstaaten alle für ihre Tätigkeit in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, erforderlichen Anträge bei einem einheitlichen Ansprechpartner stellen können müssen. Ein jedenfalls vorläufiges Ende der Verfahrensreformen brachte schließlich das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften (2009)25. Damit sind die Vorschriften über die europäische Amtshilfe (§§ 8a ff.)26 in das Gesetz aufgenommen27 und so der ___________ 19 In der Gesetzesbegründung ist davon die Rede, die „Signal- und Anstoßwirkung“ sei erfüllt, BT-Drs. 16/10493 vom 7.10.2008, S. 12. 20 Vgl. Jahn, GewArch 2009, 177; Kopp/Ramsauer (FN 17), § 71a, Rn. 1; Schliesky, in: Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl., Köln 2010, Vor §§ 71a-71e, Rn. 2; Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (9 ff.). 21 ABl. EU Nr. L 376, S. 36. 22 Zum Gesetzgebungsverfahren Jahn, GewArch 2009, 177. 23 BGBl. I, 2418. 24 Vgl. dazu Schmitz/Prell (NVwZ 2009, 1, 12): „Die Umsetzung der DLRL im Verwaltungsverfahrensgesetz zeigt, dass die deutsche Rechtsordnung in der Lage ist, vom europäischen Recht ausgehenden Regelungsbedarf systembildend zu implementieren“. 25 BGBl. I, 2091. 26 Vgl. dazu Mehde, in: Fenzel/Kluth/Rennert (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Verwaltungsverfahrens- und -prozessrecht im Jahr 2010, Halle 2010, S. 47 ff.

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notwendige Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Behörden der Mitgliedstaaten zum Regelungsgegenstand gemacht worden28. Das gesamte Instrumentarium, das für die Effizienz und die Effektivität dieses Austausches sorgen soll, wird dabei in Bezug genommen. Gleichzeitig bemühte man sich, wie schon durch die Anknüpfung an die Vorschriften an die Amtshilfe deutlich wird, um eine möglichst nahtlose Anknüpfung an die bestehende Systematik.

2. New Public Management/Neues Steuerungsmodell Die weit überwiegende Zahl der seit den 1990er Jahren angestoßenen Reformen lässt sich mit dem Schlagwort des „New Public Management“ oder – in seiner deutschen Version – des „Neuen Steuerungsmodells“ (NSM) in Verbindung bringen29. Damit entstammen diese Reformen dem Trend zur Anwendung betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente auf die öffentliche Verwaltung. Die drei zentralen Managementüberlegungen, die damit verbunden waren, lassen sich umschreiben als Anreizsteuerung, Dezentralisierung und Trennung von strategischer Steuerung und Vollzug. Als ein Instrument, das für diese Elemente zentrale Informationen lieferte30, finden sich Ansätze zur Messung der Leistungen (performance measurement)31. Das Operieren mit Anreizen wurde in diesem Kontext nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie als individueller Ansatz gewählt32, sondern in einer institutionellen bzw. organisationsbezogenen ___________ 27

Zum Gang der Gesetzgebung vgl. Schönleiter, GewArch 2009, 384 (385). Schönleiter (GewArch 2009, 384, 390) spricht davon, den Mitgliedstaaten werde „die gegenseitige Zusammenarbeit als Daueraufgabe übertragen“. 29 Zur Geschichte der Verwaltungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Mehde, in: Ziekow (Hrsg.), Entwicklungslinien der Verwaltungspolitik, Baden-Baden 2007, S. 25 ff.; zu „Aufkommen und Verbreitung von New Public Management in Deutschland“ vgl. die „institutionalistische Diskursanalyse mit bibliometrischen Methoden“ von Vogel, DMS 2/2009, 367 ff. 30 Zur Verwendung von Performance-Informationen vgl. die Fallstudie von Polzer/Kroll, VM 2010, 157 ff. 31 Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform – A Comparative Analysis, 2. Aufl., Oxford 2004, S. 90 ff.; Demmke/Moilanen, Civil Services in the EU of 27 – Reform Outcomes and the Future of the Civil Service, Frankfurt a.M. 2010, S. 127 ff.; zur Anwendung in Deutschland vgl. Proeller/Siegel, DMS 2/2009, 455 ff.; siehe auch – vor allem mit Blick auf die Reformen in den USA – Talbot, in: Ferlie/Lynn/Pollitt (Hrsg.), The Oxford Handbook of Public Management, Oxford 2005, S. 491 (492): „These various ‚tides of reform‘, with differing emphases on different aspects of performance, may have waxed and waned along with wider public sector reform (…) but ‚performance‘ in some guise has remained a permanent feature“; zum Führen mit Kennzahlen in der öffentlichen Verwaltung Hunziger, VM 2011, 73 ff. 32 Vgl. dazu aber Demmke/Moilanen, Civil Services in the EU of 27 – Reform Outcomes and the Future of the Civil Service, Frankfurt a.M. 2010, S. 177 ff. 28

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Perspektive33. Leistungsabhängige Bezahlungsbestandteile lassen sich zwar ohne weiteres in den Kontext der internationalen NPM-Diskussion einordnen34. Im deutschen NSM-Konzept wurden sie demgegenüber nicht konzeptionell einbezogen, vermutlich weil damit eine Veränderung der auf die institutionellen Entscheidungsbedingungen fokussierten Sichtweise einhergegangen wäre. Sehr wohl findet sich aber eine Vorstellung von Anreizen für sinnvolles Verhalten auf Seiten der zuständigen Entscheidungsträger. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich schon als Konsequenz aus der dem NSM zugrundeliegenden Problemanalyse, die mit der auf Banner zurückgehenden Beschreibung der Verwaltung als ein „System organisierter Unverantwortlichkeit“35 gekennzeichnet werden kann. Institutionalisierte, organisationsbezogene Anreize werden durch die Kombination aus Zielvereinbarungen und Budgetierung erreicht36, durch welche wiederum auch das Performance-Management konzeptionell aufgewertet wird37. Einsparungen bei bestimmten Aufgaben können unter diesen Rahmenbedingungen für andere Zwecke nutzbar gemacht und auch in das folgende Haushaltsjahr übertragen werden38. Eng mit diesen Überlegungen verknüpft sind auch die Ansätze zur Dezentralisierung und zur Trennung von strategischer Steuerung und Vollzug39. Auch hier wird von Überlegungen zum sinnvollen Verhalten der beteiligten Akteure ausgegangen, in diesem Fall aber nicht mit Blick auf deren Motivation zu einer bestimmten Leistung, sondern aus Sicht ihrer jeweils speziellen fachlichen Möglichkeiten40. Für die Politik wird festgestellt, dass eine Einflussnahme auf Einzelfälle grundsätzlich nicht als effizient angesehen werden kann. Schlagwortartig formuliert sollte das „Was“ von der Politik entschieden werden, während Überlegungen zum „Wie“ von der Verwaltung anzustellen seien41. Dieser Ansatz wird durchdekliniert, um im Ergebnis zu einem auf vollständiger De___________ 33 Vgl. Ziekow, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, Baden-Baden 2002, S. 349 (372). 34 Schedler/Proeller, New Public Management, 4. Aufl., Bern u. a. 2009, S. 243 ff. 35 Banner, VOP 1/1991, 6 (7). 36 Vgl. Hilgers, DMS 2/2009, 433 (440 f.); zu den zugrundeliegenden Prozessen vgl. Zahradnik, VM 2011, 78 (80). 37 Schedler/Summermatter, DMS 2/2009, 391 (393). 38 Vgl. Schedler/Proeller, New Public Management, 4. Aufl., Bern u. a. 2009, S. 167 ff. 39 Vgl. dazu Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, Berlin 2000, S. 86 ff. 40 Zu den Problemen bei der Umgestaltung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung vgl. Bogumil, in: Blanke u.a. (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Aufl., Wiesbaden 2011, S. 536 ff. 41 Jann (in: Blanke u. a. [FN 40], S. 98 [105]) hat diese Verantwortungsabgrenzung als „ein uneingelöstes Versprechen“ bezeichnet.

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zentralisation beruhenden Organisationsmodell zu gelangen42. Als eine Art Kompensation für diesen Verlust an Möglichkeiten zur Detailsteuerung werden Evaluationen sowie ein ausgefeiltes Controlling43 und Berichtswesen vorgesehen44. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass es also gerade Ausdruck des NSM war, die inneradministrativen, in dieser Definition nicht die strategischen Fragen betreffenden Entscheidungsprozesse grundsätzlich nicht seitens der Politik zu steuern, sondern diese in die Verantwortung der Verwaltung zu stellen. Dennoch zeigt diese Darstellung, dass mit dem NSM eine Reihe von Instrumenten verbunden war, die man – bei einer Ausweitung des Anwendungsbereichs auf primär binnenbezogene Fragestellungen – im Verwaltungsverfahrensrecht hätte regeln können45. Das gilt etwa für die Zielvereinbarungen sowie für die Ausgestaltung des Controllings und des Berichtswesens46. Eine stärkere Fokussierung der Verwaltungssteuerung auf den Output sollte auch mit dem Bemühen um eine Optimierung administrativer Prozesse einhergehen47. Hinsichtlich der Zielvereinbarungen hat es zwar Überlegungen in der Wissenschaft gegeben, inwieweit sich diese in das System der öffentlich-rechtlichen Handlungsformen einfügen48. Gesetzgeberische Umsetzungsbemühungen im Verfahrensrecht sind aber unterblieben49. Seitens des Gesetzgebers wurden diese Reformbemühungen allenfalls im Sinne eines Ermöglichens begleitet, nicht aber ___________ 42

Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, Berlin 2000, S. 86 ff. Speziell zum Verwaltungscontrolling: Schedler, in: Blanke u.a. [FN 40] S. 236 ff.; empirische Befunde bei Müller/Papenfuß/Schäfer, VM 2009, 13 ff. 44 Vgl. Schedler/Proeller, New Public Management, 4. Aufl., Bern u.a. 2009, S. 183 ff. 45 Für Ziekow (in: König/Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Berlin 2000, S. 69, 79) fordert das „Neue Steuerungsmodell als ganzheitliches Konzept (...) auch dem Verfahrensrecht einen Paradigmenwechsel ab“; vgl. auch ders., in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, Baden-Baden 2002, S. 349 (364 ff.). 46 Nach Auffassung von Ziekow (FN 16, S. 235) muss das Recht „auf den Abbau von hierarchischen Steuerungselementen reagieren“; „Information und Kommunikation“ müssten „stärker als Steuerungselemente wahrgenommen werden“. 47 Hilgers, DMS 2/2009, 433 (435). 48 Zur rechtlichen Einordnung von Zielvereinbarungen und Kontraktmanagement vgl. Hill, NVwZ 2002, 1059 ff. Kopp/Ramsauer (FN 17), Einführung I, Rn. 70; Musil, VR 2006, 396 ff.; Pünder, DÖV 1998, 63 ff.; Schmidt DÖV 2008, 760 ff.; Schneider, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, Baden-Baden 1997, S. 103 (130 ff.); Wolf-Hegerbekermeier, DÖV 1999, 419 ff.; Ziekow (FN 33), S. 377. 49 Ziekow (FN 16, S. 224) hat mit Blick auf das NSM darauf hingewiesen, dass „es sich um einen Ansatz“ handele, „der nicht primär auf die normative Steuerung“ setze; vgl. auch ders. (FN 33) S. 349 (350). 43

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verbindlich als Entscheidungsmodell vorgeschrieben50. Tatsächlich ging es in der deutschen Diskussion in erster Linie um „den Aspekt des internen Verwaltungsmanagements“ und den Versuch, durch „gründliche Binnenrationalisierung“ eine Stärkung des öffentlichen Sektors, nicht aber notwendigerweise eine Verkleinerung herbeizuführen51. Dass sich keine Bemühungen um eine Normierung finden, mag auch mit den Vorteilen der Informalität zusammengehangen haben52. Hinsichtlich der Imitation von Instrumenten, die aus dem privaten Sektor herrührten, konnte kaum auf Erfahrungen zurückgegriffen werden. Folglich waren auch die Regelungsbedarfe nur sehr schwer abschätzbar. „Die normative Verfestigung einzelner Instrumente“ lag aber „durchaus quer zum ganzheitlichen Ansatz des Neuen Steuerungsmodells“53. Eine auf abstrakten Überlegungen fußende Vorgabe hätte möglicherweise die Flexibilität beim Einsatz der Instrumente erheblich eingeschränkt. Insofern überwogen keinesfalls die Vorteile einer Formalisierung. Erst durch die schleppende – oder jedenfalls nicht vollständige54 – Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells55 zeichnete sich eindeutig ab, dass weitere Fortschritte in dieser Richtung von einer rechtlich verbindlichen Vorgabe abhängen würden. Diese erfolgte gegenüber den Kommunen durch die Einführung der Doppik, in deren Rahmen die Kommunen zur Definition von Produkten und damit zu einer dem NSM sehr ähnlichen Verknüpfung der Entscheidungsprozesse gezwungen werden56. Unabhängig von diesen möglichen Ursachen ist zu ___________ 50 Banner, DMS 2/2008, 447 (449 f.); allgemein zur Rolle des Rechts bei Verwaltungsreformen: Mehde, in: Blanke u. a. (FN 40), S. 20 ff. 51 Jann (FN 41), S. 101. 52 Speziell mit Blick auf Zielvereinbarungen: Hill, NVwZ 2002, 1059 (1063); Ziekow (in Pitschas/Kisa [FN 16], S. 187[225]) mahnt bei der „rechtlichen Verarbeitung des Kontraktmanagements hinsichtlich der Einordnung, der Verbindlichkeit und des Leistungsstörungsregimes“, dies sollte „gründlich eruiert werden, um einengende Überregulierungen zu vermeiden“. 53 Ziekow, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (FN 33), S. 349 (377). 54 Jann (in: Blanke u. a. [Fn. 40], S. 98 [104]) hat darauf hingewiesen, dass das NSM „gleichzeitig zur Orientierung und Koordinierung und als Messlatte sämtlicher Maßnahmen zur Verwaltungsmodernisierung dienen“ sollte; tatsächlich sei „das NSM aber vielfach als Werkzeugkasten und Handlungsanleitung gesehen“ worden, „aus dem man sich, je nach Bedarf, Möglichkeiten und Unterstützung, verschiedene Elemente herausnahm“; vgl. auch König, DÖV 2001, 617 (624); Ziekow (FN 33), S. 349 (355). 55 Zur Evaluation siehe Bogumil/Grohs/Kuhlmann/Ohm, Zehn Jahre Neues Steuerungsmodell – Eine Bilanz kommunaler Verwaltungsmodernisierung, 2. Aufl., Berlin 2007; Jann u. a., Status-Report Verwaltungsreform – Eine Zwischenbilanz nach zehn Jahren, Berlin, 2004; KGSt, Das Neue Steuerungsmodell: Bilanz der Umsetzung, Köln 2007; zur wissenschaftlichen Diskussion: Banner, DMS 2/2008, 447 ff.; Holtkamp, DMS 2008, 423 ff.; Scherzberg/Meyer, in: H. Hill/U. Schliesky (Hrsg.), Herausforderung e-Government, Baden-Baden, 2009, 253 (258 ff.). 56 Vgl. Banner, DMS 2/2008, 447 (449 f.).

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konstatieren, dass die beschriebene Entwicklung ohne spürbare Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahrensrecht blieb.

3. Beschleunigungsdiskussion Zum unmittelbaren Gegenstand der Verwaltungsreformdiskussion wurde das Verwaltungsverfahrensrecht im Kontext der Beschleunigungsdiskussion der 1990er Jahre57. Dabei erschienen die Verfahrensvorgaben auch in einem deutlich anderen Licht als zuvor. Für lange Zeit wurden sie grundsätzlich positiv wahrgenommen. Dem Verfahren wurde eine Bedeutung beim Grundrechtsschutz zugeschrieben. Der Gedanke einer Ähnlichkeit mit demokratischen Teilhaberechten findet seinen Ausdruck in dem von Häberle geprägten Begriff „status activus processualis“58. Auch dem VwVfG liegt der Gedanke zugrunde, dass der betroffene Einzelne „nicht bloßes Objekt eines Verfahrens“ sein soll59. Ausdruck dieses Gedankens sind etwa die Anhörungs- und sonstigen Beteiligungsrechte60. Die Änderungen an den §§ 45 f. VwVfG im Zuge der Beschleunigungsgesetzgebung haben diese Gedanken entwertet und stattdessen das Schwergewicht massiv auf die Seite der materiellrechtlichen Richtigkeit der Entscheidung verlagert61. Die Beschleunigungsdiskussion lief zeitlich parallel zu den ersten Überlegungen zum NSM62. Inhaltlich verknüpft war sie durch das gemeinsame Oberthema der Sicherung des Standorts Deutschland63. Das Bedürfnis nach Beschleunigung von Genehmigungsverfahren war eine Reaktion auf die Notwendigkeiten des Aufbaus der Infrastruktur in Ostdeutschland sowie auf die erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich schon bald nach der Wiedervereinigung in Deutschland abzeichneten64. Als eine der Ursachen wurden die als zu lang empfundenen Verwaltungsverfahren ausgemacht, auf die man ein Ausbleiben von Investitionen und für die Bundesrepublik negative Standortent___________ 57

Zum Kontext der Änderungen vgl. Ziekow (FN 16), S. 228 f. Vgl. dazu Häberle VVDStRL 1972, 43 (86 ff.). 59 Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 7. Aufl., München 2008, § 28, Rn. 1. 60 Zum subjektiv-rechtlichen Charakter der Anhörung vgl. etwa Ziekow, VwVfG, 2. Aufl., Stuttgart 2010, § 28, Rn. 1 f. 61 Vgl. Ziekow (FN 16), S. 229. 62 Für Schmidt-Aßmann (in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle [Hrsg.] Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, München 2008, § 27, Rn. 86) war „Verfahrensbeschleunigung (…) ein Zauberwort der neunziger Jahre“. 63 Vgl. dazu Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, Baden-Baden 2005, S. 522 ff. 64 Pein, BB 1996, 1399. 58

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scheidungen65 zurückführte66. Auf diese Ursachenanalyse gestützt, ließen sich argumentativ recht leicht die zu treffenden Gegenmaßnahmen begründen67. Diese führten zu zahlreichen Veränderungen im Verfahrensrecht. Unabhängig von den tatsächlichen Auswirkungen war mit ihnen eine nur als plakativ zu bezeichnende Neubewertung des Verwaltungsverfahrens im Kontext der administrativen Entscheidungsfindung verbunden. Diese Neubewertung beschränkte sich nicht auf die Einfügung des Zügigkeitsgebots in § 10 S. 2 VwVfG. Dabei handelte es sich um eine programmatische Aussage68, die zwar verbindlich anzuwendendes Recht darstellt, das aber kaum Auswirkungen auf gerichtliche Entscheidungen haben kann69. Eine sehr viel konkretere Aussage war demgegenüber mit der Veränderung der §§ 45 f. VwVfG verbunden. Praktische Auswirkungen dieser Veränderungen sind kaum zu belegen. Unbestreitbar ist damit aber eine Wertung verbunden, die eine Vernachlässigung der Abläufe für rechtlich weitgehend bedenkenlos erklärt. Die Diskussion über betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente hat also mit Blick auf die öffentliche Verwaltung nicht etwa zu inhaltlichen Vorgaben hinsichtlich der erforderlichen oder sinnvollen Prozesse bei der Entscheidungsfindung geführt, sondern ganz im Gegenteil die Tür zu einer Vernachlässigung der grundsätzlich einzuhaltenden Verfahrensschritte aufgestoßen, ohne eine neue inhaltliche Konzeption an deren Stelle zu setzen70. Auch der Bezug zur Haushaltskonsolidierung ist allenfalls ein mittelbarer: Durch schnellere Investitionen und eine damit einhergehende verbesserte Wirtschaftsentwicklung könnten natürlich auch die Einnahmemöglichkeiten des Staates steigen.

___________ 65 Zum Bundesratsentwurf eines „Standortsicherungsgesetzes“ als einer der Quellen für das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vgl. Schmitz/Wessendorf, NVwZ 1996, 955 (956). 66 Pein, BB 1996, 1399; Ziekow (FN 16), S. 197. 67 Zu den verschiedenen Beschleunigungsnovellen vgl. den Überblick bei Knopp/Wolf, BB 1997, 1593 (1593 f.); siehe auch Schmidt-Aßmann (FN 62), § 27, Rn. 86 ff. 68 Kopp/Ramsauer (FN 17), § 10, Rn. 17; vgl. auch Schmitz, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 7. Aufl., München 2008, § 10, Rn. 25: „Das durch das GenBeschlG in den Gesetzestext aufgenommene Gebot der Zügigkeit bedeutet keine inhaltliche Änderung. (…). Die Dauer von Genehmigungsverfahren erweist sich (…) eher als Imagefrage, die durch gesetzgeberisches Signal zugunsten eines besseren Investitionsklimas (Signalgesetzgebung) gelöst werden sollte“. 69 Schmitz (FN 68), § 10, Rn. 21 f. 70 Vgl. Ziekow (FN 45), S. 71 ff.

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4. Fazit Sieht man sich die Reformlandschaft in Deutschland seit den 1990er Jahren an, so stellt man fest, dass die wesentlichen, direkt um die Ansätze zur betriebswirtschaftlichen Steuerung und zur Haushaltskonsolidierung kreisenden Modelle keinerlei Auswirkungen auf das Verfahrensrecht hatten, sondern sich weitgehend in einem informellen Rahmen bewegten71. Umgekehrt sind die Änderungen des VwVfG72 nicht durch diese beiden Megatrends der verwaltungspolitischen Diskussion motiviert gewesen, sondern mit diesen lediglich über die gemeinsame Überschrift der Sicherung des Standortes Deutschland verknüpft. Politisch wird das VwVfG also offensichtlich nicht als ein Instrumentarium wahrgenommen, mit dem man Reformen im Stile des NSM durchsetzen kann73. Vielmehr hält das Verwaltungsverfahrensrecht praktisch ausschließlich Regelungen für den Erlass und die Wirkung von außenwirksamen Rechtsakten bereit. Überschneidungsbereiche, die sich im VwVfG abzeichnen, ergeben sich, wie sogleich zu zeigen sein wird, dort, wo der Gesetzgeber im Interesse einer Beschleunigung die internen Abläufe effizienter zu gestalten versucht hat. Dabei geht es durchaus um einen Steuerungsansatz im weitesten Sinn.

IV. Der Reformanlass Dienstleistungsrichtlinie Anders als bei den eben genannten Reformen74 ist mit dem externen Impuls75, den die Dienstleistungsrichtlinie der EU mit sich brachte, eine positive Vorgabe für administrative Abläufe verbunden, die zu unmittelbaren Veränderungen im Verwaltungsverfahrensrecht führte76. Es handelt sich zwar um einen gänzlich anderen Reformkontext, der aber in vielerlei Hinsicht beispielhaft ist. Die Regelungsstrategie ist Ausdruck des Versuchs, die tatsächliche Verwirkli___________ 71 Vgl. – mit Blick auf das Verwaltungsverfahren insgesamt – in diesem Sinne auch Ziekow (FN 33), S. 361 f. 72 Zu den das VwVfG bestimmenden Merkmalen vgl. Schmidt-Aßmann (FN 62), § 27, Rn. 13 f. 73 Vgl. dazu schon die – mit Blick auf das NSM getätigte – Aussage von Ziekow (FN 33, S. 385): „Die bisherigen Implementationserfahrungen deuten allerdings darauf hin, dass Verwaltung und Verwaltungsrecht mit der Umsetzung der in der Logik des Modells liegenden Folgerungen überfordert sein könnten.“ 74 Huck (in: Bader/Ronnellenfitsch, VwVfG, München 2010, § 71a , Rn. 1) sieht allerdings eine Vergleichbarkeit der Motive bei Beschleunigungsgesetzgebung und Dienstleistungsrichtlinie. 75 Diese Begrifflichkeit findet sich etwa bei Ziekow (FN 60), § 71a, Rn. 7; kritisch zur Detailgenauigkeit der Vorgaben Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (2). 76 Zu den Stufen der Umsetzung in Deutschland vgl. Kopp/Ramsauer (FN 17), § 71a, Rn. 11.

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chung materieller Rechte der Verfahrenssubjekte dadurch wahrscheinlicher zu machen, dass den Mitgliedstaaten bestimmte Reformen der Aufbau- und Ablauforganisation vorgeschrieben werden77. Durch diese materiellen Rechte – namentlich das primärrechtlich garantierte Recht auf Dienstleistungsfreiheit – entsteht ein Außenbezug, der folglich die Anwendung des VwVfG mit sich bringt. Daraus folgt eine Steuerungsaufgabe, die jedenfalls in Ansätzen in eine gesetzliche Regelung eingemündet ist. Im Ergebnis stellt sich dabei die Frage, inwieweit die so durchstrukturierte Problembearbeitung möglicherweise mit Spill-over-Effekten einhergeht, die entsprechende Ansätze auch für andere Reformmodelle umsetzen könnten.

1. Einheitliche Stelle Den zentralen Ansatzpunkt für die Reformen bildet das Erfordernis der Verfahrensabwicklung über einen einheitlichen Ansprechpartner gemäß Art. 6 DLR, der im Außenverhältnis Genehmigungen mit bundesweiter Geltung78 erlässt. Im Verwaltungsverfahrensgesetz sind die zentralen Vorschriften die §§ 71a ff., in denen von einer einheitlichen Stelle gesprochen wird. Damit wird ein „One-stop-shop“ und dadurch eine Reformvorstellung, die schon seit längerem in der Verwaltungsreformdiskussion eine Rolle spielte79, in das VwVfG aufgenommen80. Mit den Regelungen wird erstmalig im Verfahrensrecht eine Unterscheidung von Front-Office und Back-Office durchdekliniert81. Zudem werden die Abläufe im Back-Office nicht nur in die Verantwortung der Verwaltung gestellt, sondern es wird durchaus auch eine Idee von potenziellen Abläufen vermittelt82. Die Regelungen sind nicht auf den Anwendungsbereich der DLR oder etwa auf Verfahren mit Auslandsbezug beschränkt, ihre Anwendbarkeit ist vielmehr von der Eröffnung des Zugangs durch eine eigene Rechtsvorschrift abhängig83. ___________ 77 Zu den Hintergründen der DLR (s.o.) vgl. Streinz/Leible, in: Schlachter/Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Baden-Baden 2008, Einleitung, Rn. 19 ff. 78 Vgl. dazu Krajewski, NVwZ 2009, 929 (931 f.). 79 Vgl. etwa Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform – A Comparative Analysis, 2. Aufl., Oxford 2004, S. 105; im Kontext des NSM: Ziekow (FN 33), S. 378; siehe aber zu den Unterschieden zwischen den bisherigen Konzepten und den §§ 71a ff. VwVfG Schliesky ,(FN 20), § 71a, Rn. 1. 80 Siegfried, VM 2007, 171 (172); in der Literatur dazu ist von der einheitlichen Stelle als „Mittler zwischen Antragsteller und den eigentlich zuständigen Behörden“ die Rede (Jahn, GewArch 2009, 177). 81 Vgl. Kopp/Ramsauer (FN 17), § 71a, Rn. 6. 82 Zu den Modernisierungspotenzialen der DLR (s. o.) vgl. Schuppan, VM 2009, 293 ff. 83 Huck (FN 74), § 71a, Rn. 26; Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (3).

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Für das deutsche ausgeprägte Mehrebenensystem der Verwaltungsorganisation mit seiner komplexen örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsverteilung ist eine solche Vorgabe systemfremd84. Dass diese nun aus dem europäischen Recht Verbindlichkeit auch in Deutschland erlangt, geht zurück auf die Bedeutung dieser Verfahrensschritte für die Durchsetzung der Dienstleistungsfreiheit. Durch komplizierte Verfahren und das Nebeneinander unterschiedlicher Zuständigkeiten kann die Genehmigungserteilung so erschwert werden, dass die materiellrechtliche Garantie im Ergebnis nicht mehr zum Tragen kommt. Da nun damit natürlich keine Zusammenführung der Zuständigkeit für die Entscheidung als solche verbunden ist, wird lediglich eine Vorgabe für die Entgegennahme der Anträge und damit für das Front-Office gemacht85. Aufgezeigt wird allerdings gleichzeitig, wie durch Regeln die internen Strukturen – insbesondere hinsichtlich der Information und Kommunikation86 und der Koordinationsfunktion der einheitlichen Stelle 87 – bei der Bearbeitung der jeweiligen Anträge vorgezeichnet werden können.

2. Automatisierter Informationsaustausch Als zentraler Innovationsimpuls könnten sich auch die Regelungen über den Informationsaustausch erweisen88. Diese finden sich unter der Überschrift der „Europäischen Verwaltungszusammenarbeit“, wegen des Regelungsumfelds ist auch von „Europäischer Amtshilfe“ die Rede89. Ausdrücklich wird in § 8b IV sowie § 8d I 2 VwVfG auf den Informationsaustausch Bezug genommen. Eine entsprechende Struktur wird von der Europäischen Kommission in Gestalt des Internal Market Information System (IMI) bereitgestellt90. Damit einher geht eine systematische Standardisierung von Entscheidungsabläufen. Nur bei Informationsnotwendigkeiten, die nicht in Form standardisierter Fragen hinterlegt sind, erfolgt eine individualisierte Bearbeitung. Auf diese Weise erfolgt ein Paradigmenwechsel, wird doch auf diese Weise – anders als noch im Kontext des NSM – der Verwaltung nicht mehr die Entscheidung über die Abläufe überlassen, sondern detailliert ausgestaltet, wie die Prozesse grundsätzlich ablaufen ___________ 84

Saxe, VM 2008, 79 (80); vgl. auch Schliesky (FN 20), Vor §§ 71a–71e, Rn. 8. Die zuständige Behörde unterliegt, wenn der Antrag bei ihr gestellt wird, allerdings denselben Verpflichtungen, vgl. Kopp/Ramsauer (FN 17), § 71b, Rn. 22. 86 Huck (FN 74), § 71c, Rn. 3 f. 87 Schliesky (FN 20, § 71d, Rn. 1) hat darauf hingewiesen, dass in der „Koordinierungsaufgabe der einheitlichen Stelle (…) ihr Mehrwert“ liege. 88 Allgemein zur Bedeutung von Informationen im Rahmen der Modernisierungsprozesse: Hill, DÖV 2010, 789 ff. 89 Vgl. dazu schon Schliesky, Die Europäisierung der Amtshilfe, Stuttgart u. a. 2008. 90 Lenders/Paplocki, NWVBl. 2010, 87 (93 f.); Mehde (FN 26), S. 52 f. 85

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sollten. Damit verlagert sich die Vorgabe hin zur Frage eines effektiven, aber eben auch effizienten Datenaustausches. Die standardisierten Vorgaben geben der anfragenden Verwaltung die Möglichkeit, mit geringem Aufwand im System vorkonzipierte Informationsmöglichkeiten zu nutzen. Demgegenüber sind Abfragen, die nicht standardisiert erfolgen können, nur mit einem wesentlich größeren Aufwand möglich. Das Verfahrensrecht zeigt auf diese Weise den Weg auf für eine auf gemeinsamen Standards fußende Verknüpfung mit einem internationalen Informationssystem, das Grundlagen für die eigene Entscheidungsfindung liefern kann.

3. Genehmigungsfiktion als Anreiz zu effizientem Handeln Die Dienstleistungsrichtlinie sichert die Zügigkeit des Genehmigungsverfahrens dadurch ab, dass nach grundsätzlich drei Monaten91 eine Genehmigungsfiktion eintritt. Im VwVfG ist dies konzeptionell durch § 42a eingepasst worden92. Neben den technischen Fragen ist damit auch ein Paradigmenwechsel im allgemeinen Verfahrensrecht erfolgt. Bislang bewegten sich die Vorgaben an ein zügiges Verfahren, wie gezeigt, auf der prinzipiellen Ebene. Rechtsstaatliche Verfahrensregelungen stellen neben der Qualität in erster Linie die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sicher. Flankiert wird diese Anforderung durch den Untersuchungsgrundsatz, der eine Beschränkung der Sachverhaltsaufklärung unter Berufung auf den damit verbundenen Aufwand nicht zulässt93, wenn auch die Verwaltungspraktikabilität nicht außer Betracht zu bleiben hat94. Konsequenterweise dient die Anhörungspflicht aus § 28 VwVfG auch als Mittel der Sachverhaltsaufklärung95. Demgegenüber erfordert der Druck durch eine Genehmigungsfiktion eine Entscheidung, bei der gegebenenfalls die Informationsgrundlage, die man ansonsten voraussetzen würde, nicht hergestellt wird96. Der Zwang, eine ablehnende Entscheidung zu treffen, mag im Einzelfall größer sein als das Bedürfnis nach weiteren Ermittlungen. Unter dem Druck des möglichen Eintretens einer ___________ 91 Zu Bestimmung und Berechnung der Frist im Einzelfall vgl. Kopp/Ramsauer (FN 17), § 42a, Rn. 23 ff.; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, München 2010, § 42a, Rn. 10 ff. 92 Vgl. Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (7 ff.). 93 Ziekow (FN 60), § 24, Rn. 4. 94 Vgl. etwa Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., München 2008, § 24, Rn. 38. 95 Kopp/Ramsauer (FN 17), § 28, Rn. 1 f. 96 Krajewski (NVwZ 2009, 929, 933) spricht demgegenüber – wesentlich vorsichtiger – davon, die Genehmigungsfiktion bewirke „Selbstdisziplin der Verwaltung beim Bearbeiten der Anträge“.

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Genehmigungsfiktion verblasst die Forderung nach der Ermittlung „aller bedeutsamen Umstände“. Die Genehmigungsfiktion bildet damit eine Einbruchstelle für Effizienzüberlegungen bei der Durchführung des Verwaltungsverfahrens. Darüber hinaus erfolgt damit auch eine Steuerung über Anreize, wie sie im Rahmen der Überlegungen zu einer betriebswirtschaftlichen Steuerung der Verwaltung nicht intensiver hätte ausgeformt werden können. Den Anreiz bildet dabei die Gestaltungsmöglichkeit selbst. Nur bei einer zügigen Bearbeitung behält man das Heft des Handelns in der Hand und verhindert die unkontrollierte Wirksamkeit einer fingierten Genehmigung.

4. Fazit Der praktische Erfolg der DLR ist bislang nicht gewährleistet und wird wesentlich von der effektiven Erfüllung der mit dem Rechtsrahmen einhergehenden Möglichkeiten abhängen97. Unabhängig von der praktischen Bedeutung, die die DLR einmal erlangen wird, ist mit ihrer Umsetzung ein Paradigmenwechsel im deutschen Verfahrensrecht hin zu Elementen betriebswirtschaftlicher Steuerung erfolgt. Das gilt sowohl für die Vorgabe bestimmter effizienter Abläufe wie auch die Aufteilung der Verwaltung in eine Frontoffice- und Backoffice-Struktur. Gleichzeitig erfolgt eine Steuerung über einen erheblichen Anreiz. Der externe Impuls einer europäischen Vorgabe für die Durchsetzung materieller Rechte hat somit mehr zu einer Umsetzung betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente beigetragen als rund zwei Jahrzehnte intensiver Diskussionen über neue Steuerungsmodelle, die aus dem privaten Management für die öffentliche Verwaltung fruchtbar gemacht werden sollen.

V. Weitere Potenziale? Die beschriebenen Ansätze werfen die Frage nach weiteren Potenzialen einer Ausrichtung an den Zielen der Haushaltskonsolidierung sowie der betriebswirtschaftlichen Steuerung auf. Die bisherige Entwicklung spricht nicht für eine unmittelbare Verbindungslinie. Die Außenwirksamkeit der mit der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie verbundenen Veränderungen ist als zentraler Unterschied zu den Vorhaben, die mit der Verwaltungsreformdiskussion seit den frühen 1990er Jahren angestrebt und zum Teil auch verwirklicht wurden, hier bereits herausgearbeitet worden. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass die übrigen Veränderungen, die mit der Beschleunigungsdiskussion verbunden waren, wie gezeigt, nicht auf einer grundsätzlich anderen inhaltli___________ 97

Reichelt, LKV 2010, 97 (101).

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chen Vorstellung von Verfahren, sondern ausschließlich auf dem Bedürfnis nach ihrer Verkürzung beruhen. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich schwerlich ab, aus welcher Richtung neuere Reformtrends aus dem Kontext einer Modernisierungsdiskussion herrühren könnten. Insbesondere ist kaum zu erwarten, dass die verfahrensrechtlichen Vorschriften umfassend auf den Gesichtspunkt der Binneneffizienz ausgerichtet werden könnten, stehen dem doch erhebliche systematische Bedenken entgegen. Hierbei müsste es sich nämlich um Änderungen bei verschiedenen Detailregelungen handeln. Bislang sehen die Regelungen keine ausdrückliche Verpflichtung auf die Effizienz des Handelns vor. Das aus § 10 VwVfG hergeleitete Effizienzgebot verändert die materiellrechtlichen Anforderungen an Verwaltungsentscheidungen nicht98. Es widerspricht dem traditionellen, von der Gesetzesbindung her gedachten Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, rechtlich determinierte Entscheidungen von der Wirtschaftlichkeit der dabei gefundenen Lösungen abhängig zu machen. Das Zügigkeitsgebot aus § 10 S. 2 VwVfG ist stets mit den Ermittlungsanforderungen abzuwägen, wie sie sich aus § 24 VwVfG ergeben99. Selbst bei bestehenden Spielräumen ist keinesfalls gewährleistet, dass von mehreren möglichen die jeweils effizienteste Lösung gefunden wird. So hat sich etwa die Ermessensausübung an dem Sinn und Zweck der zugrundeliegenden Vorschrift zu orientieren (§ 40 VwVfG, vgl. auch § 114 S. 1 VwGO), nicht aber an der Günstigkeit der möglichen Optionen unter Kostengesichtspunkten. Gemäß § 40 hat die Behörde innerhalb der gesetzlichen Grenzen „ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben“. Hier bedeutete schon die Aussage, dass dabei auch Fragen der Wirtschaftlichkeit des Handelns berücksichtigt werden können, eine Abkehr von der Ausrichtung auf den Zweck der Regelung. Ähnliche Überlegungen lassen sich auch bei sonstigen rechtlichen Weichenstellungen konstatieren, die für eine Ausrichtung auf die Effizienz des Entscheidungssystems prinzipiell herangezogen werden könnten. So ließen sich etwa beim Amtsermittlungsgrundsatz, der bislang fordert, „alle für den Einzelfall bedeutsamen (...) Umstände zu berücksichtigen“ (§ 24 II VwVfG), über die oben schon genannten, aus der Dienstleistungsrichtlinie herrührenden Modifizierungen hinaus Vorgaben für einen stärker pragmatisch orientierten Umgang mit den sachlichen Entscheidungsvoraussetzungen treffen. Im diesem Sinne wäre auch etwa an eine Ergänzung der Ausnahmen vom Anhörungserfordernis in § 28 II VwVfG um wirtschaftliche Gründe zu denken. Auch diesen Überlegungen stehen allerdings verfassungsrechtliche wie auch verwaltungspolitische Bedenken gegenüber. Auch wenn natürlich nicht jede Anpassung an praktische ___________ 98 99

Kopp/Ramsauer (FN 17), § 10, Rn. 16a. Ziekow (FN 60), § 10, Rn. 6.

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Notwendigkeiten sogleich als rechtsstaatswidrig angesehen werden sollte 100, so müsste doch eine solche Reform die Auswirkungen auf die Gesetzesbindung sehr genau analysieren. In diesem Fall spricht viel dafür, dass es sich um einen Paradigmenwechsel handelte, der für die deutsche Rechtsstaatstradition unabsehbare Folgen hätte. Verwaltungspolitisch liefe dies letztlich auf eine (weitere) Entwertung des Verfahrens hinaus. Dies wäre in Anbetracht der Tatsache, dass, wie gezeigt, die Verfahrensvorgaben nur als kursorisch zu bezeichnen sind, eine höchst problematische Reduzierung der Steuerungswirkungen des VwVfG. Sehr viel deutlicher zeichnen sich die weiteren Reformpotenziale hinsichtlich der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie ab. Dabei könnte es im Ausgangspunkt darum gehen, den Reformimpuls aufzunehmen101. Die konkreten Konsequenzen könnten sich sowohl auf sehr konkrete Regelungsansätze beziehen wie auch auf der prinzipiellen Ebene bewegen. Konkret kommt zum Beispiel eine Ausdehnung der effizienzsteigernden Mechanismen des Informationsaustauschs102 auf Fälle ohne grenzüberschreitenden Bezug in Betracht103. So könnte sich ein Impuls in Richtung auf eine weitere Prozessorientierung und Standardisierung ergeben, da eine solche Entwicklung für die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie – insbesondere im Kontext einer notwendigerweise elektronischen Verfahrensabwicklung – ohnehin erfolgen muss104. Auf einer eher prinzipiellen Ebene taugen Regelungszweck und -ansatz zum Vorbild. Der Gesetzgeber hat eine Vielzahl von Instrumenten geregelt, die in dieser Hinsicht eindeutig einzuordnen sind. Die Umsetzung des Regelungszwecks in konkrete Vorschriften erfolgt gleichermaßen klar wie konkret. Die Verfahren, die damit genutzt werden müssen, sind für die jeweiligen Stellen eindeutig definierbar. Gleichzeitig wird auf eine bloß abstrakte Vorgabe, wie etwa die Zügigkeit, verzichtet. Statt leicht zu umgehender Programmsätze erfolgt so eine Strukturierung, an der die tatsächlich durchgeführten Schritte gemessen werden können.

___________ 100 Für Ziekow (FN 45, S. 90) ist „Modernisierung nicht zum rechtsstaatlichen Nulltarif zu haben“. 101 Ziekow (FN 16, S. 198) hat darauf hingewiesen, dass das „Innovationspotenzial des Allgemeinen Verwaltungsrechts“ sich „primär aus seiner Rezeptionsoffenheit“ ergebe. 102 Zur Anwendbarkeit der §§ 71a ff. VwVfG auf reine Inlandssachverhalte vgl. Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (3). 103 Mehde (FN 26), S. 58; Schulz, NdsVBl. 2009, 97 (102); Schliesky, in: Leible (Hrsg.), Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie – Chancen und Risiken für Deutschland, Jena 2008, S. 43 (70 ff.). 104 König, LKV 2010, 289 (294).

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VI. Fazit Die seit den frühen 1990er Jahren intensiv geführte Verwaltungsreformdiskussion hat im VwVfG keine Spuren hinterlassen. Umgekehrt haben die Änderungen im VwVfG, die mit der parallel dazu geführten Beschleunigungsdiskussion verbunden waren, gerade zu einer Entwertung der Verfahrensanforderungen geführt und im Übrigen auch keinen unmittelbaren Bezug zum verwaltungspolitischen Megatrend der Imitation von privaten Managementtechniken in der öffentlichen Verwaltung gehabt. Das Verwaltungsverfahrensrecht wird sicher auch in Zukunft nicht der Hauptschauplatz für Reformvorhaben sein, die auf die Binneneffizienz der Verwaltung zielen. Sehr wohl können hier aber Aspekte abgebildet werden, die in diese Richtung zielen. Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie hat in dieser Hinsicht ein Beispiel gegeben, das weit über den unmittelbaren Anwendungsbereich und das zentrale Regelungsziel hinausgeht. Das Ziel der verbesserten Durchsetzung der Dienstleistungsfreiheit bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Überprüfungsmöglichkeiten durch die zuständigen Behörden105 wird dabei in konkrete Vorgaben für das Verfahren übertragen.

___________ 105

Vgl. Ziekow (FN 60), § 71a, Rn. 4 sowie Rn. 17.

Verwaltungsverfahren bei unerwarteten und ungewissen Ereignissen und Entwicklungen Hermann Hill

I. Rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Regelungsbereich und Regelungsgehalt des VwVfG Regelungsbereich und Regelungsgehalt des VwVfG standen trotz grundsätzlicher Anerkennung der Kodifikationsleistung von Anfang an in der Kritik1. So wurde das Gesetz etwa als „Kodifikation“ mit konzeptionellen Schwächen bezeichnet2. Auch neuerdings wird die Frage wieder gestellt, ob unser geltendes Verwaltungsverfahrensrecht noch zukunftsfähig sei3. Das Gesetz sei in einem engeren Sinne entscheidungsorientiert. Die kommunikativen Beziehungen zwischen Bürger und Verwaltung würden als Rechtsverhältnis mit festen Rollen definiert4. Das VwVfG sei auf die Zeit „vor“ der Entscheidung begrenzt5, Ereignisse und Entwicklungen „nach“ der Entscheidung würden nur teilweise erfasst6, solche „außerhalb“ oder „ohne“ auf eine Entscheidung im Sinne des § 9 VwVfG gerichtet zu sein, bleiben völlig außer___________ 1

Vgl. Hermann Hill, Zehn Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz, Speyerer Arbeitshefte 78, 1987; Wolfgang Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz – Einleitende Problemskizze, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 9 (21 ff., 38 ff.). 2 Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, § 27 Rn. 12 ff. 3 Dieter Kallerhoff, Praxisforum „Verwaltungsverfahren aus Sicht der Wirtschaft, der Kommunen und der Drittinteressen“ (Moderation), in: Burgi/Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 107 (108). 4 Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 13; ders., Verwaltungsverfahren und Verwaltungskultur, NVwZ 2007,40 (41). 5 Hans Christian Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II (Fn. 2), § 30 Rn. 27. 6 Jens-Peter Schneider, Innovationsverantwortung im Verwaltungsverfahren, in: Eifert/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovationsverantwortung, Innovation und Recht III, 2009, S. 287 (299 ff.) plädiert für eine Entscheidungsflexibilisierung und Verfahrensentgrenzung.

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halb des Regelungsbereichs. Unerwartete, unsichere oder ungewisse Ereignisse und Entwicklungen oder gar Risiken7 und damit in Zusammenhang stehende Verfahren kommen in der Vorstellungswelt des VwVfG nicht vor. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum werden sie dagegen ausführlich erörtert. Bereits 1994 stellte Wolfgang Hoffmann-Riem fest, die zur Abschwächung des Bestandsschutzes von Einzelentscheidungen bisher bereitgestellten Instrumente – etwa Widerrufsvorbehalte, Befristungen, Ermächtigungen zu nachträglichen Anordnungen – reichten nicht überall zur Erhaltung hinreichender Revisionsoffenheit8. Andreas Voßkuhle fasste 2002 unter dem Begriff „Risikoverfahren“ solche Regelungen zusammen, die den Prozess der Entscheidungsfindung über den Umgang mit risikobehafteten Innovationen (Produkten, Anlagen, Verfahren) der Wissenschaft und Technik unter den Bedingungen gesteigerter Komplexität und kognitiver Unsicherheit gestalten. Ihnen sei die Aufgabe gemein, eine nachvollziehbare Entscheidung der Verwaltung zu ermöglichen, obwohl empirische Beweise für Ursache-Wirkungszusammenhänge fehlten und auch die theoretische Kalkulierbarkeit der mit den Neuerungen verbundenen Risiken begrenzt sei. Die materielle Determinierung dieser Entscheidungen bleibe insgesamt gering, womit die Eigenverantwortung der Verwaltungsbehörden zunehme und die Bedeutung prozeduraler Vorgaben wachse.9 Als übergreifende Entwicklungstendenzen dieser Verfahren bezeichnete er u. a. Prozeduralisierung, Verfahrensprivatisierung und Verantwortungsteilung sowie eine normative Verdichtung der Kommunikationsbeziehung zwischen den Beteiligten in und um das Verwaltungsverfahren. Während in den herkömmlichen Konstellationen das Verfahren seinen Abschluss regelmäßig in einer hoheitlichen Entscheidung finde, trete das Element der Abschlussentscheidung in diesen neueren Verfahren zugunsten permanenter Kontroll-, Beobachtungs- und Kommunikationspflichten zurück, an die sich Phasen der Revision und des Lernens anschlössen10. ___________ 7 Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994; Jörn Ipsen/Dietrich Murswieck/Bernhard Schlink, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL 48 (1990), S. 177 ff., 207 ff., 235 ff. 8 Wolfgang Hoffmann-Riem, Ermöglichung von Flexibilität und Innovationsoffenheit im Verwaltungsrecht – Einleitende Problemskizze, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 9 (62). 9 Andreas Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren, in: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz (Fn. 1), S. 277 (330 f.); vgl. noch Arno Scherzberg/Oliver Lepsius, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen?, VVDStRL 63 (2004), S. 214 ff., 264 ff. 10 Voßkuhle (Fn. 9), S. 343 ff., 345.

Verwaltungsverfahren bei unerwarteten Ereignissen

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Ivo Appel beschäftigte sich 2004 mit der Methodik des Umgangs mit Ungewissheit. Als Strategien zur Minimierung und Vermeidung von Ungewissheitsfolgen sah er an: Offenheit für Revision und Anpassung, Alternativen- und Verträglichkeitsprüfungen, Vertretbarkeitsprüfungen sowie eine Beweislastumkehr11. Folgewirkungen des rechtlichen Umgangs mit Ungewissheit seien Flexibilisierung und Temporalisierung des Rechts, Futurisierung des Rechts, partielle Entmaterialisierung und Prozeduralisierung des Rechts sowie eine Nivellierung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung12. Hans Christian Röhl weist darauf hin, dass im hergebrachten Rechtsstaatsmodell das zur Subsumtion des Einzelfalls unter die Norm nötige Erfahrungsund Regelwissen (§ 24 VwVfG) als stabil und bekannt vorausgesetzt wurde13. In komplexen Regelungsmaterien, wie etwa dem stoffbezogenen Umweltrecht, dem Regulierungsrecht14 oder dem Wirtschaftsrecht sei dagegen das Wissen in hohem Maße veränderungsanfällig und vorläufig, dynamisch und instabil15. Hinzu kommt, dass es in vielen Fällen überhaupt noch nicht „entdeckt“ und aufbereitet ist und entsprechende Quellen auf verschiedene Träger verteilt sind. In diesen häufig als Entscheidungen unter Ungewissheitsbedingungen bezeichneten Konstellationen komme der Verwaltung ein Auftrag zur Wissensgenerierung im und durch Verfahren zu, sie müsse das erforderliche Wissen zur Anwendung der für sie maßgeblichen Normen erst erzeugen16. In diesen Verfahren der Wissensgenerierung17 übernehme die Verwaltung Funktionen, die im klassischen Modell dem Gesetz zugewiesen seien, sie erlange dadurch einen informativen Vorsprung gegenüber den anderen Gewalten. Dies verlange neue Formen der Steuerung und Kontrolle18. Röhl hält deshalb eine Erweiterung des klassischen Verfahrenskonzepts um folgende Verfahrenselemente für notwendig: Die Installation von Kommunikationsprozessen als Reaktion auf ubiquitäre Wissensdistribution, eine Entscheidungstemporalisie___________ 11 Ivo Appel, Methodik des Umgangs mit Ungewissheit, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 327 (344 ff.). 12 Appel (Fn. 11), S. 351 ff. 13 Hans Christian Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II (Fn. 2), § 30 Rn. 26. 14 Vgl. noch Michael Fehling, Instrumente und Verfahren, in: ders./Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht 2010, § 20 Rn. 117 ff.; Klaus Ferdinand Gärditz, Regulierungsrechtliche Auskunftsanordnungen als Instrument der Wissensgenerierung, DVBl 2009, 69. 15 Röhl (Fn. 13), § 30 Rn. 29, 25. 16 Röhl (Fn. 13), § 30 Rn. 27, 24. 17 Vgl. noch Burkard Wollenschläger, Wissensgenerierung im Verfahren, 2009; Indra Spiecker gen. Döhmann/Peter Collin (Hrsg.), Generierung und Transfer staatlichen Wissens im System des Verwaltungsrechts, 2008. 18 Röhl (Fn. 13), § 30 Rn. 38.

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rung und Flexibilisierung als Reaktion auf voranschreitende Dynamisierungsprozesse sowie eine Konzeptpflicht, mit deren Hilfe die Verwaltung dazu angehalten werde, ihre zukünftigen Entscheidungen transparent und vorhersehbar zu machen19. Diese Konzepte20 sollen eine mittlere Konkretisierungsebene zwischen Gesetz und Anwendung darstellen und eine Kompensation für die wegfallende Stabilisierungswirkung des Gesetzes bieten, Erwartungssicherheit und Gleichbehandlung gewährleisten, der Rationalisierung des Verwaltungshandelns dienen und eine gerichtliche Kontrolle ermöglichen21. Zu Recht weist er darauf hin, dass bei dieser neuen eigenständigen Funktion des Verfahrensrechts zur Wissensgenerierung auch Verfahrensfehler eine andere Bedeutung gewinnen müssen22. Röhl untersucht weiterhin sog. Überwachungsverfahren, die der Informationsvorsorge dienten. Wegen sich rasch ändernder Wissensbestände, insbesondere über im Zeitpunkt der Genehmigung nicht bekannte Risiken oder auch Marktentwicklungen, sei es erforderlich, das zwischen Behörde und Bürger bestehende Rechtsverhältnis nicht mit einer Entscheidung abzuschließen, sondern durch ein anschließendes Überwachungsverhältnis in die Zukunft auszuweiten23. Im Unterschied zu diesem „Entscheidungsfolgenrecht“ gehe es in sog. nicht akzessorischen Überwachungsverhältnissen darum, aufgrund der Vielzahl von genehmigungsfrei zirkulierenden Produkten, Tätigkeiten oder Personen diejenigen ausfindig zu machen, die im Einzelfall nicht hinnehmbare Risiken mit sich brächten24. In diesen Fällen bilde die Überwachung ein funktionales Äquivalent für die nicht vorgesehene Zulassungsentscheidung. Schließlich bestünden noch Beobachtungs- und Informationsverfahren außerhalb konkreter Verwaltungsrechtsverhältnisse wie etwa die Umweltbeobachtung nach § 44 Abs. 1 BImSchG25. ___________ 19

Röhl (Fn. 13), § 30 Rn. 34 ff. Vgl. noch Wollenschläger (Fn. 17), S. 202 ff., 216, sowie zur Aufgabe abstraktgenereller Maßstabsbildung im Rahmen administrativer Selbstprogrammierung auch Gärditz (Fn. 14), S. 71. 21 Röhl (Fn. 13), § 30 Rn. 37. 22 Röhl (Fn. 13), § 30 Rn. 39. 23 Röhl (Fn. 13), § 30 Rn. 40. 24 Zur Verlagerung von der präventiven auf die repressive Kontrolle bei Genehmigungsfreiheit, Genehmigungsfiktionen, Anzeige- oder Anmeldepflichten im Bau- und Gewerberecht und möglichen Wissens- oder Kontrollverlusten vgl. noch Pascale Cancik, Fingierte Rechtsdurchsetzung? – Zum (sukzessiven) Abschied von der Eröffnungskontrolle, DÖV 2011, 1. 25 Röhl (Fn. 13), § 30 Rn. 41. 20

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Auch Innovation schaffe Unsicherheit26. Deshalb erfordere eine staatliche Innovationsverantwortung bestimmte Vorkehrungen bei der gesetzlichen Gestaltung von Zulassungsverfahren innovativer Produkte, etwa im Arzneimittelund Chemikalienrecht, als auch repressive Verfahren zur nachträglichen Beschränkung von aufgetretenen Innovationsnebenfolgen27. Jens-Peter Schneider verweist insoweit auf die Reduktion von Unsicherheit bei der Entscheidungsvorbereitung durch wissensgenerierende Verfahrenselemente, auf organisatorische und materielle Entscheidungsregeln bei verbleibender Unsicherheit als auch auf Flexibilisierung der Entscheidung und Verfahrensentgrenzung zur Generierung und Verarbeitung weiteren Wissens, wodurch die Entscheidung zum Ausgangspunkt von Risikomanagementprozessen werde28. Verfahren setzten sich danach in der Implementation der Verfahrensergebnisse, ihrer Kontrolle und gegebenenfalls Revision sowie in den hierdurch beeinflussten Lernprozessen fort. In den Blick gerieten dann rekursive „Verfahrensketten“ etwa in Gestalt aufeinander aufbauender oder einander modifizierender Entscheidungen innerhalb eines sukzessiven Innovations- und Diffusionsprozesses. Diese Anschlussverfahren in die Betrachtung einzubeziehen, ermögliche es, belastende oder entlastende Wechselwirkungen zwischen ihnen und dem Ursprungsverfahren zu erkennen und zu bewerten. Aus dieser Perspektive ließen sich vielfältige Formen einer „funktionalen Entgrenzung“ von Verwaltungsverfahren erkennen29. Bevor die Frage gestellt wird, inwieweit das VwVfG solche neuartigen Verfahren regeln oder zumindest rahmenartige Aussagen hierzu aufnehmen sollte, soll zunächst als Exkurs ein Blick auf Erkenntnisse in anderen Disziplinen geworfen werden.

II. Auseinandersetzung mit Handlungskonzepten, Vorgehensweisen und Problembewältigungsstrategien in anderen Disziplinen Schon 1987 habe ich, gerade in Speyer angekommen, darauf hingewiesen, dass eine rein juristische Sicht des Verwaltungsverfahrens seinen vielfältigen Funktionen nur unzureichend gerecht würde. Die Forschungsansätze, -perspek___________ 26

Zu Gemeinsamkeiten zwischen Innovationsmanagement und Krisenmanagement vgl. Hermann Hill, Staatliches Innovationsmanagement – Bilanz und Perspektiven, in: ders./Schliesky (Hrsg.), Innovationen im und durch Recht, 2010, S. 285 (299). 27 Jens-Peter Schneider, Innovationsverantwortung im Verwaltungsverfahren, in: Eifert/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovationsverantwortung. Innovation und Recht III, 2009, S. 287 (288). 28 Schneider (Fn. 27), S. 289. 29 Schneider (Fn. 27), S. 299.

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tiven und -ergebnisse der Verwaltungs- und Sozialwissenschaften hätten insofern die Problemsicht der juristischen Dogmatik vertieft und erweitert30. Rainer Wahl hat in seinem Vortrag bei der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1982 festgestellt, dass die öffentliche Verwaltung einen „Gesamtauftrag“ zu erfüllen habe31. Insofern plädiert Andreas Voßkuhle zu Recht dafür, dass eine neue Verwaltungsrechtswissenschaft sich nicht nur juristischer Methoden verpflichtet sehen solle, sondern auch Methoden aus anderen Disziplinen einbeziehen und diese verschiedenen Erkenntnisinteressen und Zugänge im Sinne eines „Einheitsmodells“ zusammenführen solle32. Als Ursache und Antriebskraft für die Überwindung des „Trennungsmodells“ sieht Voßkuhle etwa das Aufkommen des Wissensparadigmas. Der Bedarf an Information und Wissen sei drastisch gestiegen. Gleichzeitig seien die Grenzen des verfügbaren Wissens angesichts überbordender Komplexität und Dynamik, nicht linearen Kausalverläufen, Diskontinuitäten und Irreversibilitäten, globalen Effekten sowie unabschätzbaren Risiken immer schneller erreicht. Das aus diesem Wissensdilemma resultierende Bedürfnis nach flexiblen, situationsbezogenen und im weitesten Sinne lernfähigen Handlungsanweisungen könne das traditionelle Ordnungsrecht nicht hinreichend befriedigen. Auch die klassisch-hierarchisch organisierte Verwaltung erscheine kaum in der Lage, einen ausreichenden Informationsfluss zu gewährleisten. Folglich seien Gesetzgeber und Verwaltungsrechtswissenschaft aufgerufen, jedenfalls in bestimmten, durch besondere Dynamik geprägten Rechtsgebieten über alternative Regelungsstrategien und Organisationsformen nachzudenken33. Viele Aufgaben der heutigen Verwaltung, sei es in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Bildung, Integration, Sicherheit oder Wirtschaft/Finanzen, enthalten zunehmend komplexere und miteinander verflochtene Probleme (sog. wicked problems34). Die Ausgangslage ist häufig unscharf, die Lösung ist nicht ___________ 30

Hill (Fn. 1), S. 42. Rainer Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), S. 151 (157); Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 208. 32 Voßkuhle, Verwaltungsrecht & Verwaltungswissenschaft = Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, BayVBl 2010, 581. 33 Voßkuhle (Fn. 32), S. 584 f.; vgl. noch Gunnar Folke Schuppert/Voßkuhle (Hrsg.), Governance von und durch Wissen, 2008; Röhl (Hrsg.), Wissen – Zur kognitiven Dimension des Rechts, die Verwaltung, Beiheft 9, 2010. 34 Henning Schridde, Die „Soziale Stadt“ und „Ganzheitliches Regieren“ im aktivierenden Sozialstaat, in: Fritz Behrens (Hrsg.), Ausblicke auf den aktivierenden Staat, 2005, S. 289 (294); Adina I. Dudau, Managing Uncertainty: Public administrators dealing with „wicked“ issues in public policy, in: Schweizerische Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften (Hrsg.), Jahrbuch der Schweizerischen Verwaltungswissenschaften 2010, 2010, S. 71 ff.; Keith Grint, Wicked Problems and Clumsy Solutions: The Role of 31

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absehbar, die Ziele werden erst im Laufe des Prozesses gemeinsam entwickelt, Instrumente und Wege müssen erst entdeckt werden, Such- und Relevanzkriterien entwickeln sich im Laufe des Prozesses weiter, eine Wissensperspektive reicht nicht aus, um das Problem zu erfassen und die vermeintliche „Lösung“ hat in der Regel nur kurzen Bestand35. Verwaltungen befinden sich im Übergang. Die Kanadierin Jocelyne Bourgon36 teilt die Entwicklung der öffentlichen Verwaltung in den letzten 30 Jahren in vier Phasen ein: Traditionell werde von den Verwaltungen erwartet, bei relativ stabilen Verhältnissen vorhersehbare Aufgaben zu lösen. Dabei sei compliance (Regeleinhaltung) gefragt. Mit der Ausdifferenzierung von Programmen und Instrumenten, schnelleren Entscheidungsprozessen und veränderten Modalitäten der Leistungserbringung seien dann die Ergebnisse und ihre Messung in den Fokus gerückt. Performance (Leistung) sei das Leitprinzip dieser Phase. Beide Ansätze seien indes für vorhersehbare Sachverhalte entwickelt worden. Im 21. Jahrhundert komme es dagegen darauf an, Strategien jenseits der Vorhersehbarkeit zu entwickeln. Statt eines linearen Denkens seien ein Denken in Systemen sowie antizipierende und proaktive Maßnahmen erforderlich. Diese Phase wird von Bourgon mit Emergenz (langsam sich ausbildende Entwicklung) gekennzeichnet. Weiterhin gehe es darum, Resilienz (Widerstands- und Anpassungsfähigkeit)37 aufzubauen, um negative Ereignisse zu bewältigen bzw. zu verarbeiten, Wandel zu absorbieren und daraus zu lernen und damit adaptive Fähigkeiten zu entwickeln. Letztere Ansätze sind insbesondere in den Umwelt- und Naturwissenschaften entwickelt worden38. Am Beispiel des Umgangs mit natürlichen Ressourcen in der Land- und Forstwirtschaft zeigen Ronald D. Brunner und Toddi A. Steelman die notwendige Entwicklung des „Scientific Management“ hin zur „Adaptive Governance“ auf. Bei dieser Entwicklung sollen herkömmliche Ma___________ Leadership, in: Stephen Brookes/Keith Grint (eds.), The New Public Leadership Challenge, 2010, S. 169 ff. 35 Hermann Hill, Von Innovationsmanagement und Management der Unsicherheit zur zukunftsfähigen Verwaltung, Verwaltung und Management 2011, S. 3. 36 Jocelyne Bourgon, New Directions in Public Administration. Serving beyond the predictable, in: Public Policy and Administration, 2009, 309 ff.; Hermann Hill, Perspektive 2020, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung 2010, 2010, S. 9 (16). 37 Zu Herkunft und Verwendung des Begriffs in der Personalforschung vgl. Thorsten Kim Schreiweis, Resilienz Management – Aktuelle Personalmanagementforschung im Lichte der öffentlichen Verwaltung, in: Hill (Fn. 22), S. 257 ff. 38 Elmar Günther, Klimawandel und Resilience Management. Interdisziplinäre Konzeption eines entscheidungsorientierten Ansatzes, 2009.

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nagementziele oder bürokratische Strukturen keinesfalls eliminiert werden. Vielmehr könnten sie in das größere Muster der „Adaptive Governance“ integriert werden39 Während das „Scientific Management“ von stabilen Beziehungen und einem unzweideutigen, aber bruchstückhaften Wissen in geschlossenen Systemen ausgehe, beziehe sich „Adaptive Governance“ auf offene Systeme mit kontingentem und unvollständigem Wissen, bei dem Überraschungen unvermeidlich seien. Im ersten Fall gehe es um Einzelziele, die effizient realisiert werden sollen, sie seien gegeben und fest, Fortschritt sei messbar; beim zweiten seien viele Ziele zu integrieren, sie hingen von Urteilen im jeweiligen Kontext ab und unterlägen einem Wandel. Beim ersten „Governance-Muster“ habe Planung Priorität, beim zweiten sei der Prozess der Politikgestaltung mit Monitoring, Evaluation und der Beendigung fehlgeschlagener Politiken verbunden. Beim „Scientific Management“ verlaufe die Entscheidungsfindung „top down“ durch eine zentrale Autorität. Beim Muster der „Adaptive Governance“ erfolge die Integration verschiedener Politiken „bottom up“ bei geteilter Autorität und Kontrolle. Beim ersten Muster seien nur die Experten qualifiziert, gute Managementpläne zu entwickeln und umzusetzen, Bürokratien seien notwendig, um einheitliche Regeln zu vollziehen, Pläne und Planungsprozesse seien standardisiert und auf längere Zeitperioden angelegt. Beim zweiten Muster könne jede Person oder Gruppe mit einem signifikanten Interesse partizipieren, gemeinschaftsbasierte Initiativen könnten die Begrenzungen der Bürokratie kompensieren, erfolgreiche Politiken könnten auf höhere oder tiefere Ebenen übertragen werden40. Nach Ansicht von Jan Sendzimir und Kollegen, die das Thema am Beispiel der Renaturierung des Tisza-Flussbettes in Ungarn diskutieren41, wurde „Adaptive Management“ als ein strukturierter Lernprozess entwickelt, um mit Unsicherheit von sozio-ökologischen Entwicklungen umzugehen. Die Autoren unterstreichen die Unmöglichkeit von Planung und Steuerung in einer komplexen und wechselhaften Welt; diese seien romantische Sichtweisen, geboren im Optimismus der frühen Aufklärung. Unsere Verantwortung, die Wirkungen der Evolution durch neue Wege des Lernens, Managements und der Diskussion ___________ 39 Ronald D. Brunner/Toddi A. Steelman, Beyond Scientific Management, in: Brunner et al. (eds.), Adaptive Governance. Integrating Science, Policy and Decision Making, 2005, S. viii, 34. 40 Brunner/Steelman (Fn. 39), S. 33 f. 41 Jan Sendzimir et al., Adaptive management to restore ecological and economic resilience in Tisza river basin, in: Voß et al. (eds.), Reflexive Governance for Sustainable Development, 2006, S. 131 (157).

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aufzugreifen, sollte vielmehr Unsicherheit als Anreiz nutzen, Innovationen zu erforschen und nicht Anlass sein für Besorgnis und Apathie. Angesichts der Ambiguität sozialer Ziele, der Unsicherheit über UrsacheWirkungs-Beziehungen und der Rückkopplung zwischen Steuerungsaktivitäten und sozialen, technologischen und ökologischen Entwicklungen erfordere das Prinzip der Nachhaltigkeit neue Formen der Problembewältigung. Denken und Handeln in Bezug auf ein Steuerungsobjekt verändere ebenfalls das Subjekt und seine Fähigkeit zu steuern. „Reflexive Governance“ sei daher erforderlich42. Vorausschau und adaptive Planung werden als komplementäre Elemente gesehen43. „Learning while managing“44 werde benötigt. Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum bleiben diese Ansätze aus den Umwelt- und Naturwissenschaften nicht ungehört45. Im Bereich des Klimawandels werden, ausgehend von europäischen Regelungen, strategische Adaptionsprüfungen vorgenommen. Zum Anforderungsprofil einer adaptionsgeleiteten Verwaltungstätigkeit zählt Martin Kment46 Bewusstseinsbildung, Wissensgenerierung, Ungewissheitsbewertung, Zukunftsfähigkeit im Sinne von Folgenorientierung, Alternativen- und Verträglichkeitsprüfungen sowie Flexibilität in Inhalt (Optionen) und Verfahren (Schrittfolgen). Zwischen gleichwertig richtigen Alternativen schwankend sei das Verwaltungsverfahren tendenziell experimentell und auf Selbstkontrolle angelegt. Monitoring, Evaluationen und Nachbesserungen böten die Chance, stetig zu lernen und das gewonnene Wissen mit Gewinn wieder einzubringen. Das Verwaltungsverfahren lasse bewusst Such- und Lernprozesse zu und verstehe sich mitunter sogar als „Realexperiment“. Es sei nicht zwangsläufig auf einen Entscheidungsendpunkt ausgerichtet, sondern münde durchaus in einem Zwischenergebnis, welches seinerseits als Ausgangspunkt für neue Suchbewegungen diene. Es sei zu erwägen, mit Finalnormen zu arbeiten und beispielsweise durch Qualitätsziele einen anzustrebenden Zustand schrittweise zu definieren. Mit ___________ 42

Jan-Peter Voß/René Kemp, Sustainability and reflexive governance: introduction, in: Voß et al. (Fn. 41), S. 3 (4). 43 K. Matthias Weber, Foresight and adaptive planning as complementary elements in anticipatory poliy-making: a conceptual and methodological approach, in: Voß et al (Fn. 41), S. 189 ff. 44 Sendzimir et al. (Fn. 41), S. 140. 45 Umfassend Moritz Reese u. a., Rechtlicher Handlungsbedarf für die Anpasssung an die Folgen des Klimawandels, Berichte 1/10 des Umweltbundesamtes, 2010; Wolfgang Köck, Immissionsschutzrechtliche Störfallvorsorge vor den Herausforderungen der Anpassung an den Klimawandel, ZUR 2011,15. 46 Die folgenden Ausführungen sind entnommen aus Martin Kment, Anpassung an den Klimawandel, JZ 2010, 62 (68 ff.).

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diesen Möglichkeiten behalte die Verwaltung die Definitions- und Entscheidungsgewalt auch für die Zukunft. Sie handele unter einem Revisionsvorbehalt und lasse sich Handlungs- und Wahlmöglichkeiten offen, um situationsabhängig zu reagieren47. Der Gesetzgeber sei aufgrund der vorhandenen Unwägbarkeiten zu einer Rücknahme direkter materiell-rechtlicher Regelungen gezwungen und auf eine ergänzende und eigenständig gestaltende Verwaltung angewiesen. Die partielle Entmaterialisierung würde durch eine dezidierte Verfahrensausgestaltung des Gesetzgebers mit Ziel-, Instrumenten- und Methodenvorgaben kompensiert und dürfte zukünftig außerdem zu einer Verschiebung der gerichtlichen Kontrolle führen. Hierzu gehöre dann auch, dass die Entscheidungsadressaten und Betroffenen verstärkt in den Entscheidungsprozess eingebunden würden. Auch hierin liege eine Form der Kompensation von Unsicherheit. Im Ergebnis werde die Gesamtentwicklung wohl dazu führen, dass die adaptionsrelevante Verwaltungstätigkeit in einen Zwischenbereich von Einzelanwendung und abstrakter Rechtsetzung falle, der den notwendigen Freiraum schaffe, um im Einzelfall angemessen korrigierend oder bestätigend zu handeln48. Neben den Methoden der adaptionsgeleiteten Verwaltungstätigkeit aus dem Umwelt- und Klimaschutz bieten Konzepte zum adaptiven Fallmanagement im Prozess- und Wissensmanagement sowie agile Verfahren im Projektmanagement und der Softwareentwicklung interessante Denkanstöße zur Weiterentwicklung von Verwaltungsverfahren. In den 90er Jahren begannen Verwaltungen damit, ihre Aktivitäten nach dem Muster von Unternehmensprozessen zu organisieren49. Darunter wird ein Bündel von Aktivitäten verstanden, für das ein oder mehrere unterschiedliche Inputs benötigt werden und das für den Kunden ein Ergebnis von Wert erzeugt50. Nach der klassischen Speyerer Definition stellt E-Government die Abwicklung

___________ 47 Vgl. schon Hermann Hill, Rechtsstaatliche Bestimmtheit oder situationsgerechte Flexibilität des Verwaltungshandelns, DÖV 1987, 887. 48 Kment (Fn. 46), S. 71. 49 Hermann Hill, Reengineering im öffentlichen Bereich, in: Hess (Hrsg.), Reengineering im öffentlichen Bereich, Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften, Band 36, 1997, S. 29 ff.; ders., Neue Organisationsformen in der Staats- und Kommunalverwaltung, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 65 (86); Stephan von Bandemer/Michael R. Hübner, Prozessmanagement in der öffentlichen Verwaltung, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Aufl. 2011, S. 254 ff. 50 Michael Hammer/James Champy, Business Reengineering, 1994, S. 52.

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geschäftlicher Prozesse mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien dar51. Der Prozessbegriff der Betriebswirtschaft und der Informatik unterscheidet sich vom Begriff des Verwaltungsverfahrens dadurch, dass Prozesse vom Ende her, vom Ergebnis, dem Kunden bzw. der Wertschöpfung gedacht52 und insoweit auch modelliert bzw. neu gestaltet werden. Verwaltungsverfahren sind zwar auf ein Ergebnis im Sinne des § 9 VwVfG gerichtet, werden indes nach ihrem Beginn (auf Antrag oder von Amts wegen gemäß § 22 VwVfG) auf dieses Ergebnis hin ablauforientiert entwickelt. Zum anderen werden unter dem Prozessbegriff auch interne Prozesse (Steuerungs- und Serviceprozesse) verstanden53. Zudem wird ein Prozess durchgängig bzw. integriert von innen nach außen bzw. umgekehrt gestaltet, ggf. auch unter Einbeziehung von Prozessbestandteilen externer Akteure (sog. Prozessketten), während Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG nur die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden betreffen. Bei Verwaltungsverfahren kommt der Behörde ein sog. Verfahrensermessen54 zu, d.h. sie sind gemäß § 10 VwVfG an bestimmte Formen nicht gebunden, sondern einfach, zweckmäßig und zügig zu gestalten. Insbesondere elektronisch durchgeführte Prozesse sollen (aus Effizienzgründen sowie im Hinblick auf die Möglichkeit einer modularen Neuverknüpfung) aus Sicht der Wirtschaftsinformatik standardisiert verlaufen55. Bezüglichkeit der Übertragbarkeit von Prozessmanagement auf die öffentliche Verwaltung wurde schon früh angemerkt, dass insbesondere wissensbasierte und Entscheidungsprozesse im Hinblick auf Ermessens- und Abwägungsspielräume sowie notwendige Abstimmungen und Kooperationen häufig „un-

___________ 51 Jörn von Lucke/Heinrich Reinermann, Speyerer Definition von Electronic Government, in: Reinermann/von Lucke (Hrsg.), Electronic Government in Deutschland, Speyerer Forschungsberichte 226, 2002, S. 1, zu neueren Ansätzen vgl. Hermann Hill, Ein flexibles Qualitätsmanagement für E-Government, innovative verwaltung 9/2010, S. 14. 52 Hermann Hill, Anforderungen an die Architektur einer modernen kirchlichen Verwaltung, Verwaltung und Management 2010, 115 (117). 53 Jan Ziekow, Inwieweit veranlasst das Neue Steuerungsmodell zu Änderungen des Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsverfahrensgesetzes?, in: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz (Fn. 1), S. 349 (354). 54 Hermann Hill, Verfahrensermessen der Verwaltung, NVwZ 1985, 449. 55 Zu Standardisierung als Reifegrad vgl. Frank Hogrebe/Markus Nüttgens, Business Process Maturity Model (BPMM): Konzeption, Anwendung und Nutzenpotentiale, in: Reinheimer (Hrsg.), Prozessmanagement, Praxis der Wirtschaftsinformatik, HMD 266, 2009, S. 17 (19).

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scharf“ verlaufen bzw. nicht vollständig strukturiert werden können56. Neuerdings wird auch für Geschäftsprozesse darauf hingewiesen, dass Scientific Management und Automation der Geschäftsprozesse nur bei voraussagbaren und wiederholbaren Prozessen Sinn mache, Wissensarbeit sei dagegen nicht vorhersehbar in diesem Sinn und erfordere einen anderen Ansatz57. Business Process Management lehre, dass man mit einem Modell des Prozesses starten solle, aber nicht alle Entscheidungen könnten und sollten vorab getroffen werden58, Bei sog. emergenten Prozessen sollten Aufgaben nicht in einer unveränderlichen Prozessdefinition rigide festgelegt werden, sondern erst im Verlauf des Prozesses geplant werden. Im Sinne einer „Adaptability“ sollte der Plan zu jeder Zeit geändert werden können59. Wissensarbeit unterliege nicht einem vordefinierten Prozess. Ein „Adaptive case management“ nutze insofern fallbezogene Daten als Kristallisationspunkt, um den herum Prozesse organisiert werden sollen60. Im Unterschied zum Business Process Mangement bei vorhersagbaren Prozessen könne ein „Adaptive Case Management“ könne dagegen nicht programmiert werden, weil das genaue Arbeitsmuster nicht vorhergesagt werden könne61. Im Bereich der Softwareentwicklung ging man ursprünglich vom sog. Wasserfallmodell aus, bei dem das Softwareentwicklungsprojekt in Phasen unterteilt wurde, die vorab geplant und streng sequentiell auszuführen waren62. Ausgehend von dem Agile Software Development Manifest, das eine Gruppe von Softwareentwicklern und Beratern im Jahre 2001 vorgestellt hat63, werden neuerdings agile Methoden bevorzugt, die das Ziel haben, Softwareentwicklung

___________ 56

Hermann Hill, in: Hess (Fn. 49), S. 40; Klaus Lenk, Geschäftsprozessmanagement im öffentlichen Sektor – Unterschiede zur Privatwirtschaft?, in: Hill (Hrsg.), Die Zukunft des öffentlichen Sektors, 2006, S. 11. 57 Keith D. Swensson, The Nature of Knowledge Work, in: ders. (Hrsg.), Mastering the Unpredictable. How Adaptive Case Management will Revolutionize the Way That Knowledge Workers Get Things Done, 2010, S. 5. 58 Jacob P. Ukelson, What to Do When Modeling Doesn’t Work, in: Swensson (Fn. 57), S. 29. 59 Tom Shepherd, Moving from Anticipation to Adaptation, in: Swensson (Fn. 57), S. 41. 60 Dana Khoyi, Data Orientation, in: Swensson (Fn. 57), S. 135. 61 Dana Khoyi/Keith D. Swensson, Templates, Not Programs, in: Swensson (Fn. 57), S. 145. 62 Manfred Steyer, Agile Muster und Methoden, 2010, S. 11; Stephan Reindl/ Thomas Kracht, Nichts ist sicherer als die Veränderung, BehördenSpiegel März 2011, 40. 63 http://www.Agilemanifesto.org; vgl. auch die Jubiläumsausgabe der Zeitschrift OBJEKTspektrum, März/April 2011, 10 Jahre Agiles Manifest.

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flexibler zu gestalten, so dass jederzeit, auch am Ende des geplanten Projekts, auf notwendige Änderungen und Anpassungen reagiert werden kann64. Dieser iterative und inkrementelle Ansatz erfordert weniger Dokumentation und Formalität, aber mehr Teamwork und Experimentierfreudigkeit65. Man akzeptiert, dass nur die unmittelbare Zukunft sinnvoll detailliert beplant werden kann. Es sei naiv, anzunehmen, man könnte alle guten Ideen schon vorab haben und bräuchte sie nur erst zu spezifizieren und danach nur noch zu bauen und zu testen. Diese Idee sollte aufgegeben werden. Im Voraus sollte man die beste Richtung wissen, aber man könne nicht das detaillierte Ergebnis kennen66. Es handelt sich also bei dieser Methode nicht um einen durchgängigen Prozess mit einem festgelegten Endprodukt, sondern um einen evolutionären und experimentellen Ansatz mit kurzen Iterationen und jeweils aktuellen FeedbackZyklen. Bei jeder Iteration wird eine verwendbare Version des Produkts ausgeliefert, die immer wieder durch Einbeziehung der Nutzungserfahrungen des Kunden verbessert wird und so am Ende einen höchsten Wert erhält. Auch im modernen Management, insbesondere der Organisationsforschung und Prozessberatung gibt es ähnliche Ansätze. Die klassische Herangehensweise im Projektmanagement (klare Vorgaben, klare Verantwortlichkeit, klare Terminplanung) wird nur bei Aufgaben mit sog. gut definierten Problemen, die Wiederholungscharakter haben und durch Routinen zu erledigen seien, für geeignet gehalten67. Bei schlecht definierten Problemen, über deren Struktur ein Verantwortlicher nur wenig wisse, deren Definition von Akteur zu Akteur unterschiedlich sei und zu deren Lösung die Beteiligten aufgrund der Komplexität nicht alle Handlungsalternativen erwägen und auf ihre Folgen hin abklopfen können, machten dagegen exakte Zielvorgaben keinen Sinn. Sie verbauten nur den Weg zu unerwarteten Lösungen. Stattdessen wird eine kontingente Vorgehensweise empfohlen, bei der nur grob der Projektverlauf vorgegeben bzw. die Richtung

___________ 64

Steyer (Fn. 62), S. 9. John P. Beardwood/Michael Shour, Risk Management and Agile Software Development: Optimizing Contractual Design, Cri 2010,161 (162); vgl. noch Heinz Erretkamps/Inga Löh, „Getting Things Done“ by agile Knowledge Worker Teams – ein Einstieg in die lernende Organisation, in: Markus Bentele, u. a. (Hrsg.), Mit Wissensmanagement Innovationen vorantreiben!, 2010, S. 155. 66 Henning Wolf u. a., Die Kraft von Scrum. Eine inspirierende Geschichte über einen revolutionären Projektmanagementansatz, 2011, S. 152 f. 67 Stefan Kühl u. a., Raus aus der Routine, Harvard Business manager, Mai 2005, 22 (23). 65

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abgesteckt werde, um Versuch und Irrtum zuzulassen und Lösungsansätze, die bereits in der Organisation vorhanden seien, in das Projekt einzubauen68. Auch an anderer Stelle wird betont, Prozesse, bei denen ausführlich definierte und mit Prioritäten versehene Absichten in spezifische Zustände und Handlungen gegliedert werden, deren Verwirklichung überwacht und gemessen werde, hätten nichts damit zu tun, wie Menschen im realen Leben Erfüllung fänden, bedeutende Kunstwerke schaffen, ein solides Gemeinwesen aufbauen oder florierende Unternehmen gründen69. Die (soziale, wirtschaftliche und natürliche) Umwelt, in der wir uns bewegten, verändere sich im Laufe der Zeit und im Zuge unserer auf sie bezogenen Interaktionen. Unser Wissen über diese komplexe Umwelt sei zwangsläufig fragmentarisch und unvollkommen70. Erfolge, Misserfolge und Wissenszuwachs führten zu einer Neubewertung unserer Absichten und Ziele sowie der daraus resultierenden Handlungen. Indirekte Ansätze der Entscheidungsfindung und Problemlösung (Umwegstrategien), die mit Experimenten, Entdeckung und Anpassung verbunden seien, seien daher letztlich erfolgversprechender71. Auch wenn die in diesem Abschnitt dargestellten Ansätze auf den ersten Blick weit weg vom behördlichen Verwaltungsverfahren und dem VwVfG erscheinen mögen, zeigen sie doch, dass geplante, lineare Prozesse für vorhersehbare Sachverhalte weiterhin angemessen sein mögen, dass aber unerwartete und ungewisse Ereignisse und Entwicklungen neue flexible, agile und adaptive Ansätze erfordern, die in Disziplinen, insbesondere solchen, die sich mit Umwelt, Management und Technik beschäftigen, nicht nur bereits vorausgedacht wurden und praktiziert werden, sondern deren Denkmuster und Vorgehensweise möglicherweise auch auf staatliches Handeln vom gedanklichen Ansatz her übertragen werden können. Gerade die neueren Entwicklungen im Zusammenhang mit Stuttgart 21 haben deutlich gemacht, dass auch Verwaltungsverfahren der Weiterentwicklung mit iterativen und diskursiven Elementen bedürfen, wenn sie weiterhin nicht nur auf Akzeptanz stoßen, sondern auch zur Integration der Bürger in den Staat

___________ 68 Kühl u. a. (Fn. 67), S. 25 ff.; vgl. auch Katrin-Susanne Richter/Frank Ibold, Organisationssoziologie und Change Management – die Bedeutung von lokalen Rationalitäten, Machtspielen und Kontingenz, in: Keuper/Groten (Hrsg.), Nachhaltiges Change Management, 2007, S. 232 (237 f.). 69 John Kay, Obliquity. Die Kunst des Umwegs oder wie man am besten sein Ziel erreicht, 2011, S. 75. 70 Kay (Fn. 69), S. 18 f. 71 Kay (Fn. 69), S. 74, 67; zu einer Gegenüberstellung direkter und indirekter Ansätze vgl. S. 79 f.

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beitragen sollen72. Insbesondere bedarf es der Möglichkeit, auch während des Verfahrens neu auftretende Sachverhalte, Kommunikationsbedarfe oder Kooperationsbedürfnisse zu berücksichtigen. Dafür können die oben dargestellten Verfahren Anregungen geben.

III. Emergente, dynamische und adaptive Verfahren im VwVfG? Der Überblick hat gezeigt, dass sich über den begrenzten Verfahrensbegriff des VwVfG hinaus eine Vielzahl von Verwaltungsverfahren bei unerwarteten und ungewissen Ereignissen und Entwicklungen herausgebildet haben. Es handelt sich zusammengefasst –

um pro-aktive Verfahren der Erkundung und Aufklärung73, der Vorsorge, Risikoanalyse74 und Abschätzung75,



um Verfahren der Beteiligung und Einbeziehung, der Verknüpfung und Verschränkung76 sowie der Offenlegung und Rechtfertigung77,



sowie um Verfahren der Beobachtung und Anpassung (Adaption), der Überprüfung und Evaluation, der Entwicklung und Fortschreibung bis hin zu einer lebenszyklusorientierten Verfahrenssteuerung78.

Bei Verfahren unter Unsicherheit und Problemdruck gewinnt das sog. innere Verfahren79, die Methodik der Entscheidungsfindung, im Hinblick auf Legiti___________ 72 Vgl. Hermann Hill, Integrierendes Staatshandeln – Brauchen wir einen neuen Politik- und Verwaltungsstil?, in: Festschrift für Edzard Schmidt Jortzig, 2011. 73 Vgl. noch Markus Möstl, Eingriffsschwellen im polizeilichen Informationsrecht, in: Spiecker gen. Döhmann/Collin (Fn. 17), S. 239 ff.; Thomas Darnstädt, Karlsruher Gefahr – Eine kritische Rekonstruktion der polizeirechtlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Vorratsdaten-Urteil und im Online-Urteil, DVBl 2011, 263. 74 Vgl. noch Bernhard J. Simon, Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, BayVBl 2009, 161; Arno Scherzberg, Risikoabschätzung unter Ungewissheit, ZUR 2010, 303; Liv Jaeckel, Risiko-Signaturen im Recht, JZ 2011, 116. 75 Alexander Windoffer, Verfahren der Folgenabschätzung als Instrument zur rechtlichen Sicherung von Nachhaltigkeit, Habilitationsschrift Speyer 2010. 76 Vgl. etwa noch Pascale Cancik, Umweltrechtliche Aktionspläne in der Bauleitplanung – eine Annäherung an Probleme der Verzahnung von Planungsinstrumenten, DVBl 2008, 546. 77 Hermann Hill, Open Government als Form der Bürgerbeteiligung, in: Beck/Ziekow (Hrsg.), Mehr Bürgerbeteiligung wagen, 2011, S. 57 ff. 78 Dazu vgl. Jan Ziekow/Alexander Windoffer, Public Private Partnership als Verfahren – Struktur und Erfolgsbedingungen von Kooperationsarenen, NZBau 2005, 665 (669); zur dynamischen Perspektive einer Lebenszyklus-Betrachtung, die auch eine Adaptions-Fähigkeit einschließt, vgl. auch Georg Schreyögg/Jochen Koch, Grundlagen des Managements, 2007, S. 320.

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mation, Rationalität und Akzeptanz noch mehr an Bedeutung als bei geplanten und gerichteten Verwaltungsverfahren unter relativ stabilen Verhältnissen. Dabei kann man von sog. Hochsicherheitsorganisationen lernen80 und eine institutionelle Achtsamkeit oder Risiko-Intelligenz 81 entwickeln. Zugleich geht es darum, Wahrnehmungsfallen und Vereinfachungs- bzw. Reduktionsstrategien zu vermeiden82 und ein „Rationalitätsvorsorge“ zu betreiben. So fordert etwa Röhl eine innere Ordnung oder Verfahrensstrukturierung, für die insbesondere die Idee des Konzepts stehe83. Die verfahrensrechtlichen Arrangements müssten der gewachsenen (eigenständigen) politischen Funktion der Verwaltung zusätzliche Legitimation zuführen. Auch bei neueren online mediierten Verfahren steht die Generierung von Ideen und Wissen im Vordergrund. Diese bedürfen nach Ansicht erfahrener Praktiker84 neben einer Anschlussfähigkeit an das politisch-administrative System („verfahrensexterne Relevanz“) auch einer aktiven Gestaltung „nach innen“ („verfahrensinterne Relevanz“). Eine Verfahrensplanung oder „Verfahrenschoreografie“ , unter der alle auf die Binnenwelt des Verfahrens gerichteten, konzeptionellen Entscheidungen und Aktivitäten verstanden werden könnten, sei erforderlich, um neues Wissen kommunikativ zu generieren und den Diskurs ziel- und ergebnisorientiert umzusetzen85. Fraglich bleibt, ob die auf verschiedene Verfassungsbestimmungen gestützte „konzeptionelle Selbstprogrammierung“86, die auf mittlerer Konkretisierungsebene zwischen Gesetz und Anwendung angesiedelt wird87, nicht auch einer Ermutigung, Ermächtigung und parlamentarischen „Rückendeckung“ in einem allgemeinen Gesetz wie dem VwVfG bedürfte. In materieller Hinsicht greift ___________ 79 Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, S. 62 ff.; ders., Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 286. 80 Annette Gebauer/Ursula Kiel-Dixon, Das Nein zur eigenen Wahrnehmung ermöglichen, Organisationsentwicklung 2009, 40; Annette Gebauer, Aus Krisen und Katastrophen lernen – der Ansatz High Reliability Organizing: Wege zu einer Kultur kollektiver Achtsamkeit, Personalführung 2010, 50. 81 Caroline Brüesch/Laurence Kager, Risikokultur als Grundlage für Innovationsmanagement in Verwaltungen, in: Schauer u. a. (Hrsg.), Innovative Verwaltungen, 2011, S. 191 ff.; Brigitte Witzer, Risikointelligenz, 2011. 82 Vgl. Erika Hayes James/Lynn Perry Wooten, Leading under Pressure, 2010, S. 75 ff, 80 ff. zu „bounded rationality“, „bounded awareness“ und „heuristics“ als Einschränkungen eines rationalen Entscheidungsfindungsprozessses. 83 Röhl (Fn. 13), Rn. 84. 84 Oliver Märker/Josef Wehner, E-Participation: Gewinnung bürgerschaftlicher Expertise zur Qualifikation von Planungs- und Entscheidungsprozessen, in: Zechner (Hrsg.), Handbuch E-Government, 2007, S. 367 (373, 376 f.). 85 Märker/Wehner (Fn. 84), S. 377. 86 Wollenschläger (Fn. 17), S. 202 ff., 216. 87 Röhl (Fn. 13), Rn. 37.

Verwaltungsverfahren bei unerwarteten Ereignissen

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der Gesetzgeber zu unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln, um begrenztes Wissen und veränderliche Verhältnisse rechtsstaatlich einzufangen88. Das Verfahrensermessen in § 10 VwVfG bietet einen vergleichbaren Rechtsgedanken für die Verfahren nach § 9 VwVfG. Sondergesetze enthalten zumindest teilweise Regelungen für Verfahren bei unerwarteten oder ungewissen Ereignissen und Entwicklungen89. Dennoch bleibt zu überlegen, ob nicht auch das „Grundgesetz der Verwaltung“90 einen allgemeinen Rahmen und eine Handlungsanleitung für die Verwaltungspraxis für diese neuartigen Konstellationen schaffen und damit als „Spiegel der Verwaltungskultur“91 auch der erweiterten Lebens- und Rechtswirklichkeit Rechnung tragen sollte. Die Regelung könnte als „Recht für den Wandel“92 durchaus rahmenartig, offen und entwicklungsfähig gefasst werden. Auch die schwierige Kompetenzlage und das Bestreben, Bundes- und Landesgesetze möglichst einheitlich zu halten93, sollten dafür kein unüberwindliches Hindernis darstellen.

___________ 88 Michael Kloepfer, Rechtliche Grundprobleme des Katastrophenschutzes, in: Dolde u. a. (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft, Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S. 391 (397); vgl. noch Rolf Stober/Sven Eisenmenger, Katastrophenverwaltungsrecht – Zur Renaissance eines vernachlässigten Rechtsgebiets, NVwZ 2005, 121; Christoph Gusy, Katastrophenschutzrecht – Zur Situation eines Rechtsgebiets im Wandel, DÖV 2011, 85. 89 Etwa das Gentechnikgesetz, dazu Voßkuhle (Fn. 9), S. 333 oder das Arzneimittelgesetz, dazu Schneider (Fn. 27), S. 292 f.; zur grundsätzlichen Frage Wolfgang Kahl, Das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Kodifikationsidee und Sonderrechtsentwicklungen, in: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz (Fn. 1), S. 67 ff. 90 Peter Häberle, Verfassungsprinzipien „im“ Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Schmitt Glaeser (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, Festschrift Boorberg-Verlag, 1977, S. 47 (49). 91 Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 12. 92 Hermann Hill, Neues Recht für eine neue Verwaltung, in: ders./Klages (Hrsg.), Jenseits der Experimentierklausel, 1996, S. 191 ff. 93 Röhl (Fn. 13), Rn. 9.

Das VwVfG vor neuen Herausforderungen Hermann Hill

Bei der Diskussion der Eröffnungskontrollen am gestrigen Tag hatte man den Eindruck, dass sich alle dogmatisch denkenden Juristinnen und Juristen wohl fühlten. Es ging um weitgehend vertraute Materien, die um den Zentralbegriff des deutschen Verwaltungsrechts, den Verwaltungsakt, und § 9 VwVfG kreisten1. Heute stehen dagegen Themen auf der Agenda, die Juristen eher etwas ferner liegen. Noch im letzten Jahr hat ein Gericht entschieden, dass ein Richter Computerarbeit ablehnen darf und das Recht hat, weiter auf Papier zu arbeiten2. Uns allen ist der Spruch bekannt „iudex non calculat“ und der Gedanke, dass Rechtsgewährung unter dem Vorbehalt der Finanzierung stehen könnte, aus rechtsstaatlichen Gründen unvorstellbar. Im Rechtsstaat gelten darüber hinaus die Prinzipien von Rechtssicherheit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit. Die Juristenausbildung war lange Zeit auf nachträgliche Rechtsentscheidungen fixiert, zukunftsgerichtete Rechtsgestaltung eher ungewohnt. Außerhalb von Juristenkreisen wurde Recht teilweise sogar als Innovationsbarriere angesehen, seine Funktion als Katalysator und Leitplanke für neue Entwicklungen kaum anerkannt3. Der Umgang mit unerwarteten und ungewissen Ereignissen blieb dem Verwaltungsverfahren und seinem Gesetz daher eher fremd. Diese Materien werden nun hier als Herausforderungen behandelt. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Funktionsauftrag der „vollziehenden Gewalt“ (Art. 20 Abs. 2, 3 GG) nicht nur in der Verwirklichung des Rechts und der (Grund-)Rechte besteht, sondern einen umfassenden „Gesamtauftrag“ bein___________ 1 So auch der Eindruck von Christoph Brüning in der Diskussion im Rahmen der Tagung. 2 Dienstgerichtshof beim OLG Hamm, Az: 1 DGH 2/08 (nicht rechtskräftig), dazu Joachim Jahn, Richter darf Computerarbeit ablehnen, FAZ vom 21. April 2010. 3 Robert F. Heller/Eike Richter, Das Recht als erfolgskritischer und reformstrategischer Faktor im E-Government, DVBl 2010, 345; Hermann Hill, Staatliches Innovationsmanagement – Bilanz und Perspektiven, in: ders./Schliesky (Hrsg.), Innovationen im und durch Recht, 2010, S. 285 (288).

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haltet4. Innerhalb dessen stellen Verfahren, insbesondere solche zum Treffen „richtiger“ Sachentscheidungen, nur einen Teil der Problemlösung bzw. Wertschöpfung5 dar. Sie sind eingebettet in einen Gesamtzusammenhang, der auch andere Dimensionen, wie Haushalt/Finanzen, Organisation und Technik, handelnde Personen sowie die Entwicklungen in der Lebenswirklichkeit umfasst. Die Handlungen der Verwaltung unterliegen dabei nicht nur rechtlichen, sondern auch außerrechtlichen Maßstäben6. Unsere Gesetze und häufig auch die Handelnden in den Behörden nehmen indes als Ausdruck der nach Zuständigkeiten gegliederten Verwaltung zumeist nur Teilbereiche der Verwaltungswelt und der Lebenswelt in den Blick. Deshalb hatte ich im Rahmen der sog. Föderalismuskommission II vorgeschlagen7, in Landesvollzugsgesetzen durch eine Kombination von Organisations-, Verfahrens- und Haushaltsbestimmungen Ressourcen, Rechtsverwirklichungsmodi und Niveaus der Zielerreichung als „Architektur der Wertschöpfung“ ganzheitlich zu regeln. Zumindest der Zusammenhang von Organisation und Verfahren ist in neueren Rechtsentwicklungen, etwa im Zusammenhang mit der Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie, deutlich hervorgetreten8. Er ist ebenfalls von Relevanz im Zusammenhang mit Bürokratieabbau im Rahmen ebenenübergreifender Vollzugsprozesse9 oder bei der Einführung neuer Organisationsformen, wie etwa Dienstleistungszentren10 oder Cloud Computing11 oder neuen Formen des ___________ 

Rainer Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (157); Hermann Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 208. 5 Zu diesem Verständnis vgl. Hermann Hill, Recht als Geschäftsmodell – Von Better Regulation zu New Regulation, DÖV 2007, 808. 6 Rainer Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Hoffmann-Riem u .a. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2008, § 42. 7 Hermann Hill, Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 8. November 2007, Kommissionsdrucksache 064, B II 2 c. 8 Arndt Schmehl, Bündelung, Vernetzung und Ortsunabhängigkeit als Verfahrensund Organisationstrends in der öffentlichen Verwaltung, in: Böhm/Schmehl (Hrsg.), Verfassung – Verwaltung Umwelt, 2010, S. 123 ff.; Utz Schliesky, Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsverfahrensrecht, in: Festschrift Hans Peter Bull, 2011. 9 Henning Heidemanns, Wie zeitgemäß ist die Verwaltung in Deutschland?, in: Schimanke (Hrsg.), Verwaltung und Raum, 2010, S. 15 ff. 10 Giso Schütz, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundesverwaltung durch „Shared-Service-Center“ („SSC“), in: Hill (Hrsg.), Die Zukunft des öffentlichen Sektors, 2006, S. 23 ff.; Jürgen Hensen, Shared Service Center für die Bundesverwaltung, Verwaltung und Management 2006, 177. 11 Sönke E. Schulz, Cloud Computing in der öffentlichen Verwaltung?, Verwaltung und Management, 2010, 36; Dirk Heckmann, Cloud Computing in der öffentlichen

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Zugangs zur öffentlichen Verwaltung, wie etwa mit der einheitlichen Behördenrufnummer D 11512. Die neuen Medien, mit denen die Verwaltung arbeitet, sind nicht neutral. Sie können ihre Form der Bearbeitung der „Vorgänge“ selbst aufprägen13. Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien kann zu einem Verlust der Steuerungswirkung des materiellen und des Verfahrensrechts führen, Verantwortungszusammenhänge können durch Vernetzung und Enthierarchisierung beeinträchtigt werden14. Andererseits bieten Prozessdenken, Netzwerkdenken und Systemdenken15 sowie die wechselseitige Bedingtheit und gemeinsame transformatorische16 Weiterentwicklung realer und virtueller Handlungsräume17 Chancen für neue Arten von Verwaltungshandeln, die auch klassische Verwaltungsverfahren beeinflussen18. Diese „Informatisierung“19 des Verwaltungshandelns umfasst etwa Formen der Standardisierung mithilfe sog. Prozessregister, eine Modularisierung und Neuverknüpfung der Prozesse, netzwerkartige Formen der Leistungserbringung20, eine „Verwaltung auf Abruf“ mit Services für konkrete Fälle ___________ Verwaltung? – Rechtliche Grenzen für eine Lockerung staatlicher Datenherrschaft?, in: Hill/Schliesky (Fn. 3), S. 97 ff. 12 Miriam Rauscher u. a., Mehrebenenperspektive bei der Institutionalisierung von mehr Servicequalität – Projekt D115, Verwaltung und Management 2011, 50. 13 Karl-Heinz Ladeur, Die Kommunikationsinfrastruktur der Verwaltung, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts (Fn. 6), § 21 Rdn. 88; Arthur Winter u .a., Die Rückwirkung von Werkzeugeinsatz auf die Kultur: Wie Informationstechnik unsere Wissensund Rechtskultur verändert, in: Traunmüller/Wimmer (Hrsg.), Informatik in Recht und Verwaltung: Gestern – Heute –Morgen, 2009, S. 162 ff. 14 Gabriele Britz, Elektronische Verwaltung, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts (Fn. 6), § 26, Rdn. 59,61,68. 15 Hill, Vom Aufbrechen und der Veränderung der Verwaltungsrechtsordnung – verwaltungswissenschaftliche Perspektiven, in: ders./Schliesky (Hrsg.), Herausforderung e-Government, 2009, S. 349 (362 ff.). 16 Hill, Transformation der Verwaltung durch E-Government, Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften, 2004/II, 17. 17 Utz Schliesky, Raumbindung der Verwaltung in Zeiten des E-Government, in: Schimanke (Fn. 9), S. 49 (60). 18 Hermann Hill, Vision 2013 – Anregungen für eine deutsche eGovernmentStrategie, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Dritter Nationaler IT-Gipfel, Arbeitsgruppe 3, Szenarien für die Zukunft, 2008, S. 54 (60); Ulrich Stelkens, Der rechtliche Rahmen des elektronischen Verwaltungshandelns, in: Wirtz (Hrsg.), EGovernment, 2010, S. 51 ff. 19 Tino Schuppan, Informatisierung der Verwaltung, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Aufl. 2011, S. 269 ff. 20 Klaus Lenk, Der Staat am Draht, 2004; Martin Brüggemeier u. a. (Hrsg.), Organisatorische Gestaltungspotentiale durch Electronic Government. Auf dem Weg zur vernetzten Verwaltung, 2006.

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(sog. „Apps“)21, aber auch eine Entgrenzung und Subjektivierung des Verwaltungshandelns22, die neue Verhaltensweisen und Kompetenzen beim Personal erfordert23. Der Umgang mit Information wird sich durch die Nutzung technischer Methoden und Instrumente verändern24, neue Formen der informationellen Zusammenarbeit in und zwischen Verwaltung sowie mit Bürgern entstehen25 und die beabsichtigte Transparenz und Offenlegung von Verwaltungsdaten im Rahmen von „Open Government“26 wird neue Verwaltungsverfahren hervorrufen, die die klassische Trennung von „innen“ und „außen“ überwinden. Dieses tradierte Dogma des Verwaltungsrechts27 mag dazu beigetragen haben, dass die rechtliche Verarbeitung des sog. Neuen Steuerungsmodells bisher erst in Ansätzen gelungen ist28. Allenfalls die damit auch einhergehende Ökonomisierung des Verwaltungshandelns findet, allerdings vorzugsweise in anderen Disziplinen, breitere Aufmerksamkeit29. ___________ 21 Christian Geiger, Bürgerapps – mobile Government-Anwendungen für den Bürger 2.0, in: eGovernment- Kompendium 2011, S. 44. 22 Hermann Hill, Der öffentliche Dienst – gut aufgestellt für die Zukunft?, in: Magiera u. a. (Hrsg.), Verwaltungswissenschaft und Verwaltungspraxis in nationaler und transnationaler Perspektive, Festschrift für Heinrich Siedentopf, 2008, S. 577 (583 ff.). 23 Hermann Hill, E-Kompetenzen, in: Handbuch zur Verwaltungsreform (Fn. 19), S. 385 ff. 24 Hermann Hill, Verwaltungsentscheidungen im Informationszeitalter, in: Banner u.a. (Hrsg.), Führung, Organisation und Kultur im Electronic Government, Alcatel Hochschulkolleg E-Government, Stiftungsreihe 59, 2004, S. 13; ders., Business Intelligence/Business Analytics im öffentlichen Sektor, DÖV 2010, 789; Andrea Nesseldreher, Entscheiden im Informationszeitalter, 2006. 25 Tino Schuppan/Christoph Reichard, Neubewertung staatlicher Leistungstiefe bei Informatisierung, Verwaltung und Management 2010, 84; Martin Brüggemeier, Auf dem Weg zur No-Stop-Verwaltung, Verwaltung und Management 2010, 93. 26 Hermann Hill, Open Government als Form der Bürgerbeteiligung, in: Beck/Ziekow (Hrsg.), Mehr Bürgerbeteiligung wagen, 2011, S. 57 ff. 27 Klaus Lange, Innenrecht und Außenrecht, in: Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 307 ff.; Markus Pöcker, Die Verrechtlichung des staatlichen Innenraums, JZ 2006, 1108. 28 Hermann Hill, Neue Organisationsformen in der Staats- und Kommunalverwaltung sowie Jens-Peter Schneider, Das Neue Steuerungsmodell als Innovationsimpuls für Verwaltungsorganisation und Verwaltungsrecht, jeweils in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 65 ff. bzw. S. 103 ff.; Jan Ziekow, Inwieweit veranlasst das Neue Steuerungsmodell zu Änderungen des Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsverfahrensgesetzes?, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 349 ff. 29 Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Jens Harms/Christoph Reichard (Hrsg.), Die Ökonomisierung des öffentlichen Sektors. Instrumente und Trends, 2003; Holger Mühlenkamp, Zur „Ökonomisierung“ des öffentlichen Sektors – Verständnisse und

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Leitlinie des juristischen Denkens scheint immer noch § 3 Abs. 2 HGrG (ebenso § 3 Abs. 2 BHO) zu sein: „Durch den Haushaltsplan werden Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben.“ Zwar sind bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans gemäß § 6 Abs. 1 HGrG die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, doch wurde dem Haushalts- und Finanzrecht bisher lediglich eine indirekte30 oder dienende Funktion31 für die außenwirksamen Beziehungen zu den Grundrechtsträgern zugewiesen. Insofern galt allenfalls § 10 VwVfG als Einfallstor für wirtschaftliche Überlegungen. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass die Aufstellung, Bewirtschaftung und Rechnungslegung des Haushalts gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 HGrG auch als Produkthaushalt erfolgen kann. In diesem Fall werden gemäß § 1 a Abs. 3 HGrG Mittelzuweisungen mit Leistungszwecken verbunden. Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen sind gemäß Abs. 3 S.2 durch Gesetz oder den Haushaltsplan verbindlich festzulegen. Gemäß § 6a HGrG kann auch im Wege der Budgetierung ein System der dezentralen Verantwortung einer Organisationseinheit mit einer Verknüpfung von Finanz- und Fachverantwortung errichtet werden. Voraussetzung sind allerdings geeignete Informations- und Steuerungsinstrumente, die indessen in der Praxis noch kaum vorliegen. Erste Ansätze in dieser Richtung einer neuen Bedeutung des Haushaltsrechts sind jedoch erkennbar32, auch wenn entsprechende Modernisierungsbemühungen bisher immer wieder unterbrochen oder zurückgestellt wurden. Wenn die sog. Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3, 115 Abs. 2 GG)33 ernsthaft umgesetzt wird, wenn bei der Aufstellung des Haushaltsplans zunehmend durch Vorgabe von Eckwerten von oben vorgegangen wird, wenn dabei Aufgabenkritik und ___________ Missverständnisse, Speyerer Vorträge 82, 2004; aus politikwissenschaftlicher Sicht Jörg Bogumil, Ökonomisierung der Verwaltung. Konzepte, Praxis, Auswirkungen und Probleme einer effizienzorientierten Verwaltungsmodernisierung, in: Czada/Zintl (Hrsg.), Politik und Markt, PVS-Sonderheft 34/2003, S. 209 ff.; aus rechtswissenschaftlicher Sicht Andreas Voßkuhle, „Ökonomisierung“ des Verwaltungsverfahrens, Die Verwaltung 2001, 347. 30 Albert von Mutius/Gunnar Folke Schuppert, Die Steuerung des Verwaltungshandelns durch Haushaltsrecht und Haushaltskontrolle, VVDStRL 42 (1984), S. 147 ff., 216 ff. 31 Stefan Korioth, Finanzen, in: Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III, 2009, § 44 Rn. 109. 32 Hill, Zur Sicherung des parlamentarischen Budgetrechts im Neuen Steuerungsmodell, DÖV 2001, 793; Jens-Peter Schneider, Regulierung staatsinterner Selbstregulierung am Beispiel des Haushaltswesens, in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates, Die Verwaltung, Beiheft 4, 2001, S. 177 ff. 33 Christoph Ohler, Maßstäbe der Staatsverschuldung nach der Föderalismusreform II, DVBl 2009, 1265; Henning Tappe, Die neue „Schuldenbremse“ im Grundgesetz, DÖV 2009, 881.

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Priorisierung von Aufgaben und Leistungen eine größere Bedeutung erlangen34, dann wächst auch die inhaltliche und finanzielle Programmierung des Verwaltungshandelns zu einem ganzheitlichen Steuerungsansatz zusammen35. Dann ist weiterhin zu erwarten, dass Zielvereinbarungen36 und Produktkataloge nicht mehr nur „Innenrecht“ darstellen, sondern ihre grundrechtskonkretisierende (Außen-)Wirkung auch rechtsdogmatisch anerkannt wird. Sie haben dann unmittelbare Relevanz für den Regelungsgehalt und damit auch für die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung den Erlass eines Verwaltungsaktes als Gegenstand des Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 9 VwVfG. Wenn man schließlich davon ausgeht, dass die Einführung der Doppik (§ 7a HGrG) zu einem ressourcenorientierten, periodengerechten und stärker zukunftsorientierten (nachhaltigen) Denken führt37, dann wird das auch für andere Tätigkeiten und Verfahren der Verwaltung nicht ohne Folgen bleiben. Effizienz und Gemeinwohlüberlegungen38 werden insofern bei einer „steuerungs- und wirkungsorientierten Verfahrenslehre“39 miteinander verknüpft werden. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Wenn neue Entwicklungen, wie moderne Techniken, Finanz- und Wirtschaftskrisen sowie insgesamt turbulente und unsichere Natur- und Lebensverhältnisse das Recht und die Verwaltung weiterhin herausfordern, und die Exekutive angesichts ihrer aktuellen und unmittelbaren Handlungsfähigkeit vor Ort an Bedeutung gewinnt40, dann kann das Verwaltungsrecht und auch das VwVfG als sein „Grundgesetz“ nicht länger in der bisherigen Form aufrechterhalten werden. Seine mangelnde „Regelungsbreite“ führt zu einer „Engführung“ oder gar „Fehlsteuerung“ nicht nur in Wissenschaft und Praxis, sondern, wie ein Blick in die Lehrbuchliteratur zeigt, auch bei der Ausbildung neuer Verwaltungsmitarbeiterinnen und Verwaltungsmitarbeiter.

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Hermann Hill, Intelligentes Sparen. Vom Sparen zur integrierten Entwicklungsund Finanzpolitik, Verwaltung und Management 2008, 59. 35 Vgl. schon Hermann Hill, Gesetzgebung und Verwaltungsmodernisierung, ZG 1998, 101 (109). 36 Hermann Hill, Zur Rechtsdogmatik von Zielvereinbarungen in Verwaltungen, NVwZ 2002, 1059. 37 Holger Mühlenkamp, Die Steuerungswirkung der Doppik, der städtetag 3/2011, 14 (18) geht von einer indirekten Steuerungswirkung des neuen Rechnungsstils aus. 38 Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns (Fn. 6), § 42 Rn. 111 ff. 39 Jens-Peter Schneider, Innovationsverantwortung im Verwaltungsverfahren, in: Eifert/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovationsverantwortung, Innovation und Recht III, 2009, S. 287 (299). 40 Hermann Hill, Perspektive 2020, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung 2010, S. 9 (18 f.).

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Vielmehr sollte man sich auf die systembildende Kraft des VwVfG besinnen und über seine zeitgemäße Erweiterung nachdenken statt neue Entwicklungen zunehmend in Sondergesetze zu verlagern (etwa Verwaltungsmodernisierungsgesetze41, Informationsgesetze42, e-Government-Gesetze43, De-Mail-Gesetz44). Gegebenenfalls wäre es ratsam, ähnlich wie bei anderen Kodifikationsvorhaben (etwa Umweltgesetzbuch), mit einem „Professorenentwurf“ voranzugehen und dem Gesetzgeber und der Verwaltungspraxis auf diese Weise Anregungen und Hilfestelllungen zu geben. Vielleicht kann auch diese Tagung dazu einen Beitrag leisten.

___________ 41 Hermann Hill, Normsetzung und andere Formen exekutivischer Selbstprogrammierung, in: Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2008, § 34 Rn. 55. 42 Friedrich Schoch, Die Schwierigkeiten des BVerfG mit der Bewältigung staatlichen Informationshandelns, NVwZ 2011, 193; ders., Informationsrecht in einem grenzüberschreitenden und europäischen Kontext, EuZW 2011, 388; Monika Böhm u. a., Verbraucherinformation auf dem Prüfstand, NVwZ 2011, 198. 43 Sönke E. Schulz, Ein eGovernment-Gesetz für Schleswig-Holstein – Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung?, Die Gemeinde SH 2008,272; ders., Macht Art. 91 c GG E-Government-Gesetze der Länder erforderlich?, DÖV 2010, 225. 44 Alexander Roßnagel, Das De-Mail-Gesetz, NJW 2011, 1473; Gerald Spindler, Das De-Mail-Gesetz – ein weiterer Schritt zum sicheren E-Commerce, CR 2011, 309.

Verzeichnis der Autoren Prof. Dr. Hans-Jörg Birk Vorsitzender des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern, Berlin/Stuttgart Univ.-Prof. Dr. Martin Burgi Universität Bochum Univ.-Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner Universität Bonn Prof. Dr. Diana-Urania Galetta Universität Mailand Univ.-Prof. Dr. Thomas Groß Universität Frankfurt/Main Prof. Dr. Jürgen Held Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Koblenz Univ.-Prof. Dr. Hermann Hill Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Kahl Universität Heidelberg Univ.-Prof. Dr. Veith Mehde Universität Hannover Dr. Andreas Metschke Vizepräsident der Regierung von Unterfranken, Würzburg Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe Bundesministerium des Innern, Berlin Dr. Kay Ruge Beigeordneter Deutscher Landkreistag, Berlin Ministerialrat Dr. Klaus Schönenbroicher Referatsleiter im Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Peter Sommermann Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Univ.-Prof. Dr. Ulrich Stelkens Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

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Verzeichnis der Autoren

Prof. Andrzej Wróbel Institut für Rechtswissenschaften, Richter am Obersten Gerichtshof, Warschau/Polen Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow DHV Speyer, Direktor des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Speyer (FÖV) Prof. Dr. Jacques Ziller Universität Pavia