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German Pages 212 Year 2016
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Band 55
20 Jahre Staatskirchenverträge in Sachsen
Herausgegeben von
Arnd Uhle
Duncker & Humblot · Berlin
ARND UHLE (Hrsg.)
20 Jahre Staatskirchenverträge in Sachsen
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Ansgar Hense · Alexander Hollerbach Josef Isensee · Matthias Jestaedt · Paul Kirchhof · Joseph Listl (†) Wolfgang Loschelder (†) · Hans Maier · Paul Mikat (†) · Stefan Muckel Wolfgang Rüfner · Christian Starck · Arnd Uhle
Band 55
20 Jahre Staatskirchenverträge in Sachsen
Herausgegeben von
Arnd Uhle
Duncker & Humblot · Berlin
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Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 978-3-428-14915-5 (Print) ISBN 978-3-428-54915-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-84915-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Ermöglicht durch die friedliche Revolution von 1989 und die Wiedervereinigung von 1990, erlebte Sachsen vor zwei Jahrzehnten einen Aufschwung des Staatskirchenvertragsrechts. In dessen Rahmen kam es zum Abschluss von Verträgen mit den beiden christlichen Kirchen und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden. Den Anfang machte der Vertrag mit den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen, der am 24. März 1994 unterzeichnet wurde. Ihm folgte bereits am 7. Juni des gleichen Jahres der Vertrag mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden und am 2. Juli 1996 der Vertrag mit dem Heiligen Stuhl, der die staatskirchenvertragliche Erneuerung in Sachsen zum Abschluss gebracht hat. Diese Erneuerung beruht auf einem Verfassungsauftrag der Sächsischen Verfassung, da deren Art. 109 nicht nur die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens anerkennt, sondern auch bestimmt, dass die Beziehungen des Landes zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften ergänzend zu den verfassungsrechtlichen Bestimmungen „durch Vertrag“ geregelt werden. Die politische Bedeutung der genannten Staatskirchenverträge wird nur ermessen können, wer sie historisch einzuordnen vermag. Denn erst vor dem Hintergrund zweier Diktaturen und deren jeweiliger Kirchenpolitik wird deutlich, welche Symbolkraft davon ausgeht, dass der Freistaat Sachsen seit seiner Wiederbegründung nicht nur abstrakt das Ziel verfolgt, ein partnerschaftliches Verhältnis mit den christlichen Kirchen und Jüdischen Gemeinden zu pflegen, sondern dass er mit ihnen Verträge abschließt, die auf gleichberechtigter Partnerschaft basieren. Das belegt den Willen und das Bemühen des Landes, den Kirchen und Religionsgemeinschaften nach Jahrzehnten ihrer Zurückdrängung nunmehr eine freiheitsgerechte Rückkehr in die Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen – eine Möglichkeit, die von der katholischen Kirche, den evangelischen Landeskirchen im Freistaat und von den Jüdischen Gemeinden zwischenzeitlich vielfältig genutzt worden ist. Wie sehr damit gerade für Sachsen Neuland betreten worden ist, belegt der Evangelische Kirchenvertrag von 1994: Denn da ein Vertragsschluss während der Zeit der Weimarer Republik noch an Widerständen im damaligen Sächsischen Landtag scheiterte, stellt er auf Landesebene nunmehr den ersten Kirchenvertrag überhaupt dar – jedenfalls dann, wenn man den Blick auf das sächsische Kernland richtet und von den ehemals preußischen Gebietsteilen des Freistaates absieht, für die jene Verträge gegolten haben, die der Freistaat Preußen im Jahre 1929 mit dem Heiligen Stuhl und 1931 mit den Evangelischen Lan-
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Vorwort
deskirchen abgeschlossen hatte. Aber auch für die an Vertragsschlüssen reiche Katholische Kirche stellt der Kirchenvertrag mit Sachsen das erste Konkordat, den ersten Vollvertrag dar, den der Heilige Stuhl nach der friedlichen Revolution und der durch sie bewirkten Wende mit einem der neuen Bundesländer abgeschlossen hat. Zudem ist dieser Vertrag nach dem Niedersächsischen Konkordat von 1965 erst der zweite umfassende Staatskirchenvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und einem deutschen Bundesland. Indessen erwächst die Bedeutung der Sächsischen Staatskirchenverträge nicht ausschließlich aus ihrer historischen Einordnung, sondern vor allem aus ihrem rechtlichen Gehalt. Denn es sind ihre Vorschriften, die seit nunmehr zwei Jahrzehnten die Entwicklung des kirchlich-religionsgemeinschaftlichen wie auch des öffentlichen Lebens in Sachsen bestimmen und den beiden christlichen Kirchen ebenso wie den Jüdischen Gemeinden Freiheit für ihre Glaubensentfaltung und günstige Rahmenbedingungen für ihren Dienst verbürgen. Zu diesen Regelungen zählen auf der einen Seite Bestimmungen, die der Sache nach in allen Verträgen enthalten sind. Der inhaltliche Gleichklang derartiger Vorschriften – zu denen exemplarisch etwa die Bestimmungen über die Gewährleistung der Glaubensfreiheit oder über den regelmäßigen Austausch gehören – gründet darin, dass der Freistaat beim Abschluss der Staatskirchenverträge bereits aus Gründen der Gleichbehandlung bestrebt war, vergleichbare Regelungen zu vereinbaren, soweit nicht aufgrund unterschiedlicher Situationen oder Traditionen der Vertragspartner besondere Regelungen geboten erschienen. Auf der anderen Seite enthalten die Verträge auch spezifische, nicht verallgemeinerungsfähige Vorschriften. Das gilt beispielsweise und in mehrfacher Hinsicht für den Vertrag mit dem Heiligen Stuhl. So wird in ihm etwa der Schutz des katholisch geprägten sorbischen Kulturgutes geregelt. Ebenso wird in ihm auch das Reichskonkordat behandelt, dessen Fortgeltung auf der einen Seite bejaht, dessen inhaltliche Fortbildung durch den Katholischen Kirchenvertrag auf der anderen Seite jedoch angenommen wird. Das ist der Grund dafür, dass das Reichskonkordat, von ausdrücklichen Verweisen im Katholischen Kirchenvertrag abgesehen, im Freistaat Sachsen heute nur noch subsidiäre Anwendung findet. Unabhängig davon, ob es sich im Einzelnen um paritätstaugliche und daher vergleichbare oder aber um paritätsunzugängliche und deshalb spezifische Vertragsbestimmungen handelt, haben sich die Vorschriften der Sächsischen Staatskirchenverträge in den vergangenen zwei Jahrzehnten als tragfähige Regelungen des Verhältnisses von Staat und Kirche erwiesen. Das zeugt von einer gelungenen Grundanlage der Vertragswerke. Gleichwohl stehen die Sächsischen Staatskirchenverträge, wie jedes andere rechtliche Regelungswerk auch, immer wieder vor neuen Herausforderungen und Fragestellungen. Diese betreffen verschiedene Themenfelder, von der Präsenz der Religion in der staatlichen Schule bis zu den staatlichen Leistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Das ist Anlass, die bestehenden vertraglichen Regelungen im Hinblick auf ihre Entstehung,
Vorwort
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inhaltliche Ausgestaltung und sachliche Rechtfertigung zu untersuchen und hierbei auch ihre Zukunftstauglichkeit neu zu bedenken. Aus diesem Grunde haben der an der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden bestehende Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie mitsamt der ihm angeschlossenen Forschungsstelle „Recht und Religion“ und die Sächsische Staatskanzlei am 20. Mai 2015 ein Symposium unter dem Titel „20 Jahre Staatskirchenverträge in Sachsen“ durchgeführt.1 Dieses war Teil der Veranstaltungsreihe der „Dresdner Symposien zum Staatsrecht“ und stand unter der Schirmherrschaft des Präsidenten des Sächsischen Landtags. Weitere Kooperationspartner waren die EvangelischLutherische Landeskirche Sachsens, das Bistum Dresden-Meißen, der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft. Der vorliegende Sammelband vereint die im Rahmen dieses Symposiums gehaltenen Vorträge in erweiterter Form. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Organisation des Symposiums danke ich dem Präsidenten des Sächsischen Landtags, Herrn Dr. Matthias Rößler MdL, und dem Chef der Sächsischen Staatskanzlei, Herrn Staatsminister Dr. Fritz Jaeckel. Vielfältigen Dank für die angenehme Kooperation bei der Vorbereitung schulde ich zudem dem Beauftragten der evangelischen Landeskirchen beim Freistaat Sachsen, Herrn Oberkirchenrat Christoph Seele, dem Dezernenten für juristische Grundsatzfragen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Herrn Oberlandeskirchenrat Klaus Schurig, dem Leiter des Katholischen Büros Sachsens, Herrn Ordinariatsrat Christoph Pötzsch, sowie dem Vorsitzenden des Landesverbands Sachsen der Jüdischen Gemeinden, Herrn HeinzJoachim Aris. Den wissenschaftlichen Mitarbeitern und Hilfskräften meines Lehrstuhls, namentlich Herrn Dr. Thomas Wolf, Herrn Philipp Gutsche, Frau Anja Wenzel, Frau Alexandra Klemm, Frau Beatrice Ruhe sowie meiner Sekretärin, Frau Katrin Börner, danke ich für die Unterstützung bei der Durchführung des Symposiums und für die Übernahme der redaktionellen Arbeiten an dem hier vorgelegten Sammelband, dem Verlag Duncker & Humblot für die hervorragende verlegerische Betreuung. Dresden, im September 2015
Arnd Uhle
1 Tagungsbericht bei Markus Schulten, 20 Jahre Staatskirchenverträge in Sachsen – IV. Dresdner Symposium zum Staatsrecht am 20. Mai 2015 im Plenarsaal des Sächsischen Landtags, KuR 2015, S. 96–102.
Geleitwort des Präsidenten des Sächsischen Landtages Am 27. Oktober 1990, wenige Wochen nach der Wiedergründung des Freistaates Sachsen, trat in der Dresdner Dreikönigskirche erstmals wieder ein Sächsischer Landtag zusammen. Der Ort dieser ersten Zusammenkunft war von großer Symbolkraft. Schließlich waren die vorausgegangenen sechs Jahrzehnte nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur angefüllt gewesen mit leidvollen Erfahrungen für die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Und: Bei der friedlichen Revolution 1989 handelte es sich auch um eine „protestantische Revolution“, die aus den Kirchen heraus ihren Ausgang nahm. Mit dem demokratischen Wandel der politisch-gesellschaftlichen Ordnung 1989/90 verband sich eine tiefschürfende geschichtliche Zäsur, durchaus vergleichbar mit den Ereignissen von 1918/19, vor allem was die demokratische Verfassung und das Verhältnis Staat – Kirche betraf. Im Rahmen des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes, das auf wechselseitiger Zuwendung und freiheitlicher Kooperation beruhte, konnte nun auch in Sachsen wieder an die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung angeknüpft werden. Der Freistaat Sachsen und die auf seinem Gebiet ansässigen Kirchen und Religionsgemeinschaften sahen sich daher nach 1990 vor die Aufgabe gestellt, eine neue staatskirchenrechtliche Ordnung zu schaffen. Bei der dazu erforderlichen Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche kam dem Staatskirchenvertragsrecht neben dem Verfassungs- und dem einfachen Gesetzesrecht besondere Relevanz zu. Artikel 109 der Sächsischen Verfassung bringt dies zum Ausdruck, indem er u. a. vorschreibt, dass die Beziehungen des Landes zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Übrigen durch Vertrag geregelt werden. Der Freistaat Sachsen hat von der Möglichkeit dieser vertraglichen Regelung Mitte der 1990er Jahre erfolgreich Gebrauch gemacht. Die 1994 mit der Evangelischen Kirche und mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden sowie die 1996 mit dem Heiligen Stuhl geschlossenen und vom Sächsischen Landtag beschlossenen Staatskirchenverträge besitzen seit nunmehr zwei Jahrzehnten Gültigkeit. Nicht nur war der Gesetzgebungsprozess ein wichtiges Kapitel der jüngeren sächsischen Parlamentsgeschichte. Vor allem sind die Staatskirchenverträge in ihrer Umsetzung seither ein wertvoller Bestandteil der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit in Sachsen geworden, indem sie sowohl Rechtssicherheit schaffen, als auch das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften partnerschaftlich und arbeitsteilig ordnen – zum Wohle des Landes. Die
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Geleitwort
Präambel des Evangelischen Kirchenvertrags hebt dieses Bewusstsein und den Wunsch, das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Freistaat Sachsen und den Kirchen zu festigen und zu fördern, exemplarisch hervor. Besonders gilt das für das Verhältnis des Freistaats zu den jüdischen Gemeinden in Sachsen. Heute, 20 Jahre nach Abschluss der ersten sächsischen Staatskirchenverträge, lohnt es sich daher, aus der gemeinsam zurückgelegten Wegstrecke Bilanz zu ziehen. Als Schirmherr des wissenschaftlichen Symposiums, das am 20. Mai 2015 im Plenarsaal des Sächsischen Landtags stattfand, freue ich mich, dass nun die Beiträge in Form eines Sammelwerks vorliegen, dem ich in der wissenschaftlichen Resonanz wie in der öffentlichen Wahrnehmung bestmöglichen Erfolg wünsche. Dresden, im September 2015
Dr. Matthias Rößler
Inhaltsverzeichnis Teil A Das Instrument der Staatskirchenverträge Die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen als Instrumente einer freiheitsgerechten Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften Von Stefan Mückl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil B Die Entstehung der Kirchenverträge des Freistaates Sachsen Die Verhandlungen zu den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen Von Rolf Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil C Der Inhalt der Kirchenverträge des Freistaates Sachsen Die Grundzüge des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen Von Christian Waldhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen geregelte kirchliche Mitwirkung im Bildungswesen Von Jörg Ennuschat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anstaltsseelsorge und Diakonie in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen Von Josef Isensee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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„Praktizierbar im Alltag, einklagbar im Konfliktsfall“. Die finanziellen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen Von Hans Ulrich Anke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis Teil D Anhang: Die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen
Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen vom 24. März 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996
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Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 7. Juni 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Vertrag zur Änderung des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 17. Januar 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Vertrag zur Änderung des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 4. Dezember 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Autoren und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Teil A
Das Instrument der Staatskirchenverträge
Die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen als Instrumente einer freiheitsgerechten Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften Von Stefan Mückl I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Regelungsgegenstände der Staatskirchenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Ratio des Staatskirchenvertrags im Verfassungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V.
Pflicht zum Vertragsschluss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung Der Freistaat Sachsen hat den in Art. 109 Abs. 2 seiner Verfassung niedergelegten Verfassungsauftrag1 bereits drei Jahre nach deren Inkrafttreten umgesetzt: Auf den Vertrag mit den evangelischen Landeskirchen von 19942 folgte noch im gleichen Jahr derjenige mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden3 und schließlich 1996 ein Vertrag mit dem Heiligen Stuhl.4 Ganz offenkundig geht die
1 „Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind vom Staat getrennt. Sie entfalten sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes frei von staatlichen Eingriffen. Die Beziehungen des Landes zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften werden im übrigen durch Vertrag geregelt.“ 2 Vertrag des Freistaates Sachsen mit den Evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen (Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen [SächsEvKV]) vom 24. März 1994 (SächsGVBl. S. 1252 ff.); dazu Steffen Heitmann, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen aus Sicht der Verwaltung, LKV 1995, S. 93 ff. 3 Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 7. Juni 1994 (SächsGVBl. S. 1346 ff.). 4 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen [SächsKathKV]) vom 2. Juli 1996, AAS 89 (1997), S. 613 ff. = SächsGVBl. 1997 S. 17 ff.; im Überblick Guido Burger, Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996, LKV 1997, S. 317 ff.; Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420 ff.; monographische Behandlung bei Guido Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen. Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften im sächsischen Landesrecht, 1998; sowie Stefan
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Stefan Mückl
Verfassung davon aus, dass der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche (Satz 1) das Institut des Vertrags (Satz 3) zwischen beiden Größen nicht nur nicht ausschließt, sondern umgekehrt nahelegt, soll dergestalt doch die Ausgestaltung der jeweiligen Handlungssphären näher bestimmt und konkretisiert werden (Satz 3). Die Staatskirchenverträge im allgemeinen sowie die sächsischen im Besonderen5 als Instrumente einer freiheitsgerechten Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften – diese Qualifizierung bedarf zunächst eines Blickes auf die typischen Regelungsgegenstände von Staatskirchenverträgen (II.) und ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit (III.). Damit ist der Bogen bereitet für die zentrale Frage nach der Ratio des Staatskirchenvertrags im Verfassungsstaat (IV.). Diese könnte, zumal nach der Formulierung im Text der sächsischen Verfassung, die Annahme nahelegen, es bestünde gar eine Pflicht zum Vertragsschluss (V.). Ein kurzer Ausblick rundet die Überlegungen ab (VI.). II. Regelungsgegenstände der Staatskirchenverträge Das Instrument des Staatskirchenvertrags bezweckt – bezogen auf denjenigen mit kodifikatorischem Charakter als die für die Rechtsmaterie insgesamt prägende Erscheinungsform – die einvernehmliche Gesamtregelung hinsichtlich aller vertragsfähigen und vertragsreifen Materien zwischen Staat und Kirche. Vor der konkreten verfassungsrechtlichen Situation in der Bundesrepublik Deutschland hat sich, unter Einbeziehung der historisch gewachsenen Entwicklung zwischen beiden Größen, ein gewisser „Kanon“ typischer Regelungsgegenstände herausgebildet. Herkömmlicherweise sind die Vertragsinhalte um drei zentrale Sachkomplexe gruppiert, nämlich (1.) die umfassende Gewährleistung der kirchlichen Freiheit, (2.) die Zusammenarbeit in den für die deutsche Rechtsordnung charakteristischen res mixtae sowie (3.) die aus den historischen Verflechtungen zwischen Staat und Kirche fortwirkenden (finanziellen) Leistungsverpflichtungen.6 Differenziert man die ersten beiden Komplexe noch etwas weiter aus, ergibt die so gewonnene Vertragstypologie diesen Befund: Die Sicherstellung der umfassenden kirchlichen Freiheit erfolgt • durch die Wiederholung und Verstärkung der vom Staat in seiner Verfassung bereits einseitig ausgesprochenen Gewährleistungen, namentlich: das GrundKorta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen. Geschichtlicher Hintergrund – Entwicklung – Inhalt, 2001. 5 Materialsammlung und Hintergründe bei Reiner Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001. 6 Systematisierung nach Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 7, S. 253 ff. (286).
Die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen
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recht der Religionsfreiheit, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, die Garantie des kirchlichen Eigentums sowie der Sonn- und Feiertagsschutz; • durch die nähere Ausgestaltung einzelner dieser Gewährleistungen, insbesondere des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts: So verhalten sich die Staatskirchenverträge durchweg zu Fragen der kirchlichen Organisation und Struktur sowie des kirchlichen Personals (vor allem: Mechanismen seiner Bestellung sowie Sicherstellung seiner Kirchlichkeit als Grundbedingung der Wirksamkeit seines Dienstes secundum mentem Ecclesiae); • durch die Konkretisierung der aus dem verfassungsgesetzlichen Status als Körperschaft des Öffentlichen Rechts resultierenden Rechtspositionen (von eminenter praktischer Bedeutung: Kirchensteuer, aber auch Gebührenbefreiungen, Rechts-, Amts- und Vollstreckungshilfe). Die Zusammenarbeit in den Staat und Kirche gleichermaßen, freilich in zu trennenden Aspekten, berührenden Angelegenheiten betrifft • sowohl die klassisch als res mixtae kategorisierten Sachverhalte wie die theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten, den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen sowie die Anstaltsseelsorge; • ebenso Annexmaterien zur Effektuierung diverser Gegenstände des Komplexes „Sicherstellung der kirchlichen Freiheit“ wie das Melde-, Denkmalschutz- und Friedhofsrecht; • schließlich diverse Bestimmungen, welche allgemein das kirchliche Wirken im öffentlichen Raum in den Blick nehmen, wie das Sammlungswesen, die Mitwirkung und Beteiligung im Rundfunk- und Fernsehbereich sowie die allgemeinen kirchlichen Bildungseinrichtungen. Sämtliche dieser Elemente finden sich auch in den sächsischen Staatskirchenverträgen, insoweit wahren sie die Kontinuität zu den vorangehenden Phasen des Staatskirchenvertragsrechts. Zugleich setzen sie aber auch – wie generell die nach 1990 abgeschlossenen Verträge – in einigen Sachbereichen eigenständige Akzente, welche indes – bei Licht besehen – die allgemeinen verfassungsgesetzlichen Koordinaten des Verhältnisses von Staat und Kirche7 stärker konturieren und zur Geltung bringen. Hatten die Verträge der ersten und zweiten Phase noch gewisse staatliche Ingerenzen im Verfahren der Bestellung oberster kirchlicher Amtsträger normiert (die sogenannte „politische Klausel“ 8 sowie den „Treu7 Eingehend zu ihnen Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 159 Rdnr. 61 ff. 8 Grundlegend zum Institut Joseph H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, 1949; die jüngeren Entwicklungen bereits einbeziehend Wolfgang Rüfner, Zur „Politischen Klausel“ in Konkordaten und Kirchenverträgen, in: Rees (Hrsg.): Recht in Kirche und Staat. Joseph Listl zum 75. Geburtstag, 2004, S. 783 ff.
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Stefan Mückl
eid“ 9), akzentuiert deren weitgehender Wegfall (durch ausdrücklichen Verzicht des Staates im sächsischen Vertrag10) deutlich(er) den Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche. Dergestalt wird jeder Anschein einer Vermischung der Verantwortungsbereiche vermieden. Gleichfalls wird mit dem Fortfall früherer Vorgaben an die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen sowie des Regelerfordernisses der deutschen Staatsbürgerschaft11 klargestellt, dass die Anforderungen an die persönlichen wie fachlichen Qualitäten der Geistlichkeit nicht Sache des Staates, sondern vielmehr alleinige Angelegenheit der Kirche selbst ist.12 Bemerkenswerte Konkretisierungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts finden sich neuerdings in den evangelischen Kirchenverträgen hinsichtlich der Berufung sowie ggf. Beanstandung von Hochschullehrern an einer theologischen Fakultät: Wie seit jeher in den katholischen Konkordaten und Staatskirchenverträgen kann eine Berufung gegen das Votum der Kirchenleitung nicht erfolgen, im Fall einer nachträglichen Beanstandung hat der Staat das Ausscheiden des Beanstandeten aus der theologischen Fakultät zu veranlassen und einen entsprechenden Ersatz sicherzustellen. Was spätere Kirchenverträge eindeutig akzentuieren (beginnend mit dem Güstrower Vertrag,13 zuletzt demjenigen in Baden-Württemberg14), ist in Sachsen noch vergleichsweise zurückhaltend angedeutet.15 Hinsichtlich der – vergleichsweise – jungen Entwicklung der Verträge mit nichtchristlichen Religionsgemeinschaften ist bemerkenswert, dass die Abmachungen 9 Ulrike Dahl-Keller, Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung, 1994; ferner Alexander Hollerbach, Zur Problematik des staatlichen Treueids der Bischöfe, in: Bartsperger/ Ehlers/Hofmann/Pirson (Hrsg.): Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, 1986, S. 193 ff. 10 Schlußprotokoll zu Art. 13 SächsKathKV. 11 Knapper Überblick bei Stefan Mückl, Kirchliche Organisation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 160 Rdnr. 18. 12 Eine weitgehende Modifizierung des tradierten Regimes nimmt der sächsische Vertrag mit dem Heiligen Stuhl vor, siehe Schlußprotokoll zu Art. 13 Abs. 3 SächsKathKV. 13 Art. 4 Abs. 2 des Vertrags zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 20. Januar 1994 (Güstrower Vertrag – GVBl. MV 1994, S. 559 ff.). 14 Art. 3 Abs. 2 und 3 des Vertrags des Landes Baden-Württemberg mit der Evangelischen Landeskirche in Baden und mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vom 17. Oktober 2007 (GBl. BW 2008, S. 1 ff.). 15 Nach Art. 3 Abs. 2 SächsEvKV „beachtet“ der Freistaat kirchlicherseits geäußerte Bedenken, welche auf „die Heilige Schrift und das Bekenntnis“ gestützt werden. – Rechtsterminologisch wie entstehungsgeschichtlich wird damit in der Sache eine Vetoposition der Kirche(nleitung) normiert, näher Jörg Ennuschat, Die in den Sächsischen Staatskirchenverträgen geregelte kirchliche Mitwirkung im Bildungswesen, in diesem Band, S. 61 ff. (73 ff.).
Die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen
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mit den jüdischen Kultusgemeinden in wesentlichen Teilen vom thematischen Kanon der klassischen Staatskirchenverträge inspiriert sind, selbstredend nach Maßgabe der spezifischen Gegebenheiten, Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Religionsgemeinschaft (Glaubensfreiheit, Feiertage, Bestattungswesen). Allein der dritte herkömmliche Komplex – fortwirkende finanzielle Leistungsverpflichtungen infolge historischer Verflechtungen – fehlt mangels eines fundamentum in re. Finanzielle Zuwendungen – zum (Wieder-)Aufbau des jüdischen Lebens – werden aber ebenso vereinbart wie die Unterstützung bei Bau- sowie Denkmalschutzmaßnahmen. III. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Die prinzipielle Zulässigkeit des Vertragsschlusses zwischen Staat und Kirche steht außer Streit. Dies gilt selbst für den (überschaubaren) Kreis der grundsätzlichen Kritiker des geltenden Staatskirchenrechts.16 Das Institut des Staatskirchenvertrags ist im Text des Grundgesetzes explizit genannt (Art. 123 Abs. 2, Art. 140 i.V. m. Art. 138 Abs. 2 WRV) sowie implizit vorausgesetzt (Art. 7 Abs. 3). In Anbetracht der eingehenden Debatten über die Fortgeltung des Reichskonkordats im Parlamentarischen Rat sowie des vorgefundenen Bestands der Konkordate und Kirchenverträge aus der Weimarer Zeit berechtigt schon dieser Textbefund zu der Schlussfolgerung, im Fehlen einer ausdrücklichen Vertragsklausel jedenfalls kein „ablehnendes“ Schweigen zu sehen.17 Eindeutige Bestimmungen – klarstellender, nicht konstitutiver Natur – enthalten demgegenüber die meisten Landesverfassungen, unter ihnen diejenige des Freistaates Sachsen. Bemerkenswert dabei ist nicht zuletzt, dass es gerade die den Trennungsgedanken so deutlich akzentuierende hessische Verfassung ist, welche das Institut der „Vereinbarung“ gleichrangig und gleichberechtigt an die Seite der Handlungsform „Gesetz“ stellt. Mehr noch: Selbst beim Fehlen derartiger Vertragsklauseln wäre von Verfassungs wegen nichts gegen Staatskirchenverträge zu erinnern. Die Verfassung kennt gerade keinen „Totalvorbehalt“,18 jenseits des Bereichs von Eingriffen in die Freiheitssphäre des Bürgers ist „dem Staat alles erlaubt, was die Verfassung ihm nicht verbietet“.19 16 Ludwig Renck, Der sogenannte Rang der Kirchenverträge, DÖV 1997, S. 929 ff. (935); Gerhard Czermak, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), S. 69 ff. (76). 17 Zutreffend Karl-Hermann Kästner, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.): Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand der 173. Erg.-Lfg. (Juni 2015), Art. 140 Rdnr. 79. 18 BVerfGE 98, 218 (246) – Rechtschreibreform: „Dem Grundgesetz liegt nicht die Vorstellung zugrunde, daß sich jede vom Staat ergriffene Maßnahme auf eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zurückführen lassen müsse.“ 19 Prägnant Josef Isensee, Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, 3. Aufl. 2006, § 73 Rdnr. 45.
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Mit ihrer Offenheit für das Institut des Staatskirchenvertrags folgt die Verfassung einer inneren Sachlogik: Der Vertrag ist nicht Beleg für eine nur unzureichend realisierte Trennung von Staat und Kirche, sondern umgekehrt geradezu deren Konsequenz. Schon nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtslehre können nur voneinander getrennte Größen in vertragliche Beziehungen zueinander treten – alles andere wäre ein (prinzipiell) verpöntes In-Sich-Geschäft. Anders gewendet: Das Institut des Staatskirchenvertrags erweist sich geradezu als Ausfluss eines der Grundprinzipien des deutschen Staatskirchenrechts, desjenigen der Trennung von Kirche und Staat, der Säkularität. Das zunächst paradox Anmutende sei in wenigen Federstrichen grundsätzlich, verfassungsrechtlich wie rechtsvergleichend aufgewiesen: Schon im Ausgangspunkt gilt es zu bedenken, dass es einen allgemeingültigen Gehalt „des“ Säkularitätsprinzips in einem staatstheoretischen Sinn nicht gibt, und es ihn schwerlich geben kann.20 Das folgt schon aus seinem heuristischen Charakter (der Begriff kommt weder im Grundgesetz noch im Landesverfassungsrecht vor), gälte aber auch – wie beim Terminus der „Trennung“ oder (in rechtsvergleichender Perspektive) demjenigen der „Laizität“ – für den Fall einer Verankerung im Verfassungstext. Denn der normative Gehalt eines derart ebenso voraussetzungsvollen wie unbestimmten Prinzips erschließt sich nicht aus einem einzigen Begriff oder einer einzigen Wendung des Verfassungstextes, sondern aus dem Gesamt des Normenbestands. Dementsprechend erfährt die in Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 1 WRV statuierte Leitaussage – grundsätzliche Trennung – in weiteren Bestimmungen des Grundgesetzes ihre nähere Ausgestaltung, sie wird moderiert und modifiziert, taugt aber nicht als das verfassungsgesetzliche Maß aller Dinge oder als „Grundnorm“, an welcher andere Verfassungsnormen zu messen wären. Die gegenteilige These, von wenigen Stimmen seit den frühen 1960er Jahren in allenfalls leichten Nuancierungen beharrlich vorgebracht, ist schon methodisch nicht haltbar, geschweige denn de constitutione lata inhaltlich plausibel. Noch deutlicher wird dies in Art. 109 Abs. 2 der sächsischen Verfassung: Deren erster Satz handelt von der Trennung von Kirchen und Staat, doch der dritte Satz statuiert (Verwendung der indikativischen Form!) das Instrument des Vertrags zur Regelung der wechselseitigen Beziehungen. Ganz offenkundig geht also die sächsische Verfassung davon aus, dass Trennung von Kirche und Staat auf der einen Seite und Vertragsschlüsse andererseits miteinander harmonieren. Bezeichnenderweise kennen Rechtsordnungen, die unverändert Elemente einer Staatskirche aufweisen – wie England, die skandinavischen sowie die von der 20 So bereits Wilhelm Kahl, Aphorismen zur Trennung von Staat und Kirche, 1908, S. 5: „ein allgemein anerkannter Normalbegriff der Trennung von Staat und Kirche (kann) nicht bestehen“; ferner Klaus Ferdinand Gärditz, Säkularität und Verfassung, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.): Verfassungstheorie, 2010, § 5 Rdnr. 22: keine „metarechtliche Säkularität“.
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Orthodoxie geprägten osteuropäischen Staaten – keine vertraglichen Beziehungen: Ihnen genügt das staatliche Gesetz (oder die innerkirchliche Regelung, welche der Staat anerkennt oder übernimmt).21 Der säkulare Staat des Grundgesetzes nimmt für sich keine Allzuständigkeit über jedwede Materie in Anspruch, vielmehr versteht er sich selbst als „sektorialen“ Staat,22 der sein Tätigkeitsfeld auf den ihm von der Verfassung zugewiesenen – weltlichen – Bereich beschränkt. Indes lässt sich in der Lebenswirklichkeit die Sphäre des „Weltlichen“ von derjenigen des „Geistlichen“ nicht so trennscharf scheiden, wie sich dies manche Staatstheorie ab dem späten 18. Jahrhundert und ihre politische Umsetzung im 19. Jahrhundert vorgestellt haben: Nimmt man die realen Gegebenheiten erstens zur Kenntnis und sodann ernst, offenbart sich, dass und wie sich beide Sphären in vielerlei Beziehungen berühren: Der Kirchenbau ist nicht nur Kunstdenkmal, sondern auch – primär – Gotteshaus. Die (staatliche) Schule soll nicht nur berufliches Können vermitteln, sondern auch zur „Ehrfurcht vor allem Lebendigen, zur Nächstenliebe [. . .], zu Gerechtigkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen“ erziehen (Art. 101 Abs. 1 SächsVerf). Der einzelne ist nicht nur Staatsbürger, sondern auch Gläubiger. Will der Staat nicht in einen realitätsignoranten Reduktionismus fallen (den er um seiner Integrationsfunktion willen dauerhaft schwerlich durchhalten könnte), tut er in seinem ureigenen Interesse gut daran, in seiner Rechtsordnung diese Komplexitäten zu berücksichtigen und abzubilden. Für die geistlich-religiöse Komponente jener Sachgebiete, in denen sich beide Sphären berühren, fehlen dem Staat indes infolge seiner aus den Grundsätzen der Säkularität und der Trennung von der Kirche resultierenden Neutralitätspflicht die inhaltlichen Maßstäbe: Eben hier liegt eine grundlegende Legitimation des Vertragsstaatskirchenrechts, im Wege der vertraglichen Verständigung die Fragen beiderseitigen Interesses zu regeln – seitens des Staates beschränkt auf den weltlichen Ordnungsrahmen – und so den Unterschied zwischen Staat und Kirche sowohl zu erkennen wie zu bewältigen.23 Das Vertragsstaatskirchenrecht ist mithin Verfassungsausprägung, nicht aber – wie noch in den 1950er und 1960er Jahren vertreten24 und heute gelegentlich
21 Für England näher Stefan Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 2005, S. 75 ff. 22 So Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 15 Rdnr. 69 und 75 ff. 23 Stefan Korioth, Konkordate und Kirchenverträge im System des deutschen Staatskirchenrechts, ArchKathKR 177 (2009), S. 394 ff. (408). 24 Seinerzeit vertreten von Paul Mikat, Das Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1964, S. 23; siehe ferner Konrad Hesse, Zum Rechts-
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kritisch eingewandt25 – letztes Residuum einer Verfassungsexemption qua „Koordination“ zweier gleichrangig „souveräner“ Mächte. Jene vor sechs Jahrzehnten verbreitete, wenngleich auch seinerzeit keineswegs herrschende Ansicht nahm an, das Grundgesetz gehe von einer grundsätzlichen Gleichordnung von Staat und Kirche als eigenständigen Gewalten aus, in welcher die Kirchen der staatlichen Hoheitsgewalt grundsätzlich nicht mehr unterworfen seien, weswegen für beide Teile verbindliches Recht nur noch im Wege des Vertragsschlusses geschaffen werden könne. Manche der prinzipiellen Kritiker des Staatskirchenrechts im Allgemeinen und des Staatskirchenvertragsrechts im Besonderen stützen ihre Einwände auch heute noch auf den Widerspruch zu diesem Begründungsansatz, den schon längst niemand mehr vertritt. Mit Recht ist ihnen entgegen gehalten worden: „Wer aus dieser Richtung schießt, liegt wahrscheinlich noch in den Schützengräben des Kampfes gegen die theoretischen Überhöhungen der Koordinationslehre bis zu den frühen 1960er Jahren. [. . .] Er übersieht aber, daß sein Schützengraben längst nicht mehr an der Front ist.“ 26 Die Rechtsordnung stellt weit mehr Handlungsformen zur Herbeiführung verbindlicher Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger bereit als die althergebrachten der einseitigen hoheitlichen Regelung (Gesetz, Verwaltungsakt): Die seit Jahrzehnten virulenten Tendenzen rechtsverbindlicher kooperativer Verständigung hat die staats- und verwaltungsrechtliche Dogmatik seit geraumer Zeit unter dem Stichwort „Kooperationsrecht“ erfasst und systematisiert.27 In diese Entwicklung fügt sich das Staatskirchenvertragsrecht bruchlos ein (vielleicht war es sogar Vorreiter dieser Entwicklung28). Vor diesem Hintergrund
schutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, 1956, S. 62; aus der Rechtsprechung BGHZ 22, 383 (387); 34, 372 (373); 46, 96 (101). 25 Zeitgenössische Kritik in den 1960er Jahren bei Helmut Quaritsch, Kirchen und Staat, Der Staat 1 (1962), S. 175 ff. (289 ff.); Helmut Quaritsch, Neues und Altes über das Verhältnis von Kirchen und Staat, Der Staat 5 (1966), S. 451 ff.; in die Gegenwart unbesehen fortgeschrieben von Ludwig Renck, Der sogenannte Rang der Kirchenverträge, DÖV 1997, S. 929 ff. (935); Gerhard Czermak, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), S. 69 ff. (76). 26 Michael Germann, Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer: Eine dritte Generation im Vertragsstaatskirchenrecht, in: Mückl (Hrsg.): Das Recht der Staatskirchenverträge. Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach, 2007, S. 91 ff. (104). 27 Grundlegend Ernst-Hasso Ritter, Der kooperative Staat, AöR 104 (1979), S. 389 ff.; eingehend Lothar Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002; sowie Florian Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005 (speziell zum Vertragsstaatskirchenrecht S. 184 ff.); zusammenfassend Paul Kirchhof, Mittel staatlichen Handelns, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, § 99 Rdnr. 157 ff. und 189 ff.
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wäre es rechtshistorisch wie rechtsdogmatisch anachronistisch, das Institut des Staatskirchenvertrags aufzugeben und zur einseitigen staatlichen Regelung mittels „Rechtsstellungsgesetzen“ zurückzukehren.29 Derartige Postulate bergen nicht allein die Gefahr, die staatskirchenrechtliche von der allgemeinen öffentlich-rechtlichen Dogmatik abzukoppeln,30 sondern erliegen auch der Fehlvorstellung, die Realitäten des 21. mit dem Instrumentarium des 19. Jahrhunderts bewältigen zu können. Dahinter steht letztlich das Bemühen, die etatistisch akzentuierten Argumentationslinien der 1960er Jahre zu perpetuieren, die freilich auf parallele Sachverhalte angewendet wohl kaum vertreten würden. Ein Beispiel: Unter den Kritikern des Staatskirchenvertragsrechts ist die These beliebt, die vertragliche Wiederholung verfassungsgesetzlicher Garantien (wie Religionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht) sei „schlechthin überflüssig“.31 Eine solche Überlegung würde kaum der (wiederholenden) vertraglichen Gewährleistung in supraund internationalen Menschenrechtskonventionen entgegengehalten werden (die zudem meist weniger schutzintensiv sind als diejenigen des Grundgesetzes). IV. Ratio des Staatskirchenvertrags im Verfassungsstaat Fragt man nach der Legitimation des Staatskirchenvertragsrechts, ist dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit die erste und notwendige Bedingung. Diese allein schafft indes keine korrespondierende Verpflichtung, ebenso wenig vermag sie die anhaltende, ungebrochene und zudem sukzessive erweiterte Effektuierung des Instituts erklären (das mehr als einmal als „Auslaufmodell“ eingeschätzt wurde – so meinte Alain Boyer 1993: „Le temps des concordats est passé.“ 32) Wie jede andere Regelung des positiven Verfassungsgesetzes, bedarf auch der Staatskirchenvertrag der Vergewisserung über seinen die Positivierung tragenden Sinn und Zweck im Verfassungsstaat: Warum schließt der Staat mit Kirchen und Religionsgemeinschaften Verträge? Und weshalb nur mit ihnen (und nicht auch mit anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen wie den arbeitsrechtlichen Koalitionen)?33 28 Dafür Ansgar Hense, Konkordate und Staatskirchenverträge, in: Kube/Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler (Hrsg.): Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. 2, 2013, § 132 Rdnr. 9. 29 So aber Ludwig Renck, Rechtsstellungsgesetze für Bekenntnisgemeinschaften, ZRP 2006, S. 87 ff. 30 Hiergegen – seinerzeit nicht ohne Berechtigung – Helmut Quaritsch, Zurück zur juristischen Methode im Staatskirchenrecht, NJW 1967, S. 764 ff. 31 Explizit Gerhard Czermak, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), S. 69 ff. (80). 32 Alain Boyer, Le droit des religions en France, 1993, S. 70 Fn. 1. 33 Zusammenstellung rechtspolitischer Einwände bei Karl-Hermann Kästner, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.): Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 173. Erg.Lfg. (Juni 2015), Art. 140 Rn 80; Stefan Korioth, Konkordate und Kirchenverträge im System des deutschen Staatskirchenrechts, ArchKathKR 177 (2009), S. 394.
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Die dem Institut des Staatskirchenvertrags immanenten Zielsetzungen lassen sich aus einer Zusammenschau der typischen Vertragsinhalte gewinnen. Das staatskirchenrechtliche Schrifttum hat diese Zielsetzungen in vier Kategorien spezifiziert, einer Absicherungs-, einer Kooperations-, einer Förder- und einer Verpflichtungsfunktion.34 Dahinter steht übergreifend der Gedanke des Vertrages als geeigneten und adäquaten Integrationsinstruments zwischen Staat und Kirche, allgemein: „gesellschaftlichen Verbänden im Bereich der Religion“.35 Nicht zu verkennen ist freilich bei der jüngsten Entwicklung beginnender Vertragsschlüsse mit muslimischen Gemeinschaften in Gestalt der Verpflichtung auf „gemeinsame Wertgrundlagen“ eine neuartige – dem tradierten Staatskirchenvertragsrecht fremde – Facette, diejenige eines „Disziplinierungscharakters“.36 Davon einmal abgesehen, wird so die Freiheit des Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften zur Erfüllung ihrer Sendung in den vielfältigen Ausprägungen gewährleistet und, in nicht seltenen Fällen über das vom einseitig gesetzten staatlichen (Verfassungs-)Recht Geforderte hinaus, verstärkt. Indes: Diese Dimension der Freiheitsgewähr erschöpft die ratio des Staatskirchenvertrags nicht. Ein Vertrag ist ein gegenseitiges Austauschverhältnis, charakterisiert dadurch, dass jede der Parteien etwas zu geben verspricht.37 Die kirchliche „Leistung“, wiewohl nicht in erster Evidenz offen liegend, besteht in der Form ihres Wirkens als Beitrag für das Gemeinwohl und für die Grundlagen des Gemeinwesens, die der Staat alleine nicht zu sichern vermag.38 Denn seit jeher erbringt das kirchliche Wirken – in Bildung und Erziehung, Caritas und Diakonie, Kultur(güter)schutz und Totenfürsorge – als „überschießende Effekte“ Leistungen für das allgemeine Wohl: Leistungen, die der Staat entweder aus verfassungsrechtlichen Gründen der Säkularität und Neutralität nicht selbst wahrnehmen kann oder aber solche, mit deren ausschließlicher Wahrnehmung er sich übernehmen müsste und würde. Die „Pointe“ des Staatskirchenvertragsrechts (wie des Staatskirchenrechts allgemein) besteht gerade darin, dass der säkulare 34 Grundlegend Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, 2000, S. 68 ff., 218 ff., 316 ff., 353 ff.; ihm folgend Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 344; Ansgar Hense, Konkordate und Staatskirchenverträge, in: Kube/Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler (Hrsg.): Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. 2, 2013, § 132 Rdnr. 10. 35 Stefan Korioth, Konkordate und Kirchenverträge im System des deutschen Staatskirchenrechts, ArchKathKR 177 (2009), S. 394 ff. (408). 36 So deutlich Ansgar Hense, Konkordate und Staatskirchenverträge, in: Kube/ Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler (Hrsg.): Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. 2, 2013, § 132 Rdnr. 19. 37 Zutreffend Stefan Korioth, Konkordate und Kirchenverträge im System des deutschen Staatskirchenrechts, ArchKathKR 177 (2009), S. 394 ff. (408). 38 Eingehend Arnd Uhle, Staat – Kirche – Kultur, 2004, S. 131 ff.; Paul Kirchhof, Die Freiheit der Religionen und ihr unterschiedlicher Beitrag zu einem freien Gemeinwesen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 39 (2005), S. 105 ff.
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Staat an derartigen Gemeinwohlleistungen der Kirchen als einem „produktiven Beitrag“ 39 zu seinem eigenen Nutzen wie zu demjenigen der „religiös unmusikalischen“ (Habermas) Bürger partizipiert. Nicht nur Gläubige schicken ihre Kinder auf kirchliche Privatschulen,40 nicht nur Kirchgänger bevorzugen den Aufenthalt im Ordenskrankenhaus. Dieser Gedanke liegt den Verträgen, zumal den älteren, vielfach allein stillschweigend zugrunde. Neuere Vertragstexte haben mitunter weniger Scheu, ihn in ihren Präambeln auch explizit zu machen: In vergleichsweise diskreter Form geschieht dies im Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen („im Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung des Landes“). Weit bekenntnisfreudiger sind die beiden jüngsten Staatskirchenverträge: • Der baden-württembergische Kirchenvertrag von 200741 erinnert an die „bleibende Verantwortung der Kirchen für christlichen Glauben, kirchliches Leben und diakonischen Dienst auch in deren Bedeutung für das Gemeinwohl und den Gemeinsinn [. . .] im religiös neutralen Staat“). • Der Vertrag zwischen Schleswig-Holstein und dem Heiligem Stuhl von 200942 motiviert sich (auch) aus „der Einsicht, dass christlicher Glaube, christliches Leben und karitatives Wirken zugleich auch einen Beitrag zum Wohle des Ganzen wie auch zur Stärkung des Gemeinsinns der Menschen in der pluralen Gesellschaft leisten“. Aus eben diesem Grund stellt der Staat mit dem Institut des Staatskirchenvertrags den rechtlichen Rahmen zur Verfügung, der das darauf bezogene kirchliche Wirken in institutionalisierter Form gewährleistet und absichert, damit dieses sein proprium zum Wohl des (säkularen) Gemeinwesens zu entfalten vermag. Das setzt freilich einen langfristig bindungsfähigen und bindungswilligen Vertragspartner voraus, der die staatlichen Verfassungserwartungen43 dauerhaft einzulösen in der Lage ist – eben diese Bereitschaft zur langfristigen vertraglichen Bindung hebt die Kirche, die in historischer Perspektive nicht wenige dieser Gemeinwohlaufgaben (wie das Bildungswesen und die Sozialfürsorge) lange vor dem 39
Karl-Heinz Ladeur/Ino Augsberg, Toleranz – Religion – Recht, 2007, S. 85. Harald von Bose, Die Partnerschaft von Staat und Kirche in der säkularisierten Gesellschaft, in: Depenheuer/Heintzen/Jestaedt/Axer (Hrsg.): Nomos und Ethos. Hommage an Josef Isensee zum 65. Geburtstag von seinen Schülern, 2002, S. 25 ff. (42), verweist auf die Akzeptanz des Religionsunterrichts auch in kirchlich nicht gebundenen Kreisen gerade in den neuen Bundesländern. 41 Art. 3 Abs. 2 und 3 des Vertrags des Landes Baden-Württemberg mit der Evangelischen Landeskirche in Baden und mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vom 17. Oktober 2007 (GBl. BW 2008, S. 1 ff.). 42 Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und dem Heiligen Stuhl vom 12. Januar 2009, AAS 101 (2009), S. 539 ff. = GVOBl. Schl.H. 2009, S. 264 ff. 43 Zu ihnen grundlegend Josef Isensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 25 (1991), S. 104 ff. 40
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Staat erbracht hat, von sonstigen grundrechtsberechtigten „Verbänden“ ab. Es liegt also auch im eigenen Interesse des Staates als Destinatar dieser Gemeinwohlleistungen, Staatskirchenverträge abzuschließen und in deren Gewährleistungen auch über das vom einseitigen staatlichen Recht strikt Geforderte hinauszugehen – ohne dass daraus aber eine vollständige Kongruenz staatlicher und kirchlicher Zielsetzungen resultierten: Gerade die jüngeren Staatskirchenverträge geben ausdrücklich zu Protokoll, dass das beiderseitige Verhältnis „gleichermaßen (durch) Distanz und Kooperation“ geprägt sei.44 Nichts anderes als diese plastische Wendung aus dem Güstrower Vertrag meint auch der sächsische Kirchenvertrag wenn er eigens darauf hinweist, der Vertrag werde „in Anerkennung der Eigenständigkeit der Kirchen“ geschlossen. V. Pflicht zum Vertragsschluss? Ein sächsisches Spezifikum ist die in der Verfassung normierte genuine Pflicht zum Vertragsschluss. Demgegenüber lässt das gemeindeutsche Staatskirchenrecht das Institut des Staatskirchenvertrags durchweg zu, normiert aber keine generelle Pflicht zu dessen Inanspruchnahme; andere Landesverfassungen tun dies allein in Bezug auf konkrete Materien (Ablösung von Staatsleistungen,45 Theologische Fakultäten46). Freilich dürfte die Differenz der sächsischen Verfassung zu den allgemeinen Prinzipien des deutschen Staatskirchenrechts mehr atmosphärischen denn substantiellen Gehalt aufweisen, anders gewendet: auch die unbedingt anmutende Formulierung („werden [. . .] geregelt“) hat ihre immanenten Grenzen. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht das grundsätzliche Nichtbestehen einer originären Pflicht zum Abschluss von Staatskirchenverträgen in die überaus entschiedene Wendung gefasst, es stehe „völlig im Belieben des Staates, ob und mit welchen Kirchen er Verträge abschließen will“.47 Daran ist, mag man sich auch an der dezisionistisch inspirierten Diktion reiben, jedenfalls richtig, dass allgemeine staatsrechtliche Überlegung schwerlich auf eine Abschlusspflicht hin verdichtet werden können. Das gilt im Regelfall auch dann, wenn der Staat mit einem oder mehreren Partnern bereits Staatskirchenverträge abgeschlossen
44 So die Präambel des „Güstrower Vertrags“ (Vertrags zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 20. Januar 1994 [GVBl. MV 1994, S. 559 ff.]), ähnlich zuletzt die Präambel des baden-württembergischen Kirchenvertrags (Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit der Evangelischen Landeskirche in Baden und mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vom 17. Oktober 2007 [GBl. BW 2008, S. 1 ff.]): „Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und ihre Eigenständigkeit“. 45 Art. 37 Abs. 2 BbgVerf; Art. 21 Verf NRW. 46 Art. 9 Abs. 3 Verf MV; Art. 28 Abs. 3 S. 2 ThürVerf. 47 BVerfGE 19, 1 (12) – Neuapostolische Kirche.
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hat: Das staatskirchenrechtliche Prinzip der Parität48 wird sich zugunsten eines Vertragsprätendenten nur im Ausnahmefall im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null fruchtbar machen lassen.49 Denn der Staat verfolgt mit dem Vertragsschluss – legitimerweise – auch eigene Interessen, in diesem Rahmen kann er die Gemeinwohlrelevanz einer vertragswilligen Kirche oder Religionsgemeinschaft in seine Wertung einfließen lassen. Namentlich darf er dabei prüfen und wägen, ob sein potentieller Gegenüber ein dauerhaft vertragsfähiger Partner ist. Ein Kriterium dafür wird sein, ob dieser für einen ins Gewicht fallenden Teil der Gesellschaft und insbesondere der betreffenden Glaubensgemeinschaft tatsächlich repräsentativ ist. Ebenso ist relevant, ob ein Vertragsprätendent die Bereitschaft erkennen lässt sowie die Gewähr dafür bietet, unter der Prämisse des freiheitlichen Verfassungsstaates bestimmte Belange des gemeinsamen Interesses in partnerschaftlicher Kooperation mit dem Staat zu regeln und sie dann auch praktisch zu realisieren. Was herkömmlich die stillschweigende Geschäftsgrundlage bildete, wird neuerdings auch explizit vertraglich fixiert: Sämtliche der (noch wenigen) Vereinbarungen mit muslimischen Gemeinschaften (2012 Bremen und Hamburg50) enthalten das Bekenntnis zu „gemeinsamen Wertgrundlagen“, „insbesondere zur Gleichberechtigung der Geschlechter und zur vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen am gesellschaftlichen und politischen sowie am schulischen und beruflichen Leben“. Ein staatskirchenrechtlicher Kontrahierungszwang kraft Parität kommt von vornherein nur bei vergleichbaren Verhältnissen in Betracht,51 nicht nur hinsichtlich des grundsätzlichen „Ob“, sondern auch hinsichtlich der Vertragsinhalte. Da der Grundsatz der Parität keine schematische Gleichbehandlung intendiert, sondern sachlich begründete Abstufungen zulässt (wenn nicht sogar fordert), bedarf es einer jeweils auf die konkrete Gemeinschaft abgestimmten sachadäquaten Re48 Dazu im Überblick Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 159 Rdnr. 73 ff. 49 Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 ff. (309); großzügiger Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 7, S. 253 ff. (269). 50 Bürgerschafts-Drs. Bremen 18/727, Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und den Islamischen Religionsgemeinschaften im Lande Bremen; BürgerschaftsDrs. Hamburg 20/5830, Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren sowie Bürgerschafts-Drs. Hamburg 20/5830, Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. 51 Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 ff. (310); ebenso in der Sache Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 353.
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gelung. So sehr bestehende Verträge auch Anregung und Inspiration zu vermitteln vermögen, so wenig taugen sie als bloße „Blaupause“ für neue Vereinbarungen.52 Gerade die sächsischen Verträge sind ein gelungenes Beispiel für derartige differenzierte Regelungsgehalte. VI. Ausblick Die klassische Konkordatstypologie unterscheidet zwischen solchen, die zum Schutz der bedrohten kirchlichen Freiheit abgeschlossen werden (concordata ad graviora mala vitanda), solchen, die einen vorhergehenden Konflikt zwischen Staat und Kirche beendet haben (concordata pacis) und jene, welche Ausdruck gegenseitigen Vertrauens und der Zusammenarbeit sind (concordata amicitiae).53 Schon längst sind die in Deutschland zwischen Staat und Kirche abgeschlossenen Verträge der letztgenannten Kategorie zuzuordnen. Staatskirchenverträge haben sich als adäquate Mittel im freiheitlichen Verfassungsstaat erwiesen, um – bei vorausgesetzter wie unstreitiger – Unterscheidung von Staat und Kirche wirksamen Freiheitsschutz und Freiheitsgewähr zu ermöglichen sowie in spezifischen Materien zwischen beiden Größen eine Zusammenarbeit zu pflegen, welche nicht zuletzt dem civis et fidelis zugute kommt.
52 Zu einem Berliner Kuriosum instruktiv Ansgar Hense, Staatsverträge mit Muslimen – eine juristische Unmöglichkeit?, in: Mückl (Hrsg.): Das Recht der Staatskirchenverträge. Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach, 2007, S. 115 ff. (136 ff.). 53 Locus classicus: Alaphridus Ottaviani, Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici, vol. 2, editio 4, 1960, S. 260 ff.
Teil B
Die Entstehung der Kirchenverträge des Freistaates Sachsen
Die Verhandlungen zu den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen Von Rolf Raum I.
Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Politische und kirchliche Verschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Staatsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berechnungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung der reduzierten Zahl von Kirchenmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ansatz der Staatsleistungen in den Kirchenverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderproblem: Geistliches Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 34 35 35 36
III. Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Bistumserrichtungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V.
Katholischer Kirchenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Vertrag mit dem Landesverband jüdischer Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Lassen Sie mich zu Beginn zurückblenden, auf die Jahre 1991/1992, als die Verhandlungen zu den sächsischen Staatskirchenverträgen begonnen haben. Zu dieser Zeit waren noch nahezu alle Ministerien in dem Gebäude der heutigen Staatskanzlei untergebracht. Dies mag Ihnen einen Eindruck geben, wie damals große Aufgaben mit sehr wenig Personal bewältigt werden mussten. Es hat trotzdem geklappt und mit den Staatskirchenverträgen ist ein Regelungswerk geschaffen worden, das dem Verhältnis Staat/Kirche in Sachsen eine Struktur gegeben und sich bewährt hat. Dass die Staatskirchenverträge abgeschlossen werden konnten, ist ein großes Verdienst des damaligen Justizministers Steffen Heitmann, der der entscheidende Mentor dieses Projektes war und dem hierfür unser besonderer Dank gelten muss. I. Ausgangslage Blicken wir auf die Jahre unmittelbar nach der Wiedervereinigung. In dieser Zeit bestand in allen neuen Ländern ein fester Wille, das Verhältnis Staat/Kirche umfassend neu zu regeln. Dabei sollte zwar eine Anpassung an die staatskirchenrechtliche Situation in den westlichen Bundesländern erfolgen. Vor allem jedoch die Kirchen legten Wert darauf, dass keine deckungsgleiche Übernahme stattfin-
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den sollte, sondern die 40 Jahre DDR, mit den hieraus gewachsenen besonderen Erfahrungen und kirchlichen Traditionen in den Verträgen einen Niederschlag finden sollten. Um es vorweg zu nehmen: Letzteres konnte nicht gelingen; dennoch ist die starke Betonung kirchlicher Verselbständigung ein Ausdruck der Erfahrungen aus der DDR-Zeit. Bei beiden Kirchen bestand der Wille, die kirchliche Sphäre mehr (als in der Weimarer Zeit) von der staatlichen zu trennen.1 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben Art. 140 des Grundgesetzes wurde durch den Beitritt der neuen Länder auch auf deren Gebiet erstreckt. Damit galten auch die dort in Bezug genommenen Bestimmungen der Art. 136 bis 139 WRV. Im Rahmen einer Neuordnung mussten die grundlegenden staatskirchenrechtlichen Grundsätze der Verfassung beachtet werden. Die sächsische Landesverfassung hat ihrerseits auf die vorgenannten Bestimmungen der WRV Bezug genommen (Art. 109 Abs. 4 SächsVerf). Zugleich hat sie aber in Art. 109 Abs. 2 Satz 3 das Postulat aufgestellt, dass Staat und Kirche ihre Beziehungen durch Verträge regeln.2 Dies als Pflicht zum Abschluss von Staatskirchenverträgen auszulegen, wäre wahrscheinlich eine Überinterpretation. Richtiger ist es, in dieser Bestimmung einen verfassungsrechtlich vorgegebenen Idealzustand zu sehen, den der Staat herzustellen hat. Für die Kirchen ist damit eine Verfassungserwartung formuliert, die sie einerseits als bedeutungsgleiche Institutionen auf die Ebene des Staates hebt, sie andererseits aber auch in die Verpflichtung für das Gemeinwesen einbindet. Die besondere Bedeutung dieses Verständnisses lässt sich nur vor der damaligen historischen Situation verstehen. Da die staatlichen und halbstaatlichen Institutionen mit der Wiedervereinigung sehr weitgehend zusammengebrochen waren, kam den Kirchen eine noch größere Bedeutung zu. Ihre caritativen und sozialen Einrichtungen sind weitestgehend intakt geblieben. Um die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten war es streckenweise eine schlichte Notwendigkeit, die Kirche in das staatliche oder kommunale Handeln miteinzubeziehen. 2. Politische und kirchliche Verschränkungen Die friedliche Revolution in den neuen Ländern wurde maßgeblich aus den Kirchen heraus eingeleitet. 3 Hochrangige Kirchenvertreter wie auch engagierte 1 Dies kommt vor allem in den Regelungen über kirchliche Schulen (Art. 6 SächsEvKV) und die Aufhebung der Patronate (Art. 12 SächsEvKV) zum Ausdruck. 2 Vgl. dazu Steffen Heitmann, Die Entwicklung von Staat und Kirche aus der Sicht der „neuen“ Länder, ZevKR 39 (1994), S. 402 ff. (408). 3 Vgl. dazu auch Jürgen Bergmann, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen den evangelischen Kirchen und dem Freistaat Sachsen vom 24. März 1994 aus Sicht der evangelischen Landeskirchen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat
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Laien waren in ganz weitem Umfang Träger dieses politischen Umgestaltungsprozesses, der dann zur Einheit führte. Es war deshalb selbstverständlich, dass viele dieser Personen unmittelbar nach der Wiedervereinigung auch hohe Staatsämter übernahmen. Diese personellen Verschränkungen führten dann einmal dazu, dass zwischen Kirche und Staat gegenseitige Erwartungshaltungen bestanden, die wiederum von den Medien argwöhnisch begleitet wurden. Aus heutiger Sicht lässt sich freilich bilanzieren, dass außer dem gemeinsamen Willen aufeinander zuzugehen und die Zukunft einvernehmlich zu gestalten, weder unangemessene politische noch wirtschaftliche Vorteile gewährt wurden. Obgleich persönlich solche Tendenzen aus meiner Sicht auch nicht festzustellen waren, hätte jedenfalls die auf beiden Seiten bestehende Einbettung in Gremien solches auch verhindert. Als sächsische Besonderheit lag die Federführung in den Verhandlungen im Justizministerium.4 Diese erstreckten sich dann bis 1996. Die Verhandlungen hatten – unterschieden nach den beiden Kirchen – die folgenden Schwerpunkte: II. Staatsleistungen Diese bildeten schon wegen ihrer erheblichen finanziellen Dimension den schwierigsten Problemkreis. Zudem waren beide Partner finanziell notleidend und hingen am Tropf der alten Länder, von denen sie dementsprechend kritisch beobachtet wurden. Dort galt der Grundsatz: Was wir nicht geben, das dürfen die im Osten auch nicht gewähren. Im Übrigen wurden – ich werde darauf später noch zu sprechen kommen – auch die sog. Stellvertreterkriege geführt; d.h. man will im Osten eine Änderung bei den neu abzuschließenden Staatskirchenverträgen durchsetzen, um damit einen Berufungstatbestand geschaffen zu haben, der zugleich im Westen die Durchsetzung der eigenen Verhandlungsposition erleichtern soll. Die zunächst vordringliche Frage für die Staatsregierung war, auf welcher Grundlage und mit welcher Zielrichtung die Verhandlungen zukünftig geführt werden sollten. Die anderen ostdeutschen Länder, die ebenfalls mit den Verhandlungen begonnen hatten, haben sämtlich zunächst versucht, die Höhe der Staatsleistungen politisch auszuhandeln. Nach reiflicher Überlegung ist die staatliche Seite in Sachsen diesen Weg nicht gegangen. In Sachsen wurde versucht, die Staatsleistungen juristisch zu ermitteln, d.h., die Ansprüche beziffert festzustellen.5
Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 129 ff. (136 f.). 4 In den anderen Ländern liegt diese üblicherweise in den Kultusministerien, seltener auch in den Staatskanzleien (z. B. Brandenburg). 5 Vgl. dazu ausführlich Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge
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Das Hauptproblem dabei war die Quellensammlung, zumal die einzelnen Staatsleistungen in Sachsen auf unterschiedlichen Rechtstiteln beruhten. Es gab im Wesentlichen drei historische Grundkonstellationen, nämlich die evangelische und die davon unterschiedliche katholische Situation im ehemaligen Königreich Sachsen und die Lage in den ehemals preußischen Randgebieten, wobei sich dort evangelisch und katholisch nicht wesentlich unterschieden. Im Blick auf die Ermittlung der Quellen ging die staatliche Seite zunächst von einer „Bringschuld der Kirchen“ aus. Dies hat sich dann aber nicht durchhalten lassen, so dass wir auch selbst in eine umfassende Prüfung der Quellen eingetreten sind. Zu Hilfe kam uns dabei vor allem für das Gebiet des ehemaligen Königreichs Sachsen, der Schiedsspruch des Reichsgerichts vom 17. Februar 19266 und zwei Entscheidungen des Staatsgerichtshofs vom 15. Oktober 19277 und vom 20. Dezember 19328 aus denen ebenso wie aus einer Kabinettsvorlage9 die in Ansatz zu bringenden alten Rechtstitel erkennbar waren. Es soll an dieser Stelle keine Darstellung der Einzelpunkte im Rahmen der Feststellung der Staatsleistungen erfolgen. Ich will mich auf die Darstellung von drei wesentlichen Punkten in diesem Zusammenhang beschränken: 1. Berechnungsansatz Die auch betragsmäßig am stärksten ins Gewicht fallenden Staatsleistungen bildeten die seinerzeitigen Personalkostenansätze. Vom Staat wurden – das ist die in Art. 138 Abs. 1 WRV garantierte Staatsleistung – Personalkosten der Kirche für ihre Leitungsorgane übernommen. Die Kirchen hatten sich zunächst auf den Standpunkt gestellt, dass eine entsprechende Übernahme ihrer jetzt angefallenen Personalkosten den Inhalt der Staatsleistung bilde. Dem ist die staatliche Seite nicht gefolgt. Maßgeblich ist vielmehr der Zustand, der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der WRV bestand.10 Es gab deshalb auch keine (für beide Seiten im
im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (48 ff.). 6 RGZ 113, 349. 7 RGZ 118, Anh. 1 S. 1. 8 Das wegen der kurz danach erfolgten Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht mehr veröffentlicht wurde. 9 Die sog. Vorlage Nr. 22 des Gesamtministeriums (abgedruckt in: Die Sächsischen Landtagsakten aus den Jahren 1930–1933, 22. Vorlage, Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Ablösung von Staatsleistungen an die Evangelisch-lutherische Landeskirche im Freistaate Sachsen vom 24. Januar 1931, S. 1 ff.) an den Sächsischen Landtag, die eine detaillierte Darstellung der wesentlichen Staatsleistungen enthielt. 10 Faktisch wurde jedoch auf einen späteren Zeitpunkt abgestellt, weil die Trennung zwischen Staat und Kirche in Sachsen erst durch das Gesetz über die Aufhebung von Behörden der Evangelisch-lutherischen Landeskirche vom 17. Juli 1926 (Trennungsgesetz) (SächsGBl. S. 153) durchgeführt wurde.
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Übrigen nur peinliche) Auseinandersetzungen um Zahl und Einstufung der aktuellen kirchlichen Stellen. Die Besoldung war auf den Jetzt-Stand zu übertragen, d.h. nach der aktuellen (im Jahr 1993, dem Basisjahr für den Vertragsschluss) Besoldungsordnung zu bewerten und zu berechnen.11 Der so ermittelte absolute Betrag floss in die Staatsleistung ein. 2. Bewertung der reduzierten Zahl von Kirchenmitgliedern Der im Vergleich zum Westen drastische Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen war zu einem wesentlichen Teil auch auf eine jahrzehntelange repressive Kirchenpolitik des SED-Regimes zurückzuführen. Unter dem juristischen Gesichtspunkt einer „wesentlichen Veränderung der Geschäftsgrundlage“ war – insbesondere bei den Pfarrbesoldungszuschüssen – zu überlegen, ob einer deutlich kleiner gewordenen Kirche nicht auch weniger an Staatsleistungen zuzuwenden sind. Eine solche Kürzung ist aber nur unter ganz gewichtigen Voraussetzungen zulässig, weil Begünstigte der staatlichen Zahlungsverpflichtung, die vom Wechsel der Mitglieder grundsätzlich unabhängige öffentlich-rechtliche Körperschaft ist. Die Kirche bleibt die Anspruchsberechtigte. Gleichwohl erhalten die Kirchen diese Leistungen nicht um ihrer selbst willen, sondern weil hiermit ein bestimmter Zweckzusammenhang verbunden ist. Letztlich haben die Vertragschließenden folgende Kompromisslinie gezogen. Während in der Weimarer Zeit, die die maßgebliche Bemessungsgrundlage für die Feststellung der staatskirchenrechtlichen Ansprüche bildete, die Pfarrerdichte im Reichsdurchschnitt bei 2.463 Seelen lag, belief sich die entsprechende Zahl in Sachsen damals auf etwa 1.200. Dies hat die staatliche Seite akzeptiert, allerdings im Fall einer Kirche, bei der die Durchschnittszahl auf 600 abgeschmolzen war, musste eine entsprechende Anpassung vorgenommen werden.12 3. Ansatz der Staatsleistungen in den Kirchenverträgen Die so errechneten Staatsleistungen wurden in einem Betrag zusammengefasst (Art. 14 SächsEvKV und Art. 20 SächsKathKV). Dieser Betrag wird im Wege einer automatischen Gleitklausel an die Besoldungsentwicklung angepasst.13 Der 11 Ausführlich zum Berechnungsansatz Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (58 ff.). 12 Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (56 f.). 13 Maßgeblich ist insoweit die Besoldungsgruppe A 13.
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Betrag unterliegt der freien Verfügung der Kirchen, die auch dessen Verwendung nicht nachweisen müssen (jeweils ausdrücklich geregelt im Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 2 SächsEvKV und zu Art. 20 lit. b SächsKathKV). Insofern ist durch die umfassende Schuldnovation eine Ablösung der Staatsleistung auf halbem Weg schon erreicht. 4. Sonderproblem: Geistliches Haus In der Sporer- und Schössergasse in Dresden stand das im 2. Weltkrieg total zerstörte „Geistliche Haus“ – ein kirchliches Verwaltungsgebäude und gleichzeitig Wohnsitz des Bischofs. Die katholische Kirche hatte erhebliche Ansprüche für den Wiederaufbau des Hauses und die Ablösung der Baulast geltend gemacht. Staatlicherseits wurde der Anspruch für begründet erachtet, weil eine sog. Observanz vorlag.14 Gelöst wurde die Frage letztlich politisch, indem der katholischen Kirche ein noch näher zur Kathedrale gelegenes Grundstück, das Kanzleihaus, zur Nutzung angeboten wurde. Es kam dann zu einem verwaltungsrechtlichen Vergleich nach § 55 VwVfG, in dem der Freistaat das Grundstück übereignete und sich zur Zahlung von 19 Mio. DM verpflichtete. Der Zahlbetrag enthielt einen Zuschuss zum Wiederaufbau, die Ablösung der Bauunterhaltslast und einen Ausgleich für die geringere Grundfläche. Heute ist das alte Kanzleihaus, das historisch wiedererrichtet wurde und auch teilweise der Öffentlichkeit zugänglich ist, das Haus der Kathedrale. Es stellt ein weiteres Schmuckstück in der historischen Altstadt Dresdens dar und bildet ein gelungenes Beispiel der kreativen Umsetzung einer Staatsleistung. III. Religionsunterricht Die Einführung eines Religionsunterrichtes war in Sachsen eigentlich unstrittig und weitgehend erwünscht. Wir haben von Seiten des Justizministeriums sehr vertrauensvoll mit dem Kultusministerium (wie im Übrigen auch generell) zusammengearbeitet, als es um die Umsetzung dieses Zieles ging. Im Zentrum stand dabei, die Bekenntnisgebundenheit des Religionsunterrichts zu sichern. Es bedarf einer kirchlichen Ermächtigung (Vokation bzw. missio canonica) und die Kirchen sollten auch die inhaltliche Verantwortung für den Religionsunterricht tragen. Leider ist es nicht gelungen, jedenfalls solange der Referent das weitere Geschehen überblickt, pragmatische Sonderregelungen für die in Sachsen bestehende Diasporasituation zu finden. Es ließ sich weder der Gedanke der Schul-
14 Vgl. Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (74 ff.).
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pfarrstellen15 noch für bestimmte Jahrgangsstufen eine Art ökumenischer Religionsunterricht16 realisieren. Das ist ebenso bedauerlich wie der Umstand, dass kirchlicherseits das Wesen des Religionsunterrichts und damit die hierin liegende Chance nur unzureichend verinnerlicht wurde. Der Charakter des Religionsunterrichts als einer zwar konfessionsgebundenen, aber staatlichen Ausbildung wird ausgehöhlt, wenn man versucht, diesen aus der Schule heraus in die eigenen Gemeindezentren zu verlagern. Im Schlußprotokoll zum Vertrag ist im Übrigen festgehalten, dass der Freistaat sich bemüht, Religionsunterricht gegebenenfalls auch schulübergreifend anzubieten, aber zugleich auch, dass es keinen Religionsunterricht um jeden Preis geben darf und muss (Schlußprotokoll zu Art. 5 SächsEvKV; Art. 3 SächsKathKV). IV. Bistumserrichtungsverträge Aus der Rückschau will ich nicht verhehlen, dass mir die Thematik, Staatsverträge über die Errichtung von Bistümern, zunächst skurril vorkam. Dieses Störgefühl hat sich bis zum Schluss nicht ganz gelegt. Worum ging es? Dass die katholische Kirche ihre Bischöflichen Ämter bzw. die Apostolische Administratur Görlitz zu Bistümern erheben wollte, war offensichtlich vernünftig. Wozu brauchte sie den Staat dazu? Die Antwort lag im Reichskonkordat, welches in Art. 11 eine entsprechende staatliche Mitwirkung vorsah. Wer diese staatliche Mitwirkung nun ausübte, der Bund oder die Länder, war ebenfalls streitig. Letztlich setzten sich die Länder durch. Das schwierigste Problem im Zusammenhang mit den Bistumserrichtungsverträgen war die Frage nach der Fortgeltung des Reichskonkordats (und damit zusammenhängend natürlich auch des Preußenkonkordats, dessen Fortgeltung das Reichskonkordat bestätigt). Diese Frage war auch unter den neuen Ländern stark umstritten. Die sächsische Haltung dazu war kurz zusammengefasst die folgende:17 Rechtlich wurde eine Bindungswirkung für äußerst zweifelhaft erachtet, politisch wurde sie abgelehnt.18 Dies lag nicht nur an dem Datum des Konkordatsschlusses, sondern auch an Textstellen, die heute nicht mehr vermittelbar ge-
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In den Schuldienst ganz oder teilweise abgeordnete Pfarrer. Im Vertrag über die Gestellung von Lehrkräften im kirchlichen Dienst für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen im Freistaat Sachsen (Gestellungsvertrag) vom 7. September 1994 (ABl. EKKPS S. 130) war ein Modell der gegenseitigen Vertretung vorgesehen, das aber kaum umgesetzt wurde. 17 Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420 ff. (1421 f.). 18 Siehe dazu Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (101 ff.). 16
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wesen wären.19 Andererseits durfte natürlich die Bistumserrichtung nicht gefährdet werden. Letztlich führten die Verhandlungen zu einer Kompromissformel, die ein so hohes diplomatisches Geschick widerspiegelt, dass ich sie nochmal im Wortlaut nennen will: „[. . .] wird unter Berücksichtigung des in Geltung stehenden Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933, soweit es die Länder bindet, und in Würdigung des Vertrags des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 der folgende Vertrag geschlossen.“ Für den Freistaat Sachsen war an dieser Stelle immer klar, dass es mit der katholischen Kirche einer umfassenden Vereinbarung bedarf, um eine etwaige Fortgeltung des Reichskonkordats auch inhaltlich durch Regelungen zu ersetzen, die zu einem freiheitlichen Rechtsstaat passen. V. Katholischer Kirchenvertrag Nach dem Abschluss der Bistumserrichtungsverträge trat zunächst Ruhe ein. Zwar lag ein mit den Vertretern der Ortskirchen ausgehandelter Entwurf eines katholischen Kirchenvertrags vor, allein die Zustimmung der Nuntiatur (oder des Heiligen Stuhls) fehlte.20 Dort zweifelte man zwischenzeitlich am Sinn über das Reichskonkordat hinausgehender Verträge. Letztlich kam dann doch noch Bewegung in die Sache und die Nuntiatur nahm förmlich Verhandlungen mit dem Freistaat auf, wobei die Ortskirchen durch den Leiter des Katholischen Büros vertreten waren. Zu nennen sind aus den Verhandlungen zwei Punkte: Einmal war es für den Freistaat wichtig, dass überall dort, wo das Reichskonkordat Regelungen traf, diese ersetzt werden sollten, um zu einem eigenständigen Normsystem zu gelangen. Eine Ausnahme gilt lediglich für den Bereich der Besetzung kirchlicher Ämter, weil das dort vorgesehene Auswahlverfahren beibehalten werden sollte.21 Dies ist in Art. 13 SächsKathKV ausdrücklich festgehalten, der insoweit auf die Bistumserrichtungsverträge und hinsichtlich des Bistums Dresden-Meißen auf das Reichskonkordat Bezug nimmt, das wiederum auf das Badische Konkordat verweist.22 Im Ergebnis ist damit das Wahlrecht des
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Deshalb wurde auch ausdrücklich auf den Treueid verzichtet. Zum Gang der Verhandlungen siehe auch Dieter Grande, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996 aus Sicht der katholischen Kirche, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 151 ff. (160 f.). 21 Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420 ff. (1422). 22 Zur Besetzung kirchlicher Ämter vgl. Klaus Weber/Rolf Raum, Die Besetzung kirchlicher Ämter nach dem Katholischen Kirchenvertrag Sachsen vom 2 Juli 1996, AfkKR 165 (1996), S. 414 ff. 20
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Domkapitels bei der Besetzung der bischöflichen Stühle für sämtliche drei Bistümer gesichert, die in Sachsen gelegen sind.23 Den wesentlichsten Raum nahmen aber die Verhandlungen über theologische Lehrstühle an staatlichen Universitäten ein. In Sachsen fand und findet allerdings nach meiner Erinnerung keine (katholisch-)theologische Ausbildung statt, sondern es existiert lediglich ein religionspädagogischer Studiengang. Betroffen sind allenfalls drei Stellen. Es handelte sich um ein klassisches Stellvertreterproblem, wobei in Sachsen ein Konflikt ausgetragen werden sollte, der in den westlichen Bundesländern entstanden war. Worum ging es? An theologischen Fakultäten gab es das (in der damaligen Zeit nicht seltene) Phänomen, dass die Diözesanbischöfe Hochschullehrern das „nihil obstat“ entzogen und dann vom Staat verlangten, die freigewordene Stelle umgehend neu zu besetzen, während die Länder aus beamtenrechtlichen Gründen die Folgekosten für eine Weiterbeschäftigung des aus der theologischen Ausbildung Ausgeschiedenen tragen mussten. Unbestritten war von staatlicher Seite, dass die theologische Ausbildung bekenntnisgebunden ist. Den Inhalt des Bekenntnisses legt die Kirche fest. Deshalb darf die Kirche auch beanstanden und um Abhilfe nachsuchen, wenn der betreffende Hochschullehrer ihr Bekenntnis nicht mehr vertritt. Letztlich konfliktbehaftet war allein die Frage, ob der Staat auch dann zwangsläufig einen neuen Hochschullehrer auf seine Kosten einzustellen hat, wenn er den von der katholischen Kirche beanstandeten Hochschullehrer aus beamtenrechtlichen Gründen weiterbeschäftigen muss. Der Vertrag sieht jetzt eine Verhandlungslösung vor, wonach Ministerium und Diözesanbischof sich ins Benehmen setzen müssen über die Art und den Umfang einer Ersatzgestellung und vor allem über den Umfang einer kirchlichen Kostenbeteiligung. Wir waren immer der Meinung, dass eine Kostenbeteiligung regelmäßig zu erfolgen hat, weil nur die kirchliche Seite über seelsorgerliche Einwirkungsmöglichkeiten verfügt und auch nur sie qualifiziert Überzeugungsarbeit leisten kann. Deshalb fallen Abweichungen in der Lehre wie auch in der Lebensführung bei den betreffenden Hochschullehrern eher in den kirchlichen Verantwortungsbereich.24
23 Unberührt geblieben ist auch die politische Klausel, wonach die beteiligten Landesregierungen zu befragen sind, ob allgemein-politische Bedenken gegen den Gewählten bestehen; vgl. dazu Klaus Weber/Rolf Raum, Die Besetzung kirchlicher Ämter nach dem Katholischen Kirchenvertrag Sachsen vom 2 Juli 1996, AfkKR 165 (1996), S. 414 ff., auch zu dem in Sachsen dazu geführten Briefwechsel zwischen der Staatsregierung und dem Heiligen Stuhl. 24 Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420 ff. (1423); Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (112 ff.).
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VI. Vertrag mit dem Landesverband jüdischer Gemeinden Ebenfalls noch im Jahr 1994 schloss der Freistaat Sachsen mit dem Landesverband jüdischer Gemeinde einen Staatsvertrag ab. Die Situation der Juden befand sich zum damaligen Zeitpunkt in Sachsen auf einem Tiefpunkt, weil nur noch 150 Juden hier lebten.25 Der Vertrag diente der Stärkung jüdischen Lebens, das früher in Sachsen eine Hochburg hatte. Umso schmerzlicher wurde die Gefahr empfunden, dass jüdisches Leben in Sachsen möglicherweise ganz zum Erliegen kommen könnte. Die Präambel bringt es aus meiner Sicht auf den Punkt, wenn dort formuliert ist, dass der Vertrag geschlossen wird: • in dem Bewusstsein, für das jüdische Leben in diesem Lande eine besondere Verantwortung zu tragen, die aus der Geschichte Deutschlands gewachsen ist, und • in dem Bestreben, das kulturelle Erbe des Judentums im Freistaat zu wahren und zu pflegen. Der jüdische Vertrag ist ein Vollvertrag. Er enthält Regelungen zur Anerkennung jüdischer Feiertage und ergänzt die Aufzählung im Sächsischen Feiertagsgesetz. Gleichfalls befasst er sich umfassend mit den jüdischen Friedhöfen. Er stellt sie den kirchlichen Friedhöfen gleich und übernimmt eine besondere Schutzpflicht für verwaiste jüdische Friedhöfe, indem er ihre Betreuung fördert. Im Vertrag mit dem Landesverband der jüdischen Gemeinden war die Zahlung einer Geldsumme vorgesehen. Diese Zahlung hat nicht den Charakter einer Staatsleistung, weil sie nicht auf altrechtlichen Titeln beruht. Sie ist eine „Landesleistung“ des Freistaats,26 die politisch alle zehn Jahre zu überprüfen ist.
25 Siegmund Rotstein, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden und dem Freistaat Sachsen vom 7. Juni 1994 aus der Sicht des Landesverbandes Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 163 ff. 26 Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (126 f.).
Teil C
Der Inhalt der Kirchenverträge des Freistaates Sachsen
Die Grundzüge des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen Von Christian Waldhoff I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates unter dem Grundgesetz
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III. Die sächsischen Staatskirchenverträge und die Grunddeterminanten des Rechtsverhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragliche Konkretisierung des Grundverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Religionsfreiheit und Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften . . . . 3. Organisationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung Ein Charakteristikum des Vertragsstaatskirchenrechts1 in Deutschland ist es, dass in den Verträgen vieles ausgeführt und konkretisiert wird, was ohnehin staatskirchenrechtlich gilt. Anders ausgedrückt: Der Grundstatus des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften wird konkretisierend vertraglich fortentwickelt.2 Das bedeutet die Absage an jeglichen Laizismus – unter einem solchen wären derartige Vertragsschlüsse kaum möglich. Auf der anderen Seite ist seit Inkrafttreten von Art. 137 Abs. 1 WRV, genauer eigentlich seit dem Austausch der Legitimationsgrundlage staatlicher Herrschaft durch die erfolgreiche Revolution 1918 auch in Deutschland eine säkulare Herrschaftsbegründung unangefochten und damit jedes Staatskirchentum obsolet. Die staatskirchenrecht-
1 Vgl. etwa Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1965; Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 7, S. 253 ff.; Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 159 Rdnr. 30 ff.; Julia Lutz-Bachmann, Mater rixarum? Verträge des Staates mit jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften, 2016. 2 Näher Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 343 f.
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liche Konsequenz ist die vom Bundesverfassungsgericht seit einigen Jahren so bezeichnete religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates.3 Weil unsere Verfassungsordnung den Religionsgemeinschaften vielfältige Kooperationsangebote4 macht, bestehen gleichzeitig enge Verflechtungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Das Bundesverfassungsgericht spricht daher von einer fördernden Neutralität5 im Sinne einer Verfassungsvoraussetzungspflege. Unter diesem Topos sind damit folgende Grundentscheidungen zusammengefasst:6 • säkulare Herrschaftsbegründung • Nichtidentifikation des Staates mit einer Religion, Konfession oder Weltanschauung • Kirchliche Autonomie und Religionsfreiheit als zwei Säulen7 des Grundverhältnisses von Staat und Religion • Zonen der Kooperation, sei es in den gemeinsamen Angelegenheiten (res mixtae), sei es daneben • Privilegierung von Religionsgemeinschaften durch den Körperschaftsstatus • insgesamt eine positive Grundeinstellung der Verfassungsordnung zu dem Phänomen institutionalisierter Religion im Sinne einer Verfassungsvoraussetzungspflege. Im Folgenden möchte ich zunächst die religiös-weltanschauliche Neutralität als begriffliche Zusammenfassung dieses Grundverhältnisses näher entwickeln (unter II.) bevor ich die aufgeführten Grundentscheidungen anhand der konkreten vertraglichen Vereinbarungen im Freistaat Sachsen näher beleuchten werde (unter III.). Das ganze mündet schließlich in einem kurzen Fazit (unter IV.).
3 Dazu etwa Klaus Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972; Alexander Hollerbach, Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung, in: Robbers (Hrsg.): Ausgewählte Schriften, 2006, S. 291; Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002; Hans Michael Heinig, Verschärfung der oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136 ff. (1136); Christian Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität: Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates? Gutachten D zum 68. Deutschen Juristentag Berlin 2010, 2010. 4 Zum „Angebotscharakter“ des Staatskirchenrechts Christian Waldhoff, Die Zukunft des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 42 (2008), S. 55 ff. (96 ff.). 5 BVerfGE 108, 282 (300) – Kopftuch I. 6 Vgl. etwa Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 106 ff. 7 Betonung der Abgrenzung etwa bei Christian Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität: Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates? Gutachten D zum 68. Deutschen Juristentag Berlin 2010, 2010, S. D 55 ff.
Grundzüge des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften
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II. Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates unter dem Grundgesetz8 Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates wirkt wie eine das gesamte Religionsrecht beherrschende Übernorm.9 Das Bundesverfassungsgericht hat auf diesen Topos in seiner neueren Judikat ständig zurückgegriffen und aus einer Zusammenschau verschiedener Grundgesetznormen das Konzept einer „wohlwollenden“, „freundlichen“ oder „fördernden“ Neutralität entwickelt.10 Dies bietet dann die Hintergrundfolie für die zumeist grundrechtliche Argumentation. Zu überprüfen ist jedoch, ob das wirkmächtige Modell des religiös-weltanschaulich neutralen Staates, das in historischer Perspektive einen konfessionellen Hintergrund als Antwort auf die konfessionellen Bürgerkriege besitzt,11 auch angesichts der Ablösung der Konfessions- durch eine nun entstehende Religionsdifferenz unverändert tragfähig bleibt bzw. was es in dieser Konstellation bedeutet.12 Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates erscheint in der aktuellen verfassungsrechtlichen Diskussion als das zentrale Argument bei der Lösung religionsrechtlicher Konflikte. Diese vielbeschworene Formel büßt ihre friedensstiftende Wirkung jedoch zusehends ein, wenn sie zu einem Abbau der generellen Normativität der Rechtsordnung führt, sofern also glaubensgeleitetes Verhalten von dieser nicht mehr gesteuert werden könnte.13 Dabei sollte nicht verkannt werden, dass es sich bei der Neutralität des Staates zwar in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um eine verfassungsdogmatische Kon-
8 Der folgende Abschnitt in Anlehnung an Christian Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität: Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates? Gutachten D zum 68. Deutschen Juristentag Berlin 2010, 2010, S. D 42 ff. 9 Hans Michael Heinig, Verschärfung der oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136 ff. (1136); dort auch instruktiv zur „Geschichte“ und Genese des Neutralitätsparadigmas als rechtsdogmatischer Argumentationsfigur; zur Gefahr der Überlastung des Religionsrechts mit „Schlagwörtern“ oder „Großformeln“ Klaus Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 129; Christoph Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr?, VVDStRL 68 (2009), S. 47 ff. (49 f.); kritisch zur Neutralitätsterminologie auch Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 124 ff. 10 Vgl. nur BVerfGE 108, 282 (300) – Kopftuch I; zur Verdichtung der Neutralität aus Einzelbestimmungen der Verfassung BVerfGE 123, 148 (178) – Jüdische Gemeinde Brandenburg: „Aus dem Grundsatz der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates, der sich aus einer Zusammenschau der Art. 4 I, 3 III, 33 III, 140 GG i.V. m. Art. 136 I, IV und 137 I WRV ableiten lässt, folgt [. . .]“. 11 Vgl. vorrangig Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Doehring (Hrsg.): Säkularisation und Utopie. Festgabe für Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, 1967, S. 75 ff. (92). 12 Zur Variabilität dieses staatskirchenrechtlichen Topos Axel Frhr. v.Campenhausen, Der heutige Verfassungsstaat und die Religion, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 2, S. 47 ff. (77). 13 Uwe Volkmann, Risse in der Rechtsordnung, F.A.Z. vom 11. März 2004, S. 8.
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struktion handelt, die durch eine Zusammenschau einschlägiger Grundrechtsgehalte gewonnen wird,14 der jedoch die historische Realität nur bedingt entspricht: Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen der konfessionellen Bürgerkriege entsteht in den deutschen Territorien geradezu gegenteilig der konfessionelle Staat. Vor allem die Carl Schmitt-Schule gründet ihr Staatsverständnis zu einem guten Teil auf die Konstruktion, der frühneuzeitliche Staat habe sich als neutrale Macht angesichts der konfessionellen Bürgerkriege im Gefolge der Reformation formiert.15 Allenfalls auf der Ebene des Alten Reiches entwickeln sich jedoch Parität und in einem vormodernen Sinne vielleicht auch ,Neutralität‘, während die Prozesse der Staatsbildung in Deutschland grundsätzlich auf der Ebene der Territorien voranschritten.16 Der wohl bekannteste Religionssoziologe der Gegenwart, José Casanova, spricht hinsichtlich dieser „Basiserzählung der modernen Trennung von Religion und Politik“ von einem „historischen Mythos“ 17. Es liegt der Verdacht nahe, dass aus der Wirkmächtigkeit dieser Konstruktion eine Überbetonung bzw. Fehldeutung der staatlichen Neutralität resultiert, dass das Prinzip verfassungsrechtsdogmatisch absolut gesetzt,18 dass aus einem hintergründigen Prinzip eine subsumtionsfähige Regel gemacht wird. Demgegenüber ist in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen worden, dass Neutralität nicht mit schema-
14 Vgl. besonders deutlich BVerfGE 19, 206 (216) – Kirchenbausteuer: „Das Grundgesetz legt durch Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV i.V. m. Art. 140 GG dem Staat [. . .] weltanschaulich-religiöse Neutralität auf.“ Später BVerfGE 123, 148 (172) – Jüdische Gemeinde Brandenburg. Grundsätzlich dazu Klaus Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972; Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, v. a. S. 47 ff., zum konstruktiven Charakter dieses idealtypischen strategischen Modells; allgemein zu rechtssatzmäßigen Verdichtungen von Neutralität im Verfassungsrecht auch Andreas Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 101 f. 15 Vgl. Horst Dreier, Kanonistik und Konfessionalisierung – Marksteine auf dem Weg zum Staat, JZ 2002, S. 1 ff. (6 ff.). 16 Vgl. zur Kritik Horst Dreier, Kanonistik und Konfessionalisierung – Marksteine auf dem Weg zum Staat, JZ 2002, S. 1 ff. (6 ff.); Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 49 ff. 17 José Casanova, Das Problem der Religion und die Ängste der säkularen europäischen Demokratien, in: Casanova, Europas Angst vor der Religion, 2009, S. 7 ff. (9 f.); vgl. auch Hans Michael Heinig, Verschärfung der oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136 ff. (1136): „Metanarrativen des deutschen Staatskirchenrechts“; Klaus Ferdinand Gärditz, Säkularität und Verfassung, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.): Verfassungstheorie, 2010, § 5. 18 In der Tendenz etwa Gabriele Britz, Der Einfluß der christlichen Tradition auf die Rechtsauslegung als verfassungsrechtliches Gleichheitsproblem?, JZ 2000, S. 1127 ff. (1127). Man könnte insbesondere Äußerungen von Ernst-Wolfgang Böckenförde im Gefolge des sog. Kopftuchstreits so lesen, vgl. statt vieler nur: Matthias Drobinski, SZInterview mit ehemaligem Verfassungsrichter Böckenförde: „Das Kopftuchverbot trifft auch Kreuz und Kippa“. Verfassungsrechtler pocht auf das vom Grundgesetz verlangte Gebot strikter Gleichbehandlung der Glaubensgemeinschaften, SZ vom 13. Oktober 2004, S. 6 sowie Christian Ditsch, Das Kopftuch ist ein Stück Integration, SZ vom 17. Juli 2006, S. 6.
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tischer Gleichbehandlung identifiziert werden kann.19 Neutralität des Staates bedeutet nicht Bindungslosigkeit, sondern eher gegenteilig „Konsequenz einer ethischen und rechtlichen Bindung“ in Form einer „respektvollen Nicht-Identifikation“.20 Zudem ist die „Neutralität“ auf den verschiedenen Stufen der Rechtsordnung zu unterscheiden: Die Verfassung darf sich „Neutralitätsverstöße“ erlauben, da es keinen ihr vorgelagerten verfassungsrechtlich relevanten Neutralitätsbegriff geben kann.21 Tatsächlich finden sich durchaus „Neutralitätsverstöße“ im Grundgesetz: Das vom Bundesverfassungsgericht eindrucksvoll entfaltete Gebot des Sonntagsschutzes in Art. 140 GG i.V. m. Art. 139 WRV bevorzugt den Sonntag als den im Christentum arbeitsfreien Tag im Sinne einer Mehrheitsentscheidung zur Zeit der Verfassungsgebung. Das Bundesverfassungsgericht sieht darin zu Recht kein Problem.22 Ein anderes Beispiel ist Art. 7 Abs. 3 GG. Es wäre auch demokratietheoretisch schwierig, der Verfassunggebenden Gewalt derartige Entscheidungen abzusprechen.23 Mit anderen Worten: Die staatliche Neutralität ist keine Meta- oder Übernorm, die sogar der Verfassung vorgelagert wäre und der für die Auslegung und Anwendung der Verfassung Leitlinien entnommen werden könnten.24 Bei dem Argumentationstopos der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates könnte sich die Gefahr erweisen, dass aus „Zusammenschauen“ konkreter Verfassungsnormen Oberkategorien mit normativem Anspruch kon19 Vgl. etwa Peter Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, 1989, S. 82 f.; Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 128. 20 Heiner Bielefeldt, Muslime im säkularen Rechtsstaat, 2003, S. 16 f.; ähnlich Michael Droege, Artikel „Neutralität“, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.): Evangelisches Staatslexikon, 2006, Sp. 1620 ff. (1623 f.). 21 Vgl. etwa Heinhard Steiger, Religion und Religionsfreiheit im neutralen Staat, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate (Hrsg.): Staatsphilosophie und Rechtspolitik: Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, 1997, S. 105 ff. (111 ff.); zur grundsätzlichen rechtlichen Ungebundenheit der verfassunggebenden Gewalt m.w. N. Christian Waldhoff, Die Entstehung des Verfassungsgesetzes, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.): Verfassungstheorie, 2010, § 8 Rdnr. 19 ff.; vgl. jedoch die Entscheidung des EGMR zur bosnischen Verfassung: Michael Martens, Bosniens Verfassung ist menschenrechtswidrig. Straßburg rügt Diskriminierung, F.A.Z. vom 13. Oktober 2010, S. 6. 22 BVerfGE 125, 39 (81) – Berliner Ladenöffnungszeiten: „Art. 139 WRV ist damit ein religiöser, in der christlichen Tradition wurzelnder Gehalt eigen [. . .]“; BVerfGE 125, 39 (84) – Berliner Ladenöffnungszeiten: „Die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität steht einer Konkretisierung des Schutzgehalts des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 139 WRV nicht entgegen. Denn die Verfassung selbst unterstellt den Sonntag und die Feiertage, soweit sie staatlich anerkannt sind, einem besonderen staatlichen Schutzauftrag und nimmt damit eine Wertung vor, die auch in der christlich-abendländischen Tradition wurzelt und kalendarisch an diese anknüpft.“ Kritisch Claus Dieter Classen, Anmerkung, JZ 2010, S. 144 ff. (144). 23 Christoph Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2008, Rdnr. 96 und passim. 24 In der Tendenz freilich in diese Richtung Ute Sacksofsky, Religiöse Freiheit als Gefahr?, VVDStRL 68 (2009), S. 7 ff. (20 ff.); dagegen kritisch bereits Christian Waldhoff, Diskussionsbemerkung, VVDStRL 68 (2009), S. 100 f. (100).
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struiert werden, die in ihrer Anwendung auf konkrete Rechtsfragen eine ungeahnte Eigendynamik entwickeln und von den ihnen zugrunde liegenden Rechtsnormen selbst ablenken. Wie die Analyse der sächsischen Staatskirchenverträge gleich zeigen wird, kann diese Gefahr freilich gebannt werden. Wie ist diese Neutralität nun genauer zu bestimmen? Aus Respekt vor unterschiedlichen, im Ganzen jedoch bejahten religiösen oder weltanschaulichen Sichtweisen, hat der Staat auf eine umfassende Kompetenz in Fragen umfassender Sinnorientierung zu verzichten.25 Der Rekurs auf Art. 137 Abs. 3 WRV kann hier weiterhelfen, da durch diese Norm zum einen eine gewisse Objektivierung des berücksichtigungsfähigen Selbstverständnisses ermöglicht wird,26 zum anderen über die Schranke des „für alle geltenden Gesetzes“ die notwendige Kompatibilität mit der Gesamtrechtsordnung wirksamer gesichert werden kann. Spätestens an dieser Stelle wird auch zu berücksichtigen sein, ob das Handeln von Religionsgemeinschaften – nicht deren Glaubens- oder Religionsinhalte – mit Grundwertungen unserer Verfassungsrechtsordnung übereinstimmen. Die Nichtidentifikation beschränkt sich ausschließlich auf Glaubens- oder Religionsinhalte, nicht auf eine Bewertung des Handelns von Religionsgemeinschaften „nach außen“ am Maßstab der Rechtsordnung – dieses ist durchaus Gegenstand rechtlicher Bewertung: „Es ist dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat verwehrt, Glauben und Lehre als solche zu bewerten. Maßgeblich ist vielmehr das tatsächliche Verhalten der Religionsgemeinschaft.“ 27 Gegenüber Religionsgemeinschaften können die Werte der alles andere als „wertfreien“ Verfassungsordnung freilich nur als Rechtsnormen und nicht als Bekenntnis zu oder gegen eine Religion in Stellung gebracht werden. Damit kommt es auch nicht darauf an, ob das berücksichtigungsfähige religiöse Selbstverständnis eine konkrete Tradition in Deutschland oder unter den „heutigen Kulturvölkern“ besitzt, sondern ob es in seinen Handlungen mit den Grundwertungen der Verfassungsordnung im Einklang steht.28 Das Religionsrecht des Grundgesetzes kennt insofern keinen „Kulturvorbehalt“, die Neutralität darf nicht per se „kulturalistisch vereinnahmt“ werden.29 Vergleichskriterium ist somit nicht die nationale Religions- und Fröm25 Heiner Bielefeldt, Muslime im säkularen Rechtsstaat, 2003, S. 17; Michael Droege, Artikel „Neutralität“, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.): Evangelisches Staatslexikon, 2006, Sp. 1620 ff. (1624). 26 Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 158: gruppenbezogener Religionsbegriff zur Einschränkung der vollständigen Subjektivierung. 27 BVerfGE 102, 370 (397) – Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas. 28 Friedhelm Hufen, Der Regelungsspielraum des Landesgesetzgebers im „Kopftuchstreit“, NVwZ 2004, S. 575 ff. (578). Zu den Gefahren kritisch-differenziert Wolfgang Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AöR 123 (1998), S. 444 ff. (447 ff.); Bernd Jeand’Heur/Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rdnr. 96 f. 29 Heiner Bielefeldt, Muslime im säkularen Rechtsstaat, 2003, S. 48 ff.; Christoph Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr?, VVDStRL 68 (2009), S. 47 ff. (71 f.); teilweise abweichend Christian Hillgruber, Staat und Religion, 2007.
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migkeitsgeschichte, sondern es ist – wiederum bezogen auf das Handeln der konkreten Religion – die Übereinstimmung mit Grundwertungen von Rechtsnormen bzw. der Rechtsordnung insgesamt: „Kulturadäquanz“ (so die alte Formel aus der sog. Tabakentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1960) wird ersetzt durch (auf die Auswirkungen, nicht auf die Inhalte bezogene) „Verfassungskompatibilität“, die isolierte Anknüpfung an das Recht soll inhaltliche Entscheidungen in Glaubensfragen vermeiden. Da freilich Grundlagen unserer (Verfassungs-)Rechtsordnung kulturell und damit auch in einem überkommenen Sinn religiös geprägt und fundiert sind,30 führt eine solche Vorgehensweise in der Tat dazu, dass wesentliche Bestandteile etwa der Glaubensüberzeugungen der christlichen Kirchen insofern eher kompatibel sind, ohne dass darin eine durch inhaltliche Stellungnahme des Staates zu den betroffenen Religionen liegende Diskriminierung zu sehen ist.31 Durch den Rekurs auf objektiv-verbindliche Rechtsnormen, d.h. auf die Auswirkungen, nicht auf die Begründungen, kann nicht von einer unzulässigen Diskriminierung anderer Religionen gesprochen werden. Hierin läge zugleich eine Grenze im Verhältnis zu einer zu strikt interpretierten weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates.32 Der Staat identi30 In jeweils unterschiedlichen Zusammenhängen BVerfGE 41, 29 (64) – Simultanschule Baden-Württemberg; BVerfGE 93, 1 (22) – Kruzifix; Theodor Tomandl (Hrsg.), Der Einfluss des katholischen Denkens auf das positive Recht, 1970; Christian Waldhoff, Kirchliche Selbstbestimmung und Europarecht, JZ 2003, S. 978 ff. (985); Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 132 ff.; Kyrill-Alexander Schwarz, Das christlich-abendländische Fundament des Grundgesetzes als Topos der Verfassungsinterpretation, in: Grote/Härtel//Hain/Schmidt/Schmitz/Schuppert/Winterhoff (Hrsg.): Die Ordnung der Freiheit. Festschrift für Christian Starck zum siebzigsten Geburtstag, 2007, S. 419 ff. (419); Horst Dreier, Kanonistik und Konfessionalisierung – Marksteine auf dem Weg zum Staat, JZ 2002, S. 1 ff. (18 ff.); allgemein zum Christentum als Kulturfaktor Josef Isensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 25 (1991), S. 104 ff. (106 ff.); kritisch Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 214 ff. 31 Im Ansatz ganz ähnlich – bei dann allerdings unterschiedlichen Schlussfolgerungen – das Konzept der „Selektivität des Neutralitätsgebotes“ bei Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 112 ff.; Stefan Huster, Die Bedeutung des Neutralitätsgebotes für die verfassungstheoretische und verfassungsrechtliche Einordnung des Religionsrechts, in: Heinig/Walter (Hrsg.): Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007, S. 109 ff. (115): „Wenn die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates mit zentralen normativen Prinzipien der politischen Ordnung verbunden ist, kann es sich immer nur um eine selektive Neutralität handeln. Dass der neutrale Staat keineswegs ,allgemein‘ und ,allen‘ normativen Grundentscheidungen indifferent gegenübersteht, folgt schon daraus, dass [. . .] zumindest die staatliche Neutralität selbst energisch verteidigt wird.“ 32 Vgl. Bernd Grzeszick, Verfassungstheoretische Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Religion, in: Heinig/Walter (Hrsg.): Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? 2007, S. 133 ff. (146): „Die Neutralität des Staates ist nur ein durch Auslegung einzelner Verfassungsrechtssätze gebildeter Grundsatz und vermag deshalb entgegenstehende Verfassungsnormen mit nicht neutralem Regelungsgehalt nicht vollständig zu überspielen. Zum anderen kann aus dem Gebot der Neutralität des Staates höchstens ein Verbot der unmittelbaren Bewertung von Religion durch den Staat gefolgert werden.
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fiziert sich nicht mit derjenigen Religionsgemeinschaft, deren Verhalten (nicht deren Lehre) sich in größerem Ausmaß als verfassungskompatibel erweist; es werden nicht religiöse Lehren oder Inhalte bewertet, die „Wahrheitsfrage“ bleibt tabu;33 dafür fehlt dem Staat Fähigkeit und Kompetenz. Wenn dies mit dem Schlagwort von der „Begründungsneutralität“ 34 bezeichnet wird – „Auswirkungsneutralität“ ist nach der hier vertretenen Konzeption ohnehin ausgeschlossen – ist das nur insoweit zutreffend, wenn es um die Behandlung der Religion bzw. Religionsgemeinschaft „als Religionsgemeinschaft“ bzw. „Religion“ geht: Hier darf der Staat jenseits von in der Verfassung selbst vorgenommenen Unterscheidungen nicht mit dem Rückgriff auf Religionsinhalte differenzieren. „Es ist dann Aufgabe der unterschiedlichen Bekenntnisse und Lebensformen, sich mit und innerhalb dieser Ordnung zu arrangieren. Das wird manchen leichter, anderen dagegen nur sehr schwer gelingen; und letztere werden ein Gefühl der Benachteiligung haben. Dies ist aber ein Irrtum, weil keine Überzeugung und keine Lebensform einen Anspruch darauf haben kann, dass die politische und gesellschaftliche Ordnung in einer Weise eingerichtet wird, die ihren Bedürfnissen in besonderer Weise entgegenkommt.“ 35 Die Durchsetzung der Rechtsordnung jenseits der konkreten Adressierung von Religion oder Religionsgemeinschaften gehört demgegenüber zur genuinen staatlichen Fähigkeit und Kompetenz. Hier kann es auch keine Begründungsneutralität geben, denn Rechtsnormen als in Rechtsform gegossene politische Entscheidungen verzichten selbstverständlich nicht auf Begründungen, die auch zu Wert-, Weltanschauungs- und Religionsfragen Stellung nehmen können. Das Bundesverfassungsgericht folgt implizit dieser Ausrichtung von Neutralität und hat aus den staatskirchenrechtlichen Normen diese Neutralität, die in der Weimarer Zeit mit dem bekannten Diktum von Ulrich Stutz noch semantisch eher unglücklich als „hinkende Trennung“ von Staat und Kirche benannt wurde als wohlwollende, als „fördernde Neutralität“ entwickelt. Dieses Konzept ist – entgegen anderslautenden Vermutungen36 – auch angesichts der religiösen Pluralisierung nicht obsolet geworden. Die Entwicklung genauerer, anwendbarer Kriterien Würde man ein generelles Verbot der Bewertung von Religion durch den Staat annehmen, dürfte dieser in der Konsequenz die Religion ausübenden Bürger und Gemeinschaften überhaupt nicht beschränken, da dies stets eine Rechtfertigung verlangt, die eine Bewertung anhand säkularer Maßstäbe und Folgen bzw. Wirkungen erfordert.“; vgl. auch Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 115; Hans Michael Heinig, Ordnung der Freiheit – das Staatskirchenrecht vor neuen Herausforderungen, ZevKR 53 (2008), S. 235 ff. (251); Hans Michael Heinig, Verschärfung der oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136 ff. (1140). 33 Vgl. bereits BVerfGE 33, 23 (29) – Eidesverweigerung aus Glaubensgründen: „Dem Staat ist es verwehrt, [. . .] den Glauben oder Unglauben seiner Bürger zu bewerten.“ 34 Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 118. 35 Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 118. 36 Vgl. etwa Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 126.
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bildet allerdings auch hier weiterhin ein Desiderat. Hier hat der demokratisch unmittelbar legitimierte Gesetzgeber das Erstzugriffs- und Entscheidungsrecht.37 Das „religiöse Minimum“ wird über das Grundrecht der Religionsfreiheit gewahrt.38 Gleichwohl oder gerade deswegen müssen Verfassungsrecht und Verfassungsvoraussetzungen sauber getrennt bleiben. In den Worten Martin Heckels: „Verfassungsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen sind nicht selbst Inhalt und Geltungsbedingung des Verfassungsrechts, dessen Normen folglich nicht erlöschen, wenn ihre Voraussetzungen und Erwartungen entfallen oder trügen. Und vor der expliziten Normierung der ungeschriebenen Geltungsvoraussetzungen und Wirkungserwartungen warnen selbst ihre Verfechter, weil dies den Sinn einer freiheitlichen weltlichen Ordnung paternalistisch beengt und verfremdet. Erst recht gilt dies von einer Überfrachtung der Verfassung durch ihre Interpretation im Sinne partikularer religiöser, rechts- und kulturpolitischer Vorstellungen.“ 39 Die hier propagierte Trennung zwischen Recht und Voraussetzungen des Rechts hindert den Staat freilich nicht, diese Voraussetzungen unter Beachtung seiner Neutralitätsverpflichtung zu pflegen. Staatskirchenverträge und die dort geregelten Agenden gehören dazu. Das hier noch einmal skizzierte Grundverhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften folgt aus den einschlägigen Normen des Grundgesetzes in ihrer Interpretation durch die Verfassungsgerichtsbarkeit. Gerade hier in Dresden sollte freilich nicht unerwähnt bleiben, dass die Sächsische Verfassung vom 27. Mai 1992 mit dem 10. einen eigenen staatkirchenrechtlichen Abschnitt in den Art. 109 bis 112 enthält,40 der teilweise zu einer Verdreifachung von Normierun37 Zu diesem Problem ebenfalls wieder Stefan Huster, Ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 127 f. 38 Dem stünde die anders konnotierte Aussage in BVerfGK 9, 371 (378) – „Kammerentscheidung zur Einreise des Ehepaars Mun in den Schengen-Raum“, dass Art. 4 GG nicht lediglich den Schutz eines „religiösen Existenzminimums“ gewähre, nicht entgegen; zum religiösen Existenzminimum in wiederum anderem Kontext BVerfGE 81, 58 (66) – Jeziden I. 39 Martin Heckel, Zur Zukunftsfähigkeit des deutschen „Staatskirchenrechts“ oder „Religionsverfassungsrechts“?, AöR 134 (2009), S. 309 ff. (342 f.); zuvor ähnlich bereits Christian Waldhoff, Die Zukunft des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 42 (2008), S. 55 ff. (90 ff.); prägnant Hans Michael Heinig, Verschärfung der oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136 ff. (1139): „Genese und Geltung der Verfassungsordnung sind streng zu unterscheiden, ebenso Verfassungserwartungen und Verfassungsbestimmungen.“ 40 Dazu etwa Christoph Degenhart, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Sächsischen Verfassung, in: Degenhart/Meissner (Hrsg.): Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen, 1997, § 9; Bernd Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann (Hrsg.): Die Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentar, 3. Aufl. 2011, S. 797 ff.; Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 159 Rdnr. 25 ff.; zu den Chancen und Grenzen von Landesverfassungsrecht allgemein Markus Möstl, Landesverfassungsrecht – zum Schattendasein verurteilt? AöR 130 (2005), 350 ff. (350); Jörg Menzel, Landesverfassungsrecht, 2002.
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gen führt: Grundgesetz – Landesverfassungsrecht – Vertragsstaatskirchenrecht. Darauf wird zurückzukommen sein. III. Die sächsischen Staatskirchenverträge und die Grunddeterminanten des Rechtsverhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften 1. Vertragliche Konkretisierung des Grundverhältnisses Das Grundverhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften ist ständig explizierter Rahmen aller drei Verträge.41 Staatskirchenrecht ist treffend als Reformationsfolgenrecht (Hans Michael Heinig) bezeichnet worden (gerade hier in Sachsen als einem Kernland der Reformation mit einem später wieder katholisch gewordenen Herrscherhaus darf das in Erinnerung gerufen werden). Nur in Staaten, die das Problem der Glaubensspaltung frühneuzeitlich rechtlich verarbeiten mussten, ist es zu einer organisch gewachsenen verfassungsrechtlichen Architektur des Grundverhältnisses von Staat und Religion gekommen. In der Präambel des Evangelischen Kirchenvertrags lesen wir daher die Formulierung „in Anknüpfung an die geschichtlich gewachsenen Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Kirche“. Dieser Vertrag wie auch das Konkordat nehmen auf bereits vorhandene – etwa das Reichskonkordat von 1933 – oder auslaufende Kirchenverträge Bezug. Es ist die Rede von der „gemeinsamen Verantwortung für das Wohl des Landes“, vom „freundschaftlichen Verhältnis“, von „partnerschaftlichen“ Kooperation. Auch der Vertrag mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden betont das „freundschaftliche Verhältnis“ beider Seiten. Das entspricht im Übrigen der einleitenden Bestimmung zum Staatskirchenrecht in der Sächsischen Landesverfassung (Art. 109 Abs. 1): „Die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt.“ Hervorhebenswert erscheint mir die Betonung des Öffentlichkeitsauftrags der Kirche42 in der Präambel des Evangelischen Kirchenvertrags, nimmt diese doch die besondere Stellung im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Organisationen auf, wie sie durch das institutionelle Staatskirchenrecht abgebildet wird. In den konkreten Ar41 Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen (Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen) vom 24. März 1994 (SächsGVBl. S. 1252 ff.); Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 8. Juli 1994 (SächsGVBl. S. 1346 ff.); Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996 (SächsGVBl. 1997 S. 17 ff.). Vgl. als Sekundärliteratur Reiner Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001. 42 Grundlegend Klaus Schlaich, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 44, S. 131 ff.
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tikeln finden wir dann eine Vorschrift mit der amtlichen Überschrift „Zusammenwirken“ – wie könnte das kooperative Verhältnis besser zum Ausdruck kommen?43 Konsequenterweise stellt die Präambel des Vertrags mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden die besondere Verantwortung für jüdisches Leben aus der deutschen Geschichte heraus und voran.44 Dies alles wird in allen drei Verträgen durch eine traditionelle Formulierung überwölbt, die sog. Freundschaftsklausel:45 „Die Vertragsparteien werden zwischen ihnen etwa bestehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung dieses Vertrages oder über die Einhaltung des Paritätsgebotes im Zusammenhang mit Regelungen dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise beilegen.“ (Art. 25 Evangelischer Kirchenvertrag; ähnlich Art. 26 Vertrag mit dem Heiligen Stuhl; Art. 9 Jüdischer Vertrag). Die Betonung von Kooperation und Zusammenwirken wird vor allem verfahrensrechtlich umgesetzt:46 Ständiger Dialog („regelmäßig und bei Bedarf“) mit der Maßgabe, sich gegenseitig zu informieren, die Einbeziehung der Religionsgemeinschaften bei sie betreffenden Rechtsetzungsvorhaben, die Bestellung kirchlicher Beauftragter am Sitz der Staatsregierung. Einen Sonderfall bildet eine spezielle Vorschrift der Rechtshilfe für die kirchliche Gerichtsbarkeit in Art. 24 des Evangelischen Kirchenvertrags: Jenseits von Lehrbeanstandungsverfahren dürfen die kirchlichen Gerichte auf die Rechtshilfe der staatlichen Amtsgerichte zurückgreifen.47 Als katholische Besonderheiten können im Wesentlichen drei aufgeführt werden: Zum einen die Sonderregeln der Besetzung von Bischofsstühlen (Art. 13 des Vertrags mit dem Heiligen Stuhl von 1997). Nach den Kulturkampftraumata des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts hatte sich zunächst Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV und dann das Reichskonkordat des Problems angenommen und die freie Besetzung kirchlicher Ämter postuliert.48 Fortgeltende Konkordate regelten freilich teilweise Abweichendes. Das führt für die den Freistaat Sachsen betreffenden Bistümer zu einer Trennung zwischen den Bistümern Magdeburg und Görlitz mit 43 Zur Kooperationsfunktion von Staatskirchenverträgen Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 344. 44 Umfassend zu Bestand, Entwicklung und Rechtsproblemen von Staatsverträgen mit jüdischen Vertragspartnern Julia Lutz-Bachmann, Mater rixarum? Verträge des Staates mit jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften, 2016. 45 Vgl. etwa Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 346. 46 Vgl. allgemein Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 346. 47 Allgemein Dirk Ehlers, Recht- und Amtshilfe, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 74, S. 1117 ff. 48 Zur kirchlichen Ämterhoheit Ernst-Lüder Sollte, Die Ämterhoheit der Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 8, S. 561 ff.
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Verweis auf die jeweiligen Verträge zur Bistumserrichtung einerseits sowie dem Bistum Dresden-Meißen mit Verweis auf die einschlägige Vorschrift des Reichskonkordats andererseits. Traditionellerweise ist dies für die evangelischen Kirchen nie ein gleichermaßen zentrales Thema gewesen; entsprechend fehlt eine solche Vorschrift im Evangelischen Kirchenvertrag. Die zweite katholische Besonderheit – ebenfalls offensichtlich noch kulturkampfbeeinflusst – betrifft eine Sonderregel für Orden und religiöse Genossenschaften, deren Gründungs-, Niederlassung- wie Betätigungsfreiheit garantiert wird (Art. 14). Schließlich drittens ein Stück innerkirchlicher Minderheitenpflege durch die Unterstützung der Kirche durch den Freistaat bei der Bewahrung und dem Schutz des „katholisch geprägten sorbischen Kulturgutes“ (Art. 10) – gleichsam eine staatskirchenvertragliche Konkretisierung des Sorben-Artikels der Sächsischen Verfassung (dort Art. 649). 2. Religionsfreiheit und Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften Die zweite Gruppe von Vertragsnormen betrifft das Grundrecht der Religionsfreiheit wie auch das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und damit zwei Grundpfeiler der Architektur des Rechtsverhältnisses von Staat und Religion. Da es sich hier um verfassungskräftige Verbürgungen und zudem solche auf Bundesebene handelt, kann das im Rang eines einfachen Landesgesetzes daherkommende Vertragsrecht nur bekräftigend und konkretisierend wirken. In leicht unterschiedlichen Formulierungen wird an Art. 4 GG und Art. 19 SächsVerf. angeknüpft, in den Verträgen freilich jeweils auf das konkrete Bekenntnis bezogen. In den beiden Verträgen mit den christlichen Kirchen folgt im selben Artikel in einem separaten Absatz die Wiederholung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 137 Abs. 3 WRV. Angesichts des ausgesprochen weiten Schutzumfangs, den das Individualgrundrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhalten hat, können diese vertraglichen Verbürgungen nur als Bekräftigungen des ohnehin geltenden verstanden werden, die wegen der Gesamtarchitektur dieser grundsätzlich das gesamte Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften regelnden Staatsverträgen an der Spitze ihren Platz finden. Die folgenden konkreteren Vereinbarungen erweisen sich so gleichsam als Konkretisierungen dieser Grunddeterminanten. Eine eigene Hervorhebung des Selbstbestimmungsrechts fehlt im jüdischen Vertrag. Das mag seinen Grund darin haben, dass durch die unterschiedliche Struktur jüdischer Glaubensgemeinschaften die individuelle, die kollektive oder korporative Seite der Religionsfreiheit überwiegt. 49 Vgl. dazu etwa Bernd Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann (Hrsg.): Die Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentar, 3. Aufl. 2011, Art. 6.
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Überhaupt: Für mich ist die Zusammenführung der Bekräftigung von Individualgrundrecht in Abs. 1 sowie von Kirchenautonomie in Abs. 2 derselben Vertragsartikel erneut Anlass für eine stärkere Abgrenzung beider Verbürgungen zu werben: Während erstere auf den Individualschutz und damit vor allem auch auf Minderheiten zugeschnitten erscheint, betrifft letztere die korporative Dimension des Religiösen. Während es beim Individualschutz um den Schutz um seiner selbst willen geht, zielt die korporative Garantie aus staatlicher Sicht – etwa im Sinne des Böckenförde-Diktums – auch um Verfassungsvoraussetzungspflege. Hier geht es weniger um Minderheiten und individuelle Besonderheiten als um durchaus nicht völlig zweckfreie Kooperation zwischen Staat und Religion.50 Dass die deutsche Grundrechtsdogmatik es vermocht hat, auch ganze institutionelle Gebäude grundrechtlich herzuleiten und zu unterfangen – die Rundfunkfreiheit scheint mir das abschreckendste Beispiel zu sein – sollte nicht zu weiteren derartigen Übertreibungen Anlass geben. Die gelegentlich vorgeschlagene völlige Vergrundrechtlichung des Staatskirchenrechts51 stößt an Grenzen und ist sowohl rechts- als auch religionspolitisch nicht sinnvoll. Das Argument, die supra- und internationalrechtliche Überlagerung fordere dies oder führe ohnehin dahin, überzeugt letztlich nicht.52 Zum einen enthält seit der Revision von Lissabon nun auch das primäre Unionsrecht einen Kirchenartikel, der auf das institutionelle Setting – wenn auch im Sinne der Normierung der Nichtzuständigkeit der EU – eingeht;53 zum anderen stellt etwa für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte das institutionelle Grundverhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften stets auch eine Schranke bzw. einen berücksichtigungsfähigen Faktor bei dem Austarieren von Grundrechtsfällen dar.54 3. Organisationsrecht Die dritte Gruppe von Normen, auf die ich im Rahmen der mir vorgegebenen Themenstellung eingehen möchte, betrifft das Organisationsrecht55, d.h. v. a. die 50 Vgl. bereits oben Christian Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität: Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates? Gutachten D zum 68. Deutschen Juristentag Berlin 2010, 2010, S. D 55 ff. 51 Je unterschiedlich etwa Christian Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, 2006; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 6 und passim. 52 Näher Christian Waldhoff, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht – Einwirkungen des Völker- und Europarechts, in: Heinig/Walter (Hrsg.): Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007, S. 251 ff. 53 Vgl. etwa Christian Waldhoff, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.): EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 17 AEUV. 54 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012, § 22 Rdnr. 95 f. 55 Vgl. allgemein Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, §§ 7 ff.; Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, § 10; Christian Waldhoff, Neue
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aus dem Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts fließenden Rechte (Art. 9 bzw. 15 der beiden Verträge mit den christlichen Kirchen).56 Im Wesentlichen handelt es sich hier um geborene Körperschaften i. S. v. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV, d.h. die angesprochenen Untergliederung hatten und haben diesen Status, der ihnen wohl auch nur durch Verfassungsänderung entzogen werden könnte.57 Die Anerkennung des kirchlichen „Dienstes“ als „öffentlicher Dienst“ (Art. 9 Abs. 1 HS 2 Evangelischer Kirchenvertrag; Art. 15 Abs. 1 HS 2 Vertrag mit dem Heiligen Stuhl) betont die Dienstherrnfähigkeit der korporierten Kirchen.58 Die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Körperschaftstatus bezieht sich in den angesprochenen Artikeln darauf, dass sämtliche beabsichtigte Veränderungen dem zuständigen Staatsministerium wie den betroffenen Gebietskörperschaften angezeigt werden müssen. Auf katholischer Seite kann ein Neuzuschnitt der Bistümer nur „im Einvernehmen mit der Staatsregierung“ erfolgen (Art. 15 Abs. 2 des Vertrags mit dem Heiligen Stuhl). Der Körperschaftstatus impliziert auch hoheitliches, öffentlich-rechtliches Handeln und eine kirchliche Organisationsgewalt in diesen Formen.59 Derart eingerichtete kirchliche Stiftungen bedürfen der staatlichen Genehmigung (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 Evangelischer Kirchenvertrag; Art. 15 Abs. 3 Satz 2 Vertrag mit dem Heiligen Stuhl). Die größte Innovation in diesem Bereich in den letzten Jahren stellt wohl das Körperschaftsstatusgesetz in Nordrhein-Westfalen dar.60 Damit wird erstmals eine Zwischenebene zwischen den abstrakten grundgesetzlichen Anforderungen für die Erteilung des Körperschaftstatus einerseits,61 der konkreten Verleihungsentscheidung andererseits eingezogen. Auch hierbei kann es sich nicht um verfassungsmodifizierendes, sondern allenfalls um verfassungskonkretisierendes Religionskonflikte und staatliche Neutralität: Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates? Gutachten D zum 68. Deutschen Juristentag Berlin 2010, 2010, S. D 74 ff. 56 Zum sog. Privilegienbündel Bernd Jeand’Heur/Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rdnr. 24 ff. 57 Zu den geborenen Körperschaften Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 281 und 296. 58 Zu dieser allgemein Paul Kirchhof, Die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 22, S. 651 ff. (670). 59 Näher Bernd Jeand’Heur/Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rdnr. 240 ff. 60 Gesetz zur Regelung der Verleihung und des Entzugs der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen (Körperschaftsstatusgesetz) vom 16. September 2014, GV. NRW S. 604. 61 Grundlegend BVerfGE 102, 370 – Zeugen Jehovas.
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Recht handeln. Gegenstand eines konkreten Staatskirchenvertrags kann das freilich nicht sein, da in einem solchen Gesetz für alle in Frage kommenden Gemeinschaften Regeln publiziert werden. Erwähnenswert erscheint mir noch eine Besonderheit in Art. 1 Abs. 2 des Vertrags mit dem Heiligen Stuhl von 1997: „Das Recht der katholischen Kirche, ihrer Untergliederungen sowie ihrer Mitglieder zur Bildung von Vereinigungen mit religiöser, karitativer und anderer kirchlicher Zwecksetzung wird gewährleistet.“ Eine Norm, die sowohl aus Art. 4 GG als auch aus Art. 137 Abs. 3 WRV folgt und vielleicht wegen der größeren katholischen Tradition einer spezifischen Verbandsstruktur kaum zufällig nur hier aufscheint. IV. Fazit Nach der Rekapitulation des Grundverhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften und nach der Analyse der konkreten Vertragsbestimmungen, lassen Sie uns gemeinsam einen gedanklichen Schritt zurücktreten um ein Resümee zu versuchen. Die drei sächsischen Staatskirchenverträge nach der Wiedervereinigung reihen sich in die dritte Generation von Staatskirchenverträgen ein:62 Waren noch im Kaiserreich solche Verträge mit der evangelischen Seite angesichts des Staatskirchentums nicht nötig und mit der Katholischen Kirche angesichts des Kulturkampfs nicht denkbar, erlebte die vertragliche Koordination auf der Basis des Weimarer Staatskirchenrechts bis 1933 einen Aufschwung, wobei die Konkordate regelmäßig den parallelen Kirchenverträgen vorangingen um im zwiespältigen Reichskonkordat zu enden. Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs setzte, beginnend mit dem modellhaften Loccumer Vertrag von 1955 die zweite Generation, diesmal eher unter evangelischer Führung und katholischem Nachziehen ein. Nach der epochalen Wende 1989/90 wurde mit der dritten Generation der Verträge in den neuen Ländern dies für die zuvor durch eine weitere Diktatur gehinderten ostdeutschen Länder nachgeholt. Hier sind die heute zu würdigenden Sächsischen Verträge einzuordnen. Die ins Auge stechende Gemeinsamkeit der drei Generationen von Verträgen liegt darin, dass jeweils nach fundamentalen staatsrechtlichen Umbrüchen und verfassungsrechtlichen Neukonstituierungen (1918/19 – 1945/49 – 1989/90) mit leichter Phasenverschiebung diese spezifische Konkretisierung auf diesem Gebiet nachgeholt wurde. 62 Zur Entwicklung/Chronologie Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 7, S. 253 ff. (254 ff.); Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 159 Rdnr. 32 ff.; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 330 ff.
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Die Konkretisierung des verfassungsrechtlich angelegten Grundverhältnisses von Staat und Religion zwischen dem Freistaat Sachsen und den hier beheimateten Religionsgemeinschaften durch Staatsverträge ist – wie bereits das Einleitungsreferat von Stefan Mückl verdeutlicht hat63 – ein angemessenes Mittel, dass sich in einem nun fast einhundertjährigen Prozess bewährt hat. Freilich gilt auch hier der Vorrang und der Vorbehalt der Verfassung,64 es kann nur um Konkretisierung des durch die Säulen des Religionsverfassungsrechts Vorgezeichneten gehen oder um freiwillige, über den Verfassungstext hinausgehende Kooperation unter Beachtung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. Verträge schaffen Vertrauen, generieren Verfahren und bekunden ein freundschaftliches Verhältnis. Gleichwohl darf die prinzipielle Kündigungsmöglichkeit oder – dann freilich den Vertragsbruch in Kauf nehmend – auch die theoretische Möglichkeit eines overruling durch den Gesetzgeber nicht völlig aus dem Blick geraten.65 Manchmal gerät etwas zu stark aus dem Blickfeld, dass sich auch die Religionsgemeinschaften binden, etwas versprechen und bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen.66 Es sei auch daran erinnert, dass die im synchronen wie diachronen Vergleich sehr günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen nicht notwendig zu Glaubensdynamik führen – ohne dass der auch von höchster Seite gezogene Umkehrschluss, ein Abbau von rechtlicher Privilegierung führe zu neuer Dynamik, zutreffen müsste. Zudem sind schon aus Gründen einer gestuften Parität auch andere Religionsgemeinschaften in den Blick zu nehmen, wobei sich hier regelmäßig verschärft die Frage des Ansprechpartners für den Staat stellt. Die vielleicht zunächst eher experimentellen Verträge Hamburgs und Bremens mit dem Islam, d.h. konkret mit bestimmten islamischen Dachverbänden, sind vielleicht nicht ganz zufällig noch nicht in der kodifikatorischen und den Status bekräftigenden Form eines Staatsvertrages abgeschlossen worden.67 Ich bin der Ansicht, dass – falls dies 63 Stefan Mückl, Die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen als Instrumente einer freiheitsgerechten Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften, in diesem Band, S. 15 ff. 64 Statt aller nur Thorsten Kingreen, Vorrang und Vorbehalt der Verfassung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 263. 65 Hier ist noch vieles strittig und unklar, vgl. nur Katja Schier, Die Bestandskraft staatskirchenrechtlicher Verträge, 2009; Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 159 Rdnr. 46; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 365 ff.; Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 75. 66 Vgl. Josef Isensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 25 (1991), S. 104 ff. (111 ff. und passim). 67 Zu den Verträgen mit dem Islam jetzt umfassend Julia Lutz-Bachmann, Mater rixarum? Verträge des Staates mit jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften, 2016.
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möglich und sinnvoll sein sollte – gleichwohl die Ausdehnung des Vertragsstaatskirchenrechts eher zur Stabilisierung als zur Destabilisierung des bewährten deutschen Modells beitragen würde (wie sich überhaupt die Zukunftsfähigkeit des Religionsverfassungsrechts in seiner flexiblen Anwendung auf Neues erweist). Ob nun Sachsen angesichts eines vergleichsweise niedrigen Anteils an Muslimen hier das Hauptbetätigungsfeld sein sollte, bleibt jedoch fraglich.
Die in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen geregelte kirchliche Mitwirkung im Bildungswesen Von Jörg Ennuschat I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, Art. 5 SächsEvKV, Art. 3 SächsKathKV, Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 SächsJüdKV . . . . . . . . . . . . . . 1. Aussagen zum Religionsunterricht in Art. 5 SächsEvKV, Art. 3 SächsKathKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . b) Zustimmungsrecht der Kirchen zu Richtlinien, Lehrplänen und Lehrbüchern für den Religionsunterricht (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beteiligung der Kirchen an der staatlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beteiligung der Kirchen an der Aufsicht über den Religionsunterricht (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kirchliche Bevollmächtigung staatlicher Religionslehrer (Abs. 3) . . . . . f) Gestellung kirchlicher Religionslehrer für den Religionsunterricht (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erwähnung eines jüdischen Religionsunterrichts im Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 SächsJüdKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewährung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63 63 65 66 66 67 67 68 69 69
IV. Schulen in kirchlicher Trägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kirchenvertragliche Regelungen, Art. 6 SächsEvKV, Art. 4 SächsKathKV 2. Bewährung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Theologie an staatlichen Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kirchenvertragliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatliche Bestandsgarantien, Art. 3 Abs. 1 SächsEvKV, Art. 5 Abs. 1 SächsKathKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kirchliche Bedenken gegenüber der Berufung eines Hochschullehrers . . c) Nachträgliche kirchliche Bedenken gegenüber Lehre und/oder Lebenswandel eines Hochschullehrers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kirchliche Einwendungen gegenüber Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewährung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 VII. Kirchliche Bildungsstätten zur Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter in Diakonie und Caritas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 VIII. Kirchliche Jugendarbeit und Erwachsenenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IX. Perspektiven und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
I. Einleitung Die Kirchen sind seit Jahrhunderten ein wichtiger Akteur im Bildungswesen. Das gilt noch heute, das gilt auch im Freistaat Sachsen. Die evangelische Kirche ist etwa Trägerin von über 250 Kindertagesstätten. Es gibt ferner knapp 30 katholische Kindertageseinrichtungen und einige wenige jüdische Kindergartengruppen oder Kindergärten. Ein Drittel der Ersatzschulen in Sachsen steht in Trägerschaft einer der Kirchen oder zumindest in einer gewissen Nähebeziehung zu ihnen. Drei Hochschulen sind in evangelischer Trägerschaft. Hinzu kommen Einrichtungen der Erwachsenenbildung in evangelischer, katholischer oder jüdischer Trägerschaft. Diese Aufzählung umreißt den weiten Tätigkeitsbereich der Kirchen, der auch im Bildungssektor die gesamte Lebensspanne – von der Geburt bis ins hohe Alter – umfasst. So überrascht es nicht, dass die drei Sächsischen Staatskirchenverträge auch jeweils Bestimmungen zur Mitwirkung der Kirchen bzw. der Jüdischen Gemeinden im Bildungsbereich enthalten. Diese Regelungen sind im evangelischen und im katholischen Kirchenvertrag recht umfänglich. Im Vertrag mit den jüdischen Gemeinden findet sich hingegen nur im Schlußprotokoll eine eher beiläufige Erwähnung des jüdischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Im Folgenden sollen diese Bestimmungen etwas näher betrachtet werden. II. Verfassungsrechtlicher Rahmen Zunächst ein kurzer Blick auf den verfassungsrechtlichen Rahmen kirchlicher Mitwirkung im Bildungsbereich: Das Grundgesetz befasst sich nur mit einem kleinen Teilbereich des kirchlichen Wirkens im Bildungswesen. Aussagen gibt es vor allem in Art. 7 GG zum Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und zu kirchlichen Bekenntnisschulen. Kirchliche Unterrichtsanstalten werden im Rahmen der Gewährleistung des Kirchengutes in Art. 138 WRV i.V. m. Art. 140 GG genannt. Aussagekräftiger ist die Landesverfassung. Dort finden sich zunächst Parallelregelungen zum Grundgesetz, etwa für den Religionsunterricht (Art. 105 SächsVerf) oder für Schulen in freier Trägerschaft (Art. 102 SächsVerf). Darüber hinaus enthält die Landesverfassung eigenständige Vorgaben für theologische Fakultäten und Lehrstühle für Religionspädagogik (Art. 111 Abs. 2 SächsVerf) sowie
Die kirchliche Mitwirkung im Bildungswesen
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für kirchliche Lehreinrichtungen für kirchliche Mitarbeiter (Art. 111 Abs. 1 SächsVerf). Gewährleistet wird die diakonische und karitative Arbeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Art. 109 Abs. 3 SächsVerf). Die Kirchen können sich ferner auf Bestimmungen berufen, welche Hochschulen in freier Trägerschaft (Art. 107 Abs. 4 SächsVerf) oder Einrichtungen der Erwachsenenbildung in freier Trägerschaft (Art. 108 Abs. 2 SächsVerf) betreffen. Diese verfassungsrechtlichen Garantien erhalten durch die Kirchenverträge zusätzliche Absicherungen und nähere Konkretisierungen. III. Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, Art. 5 SächsEvKV, Art. 3 SächsKathKV, Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 SächsJüdKV Das gilt zunächst für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Die einschlägigen kirchenvertraglichen Regelungen finden sich in Art. 5 des evangelischen und Art. 3 des katholischen Kirchenvertrages. Beide Bestimmungen laufen hier weitgehend parallel (unten I.). Im Vertrag mit den jüdischen Gemeinden wird der Religionsunterricht, wie bereits erwähnt, nur beiläufig behandelt (unten II.). 1. Aussagen zum Religionsunterricht in Art. 5 SächsEvKV, Art. 3 SächsKathKV Was also steht in den beiden Verträgen mit der evangelischen bzw. katholischen Kirche zum Religionsunterricht? Art. 5 SächsEvKV Religionsunterricht
Art. 3 SächsKathKV Religionsunterricht
(1) Der Freistaat gewährleistet die Erteilung eines regelmäßigen evangelischen Religionsunterrichtes als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen.
(1) Der Freistaat gewährleistet die Erteilung eines regelmäßigen katholischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen.
(2) Richtlinien, Lehrpläne und Lehrbücher für den evangelischen Religionsunterricht bedürfen der Zustimmung der Kirchen. Bei der staatlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung von Religionslehrern und bei der Aufsicht über den Religionsunterricht sind die Kirchen nach Maßgabe einer besonderen Vereinbarung zu beteiligen.
(2) Gegenstand des katholischen Religionsunterrichts ist die Vermittlung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Er soll zu religiösem Leben und zu verantwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft motivieren.1 Richtlinien, Lehrpläne und Lehrbücher für den katholischen Religionsunterricht bedürfen der kirchlichen
1 Diese Bestimmung dient der Ablösung der Vorgabe des Art. 21 S. 2 RK: „Im Religionsunterricht wird die Erziehung zu vaterländischem, staatsbürgerlichem und sozialem Pflichtbewußtsein aus dem Geiste des christlichen Glaubens des Sittengesetzes mit besonderem Nachdruck gepflegt werden [. . .]“ – Zur Diskussion um die Relevanz des Reichskonkordates siehe Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420 ff.
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Jörg Ennuschat Zustimmung. Die Beteiligung der Kirche an der staatlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung von Religionslehrern und bei der Aufsicht über den Religionsunterricht wird durch besondere Vereinbarung geregelt.
(3) Lehrkräfte im Fach Religion bedürfen vor ihrer ersten Anstellung einer Bevollmächtigung der örtlich zuständigen Kirche, mit der die Lehrerlaubnis (Vokation) im Fach Religion zuerkannt wird. Die Lehrerlaubnis kann auch befristet erteilt und in begründeten Fällen widerrufen werden. Handelt es sich um einen Pfarrer, gilt diese Lehrerlaubnis ohne besondere Bescheinigung als zuerkannt.
(3) Lehrkräfte im Fach katholische Religion bedürfen vor ihrer ersten Anstellung einer Bevollmächtigung zur Erteilung des Religionsunterrichts durch den zuständigen Diözesanbischof (Missio canonica). Für Priester gilt sie als erteilt. Die Bevollmächtigung kann auch befristet erteilt und in begründeten Fällen widerrufen werden.
(4) Die Gestellung von haupt- und nebenamtlichen Religionslehrern, die auf Dauer oder befristet aus dem Kirchendienst abgeordnet werden, bleibt einer besonderen Regelung vorbehalten.
(4) Die Gestellung von haupt- und nebenamtlichen Religionslehrern, die auf Dauer oder befristet von der Kirche abgeordnet werden, bleibt einer besonderen Regelung vorbehalten.
Schlußprotokoll zu Art. 5 Abs. 1: Den Vertragspartnern ist bewußt, daß der Neuaufbau des Religionsunterrichts im Freistaat noch einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen wird. Die Kirchen verpflichten sich, für die Erteilung von Religionsunterricht kirchliche Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Der Freistaat wird seinerseits die Ausbildung von Religionslehrern, die auch im gymnasialen Bereich unbeschränkt einsetzbar sind, beschleunigt vorantreiben. Übergangsweise wird der Freistaat im Einvernehmen mit den Kirchen Stellen, die auch Teilzeitstellen sein können, für im Schuldienst tätige Pfarrer einrichten. In Fällen, in denen die faktischen Voraussetzungen bestehen und die Kontinuität gewährleistet ist, soll der Religionsunterricht in allen Jahrgangsstufen durchgeführt werden. Soweit aufgrund der geringen Zahl der in Betracht kommenden Schüler die Durchführung des Religionsunterrichts an einer Schule mit unverhältnismäßig großem Aufwand verbunden ist, kann der Religionsunterricht schulübergreifend abgehalten werden. Zu einem schulübergreifenden Religionsunterricht ist der Freistaat nur verpflichtet, wenn dieser mit zumutbarem organisatorischen Aufwand eingerichtet werden kann.
Schlußprotokoll zu Art. 3 Abs. 1: Die Vertragspartner sind sich bewusst, daß der Neuaufbau des Religionsunterrichts einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen wird. Die Bistümer verpflichten sich, für die Erteilung von Religionsunterricht kirchliche Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Der Freistaat wird seinerseits die Ausbildung von Religionslehrern, die auch im gymnasialen Bereich unbeschränkt einsetzbar sind, beschleunigt vorantreiben. Übergangsweise wird der Freistaat im Einvernehmen mit den Bistümern Stellen, die auch Teilzeitstellen sein können, für im Schuldienst tätige Geistliche und diplomierte Theologen einrichten. Der Religionsunterricht soll baldmöglichst in allen Jahrgangsstufen durchgeführt werden. Soweit aufgrund der geringen Zahl der in Betracht kommenden Schüler die Durchführung des Religionsunterrichts an einer Schule mit unverhältnismäßig großem Aufwand verbunden ist, kann der Religionsunterricht schulübergreifend abgehalten werden. Zu einem schulübergreifenden Religionsunterricht ist der Freistaat nur verpflichtet, wenn dieser mit zumutbarem organisatorischen Aufwand eingerichtet werden kann.
Die kirchliche Mitwirkung im Bildungswesen
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Schlußprotokoll zu Art. 3 Abs. 2 S. 3: Zuständig für die Erteilung der kirchlichen Zustimmung ist der Diözesanbischof, in dessen Bistum der Religionsunterricht erteilt wird. Schlußprotokoll zu Art. 3 Abs. 3: Die innerkirchlichen Regelungen über den Entzug einzelner Rechte bleiben unberührt, insbesondere was ihre Auswirkungen auf die Zulassung zur Lehrtätigkeit als Religionslehrer betrifft. Schlußprotokoll zu Art. 3 Abs. 3 S. 1: Zuständig ist der Diözesanbischof, in dessen Bistum die betreffende Ausbildungseinrichtung gelegen ist.
a) Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach (Abs. 1) In Absatz 1 wird jeweils bekräftigt, dass evangelischer bzw. katholischer Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach erteilt wird. Das entspricht zunächst dem Grundgesetz: Nach Art. 7 Abs. 3 GG ist der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach. Eine Selbstverständlichkeit ist diese Aussage in den Kirchenverträgen dennoch nicht, wie ein Blick über die Landesgrenze nach Brandenburg verdeutlicht, wo Religionsunterricht nicht als staatlicher, sondern nur als kirchlicher Unterricht angeboten wird. Diesen Sonderweg, den Brandenburg nach der Wende beschritt und heute noch beschreitet,2 ging Sachsen von Anfang an nicht mit. Nach Art. 105 Abs. 1 SächsVerf sind Ethikunterricht und Religionsunterricht ordentliche Lehrfächer. Dennoch setzt auch die sächsische Verfassung einen etwas anderen Akzent als das Grundgesetz: Hier werden Ethik- und Religionsunterricht gleichrangig genannt.3 Beide sind ordentliche Lehrfächer, die Eltern bzw. der religionsmündige Schüler entscheiden, an welchem Unterricht teilgenommen wird. 2 Zur Situation in Brandenburg siehe BVerfGE 104, 305 – LER-Schlichtungsvorschlag; Hans Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG – Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 7 Rdnr. 40; Peter Badura, in: Maunz/Dürig (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar, Stand der 73. Erg.-Lfg. (Dezember 2014), Art. 7 Rdnr. 80 ff.; Arnd Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.): Grundgesetz. Beck’scher Online-Kommentar, Stand der 25. Erg.-Lfg. (März 2015), Art. 7 Rdnr. 41; Arnd Uhle, Das brandenburgische Lehrfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ – ein verfassungskonformes Substitut für den Religionsunterricht? – Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des Art. 141 GG, KuR 1996, S. 15 ff.; Norbert Janz, Neuere Entwicklungen der schulischen Wertevermittlung in Brandenburg, ZevKR 2008, S. 41 ff. (43 ff.). 3 Christoph Link, Religionsunterricht, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 54, S. 439 ff.
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Dem grundgesetzlichen Vorbild etwas stärker angenähert ist dann wiederum das einfache Recht: § 18 SchulG stellt den Religionsunterricht in den Vordergrund. Nur wenn Schüler nicht am Religionsunterricht teilnehmen, dann besuchen sie gem. § 19 SchulG den Unterricht in dem Fach Ethik. Letztlich läuft auch das auf ein Wahlrecht hinaus, wie auch § 20 SchulG klarstellt. b) Zustimmungsrecht der Kirchen zu Richtlinien, Lehrplänen und Lehrbüchern für den Religionsunterricht (Abs. 2) Abs. 2 verschafft der Kirche ein Zustimmungsrecht zu Richtlinien, Lehrplänen und Lehrbüchern für den Religionsunterricht. Das ist die Konsequenz aus der grundgesetzlichen und landesverfassungsrechtlichen Forderung, dass der Unterricht nach den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft durchgeführt wird (Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 105 Abs. 2 S. 1 SächsVerf).4 Die Verwaltungsvorschrift „Religion und Ethik“ 5 konkretisiert das Zustimmungserfordernis dahingehend, dass die Lehrpläne im Einvernehmen mit der Kirche „erstellt“ werden (dort Nr. 6.2). Die Beteiligung der Kirche findet also nicht erst am Ende des Prozesses statt, wenn der Entwurf eines Lehrplans vorliegt und aus Sicht der Kirche nur noch die Zustimmung erteilt oder verweigert werden kann. Vielmehr ist die Kirche bereits in den Erstellungsprozess einzubeziehen, mithin frühzeitig zu beteiligen. c) Beteiligung der Kirchen an der staatlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung (Abs. 2) Abs. 2 sieht ferner vor, dass die Kirche an der staatlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung von Religionslehrern beteiligt wird, und zwar „nach Maßgabe einer besonderen Vereinbarung“. Solche besonderen Vereinbarungen liegen nur punktuell vor. So gibt es eine Vereinbarung vom 20. September 2013 zwischen den Evangelischen Landeskirchen und dem Freistaat Sachsen zur Übermittlung der (442); Peter Badura, in: Maunz/Dürig (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar, Stand der 73. Erg.-Lfg. (Dezember 2014), Art. 7 Rdnr. 64. 4 Hans D. Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 13. Aufl. 2014, Art. 7 Rdnr. 18; Markus Thiel, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 7 Rdnr. 40 und 55; Gerhard Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 7 Abs. 3 Rdnr. 155 ff.; Klaus Müller, Die Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentar, 1993, Art. 105, S. 437 ff. (440). 5 Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Durchführung des Religionsunterrichts und des Ethikunterrichts im Freistaat Sachsen vom 29. September 2004 (MBl. SMK 2004 Nr. 11 S. 414) = VwV Religion und Ethik, zuletzt geändert durch die Verwaltungsvorschrift vom 12. März 2007 (MBl. SMK 2007 S. 69).
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Namen und Kontaktdaten der staatlichen Religionslehrer an die Kirchen.6 Das soll den Kirchen u. a. gezielte Einladungen zu Fachtagungen und Fortbildungen im Fach Evangelische Religion ermöglichen (§ 3 der Vereinbarung). Weitere Beteiligungsrechte finden sich bereits in den Kirchenverträgen selbst, z. B. mit Blick auf die Studien- und Prüfungsordnungen für Religionslehrer (Art. 3 Abs. 3 SächsEvKV, Art. 5 Abs. 4 SächsKathKV), wonach den Kirchen ein Zustimmungsrecht zusteht (dazu unten E. I. 4.). d) Beteiligung der Kirchen an der Aufsicht über den Religionsunterricht (Abs. 2) Abs. 2 sichert den Kirchen zudem ein Mitwirkungsrecht bei der Aufsicht über den Religionsunterricht, wiederum „nach Maßgabe einer besonderen Vereinbarung“. Schon die Landesverfassung gewährt den Kirchen dieses Recht, und zwar in Art. 105 Abs. 2 S. 3 SächsVerf: Sie haben das Recht, im Benehmen mit der staatlichen Aufsichtsbehörde die Erteilung des Religionsunterrichtes zu beaufsichtigen. In den Kirchenverträgen geht es (auch) um die Aufsicht über konkret erteilten Unterricht einzelner Religionslehrer. Die Verwaltungsvorschrift „Religion und Ethik“ bestimmt hierzu, dass die Kirchen fachaufsichtliche Befugnisse und das Recht zur Hospitation haben. Die Modalitäten müssen vorher mit dem Schulleiter abgestimmt werden. Die Kirchenverträge verweisen im Übrigen wiederum auf besondere Vereinbarungen, die aber nur ganz punktuell vorliegen. Anzuführen ist erneut die Vereinbarung vom 20.9.20137 zwischen den Evangelischen Landeskirchen und dem Freistaat Sachsen zur Übermittlung der Namen und Kontaktdaten der staatlichen Religionslehrer an die Kirchen. Hintergrund ist Folgender: Nach Erteilung der Vokation besteht die Gefahr, dass die Kirche diese Religionslehrer schlicht aus dem Blick verliert und schon deshalb nicht beaufsichtigen kann. Dieser Gefahr soll begegnet werden, indem die Namen der im staatlichen Schuldienst tätigen Religionslehrer den Kirchen jährlich übermittelt werden. e) Kirchliche Bevollmächtigung staatlicher Religionslehrer (Abs. 3) Wenn Religionsunterricht ein ordentliches Lehrfach ist, dann folgt daraus, dass im Normalfall auch staatliche Lehrer den Unterricht erteilen8 – so wie in den 6 Diese Vereinbarung bezieht sich in ihren Vorbemerkungen ausdrücklich auf Art. 5 Abs. 2 SächsEvKV. – Der Text der Vereinbarung findet sich im Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vom 15. November 2013, Nr. 20/21 (ABl. S. A 246 f.). 7 Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vom 15. November 2013, Nr. 20/21 (ABl. S. A 246 f.). 8 Gerhard Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 7 Rdnr. 134; Markus Thiel, in: Sachs (Hrsg.): Grundge-
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anderen Schulfächern auch. Der Unterricht soll jedoch den Grundsätzen einer Kirche entsprechen und bekenntnisgeprägt sein. Um das zu gewährleisten ist eine personelle Legitimation durch die jeweilige Kirche zumindest sinnvoll, wenn nicht geboten.9 Dementsprechend benötigen gem. Abs. 3 der jeweiligen Bestimmung im Kirchenvertrag staatliche Religionslehrer eine kirchliche Bevollmächtigung, d.h. die Vokation auf evangelischer und Missio canonica auf katholischer Seite. Dieses Erfordernis ist auch durch Art. 105 Abs. 2 S. 2 SächsVerf und § 18 Abs. 2 S. 1 SchulG abgesichert. f) Gestellung kirchlicher Religionslehrer für den Religionsunterricht (Abs. 4) Vorstehend wurde angedeutet, dass im Normalfall staatliche Lehrer den Religionsunterricht erteilen – was aber tun, wenn es nicht genügend staatliche Lehrer gibt? Diese müssen getauft sein, Kirchenmitglieder sein – alles keine Selbstverständlichkeit mehr, nicht mehr in den westlichen Ländern, schon gar nicht in den neuen Bundesländern. Wenn es Personallücken auf staatlicher Seite gibt, kann die Kirche diese Lücken durch eigenes Personal auffüllen. Vor diesem Hintergrund betrifft Abs. 4 die Gestellung kirchlicher Religionslehrer für den Religionsunterricht. Das Schulgesetz flankiert dies in § 18 Abs. 3, der wie folgt lautet: „Der Religionsunterricht kann von Bediensteten der betreffenden Religionsgemeinschaften erteilt werden. Die Religionsgemeinschaft erhält einen angemessenen finanziellen Ersatz.“ Nähere Regelungen hierzu enthält der sog. Gestellungsvertrag vom 7. September 1994 zwischen den Landeskirchen bzw. Bistümern und dem Freistaat.10 Danach ermitteln die staatlichen Regionalschulämter den nicht durch staatliche Lehrer abgedeckten Unterrichtsbedarf und ersuchen die Kirchen um Gestellung von Lehrkräften (§ 3 Abs. 1 GestellungsV). Nach Benennung von Lehrkräften durch die Kirche erteilt das Regionalschulamt der betreffenden Person im Einvernehsetz. Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 7 Rdnr. 48; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 425; Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 488. 9 Gerhard Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 7 Rdnr. 156; Sigrid Boysen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 7 Rdnr. 77 f.; Peter Badura, in: Maunz/Dürig (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar, Stand der 73. Erg.-Lfg. (Dezember 2014), Art. 7 Rdnr. 85; Christoph Link, Religionsunterricht, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 54, S. 439 ff. (493); Axel Freiherr von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 216. 10 Vertrag über die Gestellung von Lehrkräften im kirchlichen Dienst für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen im Freistaat Sachsen – Gestellungsvertrag vom 7. September 1994 (ABl. EKKPS S. 130), zuletzt geändert durch Vereinbarung über die Anpassung des Gestellungsgeldes vom 14. Oktober 2014 (ABl. S. 261).
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men mit der Kirche einen Unterrichtsauftrag (§ 3 Abs. 4 GestellungsV). Durch den Unterrichtsvertrag wird kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit dem Freistaat begründet (§ 4 Abs. 1 S. 1 GestellungsV). Die Lehrkraft verbleibt vielmehr im kirchlichen Dienst (§ 4 Abs. 1 S. 2 GestellungsV), ist aber im Rahmen des Unterrichts der staatlichen Schulaufsicht und den Weisungen des Schulleiters unterworfen (§ 4 Abs. 2 GestellungsV). Der Freistaat leistet sodann den Kirchen finanziellen Ersatz für den Einsatz der Lehrkräfte im staatlichen Dienst – das sog. Gestellungsgeld gem. § 5 GestellungsV. Dieser Finanzersatz wird auch in § 18 Abs. 3 SchulG angeführt. 2. Erwähnung eines jüdischen Religionsunterrichts im Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 SächsJüdKV Der Vertrag mit dem Landesverband der jüdischen Gemeinden in Sachsen sieht an sich keine Regelungen zum Bildungsbereich vor. Im Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 – wo es um Staatsleistungen geht – heißt es immerhin: „Von der Abgeltung ausgenommen sind ferner etwaige Kostenerstattungen für die Erteilung jüdischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.“ Diese „etwaige“ Kostenerstattung bezieht sich auf Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, also auf einen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Einen solchen gibt es in Sachsen jedoch nicht. Es gibt nur jüdischen Religionsunterricht außerhalb der Schule unter der alleinigen Verantwortung der jüdischen Gemeinden. Wenn Schüler an diesem Unterricht teilnehmen, können sie sich vom schulischen Ethikunterricht abmelden. Daraus ergibt sich durchaus eine staatliche Wertschätzung des jüdischen Glaubensunterrichts.11 3. Bewährung in der Praxis Vor 20 Jahren, anlässlich der Plenardebatten 1994 zum Evangelischen und 1996 zum Katholischen Kirchenvertrag, wurde im Landtag gegenüber den Regelungen zum Religionsunterricht durchaus Kritik geübt. Manche Stimmen, vor allem bei PDS und Bündnis 90/Grüne, hätten sich eine strengere Trennung von Staat und Kirche und das Brandenburger Modell gewünscht, wo es keinen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach gibt.12 Diese Kritik gibt es auch heute noch, aber wohl eher am Rande der politischen und innerkirchlichen Diskussion. 11 Vgl. Nr. 3.4 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Durchführung des Religionsunterrichts und des Ethikunterrichts im Freistaat Sachsen vom 29. September 2004 (MBl. SMK 2004 Nr. 11) S. 414, zuletzt geändert durch die Verwaltungsvorschrift vom 12. März 2007 (MBl. SMK 2007) S. 69. 12 Siehe etwa MdL Martin Böttger, Bündnis 90/Die Grüne, Plenarprotokoll Sachsen 1/97 S. 6764 f., der sich gegen staatlichen Religionsunterricht wendet und für das Brandenburger Modell ausspricht, oder MdL Werner Bramke, PDS, Plenarprotokoll Sachsen 2/48 S. 3482, der sich eine strengere Trennung von Staat und Kirche wünscht und deshalb Bedenken gegenüber einem staatlichen Religionsunterricht äußert.
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Ebenfalls bereits vor 20 Jahren wurde in den Schlußprotokollen hervorgehoben, dass Staat und Kirche bewusst sei, „daß der Neuaufbau des Religionsunterrichts im Freistaat noch einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen wird.“ Dieser Neuaufbau ist immer noch nicht abgeschlossen. Die Kirchen beklagen etwa Angebotslücken bei den Berufsschulen oder das Fehlen staatlicher Religionslehrer.13 Der Religionsunterricht wird zumeist nur mit einer Wochenstunde angeboten. Ein Problem sind also die fehlenden Lehrer. Das wohl noch größere Problem sind die geringen Schülerzahlen. Die Schlußprotokolle in den sächsischen Kirchenverträgen trafen schon vor 20 Jahren gewisse Vorkehrungen für kleine Schülerzahlen, sehen z. B. nötigenfalls schulübergreifenden Unterricht vor. Auch heute noch müssen in Sachsen vielfach die Schüler mehrerer Klassen, Stufen oder sogar Schulen gebündelt werden, um die Mindestzahl von acht Schülern zu erreichen, die grundsätzlich für die Einrichtung von Religionsunterricht nötig ist (VwV Religion und Ethik Nr. 5.2.). Das sind natürlich keine optimalen Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Unterricht. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten handelt es sich durchaus um eine Erfolgsgeschichte. In den allgemein bildenden Schulen besuchen immerhin gut 25% der Schüler den Religionsunterricht.14 Im Bereich der Sekundarstufe II sind es sogar ca. 40%.15 Völlig zu Recht haben Staatsministerium und Kirchen wiederholt konstatiert, dass der Religionsunterricht sich erfolgreich etabliert hat und eine Selbstverständlichkeit geworden ist.16 13 Sächsische Zeitung, Gut ein Viertel der Schüler in Sachsen hat Religionsunterricht, in: SZ-Online.de vom 8. November 2012, http://www.sz-online.de/sachsen/gutein-viertel-der-schueler-in-sachsen-hat-religionsunterricht-76668.html (abgerufen am 2.09.2015); Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, Kultusminister Flath: Religionsunterricht in Sachsen etabliert, in: Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (Nachrichten) vom 4. November 2007, http://www.evlks.de/aktuelles/nachrichten/ 8383.html (abgerufen am 2.09.2015). 14 Antenne Sachsen, Immer mehr Kinder belegen das Schulfach Religion, in: Antenne Sachsen vom 8. November 2012, http://www.antennesachsen.de/2012/11/08/im mer-mehr-kinder-belegen-das-schulfach-religion/ (abgerufen am 2.09.2015); Sächsische Zeitung, Gut ein Viertel der Schüler in Sachsen hat Religionsunterricht, in: SZ-Online.de vom 8. November 2012, http://www.sz-online.de/sachsen/gut-ein-viertel-derschueler-in-sachsen-hat-religionsunterricht-76668.html (abgerufen am 2.09.2015). 15 Sächsisches Bildungsinstitut (Hrsg.): Bildung in Sachsen. Bildungsbericht 2013, 2. Aufl. 2013, Kapitel B: Lehren und Lernen, S. 94. 16 Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, Religionsunterricht in Sachsen eine Selbstverständlichkeit, in: Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (Themen) vom 28. August 2008, http://www.evlks.de/aktuelles/themen/14895_10140.html (abgerufen am 2.09.2015); Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, Kultusminister Flath: Religionsunterricht in Sachsen etabliert, in: Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (Nachrichten) vom 4. November 2007, http://www.evlks.de/aktuel les/nachrichten/8383.html (abgerufen am 2.09.2015); Sächsische Zeitung, Gut ein Viertel der Schüler in Sachsen hat Religionsunterricht, in: SZ-Online.de vom 8. November 2012, http://www.sz-online.de/sachsen/gut-ein-viertel-der-schueler-in-sachsen-hat-reli
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IV. Schulen in kirchlicher Trägerschaft Früher gab es in vielen Teilen Deutschlands öffentliche Bekenntnisschulen, heute nur noch vereinzelt in Niedersachsen und vor allem in NRW: Dort ist immerhin jede dritte Grundschule eine evangelische oder katholische Bekenntnisschule in öffentlicher Trägerschaft.17 In Sachsen gibt es keine öffentlichen Bekenntnisschulen, wie das Schlußprotokoll zu Art. 4 SächsKathKV explizit hervorhebt – in Abkehr von Art. 23 des Reichskonkordates, der öffentliche Bekenntnisschulen garantiert.18 Wenn Eltern einen Schulunterricht und eine Erziehung wünschen, die auch außerhalb des Religionsunterrichts bekenntnisgeprägt sind, bleibt die Wahl einer entsprechenden Privatschule. 1. Kirchenvertragliche Regelungen, Art. 6 SächsEvKV, Art. 4 SächsKathKV Der evangelische und der katholische Kirchenvertrag bekräftigen beide das Recht der Kirchen, Schulen in eigener Trägerschaft und auf konfessioneller Grundlage einzurichten und zu betreiben. Art. 6 SächsEvKV Kirchliches Schulwesen
Art. 4 SächsKathKV Kirchliches Schulwesen
Die Kirchen haben das Recht, Schulen in eigener Trägerschaft auf konfessioneller Grundlage einzurichten und zu betreiben.
Die katholische Kirche, einschließlich der zu ihr gehörenden Orden und Kongregationen sowie anderer kirchlicher Einrichtungen, hat das Recht, Schulen in eigener Trägerschaft auf konfessioneller Grundlage einzurichten und zu betreiben.
Schlußprotokoll zu Art. 6: Die Festlegung der Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung dieser Schulen und ihre Finanzierung aus öffentlichen Mitteln bleibt dem Landesrecht oder einer Vereinbarung vorbehalten.
Schlußprotokoll zu Art. 4: Der Freistaat, der selbst keine Schulen auf konfessioneller Grundlage anbietet, wird die katholischen Schulen fördern. Die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln und die Festlegung der Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung bleiben dem Landesrecht oder einer Vereinbarung vorbehalten.
gionsunterricht-76668.html (abgerufen am 2.09.2015); Antenne Sachsen, Immer mehr Kinder belegen das Schulfach Religion, in: Antenne Sachsen vom 8. November 2012, http://www.antennesachsen.de/2012/11/08/immer-mehr-kinder-belegen-das-schulfachreligion/ (abgerufen am 2.09.2015). 17 Siehe die Angaben in LT-Drs. Nordrhein-Westfalen 16/7544, S. 7: „Von den 2.891 öffentlichen Grundschulen sind 1.942 Gemeinschaftsschulen, 876 katholische Bekenntnisschulen und 73 evangelische Bekenntnisschulen.“ 18 Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (118).
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Grundgesetz und Landesverfassung kennen keine spezielle Verbürgung dieses Rechts. Während der Verfassungsberatungen in Sachsen nach der Wende wurde anfangs zwar erwogen, kirchliche Schulen neben den sonstigen privaten Schulen explizit anzuführen.19 Später wurde darauf verzichtet. Aber die Kirchen können sich auf die allgemeine Privatschulfreiheit gem. Art. 7 Abs. 4 GG und Art. 102 Abs. 2 SächsVerf berufen, d.h. Privatschulen gründen und betreiben. Gründung und Betrieb von Privatschulen kosten viel Geld. Allein durch Schulgelder kann eine Privatschule nicht finanziert werden, zumal Art. 7 Abs. 4 GG die Höhe der Schulgelder stark begrenzt.20 Vor diesem Hintergrund bestimmt das Schlußprotokoll zu Art. 6 SächsEvKV bzw. Art. 4 SächsKathKV zu kirchlichen Schulen: „Ihre Finanzierung aus öffentlichen Mitteln bleibt dem Landesrecht oder einer Vereinbarung vorbehalten.“ Eine Vereinbarung hierzu gibt es jedoch nicht, sodass die allgemeinen Regelungen der Ersatzschulfinanzierung greifen. Kirchliche Schulen werden also genauso gestellt wie alle anderen Schulen in freier Trägerschaft. 2. Bewährung in der Praxis Die Ersatzschulfinanzierung hat sich in den letzten 20 Jahren durchaus bewährt. In Sachsen sind viele Schulen in freier Trägerschaft gegründet worden. Sachsen steht hier bundesweit vorn. Immerhin 14% aller Schüler besuchen eine private Ersatzschule. Etwa ein Drittel der Ersatzschulen ist evangelisch oder katholisch.21 Der Landesgesetzgeber hat das Finanzierungsmodell jedoch in den letzten Jahren verändert und die öffentlichen Zuschüsse tendenziell zurückgeführt, wodurch die Rahmenbedingungen für Ersatzschulen verschlechtert worden sind. Der SächsVerfGH hat durch Urteil vom 15. November 2013 die Neuregelung von 2011 als verfassungswidrig verworfen. Sie verletze prozedurale Sorgfaltspflichten des Gesetzgebers.22 Der SächsVerfGH hatte in seiner Entscheidung keinen Anlass, ge19
Zitiert nach SächsVerfGH, SächsVBl. 2014, S. 83 ff. (89). Dazu – vor allem mit Blick auf das sog. Sonderungsverbot – z. B. Markus Thiel, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 7 Rdnr. 62 und 70; Johannes Rux/Norbert Niehues, Schulrecht, 5. Aufl. 2013, Rdnr. 1395; Klaus Hesse, Finanzhilfe für Ersatzschulen in freier Trägerschaft, in: Keller/Krampen (Hrsg.): Das Recht der Schulen in freier Trägerschaft, 2014, Kap. 9 Rdnr. 17. 21 57 Schulen von 39 Trägern sind Teil der Schulstiftung der Landeskirche: Die Evangelischen Schulen in Sachsen, Über uns, in: Die Evangelischen Schulen in Sachsen, http://www.evangelische-schulen-sachsen.de/profil-2/ (abgerufen am 18.08.2015). 22 SächsVerfGH, SächsVBl. 2014, 83 ff. (92 ff.); zustimmend etwa Kerstin Harzendorf, Ersatzschulfinanzierung im Freistaat Sachsen verfassungswidrig, SächsVBl. 2014, 77 ff.; Klaus Hesse, Prozedurale Anforderungen an den Gesetzgeber. Zum Urteil des sächsischen Verfassungsgerichtshofs zur staatlichen Finanzhilfe vom 15.11.2013, R&B 1/2014, 3 f.; kritisch Jörg Ennuschat, Gesetzgeberische Sorgfaltspflichten und die Überdehnung verfassungsgerichtlicher Kontrolle, in: Kment (Hrsg.): Das Zusammenwirken von deutschem und europäischem Öffentlichen Recht – Festschrift für Hans D. Jarass zum 70. Geburtstag, i. E. 2015. 20
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sondert auf kirchliche Privatschulen einzugehen. Der Gesetzgeber reagiert mit einer neuerlichen Novelle der Ersatzschulfinanzierung,23 die wiederum der Kritik der Ersatzschulträger ausgesetzt ist. Auch das Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens hat sich kritisch geäußert.24 Kirchliche Schulen und Schulen freier Träger auf bekenntnisgeprägter Grundlage sind jedenfalls erfolg- und segensreiche Akteure im Sächsischen Schulwesen. V. Theologie an staatlichen Hochschulen Theologische Fakultäten und Studiengänge an staatlichen Hochschulen blicken auf eine jahrhundertlange Tradition zurück. Auch zu DDR-Zeiten gab es in Leipzig eine Evangelisch-Theologische Fakultät bzw. Sektion.25 Theologie an staatlichen Hochschulen ist damit neben dem Religionsunterricht eines der wichtigsten Beispiele für gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche. Das Grundgesetz äußert sich zu den theologischen Fakultäten dennoch nicht. Die Landesverfassung von Sachsen erwähnt sie nur knapp in Art. 111 Abs. 2 SächsVerf. Demgegenüber enthalten die Verträge mit evangelischer und katholischer Kirche in Art. 3 bzw. 5 umfängliche Regelungen, wiederum weitgehend parallel. 1. Kirchenvertragliche Regelungen Art. 3 SächsEvKV Staatliche Theologenausbildung
Art. 5 SächsKathKV: Theologische Ausbildung an staatlichen Hochschulen
(1) Für wissenschaftlich-theologische Ausbildungsgänge bleibt die theologische Fakultät der Universität Leipzig erhalten. Vor der Neugründung oder Verlegung einer evangelischen theologischen Fakultät wird die Staatsregierung eine gutachtliche Stellungnahme der Kirchen einholen.
(1) Der Freistaat wird an der Technischen Universität Dresden das dort eingerichtete Fach katholische Religion in Lehramtsstudiengängen und das Fach katholische Theologie in Magisterstudiengängen erhalten. Die Ausbildung in diesen Fächern entspricht der Lehre und den Grundsätzen der katholischen Kirche.
(2) Vor der Berufung eines Professors oder Hochschuldozenten für ein evangelisch-theologisches Fachgebiet oder für evangelische Religionspädagogik an einer Hochschule des Freistaates wird den Kirchen Gelegenheit gegeben, zu einem Be-
(2) Professoren und Hochschuldozenten (Hochschullehrer) für katholische Theologie und katholische Religionspädagogik werden erst berufen oder eingestellt, wenn sich das zuständige Staatsministerium bei dem zuständigen Diözesanbischof verge-
23 Sächsisches Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (SächsFrTrSchulG) vom 30. Juli 2015 (SächsGVBl. S. 434). 24 Schriftliche Stellungnahme der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Sächsischen Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (SächsFrTrSchulG), Teil II zu LT-Drs. Sachsen 6/1246, S. 136 ff. 25 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen, Drs. 9678-10, S. 15.
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rufungsvorschlag sich gutachtlich zu äußern. Werden Bedenken geäußert, die sich auf die Heilige Schrift und das Bekenntnis stützen und die im einzelnen begründet werden, wird der Freistaat diese Stellungnahme beachten.
wissert hat, daß im Hinblick auf Lehre und Lebenswandel keine Bedenken bestehen. Werden Einwendungen erhoben, sind diese vom Diözesanbischof gemäß den Umständen des Einzelfalls angemessen darzulegen. (3) Verstößt ein Hochschullehrer für katholische Theologie oder katholische Religionspädagogik gegen die Lehre der katholischen Kirche oder ist sein Lebenswandel mit den Grundsätzen der katholischen Kirche nicht mehr vereinbar und ist dies von seiten der Kirche festgestellt, wird der Diözesanbischof dies dem zuständigen Staatsministerium anzeigen. In diesem Falle kann der beanstandete Hochschullehrer seine Lehrtätigkeit in Fachgebieten der katholischen Theologie nicht mehr ausüben. Gleichzeitig nimmt das zuständige Staatsministerium unverzüglich Verhandlungen mit dem Diözesanbischof über die Art und den Umfang der zu leistenden Abhilfe auf.
(3) Das zuständige Staatsministerium wird Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen für theologische Fachgebiete erst genehmigen oder in Kraft setzen, wenn zuvor durch Anfrage bei den Kirchen festgestellt worden ist, daß Einwendungen nicht erhoben werden. Die kirchliche Mitwirkung in den Theologischen Prüfungskommissionen bleibt gewährleistet.
(4) Das zuständige Staatsministerium wird Studien- und Prüfungsordnungen für Fachgebiete der katholischen Theologie erst genehmigen oder in Kraft setzen, wenn zuvor durch Anfrage bei dem Diözesanbischof festgestellt worden ist, daß Einwendungen nicht erhoben werden.
(4) Die Kirchen behalten das Recht, eigene Prüfungsämter für den Abschluß einer wissenschaftlichen Ausbildung einzurichten. Die kirchliche Prüfung steht der Hochschulprüfung gleich. (5) Die evangelischen Universitätsprediger ernennt das zuständige kirchenleitende Organ im Einvernehmen mit der evangelischen theologischen Fakultät aus dem Kreis der ordinierten Professoren der Fakultät. Schlußprotokoll zu Art. 5: Bezüglich der katholischen theologischen Ausbildung an staatlichen Hochschulen besteht Einvernehmen, daß für das Verhältnis aller Lehrstühle für katholische Theologie und Religionspädagogik zum zuständigen Diözesanbischof im Freistaat gegenwärtig insbesondere die Apostolische Konstitu-
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tion „Sapientia Christiana“ vom 15. April 1979 sowie die hierzu erlassenen Verordnungen vom 29. April 1979 und die zwei Dekrete der Kongregation für das katholische Bildungswesen vom 1. Januar 1983 gelten, welche an die Stelle der im Schlußprotokoll zu Art. 19 des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 genannten kirchlichen Vorschriften getreten sind. Schlußprotokoll zu Art. 3 Abs. 1: Die im folgenden genannten Mitwirkungsrechte der Kirchen werden durch diejenige Kirche wahrgenommen, auf deren Territorium sich die Bildungseinrichtung befindet. Diese Kirche wird die weiteren betroffenen Kirchen beteiligen und gegebenenfalls abweichende Stellungnahmen der anderen Kirchen der staatlichen Stelle zur Kenntnis geben.
Schlußprotokoll zu Art. 5 Abs. 1: Die Festlegung des erforderlichen Lehrpersonals (Stellenplan) und der notwendigen Lehreinrichtungen (Sachausstattung) erfolgt im Benehmen mit dem zuständigen Diözesanbischof.
Schlußprotokoll zu Art. 3 Abs. 2 S. 1: Den Kirchen wird eine angemessene Frist für ihre Stellungnahme eingeräumt. Vor Ablauf dieser Frist wird keine Entscheidung über die Berufungsvorschläge ergehen.
Schlußprotokoll zu Art. 5 Abs. 2: Vor der Erteilung eines Rufes oder dem Angebot einer Stelle im Sinne dieser Bestimmung wird das Staatsministerium die Äußerung des zuständigen Diözesanbischofs einholen. Hat der Diözesanbischof erklärt, keine Einwendungen zu erheben, kann das zuständige Staatsministerium die Berufung oder Einstellung vornehmen. Personalentscheidungen im Sinne dieser Bestimmung dürfen erst veröffentlicht werden, wenn der Diözesanbischof keine Einwendungen erhoben hat. Soweit die vorgeschlagenen Kandidaten nicht auf den priesterlichen Lebenswandel verpflichtet sind, ist ein Lebenswandel nach den Ordnungen der katholischen Kirche erforderlich.
Schlußprotokoll zu Art. 3 Abs. 3: Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für Promotions- und Habilitationsordnungen werden die Kirchen Einwendungen nur erheben, wenn auf das Bekenntnis gestützte Bedenken bestehen. Schlußprotokoll zu Art. 3 Abs. 4 S. 2: Die Kirchen gewährleisten die Gleichwertigkeit der Prüfungsanforderungen mit den staatlichen Anschlußprüfungen.
Schlußprotokoll zu Art. 5 Abs. 4: Der zuständige Diözesanbischof ist berechtigt, einen Vertreter als Beobachter zu den mündlichen Abschlussprüfungen in Fachgebieten der katholischen Theologie zu entsenden. Die entsprechenden Termine sind ihm jeweils im voraus anzuzeigen.
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a) Staatliche Bestandsgarantien, Art. 3 Abs. 1 SächsEvKV, Art. 5 Abs. 1 SächsKathKV Grundgesetz und Landesverfassung halten – anders als etwa Art. 149 Abs. 3 WRV – keine ausdrückliche Bestandsgarantie für die Theologie oder die Theologischen Fakultäten bereit, schon gar nicht für bestimmte Standorte. Solche Bestandsgarantien finden sich jedoch in den Kirchenverträgen. Für die evangelische Kirche bestimmt Art. 3 Abs. 1 SächsEvKV: „Für wissenschaftlich-theologische Ausbildungsgänge bleibt die theologische Fakultät der Universität Leipzig erhalten.“ In Art. 5 Abs. 1 SächsKathKV heißt es: „Der Freistaat wird an der Technischen Universität Dresden das dort eingerichtete Fach katholische Religion in Lehramtsstudiengängen und das Fach katholische Theologie in Magisterstudiengängen erhalten.“ Die Fakultät in Leipzig und die Fächer in Dresden bleiben also „erhalten“. Daraus folgt zunächst aber nur eine Mindestgarantie, nicht notwendig die Absicherung des Status quo zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hinsichtlich der Zahl der Lehrstühle oder der übrigen Personal- und Sachausstattung. Es handelt sich mithin nur um eine einfache und nicht um eine qualifizierte Bestandsgarantie.26 Das einfache Recht geht über diese kirchenvertraglichen Bestandsgarantien hinaus. Dort bestimmt § 105 Abs. 5 S. 2 SächsHSFG, dass „für Entscheidungen nach § 59 Abs. 1 Satz 1 und 4, § 60 Abs. 3 Satz 2 und 8, Abs. 4 Satz 8 und 9“ das Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst herzustellen ist. Aus § 105 Abs. 7 SächsHSFG ergibt sich dann wiederum, dass dieses Einvernehmen nur im Einvernehmen mit der betroffenen Kirche erteilt wird. Was folgt daraus? Die Aufzählung von Paragraphen, Absätzen und Sätzen wirkt zunächst recht trocken. Die Aufzählung ist aber durchaus brisant. Es geht u. a. um die inhaltliche Festlegung der Funktionsbeschreibungen von Stellen für Hochschullehrer (§ 59 Abs. 1 S. 1 SächsHSFG) und um die Entscheidung, ob eine freiwerdende Stelle wieder besetzt wird und welcher Fakultät sie zugeordnet wird (§ 59 Abs. 1 S. 4 SächsHSFG), d.h. jeweils um Entscheidungen des Rektorats. Hierfür ist also mittelbar das Einvernehmen der Kirche nötig, die damit Veränderungen der Funktionsbeschreibungen oder die Nichtwiederbesetzung einer frei gewordenen Stelle verhindern kann. b) Kirchliche Bedenken gegenüber der Berufung eines Hochschullehrers Ein Evergreen des Staatskirchenrechts sind kirchliche Einwendungen gegen die Berufung von Hochschullehrern – das sog. nihil obstat als Voraussetzung für 26 Zu dieser Unterscheidung z. B. Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen, Drs. 9678-10, S. 17 f.
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eine Berufung. Hierzu bietet zunächst die Landesverfassung in Art. 111 Abs. 2 SächsVerf eine Regelung: „Die Lehrstühle an theologischen Fakultäten und die Lehrstühle für Religionspädagogik werden im Benehmen mit der Kirche besetzt. Abweichende Vereinbarungen bleiben unberührt.“ Ein Benehmen geht zwar über eine bloße Anhörung und Stellungnahmemöglichkeit hinaus, zielt auf Verständigung, bleibt aber hinter einem Einvernehmen zurück. Die Kirchenverträge verschaffen den Kirchen Rechte, die über Art. 111 Abs. 2 SächsVerf hinausgehen. Besonders deutlich ist das für die katholische Kirche geregelt; in Art. 5 Abs. 3 SächsKathKV heißt es: „Professoren und Hochschuldozenten (Hochschullehrer) für katholische Theologie und katholische Religionspädagogik werden erst berufen oder eingestellt, wenn sich das zuständige Staatsministerium bei dem zuständigen Diözesanbischof vergewissert hat, daß im Hinblick auf Lehre und Lebenswandel keine Bedenken bestehen.“ Wenn Bedenken bestehen, dann gibt es keine Berufung oder Einstellung. Hier hat die katholische Kirche eindeutig ein absolutes Vetorecht. Nicht ganz so klar ist die Regelung in Art. 3 Abs. 3 SächsEvKV, wo Folgendes bestimmt wird: „Vor der Berufung eines Professors oder Hochschuldozenten für ein evangelisch-theologisches Fachgebiet oder für evangelische Religionspädagogik an einer Hochschule des Freistaates wird den Kirchen Gelegenheit gegeben, zu einem Berufungsvorschlag sich gutachtlich zu äußern. Werden Bedenken geäußert, die sich auf die Heilige Schrift und das Bekenntnis stützen und die im einzelnen begründet werden, wird der Freistaat diese Stellungnahme beachten.“ Hier geht es also nur um ein Gutachten, eine Stellungnahme – die immerhin zu beachten ist. Die Regierungsbegründung erläutert diese Vorgabe wie folgt:27 „Werden im Rahmen der gutachtlichen Stellungnahme von den Kirchen Bedenken gegen einzelne Kandidaten geäußert, so ist zu unterscheiden, ob sich die Einwände auf die Heilige Schrift und auf das Bekenntnis stützen. In diesem Fall ist der Staatsminister an die Stellungnahme der Kirche grundsätzlich gebunden, es sei denn, die zu begründende Stellungnahme der Kirche erweist sich als willkürlich und mit den Grundsätzen der Freiheit von Forschung und Lehre als unvereinbar.“ Die Regierungsbegründung teilt der Kirche mithin kein absolutes Vetorecht zu. Die Direktionskraft der Regierungsbegründung ist aber begrenzt. Schon bei einem Gesetz ist der Gesetzestext maßgeblich, nicht etwa die Gesetzesbegründung, die lediglich Auslegungshinweise zu liefern vermag. Hier kommt hinzu, dass es sich um einen Vertrag handelt, sodass die Regierungsbegründung allenfalls die Sichtweise der einen Vertragspartei wiedergibt. Entscheidend ist der Vertragstext. Was heißt also „beachten“? Im juristischen Sprachgebrauch wird das Beachten 27 Regierungsbegründung zu Art. 3 SächsEvKV (LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 6).
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vom Berücksichtigen unterschieden. Belange, die nur zu berücksichtigen sind, können durch Abwägung überwunden werden – nicht aber Belange, die zu beachten sind. Im Ergebnis verschafft Art. 3 Abs. 3 SächsEvKV damit auch der Evangelischen Kirche ein absolutes Vetorecht. Die kirchenvertraglichen Vetorechte beziehen sich dabei nur auf die Vereinbarkeit mit Lehre bzw. Bekenntnis – und bei der katholischen Kirche auch auf den Lebenswandel. Sie erstrecken sich aber nicht auf die wissenschaftliche Qualität. Diese wird durch die Universität, insb. durch die Berufungskommission beurteilt. Das hindert die Kirche nicht, darauf bezogene Bedenken mitzuteilen, die dann in die Entscheidungsfindung einfließen, allerdings ohne jede Bindungswirkung.28 Das einfache Recht sieht entsprechende Regelungen vor, und zwar in § 105 Abs. 5 S. 1 SächsHSFG: „Vor der Berufung von Professoren, der Einstellung von Juniorprofessoren und der Bestellung von Außerplanmäßigen Professoren und Honorarprofessoren für evangelische oder katholische Theologie sowie für evangelische oder katholische Religionspädagogik ist das Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst herzustellen.“ Das Einvernehmen des Staatsministeriums wird wiederum gem. § 105 Abs. 7 SächsHSFG nur im Einvernehmen mit der Kirche erteilt. Warum diese komplizierte Regelung eines doppelten Einvernehmensvorbehaltes? Früher erfolgte die Berufung eines Professors durch das Staatsministerium. Dieses musste dann gemäß den Kirchenverträgen das Einvernehmen der Kirche einholen. Heute ist aber die Hochschule selbst für die Berufung von Professoren zuständig, und zwar der Rektor. Die Hochschule ist selbst Rechtsträger und keine Vertragspartei des Kirchenvertrages. Selbst wenn man dennoch eine Bindung der Hochschule an die Kirchenverträge konstruieren könnte, wäre zu erwarten, dass der Rektor die entlegenen Vorgaben der Kirchenverträge nicht immer im Blick hat – wohl aber das SächsHSFG. Deshalb verpflichtet ihn das SächsHSFG zur Herstellung des Einvernehmens mit dem Staatsministerium, das wiederum die Zustimmung der Kirche einholt. So wird verhindert, dass die kirchenvertraglichen Regelungen durch die neue Hochschulautonomie versehentlich unterlaufen werden. c) Nachträgliche kirchliche Bedenken gegenüber Lehre und/oder Lebenswandel eines Hochschullehrers Besonders heikel wird es, wenn erst nach der Berufung kirchliche Bedenken gegenüber einem Theologieprofessor erhoben werden. Solche Fälle kommen gelegentlich vor. Für viel Aufsehen sorgte etwa der niedersächsische Professor für 28 Regierungsbegründung zu Art. 3 SächsEvKV (LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 6).
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evangelische Theologie Lüdemann, der die Auferstehung Christi bestritt und sich auch nicht mehr als Christ bezeichnen mochte.29 Im katholischen Kirchenvertrag ist für diesen Fall erneut eine klare Regelung vorhanden, und zwar in Art. 5 Abs. 3 SächsKathKV: „Verstößt ein Hochschullehrer für katholische Theologie oder katholische Religionspädagogik gegen die Lehre der katholischen Kirche oder ist sein Lebenswandel mit den Grundsätzen der katholischen Kirche nicht mehr vereinbar und ist dies von seiten der Kirche festgestellt, wird der Diözesanbischof dies dem zuständigen Staatsministerium anzeigen. In diesem Falle kann der beanstandete Hochschullehrer seine Lehrtätigkeit in Fachgebieten der katholischen Theologie nicht mehr ausüben.“ Der betroffene Professor darf deshalb nicht mehr katholische Theologie lehren und dort nicht prüfen. Seine beamtenrechtliche Position behält er freilich. Im Fachgebiet der katholischen Theologie entsteht dann eine Lücke. Hierzu sieht der Kirchenvertrag vor, dass das Staatsministerium unverzüglich Verhandlungen mit dem Bischof über die Art und den Umfang der zu leistenden Abhilfe aufnimmt. Praktische Konsequenz ist, dass der Staat dann eine Beteiligung der Kirche an den Zusatzkosten erwartet.30 Eine ausdrückliche Parallelregelung fehlt jedoch im Evangelischen Kirchenvertrag. Die Kirche hat ein Recht zur nachträglichen Beanstandung nicht angestrebt.31 Dieser Unterschied wirkt sich nach gegenwärtiger Rechtslage nicht aus, weil das einfache Recht nicht zwischen evangelischer und katholischer Theologie unterscheidet. Vielmehr sieht § 105 Abs. 6 SächsHSFG für beide Kirchen die Möglichkeit vor, dass die Lehrtätigkeit eines Professors in den Bereichen Theologie und Religionspädagogik unterbunden wird, wenn die Voraussetzungen für seine Lehrtätigkeit nicht mehr erfüllt sind. d) Kirchliche Einwendungen gegenüber Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen Gem. Art. 3 Abs. 3 SächsEvKV und Art. 5 Abs. 4 SächsKathKV können die Kirchen Einwendungen gegenüber Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen erheben. Geschieht dies, wird die entsprechende Ordnung nicht in Kraft 29
Siehe dazu BVerfGE 122, 89 – Fall G. Lüdemann. Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420 ff. (1423); Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (113). 31 Jürgen Bergmann, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen vom 24. März 1994 aus der Sicht der evangelischen Landeskirchen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 129 ff. (143). 30
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gesetzt oder genehmigt. Im Normalfall bestehen für diese Ordnungen keine Genehmigungsvorbehalte des Staatsministeriums mehr. Dann entsteht wieder die Gefahr, dass die kirchenvertraglichen Rechte der Kirchen leer laufen. Deshalb normiert § 105 Abs. 4 SächsHSFG einen Zustimmungsvorbehalt des Staatsministeriums, soweit es um Prüfungsordnungen etc. für Theologie oder Religionspädagogik geht. Diese Zustimmung wird gem. § 105 Abs. 7 SächsHSFG nur im Einvernehmen mit der Kirche erteilt. Relevant kann das kirchliche Mitwirkungsrecht z. B. mit Blick auf das Erfordernis der Konfessionszugehörigkeit werden: Wer eine Promotion oder Habilitation in Evangelischer Theologie anstrebt, muss grundsätzlich auch evangelisch sein. Sollte die Universität dieses Erfordernis beseitigen wollen, könnte die Kirche das verhindern. 2. Bewährung in der Praxis Ähnlich wie beim Religionsunterricht gab es in den parlamentarischen Beratungen anlässlich der Zustimmungsgesetze zum evangelischen und zum katholischen Kirchenvertrag bei einigen Abgeordneten erhebliche Vorbehalte und Kritik.32 Spätestens seit der Entscheidung des BVerfG im Fall Lüdemann von 200833 dürfte aber feststehen, dass die kirchliche Mitwirkung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, selbst dann nicht, wenn ein Professor aus der Theologie ausscheiden muss. Seine Wissenschaftsfreiheit findet eine Grenze im kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Die sächsischen Regelungen haben, soweit ersichtlich, noch keine größeren Streitigkeiten ausgelöst. Augenscheinlich sichern die vertraglichen Bestimmungen sachgerechte und angemessene Lösungen. VI. Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft Das Grundgesetz äußert sich nicht explizit zu kirchlichen Hochschulen. Die Landesverfassung kennt hierzu zwei Bestimmungen. Nach Art. 107 Abs. 4 SächsVerf sind Hochschulen in freier Trägerschaft zulässig. Das können auch Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft sein. Gem. Art. 111 Abs. 1 SächsVerf sind die Kirchen und Religionsgemeinschaften berechtigt, zur Ausbildung von Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern eigene Lehreinrichtungen zu unterhalten. Diese sind staatlichen Lehreinrichtungen gleichgestellt, wenn sie den schul- und hoch32 So sah MdL Klaus Bartl, PDS, Plenarprotokoll Sachsen 1/97, S. 6764, darin eine gravierende Verletzung der Trennung von Staat und Kirche, „und zwar zum Nachteil der kritischen Distanz der Kirche gegenüber dem Staat und seinen Machtstrukturen“, aber auch einen Eingriff in die Personalhoheit der Hochschulen. – Auch 1996 hielt MdL Werner Bramke, PDS, Plenarprotokoll Sachsen 2/48 S. 3482, die „existenzverunsichernde Beobachtung des Lebenswandels eines Hochschullehrers von seiten der Kirche“ für unvereinbar mit der Freiheit von Forschung und Lehre, ebenso MdL Peter Porsch, PDS, Plenarprotokoll Sachsen 2/48 S. 3485. 33 BVerfGE 122, 89 – Fall G. Lüdemann.
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schulrechtlichen Bestimmungen entsprechen. Die eigenen Lehreinrichtungen können also auch als Hochschule zu qualifizieren sein. An diese landesverfassungsrechtlichen Vorgaben knüpfen die kirchenvertraglichen Regelungen in Art. 4 SächsEvKV und Art. 6 SächsKathKV an. Art. 4 SächsEvKV Kirchliche Hochschulausbildung
Art. 6 SächsKathKV Kirchliche Hochschulausbildung
(1) Die Kirchen haben das Recht, eigene Ausbildungsstätten, insbesondere für Theologen, Religionspädagogen, Kirchenmusiker, Sozial- und Gemeindepädagogen sowie andere vergleichbare Berufe, einzurichten. Sie sind den staatlichen Lehreinrichtungen gleichgestellt, wenn sie den hochschulrechtlichen Bestimmungen entsprechen.
(1) Die katholische Kirche hat das Recht, eigene Ausbildungsstätten, insbesondere für Theologen, Religionspädagogen, Kirchenmusiker, Sozial- und Gemeindepädagogen sowie andere vergleichbare Berufe einzurichten. Diese sind den staatlichen Lehreinrichtungen gleichgestellt, wenn sie den hochschulrechtlichen Bestimmungen entsprechen.
(2) Die Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung sowie der Umfang der Beteiligung des Freistaates an deren Sachund Personalkosten können durch besondere Vereinbarungen geregelt werden.
Die Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung sowie der Umfang der Beteiligung des Freistaates an deren Sachund Personalkosten können durch besondere Vereinbarungen geregelt werden.
Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2: „Eine entsprechende Vereinbarung kann sowohl allgemein als auch im Hinblick auf die konkrete kirchliche Lehreinrichtung erfolgen.“
Schlußprotokoll zu Art. 6 Abs. 2: „Eine entsprechende Vereinbarung kann sowohl allgemein als auch im Hinblick auf die einzelne kirchliche Lehreinrichtung erfolgen.“
Auf evangelischer Seite gibt es drei Hochschulen, mit Schwerpunkten z. B. zur Religionspädagogik und Gemeindepädagogik in Moritzburg, zur Sozialarbeit oder zur Kirchenmusik in Dresden. Auf katholischer Seite fehlen solche Hochschulen. Nach Abs. 2 kann der „Umfang der Beteiligung des Freistaates an deren Sachund Personalkosten . . . durch besondere Vereinbarungen geregelt werden“. Eine solche Vereinbarung zur Kostenbeteiligung der öffentlichen Hand existiert, soweit ersichtlich, nur zur Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden.34 Diese Vereinbarung nimmt jedoch keinen Bezug auf den Kirchenvertrag. Vielmehr handelt es sich um einen Sonderfall: Trägerin dieser Hochschule ist 34 Vertrag zwischen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, der Stiftung „Evangelische Fachhochschule für Soziale Arbeit“ in Dresden als Trägerin der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden und dem Freistaat Sachsen über den Betrieb und die Finanzierung der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden sowie der Bereitstellung von Räumlichkeiten durch den Freistaat Sachsen vom 5. Juli 2011 unter: http://studip.ehs-dresden.de/sendfile.php?type=0&file_id=fbca7baf 88899e9c37385b201eb23a7f&file_name=I_2_Vertrag_zwischen_Kirche_und_Freistaat!. pdf (abgerufen am: 22.09.2015).
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eine Stiftung bürgerlichen Rechts, an der sich neben verschiedenen kirchlichen Rechtsträgern auch der Freistaat beteiligt hat. Im Zuge dieser Beteiligung unterstützen die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens und – zum größeren Teil – der Freistaat die Hochschule durch Finanzmittel. Rechtsgrundlage ist ein Vertrag zwischen Stiftung, Kirche und Freistaat vom 5.7.2011.35 VII. Kirchliche Bildungsstätten zur Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter in Diakonie und Caritas Soeben standen Hochschuleinrichtungen zur Ausbildung für kirchennahe Berufe in Rede. Art. 20 SächsEvKV und Art. 9 SächsKathKV treffen parallele Regelungen für kirchliche Bildungsstätten zur Aus-, Fort- und Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter in Diakonie und Caritas. Hier handelt es sich z. B. um Fachschulen für Sozialwesen, also um schulische Angebote. Hier werden z. B. Erzieher oder Sozialassistenten ausgebildet. Art. 20 SächsEvKV Soziale und diakonische Einrichtungen
Art. 9 SächsKathKV Pastorale und karitative Einrichtungen
(1) Die Kirchen und ihre diakonischen Werke haben das Recht, im Sozial- und Gesundheitswesen eigene Einrichtungen für die Betreuung und Beratung besonderer Zielgruppen zu unterhalten. Soweit diese Einrichtungen gemeinwohlbezogene Aufgaben erfüllen und unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit in Anspruch genommen werden können, haben deren Träger Anspruch auf eine angemessene Förderung.
(1) Die Bistümer, kirchlichen Verbände und karitativen Organisationen haben das Recht, im Pastoralbereich sowie im Sozial- und Gesundheitswesen eigene Einrichtungen für die Betreuung und Beratung besonderer Zielgruppen zu unterhalten. Soweit diese Einrichtungen gemeinwohlbezogene Aufgaben erfüllen und unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit in Anspruch genommen werden können, haben deren Träger Anspruch auf eine angemessene Förderung.
(2) Für die Aus-, Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter in den in Absatz 1 genannten Bereichen können die Kirchen oder ihre diakonischen Werke eigene Bildungsstätten betreiben.
(2) Für die Aus-, Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter in den in Absatz 1 genannten Bereichen kann die katholische Kirche eigene Bildungsstätten betreiben.
Schlußprotokoll zu Art. 20 Abs. 1 S. 2: Schlußprotokoll zu Art. 9 Abs. 1 S. 2: „Die Vertragsparteien gehen davon aus, „Die Vertragsparteien gehen davon aus, daß die kirchlichen Träger Fördermittel in daß die kirchlichen Träger Fördermittel in 35 Vertrag zwischen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, der Stiftung „Evangelische Fachhochschule für Soziale Arbeit“ in Dresden als Trägerin der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden und dem Freistaat Sachsen über den Betrieb und die Finanzierung der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden sowie der Bereitstellung von Räumlichkeiten durch den Freistaat Sachsen vom 5. Juli 2011 unter: http://studip.ehs-dresden.de/sendfile.php?type=0&file_id=fbca7baf 88899e9c37385b201eb23a7f&file_name=I_2_Vertrag_zwischen_Kirche_und_Freistaat!. pdf (abgerufen am: 22.09.2015).
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derselben Höhe beanspruchen können wie derselben Höhe beanspruchen können wie kommunale oder andere freie Träger, die kommunale oder andere freie Träger, die vergleichbare Leistungen erbringen.“ vergleichbare Leistungen erbringen.“ Schlußprotokoll zu Art. 20 Abs. 2: „Die Abschlüsse an den kirchlichen Ausbildungseinrichtungen werden staatlich anerkannt, wenn die Gleichwertigkeit mit entsprechenden staatlichen Ausbildungsgängen gewährleistet ist. Die Entscheidung hierüber trifft das zuständige Staatsministerium. Diese Bildungsstätten sind nach allgemeinen Grundsätzen zu fördern.“
Schlußprotokoll zu Art. 9 Abs. 2: „Die Abschlüsse an den kirchlichen Ausbildungseinrichtungen werden staatlich anerkannt, wenn die Gleichwertigkeit mit entsprechenden staatlichen Ausbildungsgängen gewährleistet ist. Die Entscheidung hierüber trifft das zuständige Staatsministerium. Diese Bildungsstätten sind nach allgemeinen Grundsätzen zu fördern.“
Art. 20 Abs. 1 SächsEvKV und Art. 9 SächsKathKV bekräftigen zunächst das Recht, eigene Bildungsstätten für die Mitarbeiter in Diakonie und Caritas zu betreiben. Das Schlußprotokoll ergänzt, dass die Abschlüsse dieser Bildungsstätten im Falle der Gleichwertigkeit mit staatlichen Ausbildungsgängen staatlich anerkannt werden. Ferner stellt das Schlußprotokoll klar, dass diese Bildungsstätten nach allgemeinen Grundsätzen zu fördern sind. Anwendbar können z. B. die Regelungen der Ersatzschulfinanzierung sein. VIII. Kirchliche Jugendarbeit und Erwachsenenbildung Bislang standen Schule und Hochschule im Mittelpunkt. Ganz im Sinne des lebenslangen Lernens wirken die Kirchen auch in der vor- und außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit sowie in der Erwachsenenbildung mit und halten dort eigene Bildungsangebote bereit. Beide Kirchenverträge bieten hierzu knappe Aussagen. Art. 7 SächsEvKV Jugendarbeit und Erwachsenenbildung
Art. 7 SächsKathKV Jugendund Erwachsenenbildung
(1) Die kirchliche Jugendarbeit steht unter staatlichem Schutz; sie wird im Rahmen der allgemeinen staatlichen Förderung und innerhalb der jugendpolitischen Gremien des Freistaates angemessen berücksichtigt.
(1) Die kirchliche Jugendarbeit wird im Rahmen der allgemeinen staatlichen Förderung und innerhalb der jugendpolitischen Gremien des Freistaates angemessen berücksichtigt.
(2) Die Freiheit der Kirche, in der Erwach- (2) Die Freiheit der Kirche, in der Ersenenbildung tätig zu sein, wird durch den wachsenenbildung tätig zu sein, wird Freistaat gewährleistet. durch den Freistaat gewährleistet.
Die kirchliche Jugendarbeit steht unter staatlichem Schutz; sie wird im Rahmen der allgemeinen staatlichen Förderung und innerhalb der jugendpolitischen Gremien des Freistaates angemessen berücksichtigt (Art. 7 Abs. 1 SächsEvKV = SächsKathKV). Diese Regelung deckt sich mit den landesverfassungsrechtlichen
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Vorgaben in Art. 110 Abs. 1 und 2. Auch einfachrechtlich werden z. B. kirchliche Kindertagesstätten genauso behandelt wie andere nichtstaatliche Einrichtungen, gerade auch mit Blick auf den Umfang der finanziellen Unterstützung. Angemerkt sei, dass diese Gleichstellung keineswegs selbstverständlich ist. In NRW werden die Kirchen als reiche Träger eingestuft und erhalten deshalb eine geringere Förderung als andere Träger. Art. 7 Abs. 2 SächsEvKV und gleich lautend Art. 7 Abs. 2 SächsKathKV gewährleisten das Recht der Kirchen, in der Erwachsenenbildung tätig zu sein. Im Ergebnis entspricht dies der landesverfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 108 Abs. 2 SächsVerf, wobei dort nur allgemein freie Träger genannt werden, ohne explizite Nennung der Kirchen und Religionsgemeinschaften. In den parlamentarischen Beratungen zeigte sich ein Abgeordneter der PDS skeptisch gegenüber der „Freiheit der Kirche, in der Erwachsenenbildung tätig zu sein“. Das sei zumindest missverständlich.36 In der Tat ist es bemerkenswert, dass hier ausdrücklich von der Freiheit der Kirche die Rede ist. Gerade angesichts der vorhergehenden Erfahrungen in der DDR ist es indessen ein berechtigtes und wichtiges Ziel der Kirchenverträge, die Freiheit der Kirchen vom Staat zu sichern.37 Es geht also nicht nur um Koordination von Staat und Kirche – wie beim Religionsunterricht oder den theologischen Fakultäten. Es geht auch nicht nur um Förderung gemeinwohldienlichen Handelns der Kirchen. Die kirchenvertraglichen Regelungen zur kirchlichen Jugendarbeit und Erwachsenenbildung behandeln die Kirchen letztlich genauso wie alle anderen freien Träger, ohne sie besser zu stellen. Es geht vielmehr auch um Freiheit. IX. Perspektiven und Fazit Die bildungsbezogenen Regelungen des evangelischen und des katholischen Kirchenvertrages haben sich auf das Ganze betrachtet sicherlich bewährt – was auch nicht überrascht, weil die Regelungen viele Parallelen in anderen Kirchenverträgen finden. Vergleicht man alle drei Verträge fällt sofort auf, dass im Vertrag mit den jüdischen Gemeinden keine Regelungen zum Bildungsbereich enthalten sind. Die Kürze dieses Vertrages erklärt sich gewiss auch dadurch, dass zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen die drei jüdischen Gemeinden insgesamt nur 150 Mitglie-
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MdL Klaus Bartl, PDS, Plenarprotokoll Sachsen 1/97, S. 6764. Zur freiheitsbezogenen Deutung der ostdeutschen Kirchenverträge: Michael Germann, Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer: Eine dritte Generation im Vertragsstaatskirchenrecht, in: Mückl (Hrsg.): Das Recht der Staatskirchenverträge. Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach, 2007, S. 91 ff. (105 ff.). 37
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der hatten.38 Heute sind diese Gemeinden stark angewachsen, was neue Aktivitäten etwa im Bereich der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung ermöglicht. Diese Regelungsbereiche könnten durchaus in den Vertrag nachgetragen werden. Denkbar wären ggf. auch Bestimmungen zur Absicherung der Forschungseinrichtungen zum Judentum und zur jüdischen Geschichte an der Universität Leipzig oder zur Freistellung von Schülern, die den jüdischen Glaubensunterricht besuchen, von der Pflicht, am Ethikunterricht teilzunehmen. Bislang ist dies nur in einer Verwaltungsvorschrift39 geregelt, könnte also kirchenvertraglich bekräftig werden. In vielen Bundesländern wird diskutiert, ob neben den Verträgen mit den Kirchen und den jüdischen Gemeinden auch Verträge mit Islamverbänden geschlossen werden sollten. Diese Frage stellt sich vermutlich in Sachsen noch nicht mit der Vehemenz wie in anderen Ländern, in denen der Bevölkerungsanteil von Menschen muslimischen Glaubens deutlich höher ist. Wenn der Vertrag mit den jüdischen Gemeinden erweitert oder Verträge mit Islamverbänden geschlossen werden sollten, würden der evangelische und katholische Kirchenvertrag jedenfalls erprobte Vorbilder liefern – mit zuverlässigen Vertragspartnern auf beiden Seiten.
38 Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (123). 39 Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Durchführung des Religionsunterrichts und des Ethikunterrichts im Freistaat Sachsen vom 29. September 2004 (MBl. SMK 2004 Nr. 11 S. 414), zuletzt geändert durch die Verwaltungsvorschrift vom 12. März 2007 (MBl. SMK 2007 S. 69).
Anstaltsseelsorge und Diakonie in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen Von Josef Isensee I.
Trennung – Eigenständigkeit – Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Anstaltsseelsorge und Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Themen des Landesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschließliche und konkurrierende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Gefängnisseelsorge als Beispiel der Anstaltsseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand der Kirchenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtliche Ausgangslage der Gefängnisseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufgabenteilung zwischen Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Diakonie (Caritas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesentliche Aufgabe der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Perspektiven von Diakonie und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kirchliches Proprium im sozialstaatlichen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der sichtbare Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das diakonische Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Loyalitätsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Dritter Weg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die religiöse Kapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Trennung – Eigenständigkeit – Vertrag Im Plenarsaal des Landtags feiert Dresden sein zweites Blaues Wunder: die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen. In der Tat kommen sie einem Wunder nahe. Vor dreißig Jahren wären Verträge dieser Art und dieses Inhalts undenkbar gewesen. Vor zwanzig Jahren aber wurde das Unwahrscheinliche Ereignis: dass sich Staat und Kirche auf der Grundlage beiderseitiger Unabhängigkeit und in Achtung vor ihrem jeweiligen Auftrag verständigten – nach zwei totalitären Systemen, nach der Vertreibung der Kirchen aus der Öffentlichkeit, nach der planmäßigen Verödung der christlichen Wurzeln der Gesellschaft, nach planmäßiger Paganisierung.1 Am Ende der DDR war der christliche Anteil an der Bevölke1 Zum Staatskirchenrecht der DDR Axel Freiherr v. Campenhausen, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staats-
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rung Sachsens auf ein Drittel des Bestandes von 1945 gesunken. Im Jahre 1992, zur Zeit der Verfassungsberatungen, waren gerade noch 27,5% der Sachsen evangelisch und 3,9% katholisch – Tendenz fallend. 2008 nennt die Statistik 20,7% Protestanten und 3,6% Katholiken.2 Die DDR ist in ihrem Endziel, das kommunistische Heilsreich heraufzuführen, jämmerlich gescheitert. Dagegen war sie in ihrem Zwischenziel in einem hohen Grade erfolgreich: die bürgerliche Gesellschaft wie auch das religiöse Leben zu zerstören. Alldem zum Trotz: die Kirchen haben überlebt. In der Zeit der Unterdrückung hatten sie sich im Kern resistent erwiesen gegenüber der SED-Herrschaft und der Opposition Zuflucht geboten. Als die Stunde der Freiheit anbrach, gingen aus den Kirchen Kräfte der friedlichen Revolution hervor.3 Der wiedererstandene Freistaat Sachsen lädt nunmehr die Kirchen ein, am Aufbau einer freiheitlichen, pluralen Gesellschaft mitzuwirken, und richtet gerade auf sie Hoffnungen, dass sie heilsamen Einfluss in der schwierigen Zeit des Neuanfangs ausüben können.4 Die Verfassung erkennt die Bedeutung an, die sie „für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens“ haben.5 Die Präambel des Evangelischen Kirchenvertrages spricht vom „Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung für das Wohl des Landes“. Noch deutlicher heißt es in der Präambel des drei Jahre jüngeren Vertrages des Heiligen Stuhls mit dem Lande Mecklenburg-Vorpommern, „daß christlicher Glaube, kirchliches Leben und karitatives Wirken einen Beitrag für das Gemeinwohl und den Gemeinsinn der Bürger in einer pluralen Gesellschaft leisten“.6 Man kann sich nur schwer vorstellen, dass ein „altes“, westliches Bundesland solch eine Anerkennung heute ausspräche. Völlig ausgeschlossen ist das für die Europäische Union, die, so üppig auch ihre Verfassungspräambeln ausfallen, ihre Christophobie kultiviert und schon das Wort christlich meidet wie der Teufel das Weihwasser. Aus der gesellschaftlichen Minderheitsposition erwachsen den Kirchen Probleme, die in diesem Maße in den westlichen Bundesländern nicht bestehen: wie rechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, 1. Aufl. 1997, § 207 Rdnr. 9 ff. Vgl. auch Richard Puza, Verträge zwischen Kirche und Staat in den neuen Bundesländern, in: Theologische Quartalschrift 176 (1996), S. 177 ff. (180 ff.); Guido Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998, S. 25 ff.; Stefan Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 17 ff. 2 Statistik: Annette Rehfeld-Staudt, Kirchen in Sachsen, unter: http://www.infoseiten. slpb.de/politik/sachsen/sachsen-allgemein/religion/ (abgerufen am 12.08.2015). 3 Zu diesem Motiv des sächsischen Staatskirchenrechts Helmut Goerlich/Torsten Schmidt, Das Staatskirchenrecht der Sächsischen Verfassung vom 27. Mai 1992, in: Uhle (Hrsg.): 20 Jahre Sächsische Verfassung, 2013, S. 111 ff. (123 f.). 4 Axel Vulpius, Betrachtungen zu den evangelischen Kirchenverträgen in den neuen Ländern, in: Grabenwarter/Lüdecke (Hrsg.): Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, S. 217. 5 Art. 109 Abs. 1 SächsVerf. 6 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997 (GVOBl. MV 1998 S. 2).
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sie ihre verfassungs- und vertragsrechtlichen Sonderrechte gegenüber einer kirchenfremden Öffentlichkeit rechtfertigen,7 aber auch, wie sie den weiten Freiraum nutzen, den ihnen das staatliche Recht offenhält. Diese Probleme nehmen freilich auch in der „alten“ Bundesrepublik zu. Seit langem zeigen sich hier Ermüdungserscheinungen und Legitimationsdefekte. Die Verfassung des Freistaates Sachsen macht sich das gemeindeutsche Konzept der Staat-Kirchen-Beziehungen zu eigen, formuliert es deutlicher und gestaltet es weiter aus als das Grundgesetz. Sie begnügt sich nicht damit, auf Weimarer Kirchenartikel zu verweisen; das tut sie freilich auch. Vielmehr setzt sie eigene Akzente, die, wenn auch nicht durchwegs in der Sache, so jedenfalls in der ausdrücklichen Regelung, über das Grundgesetz hinausgehen.8 Sie nennt die Kirchen als die Prototypen der Regelungsadressaten beim Namen und stellt sie neben die (übrigen) Religionsgemeinschaften.9 Sie führt widerstrebende Prinzipien zusammen: die Weltlichkeit des Staates und die Freiheit der Kirche; die Säkularität als äußere Grenze staatlicher Allzuständigkeit und die grundrechtliche Freiheit der Religion als innere Grenze; die Trennung von Staat und Kirche und ihren freundschaftlichen Umgang; die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat und ihre Förderung durch den Staat; die wesenhafte Unterschiedlichkeit von Staat und Kirche und ihre praktische Konvergenz in ihrem heterogenen Dienst für das Gemeinwohl. Der Trennung ist politische Feindseligkeit ebenso fremd wie laikale Berührungsscheu. Vielmehr gewährleistet die Verfassung die Eigenständigkeit beider Seiten in ihrem jeweiligen, hier säkularen, dort religiösen Wirkungskreis. Sie verbindet die Sorge um dieselben Menschen. Ihre Aufgaben überschneiden und ihre Mittel ergänzen sich teilweise. Zusammenarbeit ist daher sinnvoll. Die Staatsverfassung und das für alle geltende Gesetz enthalten nur abstrakte und sektorale Vorgaben. Die Verfassung verweist ausdrücklich auf den Vertrag als die Form, in der die Beziehungen des Landes zu den Kirchen des weiteren und des näheren („im übrigen“) geregelt werden.10 Das Institut des Ver7 Dazu Christoph Degenhart, in: Degenhart/Meissner (Hrsg.): Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen, 1997, § 9 Rdnr. 5; Hermann Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche in den neuen Bundesländern, in: Kästner/Nörr/ Schlaich (Hrsg.): Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, 1999, S. 463 ff. (493); Axel Vulpius, Betrachtungen zu den evangelischen Kirchenverträgen in den neuen Ländern, in: Grabenwarter/Lüdecke (Hrsg.): Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, S. 217. 8 Das sächsische Religionsverfassungsrecht im Verfassungsvergleich: Helmut Goerlich/Torsten Schmidt, Das Staatskirchenrecht der Sächsischen Verfassung vom 27. Mai 1992, in: Uhle (Hrsg.): 20 Jahre Sächsische Verfassung, 2013, S. 111 ff. (122 ff.). 9 Im Folgenden soll zur Vereinfachung nur von den Kirchen die Rede sein, obwohl die paritätische Übertragung auf vergleichbare Religionsgemeinschaften als Möglichkeit immer mitzudenken bleibt. 10 Art. 109 Abs. 2 SächsVerf. Zum sächsischen Vertragskirchenrecht: Helmut Goerlich/Torsten Schmidt, Das Staatskirchenrecht der Sächsischen Verfassung vom 27. Mai 1992, in: Uhle (Hrsg.): 20 Jahre Sächsische Verfassung, 2013, S. 111 ff. (113 ff.).
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trages baut auf der rechtlichen Unabhängigkeit der Partner und auf der praktischen Konvergenz in verschiedenen ihrer Ziele. Es eröffnet die Möglichkeit, widerstreitende Interessen auszugleichen und sich im gemeinsamen Interesse zu verbinden. All diese Momente bringen sich in den Kirchenverträgen des Freistaates glücklich zur Geltung.11 II. Anstaltsseelsorge und Diakonie 1. Themen des Landesrechts Anstaltsseelsorge und Diakonie sind Themen des Vertrags des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen12 und mit dem Heiligen Stuhl.13 Der evangelische Vertrag von 1994 geht dem katholischen von 1996 um zwei Jahre voraus. Er ist das Vorbild. Der Einfachheit halber orientiere ich mich im Folgenden am Text des älteren Vertrages, der ohnehin weitgehend wörtlich im jüngeren Vertrag wiederkehrt. Die beiden Verträge sowie ihre Ausführungsvereinbarungen regeln praxiserhebliche Funktions-, Personal-, Raum- und Finanzfragen. Anstaltsseelsorge und Diakonie waren zuvor bereits Gegenstände der Verfassung des Freistaates. Sie gewährleistet die diakonische und karitative Arbeit (Art. 109 Abs. 3), und sie bietet den Kirchen einen Anspruch auf angemessene Kostenerstattung durch das Land, wenn sie im öffentlichen Interesse liegende gemeinnützige Einrichtungen und Anstalten unterhalten (Art. 110 Abs. 1). Die Anstaltsseelsorge wird indirekt zum Regelungsgegenstand der Verfassung über die nach grundgesetzlichem Muster erfolgende Verweisung auf einen Weimarer Kirchenartikel, nämlich auf Art. 141 WRV: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffent-
11 Dokumentation: Reiner Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 169 ff. Dort auch die Berichte über die Vertragsverhandlungen: aus der Sicht des Freistaates Sachsen (Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus Sicht des Freistaates Sachsen, in: ebda., S. 45 ff.), aus der Sicht der evangelischen Landeskirchen (Jürgen Bergmann, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen vom 24. März 1994 aus Sicht der evangelischen Landeskirche, in: ebda., S. 129 ff.) und der katholischen Kirche (Dieter Grande, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996 aus Sicht der katholischen Kirche, in: ebda., S. 151 ff.). 12 Art. 20 Abs. 1 des Vertrags des Freistaates Sachsen mit den Evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen (Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen [SächsEvKV]) vom 24. März 1994 (SächsGVBl. S. 1252 ff.). 13 Art. 9 Abs. 1 des Vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen [SächsKathKV]) vom 2. Juni 1996 (SächsGVBl. 1997 S. 17 ff.).
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lichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist“. Die rechtliche Bedeutung der landesverfassungsrechtlichen Regelungen wird freilich von vornherein eingeschränkt dadurch, dass die Gesetzgebungs- oder sogar die Verwaltungskompetenz in erheblichem Umfang beim Bund liegt. So fällt die Militärseelsorge völlig in den Bundesbereich; die Seelsorge im Justizvollzug findet einen bundesgesetzlichen Rahmen im Strafvollzugsgesetz (§§ 53–55). Die Diakonie kommt mit den Sozialgesetzen, dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Berufsbildungsgesetz des Bundes in Berührung, nicht zuletzt mit dem Arbeitsrecht, das seinerseits durch europarechtliche Vorgaben imprägniert ist. Die staatlichen Determinanten für diakonische Einrichtungen reichen bis in die Personalschlüssel hinein. Es zeigt sich, dass jede einzelne Regelung nur als Bestandteil eines größeren, differenzierten Ganzen zu verstehen ist, das sich aus Verfassung und einfachem Recht, aus Gesetz und Vertrag, Bundesrecht und Landesrecht, supranationalem und nationalem Recht, aus staatlichem und kirchlichem Recht zusammensetzt. 2. Ausschließliche und konkurrierende Aufgaben Anstaltsseelsorge und Diakonie sind auf Zusammenarbeit von Staat und Kirche angelegt. Doch die Ausgangslage ist unterschiedlich. Die Seelsorge ist dem säkularen Staat verschlossen, die Anstaltsgewalt aber entzieht sich der Kirche. Die Kirche kann ihrer ureigenen Aufgabe der Seelsorge in den staatlichen Räumen des Kindergartens, des Pflegeheims, des Krankenhauses und der Polizeikaserne nur nachgehen, wenn der Staat ihr die Türe öffnet. Er bietet ihr die äußeren Bedingungen ihres Wirkens, ohne auf dessen Inhalt Einfluss zu nehmen. Werden in der Anstaltsseelsorge ausschließlich staatliche und ausschließlich kirchliche Aufgaben koordiniert, so treffen auf dem Felde der Diakonie Materien aufeinander, für die keine Seite eine exklusive Kompetenz beanspruchen kann. Beide Seiten betreiben aus eigenem Recht Kindergärten und Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime und bieten soziale Dienste aller Art. Die kirchlichen Einrichtungen folgen nicht allein kirchlichem Recht. Vielmehr legt der Staat in vielerlei Hinsicht die rechtlichen Rahmenbedingungen fest. Das Staatsrecht spricht hier von konkurrierenden Staatsaufgaben,14 das Kirchenrecht von res mixtae.
14 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3 Aufl. 1914, S. 255 ff. (259); Josef Isensee, Karitative Betätigung der Kirche im Verfassungsstaat, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 ff. (689 f.).
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III. Gefängnisseelsorge als Beispiel der Anstaltsseelsorge 1. Gegenstand der Kirchenverträge Die Kirchenverträge15 gewährleisten „Gottesdienst und Seelsorge in staatlichen Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten, Polizeiausbildungsstätten und entsprechenden Einrichtungen des Freistaates“. Der Freistaat übernimmt die Sorge dafür, dass die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung stehen. Er behält sich vor, dass das zuständige Staatsministerium ins Benehmen gesetzt wird, wenn die Kirchenleitung einen Anstaltspfarrer beruft. Das Gros der Regelungen über das Zusammenwirken von Staat und Kirche in der Anstaltsseelsorge wird auf besondere Vereinbarungen verlagert, die heute für die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, in Krankenhäusern und für die Polizeiseelsorge vorliegen.16 Die Anstaltsseelsorge, die hier als Sonderseelsorge firmiert, hat vielfältige Erscheinungen. Prototyp ist die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten. Hier geben sich die Eigenart dieser Materie und die besondere Form der Zusammenarbeit von Staat und Kirche besonders klar zu erkennen. 2. Grundrechtliche Ausgangslage der Gefängnisseelsorge Die Gefängnisseelsorge gründet letztlich in der Religionsfreiheit des einzelnen Gefangenen. Die Gefangenschaft hindert ihn, sein Grundrecht aktiv wahrzunehmen. Wer die Freiheit der Person genießt und selbst über seinen Aufenthalt bestimmt, entscheidet von sich aus, ob und wie er seine Religion ausübt und am kirchlichen Leben teilnimmt. Das ist seine Privatangelegenheit, wie es auch seine 15
Art. 20 SächsEvKV und Art. 9 SächsKathKV. Art. 4 Vereinbarung des Freistaates Sachsen mit den Evangelischen Kirchen im Freistaat Sachsen zur Regelung der seelsorgerischen Tätigkeit in Justizvollzugsanstalten vom 25. Januar 1993 (= EvSeelsorgeV) (ABl. EKKPS 1994 S. 97). Das katholische Pendant: Vereinbarung des Freistaates Sachsen mit dem Bistum Meißen, der Apostolischen Administratur Görlitz und dem Bischöflichen Amt Magdeburg zur Regelung der seelsorgerischen Tätigkeit in den Justizvollzugsanstalten vom 15. Januar 1993 (Schlußprotokoll zu Art. 12 Abs. 3 SächsKathKV). Literatur zur Rechtslage: Dietrich Pirson, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 23 (1989), S. 4 ff. (23); Balthasar Gareis, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 23 (1989), S. 58 ff. (68 f.); Susanne Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, in: Listl/ Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 70, S. 995 ff. (998 f.); Stefan Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 161 Rdnr. 56 und 58 f.; Guido Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998, S. 175 ff.; Stefan Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 160 ff. Zur Praxis: Wolfram Reiss, Anwalt für religiöse Bedürfnisse, in: Weiß/Federschmitt/Temme (Hrsg.): Handbuch für interreligiöse Seelsorge, 2010, S. 299 ff.; Markus Heintzen, Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei, in: Blanke et alii (Hrsg.): 50 Jahre Seelsorgevereinbarungen in Bundesgrenzschutz und Bundespolizei, 2015, S. 55 ff. 16
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Privatangelegenheit ist, für seine Ernährung zu sorgen, sich um Kleidung und Wohnung zu kümmern. In der Haft fällt die Sorge für die materiellen wie für die spirituellen Bedürfnisse dem Staat zu.17 Dieser aber vermag in seiner säkularen Begrenztheit von sich aus keine religiösen Leistungen wie Gottesdienst und pastorale Betreuung zu erbringen, so dass ihm nur die Möglichkeit bleibt, religiösen Institutionen, die das Bedürfnis des Häftlings erfüllen können, den Zugang zum Inhaftierten zu öffnen. Die Religionsfreiheit, an sich auf Abwehr des Staates angelegt, verwandelt sich in der Sonderbeziehung des Strafvollzugs in einen Leistungsanspruch. Der status negativus schlägt um in den status positivus. Der säkulare Staat ist grundrechtlich verpflichtet, dem Häftling die Voraussetzungen für die Religionsausübung, damit den Kontakt zur Kirche, zu gewährleisten.18 Für die Kirche aber ist es heilige Pflicht, sich den Gefangenen zuzuwenden. Aufforderung und Drohung zugleich ist das Wort Christi beim Weltgericht: „Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen“ – oder aber: „[. . .] ihr habt mich nicht besucht“ (Mt 25, 36 und 43).19 Verfassungsrechtlich gesehen, besteht eine Dreieckskonstellation zwischen dem Häftling als dem Adressaten der Anstaltsseelsorge, dem Staat als deren Mittler und der Kirche als deren Erbringer. Am Anfang steht der Gefangene, der als Person und Inhaber grundrechtlicher Freiheit zu achten ist. Von ihm her bestimmt sich die Fürsorgepflicht des staatlichen Trägers der Anstalt und das Angebot religiöser Dienste, die die Kirche leistet. Gleichwohl bleibt auch unter den Bedingungen der Haft die negative Religionsfreiheit erhalten. Der Einzelne entscheidet, ob er am Gottesdienst teilnimmt und pastorale Dienste empfängt. Falls niemand das Verlangen nach Gottesdienst und Seelsorge spürt, finden sie auch nicht statt. Die Verfassung knüpft die Zulassung der Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen an das Vorliegen eines Bedürfnisses. Der Wunsch nach Seelsorge muss jedoch nicht ausdrücklich geäußert werden. Ein Bedürfnis ist schon dann gegeben, wenn Häftlinge der
17 So sieht es die Regierungsbegründung zu Art. 13 SächsEvKV (LT-Drs. Sachsen 1/ 4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 18) wie zu Art. 12 SächsKathKV (LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen [Katholischer Kirchenvertrag Sachsen], S. 20): daß sich die Anstaltsseelsorge auch auf einen Personenkreis bezieht, der in seiner Bewegungsmöglichkeit eingeschränkt und deshalb am Besuch des Gottesdienstes wie auch allgemein in der Nachfrage nach seelsorgerischer Betreuung gehindert sei, wie es vor allem für Krankenhäuser und Justizvollzugsanstalten zutreffe. 18 Grundlegend Wolfgang Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 435 f. und 444. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Militärseelsorge: Jörg Ennuschat, Militärseelsorge, 1996, S. 108 ff. 19 Zum kirchlichen Auftrag Balthasar Gareis, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 23 (1989), S. 58 ff. (65 f. und 83 f.).
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jeweiligen Kirche angehören und sie die religiöse Betreuung nicht ausdrücklich ablehnen.20 Die Religionsfreiheit aktualisiert sich sowohl als Abwehrrecht wie auch als Schutzpflicht. Der Staat steht dafür ein, dass bei religiösen Kontakten „jeder Zwang fernzuhalten ist“.21 Das gilt für Zwang von Seiten der Anstalt wie von Seiten der Religionsgemeinschaft. Der Staat benutzt die Anstaltsseelsorge nicht als Instrument dazu, die Häftlinge mit pastoralen Mitteln resozialisieren zu lassen. Die Resozialisierung mag erwünschte Folge der Anstaltsseelsorge sein; ihr Zweck ist es nicht. Im Übrigen nutzt die Kirche die Situation, in der ihr inhaftierter Adressat ihr nicht ausweichen kann, nicht aus, um ihn umzuerziehen, zu missionieren und ihm ihre Botschaft aufzudrängen.22 Vom kirchlichen Angebot gehen auch außerreligiöse Anreize aus. Es bringt Farbe in den grauen Zellenalltag und Würze in das fade Gefangenenleben. In der Strafanstalt finden sich viel mehr Sänger für den Kirchenchor und viel mehr Messdiener als außerhalb der Gitter. Überhaupt liegt die Quote der Gottesdienstbesucher deutlich über dem außeranstaltlichen Niveau. 3. Aufgabenteilung zwischen Staat und Kirche Die Seelsorgevereinbarung zwischen den Evangelischen Kirchen und dem Freistaat Sachsen sieht für den Anstaltspfarrer pastorale Aufgaben vor: regelmäßige Gottesdienste, Einzelseelsorge einschließlich der Zellenbesuche und Aussprache mit einzelnen Gefangenen, ferner die Abnahme der Beichte, Spende der Sakramente, Krankenseelsorge, Beratung und Beistand der Angehörigen.23 Der offene Katalog der Aufgaben nennt aber auch die Mitwirkung beim Vollzugsplan und in der Freizeitgestaltung, bei Gnadensachen, soziale Hilfe für den Gefangenen und seine Familie, Hilfe zur Wiedereingliederung, Rat für die Anschaffung von Büchern der Gefangenenbibliothek. Hier handelt es sich aber nicht mehr um Anstaltsseelsorge, sondern um Sozialarbeit. Diese wird von der Verfassungsgarantie 20 Dietrich Pirson, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 23 (1989), S. 4 ff. (12); Susanne Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 70, S. 995 ff. (1002 und 1009); Stefan Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 161 f. 21 Art. 141 WRV (Art. 140 GG, Art. 109 Abs. 4 SächsVerf). 22 Vgl. Susanne Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 70, S. 995 ff. (1009). Dagegen werden evangelikale Gruppen und Zeugen Jehovas missionarische Aktivitäten entwickeln, weil diese ihrem Religionssinn entsprechen (Wolfram Reiss, Anwalt für religiöse Bedürfnisse, in: Weiß/Federschmitt/Temme [Hrsg.]: Handbuch für interreligiöse Seelsorge, 2010, S. 305). 23 Art. 4 Abs. 1 EvSeelsorgeV.
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der Anstaltsseelsorge nicht erfasst, die nur einen Mindeststandard kirchlichen Wirkens im Anstaltsbereich garantiert. Sie steht aber einer Ausweitung nicht im Weg.24 Von Verfassungs wegen unbedenklich ist denn auch, dass der Anstaltspfarrer an der Weiterbildung des Vollzugspersonals mitwirkt, auch ihm Seelsorge anbietet, und dass er Öffentlichkeitsarbeit in Gesellschaft und Kirche leistet.25 Der Anstaltspfarrer hat Anspruch auf die Bereitstellung des gottesdienstlichen Raumes und des Dienstzimmers sowie auf die Inanspruchnahme aller Einrichtungen und die Veranlassung organisatorischer Maßnahmen, die geeignet und erforderlich sind, seine Aufgaben zu erfüllen.26 Der Anstaltspfarrer hat ein zweifaches Amt. Einerseits steht er im Dienst seiner Landeskirche und ist in seelsorgerischen Angelegenheiten frei.27 Andererseits hat er die anstaltlichen Vorschriften und Anordnungen des Vollzugs zu beachten.28 Innerhalb der Anstalt kommen dem durchwegs nur nebenamtlich tätigen Pfarrer grundsätzlich die gleichen Rechte zu wie den Vollzugsbediensteten. Er arbeitet mit ihnen zusammen und nimmt an den Dienstbesprechungen sowie den allgemeinen Beamtenkonferenzen teil. Er hat das Dienstgeheimnis zu wahren.29 Der Staat aber respektiert das Beicht- und Seelsorgegeheimnis.30 Die Bestellung des Anstaltspfarrers steht der Landeskirche zu, jedoch im Benehmen mit dem Staatsministerium der Justiz. Der Freistaat kann die Abberufung des Anstaltspfarrers verlangen, wenn sich gegen die Person oder die Tätigkeit schwerwiegende Bedenken ergeben und diese nicht einvernehmlich behoben werden können.31 Die Aufgaben werden von dem Vertrauen getragen, das der Freistaat den Kirchen entgegenbringt. Er respektiert die Freiheit der Verkündigung.32 Jedoch kann er seine Verantwortung für die Ordnung der Anstalt nicht delegieren und nicht preisgeben. Der Anstaltspfarrer steckt in einer heiklen Lage: einerseits steht er, obwohl im Auftrag der Kirche, im selben Lager wie das staatliche Vollzugspersonal und hat Distanz zum Gefangenen zu wahren. Andererseits wirbt er um des24 Susanne Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 70, S. 995 ff. (1008 und 1011). Zur Polizeiseelsorge Markus Heintzen, Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei, in: Blanke et alii (Hrsg.): 50 Jahre Seelsorgevereinbarungen in Bundesgrenzschutz und Bundespolizei, 2015, S. 60 f. 25 Art. 4 Abs. 1 EvSeelsorgeV. 26 Art. 3 Abs. 1 und 2 EvSeelsorgeV. 27 Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 EvSeelsorgeV. 28 Art. 2 Abs. 2 S. 2 EvSeelsorgeV. 29 Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 3, Abs. 3 S. 2 und 3 EvSeelsorgeV. 30 Art. 1 Abs. 3 EvSeelsorgeV. 31 Art. 5 Abs. 2 EvSeelsorgeV. Zu den staatlichen Vorbehalten in der Militärseelsorge: Jörg Ennuschat, Militärseelsorge, 1996, S. 275 ff. 32 Art. 1 Abs. 3 EvSeelsorgeV.
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sen Vertrauen und sucht die seelsorgerische Nähe, die jedoch nicht zur Kollusion geraten darf.33 Wie der Zugang von vornherein verbaut werden kann, zeigt das Beispiel aus einer rheinischen Justizvollzugsanstalt: Der Strafverteidiger fragt seinen türkischen Mandanten, ob er Kontakt zu dem mit der Gefangenenseelsorge betrauten Hodscha halte. Die Antwort: er meide diesen, weil er alle Häftlinge dafür beschimpfe, dass sie Schlimmes getan hätten und so im Gefängnis gelandet seien. Das Kontrastbild zeichnet Theodor Fontane, der als Kriegsinternierter im Jahr 1870 die Bekanntschaft mit mehreren französischen Gefängnissen gemacht und jeweils den Besuch eines Geistlichen in seiner Zelle empfangen hatte: „Dies ist eine sehr schöne Sitte. Freilich müssen die Geistlichen danach sein. Wenn sie kommen, um einem die Hölle heiß zu machen, oder auch nur, um einen Sermon zu halten, steif, langweilig, salbungsvoll, so sind sie unerträglich, wenn sie kommen, wie diese französischen Aumoniers, so kann kein Herz so roh, so verschlossen, so religionslos sein, daß es nicht Freude empfände an so menschlich schönem Zuspruch.“ 34 Auf dieser Linie liegen die Erinnerungen des heute prominentesten Insassen des Zuchthauses Waldheim im Königreich Sachsen, Karl May. Er erlebte eine konfessionsüberspringende Anstaltsseelsorge ohne direkte seelsorgerische Intention. Obwohl Protestant, mit dem Orgelspiel für den katholischen Gottesdienst in der Anstaltskirche betraut, kam er in Kontakt mit dem katholischen Katecheten und dem katholischen Pfarrer, die nie über konfessionelle Dinge mit ihm gesprochen hätten, aber deren Schweigen beredt, deren Gegenwart wohltuend gewesen sei. „Es liegt noch heute eine unendliche Dankbarkeit für diese Wärme und Güte in mir, die sich meiner annahm und keinen einzigen Vorwurf für mich hatte, als alles andere gegen mich war.“ 35 Der Staat sichert sich dagegen, dass der Anstaltspfarrer seine Position missbraucht, dass er die Anstaltsordnung unterläuft, den Anstaltsfrieden stört oder den Strafzweck vereitelt, indem er negativen Einfluss auf den Gefangenen ausübt, in eigenwilligem Verständnis von Nächstenliebe Alkohol, Drogen, Kassiber und Mobiltelefone schmuggelt oder zum Ausbau krimineller Netzwerke beiträgt. Doch das Vertragsrecht baut darauf, dass beide Seiten sich loyal verhalten, dass ihre unterschiedlichen Belange in der Anstaltsseelsorge sich vertragen und etwaige Konflikte sich auf freundschaftliche Weise beilegen lassen, wie es der Freundschaftsklausel entspricht, die zum festen Bestand aller Konkordate und Kirchenverträge gehört.
33 Zum Dilemma Balthasar Gareis, Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 23 (1989), S. 58 ff. (75 f.). 34 Theodor Fontane, Kriegsgefangen: Erlebtes 1870, in: Fontane, Gesammelte Romane und Novellen, Bd. 7, 1891, S. 42 ff. (174). 35 Karl May, Mein Leben und Streben (1910), in: May, „Ich“, 37. Aufl. 1985, S. 25 ff. (187 ff., 190 f.).
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Das Grundvertrauen des Staates zu den Großkirchen in Deutschland lässt sich aber nicht unbesehen auf jedwede Religionsgemeinschaft übertragen, nicht auf amerikanische Importsekten und nicht auf den Islam, obwohl auch deren Angehörige an der Anstaltsseelsorge teilhaben.36 Diesen Religionsgemeinschaften fehlt bereits die institutionelle Verfestigung zu einer kirchenanalogen Organisation, die Eigenverantwortung tragen und politischen Kredit sichern könnte. Gleichwohl kann auch der Häftling, der keiner etablierten, organisatorisch gefestigten Religionsgemeinschaft angehört, seelsorgerische Betreuung verlangen. Ein Albtraum: dass salafistische Prediger die Gefangenenseelsorge dazu nutzen könnten, Rekruten für den Heiligen Krieg einzuwerben, dschihadistische Verbindungen zu pflegen und Terrorakte zu organisieren. Wäre das noch Anstaltsseelsorge im Sinne der Verfassung? Wäre das noch Religion und Seelsorge nur deshalb, weil es dem Selbstverständnis salafistischer Kreise entspräche? Müsste der religiös neutrale, grundrechtsgebundene Verfassungsstaat ein solches Selbstverständnis akzeptieren? Immerhin lassen sich im juristischen Schrifttum Ansätze zu einer bedingungslosen Akzeptanz erkennen.37 IV. Diakonie (Caritas) 1. Wesentliche Aufgabe der Kirche Nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen gehört zum Kernbereich ihres Wirkens die Diakonie (Caritas). Sie bildet die organisierte Form der Nächstenliebe. Christentum ist keine rein spirituelle Angelegenheit. Es ist auf praktisches Wirken angelegt, und zwar nicht nur auf individuell-spontanes, sondern auch auf organisiertes, öffentliches Wirken, wie es sich in den Einrichtungen von Diakonie und Caritas vollzieht. Ließe sich Christentum auf die Beziehung zu Gott reduzieren, so würde es weltlos. Eine Diakonie aber, die ihre Bindung an den Glauben kappte, wäre gottlos. Sie verdiente nicht den Namen christlich. Sie wäre Wohlfahrtspflege, wie sie humanitäre Einrichtungen aller Art auch leisten. Wenn die Kirche, angesichts der Schwierigkeiten, die ihr die Diakonie zuweilen bereitet, sie aufgeben wollte, würde sie sich selbst amputieren. Diakonie ist Inhalt der Religion und ihre Realisierung. Dieses Selbstverständnis hat sich in der zweitausendjährigen Tradition des Christentums objektiviert; und es erneuert sich ste-
36 Zu dem Problem neuer Religionen Susanne Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 70, S. 995 ff. (1015). Zum Problem des Islam Wolfram Reiss, Anwalt für religiöse Bedürfnisse, in: Weiß/Federschmitt/Temme (Hrsg.): Handbuch für interreligiöse Seelsorge, 2010, S. 299 ff. und 304 ff. 37 Martin Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 78 ff. – Kritik m.w. N. des Pro und Contra: Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 191 Rdnr. 73 ff.
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tig in der Gegenwart. Es geht allen säkularen Verfassungsgarantien der Religionsfreiheit voraus und liegt ihnen zugrunde. Das gilt für das Grundgesetz wie für die Landesverfassung in ihren Gewährleistungen der Religionsfreiheit und der Kirchenautonomie.38 Die Verfassung des Freistaates Sachsen hebt die Gewähr der diakonischen und karitativen Arbeit ausdrücklich hervor.39 Die Kirchenverträge sichern den diakonischen und karitativen Einrichtungen das Recht zu, im Sozial- und Gesundheitswesen eigene Einrichtungen für die Betreuung und Beratung besonderer Zielgruppen zu unterhalten und eigene Bildungsstätten für die Aus-, Fort- und Weiterbildung ihres Personals zu betreiben.40 Diakonisch-karitative Leistungen, die jeder Bedürftige, unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit, in Anspruch nehmen kann, werden vom Freistaat angemessen gefördert.41 Das ist freilich eine sächsische Besonderheit, die sich nicht bundesrechtlich verallgemeinern lässt.42 Die Kirchenverträge, wie die Regierungsbegründung zu den Vertragsgesetzen feststellt, erkennen das „christliche Grundverständnis“ an, dass Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich als Ausfluss tätiger Nächstenliebe eine wesentliche Aufgabe innerhalb der Gesellschaft darstellen und dass diese zum verfassungsrechtlich geschützten Wirkungskreis der Kirchen gehören. Die Kirchenverträge, so die Begründung, würdigen, dass die Kirchen hier Aufgaben übernommen haben, die ansonsten der Staat im Rahmen seiner Pflicht zur Daseinsvorsorge zu erfüllen hätte.43 Die staatsentlastende Bedeutung rechtfertigt den Anspruch auf staatliche Förderung, den die Kirchenverträge bestätigen.44 Der Staat folgt einem freiheitlichen Verständnis des 38 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen von Diakonie (Caritas) im Grundgesetz: Roland Wegener, Staat und Verbände im Sachbereich Wohlfahrtspflege, 1978, S. 147 ff.; Josef Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 ff. (692 ff., 705 ff., 716 ff., 724 ff.). 39 Art. 103 Abs. 3 SächsVerf. Das Grundgesetz rührt an das Thema in der Kirchengutsgarantie, die auch das für „Wohltätigkeitszwecke“ bestimmte Kirchengut anführt (Art. 138 Abs. 2 WRV i.V. m. Art. 140 GG). Dazu Guido Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998, S. 147 f. 40 Art. 20 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 SächsEvKV, Art. 9 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 SächsKathKV. 41 Art. 20 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV, Art. 9 Abs. 1 S. 2 SächsKathKV. Dazu Guido Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998, S. 148 f. 42 Josef Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 ff. (744 f.). 43 Regierungsbegründungen zu Art. 20 SächsEvKV (LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 33) und zu Art. 9 SächsKathKV (LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen [Katholischer Kirchenvertrag Sachsen], S. 17). 44 Art. 20 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV; Art. 9 Abs. 1 S. 2 SächsKathKV. Zu den Finanzierungsfragen: Roland Wegener, Staat und Verbände im Sachbereich Wohlfahrtspflege, 1978, S. 279 ff.; Helmut Goerlich/Torsten Schmidt, Das Staatskirchenrecht der Sächsi-
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dezentralen Gemeinwohls, das aus privaten und öffentlichen, aus pluralistischen Aktivitäten hervorgeht, sich aus säkularen wie religiösen Quellen speist und dem Leitbild des Subsidiaritätsprinzips entspricht.45 Die freien Träger, die sich in ihrer Tätigkeit und ihren Leistungen mit den Kirchen vergleichen lassen, stehen diesen auch in finanzieller Hinsicht gleich (Art. 110 Abs. 2 SächsVerf). In ihrer Eigenschaft als Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und als Träger der Freien Jugendhilfe werden die kirchlichen Organisationen einschlussweise bereits im Einigungsvertrag gewürdigt, dass diese „einen unverzichtbaren Beitrag zur Sozialstaatlichkeit des Grundgesetzes“ leisten. Der Einigungsvertrag hat ihnen auch die Förderung ihres Auf- und Ausbaus zugesagt.46 Die Diakonie ist zu einem der größten Wohlfahrtsverbände Sachsens geworden. Die Statistik nennt 33.282 hauptberuflich angestellte Mitarbeiter in 2.308 Diensten und Einrichtungen.47 2. Perspektiven von Diakonie und Staat Evangelische Diakonie und katholische Caritas stimmen in ihrer Begründung wie ihrer Tätigkeit überein. In unterschiedlicher konfessioneller Trägerschaft waltet praktische Ökumene.48 Der Einfachheit halber spreche ich im Folgenden von Diakonie, wenn ich auch die Caritas meine. Die Vielfalt der diakonischen Dienste für Kinder, Jugendliche, Familien, für Kranke, Alte, Pflegebedürftige, Behinderte, für Arme, Flüchtlinge, Drogensüchtige, für Hilfsbedürftige aller Art zeigt sich aus kirchlicher Sicht als Erfüllung eines einheitlichen Auftrags zum Dienst am Nächsten, biblisch gesprochen, an „den Geringsten unter meinen Brüdern“. Aus staatlicher Sicht handelt es sich dagegen um verschiedene Aufgabenfelder. Die Kirchenverträge nennen das Sozial- und Gesundheitswesen.49 Doch diese an sich weiten, abstrakt bezeichneten schen Verfassung vom 27. Mai 1992, in: Uhle (Hrsg.): 20 Jahre Sächsische Verfassung, 2013, S. 136 ff.; Sebastian Müller-Franken, Die Finanzierung der Religionsgemeinschaften, in: Uhle (Hrsg.): Kirchenfinanzen in der Diskussion, 2015, S. 43 (57 ff.). 45 Näher Josef Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, 3. Aufl. 2006, § 73 Rdnr. 55 ff. und 65 ff.; Josef Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 ff. (705, 738 ff., 742 f.). Vgl. auch Roland Wegener, Staat und Verbände im Sachbereich Wohlfahrtspflege, 1978, S. 118. 46 Art. 32 EV. 47 Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (Hrsg.): BGWStatistik, 2013. 48 Josef Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 ff. (668 f.). 49 Art. 20 Abs. 1 S. 1 SächsEvKV.
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Aufgabenfelder decken den Umfang des diakonischen Arbeitsfeldes nicht vollständig ab. Vollends lassen sie nicht erkennen, was an konkreten Diensten geleistet wird, von der Kinderbetreuung über die Schwangerenberatung und die ambulante Hilfe für Behinderte bis zur juristischen Assistenz für Flüchtlinge. Die Diakonie hat eine andere Sicht auf den Einzelfall als der Staat. Dieser setzt allgemeine Regeln, die er nach verallgemeinerungsfähigen Kriterien auf den Einzelfall anwendet und sich so als Rechtsstaat bewährt. Ungeachtet ihrer organisationsbedingten Regelbedürftigkeit sieht die Diakonie zunächst auf den einzelnen Menschen. Sie blickt auf sein Gesicht, sie sieht seine Tränen, hört seine Hoffnungen. Sie spürt seine persönliche Not (zuweilen auch seine Hinterlist), sein persönliches Schicksal, angesichts dessen die allgemeinen Gesetze in Tatbestand und Rechtsfolge verblassen. Ungeachtet aller Regelhaftigkeit, auf die auch die kirchliche Großorganisation angewiesen ist, vermag sie mehr und anders zu helfen als die Verwaltung. Das Mitleid mit dem bestimmten Menschen, der spontane Impuls zur Nächstenliebe, kann die Diakonie in Widerspruch zum staatlichen Gesetz und in eine moralische Zwickmühle bringen, wenn sie dem illegalen Zuwanderer winkeladvokatorisch die Aufenthaltserlaubnis verschafft, wenn sie den zur Abschiebung anstehenden Ausländern ein anachronistisches Kirchenasyl offeriert, das allen Strukturen des modernen Staates spottet.50 Hier bricht zuweilen der Widerspruch zwischen kirchlicher Gesinnungsethik und staatlicher Verantwortungsethik auf. Letztere hat nicht durchwegs den sittlich minderen Rang; eher trifft das Gegenteil zu. Wenn sich ein Konflikt entzündet, sind beide Seiten gut beraten, sich tunlichst in diskretem Pragmatismus gemäß der Freundschaftsklausel der Kirchenverträge zu verständigen. Die Kirche sollte nicht auf die hohe Kanzel der Grundsätzlichkeit steigen. Der Staat sollte, soweit es sich um das Recht der Gefahrenabwehr handelt, die Möglichkeiten nutzen, die ihm das Opportunitätsprinzip bietet, beweglich auf die Herausforderung reagieren, auch einmal „Fünfe gerade sein lassen“ und taktische Toleranz gegenüber illegalem Verhalten üben, solange sich die taktische Toleranz nicht zu rechtlicher und ethischer Toleranz oder auch nur zum Anschein einer solchen auswächst und die Glaubwürdigkeit des Gesetzes nicht Schaden nimmt. 3. Kirchliches Proprium im sozialstaatlichen System a) Der sichtbare Glaube Nach äußerem Erscheinungsbild ist das diakonische Krankenhaus kaum vom kommunalen Krankenhaus zu unterscheiden. Die medizinischen, die hygienischen 50 Josef Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 ff. (734 f.); Stefan Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 161 Rdnr. 54. Zu analogen Phänomenen in den USA Gabriela Stukenborg, Kirchenasyl in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1998.
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und die pflegerischen Funktionen haben dieselben Standards. Es gibt keine evangelische Blinddarmoperation und keine katholische Chemotherapie. Hier trifft die Rede von konkurrierenden Aufgaben zu. Doch brechen sittliche Unterschiede auf, wo staatliches Recht und christliches Gebot auseinandergehen, im Schutz des Menschen am Beginn seines Lebens, demnächst vielleicht auch am Ende des Lebens, wenn sich der politische Trend durchsetzt, den assistierten Suizid freizugeben.51 Die eigentliche Differenz der kirchlichen zu den staatlichen Einrichtungen liegt in der religiösen Begründung, die dem weltlichen Staat fremd ist. Zwar können sich die Kirchen auch säkular-sozialstaatliche Impulse zugunsten der Hilfsbedürftigen zu Eigen machen. Jedoch kann sich der Sozialstaat nicht umgekehrt auf religiöse Gründe stützen. Allerdings nimmt er gern die sozialen Leistungen der Kirchen entgegen, die ihn der eigenen Anstrengung entheben, zumal sie ihre Dienste jedem erbringen, der ihrer bedarf, Christen wie Nichtchristen, Gläubigen wie Ungläubigen. Der Sozialstaat erntet, wo er nicht gesät hat. Aber er weiß es auch, und er vergütet den freien Trägern wenigstens teilweise finanziell, was sie aus eigenem Antrieb für das Gemeinwohl leisten. Für Diakonie und Caritas bedeutet der christliche Glaube die Basis und den Antrieb zum Handeln. Der Glaube bewährt sich im Dienst am Nächsten. Nächstendienst ist auch Gottesdienst. Das Christliche ist gleichsam der Sauerteig, der das diakonische (karitative) Werk durchsäuert. Theologisch formuliert: das Christliche macht das Proprium der kirchlichen Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindergärten aus: das spezifische Element, das dem kirchlichen Betrieb spirituelle Energie, Sinn und Legitimation zuführt: den „Geist“ der Organisation, der sich seinerseits nicht organisieren und nicht in Regeln einfangen lässt.52 Aber er muss sich in Wort und Tat zu erkennen geben. Er sollte sich nicht verstecken, und er braucht sich auch nicht zu verstecken. Der Staat, der die konfessionelle Krankenanstalt in beachtlichem Umfang finanziert, verlangt gar nicht, dass sie ihre Konfession verleugnet und aus Rücksicht auf ihren säkularen Geldgeber oder auf ihre nichtchristlichen Patienten das Kreuz aus der Eingangshalle und aus dem Krankenzimmer entfernt. Die Diakonie steht in weit höherem gesellschaftlichem Ansehen als die „Amtskirche“, die sie trägt, und als der Glaube, aus dem sie sich legitimiert. Sogar mancher hartgesottene Atheist, nicht zuletzt mancher ideologiegetreue SEDZögling, wählt im biologischen Ernstfall nicht das kommunale, sondern das kirchliche Krankenhaus. Daher tut sich dieses nicht allzu schwer, sich in einer entchristlichten Gesellschaft zu behaupten. 51 Zu Wertungsdifferenzen am Ende des Lebens Franziska M. Buchwald, Zwischen Religion und Selbstbestimmung, 2013, S. 45 ff. 52 Zum Proprium Roland Wegener, Staat und Verbände im Sachbereich Wohlfahrtspflege, 1978, S. 169 f.
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Die Kirche braucht nicht aus Gründen der Toleranz die Christlichkeit aus ihren diakonischen Einrichtungen zurückzunehmen. Nur wenn sie ihre christliche Identität behauptet, kann sie Toleranz üben und darf sie Toleranz erwarten. Selbstsäkularisierung wäre die Kapitulation der Religionsfreiheit. So wäre es töricht, wenn die kirchliche Kindertagesstätte auf ihr konfessionelles wie ihr allgemeinchristliches Programm, auf Gebete, Lieder, Bräuche, Feiern, Kirchenjahr verzichtete, um die Gefühle der nichtchristlichen Kinder und Eltern zu schonen. Diese nehmen die konfessionelle, die christliche Prägung nicht nur in Kauf. Vielmehr suchen sie die Begegnung mit dem Christentum, das sie in ihrer von der DDR hinterlassenen Lebenswelt nicht vorfinden. Im Rheinland bemühen sich muslimische Eltern häufig, ihre Kinder in katholischen Kindergärten unterzubringen, um sie nicht kommunalen Kindergärten ausliefern zu müssen, die sie für gottlos und dekadent halten. Sie scheuen nicht die Begegnung mit dem christlichen Glauben, sondern die mit dem säkularen Unglauben, der penetranten Inklusion, der religionsnegierenden, leerlaufenden Toleranz. b) Das diakonische Personal aa) Loyalitätsobliegenheit Das christliche Proprium steht und fällt mit dem kirchlichen Personal, das den Glauben glaubwürdig verkörpert. Die Kirche muss bei der Wahl ihrer Mitarbeiter darauf achten, dass sie diesem Erfordernis genügen. Damit stehen die Mitarbeiter unter einem anderen, in gewisser Hinsicht strengeren Gesetz als die in kommunalen Anstalten und die in der sonstigen Arbeitswelt. Sie haben sich zu spezifischer Kirchenloyalität verpflichtet.53 Die diakonische Einrichtung ist kein bloßer Ten53 Dazu Richtlinien des Rates über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes der EKD vom 1. Juli 2005 (ABl. EKD 2005, S. 413); Art. 3–5 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (abgedruckt in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz [Hrsg.]: Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst. Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse [Die deutschen Bischöfe 51], 11. Aufl. 2008, S. 16 ff.). – Aus der Literatur zu den Loyalitätspflichten der kirchlichen Mitarbeiter, zumal aus der Perspektive des staatlichen Arbeitsrechts: Joseph Listl, Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 27 (1986), S. 131 ff.; Christoph Link, Antidiskriminierung und kirchliches Arbeitsrecht, in: Krause/Veelken/Vieweg (Hrsg.): Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa. Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, 2004, S. 675 ff.; Stefan Mückl, Kirchliche Organisation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 160 Rdnr. 43 f.; Gregor Thüsing, Grund und Grenzen der besonderen Loyalitätspflichten des öffentlichen Dienstes, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), S. 129 ff.; Hermann Reichold, Verfassungs- und europarechtliche Fragen der Kirchenautonomie im Arbeitsrecht, in: Ebner/Kraneis/ Minkner/Neuefeind/Wolff (Hrsg.): Staat und Religion. Neue Anfragen an eine ver-
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denzbetrieb wie ein Presseunternehmen oder eine Parteiorganisation, die besondere Loyalität (Tendenztreue) der eigentlichen Tendenzträger (Journalisten, Funktionäre) erfordern, nicht aber vom sonstigen Personal wie den Schreibkräften oder Hausverwaltern. Das diakonische Werk muss von allen getragen werden, vom Chefarzt bis zum Krankenpfleger, von der Leiterin der Kindertagesstätte bis zur Helferin. Von ihnen allen hängt es ab, ob die Einrichtung ein evangelisches oder ein katholisches Profil gewinnt. Die Kirche kann das diakonische Personal nicht mit Hoheitsgewalt zwingen, sich den diakonischen Zielen und Bedürfnissen gemäß zu verhalten. Sie müssen sich aus freien Stücken zu kirchlicher Loyalität verpflichten. Die Rechtsgrundlage der Loyalitätsobliegenheiten ist die Selbstbindung des Bediensteten durch Vertrag. Das staatliche Recht gewährleistet dem kirchlichen Träger wie dem Bediensteten Vertragsfreiheit in ihrer zwiefachen Funktion: als Freiheit zu bestimmen, mit wem man einen Dienst- oder Arbeitsvertrag schließt (Abschlussfreiheit) und wie dieser Vertrag inhaltlich ausgestaltet wird (Ausgestaltungsfreiheit).54 In einer rein liberalen Ordnung wäre es daher unverfänglich, dass die Kirche auf der Basis individueller Verträge ihr besonderes diakonisches Dienstrecht aufrichtet. Doch der Sozialstaat der Gegenwart misstraut der Privatautonomie. Er nimmt die Verträge nicht ohne weiteres hin. Vielmehr beansprucht er die Kontrolle ihres Inhalts daraufhin, ob nicht der sozial mächtigere Partner – als dieser gilt der kirchliche Arbeitgeber – dem schwächeren – dem kirchlichen Arbeitnehmer also – die Bedingungen aufgenötigt hat.55 Der Sozialstaat neigt dazu, die Vertragsfreiheit einzuschränken, um den Arbeitnehmer zu schützen und den Vertragsinhalt immer mehr zu nivellieren, den Arbeitgeber ähnlichen Bindungen zu unterwerfen, wie sie die Grundrechte der Staatsgewalt auferlegen, obwohl der Arbeitgeber von Verfassungs wegen nicht grundrechtsgebunden ist, sondern grundrechtsberechtigt, insofern dem Arbeitnehmer gleichsteht. In der Rechtspraxis rollt die sozialstaatliche Nivellierungswalze über die individuellen Arbeitsverträge hinweg, ohne dass allgemeine Grundrechte wie die Berufsfreiheit und die Allgemeine Handlungsfreiheit wirksamen und nachhaltigen Widerstand leisteten. Anders jedoch die Religionsfreiheit und die Kirchenautonomie, die sich als Refugium der Privatautonomie ermeintlich eingespielte Beziehung, 2014, S. 111 ff.; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, S. 111 ff. (124 ff.). 54 Zur verfassungsrechtlichen Grundlage der Vertragsfreiheit Josef Isensee, Privatautonomie, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 150 Rdnr. 1 ff., 6 ff., 50 ff. 55 Zur verfassungsrechtlichen Sanktion der Vertragsfreiheit und der Inhaltskontrolle: Josef Isensee, Privatautonomie, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 150 Rdnr. 113 ff. Zur Relevanz für die Kirchen: Josef Isensee, Kirchliche Loyalität im Rahmen staatlichen Arbeitsrechts, in: Bartlsperger/Ehlers/Hofmann (Hrsg.): Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 ff.
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weisen. Sie ermöglichen der Kirche, ihr Proprium in ihre diakonischen Einrichtungen einzubringen und in ihnen aufrechtzuerhalten. Dennoch steht der kirchliche Arbeitgeber unter heikler Argumentationslast, wenn er einem Bediensteten kündigt, weil dieser seine vertraglichen Loyalitätsobliegenheiten verletzt, sei es in seiner Tätigkeit (ethisch verwerfliche Eingriffe), sei es außerhalb: dass etwa der Krankenhausarzt sich öffentlich für die vorbehaltlose Freigabe der Abtreibung einsetzt, aus der Kirche austritt oder – ein Problemfall katholischer Einrichtungen – nach Scheidung eine neue Ehe eingeht. Grosso modo haben die Gerichte die kirchliche Position anerkannt, zuletzt das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung.56 Doch die öffentliche Meinung hat immer weniger Verständnis, wenn die Kirche ihre eigenen, strengen Moralprinzipien mit arbeitsrechtlichen Mitteln sanktionieren möchte. Sie erhebt Widerspruch und setzt die Kirche unter Rechtfertigungszwang. Ihr fällt die Begründung besonders schwer, wenn die Diakonie vermehrt auf Mitarbeiter zurückgreift, die ihrer Kirche nicht angehören, denen Religion überhaupt fremd ist und denen sie keine innere Identifikation zumuten kann, so, wenn sie einen muslimischen Pfleger einstellt oder einem Agnostiker als dem fachlich besten Bewerber die Chefarztstelle überträgt. Probleme dieser Art erheben sich für alle Kirchen in allen Bundesländern, besonders große aber für die katholische Kirche in Sachsen wegen ihres nur schmalen Anteils an der Bevölkerung. Die Caritas beschäftigt im Bistum Dresden-Meißen zu 31% katholische, zu 23% evangelische, zu 45% religionslose Mitarbeiter.57 Vollends manövriert sich die Kirche in ein Dilemma, wenn sie bei der Durchsetzung der Loyalitätspflichten keine Konsequenz walten lässt, sondern den Eindruck der Willkür erzeugt. Kirchenrechtliche Prinzipienreiterei ist hier nicht angebracht. Gefordert werden Fingerspitzengefühl, Klugheit, Takt, Verantwortungssinn, Menschlichkeit. Die Kirche ist gut beraten, wenn sie Divergenzen mit dem einzelnen Mitarbeiter nicht vor dem staatlichen Gericht austrägt, sondern in camera caritatis (im zwiefachen Wortsinn) beilegt. Vor wenigen Wochen hat die katholische Bischofskonferenz eine Art Frontbegradigung vorgenommen und ihre harte Linie bei Widersprüchen zwischen kirchlichem Anspruch und persönlicher Lebensführung zurückgenommen und modifiziert.58 Ein „Brüsseler Kreis“ von Funktionären der Diakonie und der Caritas plädiert für eine fundamentale Reform dahin, die „rein formale Kirchenmitgliedschaft“ als Einstellungsvoraussetzung aufzugeben mit der Begründung, dass sie den vielfältigen Säkularisierungstendenzen in unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht zu
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BVerfGE 137, 273 – Chefarzt-Entscheidung. Caritasverband für das Bistum Dresden-Meißen e.V. (Hrsg.): Personalreport, 2013. 58 Art. 5 Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse in der Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015. Dazu Pressemeldung der Deutschen Bischofskonferenz zur Änderung des Kirchlichen Arbeitsrechts vom 5. Mai 2015 – Nr. 072. 57
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werden vermöge. Die konfessionelle Exklusivität unterschreite theologisch die Universalitätsdynamik des biblischen Zeugnisses, sei mit einer Inklusionsperspektive nicht vereinbar und führe in eine unternehmensstrategische Sackgasse. Die Sackgasse werde vermieden durch einen „konfessionsgebundenen Überzeugungspluralismus“. Dieser beinhalte die „Überwindung formaler Kirchenmitgliedschaftsbindungen und Einstellungsvoraussetzungen durch die inhaltliche Beschreibung einer Inklusionsorientierung und durch Orientierungs- und Spiritualitätsangebote auf der Basis der christlichen Tradition“.59 Die Konfessionsbindung des Unternehmens, die nicht mehr die Mitarbeiter erfassen solle, zeige sich in Basisprozessen über die Angebotspalette einer bestimmten Abteilung bis zu einer spezifischen Reflexions- und Beteiligungskultur einschließlich der Eröffnung spiritueller Erfahrungsräume im Arbeitsalltag. Christliche Identität erscheint nicht als eine an der Zahl kirchlich gebundener Mitarbeiter festgemachte quantitative Größe, sondern als Prozess von Bezügen und Interdependenzen, der von christlichen Überzeugungen und Ritualen lebe. Das universalistische Hilfeethos des Christentums bilde sich nicht in einem homogenisierungsbedürftigen Personal ab, sondern in einer „Willkommenshaltung gegenüber Mitarbeitenden unterschiedlicher Überzeugungen“. Die Verankerung des Unternehmens verweise auf „einen Entstehungszusammenhang, der einen spezifischen Deutehorizont umschließt und sich in einer besonderen Reflexions- und Unterbrechungskultur niederschlägt“. Die Praxis der Unternehmen werde erweisen, dass die Christlichkeit des Unternehmens nicht an der Vielfalt der Überzeugungen zerbreche, sondern an der Gestaltlosigkeit der Diskurskultur.60 Der Jurist, ob solch ungewohnter sozio-theologischer, rauschhafter Visionen verstört und sich fragend, ob diese nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, meint hinter dem semantischen Qualm den Plan zu erkennen, Diakonie und Caritas zu entkonfessionalisieren, zu entkirchlichen und in ein freischwebendes Gebilde jenseits von Kirche und Staat zu verwandeln, in dem das diakonisch karitative Personal, genauer seine Funktionäre, sich selbst verwalten und verwirklichen. Die grundrechtlichen und menschenrechtlichen Garantien und Unterscheidungen werden auf den Kopf gestellt. Die Kirchen und ihre Einrichtungen werden den Bindungen unterworfen, die auf den Staat zugeschnitten sind. Der Außenpluralismus der Gesellschaft wird auf die interne Personalstruktur verpflanzt. Das geistliche Proprium entschwebt in die Stratosphäre der Floskeln. Das Modell entzieht sich den geltenden Regeln des Staatsrechts, des Kirchenrechts und der Kirchenverträge, mithin auch unserem Thema.
59 Hanns-Stephan Haas/Dirk Starnitzke (Hrsg.): Diversität und Identität. Konfessionsbindung und Überzeugungspluralismus in caritativen und diakonischen Unternehmen, 2015, These 4 S. 22. Dazu „Das aktuelle Buch“, in: F.A.Z. vom 22.4.2015, S. 8. 60 Entfaltung der Thesen bei Hanns-Stephan Haas/Dirk Starnitzke (Hrsg.): Diversität und Identität. Konfessionsbindung und Überzeugungspluralismus in caritativen und diakonischen Unternehmen, 2015, S. 25 ff. (57 und 62).
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bb) „Dritter Weg“ Analoge Konflikte wie im Individualarbeitsrecht brechen im kollektiven Arbeitsrecht auf.61 Hier setzen sich die Kirchen vom privatwirtschaftlichen Modell der Mitbestimmung, der Tarifautonomie und des Arbeitskampfes ab durch das Modell des „dritten Weges“: dem Leitbild der Dienstgemeinschaft, die den Ausgleich der Interessen durch innerkirchliche Verfahren vorsieht und den Arbeitskampf aus dem diakonischen Bereich verbannt. Die Gewerkschaften stoßen auf eine Grenze ihrer Einfluss- und Regelungsmacht. Sie drängen auf Zugang zu diesem Sektor der Arbeitswelt, in dem bundesweit mehr als 1 Million Arbeitskräfte beschäftigt sind (allein im Freistaat Sachsen etwa 43 Tsd. hauptberufliche Mitarbeiter),62 um ihn zu besetzen und gleichzuschalten. Verständnis für das geistliche Proprium ist von kirchenfremden, ihrer Tradition nach sogar kirchenfeindlichen DGB-Gewerkschaften nicht zu erwarten. Der „dritte Weg“ ist der verfassungsrechtlichen Kritik ausgesetzt, dass er dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit widerspreche.63 Doch die Freiheit der einzelnen Bediensteten, zur Wahrung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einer Gewerkschaft ihrer Wahl beizutreten, ist ihnen unbenommen. Problematisch ist allein, ob kollektive Positionen der Gewerkschaften verkürzt werden dadurch, dass ihnen die Koalitionsinstrumente der Mitbestimmung, des Tarifvertrags und des Arbeitskampfes entzogen werden. Doch der Wortlaut des Schutzbereichs deckt diese Instrumente nicht ab.64 Sie sind lediglich Geschöpfe des einfachen Rechts, des Gesetzes, vornehmlich überhaupt nur des Richterrechts. Sie lassen sich als Ausgestaltung der kollektiven Koalitionsfreiheit deuten. Damit sind sie jedoch nicht deren Bestandteile. Sie haben nicht teil am Verfassungsrang des Grundrechts. Daher besteht auch keine Grundrechtskollision zwischen der Koali61 Dazu Stefan Mückl, Kirchliche Organisation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 160 Rdnr. 45 ff.; Franz-Josef Overbeck, Die Dienstgemeinschaft und das katholische Profil kirchlicher Einrichtungen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), S. 7 ff.; Jacob Joussen, Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des kollektiven Arbeitsrechts der Kirchen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), S. 53 ff.; Hermann Reichold, Verfassungs- und europarechtliche Fragen der Kirchenautonomie im Arbeitsrecht, in: Ebner/Kraneis/Minkner/Neuefeind/Wolff (Hrsg.): Staat und Religion. Neue Anfragen an eine vermeintlich eingespielte Beziehung, 2014, S. 122 ff.; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, S. 134 ff. 62 Laut Statistik des Jahres 2013 beschäftigte die Diakonie im Freistaat Sachsen 33.282 hauptberuflich angestellte Mitarbeiter (25.645 Vollkräfte, 8.646 ehrenamtliche Kräfte), Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (Hrsg.): BGW-Statistik, 2013. – Der Caritasverband für Sachsen beschäftigte 9.634 hauptberuflich angestellte Mitarbeiter, Caritasverband für das Bistum Dresden-Meißen e.V. (Hrsg.): Personalreport, 2013. 63 Art. 9 Abs. 3 GG; Art. 26 SächsVerf. 64 Letztere werden lediglich gegen Eingriffe durch Notstandsmaßnahmen gesichert (Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG).
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tionsfreiheit auf der einen Seite und der Religionsfreiheit auf der anderen Seite. Mangels Kollision besteht auch nicht die Notwendigkeit des schonenden Ausgleichs der Grundrechte.65 Die Kirchen bieten jedoch aus eigenem Antrieb den Gewerkschaften eine Beteiligung in ihren Gremien an. Ob sie mit ihrem Zugeständnis den Dritten Weg stabilisieren oder schwächen, stehe dahin. Jedenfalls genügen sie damit den Forderungen der Gewerkschaften nicht. Bisher hat sich politische Ruhe nicht eingestellt. Die Diakonie kann ihr Reservat nur halten, solange es ihr gelingt, ihre Mitarbeiter von der Sinnhaftigkeit einer christlich imprägnierten Dienstgemeinschaft zu überzeugen, und solange die Mitarbeiter von sich aus diese Dienstgemeinschaft tragen. Diese Voraussetzung wird immer brüchiger, je mehr sich die Gesellschaft dem Christlichen entfremdet, je mehr die Akzeptanz der kirchlichen Institutionen schwindet und das kirchliche Personal sich der säkularen Job-mentalität anpasst, der alles höhere Ethos abgeht. 4. Die religiöse Kapazität Diakonie und Caritas, die in den letzten Jahrzehnten erheblich an Personal und Organisation gewachsen sind, müssen sich fragen lassen, ob sie nicht mehr dem Parkinson’schen Gesetz gefolgt sind als dem christlichen Gesetz der Nächstenliebe und so riskieren, dass ihre Identität ausdünnt. Der Staat hat das quantitative Wachstum sogar gefördert. Freilich ist es nicht seine Sorge, ob das religiös-qualitative Wachstum mithält. Doch Diakonie und Caritas müssen sich dieser Frage stellen. Überhaupt haben die Kirchen ihre liebe Not damit, die großzügigen Angebote des staatlichen Rechts angesichts der schmalen personalen Kapazität anzunehmen. Ihnen kommt es zu, das richtige Maß zu finden. Was aber das richtige Maß sein sollte, wird von Goethe glücklich in Worte gefasst als „der Kreis, der meine Wirksamkeit erfüllt, nichts drunter und nichts drüber“.
65 Anders die Judikatur und die herrschende Lehre des Arbeitsrechts. Repräsentativ BAG Urt. v. 20.11.2012, NZA 2013, S. 448 ff. (456 ff.). Dazu mit Nachweis zu den unterschiedlichen Positionen Hermann Reichold, Verfassungs- und europarechtliche Fragen der Kirchenautonomie im Arbeitsrecht, in: Ebner/Kraneis/Minkner/Neuefeind/ Wolff (Hrsg.): Staat und Religion. Neue Anfragen an eine vermeintlich eingespielte Beziehung, 2014, S. 122 ff.
„Praktizierbar im Alltag, einklagbar im Konfliktsfall“ Die finanziellen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen Von Hans Ulrich Anke I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
II. Die finanziellen Angelegenheiten als wesentliche Bausteine einer neuen verlässlichen Grundlage für das religiöse Wirken im Freistaat . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinwohlorientierte Förderung kirchlichen Wirkens durch die Staatskirchenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der verfassungsrechtliche Rahmen für die vertragliche Gewährleistung der finanziellen Grundlagen freien kirchlichen Wirkens . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Euphorie und Kritik in den sächsischen Debatten um verlässliche Vertragsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundfunktionen von Staatskirchenverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kooperationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Förderfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verpflichtungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Absicherungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die finanziellen Vertragsregelungen im Evangelischen und im Katholischen Kirchenvertrag Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bekräftigung der Grundlagen und des bewährten Zusammenwirkens bei der Kirchensteuerfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Kirchensteuer als bewährte Beitragsform der Kirchenmitglieder . . . b) Vertragliche Absicherung der Grundlagen für die Kirchensteuerfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Staatliche Anerkennungsvorbehalte im Hinblick auf rechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gewährleistung der Kirchensteuerverwaltung durch die staatlichen Finanzämter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Meldewesen, Datenübermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewährleistung des Kirchengutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermögensentflechtung bei Gebäuden, Patronaten und Kirchschullehen . . a) Vermögensentflechtung bei Kirchengebäuden in staatlichem Eigentum b) Vermögensentflechtung bei Patronaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111 112 114 115 117 117 118 119 119 122 123 123 128 129 129 131 132 132 134 135 136
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Hans Ulrich Anke c) Vermögensentflechtung bei den bisher noch nicht getrennten „Kirchschullehen, Küsterschulvermögen, Kirchen- und Schulämtern“ . . . . . . . . d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vermögensentflechtung im Besonderen: die pauschalierte Abgeltung der Staatsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Umgang mit den Staatsleistungen als schwierigster Vertragsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die umfassende Abgeltung durch neue Pauschalbeträge . . . . . . . . . . . . . . c) Von der pauschalen Gesamtabgeltung zur Ablösung? . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Weitere finanzbezogene Vertragsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichheitswahrende Teilhabe der Kirchen an staatlicher Finanzierung für die Mitwirkung bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben . . . . . . . . . . b) Gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . c) Finanzierung kirchlicher Friedhöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstige finanzbezogene Vertragsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.
Die finanziellen Angelegenheiten im Jüdischen Vertrag Sachsen, insbesondere: die Gesamtzuwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick über finanzbezogene Vertragsregelungen zu Friedhöfen und Gebäuden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jährlicher Gesamtbetrag als wesentliche finanzielle Gewährleistung im Jüdischen Vertrag Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Regelungen zur Ausgestaltung des Gesamtbetrages . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Anfragen an das Verteilregime für den Gesamtbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 139 139 139 142 144 147 148 149 150 151 152 153 154 154 157
VI. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
I. Einleitung Jahrestage von Staatskirchenverträgen lassen sich ganz unterschiedlich gestalten. In Hannover wurde vor ein paar Wochen der Festakt zu 50 Jahre Niedersachsenkonkordat begangen.1 Da war die Grundstimmung gediegen feierlich, mit erbaulicher Musikumrahmung. Im Freistaat Sachsen haben Sie sich für eine andere Feier-Variante entschieden, nämlich für eine arbeitsame mit ausführlichen Vorträgen und Diskussionen. Sie fragen gründlich in verschiedener Perspektive nach der Tragfähigkeit der seinerzeit gemeinschaftlich gewollten Vertragsregelungen. Und das Ganze auch noch in ökumenischer, ja interreligiöser Verbundenheit aller Religionsgemeinschaften, die diese Verträge mit dem Freistaat Sachsen geschlossen haben.
1 Dazu erschienen: Katholisches Büro Niedersachsen (Hrsg.): Staat und Kirche in Niedersachen. 50 Jahre Niedersachsenkonkordat, 2015.
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Solch eine synoptische Aufarbeitung der Vertragsanliegen ist ein Zugang, der mir sehr entgegenkommt. Denn in eine solche Richtung hatte ich vor ziemlich genau ebenfalls 20 Jahren an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg mein Promotionsvorhaben über „Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge“ 2 angelegt. Deshalb leiste ich gern hier meinen Beitrag zum Thema der finanziellen Angelegenheiten. II. Die finanziellen Angelegenheiten als wesentliche Bausteine einer neuen verlässlichen Grundlage für das religiöse Wirken im Freistaat Die finanziellen Angelegenheiten nehmen breiten Raum in den Sächsischen Staatskirchenverträgen ein – und das aus gutem Grund. Denn das Grundanliegen für den Abschluss dieser Verträge ist darauf gerichtet, dem freien religiösen Wirken der christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft eine verlässliche und fördernde Grundlage im Freistaat und durch den Freistaat zu schaffen3. Für den Staat wie für die Kirchen und die jüdischen Gemeinden gilt: Die Finanzen sind kein Selbstzweck, aber wesentliches Mittel für die Erfüllung der eigenen Aufgaben. In aktuellen Diskussionen zum Religionsverfassungsrecht wird vielfach fahrlässig oder auch bewusst ausgeblendet: Freies religiöses Wirken in und für die Gesellschaft lebt seinerseits von Voraussetzungen, die es selbst nicht garantieren kann. Mein früherer Chef, der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD und Berliner Bischof Prof. Wolfgang Huber, hat das jüngst wieder eindrücklich angeführt4 in Umkehrung eines berühmten Diktums von Ernst Wolfang Böckenförde.5 Einerseits sind das die geistlichen Voraussetzungen, denn da gilt – nicht nur in dieser Woche vor Pfingsten –: „Gottes Geist weht, wo er will.“ (Johannes Kap. 3 Vers 8). Andererseits geht es auch um materielle Voraussetzungen, um die stabilen, befähigenden Grundlagen für das religiöse Wirken im säkularen Staat. Und damit sind wir genau bei dem Kernanliegen der Staatskirchenverträge – generell und besonders auch der Sächsischen Verträge.
2 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000. 3 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 39 ff. m.w. N. 4 Wolfgang Huber, Der säkulare Staat und die Kirchen. Vortrag beim Parlamentarischen Abend der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen am 12. Mai 2015, Geschäftsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen (Hrsg.), S. 6. 5 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60.
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Der Freistaat Sachsen liegt mit seinen Vertragsanliegen dazu, wie die Verträge in den anderen neuen Ländern, sehr auf der Linie der bisherigen Staatskirchenverträge. Die Präambeln bieten als den Vertragsregelungen gemeinsam vorangestellte Grundsätze einen verlässlichen Überblick über die wesentlichen einschlägigen Vertragsmotive6: So richten alle drei Staatskirchenverträge in Sachsen ihre Regelungen laut Präambel darauf aus, „das freundschaftliche Verhältnis“ zwischen den Vertragspartnern „zu festigen und zu fördern“.7 Dabei betonen der Evangelische und der Katholische Kirchenvertrag, „an die geschichtlich gewachsenen Grundlagen“ und staatskirchenvertraglichen Vorläufer anzuknüpfen.8 1. Gemeinwohlorientierte Förderung kirchlichen Wirkens durch die Staatskirchenverträge Einen Aspekt aber stellen die neuen Vertragsschlüsse in besonderer Weise heraus, nämlich die gemeinwohlorientierte Bindung kirchlicher Auftragswahrnehmung. Bereits die Sächsische Verfassung verweist dazu in Art. 109 Abs. 1 auf die „Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens“. Auf dieser Linie stellt gleich der erste Punkt der Präambel zum Evangelischen Kirchenvertrag Sachsen auf die „gemeinsame Verantwortung für das Wohl des Landes“ ab. Der damalige Sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf fasste es wie folgt zusammen: Es gelte, „ein Fundament [. . .] für die weitere gemeinsame Arbeit im Dienste an den Menschen [. . .] und an unserem Land selbst“ zu schaffen.9 Und das gilt ausweislich der amtlichen Vertragsbegründung auch im Hinblick auf den Vertragsschluss mit dem Heiligen Stuhl.10 6 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 39 ff. m.w. N.; Alexander Hollerbach, Vertragsstaatskirchenrecht als Instrument im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, KuR 120, S. 1 ff. (4); Hartmut Johnsen, Die Evangelischen Kirchenverträge in den neuen Bundesländern – ihr Zustandekommen und ihre praktische Anwendung, ZevKR 43 (1998), S. 182 ff. (193 f.). 7 Präambel 1. Spiegelstrich SächsEvKV; ähnlich Präambel 3. Spiegelstrich SächsKathKV; Präambel 3. Spiegelstrich SächsJüdKV. 8 Präambel 3. Spiegelstrich SächsEvKV; ähnlich Präambel 1. Spiegelstrich SächsKathKV. 9 Kurt Biedenkopf, Festansprache zum Vertragsschluss am 24. März 1994, Manuskript, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 2001, S. 225 ff. (228). 10 LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 4; diese Linie zieht sich auch in den parlamentarischen Beratungen durch: MdL Joachim Richter, SPD, Plenarprotokoll Sachsen 2/48, S. 3483 f.; MdL Marko Schiemann, CDU, Plenarprotokoll Sachsen 2/48, S. 3483; vgl. weiter Staatsminister Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420 ff. (1424).
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Um etwaigen Missverständnissen gleich vorzubeugen: Die Vertragsform selbst bringt zugleich klar zum Ausdruck, dass es hierbei nicht um Wiederbelebungsversuche staatskirchlichen Gemeinschaftshandelns, sondern um eine freiheitliche Ausgestaltung des freien religiösen Wirkens geht. Die Sächsische Verfassung betont vor dem Hintergrund der klaren Trennung der Religionsgemeinschaften vom Staat, dass die religiöse Aufgabenerfüllung „im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes frei von staatlichen Eingriffen“ gewährleistet ist.11 Sie bietet zur Ausgestaltung der Beziehungen das freiheitliche Vertragsinstrument an.12 Auf dieser Linie heben die Vertrags-Präambeln die neue freiheitsbezogene Gestaltungsaufgabe nach 40 Jahren DDR-Regime besonders hervor. Danach gilt es, „unter den neuen politischen Bedingungen einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung das Verhältnis [. . .] partnerschaftlich neu zu ordnen“.13 Der Hallenser Staatskirchenrechtslehrer Michael Germann hat auf dieser Grundlage zutreffend die Freiheitsbezogenheit als das wesentliche Kennzeichen der Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern herausgearbeitet.14 Denn hier werden „staatlich-hoheitliche Gemeinwohlverantwortung und das kirchliche Freiheitsinteresse“ in freiheitlicher Vertragsform koordiniert, d.h. freies religiöses Wirken wird gefördert und auf Gemeinwohlaspekte bezogen.15 Die dem zu Grunde liegenden Erwartungen an den Beitrag kirchlichen Wirkens für das Gemeinwohl sind vielfältig. Sie hatten mit dem Wirken der Kirche in der Wendezeit einen aktuellen Bezugspunkt, gehen aber weit darüber hinaus.16 Denn die Kirchen haben in die offenen Prozesse für die Gestaltung unserer Gesellschaft, im Wohlfahrtswesen, in der Kultur, der Medienarbeit, im Bildungswesen und in der Wissenschaft viel einzubringen. Sie sind nicht nur Eigeninteressen verpflichtet, sondern engagieren sich für die besonders Bedürftigen in der Gesellschaft. Sie bieten den Menschen Halt, Orientierung und Gemeinschaft, sorgen für eine lebendige Vielfalt in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammen11
Art. 109 Abs. 1 S. 1 und 2 SächsVerf. Art. 109 Abs. 1 S. 3 SächsVerf. 13 Präambel 2. Spiegelstrich SächsEvKV; ähnlich Präambel 2. Spiegelstrich SächsKathKV. 14 Michael Germann, Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer: Eine dritte Generation im Vertragsstaatskirchenrecht, in: Mückl (Hrsg.): Das Recht der Staatskirchenverträge. Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach, 2007, S. 91 ff. (103 ff.). 15 Michael Germann, Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer: Eine dritte Generation im Vertragsstaatskirchenrecht, in: Mückl (Hrsg.): Das Recht der Staatskirchenverträge. Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach, 2007, S. 91 ff. (104 f.), mit Bezug zu Christian Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, 2006, S. 594 ff. 16 Ausführlich, auch auf der Grundlage der Vertragsmotive: Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 53 ff. und 322 ff. m.w. N. 12
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lebens. Und sie setzen dabei vielfältiges ehrenamtliches Engagement frei, allein rd. 1,1 Mio. Menschen in der evangelischen Kirche. 2. Der verfassungsrechtliche Rahmen für die vertragliche Gewährleistung der finanziellen Grundlagen freien kirchlichen Wirkens Für ein solches Wirken sind die kirchlichen Vertragspartner auf eine verlässliche materielle Basis angewiesen. Die Erfahrungen aus der Zeit der DDR haben die Kirchen diese Einsicht besonders deutlich erfahren lassen. Die kirchenfeindliche Politik des SED-Regimes hat viele Register staatlicher Unterdrückungsinstrumente gezogen: Sie hat das öffentliche Wirken der Kirchen unterbunden, ihren Gemeindeaufbau unterwandert, engagierte Christen drangsaliert und eben auch die materiellen Grundlagen für die kirchliche Arbeit ausgehöhlt.17 So sollen die Verträge mit den Kirchen im Freistaat Sachsen ausweislich der Vertragsmaterialien auch dazu dienen, die Folgen dieser kirchenfeindlichen Politik aufzuarbeiten und das Verhältnis nach den freiheitlichen Verfassungsvorgaben neu zu ordnen.18 Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes schützt über Art. 4 GG und Art. 140 GG nicht nur die individuelle wie die korporative Religionsfreiheit und gewährleistet das öffentliche Wirken von Religionsgemeinschaften. Er weiß dabei darüber hinaus auch um die besondere Bedeutung der finanziellen Grundlagen für eine freie Ausübung der Religion.19 Deshalb sichert das Grundgesetz die Freiheit religiösen Wirkens unter Wahrung der Rechte Dritter umfassend auch im Hinblick auf die Kirchenfinanzen. So garantiert es den Kirchen und Religionsgemeinschaften eine freie, unabhängige, verlässliche, durchsetzbare und gleichheitswahrende Finanzierung ihres religiösen Wirkens. Die Grundlage dafür bildet die Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. und 2 GG. Diese wird ergänzt und konkretisiert durch eine Reihe von korporativen Gewährleistungen aus der Weimarer Reichsverfassung, die wie das Grundgesetz in Art. auch der Freistaat Sachsen in Art. 109 Abs. 4 seiner Verfassung übernommen und weiter ausgestaltet hat. In diesen Verfassungsvorgaben findet sich sowohl das inhaltliche Programm als 17 Holger Kremser, Der Rechtsstatus der evangelischen Kirchen in der DDR und die neue Einheit der EKD, 1993, S. 34 ff. 18 Präambel 2. Spiegelstrich SächsEvKV; ähnlich Präambel 2. Spiegelstrich SächsKathKV; LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 1; LTDrs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 1; Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420 ff. (1424), führt dies dahingehend weiter aus, dass der SächsKathKV Sachsen auch „eine gewisse Kompensation für die durch den kirchenfeindlichen SED-Staat erlittenen Nachteile“ leisten solle. 19 BVerfGE 123, 148 (178) – Jüdische Gemeinde Brandenburg.
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auch der verfassungsrechtliche Rahmen für die vertragliche Gestaltung der finanziellen Angelegenheiten zwischen dem Freistaat Sachsen und den Kirchen bzw. der Jüdischen Gemeinschaft. Ausgangspunkt ist die wechselseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche, die in dem ausdrücklichen Verbot der Staatskirche20 bzw. der Trennung von Staat und Kirche21 fest verankert ist. Das schließt auf der einen Seite eine Alimentation von Kirchen und Religionsgemeinschaften durch den Staat aus. Auf der anderen Seite gewährleistet es, dass der Staat seine eigenen Aufgaben bei den sog. „gemeinsamen Angelegenheiten“ wie der Anstalts- und Militärseelsorge, dem Religionsunterricht und den Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten auch selbst finanziert. Und im Zusammenwirken mit den grundrechtlichen Diskriminierungsverboten22 wird so sichergestellt, dass die Kirchen insbesondere in der freien Wohlfahrtspflege und im Bildungswesen aus öffentlichen Kassen wie andere freie Träger auch finanziert werden und dass sie wie andere gemeinnützige Organisationen auch vom staatlichen Gemeinnützigkeitsrecht profitieren. Das sog. kirchliche Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 109 Abs. 1 S. 2 SächsVerf gewährleistet den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften umfassend, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen. Mit Art. 137 Abs. WRV erkennt der Staat den Kirchen und einzelnen anderen Religionsgemeinschaften darüber hinaus öffentlich-rechtliche Körperschaftsrechte zu. Diese entheben sie von den Zwängen privatrechtlicher Verbandsgestaltung und von deren Vorgaben für die Finanzierung. Eine wichtige Ausprägung ist das Kirchensteuerwesen nach Art. 137 Abs. 6 WRV. Art. 138 Abs. 1 WRV verbürgt Staatsleistungen als laufenden Ausgleich für die weitgehenden Säkularisierungen von Kirchenbesitz insbesondere zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Für eine Ablösung, die gegen Entschädigung zu erfolgen hat, muss der Bund die Grundsätze regeln. Die Kirchengutsgarantie23 schützt Religionsgemeinschaften nicht nur vor Enteignungen, sondern darüber hinaus und unabhängig von der Eigentumslage auch vor einer Verwendung von Kirchengut entgegen der religiösen Zweckbestimmung. 3. Euphorie und Kritik in den sächsischen Debatten um verlässliche Vertragsgrundlagen In diesem Rahmen war es den Vertragsparteien ein wesentliches Anliegen, gerade auch die materielle Basis für das freie religiöse Wirken nach freiheitlichen 20 21 22 23
Art. 137 Abs. 1 WRV. Art. 109 Abs. 1 S. 1 SächsVerf. U. a. Art. 3 Abs. 1 und 3 GG, Art. 18 und 110 SächsVerf. Art. 138 Abs. 2 WRV.
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Verfassungsvorgaben auszugestalten und verlässlich zu gewährleisten. Damit war auf Seiten mancher Vertragsbeteiligter fast so etwas wie eine Euphorie für das Recht und für die Rechtsstaatlichkeit in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche verbunden.24 Beispielhaft sei hierfür der damalige Sächsische Landesbischof Johannes Hempel angeführt. Er hob in seiner Festansprache zum Vertragsschluss hervor, dass nun endlich eine verlässliche Grundlage für den Dienst der Kirche gewährleistet sei: „praktizierbar im Alltag und einklagbar im Konfliktsfall“.25 Aus heutiger Sicht fällt es vielleicht schwer, sich in den Erfahrungshorizont der Vertragsbeteiligten nach 40 Jahren DDR-Regime hineinzuversetzen. Aber es tut uns in Staat, Kirche und Gesellschaft gut, doch gelegentlich solche Errungenschaften nicht nur als selbstverständlich hinzunehmen, sondern – so wie bei diesem Symposium zu 20 Jahre Staatskirchenverträge in Sachsen – dankbar wahrzunehmen und neu zu bekräftigen. Die konkreten Regelungen zu den finanziellen Angelegenheiten sind dabei zumeist zwischen Evangelischem Kirchenvertrag und Katholischem Kirchenvertrag sehr vergleichbar. Vergleichbar sind auch die in den zwanzig Jahren Vertragspraxis immer mal wieder angeführten Kritikpunkte, die in der politischen Debatte zumeist aus den Reihen der Linken oder von Bündnis 90/Die Grünen kommen:26 Sie greifen den Charakter der Verträge als dauerhafte, verlässliche Rechtsgrundlagen an, bezweifeln die Wahrung von Gleichheitsrechten und stellen die Kirchenfinanzierung durch Kirchensteuer und Staatsleistungen in Frage. Deshalb lohnt ein gemeinsamer Blick auf die konkrete Ausgestaltung und Bewährung der finanziellen Regelungen in diesen beiden Verträgen. Deutliche Unterschiede ergeben sich im Vergleich zu dem Jüdischen Vertrag. Hier hat sich ein viel geringerer Regelungsbedarf gezeigt, u. a. wegen der deutlich kleineren Mitgliederzahl und weil sich wegen des begrenzteren öffentlichen Wirkens weniger finanzbezogene Fragen im Zusammenwirken zwischen Staat und Jüdischen Gemeinden gestellt haben. Bei dem Vertrag mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden stellt der Freistaat Sachsen andere, finanziell bedeutsame Vertragsmotive als leitende Gesichtspunkte in der Präambel voran. Er knüpft dabei an die Aufgabe nach Art. 117 SächsVerf an, „Ursachen individuellen und gesellschaftlichen Versagens in der Vergangenheit abzubauen, die Folgen verletzter Menschenwürde zu mindern und die Fähigkeit zu selbstbestimmter und 24 Vgl. Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 50 f. mit Nachweisen. 25 Johannes Hempel, Ansprache zum Vertragsschluss am 24. März 1994, Manuskript, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 2001, S. 222 ff. (222). 26 Z. B.: MdL André Schollbach, Fraktion Die Linke, LT-Drs. Sachsen 6/639 und LTDrs. Sachsen 6/478; MdL Annekathrin Giegengack, LT-Drs. Sachsen 5/2035 und 5/ 2929.
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eigenverantwortlicher Lebensgestaltung zu stärken“. Hauptanliegen des Freistaates für den Vertragsschluss ist es ausweislich der Vertragspräambel danach, vor dem Hintergrund der systematischen Verfolgung und Ermordung von Juden im Nationalsozialismus für das jüdischen Leben im Freistaat Sachsen „eine besondere Verantwortung zu tragen, die aus der Geschichte Deutschlands gewachsen ist“. Vor diesem Hintergrund will der Freistaat dazu beitragen, „das kulturelle Erbe des Judentums im Freistaat zu wahren und zu pflegen“ und „das freundschaftliche Verhältnis“ zu „der jüdischen Glaubensgemeinschaft zu fördern und festigen“.27 Diese Motive ziehen sich durch die parlamentarischen Beratungen durch.28 Vor diesem Hintergrund gehe ich auf die finanziellen Angelegenheiten nach dem Jüdischen Vertrag gesondert ein. III. Grundfunktionen von Staatskirchenverträgen Die Vergewisserung zu den finanziellen Vertragsregelungen setzt bei den grundlegenden Funktionen von Staatskirchenverträgen an. Staatskirchenverträge bieten gegenüber einseitigen Regelungen weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten. Diese lassen sich auf vier Grundfunktionen zurückführen29: 1. Kooperationsfunktion30 Die Kooperationsfunktionen der Staatskirchenverträge ermöglichen, das Zusammenwirken von Staat und Kirche effizienter, einfacher und verlässlicher auszugestalten als bei je einseitiger Regelung. Sie wahren die verfassungsgebotene Unterschiedlichkeit des geistlichen Auftrags der Kirchen und der weltlichen Aufgaben des Staates, beziehen aber die Ausübung der jeweiligen Kompetenzen einvernehmlich aufeinander. Hintergrund ist, dass es vielfach zu Überschneidungen beim Wirken von Kirche und Staat kommt. Die Kirche wirkt eingeordnet in die staatliche Rechtsord27
Präambel 1. bis 3. Spiegelstrich SächsJüdKV. LT-Drs. Sachsen 1/4855, Regierungsbegründung zum Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden, S. 1 f.; MdL Joachim Richter, SPD, Plenarprotokoll Sachsen 1/99, S. 6914; MdL Martin Böttger, Bündnis 90/Die Grünen, Plenarprotokoll Sachsen 1/99, S. 6914 f. 29 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 39 ff.; zusammenfassend Hans Ulrich Anke, Artikel „Vertragsstaatskirchenrecht“, in: Heun/Honecker/Morlok/ Wieland (Hrsg.): Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 2559 ff. (2601 f.); weitere Überblicksdarstellungen u. a. bei Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 ff. (310 f.); Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 343 f. 30 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 218 ff. 28
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nung, für die der säkulare Staat mit seinen Aufgaben Verantwortung trägt. Andererseits knüpft staatliches Handeln vielfach an religiöse Freiheitswahrnehmung an. Besonders deutlich wird dies bei den sog. gemeinsamen Angelegenheiten, die Kirche und Staat nur im Zusammenwirken bewältigen können. Dazu gehört mit Blick auf die finanziellen Angelegenheiten u. a. die Erhebung von Kirchensteuern und die staatliche Kirchensteuerverwaltung auszugestalten, staatlichen und kirchlichen Denkmalschutz sowie staatliche und kirchliche Aufsicht über Stiftungen aufeinander abzustimmen. Zur Kooperationsfunktion gehört weiter, vermögensrechtliche Fragen einvernehmlich zu klären, Staatsleistungen zu pauschalieren oder andere Vermögensbeziehungen zu vereinfachen, z. B. bei staatlichen Gebäuden mit kirchlicher Widmung, bei staatlichen Patronaten und Baulasten. Bei den Kooperationsfunktionen besteht ein weiter organisatorischer und verfassungsrechtlicher Gestaltungsspielraum, sofern durch materielle Vorgaben oder verfahrensrechtliche Abstimmungsgebote gewährleistet bleibt, dass der Staat letztverbindlich seine Verantwortung für die weltliche Ordnung durchsetzt und über die religiösen Fragen allein die Kirchen entscheiden. Mit den Kooperationsfunktionen stimmen die Vertragspartner ab, wer von ihnen was, wann, wo und wie bei den gemeinsamen Angelegenheiten oder anderen Überschneidungen des jeweiligen Wirkens erledigt. Auf diese Ebene gehören auch weitere Funktionen wie die sog. „Klarstellungsfunktion“ und die „Konkretisierungsfunktion“.31 Diese lassen sich als Untergruppen den Kooperationsfunktionen zuordnen.32 Gerade für finanzbezogene Regelungen haben sie eine wichtige Bedeutung zur Beseitigung von Unsicherheiten über das Bestehen und den Umfang von Rechten.33 2. Förderfunktion34 Das Vertragsinstrument ermöglicht dem Staat eine gezieltere Förderung von Kirchen und Religionsgemeinschaften, die ihm im Rahmen allgemeiner Gesetze 31 Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 141 und 150 f. 32 So bei Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 234 ff. und 285 ff. 33 Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 150. 34 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 316 ff.
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verschlossen bliebe. Hierzu zählen zum einen neue finanzielle Leistungsversprechen, die der Staat z. B. gegenüber den jüdischen Gemeinschaften abgibt. Zum anderen geht es um unterschiedliche Begünstigungen wie die Zusage von Amtsoder Rechtshilfe, Bestandsgarantien für theologische Fakultäten oder Modifikationen des Schatzregals. Solch differenzierende Kirchenförderung ist unter Beachtung des Gebots der Parität zulässig. Der Staat darf im Rahmen seiner säkularen Aufgabenwahrnehmung zwischen Kirchen und Religionsgesellschaften nach Größe und Wirksamkeit, aber auch nach der Kooperations- und Bindungsbereitschaft gemäß ihrem Selbstverständnis differenzieren, soweit er dabei eigene Aufgaben, religionsbezogene Grundrechtsvorsorge oder auch sozial- und kulturstaatliche Gestaltungsanliegen für das Gemeinwohl verfolgt oder staatsentlastendes Wirken der Kirchen unterstützt. 3. Verpflichtungsfunktion35 Weitergehend als bei einseitigen Regelungen erlaubt die vertragliche Gestaltung dem Staat, kirchliches Wirken auf Gemeinwohlbelange und staatliche Aufgabenwahrnehmung auszurichten. Objektive Verfassungsvorgaben und Rechte Dritter sind dabei zu wahren. Zur Verpflichtungsfunktion zählen u. a. organisationsbezogene Vertragsbindungen, die dem Staat die Ausübung seiner Ordnungsfunktionen erleichtern, Informations-, Konsultations- und Abstimmungspflichten, denkmalrechtliche Vertragspflichten, die Verpflichtung zur Mitwirkung bei gemeinsamen Angelegenheiten z. B. beim Religionsunterricht oder bei der Anstaltsseelsorge und die Verpflichtung zu staatsentlastendem Wirken z. B. im Friedhofswesen, bei der Bildung oder in der Diakonie. 4. Absicherungsfunktion36 Schließlich bedienen sich Staat und Kirche des Vertragsinstruments, um ihr Verhältnis dauerhaft und zuverlässig auszugestalten. Die Absicherungsfunktion soll ein höheres Maß an Rechtssicherheit und Verlässlichkeit umfassend für die staatlichen Gewährleistungen zugunsten des kirchlichen Wirkens bringen. Deshalb bekräftigen Staatskirchenverträge oft wörtlich bestehendes Verfassungsoder Gesetzesrecht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Grundstatus der Religionsgesellschaften, vermögensbezogene Gewährleistungen sowie eine Vielfalt weiterer Rechtspositionen. Gelegentlich, v. a. bei finanziellen Regelungen, finden 35 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 353 ff. 36 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 68 ff.
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sich besondere Revisionsklauseln, mit denen sich der Staat partiell Änderungsmöglichkeiten vorbehält. Der Umfang der staatskirchenvertraglichen Absicherungswirkung ist im Einzelnen umstritten.37 Das staatliche Zustimmungsgesetz räumt den Regelungen der Staatskirchenverträge den Rang einfachen Gesetzesrechts ein. Dieses bindet Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung. Streitigkeiten über die Vereinbarkeit zeitlich späterer Gesetze mit den vertraglichen Regelungen sind nach dem Grundsatz vertragsfreundlicher Auslegung im Zweifelsfall zu Gunsten der Vertragsbestimmungen zu entscheiden.38 Regelmäßig treten allgemeine Gesetze hinter dem speziell für die Religionsgesellschaften geregelten Vertragsrecht zurück. Erst wenn der Gesetzgeber klar zum Ausdruck bringt, von den Bestimmungen der Verträge selbst abweichen zu wollen, kommt es auf die Vertragsbindungen selbst an. Grundsätzlich muss der demokratische Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Souveränität des Staates in der Lage sein, von vertraglichen Gewährleistungen abzuweichen.39 Bis heute nicht abschließend geklärt ist dabei nur, ob er dies uneingeschränkt und ggf. sanktionslos kann. Das Meinungsspektrum ist vielfältig und hängt unmittelbar mit der Frage nach der Rechtsnatur der Vertragsbindungen zusammen. Sieht man sie z. B. als verwaltungsrechtliche Verträge,40 so kann zu ihren Gunsten nur Vertrauensschutz nach dem Verwaltungsverfahrensrecht greifen. Einer Qualifikation als Verwaltungsvertrag stehen aber schon der erklärte Wille der Vertragspartner und die staatsvertraglichen Formen entgegen, mit denen die Verträge geschlossen und in Geltung gesetzt werden.41 Stellt man auf die Formen ab, so könnte auch an völkerrechtliche Verträge zu denken sein.42 Völkerrechtliche Bindungen lassen sich 37 Übersicht zum Meinungsstand bei Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 109 ff.; aktueller bei: Stefan Mückl, Kirchliche Organisation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 160 Rdnr. 44 ff.; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 364 ff. 38 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 179 ff. 39 Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 ff. (303 f.); Christian Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, 2006, S. 603 f. 40 Helmut Quaritsch, Kirchenvertrag und Staatsgesetz, in: Ipsen (Hrsg.): Hamburger Festschrift für Friedrich Schack zu seinem 80. Geburtstag am 1. Oktober 1966, 1966, S. 125 ff.; Gerhard Czermak, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), S. 69 ff. (74). 41 Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 359 m.w. N. und weiteren Argumenten. 42 So für die Verträge mit dem Heiligen Stuhl: Christian Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, 2006, S. 597 f.; David
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durch abweichende staatliche Gesetze nicht unterlaufen, schränken nach ganz überwiegender Meinung aber auch nicht die Kompetenz des staatlichen Gesetzgebers ein, vertragswidrige Gesetze zu erlassen. Eine solche Spaltung zwischen überstaatlicher Vertragsbindung und innerstaatlicher Gesetzesgeltung lässt sich allenfalls für die Kirchenverträge begründen, die in völkerrechtlichen Formen zwischen Staat und Heiligem Stuhl als Völkerrechtssubjekten geschlossen wurden. Zwar gibt es Versuche, aus Gründen der Parität die anderen Staatskirchenverträge als „quasi-völkerrechtliche“ Verträge auf einer „metajuristischen“, das staatliche Recht transzendierenden Ebene, in einer „Zone des Öffentlichen“ o. Ä. gleich zu behandeln.43 Dies muss aber schon daran scheitern, dass die Landeskirchen und anderen Religionsgesellschaften als staatsunterworfene Rechtssubjekte keinen anderen Ort rechtlicher Begegnung mit dem säkularen Staat haben als eben die staatliche Rechtsordnung.44 Innerhalb der staatlichen Rechtsordnung aber sind Normwidersprüche, hier zwischen Vertrag und Gesetz, verfassungsgemäß aufzulösen.45 Dabei erfährt das Recht des demokratischen Gesetzgebers, bestehende Gesetze fortlaufend abändern zu können, Einschränkungen.46 Der Gesetzgeber selbst hat sich mit seiner Zustimmung zum Vertragsstaatskirchenrecht und insbesondere zu den Gewährleistungen im Rahmen der Absicherungsfunktion auf langfristige Bindungen festgelegt. Dass er dies auch mit Konsequenzen für zukünftige Änderungsvorhaben
Wengenroth, Die Rechtsnatur der Staatskirchenverträge und ihr Rang im staatlichen Recht, 2001, S. 49 ff.; Wolfgang Rüfner, Geltung des Reichskonkordats, des Preußischen Konkordats und des Preußischen Kirchenvertrags im Beitrittsgebiet, in: Becker/ Bull/Seewald (Hrsg.): Festschrift für Werner Thieme zum 70. Geburtstag, 1993, S. 342 und 347; weitere Nachweise bei Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 123 ff. 43 Statt vieler: Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 7, S. 253 ff. (273 f.). 44 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 143 ff.; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 358. 45 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 187 ff.; Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 ff. (304); Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 366; Stefan Muckel, in: Friauf/Höfling (Hrsg.): Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 46. Erg.-Lfg. (Juni 2015), Art. 140/Art. 137 WRV Rdnr. 59 ff. 46 Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 ff. (304 ff.); Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 367; Christian Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, 2006, S. 602 ff.
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darf, kann man verfassungsgewohnheitsrechtlich begründen. Man kann aber auch direkt auf die Verfassung abstellen, auf den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz nach Art. 20 Abs. 3 GG oder auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV. Versteht man Letzteres auch als staatliche Anerkennung unabgeleiteter kirchlicher Eigenrechtsmacht in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes, so bildet es Grundlage und Grenze für staatsrechtliche Vertragsschlüsse von Staat und Kirchen vergleichbar den Gliedstaats- und Eingliederungsverträgen im Bundesstaat. Dies erlaubt eine Bindung des Gesetzgebers, soweit er nicht zur Durchsetzung seiner Gemeinwohlverantwortung auf die Schrankenziehung gegenüber kirchlicher Freiheit durch das für alle geltende Gesetz angewiesen ist.47 Ähnlich darf nach der Argumentation mit Art. 20 Abs. 3 GG der Gesetzgeber vom Vertrag nur abweichen, wenn die von ihm verfolgten Gemeinwohlbelange die Vertrauensschutzgesichtspunkte überwiegen.48 In jedem Fall sind verfahrensbezogene Verpflichtungen zu beachten. Die sog. Freundschaftsklausel verpflichtet beide Vertragspartner dazu, vor einseitigen Abweichungen eine einvernehmliche Konfliktlösung zu suchen und sich ggf. um eine Vertragsanpassung zu bemühen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang für eine wirkungsvolle Absicherung schließlich noch die Subjektivierungsfunktion.49 Mit ihr wird den kirchlichen Vertragspartnern eine klagefähige Rechtsposition eingeräumt, d.h. auch, dass sonst nur objektiv-rechtlich gestaltete Regelungen durch die Aufnahme in das Vertragswerk als subjektive Rechte den kirchlichen Vertragspartnern zuerkannt werden. IV. Die finanziellen Vertragsregelungen im Evangelischen und im Katholischen Kirchenvertrag Sachsen Nun zu den finanziellen Regelungen in den Verträgen mit den evangelischen Landeskirchen und mit der katholischen Kirche im Einzelnen: 47 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 189 ff. 48 Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 ff. (305 f.). 49 Heinrich de Wall, Subjektive Rechte aus Staatskirchenverträgen, ZevKR 45 (2000), S. 626 ff.; Heinrich de Wall, Zum subjektiven Recht der Kirchen auf den Sonntagsschutz, NVwZ 2000, S. 857 ff. (857); Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 151; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 192 ff. ordnet diese Subjektivierungsfunktion der Absicherungsfunktion zu; vgl. weiter Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 368.
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1. Bekräftigung der Grundlagen und des bewährten Zusammenwirkens bei der Kirchensteuerfinanzierung Wesentliche Finanzierungsquelle für das kirchliche Wirken sind die Gaben der Gemeindeglieder – insbesondere die Kirchensteuern. So liegt ihr Anteil beispielsweise in der Evangelische-Lutherischen Landeskirche Sachsens mit 103,5 Mio. A (lt. Haushaltsplan für das Jahr 2015) bei über der Hälfte aller Einnahmen. Weitere gut 25% (51 Mio. A) kommen aus dem ebenfalls überwiegend aus Kirchensteuern finanzierten EKD-weiten Solidarausgleich der finanzkräftigeren westlichen Landeskirchen, um die Folgen des weitgehenden Traditionsabbruchs durch die Kirchenpolitik des DDR-Regimes abzumildern. Und nur gut 10% (21 Mio. A) der Einnahmen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens beruhen auf Staatsleistungen. Der Kirchensteuer kommt danach entscheidende Bedeutung im kirchlichen Finanzsystem auch in Sachsen zu. Die Vertragspartner der Staatskirchenverträge haben deshalb Sorge dafür getragen, dass die Verträge selbst eine verlässliche Grundlage für die Kirchensteuerfinanzierung kirchlicher Arbeit im Freistaat bilden. Hier haben die Vertragspartner ganz bewusst die Absicherungsfunktion der Staatskirchenverträge eingesetzt. Der damalige Sächsische Justizminister Steffen Heitmann bekennt sich ausdrücklich zu dem Anliegen, durch vertragliche Regelung dem Landesgesetzgeber die Möglichkeiten zu entziehen, wesentliche Grundsätze der Kirchensteuerfinanzierung einseitig abzuändern.50 Dazu zählt er neben den kirchlichen Gestaltungsfreiheiten bei den Formen der Kirchensteuer u. a. auch die staatliche Kirchensteuerverwaltung und den Lohnsteuerabzug. a) Die Kirchensteuer als bewährte Beitragsform der Kirchenmitglieder Solche verlässlichen Festlegungen gewinnen im Blick auf Kritik an der Kirchensteuerfinanzierung ihre besondere Bedeutung. Deutliche Anfragen an die Kirchensteuer gab es zu Zeiten der Vertragsschlüsse, und es gibt sie heute. Denn natürlich ist die Kirchensteuer nicht die einzig denkbare Form, mit der die Kirchenmitglieder ihren Beitrag für die Aufgaben der Kirche leisten können.51 Kritik an der Kirchensteuer setzt vor allem bei dem Zwangscharakter, dem Zusammenwirken mit den staatlichen Finanzämtern und einer vermeintlichen Privile50 Steffen Heitmann, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen aus der Sicht der Verwaltung, LKV 1995, S. 93 ff. (96 f.). 51 Vgl. die Überblicksdarstellungen zu verschiedenen Modellen bei Arnd Uhle, Kirchenfinanzierung in Europa: Erscheinungsformen, Eignung, Zukunftsperspektiven, in: Rees/Roca/Schanda (Hrsg.): Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 743 ff.; Felix Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 90 ff.; Heiner Marré, Die Systeme der Kirchenfinanzierung in den Ländern der Europäischen Union und in den USA, ZevKR 42 (1997), S. 338 ff.; Hartmut Böttcher, Typen der Kirchenfinanzierung in Europa, ZevKR 52 (2007), S. 400 ff.
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gierung der evangelischen und katholischen Kirche an.52 Die Kirchensteuerfinanzierung bedeutet aber gerade keine Staatsfinanzierung kirchlicher Arbeit, sondern ist im Gegenteil ein Ergebnis der historischen Emanzipation kirchlicher von staatlicher Aufgabenerfüllung und damit Ausdruck finanzieller Eigenverantwortung der Kirche.53 Die Einnahmen sind die Beiträge der Mitglieder.54 Der Staat wird für seine technische Unterstützung bei der Erhebung gut kostendeckend vergütet.55 Im Freistaat Sachsen bedeutet das 3,0% des Kirchensteueraufkommens. Und er verletzt dabei keine Rechte Dritter, wie die ständige Rechtsprechung in Kirchensteuerfragen belegt.56 Eine andere Form der Beitragszahlung, etwa als Vereinsbeitrag, würde die meisten der derzeitigen Kirchenaustritte nicht verhindern. Denn die Austretenden haben i. d. R. solchen Abstand zu der Arbeit und der Gemeinschaft in der Kirche gewonnen, dass sie nicht mehr ihren finanziellen Beitrag dazu leisten wollen – egal in welcher Form. Eine staatliche Teilzweckbindung der allgemeinen Einkommensteuer, wie sie z. B. als sog. „Kultussteuer“ in Italien erhoben wird,57 könnte auf dieser Linie Rückgänge der Beitragsleistenden vielleicht teilweise abfangen.58 Aber sie führte die Kirche in eine größere Abhängigkeit gegenüber dem Staat, brächte im Ergebnis ein deutlich geringeres Steueraufkommen und
52 Vgl. z. B.: Markus Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirchen unter dem Grundgesetz, 1993, S. 214 ff.; Karl Martin (Hrsg.): Abschied von der Kirchensteuer. Plädoyer für ein demokratisches Zukunftsmodell, 2002. 53 Vgl. Karl-Hermann Kästner, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.): Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 173. Erg.-Lfg. (Juni 2015), Art. 140 Rdnr. 200; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 317. 54 Thomas Begrich, Die Kirche, das Geld und wir, Brennpunkt Gemeinde 1/2015, S. 22 ff. 55 Paul Kirchhof, Die Kirchensteuer im System des deutschen Staatsrechts, in: Fahr (Hrsg.): Kirchensteuer. Notwendigkeit und Problematik, 1996, S. 53 (67); Heiner Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 37, S. 1101 ff. (1136 f.). 56 Vgl. mit Nachweisen: Felix Hammer, Artikel „Kirchensteuer“, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.): Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 1224 ff. (1227 f.); Hermann Weber, Kirchenfinanzierung im religionsneutralen Staat, NVwZ 2002, S. 1443 ff. (1446 ff.). 57 Dazu Arnd Uhle, Kirchenfinanzierung in Europa: Erscheinungsformen, Eignung, Zukunftsperspektiven, in: Rees/Roca/Schanda (Hrsg.): Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 743 ff. (752 ff.); Jörg-Detlef Kühne, Positive Bekenntnisfreiheit versus Kirchensteuererhebung im Spiegel bundesverfassungsgerichtlicher Wertungsimpulse und ausländischer Alternativmodelle, in: Steinberg (Hrsg.): Recht und Macht. Festschrift für Heinrich Rüping zum 65. Geburtstag, 2008, S. 173 ff. (181 ff.). 58 Hermann Weber, Rechtspolitische Probleme der Kirchensteuer, in: Kreß (Hrsg.): Religionsfreiheit als Leitbild. Staatskirchenrecht in Deutschland und Europa im Prozess der Reform, 2004, S. 81 ff. (102).
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schränkte die Freiheit der Bürger insgesamt viel stärker ein.59 Denn dann wären alle Bürger gezwungen, ausgewählte religiöse oder gemeinnützige Zwecke zu finanzieren. Demgegenüber beruht die Kirchensteuerfinanzierung im Ansatz auf einer freiwilligen Grundlage, nämlich der Kirchenzugehörigkeit. Wer zur Kirche gehören will, fällt die Entscheidung, ganz dazu zu gehören, auch mit der Kirchensteuerpflicht – und dieses ganz freiwillig. Weiter gibt es Kritik daran, dass die Kirchensteuer an die staatliche Einkommensteuer anknüpft, ja überhaupt, dass sie als Steuer ausgestaltet ist. Weil sie „nicht an Gebietskörperschaften mit umfassender Aufgabenstellung, sondern an Zweckvereinigungen geleistet“ werde, erfülle die Kirchensteuer nicht den verfassungsrechtlichen Begriff der Steuer. Sie sei als Verbandslast, als öffentlich-rechtlicher Mitgliedsbeitrag wie bei den Rechtsanwaltskammern zu behandeln, so der Finanzrechtler und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof.60 Diese Klassifizierung bezieht er verfassungssystematisch auf Regelungen zur Verteilung der Steuerkompetenzen zwischen Bund und Ländern.61 Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV hat hierzu aber bewusst für die allgemeine Finanzierung von öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften eine Spezialregelung getroffen. Entscheidend sind deshalb die religionsverfassungsrechtlichen Zusammenhänge. Und danach ist das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gerade nicht auf eine vom Staat abgeleitete Autonomie für bestimmte öffentlich-rechtliche Verbandszwecke begrenzt, sondern als Anerkennung einer umfassenden Eigenständigkeit kirchlichen Wirkens in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes ausgestaltet.62 Vor diesem Hintergrund kann auch der Verfassungswortlaut für die Berechtigung der Kirchen, „nach Maßgabe der
59 Arnd Uhle, Kirchenfinanzierung in Europa: Erscheinungsformen, Eignung, Zukunftsperspektiven, in: Rees/Roca/Schanda (Hrsg.): Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 743 ff. (777 ff.); Peter Axer, Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche, in: Muckel (Hrsg.): Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, S. 13 (31); Jens Petersen, Kirchensteuer Kompakt, 2015, S. 223 f. 60 Ferdinand Kirchhof, Grundlagen und Legitimation der deutschen Kirchenfinanzierung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47 (2013), S. 7 ff. (23 ff.). 61 Ferdinand Kirchhof, Grundlagen und Legitimation der deutschen Kirchenfinanzierung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47 (2013), S. 7 ff. (24). 62 Martin Heckel, Zur Ordnungsproblematik des Staatskirchenrechts im säkularen Kultur- und Sozialstaat, JZ 1994, S. 425 ff. (426 und 429 f.); Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 2. Aufl. 2001, § 138 Rdnr. 115; Gerhard Robbers, Staatliches Recht und Kirchenrecht, in: Rau/Reuter/Schlaich (Hrsg.): Das Recht der Kirche, Bd. 1: Zur Theorie des Kirchenrechts, 1997, S. 474 ff. (477 f.); KarlHermann Kästner: Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, 1991, S. 128 ff., 140 ff., 174 ff.; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 156 ff.
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landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben“,63 nicht als dem „schnellen historischen Kompromiss von 1919“ geschuldeter64 Betriebsunfall angesehen werden. Vielmehr ist es eine bewusste, mittlerweile fast 100 Jahre in Verfassung, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung durchgetragene Entscheidung, für die Finanzierung von Religionsgemeinschaften durch deren Mitglieder die Form der Steuer anzubieten.65 Richtig an dem Vorstoß von Ferdinand Kirchhof erscheint mir aber ein Aspekt der Mitgliederpflege. Die Kirchen müssen sich ungeachtet der steuerlichen Erhebungsform sorgsam bewusst sein, wie sehr diese Finanzierung mitgliedschaftlich ausgerichtet ist. Denn anders als bei den staatlichen Körperschaften kann man sich der Steuerfinanzierung in kirchlichen Körperschaften einfach durch Austritt entledigen. Das sollte Konsequenzen u. a. für eine direktere Kommunikation mit den Steuerzahlern haben, etwa bei Veränderungen der Kirchensteuergrundlagen. Auf Seiten der Mitglieder sind hier die Erwartungen an eine direkte Ansprache gestiegen. Das hat sich deutlich z. B. bei der Verfahrensumstellung für die Kirchensteuer auf Kapitalerträge gezeigt. Man erwartet eine Information zu wesentlichen Kirchensteueränderungen lieber per Brief von seiner Kirche als auf dem Kontoauszug von seiner Bank. Das trifft besonders auch auf diejenigen zu, die einmal im Jahr in die Kirche kommen, denen aber eine Mitgliedschaft weiterhin am Herzen liegt. Auch für die konkrete Anknüpfung an die staatliche Einkommensteuer gibt es trotz mancher Verwerfungen u. a. im Hinblick auf staatliche Lenkungszwecke66 gute Gründe. Denn der Maßstab der steuerlichen Leistungsfähigkeit gewährleistet insgesamt besser als andere Modelle, dass Kirchenglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zu den Aufwendungen der Kirche beitragen.67 Wer über viel Ein63
Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV. Ferdinand Kirchhof, Grundlagen und Legitimation der deutschen Kirchenfinanzierung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47 (2013), S. 7 ff. (24). 65 Ebenso statt vieler für eine „echte“ Steuer m.w. N. auch aus der Rechtsprechung: Felix Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 143 und 146 f.; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 318; Stefan Mückl, Kirchliche Organisation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 160 Rdnr. 57. 66 Ferdinand Kirchhof, Verwerfungen der Kirchenzuschlagsteuern wegen des Maßstabes der Einkommensteuer, in: Kästner/Nörr/Schlaich (Hrsg.): Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, 1999, S. 373 (375 ff.); Hermann Weber, Rechtspolitische Probleme der Kirchensteuer, in: Kreß (Hrsg.): Religionsfreiheit als Leitbild. Staatskirchenrecht in Deutschland und Europa im Prozess der Reform, 2004, S. 81 ff. (86 ff.). 67 Vgl. Felix Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 353 ff.; Heiner Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 37, S. 1101 ff. (1132 f.); Arnd Uhle, Kirchenfinanzierung in Europa: Erscheinungsformen, Eignung, Zukunftsperspektiven, in: Rees/Roca/Schanda (Hrsg.): Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, S. 743 ff. (780). 64
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kommen verfügt, soll verhältnismäßig viel zur Finanzierung beitragen. I. d. R. beträgt die Abgabe an die Kirche 1% des Einkommens, maximal 3,5%. Ein Beispiel: bei einer Familie mit zwei Kindern sind das monatlich bei einem Bruttoeinkommen 4.000 A rund 13 A, also weniger als eine solche Familie i. d. R. für Aktivitäten im Sportverein ausgibt – vom Essengehen gar nicht zu sprechen. Und dabei ist der die eigene Einkommensteuer mindernde Sonderausgabenabzug noch gar nicht berücksichtigt. In den vergangenen Jahren hat sich die Basis der Kirchensteuerpflichtigen systematisch verbreitert. So tragen mit der Einbeziehung von Renteneinkünften in die staatliche Einkommensteuer zunehmend auch Rentner über die Kirchensteuer zu den Aufgaben der Kirche bei. Und die Landeskirchen und Bistümer haben praktisch flächendeckend das sog. „besondere Kirchgeld“ eingeführt. Damit tragen auch kirchenangehörige Ehepartner mit einem pauschal gestuft reduzierten Kirchensteuer-Betrag für ihren Anteil am Familieneinkommen zu den Kirchensteuereinnahmen bei, wenn der hauptsächlich verdienende Ehegatte nicht Mitglied einer steuererhebenden Kirche ist.68 Änderungen der staatlichen Steuersystematik führen auf kirchlicher Seite z. T. zu erheblichem Umstellungsaufwand. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Einführung der Abgeltungssteuer für Kapitalerträge. Es lohnt sich aber, diese Anpassungen vorzunehmen, weil auf diese Weise die zukunftsfähige Ausgestaltung der Kirchensteuer gewährleistet bleibt. Denn ein Wegfall von Einkunftsarten würde die Kirchensteuergrundlagen auszehren und zu Verwerfungen auch im Hinblick auf die Belastungsgleichheit führen. Schließlich ist wichtig: Fragen der Finanzierung dürfen die Kirche nicht dazu verführen, sich vornehmlich um eigene institutionelle Interessen zu kümmern. Die Sorge um das Geld kann freilich gerade bei Kollektenfinanzierung sehr kraftraubend sein und in großer Spannung zum Auftrag treten, etwa wenn die Kollektenbitten die Gottesdienstgestaltung und das Gemeindeleben bestimmen. Oder wenn die Kirchenfinanzen in Abhängigkeit von wenigen Großspendern geraten, die über ihr Geld das Wirken der Gemeinde beeinflussen könnten. So ist die Kirchensteuer eine besonders effektive, an der Leistungsfähigkeit der Kirchenglieder orientierte Abgabe, die eine solide, planbare Finanzierung der kirchlichen Aufgaben und einen Solidarausgleich zwischen den Gemeinden ermöglicht. Auch privilegiert die Kirchensteuer nicht einseitig einzelne Kirchen. Denn das Instrument der Kirchensteuer steht grundsätzlich jeder öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaft zur Verfügung. Auch kleinere Religionsgemeinschaften können dabei unterstützt werden, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen. Die Kirchensteuer steht für ein plurales, freiheit68 Zum sog. „besonderen Kirchgeld“ ausführlich: Jens Petersen, Kirchensteuer Kompakt, 2015, S. 43 ff. und 104 ff.
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liches Angebot auch im Hinblick auf Finanzierungsformen religiösen Wirkens. Sie bedarf aber zunehmend der Ergänzung durch neue Finanzquellen, die es ermöglichen, die Finanzierung der kirchlichen Aufgaben auf mehr Schultern zu verteilen und zugleich dadurch mehr Menschen aktiviert, am Gemeindeaufbau verantwortlich mitzuwirken.69 b) Vertragliche Absicherung der Grundlagen für die Kirchensteuerfinanzierung Vor diesem Hintergrund sichern die Vertragspartner die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Kirchensteuer nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV und Art. 109 Abs. 4 SächsVerf sowie die wesentlichen landesgesetzlichen Grundlagen des kirchlichen Steuererhebungsrechts im Evangelischen und im Katholischen Kirchenvertrag Sachsen ab. Im Freistaat Sachsen kam es den Vertragspartnern besonders darauf an, die weiten landesrechtlichen Spielräume für die Ausgestaltung der Kirchensteuerfinanzierung im Hinblick auf die Steuerarten und die potentiellen Steuergläubiger nach dem Kirchensteuergesetz der DDR i.V. m. Art. 9 Abs. 5 Einigungsvertrag staatskirchenvertraglich zu fixieren.70 Denn allein den Kirchen kommt als berechtigten Steuergläubigern im Rahmen der staatlichen Vorgaben die Festlegung der zu erhebenden Kirchensteuern in Auswahl aus den zulässigen Steuerarten und die Bestimmung über die Höhe der Steuern zu. So umfassen die staatskirchenvertraglichen Gewährleistungen das Recht, Kirchensteuern zu erheben • auf verschiedenen Ebenen, nämlich durch die Landeskirche bzw. Diözese (als Landeskirchen- bzw. Diözesankirchensteuer) und auch durch die Kirchengemeinden (als Ortskirchensteuer),71 • in verschiedenen Arten, nämlich als Steuer vom Einkommen, auf das Vermögen, als Kirchgeld in festen oder gestaffelten Beträgen und als besonderes Kirchgeld in sog. glaubensverschiedener Ehe72 • und zwar sowohl einzeln als auch nebeneinander73 • und dabei Mindestbeträge und Obergrenzen festzulegen.74 69 Hans Ulrich Anke, Die Struktur kirchlicher Finanzen, in: Abmeier/Borchard/Riemenschneider (Hrsg.): Religion im öffentlichen Raum, 2013, S. 175 ff. (185 f.). 70 LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 28. 71 Art. 16 Abs. 1 S. 1 SächsEvKV; Art. 21 Abs. 1 S. 1 SächsKathKV. 72 Art. 16 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV; Art. 21 Abs. 1 S. 2 SächsKathKV. 73 Art. 16 Abs. 1 S. 3 SächsEvKV; Art. 21 Abs. 1 S. 3 SächsKathKV. 74 Schlußprotokoll zu Art. 16 Abs. 1 S. 1 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 21 Abs. 1 SächsKathKV.
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c) Staatliche Anerkennungsvorbehalte im Hinblick auf rechtliche Vorgaben Weiter regeln die Verträge Einzelheiten zur Kooperation von Staat und Kirche im Hinblick auf die Kirchensteuererhebung. Denn auch dem Freistaat Sachsen kommt eine Verantwortung bei der Kirchensteuererhebung zu. Diese geht darauf zurück, dass die Kirchen mit dem Instrument der Steuer für die mitgliederbezogene Finanzierung der kirchlichen Arbeit staatliche Zwangsmittel in Anspruch nehmen.75 Der Freistaat muss in der Konsequenz für die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben Sorge tragen. Eigene Ermessenserwägungen oder eine materielle Aufsicht über die kirchliche Finanzwirtschaft sind dem Staat damit nicht eingeräumt.76 Vor diesem Hintergrund sahen schon die landesgesetzlichen Grundlagen im Freistaat Sachsen vor, dass die kirchliche Ausgestaltung der Kirchensteuererhebung in den kirchlichen Steuerordnungen und -beschlüssen zur Wirksamkeit in der staatlichen Rechtsordnung der Anerkennung durch den Freistaat bedarf. Das nehmen die Verträge auf.77 Sie verpflichten die kirchlichen Vertragspartner dazu, alle Regelungen und Änderungen dem Freistaat vorzulegen.78 Zur Verfahrenserleichterung gelten unveränderte Fortschreibungen von Beschlüssen über die Kirchensteuersätze als anerkannt.79 Weitergehend verpflichten sich die kirchlichen Vertragspartner darauf, sich auf einheitliche Zuschlagsätze für die Bemessung der Kirchensteuer vom Einkommen zu einigen.80 d) Gewährleistung der Kirchensteuerverwaltung durch die staatlichen Finanzämter Die staatliche Verwaltung und Vollstreckung der Kirchensteuer durch die Finanzämter selbst ist nicht verfassungsrechtlich vorgegeben. Sie wurde aber im Freistaat Sachsen wie in den anderen neuen Bundesländern bereits früh landesgesetzlich durch § 10 KiStG DDR i.V. m. Art. 9 Abs. 5 Einigungsvertrag eingeführt. Für alle Beteiligten ist eine solche Regelung, wie dargestellt, von Vorteil und die verfassungsgebotene Trennung von Staat und Kirche bleibt konsequent 75 Das gilt auch dann, wenn man in der Kirchensteuererhebung nicht eine Beleihung sieht, sondern dem Konzept der „duae conformes“ folgt, wie Ferdinand Kirchhof, Grundlagen und Legitimation der deutschen Kirchenfinanzierung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47 (2013), S. 7 ff. (26 ff.). 76 Hanns Engelhardt, Die Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, 1991, S. 10 f. 77 Art. 16 Abs. 3 SächsEvKV; Art. 21 Abs. 3 SächsKathKV. 78 Zuständige Behörde ist das Finanzministerium: Art. 16 Abs. 4 S. 1 SächsEvKV mit Schlußprotokoll; Schlußprotokoll zu Art. 21 Abs. 3 S. 1 SächsKathKV. 79 Art. 16 Abs. 4 S. 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 21 Abs. 3 S. 2 SächsKathKV. 80 Art. 16 Abs. 2 SächsEvKV; Art. 21 Abs. 2 SächsKathKV.
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gewahrt. Denn die steuererhebenden Kirchen nehmen eine staatliche Verwaltungsdienstleistung in Anspruch, die ihnen erheblichen Aufwand erspart, dem Staat mehr als auskömmliche Gebühren für diese Dienstleistung einbringt und die jeweiligen Verantwortungssphären klar voneinander geschieden lässt. Vor diesem Hintergrund sichern die Staatskirchenverträge auch diesen wichtigen Aspekt der Verwaltung und Vollstreckung der Kirchensteuer ab.81 Das erstreckt sich auch • auf die staatliche Inpflichtnahme der Arbeitgeber beim Lohnsteuer-Abzug vom Arbeitslohn im Hinblick auf die Lohn-Kirchensteuer,82 • auf Auskunftsrechte kirchlicher Stellen, die als Datenübermittlung aus den vorhandenen Unterlagen im Rahmen der datenschutzrechtlichen Vorgaben ausgestaltet sind83 • und auf das Recht der kirchlichen Stellen, von der staatlichen Finanzverwaltung abweichende Billigkeitsentscheidungen zur Festsetzung, zur Stundung, zum Erlass oder zur Niederschlagung von Kirchensteuern zu treffen.84 Zugleich halten die Verträge aber auch Voraussetzungen für die Kirchensteuerverwaltung durch den Freistaat Sachsen fest, um den Verwaltungsaufwand zu verringern und den staatlichen Vertragspartner vor etwaigen innerkirchlichen Unstimmigkeiten zu schützen.85 Dazu gehören • einheitliche Zuschlagsätze auf die Einkommensteuer,86
81 Art. 17 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 SächsEvKV; Art. 22 S. 1 und 3 SächsKathKV. Danach ist im Freistaat Sachsen – abweichend gegenüber Staatskirchenverträgen anderer Länder – keine Verzichtsmöglichkeit kirchlicher Stellen im Hinblick auf die Vollstreckung eingeräumt; vgl. LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 32, und LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 38. 82 Art. 17 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV; Art. 22 S. 2 SächsKathKV; zu den damit zusammenhängenden Rechtsfragen: Hans Ulrich Anke/Diana Zacharias, Das Kirchensteuereinzugsverfahren aus der Sicht des Verfassungsrechts, DÖV 2003, S. 140 ff. 83 Art. 17 Abs. 2 S. 3 SächsEvKV mit Schlußprotokoll; Schlußprotokoll zu Art. 22 lit. b) S. 3 bis 5 SächsKathKV; zu komplizierten Details siehe Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 79 f. 84 Art. 17 Abs. 3 S. 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 22 lit. c) S. 2 SächsKathKV. 85 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 367. 86 Schlußprotokoll zu Art. 16 Abs. 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 21 Abs. 2 SächsKathKV. Die Zuschlagsätze sind im Freistaat Sachsen seit langem auf 9% der staatlichen Einkommensteuer fixiert.
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• die Erstreckung auf die Kirchensteuer von Maßnahmen der staatlichen Finanzverwaltung zur aus Billigkeitsgründen abweichenden Festsetzung, zur Stundung, zum Erlass oder zur Niederschlagung der Maßstabsteuer,87 • eine angemessene, an den Kirchensteuereinnahmen auszurichtende Verwaltungsentschädigung, die gesondert zu vereinbaren ist88 • und eine belastbare Einigung der kirchensteuererhebenden evangelischen Landeskirchen und der katholischen Bistümer über die interne Verteilung der staatlich verwalteten Kirchensteuereinnahmen, d.h. eine Verständigung auf jeweils ein gemeinsames Konto und einen Aufteilungsschlüssel.89 e) Meldewesen, Datenübermittlung Den Vertragspartnern war sehr bewusst, dass die Meldedaten der Kirchenmitglieder für das Kirchensteuerrecht wie überhaupt für ein geordnetes Mitgliederwesen der vertragsbeteiligten Kirchen eine zentrale Bedeutung haben.90 Es geht dabei u. a. um die Daten der Taufe, des Kircheneintritts und ggf. -austritts, des Wegzugs und des Zuzugs von Kirchenmitgliedern. Dem wird melderechtlich durch die Ermächtigung von § 19 MRRG zu entsprechender Datenübermittlung an kirchliche Stellen zur Erfüllung ihrer Aufgaben Rechnung getragen. Dies hat der Freistaat Sachsen wie die anderen Länder landesgesetzlich aufgegriffen. Die Datenübermittlung erfolgt gebührenfrei sowohl regelmäßig in bestimmten zeitlichen Abständen als auch in konkreten Einzelfällen für die Daten der Religionszugehörigkeit nach § 30 Abs. 1 und 2 SächsMG unter den dort genannten Voraussetzungen. So müssen im kirchlichen Bereich insbesondere ausreichende Maßnahmen zur Sicherung des Datenschutzes bestehen. Hierzu haben die Kirchen dem staatlichen Datenschutzrecht entsprechende Regelungen erlassen.91 Diese Gewährleistung der Übermittlung von Meldedaten einschließlich der Gebührenfreiheit92 schreiben die Staatskirchenverträge im Freistaat nach dem 87 Art. 17 Abs. 3 S. 1 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 22 lit. c) S. 1 SächsKathKV. 88 Art. 17 Abs. 2 S. 1 und 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 22 lit. b) S. 1 und 2 SächsKathKV. Die Höhe der Verwaltungsentschädigung ist seit langem auf 3% des Kirchensteueraufkommens festgelegt. 89 Schlußprotokoll zu Art. 17 Abs. 1 S. 1 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 22 lit. a) SächsKathKV. 90 Steffen Heitmann, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen aus der Sicht der Verwaltung, LKV 1995, S. 93 ff. (96). 91 Kirchengesetz über den Datenschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD-Datenschutzgesetz – DSG-EKD) vom 1. Januar 2013 (ABl. EKD 2013, S. 2) mit Berichtigung vom 1. Februar 2013 (ABl. EKD 2013, S. 34). 92 So nach Art. 15 Abs. 2 SächsEvKV und Art. 23 Abs. 2 SächsKathKV unter Bezugnahme auf den Grundsatz der Amtshilfe mit Hinweis auf § 1 SächsVwVfG i.V. m.
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landesgesetzlichen Stand zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse fest.93 Die Gewährleistung gilt ausdrücklich nur für die öffentlich-rechtlichen Gliederungen der Kirche, nicht dagegen, „wenn die Datenübermittlung für privatrechtliche oder für privatrechtlich organisierte Werke und Einrichtungen erfolgen soll“.94 f) Zwischenfazit Auf der Grundlage der Sächsischen Staatskirchenverträge verläuft das Zusammenwirken von Staat und vertragsschließenden Kirchen im Hinblick auf die Kirchensteuerfinanzierung im Freistaat Sachsen reibungslos. Die einschlägigen Vertragsregelungen haben sich durchgehend bewährt. 2. Gewährleistung des Kirchengutes Sowohl der Evangelische als auch der Katholische Kirchenvertrag Sachsen gewährleisten ausdrücklich das „Eigentum und andere vermögenswerte Rechte“ der vertragsschließenden Kirchen und ihrer Gliederungen.95 Mit den leicht unterschiedlichen Formulierungen der Gewährleistung in den beiden Verträgen sind keine inhaltlichen Differenzen verbunden. Vielmehr greifen beide Verträge damit die verfassungsrechtliche Garantie des Kirchengutes nach Art. 138 Abs. 2 WRV i.V. m. Art. 140 GG sowie Art. 109 Abs. 4 Sächsische Verfassung im Vertragswerk auf, bekräftigen sie und wollen deren Geltung vertraglich absichern.96 Es geht dabei um den Schutz der vermögenswerten Rechte in ihrer widmungsgemä-
§ 8 Abs. 1 S. 1 VwVfG: LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 27 f. und LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 39 f. 93 Art. 15 Abs. 1 und 2 SächsEvKV und Art. 23 Abs. 1 und 2 SächsKathKV jeweils mit Schlußprotokoll; vgl. LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 26. Anders als in den Verträgen der anderen neuen Länder ist hier ausdrücklich eine „statische“ Verweisung aufgenommen worden: „Maßgebend ist das Sächsische Meldegesetz in seiner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung (Sächsisches GVBl. 1993, S. 353)“, Schlußprotokoll zu Art. 15 Abs. 1 S. 5 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 23 Abs. 1 S. 2 SächsKathKV. 94 Schlußprotokoll zu Art. 15 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 23 SächsKathKV. Nach Steffen Heitmann, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen aus der Sicht der Verwaltung, LKV 1995, S. 93 ff. (96) ist auf dieser Basis aber auch die Weitergabe der Daten an diakonische Werke in Privatrechtsform zu ermöglichen. 95 Art. 8 Abs. 1 SächsEvKV; Art. 16 Abs. 1 SächsKathKV mit Schlußprotokoll. 96 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 83 f.
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ßen, d.h. vor allem religionsbezogenen Funktion.97 Die Reichweite solch staatskirchenvertraglicher Absicherungsfunktion ist im Einzelnen wie bereits dargestellt umstritten.98 Vor dem Erfahrungshintergrund der staatlichen Übergriffe während der NSZeit und in der DDR ist den Vertragspartnern eine Konkretion besonders wichtig, nämlich die besondere Rücksichtnahme auf die kirchlichen Belange bei staatlichen Enteignungen.99 In seiner Wirkung dürfte das vom Freistaat damit eingeräumte Entgegenkommen allerdings nicht viel mehr bewirken als eine Bekräftigung der ohnehin gebotenen Ermessenserwägungen, wenn der Staat enteignungsrechtliche Vorschriften gegenüber den Kirchen und ihren Gliederungen zur Anwendung bringt.100 Ein Zwischenfazit nach 20 Jahren Vertragspraxis: Praktische Problemfälle für gottesdienstliche Gebäude sind nicht bekannt. Betroffen ist zumeist das kirchliche Finanzvermögen, weil es i. d. R. um die Inanspruchnahme kirchlicher Grundstücke für Straßenbaumaßnahmen geht. Anders noch als in den ersten Jahren der Vertragspraxis dringen die Kirchen derzeit nicht mehr so recht mit ihrem in den Grundsätzen kirchlicher Vermögensverwaltung begründeten Anliegen durch, Ersatzflächen statt Ablösungsbeträge zu bekommen. Hier sollte der Freistaat in seinen Ermessenserwägungen wieder mehr auf die Grundsätze kirchlicher Vermögensverwaltung eingehen, hat er doch in den Verträgen die Berücksichtigung kirchlicher Belange bei der Anwendung enteignungsrechtlicher Vorschriften zugesagt. Im Schrifttum ist eine Frage zum personalen Anwendungsbereich aufgeworfen worden, nämlich ob sich diese Gewährleistungen – und auch andere vermögensbezogene Vertragsregelungen – auch auf kirchlich-diakonische Träger mit privatrechtlichen Organisationsformen erstrecken.101 Der Wortlaut der vertraglichen Gewährleistungen stellt auf die „kirchlichen Gliederungen“ ab. Damit mag man 97 Karl-Hermann Kästner, Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Vermögens, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 32, S. 891 ff. (892 ff.); Dirk Ehlers, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 140 GG/Art. 138 WRV Rdnr. 6 und 8. 98 S. o. III. 4. sowie konkret zur Absicherungsfunktion für die Kirchengutsgewährleistungen Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 172 ff., 205 f., 214. 99 Art. 8 Abs. 2 SächsEvKV; Art. 16 Abs. 2 SächsKathKV. 100 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 84; vgl. LT-Drs. Sachsen 2/ 3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 25. 101 Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 65 f.
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zunächst den Körperschaftstatus und damit die öffentlich-rechtlichen Gliederungen der Kirche assoziieren. Die Kirchengutsgarantie selbst stellt aber nicht auf die Organisationsformen des Rechtsträgers ab. Dies entspricht auch den freiheitlichen Gewährleistungen für die kirchliche Selbstorganisation. Nach Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV i.V. m. Art. 140 GG bzw. Art. 109 Abs. 4 SächsVerf bestimmen darüber die Kirchen nach ihren Organisationsbedürfnissen im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes. Im Ergebnis ist danach für den personalen Anwendungsbereich nicht auf die öffentlich-rechtliche Organisationsform, sondern auf eine klare Zuordnung zur Kirche abzustellen.102 Das darzulegen, ist im Streitfall Aufgabe der Kirche. Für die römisch-katholischen Gliederungen gibt es dafür stringente Organisationsgrundlagen.103 Und auch auf evangelischer Seite stehen mit der bisherigen Zuordnungsrichtlinie der EKD und dem neuen Zuordnungsgesetz der EKD104 i.V. m. mit den landeskirchlichen Regelungen die notwendigen Instrumente zur Klärung zur Verfügung. 3. Vermögensentflechtung bei Gebäuden, Patronaten und Kirchschullehen Ein Erbe der Jahrhunderte währenden staatskirchlichen Prägung des Miteinanders von Staat und Kirchen sind vielfältige Vermögensverflechtungen zwischen ihnen. Mit der Emanzipation der kirchlichen Organisationsformen von den staatlichen stellte sich auch die Aufgabe der Vermögensentflechtung, d.h. der aufgabengerechten Zuordnung der Vermögen auf staatliche und kirchliche Rechtsträger. Dazu kam nach der deutschen Wiedervereinigung noch der weitergehende Aufarbeitungsbedarf, der sich aus der Ignoranz des DDR-Rechts im Hinblick auf Vermögens- und Eigentumsrechte ergeben hat. Die Staatskirchenverträge sind zugleich Zeugnis und Motor dieser vermögensbezogenen Umsetzung der Trennung von Staat und Kirche. Denn mit den Kooperationsfunktionen des Vertragsstaatskirchenrechts lässt sich die Klärung dieser Fragen besonders gut, weil gezielt, einvernehmlich und verbindlich voranbringen. 102 Die Vertragsbegründung für den Katholischen Kirchenvertrag (LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen [Katholischer Kirchenvertrag Sachsen], S. 25) stellt das weiter klar, in dem sie auch die „Untergliederungen wie auch die ihr zugehörenden Orden, Kongregationen und religiösen Verbände“ einbezieht. 103 „Keine Vereinigung darf sich ohne entsprechende Genehmigung der zuständigen kirchlichen Autorität ,katholisch‘ nennen“, so mit Hinweis auf cc. 216, 300 CIC Heinrich de Wall/Stefan Muckel, Kirchenrecht, 2. Aufl. 2010, § 18 Rdnr. 76 f. m.w. N. auch zu den Anforderungen. 104 Kirchengesetz zur Zuordnung rechtlich selbständiger Einrichtungen zur Kirche (Zuordnungsgesetz der EKD – ZuOG-EKD) vom 12. November 2014 (ABl. EKD 2014, S. 340); vgl. Jörg Winter, Welche Einrichtungen gehören zur Kirche?, ZevKR 59 (2014), S. 141 ff.; Hendrik Munsonius, Die Zuordnung von Kirche und Diakonie im freiheitlichen Gemeinwesen, ZevKR 60 (2015), S. 51 ff. (59 f.).
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a) Vermögensentflechtung bei Kirchengebäuden in staatlichem Eigentum Die Kirchengutsgarantie schützt auch Nutzungsrechte zu kirchlichen bzw. diakonischen Zwecken an Gebäuden in staatlichem Eigentum. So gewährleisten die Staatskirchenverträge für Gebäude im Eigentum des Freistaates die bestehenden kirchlichen Widmungszwecke. Und sie bekräftigen die damit verbundenen Baulastpflichten des Freistaates für die Unterhaltung solcher Gebäude.105 Für eine Reihe von Gebäuden erkennt der Freistaat ganz konkret solche Verpflichtungen zur widmungsgerechten Nutzungsüberlassung und Bauunterhaltung an. Das betrifft auf evangelischer Seite die Schlosskapellen Augustusburg und Schloss Weesenstein106 sowie auf katholischer Seite die Kathedrale in Dresden und die Schlosskapellen Hubertusburg, Pillnitz und Moritzburg.107 Die Kirchen sagen dem Freistaat ihrerseits zu, bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche auf die wirtschaftliche Lage des Freistaates Rücksicht zu nehmen,108 um den Freistaat bei ggf. erheblichem Bauunterhaltungsbedarf nicht zu überfordern und auf eine schrittweise Erfüllung zuzugehen.109 In diesen Vertragsregelungen können Risiken für zukünftige Konflikte stecken. Denn bei diesen Gebäuden hat der Freistaat zwar die Eigentümerpflichten, auch die der Bauunterhaltung, ist in seinen Eigentumsrechten durch die Nutzungsbefugnisse der Kirche jedoch weitgehend eingeschränkt. Die Kirche bleibt wiederum in ihrer Nutzung und bei etwaigen Umgestaltungsanliegen angewiesen auf den staatlichen Eigentümer. Die Staatskirchenverträge in den westlichen Ländern haben solche Vermögensbeziehungen vielfach noch weitergehend entflochten, indem sie die rechtsverbindliche Verpflichtung zur Eigentumsübertragung auf den kirchlichen Nutzer unter Baulastablösung und ggf. Entschädigungsleistung vereinbart haben.110 In Sachsen wie in den anderen neuen Bundesländern war man 105 Art. 11 Abs. 1 SächsEvKV; Art. 17 Abs. 1 SächsKathKV. Diese Gewährleistungen ergeben sich bei entsprechendem Herkommen als „Staatsleistungen“ ohnehin bereits aus Art. 138 Abs. 1 WRV/Art. 140 GG, vgl. LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 26. 106 Schlußprotokoll zu Art. 11 Abs. 1 S. 1 SächsEvKV. 107 Schlußprotokoll zu Art. 17 Abs. 1 S. 1 SächsKathKV. 108 Schlußprotokoll zu Art. 11 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 17 Abs. 1 S. 2 SächsKathKV. 109 LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 16; LTDrs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 26. 110 Vgl. Art. 17 EvKVNds, Art. 19 EvKVSchlH; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 288; ausführlich dazu: Erich Ruppel, Kirchenvertragsrecht. Eine Erläuterung des Staatskirchenrechts der neueren Kirchenverträge, 1996, S. 449 ff.
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hier aus guten Gründen zurückhaltender. Das lag u. a. an den generellen Schwierigkeiten bei der Vermögenszuordnung nach der Wiedervereinigung. Die komplexen Rechtsbeziehungen bei einzelnen Objekten ließen sich z. T. schwer klären, und der anstehende Sanierungs- und Bauunterhaltungsbedarf war kaum absehbar noch finanzierbar. Deshalb nehmen der Evangelische Kirchenvertrag ebenso wie der Katholische Kirchenvertrag in Sachsen für eine zukünftig ggf. weitere Vermögensentflechtung offener in Aussicht, solche kirchlich gewidmeten Gebäude im staatlichen Eigentum an die belegende Landeskirche oder Diözese gegen Ablösung der Baulast und ggf. Entschädigung zu übereignen.111 Sie folgen mit dieser Regelung aber auch insoweit weiter dem Ablösungsgebot für Staatsleistungen. In der Konsequenz ist dieser Bereich aus der pauschalen Abgeltung für die Staatsleistungen herauszunehmen. Das halten die Vertragspartner auch ausdrücklich miteinander fest.112 Und es ist Ausdruck der lebendigen Vertragspartnerschaft zwischen dem Freistaat und den Kirchen, dass alle Beteiligten mit diesen Regelungen auch im Alltag gut zurechtkommen. Ein Spezialfall solch vertraglicher Zuordnungen von kirchlichen Nutzungsrechten an staatlichen Gebäuden ist die Zusage des Freistaates, für die Anstaltsseelsorge in staatlichen Krankenhäusern und Justizvollzugsanstalten die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und für die überwiegend gottesdienstlich genutzten Räume die Bau- und Unterhaltungslast zu tragen.113 Das zeigt anschaulich, dass auch heute noch Vermögensentflechtung im Staat-KircheVerhältnis nicht immer die Zusammenführung von Nutzungs- und Eigentumsrechten bedeuten muss, sondern dass es gute Gründe dafür geben kann, kirchliche Nutzungen auch in Gebäuden des Freistaates zu gewährleisten. b) Vermögensentflechtung bei Patronaten Für das Patronatswesen haben die Vertragspartner die Vermögensentflechtung noch weiter vorangetrieben. Regelungen dazu waren allerdings nur für den Evangelischen Kirchenvertrag Sachsen zu treffen. Als Patronat wird die vielfach auf mittelalterliche Stiftungen zurückgehende, rechtlich mit Rechten und Pflichten ausgestaltete Fürsorgeverantwortung einer juristischen oder natürlichen Person 111 Art. 11 Abs. 2 SächsEvKV; Art. 17 Abs. 2 SächsKathKV; dazu näher: LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 16. 112 Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 1 S. 3 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. a) S. 3 SächsKathKV; näher: LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 20; LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 30. 113 Art. 13 Abs. 1 SächsEvKV mit Schlußprotokoll; Art. 12 Abs. 1 SächsKathKV mit Schlußprotokoll.
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gegenüber der Kirche bezeichnet.114 Die Vertragspartner des Evangelischen Kirchenvertrags Sachsen waren sich einig, dass sich das Institut des Patronats überholt habe. Deshalb haben sie generell alle Rechte aus Patronaten aufgehoben,115 die herkömmlich mit den Patronatsrechten verbundenen Baulastpflichten für alle Privatpatronate entschädigungslos wegfallen lassen116 und für die staatlichen Patronate eine Ablösung durch gesonderte Vereinbarung in Aussicht genommen.117 Für die staatlichen Patronate sind Regelungen zur Aufhebung gut nachvollziehbar.118 Denn der religiös-neutrale, säkulare Staat kann Mitwirkungsrechte bei kirchengemeindlichen Entscheidungen, wenn überhaupt, nur in einer von Glaubensbezügen abstrahierenden Form wahrnehmen. Das lässt die herkömmlich mit dem Patronat verbundenen besonderen Einflussrechte für die Mitgestaltung des gemeindlichen Lebens für staatliche Akteure weitgehend ins Leere laufen. Deshalb wurde auch schon in früheren Staatskirchenverträgen der westlichen Bundesländer weitgehend auf die Ausübung staatlicher Patronatsrechte verzichtet.119 Vor diesem Hintergrund hat der Freistaat Sachsen in der Konsequenz kirchliche Erwartungen an die Höhe von Ablösungsleistungen für Baulastpflichten aus staatlichen Patronaten mit dem Argument gedämpft, dass der ersatzlose Wegfall der staatlichen Rechte aus den Patronaten zu berücksichtigen sei. Zugleich hat der Freistaat aber auch eingeräumt,120 dass die öffentlichen Patronate ohnehin schon seit langem im Wesentlichen nicht mehr durch Patronatsrechte, sondern durch die Baulastverpflichtungen geprägt waren, die der Kirchengutsgarantie nach Art. 138 Abs. 2 WRV i.V. m. Art. 140 GG sowie Art. 109 Abs. 4 SächsVerf unterfallen. Dazu kommt noch, dass für viele der betroffenen Kirchengemeinden diese Baulastpflichten aus öffentlichen Patronaten oft eine, und für manche sogar die wesentliche Finanzierungsgrundlage für die Bauunterhaltung ihrer Kirchgebäude bedeuten.121 Während die anderen Staatskirchenverträge der neuen Länder die finanzielle Ablösung der Baulasten aus staatlichen Patronaten i. d. R. mit in 114 Burghard Winkel, Artikel „Patronat“, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.): Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 1751 ff. (1751 f.). 115 Art. 12 Abs. 1 S. 1 SächsEvKV. 116 Art. 12 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV. 117 Art. 12 Abs. 1 S. 3 SächsEvKV. 118 Vgl. Alfred Albrecht, Patronatswesen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 40, S. 47 ff. (50 und 56). 119 Siehe Irene-Marie Matthiesen, Der Schleswig-Holsteinische Kirchenvertrag vom 23. April 1957, 1986, S. 193 f. 120 LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 17. 121 Mit differenzierten Nachweisen: Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 294 f.
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die pauschale Gesamtabgeltung von staatlichen Verpflichtungen gegenüber der Kirche insbesondere aus den Staatsleistungen einbezogen hatten,122 ist für Sachsen diese Aufgabe noch offen gehalten worden. Demgegenüber hat der Freistaat Sachsen nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV für die Privatpatronate die damit verbundenen Baulastpflichten entschädigungslos wegfallen lassen. Nach den Verträgen in den anderen neuen Ländern bleibt die Ablösung der kommunalen und privaten Patronate demgegenüber der Regelung in Einzelvereinbarungen zwischen den Beteiligten überlassen.123 c) Vermögensentflechtung bei den bisher noch nicht getrennten „Kirchschullehen, Küsterschulvermögen, Kirchen- und Schulämtern“ Für die bisher noch nicht getrennten „Kirchschullehen, Küsterschulvermögen, Kirchen- und Schulämter“ enthält der Evangelische Kirchenvertrag eine offene „Absichtserklärung“, die weitere Vermögensauseinandersetzung in Zusammenarbeit mit allen Akteuren, d.h. Kirchen, Gemeinden, und den kommunalen Spitzenverbänden zügig durchzuführen.124 Die Vertragspartner untermauern diese Absicht zur zügigen Vermögensentflechtung, indem sie die Akteure auf der örtlichen Ebene ermutigen, die Auseinandersetzung beschleunigt und einvernehmlich ggf. auch ohne abschließende Klärung der genauen Sach- und Rechtslage durchzuführen.125 Schwierigkeiten bereiten nicht nur der aufzuarbeitende lange Zeitraum, sondern auch und vor allem der Umgang mit Grund- und Gebäudeeigentum in der Zeit der DDR.126 Es geht heute noch um rund 300 Grundstücke, i. d. R. Kirchschullehen. Als Grundlage für die Vermögensauseinandersetzung haben sich die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens und der Sächsische Städte- und Gemeindetag auf eine Rahmenvereinbarung verständigt.127 Sie setzt 122 Siehe mit Nachweisen: Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-KircheVerhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 295 f. 123 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 313. 124 Art. 12 Abs. 2 SächsEvKV mit Schlußprotokoll. 125 Schlußprotokoll zu Art. 12 Abs. 2 SächsEvKV sowie LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 18. 126 Im Schrifttum wird noch auf eine ähnliche Problemlage bei kommunalen Leichenhallen auf kirchlichen Friedhöfen hingewiesen, vgl. Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/ Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 169 f. 127 Rahmenvereinbarung zwischen dem Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamt Sachsens und dem Sächsischen Städte- und Gemeindetag e. V. zur Regelung der vermögensrechtlichen Fragen über Kirchschullehn vom 2. Juli 1996 (ABl. S. A 169).
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bei den jeweiligen Nutzungszwecken bzw. -anliegen der Beteiligten für die in Rede stehenden Immobilien an. Der Freistaat Sachsen hält sich bei der Umsetzung zurück, auch weil mitentscheidend für Lösungen letztlich die finanzielle Leistungsfähigkeit der Beteiligten für Ablösungs- bzw. Entschädigungsbeträge ist. d) Zwischenfazit Die Regelungen in den Staatskirchenverträgen zur Gewährleistung des Kirchengutes und zur Vermögensentflechtung haben sich im Wesentlichen bewährt. Manche Auseinandersetzung im Einzelfall gestaltet sich freilich mühsamer. Aber auch dafür bieten die Staatskirchenverträge eine insgesamt gute Grundlage. 4. Vermögensentflechtung im Besonderen: die pauschalierte Abgeltung der Staatsleistungen Besondere Aufmerksamkeit bei der staatskirchenvertraglichen Vermögensentflechtung kam und kommt dem Umgang mit den Staatsleistungen zu. Das zeigt auch die bis heute immer wieder vorgebrachte Kritik im parlamentarischen Raum, insbesondere von Seiten Bündnis 90/Die Grünen und von der Partei „Die Linke“. a) Der Umgang mit den Staatsleistungen als schwierigster Vertragsgegenstand Schon für die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen ist der Komplex der Staatsleistungen vielfach als die schwierigste Regelungsmaterie bezeichnet worden.128 Das mag zum einen an dem großen Finanzvolumen gelegen haben, über das man sich insbesondere beim Evangelischen Kirchenvertrag zu verständigen hatte. Zum anderen und vor allem waren die damit zusammenhängenden 128 Von Seiten des Freistaates Sachsen vgl.: Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (48); auf Seiten der evangelischen Kirche z. B. Jürgen Bergmann, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen den evangelischen Kirchen und dem Freistaat Sachsen vom 24. März 1994 aus Sicht der evangelischen Kirche, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 129 ff. (145 ff.); Peter Zweynert, 10 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag in Sachsen, KABl. Sachsen 2005, S. B5 (B7); auf Seiten der katholischen Kirche z. B. Dieter Grande, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996 aus Sicht der katholischen Kirche, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 151 ff. (157 f.).
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Rechts- und Sachverhaltsfragen hochkomplex. Gegenstand sind die verfassungsrechtlich vom Ablösungsgebot nach Art. 138 Abs. 1 WRV i.V. m. Art. 140 GG bzw. Art. 109 Abs. 4 SächsVerf erfassten, auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vorkonstitutionellen, d.h. vor 1919 entstandenen, Ansprüche der Kirchen gegenüber dem Staat, die auf fortlaufenden Ausgleich vor allem für die weitgehende Entziehung von kirchlichen Vermögenswerten insbesondere zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerichtet sind.129 Diese Staatsleistungen sind auch durch Art. 112 Abs. 1 SächsVerf gewährleistet.130 Die verfassungsrechtliche Ausgangslage lässt sich nach ganz überwiegender Meinung wie folgt umreißen:131 Das verfassungsrechtliche Ablösungsgebot richtet sich an den Staat. Ablösungsverpflichtet sind die Länder, der Bund hat die Grundsätze dafür aufzustellen. Bei der Ablösung ist für einen angemessenen Wertausgleich der abzulösenden Rechtstitel Sorge zu tragen.132 Denn die verfassungsrechtliche Gewährleistung ist darauf ausgelegt, im Rahmen der durchzuführenden Vermögensentflechtung die durch Säkularisierungsmaßnahmen angegrif129 Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1018 ff.); Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 514 ff. 130 Für die Staatsleistungen ergibt sich aus dieser Verfassungsbestimmung keine eigenständige Bedeutung. Nach Helmut Goerlich/Torsten Schmidt, Das Staatskirchenrecht der Sächsischen Verfassung vom 27. Mai 1992, in: Uhle (Hrsg.): 20 Jahre Sächsische Verfassung, 2013, S. 111 ff. (129 ff.), betrifft der eigenständige Gewährleistungsgehalt öffentliche Leistungen, die nicht bereits von Art. 109 Abs. 4 SächsVerf i.V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV erfasst sind. 131 Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1018 ff.); Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 512 ff.; Ferdinand Kirchhof, Grundlagen und Legitimation der deutschen Kirchenfinanzierung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47 (2013), S. 7 ff. (14 ff.); Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004. 132 Die herrschende Meinung geht vom „Äquivalenzprinzip“ aus: Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1035); Michael Germann, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.): Grundgesetz. Beck’scher OnlineKommentar, 13. Aufl. 2013, Art. 140 GG, Rdnr. 123; Jens Reisgies, „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf“– Zum Grundsätzegesetz gem. Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 280 ff. (297 ff.); Axel von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 287; Volker Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 188 ff. (197 f.). Die abweichende Meinung stellt auf eine „angemessene Entschädigung“ ab, Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 527; Dirk Ehlers, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 140 GG/Art. 138 WRV Rdnr. 4; Jochen Rozek, Der unerfüllte Verfassungsauftrag – Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, in: Holzner/Ludyga (Hrsg.): Entwicklungstendenzen des Staatskirchen- und Religionsverfassungsrechts, 2013, S. 421 ff. (423).
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fene materielle Basis für das kirchliche Wirken nicht weiter auszuhöhlen.133 Daraus folgt auch, dass bis zur Ablösung die Verpflichtungen Bestand haben und zu erfüllen sind.134 Auf dieser Grundlage haben sich die Vertragspartner in Sachsen daran gesetzt, die historischen Verpflichtungen des Freistaates gegenüber den Kirchen akribisch aufzuarbeiten. Dies war geboten, weil finanzielle Leistungen des Staates an die Kirchen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen und das aus Art. 138 Abs. 1 WRV resultierende Gebot der „Wertgerechtigkeit“ auch zu Lasten kirchlicher Erwartungen einzuhalten ist.135 Dabei ging es darum, den Bestand der Ausgangsansprüche nach dem Grunde, der Höhe und ihrem Fortbestand durch die politischen Zeiten- und Systemwechsel hindurch zu klären.136 So fehlte es zwar vielfach an einer kontinuierlichen Erfüllung der vollständigen Leistungsverpflichtungen in der DDR-Zeit. Aber auch das DDR-Regime hat die Staatsleistungen weder aufgehoben noch auf andere Weise untergehen lassen, sondern, wenn auch z. T. nur rudimentär, erbracht.137 Die Sorgfalt, mit der die Vertragspartner diese Vermögensbeziehungen von den historischen Sachverhalten wie von der rechtlichen Bewertung her durchleuchtet haben, lässt sich an der umfangreichen Dokumentation der einschlägigen Ver133 Axel von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 281; Volker Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 188 ff. (189). 134 Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 534 ff.; Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1017). 135 Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1050 und 1035 f.); Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 299 m.w. N. 136 Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (49 ff.), zu dem Prüfungsprogramm und den Schwierigkeiten, etwa mit Blick auf die Aktenlage, die wertgerechte Hochrechnung von Reichsmark auf Deutsche Mark u. v. a. m. 137 Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1052 ff.); Wolfgang Rüfner, Deutsche Einheit im Staatskirchenrecht, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 26 (1992), S. 60 ff. (73 f.); Axel von Campenhausen, Der Güstrower Vertrag. Ein Schritt zur Normalisierung des Verhältnisses von Staat und Kirche, LKV 1995, S. 233 ff. (236); Axel von Campenhausen, Vier neue Staatskirchenverträge in vier neuen Ländern, NVwZ 1995, S. 757 ff. (761); Hermann Weber, Der Wittenberger Vertrag – ein Loccum für die neuen Bundesländer?, NVwZ 1994, S. 759 ff. (763).
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handlungsgrundlagen in den Vertragsmaterialien eindrucksvoll ablesen. Insbesondere dem damals zuständigen Referatsleiter im Sächsischen Justizministerium Rolf Raum gebührt dafür großer Dank. Hier sind die maßgeblichen Erwägungen, Rechtsgrundlagen und Sachverhalte für diese komplexe Vertragsmaterie in vorbildlicher Weise transparent dargestellt worden. Und diese Einschätzung möge man nicht als Courtoisie gegenüber dem gastgebenden Freistaat missverstehen. Denn schon in meiner Dissertation vor 15 Jahren hatte ich – auch im Quervergleich – dazu festgehalten: „Für größtmögliche Transparenz sorgt der Verhandlungsansatz der Vertragspartner im Freistaat Sachsen“!138 Deshalb geht auch die wiederholt aufkommende Kritik wegen angeblich mangelnder Nachvollziehbarkeit der Regelungen zu den Staatsleistungen in Sachsen ins Leere. Völlig zu Recht hat die Regierung des Freistaats entsprechende parlamentarische Anfragen kurz und knapp mit Verweis auf die vorliegenden Vertragsmaterialien beantwortet.139 b) Die umfassende Abgeltung durch neue Pauschalbeträge Angesichts der aufgezeigten Schwierigkeiten war beim Umgang mit den Staatsleistungen in besonderem Maß eine Kompromisslösung zwischen Staat und kirchlichen Vertragspartnern gefordert, und d.h. auch spürbare Zurückhaltung der Kirchen bei der Geltendmachung der Ansprüche.140 Dem haben die Vertragsbeteiligten durch erhebliche Abschläge auf die ermittelten Beträge der bekannten Rechtstitel Rechnung getragen und dies u. a. mit der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit des Freistaates Sachsen begründet.141 Mit dieser Maßgabe wurden alle Ansprüche der evangelischen Landeskirchen und der katholischen Bistümer sowie ihrer Gliederungen zu einem pauschalen, jährlich zu zahlenden Gesamtbetrag zusammengefasst.142 Mit diesem Gesamtbetrag werden alle Staats138 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 301 f. 139 Etwa zu den Kleinen Anfragen von MdL Annekathrin Giegengack, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (kirchenpolitische Sprecherin), „Staatsleistungen an die ev. Landeskirche im Freistaat Sachsen“, LT-Drs. Sachsen 5/2035, und „Höhe und Anpassung der Staatsleistungen an ev. Landeskirchen in Sachsen“, LT-Drs. Sachsen 5/2929. 140 Vgl. Staatsminister Steffen Heitmann, Plenarprotokoll Sachsen 1/95, S. 6571; MdL Martin Böttger, Bündnis 90/Die Grünen, Plenarprotokoll Sachsen 1/97, S. 6764 f.; MdL Dietmar Franke, CDU, Plenarprotokoll Sachsen 1/97, S. 6766. 141 Vgl. LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 25; Peter Zweynert, 10 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag in Sachsen, KABl. Sachsen 2005, S. B5 (B7); Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (82 f.) präzisiert den Abschlag auf 17,2%. 142 Art. 14 Abs. 1 S. 1 SächsEvKV; Art. 20 S. 1 SächsKathKV.
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leistungen abgegolten, ob sie den Vertragspartnern bekannt waren oder nicht.143 Lediglich die Ansprüche aus staatlichen Baulastverpflichtungen werden auf gesonderter Grundlage nach Art. 11 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV bzw. Art. 17 KKV weitergeführt.144 Die Beträge dieser Gesamtabgeltung lagen im Ausgangsjahr 1993 bei 25 Mio. DM für die evangelischen Landeskirchen und bei 1 Mio. DM für die katholischen Bistümer.145 Da diese Beträge mit weit über 90% auf Personalaufwand bezogen sind, sollen sie jährlich entsprechend den Besoldungsänderungen der Sächsischen Landesbeamten angepasst werden.146 Heute liegt der Betrag bei rd. 23 Mio. A für die evangelische Landeskirchen und bei gut 900.000 A für die katholischen Diözesen. Diese Mittel sind frei von den Kirchen verfügbar, weil sie als Ausgleich für entzogene Vermögenswerte geleistet werden. Sie unterliegen nur den kirchlichen Zweckbindungen nach deren Haushaltsrecht. Eine staatliche Prüfung der Mittelverwendung ist damit obsolet.147 Die Landeskirchen und Bistümer im Freistaat haben ihrerseits die Verteilung dieses Abgeltungsbetrages unter sich zu regeln.148 Das begrenzt für den Freistaat den Verwaltungsaufwand und schützt ihn vor etwaigen innerkirchlichen Unstimmigkeiten.149 Die Verträge sehen darüber hinaus noch einige Übergangsregelun143 Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 1 S. 1 und 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. a) S. 1 und 2 SächsKathKV. 144 Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 1 S. 3 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. a) S. 3 SächsKathKV. Bei den Ansprüchen der katholischen Kirche im Hinblick auf Ersatz für das im Jahr 1945 durch Bomben zerstörte „geistliche Haus“ in Dresden hatten sich die Vertragspartner bereits vor Abschluss des Staatskirchenvertrags darauf verständigt, dem Bistum Dresden-Meißen das Kanzleihaus in Dresden zu übereignen und die notwendigen Baumaßnahmen mit einem entschädigenden Zuschuss zu den Baukosten zu unterstützen; vgl. dazu Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (74 ff., 83 f.); Dieter Grande, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996 aus Sicht der katholischen Kirche, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 151 ff. (158). 145 Art. 14 Abs. 2 SächsEvKV; Art. 20 SächsKathKV. 146 Art. 14 Abs. 3 SächsEvKV; Art. 20 S. 2 SächsKathKV. Maßstab für die Anpassung sind die Besoldungsveränderungen bei der Besoldungsgruppe A 13 BBO, siebente Dienstaltersstufe, verheiratet, zwei Kinder (Art. 14 Abs. 3 S. 2 SächsEvKV mit Schlußprotokoll; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. e) S. 1 und 2 SächsKathKV). 147 Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 2 S. 1 und 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. b) S. 1 und 3 SächsKathKV. 148 Art. 14 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. b) S. 2 SächsKathKV. 149 LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 34; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen
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gen sowie Verfahrensabsprachen vor, so Kompromissregelungen für die Abwicklung der Jahre 1990 bis 1992150 sowie die monatlich gleiche Ratenzahlung151 auf ein Konto der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens bzw. des Bistums Dresden-Meißen, wenn die Einigung über die interne Verteilung der Gesamtbeträge der Staatsregierung mitgeteilt ist,152 oder alternativ eine Hinterlegung des Betrages, sofern eine Einigung zwischen den vertragsbeteiligten Kirchen fehlte.153 Auf Seiten der evangelischen Vertragspartner hat sich zwischenzeitlich durch die Fusion der Kirchenprovinz Sachsen mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland eine neue Zusammensetzung der Anspruchsberechtigten ergeben. Dieses hat aber nicht zu durchgreifenden rechtlichen Problemen oder Ansatzpunkten für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt.154 Der neue Zusammenschluss tritt umfassend in die Rechtsnachfolge der beiden vorhergehenden Landeskirchen ein. Auch in materieller Hinsicht haben sich dadurch keine substantiellen Auswirkungen auf die Grundlagen der Berechnung des Pauschalbetrags ergeben. c) Von der pauschalen Gesamtabgeltung zur Ablösung? Wie verhalten sich diese Vertragsregelungen nun zu dem verfassungsrechtlichen Ablösungsgebot nach Art. 138 Abs. 1 WRV? Manche sehen mit der vertraglichen Verständigung über eine pauschale Gesamtabgeltung bereits das verfassungsrechtliche Ablösungsgebot als erfüllt an.155 Denn die einschlägigen vorkonstituLändern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 367. 150 Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 2 S. 3 bis 5 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. d) SächsKathKV. 151 Art. 14 Abs. 4 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. c) S. 1 SächsKathKV. 152 Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 4 S. 1 bis 3 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. c) S. 1 bis 3 SächsKathKV. 153 Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 4 S. 4 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 20 lit. c) S. 4 SächsKathKV. 154 Ausführlich zu den einschlägigen Rechtsfragen: Michael Germann/Mario Hunger, Die Kontinuität der Staatskirchenverträge nach einer Vereinigung evangelischer Landeskirchen, DVBl. 2007, S. 1532 ff.; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 374 f.; vgl. weiter Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 153 f. 155 Peter Zweynert, 10 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag in Sachsen, KABl. Sachsen 2005, S. B5 (B7); Josef Isensee, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47 (2013), S. 42.; vgl. auch Stefan Mückl, Kirchliche Organisation, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 160 Rdnr. 52.
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tionellen Ansprüche sind i. S. der verfassungsrechtlich aufgetragenen Vermögensentflechtung damit systematisch aufgearbeitet und zu einem neuen pauschalen Abgeltungsanspruch mit angemessenem Wertausgleich zusammengeführt worden, mit dem sämtliche ursprünglichen Staatsleistungsansprüche entfallen.156 Damit sind ganz wesentliche Voraussetzungen für eine Ablösung der Staatsleistungen erfüllt. Für eine abschließende Ablösung fehlte allerdings das vorlaufende Grundsätzegesetz des Bundes.157 Bei diesem wäre dann auch die Frage zu klären, ob die Ablösung nur in Form eines fixen Gesamtbetrags möglich sein soll,158 der ggf. in Ratenzahlungen159 und ggf. auch durch Übertragung von Wertpapieren, Sachwerten u. a. m. leistbar sein könnte,160 oder ob auch die Form einer dauernden Rente als Mittel der Ablösung vorgesehen wird. Für die Zulässigkeit auch von dauerhaften Rentenleistungen161 spricht, dass für das Ablösungsgebot eine 156 Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (82 f.). 157 Zu diesem Erfordernis: Jens Reisgies, „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf“ – Zum Grundsätzegesetz gem. Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 280 ff.; Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004, S. 238 ff.; Volker Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 188 ff. (193 ff.); Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 532 f.; Jochen Rozek, Der unerfüllte Verfassungsauftrag – Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, in: Holzner/Ludyga (Hrsg.): Entwicklungstendenzen des Staatskirchen- und Religionsverfassungsrechts, 2013, S. 421 ff. (428 f.); einschränkend: Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1050); vgl. Dirk Ehlers, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 140 GG/138 WRV Rdnr. 4. 158 So Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004, S. 222 ff.; Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 528; Jens Reisgies, „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf“ – Zum Grundsätzegesetz gem. Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 280 ff. (299 f.); Jochen Rozek, Der unerfüllte Verfassungsauftrag – Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, in: Holzner/Ludyga (Hrsg.): Entwicklungstendenzen des Staatskirchen- und Religionsverfassungsrechts, 2013, S. 421 ff. (426). 159 Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004, S. 224; Michael Germann, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.): Grundgesetz. Beck’scher Online-Kommentar, 13. Aufl. 2013, Art. 140 GG, Rdnr. 123; Karl-Hermann Kästner, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.): Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 173. Erg.-Lfg. (Juni 2015), Art. 140 Rdnr. 601. 160 Jens Reisgies, „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf“ – Zum Grundsätzegesetz gem. Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 280 ff. (299); Volker Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 188 ff. (195). 161 Bejahend: Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl.
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transparente Entflechtung der Vermögensbeziehungen zwischen Staat und Kirchen entscheidend ist, was auch mit einer sorgfältig aufgearbeiteten Zusammenfassung der disparaten historischen Rechtstitel auf einer neuen Schuldgrundlage für eine wiederkehrende Geldleistung erreicht werden kann.162 Sachlich begründete, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates und an die paritätische Behandlung von Religionsgemeinschaften Rechnung tragende wiederkehrende Zahlungen des Staates an Religionsgemeinschaften widersprechen weder dem Verbot der Staatskirche noch dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche, wie die neubegründeten pauschalen Landeszuschüsse für Jüdische Gemeinschaften zeigen.163 Wenn der Staat auch noch unter der Geltung des Grundgesetzes solche neuen dauerhaften Leistungsverpflichtungen gegenüber Religionsgemeinschaften verfassungsrechtlich zulässig eingehen darf,164 wird man auch eine Rentenlösung als Mittel der Ablösung von hergebrachten Staatsleistungen nicht unter Verweis auf Art. 137 Abs. 1 WRV i.V. m. Art. 140 GG als „Etikettenschwindel“ 165 zu bezeichnen haben. Vielmehr erscheint eher das Beharren auf einem Ausschluss von wiederkehrenden Zahlungen für die Ablösung von Staatsleistungen als in der Logik der Trennung von Staat und Kirche nicht begründete, den Wortlaut und Regelungszweck der Norm überstrapazierende „Prinzipienreiterei“ ansehen können.166
1994, § 35, S. 1009 ff. (1036 ff.); Stefan Mückl, Kirchliche Organisation, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 160 Rdnr. 52; Axel von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 288. 162 Das räumt auch Jens Reisgies, „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf “ – Zum Grundsätzegesetz gem. Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 280 (299 f.), ein. 163 Dazu unten V. 2. 164 Vgl. BVerfGE 123, 148 (178) – Jüdische Gemeinde Brandenburg, mit positiver Besprechung. Jens Robbert, Finanzielle Förderung jüdischer Gemeinden durch den Staat, NVwZ 2009, S. 1211 ff. (1212); Kyrill-Alexander Schwarz, Die staatliche Finanzierung von Religionsgesellschaften, KuR 2009, S. 430 ff. (241 f.); aus dem Schrifttum grundsätzlich weiter: Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1057 ff.); Dirk Ehlers, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 140 GG/138 WRV Rdnr. 5; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 306 ff. 165 So aber: Jochen Rozek, Der unerfüllte Verfassungsauftrag – Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, in: Holzner/Ludyga (Hrsg.): Entwicklungstendenzen des Staatskirchen- und Religionsverfassungsrechts, 2013, S. 421 ff. (428 f.); Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 532 f. 166 So sahen auch schon in der Weimarer Zeit Entwürfe für ein Grundsätzegesetz zur Umsetzung des Ablösungsgebotes die Möglichkeit dauerhafter Leistungsverpflichtungen (u. a. „Übernahme von Lasten zu Gunsten von Grundstücken [. . .] Begründung der Verpflichtung zur Zahlung einer Rente“) vor, abgedruckt bei Volker Knöppel, Aktuelle
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Schaut man nun bei den Sächsischen Abgeltungsregelungen genau hin, gehen auch die Vertragspartner in beiden Verträgen selbst nicht von einer „Ablösung“ der Staatsleistungen im Freistaat Sachsen aus.167 Sie sprechen ausdrücklich von einem „jährlichen Gesamtbetrag“ „zur Abgeltung [. . .] der Ansprüche aus Staatsleistungen“.168 Die amtlichen Vertragsbegründungen führen den Begriff der Staatsleistung auch für diese neue „Schuldgrundlage“ fort.169 Und diese neuen pauschalen Abgeltungsleistungen unterfallen als Nachfolgerechte ebenso wie die Pauschalabgeltungen in anderen Staatskirchenverträgen weiterhin dem verfassungsrechtlichen Schutz und dem Ablösungsauftrag aus Art. 138 Abs. 1 WRV i.V. m. Art. 140 GG bzw. Art. 109 Abs. 4 SächsVerf.170 Mit der umfassenden Pauschalabgeltung sind die Vertragspartner im Freistaat Sachsen aber für ihren Teil zum Thema Staatsleistungen gut aufgestellt. Wenn der Bund seinem Auftrag zur Aufstellung gesetzlicher Grundsätze für die Ablösung nachkommen wird, lässt sich der im Freistaat Sachsen durch die pauschalen Gesamtabgeltungen erreichte Stand leicht in eine abschließende Ablösungsregelung für die Staatsleistungen überführen. Und so lange die einschlägige Grundsatzgesetzgebung des Bundes dazu ausbleibt, ist man im Freistaat Sachsen durch die Schuldumstellung auf die neuen zusammengeführten Gesamtbeträge zur Abgeltung der disparaten Einzelansprüche schon so weit in der Vermögensentflechtung vorangekommen, dass man diese Regelungen gut, d.h. auch für die Öffentlichkeit gut nachvollziehbar, weiterführen können wird. 5. Weitere finanzbezogene Vertragsangelegenheiten In den Verträgen finden sich noch etliche weitere finanzbezogene Regelungen: Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 188 ff. (195). 167 So auch die Rechtslage bei anderen Staatskirchenverträgen, siehe z. B. für Hessen: Volker Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 188 ff. (192). 168 Art. 14 Abs. 1 S. 1 SächsEvKV; Art. 20 S. 1 SächsKathKV. 169 LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 19 ff.; LTDrs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 29 ff., deutlich erkennbar z. B. bei der Frage nach der Notwendigkeit von Verwendungsnachweisen für den Gesamtbetrag (S. 25 bzw. S. 33). 170 Jens Reisgies, „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf “ – Zum Grundsätzegesetz gem. Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 280 ff. (291 f.); Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 523; differenzierter: Volker Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 188 ff. (191 f. und 194 ff.) mit Ausnahmebeispielen für Hessen; ausführlich: Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004, S. 170 ff.
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a) Gleichheitswahrende Teilhabe der Kirchen an staatlicher Finanzierung für die Mitwirkung bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben Ein ganz wesentlicher finanzbezogener Grundsatz im Staat-Kirche-Verhältnis zielt darauf ab, kirchliche Träger gleichheitswahrend in die Förderung sozialer, kultureller und bildungsbezogener Arbeit durch den Staat einzubeziehen. Dazu finden sich in den Staatskirchenverträgen des Freistaates Sachsen einige Ansatzpunkte, die thematisch zu den anderen Beiträgen zu diesem Symposium gehören. Beispielhaft klingt dieser Grundsatz in den Vertragsregelungen für den Bereich der allgemeinen Sozialarbeit an: Soweit pastorale, soziale und diakonische bzw. karitative Einrichtungen der Kirchen gemeinwohlbezogene Aufgaben erfüllen und unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit in Anspruch genommen werden können, haben deren Träger Anspruch auf angemessene Förderung.171 Dabei soll das den Vertragspartnern gemeinsame Verständnis leitend sein, „dass die kirchlichen Träger Fördermittel in derselben Höhe beanspruchen können wie kommunale oder andere freie Träger, die vergleichbare Leistungen erbringen.“ 172 Ein solch klares Bekenntnis des Staates zum Subsidiaritätsprinzip und zur staatlichen Finanzierung bei der Leistungserbringung durch die Kirchen als freie Träger wünschte man sich durchgehend von der öffentlichen Hand. Denn immer wieder besteht – jedenfalls außerhalb Sachsens – die Gefahr, dass kirchliche Anbieter, auch gegenüber solchen der öffentlichen Hand, benachteiligt werden.173 Für andere Bereiche kirchlicher Arbeit finden sich deutlich offenere Formulierungen zur finanziellen Förderung: So soll die „kirchliche Jugendarbeit [. . .] im Rahmen der allgemeinen staatlichen Förderung [. . .] des Freistaates angemessen berücksichtigt“ werden.174 Für die finanzielle Förderung kirchlicher Schulen aus öffentlichen Mitteln verweisen die Verträge auf das Landesrecht und weitere abzuschließende Vereinbarungen.175 Ähnliches gilt für die Beteiligung des Freistaates an den Personal- und Sachaufwendungen bei den kirchlichen Hochschulen, für die eine Regelung durch besondere Vereinbarungen sowohl allgemein als
171 Art. 20 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV; Art. 9 Abs. 1 S. 2 SächsKathKV, vgl. auch Art. 110 Abs. 1 SächsVerf.; Christoph Degenhart, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Sächsischen Verfassung, in: Degenhart/Meissner (Hrsg.): Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen, 1997, § 9 Rdnr. 19 f., sieht in dieser Verfassungsbestimmung eine „Stärkung der Kirchen in der Erfüllung ihres karitativen und diakonischen Auftrags“ und bewertet ihn gerade deswegen kritisch. 172 Schlußprotokoll zu Art. 20 Abs. 1 S. 2 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 9 Abs. 1 S. 2 SächsKathKV. 173 Hans Ulrich Anke, Nah an der Sache, nah an den Menschen. Das Prinzip der Subsidiarität ist wesentlich für unser Zusammenleben in Freiheit, in: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.): Fürchtet Gott, ehrt den König – Reformation. Macht. Politik, S. 12 ff. (14). 174 Art. 7 Abs. 1 SächsEvKV; Art. 7 Abs. 1 SächsKathKV. 175 Schlußprotokoll zu Art. 6 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 4 SächsKathKV.
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auch im Hinblick auf kirchliche Lehreinrichtungen im Einzelfall in Aussicht genommen wird.176 b) Gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Finanzierung Bei den sog. „gemeinsamen Angelegenheiten“ von Staat und Kirche wie • der Anstaltsseelsorge,177 • dem Religionsunterricht178 • und der Theologischen Ausbildung an staatlichen Hochschulen179 ist wiederum wichtig, dass der Staat dabei seine eigenen Aufgaben auch selbst verlässlich erbringt und finanziert. Einen Sonderfall bildet der Denkmalschutz. Er zählt klassischer Weise nicht zu den „gemeinsamen Angelegenheiten“. Zu Recht aber betonen der Freistaat und die Kirchen in den Staatskirchenverträgen ihre gemeinsame Verantwortung für den Schutz und Erhalt der kirchlichen Kulturdenkmale.180 Daraus leiten die Vertragspartner einerseits eine Verpflichtung der Kirchen ab, diese Denkmale „im Rahmen des Zumutbaren“ zu erhalten, zu pflegen und nach Möglichkeit öffentlich zugänglich zu machen.181 Der Freistaat Sachsen gewährt den Kirchen im Gegenzug in Anknüpfung an eine entsprechende Vorgabe in Art. 112 Abs. 2 SächsVerf182 einen „Anspruch auf angemessene Kostenerstattung nach Maßgabe der Gesetze“ und entsprechende Berücksichtigung bei der Vergabe staatlicher Mittel.183 Das klingt im Ansatz gut. Es bringt aber letztlich keine wirklich belastbaren Ansprüche der Kirchen gegenüber dem Freistaat mit sich und führt so dann doch weitgehend dazu, dass die kirchlichen Vertragspartner die extrem kostenaufwendige Last für die Erhaltung und Bauunterhaltung der Kirchgebäude in Sachsen im Wesentlichen selbst zu tragen haben. Allein in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens stehen rd. 1.500 Kirchen und Kapellen unter Denkmalschutz!
176 Art. 4 Abs. 2 SächsEvKV mit Schlußprotokoll; Art. 6 Abs. 2 SächsKathKV mit Schlußprotokoll. 177 Art. 13 SächsEvKV; Art. 12 SächsKathKV. 178 Art. 5 SächsEvKV; Art. 3 SächsKathKV. 179 Art. 3 SächsEvKV; Art. 5 SächsKathKV. 180 Art. 10 Abs. 1 SächsEvKV; Art. 19 Abs. 1 SächsKathKV. 181 Art. 10 Abs. 2 SächsEvKV; Art. 19 Abs. 2 SächsKathKV. 182 Hierzu Helmut Goerlich/Torsten Schmidt, Kirchengut und Kulturgut – Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme des Art. 112 Abs. 2 SächsVerf., in: Reich (Hrsg.): Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, 2002, S. 417 (417 ff.). 183 Art. 10 Abs. 3 S. 1 SächsEvKV; Art. 19 Abs. 3 S. 1 SächsKathKV.
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c) Finanzierung kirchlicher Friedhöfe Finanziell von großer Bedeutung sind schließlich die kirchlichen Friedhöfe. Die Kirchen tragen mit ihren Friedhöfen den weit überwiegenden Teil des öffentlichen Bestattungswesens. Sie entlasten damit weitestgehend die Kommunen von der eigentlich ihnen obliegenden Pflichtaufgabe. Und dennoch sehen die Staatskirchenverträge weder eine finanzielle Förderung durch den Freistaat vor, noch ebnen sie einer verlässlicheren Unterstützung durch die Kommunen den Weg.184 Immerhin aber stellen die Staatskirchenverträge den kirchlichen Friedhofsträgern eine belastbare staatliche Rechtsgrundlage für den Erlass ihrer Benutzungs- und Gebührenordnungen zur Verfügung.185 Und der Freistaat gewährleistet den Betreibern kirchlicher Friedhöfe auf Antrag Unterstützung bei der Beitreibung von Gebühren für die Benutzung und Unterhaltung der Friedhofsanlagen.186 Dies erfolgt unter dem Gesichtspunkt der Amtshilfe, weil und soweit die Kommunen durch die kirchlichen Friedhöfe bei ihren Pflichtaufgaben entlastet werden. Deshalb sind von dieser Gewährleistung nur Gebühren für die Benutzung und Unterhaltung der Friedhofsanlagen erfasst, ausdrücklich nicht dagegen etwaige Gebühren für kirchliche Amtshandlungen, etwa im Zusammenhang mit Trauerfeiern, oder für Fremdleistungen.187 Voraussetzung für eine Vollstreckungshilfe ist, dass die Grundsätze der Gebührenerhebung für kirchliche Friedhöfe den für die Kommunen geltenden Rechtsvorschriften angeglichen sind.188
184 Vgl. Steffen Heitmann, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen aus der Sicht der Verwaltung, LKV 1995, S. 93 ff. (97), mit Verweis auf die einschlägigen Regelungen im Bestattungsrecht; kritisch deshalb: Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 168 f. 185 Art. 22 Abs. 2 SächsEvKV und Art. 18 Abs. 2 SächsKathKV. Dazu: LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 35; Steffen Heitmann, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen aus der Sicht der Verwaltung, LKV 1995, S. 93 ff. (97). 186 Art. 22 Abs. 3 SächsEvKV mit Schlußprotokoll; Schlußprotokoll zu Art. 18 Abs. 2 S. 1 SächsKathKV. 187 Schlußprotokoll zu Art. 22 Abs. 3 SächsEvKV; Schlußprotokoll zu Art. 18 Abs. 2 S. 2 und 3 SächsKathKV; dazu weiter: LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 35, und LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 27 f. 188 LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 35; Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendig-
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d) Sonstige finanzbezogene Vertragsbestimmungen • Gebührenbefreiungen Mit absichernder Funktion im Sinne eines Schutzes vor einseitiger Entziehung haben die Vertragsparteien eine Regelung zu bestehenden Gebührenbefreiungen für die kirchlichen Vertragspartner aufgenommen.189 Danach bleiben den vertragschließenden Kirchen und ihren öffentlichen Gliederungen, Anstalten, Stiftungen und Verbänden die auf Landesrecht beruhenden Gebührenbefreiungen erhalten.190 Das sind im Freistaat Sachsen die gesetzliche Befreiung von den Verwaltungsgebühren nach § 4 Abs. 1 Nr. 5 SächsVerwKostG.191 Diese Gewährleistung fällt dem Umfang nach deutlich zurückhaltender aus als in entsprechenden Regelungen anderer Staatskirchenverträge, bei denen z. B. auch die Befreiung von Justizkosten erfasst ist.192 • Kirchliches Sammlungswesen Im Hinblick auf das kirchliche Sammlungswesen wird festgehalten, dass die Kirchen und Kirchengemeinden sowie die kirchlichen Werke und Einrichtungen berechtigt sind, freiwillige Gaben für kirchliche Zwecke zu erbitten.193 Dabei gelten „alljährlich zwei allgemeine öffentliche Haussammlungen als genehmigt“, die konkrete Terminabstimmung hat mit dem zuständigen Staatsministerium zu erfolgen.194 keit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 171, mit weitergehenden Anforderungen. 189 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 76. 190 Art. 19 SächsEvKV; Art. 25 SächsKathKV. 191 LT-Drs. Sachsen 1/4649, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen, S. 33, und LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 40 f.; Stefan Korta, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 252 f. 192 Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 77; Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/ Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 172 f. 193 Art. 18 Abs. 1 SächsEvKV; Art. 24 Abs. 1 SächsKathKV. 194 Art. 18 Abs. 2 SächsEvKV; Art. 24 Abs. 2 SächsKathKV; vgl. dazu näher Stefan Korta, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 249 ff.; Torsten Schmidt, Offene Fragen und verwaltungsrechtliche Probleme des Sächsischen Staatskirchenrechts. Ein kritischer Rückblick auf fast 15 Jahre Evangelischer Kirchenvertrag Sachsen, in: Nagel/Böllmann (Hrsg.): Staatliches Handeln zwischen Notwendigkeit und Übermaß. Zum 65. Geburtstag von Helmut Goerlich, 2008, S. 160, spricht hierzu weitergehende Fragen zur wirkungsvollen Umsetzung an.
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• Förderung sorbischer Kultur Auch die Unterstützung der katholischen Kirche bei der Pflege des katholisch geprägten sorbischen Kulturgutes durch den Freistaat hat eine finanzielle Komponente. Sie erfolgt vor dem Hintergrund des Verfassungsauftrags zum Schutz sorbischer Kultur nach Art. 6 SächsVerf.195 Freilich schränkt der Freistaat etwaige konkrete Anspruchsbegründungen zugleich mit dem Hinweis darauf ein, dass er dies nur „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ leisten kann.196 • Vorlagepflichten für Vorschriften über die vermögensrechtliche Vertretung In formeller Hinsicht sind noch erwähnenswert die Vorlagepflichten für Vorschriften über die vermögensrechtliche Vertretung kirchlicher Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts vor deren Erlass.197 Ein staatliches Einspruchsrecht ist damit nur verbunden, wenn eine ordnungsgemäße vermögensrechtliche Vertretung nicht gewährleistet ist.198 V. Die finanziellen Angelegenheiten im Jüdischen Vertrag Sachsen, insbesondere: die Gesamtzuwendung Die vertraglichen Gestaltungsanliegen im Jüdischen Vertrag Sachsen fallen im Vergleich zu dem Evangelischen und dem Katholischen Kirchenvertrag Sachsen deutlich begrenzter aus. Das liegt zum einen an der kleinen Zahl der jüdischen Gemeinden und ihrer Mitglieder im Freistaat. Zum anderen ergeben sich auch weniger Schnittmengen bei der jeweiligen Aufgabenerfüllung. So beschränken sich auch die finanzbezogenen Regelungsanliegen auf einige wenige Punkte im Zusammenhang mit der Förderung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur im Freistaat Sachsen. Anknüpfend an Art. 117 SächsVerf stellen die Vertragspartner vor dem Hintergrund der systematischen Verfolgung und Ermordung von Juden im Nationalsozialismus in der Präambel folgende zwei finanziell bedeutsame Vertragsmotive heraus:
195 LT-Drs. Sachsen 2/3612, Regierungsbegründung zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Katholischer Kirchenvertrag Sachsen), S. 18; Stefan Korta, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 149 f. 196 Art. 10 S. 2 SächsKathKV. Daraus lassen sich kaum konkrete Verpflichtungen des Freistaates Sachsen ableiten, wie das Beispiel einer erfolglosen Klage gegen die Schließung einer sorbischen Mittelschule zeigt: Sächsisches OVG, Beschluss vom 24. September 2003 – 2 BS 273/03, KirchE 44 (2003), 204, (205 f.). 197 Art. 9 Abs. 3 S. 1 SächsEvKV mit Schlußprotokoll; Art. 15 Abs. 4 S. 1 SächsKathKV mit Schlußprotokoll. 198 Art. 9 Abs. 3 S. 2 SächsEvKV; Art. 15 Abs. 4 S. 2 SächsKathKV; vgl. Stefan Korta, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 195 f.
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1. das „Bewusstsein, für das jüdische Leben in diesem Lande eine besondere Verantwortung zu tragen, die aus der Geschichte Deutschlands gewachsen ist“,199 sowie dementsprechend 2. das „Bestreben, das kulturelle Erbe des Judentums im Freistaat zu wahren und zu pflegen“.200 Der Landesverband und die jüdischen Gemeinden in Sachsen waren zur Aktivierung des kulturellen und religiösen jüdischen Lebens in fast jeder Hinsicht auf tatkräftige Unterstützung angewiesen.201 Das setzte schon bei den organisationsrechtlichen Fragen nach handlungsfähigen Vertragspartnern auf jüdischer Seite ein.202 In finanzieller Hinsicht gehört dazu neben der Regelung eines Gesamtzuschusses zur Förderung der Jüdischen Gemeinden in Sachsen insbesondere die Erhaltung und der Schutz jüdischer Gebäude und jüdischer Friedhöfe, auch der verwaisten. 1. Überblick über finanzbezogene Vertragsregelungen zu Friedhöfen und Gebäuden Der Freistaat sagt zu, für die angemessene Sicherung jüdischer Friedhöfe und für deren Instandsetzung im Falle mutwilliger Beschädigung oder Zerstörung Sorge zu tragen und die Betreuung verwaister jüdischer Friedhöfe zu fördern.203 Ähnlich wie die evangelischen und die katholischen Vertragsbeteiligten ver199
Präambel 1. Spiegelstrich SächsJüdKV. Präambel 2. Spiegelstrich SächsJüdKV. 201 Zur schwierigen Ausgangssituation für die jüdischen Gemeinden in Sachsen: Siegmund Rotstein, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden und dem Freistaat Sachsen vom 7. Juni 1994 aus der Sicht des Landesverbandes Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 163 ff. 202 Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (122 f.). 203 Art. 2 Abs. 2 und 3 SächsJüdKV. Im Schlußprotokoll zu Art. 2 Abs. 2 und 3 SächsJüdKV wird klargestellt, dass sich der Umfang dieser Förderung nach der BundLänder-Absprache vom 21. Juni 1957 richtet, der der Freistaat Sachsen 1993 beigetreten ist. Diese ist veröffentlicht u. a. als Anlage 1 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales über die Betreuung der verwaisten Friedhöfe der ehemaligen jüdischen Gemeinden im Freistaat Sachsen (VwV verwaiste jüdische Friedhöfe) vom 27. Dezember 2002 (SächsABl. 2003, S. 60); vgl. weiter Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (124 f.), auch zu den Schwierigkeiten im Umgang mit wiederentdeckten verwaisten jüdischen Friedhöfen, die einer anderweitigen Bebauung zugeführt wurden. 200
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pflichten sich auch die jüdischen Vertragspartner, ihre Kulturdenkmale im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten, zu pflegen und nach Möglichkeit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.204 Dafür besteht in Anknüpfung an Art. 112 Abs. 2 SächsVerf ebenfalls ein Anspruch der jüdischen Vertragspartner auf angemessene Kostenerstattung nach Maßgabe der Gesetze durch den Freistaat und auf angemessene Berücksichtigung bei der Vergabe staatlicher Mittel.205 Darüber hinaus erklärt sich der Freistaat bereit, „im Rahmen seiner haushaltsmäßigen Möglichkeiten“ Zuschüsse zu leisten für die Errichtung von Gebäuden, die Kultuszwecken der jüdischen Gemeinden dienen, sowie bei wesentlichen baulichen Maßnahmen an solchen Gebäuden. Voraussetzung dafür ist, dass der Landesverband und die einzelne Gemeinde nicht in der Lage sind, die erforderlichen Mittel aufzubringen.206 2. Jährlicher Gesamtbetrag als wesentliche finanzielle Gewährleistung im Jüdischen Vertrag Sachsen Von zentraler Bedeutung für die Gestaltung der finanziellen Angelegenheiten ist aber die Regelung des Gesamtzuschusses nach Art. 4 SächsJüdKV mit Schlußprotokoll. a) Die Regelungen zur Ausgestaltung des Gesamtbetrages Der Landesverband erhält für seine Arbeit und die der jüdischen Gemeinden nach Art. 4 Abs. 1 SächsJüdKV ab dem Jahr 1994 eine pauschale jährliche Zahlung. Diese betrug zunächst 900.000 DM. Jeweils nach 10 Jahren soll der Gesamtbetrag überprüft und angepasst werden.207 Für die Bemessung des Pauschalbetrages zum Jahr 1994 waren die Vertragspartner von einer Mitgliederzahl von etwa 200 in den drei jüdischen Gemeinden ausgegangen.208 Nach zehnjähriger Vertragslaufzeit ist diese finanzielle Leistung überprüft und – beginnend mit dem Jahr 2005 – auf 725.000 A angehoben worden.209 Dem lagen die seinerzei-
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Art. 5 Abs. 1 S. 1 SächsJüdKV. Art. 5 Abs. 1 S. 1 SächsJüdKV mit Schlußprotokoll. 206 Art. 5 Abs. 2 SächsJüdKV. 207 Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 1 SächsJüdKV. 208 LT-Drs. Sachsen 1/4855, Regierungsbegründung zum Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, S. 1; vgl. Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 305 ff. 209 Art. 4 Abs. 1 SächsJüdKV in der durch Art. 1 Abs. 1 des Vertrages zur Änderung des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 17. Januar 2006 geänderten Fassung (SächsGVBl. S. 386). 205
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tige Zahl von 2.369 Gemeindegliedern und ein prognostizierter Anstieg auf 2.500 Mitglieder zugrunde.210 Für 2015 steht erneut eine Überprüfung an. Diese finanzielle Leistung beruht nicht auf herkömmlichen Rechtspflichten des Freistaates aus Staatsleistungen wie gegenüber der evangelischen und der katholischen Kirche.211 Vielmehr geht es um eine fördernde Zahlung. Solche neuen Verpflichtungen zu regelmäßigen Leistungen des Staates an Religionsgemeinschaften sind nicht durch das Ablösungsgebot für Staatsleistungen nach Art. 140/ Art. 138 Abs. 1 WRV ausgeschlossen. Sie bedürfen aber tragfähiger rechtlicher Gründe, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und zu paritätischer Behandlung der Religionsgemeinschaften standhalten.212 Dieses ist bei der Gesamtzuwendung an den Landesverband der Jüdischen Gemeinden gewährleistet. Denn sie soll eine „gewisse finanzielle Grundausstattung“ zur Sicherung des Überlebens der verarmten jüdischen Gemeinden auch in Kompensation für ihre Aufreibung in der NS-Zeit schaffen.213 Auf diese Weise soll sie dazu beizutragen, dass die Jüdischen Gemeinden Sorge für die kulturellen und religiöse Bedürfnisse tragen und auch über den Landesverband den dazugehörigen Verwaltungsaufwand leisten können. Der Vertrag weist diese klare Zweckbindung ausdrücklich inklusive der Finanzierung der Personal- und Sachkosten des Landesrabbiners und seines Sekretariates in Art. 4 Abs. 1 aus. In der Konsequenz hat der Landesverband dem Freistaat mit einem Geschäftsbericht jährlich die zweckentsprechende Verwendung der finanziellen Leistungen in den Gemeinden und im Landesverband nachzuweisen. Diese kann der Freistaat über seinen Rechnungshof nachprüfen.214 Auch für diese Leistung soll aber der Gedanke der Gesamtleistung gelten. D.h. alle Fördermaßnahmen des Freistaates gegenüber dem Landesverband und auch 210 Schlußprotokoll zu Art. 4 S. 4 SächsJüdKV in der durch Art. 2 Abs. 2 lit. c) lit. bb) des Vertrages zur Änderung des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 17. Januar 2006 geänderten Fassung (SächsGVBl. S. 386). 211 Rolf Raum, Die Verhandlungen zu den Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Freistaates Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.): Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen. Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach der Wiedervereinigung durch kodifikatorische Verträge, 2001, S. 45 ff. (126 f.). 212 Aus der Rechtsprechung siehe nur: 123, 148 (178) – Jüdische Gemeinde Brandenburg; aus dem Schrifttum: Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 35, S. 1009 ff. (1057 ff.); Dirk Ehlers, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 140 GG/138 WRV Rdnr. 5; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 306 ff. 213 LT-Drs. Sachsen 1/4855, Regierungsbegründung zum Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, S. 5 f. 214 Schlußprotokoll zu Art. 4 S. 5 bis 7 SächsJüdKV.
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gegenüber den jüdischen Gemeinden sind mit dieser pauschalen Zuwendung erbracht.215 Ausnahmen gelten nur für die im Vertrag selbst getroffenen besonderen Verabredungen zu den jüdischen Friedhöfen gem. Art. 2 SächsJüdKV, zu den jüdischen Kulturdenkmalen und weiteren Gebäuden gem. Art. 5 SächsJüdKV sowie im Hinblick auf Kostenerstattungen für die Erteilung jüdischen Religionsunterrichts und bei bestehenden anderweitigen Rechtsverpflichtungen.216 Schwierigkeiten ergeben sich zumindest potentiell bei der Aufteilung dieser Gesamtförderung auf die jüdischen Gemeinden im Freistaat Sachsen. Für die Verteilung ist nach dem Vertrag der Landesverband verantwortlich.217 Die ursprüngliche Vertragsfassung sah hierzu ein weites Ermessen des Landesverbandes sowohl im Hinblick auf die Kriterien als auch auf die Höhe der weitergeleiteten Beträge vor.218 Die Neufassung hat demgegenüber zu klareren Vorgaben für die Aufteilung der Gesamtzuwendung an Jüdische Gemeinden mit und ohne Anbindung an den Landesverband geführt. So hat der Landesverband nun die Zuwendung anteilsmäßig weiter an die jüdischen Gemeinden zu verteilen, unabhängig davon, ob diese zum Landesverband gehören oder nicht.219 Für den Anspruch auf Teilhabe an der Gesamtförderung halten die Vertragspartner gemeinschaftlich einen Katalog von Anspruchsvoraussetzungen fest: Danach müssen die Gemeinden 1. religiöses jüdischen Leben gestalten, 2. nach ihrer Verfassung und der Mitgliederzahl die Gewähr der Dauer bieten, 3. die grundlegenden Verfassungsprinzipien achten und 4. im Judentum Anerkennung und Aufnahme als jüdische Gemeinde gefunden haben. Der Landesverband hat auf der Grundlage eines Votums der Deutschen Rabbinerkonferenz festzustellen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.220 Auch Neugründungen sind auf diese Weise bei der Mittelverteilung zu berücksichtigen – ebenfalls unabhängig davon, ob sie Mitglied im Landesverband sind. Der Landesverband hat den Freistaat von etwaigen Ansprüchen jüdischer Gemeinden auf finanzielle Förderung freizustellen.221 215
Art. 4 Abs. 2 SächsJüdKV; Schlußprotokoll zu Art. 4 S. 3 SächsJüdKV. Art. 4 Abs. 2 SächsJüdKV. 217 Schlußprotokoll zu Art. 4 S. 1 und 2 SächsJüdKV. 218 LT-Drs. Sachsen 1/4855, Regierungsbegründung zum Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, S. 6: „[. . .] in welcher Höhe und nach welchem Verteilungsschlüssel sie an die Gemeinden weitergereicht werden, unterliegt der autonomen Entscheidung des Landesverbandes“. 219 Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 S. 2 SächsJüdKV. 220 Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 S. 4 und 5 SächsJüdKV. 221 Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 S. 3 SächsJüdKV. 216
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b) Verfassungsrechtliche Anfragen an das Verteilregime für den Gesamtbetrag Die Fragen nach einer sachgerechten und rechtskonformen Verteilung der Gesamtförderung gewinnen weiter an Bedeutung. Denn durch Zuwanderung insbesondere aus Mittel- und Osteuropa wächst die Zahl der in Deutschland und auch im Freistaat Sachsen lebenden Juden. Und diese bringen aus ihren Kontexten jüdische Prägungen mit, die sie z. T. zu anderen gemeindlichen Organisationsformen führen als das bisherige Modell der Einheitsgemeinden unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland.222 Das hat in einigen Bundesländern zu Rechtsstreitigkeiten über die Teilhabe verbandsfremder jüdischer Gemeinden an den staatlichen Gesamtzuwendungen geführt.223 Die dazu ergangenen Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts224 und des Bundesverwaltungsgerichts225 werfen Zweifel auf, ob das Verteilungsregime nach dem Jüdischen Vertrag Sachsen vollständig den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird. Das Bundesverfassungsgericht verlangt bei finanzieller Förderung von Religionsgemeinschaften hinreichende organisatorische Vorkehrungen zu staatlicher Neutralitätswahrung. So sind strukturelle Gefährdungslagen zu vermeiden, bei denen Entscheidungskompetenzen für die Weiterverteilung von Förderanteilen mit eigener Anspruchsberechtigung zusammenfallen. Denn hier können Befangenheiten, Interessenkollisionen und Abhängigkeitslagen dadurch auftreten, dass anspruchsberechtigte Religionsgemeinschaften bei Entscheidungen über die Weiterverteilung von Förderanteilen Eigeninteressen gegenüber konkurrierende Religionsgemeinschaften verfolgten.226 Ein solches Risiko besteht auch für das Verteilungsregime nach dem Jüdischen Vertrag Sachsen. Denn hier ist der Landesverband mit der Weiterverteilung von Anteilen aus der Gesamtförderung des Freistaates auch an verbandsfremde Ge222 Hans Michael Heinig, Jüdische Binnenpluralität in der Leistungsverwaltung – verfassungsrechtliche Vorgaben für die Organisation der Verteilung von Staatsleistungen (mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Rechtslage in NordrheinWestfalen), in: Heinig, Die Verfassung der Religion, 2014, S. 172 ff. 223 Überblick bei Hans Michael Heinig, Jüdische Binnenpluralität in der Leistungsverwaltung – verfassungsrechtliche Vorgaben für die Organisation der Verteilung von Staatsleistungen (mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen), in: Heinig, Die Verfassung der Religion, 2014, S. 172 ff. (173 ff.). 224 BVerfGE 123, 148 – Jüdische Gemeinde Brandenburg, mit positiver Besprechung von Jens Robbert, Finanzielle Förderung jüdischer Gemeinden durch den Staat, NVwZ 2009, S. 1211 ff., und kritischer Besprechung von Kyrill-Alexander Schwarz, Die staatliche Finanzierung von Religionsgesellschaften, KuR 2009, S. 430 ff. (241 ff. und 246 ff.). 225 BVerwGE 116, 86, mit kritischer Besprechung von Michael Germann, Justizgewährungspflicht bei Anwendung staatlichen Rechts mit religiösen Vorfragen, DVBl. 2002, S. 988 ff. 226 BVerfGE 123, 148 (183 f.) – Jüdische Gemeinde Brandenburg.
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meinden beauftragt und muss so ggf. seine eigene Teilhabe in Konkurrenz zu diesen abstecken. Bemühungen, mit einer verfassungskonformen Auslegung die Verteilungsregelungen nach dem Jüdischen Vertrag Sachsen zu halten,227 überzeugen demgegenüber nicht. Klare Verteilungskriterien werden im Vertrag nicht benannt. Man könnte zwar mit der Bemessungsgrundlage für den Dotationsbetrag nach Satz 4 des Schlußprotokolls zu Art. 4 SächsJüdKV auf die Mitgliederzahlen als allein entscheidenden Verteilungsmaßstab abstellen.228 Dabei vernachlässigte man freilich den ausdrücklich einbezogenen Verbandsaufwand für den Landesrabbiner und dessen Sekretariat.229 Vor allem aber bleibt dann immer noch das verfassungsrechtliche Problem, dass die Teilhabe aller, ggf. auch verbandsfremder jüdischer Gemeinden, an der staatlichen Förderung allein über die Verteilung durch den Landesverband nach den Vertragsregelungen vorgegeben ist.230 Die Vertragsregelungen sprechen hier deutlich davon, dass mit der Gesamtzuwendung „sämtliche Fördermaßnahmen des Freistaates“ auch an „die einzelnen jüdischen Gemeinden erfasst“ sind und „die Zuschüsse für neu entstehende Gemeinden einschließen“.231 Vor diesem Hintergrund passt es gut, dass nun ohnehin die turnusmäßige Überprüfung der Gesamtzuwendung ansteht.232 Diese Revision kann zu Nachbesserungen genutzt werden. Dazu bieten sich unterschiedliche Optionen an: Die sicherste Lösung ist, die Förderung jüdischer Gemeinden, die nicht dem Landesverband angehören, ganz aus dem Vertragsregime herauszunehmen und eigenständig zu gestalten.233 Der Freistaat kann aber auch weitgehend an dem bisher Gewollten festhalten, d.h. ein abschließendes Verteilsystem mit einem gedeckel227
So aber Michael Demel, Gebrochene Normalität, 2011, S. 290 ff. Im Ergebnis so Michael Demel, Gebrochene Normalität, 2011, S. 293; kritisch: Hans Michael Heinig, Jüdische Binnenpluralität in der Leistungsverwaltung – verfassungsrechtliche Vorgaben für die Organisation der Verteilung von Staatsleistungen (mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen), in: Heinig, Die Verfassung der Religion, 2014, S. 172 ff. (196). 229 Art. 4 Abs. 1 SächsJüdKV. 230 Hans Michael Heinig, Jüdische Binnenpluralität in der Leistungsverwaltung – verfassungsrechtliche Vorgaben für die Organisation der Verteilung von Staatsleistungen (mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Rechtslage in NordrheinWestfalen), in: Heinig, Die Verfassung der Religion, 2014, S. 172 ff. (195 f.). 231 Art. 4 Abs. 2 SächsJüdKV mit Schlußprotokoll. 232 Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 1 SächsJüdKV. 233 Dafür wirbt mit guten Gründen, insbesondere um dem jeweiligen Selbstverständnis der beteiligten Religionsgemeinschaften in gebotener Weise Rechnung zu tragen: Michael Germann, Justizgewährungspflicht bei Anwendung staatlichen Rechts mit religiösen Vorfragen, DVBl. 2002, S. 988 ff. (989 f.); dieses Konzept wird in etlichen Bundesländern verfolgt, siehe Hans Michael Heinig, Jüdische Binnenpluralität in der Leistungsverwaltung – verfassungsrechtliche Vorgaben für die Organisation der Verteilung von Staatsleistungen (mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen), in: Heinig, Die Verfassung der Religion, 2014, S. 172 ff. (190 f.). 228
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ten Gesamtbetrag für alle jüdischen Gemeinden unabhängig von deren Verbandszugehörigkeit ausgestalten. Dazu müsste neben den Verteilungskriterien vor allem klargestellt werden, dass Teilhabeansprüche verbandsfremder Gemeinden gegenüber dem Freistaat nicht durch die Vertragsregelungen zum Gesamtbetrag ausgeschlossen sind, sondern noch gegenüber dem Freistaat geltend gemacht werden können. Wenn dann die vertragliche Verpflichtung des Jüdischen Landesverbandes nach S. 3 Schlußprotokoll zu Art. 4 Abs. 2 SächsJüdKV fortgeführt wird, den Freistaat von solchen Ansprüchen freizustellen, kann der Freistaat im Streitfall solchen Ansprüchen verbandsfremder jüdischen Gemeinden ggf. selbst nachkommen und vom Gesamtbetrag an den Landesverband abziehen.234 Und es müsste bei dieser Lösung gewährleistet sein, dass der Freistaat selbst die Anspruchsvoraussetzungen und die Verteilungskriterien maßgeblich bestimmt – und eben nicht nur seine Vertragspartner des Jüdischen Vertrages. Ein weiteres interessantes Modell auf dieser Linie hat das Land NordrheinWestfalen jüngst nach einem Konzept des Göttinger Staatskirchenrechtslehrers Hans Michael Heinig in seinem Vertrag mit den Jüdischen Verbänden mit einer Neufassung von Art. 2 und Art. 3 JüdKV NRW etabliert.235 Dazu werden in den Vertrag des Landes mit den Jüdischen Verbänden Teilhabeansprüche verbandsfremder jüdischer Gemeinden integriert, das Land für diese Ansprüche aber als direkter Anspruchsverpflichteter festgehalten. Diese Regelung hat zugleich den Vorzug, auf diese Weise auch die unmittelbare Verantwortlichkeit der weiteren Empfänger im Hinblick auf die Mittelverwendung gegenüber dem Land ausgestalten zu können. Weiter sieht die Neufassung nun einen ausführlichen Katalog von Anspruchsvoraussetzungen sowie die Mitgliederzahl als alleinigen Verteilungsmaßstab unter anteiliger Berücksichtigung von Mehrfachmitgliedschaften vor. Freilich sind solche Hinweise für die anstehende Überprüfung und Anpassung der Gesamtzuwendung nach dem Jüdischen Vertrag Sachsen rein vorsorglichen Charakters. Denn anders als in anderen Bundesländern sind in Sachsen bislang keine Konfliktfälle bei der Verteilung der pauschalen Gesamtförderung an die jüdische Gemeinden im Freistaat aufgetreten.236 234 Vgl. den Ansatz im Freistaat Bayern, dargestellt bei Hans Michael Heinig, Jüdische Binnenpluralität in der Leistungsverwaltung – verfassungsrechtliche Vorgaben für die Organisation der Verteilung von Staatsleistungen (mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen), in: Heinig, Die Verfassung der Religion, 2014, S. 172 ff. (194 f.). 235 Ausführlich dargestellt bei Hans Michael Heinig, Jüdische Binnenpluralität in der Leistungsverwaltung – verfassungsrechtliche Vorgaben für die Organisation der Verteilung von Staatsleistungen (mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen), in: Heinig, Die Verfassung der Religion, 2014, S. 172 ff. (199 ff.). 236 Kyrill-Alexander Schwarz, Die staatliche Finanzierung von Religionsgesellschaften, KuR 2009, S. 430 ff. (246 ff.), sieht freilich die Risiken für Verteilungskonflikte
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VI. Ausblick Was lehrt der Rückblick auf 20 Jahre Staatskirchenverträge in Sachsen zu den finanziellen Angelegenheiten? Es gibt schon noch einige Baustellen, etwa • bei der Ausgestaltung der Gesamtzuwendung für die Jüdischen Gemeinden in Sachsen, • bei der Vermögensentflechtung, insbesondere im Verhältnis zwischen Kirchgemeinden und Kommunen, • bei der finanziellen Ausgestaltung der gemeinsamen Verantwortung für die kirchlichen Kulturdenkmale oder • im Hinblick auf eine konsequent gleichheitswahrende Berücksichtigung der Kirchen bei staatlicher Finanzierung der Mitwirkung freier Träger an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Vor allem aber hat sich gezeigt, dass die Staatskirchenverträge tatsächlich insgesamt eine verlässliche, belastbare Grundlage für das freie Wirken der Kirchen und Jüdischen Gemeinden zum Lobe Gottes und zum Besten der Gesellschaft und der Bürger im Freistaat Sachsen geschaffen haben. Das Vertragsstaatskirchenrecht in Sachsen hat sich auch im Hinblick auf die finanziellen Angelegenheiten als flexibles Instrument zur Ausgestaltung verlässlicher und effizienter Kooperation von Staat und Kirchen bewährt. Es gewährleistet Freiräume kirchlichen Wirkens und dient dabei zugleich dem Gemeinwohl. Es kann den Besonderheiten der jeweiligen Verhältnisse angemessen Rechnung tragen und ermöglicht differenzierte Lösungen, ohne gegen das Gebot der Parität zu verstoßen. Die eingangs angeführten Zielsetzungen an die Staatskirchenverträge sind damit erfüllt. Die Vertragsregelungen sind mit den Worten des früheren Sächsischen Landesbischofs Johannes Hempel tatsächlich gut praktizierbar im Alltag. Und sie wären einklagbar im Konfliktfall. Eine gerichtliche Geltendmachung aber ist praktisch gar nicht erforderlich, weil alle Vertragsbeteiligten die Regelungen so im Geiste der oft angeführten Vertragspartnerschaft anwenden, dass etwaige Meinungsverschiedenheiten in aller Regel freundschaftlich geklärt werden können.237 Auch das zeigt die Stärke des eingeschlagenen Weges staatskirchenvertraglicher Verständigung. und Spaltungstendenzen innerhalb von Religionsgemeinschaften durch die Rechtsprechungstendenzen und insbesondere durch die einschlägige Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 123, 148 – Jüdische Gemeinde Brandenburg, gesteigert. 237 Dazu hält das Sächsische Vertragsstaatskirchenrecht die Vertragsbeteiligten auch ausdrücklich mit der sog. Freundschaftsklausel an: „Die Vertragsparteien werden zwischen ihnen etwa bestehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung und Anwendung dieses Vertrages [. . .] auf freundschaftliche Weise beilegen“ (Art. 26 SächsKathKV, ganz ähnlich: Art. 25 SächsEvKV und Art. 8 Abs. 1 SächsJüdKV); ausge-
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Diese verlässliche Basis stärkt entscheidend das breite Engagement der kirchlichen Vertragspartner, so weit wie möglich als Kirche für das Volk in der Fläche präsent und nah bei den Menschen im Freistaat zu sein. Davon lassen sich – ungeachtet der in Folge von Mitgliederverlusten zurückgehenden Kräfte – viele eindrucksvolle Erfolgsgeschichten erzählen. Hier nur ein paar Zahlen aus der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens,238 die für das große, ja weiter wachsende Engagement der Kirchen stehen: • Seit Vertragsschluss hat sich die Zahl der ehrenamtlich in der Landeskirche Engagierten um 20% auf über 65.000 Freiwillige gesteigert. Und aus anderen Studien wissen wir: Wer sich in der Kirche engagiert, tut dies oft auch in vielen anderen Zusammenhängen und steigert – ganz nebenbei bemerkt – auch die eigene Lebenszufriedenheit! 239 • Mit ihrer Kinder- und Jugendarbeit zieht die Sächsische Landeskirche regelmäßig rd. 60.000 Teilnehmer an. • Mit Seminaren und Vortragsangeboten erreicht die Sächsische Landeskirche in über 6.000 Veranstaltungen fast 450.000 Teilnehmer, mit gut 3.500 kirchenmusikalischen Veranstaltungen über 670.000 Interessierte. • Die evangelischer Träger haben in den vergangenen zehn Jahren ihr Engagement bei den Tageseinrichtungen für Kinder um über ein Viertel auf über 250 Einrichtungen und bei den Evangelischen Schulen um über die Hälfte auf mehr als 50 Schulträgerschaften gesteigert. Auch die katholische Kirche kann eindrucksvoll aufzeigen, was sie für die Gemeinschaft leistet, z. B. mit ihrem Eigenanteil bei den Schulen von über 3 Mio. A. Der in diesen Wochen aus dem Dienst scheidende Sächsische Landesbischof Jochen Bohl 240 hat in ökumenischer Verbundenheit mit dem katholischen Bischlossen wird aber eine ggf. gerichtliche Auseinandersetzung durch die Freundschaftsklausel nicht, siehe Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments, 2000, S. 199 f. und 208 f. 238 Zahlen aus der Statistik der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens: Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, Statistik, unter: www.evlks.de/landes kirche/zahlen_und_fakten/112.html (abgerufen am 2.08.2015) sowie aus den von der Landeskirche im Rahmen der EKD-Statistik „Gezählt 2013“ gemeldeten Daten (vgl. Kirchenamt der EKD [Hrsg.]: Gezählt 2013. Evangelische Kirche in Deutschland, Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben, 2013). 239 Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.): Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, 2014, S. 14 und 117 ff. 240 Die Stärkung des kirchlichen Engagements in der Gesellschaft ist auch mit Blick auf aktuelle Protesterscheinungen wie der von Dresden ausgehenden „Pegida“-Bewegung angezeigt. Mit ihr hat sich der Sächsische Landesbischof Jochen Bohl in einem Rundbrief an die Sächsischen Pfarrer vom 18. Februar 2015 auseinandergesetzt (in Aus-
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schof von Dresden-Meißen Heiner Koch die Bedeutung der Staatskirchenverträge treffend auf den Punkt gebracht: „[. . .] Die Verträge stellen das breite kirchliche Engagement in der Gesellschaft auf eine verlässliche rechtliche Grundlage. Diese vertraglichen Regelungen in Frage zu stellen, bedeutet, dieses Engagement anzuzweifeln, an dem viele Mitbürgerinnen und Mitbürger Anteil haben, gleich ob sie Kirchenmitglieder sind oder nicht“.241
Auch vor diesem Hintergrund ist es richtig, den eingeschlagenen Weg der Vertragspartnerschaft zwischen Staat, Kirchen und Jüdischen Gemeinden beherzt weiterzugehen, und beherzt heißt eben auch mit Gottvertrauen!
zügen veröffentlicht unter: www.evlks.de/landeskirche/landesbischof/26029112.html [abgerufen am 2.08.2015]): Diese Entwicklungen zeigten, dass hier Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens selbst in Frage stünden. Manche Zuschriften hätten ihn „unter dem Eindruck politischer Unbildung [. . .] gerade zu erschauern“ lassen. Bohl sieht einen Grund auch in der „ausgeprägten Institutionenschwäche, die für Ostdeutschland signifikant ist“. Nach der Befreiung von den starren Strukturen der DDR-Staatsmacht seien „weitgehend Leerstellen“ geblieben. Parteien und Gewerkschaften hätten „bestürzend wenige Mitglieder“ und kaum Mobilisierungskraft, überregionale Tageszeitungen würden nicht gelesen, die Innungen fänden bei den Handwerksbetrieben keine Akzeptanz, Familienformen seien zerbrechlich [. . .].“ Die Kirchen werden das für sich mit ihrem Wirken nicht auffangen können. Es ist auch gar nicht im Kern ihre Aufgabe, und auch sie haben mit Mitgliederrückgängen zu kämpfen. Aber die Vorgänge zeigen, wie gut und wichtig es ist, mit den Kirchen engagierte Akteure und auch Institutionen verteilt über das gesamte Gebiet des Freistaates zu haben, die nicht Eigeninteressen verpflichtet sind, sondern sich gemäß ihres Auftrags für den Nächsten und zum Besten der Gemeinschaft einsetzen. 241 Jochen Bohl/Heiner Koch, Landesbischof Jochen Bohl und Bischof Heiner Koch zur gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Staatskirchenvertrag. Gemeinsame Stellungnahme, unter: www.evlks.de/aktuelles/nachrichten/21247.html (abgerufen am 2.08. 2015).
Teil D
Anhang: Die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen
Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen vom 24. März 1994 Der Freistaat Sachsen (im folgenden: der Freistaat), vertreten durch den Ministerpräsidenten, und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, die Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz,
dition des Preußischen Staatskirchenvertrages vom 11. Mai 1931, – in Anerkennung der Eigenständigkeit der Kirchen und ihres Öffentlichkeitsauftrages, auf der Grundlage von Artikel 109 Abs. 2 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen folgendes vereinbart:
die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen,
Artikel 1 Glaubensfreiheit
die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg,
(1) Der Freistaat gewährt der Freiheit, den evangelischen Glauben zu bekennen und auszuüben, den gesetzlichen Schutz.
die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen (im folgenden: die Kirchen), jeweils vertreten durch ihre kirchenordnungsgemäßen Vertreter, haben
(2) Die Kirchen ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes. Artikel 2 Zusammenwirken
– im Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung für das Wohl des Landes und geleitet von dem Wunsch, das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Freistaat Sachsen und den Kirchen zu festigen und zu fördern,
(1) Die Vertreter der Staatsregierung und der Kirchen werden sich regelmäßig und bei Bedarf zu Gesprächen über solche Fragen treffen, die ihr Verhältnis zueinander berühren oder für beide Seiten von besonderer Bedeutung sind.
– mit dem Ziel, unter den neuen politischen Bedingungen einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung das Verhältnis zwischen Staat und Kirche partnerschaftlich neu zu ordnen,
(2) Zur Vertretung ihrer Anliegen gegenüber dem Staat und zur Verbesserung der gegenseitigen Information bestellen die Kirchen einen Beauftragten und richten eine besondere Geschäftsstelle am Sitz der Staatsregierung ein.
– in Anknüpfung an die geschichtlich gewachsenen Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Kirche und die Tra-
(3) Bei Rechtsetzungsvorhaben und Programmen, die Belange der Kirchen
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Anhang
berühren, sind die Kirchen angemessen zu beteiligen.
Artikel 3 Staatliche Theologenausbildung (1) Für wissenschaftlich-theologische Ausbildungsgänge bleibt die theologische Fakultät der Universität Leipzig erhalten. Vor der Neugründung oder Verlegung einer evangelischen theologischen Fakultät wird die Staatsregierung eine gutachtliche Stellungnahme der Kirchen einholen. (2) Vor der Berufung eines Professors oder Hochschuldozenten für ein evangelisch-theologisches Fachgebiet oder für evangelische Religionspädagogik an einer Hochschule des Freistaates wird den Kirchen Gelegenheit gegeben, zu einem Berufungsvorschlag sich gutachtlich zu äußern. Werden Bedenken geäußert, die sich auf die Heilige Schrift und das Bekenntnis stützen und die im einzelnen begründet werden, wird der Freistaat diese Stellungnahme beachten. (3) Das zuständige Staatsministerium wird Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen für theologische Fachgebiete erst genehmigen oder in Kraft setzen, wenn zuvor durch Anfrage bei den Kirchen festgestellt worden ist, daß Einwendungen nicht erhoben werden. Die kirchliche Mitwirkung in den Theologischen Prüfungskommissionen bleibt gewährleistet. (4) Die Kirchen behalten das Recht, eigene Prüfungsämter für den Abschluß einer wissenschaftlichen Ausbildung einzurichten. Die kirchliche Prüfung steht der Hochschulprüfung gleich. (5) Die evangelischen Universitätsprediger ernennt das zuständige kirchenleitende Organ im Einvernehmen mit der evangelischen theologischen Fakultät aus dem Kreis der ordinierten Professoren der Fakultät.
Artikel 4 Kirchliche Hochschulausbildung (1) Die Kirchen haben das Recht, eigene Ausbildungsstätten, insbesondere für Theologen, Religionspädagogen, Kirchenmusiker, Sozial- und Gemeindepädagogen sowie andere vergleichbare Berufe, einzurichten. Sie sind den staatlichen Lehreinrichtungen gleichgestellt, wenn sie den hochschulrechtlichen Bestimmungen entsprechen. (2) Die Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung sowie der Umfang der Beteiligung des Freistaates an deren Sachund Personalkosten können durch besondere Vereinbarungen geregelt werden. Artikel 5 Religionsunterricht (1) Der Freistaat gewährleistet die Erteilung eines regelmäßigen evangelischen Religionsunterrichtes als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen. (2) Richtlinien, Lehrpläne und Lehrbücher für den evangelischen Religionsunterricht bedürfen der Zustimmung der Kirchen. Bei der staatlichen Aus-, Fortund Weiterbildung von Religionslehrern und bei der Aufsicht über den Religionsunterricht sind die Kirchen nach Maßgabe einer besonderen Vereinbarung zu beteiligen. (3) Lehrkräfte im Fach Religion bedürfen vor ihrer ersten Anstellung einer Bevollmächtigung der örtlich zuständigen Kirche, mit der die Lehrerlaubnis (Vokation) im Fach Religion zuerkannt wird. Die Lehrerlaubnis kann auch befristet erteilt und in begründeten Fällen widerrufen werden. Handelt es sich um einen Pfarrer, gilt diese Lehrerlaubnis ohne besondere Bescheinigung als zuerkannt. (4) Die Gestellung von haupt- und nebenamtlichen Religionslehrern, die auf Dauer oder befristet aus dem Kirchen-
Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen dienst abgeordnet werden, bleibt einer besonderen Regelungvorbehalten. Artikel 6 Kirchliches Schulwesen Die Kirchen haben das Recht, Schulen in eigener Trägerschaft auf konfessioneller Grundlage einzurichten und zu betreiben. Artikel 7 Jugendarbeit und Erwachsenenbildung (1) Die kirchliche Jugendarbeit steht unter staatlichem Schutz; sie wird im Rahmen der allgemeinen staatlichen Förderung und innerhalb der jugendpolitischen Gremien des Freistaates angemessen berücksichtigt. (2) Die Freiheit der Kirche, in der Erwachsenenbildung tätig zu sein, wird durch den Freistaat gewährleistet.
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lichen Rechts; ihr Dienst ist öffentlicher Dienst. (2) Die Kirchen werden Beschlüsse über die beabsichtigte Errichtung oder Veränderung von kirchlichen Körperschaften dem zuständigen Staatsministerium sowie den räumlich beteiligten Gebietskörperschaften rechtzeitig anzeigen. Die Errichtung öffentlich-rechtlicher kirchlicher Stiftungen bedarf der Genehmigung des zuständigen Ministeriums. (3) Die Vorschriften der Kirchen über die vermögensrechtliche Vertretung der kirchlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts werden dem zuständigen Staatsministerium vor ihrem Erlaß vorgelegt. Das Staatsministerium kann innerhalb eines Monats Einspruch erheben, wenn eine ordnungsgemäße vermögensrechtliche Vertretung nicht gewährleistet ist.
Artikel 8 Kirchliches Eigentumsrecht
Artikel 10 Kirchliche Kulturdenkmale
(1) Das Eigentum und andere vermögenswerte Rechte der Kirchen und ihrer Gliederungen werden in dem Umfang des Artikels 138 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 gewährleistet.
(1) Die Kirchen und der Freistaat bekennen sich zu ihrer gemeinsamen Verantwortung für den Schutz und Erhalt der kirchlichen Kulturdenkmale.
(2) Die Landesbehörden werden bei der Anwendung enteignungsrechtlicher Vorschriften auf kirchliche Belange Rücksicht nehmen. Bei der Beschaffung gleichwertiger Ersatzgrundstücke werden sie im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften den Kirchen entgegenkommen. Artikel 9 Körperschaftsrechte (1) Die Kirchen, ihre Kirchengemeinden und Kirchenbezirke oder Kirchenkreise sowie die aus ihnen gebildeten Verbände sind Körperschaften des öffent-
(2) Die Kirchen verpflichten sich, ihre Kulturdenkmale im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten, zu pflegen und nach Möglichkeit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. (3) Die Kirchen haben für die Erhaltung ihrer Kulturdenkmale Anspruch auf angemessene Kostenerstattung durch den Freistaat nach Maßgabe der Gesetze und werden bei der Vergabe staatlicher Mittel entsprechend berücksichtigt. Der Freistaat wird sich dafür verwenden, daß die Kirchen auch von solchen Einrichtungen und Behörden Fördermittel erhalten, die auf nationaler und internationaler Ebene auf dem Gebiet der Kultur- und Denkmalpflege tätig sind.
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Anhang Artikel 11 Kirchliche Gebäude in nicht-kirchlichem Eigentum
wird dafür Sorge tragen, daß die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung stehen.
(1) Für Kirchen und andere kirchliche Gebäude, die im Eigentum des Freistaates stehen und zu kirchlichen oder diakonischen Zwecken genutzt werden, wird der Widmungszweck uneingeschränkt gewährleistet. Im Rahmen seiner Baulastpflicht wird der Freistaat für die Unterhaltung dieser Gebäude oder Gebäudeteile sorgen.
(2) Werden diese Aufgaben von einem dafür freigestellten Pfarrer im Hauptoder Nebenamt wahrgenommen (Anstaltspfarrer), geschieht die Berufung durch die Kirchenleitung im Benehmen mit dem zuständigen Staatsministerium.
(2) Durch Vereinbarung mit der Kirche kann sich der baulastpflichtige Eigentümer verpflichten, das kirchlichen oder diakonischen Zwecken gewidmete Grundstück unter Ablösung der Baulast, gegebenfalls gegen eine Entschädigung, zu übereignen.
Artikel 14 Staatsleistungen
Artikel 12 Patronatswesen (1) Die im Freistaat bestehenden Patronatsrechte werden aufgehoben. Bei Privatpatronaten entfällt die Baulastverpflichtung ohne Entschädigung. Im übrigen soll eine Ablösung bestehender Baulastpflichten durch Vereinbarung angestrebt werden. (2) Der Freistaat wird die Zusammenarbeit mit den Kirchen, den Gemeinden und den kommunalen Spitzenverbänden die Vermögensauseinandersetzung der bisher noch nicht getrennten Kirchschullehen, Küsterschulvermögen sowie Kirchen- und Schulämter zügig durchführen. Artikel 13 Sonderseelsorge (1) Gottesdienst und Seelsorge in staatlichen Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten, Polizeiausbildungsstätten und entsprechenden Einrichtungen des Freistaates werden gewährleistet. Der Freistaat
(3) Näheres wird durch besondere Vereinbarung geregelt.
(1) Der Freistaat zahlt zur Abgeltung der Ansprüche der Kirchen aus Staatsleistungen einen jährlichen Gesamtbetrag. Die Kirchen regeln die Verteilung des Gesamtbetrags unter sich durch Vereinbarung. (2) Die Höhe der Zahlung des Freistaates nach Absatz 1 beträgt für das Jahr 1993: 25 Millionen DM. (3) Ändert sich in der Folgezeit die Besoldung der Beamten im Staatsdienst, so ändert sich die in Absatz 2 festgesetzte Summe in entsprechender Höhe. Zugrunde gelegt wird das Eingangsamt für den höheren nichttechnischen Verwaltungsdienst, Besoldungsgruppe A 13 der Bundesbesoldungsordnung, siebente Dienstaltersstufe, verheiratet, zwei Kinder. (4) Der Freistaat leistet an die Kirchen jeweils monatlich im voraus ein Zwölftel des jährlichen Gesamtbetrages. Artikel 15 Meldewesen (1) Den Kirchen werden die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Daten aus dem Melderegister übermittelt. Der Umfang der zu übermittelnden Daten bestimmt sich nach dem Sächsischen Meldegesetz. Die Übermittlung setzt voraus,
Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen daß im kirchlichen Bereich ausreichende Maßnahmen zur Sicherung des Datenschutzes getroffen sind. (2) Die Datenübermittlung erfolgt gebührenfrei. Artikel 16 Kirchensteuerrecht (1) Die Kirchen sind berechtigt, nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Kirchensteuern als Landeskirchen- oder als Ortskirchensteuern zu erheben. Kirchensteuern sind die Kirchensteuer vom Einkommen und vom Vermögen, Kirchgeld in festen oder gestaffelten Beträgen sowie das besondere Kirchgeld bei glaubensverschiedener Ehe. Die einzelnen Kirchensteuerarten können sowohl einzeln als auch nebeneinander erhoben werden. (2) Für die Bemessung der Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommenssteuer (Lohnsteuer) einigen sich die vertragschließenden Kirchen auf einen einheitlichen Zuschlagssatz. (3) Die Kirchensteuerordnungen einschließlich ihrer Änderungen und Ergänzungen sowie die Beschlüsse über die Kirchensteuersätze bedürfen staatlicher Anerkennung. (4) Die Kirchen werden ihre Beschlüsse über die Kirchensteuersätze dem Staatsministerium der Finanzen vorlegen. Sie gelten als anerkannt, wenn sie den anerkannten Beschlüssen des vorhergehenden Haushaltsjahres entsprechen und die landesrechtlichen Grundlagen sich nicht geändert haben. Artikel 17 Verwaltung und Vollstreckung der Kirchensteuern (1) Die Verwaltung der Kirchensteuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie des Kirchgelds in glaubensverschie-
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dener Ehe wird den Finanzämtern übertragen, wenn die landesrechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Soweit die Steuer vom Arbeitslohn in Betriebsstätten im Freistaat erhoben wird, sind die Arbeitgeber zu verpflichten, die Kirchensteuer nach dem genehmigten Satz einzubehalten und abzuführen. (2) Für die Verwaltung der Kirchensteuer erhält der Freistaat eine Entschädigung, deren Höhe sich nach dem vereinnahmten Kirchensteueraufkommen richtet. Das Nähere wird durch Vereinbarung geregelt. Die Finanzämter sind nach Maßgabe der Vorschriften der Abgabenordnung und der datenschutzrechtlichen Bestimmungen verpflichtet, den zuständigen kirchlichen Stellen in allen kirchensteuerrechtlichen Angelegenheiten im Rahmen der vorhandenen Unterlagen Auskunft zu geben. (3) Maßnahmen der Finanzbehörden, die den Erlaß, die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen, die Stundung oder die Niederschlagung der Einkommens-(Lohn-) oder Vermögenssteuer betreffen, erstrecken sich auch auf diejenigen Kirchensteuern, die als Zuschläge zu diesen Steuern erhoben werden. Das Recht der kirchlichen Stellen, die Kirchensteuer aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen, zu stunden, ganz oder teilweise zu erlassen oder niederzuschlagen, bleibt unberührt. (4) Den Finanzämtern obliegt die Vollstreckung der von ihnen verwalteten Kirchensteuern.
Artikel 18 Kirchliches Sammlungswesen (1) Die Kirchen und Kirchengemeinden sowie die kirchlichen Werke und Einrichtungen sind berechtigt, freiwillige Gaben für kirchliche Zwecke zu erbitten.
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Anhang
(2) Für die Kirchen und ihre diakonischen Einrichtungen gelten darüber hinaus alljährlich zwei allgemeine öffentliche Haus- und Straßensammlungen als genehmigt. Die Termine dieser Sammlungen sollen mit dem zuständigen Staatsministerium abgestimmt werden. Artikel 19 Gebührenbefreiung Den Kirchen und ihren Gliederungen sowie ihren öffentlich-rechtlichen Anstalten, Stiftungen und Verbänden bleiben die auf Landesrecht beruhenden Gebührenbefreiungen erhalten. Artikel 20 Soziale und diakonische Einrichtungen (1) Die Kirchen und ihre diakonischen Werke haben das Recht, im Sozial- und Gesundheitswesen eigene Einrichtungen für die Betreuung und Beratung besonderer Zielgruppen zu unterhalten. Soweit diese Einrichtungen gemeinwohlbezogene Aufgaben erfüllen und unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit in Anspruch genommen werden können, haben deren Träger Anspruch auf eine angemessene Förderung. (2) Für die Aus-, Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter in den in Absatz 1 genannten Bereichen können die Kirchen oder ihre diakonischen Werke eigene Bildungsstätten betreiben. Artikel 21 Feiertagsschutz Der Schutz des Sonntags und der kirchlichen Feiertage wird gewährleistet. Artikel 22 Friedhofswesen (1) Die kirchlichen Friedhöfe unterstehen demselben staatlichen Schutz wie die
kommunalen Friedhöfe. Die Kirchengemeinden sind berechtigt, nach Maßgabe der Gesetze neue Friedhöfe anzulegen und bestehende zu erweitern. (2) Die kirchlichen Friedhofsträger können nach den für die Gemeinden geltenden Grundsätzen Benutzungs- und Gebührenordnungen erlassen. (3) Die Friedhofsgebühren werden auf Antrag des kirchlichen Friedhofsträgers im Wege der Vollstreckungshilfe eingezogen. Artikel 23 Rundfunk und Fernsehen (1) Der Freistaat wird Sorge tragen, daß den Kirchen von den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten ausreichend Sendezeit eingeräumt wird. Die Kirchen sollen in den Aufsichts- und Programmorganen angemessen vertreten sein. (2) Das Recht der Kirchen, nach Maßgabe der landesgesetzlichen Bestimmungen allein oder mit Dritten Rundfunk zu veranstalten, bleibt unberührt. Artikel 24 Kirchliche Gerichtsbarkeit Im Verfahren vor den Kirchengerichten und in förmlichen Disziplinarverfahren gegen Geistliche und Kirchenbeamte sind die Amtsgerichte verpflichtet, Rechtshilfe zu leisten. Dieses gilt nicht in Lehrbeanstandungsverfahren. Artikel 25 Freundschaftsklausel Die Vertragsparteien werden zwischen ihnen etwa bestehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung dieses Vertrages oder über die Einhaltung des Paritätsgebotes im Zusammenhang mit Regelungen dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise beilegen.
Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen Artikel 26 Schlußbestimmung (1) Dieser Vertrag bedarf der Ratifizierung. Die Ratifikationsurkunden sollen in Dresden ausgetauscht werden. Der Vertrag tritt am Tage nach diesem Austausch in Kraft. (2) Die Beziehungen zwischen dem Freistaat und den Kirchen regeln sich mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages nach diesem Vertrag. Dresden, den 24. März 1994 Für den Freistaat Sachsen Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Ministerpräsident Für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens Hans-Dieter Hofmann Präsident Für die Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz Prof. Dr. Joachim Rogge Bischof Für die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen Dr. Eberhard Schmidt Propst Für die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg Horstdieter Wildner Konsistorialpräsident Für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen Walter Weispfenning Oberkirchenrat Schlußprotokoll Bei der Unterzeichnung des am heutigen Tage geschlossenen Vertrages des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen sind folgende übereinstimmende Erklärungen abgegeben
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worden, die einen integrierenden Bestandteil des Vertrages bilden. Zu Artikel 2 Absatz 3: Die Beteiligung soll so rechtzeitig erfolgen, daß den Kirchen ermöglicht wird, noch vor der Beschlußfassung ihre Stellungnahme abzugeben. Bei eigenen Gesetzgebungsvorhaben wird die Staatsregierung den Kirchen rechtzeitig vor der Entscheidung über die Einbringung der Gesetzesvorlage Gelegenheit zur Äußerung geben. Zu Artikel 3 Absatz 1: Die im folgenden genannten Mitwirkungsrechte der Kirchen werden durch diejenige Kirche wahrgenommen, auf deren Territorium sich die Bildungseinrichtung befindet. Diese Kirche wird die weiteren betroffenen Kirchen beteiligen und gegebenenfalls abweichende Stellungnahmen der anderen Kirchen der staatlichen Stelle zur Kenntnis geben. Zu Artikel 3 Absatz 2 Satz 1: Den Kirchen wird eine angemessene Frist für ihre Stellungnahme eingeräumt. Vor Ablauf dieser Frist wird keine Entscheidung über die Berufungsvorschläge ergehen. Zu Artikel 3 Absatz 3: Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für Promotions- und Habilitationsordnungen werden die Kirchen Einwendungen nur erheben, wenn auf das Bekenntnis gestützte Bedenken bestehen. Zu Artikel 3 Absatz 4 Satz 2: Die Kirchen gewährleisten die Gleichwertigkeit der Prüfungsanforderungen mit den staatlichen Anschlußprüfungen.
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Anhang
Zu Artikel 4 Absatz 2:
Zu Artikel 9 Absatz 1:
Eine entsprechende Vereinbarung kann sowohl allgemein als auch im Hinblick auf die konkrete kirchliche Lehreinrichtung erfolgen.
Aus dem Charakter des kirchlichen Dienstes als öffentlichem Dienst folgt keine Anwendung der Regelungen des Beamtenrechts. Die Kirchen werden jedoch soweit möglich eine Angleichung ihrer dienstrechtlichen Bestimmungen an die beamtenrechtlichen Grundsätze vornehmen.
Zu Artikel 5 Absatz 1: Den Vertragspartnern ist bewußt, daß der Neuaufbau des Religionsunterrichts im Freistaat noch einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen wird. Die Kirchen verpflichten sich, für die Erteilung von Religionsunterricht kirchliche Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Der Freistaat wird seinerseits die Ausbildung von Religionslehrern, die auch im gymnasialen Bereich unbeschränkt einsetzbar sind, beschleunigt vorantreiben. Übergangsweise wird der Freistaat im Einvernehmen mit den Kirchen Stellen, die auch Teilzeitstellen sein können, für im Schuldienst tätige Pfarrer einrichten. In Fällen, in denen die faktischen Voraussetzungen bestehen und die Kontinuität gewährleistet ist, soll der Religionsunterricht in allen Jahrgangsstufen durchgeführt werden. Soweit aufgrund der geringen Zahl der in Betracht kommenden Schüler die Durchführung des Religionsunterrichts an einer Schule mit unverhältnismäßig großem Aufwand verbunden ist, kann der Religionsunterricht schulübergreifend abgehalten werden. Zu einem schulübergreifenden Religionsunterricht ist der Freistaat nur verpflichtet, wenn dieser mit zumutbarem organisatorischen Aufwand eingerichtet werden kann. Zu Artikel 6: Die Festlegung der Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung dieser Schulen und ihre Finanzierung aus öffentlichen Mitteln bleibt dem Landesrecht oder einer Vereinbarung vorbehalten.
Zu Artikel 9 Absatz 3: Die Kirchen werden die in Absatz 3 genannten Vorschriften nicht in Kraft setzen, bevor die Einspruchsfrist abgelaufen ist. Hat das zuständige Staatsministerium Einspruch eingelegt, sind die Kirchen nicht berechtigt, diese Vorschriften in Kraft zu setzen, bevor der Einspruch nicht zurückgenommen oder auf Klage der Kirchen rechtskräftig für unbegründet erklärt wurde. Zu Artikel 11 Absatz 1 Satz 2: Der Freistaat erkennt seine Baulastpflicht an folgenden Schloßkapellen an: 1) Augustusburg 2) Schloß Weesenstein Die Kirchen werden bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche auf Erfüllung staatlicher Baulastverpflichtungen auf die wirtschaftliche Lage des Freistaates Rücksicht nehmen. Zu Artikel 12 Absatz 2: Unbeschadet der staats- und kirchenaufsichtlichen Genehmigungserfordernisse sind die innerkirchlich zuständigen Stellen und die Gemeinden berechtigt, die Auseinandersetzung durch entsprechende Vereinbarungen beschleunigt durchzuführen. Die Vertragsparteien begrüßen und empfehlen solche einvernehmlichen Regelungen durch die örtlich Beteiligten, auch solange die im Vertrag angestrebte Klärung noch nicht erfolgt ist.
Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen Zu Artikel 13 Absatz 1: Der Freistaat trägt die Bau- und Unterhaltungslast an Räumen in Justizvollzugsanstalten und staatlichen Krankenhäusern, die überwiegend gottesdienstlichen Zwecken dienen, solange das entsprechende Gebäude als Justizvollzugsanstalt oder Krankenhaus Verwendung findet oder gefunden hat. Im Falle einer Nutzungsänderung entfallen die Rechte der Kirchen an den ihnen zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten. Zu Artikel 13 Absatz 3: Die zwischen dem Freistaat Sachsen und den evangelischen Kirchen geschlossene Vereinbarung zur Regelung der seelsorgerischen Tätigkeit in den Justiszvollzugsanstalten vom 25. Januar 1993 bleibt unberührt. Zu Artikel 14 Abs. 1: Zwischen den Vertragsparteien besteht Übereinstimmung, daß von der getroffenen Abgeltungsklausel sämtliche Ansprüche aus der Staatsleistungsgarantie gemäß Artikel 109 Abs. 4 der Verfassung des Freistaates Sachsen in Verbindung mit Artikel 138 Abs. 1 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 und gemäß Artikel 112 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen erfaßt sind. Damit entfallen diese Ansprüche unabhängig davon, ob die entsprechenden Rechtsgrundlagen den Parteien bei Vertragsschluß bereits bekannt waren. Die Ansprüche aus staatlichen Baulastverpflichtungen gemäß Artikel 11 Abs. 1 Satz 2 dieses Vertrages bleiben unberührt. Zu Artikel 14 Abs. 2: Die Mittel stehen zur freien Verfügung der Kirchen. Eine Prüfung der Verwendung dieser Mittel durch staatliche Stellen findet nicht statt.
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Soweit im Hinblick auf die bisher geleisteten Abschlagszahlungen für die Jahre 1991 und 1992 Rückzahlungspflichten einzelner Kirchen zugunsten des Freistaates entstanden sind, werden diese erlassen. Im übrigen erfolgt unter Berücksichtigung der bereits gewährten Leistungen eine Nachzahlung, deren Höhe sich nach denselben Grundsätzen bemißt, die für die Feststellung des Gesamtbetrages maßgebend waren. Für das Jahr 1990 werden keine Zahlungen geleistet. Zu Artikel 14 Abs. 3: Maßgebend ist die Besoldungsordnung für Beamte aus dem Beitrittsgebiet. Berücksichtigungsfähig sind Besoldungsänderungen, die ab dem 1. Januar 1994 wirksam werden. Zu Artikel 14 Abs. 4: Die Zahlungen erfolgen auf ein von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens zu benennendes Konto, das dem zuständigen Staatsministerium bekanntgegeben wird. Eine Leistung auf dieses Konto wird erst vorgenommen, nachdem die vertragschließenden Kirchen dem zuständigen Staatsministerium gegenüber ihre Einigung über die interne Verteilung der Beträge schriftlich mitgeteilt haben. Diese Mitteilung ist für den Freistaat bindend, solange sie nicht von einer der beteiligten Kirchen gegenüber dem zuständigen Staatsministerium widerrufen wird. Soweit keine Einigung zwischen den beteiligten Kirchen besteht, sind die jeweils fälligen Gelder nach den Vorschriften der Hinterlegungsordnung vom 10. März 1937 (RGBl. I S. 285), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. August 1990 (BGBl. I S. 1765), zu hinterlegen. Zu Artikel 15: Artikel 15 des Vertrages gilt nicht, wenn die Datenübermittlung für privatrechtli-
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Anhang
che oder für privatrechtlich organisierte Werke und Einrichtungen erfolgen soll.
sie denen des vorangegangenen Haushaltsjahres entsprechen.
Zu Artikel 15 Abs. 1:
Zu Artikel 17 Abs. 1 Satz 1:
Regelmäßige Datenübermittlungen erfolgen in bestimmten zeitlichen Abständen an die jeweils zuständige kirchliche Stelle. Neben der Religionszugehörigkeit werden die Daten nach § 30 Abs. 1 und 2 des Sächsischen Meldegesetzes unter den dort genannten Voraussetzungen übermittelt. Gleiches gilt bei Änderungen dieser Daten. Näheres wird durch Vereinbarung zwischen dem zuständigen Staatsministerium und den Kirchen geregelt.
Die vertragschließenden Kirchen werden dem Staatsministerium der Finanzen ein von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens einzurichtendes Konto benennen, auf das die Kirchensteuereinnahmen der betreffenden Kirchen insgesamt zu überweisen sind, nachdem die Kirchen sich über die Aufteilung der Kirchensteuereinnahmen geeinigt und dies dem Staatsministerium der Finanzen angezeigt haben.
Maßgebend ist das Sächsische Meldegesetz in seiner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung (SächsGVBl. 1993 S. 353). Zu Artikel 16 Abs. 1: Die Kirchen sind berechtigt, in ihren Kirchensteuerordnungen Mindestbeträge und Obergrenzen festzulegen. Zu Artikel 16 Abs. 2: Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, daß eine Verständigung über einen einheitlichen Zuschlagssatz Voraussetzung für die staatliche Verwaltung der Kirchensteuer ist. Erfolgt keine Einigung über den Zuschlagssatz mit anderen kirchensteuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaften, so wird das Staatsministerium der Finanzen nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen darüber befinden, ob bezüglich der vertragschließenden Kirchen die Verwaltung der Kirchensteuer durch die Finanzämter erfolgen kann.
Zu Artikel 17 Abs. 2 Satz 3: Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, daß die Finanzämter nur zur bloßen Datenübermittlung verpflichtet sind. Die Aufbereitung des Datenmaterials nach bestimmten Ordnungsgesichtspunkten ist durch diese Bestimmung nicht umfaßt. Zu Artikel 20 Abs. 1 Satz 2: Die Vertragsparteien gehen davon aus, daß die kirchlichen Träger Fördermittel in derselben Höhe beanspruchen können wie kommunale oder andere freie Träger, die vergleichbare Leistungen erbringen. Zu Artikel 20 Abs. 2: Die Abschlüsse an den kirchlichen Ausbildungseinrichtungen werden staatlich anerkannt, wenn die Gleichwertigkeit mit entsprechenden staatlichen Ausbildungsgängen gewährleistet ist. Die Entscheidung hierüber trifft das zuständige Staatsministerium. Diese Bildungsstätten sind nach allgemeinen Grundsätzen zu fördern.
Zu Artikel 16 Abs. 4:
Zu Artikel 21:
Die Kirchen werden ihre Kirchensteuerbeschlüsse auch dann vorlegen, wenn
Die Festlegung gesetzlicher und kirchlicher Feiertage erfolgt durch Landesge-
Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen setz. Soweit ein kirchlicher Feiertag nicht zugleich gesetzlicher Feiertag ist, gewährleistet der Freistaat, daß 1. Schüler und Auszubildende sowie 2. Personen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, soweit keine zwingenden betrieblichen Erfordernisse entgegenstehen, den Hauptgottesdienst besuchen können und in dem dafür erforderlichen Umfang von ihrer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle fernbleiben können. Zu Artikel 22 Abs. 3: Von der staatlichen Vollstreckungshilfe sind nach übereinstimmender Auffassung der Vertragsparteien nur solche Gebühren erfaßt, die nach der Gebührenordnung für die Benutzung und Unterhaltung der Friedhofsanlagen erhoben werden. Dagegen sind Gebühren für kirchliche Beisetzungsfeierlichkeiten, Fremdleistungen anderer Unternehmen sowie etwaige Gebühren für kirchliche Amtshandlungen nicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung beitreibbar. Zu Artikel 23 Abs. 1: Der Freistaat betreibt öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten auf staatsvertraglicher Grundlage nur mit anderen Bundesländern. Zwischen den Vertragsparteien besteht Einigkeit, daß die Vorhaben des Artikels 23 Abs. 1 dieses Vertrages in den bestehenden Rundfunkstaatsverträgen (Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk vom 30. Mai 1991, SächsGVBl. S. 169; Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991, SächGVBl. S. 425) bereits ausreichend umgesetzt sind. Bei einer Fortschreibung oder Änderung der bezeichneten Rundfunkstaats-
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verträge wird der Freistaat auf eine Berücksichtigung der in Absatz 1 festgelegten Grundsätze hinwirken. Soweit dies nicht durchsetzbar erscheint, entfällt eine Bindung des Freistaates an die Regelung des Kirchenvertrages. Zu Artikel 26 Abs. 2: Die Kirchen erklären, daß aus ihrer Sicht dieser Vertrag für die ehemals preußischen Landesteile an die Stelle des Vertrages des Freistaates Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen vom 11. Mai 1931 tritt. Dresden, den 24. März 1994 Für den Freistaat Sachsen Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Ministerpräsident Für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens Hans-Dieter Hofmann Präsident Für die Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz Prof. Dr. Joachim Rogge Bischof Für die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen Dr. Eberhard Schmidt Propst Für die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg Horstdieter Wildner Konsistorialpräsident Für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen Walter Weispfennig Oberkirchenrat
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Anhang
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen Vom 2. Juli 1996
Accordo fra la Santa Sede e lo Stato Libero di Sassonia Del 2 luglio 1996
DER HEILIGE STUHL, vertreten durch
LA SANTA SEDE, rappresentata dal
den Apostolischen Nuntius in Deutschland,
Nunzio Apostolico in Germania,
Erzbischof Dr. Giovanni Lajolo,
Arcivescovo Dott. Giovanni Lajolo,
und
e
DER FREISTAAT SACHSEN, vertreten durch
LO STATO LIBERO DI SASSONIA, rappresentato dal
den Ministerpräsidenten Prof. Dr. Kurt Biedenkopf,
Ministro-Presidente Prof. Dott. Kurt Biedenkopf,
unter Berücksichtigung des in Geltung stehenden Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933, soweit es den Freistaat Sachsen bindet, und in Würdigung des Vertrages des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929,
considerando il vigente Concordato fra la Santa Sede ed il Reich Germanico del 20 luglio 1933, per quanto esso vincola lo Stato Libero di Sassonia, e tenendo presente la Solenne Convenzione fra la Santa Sede e la Prussia del 14 giugno 1929;
in Anbetracht der neuen freiheitlichen Gesellschaftsordnung im Freistaat Sachsen, die es ermöglicht, die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat partnerschaftlich zu regeln,
tenuto conto del nuovo ordinamento sociale di libertà nello Stato Libero di Sassonia, che rende possibile regolamentare in mutua cooperazione le relazioni fra la Santa Sede e lo Stato Libero;
in der Absicht, auf der Grundlage und in inhaltlicher Fortbildung der obengenannten Verträge das Verhältnis zwischen dem Freistaat Sachsen und der katholischen Kirche in freundschaftlichem Geist zu festigen und zu fördern,
nell’intenzione di consolidare e promuovere in spirito di amicizia i rapporti fra lo Stato Libero di Sassonia e la Chiesa cattolica, prendendo come base i succitati Accordi e sviluppandone il contenuto,
folgendes vereinbart:
hanno convenuto quanto segue:
haben
Artikel 1 Glaubensfreiheit
Articolo 1 Libertà religiosa
(1) Der Freistaat Sachsen (im folgenden: Der Freistaat) gewährt der Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion den gesetzlichen Schutz.
(1) Lo Stato Libero di Sassonia (in seguito: Lo Stato Libero) dà protezione legale alla libertà di professione e di pubblico esercizio della religione cattolica.
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2) Das Recht der katholischen Kirche, ihrer Untergliederungen sowie ihrer Mitglieder zur Bildung von Vereinigungen mit religiöser, karitativer und anderer kirchlicher Zielsetzung wird gewährleistet.
(2) Viene garantito il diritto della Chiesa cattolica, delle sue articolazioni, come anche dei suoi membri, di formare associazioni con finalità religiosa o caritativa o con altra finalità ecclesiastica.
(3) Die katholische Kirche ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes.
(3) La Chiesa cattolica regola e amministra i propri affari autonomamente nell’ambito delle leggi generali vigenti.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 2 Zusammenwirken
Articolo 2 Reciproca collaborazione
(1) Die Staatsregierung und die Diözesanbischöfe werden sich regelmäßig und bei Bedarf zu Gesprächen über solche Fragen treffen, die ihr Verhältnis zueinander berühren oder für beide Seiten von besonderer Bedeutung sind.
(1) Il Governo di Stato e i Vescovi diocesani si incontreranno regolarmente e in caso di bisogno per colloqui su quelle questioni che toccano il loro reciproco rapporto o sono di particolare importanza per ambedue le parti.
(2) Zur ständigen Vertretung ihrer Anliegen gegenüber dem Staat und zur Verbesserung der gemeinsamen Information bestellen die Diözesen Dresden-Meißen, Görlitz und Magdeburg einen gemeinsamen Beauftragten und errichten ein Katholisches Büro als Kommissariat der Bischöfe am Sitz der Staatsregierung.
(2) Per una rappresentanza stabile dei propri interessi di fronte allo Stato e per una migliore reciproca informazione, le diocesi di Dresda-Misnia, Gorlitz e Magdeburgo nominano un incaricato comune e istituiscono un Ufficio Cattolico come Commissariato dei Vescovi presso la sede del Governo di Stato.
3) Bei Rechtsetzungsvorhaben und Programmen, die Belange der katholischen Kirche berühren, ist diese angemessen zu beteiligen.
(3) Nei progetti di legislazione e nei programmi che toccano interessi della Chiesa cattolica, si deve ad essa assicurare un’adeguata partecipazione.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 3 Religionsunterricht
Articolo 3 Insegnamento della religione
(1) Der Freistaat gewährleistet die Erteilung eines regelmäßigen katholischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen.
(1) Lo Stato Libero garantisce nelle scuole pubbliche il regolare insegnamento della religione cattolica come materia ordinaria.
(2) Gegenstand des katholischen Religionsunterrichts ist die Vermittlung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Er soll zu religiösem Leben und zu ver-
(2) Oggetto dell’insegnamento della religione cattolica è la trasmissione della dottrina della fede e morale cattolica. Esso deve motivare alla vita religiosa e ad
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Anhang
antwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft motivieren. Richtlinien, Lehrpläne und Lehrbücher für den katholischen Religionsunterricht bedürfen der kirchlichen Zustimmung. Die Beteiligung der Kirche an der staatlichen Aus-, Fortund Weiterbildung von Religionslehrern und bei der Aufsicht über den Religionsunterricht wird durch besondere Vereinbarung geregelt.
un’azione responsabile nella Chiesa e nella società. Direttive, programmi e libri di testo per l’insegnamento della religione cattolica necessitano dell’approvazione ecclesiastica. La partecipazione della Chiesa all’opera di formazione, aggiornamento e perfezionamento degli insegnanti di religione, svolta dallo Stato, nonché al controllo sull’insegnamento della religione, viene regolata da una speciale intesa.
(3) Lehrkräfte im Fach katholische Religion bedürfen vor ihrer ersten Anstellung einer Bevollmächtigung zur Erteilung des Religionsunterrichts durch den zuständigen Diözesanbischof (Missio canonica). Für Priester gilt sie als erteilt. Die Bevollmächtigung kann auch befristet erteilt und in begründeten Fällen widerrufen werden.
(3) Gli insegnanti della materia Religione cattolica necessitano, anteriormente alla loro prima assunzione, di un’autorizzazione, da parte del competente Vescovo diocesano, ad impartire l’insegnamento della religione (missio canonica). Per i sacerdoti essa si considera concessa. Tale autorizzazione può essere accordata anche temporaneamente e, in casi motivati, revocata.
(4) Die Gestellung von haupt- und nebenamtlichen Religionslehrern, die auf Dauer oder befristet von der Kirche abgeordnet werden, bleibt einer besonderen Regelung vorbehalten.
(4) La designazione degli insegnanti di religione, che esercitano tale professione come occupazione primaria o secondaria e vengono deputati dalla Chiesa stabilmente o temporaneamente, rimane riservata ad una regolamentazione particolare.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 4 Kirchliches Schulwesen
Articolo 4 Scuole ecclesiastiche
Die katholische Kirche, einschließlich der zu ihr gehörenden Orden und Kongregationen sowie anderer kirchlicher Einrichtungen, hat das Recht, Schulen in eigener Trägerschaft auf konfessioneller Grundlage einzurichten und zu betreiben.
La Chiesa cattolica, inclusi gli ordini e le congregazioni che le appartengono così come altre istituzioni ecclesiastiche, ha il diritto di istituire e di dirigere scuole in gestione propria su base confessionale.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 5 Theologische Ausbildung an staatlichen Hochschulen
Articolo 5 Formazione teologica nelle università statali
(1) Der Freistaat wird an der Technischen Universität Dresden das dort eingerichtete Fach katholische Religion in
(1) Lo Stato Libero conserverà presso l’Università Tecnica di Dresda la disciplina Religione cattolica, ivi istituita, nei
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Lehramtsstudiengängen und das Fach katholische Theologie in Magisterstudiengängen erhalten. Die Ausbildung in diesen Fächern entspricht der Lehre und den Grundsätzen der katholischen Kirche.
curricoli di studio per l’abilitazione all’insegnamento, e la disciplina Teologia cattolica nei curricoli di studio per il conseguimento del grado di „Magister“. La formazione in queste discipline corrisponde alla dottrina e ai principi della Chiesa cattolica.
(2) Professoren und Hochschuldozenten (Hochschullehrer) für katholische Theologie und katholische Religionspädagogik werden erst berufen oder eingestellt, wenn sich das zuständige Staatsministerium bei dem zuständigen Diözesanbischof vergewissert hat, daß im Hinblick auf Lehre und Lebenswandel keine Bedenken bestehen. Werden Einwendungen erhoben, sind diese vom Diözesanbischof gemäß den Umständen des Einzelfalles angemessen darzulegen.
(2) Professori e docenti (Hochschullehrer) di Teologia cattolica e di Pedagogia della religione cattolica vengono chiamati o assunti soltanto se il competente Ministero di Stato si è assicurato presso il competente Vescovo diocesano che non esistono obiezioni riguardo alla dottrina e alla condotta. Qualora vengano sollevate eccezioni, queste devono essere indicate dal Vescovo diocesano in modo adeguato alle circostanze del singolo caso.
(3) Verstößt ein Hochschullehrer für katholische Theologie oder katholische Religionspädagogik gegen die Lehre der katholischen Kirche oder ist sein Lebenswandel mit den Grundsätzen der katholischen Kirche nicht mehr vereinbar und ist dies von seiten der Kirche festgestellt, wird der Diözesanbischof dies dem zuständigen Staatsministerium anzeigen. In diesem Falle kann der beanstandete Hochschullehrer seine Lehrtätigkeit in Fachgebieten der katholischen Theologie nicht mehr ausüben. Gleichzeitig nimmt das zuständige Staatsministerium unverzüglich Verhandlungen mit dem Diözesanbischof über die Art und den Umfang der zu leistenden Abhilfe auf.
(3) Qualora un insegnante accademico (Hochschullehrer) di Teologia cattolica o di Pedagogia della religione cattolica manchi contro la dottrina della Chiesa cattolica oppure la sua condotta non sia più conciliabile con i principi della Chiesa cattolica, e ciò sia stato accertato da parte della Chiesa, il Vescovo diocesano lo comunicherà al competente Ministero di Stato. In tal caso l’insegnante accademico contro il quale siano state sollevate eccezioni non può più svolgere la sua attività accademica nei suddetti campi della Teologia cattolica. Nello stesso tempo il competente Ministero di Stato entrerà, senza indugio, in trattative con il Vescovo diocesano riguardo al modo e all’ ambito del rimedio da adottare.
(4) Das zuständige Staatsministerium wird Studien- und Prüfungsordnungen für Fachgebiete der katholischen Theologie erst genehmigen oder in Kraft setzen, wenn zuvor durch Anfrage bei dem Diözesanbischof festgestellt worden ist, daß Einwendungen nicht erhoben werden.
(4) Il competente Ministero di Stato autorizzerà o porrà in vigore gli ordinamenti degli studi e degli esami per le sezioni di studio di Teologia cattolica soltanto se in precedenza, con domanda al Vescovo diocesano, è stato accertato che non vengono sollevate eccezioni.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
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Anhang Artikel 6 Kirchliche Hochschulausbildung
Articolo 6 Formazione universitaria ecclesiastica
(1) Die katholische Kirche hat das Recht, eigene Ausbildungsstätten, insbesondere für Theologen, Religionspädagogen, Kirchenmusiker, Sozial- und Gemeindepädagogen sowie andere vergleichbare Berufe einzurichten. Diese sind den staatlichen Lehreinrichtungen gleichgestellt, wenn sie den hochschulrechtlichen Bestimmungen entsprechen.
(1) La Chiesa cattolica ha il diritto di erigere propri centri di formazione, particolarmente per teologi, insegnanti di religione, cultori di musica sacra e assistenti pedagogici nei settori sociale e parrocchiale, come anche per altre professioni assimilabili. Questi centri sono equiparati agli istituti d’insegnamento statali, se corrispondono alle disposizioni di legge relative all’ordinamento universitario.
(2) Die Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung sowie der Umfang der Beteiligung des Freistaates an deren Sach- und Personalkosten können durch besondere Vereinbarungen geregelt werden.
(2) I presupposti per il riconoscimento da parte dello Stato, come anche la misura della partecipazione dello Stato Libero ai costi di gestione e di personale dei medesimi centri, possono essere regolati da intese particolari.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 7 Jugend- und Erwachsenenbildung
Articolo 7 Formazione dei giovani e degli adulti
(1) Die kirchliche Jugendarbeit wird im Rahmen der allgemeinen staatlichen Förderung und innerhalb der jugendpolitischen Gremien des Freistaates angemessen berücksichtigt.
(1) L’attività della Chiesa per i giovani viene tenuta in adeguata considerazione nel quadro generale delle sovvenzioni statali e all’interno degli organi di politica giovanile dello Stato Libero.
(2) Die Freiheit der Kirche, in der Erwachsenenbildung tätig zu sein, wird durch den Freistaat gewährleistet.
(2) La liberta della Chiesa di operare nella formazione degli adulti è garantita da parte dello Stato Libero.
Artikel 8 Feiertagsschutz
Articolo 8 Protezione dei giorni festivi
Der Schutz des Sonntags und der kirchlichen Feiertage wird gewährleistet.
La protezione della domenica e delle festività ecclesiastiche è garantita.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 9 Pastorale und karitative Einrichtungen
Articolo 9 Istituzioni pastorali e caritative
(1) Die Bistümer, kirchlichen Verbände und karitativen Organisationen haben das Recht, im Pastoralbereich sowie im Sozial- und Gesundheitswesen eigene Ein-
(1) Le diocesi, le associazioni ecclesiastiche e le organizzazioni caritative hanno il diritto di mantenere, nell’ambito pastorale come pure nel settore sociale e nella
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richtungen für die Betreuung und Beratung besonderer Zielgruppen zu unterhalten. Soweit diese Einrichtungen gemeinwohlbezogene Aufgaben erfüllen und unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit in Anspruch genommen werden können, haben deren Träger Anspruch auf eine angemessene Förderung.
sanità, istituzioni proprie per la cura e la consulenza di particolari gruppi di destinatari. Nella misura in cui queste istituzioni espletano compiti a vantaggio del bene comune e si può ricorrere ad esse senza riguardo all’appartenenza confessionale, i loro gestori hanno diritto ad un’adeguata sovvenzione.
(2) Für die Aus-, Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter in den in Absatz 1 genannten Bereichen kann die katholische Kirche eigene Bildungsstätten betreiben.
(2) Per la formazione, l’aggiornamento ed il perfezionamento dei suoi collaboratori negli ambiti menzionati nel comma 1, la Chiesa cattolica può gestire centri di formazione propri.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 10 Pflege sorbischer Belange
Articolo 10 Cura degli interessi dei Sorabi
Die katholische Kirche wird das katholisch geprägte sorbische Kulturgut bewahren und schützen. Der Freistaat unterstützt hierbei die katholische Kirche im Rahmen seiner Möglichkeiten.
La Chiesa cattolica conserverà e tutelerà il patrimonio culturale di stampo cattolico dei Sorabi. In ciò lo Stato Libero appoggia la Chiesa cattolica nel quadro delle proprie possibilità.
Artikel 11 Rundfunk und Fernsehen
Articolo 11 Radio e televisione
(1) Der Freistaat wird Sorge tragen, daß der katholischen Kirche von den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten ausreichend Sendezeit eingeräumt wird. Die katholische Kirche soll in den Aufsichts- und Programmorganen angemessen vertreten sein.
(1) Lo Stato Libero avrà cura che da parte degli enti radiotelevisivi di diritto pubblico venga concesso alla Chiesa cattolica un tempo sufficiente di trasmissione. La Chiesa cattolica dovrà essere adeguatamente rappresentata negli organi di controllo e di programmazione.
(2) Das Recht der katholischen Kirche und ihrer Untergliederungen, nach Maßgabe der landesgesetzlichen Bestimmungen alleine oder mit Dritten Rundfunk zu veranstalten, bleibt unberührt.
(2) Resta intatto il diritto della Chiesa cattolica e delle sue suddivisioni di organizzare enti radiotelevisivi, da sola o con terzi, a norma delle disposizioni di legge del Land.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
182
Anhang Artikel 12 Sonderseelsorge
Articolo 12 Pastorale speciale
(1) Gottesdienst und Seelsorge in staatlichen Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten, Polizeiausbildungsstätten und entsprechenden Einrichtungen des Freistaates werden gewährleistet. Der Freistaat wird dafür Sorge tragen, daß die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung stehen.
(1) Sono garantiti il culto divino e la cura d’anime negli ospedali statali, negli istituti giudiziari di pena, nei centri di formazione della polizia ed in istituzioni analoghe dello Stato Libero. Lo Stato Libero avrà cura che siano a disposizione i locali necessari.
(2) Werden diese Aufgaben von einem dafür freigestellten Seelsorger im Hauptoder Nebenamt wahrgenommen (Anstaltspfarrer), geschieht die Berufung durch den Diözesanbischof im Benehmen mit dem zuständigen Staatsministerium.
(2) Qualora tali compiti vengano svolti come impiego primario o secondario da un sacerdote messo appositamente a disposizione (cappellano dell’istituto), la nomina viene fatta dal Vescovo diocesano, dopo aver preso contatto con il Ministero di Stato competente.
(3) Näheres wird durch besondere Vereinbarung geregelt.
(3) I particolari vengono regolati da speciale intesa.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 13 Besetzung kirchlicher Ämter
Articolo 13 Provvista di uffici ecclesiastici
(1) Die Besetzung kirchlicher Ämter in den Bistümern Görlitz und Magdeburg richtet sich nach den Bestimmungen der jeweiligen Verträge über die Bistumserrichtung.
(1) La provvista di uffici ecclesiastici nelle diocesi di Gorlitz e di Magdeburgo avviene in conformità alle disposizioni dei rispettivi Accordi sull’erezione della diocesi.
(2) Für die Besetzung des Bischöflichen Stuhles und der Kanonikate des Domkapitels gelten im Bistum DresdenMeißen die Vorschriften des Artikels 14 des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 entsprechend.
(2) Per la provvista della sede episcopale e dei canonicati del capitolo cattedrale nella diocesi di Dresda-Misnia valgono corrispondentemente le prescrizioni dell’articolo 14 del Concordato fra la Santa Sede ed il Reich Germanico del 20 luglio 1933.
(3) In den in Absatz 1 und 2 genannten Bistümern entfällt eine Mitteilungspflicht über die Besetzung von Pfarrstellen.
(3) Nelle diocesi menzionate nei commi 1 e 2 cessa l’obbligo di comunicare la provvista delle parrocchie.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen
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Artikel 14 Orden und religiöse Genossenschaften
Articolo 14 Ordini e congregazioni religiose
Orden und religiöse Genossenschaften unterliegen in bezug auf ihre Gründung, Niederlassung und Betätigung ausschließlich den Schranken des für alle geltenden Gesetzes.
Gli ordini e le congregazioni religiose sono sottoposti, riguardo alla loro fondazione, alle loro residenze e alla loro attività, esclusivamente ai limiti delle leggi generali vigenti.
Artikel 15 Körperschaftsrechte
Articolo 15 Diritti degli enti giuridici
(1) Die Bistümer, die Bischöflichen Stühle, die Domkapitel, die Pfarreien und Kirchengemeinden sowie die aus ihnen gebildeten Verbände sind Körperschaften des öffentlichen Rechts; ihr Dienst ist öffentlicher Dienst.
(1) Le diocesi, le sedi episcopali, i capitoli cattedrali, le parrocchie e simili entità ecclesiastiche come pure le associazioni da esse formate, sono enti di diritto pubblico; il loro servizio è un servizio pubblico.
(2) Geringfügige Gebietsänderungen der Bistümer, die im Interesse der örtlichen Seelsorge erfolgen, sind der Staatsregierung anzuzeigen. Im übrigen erfolgen Änderungen der Diözesanorganisation und -zirkumskription im Einvernehmen mit der Staatsregierung.
(2) Piccoli cambiamenti territoriali delle diocesi, che hanno luogo nell’interesse della cura d’anime locale, sono da notificare al Governo di Stato. Per il resto, i cambiamenti dell’organizzazione e circoscrizione diocesana avvengono d’intesa con il Governo di Stato.
(3) Die Bistümer werden Beschlüsse über die beabsichtigte Errichtung, Aufhebung und Änderung von kirchlichen Körperschaften dem zuständigen Staatsministerium sowie den räumlich unmittelbar berührten Gebietskörperschaften rechtzeitig anzeigen. Die Errichtung öffentlichrechtlicher kirchlicher Stiftungen bedarf der Genehmigung des zuständigen Staatsministeriums.
(3) Le diocesi notificheranno per tempo al Ministero di Stato competente nonché agli enti territoriali, direttamente interessati sotto l’aspetto territoriale, le decisioni riguardanti la progettata erezione, soppressione e modifica degli enti ecclesiastici. L’erezione di fondazioni ecclesiastiche di diritto pubblico necessita dell’autorizzazione del competente Ministero di Stato.
(4) Die Vorschriften der Bistümer über die vermögensrechtliche Vertretung der kirchlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts werden dem zuständigen Staatsministerium vor ihrem Erlaß vorgelegt. Das Staatsministerium kann innerhalb eines Monats Einspruch erheben, wenn eine ordnungsgemäße vermögensrechtliche Vertretung nicht gewährleistet ist.
(4) Le prescrizioni delle diocesi sulla rappresentanza giuridico-patrimoniale degli enti, degli istituti e delle fondazioni della Chiesa, dotati di personalità giuridica pubblica, vengono presentate al competente Ministero di Stato prima della loro emanazione. Il Ministero di Stato può sollevare eccezione entro un mese, quando non sia garantita una regolare rappresentanza giuridico-patrimoniale.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
184
Anhang Artikel 16 Kirchliches Eigentumsrecht
Articolo 16 Diritto di proprietà ecclesiastica
(1) Das Eigentum und andere vermögenswerte Rechte der katholischen Kirche und ihrer Gliederungen werden gewährleistet.
(1) La proprietà e gli altri diritti patrimoniali della Chiesa cattolica e delle sue articolazioni sono garantiti.
(2) Die Landesbehörden werden bei der Anwendung enteignungsrechtlicher Vorschriften auf kirchliche Belange Rücksicht nehmen. Bei der Beschaffung gleichwertiger Ersatzgrundstücke werden sie im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften der Kirche entgegenkommen.
(2) Nell’applicare norme di esproprio le Autorità del Land avranno riguardo agli interessi ecclesiastici. Nel procurare terreni sostitutivi di uguale valore, esse verranno incontro alla Chiesa nel quadro delle disposizioni di legge.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 17 Kirchliche Gebäude in nichtkirchlichem Eigentum
Articolo 17 Edifici ecclesiastici di proprietà non-ecclesiastica
(1) Für Kirchen und andere kirchliche Gebäude, die im Eigentum des Freistaates stehen und zu kirchlichen oder karitativen Zwecken genutzt werden, wird der Widmungszweck uneingeschränkt gewährleistet. Im Rahmen seiner Baulastpflicht wird der Freistaat für die Unterhaltung dieser Gebäude oder Gebäudeteile sorgen.
(1) Per le chiese e gli altri edifici ecclesiastici, che Sono di proprietà dello Stato Libero e vengono usati per scopi ecclesiastici o caritativi, viene garantito illimitatamente il fine di destinazione. Nel quadro del proprio obbligo di contribuire al mantenimento dei fabbricati, lo Stato Libero si prenderà cura della manutenzione di tali edifici o parti di edifici.
(2) Durch Vereinbarung mit dem jeweiligen Bistum kann sich der baulastpflichtige Eigentümer verpflichten, das kirchlichen oder karitativen Zwecken gewidmete Grundstück unter Ablösung der Baulast, gegebenenfalls gegen eine Entschädigung, zu übereignen.
(2) Per mezzo di un’intesa con la rispettiva diocesi, il proprietario obbligato al mantenimento dell’edificio si può impegnare a trasferire la proprietà del terreno destinato a scopi ecclesiastici o caritativi, svincolandosi dall’onere di contribuzione al mantenimento del fabbricato, eventualmente dietro indennizzo.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 18 Friedhofswesen
Articolo 18 Cimiteri
(1) Die kirchlichen Friedhöfe unterstehen demselben staatlichen Schutz wie die kommunalen Friedhöfe. Die Kirche ist berechtigt, nach Maßgabe der Gesetze
(1) I cimiteri ecclesiastici sottostanno alla medesima protezione da parte dello Stato che i cimiteri comunali. La Chiesa ha diritto di istituire nuovi cimiteri e di
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen
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neue Friedhöfe anzulegen und bestehende zu erweitern.
ampliare quelli già esistenti, a norma delle leggi.
(2) Die Träger kirchlicher Friedhöfe können nach den für die Gemeinden geltenden Grundsätzen Benutzungs- und Gebührenordnungen erlassen.
(2) I gestori dei cimiteri ecclesiastici possono emanare regolamenti per l’uso e le tariffe secondo i principi vigenti per i Comuni.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 19 Kirchliche Kulturdenkmale
Articolo 19 Monumenti ecclesiastici di rilevanza culturale
(1) Die katholische Kirche und der Freistaat bekennen sich zu ihrer gemeinsamen Verantwortung für den Schutz und Erhalt der kirchlichen Kulturdenkmale.
(1) La Chiesa cattolica e lo Stato Libero riconoscono la propria comune responsabilità per la salvaguardia e conservazione dei monumenti ecclesiastici di rilevanza culturale.
(2) Die katholische Kirche verpflichtet sich, ihre Kulturdenkmale im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten, zu pflegen und nach Möglichkeit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
(2) La Chiesa cattolica si impegna a conservare, curare e, per quanto possibile, rendere accessibili al pubblico i propri monumenti di rilevanza culturale, nei limiti del ragionevole.
(3) Die katholische Kirche hat für die Erhaltung ihrer Kulturdenkmale Anspruch auf angemessene Kostenerstattung durch den Freistaat nach Maßgabe der Gesetze und wird bei der Vergabe staatlicher Mittel entsprechend berücksichtigt. Der Freistaat wird sich dafür verwenden, daß die katholische Kirche auch von solchen Einrichtungen und Behörden Fördermittel erhält, die auf nationaler und internationaler Ebene auf dem Gebiet der Kultur- und Denkmalpflege tätig sind.
(3) La Chiesa cattolica ha diritto, per la conservazione dei propri monumenti di rilevanza culturale, ad un adeguato rimborso delle spese da parte dello Stato Libero, a norma delle leggi e, nell’assegnazione dei fondi statali, viene presa corrispondentemente in considerazione. Lo Stato Libero si adopererà per far sì che la Chiesa cattolica riceva sovvenzioni anche da quelle istituzioni ed uffici, che a livello nazionale e internazionale operano nel campo della cura del patrimonio culturale e monumentale.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 20 Staatsleistungen
Articolo 20 Prestazioni finanziarie dello Stato
Der Freistaat zahlt zur Abgeltung der Ansprüche der Bistümer aus Staatsleistungen einen jährlichen Gesamtbetrag in Höhe von 1.000.000 DM. Dieser Betrag ändert sich entsprechend den nach dem 31. Dezember 1993 wirksam werdenden
Lo Stato Libero versa, a saldo dei diritti delle diocesi derivanti da prestazioni statali, una somma globale annua di 1.000.000 di marchi tedeschi. Questa somma cambia conformemente alle variazioni della retribuzione dei funzionari a
186
Anhang
Änderungen der Besoldung der Beamten im Staatsdienst.
servizio dello Stato effettive a partire dal 31 dicembre 1993.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 21 Kirchensteuerrecht
Articolo 21 Diritto di imposta ecclesiastica
(1) Die Bistümer sind berechtigt, nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Kirchensteuern als Diözesanoder als Ortskirchensteuern zu erheben. Kirchensteuern sind die Kirchensteuer vom Einkommen und vom Vermögen, Kirchgeld in festen oder gestaffelten Beträgen sowie das besondere Kirchgeld bei glaubensverschiedener Ehe. Die einzelnen Kirchensteuerarten können sowohl einzeln als auch nebeneinander erhoben werden.
(1) Le diocesi hanno il diritto di percepire imposte ecclesiastiche a norma delle disposizioni previste dalla legislazione del Land, quali imposte ecclesiastiche diocesane o locali. Sono imposte ecclesiastiche l’imposta ecclesiastica sul reddito e sul patrimonio, il contributo alla Chiesa (Kirchgeld) con importi fissi o differenziati, come anche lo speciale contributo alla Chiesa in caso di matrimonio in cui un coniuge non appartiene ad una confessione avente il diritto di percepire imposte ecclesiastiche. I singoli tipi di imposta ecclesiastica possono venire riscossi sia separatamente sia insieme.
(2) Für die Bemessung der Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer (Lohnsteuer) einigen sich die Bistümer auf einen einheitlichen Zuschlagsatz.
(2) Per il calcolo dell’imposta ecclesiastica come addizionale dell’imposta sul reddito (imposta sul salario), le diocesi concordano una aliquota aggiuntiva unitaria.
(3) Die Kirchensteuerordnungen einschließlich ihrer Änderungen und Ergänzungen sowie die Beschlüsse über die Kirchensteuersätze bedürfen staatlicher Anerkennung.
(3) I regolamenti delle imposte ecclesiastiche, incluse le modifiche ed integrazioni dei medesimi, come anche le deliberazioni sulle aliquote delle imposte ecclesiastiche, necessitano del riconoscimento da parte dello Stato.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 22 Verwaltung und Vollstreckung der Kirchensteuern
Articolo 22 Amministrazione ed esazione delle imposte ecclesiastiche
Die Verwaltung der Kirchensteuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie des Kirchgelds in glaubensverschiedener Ehe kann den Finanzämtern übertragen werden, wenn die landesrechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Soweit die Steuer vom Arbeitslohn in Be-
L’amministrazione delle imposte ecclesiastiche sul reddito e sul patrimonio, come anche del contributo alla Chiesa (Kirchgeld) in caso di matrimonio in cui un coniuge non appartiene ad una confessione avente il diritto di percepire imposte ecclesiastiche, può essere trasferita
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen
187
triebsstätten im Freistaat erhoben wird, sind die Arbeitgeber zu verpflichten, die Kirchensteuer nach dem genehmigten Satz einzubehalten und abzuführen. Den Finanzämtern obliegt die Vollstreckung der von ihnen der von ihnen verwalteten Kirchensteuern.
agli uffici fiscali, se ci sono i presupposti stabiliti a tal fine dalla legislazione del Land. Se l’imposta sul salario lavorativo viene riscossa nei luoghi di lavoro nello Stato Libero, si farà obbligo ai datori di lavoro di trattenere e di versare l’imposta ecclesiastica secondo l’aliquota autorizzata. Spetta agli uffici fiscali l’esazione delle imposte ecclesiastiche da essi amministrate.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 23 Meldewesen
Articolo 23 Dati anagrafici
(1) Den Bistümern werden die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Daten aus dem Melderegister ermittelt. Der Umfang der zu übermittelnden Daten bestimmt sich nach dem Sächsischen Meldegesetz. Die Übermittlung setzt voraus, daß im kirchlichen Bereich ausreichende Maßnahmen zur Sicherung des Datenschutzes getroffen sind.
(1) Alle diocesi vengono trasmessi i dati del registro della popolazione, richiesti per l’espletamento dei loro compiti. L’ambito dei dati da trasmettere viene determinato in base alla legge della Sassonia sull’anagrafe. La trasmissione presuppone che nel campo ecclesiastico siano adottati provvedimenti sufficienti per assicurare la protezione dei dati.
(2) Die Datenübermittlung erfolgt gebührenfrei.
(2) La trasmissione dei dati viene fatta con esenzione da tasse.
Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Artikel 24 Kirchliches Sammlungswesen
Articolo 24 Collette ecclesiastiche
(1) Die Bistümer und ihre Kirchengemeinden sowie die katholischen Organisationen und Verbände sind berechtigt, freiwillige Gaben für kirchliche Zwecke zu erbitten.
(1) Le diocesi e le loro parrocchie o simili comunità ecclesiastiche, come anche le organizzazioni e le associazioni cattoliche, sono autorizzate a chiedere offerte volontarie per fini ecclesiastici.
(2) Für die Bistümer und ihre karitativen Einrichtungen gelten darüber hinaus alljährlich zwei allgemeine öffentliche Haus- und Straßensammlungen als genehmigt. Die Termine dieser Sammlungen stimmt das Bistum mit dem zuständigen Staatsministerium ab.
(2) A favore delle diocesi e delle loro istituzioni caritative sono date per autorizzate, inoltre, ogni anno due collette generali pubbliche a domicilio e sulle strade. La diocesi concorda le date di queste collette con il competente Ministero di Stato.
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Anhang Artikel 25 Gebührenbefreiung
Articolo 25 Esenzione da tasse
Der katholischen Kirche sowie ihren öffentlich-rechtlichen Anstalten, Stiftungen und Verbänden bleiben die auf Landesrecht beruhenden Gebührenbefreiungen erhalten.
Per la Chiesa cattolica, come anche per i suoi istituti, fondazioni ed associazioni di diritto pubblico, restano conservate le esenzioni da tasse, basate sulla legislazione del Land.
Artikel 26 Freundschaftsklausel
Articolo 26 Clausola della composizione amichevole
Die Vertragsparteien werden zwischen ihnen etwa bestehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung und Anwendung dieses Vertrages oder über die Einhaltung des Paritätsgebotes im Zusammenhang mit Regelungen dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise beilegen.
Le Parti contraenti comporranno in via amichevole le divergenze d’opinione, che esistessero eventualmente fra di Esse circa l’interpretazione e l’applicazione del presente Accordo o circa l’osservanza dell’imperativo di parità in rapporto a regolamentazioni del presente Accordo.
Artikel 27 Schlußbestimmungen
Articolo 27 Disposizioni finali
(1) Dieser Vertrag, dessen italienischer und deutscher Text gleiche Kraft haben, bedarf der Ratifizierung. Die Ratifikationsurkunden sollen möglichst bald ausgetauscht werden.
(1) Il presente Accordo, i cui testi italiano e tedesco fanno medesima fede, necessita di ratifica. Gli Strumenti di ratifica dovranno essere scambiati quanto prima.
(2) Der Vertrag einschließlich des Schlußprotokolls, das Bestandteil des Vertrages ist, tritt am Tage nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.
(2) L’Accordo, incluso il Protocollo Finale che è parte costitutiva dell’Accordo medesimo, entra in vigore il giorno successivo allo scambio degli Strumenti di ratifica.
Geschehen in zweifacher Urschrift.
Fatto in doppio originale.
Dresden, am 2. Juli 1996
Dresda, il 2 luglio 1996
Für den Heiligen Stuhl
Für den Heiligen Stuhl
Erzbischof Dr. Giovanni Lajolo Apostolischer Nuntius in Deutschland
Erzbischof Dr. Giovanni Lajolo Apostolischer Nuntius in Deutschland
Für den Freistaat Sachsen
Für den Freistaat Sachsen
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Ministerpräsident
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Ministerpräsident
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen
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Schlußprotokoll
Protocollo Finale
Bei der Unterzeichnung des am heutigen Tag geschlossenen Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat sind folgende übereinstimmende Erklärungen abgegeben worden, die einen integrierenden Bestandteil des Vertrages bilden.
Al momento di procedere alla firma dell’Accordo oggi concluso fra la Santa Sede e lo Stato Libero, sono state fatte le seguenti concordi dichiarazioni, che formano parte costitutiva integrante dell’Accordo medesimo.
Zu Artikel 1 Abs. 2
In relazione all’Articolo 1, comma 2
Die Betätigung dieser Vereinigungen unterliegt im Rahmen der allgemein geltenden Gesetze keinen Beschränkungen.
L’attività di queste associazioni non è sottoposta, nel quadro delle leggi generali vigenti, a nessuna restrizione.
Zu Artikel 2 Abs. 3
In relazione all’Articolo 2, comma 3
Die Beteiligung soll so rechtzeitig erfolgen, daß der katholischen Kirche ermöglicht wird, noch vor Beschlußfassung ihre Stellungnahme abzugeben. Bei eigenen Gesetzgebungsvorhaben wird die Staatsregierung der katholischen Kirche rechtzeitig vor der Entscheidung über die Einbringung der Gesetzesvorlage Gelegenheit zur Äußerung geben.
La partecipazione dovrà aver luogo in modo tempestivo, così che alla Chiesa cattolica venga data la possibilità di far conoscere la propria presa di posizione prima che si proceda a decisione. Nel caso di disegni di legge propri il Governo di Stato darà per tempo alla Chiesa cattolica l’opportunità di esprimersi, prima che si decida sulla presentazione del progetto di legge.
Zu Artikel 3 Abs. 1
In relazione all’Articolo 3, comma 1
Die Vertragspartner sind sich bewußt, daß der Neuaufbau des Religionsunterrichts noch einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen wird. Die Bistümer verpflichten sich, für die Erteilung von Religionsunterricht kirchliche Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Der Freistaat wird seinerseits die Ausbildung von Religionslehrern, die auch im gymnasialen Bereich unbeschränkt einsetzbar sind, beschleunigt vorantreiben. Übergangsweise wird der Freistaat im Einvernehmen mit den Bistümern Stellen, die auch Teilzeitstellen sein können, für im Schuldienst tätige Geistliche und diplomierte Theologen einrichten. Der Religionsunterricht soll baldmöglichst in allen Jahrgangsstu-
Le Parti contraenti sono consapevoli che la ricostituzione dell’insegnamento della religione richiederà ancora un notevole spazio di tempo. Le diocesi assumono l’obbligo a mettere a disposizione collaboratori ecclesiastici per impartire l’insegnamento della religione. Lo Stato Libero, da parte sua, promuoverà sollecitamente la formazione di insegnanti di religione, che possano essere impiegati illimitatamente anche nell’ambito ginnasiale. Per il periodo di transizione lo Stato Libero, d’intesa con le diocesi, istituirà posti, che possono essere anche a tempo parziale, per ecclesiastici e per teologi diplomati, che sono addetti all’insegnamento.
190
Anhang
fen durchgeführt werden. Soweit aufgrund der geringen Zahl der in Betracht kommenden Schüler die Durchführung des Religionsunterrichts an einer Schule mit unverhältnismäßig großem Aufwand verbunden ist, kann der Religionsunterricht schulübergreifend abgehalten werden. Zu einem schulübergreifenden Religionsunterricht ist der Freistaat nur verpflichtet, wenn dieser mit zumutbarem organisatorischen Aufwand eingerichtet werden kann.
L’insegnamento della religione dovrà essere attuato quanto prima in tutte le classi di ogni grado. Qualora, a motivo del piccolo numero degli alunni in questione, l’attuazione dell’insegnamento della religione in una scuola fosse legata a spese eccessive, l’insegnamento della religione può essere tenuto collegando più scuole. A questo tipo di insegnamento della religione lo Stato Libero è obbligato soltanto se può essere istituito con spese organizzative ragionevoli.
Zu Artikel 3 Abs. 2 Satz 3
In relazione all’Articolo 3, comma 2, terzo periodo
Zuständig für die Erteilung der kirchlichen Zustimmung ist der Diözesanbischof, in dessen Bistum der Religionsunterricht erteilt wird.
Competente per la concessione dell’approvazione ecclesiastica è il Vescovo diocesano, nella cui diocesi l’insegnamento della religione viene impartito.
Zu Artikel 3 Abs. 3
In relazione all’Articolo 3, comma 3
Die innerkirchlichen Regelungen über den Entzug einzelner Rechte bleiben unberührt, insbesondere was ihre Auswirkungen auf die Zulassung zur Lehrtätigkeit als Religionslehrer betrifft.
Restano intatti i regolamenti interni della Chiesa sulla revoca di singoli diritti, specialmente per quanto riguarda le conseguenze sull’ ammissione all’attività didattica come insegnante di religione.
Zu Artikel 3 Abs. 3 Satz 1
In relazione all’Articolo 3, comma 3, primo periodo
Zuständig ist der Diözesanbischof, in dessen Bistum die betreffende Ausbildungseinrichtung gelegen ist.
Competente è il Vescovo diocesano nella cui diocesi è sito il rispettivo istituto di formazione.
Zu Artikel 4
In relazione all’Articolo 4
Der Freistaat, der selbst keine Schulen auf konfessioneller Grundlage anbietet, wird die katholischen Schulen fördern. Die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln und die Festlegung der Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung bleiben dem Landesrecht oder einer Vereinbarung vorbehalten.
Lo Stato Libero, che da parte sua non offre nessuna scuola su base confessionale, promuoverà le scuole cattoliche. Il finanziamento con fondi pubblici e la determinazione dei presupposti per il riconoscimento da parte dello Stato rimangono riservati alla legislazione del Land o ad un’intesa.
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Zu Artikel 5
In relazione all’Articolo 5
Bezüglich der katholischen theologischen Ausbildung an staatlichen Hochschulen besteht Einvernehmen, daß für das Verhältnis aller Lehrstühle für katholische Theologie und Religionspädagogik zum zuständigen Diözesanbischof im Freistaat gegenwärtig insbesondere die Apostolische Konstitution „Sapientia Christiana“ vom 15. April 1979 sowie die hierzu erlassenen Verordnungen vom 29. April 1979 und die zwei Dekrete der Kongregation für das katholische Bildungswesen vom 1. Januar 1983 gelten, welche an die Stelle der im Schlußprotokoll zu Artikel 19 des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 genannten kirchlichen Vorschriften getreten sind.
Riguardo alla formazione teologica cattolica nelle università statali si è d’accordo che, per i rapporti di tutte le cattedre di Teologia cattolica e di Pedagogia della religione cattolica con il competente Vescovo diocesano, nello Stato Libero sono attualmente in vigore, in particolare, la Costituzione Apostolica „Sapientia Christiana“ del 15 aprile 1979, cosi come le relative Norme applicative del 29 aprile 1979 e i due Decreti della Congregazione per l’Educazione Cattolica del 1 ë gennaio 1983, i quali hanno preso il posto delle prescrizioni ecclesiastiche menzionate nel Protocollo Finale all’articolo 19 del Concordato fra la Santa Sede ed il Reich Germanico del 20 luglio 1933.
Zu Artikel 5 Abs. 1
In relazione all’Articolo 5, comma 1
Die Festlegung des erforderlichen Lehrpersonals (Stellenplan) und der notwendigen Lehreinrichtungen (Sachausstattung) erfolgt im Benehmen mit dem zuständigen Diözesanbischof.
La determinazione del personale insegnante occorrente (piano dei posti di insegnante) e delle strutture didattiche necessarie (dotazione materiale) si effettua prendendo contatto con il Vescovo diocesano competente.
Zu Artikel 5 Abs. 2
In relazione all’Articolo 5, comma 2
Vor der Erteilung eines Rufes oder dem Angebot einer Stelle im Sinne dieser Bestimmung wird das Staatsministerium die Äußerung des zuständigen Diözesanbischofs einholen. Hat der Diözesanbischof erklärt, keine Einwendungen zu erheben, kann das zuständige Staatsministerium die Berufung oder Einstellung vornehmen. Personalentscheidungen im Sinne dieser Bestimmung dürfen erst veröffentlicht werden, wenn der Diözesanbischof keine Einwendungen erhoben hat. Soweit die vorgeschlagenen Kandidaten nicht auf den priesterlichen Lebenswandel verpflichtet sind, ist ein Lebenswandel nach den Ordnungen der katholischen Kirche erforderlich.
Prima di partecipare una chiamata o di offrire un incarico di insegnamento ai sensi di questa norma, il Ministero di Stato richiederà il parere del Vescovo diocesano competente. Se il Vescovo diocesano dichiara di non sollevare alcuna eccezione, il competente Ministero di Stato può procedere alla chiamata o nomina. Le decisioni sulle persone ai sensi di questa norma possono essere pubblicate soltanto se il Vescovo diocesano non ha sollevato alcuna eccezione. Qualora i candidati proposti non siano tenuti alla condotta sacerdotale, è richiesta una condotta conforme alle regole della Chiesa cattolica.
192
Anhang
Zu Artikel 5 Abs. 4
In relazione all’Articolo 5, comma 4
Der zuständige Diözesanbischof ist berechtigt, einen Vertreter als Beobachter zu den mündlichen Abschlußprüfungen in Fachgebieten der katholischen Theologie zu entsenden. Die entsprechenden Termine sind ihm jeweils rechtzeitig im voraus anzuzeigen.
Il Vescovo diocesano competente ha il diritto di inviare un rappresentante come osservatore agli esami orali finali nelle sezioni di studio di Teologia cattolica. Le rispettive date gli devono essere precedentemente comunicate per tempo, di volta in volta.
Zu Artikel 6 Abs. 2
In relazione all’Articolo 6, comma 2
Eine entsprechende Vereinbarung kann sowohl allgemein als auch im Hinblick auf die einzelne kirchliche Lehreinrichtung erfolgen.
Una corrispondente intesa può aver luogo tanto in generale quanto in riferimento ad un singolo istituto ecclesiastico d’insegnamento.
Zu Artikel 8
In relazione all’Articolo 8
Die Festlegung gesetzlicher und kirchlicher Feiertage erfolgt durch Landesgesetz. Soweit ein kirchlicher Feiertag nicht zugleich gesetzlicher Feiertag ist, gewährleistet der Freistaat, daß
La determinazione di giorni festivi civili ed ecclesiastici avviene mediante legge del Land. Nel caso in cui una festività ecclesiastica non sia in pari tempo festività civile, lo Stato Libero garantisce che
1. Schüler und Auszubildende sowie
1. scolari e apprendisti, come anche
2. Personen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, soweit keine zwingenden betrieblichen Erfordernisse entgegenstehen,
2. persone che stanno in rapporto di lavoro, nella misura in cui non vi si oppongano cogenti esigenze aziendali,
den Hauptgottesdienst besuchen können und in dem erforderlichen Umfang von ihrer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle fernbleiben können.
possono frequentare la celebrazione liturgica principale e possono essere assenti dal loro luogo di formazione o di lavoro per il tempo necessario.
Zu Artikel 9 Abs. 1 Satz 2
In relazione all’Articolo 9, comma 1, secondo periodo
Die Vertragsparteien gehen davon aus, daß die kirchlichen Träger Fördermittel in derselben Höhe beanspruchen können wie kommunale oder andere freie Träger, die vergleichbare Leistungen erbringen.
Le Parti contraenti partono dal presupposto che i gestori ecclesiastici possono esigere fondi di sovvenzione per il medesimo importo dei gestori comunali o di altri gestori privati, che forniscono prestazioni assimilabili.
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Zu Artikel 9 Abs. 2
In relazione all’Articolo 9, comma 2
Die Abschlüsse an den kirchlichen Ausbildungseinrichtungen werden staatlich anerkannt, wenn die Gleichwertigkeit mit entsprechenden staatlichen Ausbildungsgängen gewährleistet ist. Die Entscheidung hierüber trifft das zuständige Staatsministerium. Diese Bildungsstätten sind nach allgemeinen Grundsätzen zu fördern.
Gli esami finali presso gli istituti ecclesiastici di formazione sono riconosciuti dallo Stato, se ne è garantita l’equivalenza ai corrispondenti torsi di formazione statali. In merito decide il Ministero di Stato competente. Questi centri di formazione sono da promuovere secondo i principi generali.
Zu Artikel 11 Abs. 1
In relazione all’Articolo 11, comma 1
Der Freistaat gewährleistet öffentlichrechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten auf staatsvertraglicher Grundlage nur mit anderen Bundesländern. Zwischen den Vertragsparteien besteht Einigkeit, daß die Vorgaben des Artikel 11 Abs. 1 dieses Vertrages in den bestehenden Rundfunkstaatsverträgen (Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk vom 30. Mai 1991, SächsGVBl. S. 169; Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991, SächsGVBI. S. 425) bereits ausreichend umgesetzt sind. Bei einer Fortschreibung oder Änderung der bezeichneten Rundfunkstaatsverträge wird der Freistaat auf eine Berücksichtigung der in Absatz 1 festgelegten Grundsätze hinwirken. Soweit dies nicht durchsetzbar erscheint, entfällt eine Bindung des Freistaates an die Regelung dieses Vertrages.
Lo Stato Libero garantisce enti radiotelevisivi di diritto pubblico sulla base di accordi statali esclusivamente insieme con altri Länder federali. Tra le Parti contraenti c’è unanimità sul fatto che le indicazioni dell’Articolo 11, comma 1, del presente Accordo sono già sufficientemente realizzate nei vigenti accordi statali sulla diffusione radiotelevisiva (Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk del 30 maggio 1991, SächsGVBl., pag. 169; Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland del 31 agosto 1991, SächsGVBl., pag. 425). Nel caso di un’integrazione o di un cambiamento di detti accordi statali sulla diffusione radiotelevisiva, lo Stato Libero si adopererà affinché siano presi in considerazione i principi fissati nel comma 1. Nella misura in cui ciò non appare attuabile, viene a cessare il vincolo dello Stato Libero alla regolamentazione del presente Accordo.
Im Bereich des privaten Rundfunks wird der Freistaat im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sicherstellung der Pluralität nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen auch für die Beachtung der Belange der katholischen Kirche Sorge tragen.
Nell’ambito della diffusione radiotelevisiva privata, lo Stato Libero, nel quadro del suo obbligo di assicurare la pluralità a norma delle disposizioni di legge del Land, si prenderà cura anche del rispetto degli interessi della Chiesa cattolica.
Zu Artikel 12 Abs. 1
In relazione all’Articolo 12, comma 1
Der Freistaat trägt die Bau- und Unterhaltungslast an Räumen in Justizvollzugs-
Lo Stato Libero sostiene gli oneri di costruzione e di manutenzione per quegli
194
Anhang
anstalten und staatlichen Krankenhäusern, die überwiegend gottesdienstlichen Zwecken dienen, solange das entsprechende Gebäude als Justizvollzugsanstalt oder Krankenhaus Verwendung findet oder gefunden hat. Im Falle einer Nutzungsänderung entfallen die Rechte der Kirchen an den ihnen zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten.
ambienti all’interno degli istituti giudiziari di pena e degli ospedali statali, che servono in prevalenza a scopi cultuali, per tutto il tempo in cui il rispettivo edificio sia in uso o sia stato in uso come istituto giudiziario di pena od ospedale. Nel caso di un cambiamento dell’utilizzazione vengono a cessare i diritti delle Chiese circa i locali messi a loro disposizione.
Zu Artikel 12 Abs. 3
In relazione all’Articolo 12, comma 3
Die zwischen dem Freistaat und der katholischen Kirche geschlossene Vereinbarung zur Regelung der seelsorgerischen Tätigkeit in den Justizvollzugsanstalten vom 15. Januar 1993 bleibt unberührt.
Rimane intatta l’Intesa del 15 gennaio 1993, conclusa fra lo Stato Libero e la Chiesa cattolica per la regolamentazione dell’attività pastorale negli istituti giudiziari di pena.
Zu Artikel 13
In relazione all’Articolo 13
Der Freistaat verzichtet auf die Ableistung des bischöflichen Treueids gemäß Artikel 16 des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933.
Lo Stato Libero rinuncia alla prestazione del giuramento di fedeltà da parte del Vescovo, di cui all’articolo 16 del Concordato fra la Santa Sede ed il Reich Germanico del 20 luglio 1933.
Zu Artikel 13 Abs. 1
In relazione all’Articolo 13, comma 1
Bezüglich der in den Bistumserrichtungsverträgen genannten kirchlichen Ämter bleibt Artikel 9 Abs. 1 und 2 des Vertrages des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 unberührt.
Riguardo agli uffici ecclesiastici menzionati negli Accordi sull’erezione delle diocesi rimane intatto l’articolo 9, capoversi 1 e 2, della Solenne Convenzione fra la Santa Sede e la Prussia del 14 giugno 1929.
Zu Artikel 13 Abs. 2
In relazione all’Articolo 13, comma 2
Hinsichtlich der Besetzung des Bischöflichen Stuhles Dresden-Meißen gilt Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 in Verbindung mit den dort in bezug genommenen Bestimmungen. Bezüglich der Besetzung der Kanonikate des Domkapitels im Bistum Dresden-Meißen gilt Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 dieses Konkordates.
Per quanto concerne la provvista della sede episcopale di Dresda-Misnia, vige l’articolo 14, capoverso 1, secondo periodo, del Concordato fra la Santa Sede ed il Reich Germanico del 20 luglio 1933 in connessione con le disposizioni, alle quali si fa ivi riferimento. Riguardo alla provvista dei canonicati del capitolo cattedrale nella diocesi di Dresda-Misnia vige l’articolo 14, capoverso 1, primo periodo, del medesimo Concordato.
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen
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Zu Artikel 13 Abs. 3
In relazione all’Articolo 13, comma 3
Die Vertragschließenden sind sieh darüber einig, daß eine Pfarrstelle dauernd nur demjenigen übertragen werden darf, der ein mindestens dreijähriges theologisch-philosophisches Studium erfolgreich abgeschlossen hat. Im übrigen entscheidet der zuständige Diözesanbischof in Abweichung von Artikel 14 Abs. 2 des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 und in Abweichung von Artikeln 9 und 10 des Vertrages des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 frei über die Besetzung der Pfarrstellen.
Le Parti contraenti convengono che una parrocchia può essere affidata in modo stabile soltanto a chi abbia concluso con successo almeno uno studio triennale di filosofia e teologia. Per il resto, il competente Vescovo diocesano decide liberamente della provvista delle parrocchie in deroga all’articolo 14, capoverso 2, del Concordato fra la Santa Sede ed il Reich Germanico del 20 luglio 1933 e in deroga agli articoli 9 e 10 della Solenne Convenzione fra la Santa Sede e la Prussia del 14 giugno 1929.
Zu Artikel 15 Abs. 1
In relazione all’Articolo 15, comma 1
Aus dem Charakter des kirchlichen Dienstes als öffentlichem Dienst folgt keine Anwendung der Regelung des staatlichen öffentlichen Dienstrechts. Die katholische Kirche wird jedoch soweit möglich eine Angleichung ihrer dienstrechtlichen Bestimmungen an die Grundsätze des staatlichen öffentlichen Dienstrechts vornehmen.
Dal carattere di servizio pubblico, proprio del servizio ecclesiastico, non consegue alcuna applicazione della regolamentazione del diritto del lavoro pubblico statale. La Chiesa cattolica tuttavia effettuerà, per quanto possibile, un adeguamento delle proprie disposizioni di diritto del lavoro ai principi del diritto del lavoro pubblico statale.
Zu Artikel 15 Abs. 4
In relazione all’Articolo 15, comma 4
Die Bistümer werden die in Absatz 4 genannten Vorschriften nicht in Kraft setzen, bevor die Einspruchsfrist abgelaufen ist. Hat das zuständige Staatsministerium Einspruch eingelegt, sind die Bistümer nicht berechtigt, diese Vorschriften in Kraft zu setzen, bevor der Einspruch nicht zurückgenommen oder durch gerichtliche Entscheidung rechtskräftig für unwirksam erklärt wurde.
Le diocesi non porranno in vigore le prescrizioni menzionate nel comma 4, prima che sia trascorso il termine per sollevare eccezioni. Qualora il competente Ministero di Stato presenti eccezione, le diocesi non sono in diritto di porre in vigore dette prescrizioni, prima che l’eccezione sia stata ritirata o sia stata legalmente invalidata da una decisione giudiziaria.
Zu Artikel 16 Abs. 1
In relazione all’Articolo 16, comma 1
Der Umfang der Gewährleistung bemißt sich nach Artikel 138 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919.
L’ambito della garanzia si misura secondo l’articolo 138, comma 2, della Costituzione del Reich Germanico dell’11 agosto 1919.
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Anhang
Zu Artikel 17 Abs. 1
In relazione all’Articolo 17, comma 1
Der Freistaat erkennt seine Baulastpflicht an der Kathedrale (Hofkirche) in Dresden sowie an folgenden Schloßkapellen an:
Lo Stato Libero riconosce il proprio obbligo di contribuzione al mantenimento degli edifici della cattedrale (Hofkirche) di Dresda, come pure delle cappelle nei seguenti castelli:
1. Hubertusburg 2. Pillnitz
1. Hubertusburg 2. Pillnitz
3. Moritzburg.
3. Moritzburg.
Die katholische Kirche wird bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche auf Erfüllung staatlicher Baulastverpflichtungen auf die wirtschaftliche Lage des Freistaates Rücksicht nehmen.
Nel far valere i propri diritti in ordine all’adempimento degli obblighi statali di contribuzione al mantenimento degli edifici, la Chiesa cattolica avrà riguardo della situazione economica dello Stato Libero.
Zu Artikel 18 Abs. 2
In relazione all’Articolo 18, comma 2
Die Friedhofsgebühren werden auf Antrag des kirchlichen Trägers im Wege der Vollstreckungshilfe eingezogen. Von der staatlichen Vollstreckungshilfe sind nach übereinstimmender Auffassung der Vertragsparteien nur solche Gebühren erfaßt, die nach der Gebührenordnung für die Benutzung und Unterhaltung der Friedhofsanlagen erhoben werden. Dagegen sind Gebühren für kirchliche Beisetzungsfeierlichkeiten, Fremdleistungen anderer Unternehmen sowie etwaige Gebühren für kirchliche Amtshandlungen nicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung beitreibbar.
Le tariffe cimiteriali vengono riscosse, su richiesta del gestore ecclesiastico, per via di esecuzione fiscale. Secondo il parere concorde delle Parti contraenti, nell’esecuzione fiscale statale sono comprese soltanto quelle tariffe, che secondo il regolamento delle tariffe vengono percepite per l’uso e la manutenzione delle costruzioni cimiteriali. Invece, tariffe per celebrazioni funerarie ecclesiastiche e per prestazioni accessorie di terzi, come anche eventuali tariffe per atti d’ufficio ecclesiastici, non si possono riscuotere per via di esecuzione amministrativa.
Zu Artikel 19 Abs. 2
In relazione all’Articolo 19, comma 2
Die kultischen und seelsorgerischen Belange sollen dabei vorrangig berücksichtigt werden.
Al riguardo, le esigenze cultuali e pastorali dovranno essere tenute in preminente considerazione.
Zu Artikel 20
In relazione all’Articolo 20
a) Zwischen den Vertragsparteien besteht Übereinstimmung, daß von der getroffenen Abgeltungsklausel sämtliche Ansprüche aus der Staatsleistungsgarantie
a) Le Parti contraenti concordano che dalla clausola di saldo, qui adottata, sono compresi tutti i diritti derivanti dalla garanzia di prestazione statale a norma
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen
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gemäß Artikel 109 Abs. 4 Sächsischer Verfassung in Verbindung mit Artikel 138 Abs. 1 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 und gemäß Artikel 112 Abs. 1 Sächsischer Verfassung erfaßt sind. Damit entfallen diese Ansprüche unabhängig davon, ob die entsprechenden Rechtsgrundlagen den Parteien bei Vertragsschluß bereits bekannt waren. Die Ansprüche aus staatlichen Baulastverpflichtungen gemäß Artikel 17 dieses Vertrages bleiben unberührt.
dell’articolo 109, comma 4, della Costituzione della Sassonia in connessione con l’articolo 138, comma 1, della Costituzione del Reich Germanico dell’ 11 agosto 1919 e a norma dell’articolo 112, comma 1, della Costituzione della Sassonia. Con ciò, detti diritti vengono a cessare indipendentemente dal fatto che i rispettivi fondamenti giuridici fossero già noti alle Parti all’atto di concludere l’Accordo. I diritti derivanti dagli obblighi dello Stato di contribuire al mantenimento di edifici, di cui all’Articolo 17 del presente Accordo, restano intatti.
b) Die Mittel stehen zur freien Verfügung der Bistümer. Die Bistümer regeln die Verteilung des Gesamtbetrages unter sich. Eine Prüfung der Verwendung dieser Mittel durch staatliche Stellen findet nicht statt.
b) I fondi sono a libera disposizione delle diocesi. Le diocesi regolano tra di loro la ripartizione della somma globale. Sull’impiego di questi fondi non si effettua alcun controllo da parte di uffici statali.
c) Die Zahlungen erfolgen in zwölf Monatsraten auf ein vom Bistum Dresden-Meißen zu benennendes Konto, das dem zuständigen Staatsministerium bekanntgegeben wird. Eine Leistung auf dieses Konto erfolgt, nachdem die Bistümer dem zuständigen Staatsministerium gegenüber ihre Einigung über die interne Verteilung der Beträge schriftlich mitgeteilt haben. Diese Mitteilung ist für den Freistaat bindend, solange sie nicht von einem der beteiligten Bistümer gegenüber dem zuständigen Staatsministerium widerrufen wird. Soweit keine Einigung zwischen den Bistümern besteht, sind die jeweils fälligen Gelder nach den Vorschriften der Hinterlegungsordnung vom 10. März 1937 (RGBI. I S. 285), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. August 1990 (BGBl. I S. 1765), zu hinterlegen.
c) I pagamenti si effettuano in dodici rate mensili su un conto intestato alla diocesi di Dresda-Misnia, che viene notificato al competente Ministero di Stato. I versamenti su questo conto vengono effettuati dopo che le diocesi hanno comunicato per iscritto al competente Ministero di Stato il loro accordo in ordine alla suddivisione interna degli importi. Tale comunicazione è vincolante per lo Stato Libero fino a quando non venga revocata nei confronti del competente Ministero di Stato da una delle diocesi interessate. Qualora non sussista un accordo fra le diocesi, i fondi da versare di volta in volta vanno depositati ai sensi delle prescrizioni del regolamento dei depositi del 10 marzo 1937 (RGBl. I, pag. 285), modificato ultimamente con la legge del 20 agosto 1990 (BGBl. I, pag. 1765).
d) Für die Jahre 1991 und 1992 verbleibt es bei den bislang geleisteten Abschlagszahlungen. Von den Vertragsparteien werden keine Nach- oder Rückforderungen erhoben. Für das Jahr 1990 werden keine Zahlungen geleistet.
d) Per gli anni 1991 e 1992 si resta d’accordo sui pagamenti in acconto finora effettuati. Le Parti contraenti non sollevano richieste di integrazione o di restituzione. Per l’anno 1990 non si effettuano pagamenti.
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Anhang
e) Maßgebend ist die Besoldungsordnung für Beamte aus dem Beitrittsgebiet. Zugrundegelegt wird das Eingangsamt für den höheren nichttechnischen Verwaltungsdienst, Besoldungsgruppe A 13 der Bundesbesoldungsordnung, 7. Dienstaltersstufe, verheiratet, zwei Kinder.
e) Vale come norma l’ordinamento retributivo per funzionari del territorio di accessione alla Repubblica Federale di Germania. Viene presa come base la carica d’ingresso per il servizio amministrativo superiore non-tecnico, gruppo di retribuzione A 13 dell’ordinamento retributivo federale, 7 ë livello di anzianità di servizio, sposato, con 2 figli.
Zu Artikel 21 Abs. 1
In relazione all’Articolo 21, comma 1
Die Bistümer sind berechtigt, in ihren Kirchensteuerordnungen Mindestbeträge und Obergrenzen festzulegen.
Le diocesi sono autorizzate a fissare importi minimi e limiti superiori nei loro regolamenti delle imposte ecclesiastiche.
Zu Artikel 21 Abs. 2
In relazione all’Articolo 21, comma 2
Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, daß eine Verständigung über einen einheitlichen Zuschlagsatz Voraussetzung für die staatliche Verwaltung der Kirchensteuer ist. Erfolgt keine Einigung über den Zuschlagsatz mit an deren kirchensteuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaften, so wird das Staatsministerium der Finanzen nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen darüber befinden, ob bezüglich der Bistümer die Verwaltung der Kirchensteuer durch die Finanzämter erfolgen kann.
Le Parti contraenti sono d’accordo che l’intesa su un’aliquota aggiuntiva unitaria costituisce un presupposto per l’amministrazione dell’imposta ecclesiastica da parte dello Stato. Se non viene raggiunto alcun accordo sull’aliquota aggiuntiva con altre comunità religiose aventi diritto a percepire l’imposta ecclesiastica, il Ministero di Stato delle Finanze deciderà, in conformità alle disposizioni della legislazione del Land, se, per quanto riguarda le diocesi, l’amministrazione dell’imposta ecclesiastica si possa effettuare tramite gli uffici fiscali.
Zu Artikel 21 Abs. 3
In relazione all’Articolo 21, comma 3
Die Bistümer werden ihre Beschlüsse über die Kirchensteuersätze dem Staatsministerium der Finanzen vorlegen; sie werden sie auch dann vorlegen, wenn sie denjenigen des vorhergehenden Haushaltsjahres entsprechen. Sie gelten als anerkannt, wenn sie den anerkannten Beschlüssen des vorhergehenden Haushaltsjahres entsprechen und die landesrechtlichen Grundlagen sich nicht geändert haben.
Le diocesi presenteranno al Ministero di Stato delle Finanze le loro deliberazioni sulle aliquote delle imposte ecclesiastiche; le presenteranno anche nel caso in cui esse corrispondono a quelle del precedente anno di bilancio. Esse si considerano riconosciute se corrispondono alle deliberazioni riconosciute del precedente anno di bilancio e se non sono mutati i presupposti della legislazione del Land.
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen
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Zu Artikel 22
In relazione all’Articolo 22
a) Die Bistümer werden dem Staatsministerium der Finanzen ein vom Bistum Dresden-Meißen einzurichtendes Konto benennen, auf das die Kirchensteuereinnahmen der Bistümer insgesamt zu überweisen sind, nachdem sich die Jurisdiktionsbezirke über die Aufteilung der Kirchensteuereinnahmen geeinigt und dies dem Staatsministerium der Finanzen angezeigt haben.
a) Le diocesi indicheranno al Ministero di Stato delle Finanze un conto, da aprire da parte della diocesi di Dresda-Misnia, sul quale si dovranno trasferire globalmente i proventi delle imposte ecclesiastiche delle diocesi, dopo che le diocesi stesse abbiano concordato la ripartizione dei proventi delle imposte ecclesiastiche ed abbiano notificato ciò al Ministero di Stato delle Finanze.
b) Für die Verwaltung der Kirchensteuer erhält der Freistaat eine Entschädigung, deren Höhe sich nach dem vereinnahmten Kirchensteueraufkommen richtet. Das Nähere wird durch Vereinbarung geregelt. Die Finanzämter sind nach Maßgabe der Vorschriften der Abgabenordnung und der datenschutzrechtlichen Bestimmungen verpflichtet, den zuständigen kirchlichen Stellen in allen kirchensteuerrechtlichen Angelegenheiten im Rahmen der vorhandenen Unterlagen Auskunft zu geben. Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, daß, die Finanzämter nur zur bloßen Datenübermittlung verpflichtet sind. Die Aufbereitung des Datenmaterials nach bestimmten Ordnungsgesichtspunkten ist durch diese Bestimmung nicht umfaßt.
b) Per l’amministrazione dell’imposta ecclesiastica lo Stato Libero riceve un indennizzo, il cui ammontare si regola secondo il gettito delle imposte ecclesiastiche che è stato incassato. I particolari vengono regolati mediante intesa. Gli uffici fiscali sono obbligati, a norma delle prescrizioni dell’ordinamento fiscale e delle disposizioni di legge sulla protezione dei dati, a dare informazione ai competenti uffici ecclesiastici in tutte le questioni relative al diritto delle imposte ecclesiastiche, nei limiti della documentazione disponibile. Le Parti contraenti sono d’accordo che gli uffici fiscali sono obbligati soltanto alla semplice trasmissione dei dati. L’elaborazione del materiale di dati secondo determinate prospettive di sistemazione non è contemplata da questa disposizione.
c) Maßnahmen der Finanzbehörden, die den Erlaß, die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen, die Stundung oder die Niederschlagung der Einkommen(Lohn-) und Vermögensteuer, betreffen, erstrecken sich auf diejenigen Kirchensteuern, die als Zuschläge zu diesen Steuern erhoben werden. Das Recht der kirchlichen Stellen, die Kirchensteuer aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen, zu stunden, ganz oder teilweise zu erlassen oder niederzuschlagen, bleibt unberührt.
c) I provvedimenti delle Autorità fiscali, che concernono il condono, la determinazione derogante per ragioni d’equità, la proroga o la soppressione delle imposte sul reddito (salario) e sul patrimonio, si estendono a quelle imposte ecclesiastiche, che vengono riscosse come addizionali di dette imposte. Resta intatto il diritto degli uffici ecclesiastici, per ragioni di equità, di determinare in modo derogante, di prorogare, di condonare completamente o in parte o di sopprimere l’imposta ecclesiastica.
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Anhang
Zu Artikel 23
In relazione all’Articolo 23
Artikel 23 des Vertrages gilt nicht, wenn die Datenübermittlung für privatrechtliche oder für privatrechtlich organisierte Werke und Einrichtungen erfolgen soll.
L’Articolo 23 del presente Accordo non vale qualora la trasmissione di dati dovesse effettuarsi a favore di opere e di istituzioni, dotate di personalità giuridica privata od organizzate in regime di diritto privato.
Zu Artikel 23 Abs. 1
In relazione all’Articolo 23, comma 1
Regelmäßige Datenübermittlungen erfolgen in bestimmten zeitlichen Abständen an die jeweils zuständige kirchliche Stelle. Neben der Religionszugehörigkeit werden die Daten nach § 30 Abs. 1 und 2 des Sächsischen Meldegesetzes und den dort genannten Voraussetzungen übermittelt. Gleiches gilt bei Änderung dieser Daten. Näheres wird durch Vereinbarung zwischen dem zuständigen Staatsministerium und den Bistümern geregelt.
A determinati intervalli di tempo si effettuano regolari trasmissioni di dati all’ufficio ecclesiastico di volta in volta competente. Oltre alla confessione religiosa di appartenenza, vengono trasmessi i dati di cui al § 30, primo e secondo comma, della legge della Sassonia sull’anagrafe, secondo i presupposti ivi menzionati. Lo stesso vale nel caso di cambiamento di questi dati. I particolari vengono regolati da un’intesa fra il Ministero di Stato competente e le diocesi.
Maßgebend ist das Sächsische Meldegesetz vom 21. April 19 (SächsGVBl. S. 353) in seiner zu Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung.
Vale come norma la legge della Sassonia sull’anagrafe, del 21 aprile 1993 (SächsGVBl., pag. 353), nel suo testo vigente al momento della conclusione del presente Accordo.
Geschehen in zweifacher Urschrift
Fatto in doppio originale.
Dresden, am 2. Juli 1996
Dresda, il 2 luglio 1996
Für den Heiligen Stuhl
Für den Heiligen Stuhl
Erzbischof Dr. Giovanni Lajolo Apostolischer Nuntius in Deutschland
Erzbischof Dr. Giovanni Lajolo Apostolischer Nuntius in Deutschland
Für den Freistaat Sachsen
Für den Freistaat Sachsen
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Ministerpräsident
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Ministerpräsident
Vertrag mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden
201
Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 7. Juni 1994 Der Freistaat Sachsen (im folgenden: der Freistaat) und der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, derzeit bestehend aus den Gemeinden Chemnitz, Dresden und Leipzig (im folgenden: der Landesverband) haben – in dem Bewußtsein, für das jüdische Leben in diesem Lande eine besondere Verantwortung zu tragen, die aus der Geschichte Deutschlands gewachsen ist, – in dem Bestreben, das kulturelle Erbe des Judentums im Freistaat zu wahren und zu pflegen, – in dem Wunsch, das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Freistaat und der jüdischen Glaubensgemeinschaft zu fördern und zu festigen, auf der Grundlage von Artikel 109 Abs. 2 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen folgendes vereinbart: Artikel 1 Glaubensfreiheit Der Freistaat gewährt der Freiheit, den jüdischen Glauben zu bekennen und auszuüben, den gesetzlichen Schutz. Artikel 2 Friedhöfe (1) Der Freistaat gewährt jüdischen Friedhöfen in gleichem Maße staatlichen Schutz wie Friedhöfen, die sich in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft be-
finden. Die jüdischen Gemeinden sind berechtigt, nach Maßgabe der Gesetze neue Friedhöfe anzulegen und bestehende zu erweitern. (2) Der Freistaat wird für die angemessene Sicherung und für die Instandsetzung im Falle mutwilliger Beschädigung oder Zerstörung Sorge tragen. (3) Der Freistaat fördert die Betreuung verwaister jüdischer Friedhöfe. Artikel 3 Feiertage der jüdischen Gemeinden (1) Folgende jüdische Feiertage sind religiöse Feiertage im Sinne des § 3 des Gesetzes über Sonn- und Feiertage im Freistaat Sachsen: 1. Pessach – Überschreitungsfest/Fest des ungesäuerten Brotes – a) 2 Tage am 15. und 16. Nissan beginnend am Vortage um 17.00 Uhr b) 2 Tage am 21. und 22. Nissan beginnend am Vortage um 17.00 Uhr 2. Schawuoth – Wochenfest – 2 Tage – am 6. und 7. Siwan beginnend am Vortage um 17.00 Uhr 3. Rosch Haschana – Neujahrsfest – 2 Tage – am 1. und 2. Tischri beginnend am Vortage um 16.00 Uhr 4. Jom Kippur – Versöhnungstag – 1 Tag – am 10. Tischri beginnend am Vortage um 16.00 Uhr 5. Sukkot – Laubhüttenfest – 2 Tage – am 15. und 16. Tischri beginnend am Vortage um 17.00 Uhr 6. Schemini Azeret – Schlußfest – 1 Tag am 22. Tischri beginnend am Vortage um 17.00 Uhr
202
Anhang
7. Simchat Thora – Freudenfest – 1 Tag – am 23. Tischri beginnend am Vortage um 17.00 Uhr (2) Die Daten der Feiertage nach Absatz 1 beziehen sich auf den jüdischen Mondkalender unter Beachtung der allgemein geltenden Kalenderregeln. Artikel 4 Finanzielle Leistung (1) Der Freistaat zahlt an den Landesverband für dessen religiöse und kulturelle Bedürfnisse sowie für dessen Verwaltung ab dem Jahr 1994 einen jährlichen Gesamtbetrag in Höhe von 900.000 DM. (2) Mit dieser Zahlung sind sämtliche Fördermaßnahmen des Freistaats an den Landesverband und die einzelnen jüdischen Gemeinden erfaßt, soweit dieser Vertrag nicht Ausnahmen vorsieht oder die Leistung auf einer rechtlichen Verpflichtung beruht. (3) Die Leistung wird vierteljährlich im voraus erbracht. Artikel 5 Denkmalpflege und Baumaßnahmen (1) Der Landesverband verpflichtet sich, seine Kulturdenkmale im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten, zu pflegen und nach Möglichkeit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Für die Erhaltung seiner Kulturdenkmale hat er Anspruch auf angemessene Kostenerstattung durch den Freistaat nach Maßgabe der Gesetze und wird bei der Vergabe staatlicher Mittel entsprechend berücksichtigt. Bei Maßnahmen der Denkmalschutzbehörden, die sich auf jüdische Kulturdenkmale beziehen, ist der Landesverband vorher zu hören.
(2) Bei der Errichtung von Gebäuden, die Kultuszwecken dienen, sowie bei wesentlichen baulichen Maßnahmen an solchen Gebäuden wird der Freistaat im Rahmen seiner haushaltsmäßigen Möglichkeiten weitere Zuschüsse gewähren, wenn der Landesverband und die einzelne Gemeinde nicht in der Lage sind, die erforderlichen Mittel aufzubringen. Artikel 6 Zusammenwirken Die Staatsregierung und der Landesverband werden zur Pflege ihrer Beziehungen regelmäßige Begegnungen anstreben. Sie werden sich vor der Regelung von Angelegenheiten, die beiderseitige Interessen berühren, miteinander ins Benehmen setzen und zur Besprechung solcher Fragen zur Verfügung stehen. Artikel 7 Freundschafts- und Anpassungsklausel (1) Die Vertragschließenden werden in Zukunft auftretende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einer Bestimmung dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise beseitigen. (2) Im Falle einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere bei erheblichem Zuzug von Juden aus anderen Staaten, werden der Freistaat und der Landesverband erneut Verhandlungen aufnehmen mit dem Ziel, den Vertrag angemessen an die neuen Verhältnisse anzupassen. Artikel 8 Schlußbestimmungen (1) Dieser Vertrag bedarf der Ratifizierung. Die Ratifikationsurkunden sollen möglichst bald ausgetauscht werden.
Vertrag mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden (2) Der Vertrag einschließlich des Schlußprotokolls, das Bestandteil dieses Vertrages ist, tritt am Tag nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.
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1. Schüler und Auszubildende sowie
Dresden, den 7. Juni 1994
2. Personen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, soweit keine zwingenden betrieblichen Erfordernisse entgegenstehen,
Für den Freistaat Sachsen Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Ministerpräsiden
ihren religiösen Pflichten nachkommen und in dem erforderlichen Umfang ihrer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle fernbleiben.
Für den Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden Siegmund Rotstein Vorsitzender Für die Jüdische Gemeinde Chemnitz Siegmund Rotstein Vorsitzender Für die Jüdische Gemeinde zu Dresden Roman König Vorsitzender Für die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig Aron Adlerstein Vorsitzender Schlußprotokoll Zu Artikel 2 Abs. 2 und 3: Die Beteiligung des Freistaates an der Betreuung verwaister Jüdischer Friedhöfe erfolgt grundsätzlich nach Maßgabe der Absprache vom 21. Juni 1957 betreffend die Durchführung der Betreuung verwaister jüdischer Friedhöfe (SächsABl. 1993 S. 884). Zu Artikel 3: Maßgebend ist das Gesetz in seiner zum Vertragsschluß geltenden Fassung vom 10. November 1992 (GVBl. S. 536). Zu Artikel 3 Abs. 1: An den genannten jüdischen Feiertagen können:
Zu Artikel 3 Abs. 2: Der Landesverband wird jeweils für zwei Jahre im voraus die entsprechenden Termine der jüdischen Feiertage nach dem staatlichen Kalender dem zuständigen Staatsministerium mitteilen. Die Termine der jüdischen Feiertage nach dem staatlichen Kalender werden im Sächsischen Amtsblatt veröffentlicht. Zu Artikel 4: Die Zahlungen, deren zweckentsprechende Verwendung durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer zu bestätigen ist, erfolgen auf ein vom Landesverband zu benennendes Konto. Der Landesverband wird nach den Regelungen seiner Satzung die Gelder an die einzelnen Gemeinden verteilen. Ansprüche einzelner Gemeinden sind damit abgegolten. Zu Artikel 4 Abs. 1: Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, daß der Gesamtbetrag nach Absatz 1 jeweils alle zehn Jahre überprüft und neu festgelegt wird. Artikel 7 Abs. 2 bleibt unberührt. Zu Artikel 4 Abs. 2: Von der Abgeltung ausgenommen sind ferner etwaige Kostenerstattungen für die Erteilung jüdischer Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.
204
Anhang
Zu Artikel 5 Abs. 1: Gleiches gilt für Kulturdenkmale der einzelnen jüdischen Gemeinden. Dresden, den 7. Juni 1994 Für den Freistaat Sachsen Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Ministerpräsident Für den Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden Siegmund Rotstein Vorsitzender Für die Jüdische Gemeinde Chemnitz Siegmund Rotstein Vorsitzender Für die Jüdische Gemeinde zu Dresden Roman König Vorsitzender Für die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig Aron Adlerstein Vorsitzender
Vertrag zur Änderung des Vertrages
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Vertrag zur Änderung des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 17. Januar 2006 Der Freistaat Sachsen (im Folgenden: der Freistaat) und der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, derzeit bestehend aus den Gemeinden Chemnitz, Dresden und Leipzig, (im Folgenden: der Landesverband) haben auf der Grundlage von Artikel 109 Abs. 2 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen und des Schlussprotokolls zu Artikel 4 Abs. 1 des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 7. Juni 1994 (im Folgenden: der Vertrag) folgende Änderung des Vertrages vereinbart: Artikel 1 Der Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 7. Juni 1994 wird wie folgt geändert: 1. Artikel 4 Abs. 1 des Vertrages wird wie folgt gefasst: „(1) Der Freistaat zahlt an den Landesverband für die religiösen und kulturellen Bedürfnisse sowie für die Verwaltung ab dem Jahr 2005 einen jährlichen Gesamtbetrag von 725.000 EUR; dieser Betrag schließt die Personal- und Sachkosten des Landesrabbiners und dessen Sekretariats ein.“ 2. Das Schlussprotokoll des Vertrages wird wie folgt geändert: a) In der Angabe zu Artikel 2 Abs. 2 und 3 wird die Angabe „(SächsABl. 1993 S. 884)“ durch die Angabe „(Anlage 1 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales über die
Betreuung der verwaisten Friedhöfe der ehemaligen jüdischen Gemeinden im Freistaat Sachsen [VwV verwaiste jüdische Friedhöfe] vom 27. Dezember 2002 [SächsABl. 2003 S. 60])“ ersetzt. b) In der Angabe zu Artikel 3 wird die Angabe „in seiner zum Vertragsschluß geltenden Fassung vom 10. November 1992 (SächsGVBl. S. 536)“ durch die Angabe „über Sonn- und Feiertage im Freistaat Sachsen (SächsSFG) vom 10. November 1992 (SächsGVBl. S. 536), geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 6. Juni 2002 (SächsGVBl. S. 168, 170), in seiner jeweils geltenden Fassung“ ersetzt. c) Die Angabe zu Artikel 4 wird wie folgt geändert: aa) In Satz 1 werden die Wörter „ , deren zweckentsprechende Verwendung durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer zu bestätigen ist,“ gestrichen. bb) Es werden folgende Sätze angefügt: „Bei der Bemessung des Dotationsbetrages wurde von einer Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinden in Sachsen von gegenwärtig 2.369 und einem Anstieg auf 2.500 ausgegangen. Der Landesverband legt jährlich, spätestens mit Ablauf des ersten Halbjahres des neuen Geschäftsjahres, einen Geschäftsbericht vor, der auch die zweckentsprechende Verwendung der Dotation in den Gemeinden und im Landesverband ausweist. Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, dass der Sächsische Rechnungshof berechtigt ist, die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landesverbandes und der Jüdischen Gemeinden insoweit jährlich zu prüfen. Inhalt und Umfang der Prüfung bestimmen sich nach den §§ 89 und 90 der Haushaltsordnung des Freistaates Sachsen
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Anhang
(Sächsische Haushaltsordnung – SäHO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 2001 (SächsGVBl. S. 154), die durch Artikel 10 des Gesetzes vom 13. Dezember 2002 (SächsGVBl. S. 333, 352) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.“ d) Der Angabe zu Artikel 4 Abs. 2 werden folgende Sätze angefügt: „Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, dass die Mittel anteilsmäßig den Gemeinden unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zum Landesverband zufließen sollen und dass die Zahlungen des Freistaates die Zuschüsse für neu entstehende Gemeinden einschließen. Soweit eine jüdische Gemeinde im Freistaat Sachsen Ansprüche geltend macht, ist der Landesverband verpflichtet, den Freistaat von diesen Ansprüchen freizustellen. Ein Anspruch einer Gemeinde besteht dann, wenn diese 1. religiöses jüdisches Leben gestaltet, 2. durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Einschätzung stützt, dass sie auch in Zukunft dauerhaft bestehen wird, 3. die grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes und der Verfassung des Freistaates Sachsen achtet und 4. im Judentum Aufnahme und Anerkennung als jüdische Gemeinde gefunden hat. Hierüber entscheidet der Landesverband nach Einholung des Votums der Deutschen Rabbinerkonferenz.“
Artikel 2 Der Wortlaut des Vertrages einschließlich des Schlussprotokolls in der vom InKraft-Treten des Ratifikationsgesetzes an geltenden Fassung kann im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht werden. Artikel 3 (1) Dieser Vertrag bedarf der Ratifizierung. Die Ratifikationsurkunden sollen möglichst bald ausgetauscht werden. (2) Der Vertrag tritt am Tage nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft. Dresden, den 17. Januar 2006 Für den Freistaat Sachsen Prof. Dr. Georg Milbradt Für den Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden Heinz-Joachim Aris Für die Jüdische Gemeinde zu Dresden Dr. Nora Goldenbogen Für die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig Küf Kaufmann Für die Jüdische Gemeinde Chemnitz Siegmund Rotstein
Vertrag zur Änderung des Vertrages
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Vertrag zur Änderung des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 4. Dezember 2015 Drs. 6/3570 Der Freistaat Sachsen (im Folgenden: der Freistaat) und der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, derzeit bestehend aus den Gemeinden Chemnitz, Dresden und Leipzig, (im Folgenden: der Landesverband) haben auf der Grundlage von Artikel 109 Absatz 2 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen und des Schlussprotokolls zu Artikel 4 Absatz 1 des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 7. Juni 1994 (SächsGVBl. S. 1346), der durch Vertrag vom 17. Januar 2006 (SächsGVBl. S. 386) geändert worden ist (im Folgenden: der Vertrag), folgende Änderung des Vertrages vereinbart: Artikel 1 1. Der Vertrag wird wie folgt geändert: a) In Artikel 3 Absatz 1 Nummer 3 und 4 wird jeweils die Angabe „16.00 Uhr“ durch die Angabe „17.00 Uhr“ ersetzt. b) Artikel 4 wird wie folgt gefasst: „Artikel 4 Landesleistung (1) Zur Erhaltung und Pflege des jüdischen Lebens in Sachsen beteiligt sich der Freistaat an den laufenden Ausgaben der Jüdischen Glaubensgemeinschaft in Sachsen für deren religiöse und kulturelle Bedürfnisse sowie für deren Verwaltung ab dem Jahr 2015 mit einem Gesamtbetrag von jährlich 950.000 Euro. Dieser Betrag schließt die Personal- und Sachkosten für die rabbinischen Belange ein.
(2) Mit dieser Zahlung sind sämtliche Fördermaßnahmen des Freistaats an die Jüdische Glaubensgemeinschaft erfasst, soweit dieser Vertrag nicht Ausnahmen vorsieht oder die Leistung auf einer rechtlichen Verpflichtung beruht. (3) Die Leistung wird vierteljährlich im Voraus erbracht. (4) Die Landesleistung wird auf den Landesverband und auf nicht verbandsangehörige jüdische Gemeinden in Sachsen entsprechend der Anzahl der Mitglieder verteilt. (5) Leistungsempfänger für die verbandsangehörigen Gemeinden ist der Landesverband. Die Zahlung an nicht verbandsangehörige Gemeinden in Sachsen erfolgt durch den Freistaat. Die Anerkennung als leistungsberechtigte jüdische Gemeinde erfolgt auf Grundlage der hierzu im Schlussprotokoll festgelegten Kriterien.“ c) Artikel 7 Absatz 2 wird wie folgt gefasst: „(2) Im Falle einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere bei erheblichem Zuzug von Juden aus anderen Staaten oder der Bildung neuer jüdischer Gemeinden in Sachsen werden der Freistaat und der Landesverband erneut Verhandlungen aufnehmen mit dem Ziel, den Vertrag angemessen an die neuen Verhältnisse anzupassen. Unabhängig hiervon werden die Vertragsinhalte alle sechs Jahre auf etwaigen Anpassungsbedarf überprüft.“ 2. Das Schlussprotokoll wird wie folgt geändert: a) In der Angabe zu Artikel 2 Absatz 2 und 3 wird nach der Angabe „(SächsABl.
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Anhang
2003 S. 60)“ die Angabe „zuletzt enthalten in der Verwaltungsvorschrift vom 26. November 2013 (SächsABl.SDr. S. S 911)“ angefügt.
d) Die Angabe zu Artikel 4 Absatz 1 wird wie folgt gefasst:
b) Die Angabe zu Artikel 3 wird wie folgt gefasst:
Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, dass der Gesamtbetrag nach Absatz 1 spätestens alle sechs Jahre überprüft und neu festgelegt wird. Artikel 7 Absatz 2 bleibt unberührt.“
„Maßgebend ist das Gesetz über Sonnund Feiertage im Freistaat Sachsen vom 10. November 1992 (SächsGVBl. S. 536), das zuletzt durch das Gesetz vom 30. Januar 2013 (SächsGVBl. S. 2) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.“ c) Die Angabe zu Artikel 4 wird wie folgt gefasst: „Zu Artikel 4: Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, dass die Zahlung der Landesleistung, soweit sie gegenüber dem Landesverband erfolgt, auf ein vom Landesverband zu benennendes Konto fließen soll. Der Landesverband wird nach den Regelungen seines Statuts die Gelder an seine Mitgliedsgemeinden verteilen. Der Leistungsempfänger der Landesleistung legt jährlich, spätestens mit Ablauf des ersten Halbjahres des neuen Geschäftsjahres, einen Geschäftsbericht vor, der auch die zweckentsprechende Verwendung der Dotation in den Gemeinden und im Landesverband ausweist. Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, dass der Sächsische Rechnungshof berechtigt ist, die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landesverbandes und der Jüdischen Gemeinden insoweit jährlich zu prüfen. Inhalt und Umfang der Prüfung bestimmen sich nach den §§ 89 und 90 der Sächsischen Haushaltsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 2001 (SächsGVBl. S. 153), die zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. April 2015 (SächsGVBl. S. 349) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.“
„Zu Artikel 4 Absatz 1:
e) Die Angabe zu Artikel 4 Absatz 2 wird wie folgt gefasst: „Zu Artikel 4 Absatz 2: Von der Abgeltung ausgenommen sind ferner etwaige Kostenerstattungen für die Erteilung jüdischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Das Sächsische Staatsministerium für Kultus prüft in Abstimmung mit dem Landesverband das Vorliegen der Voraussetzungen für die Einrichtung eines Fachs Jüdische Religion als ordentliches Lehrfach gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes, Artikel 105 der Verfassung des Freistaates Sachsen und § 18 des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen. Das Sächsische Staatsministerium für Kultus wird bei Vorliegen der Voraussetzungen die entsprechenden schulrechtlichen, schulfachlichen und schulorganisatorischen Maßnahmen treffen und die notwendigen Vereinbarungen mit dem Landesverband vornehmen. Die Vertragschließenden sind sich weiter darüber einig, dass die Mittel anteilsmäßig den Gemeinden unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zum Landesverband zufließen sollen und dass die Zahlungen des Freistaates die Zuschüsse für neu entstehende Gemeinden einschließen. Soweit eine jüdische Gemeinde, die selbst Mitglied im Landesverband ist, Ansprüche gegenüber dem Freistaat geltend macht, ist der Landesverband verpflichtet, den Freistaat von diesen Ansprüchen freizustellen.“
Vertrag zur Änderung des Vertrages f) Nach der Angabe zu Artikel 4 Absatz 2 werden folgende Angaben eingefügt: „Zu Artikel 4 Absatz 4: Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, dass die Regelung zur Verteilung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen wird. Grundlage für die Verteilung der Landesleistung zwischen dem Landesverband einerseits und weiteren nicht verbandsangehörigen Gemeinden andererseits ist die Gesamtzahl der Mitglieder. Der gemäß Artikel 4 vom Freistaat zur Verfügung gestellte Gesamtbetrag wird durch die Gesamtzahl der Mitglieder aller Leistungsberechtigten geteilt (Summe pro Mitglied). Die Summe pro Mitglied wird mit der Gesamtzahl der Mitglieder der Mitgliedsgemeinden des Landesverbandes (Anteil des Landesverbandes) und mit der Zahl der Mitglieder der einzelnen leistungsberechtigten nicht verbandsangehörigen Gemeinde multipliziert (jeweiliger Anteil der nicht verbandsangehörigen Gemeinde). Maßgeblich für den Mitgliederstand ist die Mitgliedsstatistik der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. für das vergangene Jahr vor Antragstellung. Es werden nur Mitglieder berücksichtigt, die im Freistaat Sachsen ihren ersten Wohnsitz haben. Scheidet eine Gemeinde aus dem Landesverband aus, so hat der Freistaat das Recht, die an den Landesverband zu verteilende Landesleistung entsprechend zu kürzen. Besteht die Gemeinde nach ihrem Ausscheiden aus dem Landesverband als anerkannte jüdische Gemeinde fort, erhält sie als nicht verbandsangehörige Gemeinde den ihrer Mitgliederzahl entsprechenden Anteil an der finanziellen Leistung zugewiesen.
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Zu Artikel 4 Absatz 5: Eine Gruppierung wird als leistungsberechtigte jüdische Gemeinde unterstützt, wenn sie a) mindestens sechs Jahre besteht, b) über mindestens 75 Mitglieder mit erstem Wohnsitz im Freistaat Sachsen verfügt, c) ein aktives Gemeindeleben aufweist, insbesondere regelmäßige wöchentliche Gottesdienste durchführt, d) eine ordnungsgemäße Satzung im Sinne der staatlichen Rechtsordnung hat, e) ordnungsgemäß bestellte Vertretungsorgane hat, f) im Rechtsverkehr durch privatrechtliche Organisationsform oder als Körperschaft des öffentlichen Recht voll rechtsfähig ist, g) durch das Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie durch die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland oder die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschland anerkannt worden ist, h) rechtstreu ist, insbesondere die grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung achtet und i) eine nicht unerhebliche Eigenfinanzierung durch ihre Mitglieder vorweist. Die unter Buchstaben a bis i genannten Kriterien müssen kumulativ vorliegen. Bei Mehrfachmitgliedschaft erfolgt eine anteilige Aufteilung der Gelder.“ Artikel 2 Der Wortlaut des Vertrages einschließlich des Schlussprotokolls in der vom Inkrafttreten nach Artikel 3 Absatz 2 an geltenden Fassung kann durch die Sächsische Staatskanzlei im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht werden.
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Anhang Artikel 3
(1) Dieser Vertrag bedarf der Ratifizierung. Die Ratifikationsurkunden sollen möglichst bald ausgetauscht werden. (2) Der Vertrag tritt am Tag nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft. Dresden, den 4. Dezember 2015 Für den Freistaat Sachsen Stanislaw Tillich Ministerpräsident Für den Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden Heinz-Joachim Aris Vorsitzender Für die Jüdische Gemeinde Chemnitz Dr. Ruth Röcher Vorsitzende Für die Jüdische Gemeinde zu Dresden Dr. Nora Goldenbogen Vorsitzende Für die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig Küf Kaufmann Vorsitzender
Autoren und Herausgeber Hans Ulrich Anke, Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft und Romanistik an den Universitäten Göttingen und Caen/Frankreich, Promotion an der Universität Halle-Wittenberg. Präsident des Kirchenamtes der EKD und Leiter der dortigen Hauptabteilung I sowie Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Wittenbergstiftung. Jörg Ennuschat, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft und Promotion an der Universität Bochum, Habilitation an der Universität Köln. Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungsrecht, insbesondere Wirtschaftsverwaltungsrecht und Allgemeine Staatslehre an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Josef Isensee, Prof. em. Dr. iur. Dr. h. c., Studium der Rechtswissenschaft und Philosophie an den Universitäten Freiburg i. Br., Wien und München, Promotion und Habilitation an der Universität Erlangen-Nürnberg. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Ordentliches Mitglied der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Stefan Mückl, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten in Passau und Freiburg i. Br., Promotion und Habilitation an der Universität Freiburg i. Br. Inhaber der Professur für Verkündigungsrecht und Staatskirchenrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom. Rolf Raum, Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft, Promotion an der Universität Erlangen-Nürnberg. Als zuständiger Referatsleiter für Staatskirchenrecht im Sächsischen Staatsministerium der Justiz maßgeblich an den Verhandlungen über die Kirchenverträge des Freistaates Sachsen beteiligt. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Arnd Uhle, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtwissenschaft an der Universität Bonn, Promotion und Habilitation an der Universität München. Inhaber des Lehrstuhls für Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie, geschäftsführender Direktor des Instituts für Recht und Politik sowie Leiter der Forschungsstelle „Recht und Religion“ an der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden. Christian Waldhoff, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten in Bayreuth, Fribourg und München, Promotion und Habilitation an der Universität München. Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin.