Zyklisches Erinnern: Alfred Hrdlickas Radierzyklus "Wie ein Totentanz" - Die Ereignisse des 20. Juli 1944 9783205792307, 9783205788577


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Zyklisches Erinnern: Alfred Hrdlickas Radierzyklus "Wie ein Totentanz" - Die Ereignisse des 20. Juli 1944
 9783205792307, 9783205788577

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Hannes Fernow

Z y kl i s c he s Eri nnern Alfred Hrdlickas Radierzyklus »Wie ein Totentanz« – Die Ereignisse des 20. Juli 1944

2012 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Herausgegeben von Professor Dr. Dietrich Schubert, ­ Universität Heidelberg

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Ahlers AG. Herford Nicolas Schubert, Heidelberg Villa Grisebach, Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Alfred Hrdlicka, Abb. XXXVII aus dem Zyklus »Wie ein Totentanz« – Die Ereignisse des 20. Juli 1944, »Die haben mich ja alle im Stich gelassen« © 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Layout: Bettina Waringer Druck und Bindung: Holzhausen Druck GmbH Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Austria ISBN 978-3-205-78857-7

Für Sabine Fernow (1953–2010)

Inhalt

1 . Ei n l e i t ung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . B es ta n dsaufnahm e

11

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

3 . Th e m at ische Übersicht üb er den Z yklus .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

21

4 . B l at t 29: D i e c hr istl iche Visi o n d es H aup tm a nns Axel Frei herr von de m Bus s ch e . . . . . . . . . . . . 39 4.1 Massenhinrichtung in der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4.2 Eingebildeter Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

5 . B l at t 4 : D i e S el b stendl ö sung ( Otto Wein in ge r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5.1 Kopfgeburten in der Studierstube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5.2 Übertragener Selbsthass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

6 . B l at t 3 4 : »D er Führer ist nicht to t!« .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

6.1 Tumulte in der Bendlerstraße in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 6.2 Der makabre Tanz des Widerstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6.3 Der 20. Juli 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

7

7 . B l at t 46: A c ht Zi g a retten p ro Hinri ch tun g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

7.1 Massenhinrichtung im Gefängnis Plötzensee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 7.2 »Plötzenseer Totentanz« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 7.3 Die Strafanstalt Plötzensee im »Dritten Reich« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 7.4 Callot, Goya und Dix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 7.5 Grausamkeit der Rache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

8 . De r hi s to ri sche Ko ntext des Z yklus » W ie e in Toten tan z« . . . . . . 73 8.1 Biographische Werkmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

8.2 Die kunsthistorische Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

8.2.1 Modische Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 8.2.2 Wunderlich, Scheibe, Grieshaber und Matta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 8.3 Motivvariationen innerhalb des eigenen Œuvres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

9 . Di e M e tho de des zy kl ischen Erin n ern s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1 0 . Zum V erstä ndni s vo n Hrdlickas K un s t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 10.1 Kritischer Humanismus und bildnerische Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 10.2 Form und Stil der Grausamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 10.3 Warum Kunst über Gewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

1 1 . Aus d r ucksg eha lt des Zy kl us » Wie ein Tote n tan z« . . . . . . . . . . . 117 11.1 Kompetenzen der »schönen Künste« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 11.2 Die Widerstandsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119 11.3 Recht und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 11.4 Noch ein »Totentanz«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 11.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

8

1 2 . H i s t o r i sche Po siti o nierung de s Ges amtwe rkes . . . . . . . . . . . .

127

1 3 . Zus a mm enfa ssung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

L i t e r at ur verzei chni s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

A n h a n g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

P e r s o n en r eg i ster .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Zum D a n k . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

Abbi l d un g s verzei chni s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

9

1. Einleitung Noch immer das hölzern pedantische Volk, Noch immer ein rechter Winkel In jeder Bewegung, und im Gesicht Der eingefrorene Dünkel. Sie stelzen noch immer so steif herum, So kerzengerade geschniegelt, Als hätten sie verschluckt den Stock, Womit man sie einst geprügelt. Ja, ganz verschwand die Fuchtel nie, Sie tragen sie jetzt im Innern; Das trauliche Du wird immer noch An das Alte Er erinnern.1

bung und Charakterisierung des Werkes unter Einbezug des historischen Kontextes stehen dabei im Zentrum. Erste, einführende Überlegungen widmen sich der methodischen Vorgehensweise, mittels derer eine adäquate Annäherung an Hrdlickas Zyklus gelingen soll: Spricht man lediglich von historischen Dokumenten, repräsentierenden Symbolen, verweisenden Zeichen oder Illust-

F

rationen, von alten und neuen Medien oder von visueller orschungsgegenstand dieser Arbeit ist Alfred

Kommunikation, wird die eigengesetzliche Wirklichkeit

Hrdlickas Radierzyklus »Wie ein Totentanz – Die Er-

eines Kunstwerks nivelliert. Zumindest geschieht dies

1

eignisse des 20. Juli 1944«. Ziel der Untersuchung

dann, wenn es um »Kunst-Bilder« im vorausgesetzten,

ist der Versuch einer grundlegenden Interpretation der

modernen Sinne des 19. und 20. Jahrhunderts geht.

im Jahre 1973 gezeichneten 53 Graphiken, die in dieser

Statt nur als Mittel für einen – religiösen – Zweck zu fun-

Form noch nicht vorliegt.3 Die ausführliche Beschrei-

gieren oder in der Abbild-Suggestion technischer Simu-

2

lationstechniken aufzugehen und sich damit als Bilder selbst aufzuheben, haben diese ein spezifisch künstle1

Heinrich Heine: Deutschland – Ein Wintermärchen [1844], 6.–8. Strophe aus Caput III, Frankfurt a. M. 1983, S. 18.

2

3

risches Fürsichsein.4 Nach der »Erweiterung des Kunst­

Vgl. Michael Lewin: Alfred Hrdlicka – Das Gesamtwerk, Druckgraphik, Bd. III/1, Wien 1987, WVZ–Nr. 565–617 [Werk-

»Wie ein Totentanz«, Ausstellungskatalog der National­

verzeichnis-Referenzen werden im Folgenden zitiert als:

galerie Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz,

LEWIN mit Bandangabe und entsprechender Nummer].

vom 19. Juli bis zum 31. August 1975, Einführung Wieland

Einen wichtigen Aufsatz zu diesem Thema schrieb 1975

Schmied, Texte zu den Radierungen v. Alfred Hrdlicka,

Wieland Schmied für die Ausstellung des Zyklus in Berlin. Er wurde in den darauf folgenden Jahren entweder erneut abgedruckt oder vielfach zitiert; vgl.: Alfred Hrdlicka –

Berlin 1975 [im Folgenden zit. als: AK Berlin 1975]. 4

Vgl. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik [1960], Gesammelte

1. Einleitung

11

begriffs« gelten folgende Reflexionen selbstverständ-

dass das den Bildern implizite Wissen ein Spezifisches

lich nur bedingt für kulturelle Phänomene, die absolute

ist, d. h. nicht durch sprachlich verfasstes Wissen ersetz-

Bedeutungsoffenheit postulieren. Hrdlickas Schaffen

bar. Es gelte darum, das Verständnis für den Eigenwert

indes liegt ein traditioneller Werkbegriff zugrunde. Das

und die Wirklichkeit des Kunst-Bildes zu rehabilitieren.

heißt, statt sich in der Funktion eines vermittelnden Sig-

Der Begriff der »ikonischen Differenz« besagt, dass Bil-

nifikanten zu erschöpfen, besitzen Zeichnungen, Gemäl-

der nicht einfach Ansammlungen von Details seien, son-

de und insbesondere Skulpturen eine stoffliche, sinn-

dern Sinneinheiten. Diese pikturale Einheit ergibt sich

liche Präsenz im Raum. Sie ist das primär Begegnende,

aus dem Verhältnis zwischen der Gesamtfläche und der

noch vor dem erst auszulegenden Dargestellten. Darin

Vielfalt der einzelnen Binnenereignisse. Diese allgemei-

besteht ein fundamentaler Unterschied der bildenden

ne Bestimmung kann unterschiedliche Formen anneh-

Kunst selbst zu Film und Literatur: Fiktionalität und Vir-

men. Ein Bild kann den ikonischen Kontrast beinhalten

tualität der »Sinn-Expression« stehen in unvergleichlich

zwischen der wirklichen Materialität und dem immateri-

oszillierender Beziehung zur körperlichen Gegenwär-

ellen Ausdrucksgehalt, zwischen der zweidimensionalen

5

tigkeit der »Form-Gestalt«. Kunst-Bilder zeichnen sich

Fläche und einem suggerierten Tiefenraum, zwischen

durch eine starke »ikonische Differenz« aus. Gottfried

der Simultaneität des Anschaulichen und dem narrativ

Boehm prägte diesen Begriff 1994 in seinem Aufsatz

Sequentiellen, zwischen der Rahmung und der dadurch

»Die Wiederkehr der Bilder« und begründete damit

entstehenden Binnenfläche. So ermöglicht erst die Qua-

den kunstwissenschaftlichen Theorieansatz des »iconic

drierung des Formats ein Oben und ein Unten, ein Links

turn«, der sich daraufhin zum interdisziplinären Mode-

und ein Rechts, eine Mitte und eine Peripherie, einen

konzept einer »Bildwissenschaft« ausdehnte. Boehm

Vordergrund und einen Hintergrund. Dazu Boehm: »Die

interessierte die ästhetische Reflexion auf die Möglich-

pikturale Differenz, die dem Menschen spezifisch ist, de-

keitsbedingungen des Bildes selbst und er versuchte das

finiert sich als das Vermögen, das bewegliche Wahrneh-

literarische, textnahe Verstehen von Bildern zu überwin-

mungsfeld des alltäglichen Sehens mit seinen offenen

den. Dabei wollte er die Aufmerksamkeit darauf lenken,

Rändern, seiner flexiblen Neuanpassung an Situationen

6

in ein begrenztes und stabiles Bildfeld umzustilisieWerke, Bd. 1 Hermeneutik I, Tübingen 1986, S. 143, u. Gadamers Anm. 266 auf S. 157 [im Folgenden zit. als: Hans-Georg-

ren, als Bildwerk, als Gefäß, als Ritzzeichnung odgl. zu gestalten.«7

Gadamer 1986]; vgl. ergänzend Hans-Ulrich Gumbrecht: 5

Diesseits der Hermeneutik, Frankfurt a. Main 2004.

Eine kunstgeschichtliche Interpretation, die nicht darauf

Die Begriffe sind entlehnt von Meyer Schapiro und Carl Ein-

bedacht ist, ein gestaltetes, durchdachtes, sein letztes

stein. 6

Vgl. Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Was

Geheimnis nie ganz preisgebendes Kunstwerk von den

ist ein Bild? [1994], hg. v. Gottfried Boehm, München 2006, 12

1. Einleitung

S. 11–38 [im Folgenden zit. als: Gottfried Boehm 2006].

7

Gottfried Boehm 2006, S. 31.

»Bildern« der Television, dem semiotischen Instrumen-

gehen weder das spekulativ Hineingedachte noch das

tarium der Piktogramme, den »Sehbildern« des Wahr-

ikonographisch bzw. zeit- und stilgeschichtlich deduk-

nehmungsbewusstseins oder anderen Abbildern und

tiv Abgeleitete. Sondern grundlegend wird der – im

Spiegelbildern konsequent zu unterscheiden, führt sich

bewussten Formsehen zugängliche – »anschauliche

selbst sowie den Umkreis ihrer Wissenschaftsgegen-

Charakter« des Einzelwerks.9 Diesen gilt es mittels der

stände ad absurdum.8 Wenn das Kunstwerk und sein Er-

beschreibenden Charakterisierung eines Bildaufbaus zu

leben zu Epiphänomenen eines kulturhistorischen Refe-

erarbeiten. Dabei handelt es sich um einen Sehens- und

renzbodens werden, so führt dies zu einer inadäquaten

Denkprozess, im Zuge dessen sich das Kunstwerk dem

Methodik, welche die Eigentümlichkeit der Kunst nicht

Betrachter mitteilt und dieser es seinerseits ver­stehend

berücksichtigt, sie stattdessen instrumentalisiert und

vergegenwärtigt.10 Auf diese Weise werden weder

damit zu ungesicherten oder heteronom deduzierten

Vorurteile dupliziert noch konstruiert. Die sprachlich

Ergebnissen gelangt. Denn sofern über die Unterschied-

ausgearbeiteten Begründungsgänge sorgen für die

lichkeit der Gegenstandsbereiche hinweggegangen

Diskursfähigkeit der Beiträge. Der zu uns sprechende

wird, können auch keine Differenzen hinsichtlich der

physiognomische Charakter11 konstituiert den qualitati-

Zugangsart mehr vollzogen werden. Dabei ist es für die

ven Sinnzusammenhang zwischen den verschiedenen

Wissenschaft entscheidend, dass das Forschen zu dem

Werkebenen – zwischen Material, Technik, ikonischer

zu Erforschenden in einem jeweils angemessenen Ver-

Differenz, ikonographischem Bildthema und ikonologi-

hältnis steht.

scher Bedeutung. Mittels einer »strukturanalytischen«

Steht das Werk selbst im Zentrum, dann ist der we-

Deskription des anschaulichen Charakters qualitativ he-

sentliche Ausgangspunkt für das kunsthistorische Vor-

rausragender und historisch wichtiger Werke können selbst allgemeine kulturhistorische Phänomene veran-

8

Vgl. zum ikonischen Werkaspekt von bildender Kunst: Max Imdahl: Ikonik. Bilder und ihre Anschauung, in: Was ist ein Bild? [1994], hg. v. Gottfried Boehm, München 2006,

schaulicht werden. Eine dies berücksichtigende Werkinterpretation, die nach dem Gehalt sucht, muss im Ergebnis nicht wahr

S. 300–324; Gottfried Boehm: Was heißt: Interpretation? [1986], in: Clemens Fruh, Raphael Rosenberg, Hans-Peter Rosinski (Hg.): Kunstgeschichte – aber wie?, Berlin 1989,

9

S. 13–26 [im Folgenden zit. als: Gottfried Boehm 1989]; leider unterlaufen Boehm immer wieder zweifelhafte »Interpretationen«, so z. B. bezüglich Mondrians »Komposition

Hans Sedlmayr: Probleme der Interpretation [1957], in: Kunst und Wahrheit, Mittenwald 1978, S. 105 ff [im Folgenden zit. als: Hans Sedlmayr 1978].

10 Vgl. Hans-Georg Gadamer 1986, S. 170, 174. Zur Einführung

mit vier gelben Linien« [1933]: »Es ist ein abgegrenzter Kos-

in die phänomenologische Deskription vgl. Martin Hei-

mos, aber auch dank seiner allseitigen Ausgeglichenheit

degger: Sein und Zeit [1927], Tübingen 2001, S. 27–39 [im

und Ruhe sowie der Betonung der Mitte eine Veranschaulichung des Selbst. Das Quadrat deutet auf die Identität einer Ordnung von Welt und Person.« (a. a. O., S. 23).

Folgenden zit. als: Martin Heidegger SuZ]. 11

Analog zu »anschaulicher Charakter« (vgl. Hans Sedlmayr 1978, S. 105).

1. Einleitung

13

14

1. Einleitung

oder falsch sein – in Relation zu der »einen« Wahrheit.

verstehen. Kunsthistorische Interpretationen sind dabei

Wie aber verhalten sich dann Interpretationen zu be-

nicht mit den exakten Ergebnissen der empirischen Wis-

leg- und falsifizierbaren Urteilen auf der einen Seite und

senschaften zu verwechseln, doch methodische Strenge

zu willkürlichen Meinungen auf der anderen? Damit in

können sie durchaus aufweisen.

den interpretierenden Ästhetik-Diskurs nicht nur Kon-

Nach dieser allgemeinen Reflexion der methodischen

tingenzen des Geschmacks, sondern auch Regeln der

Struktur der für die vorliegende Untersuchung maßgeb-

Rationalität Einzug halten, ist es erforderlich, auf Basis

lichen Vorgehensweise wird im Folgenden der Aufbau

der gewonnenen Werkcharakteristika historisch-kritisch

der Arbeit geschildert. Das an die Einleitung anschließen-

zu argumentieren und das Kunstwerk im Kontext sei-

de 2. Kapitel widmet sich der Klärung der technischen

ner philosophischen und geschichtlichen Situiertheit zu

Realien und der Untersuchung der Auftragslage. Das

verorten. Das heißt, die Kunstgeschichte sieht sich vor

3. Kapitel gibt einen thematischen Überblick über den

die Herausforderung gestellt, ihren Gegenstand in das

gesamten Zyklus Hrdlickas zum 20. Juli 1944. Es handelt

rechte Licht zu rücken, will sie Wissenschaftlichkeit be-

sich bei dem Zyklus aus dem Jahre 1974 nicht um eine

anspruchen können. Auf diese Weise wird erhellt, was –

Serie absolut eigenständiger Werke. Erst die Gesamtheit

der jeweiligen Fragestellung entsprechend – als Wesens­

der einzelnen Radierungen bildet das eigentliche Werk.

aspekte der zu untersuchenden Sache im Vordergrund

Der vereinheitlichende Blick soll den Horizont spannen,

zu stehen hat. Nur sofern Interpretationen sich begrün-

aus dem heraus jede Einzelheit ihre Bezüglichkeit und ih-

dend auf wesentliche Erscheinungsformen der Sache

ren je eigenen Ort gewinnt. Mit den Kapiteln 4 bis 7 fol-

selbst beziehen, unterscheiden sie sich von willkürlichen

gen vier detaillierte Einzelanalysen exemplarisch ausge-

Meinungen oder von geistreich akkumuliertem Wissen.

wählter Blätter des Zyklus. Interpretiert werden Blatt 29

Um andere Perspektiven als die des Ausgangsstand-

Die christliche Vision des Hauptmanns Axel Freiherr von

punktes einnehmen zu können, empfiehlt sich eine his-

dem Bussche, Blatt 4 Die Selbstendlösung (Otto Weinin-

torische Rekonstruktion, welche die entsprechenden

ger), Blatt 34 »Der Führer ist nicht tot!« sowie Blatt 46

Kontexte des »Primärtextes« erhellt. Demgegenüber

Acht Zigaretten pro Hinrichtung.

neigt eine Dekontextualisierung, die das Werk aus der

Das 8. Kapitel erarbeitet den dem Zyklus zugrunde

politischen Situation, der kunsthistorischen Konstellati-

liegenden historischen Kontext und geht dabei auf die

on oder den Intentionen des Künstlers herauslöst, dazu,

biographische Motivation des Künstlers sowie auf die

die Botschaft des Künstlers in die Botschaft des Betrach-

kunsthistorische Konstellation zur Entstehungszeit ein.

ters zu verwandeln. Auch diese Herangehensweise kann

Zudem gibt es einen Überblick über Motivvariationen

das Kunstwerk lebendig halten, aber nicht als wissen-

des Zyklus »Wie ein Totentanz« innerhalb des eigenen

schaftlich bezeichnet werden. Die Einbeziehung des

Œuvres.

Kontextes will ein Wissen bereitstellen, das es ermög-

Die Frage nach der Darstellungsstruktur des Zykli-

licht, das Werk bewusster zu sehen und umfassender zu

schen untersucht die vorliegende Arbeit im 9. Kapitel.

Dort wird über das Was des Mitgeteilten hinaus nach

zumal Hrdlicka kein Wissenschaftler, sondern ein bilden-

dem Wie gefragt. An diese Überlegungen anknüp-

der Künstler ist. Sein Vorgehen ist dahin gehend zu inter-

fend, beschäftigt sich Kapitel 10 mit Stil und Gehalt von

pretieren, dass er sich der Komplexität seines Vorhabens

Hrdlickas modernem Realismus. Im Zentrum steht die

und der Wichtigkeit einer reflektierten Vorgehensweise

Frage, wie Grausamkeit und Gewalt in Kunst übersetz-

bewusst ist. Das gerne bemühte Diktum vom »Chaotiker«

bar ist, warum sich ein Künstler ihrer Darstellung ver-

Hrdlicka, das auf Elias Canetti zurückgeht, erfasst nicht die

schreibt und welches Menschenbild Hrdlickas Werken

Eigentümlichkeit der Serie »Wie ein Totentanz«.13 Seine

zugrunde liegt.

Werke sind nicht das Ergebnis eines spontanen, fassungs-

Darauf aufbauend wird im 11. Kapitel der Ausdrucks-

losen Sichgehenlassens bzw. emotionaler »Entladungen«,

gehalt des gesamten Zyklus interpretiert. Es stellt die

sondern mit Problembewusstsein geplant: Hrdlicka hat

wesentliche Zusammenfassung der in den einzelnen Ab-

sich als Künstler vor und auch während seiner Arbeit ganz

schnitten erarbeiteten Ergebnisse dar und beantwortet

konkret mit der Herausforderung befasst, wie ein Einzel-

die Fragen nach dem Gehalt des Zyklus und seiner Bot-

ner historisch und sozialpsychologisch derart umfassen-

schaft. Das folgende 12. Kapitel geht auf die Bedeutung

den und komplexen Phänomenen wie den Grausamkeiten

und Aktualität von Hrdlickas Kunst ein. Abschließend

des NS-Deutschlands gerecht werden kann. Die Proble-

werden unter Punkt 13 die wesentlichen Ergebnisse der

matik der Aufarbeitung besaß und besitzt nach wie vor

vorliegenden Untersuchung geschlossen präsentiert.

gesamtgesellschaftliche Relevanz.

Der Anhang enthält einen Abschnitt zur Rezeptions-

Die Schwierigkeit und Herausforderung, vor der Hrd­

geschichte. Dieser gibt einen Überblick über die Ausstel-

licka dabei stand, ist im Unterschied zur lebenswelt-

lungen des Zyklus »Wie ein Totentanz« und berichtet

lichen Problematik der Verarbeitung jedes Einzelnen

von einschlägigen Aufsätzen und Katalogbeiträgen.

eine spezifisch künstlerische: Wie sind die Schrecken des »Nationalsozialismus« mit bildnerischen Mitteln um-

Dass ein Künstler einem Thema 53 ausgewählte Graphi-

setzbar? Ein Blick auf die Berliner Stelen von Peter Eisen-

ken mit bedeutungs- und anspielungsreichen Bildtiteln

man zeigt, inwiefern sich das Postulat der Undarstell-

widmet, 52 Kommentare verfasst und unterschiedlichste

barkeit des »Holocaust« zu einem neuen Bilderverbot

Literatur konsultiert , zeugt von einer intensiven Beschäf-

verselbstständigt hat. Die Analyse der konstruierenden

tigung. Zugrunde liegt ein äußerst intellektueller Ansatz,

und selbstbezüglichen Momente der erzählenden oder

12

13

12

Folgende Literatur zitiert Hrdlicka in seinen Kommentaren:

Vgl. Christine Pielken: Der Mensch ist des Menschen Tod.

J. C. Fest: Hitler – Eine Biographie; P. Hoffmann: Widerstand,

Zur Hrdlicka-Druckgraphiksammlung der Universität, in:

Staatsstreich, Attentat; H. G. Adler: Der verwaltete Mensch;

Jürg Meyer zur Capellen/Christine Pielken/Daniela Winkel-

V. v. Gostomski u. W. Loch: Der Tod von Plötzensee; ferner:

haus-Elsing (Hg.): Alfred Hrdlicka – Ästhetik des Grauens

Schriften von Giacomo Casanova, Henriette Vogel, Friedrich

– Die Wiedertäufer, Münster 2003, S. 67 [im Folgenden zit.

Engels, Otto Weininger, Thomas Mann, Albert Speer.

als: Christine Pielken 2003].

1. Einleitung

15

darstellenden Erinnerung, die daher nie authentisch sein

Wieland Schmied notierte diesbezüglich:

kann, ist indes kein Argument gegen die Möglichkeit dieser Form der Erinnerung. Sie ist lediglich eine Beschrei-

Können wir denn noch lesen? Gehen uns Wort und Bild

14

bung ihrer Eigenart, derer man sich bewusst sein muss.

noch zusammen? Verbindet sich noch die Nachricht mit

Die Eigentümlichkeit der methodischen Struktur ei-

der Vorstellung? Erreicht sie noch unser Bewußtsein?

ner künstlerischen Erinnerungsform besteht sodann in

[…] Alle Ereignisse verlieren ihren Geschmack und Ge-

ihrer möglichen Universalität. Aus diesem Grund lässt

ruch. Alles unterliegt dem Raster und dem Klischee, al-

sich die These aufstellen, dass eine Werkgestalt – sofern

les ordnet sich in Spalten und Kästchen […]. Da stehen

der Künstler sein Vorhaben anschaulich umsetzt – über-

die Namen von Orten und die Namen von Männern,

tragbaren Vorbild-Charakter hat. Das heißt, dass eine

und immer meinen sie Blut und Betrug, Totschlag und

Methode auch unabhängig von der besonderen künst-

Täuschung, Machtgier und Ehrgeiz, Intrige und Eitel-

lerischen Form grundsätzliche Vorgehensweisen aufzu-

keit, und immer bedeuten sie Untat und Unglück. […].

zeigen vermag.

Wer kann das noch aufnehmen? Wie müßte ein Gewis-

Der rote Faden, der sich durch die vorliegende Arbeit

sen beschaffen sein, das das alles verarbeitet? Und auf

zieht, spürt exakt diesen Fragen nach: Gelingt Hrdlickas

welche Weise könnte es reagieren? Hrdlicka gibt uns

»Künstlerwollen«, vermag sein Zyklus zum 20. Juli zu

ein Beispiel.15

überzeugen, und kann er uns mit seinem Versuch der Verarbeitung und Bewältigung eines unfassbaren und unaussprechlichen Grauens ein Beispiel geben?

14

Vgl. Hottner, Wolfgang: Die Erfindung vertritt die Erinnerung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 255, 2. 11. 2011, S. N3. Nach Abschluss des Manuskriptes erschien von Gerald Schröder: Schmerzensmänner, München 2011. Schröders Studie geht davon aus, dass in den Werken von Günter Brus, Rudolf Schwarzkogler und Arnulf Rainer eine überzeugende »Auseinandersetzung« (scheinbar eine Zerreißprobe à la Brus) der österreichischen Kunst der 1960er und 1970er Jahre mit der NS-Zeit, mit körperlichem Schmerz und psychischen Traumata stattfindet. Die Tatsa-

16

1. Einleitung

15

Wieland Schmied: Alfred Hrdlicka will gelesen werden, in:

che, dass auf den annähernd 600 Seiten kein einziges Mal,

Alfred Hrdlicka – Graphik, mit Werkkatalog, Frankfurt a.

nicht einmal in den Fußnoten, der Name Alfred Hrdlicka

M./Berlin/Wien 1973, S. 86 [dieses erste Graphik-Werkver-

erwähnt wird, darf als unhistorisch und inkonsequent

zeichnis wird im Folgenden zit. als: Alfred Hrdlicka – Gra-

bezeichnet werden.

phik – 1973].

2. Bestandsaufnahme

D

er Radierzyklus »Wie ein Totentanz – Die Ereig-

Interview von 2008 bekannte er: »Ich geb’s zu, ich lie-

nisse des 20. Juli 1944« wurde 1974 ediert. Die

fere zu meinen Bildern gerne den Ton mit, ich bin ein

Maße der mit schnellem Strich innerhalb von

Fernseher.«18 Wie die zum Teil langen, literarisch anmu-

ca. drei Monaten gezeichneten 53 Metallplatten vari-

tenden Bildtitel tragen sie wesentlich zum Verständnis

iert: die kleinste misst 18,9 x 18,1 cm und die größte 60

bei. Nicht übersehen werden darf, dass Hrdlickas Stel-

x 95,7 cm. Die Papierformate (BFK Rives) sind einheitli-

lungnahmen zu den historischen Vorgängen sich oft nur

cher gewählt. 18 Blätter sind 53 x 76 cm groß, 35 Blätter

indirekt auf die entsprechenden Radierungen beziehen.

76 x 100,6 cm. Das Mappenwerk ist vom Berliner Propy-

Die Graphiken sind keine Illustrationen der Texte und die

läen Verlag in dreißig Exemplaren und von der Pantheon

Texte keine Bildbeschreibungen.

Presse in Rom in zwanzig Exemplaren herausgegeben worden.

Die Technik der Tiefdrucke reicht von der typischen Ra-

Nebst einigen Épreuves d’artistes und mehreren Zu-

dierung, der leicht von der Hand gehenden Strichätzung

standsdrucken entstanden zusätzlich elf Variationen zu

auf Kupferplatten, bis hin zu mehrfach überarbeiteten

den einzelnen Blättern und sechs weitere Szenen. Fer-

Aquatinten. Besonders eindrucksvoll ist, wie Hrdlicka

16

ner schrieb Hrdlicka im selben Zeitraum zu den einzelnen Arbeiten bzw. ihren thematisierten Hintergründen erläuternde Anmerkungen, außer zu Blatt 18.17 In einem

diskutieren bei Valentien über das Thema Widerstand, in: Stuttgarter Nachrichten, Nr. 167, 18. 07. 1974, S. 16). Ausstellungs.-Kat. folgender Jahre druckten ihn selten

16 Vgl. LEWIN III/1, 618–634.

ab. Alle Anmerkungen sind erstmalig auf den jeweiligen

17

Die Zitate der Kommentare rekurrieren auf LEWIN IV, 56.

Schutzumschlägen des Propyläen Verlages veröffentlicht

Hrdlickas Texte zu »Wie ein Totentanz« sind, bezüglich der

worden. Manfred Chobots dreibändiges Graphik-Werkver-

Anordnung der Graphiken, mit Nummern versehen. Im

zeichnis von 1975 (Folge II, Politische Radierungen, Zyklus

Folgenden werden sie ausschließlich unter der entspre-

»Wie ein Totentanz«) sowie der Berliner Katalog 1975

chenden Ziffer zitiert. Der einführende Text, die »Vorrede«, wurde das erste Mal am 18. Juli in den »Stuttgarter Nachrichten« veröffentlicht (Schöllkopf und Hrdlicka

machten sie einem breiteren Publikum zugänglich. 18

Alfred Hrdlicka im Interview mit Hanno Rauterberg, in: DIE ZEIT, Nr. 9, 21. 02. 2008, S. 25.

2. Bestandsaufnahme

17

auf den meisten Blättern in komplizierten Verfahren

sondern ein vierseitig bedrucktes Faltblatt. Manfred

verschiedenste Möglichkeiten der Plattenbearbeitung

Chobots dreiteiliges Graphik-Werkverzeichnis von 1975

miteinander kombiniert: dunkle Aquatinta-Gründe oder

publizierte erstmals alle 53 Arbeiten.20 Der Katalog des

die noch schwärzeren Mezzotinto-Zonen stehen im

Berliner Propyläen Verlags im selben Jahr zur Ausstel-

Verbund mit versierter Schabtechnik und prägnanten

lung der Mappe in der Nationalgalerie Berlin ist die ers-

Akzentsetzungen durch Kaltnadel, Stichel und Roulette.

te Veröffentlichung, die sich ausschließlich dem Zyklus

Auf diese Weise werden die mannigfaltigen Methoden

widmet.21 Maßgeblichen Anteil hatte daran der Verleger

der Radierung mit den Techniken des Kupferstichs und

Wolf Jobst Siedler, der nicht nur Joachim Fest zu seiner

der polierenden Schabekunst vermischt. Dabei bezieht

Biographie über Hitler anregte, sondern auch lange Ge-

der Künstler den Zufall mit ein und integriert »abstrakte«

spräche mit Fest und Hrdlicka in Wien und Berlin führte.22

Bildelemente durch Direktätzung oder nicht vollständig

Obwohl es sich bei dem Zyklus zum 20. Juli um öffentlich

weggewischte Druckfarbe. Auch Schmirgelpapier findet

memorierende Kunst handelt und die Konfrontation mit

Verwendung. In vier Platten kratzte Hrdlicka längere

dem Werk ein Aufklärungs- und Bildungserlebnis bedeu-

Schriftzüge. Auffallend sind zudem die lange und damit

tet, steht kein offizieller Auftrag im Hintergrund.23 Zu

tief geätzten Zinkplatten, die bereits durch den säurebe-

beachten ist die schon durch den Titel nahegelegte Ver-

ständigen Abdecklack leicht korrodieren und damit auf

bindung von »Wie ein Totentanz« zum zwei Jahre vorher

der ganzen Fläche leicht aufgeraut werden und einen

abgeschlossenen »Plötzenseer Totentanz« im Evangeli-

starken Plattenton hinterlassen. Die Möglichkeiten der

schen Gemeindezentrum Charlottenburg-Nord. Auch im

druckgraphischen Techniken kreativ entfaltend, zeich-

Berliner Totentanz konfrontiert Hrdlicka den Betrach-

net Hrdlicka in nervöser, zuweilen skizzenhaft anmutender Strichführung drastische Figurenszenen. Auf dem

veröffentlichte am 22. Juli den Artikel von Gerhard Hesler:

einzelnen Blatt stehen detailreiche Verdichtungen mit

Dramatische Bilder, scheue Begegnungen, in: Stuttgarter

aufgelockerten, offeneren Zonen im Dialog und steigern

Zeitung, 22. 07. 1974. Der Verfasser bedankt sich für die

sich in ihrer Wirkung gegenseitig. Dies wird im Einzelnen

freundliche Unterstützung bei Frau Seger, Galerie Valenti-

noch zu zeigen sein.

en. 20

Vom 20. Juli bis zum 15. August 1974 präsentierte der Galerist Freerk Valentien Hrdlickas Andrucke in Stuttgart

Vgl. Alfred Hrdlicka – Radierungen, Folge II, Politische Radierungen, Zyklus »Wie ein Totentanz«, Berlin 1975.

21 Vgl. AK Berlin 1975. 22

in der Galerie am Königsbau.19 Es erschien kein Katalog,

Vgl. Trautl Brandstaller: Alfred Hrdlicka – Stein des Anstoßes, in: Hrdlicka – Eine Hommage, hg. v. Trautl Brandstaller u. Barbara Sternthal, St. Pölten/Salzburg 2008, S. 25 [im Folgenden zit. als: Trautl Brandstaller 2008].

19 18

2. Bes tandsaufnahme

Freerk Valentien zeigte Hrdlickas Werke zusammen

23

Es fand jedoch eine enge Zusammenarbeit mit dem Ber-

mit einer Porträtserie von 23 Radierungen von Günter

liner Propyläen Verlag statt. Entscheidende Anregungen

Schöllkopf zum 20. Juli 1944. Die »Stuttgarter Zeitung«

stammen von Wolf Jobst Siedler.

ter unter anderem mit den grausamen Hinrichtungen von »Vaterlandsverrätern« nach dem 20. Juli 1944. Die großformatigen Graphitzeichnungen entstanden in den Jahren von 1970 bis 1972, da der Pfarrer Bringfried Naumann 1969 den Wiener Künstler beauftragte, Wandbilder für das Gemeindezentrum zu gestalten.24 Abschnitt 7.2 wird auf die Berliner Tafeln genauer eingehen.

24

Vgl. zum »Plötzenseer Totentanz«: Alfred Hrdlicka – Skulptur und große Zeichnungen, Werkkatalog v. Manfred Chobot, Wien/München 1973 [im Folgenden zit. als: Alfred Hrdlicka – Skulptur – 1973]; Bringfried Naumann (Hg.): Alfred Hrdlicka – Des anderen Last, Druckgraphik, Zeichnungen, Skulpturen, Ausstellung zum Kirchentag Berlin, Sonderdruck Kirchliche Nachrichten in Berlin-Charlottenburg, Berlin 1977 [im Folgenden zit. als: Bringfried Naumann 1977]; Ingrid Mössinger: Der Plötzenseer Totentanz – im Evang. Gemeindezentrum Plötzensee, München 1982 [im Folgenden zit. als: Ingrid Mössinger 1982]; Dietrich Schubert: Hrdlickas Gummitod, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 48/49, Köln 1988, S. 409–427 [wieder in: ders.: Alfred Hrdlicka – Beiträge zu seinem Werk, Worms 2007, S. 59– 78, im Folgenden zit. als: Dietrich Schubert 2007]; ders.: Funktionen und Formen der Handzeichnung im Werk Alfred Hrdlickas, in: AK Magdeburg: Alfred Hrdlicka – Der Tod und das Mädchen, Werke 1944–1997, hg. v. Matthias Puhle u. Jürgen Fitschen, Ausstellung im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen, Magdeburg 2000, S. 35–52 (wieder in: Dietrich Schubert 2007, S. 83–105).

2. Bestandsaufnahme

19

Abb. 1 Weder Fromm noch Kluge Nr. 35; 600 x 948 mm; Ätzung und Kaltnadel auf Kupfer; LEWIN III/1, 599

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

D

er im Wesen eines Zyklus liegende Zusammen-

Dem Titel zufolge thematisiert der Zyklus die späte

hang einzelner Werke ist bei »Wie ein Toten-

Revolte von Wehrmacht-Offizieren gegen Hitler, kul-

tanz« noch zwingender als bei jedem anderen

minierend in dem Attentatsversuch von Claus Schenk

Zyklus Hrdlickas, da er hier erstmals eine chronologische

Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944. Doch schon der

Erzähltechnik entwickelt, changierend zwischen großen

erste Blick auf alle 53 Werke und ihre jeweiligen Bildti-

Zeitsprüngen und dem Verweilen bei wichtigen Ereignis-

tel verrät, dass dieses historische Ereignis nicht auf allen

sen. So werden beispielsweise die Geschehnisse eines

Blättern gegenwärtig ist. In streng chronologisch ausge-

einzigen Tages, des 20. Juli 1944, auf elf Radierungen

wählten Episoden und veritablen »Momentaufnahmen«

entfaltet. Im Kontrast dazu liegen zwischen den darge-

nähert sich der Künstler erst seinem Sujet, um sich an-

stellten Szenen des ersten und des zweiten Blattes 47

schließend wieder davon zu entfernen bzw. um darauf

Jahre Historie. Andererseits verdichtet Hrdlicka, im Sin-

Folgendes aufzugreifen. Dadurch suggeriert er die Vor-

ne fotografischer Überblendungen, auf einem einzelnen

stellung, im Rahmen der Aufarbeitung des 20. Juli auch

Blatt räumlich und zeitlich unterschiedliche Momente,

Ursachen und Wirkungen mit einzubeziehen. Greift man

die verbunden sind mit den vorhergehenden und nach-

auf die von Hrdlicka selbst verfassten Kommentare zu-

folgenden Graphiken. Ein Beispiel dafür ist Blatt 35 We-

rück, dann wird deutlich, dass er den deutschen Faschis-

der Fromm noch Kluge (Abb. 1).

mus fest in militärischen Ordnungssystemen verwurzelt

In diesem Abschnitt wird versucht, jenen Erzähl-

sieht, die eine unheilvolle Verbindung mit enttäuschtem

strang zu rekonstruieren und anhand von ausgewählten

Größenwahn und damit einhergehenden Selbstzerstö-

Graphiken zu erläutern. Die Zusammenstellung mehre-

rungstendenzen eingingen.

rer Werke zu einem Zyklus bedeutet in der Regel eine

Diese Ideen müssen jedoch nachvollziehbar gemacht

Folge von Darstellungen gleicher Thematik. Daraus er-

werden. Schließlich könnte die Reihung der einzelnen

geben sich Fragen wie: Worin besteht die Perspektive,

­Arbeiten wesentlich heterogener sein. In einem Inter-

die alle zur Mappe zählenden Graphiken vereint? Welche

view mit Walter Schurian erläutert Hrdlicka: »Wie ein To-

sind die bestimmenden Inhalte, die der Zyklus auf sei-

tentanz beginnt mit einer Eingrenzung, indem ich etwa

nem roten Faden aufreiht?

die Vorgeschichte des preußischen Staates beschreibe. […] Wie ein Totentanz ist ein festgelegtes Thema, das

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

21

am Hof Friedrichs des Gro��������������������������������� ßen������������������������������ (Abb. 2) bildet eine Art einleitende »Exposition«, in der das Hauptmotiv vorgestellt wird. Im rechten Bilddrittel posiert eine Figur in Uniform. Ihre Gestik vermittelt repressive Dominanz. Zu ihren Füßen kriecht eine verängstigte Gestalt mit einer Zahnbürste in der rechten Hand: Eine frühe Vorwegnahme des »Straße waschenden Juden« von 1977/1984. Aus Hrdlickas Kommentar erfahren wir, dass Friedrich II. bei einer Kaserneninspektion, der Casanova beiwohnen durfte, in brüllenden Generalston verfiel, weil ihn ein unsauberer Nachttopf verärgerte. Dieser ist in der linken unteren Ecke des Querformats dargestellt. Hrdlicka lässt die phosphoreszierenden Gestalten des Blattes durch Schabkunst in gespenstischem Licht vor dunklem, unbestimmtem Aquatintafond aufleuchten, als sehe er das längst Vergangene in historischem Röntgenblick neu. Mit diesem Blatt deutet er bereits an, was seiner Auffassung nach das eiAbb. 2 Casanova am Hof Friedrichs des Großen

seinen Höhepunkt im Attentat auf Hitler findet und mit

gentliche Feindbild des Militarismus ist: die Unordnung,

Nr. 1; 316 x 600 mm; Aquatinta geschabt; LEWIN III/1, 565

der Niederschlagung der Aktion ›Walküre‹ und der Hin-

das Zivile, das unkontrollierbar Individuelle.27

richtung der Beteiligten endet.«25 Programmatisch setzt

Der Darstellung des Zivilisten Giacomo Casanova

die umfangreiche Folge 180 Jahre früher, sprich 1764 bei

fol­gen Blätter zu Kleist, Wagner, Weininger und Nolde.

Friedrich dem Großen ein, der Sachsen und Schlesien

Beschäftigt sich Hrdlicka bei den drei Letztgenannten

überfallen hatte und in dem Hrdlicka den preußischen

mit dem morbiden Reigen von Innerlichkeit und Assi-

Militarismus verkörpert sieht. Das erste Blatt Casanova

milation, so sieht er in Kleist, Spross eines preußischen

26

Offiziersgeschlechts, die Kraft des zivilen Ungehorsams 25

Zit. nach: Walter Schurian (Hg.): Von Robespierre zu Hitler – Die Pervertierung der Revolution seit 1789, Hamburg 1988,

verkörpert. Dieses »andere Preußen« begegnet uns in Herders Worten:

S. 19 [im Folgenden zit. als: Walter Schurian 1988]. 26

Es ist allgemein bekannt, dass Goebbels im Preußenkönig

Absicht Veit Harlans Film »Der große König« uraufgeführt

Friedrich II. den »ersten Nationalsozialisten« sah und Hitler

wurde und dass im Berliner »Führerbunker« das Friedrich-

sich mit Vorliebe in ihm spiegelte. In der Tat sah der »Phi-

Porträt von Anton Graff hing. Vgl. den gebündelten Kom-

losophenkönig« des Siebenjährigen Krieges im Judentum

mentar von Rainer Blasius: Der Preußen-König und der

eine Sekte, die es auszulöschen gelte. Ferner ist daran 22

3. Thematische Übersicht über den Zyk lus

zu erinnern, dass am 3. März 1942 in propagandistischer

Nazi-Feldherr, in: Faz, Nr. 3, 4. 01. 2012, S. 8. 27

Zum »Feindbild Unordnung« vgl. Text 6.

Was ist Nation? Ein großer, ungejäteter Garten voll Kraut und Unkraut. Wer wollt sich dieses Sammelplatzes von Torheiten und Fehlern so wie von Vortrefflichkeiten und Tugenden ohne Unterschied annehmen und […] gegen andere Nationen den Speer brechen? Lasst uns, so viel wir können, zur Ehre der Nation beitragen; auch verteidigen sollen wir sie, wo man ihr Unrecht tut […] sie aber ex professo preisen, das halte ich für einen Selbstruhm […]. Offenbar ist die Anlage der Natur, daß wie Ein Mensch, so auch Ein Geschlecht, also auch Ein Volk von und mit dem anderen lerne […] bis alle endlich die schwere Lektion gefaßt haben: kein Volk ist ein von Gott auserwähltes Volk der Erde; die Wahrheit müsse von allen gesucht werden […]. So darf sich auch kein Volk Europas vom anderen abschließen, und töricht sagen: bei mir allein, bei mir wohnt alle Weisheit.28 Dieses antinationalistische, liberale Denken, sich aufreibend am deutschen Untertanengeist, resigniert letzten Endes. Kleist erschoss sich und seine Freundin Henriette Vogel am 21. November 1811. Auf Hrdlickas Graphik Heinrich von Kleist verübt gemeinsam mit Henriette Vogel Selbstmord (Abb. 3) liegen beide am Ufer des Kleinen Wannsees tot im Gras. Die Tatsache, dass Hrdlicka dieses Blatt in den Zyklus mit aufgenommen hat, zeugt von dem Versuch, eine gedankliche Verbindung zu den Offizieren des deutschen Widerstands zu knüpfen.

Abb. 3 Heinrich von Kleist verübt gemeinsam mit Henriette Vogel Selbstmord Nr. 2; 601 x 501 mm; Ätzung und Direktätzung auf Kupfer; LEWIN III/1, 566

28

Zit. aus: Herder Lesebuch, hg. v. Siegfried Hartmut Sunnus, Frankf./Leipzig 1994, S. 268 f.

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

23

Abb. 4 Paramilitärische Paralyse der Weimarer Republik Nr. 6; 600 x 957 mm; Ätzung, Direktätzung und Kaltnadel auf Kupfer; LEWIN III/1, 570

Mit dem sechsten Blatt kommt Hrdlicka zur Paramili-

schließlich eine Art von Partisanentum, einen Guerilla-

tärischen Paralyse der Weimarer Republik (Abb. 4). Auf

krieg organisieren können. Der einzige Waffenträger der

großem Format zeigt es eindrucksvoll, wie unterschied-

Nation wurde die Reichswehr. Selbst Hitler hat über den

liche Freikorps und Milizen »das demokratische Gefüge

unelitären SA-Pöbel gespottet, Röhm störte ihn.

in ein Chaos«29 verwandeln. Es folgen Radierungen zur

Der neue Mensch dagegen, so der Titel der zwölften

Wehrmacht, zur Parteiarmee SA und zum angeblichen

Graphik (Abb. 5), funktioniert auf hohem Niveau. Dieses

»Röhm-Putsch« am 30. Juni 1934. Hrdlicka bearbeitet

erreicht er über militärischen Drill. Im linken unteren

dieses Thema karikaturistisch – nicht zuletzt, weil in ge-

Eck des Querformats ist zu sehen, wie jemand mit einer

wisser Hinsicht schon die SA am Widerstand scheiterte.

Zahnbürste den Boden schrubbt. Zu seinem ersten Haar-

Als das Millionenheer seine Macht und Funktion an die

mann-Zyklus aus dem Jahr 1965 bemerkte der Bildhau-

SS und an die Wehrmacht übergeben musste, hätte es

er: »Mit der Zahnbürste die Stube scheuern, zählte im Dritten Reich zu jenen arbeitstherapeutischen Maßnah-

24

3. Thematische Übersicht über den Zyk lus

29

Text 6.

men, mit denen man Sauberkeit und Vollbeschäftigung

demonstrieren wollte.«30 Insbesondere aber waren es Wiener Juden, die 1938 pro-österreichische Parolen von den Straßen bürsten mussten. Doch auch der »Arier« verkörpert nicht den Selbstwert des Individuums. Der neue Mensch ist ein schneidiger Soldat – selbst noch auf dem »Donnerbalken«. Er muss in einem anstehenden Krieg gut kämpfen können. Dafür wird er diszipliniert und getrimmt: Er macht Liegestütze, marschiert im Gleichschritt und hebt gehorsam den rechten Arm zum »deutschen Gruß«. In seinem Beitrag zur Graphikmappe anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums der Befreiung des KZ Mauthausen 1985 schrieb Hrdlicka über die stumpfsinnigen Rituale des Faschismus: Wehrertüchtigung war im Dritten Reich obligatorisch und fast hatte man den Eindruck, sie sei Sinn und Zweck jedweder staatlichen Einrichtung. […] In meinem letzten Schuljahr wurde die Klasse samt Lehrpersonal […] zwecks körperlicher Ertüchtigung aufs Land verfrachtet, nach Ausschlag-Zöbern, Niederösterreich. Was dort gelehrt wurde, kann man sich vorstellen: Bettenbau, Aufstehen, Niedersetzen, Rechtsum, Linksum, Robben, Liegestütz, Kniebeuge, Geländemarsch, Rot gegen Blau, Grüßen, Meldung machen, und die dazugehörige Seelenmassage, damit der deutsche Junge auch weiß, warum er schon in frühen Jahren so sinnlos he­ rumhampelt.31

30

Alfred Hrdlicka, in: Alfred Hrdlicka: Schaustellungen, Bekenntnisse in Wort und Bild, hg. v. Walter Schurian, München 1984, S. 120 [im Folgenden zit. als: Schaustellungen 1984].

31

Alfred Hrdlicka: Höhlenbewohner [1985], in: LEWIN IV, 181.

Hrdlicka zeigt, dass faschistische Tendenzen sich viel-

Abb. 5 Der neue Mensch

fältig manifestieren. Beispielhaft dafür ist das Prinzip

Nr. 12; 501 x 601 mm; Ätzung auf Zink; LEWIN III/1, 570

des widerspruchsfreien Gehorsams, der Mechanismus von Befehl und Durchführung sowie die Zurechtstutzung alles Heterogenen in ein Ordnungssystem, in dem

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

25

Abb. 7 Gefallenenehrung auf dem Luitpoldfeld in Nürnberg (1934)

nationalsozialistische Wahlversammlung schreibt: ›Zuerst einmal übten sie aufstehen und niedersetzen‹.«32 Zusammenfassend lässt sich sagen: Der neue Mensch ist ein blind gehorchender, angepasst das System stützender und also ein missbrauchbarer. Der neue Mensch ist eine Marionette, folglich das Gegenteil des Ideals der Expressionisten nach dem Krieg, z. B. von Georg Kaiser und René Schickele formuliert. Auch Die schönste Form (Abb. 6) wurde im »Dritten Reich« nicht human, nicht körperlich oder künstlerischpersönlich gedacht. Dem Titel zufolge ist sie die des Stahlhelms, sind es die Formen einer technizistischen Abb. 6 Die schönste Form

das Individuelle nur mehr in Reih und Glied marschiert.

Nr. 13; 500 x 600 mm; Aquatinta geschabt;

»Nicht die Einsicht in politische Zusammenhänge war

LEWIN III/1, 577

es unbedingt, die mich die Nazis hassen ließ, sondern schon deren Umgang miteinander, dieses andauernde Männchenmachen und Herumgehampel, Ehrenbezeu-

26

3. Thematische Übersicht über den Zyk lus

gung, Grußpflicht oder, wie schon Tucholsky über eine

32

Ders.: Die Ästhetik des automatischen Faschismus, in: LEWIN IV, 166; der ursprünglich in »Literatur Konkret« 1983 veröffentlichte Essay wurde wiederabgedruckt in: Schaustellungen 1984, S. 106–112; der Verfasser zitiert den Text im Folgenden nach der Gesamtausgabe der Schriften.

und konstruktivistischen Ordnung, die das Maß vorgeben: Die schönste Form muss eckig, zackig und rechtwinklig sein. »Symbole, Runen, Uniformen, Standarten, Aufmarschpläne für geometrisch geordnete Menschenmassen, die das Aufgehen im Großen und Ganzen vorexerzierten, waren vorrangige künstlerische Anliegen der Nazis«33, so Hrdlicka (Abb. 7). Auf dass das Mechanische über das Organische obsiege und jedes Haupt sich im sterilen Design präsentiere. Denn »ein Uniformierter kommt sich nie so überflüssig vor wie ein Zivilist, sagten sich die Nazis«.34 Inwiefern lauert in der Radikalität der Reinheit, in Sauberkeit, der Ordnung und der »männlich«-geometrischen Sterilität – ob nun in ästhetisch-theoretischer oder in lebensweltlich-praktischer Hinsicht – das Monströse und Gewalttätige, und zwar weil es alles Physische, Lebendige und Chaotische diskriminiert? Die Problematisierung dieses Zusammenhangs darf als eines der zentralen Themen in Hrdlickas Œuvre betrachtet werden. Das Phänomen der mathematischlogischen Realitätsrepräsentanz ist vor dem Horizont von Hrdlickas Beschäftigung mit Winckelmann, Mondrian und dem homosexuellen Massenmörder Haarmann zu betrachten. In der klassizistischen Reinheits- und Vollkommenheitsästhetik erkennt Hrdlicka Momente eines Männlichkeitskultes. Dessen Paradigma – kantige »Einfalt« und phallische »Größe«35 – liegt für Hrdlicka dem

seine Lehre verfasste, war er alles denn impotent, seine

Abb. 8 Lebensborn (Der SS-Staat)

preußischen Militarismus zugrunde. »Als Winckelmann

ganze Schönheitslehre gilt der männlichen Gestalt, al-

Nr. 15; 450 x 600 mm; Aquatinta geschabt;

lerdings in verklausulierter und kompensierter Form.«

LEWIN III/1, 579

33

Ebd., S. 181; »Die Nazis waren massentypisierte Avantgar-

Und unter Bezugnahme auf das Italien der 1920er-Jahre

de«, sagte Hrdlicka an anderer Stelle – vgl. Dietrich Schu-

beobachtete Hans Ulrich Gumbrecht: »Virilität wird im

bert 2007, S. 47. 34 35

36

Text 6.

faschistischen Leben und in der faschistischen Kunst

Vgl. Derridas Kritik am »Phallogozentrismus«. (Jacques Derrida: Grammatologie, Frankfurt a. M. 1983 )

36

Alfred Hrdlicka: Winckelmann, in: Schaustellungen 1984, S. 118.

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

27

zur Norm. Die Gabelung der weiblichen Identität – entweder Mutter oder Prostituierte – wird offiziell auf den positiven Pol reduziert und inoffiziell bestätigt.«37 In den Graphiken zum Körperkult der straff geführten Turnjugend und den Heimen des LebensbornVereins entlarvt Hrdlicka die Ideologie der »nordischen Reinrassigkeit«. Geht es in den Zuchtanstalten der Nazis doch in erster Linie um »Menschenmaterialbeschaffung für ein Feudalheer«38, um »Kanonenfutter«39 für einen Krieg, der Menschen für strategische und ökonomische Interessen funktionalisiert. Die Aquatinta-Arbeit Lebensborn (Der SS-Staat) (Abb. 8) veranschaulicht das rassisch »hochwertige Produkt« aus der Synthese von »blutsguten Ariern«: einen zukünftigen Berg zusammengeschossener Kriegsleichen. Die zerstückelten Gliedmaßen in der Mitte des Blattes sind mit den schönen Körpern links und rechts kontrastiert. »Auf der einen Seite […] die schöne, keusche, heroische Frau«40, für Hrdlicka das Frauenbild des Faschismus. Auf der anderen der anonyme, ordentlich salutierende Athlet. Die indirekten sexuellen Anspielungen des erhobenen männlichen Armes und des von der weiblichen Turnerin in die Höhe gereckten Reifs sind für Hrdlicka untypisch. Er neigt eher zur

Abb. 9 Der Schönheitsstaat Nr. 14; 502 x 649 mm; Kaltnadel, Ätzung und Stichel auf Kupfer; LEWIN III/1, 578

37

Hans Ulrich Gumbrecht: 1926, Ein Jahr am Rande der Zeit, übers. v. Joachim Schulte, Frankfurt a. M. 2001, S. 335.

38

Text 12.

39

Text 15.

40

Alfred Hrdlicka im Interview: Ein jakobinischer Denkmalkünstler, in: Erich Fried/Alfred Hrdlicka/Erwin Ringel: Die da reden gegen Vernichtung, Psychologie, bildende Kunst und Dichtung gegen den Krieg, hg. v. Alexander Klauser u. Judith Klauser u. Michael Lewin, Wien 1986, S. 131 [im

28

3. Thematische Übersicht über den Zyk lus

Folgenden zit. als: Fried/Hrdlicka/Ringel 1986].

direkten Gestaltung. Es kann sich daher um eine parodistische Bezugnahme auf die technoide Verbrämung des Sexuellen bei den Nazis handeln. Ähnlich setzt der Künstler auch die »konstruktivistische Rahmung«41 des Weiblichen durch das Rhönrad ins Bild (Abb. 9): Der Schönheitsstaat. Sofern Hrdlicka tatsächlich eine historische Kontextualisierung seines Stoffes leistet, erwartet man Radierungen zu den Schrecken des Krieges, zum DeutschFranzösischen Krieg von 1870/71 sowie zum verlorenen Ersten Weltkrieg. In diesen Zusammenhang sind die Blätter 17, 18 und 23 gestellt. Die beiden ersten widmen sich ironisch dem Krieg als »Handwerk« und »Familien­ tradition« von Stauffenberg und Hitler. Im Zentrum dieser Thematik steht die 23. Graphik des Zyklus, mit dem Titel: Hitler zu General Guderian: »Glauben Sie, daß die Grenadiere Friedrichs des Großen gern gestorben sind?« (Abb. 10). Wie Untote taumeln die Grenadiere Friedrichs des Großen über die Schlachtfelder des russischen Winters. Oder tanzen die Soldaten in karikierender Manier ihren »Totentanz« nur auf dem Parkett eines Kostümballs? In seinem Text zur Graphik verweist Hrdlicka auf

Ein weiteres Blatt, das Züge des Stilelements der

Abb. 10 Hitler zu General Guderian: »Glauben Sie, daß die

die bewusst einkalkulierten Verluste der Hitler-Soldaten

Kari­­ka­tur trägt und zu den eindrucksvollsten des Zy-

Grenadiere Friedrichs des Großen gern gestorben sind?«

im Russlandfeldzug. Der Künstler thematisiert einerseits

klus zählt, behandelt den Paranoide[n] Pantragismus

Nr. 23; 600 x 948 mm; Ätzung und Kaltnadel auf Kupfer;

die Heroisierung der militärischen Härte und anderer-

von Hitler und Benito Mussolini (Abb. 11). Die bei-

seits die historisierenden Verharmlosungen. In gleiten-

den Faschisten machen in einer Sommernacht 1941

der Bildzeitlichkeit treten Cäsar, Friedrich der Große im

in Weißrussland einen Spaziergang, während Hitler

Kontext des Siebenjährigen Krieges, der Deutsch-Fran-

von seinem hasserfüllten Kampf gegen die Welt zu

zösische Krieg und die beiden Weltkriege auf.

monologisieren scheint. Gesäumt ist ihr Weg von

LEWIN III/1, 587

Trümmern und Leichen. Sich in »schwärmerischen 41

Text 14.

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

29

Abb. 11 Paranoider Pantragismus Nr. 21; 600 x 500 mm; Ätzung, Kaltnadel, Stichel und Wiegemesser auf Kupfer; LEWIN III/1, 585

30

3. Thematische Übersicht über den Zyk lus

Weltaufteilungsplänen«42 ergehend, zeigt Mussolini auf die Mondsichel. Hrdlicka zufolge teilt er Hitler mit, dass ihnen am Ende wohl nur noch der Mond als Ziel ihres Eroberungswillens bliebe. Im Zentrum der Radierfolge und in gewissem Sinne als ihre »Durchführung« stehen die Aufarbeitung des Attentatsversuches und die Bezeugung der grausamen Racheakte. Denn auf die gescheiterte »Revolte« folgte sogleich die brutale »Reaktion«, d. h. die Verurteilung und Massenhinrichtung der Widerstandskämpfer, angeblichen Mitwisser und vieler Unbeteiligter hinter den Mauern des Plötzenseer Gefängnisses. Die Radierung Das Attentat (Abb. 12) ist eines jener Blätter, in die der Betrachter sich lange hineinsehen muss. Das Zentrum des Querformats bildet die Andeutung einer senkrecht in die Höhe geschleuderten Tischplatte. Dadurch erscheint eine der vier Tischecken als Dreiecksspitze in der Fläche des Formats. Es muss dieses Möbelstück sein, welches die schräg im Raum stehende Figur nach hinten wirft. Die Arme der zentralen Figur sind emporgerissen, die Mütze fliegt vom Kopf

nach der Explosion zu sehen, die rechts davon noch in

Abb. 12 Das Attentat

und die Hose ist bereits zerfetzt. Allerdings scheint ge-

vollem Gange ist.

Nr. 31; Ätzung, Kaltnadel und grobes Schmirgelpapier auf

rade jene Platte sie auch vor den Tumulten im rechten

Dargestellt ist die Baracke im Führerhauptquartier ,

Raumdrittel zu bewahren. Die Imagination des Betrach-

wo gerade die Bombe explodiert. Die von dem Tisch wie

ters ergänzt den zeitlich früheren Moment, in dem alle

durch einen Schild geschützte Figur zeigt Adolf Hitler,

Beteiligten noch um den Kartentisch herum stehen.

dem es zwar die Hose in Streifen zerfetzte, der das At-

Die beruhigte Szenerie auf der linken Seite mit einem

tentat jedoch überlebt. Dazu Hrdlicka: »Wie stellt man

der fünf Kreuzfenster und den an der Wand lehnenden

ein misslungenes Attentat dar? Das Blatt trägt karikie-

43

Kupfer; 502 x 805 mm; LEWIN III/1, 595

Latten muss im Gegensatz dazu als ein im Geschehen späterer Moment verstanden werden: hier ist der Raum

43

Vgl. Edward Korpalski (Hg.): Das Führerhauptquartier (FHQu), Wolfsschanze im Bild, Eine Chronik, Rastenburg

42

Text 21.

1997 [im Folgenden zit. als: Edward Korpalski 1997].

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

31

Abb. 13 »Die haben mich ja alle im Stich gelassen« Nr. 37; 499 x 488 mm; Ätzung, Kaltnadel auf Kupfer; LEWIN III/1, 601

32

3. Thematische Übersicht über den Zyk lus

rende Züge, was in dem Zyklus kein Einzelfall ist, zeichnet sich doch die Monstrosität des Nationalsozialismus nicht zuletzt durch ungeheure Lächerlichkeit aus.«44 Auf Blatt 37 (Abb. 13) sieht man Graf Schenk von Stauffenberg mit seiner charakteristischen Augenklappe rechts im Bild: ausweglos isoliert im Weiß des Papiers, eingefangen vom Türrahmen im Hintergrund, der ihm zum Käfig wird. Der amputierte und am linken Oberarm erneut verletzte Stauffenberg kann kaum seine Waffe halten. Seine Gegner sind in Überzahl. Die Lage ist aussichtlos und doch stellt er sich ihr entschlossen. Noch am Abend des 20. Julis wurde er von Militärs verhaftet. Mit Erschrecken musste er feststellen: »Die haben mich ja alle im Stich gelassen« – so Hrdlickas Bildtitel. Die nächsten zehn Blätter offenbaren, was auf das Attentat folgte: die Vergeltungsschläge der Nazis bzw. wie der 20. Juli zum Anlass genommen wurde, Menschen zu foltern und zu ermorden. Man schob sie unter das Messer der Guillotine, trieb sie in den Selbstmord, erschoss, verbrannte oder strangulierte sie, an Fleischerhaken aufgehängt. Wie zynisch klingt da aus der heutigen Perspektive der Ausruf: »Es lebe das heilige Deutschland!« – nur ist es der an die Wand gestellte Stauffenberg selbst, dessen letzte Worte Hrdlicka zitiert.45 Die so betitelte 44

Text 31.

45

Im George-Kreis, dem Claus Graf Stauffenberg geistig stets

Abb. 14 »Es lebe das heilige Deutschland!« Nr. 40; 436 x 501 mm; Ätzung und Mezzotinto auf Kupfer;

verbunden blieb, sprach man vom »geheimen Deutschland«. Vgl. zum Ruf Stauffenbergs Hoffmann 2009, Anm.

feierlichen Bekenntnisdokument der Erhebung, niederge-

318, S. 638. Siehe zum »preußisch-germanischen« Sen-

schrieben im Juli 1944, führte der Glaube an die Überlegen-

dungsbewusstsein den »Schwur« der Brüder Stauffenberg

heit »des Deutschen« die Feder. Nach dem Putsch sollte

und Rudolf Fahrners (Hoffmann 2009, S. 422 f.). In diesem

Stauffenberg zufolge das Offizierskorps das Volk führen.

LEWIN III/1, 604

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

33

Schenk von Stauffenberg, Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften. Generaloberst Beck schied kurz zuvor durch Freitod aus dem Leben. Schlicht Fabian von Schlabrendorff ist jene Arbeit benannt (Abb. 15), in deren Mitte der typische GestapoSchreibtischtäter das unter Folter erzwungene Geständnis Schlabrendorffs aufnimmt. Auf der rechten Seite ist eine Anspielung auf das grausame Morden im Berliner Gefängnis Plötzensee zu sehen. Insgesamt sieben Blätter nehmen sich dieses Themas der Massenhinrichtung von Delinquenten an. Hinrichtung hieß, an einem Fleischerhaken erhängt zu werden. Eine der Einzelbesprechungen wird im 7. Abschnitt darauf zurückkommen. Es folgen drei Graphiken, die den Wahnsinn bis April 1945 zeigen: Körperlich und psychisch verwundete Kriegsheimkehrer, Mobilisierungen von Kindern für den Straßenkampf in Berlin und die Liquidierungen politischer Häftlinge in den allerletzten Tagen. Am Schluss zieht Hrdlicka die Handlung in einer Art »Reprise«, die zeigt, dass mit dem Ende des Krieges der Einfluss der Nazis nicht verschwand, bis in die Entstehungszeit des Zyklus weiter. Thematisiert wird die damalige Militärdiktatur in Chile (Abb. 16). Diese stürzte mit Unterstützung der USA die Regierung Salvador Allendes (*1903). Man tötete den linkssozialistischen Abb. 15 Fabian von Schlabrendorff

Graphik (Abb. 14) zeigt, wie Hrdlicka die Erschießung

Politiker, der seit 1970 demokratisch gewählter Staats-

Nr. 48; 500 x 638 mm; Ätzung und Kaltnadel auf Kupfer;

Stauffenbergs und drei seiner Mitverschwörer dem Dun-

präsident war, beim Militärputsch 1973. Sein Kopf ist

LEWIN III/1, 612

kel der Vergangenheit entreißt. Links im Geviert stehen

in der linken, unteren Bildecke zu sehen. Walter Rauff,

das Peloton der Infanterie und ein offener Wagen, des-

ein als Kriegsverbrecher gesuchter SS-Offizier und Kom-

sen Scheinwerfer einen Lichtkegel auf die Opfer werfen,

mandant deutscher Konzentrationslager, assistierte da-

wodurch das Blatt diagonal in eine schwarze und in eine

mals dem chilenischen Geheimdienst als Militärberater.

weiße Hälfte geteilt wird. Erschossen werden Claus Graf

Dargestellt ist er rechts neben dem Torpfosten in Zivil

34

3. Thematische Übersicht über den Zyk lus

Abb. 16 Chile 1974 Nr. 53; 505 x 598 mm; Ätzung, Kaltnadel, Mezzotinto geschabt und Stichel auf Kupfer; LEWIN III/1, 617

stehend. Sein mitleidslos und gehässig wirkender Schä-

foltert und bis zu 4 000 ermordet. Unter ihnen auch der

del ragt akzentuiert aus dunklem Hintergrund hervor.

chilenische Volkssänger Victor Jara (1938–1973).

Schauplatz ist das Fußballstadion in Santiago de Chile, das Pinochets Schergen zur Gefängnis- und Folterstätte

Abschließend bleibt zu fragen, warum Hrdlicka im Zuge

pervertierten. In ihm wurden rund 30 000 Menschen ge-

seiner historischen »Hinführung« weder dem Sterben

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

35

vor Verdun 1916 noch den Sanktionen des Versailler Vertrages und dem damit verbundenen militärischen Größenwahn aus der idée fixe des Revanchismus, noch dem »welthistorische[n] Ereignis Russische Revolution«46 eigene Graphiken widmet. Schließlich, so Karl Löwith, begann »die deutsche Revolution von 1933 mit dem Ausbruch des [ersten] Weltkriegs. Was seit 1933 in Deutschland geschieht, ist der Versuch, den verlorenen Krieg zu gewinnen. Das Dritte Reich ist das Bismarcksche Reich in zweiter Potenz und der ›Hitlerismus‹ ein gesteigerter ›Wilhelmismus‹ […].«47 Ferner schreckt der expressive Verist und Antifaschist scheinbar auch vor dem Thema der Massenvernichtung in Konzentrationslagern zurück und kapituliert vor dem Dilemma der Beschreibung des Unbeschreibbaren. Dies verwundert, da diese ihm wichtige Thematik doch selbst die biblischen Sujets bestimmt und Hrdlicka in Christus »so etwas wie […] eine KZ-Figur sieht.«48 Jedoch befinden sich bereits auf der elften Radierung, Der panmilitärische Parasitenstaat (Abb. 17), sowie auf Blatt 28 (Abb. 18) Darstellungsansätze von Vernichtungslagern und Krematorien. Das entscheidende Blatt bezüglich dieser Thematik, das nicht nur an die Qualen der deutschen Widerständler, sondern auch an das Elend der Juden erinnert, ist allerdings Die christliche Vision des Hauptmanns Axel Freiherr von dem Bussche. Im folgen-

Abb. 17 Der panmilitärische Parasitenstaat

46

Text 7.

47

Karl Löwith: Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933,

48

Alfred Hrdlicka, in: AK Mauthausen: Sieben Künstler malen

Nr. 11; 432 x 501 mm; Ätzung auf Klischeezink; LEWIN III/1, 575

Ein Bericht, Stuttgart 1986, S. 1. Zeitgeschichte, Ausstellung v. 14. Juni bis 15. Nov. 1985, Mauthausen 1985, S. 39 [im Folgenden zit. als: AK Maut-

36

3. Thematische Übersicht über den Zyk lus

hausen 1985].

Abb. 18 Vom Todeskult zur Todesfabrik Nr. 28; 500 x 651 mm; Aquatinta geschabt, Kaltnadel und Wiegemesser auf Kupfer; LEWIN III/1, 592

den 4. Abschnitt wird die Untersuchung auf diese he­

sollen. Neben der Beschreibung und Charakterisierung

rausragende Radierung zu sprechen kommen.

der Formgestalt liegt der Schwerpunkt auf der inhaltli-

In den Kapiteln 5 bis 7 wird entschieden und umfassend

chen Relevanz dieser vier Radierungen. Die jeweiligen In-

auf drei weitere, bisher kaum angesprochene Blätter ein-

terpretationen werden unterschiedliche Perspektiven ein-

gegangen, die in ihrer Variabilität sowohl auf der bildne-

nehmen. Sie bemühen sich weniger um die Wahrung einer

rischen Ebene als auch in der Dimension des Sinngehalts

unverrückbaren Systematik, denn um eine Reflexion, was

den Reichtum des Zyklus exemplarisch veranschaulichen

für das Verständnis der jeweiligen Graphiken wichtig ist.

3. Thematische Übersicht über den Zyklus

37

Abb. 19 Die christliche Vision des Hauptmanns Axel Freiherr von dem Bussche Nr. 29; Ätzung, Direktätzung, Kaltnadel und geätztes Wiegemesser auf Kupfer; LEWIN III/1, 593575

4. Blatt 29: Die christliche Vision des Hauptmanns Axel Freiherr von dem Bussche

H

rdlicka variiert und synthetisiert auf dem 600 x

schaftliche Zugang zu einem Kunstwerk ist bereits eine

957 mm großen Blatt mehrere Möglichkeiten

Vorentscheidung, deren Berechtigung erst ausgewiesen

der Kupferplattenbearbeitung (Abb. 19). ­Geätzt

werden muss. »Schließlich sind Kunstwerke nicht ge-

wurden die Zeichnungen der Radiernadel und des Wie-

schaffen worden, um Objekte einer wissenschaftlichen

gemessers, dessen Spitzen normalerweise direkt ins

Untersuchung zu werden!«49

Metall gedrückt werden. In diesem Fall sind dadurch

Selbstverständlich kann das analytische Wissen um

die zarten Kratzspuren entstanden. Auch Direktätzun-

Genealogie und Funktionsprinzipien des gemachten

gen, die den nebligen Zonen auf der linken und rechten

Werkes den sinnlichen Lustgewinn, den »Kunstge-

Seite zugrunde liegen, können nachgewiesen werden.

nuss« steigern. Doch ist dieser hier angebracht, wäre

Zudem sind die dickeren und dunkleren Furchen der

er nicht zynisch? Würde der Betrachter im »reenacting«

­direkten Kaltnadel zu sehen, und zwar als isolierte Stri-

der Rezeption nicht zum sadistischen Wiederholungs-

che, als P ­ arallel- und Kreuzschraffuren. Sie sind das Er-

täter?

gebnis späterer Arbeitsschritte und dienen der Akzentsetzung.

Auch ein Künstler, der sich mit den Mitteln der »schönen Künste« dem Leid der Opfer widmet, sieht sich mit dem Vorwurf der Inadäquatheit seiner Herangehenswei-

Im Zuge dieser Ausführungen stellt sich die Frage, ob

se konfrontiert. Zu diesem Thema sagte Hrdlicka in ei-

eine solch nüchterne Beschreibung und Analyse der

nem Interview mit Hans-Dieter Schütt: »Die größte Pro-

Gestaltungsprinzipien dem Dargestellten gerecht wer-

vokation ist das Fremde. Und das Fremdeste an unserer

den kann bzw. inwieweit sie nötig ist, um anschließend

Realität ist doch die Schönheit. Deshalb muss das Grau-

adäquater fortzufahren. Wird hier Kunstwissenschaft

en, wo es dargestellt wird, auch schön sein. So funkti-

nicht schnell zum Gerede? Beziehungsweise inwiefern

oniert die Verstörung am besten. […] Grausamkeit

ähnelt die Rationalität, mit der in dieser Weise den dargestellten Grausamkeiten begegnet würde, dem Wesen der »instrumentellen Vernunft«, die auch zum Planen von Verbrechen verwendet werden kann? Der wissen-

49

Raphael Rosenberg: Einleitung, in: Clemens Fruh, Raphael Rosenberg, Hans-Peter Rosinski (Hg.): Kunstgeschichte – aber wie?, Berlin 1989, S. 7.

4. Blatt 29: Die christliche Vision ...

39

kann man durch Schönheit besser darstellen als durch

eine Bewegung ein, die schräg nach rechts, über die ge-

Unappetitlichkeit.«

waltsam Hingerichteten führt. Die toten bzw. sterben-

50

Der Künstler beabsichtigt, den Blick auch für diejeni-

den Menschen stehen, sitzen und liegen nicht – sie k­ nien

gen Phänomene zu schärfen, deren Vergegenwärtigung

gekrümmt, kauern nah am Boden oder wirken »wie

man meidet, da sie abstoßend wirken. Auch verstörende

hingeschmissen«. Der sich durch den aufrechten Gang

Realitäten sollen ins Bewusstsein rücken. Dafür ist es im

auszeichnende Mensch wird durch das verbrecherische

Rahmen der bildenden Kunst unabdingbar, dass der Be-

Geschehen verdinglicht zu einem Brocken Erde. Rudolf

trachter genau hinsieht. Nur in dieser Hinsicht, und nicht

Burger schrieb: »Für [die Nazis] waren die Leichen tat-

im Sinne einer selbstgefälligen Formanalytik, ist die vor-

sächlich bloß Objekte, die sie fabrikmäßig produzierten,

liegende Werkdeskription zu verstehen.

um sie anschließend ebenso fabrikmäßig zu kremieren: Zu entsorgender Abfall, der als lästig ›Vorhandenes‹ anfiel bei der industriellen ›Reinigung‹ des Volkes.«51

4 . 1 M a s s en h i n r i c h tun g i n der Ukr a i n e

Der in die rechte Ecke verweisende Fuß eines Opfers und der senkrechte Schatten heben den Blick wieder nach oben, wo der Zug einer Menschenmenge, unter dem sich auch Frauen und Kinder befinden, in der Bewe-

Den Sehvorgang initiiert die Erschießungsszene auf

gung von rechts nach links dargestellt ist. Somit ist der

der linken Seite der Graphik. Denn im Fokus der Auf-

Teufelskreis geschlossen. Der am Rand des Massengra-

merksamkeit steht zuerst eine nackte Figur mit der

bes stehende Soldat ist gerade im Begriff, den tödlichen

Ausdrucksgeste des Gekreuzigten. Behangen mit dem

Schuss abzufeuern.

»Eisernen Kreuz«, befindet sie sich mit verschatteten

Bezüglich der Handschrift ist zu beobachten, dass

Leichen und Sterbenden in einer Senke, die einen Er-

sich auf einigen Partien der Radierung diffizile Lini-

schießungsgraben darstellt. Kompositorisch fungiert

ennetzwerke konzentrieren, welche die graphische Ge-

diese Szene als Scharnier, welches das Geschehen ober-

genstandsbezeichnung durch formübergreifende Strich-

halb des Grubenrandes mit dem unteren verbindet. Da-

führung ergänzt und auflockert. Zum einen entstehen

mit wird der Betrachterblick im Kreis geführt: Beginnend

so Dunkelzonen, welche die Gesamtanlage insgesamt

bei dem die Pistole haltenden Arm des Soldaten, wird

rhythmisch verlebendigen. Zum anderen suggerieren

er über die senkrecht stehende Figur des dekorierten,

diese »Unklarheiten« Unbegreifbarkeit und Unfassbar-

nackten Mannes auf den Boden verwiesen. Dort setzt

keit – auch im wörtlichen Sinne.

50

Hans-Dieter Schütt: Stein des Anstoßes, Gespräche mit Alfred Hrdlicka, Berlin 1997, S. 132 [im Folgenden zit. als:

40

4. Blatt 29: Die christliche Vision ...

Hans-Dieter Schütt 1997].

51

Rudolf Burger: Die Aufhebung des Todes, in: Adolf Frohner (Hg.): Kopfschwere Erinnerungen, Dortmund 1997, S. 120.

4 .2 Ei n gebi lde te r Wider s tand

Es gab aber auch Männer mit Gewissen, einer davon war Hauptmann Axel von dem Bussche, der hochde-

Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die

korierte Frontoffizier und schon rein äußerlich arisch-

dargestellte Gebärde des gekreuzigten Christus. Die-

nordisches Idealbild war. Auf einer Dienstreise in die

se Ausdrucksgeste ist ambivalent: einerseits handelt es

Ukraine wurde er Augenzeuge einer Massenerschie-

sich um ein »Triumphalzeichen« , ein Symbol der Selbst-

ßung, und da es sich dabei auch um Kinder und Frauen

überwindung, des Sieges oder des Sich-Aufopferns

handelte, war ihm klar, daß es keine militärische Maß-

(sacrificium) für eine Idee. Andererseits stellt sie ein

nahme sein konnte. Er hätte vielleicht eine zeitweilige

Sinnbild dar für das Leid des Unterdrücktwerdens und

Unterbrechung der Massenhinrichtung erwirken kön-

für das Geopfertwerden (victima). Auf den ersten Blick

nen, aber da er wußte, daß es sich um allerhöchsten

scheint Hrdlickas Darstellung Ersterem zu entsprechen:

Befehl handelte, unternahm er praktisch nichts. Lange

Der Gesichtsausdruck des Mannes kündet nicht von

Zeit quälte er sich mit Selbstvorwürfen und dachte

den Qualen eines Martyriums, sondern vom Trotz des

nach, wie er in dieser Situation besser hätte verfahren

Wider­stands, von der antiautoritären Haltung der Rebel-

können und kam zu dem Schluß, es wäre am besten ge-

lion. Mit Respekt und Hochachtung fühlt der Betrachter

wesen, sich gleichfalls nackt ausgezogen den Henkern

sich daran erinnert, dass es Individuen gab, die in dieser

auszuliefern, um zu zeigen, daß vor Gott alle Menschen

dunklen Zeit ihren Kameraden eines zeigen wollten:

gleich sind.54

52

53

Entledigen wir uns unserer Uniformen, unserer sozialen und kulturellen Rollen, begegnen wir uns nackt, dann

Im Lichte dieser Erläuterung wandelt sich die Sicht auf

zeigt sich, dass wir alle im gleichen Sinne Menschen sind.

das Geschehen. Der Betrachter ist einer bewusst geleg-

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Hrdlicka

ten falschen Fährte gefolgt, wenn er an den »realen«

die Szene ikonographisch bestimmt:

Ereignishintergrund der Handlung des rebellischen Offiziers glaubte. Denn die nackte Gestalt hat sich im Zuge der Beschäftigung mit der Graphik als eine ironisch ins Bild gesetzte, phantastische Figur herauskristallisiert.

52

Vgl. zur Thematik Christian Walda: Der gekreuzigte Mensch im Werk von Alfred Hrdlicka, Unmittelbar anschauliche

53

Der Charakter des Imaginierten wird auch dadurch deutlich, dass vereinzelt Köpfe ohne Körper auftauchen, ver-

Intersubjektivität durch Leiblichkeit in der Kunst, Wien/

kehrt herum, wie aus dem Nichts. Die idealistische Ges-

Köln/Weimar 2007.

te fand also nie statt. An der Radikalität eines solchen,

Vgl. Ursula Harter: Geschunden, gehäutet, zu Tode ge-

symbolisch gemeinten, Opferganges fehlte es vielen

arbeitet, in: AK Frankfurt: Alfred Hrdlicka – Skulpturen, Zeichnungen, Druckgraphik, 1945–1997, hg. v. Klaus Klemp

Widerständlern.

u. Peter Weiermair, Ausstellung im Kunstverein Frankfurt, Zürich 1997, S. 53 [im Folgenden zit. als: AK Frankfurt 1997].

54

Text 29.

4. Blatt 29: Die christliche Vision ...

41

Im Sinne Hrdlickas erklärt sich das Scheitern des Wi-

Die Radierung Die christliche Vision ehrt nicht die

derstands nicht zuletzt durch einen immer wieder ge-

Erhebung des 20. Juli, sondern holt sie vom Sockel: zu

stalteten Befund, den Walter Schurian wie folgt reflek-

vieles blieb Überlegung und Hoffnung, einer Vision ver-

tierte: »Wenn es der einzelne nicht körperlich erfährt,

haftet, anstatt Wirklichkeit zu werden. Sie war geprägt

was ihn wie unterdrückt, und es körperlich nicht will,

von Opportunisten, von hohen Offizieren, die bereits

daß sich etwas ändert, dann wird sich nichts ändern.

1914 bis 1918 töteten. Beherrscht von Unentschlossen-

Das Ideologische geht dem Körperlichen nicht voran, es

heit und der Last des Fahneneids, konnte sich im ange-

folgt ihm nach.« Den meist adligen hohen Militärs, die

passten Gehorsamsdenken die Trägheit des Herzens

sich zum Teil Zugang zu Hitler hätten verschaffen kön-

einrichten, während sich in und um Deutschland herum

nen, um ihn zu töten, ging es gut. Ihnen wurden Aner-

die Leichen türmten. Hrdlicka schrieb: »Der Zyklus zum

kennung und Ehre zuteil. Niemand von ihnen stand im

20. Juli ist bei allem Respekt für jene Männer, die es

Erschießungsgraben. Die Bereitschaft zur Auflehnung

wagten, sich gegen ein barbarisches Regime zu erhe-

– im Zuge derer man möglicherweise das eigene Le-

ben, nicht als verspätete Heldenehrung gedacht, er ist

ben aufs Spiel setzen muss – wächst mit der leiblichen

vielmehr eine Warnung vor falschen Leitbildern. Selbst

Erfahrung von repressiven Verhältnissen, sofern keine

Stauffenberg und seine Freunde waren lange Zeit der

religiösen Kompensationsgedanken bereitstehen wie

Ansicht, das deutsche Wesen werde an der militärischen

die Aussicht auf eine Heimkehr zu Gott oder die Mög-

Disziplin genesen.«57

55

56

lichkeit, sich als Märtyrer zu profilieren. In gewisser Weise wird diese Überlegung durch die Tatsache gestützt, dass ausgerechnet der durch schwere Verwundungen beeinträchtigte Graf von Stauffenberg zum Bombenleger wurde: Ihm fehlte nicht nur das linke Auge, sondern auch die rechte Hand und zwei Finger seiner Linken.

57

Text 6. Interessant ist in diesem Zusammenhang die biographische Differenz zwischen Reichsmarschall Hermann

42

4. Blatt 29: Die christliche Vision ...

55

Walter Schurian 1988, S. 7.

Göring und seinem Bruder und Zivilisten Albert. Letzterer

56

Die Tatsache, dass die Wehrmachts-Offiziere dem NS-

soll sich in Wien in einer Solidaritätsbekundung auf allen

Regime ihre Karriere verdankten, trug zu ihrer Loyalität

vieren jüdischen Frauen angeschlossen haben, die zum

bei. Vgl. Hürter, Johannes: Hitlers Heerführer, Die deut-

Waschen der Straße gezwungen wurden. Auch dass Albert

schen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion

Göring einigen Juden durch vermittelnde Tätigkeit das

1941/1942, Oldenburg 2007; Neitzel, Sönke: Abgehört,

Leben gerettet hat, ist inzwischen bekannt. Vgl. William

Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft

Hastings Burke: Hermanns Bruder: Wer war Albert Göring?,

1942–1945, Berlin 2005.

Berlin 2012.

Doch woher rührt das entindividualisierende Prinzip des Militarismus, das jeden Aufstand des Gewissens im Keim erstickt und sich in der Parole Heinrich Lerschs von 1914 spiegelt: »Deutschland muß leben und wenn wir sterben müssen«? Der Spruch wurde in der Nazizeit besonders für Krieger-Denkmäler mit feierndem und revanchistischem Charakter verwendet. Er stammt aus dem Gedicht »Soldatenabschied«.58 Die im folgenden Abschnitt thematisierte Radierung, welche ihrerseits früh in der Reihung des Zyklus platziert ist, gibt eine Richtung an, der nachzuspüren sich lohnt. Dabei sei vorausgesetzt, dass keiner der vorgestellten Verstehensansätze eine monokausale Erklärung zu leisten beansprucht.

58

Vgl. zum Kontext Dietrich Schubert: »Ehrenhalle« für 500 Tote (1932–1933), in: Heidelberger Denkmäler 1788–1981, Heidelberg 1982, S. 78–83.

4. Blatt 29: Die christliche Vision ...

43

Abb. 20 Die Selbstendlösung (Otto Weininger); Nr. 4; Ätzung und Roulette auf Kupfer; LEWIN III/1, 568

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung (Otto Weininger)

M

it dem Plattenmaß von 501 x 700 mm gehört

Hrdlicka typische Studienblatt-Darstellungsmethode mit

die Radierung Die Selbstendlösung zu den

ihrer skizzenhaften Anlage ins Auge. Der Charakter des

größeren innerhalb des Zyklus (Abb. 20). Als

Flüchtigen und Fragmentarischen verhält sich wiede­rum

Druckstock diente eine Kupferplatte. Bearbeitet wurde

kontradiktorisch zu dem Kalkül, das benötigt wird, um

der Ätzgrund mit Radiernadel und Roulette. Die hellen

auf dem 70 cm breiten Blatt Hell- und Dunkelwerte so zu

Flecken auf der rechten Seite deuten auf Spuren der

setzen, dass kein Ungleichgewicht entsteht. Das rhyth-

säurebeständigen Firnisschicht hin, die durch die Arbeit

mische Grundmuster im Sinne eines »Generalbasses«

59

auf der Plattenrückseite entstanden sind. Es existieren

wird im linken unteren Eck eingeführt: Strichärmere, hel-

auch »saubere« Abzüge.60

le, und strichreichere, dunkle, Quadrate erinnern an ein Schachbrett. Dabei sei an Hrdlickas Sentenz gedacht: »Auf meinen Graphiken gibt es immer die ›manische

5.1 Ko p fg ebur te n in de r St ud ierst ube

Ecke‹, von der aus ich ein Blatt entwickle.«61 Dieses Wechselspiel von lichten Hebungen und verschatteten Senkungen verläuft von links nach rechts. So entsteht der Eindruck von Zellen und Waben. Organische Formen

Trotz impulsiver Heftigkeit der Nadelführung, die sich in

schälen sich im Prozess der Betrachtung heraus: hier ein

einem Kreuz und Quer von Strichen manifestiert, behält

Fuß, dort ein Ohr und eine Hand, viele Gesichter. Links

Hrdlicka die als Ausdrucksträger fungierenden Physiog-

des Zentrums verharrt der Blick bei einer im Profil ge-

nomien im Blick. Die räumliche Unklarheit und das

zeichneten Figur, die mit angewinkelten Knien auf dem

scheinbare Fehlen eines Bildeinstiegs erschweren es al-

Boden sitzt. Oberhalb des Knies blickt uns ein weiteres,

lerdings dem Betrachter, sich im fiktionalen Raum der

animalisch anmutendes Gesicht mit verstörtem Aus-

Graphik zu orientieren. Stattdessen springt die für

druck an. Rechts davon steht eine Frau, die sich

59

61

Köln bei Nacht, LEWIN III/1, 589.

60 Siehe LEWIN III/1, 568.

Alfred Hrdlicka: Fragen und Antworten zur Technik, in: Schaustellungen 1984, S. 61.

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

45

modifizierter Haltung und Grö�������������������������� ße������������������������ , gezeichnet ist. Jedenfalls scheint diese ver-rückt synthetisierte Figur aus der Radierung – und aus der Wirklichkeit? – herauszutaumeln, um gleichsam in sie zurückzustürzen – bzw. um Weiningers Biographie aufzugreifen: um mit einer Kugel im Herzen den Tod zu finden. Die schachbrettartige Gliederung der Graphik könnte sich zwar auch vor einem monochromen Hintergrund entfalten, in diesem Fall indes verhält es sich anders: auffallend ist die Quadrierung des gesamten Querformats, die der weiteren Ausgestaltung zugrunde liegt und das Blatt in 140 gleich große Quadrate teilt. In Hrdlickas Œuvre erscheint diese Struktur zum ersten

Abb. 21 Die Nachtwache, 1968–1971

Mal 1968 auf der Graphik Die Nachtwache (Abb. 21). Hier

Zyklus »Randolectil«; 500 x 601 mm; V. Zustand; Ätzung,

erfüllt das Quadratnetz seine ursprüngliche Funktion. Es

Kaltnadel, Stichel, Roulette, Polierstahl, Mezzotinto, ­Mezzotinto geschabt und Schmirgelpapier auf Kupfer;

Abb. 22 Hommage à Barbara/Schachbrett (Die Dame), 1978

­LEWIN III/1, 304

Zyklus »������������������������������������������������ ������������������������������������������������� Schach������������������������������������������ «����������������������������������������� ; 500 x 497 mm; Ätzung, Kaltnadel, Wiegemesser, Mezzotinto, Roulette auf Kupfer; LEWIN III/2, 755

dient als orientierendes Hilfsraster für die RembrandtParaphrase. Im Weininger-Blatt oder auch im SchachZyklus verselbstständigt sich diese Form (Abb. 22). Mit der kaleidoskopischen Flächengliederung und den gleitenden Proportionen������������������������� hängt untrennbar ������� die un-

46

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

aufgrund der Größenverhältnisse tiefer im suggerierten

gewöhnliche Raumsituation zusammen. Die traditionel-

Bildraum befindet. Auf diese Weise ließe sich die Be-

le Vorstellung, dass das in der Regel rechteckige Bild-

schreibung fortsetzen, ein Detail nach dem anderen er-

format einen einheitlichen, durch die perspektivische

kennend und dabei kaum zu einem Abschluss oder einer

Darstellung suggerierten empirischen Raum vermitteln

Ordnung findend.

müsse, ist aufgekündigt. Hrdlickas Alternative jedoch

Als gravitierten die Massen, werden in der Höhe

besteht weder darin, auf die zweidimensionale Gestal-

nur zwei Drittel des Blattes gestaltet. Die obere Zone

tung der Fläche zurückzugreifen, wie sie in der »Moder-

des Formats bleibt weitgehend leer. Die biomorphen

ne« von Cézanne und Gauguin eingeführt wurde, noch

Wucherungen kulminieren in einer aufrechten, männli-

versucht er, einheitlich Gegebenes mit formsystema-

chen Gestalt am rechten Rand der Radierung. Doch ist

tischer Strenge kubistisch zu zersplittern. Sein Ansatz

diese tatsächlich ganzfigurig gegeben? Der Kopf mit

ist der einer Pluralisierung der Räumlichkeit: man kann

den längeren Haaren könnte ebenso zu der knienden

von gleitender Räumlichkeit und Zeitlichkeit sprechen.

weiblichen Gestalt gehören, die in drei Varianten, mit

Das Format einer Zeichnung oder eines Gemäldes muss

keineswegs ausschließlich einen Bildraum eröffnen. Das

5 . 2 Üb er tr a gen er S el b s th a s s

Bild auf der Netzhaut bzw. die Abbildung einer Fotografie sind in dieser Hinsicht nicht maßgeblich. In der

Dem folgenden Kapitel, das eine Interpretation der

materialgebundenen Geometrie der einen Fläche, auf

Graphik Nr. 4 versucht, sei ein aufschlussreiches Brief-

der gezeichnet wird, können auch mehrere fiktive Räu-

zitat Weiningers vom 3. April 1902 vorangestellt. Dieser

me gestaltet werden. Mit dieser Methode nähert sich

spricht darin zunächst über sich selbst – doch wecken

Hrdlicka der ursprünglichen Vermittlungsinstanz des

die Worte gleichsam Assoziationen an ein in den Unter-

Wirklichen an – dem Bewusstsein: »Hrdlicka hat einen

gang marschierendes Volk der Dichter und Denker:

unstillbaren Hunger nach Wirklichkeit. Doch er bildet sie nie ab oder nach. Er zeigt sie, wie sie in sein Bewusst-

Der Künstler liebt immer nur sich selbst; der Philosoph

sein eindringt, wie sich Beobachtung neben Beobach-

haßt sich selbst. Durch das geringste Zeichen von Lie-

tung schiebt und sie überlagert, wie sich Detail an De-

be und Respekt wird im Künstler eine verklärte Liebe

tail drängt, Einzelheit mit Einzelheit verknüpft, schärfer

geschaffen, während der Philosoph als solcher niemals

wird oder verschwimmt.«

geliebt wird. Aber ist man unverstanden und dennoch

62

Festzuhalten ist, dass die klassische Einheit von Ort,

geliebt, so wird man hart, hart bis zum Selbstmitleid!

Zeit und Handlung aufgebrochen wird und damit offen,

Diese ganze Selbstprüfung ist eine für den Sich-selbst-

stellenweise auch unklar bleibt. Irreführend ist die An-

Hassenden typische Erscheinung. […] Ein Philosoph:

nahme, der Betrachter habe die Aufgabe, die Splitter

[…] Eine wild verzweifelte Geschäftigkeit, ein langsam-

erst zu komponieren und sie zum »richtigen« Bild zu-

furchtsam Erkennen in der Finsternis, ein ewiges Zu-

sammenzusetzen. Es gibt in diesem Fall kein der Empi-

rechtstellen der Dinge – […].63

rie folgendes Gesamtmuster. Die Darstellung knüpft an Hrdlickas Zyklus »Randolectil« an. Sie kann folglich sogar

Das pseudophilosophische System von Weiningers

als »Einschleichversuch« in das psychotische Bewusst-

überarbeiteter Dissertation »Geschlecht und Charakter«

sein verstanden werden. Das heißt reale und halluzinier-

entfaltet eine krude »Sexualmathematik«. Frauen und

te Gegenstände, sichtbare und unsichtbare Wirklich-

Männer seien nicht wirklich existent, sondern nur eine

keiten vereinigen sich auf dem Blatt und sind darüber

männliche und eine weibliche Substanz. Die idealen Ty-

hinaus mit Visionen oder Querverweisen des Künstlers

pen »M« und »W« enthalte jeder Mensch in unterschied-

verwoben. 63

Zit. nach: Jacques LeRider: Der Fall Otto Weininger – Wurzeln des Antifeminismus und Antisemitismus [Le cas Otto Weininger – Racines de l’antiféminisme et de l’antisémitisme, Paris 1982], übers. v. Dieter Hornig, Wien/

62

Wieland Schmied: Alfred Hrdlicka will gelesen werden, in:

München 1985, S. 38 [im Folgenden zit. als: Jacques LeRider

Alfred Hrdlicka – Graphik – 1973, S. 86.

1985], dank freundlichem Hinweis von D. Schubert.

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

47

Abb. 23 Variante zu: »Die Selbstendlösung (Otto Weininger)«, 1974, 331 x 499 mm; Ätzung und Kaltnadel auf Kupfer; LEWIN III/2, 620

lichem Mischverhältnis (xM + yW).64 Die Qualität W

phik ist, dass Hrdlicka sich nicht um ein abbildendes Por-

bedeute reine Materie, Sexualität und Fortpflanzungs-

trät bzw. um eine biographische Studie der konkreten

trieb; M beinhalte darüber hinaus Form, Seele, Geist

Person Otto Weininger bemüht. Das Blatt vermeidet of-

und Intuition. Am Ende setzt Weininger den Charakter

fensichtliche Identifizierungen: Weininger trug eine Bril-

der Juden mit dem der Frauen gleich und untersucht

le, kurz geschnittenes Haar und einen Oberlippenbart.

dabei das Problem der Sklaverei: je mehr die weibliche

Auch eignet sich, anders als sprachlich argumentierende

Komponente dominiere, desto geistferner und minder-

Texte, die darstellende bildende Kunst für individuelle

wertiger sei das entsprechende Individuum. Denn »das

Charakterstudien nur bedingt. Zudem hat das Subjekt

absolute Weib hat kein Ich.«65

Otto Weininger mit dem »Nationalsozialismus« und dem

Im sexistischen Antifeminismus und rassistischen An-

Offiziersaufstand lediglich indirekt etwas zu tun. Es kann

tisemitismus des Weltanschauungs-Philosophen sieht

Hrdlicka also nur um ein grundsätzliches psychologi-

Freud einen »Kastrationskomplex«.

Hrdlicka dürfte in

sches Phänomen gehen, das sich in Weiningers Person

der von Weininger indirekt bekundeten Angst vor der

und Werk manifestiert. Dargestellt in der mitunter phi-

Übermächtigkeit der Weiblichkeit – zurückzuführen auf

losophischen Ausdrucksform der bildenden Kunst – die

Weiningers Mutter – und vor dem eigenen weib­lichen

eine Wahrheits-Erfahrung wie die Wissenschaft sein

Doppelgänger nicht nur ein Symptom der Epoche des

kann67 – versucht die Interpretation, dieses Phänomen

Fin de Siècle gesehen haben. Weiningers Schrecken an-

zu bergen.

66

gesichts der körperlichen Präsenz der eigenen Sexualität

In methodischer Hinsicht bleibt zu betonen, dass

(vgl. die Variante zu 4, Abb. 23) und seine puritanische Ge-

sich die vorliegende Arbeit nicht zum illusorischen Ziel

genbewegung sind für Hrdlicka noch aufschlussreicher.

setzt, den an die künstlerische Form gebundenen Gehalt

Weiningers Flucht vor dem Chaos der Leiblichkeit im

des Kunstwerks in Sprache übersetzen zu können. Das

Rückzug auf Sittlichkeit und Diszi­plin ebenso wie die

sprachlich verfasste Werk-Verstehen indes wird sich im

selbstpeinigende Verzweiflung daran werden im Folgen-

Vollzug seiner Auslegungsarbeit immer an Begriffen ori-

den als relevante Aspekte für die Problematisierung des

entieren müssen. Aufgabe des hermeneutisch interes-

Militarismus im Zyklus »Wie ein T ­ otentanz« thematisiert.

sierten Kunsthistorikers ist es, Worte zu finden, die sich

Der vereinsamte »Wagnerianer« Weininger erschoss

an das bildlich vergegenwärtigte Phänomen möglichst

sich schließlich – konsequenterweise? – im Alter von nur

ähnlich anzunähern wissen.68

23 Jahren am 4. Oktober 1903 in Beethovens Sterbehaus

Dabei geht es in diesem Abschnitt nicht um eine In-

in Wien. Entscheidend für eine Interpretation der Gra-

terpretation im eigentlichen Sinne, sondern um den methodischen Versuch, der Graphik Gedankengänge

64 48

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

Vgl. Jacques LeRider 1985, S. 65 u. 67.

65

Zit. nach: ebd., S. 186.

67 Vgl. Hans-Georg-Gadamer 1986, S. 2.

66

Vgl. ebd., S. 11.

68

Vgl. ebd.

beizustellen, die eine ergänzende Funktion überneh-

Verbrecher an Familie, Kinder-Zeugung, idyllische Hei-

men. Sie wollen den Sinngehalt der Radierung indirekt

mat und philiströse Moral war gelebter Selbstbetrug

stärker zum Vorschein bringen. Diese komplementäre

und ging mit einer »Stählung« des Gewissens einher.

Begriffs-Bestimmung leistet vertiefende Dienste, wo das

Uniforme Disziplinierungen und das Diktat des »Kada-

sprachlich unterbestimmte Kunst-Sehen im Sinne eines

vergehorsams« bedeuten immer auch einen zermürben-

ganzheitlichen Aufnehmens künstlerisch dargestellter

den »Krieg nach innen«, sind Formen der Selbstkastei-

Gehalte konsequenterweise nicht sprechen kann.

ung: »Du bist nichts, dein Volk ist alles.«

Nicht von ungefähr behandelt Hrdlicka in seinem um-

tiert: »Ich würde dem Deutschen Volk keine Träne nach-

fangreichen Zyklus zum deutschen Faschismus und zum

weinen«, dann deshalb, weil Hrdlicka der Auffassung ist:

Zweiten Weltkrieg Themen, die um den Kampf nach

»Was die Nazis vor allem aber auszeichnet, [ist,] daß ihr

innen kreisen: Im Zentrum stehen die Entmachtung

Vernichtungswahn bis zur Selbstschädigung gegangen

der SA mittels umfangreicher Erschießungslisten, der

ist«,71 bzw. bis zur radikalen Selbstauslöschung. Freuds

Arbeits­aufwand eines gigantischen bürokratischen Ver-

Begriff »Todestrieb« wird hier evident. Damit ist der

waltungsapparates, welcher Ahnenforschung für die

Zugang zum psychologisch-philosophischen Gehalt der

gesamte Zivilbevölkerung betreibt und zu unermess­

Graphik über den misogynen Antisemiten Otto Weini-

lichem Selektions-Terror der Gestapo im eigenen Land

ger, d. h. zu dessen »krankhafte[m] Selbsthass«72 be-

führte, sowie die paranoide Massenvernichtung von

reitet. Den kaleidoskopartig aufflackernden, animalisch

verdächtigen Offizieren und Zivilisten nach dem 20. Juli.

anmutenden Figuren ist die nach innen gerichtete Grau-

Auch den selbst militärisch gesehen überflüssigen

samkeit der psychischen Selbstzerfleischung im wahrs-

»Kinderkreuzzug in den Straßen Berlins«69 während

ten Sinne des Wortes ins Gesicht geschrieben. Als hätte

der letzten Tage eines längst verlorenen Krieges greift

er Hrdlickas Graphik gesehen, schrieb Jean Améry 1976:

Wenn Hrdlicka in Text 23 Hitler mit den Worten zi-

Hrdlicka auf. Die vielen nazistischen Mitläufer des »Dritten Reiches« waren keine blonden Bestien, die seelisch

Aber man vergegenwärtige sich nun den 23jährigen

befreit ihre Natürlichkeit zur Geltung brachten. Das »na-

Otto Weininger, der vor sich hin starrt und in dessen

tionalsozialistische« System war in seiner politischen

zum Tode erregten Hirn sich immer nur das Weib spie-

Radikalität und seinen sozialdarwinistischen Theorie-

gelt, das er verachtet, ohne seines Begehrens nach ihm

Absurditäten trotz allem ein institutionsgebundenes

Meister werden zu können; der stets nur den Juden

»Zivilisationsprojekt«.70 Die Bindung der pflichtgetreuen

sieht, das schimpflichste, niedrigste aller Geschöpfe,

69

Text 51.

70

Der Begriff »Zivilisationsbruch« des Historikers Dan Diner ist also problematisch.

71

Alfred Hrdlicka, in AK Mauthausen 1985, S. 40. Ergänzung

72

Text 4.

und Kursiv-Setzung durch den Verfasser. 5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

49

den Juden, der er selber ist. Vielleicht war es ihm, als

verlernt worden, da sie insbesondere durch die christ­

befände er sich in einem schmalen Raum, dessen Wän-

liche Moral einer konsequenten Abwertung unterzogen

de immer enger zusammenrücken. Dabei wurde sein

wurde. Für den Diagnostiker Nietzsche bedeutet diese

Kopf größer, wie ein Ballon, den man aufbläst, und zu-

»Verinnerlichung des Menschen«74 in den Einfriedungen

gleich immer dünner. Der Kopf schlägt an alle vier ein-

der platonisch-christlichen Kultur eine Grundbedingung

ander unerbittlich sich n���������������������������� ä��������������������������� hernden Mauern. Jede Berüh-

des kränkelnden modernen Bürgers. Er analysiert die

rung schmerzt und hallt wider, wie der Schlag auf eine

verschiedensten »Typen«, welche zeigen sollen, wie der

Kesselpauke. Am Ende trommelt der nach allen Rich-

hypertrophe Mensch der Moderne an sich selbst leidet

tungen rennende Weininger-Schädel einen rasenden

– bzw. sich leiden macht und immerzu außer sich gerät,

Wirbel – bis er. Bis er zerspringt oder »durch die Wand

will er zu sich kommen. In der Verinnerlichung75 des Men-

fährt«, sagen jene, die außerhalb des Raumes stehen

schen sieht Nietzsche die Abstinenz elementarer Lebens-

und ihn beobachten. […] Weininger wußte nichts von

vollzüge: Die ursprünglichen Daseinsweisen werden als

einem »suizidären Verhalten«. Er sah und hörte […]

unrein, stofflich, tierisch, vergänglich, oberflächlich und

ohne Unterbrechung: Weib, Jude, Ich, weg mit allem.

triebhaft abgewertet und unterdrückt. Doch »die Phy-

73

sis fällt dem Geist höchst unzimperlich in den Rücken, Diese Schilderungen richten die Aufmerksamkeit auf je-

sobald er ihr hochmütig zu entkommen versucht«.76

nen Begriff der nach innen gewendeten »Grausamkeit«.

Denn die dadurch provozierte zivilisatorische Unlust und

Angesichts ihrer strukturellen Übertragbarkeit und in-

Müdigkeit, die melancholischen und depressiven Hem-

haltlichen Reichweite gelingt es dieser Thematik, das

mungsgefühle77 verlangen nach Betäubung. Das eigene

Verstehen von Hrdlickas Graphik maßgeblich zu berei-

Leiden steht einem permanent im Weg. Dabei ist nicht

chern. Entscheidende Einsichten zu diesem Thema trug

das Leiden selbst das Unerträgliche, sondern letztlich die

erstmals Friedrich Nietzsche vor.

Sinnlosigkeit des Leidens. Dieser Not soll das asketische

Für Nietzsche bedeutet der Wille zur Macht als die Lust an den eigenen Wirkkräften eine Beförderung des

74

Friedrich Nietzsche: Zur Genealogie der Moral, Zweite Ab-

Lebenswillens. Das zu tun, was wir wollen und können,

handlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwand-

entspricht der natürlichen Motivation des Menschen,

tes, Abschnitt 16, KSA Bd. 5, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München 2007, S. 322 [im Folgenden zit. als:

die Energien des Lebens zu steigern. Unter Umständen gehört dazu auch die nach außen gerichtete Grausam-

GM, II 16, S. 322]. 75

keit. Die Bejahung der individuellen Gestaltungskräfte sei im Zuge der »Kultivierung« des Abendlandes indes

Zur Kritik der Innerlichkeit vgl. Gerhard Sauder: Zur Kontinuität von ›Innerlichkeit‹ in der deutschen Selbstreflexion, München 1985, S. 249–264.

76

Karl Diemer: Alfred Hrdlickas Beitrag zur Kunsttheorie des 20. Jahrhunderts, in: Alfred Hrdlicka – Graphik – 1973, S. 102.

73 50

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

Jean Améry: Hand an sich legen – Diskurs über den Freitod [1976], Stuttgart 1994, S. 15 f.

77 Vgl. GM, Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 17, S. 378.

Ideal begegnen. Es kann auf alles Verzicht geleistet wer-

bis dorthin, wo er anfängt [...].«82 Nietzsche spielt dabei

den, sogar auf das eigene Leben, wenn dadurch zumin-

auf Schopenhauer sowie Platon an und den moralischen

dest Sinn herrscht, ein Sinn heraufbeschworen wird.78

Gedanken der Buße, der Umkehr, des Weges heraus aus

Asketische Ideale füllen die Lücke des melancholischen

der scheinbaren Höhle des irdischen Daseins. Er versucht

Unbefriedigtseins. Sie bekämpfen den horror vacui, denn

einen anderen Standpunkt einzunehmen:

sie verführen durch Ziele, die den trügerischen, nie Halt machenden, schön-hässlichen, aber sinnfreien Lebens-

Von einem fernen Gestirn aus gelesen, würde vielleicht

strom mit all seiner Blöße einkleiden und dadurch trans­

die Majuskel-Schrift unseres Erden-Daseins zu dem

zendieren. Das Fundament jedes asketischen Ideals ist

Schluss verführen, die Erde sei der eigentlich asketi-

der bejahende Glaube an »eine andre Welt als die des

sche Stern, ein Winkel missvergnügter, hochmüthiger

Lebens, der Natur und der Geschichte«.79 Dieses Funda-

und widriger Geschöpfe, die einen tiefen Verdruss an

ment fußt auf zwei tragenden Säulen: der Überschätzung

sich, an der Erde, an allem Leben gar nicht loswürden

der Wahrheit und dem Leiden an einer Verarmung des Le-

und sich selber so viel Wehe thäten als möglich, aus

bens. Folglich resümiert Nietzsche, dass die durch das

Vergnügen am Wehethun: – wahrscheinlich ihrem ein-

Christentum in die Welt gekommenen asketischen Idea-

zigen Vergnügen.83

80

le in ihrer Konsequenz »einen Willen zum Nichts, einen Widerwillen gegen das Leben« bedeuten.81 Die Götzen

An diesem Punkt stellt sich die Frage, woran Nietzsche

der asketischen Ideale – Wahrhaftigkeit, Wahrheit, Ob-

diesen Asketismus inhaltlich festmacht. In der »Genea-

jektivität, Allgemeinheit, Extremgefühle, Mitleiden – sie

logie der Moral« entfaltet er einen Katalog von »Hei-

können uns auch schaden. Sie »entselbsten« und »ent-

lungsversuchen« und »Trost-Medikationen«, die aller-

sinnlichen« uns. »Der Asket behandelt das Leben wie

dings nur mildernde und ablenkende Funktion haben.

einen Irrweg, den man endlich rückwärts gehen müsse,

Und obwohl sie eigentlich nur Erleichterung verschaffen wollen, verlangen die oftmals grausamen Mittelchen im Kampfe mit der Unlust ein »rigoröse[s] training«84 ab und fordern die konditionsstarke Konstitution der »sportsmen«.85 Das wirkungsstärkste Mittel dieses Narkotisierungsstrebens – andere Methoden seien Religion und Moral,

78 Vgl. GM, III 28, S. 411.

82

79

GM, III 24, S. 400.

83

GM, III 11, S. 362. Ebd., S. 362.

80

GM, III 25, S. 402 f.

84

GM, III 17, S. 379.

81

GM, III 28, S. 412.

85

Ebd., S. 379.

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

51

Arbeitssucht, mitleidende Barmherzigkeit sowie die

mer, schwächer, filigraner. Oder sie führen zu Epilep­

Heerdenbildung – sieht Nietzsche in der »Ausschweifung

sien, chronischer Depression, somnambulen Hysterien,

des Gefühls«: der Wahnsinn, die nach innen gerichtete

todes­ süchtigem Fieberwahn und zerstörungswütigen

Grausamkeit, die Grausamkeit gegen sich selbst sei –

Affektwechseln.88

wie das Pharmazeutikum »Randolectil« – in letzter Konsequenz selbst schon ein Beruhigungsmittel. Löse sich

Zum Leiden im Sinne sadistischer und masochistischer Grausamkeit schrieb Nietzsche:

die menschliche Seele aus allen ihren Fugen und wandle sich in ein amorphes Gespinst, so werde damit erreicht,

Man soll über die Grausamkeit umlernen und die

dass das Elend der bleiernen Traurigkeit vorübergehend

Augen aufmachen; [...] Fast Alles, was wir »höhere

gebannt ist. »Ich leide: daran muss Jemand schuld sein«,

Cultur« nennen, beruht auf der Vergeistigung und

denke sich der Leidende und baue sich seine Gründe –

Vertiefung der Grausamkeit – dies ist mein Satz; [...]

denn Gründe erleichtern: »überall die Vergangenheit

Dabei muss man freilich die tölpelhafte Psychologie

zurückgekäut, die That verdreht, das ›grüne Auge‹ für

von Ehedem davon jagen, welche von der Grausam-

alles Thun; überall das zum Lebensinhalt gemachte

keit nur zu lehren wusste, dass sie beim Anblicke

Missverstehen-Wollen des Leidens, dessen Umdeutung

fremden Leides entstünde: es giebt einen reichlichen,

in Schuld-, Furcht- und Strafgefühle [...].« So sucht sich

überreichlichen Genuss auch am eigenen Leiden, am

nach Nietzsche der Leidende seinen Täter. Findet ihn

eigenen Sich-leiden-machen, – und wo nur der Mensch

in sich selbst oder im Nächsten und rächt sich an die-

zur Selbst-Verleugnung im religiösen Sinne oder zur

sem Schuldigen und Sündigen maßlos-furchtbar oder

Selbstverstümmelung, wie bei Phöniziern und Asketen,

geistig-giftig. Denn »die Affekt-Entladung ist der gröss-

oder überhaupt zur Entsinnlichung, Entfleischung, Zer-

te Erleichterungs- nämlich Betäubungs-Versuch des Lei-

knirschung [...] sich überreden lässt, da wird er heim-

denden, sein unwillkürlich begehrtes Narcoticum gegen

lich durch seine Grausamkeit gelockt und vorwärts

Qual irgend welcher Art«.87

gedrängt, jene gefährlichen Schauder der gegen sich

86

Nietzsche erinnert daran, dass all diese Exzesse, die

selbst gewendeten Grausamkeit.89

freilich unter heiligen und moralischen Namen und Zwecken firmieren und beispielsweise Tugenden hei-

Die in diesem Abschnitt zusammengefassten Analy-

ßen, allenfalls dazu dienen, die Unlust des Leidenden

sen Nietzsches vermitteln eine Vorstellung davon, was

zu bekämpfen. Die Ursache, das eigentliche Kranksein, werde dabei nicht tangiert. Und wenn doch, dann machen diese Remeduren den Kranken nur kränker: zah-

88 Vgl. GM, III 17, S. 377. u. III 29, S. 389 u. III 21, S. 391 f. 89

Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, Siebentes Hauptstück: unsere Tugenden, Abschnitt 229, KSA Bd. 5,

52

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

86

GM, III 20, S. 390.

München 2007, S. 165 f. [im Folgenden zit. als: JGB, VII 229,

87

GM, III 15, S. 374.

S. 165 f.].

Weininger im Kontext des Zyklus verkörpert: nämlich

Weiningers Interpret Jacques LeRider bemerkte: »Weinin-

die Gefahren eines verinnerlichten Selbsthasses. Wie

ger, der genauso wie Nietzsche die Verdorbenheit seiner

das Beispiel Weininger zeigt und Nietzsche erkannte,

Zeit und die Entartung des Menschengeschlechts verur-

kann dieser Hass schnell umschlagen in Größenwahn,

teilt, führt mit seiner rigoristischen Moral, puritanischen

manische Radikaliät und Rigorosität. Diese drei Prinzipi-

Religiosität und idealistischen Metaphysik genau das wie-

en greift Hrdlicka immer wieder auf und verknüpft sie

der ein, [was Nietzsche überwinden will].«91 Exakt diese

mit der faschistischen »Endlösung«. Folgt man diesen

Erkenntnis findet in Hrdlickas Blatt 4 Die Selbstendlösung

Überlegungen, so lautet die These: Auch das von den

(Otto Weininger) ihre eindrucksvolle graphische Umset-

Nazis verübte Grauen weist Spuren eines kollektiven

zung und Vergegenwärtigung.

Betäubungsversuches auf. Es zeigt die »Ausschweifung des Gefühls« einer im Grunde kranken »Volksseele«. Die »deutsche Identität« war schon im wilhelminischen Kaiserreich fragil: Spät erst zu einem Nationalstaat zusammengefunden, waren die Nachbarländer ihm in allen Belangen voraus. Sie hatten eine lange Geschichte, eine richtige Revolution, zum Teil Demokratie, viele Kolonien und eine überlegene Marine. Der Erste Weltkrieg ging verloren und es folgte die Demütigung durch den »Versailler Vertrag«. Die Besonderheit des Weininger-Blattes im Kontext des Zyklus »Wie ein Totentanz« liegt nicht zuletzt darin, dass Gedanken über die Zusammenhänge von Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn zusammenfließen. Statt die Aufmerksamkeit auf die »Verführungskünste« des »Führers« zu legen – die »charismatischen« Machthaber Hitler, Himmler und Göring werden im Zyklus meist lächerlich dargestellt –, untersucht Hrdlicka die genealogischen Voraussetzungen für faschistische Tendenzen in der normalen, banalen, kleinbürgerlichen Gesellschaft: »Die Deutschen wollten auch groß sein, auch einmal Weltgeschichte machen.«90

90

Alfred Hrdlicka: Ein jakobinischer Denkmalkünstler, in: Fried/Hrdlicka/Ringel 1986, S. 143.

91

Jacques LeRider 1985, S. 134.

5. Blatt 4: Die Selbstendlösung

53

Abb. 24 »Der Führer ist nicht tot!« Nr. 34; Ätzung, Kaltnadel und Stichel auf Kupfer; LEWIN III/1, 598

6. Blatt 34: »Der Führer ist nicht tot!«

I

n gewissem Sinne als Gegenthese zur Weininger-Radierung darf das folgende Blatt 34 gesehen werden,

6. 1 T um ulte i n der B en dl er s tr a s s e i n B er l i n

das dem entschlossenen Handeln des damals 22-jäh-

rigen Infanterie-Leutnants und Widerständlers Ewald-

Zu sehen ist ein Raum im Querschnitt. Der Horizont liegt

Heinrich von Kleist-Schmenzin gewidmet ist. Es trägt

tief, der Blick des Betrachters erfasst ihn aus gleicher

den Titel »Der Führer ist nicht tot!« (Abb. 24). Statt wie

Augenhöhe. Die Blattbreite ist in drei Figurengruppen

besessen im »Innenraum« umherzuirren, schreitet von

unterteilt. Das obere Drittel des Blattes ist ungestaltet.

Kleist unbeirrt zur Tat. Räumliche Ordnung löst das Cha-

Arm- und Schulterpartien der dargestellten Figuren ver-

os der Selbstendlösung ab.

stärken die in jedem viereckigen Format angelegten Dia-

Die Radierung besitzt in etwa die gleichen Maße wie

gonalen bis zu ihrem Schnittpunkt in der Mitte des Blat-

Die Selbstendlösung. Sie ist 501 mm hoch und 689 mm

tes und etwas darüber hinaus. Dadurch wirkt die rechts

breit. Die Figuren sind mit der Radiernadel gezeichnet.

von der Mittelvertikale in die Höhe gereckte Faust wie

Die dunkleren Parallelschraffuren im Hintergrund und

die Spitze einer suggerierten Figurenpyramide.

als Binnenzeichnung an den Uniformen der in der Bild-

Bemerkenswert ist die Art und Weise, auf die Wich-

mitte gegeneinander kämpfenden Figuren sind mit der

tiges von Unwichtigem unterschieden wird: Durch den

Kaltnadel bzw. dem Stichel ausgeführt. Diese Partien

Kontrast zwischen Hell und Dunkel bzw. zwischen aus-

dienen der Erzeugung von Plastizität und Räumlichkeit

gearbeiteter und skizzenhaft angedeuteter Figur. Von

und erfolgten in späteren Arbeitsschritten. Auf dem ers-

einem bewussten Einsatz der künstlerischen Mittel

ten Zustandsdruck fehlen sie noch.92

zeugt ferner die Gestaltung des nach rechts geöffneten ikonischen »Bogens«, der vom rechten Bein des tänzerisch kämpfenden Mannes mit dem Revolver über den erhobenen linken Arm des am Tisch sitzenden führt. Zum einen erreicht Hrdlicka damit eine Dynamisierung der zentralen Kampfszene. Zum anderen führt der kon-

92

Vgl. LEWIN III/1, 598, S. 459.

trastierende Wechsel von weißem Blatthintergrund und

6. Blatt 34: »Der Führer ist nicht tot!«

55

dunkler, parallel schraffierter Hintergrundgestaltung zu

lieber nach Hause, um im Garten Unkraut zu jäten, was

einer Flächengliederung in drei Teile bzw. in drei »Büh-

Hrdlicka satirisch ins Bild setzt: Der uniformierte General

nenabschnitte«. Dadurch kann Hrdlicka auf einer Gra-

Kortzfleisch kniet mitten im Kampfgetümmel unbetei-

phik mehrere »Bilder«, in einer Szenerie mehrere Szenen

ligt vor einem Pflänzchen, das er zu entfernen versucht.

unterbringen, d. h. Simultaneität suggerieren. Ohne dabei künstliche Linien ziehen zu müssen oder die einheitliche Wirkung des Querformats einer unfreiwilligen Heterogenität opfern zu müssen.

6 .2 D e r m a k a b re Ta n z d es W ide rsta n ds

Die Radierung vereint mehrere, zeitlich divergierende Momente auf einem Blatt. Sie handelt im Wesentlichen

Die Radierung gehört zu jenen im Zyklus, die auf das

davon, dass der entschlossene Ewald von Kleist mit sei-

kunsthistorisch bedeutsame Motiv des Totentanzes

nem Revolver in der Bildmitte den Opportunisten Gene-

anspielen (Abb. 25). Die kunsthistorische Totentanz-

ral von Kortzfleisch verhaftet. Dieser weigerte sich, die

Ikonographie entstand in den Umbrüchen des 14. Jahr-

Verschwörer weiter zu unterstützen, als bekannt wurde,

hunderts in Anlehnung an die Literatur und das Brauch-

dass Hitler das Attentat überlebt hatte. Auf der linken

tum.94 Eine besondere Rolle spielte dabei die Furcht vor

Seite entwaffnet Stauffenbergs Ordonnanzoffizier von

Seuchen. Besonders verheerend war die Pestepidemie

Haeften den mit der Durchführung des Plans »Walküre«

zwischen 1347 und 1352. Vor diesem Hintergrund ent-

beauftragten Generaloberst Fromm, Oberbefehlshaber

stand ein spezifisches Bildprogramm, das sich als eigene,

des Ersatzheeres. Die Szene erweckt beinahe den An-

wenn auch nicht offizielle »Gattung« etablierte, die sich

schein, als führten sie einen »danse macabre« auf. Der

bis heute gehalten hat. Seit der Folge »Bilder des ­Todes«

Befehlshaber des Ersatzheeres Fromm befahl, das Un-

von Hans Holbein dem Jüngeren, ediert 1535 in 41 Holz-

ternehmen »Walküre« nicht einzuleiten. Die Nachricht »Der Führer ist nicht tot!« führte zur Lähmung der Um-

des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Ober-

sturzbemühungen. Um weiteres Zögern zu verhindern,

befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam

reißt der am rechten Rand der Radierung erneut abge-

leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.« Vgl. dazu Reiner

bildete von Kleist das Telefonkabel aus der Wand.

Blasius: Vom treuen Dienen zum unbedingten Gehorsam,

Die Berufung auf den Fahneneid diente den meisten Generälen als Alibi.93 Von Kortzfleisch äußerte, er gehe

in: Faz, Nr. 176, 1. 08. 2009, S. 10. 94

Vgl. dazu und zum Folgenden: Friedrich W. Kasten (Hg.): Totentanz, Kontinuität und Wandel eines Bildthemas vom Mittelalter bis heute, Mannheim 1985 [im Folgenden zit.

93 56

6. Blatt 34: »Der Führer ist nicht tot!«

Ab dem 2. August 1934, dem Todestag des Reichspräsiden-

als: Friedrich Kasten 1985]; Uli Wunderlich: Der Tanz in den

ten Paul von Hindenburg, galt eine neue Eidesformel: »Ich

Tod, Totentänze vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Frei-

schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer

burg 2001 [im Folgenden zit. als: Uli Wunderlich 2001].

schnitten, verschwimmen jedoch die Grenzen des für

und Holbeins Bilder des Todes von 1525/38. Die Technik

das Mittelalter klarer zu definierenden Wesens eines To-

der Druckgraphik wird in der Folgezeit das bevorzugte

tentanzes. »Konstituierendes Merkmal ist jedoch stets,

Ausdrucksmittel.

daß der Tod personifiziert wird und/oder als handelnde

Jedoch kann die Radierung »Der Führer ist nicht tot!«

Gestalt auftritt – wobei unüberhörbar die Mahnung an

keinesfalls als eine direkte Fortführung dieser Tradition

die Hinfälligkeit des Lebens als wesensbestimmendes

verstanden werden: Auf dem Blatt befindet sich keine

Kriterium mitschwingt.«95 In mittelalterlichen Totentän-

Figuration des Todes als Gerippe – im Sinne einer Allego-

zen begegnen uns größere oder kleinere Gruppen per-

rie für den Tod, der einen Lebenden bei der Hand nimmt

sonifizierter Todesgestalten. Menschen verschiedenen

und abführt. Allenfalls erscheinen manche Blätter wie

Geschlechts, Alters, Berufs und Standes werden mitten

ein Totentanz. So auch die 34. Graphik. Das Paar auf der

im Leben vom Tode abgeholt. Die Reigentänze von To-

linken Seite der Radierung wurde bereits erwähnt. Die

ten und Lebenden oder die Begegnung mit dem Tod

Kampfszene in der Mitte ist ähnlich zu deuten. Denn in

selbst, als Skelett verkörpert, wurden auf Kirchhofs- und

gewisser Weise zeigt der Tod – hier in Gestalt des Wider-

Friedhofsmauern gemalt. Man denke an das Kreuzgang-

ständlers mit verschatteter Augenpartie – einem Vertre-

Fresko der Kartause La Chaise-Dieu in der Auvergne (um

ter der militärischen Kaste seine Grenzen auf. Ebenso

1410 od. 2. Hälfte des 15. Jh.s), den Friedhofs-Zyklus des

widerfuhr es in den mittelalterlichen Totentänzen dem

Pariser Franziskanerklosters Saints Innocents (1424) oder

Edelmann, dem Kaufmann und selbst dem Papst. Er

an den Tod von Basel (1437–41). Auch wurde das Motiv

zwingt den Offizier, mit ihm einen eventuell tödlichen

des Totentanzes bald graphisch gestaltet. Zu erwähnen

Walzer zu tanzen. Das Paar dreht seine Runden, tanzt

sind hier die Pariser Holzschnitte der Danse macabre

den Reigen um Schuld und Sühne. Der Ausgang ist

(1485), der Dotendantz im Blockbuch Heidelberg (1485)

­offen. Erst die nächsten Blätter werden zeigen, dass der »gerechte« Tod mit seinem Unterfangen des Tyrannenmords scheitern wird. Die Totentanz-Ikonographie geht

Abb. 25 Hans Holbein d. J.: Der Ritter, 1523–1526 Zyklus »Bilder des Todes«; 41 Holzschnitte

vom Triumph des Todes aus. Die Verbrecher befreien sich aus ihren Schlingen und werden zu Henkersknechten eines »kriminellen« Todes. Erkennt man demnach im Blatt »Der Führer ist nicht tot!« Anklänge an den traditionellen Totentanz, muss neben der formalen auch auf eine inhaltliche Differenz hingewiesen werden: In der Tradition treten Ständevertre95

Richard W. Gassen: Pest, Endzeit und Revolution, Totentanzdarstellung zwischen 1348 und 1848, in: Friedrich Kasten 1985, S. 15.

ter, später auch Individuen, dem Tod als dem »Anderen« und »Nicht-Gewollten« gegenüber. Er wird angeklagt, verurteilt oder man muss sich mit ihm als gottgegebene

6. Blatt 34: »Der Führer ist nicht tot!«

57

Notwendigkeit arrangieren. Das Attentat vom 20. Juli,

Ziel der Verschwörer um Tresckow, Olbricht, Ca-

der Mordversuch an Hitler, aber war gewollt. Auf der

naris und Goerdeler war die Einrichtung einer rechts-

34. Radierung erinnert der Kopf des Widerständlers an

staatlichen Regierung mit Generaloberst Ludwig Beck

einen Schädel. Das heißt, die Identifikationsfigur für den

als Staatsoberhaupt. Um dieses Vorhaben umsetzen

Betrachter ist nicht der Lebende, der Opportunist, son-

zu können, musste das NS-Terror-Regime gestürzt

dern die Personifikation des Todes, der Widerständler.

werden. Gelingen sollte dies mittels einer von Oberst

Der »natürliche« Tod, in Gestalt von Krankheiten

Claus Graf Stauffenberg in die »Wolfsschanze« (bei

oder des biologischen Verfalls, spielt in »Wie ein Toten-

Rastenburg, Ostpreußen) gebrachten Bombe. Schon

tanz« keine Rolle. Das Verbrechen, aber auch der Freitod

für den 15. Juli war dort ein Anschlag geplant, der aber

(Kleist, Weininger, Rommel, Beck, von Oertzen) sind

ebenso wie die Attentatsversuche am 6. und 11. Juli in

schneller. Im Zuge der in Kapitel 7 behandelten Radie-

Hitlers »Berghof« auf dem Obersalzberg kurzfristig

rung Acht Zigaretten pro Hinrichtung wird die Arbeit

abgesagt wurde, weil Göring und Himmler nicht mitan-

auf den »juristisch« verordneten Mord an sogenannten

wesend waren. Seit dem 14. Juli 1944 befand sich das

»Volksverrätern« zu sprechen kommen. Statt schicksals-

Führerhauptquartier wieder in der »Wolfsschanze«.

ergeben miteinander einen Reigen zu tanzen, erhängen

Das Attentat sollte den Auftakt für das Unternehmen

hier Menschen ihresgleichen an Fleischerhaken. Anders

»Walküre« bilden, das bereits 1941 für den Fall eines

als das unausweichliche und alles Lebendige betreffen-

Aufstandes der Fremdarbeiter im Reichsgebiet ausge-

de Sterben, steht es in der Macht der Menschen, ein der-

arbeitet worden war.

artiges Verbrechen zu vermeiden.

Bei einer Lagebesprechung mit Hitler stellte Stauffenberg den in seiner Aktentasche versteckten Sprengkörper in Hitlers Nähe unter den großen Kartentisch. Da

6. 3 D er 2 0. J ul i 1 9 4 4

er bei den Vorbereitungen gestört wurde, konnte er nur die Hälfte der ursprünglich geplanten zwei Kilogramm Sprengstoff zünden. Unter dem Vorwand telefonieren

Ehe sich die Arbeit jedoch dieser Graphik zuwendet,

zu müssen, verließ er den Raum. Kurze Zeit später deto-

werden im Folgenden die Ereignisse des 20. Juli 1944

nierte die Sprengladung. Von vierundzwanzig Personen

skizziert – jenes historischen Donnerstags also, der The-

wurden vier getötet. Alle anderen überlebten, zum Teil

ma des Blattes Nr. 34 ist.

96

Steinbach: Der 20. Juli 1944, Gesichter des Widerstands, München 2004; AK Bayreuth: Alfred Hrdlicka – »Alle Macht 96

58

6. Blatt 34: »Der Führer ist nicht tot!«

Vgl. zur Historie: Joachim Fest: Staatsstreich, Der lange

der Kunst geht vom Fleische aus«, Sammlungskatalog mit

Weg zum 20. Juli, Berlin 1994; Peter Hoffmann: Widerstand

114 Abbildungen und Ergänzungsband mit den Texten zum

gegen Hitler und das Attentat vom 20. Juli 1944, Konstanz

»Totentanz«, 2 Bände im Schuber, Bayreuth 2001, Bd. 2,

1994 [im Folgenden zit. als: Peter Hoffmann 1994]; Peter

S. 34 ff.

schwer verletzt. Hitler überstand das Attentat ohne grö-

cken fallende Generaloberst Fromm, Befehlshaber des

ßere Blessuren und empfing am Nachmittag Mussolini.

Ersatzheeres, ließ Graf von Stauffenberg, von Haeften,

Stauffenberg und sein Adjutant, Oberleutnant Werner

Olbricht und Mertz von Quirnheim wegen »Hoch-Lan-

von Haeften, flogen zurück nach Berlin und trafen, vom

desverrat« verhaften. Sie wurden umgehend, kurz nach

Erfolg des Unterfangens überzeugt, gegen 16:30 Uhr im

Mitternacht, im Hof erschossen.

Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht in der Bend-

Bis Kriegsende verhaftete die »Sonderkommission

lerstraße ein, der den Versammlungsort der Attentäter

20. Juli« der Gestapo, der 400 Beamte angehörten, noch

bildete. Von hier aus sollte der Staatsstreich koordiniert

über 7 000 Personen, die vorgeblich mit dem 20. Juli in

werden. Geplant war, dass das Ersatzheer im Reichs­

Zusammenhang standen. »Standgerichtliche Verfahren«

gebiet sowie in den besetzten Gebieten die Regierungs-

gingen den bereits beschlossenen Hinrichtungen vo­

gewalt übernehmen sollte.

raus. Der Volksgerichtshof unter dem »Blutrichter« Ro-

Die Tragik bestand darin, dass Stauffenberg am

land Freisler verhängte ab dem 7. August 1944 in einer

Nachmittag nicht in Berlin sein konnte, denn seinen Mit-

Reihe von entwürdigenden Schau- und Nebenprozes-

verschworenen, z. B. General Olbricht, fehlte die Durch-

sen zahlreiche Todesurteile, die durch Strang und Beil

setzungskraft. Der Historiker Peter Hoffmann schrieb:

voll­zogen wurden. Die Exekutionen in der Haftanstalt

»Aber während drei ›toten Stunden‹, zwischen dem At-

Berlin-Plötzensee mussten auf Befehl Hitlers gefilmt

tentat und der Rückkehr Stauffenbergs nach Berlin, wa-

werden. 180–200 Widerständler und zum Teil deren Fa-

ren die Verschwörer in der Bendlerstraße unsicher und

milienangehörige wurden brutal gefoltert, misshandelt

untätig.«97 Als General Fellgiebel über Telefon mitteilte,

und hingerichtet. Viele kamen in Konzentrationslagern

dass Hitler das Attentat überlebt habe, setzte eine Läh-

um oder nahmen sich selbst das Leben. Noch in den

mung ein: »Olbricht und Thiele beschlossen, erst einmal

letzten Wochen vor dem Untergang des Regimes räch-

gar nichts zu tun bzw. sich wie an jedem anderen Tag

ten sich die Nazischergen an Menschen, die gegen ihre

zu verhalten, das heißt zum Mittagessen zu gehen.«98

Macht aufbegehrten.

Entscheidend war auch, dass Generaloberst Fromm die

Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 im Kon-

Bestätigung der Rückfragen bezüglich der Befehle der

zentrationslager Flossenbürg ermordet – am selben Tag,

Verschwörergruppe verweigerte. Schließlich brach der

an dem in Dachau der schwäbische Schreiner Georg El-

Widerstand zusammen. Um 22:30 Uhr erfolgte durch

ser sterben musste, der mit seinem Attentat auf Hitler

die 4. Kompanie des Wachbataillons »Großdeutschland«

im Münchner Bürgerbräukeller am 8. November 1939

der Sturm auf den Bendlerblock. Der den Plan »Walkü-

gescheitert war.

re« zuerst billigende, dann den Verschwörern in den Rü-

97

Peter Hoffmann 1994, S. 125.

98

Ebd., S. 142.

6. Blatt 34: »Der Führer ist nicht tot!«

59

Abb. 26 Acht Zigaretten pro Hinrichtung Nr. 46; Aquatinta geschabt und Kaltnadel auf Kupfer; LEWIN III/1, 610

7. Blatt 46: Acht Zigaretten pro Hinrichtung

D

ie Radierung ist mit ihren Maßen von 400 auf

dierer suggeriert diesen Eindruck, indem die Figuren im

600 mm etwas kleiner als die drei vorhergehen-

Verhältnis zur Gesamtfläche des Rechtecks auffallend

den (Abb. 26). Sie gehört zu jenen zwölf der 53

groß gezeichnet sind und nah an die Blattgrenze heran-

Blätter, die sich der Aquatinta-Technik mit anschließen-

rücken.

dem Schab-Verfahren bedienen. Das heißt, es sind drei

Dabei verzichtet er auf eine ablenkende Schmückung

Tonwertigkeiten sichtbar: von den farblosen »Weiß-

des Raumes. Der Schauplatz wird minimalistisch ange-

Höhungen« der polierten Stellen über den Grauton der

deutet durch zwei Rundbogenfenster rechts des Zen-

Aquatinta-Grundlage bis hin zu den schwarzen Strichen

trums, eine in der Blattbreite nach zwei Dritteln nicht

der Kaltnadel. Radierungen wie diese erhalten ihr spe-

weiter gezeichnete Eisentraverse und durch eine Linie

zifisches Erscheinungsbild dadurch, dass nicht nur das

rechts unten im Format, die auf den Umschlag der Wand

in die Platte eingerillte Lineament der Graben, sondern

zum Boden verweist. Alles, was der suggestiven Wir-

auch die durch chemisch-mechanische Verfahren er-

kung abträglich wäre und der thematischen Tragik nicht

zeugten homogenen Flächen gedruckt werden.

gerecht werden würde, ist weggelassen. So ergänzt erst die Imagination des Betrachters die Graphik. Vergleicht man den vorgestellten Bildraum mit einer Bühne, so

7 .1 Massen hinr ichtung im Gefän gn is Pl ötzens e e

lässt sich beobachten: »Wirkung geht nur vom darstellenden Schauspieler aus […].«99 Eine illusionistische Bühnenausstattung und Gegenstände fehlen oder sind in reduzierter Weise als Tatort-Hinweise angedeutet, so-

In der frappanten Gegenüberstellung der Figuren zu den

weit sie zum Verständnis der Szene notwendig sind. Das

nicht weiter gestalteten Zonen des Aquatinta-Grundes wird deutlich, dass sich Hrdlicka auf diesem Blatt mehr noch als bisher auf das zur Aussage Notwendige konzentriert. Entscheidend ist die sechsfigurige Hinrichtungsszenerie, die nahansichtig gegeben ist. Der Ra-

99

Freerk Valentien: Skizzenhafte Betrachtungen über den Zeichner Alfred Hrdlicka, in: AK Stuttgart: Alfred Hrdlicka – Zeichnungen, Ausstellung der Galerie Valentien, Stuttgart 1983, S. 3 [im Folgenden zit. als: AK Stuttgart 1983].

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

61

gleiche Prinzip findet sich auf der Zweidimensionalität

Dennoch – oder gerade deshalb – findet der Betrach-

des Blattes. Das bedeutet nicht nur, dass jene Gebiete,

ter sich auf dieser 46. Radierung schnell zurecht: Von

in denen nichts Wesentliches passiert, zeichnungsfrei

links kommend sind zwei Schupos gerade im Begriff,

bleiben. Auch sind bei manchen Figuren Rumpf und Bei-

­einen Delinquenten in den kahlen Todesraum zur Hin-

ne nicht einmal andeutungsweise ausgeführt. Das mo-

richtung zu führen. In räumlicher, vielleicht auch zeit­

notone Grau des Aquatinta-Grundes bleibt ungestaltet.

licher Überschneidung erhängen zwei Henker dort be-

Hier ist einer Beobachtung des Kunsthistorikers Wolf

reits einen Häftling – wie Schlachtvieh.

Stubbe zu folgen:

Zwischen den hämisch grienenden Lippen der links stehenden Figur steckt eine Zigarette. Der historische

In Goyas Sinne verwendet der Plastiker Hrdlicka Aqua-

Hintergrund dafür ist, dass die Arbeit im Gefängnis mit

tinten zur Isolierung der in Haltung und Mimik höchst

acht Zigaretten pro Exekution gelohnt wurde. Hrdlicka

expressiven Figuren. Das unartikulierte Dunkel des Hin-

schreibt dazu in seinem Kommentar: »Aus dieser Beloh-

tergrundes bewirkt das nachdrückliche Herausheben

nung ergaben sich oft Streitigkeiten unter dem Gefäng-

einer entsetzlichen Wahrheit, intensiviert ein schlim-

nispersonal, man riß sich darum, einen Verurteilten auf

mes Geschehen, weshalb man von den ›hintergrün-

seinem letzten Gang zu begleiten.«101

digen‹ Aquatintagründen Goyas gesprochen hat. So könnten auch die Dunkelheiten bei Hrdlicka charakterisiert werden.100

7 .2 »P l ö t z en se er T o t en ta n z «

Auf anderen Arbeiten im Zyklus »Wie ein Totentanz« sind die beschriebenen Leerstellen weiß gelassen oder

Das Blatt Acht Zigaretten pro Hinrichtung ist eines derer,

durch das satte Mezzotinto-Schwarz dunkel verhüllt.

die sich auf die grausamen Strangulierungen in Plöt-

Hrdlickas künstlerische Methodik ist folglich die des

zensee beziehen. Insgesamt gibt es elf Radierungen, in

Weglassens, der Andeutung und der Verschattung. So

welchen die Eisentraverse mit den Fleischerhaken direkt

kommt es zu rhythmischen Hell-Dunkel-Kontrasten, zu

oder indirekt erinnernd fungiert.

bedrohlich blendenden Weißstellen neben einem un-

Hrdlicka greift damit eine Bildidee aus dem Jahr 1969

durchsichtigen Schwarz. Dichteste Schraffuren stehen

auf: Am 1. Juni 1969 bekam er vom Berliner Pfarrer

neben erschreckendem Vakuum.

Bringfried Naumann den Auftrag, für den Kirchenraum des Gemeindezentrums in Berlin-Plötzensee Wandbilder zu gestalten102 (Abb. 27). Die Kirche wurde von 1968 bis

100 Wolf Stubbe: Manifestationen in der Radierung – Zur 62

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

graphischen Technik von Alfred Hrdlicka, in: Alfred Hrdlicka

101

Text 46.

– Graphik – 1973, S. 53.

102

Erste Auftragserteilung: 1. Juni 1969. Konkreter Auftrag

Abb. 27 Enthauptung Johannes d. T. – Massenhinrichtung in Plötzensee – Die Guillotine 1970; je Tafel 350 x 99 cm; Bleistift, Kohle, Tusche, Deckweiß und Bister auf grundierten Tischlerholzplatten, Evangelisches Gemeindezentrum Berlin–Plötzensee

1970, abgesehen von ihrer sakralen Funktion, auch als Mahnstätte errichtet, um an das Grauen im ehemaligen für zwölf Tafeln: 25. Juni 1969; am 6. Oktober 1970 erfolgt der Auftrag für weitere vier Großzeichnungen; vgl. Ingrid Mössinger 1982, S. 2, sowie dieselbe: Der Plötzenseer Totentanz – im Evang. Gemeindezentrum Plötzensee, Mag.Arbeit, Univ. Frankfurt, bei Wilhelm Schlink, 1980, S. 1–3.

NS-Gefängnis in unmittelbarer Nähe zu erinnern (Abb. 28).

Von

Naumann

stammt

auch

die

Titelidee

»Plötzenseer Totentanz«. Er lernte Hrdlickas Kunst über eine Ausstellung von »Roll over Mondrian« in der Berli-

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

63

Abb. 28 Kirchen- und Gemeinderaum der Gemeinde Plötzensee, Berlin

ner Galerie André kennen,103 insbesondere über das Blatt

Innerhalb der Folge sind die Großzeichnungen

Karfreitag (1966). Zur Zusammenarbeit mit dem Archi-

schließlich zu geschlossenen Darstellungseinheiten zu-

tekten Dr. Grötzebach verpflichtet, musste Hrdlicka sein

sammengefügt. Dies führt dazu, dass das steile Hoch­

ursprüngliches Vorhaben, in Fresko zu arbeiten, aufge-

format der einzelnen Tafeln in einem Querformat auf­

ben.104 Zu diesem Zweck hätten noch zusätzliche Ziegel-

gehoben wird. Es existieren vier solche Gruppen. Im

wände in der Kirche installiert werden müssen. Die Auf-

Ganzen ist dadurch der Programmcharakter traditio-

tragslage führte dazu, dass Hrdlicka von 1970–1972 16

neller Polyptychen auf innovative Weise variiert. Die

großformatige Zeichnungen anfertigte, obschon ihm

Tatsache, dass es bei Hrdlicka keine Mitteltafel, keine

dies vorerst als Notlösung vorgekommen sein mag.105

»Mitte«, kein Zentrum gibt, kann als ein Phänomen der

Er arbeitete mit Bleistift und Kohle, aber auch Tu-

»Moderne« verstanden werden. Die Überlegungen zur

sche, Deckweiß, Rötel und Bister kamen zum Einsatz.

zyklischen Darstellungsweise in Abschnitt 9 greifen die-

Die Arbeiten sind jeweils 3,5 m hoch, 99 cm breit und auf

ses Thema auf.

grundierten, 19 mm starken Tischlerholzplatten angefertigt. Für ihre Hängung zeichnen im Wesentlichen die

Exemplarisch geht die vorliegende Untersuchung auf

Auftraggeber verantwortlich.

die Tafeln 10 bis 12 ein, mit denen der Besucher beim

Die 16 Hochformate deuten durch die bildübergrei-

Betreten der Kirche zuerst konfrontiert ist.106 Sie sind an

fenden Rundbogenfenster und den Eisenträger an der

der Nordwand angebracht und tragen die Titel Rechter

Decke einen gemeinsamen Innenraum an und bezie-

Schächer – Gekreuzigter – Linker Schächer (Abb. 29). Die

hen sich dadurch formal und inhaltlich aufeinander. Die

drei Figuren füllen jeweils die ihnen zugedachte Tafel

Eisenvorrichtung an der Decke erscheint auf allen 16

beinahe bis zur Grenze des Formats aus. Dadurch befin-

Tafeln. Sie ist das verbindende Element bzw. das Leit­

den sie sich unmittelbar im Bildvordergrund. Reliefartig

motiv.

rücken sie dem Betrachter auf den Leib. Die Köpfe befinden sich im Modus der Isokephalie auf einer Höhe. Der

103 Vgl. Alfred Hrdlicka – Skulptur – 1973, S. 19.

Schauplatz ist verortet durch die Wand mit den beiden

104 Vgl. AK Berlin: Alfred Hrdlicka – Berlin, hg. v. Ernst Hilger,

Rundbogenfenstern und die Eisentraverse an der Decke:

Ausstellung der Galerie im Körnerpark, Wien/Frankfurt 1987, o. Pag. 105

Die Tafeln waren im September 1970 vollendet; nur die

Eine »Bühne, auf der der Totentanz abrollt […].«107 Zahlreiche ikonographische Anspielungen auf Golga-

Tafeln VII–IX (Emmaus – Abendmahl – Ostern) und Tafel I

tha sind auszumachen. Beginnend mit der Titelgebung,

(Kain und Abel) wurden in dem Zeitraum bis 1972 fertigge-

finden sie anhand der Dreiergruppe mit den beiden

stellt. Bereits 1969 entstanden einige Bleistift-Arbeiten, so

Schächern, des Lanzenstichs von Longinus und der Dor-

z. B die 48 x 63,3 cm messende Zeichnung »Gehängter« auf gelblichem Büttenpapier. Sie wurde beim Berliner Auk64

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

tionshaus Bassenge am 26. 11. 2011 für 800 € versteigert

106 Zum »Plötzenseer Totentanz« wie Anm. 24.

(Auktio 98, Los 8127).

107

Alfred Hrdlicka – Skulptur – 1973, S. 20.

Abb. 29 Rechter Schächer – Gekreuzigter – Linker Schächer 1970; je Tafel 350 x 99 cm; Bleistift, Kohle, Tusche, Deckweiß und Bister auf grundierten Tischlerholzplatten, Evangelisches Gemeindezentrum Berlin–Plötzensee

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

65

nenkrone Christi ihre Fortführung. Auch der Adamsschädel am Boden und weitere Soldaten reihen sich in diese Tradition ein. Lediglich die Trauergemeinde fehlt. Dass Christus und die Schächer – wie nie zuvor der Fall – in einem Innenraum hängen statt im Freien auf einem Berg und dass sie nicht an Kreuze genagelt oder gebunden sind, fällt auf den ersten Blick kaum auf. Das Fehlen der Kreuze aber scheint Programm zu sein, und man muss sich dies bewusst vor Augen führen: Hrdlickas »Kirchendekoration« verwendet kein einziges Mal das Zeichen des Kreuzes – das Hoffnungssymbol des Christentums schlechthin. Er selbst kommentiert dies lakonisch: »Weg vom Überirdischen, Christus als Aufrührer und Gegner der Etablierten […].«108 Und an anderer Stelle sagt er:

Abb. 30 Die Gedenkstätte Plötzensee

»Die Kreuzigung Christi – das ist ein auf ewig überliefertes Bild des quälend langsamen Todes. Und damit ist es

Weltkriegs im Schnellverfahren politische Gefangene

für mich Symbol des Widerstandes.«109

von den Nazis hingerichtet110 (Abb. 30). Anfangs ist

Dabei ist es nicht eine überlieferte Ikonographie,

hauptsächlich das Fallbeil benutzt worden. Gegen Ende

sondern die anschauliche Leiblichkeit, die als Ausdrucks­

des Krieges vollstreckte man die Hinrichtungen aus-

träger für die Qualen fungiert: die Nacktheit, die Schwe-

schließlich durch Erhängung mit Draht- und Hanfschlin-

re und Verwundung der Opfer, ihre Atemnot, das Kreis-

gen an acht Fleischerhaken, da die Guillotine bei einem

laufversagen.

Angriff zerstört worden war. Die im Zusammenhang mit dem Attentatsversuch vom 20. Juli Verurteilten sollten allerdings auf ausdrücklichen Befehl Hitlers allesamt am

7. 3 Di e S tr a fa n s ta lt P l ötz en s ee i m »D r i tten R ei c h «

Strang zu Tode kommen. Schon 1933 wurde in einem Gesetz die Todesstrafe durch Erhängen explizit gestattet. Dementsprechend wurden die Eisenträger auch erst während des NS-Re-

In den Räumen der Strafanstalt Plötzensee im Norden Charlottenburgs wurden bis kurz vor Ende des Zweiten

110

Vgl. Gedenkstätte Plötzensee, hg. v. Informationszentrum Berlin, Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße,

66

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

108 Ebd., S. 20.

Berlin ²³1984, S. 2–6 [im Folgenden zit. als: Plötzensee

109 Hans-Dieter Schütt 1997, S. 61.

1984].

gimes angebracht. 1943 wurden allein in der Nacht vom

düstere Gestaltungsweise entsprechen. Dabei darf je-

7. auf den 8. September 186 Menschen erhängt. Insge-

doch nicht vergessen werden, dass die Form auch den

samt ließ man in der Strafanstalt Plötzensee etwa 2 900

historisch-empirisch Fakten geschuldet ist.

Menschen hinrichten. Unweit des Hinrichtungsraumes mit den zwei schmalen Fenstern befand sich im Erdgeschoss das sogenann-

7. 4 C a l l ot, G oya un d Di x

te »Todeshaus«, bestehend aus zahlreichen kleinen Zellen. Die Hände durch Handschellen gefesselt, mussten hier die zum Tode verurteilten darauf warten, dass sie

Ohne ikonographische Ableitungskunstgeschichte be-

von zwei Justizwachtmeistern abgeführt wurden.

treiben zu wollen, wohl aber um mithilfe einiger Abbil-

Wie die Gewalt als Show inszeniert wird, verdeut-

dungen formale und inhaltliche Zusammenhänge und

licht folgendes Faktum. Für die Teilnahme an den Hin-

wesentliche Unterschiede zu veranschaulichen, sei an

richtungen in Plötzensee wurden sogar Eintrittskarten

dieser Stelle an ähnliche Bildfindungen erinnert, die

verteilt.

NS-Funktionäre konnten sich nach getaner

Hrdlicka mit Sicherheit bekannt waren. Es handelt sich

»Arbeit« den grausamen Justizmord im Hinrichtungs-

dabei um das methodische Verfahren der »vergleichen-

schuppen ansehen. Hitler selbst wünschte, dass von

den Betrachtung«. Schon unter formalästhetischen Ge-

den Exekutionen Filmaufnahmen gemacht würden,

sichtspunkten lassen sich an Hrdlickas künstlerischem

um sie sich in Ruhe vorführen lassen zu können.

Stil Gestalttraditionen erkennen.

111

112

Im

»Plötzenseer Totentanz« und im Radierzyklus »Wie ein

Verwiesen sei hier zunächst auf zwei Graphiken

Totentanz« zeigt Hrdlicka nicht nur den unterdrückten

Goyas aus dem Zyklus »Los Desastres de la Guerra«,

Menschen, sondern auch, wie das leidende Individuum

auf Tampoco (Hier ebenso wenig, Abb. 31) und auf Y

zusätzlich noch zum Schau- und Lustobjekt anderer er-

No Hai Remedio (Und daran ist nichts zu ändern, Abb.

niedrigt wird. Das psychologische Phänomen des Sadis-

32). Goyas Zyklus entstand im Zeitraum zwischen 1810

mus spielt dabei eine zentrale Rolle.

bis 1820.113 »Die Schrecken des Krieges« umfassten ursprünglich 82 Radierungen und thematisieren den Wi-

Der Schauplatz der Plötzenseer Aquatinten ist nun ex-

derstandskampf der Spanier gegen die französische

plizit als der eines Gefängnisses identifiziert worden. Die

Invasionsarmee. Der Zyklus zeigt Grausamkeiten der

Kahlheit des Raumes und die Kargheit der Farbgebung

französischen Soldaten sowie die Lynchjustiz der spani-

haben dramaturgische, wirkungsästhetische Gründe: Einem thematisch düsteren Sujet muss auch eine formal

113

Die Radierfolge erscheint aber erst 1863 mit 80 Blättern in Madrid; vgl. AK Hamburg: Goya – Los Desastres de la

111

Plötzensee 1984, S. 30.

Guerra, Kat. zur Ausstellung vom 27. Nov. 1992 bis 17. Jan.

112

Vgl. ebd., S. 5.

1993 in der Hamburger Kunsthalle, Stuttgart 1992.

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

67

Abb. 31 Francisco de Goya: Tampoco, ca. 1812–1815 »Los Desastres de la Guerra«; Nr. 36; Radierung und Aqua

Abb. 32 Francisco de Goya: Y No Hai Remedio, um 1814 »Los Desastres de la Guerra«; Nr. 15; Radierung; Plattengröße 140 x 167 mm

Abb. 33 Jacques Callot: Der Galgenbaum, um 1632/33 68

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

»Les Misères et les Malheurs de la guerre«; Nr. 11; Radierung; II. Zustand; 82 x 187 mm

schen Zivilbevölkerung an angeblichen »Franzosen-

ve Radierfolge, die von vielen Interpreten zu Recht als

sympathisanten«.

wichtigstes Zeugnis des Krieges von 1914–1918 innerhalb

Zwei weitere druckgraphische Kriegs-Zyklen gilt es

der bildenden Kunst gesehen wird. Er ging dabei von ei-

mit einzubeziehen. Neben Dix handelt es sich um den

genen Erlebnissen als MG-Stoßtruppführer aus. Als Bei-

lothringischen Graphiker und Hofkünstler Jacques Cal-

spiel für die Gewalt, zu der Menschen im Kontext eines

lot. Die 18 Radierungen umfassende Folge der »Misères

Krieges fähig sind, betrachte man Blatt 44 Überfall einer

et les malheurs de la guerre« erschien 1633 bei Israël

Schleichpatrouille auf einen Grabenposten (Abb. 34).

Henriet in Paris.

114

Die Graphiken begleiten Verse des

Sammlers und Historikers Marolles. In Anbetracht von

Auf die vielen Differenzen zwischen den vier behan-

Hrdlickas Graphik über die Strangulierten in Plötzensee

delten Künstlern kann an dieser Stelle nur kurz einge-

konzentriert sich die vorliegende Arbeit vorwiegend auf

gangen werden. In formaler Hinsicht ist Callot ein ent-

Blatt 11: Der Galgenbaum (Abb. 33). Die Radierung zeigt

schiedener Anhänger des disegno mit manieristischer

grausame Strafmaßnahmen, vollstreckt durch die militä-

Linienführung, während die Zyklen der drei anderen

rische Gerichtsbarkeit der französischen Truppen.

gerade in ihren Versuchen, der »Griffelkunst« malerische

Der Zyklus »Der Krieg« von Otto Dix wurde im Anti-

Aspekte abzugewinnen, äußerst innovativ sind. Aber

Kriegsjahr 1924 im Verlag Karl Nierendorfs in Berlin he-

auch die thematische Ausrichtung ist teilweise verschie-

rausgegeben.115 Die fünf Mappen zu je zehn Blatt ent-

den. Hrdlicka zeigt auf seinen Blättern nicht im engen

standen innerhalb eines kurzen Zeitraums: vom Herbst

Sinne Kriegsdarstellungen. Er thematisiert, anders als

1923 bis zum Frühjahr 1924. In einer Auflage von 70

Dix, weniger das Soldatensterben als vielmehr den ver-

nummerierten Exemplaren löste das Radierwerk heftige

suchten Aufstand gegen die kriegsführende Herrschaft.

Kontroversen aus: »Wehrzersetzung« wurde ihm unter

Dabei bemüht er sich um eine politische, historische,

anderem vorgeworfen. Fünf Jahre nach dem Ende des

psychologische und philosophische Einordnung und

Abb. 34 Otto Dix: Überfall einer Schleichpatrouille auf einen

Ersten Weltkriegs schuf Dix diese technisch innovati-

entfaltet ein Panorama, das sich über zwei Jahrhunder-

Grabenposten, 1924

te erstreckt. Callots Zyklus endet mit der reaktionären

»Der Krieg«; Nr. 44; Radierung; 198 x 149 mm

Auffassung, »dass härteste militärische Strafjustiz not114

Vgl. AK Dresden: Jacques Callot – Das druckgraphische Werk im Kupferstich-Kabinett zu Dresden, bearb. v. Christian Dittrich, Kat. zur Ausstellung v. 8. 11. 1992 bis 10. 01.

115

wendig sei, um Unrecht zu sühnen und die staatlichgesellschaftliche Ordnung unter absolutistischer Ho-

1993 i. Albertinum, Dresden 1992 [im Folgenden zit. als: AK

heit wieder herzustellen«.116 Paulette Choné sieht dies

Dresden 1992].

ähnlich: »Die Idee, nach der das Militär ›die Stütze‹ und

Vgl. dazu: Dietrich Schubert: Otto Dix – Der Krieg, 50

›der Bewahrer‹ der ›res publica‹ sein muß, vor allem in

Radierungen von 1924, Marburg 2002; AK Otto Dix – »Der Krieg«, Ein Radierwerk in 5 Mappen, Kunstmuseum Thun, 1995; Olaf Peters (Hg.): Otto Dix, Neue Galerie New York 2010, S. 65–89.

116

Christian Dittrich: Callot als Graphiker, in: AK Dresden 1992, S. 14.

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

69

einem besetzten Land, fand in dieser Folge eine ergrei-

7 .5 G rausa m k eit d er R a c h e

fende Illustration.« Die Kontradiktion zu Goya, Dix und 117

Hrdlicka­ist damit offensichtlich.

Über Otto Dix und in gewisser Weise auch über sich

Der Zusammenhang der Zyklen ist nicht zuletzt

selbst schrieb Alfred Hrdlicka 1974: »[…] und wenn er

der, dass schonungslos und künstlerisch verdichtet die

der Gesellschaft seiner Zeit ins Gesicht schlägt, so ge-

Schrecken von Kriegen anhand zeitgenössischer Gewalt

schieht dies mit der Gewalttätigkeit des Totschlägers,

dargestellt werden.118 In allen Werken wird durch eine

denn selbst seinen bösesten Bildern fehlt die vorsätzli-

bewusst eingesetzte Hell-Dunkel-Wirkung, anhand eines

che Bosheit des »Schreibtischmörders«, der sich krampf-

grauenvollen Detailreichtums und einer dramatischen

haft bemüht, schwarze Kunst zu produzieren.«121

Erzählgabe das eigene graphische Können dokumen-

Diese aggressive Stoßrichtung vollzieht sich naturge-

tiert. Alle vier Künstler leisten im Sinne Friedrich Schil-

mäß über aggressive Inhalte. Erhängungsszenen bzw.

lers eine »lebende Gestalt«119 und im Sinne Jean Pauls

grausame Strangulierungen befinden sich im Zyklus

»lebendige Poesie«120, weil sie eine Synthese von Inne-

»Wie ein Totentanz« auf insgesamt elf Blättern. Die Ei-

rem und Äußerem, von konkreter historischer Situation

sentraverse von Plötzensee erscheint dabei auf sechs

und dem allgemeinen Phänomen des Krieges suchen,

Graphiken. Den Tod, will sagen: Leichen oder Menschen,

und zwar in dezidiert individueller Gestaltung.

die gerade ermordet werden oder sich selbst das Leben nehmen, bekommt der Betrachter auf 34 Radierungen zu sehen. Mit der »mimetischen« Darstellung von Gewalt und Grausamkeit – nicht aber kopistisch abbildend, sondern künstlerisch aktualisierend122 – setzt Hrdlicka eine tief verwurzelte Tradition fort. Der Koran, das Neue Testa-

117

Paulette Choné: »Die Schrecken des Krieges« oder «»Das

121

Leben des Soldaten«: die Gewalt und das Recht, in: AK Dresden 1992, S. 19. 118

119

120 70

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

Alfred Hrdlicka: Otto Dix, wie ich ihn sehe [1974], in: LEWIN IV, 54, S. 95.

122

Zum aristotelischen Begriff der Mimesis vgl. Gadamer:

Vgl. Dietrich Schubert: Otto Dix und Alfred Hrdlicka im

»Die im Spiel der Darstellung erscheinende Welt steht

Dialog, Rede im Kunstverein Heidelberg am 6. März 1983,

nicht wie ein Abbild neben der wirklichen Welt, sondern

Heidelberg 1985 [im Folgenden zit. als: Dietrich Schubert

ist diese selbst in der gesteigerten Wahrheit ihres Seins.«,

1985].

in: Hans-Georg Gadamer 1986, S. 142; oder Wedekind: »Die

Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des

Darstellung der Wirklichkeit – Mimesis – erfüllt sich nicht in

Menschen [1795], Fünfzehnter Brief, Stuttgart 2005, S. 58

der Schilderung des empirisch Wahrnehmbaren, sondern

[im Folgenden zit. als: Friedrich Schiller].

erst in der Erfassung dieser kreatürlichen Wirklichkeit.«, in:

Jean Paul: Vorschule der Ästhetik [1804], hg. v. Wolfhart

Gregor Wedekind: Le portrait mis à nu. Théodore Géricault

Henckmann, Hamburg 1990.

und die Monomanen, Berlin 2007, S. 96.

ment, die Thora ebenso wie die klassische Tragödie und

tet werden.124 Während die körperliche Gewalt in Kampf-

der archaische Mythos, d. h. alle ursprünglichen Formen

und Streitsituationen Ausdruck der »Stärke« eines

von Philosophie und Literatur, im Besonderen auch die

Einzelnen ist, der mit einem bestimmten Gewaltmittel

europäische Kunstgeschichte sind reich an Gewaltdar-

destruktiven Zwang ausübt, so liegt im Gegensatz dazu

stellungen und grausamen Vorkommnissen.

der semantische Fluchtpunkt der Macht in der Freiheit,

Wie schon in der Untersuchung des Blattes über

die sie ermöglicht. Macht und Gewalt sind Gegensätze;

Weininger ist an dieser Stelle eine begriffliche Klärung

Ursprung und Ziel der Gewalt ist das Verschwinden von

Voraussetzung für sprachlich expliziertes Verstehen.

Macht.125 Denn Macht bedeutet für Hannah Arendt die

Die einschlägigen und entscheidenden Begriffe sind

Fähigkeit, miteinander zu handeln:

»Macht«, »Gewalt«, »Stärke« und »Grausamkeit«. Sie sind nicht nur im alltäglichen, sondern auch im politisch-

Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht

philosophischen Diskurs ungenau geschieden und wer-

nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit

den jeweils unterschiedlich gebraucht. Hannah Arendt

anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen

hat der vorherrschenden Meinung, in all diesen Fällen

mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt niemals ein

ginge es stets nur um Herrschaftsverhältnisse zwischen

Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur

Menschen, mit Vehemenz widersprochen.

Mit dieser

solange existent, als die Gruppe zusammenhält. Wenn

unscharfen Bestimmung hängt auch das unklare Verhält-

wir von jemand sagen, er »habe die Macht«, heißt das

nis zur Gerechtigkeit, also zu Legalität und Legitimität,

in Wirklichkeit, daß er von einer bestimmten Anzahl

zusammen. Gerade die »Gewalt« des Staates, die vom

von Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu han-

Volke ausgehen soll (Art. 20 Abs. 2 GG) oder Nietzsches

deln.« 126

123

»Wille zur Macht« unterscheiden sich vom Wesen der Gewalt im Sinne Hannah Arendts, der zufolge Gewalt

Der entscheidende Begriff in Bezug auf die Folterun-

einen instrumentellen Charakter besitzt. Das gewalttä-

gen und Strangulierungen im Gefängnis Plötzensee ist

tige Handeln bedarf eines Gewaltmittels, es hat seinen

die »Grausamkeit«, die nicht normativ missverstanden

Zweck außerhalb seiner selbst und es wird in der Regel

werden sollte. Das Phänomen der Grausamkeit unter-

körperlich erlitten. Wenn Gewalt als der Versuch ver-

scheidet sich von der Gewalt nicht zuletzt darin, dass

standen wird, Zwang auszuüben und Gegensätze aus

ein Mensch nicht bloß Opfer, Erleidender von Gewalt

der Welt zu schaffen, dann muss auch jedes Harmonisie-

ist, dessen Leiden in gewisser Hinsicht auch legitim sein

rungsstreben auf seine strukturelle Gewalt hin betrach124 123

Vgl. Hannah Arendt: Macht und Gewalt [On Violence,

Vgl. Wieland Schmied: Wie ein Totentanz, in: AK Berlin 1975, S. 7.

1970], aus dem Engl. v. Gisela Uellenberg, München/Zürich

125 Vgl. Hannah Arendt MuG, S. 57.

2008, S. 45–47 [im Folgenden zit. als: Hannah Arendt MuG].

126

Hannah Arendt MuG, S. 45.

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

71

kann: Man denke an das Recht auf Selbstverteidigung,

– nichts sonst. Der von tyrannischen Fürsten, einfältigen

an das Widerstandsrecht (20. Juli 1944!) oder an medi-

Verbrechern oder ehrgeizigen Märtyrern verursachte

zinische Operationen – im Notfall ohne Narkotisierung.

oder erlittene Schmerz ist körperlich präsent und unter

Grausamkeit bedeutet, dass ein Mensch bewusst als

Umständen grauenvoll. Doch anders als beispielswei-

Mittel zu einem Zweck instrumentalisiert wird: er dient

se der Kreuzestod Jesu Christi im Sinne der christlichen

als Werkzeug. Man spießt ihn zur Abschreckung am

Theologie ist er sinnlos und nichtig: er kann keinen Mehr-

Wegesrand auf oder foltert ihn, um bestimmte Bedürf-

wert besitzen, der als Ergebnis einer theologischen oder

nisse, und sei es die Rachsucht des Ressentiments, zu be-

revolutionären

friedigen und sich dadurch Lustgefühle zu verschaffen.

wird.

Nietzsche tritt auch in diesem Zusammenhang als Desillusionierer auf:

Kosten-Nutzen-Rechnung

postuliert

Befragt Hrdlicka perverse oder banale Grausamkeiten auf ihre Ursachen hin, so lassen sie sich für ihn nicht mit einer Ideologie entschuldigen, historisch aufrechnen

Welcher Genuss ist für Menschen im Kriegszustande

oder wissenschaftlich ausleuchten. Die Grenzen des

[…] der höchste? […] Der Genuss der Grausamkeit: so

Blattformats oder des Steinblocks sind in der Regel zu

wie es auch zur Tugend einer solchen Seele in diesen

eng bemessen. Die Proportionen entgleiten. Auf Blatt

Zuständen gerechnet wird, in der Grausamkeit erfinde-

46 ist die Szenerie ins Nichts hineingehalten. Das Be-

risch und unersättlich zu sein. An dem Thun des Grau-

zeichnete mündet in fragwürdige Abgründe, die durch

samen erquickt sich die Gemeinde und wirft einmal die

Hrdlickas Aquatinta-Grund symbolisiert sind. Die Grau-

Düsterkeit der beständigen Angst und Vorsicht von

samkeit fußt auf mindestens doppeltem Boden.

sich. Die Grausamkeit gehört zur ältesten Festfreude der Menschheit.127 Das Christentum maß dem Leiden der Ausgestoßenen, der zur Opferung bestimmten »Sündenböcke«, einen intellektuellen und moralischen Wert bei. In Nietzsches Sinne holt Hrdlicka dieses Leid auf seinen tragischen Grund zurück. Er sieht in ihm einen körperlichen Schmerz

127

Friedrich Nietzsche: Morgenröthe, Gedanken über die moralischen Vorurtheile [1881], KGW, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Fünfte Abteilung, Bd. 1, Berlin/New York 1971, S. 26; vgl. auch: JGB, VII 229, S. 165 f.; sowie: GM,

72

7. Blatt 46: Acht Zigaretten ...

II 6, S. 300–302.

8. Der historische Kontext des Zyklus »Wie ein Totentanz«

8.1 B i o grap his che We r kmotivation

Geschichtlichkeit unablässig und provokant zur Schau stellte, ist es vor allem die Biographie, die Wegmarken für den Gang der Interpretation anbietet.

Für mich ist Faschismus (faschistoid!) nicht einfach ein Begriff, mit dem es sich leichthin argumentieren läßt,

Dass Hrdlickas feines Gespür für Machtmissbrauch, alles

sondern Empirie. Ich habe meine Kindheit und einige

Totalitäre und letztlich für »das Böse« im Menschen sich

Jahre meiner Jugend unter dieser Fuchtel verlebt.128

schon sehr früh entfaltete, betonte er selbst immer wie-

W

der. In einem Gespräch mit Hans-Dieter Schütt äußerte enn ein moderner Künstler ein Werk

er sich wie folgt: »Meine Kindheit – das sind politische

schafft, so verfolgt er damit eine Absicht,

Erinnerungen. [...] Es war eine furchtbare Zeit der Ge-

sonst würde er es nicht in die Welt setzen.

walt, in die ich hineinwuchs und die ich als Welt-Erklä-

Selbst dekorative oder hedonistische Kunst ist intentio-

rungshilfe nie loswurde. Nachbarn sind verschwunden,

nal verfasst – nämlich gerichtet auf schmückende oder

Menschen wurden auf offener Straße geschlagen.«129

Genuss bereitende Wirkung. Im Nachhinein zu leisten-

Und an anderer Stelle: »Ich habe den Staat ja in unter-

den Interpretationen des Riegl’schen »Kunstwollens«

schiedlicher Weise als schnüffelndes, beleidigendes Or-

bzw. des »Künstlerwollens« muss daher eine Kenntnis

gan kennengelernt.«130 Es ist nicht verwunderlich, dass

des zeitgeschichtlichen Kontextes vorausgehen, in des-

er schließlich resümierte: »Von oben verordnetes Ver-

sen Wirkungszusammenhängen ein solcher Wille steht.

halten war das Letzte, staatlich abgesegnete Vorbilder

Das heißt, dass diese letztlich die Bedingungen sind, aus

Feindbild, die Form des Zusammenlebens unprätentiös,

welchen Kunstwerke erwachsen, so Carl Einstein. Bei

misstrauend jeder falschen Vertraulichkeit.«131

einem Künstler wie Hrdlicka, der in seiner Kunst seine persönliche Haltung zu Politik und Gesellschaft in ihrer 129 128

Hans-Dieter Schütt 1997, S. 45–47.

Alfred Hrdlicka: Die Ästhetik des automatischen Faschis-

130

Ebd., S. 57.

mus, in: LEWIN IV, 166, S. 180.

131

Schaustellungen 1984, S. 108.

8. Der historische Kontext ...

73

1928 geboren, wuchs Hrdlicka Anfang der 30er-Jahre

Besonders 1969 begann Hrdlicka, sich intensiv mit

in einer Arbeitslosensiedlung am Stadtrand Wiens auf.

der Geschichte des Widerstands gegen die NS-Diktatur

Die Wohnung wurde wegen illegaler kommunistischer

zu beschäftigen, da er den Auftrag zur Gestaltung des

Tätigkeit des Vaters durchsucht und verwüstet und die-

Gemeindezentrums Plötzensee in Charlottenburg-Nord

ser 1934 sowie 1936 verhaftet und verprügelt, während

erhielt, an dem er bis 1972 arbeitete.135 Dass Hrdlicka ei-

man der Familie Schweigepflicht auferlegte.132 1934 kam

nige Jahre seiner Kindheit und Jugend unter dem Aus-

es in Wien zum Nazi-Putsch-Versuch, wobei der öster-

trofaschismus leben musste, verdeutlicht, dass seine

reichische Kanzler Engelbert Dollfuß ermordet wurde.

künstlerisch-politische Haltung auch in seiner Biographie

1938 annektierte Hitler Österreich. Mit 14 Jahren erfuhr

begründet liegt. In der Bendlerstraße war Hrdlicka 1944

Hrdlicka vom Tod seines Bruders Ernst, der im Alter von

aber nicht. Die radierten Szenen sind folglich zum gro-

20 Jahren 1942 als Wehrmachtssoldat vor Leningrad fiel.

ßen Teil keine direkt beobachteten. Sie leben von einer

Sein Vater musste 1943 in einer Strafkompanie der »Or-

intensiven Beschäftigung mit der Geschichte und von

ganisation Todt« Frondienste leisten.

der Imagination: Hrdlicka zeichnete nicht, was er unmit-

Geprägt hatte Hrdlicka ein Jugenderlebnis im Jahre

telbar sah, sondern was er dachte und wusste.136 Teils

1941. Die ganze Klasse musste damals mit der HJ nach

gestaltete er sogar Ereignisse, die nicht nur anders, son-

Auschlag-Zöbern im Wechselgebirge zur Wehrertüch-

dern überhaupt nicht stattfanden – beispielsweise die

tigung.133 »Und zur seelischen Abhärtung offenkundig,

im Abschnitt 4 thematisierte Vision des Hauptmanns von

oder was immer diesen Idioten eingefallen ist, haben

dem Bussche.

uns die Ausbilder in ein Kaolinbergwerk geschleppt und da habe ich die ersten KZ-Gestalten in natura gesehen.«134 Wahrscheinlich handelte es sich um russische Kriegsgefangene.

135

Siehe Abschnitt 7.2.

136

»Meine Zeichnung kommt dann aus der Erinnerung, aus der Vorstellung«, aus: AK Stuttgart 1983, Anm. 10, S. 6; schon Baudelaire sprach von Gedächtniskunst und unterschied die »mnemonische Kunst« des »guten, wahren Zeichner[s]«, der aus seiner Vorstellung, seinem Gedächt-

132

133 74

8. Der historische Kontext ...

134

»Zum Beispiel die Verhaftung meines Vaters, die sich

nis und seiner Phantasie zu schöpfen vermag, von der mi-

besonders schmerzlich und folgenreich in mir eingebrannt

metischen Kunst des »Maleraffen«, der nur ablichtet, was

hat – sie ist mit schrecklichen Phantasiebildnissen ver-

ihm unter die Augen kommt, und dabei alle Details gleich

bunden. Vielleicht war das damals die erste Szene meiner

behandelt, so dass dem Betrachter nichts in Erinnerung

späteren Bilder und Steinarbeiten« (aus: Hans-Dieter Schütt

bleibt (vgl. zum Typus des malenden Affen J.-B. Deshays

1997, S. 50).

Gemälde »Le singe peintre« in Rouen oder A.-G. Decamps,

Vgl. Alfred Hrdlicka: Höhlenbewohner, in: LEWIN IV, 181, S.

1833). Charles Baudelaire: Das Schöne, die Mode und das

192 f.; und AK Mauthausen 1985, S. 40.

Glück – Constantin Guys, der Maler des modernen Lebens

AK Mauthausen 1985, S. 40.

[1863], dt. v. Max Bruns, Berlin 1988, S. 24–28.

8.2 D i e kun sthis tor is che K o n st ellat ion

8.2.1 Mo disch e K unst In Mode war ohnehin anderes. Ein radikaler »Neube-

Es gab durchaus bildende Künstler, die nach 1945 die

ginn« sollte stattfinden – weil die traditionelle Kunst

Gewaltherrschaft der NS-Zeit, den Krieg und seine Fol-

Schuld auf sich geladen hatte? – und »Westintegration«

gen figürlich-benennend thematisierten. Doch handelt

geleistet werden: die angeblich »freie« Gegenstands-

es sich im Wesentlichen um wenig bekannte Außensei-

losigkeit nach amerikanischem Vorbild erschien als

terpositionen, von Ossip Zadkine, Otto Herrmann, Fritz

ein vielversprechendes Ideal. Das Bemühen um eine

Cremer, Georg Baselitz und Luc Tuymans abgesehen,

überzeitlich wirksame, figürliche Kunst musste dabei

oder um verklausulierte monologische Kunst, wie bei Jo-

notwendig zu kurz kommen.138 Gerade in Deutschland

seph Beuys und Anselm Kiefer. Zu bedenken ist ferner,

engagierten sich wenige für die Überlegung, dass man

dass die politische Kunst der Nachkriegszeit vorwiegend

über die Vergangenheit nicht einfach hinweggehen

graphisch arbeitete. Kleinere Zeichnungen und Radie-

kann bzw. aufgrund von anfänglicher Überforderung

rungen sind in der Regel nicht derart öffentlichkeitswirk-

nicht dazu verdammt ist, im Schweigen zu verharren.

sam wie Gemälde und Skulpturen, die in großen Ausstel-

Hrdlicka fand zu Recht »die leibhafte Gestalt des Men-

lungen dementsprechend präsentiert werden können.

schen aus der bildnerischen Vorstellungswelt der Nach-

137

kriegskunst vertrieben, psychisch verdrängt oder konzeptionell verklausuliert«.139 Veranschaulichen lässt sich diese Problematik, stellt man Hrdlickas »Cap Arcona« (Abb. 35) Ulrich Rückriems Granitstelen »Zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in Düren« gegenüber (Abb. 36). Was dem einen bloß der Sockel, ist dem 137

Aufzuzählen sind: Schlichter, Radziwill, Hans und Lea Grun-

anderen schon das Werk.

dig, Grzimek, Olère, Zeckowski, Nussbaum, Hofer, Sand-

In diesem Sinne formulierte der in Wien lehrende Pe-

berg, Rudolph, Geiger, Birkle, Lehmden, Strempel, Sitte,

ter Gorsen: »Hrdlicka richtet seine Fleischmetapher als

Tübke, Heisig, Duwe, Krämer. Vgl. unter anderem: Gabriele

bewusst polemisches Mittel gegen eine Auffassung, die

Saure/Gisela Schirmer (Hg.): Kunst gegen Krieg und Faschismus, 37 Werkmonographien, Weimar 1999; sowie:

die Kunst wie eine pietistische Moral und christliche Re-

AK Frankfurt: Zwischen Krieg und Frieden, Ausstellung im Frankfurter Kunstverein, Frankfurt 1980. Die Frage nach

138

Vgl. Dietrich Schubert: Hamburger Feuersturm und »Cap

der Qualität und Bedeutung der jeweiligen Werke sei hier

Arcona« – zu Alfred Hrdlickas Gegendenkmal in Hamburg,

ausgeklammert; ebenso die grundsätzliche Frage nach der

in: Kritische Berichte, Jg. 15/1987, Heft 1, S. 18 (wieder in:

Darstellbarkeit der »Schoah«. Leider lässt die aufgeführte Publikation von Saure und Schirmer sowohl Otto Dix als auch Alfred Hrdlicka unberücksichtigt.

Dietrich Schubert 2007, S. 45–57). 139

Peter Gorsen: Die Emanzipation des Fleisches, in: Trautl Brandstaller 2008, S. 51.

8. Der historische Kontext ...

75

Abb. 35 Cap Arcona, 1985–86

Abb. 36 Ulrich Rückriem: »Zur Erinnerung an die Opfer des

Weißer Carrara-Marmor; 230 x 290 x 210 cm auf einem So-

Nationalsozialismus in Düren«, 1987–1990, Zehn Stelen, Gra-

ckel von 145 cm Höhe; Teil des Hamburger Gegendenkmals

nitgestein, 500 x 110 x 110 cm, davon 100 cm unterirdisch

auf dem Stephansplatz, 1983–86

76

8. Der historische Kontext ...

ligiosität würdig, sittlich, unbefleckt, letztlich naturlos –

breitet ist. Und damit verbunden und nur ein bißchen

als gereinigten, erlösten Geist – haben möchte.«

weniger gefährlich ist eine andere gängige moderne

140

Tatsächlich dachten Kunstvermittler und »Auftragge-

Erscheinung: die häufig anzutreffende Tendenz, das Ur-

ber« im Westen, d. h. Museums-Direktoren, Galeristen

teilen überhaupt zu verweigern. Aus dem Unwillen oder

und Kunstbuch-Schreiber, zu Hrdlickas Schaffenszeit ver-

der Unfähigkeit, seine Beispiele und seinen Umgang zu

stärkt in rein kunsthistorischen Fortschritts-Kategorien:

wählen, und dem Unwillen oder der Unfähigkeit, durch

Der soziale, polithistorische Kontext wurde ausgeklam-

Urteil zu Anderen in Beziehung zu treten, entstehen die

mert. »Kunst« sei schließlich »autonom«.

Dabei wird

wirklichen »skandala«, die wirklichen Stolpersteine,

vergessen, dass Kunst im öffentlichen Raum, in Galeri-

welche menschliche Macht nicht beseitigen kann,

en, Ausstellungen oder Publikationen immer schon poli-

weil sie nicht von menschlichen oder menschlich

tisch ist. Das bedeutet auch, dass Kunst, die sich dieser

verständlichen Motiven verursacht wurden. Darin liegt

Verantwortung entziehen will, dadurch bereits politisch

der Horror des Bösen und zugleich seine Banalität.142

141

angepasst ist oder eine gleichgültige Haltung einnimmt. Jenen »Kunstwerken«, die Öffentlichkeit beanspruchen

Eine nicht-kommerzielle, »zeitspiegelnde« Kunst, die

und gleichzeitig ein arbiträres Werkeln einfordern, sah

diesseits von Wissenschaft und Technik angesiedelt

Hrdlicka einen Widerspruch innewohnen. So wie das Geis-

ist, besitzt das Potenzial, als Diskursgrundlage in der

tige nur im Verbund mit dem Leiblichen auftreten kann,

»machtkritischen Öffentlichkeit« im Sinne von Jürgen

so steht auch Kunst per se in einer Beziehung zu ihrer

Habermas zu wirken. Warum liegt dieses Möglichkeits-

jeweiligen Zeit, Geschichte und Gesellschaft. Dieser Ver-

feld in der Regel brach? Warum wird an zeitgenössi-

antwortung muss Kunst auf ihre jeweilige Weise gerecht

schen »Kunstevents« so geschätzt, dass sie einem ro-

werden. Schon 1965 referierte Hannah Arendt in New

mantischen Irrationalismus und einem postmodernen

York über das Problem eines gestörten zwischenmensch-

Individualismus inständig das Wort reden?

lichen Verhältnisses – und Kunst zu produzieren bedeutet durchaus, zu dem Anderen in Beziehung zu treten: Diese Indifferenz stellt, moralisch und politisch gesprochen, die größte Gefahr dar, auch wenn sie weit ver-

Nicht die subversive »Gegenmacht«143 einer bildmächtigen Kunst, sondern die Selbstbewegung von

142

Hannah Arendt: Über das Böse, Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik [Some Questions of Moral Philosophy, 1965/2003], München/Zürich 2008, S. 150 [im Folgenden

140 Ebd., S. 55. Zur Skulpturengeschichte siehe Dietrich Schubert: Formen der Heine-Memorierung im Denkmal heute,

141

zit. als: Hannah Arendt ÜdB]. 143

Vgl. dazu Klaus von Beyme: Die Kunst der Macht und die

in: Aleida Assmann/Dietrich Harth (Hg.): Mnemosyne,

Gegenmacht der Kunst, Studien zum Spannungsverhältnis

Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frank-

von Kunst und Politik, Frankfurt/Main 1998, S. 7 u. 145–179;

furt a. M. 1991, S. 101–142.

überraschenderweise findet Hrdlickas Zyklus in dieser

Vgl. dazu auch Abschnitte 10 und 12.

Publikation keine Beachtung.

8. Der historische Kontext ...

77

Künstler-Ich, Material und Kapital dominierte die Kunst

auf die neo-dadaistischen Materialmontagen der Nou-

der Nachkriegszeit. Lanciert wurden Strömungen des

veaux Réalistes oder den Anschaulichkeit verweigern-

sogenannten »Modernismus«. Zu diesem Phänomen

den Okkultismus Beuys’scher Art. Der figürlich malende

zählen alle Tendenzen, die das Bemühen um »Erneue-

»Neue Realismus« der 1960er- und 70er-Jahre dagegen

rung« sowie den selbstreferenziellen Verweis auf die

erschöpft sich gemeinhin in der naturalistischen bzw. fo-

Eigenwirklichkeit eines Kunstwerks zum Selbstwert

tografischen Verdoppelung von Sehbildern oder in einer

erheben und dadurch Wesensaspekte der progressi-

mal popartigen, mal konzeptionellen Thematisierung

ven Kunst zwischen 1880 und 1920 verselbstständigen.

der Konsum- und Medienwelt.145 Diese ist jedoch selbst

Dem Selbstausdruck von Farbe und Form wurde das

nur eine zusätzliche, virtuell entfremdete Vermittlungs-

Feld überlassen. Von den 1950er- bis hin zum Beginn der

instanz der ursprünglich sinnlich-phänomenal begegnen-

70er-Jahre feierten jene Künstler Erfolge, die vergange-

den Welt. Der »wirkliche« Realismus ist an eben dieser

ne »Ismen« im Sinne der »Postmoderne« collagierend

subjektiv gegebenen Objektwelt interessiert, in welcher

zitierten und kopierten. Sie verkauften dies jedoch nicht

der Mensch leiblich und in Gemeinschaft existiert. Das

als Eklektizismus, sondern als »Avantgarde«. Das Arran-

Streben nach einer anschaulichen, zugänglichen Wirk-

gement von Gebrauchsgegenständen, die Inszenierung

lichkeitskunst, die insbesondere die NS-Verbrechen und

von Handlungsabläufen zu Events ohne Bekenntnis

beispielsweise die deutsche Widerstandsbewegung als

zum Theater sowie die reine Farb- und Geometriekunst

memorierungswürdiges Ereignis aufgreift, war in diesen

gab es freilich schon bei Kandinsky (»Komposition VI«,

Jahren nur am Rande präsent.

1913), Duchamp (»Das Fahrrad-Rad«, 1913), Malewitsch (»Schwarzes Quadrat« 1913; »Suprematismus Nr. 56«, 1916), Marinetti (»serate futuriste«), Mondrian (De StijlBewegung, »Neoplastizismus«), Ball (Cabaret Voltaire,

8 . 2. 2 W un der li ch , S ch e i b e, G r i es h ab er un d M atta

1916), Schwitters (Merzbau und -Bilder, 1920), Lissitzky (Proun-Räume), Tatlin (Assemblagen) und anderen. Zu

Und doch gibt es aus dem Jahre 1959 einen acht Blätter

Beginn des Jahrhunderts waren diese Ansätze instruktiv

umfassenden Litho-Zyklus von Paul Wunderlich, der in

und spannend.

der Nachfolge der »Art brut« und surrealistischer Strö-

Die aufgestellte These bezieht sich demnach nicht

mungen steht. Sein Titel lautet: »20. Juli 1944«.146 Ver-

nur auf die sogenannte »abstrakte Kunst«, sondern auch auf die postmoderne »Verkunstung von Ekel und Schmutz« , wie sie z. B. Dieter Roth praktizierte, auf 144

die Verwertung der Ready-made-Ästhetik Duchamps,

145

Einen Überblick verschafft AK Berlin: 1945–1985, Kunst in der Bundesrepublik Deutschland, Nationalgalerie Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1985.

146 Vgl. Dieter Brusberg (Hg.): Paul Wunderlich, Werkverzeichnis der Lithographien von 1949–1965, Hannover 1966 [im

78

8. Der historische Kontext ...

144

Ebd. S. 51.

Folgenden zit. als: Dieter Brusberg 1966].

Abb. 38 Paul Wunderlich: 20. Juli 1944, Nr. 6; Lithographie 1959; 430 x 610 mm

liche und Verwesende der menschlichen Existenz. Doch bleibt zu fragen, was das Ausschlaggebende – sprich dasjenige, was dem Betrachter anschaulich gegeben ist – tatsächlich über die Widerstandsbewegung des 20. Juli vermittelt. Oder handelt es sich um eine dekorative Ästhetik, und sei es eine »Provokationsästhetik«147, die sich der Veranschaulichung des historischen Geschehens und seiner Täter-Opfer-Dialektik klammheimlich entzieht? Werden das Leid und der Schmerz von Menschen sichtAbb. 37 Paul Wunderlich: 20. Juli 1944,

bar – oder lediglich Tuschkleckse? Wunderlichs kreative

Nr. 5; Lithographie 1959; 550 x 345 mm

Ausgangspunkte für seine Ideenillustrationen sind stets Zufallsereignisse der bildnerischen Mittel bzw. vom For-

wiesen sei auf die Abbildungen der Blätter 5 und 6 (Abb.

menfundus der Kunstgeschichte ausgehende Inspiratio-

37 u. Abb. 38). Seine Arbeiten suchen die Synthese aus

nen. Die Reize der Realität selbst scheinen ihn weniger

Abstraktion und Figürlichkeit, sie sind in der Themen-

zu interessieren. Es stellt sich die Frage, ob in diesem

wahl engagiert und sichten auf ihre Weise das Zerbrech-

Fall der Stil seinem Thema gerecht wird. Verdrängen die biomorphen, flächigen Partikel der Litho-Tinte das

147

Max Bense: Über Paul Wunderlich, in: Dieter Brusberg 1966, S. 4.

8. Der historische Kontext ...

79

eigentlich Menschliche? Das generelle Dilemma der Austauschbarkeit und Kommentarbedürftigkeit abstrakter Bilder148 wird aufgrund des proklamierten inhaltlichen Anspruchs von Wunderlichs Arbeiten zu einem konkreten Qualitätsproblem. Auch Richard Scheibes bronzenes »Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944« ist zu erwähnen. Es entstand in den Jahren 1952/53 und steht im Innenhof der »Geschichtsstätte Deutscher Widerstand« in Berlin (Abb. 39).149 Auftraggeber für die nackte Jünglingsfigur mit gefesselten Händen war der Senat von Berlin. Die Idee, ein Denkmal zu errichten, geht auf einen Vorschlag von Gerhard Graf von Schwerin im Jahre 1951 zurück.150 Allein die Tatsache, dass dem Widerstand überhaupt ein Denkmal gesetzt wurde, ist für die Bundesrepublik dieser Zeit erstaunlich. Man verhielt sich im Umgang mit den ehemaligen »Volksverrätern« entweder unentschlossen

148 Zur Kommentarbedürftigkeit siehe besonders Arnold Gehlen: Zeit-Bilder, Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei [1960], Frankfurt a. M. 1965, S. 162. 149 Vgl. Beate Eckstein: Im öffentlichen Auftrag – Architekturund Denkmalsplastik der 1920er bis 1950er Jahre im Werk

150

von Karl Albiker, Richard Scheibe und Josef Wackerle,

des 20. Juli 1944«, 1952–53

Hamburg 2005, S. 82 u. 287–300 [im Folgenden zit. als:

Bronze; 240 cm; Innenhof der »Geschichtsstätte Deutscher

Beate Eckstein 2005].

Widerstand«, Berlin

1953 bis 1980 stand die Figur noch auf einem würfelförmigen Sockel, und zwar mit einer Bronzeplinthe, die die Signatur »R. Scheibe fec. 1953« trug. Auf der Vorderseite des Sockels stand die Inschrift: »Ihr trugt die Schande nicht/Ihr wehrtet Euch/Ihr gabt das ewig wache Zeichen der Umkehr/opfernd Euer heißes Leben/für Freiheit und Recht und Ehre«. Die von E. Redslob verfasste Inschrift wurde in Bronze übertragen und in den Boden eingelassen

80

8. Der historische Kontext ...

Abb. 39 Richard Scheibe: »Ehrenmal für die Opfer

(vgl. Beate Eckstein 2005, S. 291, 300).

oder diffamierend.151 Scheibes Plastik zeigt den Widerständler eher in Leidens- und Opfer-»Bereitschaft«. Das Moment des aktiven Widerstands ist nur latent präsent. Aufschlussreich ist der Befund, dass man ohne Kenntnis des Titels in der 2,4 m hohen Figur ebenso gut eine mythologische Gestalt vor sich wähnen könnte. Die idealistisch geglättete, monumentale Gestalt ist entindividualisiert und dem historischen Gehalt, den sie memorieren soll, entrückt: verhärtete Ausdruckslosigkeit tritt dem Betrachter entgegen. Auch der Kunsthistoriker Martin Damus sieht in Scheibes Figurentypus eine Ähnlichkeit mit dessen Plastiken aus der Zeit vor 1945, die von den Nazis gefördert wurden – und damit einen eklatanten Widerspruch zwischen Form und Inhalt.152 Ähnliche Reflexionen ließen sich auch auf zeitgenössische Totentänze beziehen: Als Beispiele seien zum einen die Holzschnitte von HAP Grieshaber unter dem Titel »Der Totentanz vom Basel« erwähnt. Sie erschienen 1966 als Mappe und als Buch im Dresdner Verlag der Kunst. Abgebildet ist einer der gemalten Entwürfe für die späteren Holzschnitte: Blatt 33 des Kunstharzfarben-Zyklus »Die Gouachen zum Totentanz« (Jude, Abb.

Abb. 40 HAP Grieshaber: Jude, 1965

Abb. 41 Roberto Matta: »La Danse de la Mort«, 1972

Nr. 33 aus »Die Gouachen zum Totentanz«; Kunstharzfarbe,

Nr. 5; Strichätzung und Aquatinta auf Kupfer; 510 x 370 mm

Deckweiß, Kreiden, selbstklebende, graue Folie auf Unterlagenpapier; 450 x 357 mm auf 592 x 417 mm

151

Vgl. Ralph Giordano: Von der Leistung kein Zyniker zu sein, Reden und Schriften über Deutschland 1999 bis 2011, Köln 2012; Joachim Perels/Wolfram Wette (Hg.): Mit reinem

40). Sie sind im Herbst 1965 entstanden. Die Originale

Gewissen, Wehrmachtsrichter in der Bundesrepublik und

befinden sich im Besitz der Staatsgalerie Stuttgart.153

ihre Opfer, Berlin 2012.

Zum anderen ist auf Mattas Radierfolge »La Danse de

152 Vgl. Beate Eckstein 2005, S. 296; Martin Damus: Das Denkmal zur Erinnerung an den 20. Juli 1944 von Richard Schei-

la Mort« verwiesen (Abb. 41). Sie besteht aus acht Farb­

be in Berlin – der nackte Jüngling als Symbolfigur für den Widerstand, in: Kunst und Unterricht, Sonderheft 1974, S. 70–80.

153

Wolf Schön: Grieshaber – Die Gouachen zum Totentanz, Stuttgart o. Pag./ o. J.

8. Der historische Kontext ...

81

Abb. 42 und Abb. 43 Cap Arcona, 1985–86 Weißer Carrara-Marmor; 230 x 290 x 210 cm; Teil des Hamburger Gegendenkmals auf dem Stephansplatz

82

8. Der historische Kontext ...

tentanz«.

8. 3 M oti vva r i ati on en i n n er h a l b des ei gen en Œuv r es

Durch diese Vergleiche wird deutlich, wie stilistisch un-

In seinem Hamburger Gegendenkmal auf dem Ste-

terschiedlich ein Thema – die Erinnerung an den 20. Juli

phansplatz (Abb. 42 u. Abb. 43) beabsichtigte Hrdlicka

1944 bzw. das Phänomen des Todes – künstlerisch ge-

ursprünglich die verbrecherische Nazi-Justiz und die

staltet werden kann. Da es gerade auf die gegenseiti-

Memorierung der hingerichteten Offiziere des 20. Juli

ge Durchdringung von Inhalt, Form und Stil ankommt,

erneut aufzugreifen. Man betrachte diesbezüglich die

muss nach der Qualität und Überzeugungskraft dieses

Entwurfszeichnung aus dem Jahre 1983: Vier Todesfor-

Unterfangens gefragt werden. Widersprüche zwischen

men am Hakenkreuz (Abb. 44). Diese Studie auf grünem

Formgestalt und Gehalt sind durchaus intersubjektiv

Papier reichte er zur Präsentation seines Entwurfs bei

vermittelbar – und daraus ein Urteil über künstlerische

der Kulturbehörde Hamburg ein.156 Eine der vier Etap-

und historische Signifikanz dessen, was wir Kunst nen-

pen sollte das Erhängtwerden in Plötzensee darstellen.

nen, ableitbar.

Ausgehend von einem zerborstenen Hakenkreuz, wollte

radierungen zu August Strindbergs Bühnenwerk »To-

In diesem Sinne kehrt die Untersuchung zurück zur »sozialen und geistigen Relevanz«

Hrdlicka einen der vier Winkel senkrecht in den Boden

Alfred Hrdlickas,

einlassen. So sollte der waagrechte Balken an einen Gal-

der zu Recht der Auffassung war: »Avantgarde ist das,

gen bzw. an die Plötzenseer Eisentraverse erinnern. Die-

was der mehrheitlichen Kunstauffassung in den Museen,

ser realistisch-symbolische Entwurf kam jedoch nicht zur

Kunstvereinen und Kulturredaktionen zuwiderläuft.«155

Ausführung.

154

Auch in den darauffolgenden Jahren taucht das Motiv der Fleischerhaken vereinzelt auf. Das Relief-Denk-

Abb. 44 Vier Todesformen am Hakenkreuz, 1983

mal für Eugen Bolz von 1992, das seit dem 15. März 1993

Farbige Kreide, Kunsthalle Hamburg

am Stuttgarter Königsbau steht, zeigt das Motiv des Eisenbalkens mit Haken. Ebenso das Studienblatt zum Ring des Nibelungen von 1996157 (50 x 70 cm, Kreide, Rötel, Pastell). 156

Vgl. Dietrich Schubert: Alfred Hrdlickas antifaschistisches Mahnmal in Hamburg, in: Ekkehard Mai u. Gisela Schmir-

154 Vgl. Dietrich Schubert 1985.

ber (Hg.): Denkmal – Zeichen – Monument, Skulptur und

155

öffentlicher Raum heute, München 1989, S. 134–143; sowie

Alfred Hrdlicka: Denn sie wissen nicht was sie tun, in: AK Heilbronn: Dieter E. Klump – Bildhauerei 1976–1982, Städt. Museum Heilbronn, Heilbronn 1983, S. 23; wieder in: LEWIN IV, 151, S. 168 [im Folgenden zit. als: AK Heilbronn 1983].

Dietrich Schubert 2007, S. 45–57. 157

50 x 70 cm, Kreide, Rötel, Pastell auf Papier; vgl. Trautl Brandstaller 2008, S. 210.

8. Der historische Kontext ...

83

Abb. 45 Ein Volk, ein Reich, ein Führer, 2004 Zyklus »Claus von Stauffenberg und der 20. Juli 1944«; 76 x 50 cm; Filzstift, Aquarell Abb. 46 Tunesien 1943, 2004 Zyklus »Claus von Stauffenberg und der 20. Juli 1944«; 65 x 50 cm; Filzstift, Gouache

84

8. Der historische Kontext ...

Dreißig Jahre nach der Entstehungszeit des Werkes und damit 60 Jahre nach dem missglückten Bombenattentat, widmete sich Hrdlicka 2004 auf Vorschlag des Galeristen Freerk Valentien158 erneut diesem Thema: »Claus von Stauffenberg und der 20. Juli 1944« heißt der etwa 60 Zeichnungen umfassende Zyklus, der daraufhin entstand.159 Ihn präsentierte die Galerie Valentien vom 29. Mai bis zum 30. Juli 2005. Hrdlicka selbst reiste zur Ausstellungseröffnung nach Stuttgart. Die Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen sind enger auf die Person Stauffenbergs zugeschnitten und geprägt durch einen lockeren Duktus mit dynamischer, formübergreifender Strichführung – der Höhepunkt des Spätwerks oder Zeugnis der zunehmenden Augenschwäche des Künstlers? Stellvertretend seien an dieser Stelle drei Blätter vorgestellt, darunter Ein Volk, ein Reich, ein Führer von 2004 (Abb. 45). Die Darstellung Hitlers misst 76 x 50 cm und ist mit Filzstift und Aquarell gestaltet. Hitlers Kopf erinnert an einen Totenschädel: die Augen sind durch den Mützenschild verdeckt, der schwarze Schnurrbart suggeriert die Nasenhöhlen im Knochen.

Abb. 47 Plötzensee, 2005 Zyklus »Claus von Stauffenberg und der 20. Juli 1944«; 71 x 52,5 cm; Kohle, Filzstift, Gouache

Der Hauptverschwörer des 20. Juli, Claus Graf Schenk von Stauffenberg, ist auf der Zeichnung Tunesien 1943 dargestellt (Abb. 46). Sie misst 65 x 50 cm und ist 2004 mit Filzstift und Gouache gezeichnet worden. Blut 158

159

Gespräch des Verfassers mit jenem am 30. Juli 2005; vgl.

tropft aus dem linken Auge und auch die beiden Hände

ferner Freerk Valentien: Ein sehr persönlicher Bericht, in:

laufen in schwarzroter Farbe aus dem Umriss der ana-

AK Schwäbisch Hall: Alfred Hrdlicka – Bildhauer/Maler/

tomischen Form heraus. Bei einem Fliegerangriff am

Zeichner, Künzelsau, 2008, S. 66–73.

7. April 1943 in Nordafrika hatte Stauffenberg das linke

Vgl. Freerk Valentien (Hg.): Alfred Hrdlicka – Claus von Stauffenberg und der 20. Juli 1944, Ein Zeichnungszyklus [im Folgenden zit. als: AK Stuttgart 2005].

Auge, die rechte Hand und zwei Finger der linken verloren. Doch er gliederte sich wieder in den Generalstab

8. Der historische Kontext ...

85

ein. Am 1. Juli 1944 wurde er zum Oberst befördert. Als Stabschef beim Oberbefehlshaber des Ersatzheeres hatte er als Einziger der Verschwörer direkten Zugang zu Hitler.160 Die Hinrichtungsstätte erscheint auf der Kohle/Filzstift/Gouache-Zeichnung mit dem Titel Plötzensee aus dem Jahre 2005 (Abb. 47). Das Blatt misst 71 x 52,5 cm.

160 86

8. Der historische Kontext

Vgl. Thomas Schnabel: Claus Graf Schenk von Stauffenberg, in: AK Stuttgart 2005, S. 13 ff.

9. Die Methode des zyklischen Erinnerns

D

er folgende Abschnitt widmet sich der Struktur

(die große körperliche Kur, 1969–74) oder »Hommage

des Zyklus von »Wie ein Totentanz«. Zunächst

à Pasolini« (Pasolini als Schmerzensmann, 1982–83), an

stellt sich die Frage, weshalb der Künstler die

Reliefs wie das »Haarmann-Relief« (1967–68), den »Tod

bedeutende Thematik des 20. Juli 1944 nicht in einer ge-

des Demonstranten« (1971) in Berlin oder »Robespierre

wichtigen Einzelarbeit gestaltet. Würde er damit doch

mit dem Haupt Ludwigs XVI.« (1979–82). Insbesondere

die Tradition der Historien- und Ereignis-Kunst von Go-

Figurengruppen wie den »Haarmann-Fries« (1966–67),

yas »Erschießung der Aufständischen«, Géricaults »Floß

das »Denkmal für Friedrich Engels« (1977–81) in Wupper-

der Medusa«, Rodins »Bürger von Calais« oder Picassos

tal, das Hamburger »Denkmal gegen Krieg und Faschis-

»Guernica« fortführen. Gerade Hrdlicka, ein Hauptmeis-

mus« (Hamburger Feuersturm, Cap Arcona, 1983–86) und

ter der Denk- und Mahnmale des 20. Jahrhunderts, be-

das Wiener »Mahnmal gegen Krieg und Faschismus«

saß die dafür notwendigen Fähigkeiten. Auch betonte er

(Tor der Gewalt, Straße waschender Jude, Orpheus be-

wiederholt: »[…] im Stein [werden] die einzelnen Dinge

tritt den Hades, Stein der Republik, 1983–1991) sind ein-

formal und thematisch pointiert und auf das absolut

drucksvolle Beispiele für die Wirkungskraft der Skulptur

Wesentliche reduziert […].«

in Hrdlickas Werk.

161

Oder an anderer Stelle:

»Die Quintessenz […] ist dann die Plastik. Ich meine also: Während ich in der Graphik das ganze Thema aus-

Als Annäherung an das Thema des Zyklus »Wie ein Toten-

schöpfe, suche ich mir für die Plastik ganz spezifische

tanz« in einer Einzelarbeit kommen allenfalls zwei Stein-

Sammelpunkte. […]. Die Sternstunde eines Themas ist

arbeiten und zwei Gemälde infrage: die Memorial-Büste

die Plastik.«162

»Porträt Dietrich Bonhoeffer« in Marmor (Abb. 48)163,

Dabei ist zu denken an thematisch verdichtete Skulp-

der »Häftlingsselbstmord« aus Kalkstein (Abb. 49), das

turen wie »Martha Beck nach ihrer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl« (1962–63), »Körperhalluzinationen«

163

Vgl. AK Berlin: Dietrich Bonhoeffer – Alfred Hrdlicka, hg. v. Antonius Jammers, Ausstellung der Staatsbibliothek zu

161

Alfred Hrdlicka, zit. nach Trautl Brandstaller 2008, S. 107.

Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Berlin 2002, S. 24 f. [im

162

Alfred Hrdlicka, in: Schaustellungen 1984, S. 60.

Folgenden zit. als: AK Berlin 2002].

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

87

Abb. 48 »Porträtbüste Dietrich Bonhoeffer«, 1977 Rosa portugiesischer Marmor; 188 x 46 x 62 cm; Staats­ bibliothek zu Berlin Abb. 49 »Häftlingsselbstmord«, 1969–86 Jugoslawischer Kalkstein; 213 x 130 x 40 cm; Besitz des Künstlers

88

Ölgemälde »Die Badenden«, welches Massenerschießungen der SS in Polen thematisiert (Abb. 50) und die »Metamorphose der Endlösung« (Abb. 51). Doch keines der vier Werke wird der umfassenden Thematik von »Wie ein Totentanz« hinsichtlich der Verdichtung annähernd gerecht. Hrdlicka hat weder Bonhoeffer noch den Plötzenseer Häftlingsselbstmord in den Zyklus aufgenommen – bei Letzterem war dies ursprünglich geplant (Abb. 52). Die Gemälde hingegen thematisieren ihrerseits zwar die Gewalt gegen die Juden, blenden aber die komplexen Zusammenhänge der Offiziersrevolte vom 20. Juli aus.

Abb. 50 »Die Badenden«, 1955–1960

Abb. 51 »Metamorphose der Endlösung«, 1974/75

Öl, Tempera auf Leinwand; 210 x 340 cm

Öl, Tempera, Kohle, Pastell auf Leinwand; 290 x 450 cm

Daher stellt sich erneut die Frage: Warum entwickelt

maßen von vornherein eine gleichmäßige Stimmung für

Hrdlicka sein Sujet in einer »Bildergeschichte«, in der

verschiedene Blätter erzeugt, erleichtert die Möglichkeit

episch breiten Darstellung eines Radierzyklus?

eine Reihe von Gegenständen, sei es direkt eines Vorgan-

Abgesehen von der zyklischen Reihung hat die Ra-

ges oder einer fortlaufenden Entwicklung zu geben.165

dierung den Vorteil, dass der Künstler unterschiedlichste technische Darstellungsmethoden verwenden und

Künstlerisches Arbeiten bedeutet für Hrdlicka zumeist

leicht Korrekturen vornehmen kann. Aber auch dass sie

das Bearbeiten eines umfangreichen und umfassenden

vervielfältigbar ist und damit vergleichsweise »kosten-

Stoffes. Dieser muss unbedingt in seinem historischen

günstig« ein größeres Publikum erreichen kann.

Doch

Vollzug, in seiner »Handlungsbreite«166 und im Zusam-

entscheidend dürfte sein, dass der fiktionalere Raum

menhang zeitlich und räumlich unterschiedlicher Per-

eines Bildes, im Vergleich zum plastischen Bildwerk er-

spektiven betrachtet und umkreist werden. Hrdlicka

möglicht, Handlungszusammenhänge zu erzählen. Da­

selbst hat dies in Interviews betont.167

164

rauf verwies schon Max Klinger in seinem Essay »Verhältnis der Zeichnung zur Malerei«, wenn er feststellte:

165

Max Klinger: Verhältnis der Zeichnung zur Malerei, in: Gedanken und Bilder aus der Werkstatt des werdenden

Die – gewöhnlich – leichte Handlichkeit der Zeichnungen (resp. Drucke) sowie die Gleichfarbigkeit, die gewisser-

Meisters, hg. v. Hildegard Heyne, Leipzig 1925, S. 57 [im Folgenden zit. als: Max Klinger 1925]. 166 Alfred Hrdlicka: Fragen und Antworten zur Technik, in: Schaustellungen 1984, S. 60.

164 Vgl. Alfred Hrdlicka: Zur Technik, in: Schaustellungen 1984, S. 59 f.

167 Vgl. AK Frankfurt 1997, S. 22; und Trautl Brandstaller 2008, S. 107.

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

89

In Anbetracht des Zyklus »Wie ein Totentanz« sind

der in die Historie blickt.169 Der »narrative Aspekt« der

das Fehlen der plastischen Gestaltung »zentraler Punk-

Historie schließt das Auffinden von »Wahrheit« aus.

te«, das Moment der Heterogenität und die Weigerung,

Wieland Schmied schrieb diesbezüglich: »Hrdlicka war

die Vielfalt der Phänomene einem einzigen Prinzip oder

immer ein Mann der Zyklen, er braucht die Serie, um

einer Gestalt unterzuordnen, demnach kein negativer

sich auszusprechen, die Wirklichkeit ist ihm zu komplex,

Befund – vielmehr handelt es sich um methodische Ab-

um in einem einzelnen Werk, im isolierten graphischen

sicht:

Blatt, erfasst zu werden.«170

Ich glaube, daß die Kunst die Fähigkeit in sich birgt,

Worin besteht die Eigentümlichkeit des Zyklischen? Si-

mehrere Facetten einer Sache zu sehen. Der Künstler

grun Loos definiert sie wie folgt: »Der Begriff ›Zyklus‹ be-

muß die Fähigkeit besitzen, mehrere Ebenen in die

sagt Ideen- oder Themenkreis, in sich geschlossene Rei-

Betrachtung einzubringen […]. Die für die Kunst not-

he inhaltlich zusammengehörender Gedanken, Einfälle

wendige Tendenz zur aufklärerischen Verunsicherung

und Dinge; im weiteren Sinn auch Illustrationsfolge.«171

nimmt in dem Maße ab, in dem aufgrund der schnellen

Die Ausführung von Otto Breicha zielt auf Ähnliches

Informationsflüsse sofort passende Richtungen, die

ab: »In verschiedenen Ansichten wird eine Geschichte

Trends, eingeschlagen werden. Kurzgeschlossene Infor-

oder sonst ein komplexes Thema umbildert. Eins fügt

mationen und deren Verarbeitung führen jedoch, nicht

sich zum Anderen. Aneinander gereihte Bilder ergänzen

nur in der Kunst, zu weitreichender Verdummung. […]

sich zur Bilderfolge. Indem man es mehrfach ansichtig

Denn um etwas zu verstehen, muss ich berücksichti-

macht, können Abläufe vermittelt werden. Das, was

gen, dass dies auch noch anders sein könnte.

auf einmal nicht gesagt werden kann, wird im Mehr-

168

Abb. 52 »Häftlingsselbstmord«, 1974 Bleistift, Rötel; 200 x 160 cm

fachdazusagen sagbar.«172 Auf der Basis dieser Ansätze Die angesprochene Vielfalt der Standpunkte ist zudem dahin gehend zu interpretieren, dass für Hrdlicka eine Bedingung historischen Verstehens in der geschichtli-

169 Vgl. Dietrich Schubert: Die Verantwortung der Kunst – Alfred Hrdlickas antifaschistisches Denkmal in Hamburg, in:

chen Kontextualisierung liegt. Das meint unter anderem die Einbettung eines Ereignisses in zeitlich vorausgehendes und nachfolgendes Geschehen – allerdings ohne

Forum Wissenschaft, 5. Jg., 1988, Heft 1, S. 20–25. 170 171

Sigrun Loos: Wesen und Ausdrucksformen zyklischer Graphik, in: Dunkle Szenen – Meisterwerke zyklischer Graphik

dabei in Kategorien deterministischer Geschichts-Kausa-

von Goya bis Dubuffet, hg. v. d. Salzburger Landessamm-

lität zu denken. Die zeitliche Auffächerung wird immer motiviert sein durch die wertende Selektion desjenigen,

Wieland Schmied: Wie ein Totentanz, in: AK Berlin 1975, S. 7.

lungen Rupertinum zum eigenen Sammlungsbesitz, Salzburg 1992, S. 10 [im Folgenden zit. als: SB Salzburg 1992]. 172

Otto Breicha: Jenes gewisse Interesse, in: Beispiele zyk­ lischer Grafik der Gegenwart, hg. v. Otto Breicha, Eine Publikation d. Salzburger Landessammlungen Rupertinum

90

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

168 Alfred Hrdlicka, in: Walter Schurian 1988, S. 16.

zum eigenen Sammlungsbestand, Salzburg 1995, S. 5.

versucht die vorliegende Arbeit, noch dezidierter die

Vorstellungen verlangt. Wird nun ferner beabsichtigt,

künstlerische Form und Struktur einer Graphikfolge zu

mehrere Arbeiten zur »Bilderfolge« eines Zyklus anei-

analysieren und philosophisch zu befragen. Das zykli-

nanderzureihen, bedarf es trotz aller Improvisationen

sche Kunstwerk soll nicht auf seinen referenziellen Cha-

auch vorausgehender dramaturgischer Reflexionen.

rakter reduziert werden, wobei lediglich die verschie-

»Weshalb zyklische Graphik in etwa auch als die ›hohe

denen Arten des Text-Bezugs, der Erzähl-Strategie im

Schule‹ des graphischen Metiers gelten darf, wie auser-

Vordergrund stünden. Als in die Irre führend erweist sich

sehen für alle diejenigen, die es sich besonders schwer

indes der Kommentar von Peter Weiermair zu Hrdlicka:

und schwierig machen.«174

»Die Bildgeschichte ist nicht Illustration eines Textes; sie

Im Zuge dieser Kunstform »für Fortgeschrittene«

bezieht sich formal auf verwandte propagandistische

reicht auch die kunstgeschichtliche Vergangenheit der

Kunstformen der Vergangenheit.«173

düsteren Schwarz-Weiß-Kunst noch offenkundiger als

Bedient sich ein Künstler der Kunstform der zyk-

bei anderen Techniken in die Gegenwart hinein. Altmeis-

lischen Druckgraphik, so handelt es sich um eine be-

ter der Druckgraphik wie Dürer und Rembrandt, Goya

wusste Entscheidung. Zeichnen und Malen sind Frei-

und Hogarth, Daumier und Klinger zeigen sich zuweilen

zeitbeschäftigungen vieler, als Kind schon wachsen die

erstaunlich »modern« hinsichtlich Formvereinfachungen

meisten damit auf. Die Druckgraphik erfordert ganz

und Bildphantasie – und empfehlen sich als Anregung

bestimmte handwerkliche Fertigkeiten und eine Werk-

und Vorbild.

statt. Dem Abzug geht ein langwieriger Entstehungs-

Das Denken in Zyklen und Serien ist kunsthistorisch

prozess mit vielen rein technischen Zwischenschritten

tief verwurzelt. Beispielhaft erwähnt seien Dürers »Apo-

voraus. Des Weiteren ist zu beachten, dass besonders

kalypse« von 1498, die »Bilder des Todes« von Hans Hol-

das Kaltnadelverfahren, bei dem der Künstler mit spit-

bein d. J. (1538), Callots »Les Misères et les Malheurs de

zer Stahlnadel die Zeichnung unmittelbar in die Kupfer-

la guerre« von 1633, Hogarth’s »The Rake’s Progress«

platte ritzt, eine vorhergehende Konzeption und klare

von 1734, Goyas »Caprichos« (1793–1798), Friedrichs Jahreszeiten/Lebenszeiten-Zyklus von 1826, Martins Mezzotinto-Zyklus von 1827 zu John Miltons »Paradise Lost«,

173

Peter Weiermair: Österreich – Ein Land der Zeichner, in: AK Klosterneuburg: Österreich 1900-2000, Konfrontationen und Kontinuitäten, Ausstellung der Sammlung Essl v. 17. 02

Klingers »Ein Leben (Opus VIII)« von 1884 – um hier nur einen seiner vielen und dabei gleichwertigen Zyklen zu

bis 21. 05. 2006 in Kunst der Gegenwart, kuratiert v. Wie-

nennen –, Beckmanns »Der Jahrmarkt« von 1921 und

land Schmied, Wien 2006, S. 63. Hrdlicka wird in dieser Pu-

nicht zuletzt Dix’ Kriegszyklus aus dem Jahre 1924.

blikation fast verschwiegen, weil Essl ihn nicht sammelte. Abgesehen von einer verschwindend kleinen Fotografie des »Gekreuzigten« von 1959 wird aber selbst im Rahmen

Auch mit anderen Techniken wurde immer schon in Folgen gearbeitet. Erinnert sei an die mehrere Register

der kunsthistorischen Katalogbeiträge keine einzige seiner bedeutenden Radierungen gezeigt.

174

Otto Breicha: Zyklisch bestimmt, in: SB Salzburg 1992, S. 9.

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

91

aufweisenden karolingischen Psalter und Evangilista-

ausschmückende Funktion übernimmt. Er kann eigen-

re, an die typologischen Goldschmiedearbeiten des Ni-

ständig eine »Bildergeschichte« entwickeln. Diese um-

kolaus von Verdun (»Klosterneuburger Altar«), an den

kreist dann in einer zuweilen recht zusammenhang- und

Glasschmuck in gotischen Kathedralen, die biblischen

schauplatzlosen, nicht diskursiv nacherzählbaren Sze-

Fresken Giottos (Fresken der Arenakapelle in Padua),

nenabfolge ein bestimmtes Thema, z. B. den Tod. Dabei

das Stundenbuch der Brüder Limburg (»Trés Riches Heu-

erscheinen die Bildblätter seltener im Buch gebunden

res de Jean Duc De Berry«), und den Welterschaffungs-

denn als separate Mappenwerke.

zyklus Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle. Auch

Zudem tritt der Zyklus im Stile eines »Historienbil-

die jahreszeitlichen Landschaftszyklen Pieter Bruegels

des« oder »Ereignisbildes« auf, wobei er in der Regel

d. Ä., die Rouen-Folgen Claude Monets, Van Goghs Ge-

zeitkritisch politisches Geschehen bezeugt. So ist es bei

mälde-Ensemble für die Brüsseler Ausstellung der »Les

Callot, Goya, der Kollwitz und Dix der Fall. Dabei muss

Vingt« 1890 und Munchs Lebensfries, der als ganzer

manches mehrfach ausgesprochen werden, damit es im

1902 auf der fünften Ausstellung der Berliner Secession

Gedächtnis haften bleibt und Früchte tragen kann.

präsentiert wurde, sind zu nennen. Es muss in diesem Zusammenhang auch an Darstel-

Im Folgenden wird der Versuch einer Strukturbestim-

lungsformen der Medien und der »Popkultur« gedacht

mung des Zyklischen philosophisch vertieft. Wenn

werden: Die Simultaneität von verschiedenen, hetero-

Hrdlicka sagt: »Es gibt keinen fertigen Prozess. Jeder

genen »Bildern« und Kolumnen in der Boulevardpresse

Schaffensprozess wird eines Tages abgebrochen«175, so

sowie die Zeichnungs-Streifen der Comics haben Hrdlic-

sorgt die Reihung mehrerer Werke für Abhilfe. Denn in

ka maßgeblich geprägt – explizit den Zyklus »Roll over

einem Zyklus kann das Folgeblatt das in einer bestimm-

Mondrian« von 1965–1967.

ten Hinsicht stets unfertige und unvollkommene Einzel-

Nach diesem Exkurs geht die Arbeit zunächst auf den

blatt noch einmal aufnehmen und es dort weiterführen,

ersten Aspekt der zitierten Definitionen ein. Das heißt

wo jenes zuvor ein Ende fand. Im Gegensatz zum exklusi-

auf jene spezifische Leistung zyklischer Folgen, die darin

ven Totalbild bietet der inklusive Zyklus die Möglichkeit,

besteht, eine Geschichte, ein komplexes Thema, einen

auf verschiedene Weisen in ein Thema einzusteigen. Es

Ablauf bildlich zu vermitteln. Ein Zyklus besitzt demzu-

geht darum, den Phänomenen ihre Komplexität und da-

folge gewisse »literarische« Fähigkeiten. Liegt ihm tat-

mit ihre Wirklichkeit zu lassen, anstatt sie zu systemati-

sächlich ein Sprachwerk zugrunde, wie die Ilias oder die

sieren und zu vereinfachen, d. h. sie zu verabstrahieren.

Bibel, dann wird er zur »Illustrationsfolge«. In diesem

Von Martin Heidegger erfahren wir diesbezüglich:

Fall erscheint er vorwiegend in Buch-Form mit Textbegleitung. Man kann einen Zyklus selbst dann als »Illustrations92

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

folge« bezeichnen, wenn er für sich steht und keine bloß

175

Alfred Hrdlicka, zit. nach Trautl Brandstaller 2008, S. 32.

So bewegen wir uns hier ständig im Kreise. […] Die-

sehen – als unerwartet in Verbindung stehend. Auf diese

ses im Kreise Sichbewegen der Philosophie ist wieder

Weise werden Zusammenhänge einsehbar: In der poly-

etwas, was dem vulgären Verstande zuwider ist. Er

phonen Form des Zyklus zu arbeiten heißt zu versuchen,

will gerade nur ans Ziel kommen, so, wie man der Din-

der Mannigfaltigkeit der Teile eines komplexen Themas

ge im Handgriff habhaft wird. Im Kreis gehen – das

über verbindende »Fugen« deren eigentliches Nachbar-

führt zu nichts. Vor allem aber macht es schwindlig,

schaftsverhältnis zurückzugeben.

und Schwindel ist unheimlich. Man kommt sich vor, als

Neben dem Merkmal der umkreisenden Reihung im-

hänge man zwischen dem Nichts. Daher ja nicht diese

pliziert das Zyklische das Element der Periodik. Darunter

Kreisbewegung und so auch kein Zirkel! […] Bei dieser

werden üblicherweise zeitliche Rhythmen mit regelmä-

Kreisbewegung ist nicht das entscheidend, was der vul-

ßig wiederkehrenden Momenten verstanden. Das heißt,

gäre Verstand allein sieht, das Entlanglaufen an der Pe-

wenn ein Phänomen bewusst in der zyklischen Form

ripherie und das Zurückkommen an dieselbe Stelle auf

behandelt wird, zeigt sich darin ein bestimmter Gedan-

der Peripherie, sondern das im Kreisgang mögliche und

ke des Künstlers: er sieht im Behandelten – z. B. in den

in ihm allein mögliche Blicken ins Zentrum als solches.

Ereignissen des 20. Juli 1944 – etwas sich Wiederholen-

Dieses als ein solches offenbart sich nur im Kreisen um

des. Im Falle des Zyklus »Wie ein Totentanz« wären dies

es.

Gewalt und Gegengewalt sowie das militaristische Prin-

176

zip von Befehl und Gehorsam bzw. die Möglichkeit des Ein Thema wird im Zyklus pluralistisch in verschiedener

Nicht-Gehorsams. Hrdlicka bringt zur Anschauung, dass

Hinsicht betrachtet und dadurch umsichtiger ausge­

das Wiederkehrende immer auch in einem anderen Mo-

lotet. Es kann zeitlich in ein Vorher und ein Nachher ein-

dus wiederkehren kann, z. B. kann der Gehorsam dem

gebettet und zurechtgerückt werden. Dabei zieht eine

Widerstand Platz machen. Aber auch die Verweigerung

Darstellung eine folgende entweder in kohärenter und

des Gehorsams bleibt eine Reaktion innerhalb eines

schlüssiger Weise nach sich oder sie wird mit einer an-

hierarchisch organisierten Systems. Aus der Innenper-

deren kontrastiert. In beiden Fällen erläutern sie sich

spektive betrachtet bedeutet der Widerstand vor al-

im zyklischen Zusammenhalt gegenseitig: Im ersten Fall

lem eines: einen Verrat zu begehen. In der Regel ist er

wird Ähnliches in seiner Vielfalt wieder miteinander ver-

entweder ohnmächtig oder es werden die Herrschafts-

bunden. Im zweiten entlarvt sich Gegensätzliches – ver-

verhältnisse sogar noch gefestigt. Periodische Verläufe

mittelt durch die Idee des Künstlers, es miteinander zu

wären demnach als eine Weise der »Metamorphose« zu verstehen. Jene vereint Kontinuität und Wandel im Sin-

176

Martin Heidegger: Die Grundbegriffe der Metaphysik, Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Freiburger Vorlesung Wintersemester 1929/30 [1983], Frankfurt a. M. 2004, S. 266 ff.

ne der »ewigen Wiederkehr desselben«: ein Phänomen unterliegt zwar einem Gestaltwandel, bleibt in seinem Wesen jedoch mit sich selbst identisch. Wenn Hrdlicka in den Ereignissen des 20. Juli keine singulären, keine

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

93

historisch abgeschlossenen Vorfälle sieht, dann heißt

Das angesprochene moderne Lebensgefühl findet

das, dass auch deren Erinnerung und Reflexion im Plural

sich auch in folgendem Merkmal wieder. Die Ansätze

stattfinden muss, will man Fortunas Schicksalsrad in die

in zyklischen Arbeiten zeugen davon, statt einheitlich

Speichen greifen können.

vielmehr ganzheitlich zu empfinden und zu denken. ­Darin liegt die Möglichkeit, die »Zersplitterung« aufzu-

Das graphische Arbeiten in der Form des Zyklus kann

heben, in der die Phänomene alltäglich begegnen, wenn

auch als die Kristallisation eines modernen Lebensge-

sie jeweilige Identität durch gegenseitige Abgrenzung

fühls verstanden werden. Es geht um jene Grundbefind-

wahren müssen. In einer Reihung existieren die einzel-

lichkeit, die ihr Epizentrum in Revolutions- und Kriegser-

nen Teile nie substanziell isoliert. Sie sind immer schon

fahrungen, im »Tode Gottes« oder im Theorieproblem

­Moment eines Ganzen und tragen so dessen einheitli-

von Relativismus und Skeptizismus hat. Zunächst ist

chen Zweck auch in sich selbst. Dies greift einen System-

diesbezüglich eine scheinbar technische Eigentümlich-

Gedanken Hegels auf. Bewusstseinsgestalten – »Ob-

keit der Druckgraphik zu berücksichtigen: Das bildne-

jekte« im weitesten Sinne, sprich Gedanken, ­Personen,

rische Charakteristikum des Dunklen und Düsteren.

Werke, Institutionen – werden nicht mehr verdingli-

Positivistisch gedacht, ließe sich dies auf das harte,

chend als ein An-sich vorgestellt, sondern in ihrer Bezüg-

schwarz-weiße Erscheinungsbild von meist schwarzer

lichkeit und Relation erkannt.178 Der Begründer der Phä-

Druckfarbe auf weißem Papier reduzieren. Das ist nicht

nomenologie, Edmund Husserl, erkennt die ­»Sachen«

von der Hand zu weisen, doch ist eine Vorliebe für fins-

als Bewusstseinsobjekte und damit immer schon in

tere Motivik, Atmosphäre und Stimmung in Holzschnit-

Verbindung stehend zu dem entsprechend gerichteten

ten, Radierungen und Lithographien seit Goya nicht zu

Bewusstseinsakt und dem Standpunkt des Subjekts.

leugnen. So gesehen wird das zunächst als Wirkung

Für Husserl ergibt sich das Verschiedene überhaupt erst

Beobachtete zum primären Ausgangspunkt. Der Künst-

durch die vermittelnden Konstitutionsleistungen des

ler bedient sich bewusst der Druckgraphik, um in einem

Bewusstseins: Die Bezugspunkte des Wahrnehmens,

angemessenen Stil Gewalt sowie sozialem und individu-

Sprechens, Denkens, Erinnerns und Erwartens sind

ellem Elend gerecht zu werden. Max Klinger betonte

dabei bestimmt durch die Standpunkte desjenigen, ­

in seinem schon zu Beginn dieses Abschnittes zitierten

der wahrnimmt, spricht, denkt, erinnert und erwartet.

Text über Malerei und Zeichnung, dass man in der »Grif-

­Ferner zeigt sich eine »Sache« immer in »Abschattun-

felkunst« besser Hässliches und Grausames darstellen

gen«, gegeben ist nur ein bestimmter, fokussierter

könne. Denn sie verzichte auf den Pathos-Effekt der Far-

Aspekt vor einem »mitgegenwärtigen« Hintergrund.179

ben.177 178

Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des

179

Vgl. Edmund Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenolo-

Geistes [1807], Hamburg 1988. 94

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

177

Max Klinger 1925, S. 57.

Hermeneutische und strukturalistische Ansätze führen

Gedankenmotiv der Dialektik des Scheins181 – das Äs-

dies in gewisser Weise fort. Sie fordern für das notwen-

thetische als Reich des Scheins wird zum Medium der

dig zirkelhafte Verstehen, das sich immer schon in Vor-

Wahrheit – liegt im Fragmentarischen, Gebrochenen,

Verständnissen bewegt, Kontexte und Subtexte neben

Funktionslosen die eigentliche Ehrlichkeit der moder-

den Haupttext zu stellen und die strukturellen Verweise

nen Kunst zu sich selbst. Was Adorno über die Kunst

und regelhaften Muster aufzudecken.

im Allgemeinen sagt, zeigt sich konzentriert in der

Die Dinge ganzheitlich und in Zusammenhängen zu

Form des Zyklus. Indem sie sich in ihrer Unvollständig-

sehen bedeutet des Weiteren, im Hinblick auf das Ge-

keit, Rätselhaftigkeit und Antisystematik selbst infrage

samt der Dinge, sie nicht als absolute Einheiten zu ver-

stellt, zerfalle die charakteristische Schein-Einheit und

stehen. So zeugt der Zyklus vom Bemühen, angebliche

Geschlossenheit der Kunst. Sie offenbart sich in ihrer

Absolutheiten und die Vorstellung von einheitlichen

Unwirklichkeit und wird zum Ort der Wahrheit, d. h.,

Identitäten dekonstruktivistisch zu differenzieren und

sie zeigt das Besondere, des Inkommensurable, die

das uneinholbar Andere und Fremde nicht zu nivellieren.

Differenz, das Nicht-Einheitliche und Nicht-Identische.

Werner Schmidt schrieb 1978 über den Zyklus »Wie ein

Die Einheits- und Sinnauflösung gehört nach Adorno

Totentanz«: »Die Störung im Mitteilen zeigt den Bruch

zum Wesen des dialektischen modernen Kunstwerks,

oder die Lücke in einer Angelegenheit, den Widerspruch

zugleich reflektiere sie aber auch kritisch die gesell-

als Kern des Wirklichen, den Hrdlicka sucht. Er reißt Ver-

schaftliche Regression, die gerade darin bestehe, einen

hüllungen herunter, lüftet Gloriennebel und paßt auf,

repressiven Vereinheitlichungsdruck aufzubauen. Es gilt,

daß Aufklärung nicht zur neuen Verkleisterung wird.«180

sich der Vortäuschung einer Versöhnung hinsichtlich

Ausgehend von den Merkmalen des Pluralistischen

der Entfremdung des Subjekts von seinen intentionalen

und Heterogenen, die schon der Form des Zyklus einge-

Objekten zu verweigern. »›Wahr‹ […] nennt Adorno die

schrieben sind, sowie den Charakteristika des Hässlichen

Kunst, die die gesellschaftlichen Verhältnisse als ›negati-

und des Rudimentären, die zur spezifischen Formge-

ve‹, als entfremdete und verdinglichte erkennt.«182 Die-

stalt von Hrdlickas Kunst gehören, dient an dieser Stelle

se wahre Kunst sei damit die entscheidende Kraft zum

Theodor W. Adorno als Stichwortgeber. Nach Adornos

Protest gegen die gesellschaftlichen Tendenzen der sozialen Vereinheitlichung und Gleichschaltung sowie der Verdinglichung des Einzelnen. Gerade in Hrdlicka ist eine

gie und phänomenologischen Philosophie [1913], Tübingen 1993.

181

180 Werner Schmidt: Alfred Hrdlicka – »Wie ein Totentanz«, in:

Vgl. Christoph Menke: Theodor Wiesengrund Adorno, in: Ästhetik und Kunstphilosophie – Von der Antike bis zur Ge-

Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen

genwart in Einzeldarstellungen, hg. v. Julian Nida-Rümelin

Dresden, Erwerbungen 32, zur Ausstellung im Kupferstich-

u. Monika Betzler, Stuttgart 1998, S. 5–15 [im Folgenden

Kabinett vom 13. 09. 1978 bis 12. 01. 1979, Dresden 1978, S. 1 [im Folgenden zit. als: Werner Schmidt 1978].

zit. als Christoph Menke 1998]. 182

Christoph Menke 1998, S. 7.

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

95

intellektuelle und ästhetische Subjektivität zu erkennen,

die Möglichkeit zu geben, seine Bildgedanken assozia-

die sich dadurch auszeichnet, stets eine kritische Distanz

tiv in Schritten und Sprüngen zu entwickeln. Christine

gegenüber gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen

Pielken schrieb 2003: »Gerade der Entwurfscharakter,

eingenommen zu haben.

der Eindruck des Unvollendeten und die Verwendung

Die Infragestellung von ästhetischer Einheit und

von Überblendungen verleiht den Werken Unmittel-

Abgeschlossenheit, welche die Form des Zyklus leis-

barkeit und Dynamik, verlangt dem Betrachter beson-

tet, entfaltet darüber hinaus einen anderen Begriff des

dere Aufmerksamkeit ab […].« Diese Aufmerksamkeit

Gelingens. Wann ist – sowohl in ästhetischer als auch

braucht einen langen Atem. Schließlich, so Pielken wei-

in ethisch-praktischer Hinsicht – »Ganzheit« erreicht?

ter, »wandeln sich innerhalb Hrdlickas Zyklen auch die

Auf Kriterien wie absolute Einheit oder die Utopie von

Sympa­thien des Betrachters, der Eindruck und Perspek-

Perfektion ist nicht mehr zurückzugreifen. Maßgeblich

tive immer wieder neu in Frage stellen muss und dessen

ist vielmehr der Versuch, die Transitorik des Werdens

Wertungen ständig wieder ins Wanken geraten.«184

in integrierende Zusammenhänge zu überführen. Das

Gerade deshalb zeigt sich die Reihungsstruktur des

bedeutet, das uneinholbar Fremde des Noch-nicht und

Zyklischen als veritable Methode. Methodenfragen be-

des Nicht-mehr sowie die Vereinzelung jedes Moments,

treffen üblicherweise das Problem des Zugangs einer

jeder Radierung, als in einer »Bewandtnisganzheit«

Wissenschaft zu ihren Gegenstandsgebieten. In diesem

183

miteinander vernetzt zu begreifen.

Sinne bestimmt der Mediziner eine spezifische Behand-

Diesem sowohl antisystematischen als auch anti­

lungsart eines Leidens, die zu einem Therapieerfolg füh-

atomistischen Ansatz entspricht in der Philosophie die

ren soll; der Interpret eines Kunstwerks reflektiert mög-

Form des Essays, der ineinander übergehenden Beiträge,

liche Vorgehensweisen seines Auslegungsgeschäfts, um

der Aufsatz- und Aphorismensammlung. Als Analogon in

einem Missverstehen entgegenzuwirken; der Naturwis-

der bildenden Kunst kann die zyklische Reihung bezeich-

senschaftler folgt jenen Wegen, die ihm verheißen, von

net werden.

seinen Ausgangsfragen zu »objektiven« Antworten zu gelangen. Der Ansatz der vorliegenden Untersuchung

96

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

Lässt man sich auf die skizzierten Analysen ein, die im

besteht dahingegen in der Idee, dass schon dem Gegen-

Rahmen der vorliegenden kunsthistorischen Untersu-

stand selbst, in diesem Falle Hrdlickas Zyklus, eine Me-

chung nicht weiter ausgeführt werden können, offen-

thodik zugrunde liegen kann.

bart sich die zyklische Form als eine ideale Weise, sowohl

Die methodische Struktur des Zyklus »Wie ein Toten-

der Erlebnisvielfalt eines Themas in seinen komplexen

tanz« kann uns, sofern sie herausgearbeitet wird, für

Überlagerungen, seiner Prozesshaftigkeit und Mehr-

unsere Verarbeitungs- und Erinnerungsstrategien ein An-

ansichtigkeit gerecht zu werden als auch dem Künstler

gebot machen. Die dem Werk implizite Form des »zykli-

183

184 Christine Pielken 2003, S. 67, 74.

Begriff entlehnt von Martin Heidegger SuZ, S. 84.

schen Erinnerns« zeigt eine weitreichende Leistung von Hrdlickas Ansatz: Er stellt sich in den 1970er-Jahren stellvertretend für viele Andere der Frage, wie derart übermächtige und schwer zu bewältigende Ereignisse wie der Zweite Weltkrieg oder auch der Offiziersaufstand des 20. Juli von einzelnen Subjekten überhaupt ver- und aufgearbeitet werden können – ohne vor dieser Aufgabe zu kapitulieren und statt dessen in entwirklichenden »Abstraktionen« Zuflucht zu suchen. Mittels einer konsequenten Entfaltung der zyklischen Form und damit einer pluralistischen, repetierenden, assoziativen und ­ nie abgeschlossenen Vorgehensweise löst Hrdlicka diese Schwierigkeit auf eine mögliche Weise. Erneut sei Werner Schmidt zitiert: »Die persönliche Sicht, in der sich Erfahrung, Wissen und Betroffenheit durchdringen, verleiht dem Werk lebendige Gegenwärtigkeit, die von der graphischen Sprache getragen und gesteigert wird. Hrdlicka doziert nicht, er fordert heraus. Seine offene, heftige Zeichenweise mit Tilgungen, Korrekturen und Zusätzen regt den Betrachter an, seinerseits zu ergänzen, zu streichen oder zu wider­sprechen und also Partei zu nehmen.«185

185

Werner Schmidt 1978, S. 3.

9. Die Me thode des zyklischen Erinnerns

97

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

10 .1 Krit ische r Humanis mus und bi ldn eri sche Phänome nolo gie

das figürliche Malen und Bildhauern gelte als »unfrei« und »reaktionär«, ein Urteil, wie es Produzierende, Theoretiker und Ausstellende der »Kunstbetriebskunst«188 lancierten. Hrdlicka zerbricht sich nicht den Kopf darü-

Das anpassungsfähige, experimentierbeflissene Meer-

ber, ob der Mensch in oder out ist, denn »was sollte er

schwein Künstler hat […] den Menschen aus seiner

denn sonst sein, wenn nicht in? Ob im Kino, im Theater,

bildnerischen Vorstellungswelt eliminiert. Ein Weltbild

im Ministerium, in der Fabrik, im Wirtshaus, im Weltall

ohne Menschenbild, dominiert von Quadraten, Orna-

oder im Bett – die Menschen beschäftigen sich mit sich

menten, Strukturen, Nirostaplatten und -röhren, Stan-

und ihresgleichen.«189

gen, Kugeln, Würfeln und ähnlich aufregenden und gestaltungswürdigen Bildinhalten.186

Hrdlickas Werk zeugt unter diesem Gesichtspunkt von einem ernsten, verantwortungsbewussten und politisch denkenden Künstler. »Kunstmarktmoden, Muse-

Hrdlicka ergänzt diese Beobachtung durch den Hinweis,

ums- und documenta-Installationen interessieren mich

dass auch Schriftsteller keineswegs Buchstaben auf

nicht. Ich bin weder Modeschöpfer noch Installateur.

Papier arrangierten, sondern nach wie vor menschen-

Ich mache zeitbezogene Kunst.«190 Vieles von dem, was

bezogene Prosa und Lyrik schrieben, abgesehen von

er erfährt, weiß bzw. unmittelbar sieht, stimmt ihn zor-

einzelnen dadaistischen Experimenten in der konkreten

nig und lässt ihn eine spöttisch-sarkastische Haltung

Poesie. Und dass im Theater wie eh und je Menschen

einnehmen. Anstatt sich mit Askese, Indifferenz oder

musizieren, tanzen, sprechen und singen – ohne »dass

theoretisierendem Bastlertum auf- und rauszuhalten,

jemand in einem Anfall von spontaner Selbstverwirkli-

bezieht er Position, teilt sich mit und stellt grundsätz­

chung außer Programm kreativ geworden« sei.187 Nur 188 Ders.: ebd., S. 178. 186 Alfred Hrdlicka: Die Ästhetik des automatischen Faschismus [1983], in: LEWIN IV, 166, S. 182. 187

Ders.: Als die Freiheit anfing [1983], in: LEWIN IV, 163, S. 178.

189 Ders.: ebd., S. 179. 190 Alfred Hrdlicka: Die Moden des Marktes interessieren mich nicht, in: ART 3/1991.

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

99

liche Fragen nach der condition humaine: Was zeichnet

Der selbstreferenzielle Charakter der International Ab-

Menschen aus? Lassen sich konstante Befindlichkeiten

stract Art vertreibt und verdrängt nicht nur die leibhaf-

und Nöte benennen?

te Gestalt des Menschen, sondern er ebnet auch jene

Schön anzusehendes Dekor, poppig-serielle Men-

spannungsgeladene Differenz zwischen Bild und Abge-

schenbilder, der angestrebte Selbstausdruck von gegen-

bildetem ein. Baudrillard folgert daraus: »Das Bild muß

standslosen Materialarrangements oder der Rückzug

in gewissem Sinne auch sich selbst gegenüber fremd

in konzeptionelle Privatmythologien sind nicht seine

bleiben. Es darf sich nicht als Medium reflektieren, sich

Sache.

Denn »man sollte doch […] keinen Augenblick

nicht für ein Bild halten. Es muß eine Fiktion bleiben,

vergessen, dass die Malerei überhaupt […] keine bloße

eine Fabel, und auf diese Weise der unlösbaren Fiktion

Farbenkunst, sondern dass auch [ihr] Wesen und die

des Ereignisses als Echo dienen.«193 Hrdlicka ist die As-

Grundlage durchaus plastisch ist, also in jedem Theile an-

similierung von Realität und Kunst nicht nur zu fade,

schauliche Bestimmtheit und einen karakteristischen Aus-

sondern er erkennt auch die Gefahr der impliziten inhalt-

druck ihrer Gegenstände fordert«192, schrieb Carl Ludwig

lichen Beliebigkeit: Wenn alles geht, erübrigt sich jedes

Fernow 1806.

kritische Denken, weil somit Wertmaßstäbe nicht mehr

191

Ausgehend von einer figürlich-expressiven, realis-

anlegbar sind. Da Hrdlicka aber die faschistische Verach-

tisch-anschaulichen Form zielen Hrdlickas Werke auf

tung der Menschenwürde erleben musste, ist ihm der

das mahnende Denk-mal, die empörte Anklage, den

Selbstwert des Subjekts stets oberstes Kriterium.

polemischen Gedankenanstoß, die bissige Interpretation von geschichtlichen und zeitgenössischen Ereig-

Exakt dieses Problem der Umwertbarkeit der Werte

nissen ab. Auf der Bühne seiner Kunst führt er Stücke

pocht in den Adern von Hrdlickas Figuren. Der engagier-

auf, die das menschliche Dasein betreffen, anstatt sich

te Realist meißelt aus seinen Beobachtungen die Einsicht

auf re­ dundante Weise mit Form-Fragen aufzuhalten.

heraus, dass Menschen nicht fest und stabil auf einem Grund stehen. Zwar lässt die Psychodynamik der Triebe nach Selbsterhaltung, Fortpflanzung und Macht das In-

191

In Abgrenzung zu einer »anschaulich wirksamen« bilden-

dividuum im Alltag dingbezogen in der Welt aufgehen,

den Kunst bzw. einer »sozialen Bildlichkeit« sprach Dietrich

hält es jedoch zugleich in latenter Unruhe, die auch in

Schubert vom ästhetischen Arrangieren und Komponieren trivialen Materials; vgl. Formen der Heinrich-Heine-Memo-

Gewalt umschlagen kann. Haus und Hof der alltäglichen

rierung im Denkmal heute, in: Aleida Assmann, Dietrich

Ordnung sind grundsätzlich einsturzgefährdet. Tritt das

Harth (Hg.): Mnemosyne, Formen und Funktionen der

menschliche Leben z. B. im Kontext eines Krieges aus

kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1993, S. 101–143, hier 110.

100

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

192 Carl Ludwig Fernow: Über die Landschaftsmalerei [Römi-

193 Jean Baudrillard: Warum ist nicht alles schon verschwun-

sche Studien, 2. Theil, Zürich 1806], in: Werner Busch (Hg.):

den?, Berlin 2008, S. 36 [im Folgenden zit. als: Jean Baudril-

Landschaftsmalerei, Berlin 1997, S. 245.

lard 2008].

der konventionell besorgten Umwelt heraus, kann dem

Hervor treten vielmehr Dimensionen der Existenz, die

späteren Zeugen die ehemals ausgelegte und vertrau-

auch im Alltag gegenwärtig sind, dort jedoch im Hinter-

te Welt als un-heimlich und absurd begegnen.194 Wenn

grund verborgen liegen. In der biederen Rechtschaffen-

humanistische Werte und Unwerte in Gleichgültigkeit

heit, die davon ausgeht, der Mensch hätte mit der obs-

versinken, könnte selbst das Töten eine angemessene

zönen Bilderwelt in Hrdlickas Œuvre eigentlich nichts zu

Weise des Überlebens und der Weltbeherrschung sein

tun, ist die »Banalität des Bösen« schon angelegt. Und

– und als eine »konstruktive soziale Handlung«195 neben

zwar insofern, als es dieser an der Bereitschaft mangelt,

die Wissenschaft und die Ingenieurskunst treten. Das

sich der Anstrengung einer unerschrockenen Selbstre-

Selbstbild westlicher Gesellschaften vermeidet, Phäno-

flexion zu stellen.

mene wie Gewalt und Mord unter diesen Aspekten zu

Hrdlicka geht noch einen Schritt weiter. Da für Mas-

betrachten. Dass Gewalt eine faktische Option des Han-

ken, Verstellung und Selbstinszenierung weder Raum

delns ist, muss aber reflektiert werden. »Weil Hrdlicka

noch Zeit bleibt, offenbart der Mensch in entsprechen-

das Bestialische am deutschen Faschismus als etwas bei-

den »Extremsituationen« eher etwas von seinem Mensch-

nahe Kreatürliches, als etwas nahezu biologisch Zwang-

sein als unter normalen, d. h. sicheren und bequemen

haftes, das tendenziell in uns allen steckt, erkannt und

Umständen. Erst »[i]m Schmerzhaften, im Leiden, finde

ins Bild umgedeutet hat, kann es befreiend wirken«,

ich, zeigt sich, was den Menschen ausmacht«.197 »Sicht-

196

schlussfolgerte Walter Schurian. Hrdlickas Werke verweisen auf eine Welt ohne Selbst-

bar wird das Triebhafte, das Brutale und auch das zutiefst ­Lächerliche am Gehabe aller Bonzen und Popanze.«198

beherrschung: Den Grausamen ruft kein Gewissen zur

Diese Auffassung teilt er mit Otto Dix, der 1961 äußer-

Raison. Der Leidende gibt sich seinem Leid hin. Der Ero-

te: »Man muß den Menschen in diesem entfesselten Zu-

tiker befriedigt seine Gelüste. Wenn »Apokalypse« im

stand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu

weitesten Sinne als Zivilisationsbruch verstanden wird,

wissen.«199 Auch Dostojewskij schreibt in den »Aufzeich-

kann vom apokalyptischen Gehalt in Hrdlickas Kunst ge-

nungen aus dem Kellerloch«: »Das Leiden – das ist ja der

sprochen werden. Die Pointe ist darin zu sehen, dass

einzige Grund des Bewusstseins.«200 Manchmal scheint

Hrdlicka die Apokalypse in der Banalität des Alltäglichen verortet. In den Szenerien jenseits der Normalität zeigt sich kein »unnatürlicher«, »kranker« Ausnahmezustand.

197

Alfred Hrdlicka im Interview mit Hanno Rauterberg, in: DIE ZEIT, Nr. 9, 21. 02. 2008, S. 45.

198 Walter Schurian 1988, S. 50. 194 Vgl. Martin Heidegger SuZ, S. 184–191; sowie Albert Camus:

199 Zit. nach: Hans Kinkel: Begegnung mit Otto Dix, in: Stutt-

Der Mythos des Sisyphos [1942], übers. v. Vincent von

garter Zeitung vom 30.11.1961; auch Dietrich Schubert: Otto

­Wroblewsky, Reinbek bei Hamburg 1999.

Dix mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek

Sönke Neitzel/Harald Welzer: Soldaten, Protokolle vom

bei Hamburg 62005, S. 25; auch ders. (Hg.): Otto Dix – Der

195

Kämpfen, Töten und Sterben, Frankfurt a. M. 2011, S. 420. 196 Walter Schurian 1988, S. 50.

Krieg, 50 Radierungen von 1924, Marburg 2002, S. 9. 200 Dostojewskij, Fjodor: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

101

es also gerade die Finsternis zu sein, die das hellste Licht

oder förderlicher Weise angehen. Die Leiblichkeit kons-

wirft. Nicht zuletzt in dieser paradoxen Einsicht sind

tituiert seine Angewiesenheit auf das Andere. Durch sie

sich alle drei Künstler einig. Das Licht meint hier die auf-

existiert der Mensch immer in praktischer Bezugnahme

klärende Wirkung, die der Konfrontation mit dem Schre-

zu den Bedeutungszusammenhängen der Welt. Ihn in

cken innewohnt.

seiner Leiblichkeit zu verstehen heißt, sein Gestellt-Sein in Handlungszusammenhänge zu erkennen und damit

Nach dieser allgemeinen philosophischen Positions-

das Menschsein existenzial zu begreifen.202

bestimmung gilt es nun, das Behandelte unter jenen

Hrdlicka stellt diesen leibbasierten Konnex von Gehalt

Begrifflichkeiten zu subsumieren, die eng an Hrdlickas

und anschaulicher Gestaltung – z. B. die notwendig figür-

Werk gebunden sind. Menschliches Leid, dessen Um-

liche Darstellung von Phänomenen wie Erregtheit und

stände und Ursachen bilden die thematische Maserung

Aggressivität – in einer Skizze selbst dar. Das »Fleisch =

von Hrdlickas Werken. Dieser Hintergrund soll nun an-

Kunst«-Dreieck aus dem Jahre 1973 (Abb. 53) 203 ist in der

hand von vier Aspekten in den Fokus gerückt werden:

Absicht einer Selbstinterpretation gezeichnet.

Im Zentrum stehen erstens die verbrecherischen Ten-

Um dem Problem der Ideologie gerecht zu werden,

denzen jeder Ideologie, zweitens die Pathologie von »le-

darf man nicht vergessen, wie neben der Leiblichkeit

bensverneinendem« Verhalten gegen sich und andere

des Menschen Staat und Gesellschaft mittels ihrer je-

und drittens die Kulturphänomene der Sexualität. Diese

weiligen Normierungsgeflechte das individuelle Dasein

drei Aspekte sind bei Hrdlicka stets anhand der Physio­

stets mitbestimmen. Politische Phänomene, auch in ih-

gnomie und des individuellen menschlichen Leibes, des-

rem geschichtlichen Vorlauf, sind immer auch Bestand-

sen Körperhaltung und Handlungssituation dargestellt.

teil der Lebensform von Individuen. Hrdlicka ist in dieser

In Hrdlickas Werk ist der Leib der zentrale Ausdrucksträ-

Hinsicht im Besonderen Antifaschist und Kulturkritiker

ger. Die Leibpriorität des menschlichen Weltbezugs und

im Allgemeinen: Die Zivilisation in Gestalt von Religion,

der Kunst – »Alle Macht in der Kunst geht vom Fleisch

Wirtschaft und Politik versteht er als weniger fördernd

aus«

denn repressiv.

201

– stellt folglich den vierten Aspekt dar. Den Men-

schen in seiner Leiblichkeit zu zeigen bedeutet, ihn in seiner praktisch-handelnden Bezogenheit auf die Welt zu verstehen. Denn nur insofern der Mensch körperlich ist, kann die Welt ihn als etwas Anderes in abträglicher

202 Vgl. zur Leiblichkeit menschlicher Reflexivität und zum Leib als Nahtstelle der Realität Maurice Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966. Daran anschließend Lorenz Dittmann: Kunstwissenschaft und Phänomenologie des Leibes, in: Aachener Kunstblätter,

[1864], aus dem Russischen von Swetlana Geier, Frankfurt a. M. 2007, S. 42. 201 Alfred Hrdlicka: Alle Macht in der Kunst geht vom Fleisch 102

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

aus, in: Alfred Hrdlicka – Skulptur – 1973, S. 8.

44/1973, S. 287–316. 203 Die entsprechende Zeichnung, nebst den drei Vorstudien ist abgebildet in: Barbara Hrdlicka/Theodor Scheufele (Hg.): Alfred Hrdlicka – Zeichnungen, Dortmund 1994, S. 12 f.

sind dadurch in ihrer Macht begrenzt. Phänomene wie militanter Männlichkeitskult, manischer Ordnungssinn ­ und missionarischer Revolutionseifer sind in Hrdlickas Sinne als Regressionen zu verstehen. An dieser Stelle sei auf die Zyklen »Bauernkrieg«, »Französische Revolution«, »Wie ein Totentanz« und alle Arbeiten zu »Haarmann« verwiesen. Das zweite Menschenbild zeigt den Menschen in Revolte und Auflehnung.204 Dafür steht die geballte Faust des Widerstands. Hrdlickas Augenmerk liegt auf der Beobachtung, dass das Aufbegehren gegen Obrigkeiten und autoritär verwaltete Gewaltmonopole deren Machtinhaber im Zuge von Gegenschlägen immer wieder zur Lust an der grausamen Schändung verführt. Exemplarisch beschäftigte sich der Künstler damit im »Plötzenseer Totentanz«, in den Arbeiten zu »Marsyas«, »Orpheus«, »Christus« und »Pasolini«. Abb. 53 »Fleisch = Kunst«, 1973 Tusche, Buntstift; 33 x 28 cm

Das dritte Menschenbild Hrdlickas bezieht den Rezipienten mit ein, der bei bloßer Betrachtung, Mitleid und Furcht nicht verweilen kann. Da von Hrdlickas Kunst unbestreitbar eine aufrüttelnde und empörende Wirkung

Ausgehend von den genannten vier Themenkomple-

ausgeht, wird der Betrachter auf sich selbst zurückge-

xen lässt sich feststellen, dass in Hrdlickas Œuvre drei

worfen und stellt sich, sofern er dies zulässt, selbst in-

»Menschenbilder« gegenwärtig sind. Das erste zeichnet

frage. Eine Möglichkeit des Reagierens ist das Antwort-

den Menschen als Ausübenden und Opfer von Gewalt.

Geben durch die Übernahme von Verantwortung. Werte

Die Verstehensarbeit hinsichtlich der Entstehung und

wie freiheitliche Selbstbestimmung und humanistisches

des Ausbruchs von Gewalt führte ihn dabei in deren ge-

Engagement werden gerade durch ihre Abwesenheit in

wöhnliche »Banalität« und ließ ihn freudianisch erken-

Hrdlickas Bilderwelt wieder präsent. Denn seine Kunst

nen, dass die Bedrohung für die bürgerliche Gesellschaft

macht demjenigen, der sich ihr aussetzt, deutlich, dass

in erster Linie verdrängte und entfremdete Triebe sind. Durch sie handelt der Einzelne aus der angewachsenen Eigenmacht des Unbewussten heraus und nicht aus wacher Deliberation. Moralische Kontrollmechanismen

204 Vgl. Albert Camus: Der Mensch in der Revolte [1951], aus dem Französischen v. Justus Streller, Reinbek bei Hamburg 2006.

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

103

das Humane im Menschen ein äußerst gefährdetes Gut

ters« von Hrdlickas Kunst sich im komplexen Phänomen

ist. Es ist die ethische Pflicht jedes Einzelnen, sich selbst

der Gewalt bzw. der Grausamkeit manifestiert. Das will

im Auge zu behalten, im Zwiegespräch mit sich zu blei-

nachvollzogen sein.

ben, damit man sich in seinem eigenständigen Wesen

Der Form-Aspekt einer Graphik oder Skulptur ist in

als Mensch nicht verliert und sich selbst noch ertragen

all seiner »Materialität« nie strukturlos, er tritt als ein

kann. Der neben dem repressiven Peiniger und dem

immer schon gestalteter auf. Das heißt, er zeichnet sich

renitenten Revolutionär dritte Typus meint ein Indivi-

durch ikonische Charakteristika aus. Diese konstituie-

duum, das sich gestalterisch und mit Sinn für die Men-

ren den »Gehalt« des Werkes. Das sich dem Betrachter

schenwürde am Gemeinwesen beteiligt. Er ist, obzwar

zeigende Gegenüber eines Kunstwerks kann demnach

im Œuvre allgegenwärtig, nicht unmittelbar dargestellt

kein bloß vorhandener Wahrnehmungsgegenstand sein,

– er muss gelebt werden.205

sondern ist ein artikuliertes Gebilde, das einen Sinn zeigt und darstellend ausspricht.208 Es steht damit anders als beispielsweise der Stein auf dem Feldweg in dem Be-

1 0. 2 F or m un d S ti l der Gr aus a m kei t

deutungszusammenhang des menschlichen Lebens. Darauf aufbauend folgt der zweite Gedankenschritt. Die Einleitung im 1. Abschnitt fordert, dass die Einheit von Gestalt und Bedeutung eines Werkes – was schon

Des Tags bin ich Baron, des Nachts bin ich Verbrecher.

206

Hegel postulierte – visuell anschaulich bzw. atmosphärisch gegenwärtig sein muss. Andernfalls ist jene Ein-

Die Finsternis im Angesicht der schlafenden Vernunft

heit nicht erreicht. Das heißt, wenn dasjenige, was ein

führt auf den im 7. Kapitel behandelten Begriff der

Kunstwerk mitzuteilen hat, nicht überzeugend über die

Grausamkeit zurück. Schließlich lautet eine der The-

Werkgestalt vermittelt ist, leidet es an einem Defizit.209

sen dieser Arbeit, dass die Werk-Einheit im Sinne des »Totaleindrucks«207 bzw. des »anschaulichen Charak-

208 Vgl. Gottfried Boehm 1989, S. 15. Schon der Soziologe Hans Freyer sprach von »sinnhaltiger Form«. Vgl. dazu Günther Fiensch: Form und Gegenstand, Studien zur niederländi-

205 Vgl. Peter Sloterdijk: »Ist nicht bedeutende Kunst immer konkav? Was ihren Klang ausmacht, wird von dem be-

104

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

schen Malerei des 15. Jahrhunderts, Köln 1961, S. 4–12/ 102–104.

stimmt, was sie nicht mehr sagt.« Aus ders.: Kopernikani-

209 Das auf Aristoteles zurückgehende Postulat der Einheit

sche Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, Frank-

von »Stoff« und »Form« war ein zentrales Anliegen der

furt a. M. 1987, S. 74.

klassischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts (vgl. Friedrich

206 Zit. nach Trautl Brandstaller 2008, S. 130.

Schiller, Neunter Brief, S. 34). Im weitesten Sinne greift

207 Der Begriff des »Totaleindrucks« wurde von A. G. Baum-

dieser ästhetische Ansatz einen Gedanken der christlichen

garten, C. L. Fernow, A. v. Humboldt und G. Morelli ver-

Theologie auf, die in der »Inkarnation« die dem Menschen

wendet.

gemäße Erscheinungsweise des Intelligiblen sieht: Geist

Es spricht mithin vieles dafür, in ebendiesem Aspekt

gedacht, denn der Marmor oder die Kupferplatte sind

ein wichtiges Qualitäts-Kriterium zu erkennen: Haftet

keine Menschen. Es handelt sich um eine Strukturanalo-

einem Werk sein Thema nur äußerlich an, oder ist es

gie, um einen Vergleich in Bezug auf die Lust und das Be-

anschaulich gemacht und transportiert das Werk damit

friedigungsgefühl beim »Verletzen« von Gegenständen

formimmanent und formtransparent den Gehalt? Wenn

im künstlerischen Schaffensprozess. Hrdlicka äußerte:

grundsätzlich – um mit Theodor Lipps zu sprechen – »künstlerische Form nichts anderes als die Daseinsweise

Denn im Prinzip habe auch ich jahrelang nichts anderes

des Inhalts [ist]« , dann gewinnt ein Kunstwerk desto

gemacht, als männliche Körper zu zerstückeln und zu

mehr an Überzeugungskraft, je besser das Wie das Was

dezimieren. Die Faszination für das Anatomische, ja

vermittelt.

geradezu die Sucht des Zerlegens, ergibt Berührungs-

210

Unter Berücksichtigung dessen, dass sich originäre

punkte. Wer mein Frühwerk kennt, versteht das. Ich

bildende Kunst nicht zuletzt dadurch auszeichnet, ihr

mache es mir schwer mit meinen Monumenten, weil

Thema durch Form und Stil zum Ausdruck zu bringen

ich über kurz oder lang von dem Verlangen befallen

und es so zu veranschaulichen, soll im Folgenden nach-

werde, das Ganze zu zerstückeln. Meine Bildhauerei

vollzogen werden, dass bereits die Art und Weise, wie

kostet mich einiges an Überwindung, da ich gern alles

Hrdlicka seine Steine und Platten bearbeitet, auf den

wieder zertrümmern möchte – eine ironische Übertrei-

Aspekt der Gewalt und Grausamkeit verweist: Denn

bung, aber die Wahrheit. Es gilt für mich, aber nicht

Hrdlicka schindet und traktiert sein Material, wie Ernst

nur für mich: Kunst ist das, was übrig bleibt.212

Fischer korrekt beobachtete: »Hrdlickas Plastiken werden, mit Hammer und Meißel, zersprengt, zerfurcht,

Um diesen Aspekt genauer zu fassen, bedarf es im Sinne

geschunden, bis die Materie restlos Energie geworden

Alois Riegls einer »kritischen Stilanalyse« von Hrdlickas

ist.«

Kunst, die auch technisch-formale Aspekte berücksich-

211

Grausamkeit ist hier nicht als ethische Kategorie

tigt. Hrdlicka tastet sich an sein widerständiges Material nicht vorsichtig und behutsam heran, sondern wagt im muss Fleisch werden, um sich dem Menschen zeigen zu

Taille directe-Verfahren den zwar überlegten, doch letzt-

können. Das philosophische Problem der Einheit von Logos

lich immer einschneidenden Schlag, der auch vor radi-

(„Geist«) und Phänomen („Materie«) wurde dem Evangelisten Johannes zufolge in der inkarnierten Gottesfigur

kalen »Zerstörungen« nicht zurückschreckt. Auf ähnlich

Jesus Christus gelöst. Der Phänomenologe Edmund Husserl

rigorose Weise ritzt er mit schnellem Strich in die Kupf-

dachte es im intentionalen Bewusstsein und Martin Heid­

erplatten und tilgt im Arbeitsprozess bereits Geleiste-

egger im In-der-Welt-sein des Daseins.

tes oder setzt zu großflächigen Übermalungen auf der

210 Theodor Lipps: Ästhetik, Zweiter Teil, Die ästhetische Betrachtung und die bildende Kunst, Hamburg/Leipzig 1906,

Leinwand an. »Neben der zitternd empfindsamen Linie

S. 95. 211

Alfred Hrdlicka – Graphik – 1973, S. 3.

212

Alfred Hrdlicka, zit. nach: Walter Schurian 1988, S. 19.

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

105

kratzt die Radiernadel rau schraffierte Dunkelheit.«213

der Formvereinfachung, Unschärfe und Detaileinspa-

Hrdlickas Stil stört mit Methode jeden Wohlklang, der im

rung sind.

Verdacht steht, die Begegnungsweise der Phänomene in

Der Dualismus zwischen realistischer, »menschenbil-

ihrer Widersprüchlichkeit, Unplausibilität, Unüberschau-

dender« und abstrakter, »weltarmer« Kunst wiederholt

barkeit und auch in ihrer Grausamkeit zu ästhetisieren.

trotz aller Unterschiede in gewisser Weise die kulturhis-

Stattdessen will er seiner bewegten menschlichen

torische Dialektik von griechischem und christlichem Stil­

Figur mitgeben, was sie bewegt. Darum ist die von ihm

ideal im Sinne Erich Auerbachs. In dieser Hinsicht besitzt

gestaltete steinerne Materie so energetisch und die

die Kunst Hrdlickas durchaus ein christliches Erbe, denn

Anatomie der Physis derart antiklassisch. Das bedeutet

»es war die Geschichte Christi, mit ihrer rücksichtslosen

nicht, dass die Natur verfremdet ist oder einem verein-

Mischung von alltäglich Wirklichem und höchster, erha-

heitlichenden Formprinzip unterworfen wird. Hrdlicka

benster Tragik, die die antike Stilregel überwältigte«.215

sieht vielmehr eine Herausforderung darin, dem jeweils

Für klassizistisch-idealistische Strömungen dürfe »das

Charakteristischen über eine verdichtende Herange-

alltägliche und praktisch Wirkliche nur im Rahmen einer

hensweise näherzukommen. Die paradigmatische Me-

niederen und mittleren Stilart« dargestellt werden und

thode aller realistisch-expressiven Kunst besteht in der

nicht auf ernste, tragische, erhabene Weise.216 Die bib-

Technik der Deformation, die zu einer Konzentration auf

lische Erzählform und der moderne Realismus, mit ihm

das Wesentliche des Ausdrucksgehalts führen soll. Die

Hrdlicka, unterscheiden sich aber noch in einem zwei-

Anamorphose ist ferner ein Mittel, um innere Bewegt-

ten Punkt vom Klassizismus. Denn sie verabschieden

heit auszudrücken und spannungsgeladene Lebendig-

sich in ganzer Konsequenz von dem plastisch-epischen

keit zu suggerieren. In Anbetracht der Gestaltungs-

Grundimpuls, der darin besteht, die Entscheidungen

prinzipien seines Bruders hat schon Theo van Gogh die

gleichmäßig ausgeformt, ohne dunklen Rest, wohldispo-

entsprechenden Begriffe fixiert.

Für die déformation

niert, in allen Details tast- und sichtbar zu vergegenwär-

kann auf zwei verschiedene Gestaltungsweisen zurück-

tigen. Die Ereignisse vollziehen sich nicht ort- und zeit-

gegriffen werden, die auch in Beziehung zueinander

bestimmt im hellen Vordergrund, sondern sind dunkel,

gesetzt werden können: Einerseits die exagération,

hintergründig, rätselvoll und gleichzeitig übereinander

sprich die Übertreibung, Karikierung und Überdetailie-

gelagert.217 Diese beiden Merkmale der biblischen Erzäh-

rung. Andererseits die simplicité, deren Prinzipien die

lungen, die Darstellung des Alltäglichen im »großen Stil«

213

Werner Schmidt 1978, S. 1.

215

214

Vgl. Dietrich Schubert: Vincent van Goghs Gemälde in der

214

Ausstellung bei ›Les Vingt‹ in Brüssel im Januar 1890, in: 106

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

Erich Auerbach: Mimesis, Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur [1946], Bern/Stuttgart 1988, S. 516 [im Folgenden zit. als: Erich Auerbach 1988].

Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3, Bd. 55, Mün-

216

Erich Auerbach 1988, S. 515.

chen 2004, S. 203 f.

217

Vgl. ebd., S. 8 u. 14–15.

und die realistisch-hintergründige Gebrochenheit dieses

versuche es an dieser Stelle noch einmal. In der Graphik

großen Stils, zeichnen auch Hrdlickas Kunst aus.

ist es wie beim Schreiben. Man kann etwas so durchstrei-

Doch ebenso wie die Kehrseite der realistischen Ver-

chen, daß man es dennoch lesen kann, und einen Zusatz

einfachung die unplastische Verflachung ist, droht dem

machen.«220 Auch allgemein ist feststellbar, dass die grö-

Mittel der Übersteigerung das manieristische Pathos. Ba-

beren Anfangszustände wie der roh bossierte Marmor

rocke Kabinettstücke vermeidet Hrdlicka jedoch ebenso

oder die skizzenhafte Gliederung des Blattes nicht voll-

wie das Unversehrtheits-Pathos der »psycho-physischen

ständig und systematisch weitergeführt und »zu Ende

Vollkommenheitsideologie in der NS-Kunst«,

gebracht« werden. Sie bleiben neben oder unter ausge-

218

indem er

dem Künstlerverlangen nach Perfektion und Abgeschlos-

arbeiteten Stellen »rustiziert« stehen.

senheit widersteht. Das Skizzenhafte, das Nonfinito, aber

Diese anschauliche Manifestation eines Arbeitspro-

auch das Gebrochene und Torsierte lassen seine Werke

zesses macht die der Kunst eigene, performative Er-

bescheiden auftreten. Durch die formale Offenheit und

kenntnis- und Produktionsweise sichtbar. Kunst setzt

Unabgeschlossenheit zeigt sich das Kunstwerk als Bruch-

nicht einen bereits feststehenden Gehalt formgebend

stück eines umfassenderen dynamischen Geschehens.

oder gar vervielfältigend um – als bestehe er auch un-

»So sind die meisten meiner Skulpturen, auch die ›Voll-

abhängig von seiner künstlerischen Vergegenwärtigung.

ständigen‹, Bruchstücke eines Geschehens, herausge-

Der Kunstgehalt entwickelt und entfaltet sich vielmehr

brochene Momentaufnahmen, zugehörig einem Zyklus

in seiner Besonderheit für den Künstler erst im prakti-

oder Bewegungsrhythmus.«

Das Feste und Stabile ist

schen Vollzug der Werkgenese. Dieses Wesen künstleri-

lediglich dasjenige, was im Zuge eines Entstehungs- und

schen Schaffens ist in seinen Ausmaßen immer bedingt

Arbeitsprozesses übrig bleibt und Einblick gewährt in

durch die Technik. »Die Verfestigung einer Bildvorstel-

das Gesamt jenes Hergangs, dem das Werk entspringt.

lung im Arbeitsvollzug, ihr Werden im Werken, wird

Vieles von diesem Entstehungsprozess ist in Hrdlickas

gerade dadurch, daß die Radierplatte beinahe endlose

Kunst dennoch gegenwärtig, da er die angesprochene

Überarbeitungen zulässt, in hohem Maße gefördert.«221

Arbeit, welche dem Präsentationszustand vorausgeht,

Nicht selten änderte sich bei Hrdlicka sogar die Thematik

nicht verschleiert, sondern zu einem Bestandteil des

im Laufe des Arbeitsprozesses – auch bei Skulpturen.222

fertigen Werkes macht. Bezüglich seiner Radierungen

In der altmeisterlichen Lasurmalerei, die im 20. Jahrhun-

219

äußerte er: »Bei der Graphik kann man auch das zu Korrigierende erhalten. Es muß nicht immer verloren gehen

220 Alfred Hrdlicka: Fragen und Antworten zur Technik, in:

– man kann es nur flüchtig ausstreichen und sagen: Ich

Schaustellungen 1984, S. 61. 221

Wolf Stubbe: Manifestationen in der Radierung – Zur graphischen Technik von Alfred Hrdlicka, in: Alfred Hrdlicka

218

Peter Gorsen: Die Emanzipation des Fleisches, in: Trautl Brandstaller 2008, S. 56.

219

Zit. nach: Trautl Brandstaller 2008, S. 36.

– Graphik – 1973, S. 53. 222

Vgl. Alfred Hrdlicka: Fragen und Antworten zur Technik, in: Schaustellungen 1984, S. 62.

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

107

dert z. B. Otto Dix wieder aufgriff, verhält sich dieser

wissenschaftliche Modelle, Kunstwerke etc. überein.223

Entwicklungsprozess nur auf den ersten Blick anders als

Die bildende Kunst reflektiert darüber hinaus unausge-

in der »alla Prima-Malerei«. Denn Vorzeichnungen und

sprochen die ikonische Verfasstheit der sprachlich fixier-

Karton-Entwürfe zählen zum Gesamtkunstwerk unbe-

ten Realität – analog zu dem, was die Literatur in Bezug

dingt dazu. Stellt man in diesem Fall die verschiedenen

auf die sprachliche Verarbeitung und Konstituierung von

Entwicklungsschritte nebeneinander, so wird das Phä-

Wirklichkeit leistet. Auf die Theorieansätze zum »iconic

nomen der organischen Bildentfaltung auch innerhalb

turn« sei im Rahmen dieser Untersuchung lediglich hin-

der Lasurmalerei anschaulich.

gewiesen.

Analog zur Genese des Werkes im Schaffensprozess

Stattdessen kehren die Überlegungen an dieser Stelle

muss auch seine Entschlüsselung durch den Betrachter

zurück zu Hrdlickas Stil. Nach der Erörterung von Struk-

im praktischen Vollzug der Rezeption verortet werden.

turmerkmalen des Fragmentarischen und Improvisierten

Die theoretische Kenntnis eines Kunstwerks allein »vom

sprengt die Arbeit nun den gängigen Stilbegriff, indem

Hörensagen« ist eine beschränkte. Die ursprüngliche Er-

sie die Entscheidung des Künstlers für ein figürliches

schließung ist nur im Zeit beanspruchenden, betrachten-

»Sujet« vom Verzicht auf jegliche Motive abgrenzt.

den Dialog mit dem Original möglich. Wissenschaftliche

Wie bereits betont, richtet sich Hrdlickas künstlerische

Untersuchungen wie die Vorliegende müssen als Deriva-

Schaffenskraft seiner Thematik entsprechend auf die

te verstanden werden. Sie versprachlichen das Kunst-

individuelle, bewegte menschliche Figur als Ausdrucks-

erlebnis, wollen es bewusster machen und besitzen im

träger. Damit findet er die Antwort auf die Frage, wel-

günstigsten Fall eine anregende, bereichernde und ver-

cher Gestaltungsmodus der Thematik des Menschlichen

tiefende Funktion. Die ästhetische Erfahrung im Zwiege-

gerecht wird. Kann dies in ähnlicher Bestimmtheit der

spräch mit dem Kunstwerk selbst können und wollen sie

Selbstausdruck »reiner« Farbe, Form und Komposition

nicht ersetzen.

weltarmer Kunst224 leisten? Ist diese nicht angesichts ih-

Zu gunsten dieses Werkverstehens will in diesem Kontext ferner reflektiert sein, dass die Wirklichkeitsauslegung, welche die bildende Kunst leistet, eine spezifische ist – d. h. eine andere als die der Literatur oder der Wissenschaft. Sie ist in ihrer sinnlichen und einheitlichen

scheren wie »abstrakte Kunst« oder »gegenstandslose Kunst«. Erstens abstrahiert jede Kunst und zweitens besticht Hrdlickas »gegenständliche Kunst« auch nicht

die fundamentale Verstehensstruktur, dass jedes Etwas

durch Gegenstände wie blaue Kacheln (H.-P. Reuter) oder

liegt allen Wirklichkeitsvermittlungen gleichermaßen zu10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

224 Ich präferiere diesen Begriff im Kontrast zu problemati-

Augenblicklichkeit besonders und unersetzlich. Lediglich immer schon auf eine Bedeutung hin erschlossen ist, 108

223 Vgl. Martin Heidegger SuZ, S. 142–148.

grunde. Darin stimmen Wahrnehmung, Denken, Fühlen,

Plastikeimer und Topfblumen (D. Krieg), sondern durch Menschendarstellungen. Ungenau ist ebenso ein Begriff wie »Figuration«, schließlich kann auch das Gestalten von geometrischen Figuren wie Kreise und Dreiecke als Figura-

rer weitgehend beliebigen Auslegbarkeit kommentarbe-

mats. All dies gehört zu den abstrakten Prinzipien, zur

dürftig? Hrdlicka schreibt zu diesem Thema: »[D]ie abs-

ikonischen Eigenwirklichkeit und nach Imdahl »höheren

trakte Kunst hat die Kunst der Abstraktion ad absurdum

Sinntotalität« eines Kunstbildes.

geführt.«

225

Wir halten fest: »Figurative Kunst« ist immer schon ein

Kunst als Mimesis befindet sich per se auf einer ab­

abstraktes Gebilde. Unser Form-Sehen ist in dieser Hin-

strahierten Metaebene: Das Dargestellte ist lediglich

sicht nur ungenügend ausgebildet. Arbeitet ein Künstler

ein Simulacrum. Erstens erscheint es selektiv, aus ei-

mit der menschlichen Figur, steht ihm zusätzlich das um-

nem Kontext herausgehoben und vereinfacht, subjektiv

fassende »Vokabular« von Blicken, Mimik, Gestik, Gebär-

verdichtet. Zweitens existiert ein empirischer Baum als

den und Habitus zur Verfügung. Weil der Mensch diese

künstlerisch dargestellter auch in einer anderen Form,

Körpersprache wie seine Muttersprache in der Kindheit

beispielsweise als bleigraues Strichgewebe auf Papier.

erlernt, kann der Künstler im Dialog mit dem Betrachter

Die mimetische Bezugnahme eines Kunst-Bildes auf die

an dessen »bildliches Verstehen«, wie Michael Bockemühl

Realität geschieht immer im Modus von Elementen wie

es nennt, besser anknüpfen, als wenn er den Menschen

Punkten, Strichen oder Farbfeldern auf einer Fläche.

aus der Kunst verbannt. Hrdlicka bezieht klar Position:

Es existieren ikonische Bezüge – in Analogie zu mathematischen oder syntaktischen Strukturen – eines jeden

Ich bin in Wirklichkeit ein künstlerischer Vertreter des

Flecks zum Mittelpunkt sowie zu den Rändern des For-

Selbstverständlichen. Ich glaube, dass die Kunst doch überhaupt nicht auskommen kann ohne dem, was mir ein Leitprinzip meiner Kunst ist. Und meine Kunst bil-

tion verstanden werden. Wenn bei der Formel »weltarmer

det den Menschen ab.226

Kunst« von einem Entbehren der Welt die Rede sein soll, dann bezieht sich der Begriff »Welt« im Sinne Heideggers auf das, worin wir leben: auf den Funktionszusammenhang der uns umgebenden und gegenseitig auf sich ver-

des verselbstständigten Kreativitätspostulats postmo-

weisenden Dinge, die in ihrer Relevanz letztlich alle auf das

derner Künstler und die »Idealität« fotografischer Male-

soziale menschliche Leben bezogen sind. Die Welt ist das,

rei mit. Mit dem Historisch-Werden der abstrakten, welt-

was uns zugänglich ist und worin wir uns alltäglich bewe-

armen Kunst kommt Hrdlicka heute, da mehr Künstler

gen, womit wir umgehen und wovon wir angegangen werden können, was wir erinnern und entwerfen. In diesen

225

Dabei schwingt Empörung über die Leibvergessenheit

wieder figürlich malen, scheinbar die Opposition abhan-

Weltzusammenhang sind wir immer schon integriert, die

den. Doch wirft man einen Blick auf die seit den 1990er-

Welt ist sowohl das, wohinein der Mensch geschichtlich

Jahren – in Anlehnung an die frühen 80er – inflationär

geworfen ist als auch das, was er bildet.

ausgerufene, bunt-verspielte »Neue Malerei« von Künst-

Alfred Hrdlicka, in der im September 1979 veröffentlichen Zeitschrift »Neolithikum«, anlässlich der Ausstellung der

lern wie Alex Katz, Dieter Krieg, Eberhard Havekost, Eric

Stuttgarter Bildhauerklasse A. H.s; wieder abgedruckt in: LEWIN IV, 92, S. 130.

226 Alfred Hrdlicka, in: Trautl Brandstaller 2008, S. 140.

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

109

Abb. 54 Jan Matthys wird in 100 Stücke geschlagen, 1993

Fischl, Jonathan Meese, Karin Kneffel, Thomas Schütte

Schule« werden sich auf lange Sicht schätzungsweise

»Zyklus Wiedertäufer«; Nr. 7;

u. a., muss man feststellen, dass auch sie nicht ernsthaft

die wenigsten etablieren, schon jetzt leidet sie unter

Kohle, Kreide, Rötel, Pastell; 56 x 76 cm

an der Gestaltung von sinnlich-geistig, d. h. menschlich

einem »Burn-out-Syndrom«.227 Ins Schwarze trifft Peter

vermittelten Wirklichkeits-Phänomenen oder existen-

Gorsen, wenn er schreibt:

ziellen Befindlichkeiten interessiert sind. Bunt und iroAbb. 55 Der Todeskuß, 1970 »Zyklus Haarmann II«; Nr. 2; Ätzung, Kaltnadel, Wiegemesser und Mezzotinto geschabt, 40 x 49,9 cm

nisch steht das Harmlos-Schickliche der Medienoptik im

Wer allerdings in der momentanen Rückkehr zum ge-

Vordergrund. Was die Nachkriegskunst viele Jahre präg-

genständlichen Bild wie in der Malerei der Leipziger

te, gilt auch heute noch: Der schöne Schein stellt sich in

Schule oder im megalomanen medienästhetischen

seiner integralen Autonomie selbst aus. Man geht dabei

Fotonaturalismus ein Revival des kritischen Realismus

kein thematisches Risiko ein, weil eine marktorientierte Bilderwelt sich um ihre Nachfrage bringt, sobald sie es wagt, Erwartungen zu enttäuschen und »weh«zutun. Ob die Trittbrettfahrer angesagter »Moden« jedoch als Klassiker für spätere Generationen einst bedeutsam sein 110

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

werden, bleibt abzuwarten. Von der »Neuen Leipziger

227

Vgl. Der Spiegel 26/2008, S. 156/157. Trotz Markterfolg und neo-surrealistischem Raunen muss natürlich die künstlerische Qualität von Malern wie Jonas Burgert, Peter Doig, Marlene Dumas, Neo Rauch, Daniel Richter oder David Schnell hervorgehoben werden.

zu erkennen meint, täuscht sich gründlich. Dinge und

1 0. 3 Wa r um K un s t üb er G ewa lt?

Körper, die sinnliche Erfahrung, werden vom materiellen Gebrauchs- und Lebenszusammenhang abgetrennt und in die Sphäre der Ironie, der subjektiven Projekti-

Sagen Sie, Sie haben da so eine eigenartige Vorliebe

onen und des ›dereïstischen‹ Denkens versetzt, wo sie

für Haarmann – sind Sie homosexuell, oder sind Sie ein

eine fetischistische Qualität bekommen.

Sadist, der es gern hat, wenn Menschen zerstückelt

228

werden?229 Die Analyse der antiklassischen Deformation von Hrdlickas leibbasierter Kunst hat gezeigt, dass die Form-

Was hat das Obszöne und Hässliche, was hat das unsäg-

gestalt nicht nur dem Temperament des Künstlers ge-

liche Grauen als Sujet und Thema in den »schönen Küns-

schuldet ist, sondern auch seinen Intentionen entspricht.

ten« verloren? Hrdlicka denkt dialektisch und weiß sich

Interessiert man sich für die psychologisierende Darstel-

via negationes mitzuteilen. Wenn er das menschliche

lung des Menschen, kann man nicht »abstrakt« arbeiten.

Leben in seiner verkümmerten, rudimentären Daseins-

Beabsichtigt man, grausame Schlächter und die geschun-

weise zeigt, dann liegt dem ein bestimmter Zeitbezug

dene Kreatur ins Bild zu setzen, kann man weder monu-

zugrunde: Die vollkommene Fülle und Einheit kann als

mental und idealisierend vorgehen noch modische Ob-

klassisches Ideal des anciens in der modernen, fragmen-

jekte produzieren. Hrdlicka verfolgt keinen bestimmten

tarischen Welt nicht mehr dargestellt werden, ohne un-

Stil als Selbstzweck. Er versucht, sich selbst, seine Gefüh-

glaubwürdig und anachronistisch auf den Betrachter zu

le, Gedanken und Erlebnisse auszudrücken. Seine expres-

wirken. Auch für Adorno ist das vollkommene und harm-

sive und autobiographische Kunst ist dabei immer gelei-

lose Werk Trug in einer Welt nach der Katastrophe, die

tet von strenger Selbstprüfung: Er befragt sein Werk auf

alles andere als vollkommen ist. Die Positivität des bloß

dessen allgemeingültige und politische Relevanz hin.

schönen Werkes ist ein falscher Trost, weil sie eine to-

Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit der Frag-

talitäre Verklärung des Bestehenden betreibt. »›Wahr‹

würdigkeit derart exzessiver Gewaltdarstellungen und

[…] nennt Adorno die Kunst, die die gesellschaftlichen

will zu einem allgemeinen Verständnis der ihnen zugrun-

Verhältnisse als ›negative‹, als entfremdete und verding-

de liegenden künstlerischen Absicht beitragen (vgl. Abb.

lichte erkennt.«230 Als Kind seiner Zeit entstammt Hrdlic-

54 und Abb. 55).

ka einer Epoche, die von Arbeitsteilung, Fachspezialisierung, Werte-Pluralismus und Perspektivismus-Theorien geprägt ist und innerhalb von nur 30 Jahren durch zwei Weltkriege in ihren Grundfesten erschüttert wurde.

228 Peter Gorsen: Die Emanzipation des Fleisches, in: Trautl Brandstaller 2008, S. 53.

229 Zit. nach Fried/Hrdlicka/Ringel 1986, S. 134. 230 Christoph Menke 1998, S. 7.

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

111

Hrdlicka selbst litt unter dem Faschismus in Wien und

Supan formuliert dieses Phänomen wie folgt: »Die um-

kannte Verfolgung, Krieg und Gewalt. Gemessen an der

gebende Grenze, Todesdarstellung und tote Materie,

Realität des gewalttätigen 20. Jahrhunderts konnte für

fordert dazu auf, die Zeit des Lebens zu nutzen und den

ihn an Winckelmanns »Edle Einfalt und stille Größe« nur

Wert des Lebens zu achten. Wer das Dunkle wahrnimmt,

im Modus eines »Roll over« erinnert werden. Es empör-

wird den Glanz des Hellen umso intensiver empfinden

te und erschrak ihn zu Recht, dass die meisten Künstler

und ihn zu mehren sich bemühen.«231

seiner Zeit, in der Regel sensible und reflektierte Beobachter, das – um mit Ernst Fischer zu sprechen – »Gol-

Auf die Frage »Warum grausame Kunst?« antwortet

gatha des 20. Jahrhunderts« unthematisiert links liegen

noch ein weiterer Aspekt. Man denke an Aristoteles’

ließen. Statt Zeugnis über die Zeit abzulegen, frönten sie

»Poetik« und seine Idee von der läuternden bzw. hei-

ihrem Ordnungssinn und ironisch gemeinten Kreativi-

lenden katharsis (Reinigung). Der Begriff der katharsis

tätsschüben.

stammt aus der antiken Medizin und bezeichnet ur-

Dennoch kann auch realistische Kunst von Optimis-

sprünglich die Wirkung von Abführmitteln.232 Es emp-

mus getragen sein und die Versöhnung wollen. Um der

fiehlt sich daher, die befreiende Wirkung heftiger Mit-

Historie gerecht zu werden, muss sie das Glücksver-

leids- und Furchtaffekte (eleos und phobos) im Kontext

sprechen des Schönen negativ darstellen: als Zerfall der

der Kunst nicht zwangsläufig moralisch-didaktisch zu

vereinheitlichenden Form oder als Riss im klassischen

deuten. Durch den zivilisatorischen Verinnerlichungs-

Raum-Zeit-Gewebe. Der Entwurf »schöner« Verhältnis-

druck mittels der rationalistischen Dreifaltigkeit von

se muss in die Darstellung entfremdeter gekleidet sein.

instrumenteller Vernunft, technischem Fortschritt und

Darum wird der Betrachter dem Blick in den hässlichen

wirtschaftlicher Effizienz werden viele naturwüchsige

Abgrund von Verbrechen, Grausamkeit und Perversion

Emotionen wie Zorn oder die Lust an der Grausamkeit

ausgesetzt. Denn nur über die Offenheit dem Grauen

aufgestaut und abgeschoben. Dadurch können sie

gegenüber, nur über eine Kritik des Falschen, ist sich

unverarbeitet wuchern, schleichend schädigen, Teil

dem jeweils »Richtigen« anzunähern. Die abstoßende

einer Pathogenese werden oder direkt Verbrechen

Wirkung des von Hrdlicka zur Anschauung Gebrachten

stimulieren. Darum wäre es »nicht die schlechteste

betont das Anziehende des Gegenteiligen umso mehr.

Aufgabe von Kunstwerken, Gefäß zu sein für Affekte,

Gerade dieser Blick ins ganz Andere macht das eigene

die herausgelassen gehören wie die Körpergifte, die

Wohlbefinden als solches erst bewusst. Dem Naiven begegnet das Schöne als selbstverständlich und unantastbar. Der Leidgeprüfte erkennt es als seltenes und teures Gut. Die fiktionale Begegnung mit Leid trägt demnach zur Wertschätzung der Unversehrtheit bei und kann so112

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

gar zu sozialem Engagement anregen. Helmut Börsch-

231

Zit. nach: Bringfried Naumann 1973, S. 3.

232

Vgl. zur Poetik Christof Rapp: Aristoteles, in: Ästhetik und Kunstphilosophie – Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, hg. v. J. Nida-Rümelin u. M. Betzler, Stuttgart 1998, S. 23–35.

man in früheren Zeiten mit dem Aderlass zu drainieren

vielmehr um den genuin aristotelischen Gedanken des

hoffte«.

Ausgleichs, der Angemessenheit, des ausgewogenen

233

Über das Verschwinden von Gewalt, existenzieller

Maßes (mesotes) im Seelenhaushalt.

Bedrohung und einer Kultur des Sterbens und Todes

Diese psychologisch gedachte Anspruchshaltung ge-

aus der technisierten, virtuellen Alltäglichkeit schreibt

genüber Kunst lässt sich in verschiedener Hinsicht nu-

Baudrillard: »[…] aber wie man weiß, endet alles, was

ancieren – beispielsweise von Starobinski, der schreibt:

auf diese Weise verdrängt oder eliminiert wird, in einer

»Dem namenlosen Grauen einen Namen geben und es

bös­ artigen viralen Infiltrierung des Sozialkörpers wie

zu einem Gegenstand der Darstellung machen heißt,

des individuellen Körpers.«234 »Alles was verschwin-

das, was über unser Fassungsvermögen geht, in etwas

det, infiltriert unser Leben in kleinsten Dosen, die oft-

zu verwandeln, das wir beherrschen; heißt, dem Unsäg-

mals gefährlicher sind als die sichtbare Instanz, die uns

lichen eine Gestalt zu verleihen, mit der alsbald die Spra-

beherrschte.«

che ihr willkürliches Spiel treiben wird.«236

235

Aus diesem Grund darf die Bedeutsam-

keit kathartischer Kunst nicht unterschätzt werden. Die spielerische Entladung durch das Ventil der künstleri-

An Aristoteles anschließend, kommt nun ein letzter

schen Aufarbeitung, die Möglichkeit der Sublimierung ist

­Aspekt zum Thema »Grausamkeit in der Kunst« zur Spra-

im Kontext der Zivilisation eine unersetzbare Leistung.

che. Abgesehen von den kathartischen Effekten grausa-

Sich das eigene, naturwüchsige »Barbarentum« selbst­

mer Kunst und den zeitbezogenen Kontradiktionen zu

reflexiv einzugestehen und es fiktional auszuleben, trägt

idealistischer Beruhigungs-Kunst darf hinsichtlich einer

zu einem höheren Maß an Authentizität bei. Der »my-

ästhetischen Theorie zu Hrdlickas Œuvre der Verweis

thologische«

auf Friedrich Nietzsche nicht fehlen. Im Gegensatz zu

Aufklärungsprozess

kritisch-grausamer­

Kunst ermöglicht eine Enthemmung und Entlastung des

Aristoteles’ Wirkungsästhetik handelt es sich bei Nietz-

In-der-Welt-seins, da die Last des Verdrängten und Un-

sche um einen produktionsästhetischen Ansatz. Da es

eingestandenen nachlässt.

um perspektivische Unterschiede geht, ist eine gegenseitige Ergänzung durchaus möglich.

Dieser Deutung zufolge kommt es Aristoteles weniger auf Zügelung und Reinigung an denn auf eine Aus­

Der entscheidende Begriff bei Nietzsche ist der des

balancierung von Gefühlen und Trieben. Es geht nicht

­Dionysischen, als Referenz-Literatur dient unter ande-

um eine platonisch-christliche Affektreduktion, sondern

rem »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik«, in der er die These vertritt: Das Tragisch-Düstere

233 Durs Grünbein: Lüpertz oder der Überfluss, in: DIE ZEIT, Nr. 51, 10. 12. 2009, S. 54.

236 Jean Starobinski: Porträt des Künstlers als Gaukler, Drei

234 Jean Baudrillard 2008, S. 20.

Essays, übers. v. Markus Jakob, Frankfurt a. M. 1985,

235 Ebd., S. 17.

S. 110/111 [im Folgenden zit. als: Jean Starobinski 1985].

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

113

und nicht der schöne Schein sei der »symbolische Aus-

das Zerbrechen alter Formen und Werte erst möglich.239

druck« dionysischer Kunst und dionysischer Weisheit.237

In der »Götzen-Dämmerung« schrieb Nietzsche:

Nietzsche versucht, das Phänomen des Dionysischen in der griechischen Kultur wiederzubeleben. Der wandern-

Damit es Kunst giebt, damit es irgendein ästhetisches

de Gott Dionysos sei der eigentliche Künstler-Gott und

Thun und Schauen giebt, dazu ist eine physiologische

Gegenpol zum apollinischen Sokrates. Er repräsentiert

Vorbedingung unumgänglich: der Rausch. Der Rausch

den orgiastisch-fruchtbaren Boden des entfesselten

muss erst die Erregbarkeit der ganzen Maschine gestei-

Tanzes, des leidenschaftlichen Liebesrausches sowie –

gert haben: eher kommt es zu keiner Kunst. […] – Das

mit Nietzsche gesprochen – jeglicher kreativer »Entzü-

Wesentliche am Rausch ist das Gefühl der Kraftsteige-

ckungsspitzen«:

rung und Fülle.240

Mit dem Wort »dionysisch« ist ausgedrückt: […] das

Nietzsche sieht in der Berauschung – durch Sexualität,

leidenschaftlich-schmerzliche Überschwellen in dunk-

Grausamkeit, Wettkämpfe, Drogen oder einen leiden-

lere vollere schwebendere Zustände; ein verzücktes

schaftlichen, entpersonalisierten Willen – das ursprüng-

Jasagen zum Gesammt-Charakter des Lebens, als dem

liche Stimulans kreativer Zustände. Sie sind Schaffens-

in allem Wechsel Gleichen, Gleich-Mächtigen, Gleich-Se-

bedingung dionysischer Kunstproduktion. Sinnbildlich

ligen; die große […] Mitfreudigkeit und Mitleidigkeit,

stellt sich Nietzsche das Kunstwerk als Eruption einer

welche auch die furchtbarsten und fragwürdigsten

erregten Welt- und Selbsterfahrung vor.

Eigenschaften des Lebens gutheißt und heiligt, aus ei-

Hrdlickas »dionysische« Kunst zeugt in diesem Sinne

nem ewigen Willen zur Zeugung, zur Fruchtbarkeit, zur

von »hässlichen« Grundbefindlichkeiten des Menschen,

Ewigkeit heraus: als Einheitsgefühl von der Nothwen-

die im alltäglichen Betrieb der Besorgungen brachlie-

digkeit des Schaffens und Vernichtens […].

gen. Der »Wahrheitstrieb« des dionysischen Menschen

238

Im Augenblick des Rauschzustandes, einer dionysischen Ekstase, wird für Nietzsche der Gedanke von der ewigen Wiederkunft erahnt und bejaht, ist visionäres Schaffen,

239 Nietzsche zufolge würden wir in »dionysischer Entzückung« die ewige Daseinslust des Weltwillens ahnen, der wahrer sei als jede vereinzelte Erscheinung (Friedrich Nietzsche GT, S. 109). Vgl. dazu Günther Wohlfart: Friedrich

237

Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem

Nietzsche, in: Ästhetik und Kunstphilosophie – Von der

Geiste der Musik [1872], KSA 1, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzi-

Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, hg. v. J.

no Montinari, München 2007, S. 108 [im Folgenden zit. als: Friedrich Nietzsche GT]. 238 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Frühjahr 114

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

Nida-Rümelin u. M. Betzler, Stuttgart 1998, S. 578–584. 240 Friedrich Nietzsche: Götzen-Dämmerung oder wie man mit dem Hammer philosophiert, Streifzüge eines Unzeit-

1888, 14 [14], KGW, Achte Abteilung, Bd. 3, Berlin/New

gemässen 8 [1889], KGW, Sechste Abteilung, Bd. 3, Berlin

York 1972, S. 16.

1969, S. 110.

will diese bergen und sich dazu bekennen, dass der

Entscheidend an Hrdlickas werkimmanenten Verwei-

Machtwille des Subjekts und die Auslebung der indivi-

sen auf dionysische Dimensionen und Befindlichkeiten

duellen Wirkkraft mitunter von grausamen Instinkten

im Menschen ist nicht nur, dass aus ihnen heraus Kunst

getragen sein können. Wenn diese aktiven Energien je-

produziert wird und dieses Schaffen im Sinne der Sub-

doch nicht nur in vitalistischem Eifer bejaht, sondern im

limierung notwendig ist. Erfahren kann der Betrachter

Rahmen der Menschenrechte auch lebbar sein sollen,

und Interpret auch, dass jene aggressiven Stimmungen

bietet sich dazu nebst dem Sport vor allem die Kunst an.

nach einer ganz spezifischen Kunst verlangen: nach

Nietzsches Idee ist, dass der denkende Künstler, der mit

expressiver Kunst. Das anthropologisch virulente Krie-

seinen Händen Welten schafft und zerstört, noch stolz

ger- und Barbarentum kann nicht in linear-beruhigter,

dem »Kriege, dem Herumschweifen, dem Abenteuer«

241

sondern ausschließlich in expressiver Kunst zur Geltung

nachgehen kann. Der Bildhauer als Typus ist ein Mensch,

kommen: In den Deformationen gestischer Malerei, den

der mittels Kunst, in effigie, die Kriegs- und Kampfeslust

wuchtigen Werken aggressiver Bildhauer und in nervö-

des zornigen Ringens und Zerstörens innerhalb unserer

sen Schwarz-Weiß-Kontrasten energischer Metallplat-

geltenden Rechtsordnung leben kann. Der Stein, auf

ten-Ritzer.

den er einschlägt, ist sein feindlicher Widerstand. Gezeichnete Menschen können ausradiert, Marmorbeine abgeschlagen werden. Im Falle des glücklichen Sieges über das Ungeheure und Formlose entsteht eine neue Ordnung – eine erhabene Ordnung, sofern sie das Leben zeigt.

241

GM, II 16, S. 322.

10. Zum Verständnis von Hrdlickas Kunst

115

11. Ausdrucksgehalt des Zyklus »Wie ein Totentanz«

11.1 Ko mp et e nze n d er »sch ö n en Küns te«

lus will etwas mitteilen, und zwar ohne Prunk und Feierlichkeit – weiß auf schwarz und schwarz auf weiß. Alles Unwichtige und Dekorative lässt er entschieden beiseite

Wie war das möglich? Sobald die Sprache auf den Zwei-

oder streicht es durch. Oft genügt die skizzenhafte An-

ten Weltkrieg kommt, ist man versucht, Drittes Reich,

deutung. Verkörpert »Wie ein Totentanz« einerseits die

Auschwitz etc. als unfassbare Entgleisung abzutun, nie

Weigerung zu schweigen und zu vergessen, entzieht er

und nimmer wiederholbar in unseren Breitengraden,

sich andererseits allem verobjektivierenden Weg-Erklä-

uneinfühlbar und letztlich ein riesiges Missverständnis.

ren. Die der Kunst eigene Offenheit ist auch Hrdlickas

[…] Ganz gleich, ob man es als ästhetisches oder psy-

Radierungen inhärent und fordert den Betrachter zum

chologisches Phänomen einstuft, es fällt auf, daß die

Mitdenken auf.

Gegner von Krieg und Unterdrückung durchaus fähig

Doch wie gelingt es dem Künstler, den Betrachter

sind, dies in der Bildnerei darzustellen, jene aber, de-

anzusprechen? Er muss das Dargestellte so zeigen, dass

nen dies Lebenselixier ist, unfähig. Die ganze Blut-und-

jener sich einsehend einfühlen kann. Das heißt, der Gra-

Boden-Kunst hat nichts hervorgebracht, was sich mit

phiker steht vor der Aufgabe, die menschliche Figur und

Picassos ›Guernica‹ messen könnte.242

das Geschehen, in dem sie steht, so suggestiv zu gestalten, dass nicht nur Striche und Linien, Flecken und

Hrdlickas Zyklus kann weder als schmückendes Wand-

­Flächen zu sehen sind. Es sind Dynamik und Bewegung

dekor noch als Illustration der Geschichte verstanden

des Gestalteten, die das tote Blatt beseelen.243 Dem In-

werden. Seinem Wesen nach begegnet er dem Betrach-

terpreten stellt sich zunächst die Frage, ob Hrdlicka sein

ter als anregende Memorial- und Daseinskunst. »Wie ein Totentanz« dient im Verbund mit dazugehörigen Texten dem intellektuellen, überzeitlichen Austausch. Der Zyk-

243 Schon Rembrandt wies darauf hin, wenn er 1639 in einem Brief an seinen Förderer Constantijn Huygens von der größten und natürlichsten Bewegung spricht – »die meeste ende naetuereelste beweegelickheit«; in: AK Kassel:

242 Alfred Hrdlicka: Die Ästhetik des automatischen Faschismus [1983], in: LEWIN IV, 166, S. 180 ff.

Rembrandts Landschaften, hg. von Gregor J. M. Weber, Museum Schloß Wilhelmshöhe, Kassel 2006.

11. Ausdrucksgehalt

117

Bild davon, wie es den am Krieg beteiligten und von ihm

sizistischer Ästhetiken oder deren Negations-Varianten.

betroffenen Menschen ergangen sein mag, aus seiner

Entscheidend ist vielmehr: Die Form-Gestalt muss dem

Vorstellung auf das Blatt übersetzen konnte.

Gehalt entsprechen.244

Mit Blick auf die Einzelinterpretationen der Kapitel

Der Juli-Zyklus löst weder »interesseloses Wohl­

4 bis 7 zeigt sich, dass umfangreiche Interpretationen

gefallen«245 aus, noch vermittelt er »edle Einfalt und

möglich sind – selbst wenn im Rahmen dieser Arbeit der

stille Größe«246. Auf diese Weise vermeidet er die Ästhe­

eine oder andere Aspekt nur angedeutet werden konn-

tisierung des Schrecklichen oder einen »Todeskult«,

te. Auf komisch-karikierende Graphiken (Blatt 22, 39)

in dem immer schon die Bereitschaft zum Krieg mit-

folgen schockierende (48, 53). Sie sind aufrüttelnd, wer-

schwingt.247 Stattdessen rückt Hrdlicka das Fremde des

fen Fragen auf und verlangen nach Interpretation. Vieles

Vergangenen wieder näher an die Gegenwart heran. Der

verliert sich im Dunklen und Diffusen. Doch die Grau-

folgende Abschnitt stellt die Frage, worin dieses Fremde

samkeiten des Krieges werden dem Betrachter stets

besteht.

schonungslos vor Augen geführt – in einer Drastik, der selbst filmische Dokumentationen über die NS-Zeit oft ausweichen. Hrdlickas Graphiken sind bei aller subjektiven Zuspitzung um existenzielle Authentizität bemüht. Man sieht sterbende Soldaten, die sich übergeben, Tote, denen Blut aus dem Mund fließt, und Hinrichtungsopfer, die Todesagonien durchleiden. Die Radierungen widersetzen sich konsequent einem beruhigenden »Kunstgenuss«, weil dieser dem Werkgehalt nicht gerecht werden würde. Die meist um Attraktivität bemühten »schönen Künste« sind in diesem Fall abstoßend. Jedoch nicht im Sinne der Provokationsästhetiken des 20. Jahr-

keitsverweis, Moralität oder Freiheitsbewusstsein – und später bei Nietzsche – qua Vitalität: Konrad Paul Liessmann: Der hässliche Mensch, Ästhetische Streifzüge durch

lien, deren laute Gesten oft Selbstzweck waren. Man

das entstellte Gesicht, in: Jürg Meyer zur Capellen/Christi-

in erster Linie keine Auseinandersetzung mit den Konventionen der Kunstgeschichte, sondern mit der condition humaine. Dabei kann sich die Darstellung aus Hass handelnder Menschen nur in »hässlicher Kunst« manifestieren. Kunst muss nicht entweder nur schön oder 11. Ausdrucksgehalt

Ikonographie, Kant und Rosenkranz – qua Vergänglich-

hunderts, deren schimmelnde und stinkende Materiamag es anachronistisch finden, aber Hrdlickas Kunst ist

118

244 Vgl. zur Nobilitierung der Hässlichkeit durch die christliche

nur hässlich sein. Das sind Irrmeinungen griechisch-klas-

ne Pielken/Daniela Winkelhaus-Elsing (Hg.): Alfred Hrdlicka – Ästhetik des Grauens – Die Wiedertäufer, Münster 2003, S. 32–39. 245 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft [1790], Werkausgabe, Bd. 10, hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1974. 246 Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst [1755], Baden-Baden 1962. 247 Vgl. Dietrich Schubert 1985.

11.2 D i e Wi d e r s tands be we gung

ren der deutschen Bevölkerung gegen ihre »Regierung«. Angesichts der Aussichtslosigkeit des Zweifrontenkrieges wollte die preußische Militäraristokratie – spät und

Das große Geheimnis ist nicht das Böse. Nein, es ist

zögerlich – den Nazis die politische Führung ab- und

die Frage, warum es noch unter den schlimmsten Um-

sie selbst übernehmen. Weder die viel beschworene

ständen immer einzelne gibt, die sich nicht bloß dem

Zivilcourage noch heldenhafter Widerstand aufgrund

Mittun verweigern, sondern Leib und Leben aufs Spiel

moralischer Überlegungen sind Gegenstand des Zyklus,

setzen für Zwecke und Ideen, die wir summarisch »das

sondern der versuchte Staatsstreich einer kleinen mi-

Gute« nennen.248

litärischen Opposition zu einem Zeitpunkt, als sich abzeichnete, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war,

Den historischen Hintergrund des Zyklus »Wie ein To-

als Luftangriffe deutsche Städte zerstörten und Ernäh-

tentanz« bildet die NS-Politik und die Nazi-Ideologie

rungsschwierigkeiten in der Heimat zunahmen.250

mit ihren »Konsequenzen« der Massenvernichtung von Juden, politisch Andersdenkenden, Deserteuren und

Hrdlicka arbeitet die Verschwörer plastisch heraus,

Dissidenten. Die Graphiken stellen neben der Grausam-

sprich er verschleiert nicht deren Schattenwurf. Neben

keit der Herrschenden im »Dritten Reich« das Leid jener

den systemischen Problemen des Militarismus zeigt er

dar, die sich ihm entgegenstellten. Im Ganzen betrach-

die individuelle Feigheit und zögerliche Halbherzigkeit,

tet steht jedoch der lange Prozess des Untergangs des

das Eigeninteresse und die karriereorientierte Ange-

preußischen Militarismus im Zentrum, in den sich sowohl

passtheit vieler Generäle. Risikobereitschaft, Mut und

der Atavismus der »Militärdiktatur« als auch der geschei-

Entschlossenheit – trotz des Fahneneids – legten nur

terte Generals-Aufstand vom 20. Juli einreihen.249 Der

Einzelne an den Tag. Viele handelten selbst dann noch

Attentatsversuch war keine Revolte der Opfer. Er war

zögerlich, als man immer mehr über das gesamte Aus-

weder eine Widerstandsbewegung jüdischer oder kom-

maß der Verbrechen in den besetzten Ostgebieten

munistischer Zivilisten noch ein moralisches Aufbegeh-

erfuhr. Erst das Scheitern des »Unternehmens Barbarossa« im Winter 1941/42 vor Moskau und insbesonde-

248 Franziska Augstein: Taten und Täter, in: Hannah Arendt ÜdB, S. 194 f. [im Folgenden zit. als: Franziska Augstein 2008].

re die Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/43, als von 290 000 deutschen Soldaten nur etwa 5 000 in ihre Heimat zurückkehrten, verbreitete Hoffnungslosigkeit.

249 Zum Nachdenken regt die These des Politologen Zbigniew Brzezinski aus dem Jahr 1968 an: »Revolutionen sind oft die letzten Zuckungen der Vergangenheit und in Wirklich-

250 Die Pläne und Überlegungen der Militäropposition zwi-

keit daher gar keine Revolutionen, sondern Konterrevo-

schen 1938 und 1942 unterscheiden sich in ihrer handlungs-

lutionen, die im Namen von Revolutionen operieren« (Zit.

orientierten Perspektive grundlegend von den Attentats-

nach Hannah Arendt MuG, S. 91).

versuchen ab 1943.

11. Ausdrucksgehalt

119

»Die Bindung an den auf den Führer geleisteten Eid

Selbst wenn das Attentat geglückt wäre, hätte das

und das der Tradition verhaftete Denken der Militärs,

noch längst kein Gelingen des Staatsstreiches gewähr-

die Furcht vor einer zweiten ›Dolchstoßlegende‹, ge-

leistet. Abgesehen davon, dass die einsamen Verschwö-

gensätzliche politische Grundeinstellungen und unter-

rer nicht von der öffentlichen Meinung, der »Volks-

schiedliche geistige Prägung der oppositionellen Grup-

stimmung« getragen wurden, fehlten Stauffenberg

pen waren weitere Gründe, frühere Putschversuche zu

insbesondere führende Frontgeneräle als Verbündete.255

verhindern«, so Edward Korpalski.

Die Kaste der ab 1943 über 1 000 Generäle der Militärdik-

251

Graf von Stauffenberg war einer der wenigen, die

tatur entwickelte eine Eigendynamik, die auf Selbster-

konsequent und aus moralischen Motiven handelten.

haltung und »Gemeinschaftsgefühle« geeicht war. Dazu

Er machte die »Wandlung zum Zivilisten durch, der nur

schrieb Hrdlicka: »Der Staatsstreich vom 20. Juli wurde

dem eigenen Gewissen verantwortlich ist«252, ohne

von Militärs niedergeschlagen, der Parteiapparat der Na-

dabei zum Grübler und Zauderer zu werden. Wie auch

zis war nicht mehr als interessierter Zuschauer.«256 Auf

Dietrich Bonhoeffer muss er zu der Überzeugung ge-

die »Stunde der Offiziere« legte sich der lange Schatten

langt sein, dass allein in der Tat Freiheit zu finden ist.

der Opportunisten.

253

Doch Hrdlicka verfällt keineswegs in Personenkult und

Der Widerstand gegen die Naziherrschaft scheiterte.

Idolatrie. Auf das bereits angeführte Zitat zu Blatt 6 sei

Stauffenberg und seine wenigen Verbündeten wurden

an dieser Stelle erneut verwiesen: »Der Zyklus zum 20.

ans Kreuz ihrer eigenen Courage genagelt. Ihr Mut war

Juli ist bei allem Respekt für jene Männer, die es wagten,

nicht sinnlos, blieb aber ergebnislos, nicht zuletzt weil

sich gegen ein barbarisches Regime zu erheben, nicht

er machtlos war. Dass damit gerechnet wurde, zeigt ein

als verspätete Heldenehrung gedacht, er ist vielmehr

Ausspruch des Generalmajors und antreibenden Mitver-

eine Warnung vor falschen Leitbildern. Selbst Stauffen-

schwörers Henning von Tresckow. Im Juni 1944 formu-

berg und seine Freunde waren lange Zeit der Ansicht,

lierte er:

das deutsche Wesen werde an der militärischen Disziplin genesen.«254

Das Attentat auf Hitler muß erfolgen, um jeden Preis. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem der Staats-

251

Edward Korpalski 1997, S. 67.

252 Wieland Schmied: Wie ein Totentanz, in: AK Berlin 1975,

streich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die

S. VII. 253 Vgl. Dietrich Bonhoeffers Gedicht »Stationen auf dem Wege zur Freiheit«, in: AK Berlin 2002, S. 22. 254 Text 6. Auf die Verwurzelung der idealisierten Widerstandskämpfer in den Denkmustern des Militarismus und auch der NS-Ideologie wies davor schon Hans Mommsen 120

11. Ausdrucksgehalt

hin. Vgl. ferner Kapitel 4.2 dieser Arbeit.

255 Zum Attentat bereit waren neben Stauffenberg lediglich: Kurt Frh. v. Hammerstein-Equord, Axel Frhr. v. dem Bussche, Eberhard v. Breitenbuch, Christoph Frhr. v. Gersdorff, Ewald-Heinrich v. Kleist-Schmenzin, Fabian v. Schlabrendorff, Henning v. Tresckow. 256 Text 30.

deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor

Zeit vor der Entstehung von »Wie ein Totentanz«. Den-

der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entschei-

noch hätte Hrdlicka neben den Blättern zu Wagner und

denden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben

Weininger eine neue Haarmann-Radierung in seinen Zy-

gleichgültig.

klus aufnehmen können. Ferner ist das wichtige 4. Blatt

257

Die Selbstendlösung (Otto Weininger), dessen Erörterung in Abschnitt 5 erfolgte, keine Versubjektivierung der Nazi-Verbrechen. Die Beschäftigung mit den Gefahren von

11.3 Rech t und Ge walt

Minderwertigkeitskomplexen, romantischem Todeskult, suizidaler Resignation und einer Entladung des Selbsthasses nach außen eröffnet ein Themenfeld, bei dem es

Neben der historischen Dimension des Zyklus steht ein

lediglich um den Versuch einer Klärung von bestimmten

eher diskursiver Aspekt im Zentrum des Werkes. Ge-

Voraussetzungen geht. Diese haben nicht unbedingt et-

meint ist das allgegenwärtige Phänomen der Gewalt

was mit dem Wesen einer Sache gemein.

bzw. der Grausamkeit. Ersterer begegnet Hrdlicka auf

Die Graphiken zum 20. Juli konzentrieren sich in ihrer

komplexe Art und Weise. Viele seiner – christlich gepräg-

Gesamtheit auf politische Verantwortungslosigkeit in

ten – Interpreten postulieren die Schuldigkeit des Ge-

einem menschenverachtenden System und problemati-

walttätigen. Autoren wie Friedhelm Mennekes sind der

sieren Gefahren und Grenzen der Staatsräson und des

Ansicht, Hrdlicka zeige »das Böse« der Gewalt. Jedoch

Militarismus. Dessen Organisationsform ist der Mecha-

durchleuchtet er vielmehr das ambivalente Verhältnis

nismus von Führerbefehl und Kadavergehorsam. Darin

zwischen Opfer und Täter »jenseits von Gut und Böse«.

wurzelt das entscheidende Problem, da dies zur Legali-

Die angeblichen Pole sind gerade nicht als solche ausein-

sierung selbst der kriminellsten Handlung führen kann.

anderzudividieren, sondern man muss, wie die Geschich-

»Verantwortlich war jeder seinem Vorgesetzten, und

te zeigt – und Hrdlicka an ihr –, von einer ineinander ver-

somit war niemand verantwortlich, da jeder Vorgesetzte

schränkten Allianz ausgehen.

wieder einen Vorgesetzten hatte, und dem allerobers-

Der Zyklus zum 20. Juli zeigt weniger die Patholo-

ten Führer die Vorsehung den Auftrag erteilte.«258 In

gie der Gewalt. Dies leisten insbesondere die Plastiken,

einer Militärmaschinerie ist jede Tat immer nur eine Be-

Skulpturen und Radierungen zum Lust- und Massen-

fehlsausübung, ob es dabei um das Reinigen der Stiefel

mörder Friedrich Haarmann. »Wie ein Totentanz« ist in

geht oder um die Exekution anderer Menschen. Selbst

seiner Anlage politischer. Hrdlickas viel zitierte Aussa-

Letzteres wurde mit sachlich-perversem Verwaltungs-

ge, der Haarmann-Zyklus sei sein politischster Zyklus, stammt wohlgemerkt aus dem Jahre 1973, also aus einer

258 Text 11. Hannah Arendt würde in diesem Fall von ­»Niemandsherrschaft« sprechen, vgl. Hannah Arendt MuG,

257

Zit. nach Peter Hoffmann 2009, S. 412 f.

S. 39 f

11. Ausdrucksgehalt

121

aufwand organisiert, anders wäre die »Hypertrophie der

gen« und Stärkeren. Die Selbstherrlichkeit der angepass-

Massenvernichtung«

nicht zu bewerkstelligen gewe-

ten Mehrheit geht immer einher mit der Unterdrückung

sen. Man muss wissen, dass viele Wehrmachtssoldaten

und Terrorisierung von Minderheiten. Darin besteht für

und SS-Männer sich als »Opfer einer Aufgabe«, als »Räd-

Hrdlicka das Wesen des Faschismus.261 Sowohl die »Elite«

chen im Getriebe« verstanden und sich bedingungslos

des preußischen Militärstabs als auch das »aufgeklärte«

dem Dienst an eine höhere Sache unterstellten. Diese

Bürgertum waren eingeschüchtert und gehemmt, als es

höhere Sache war »eine systemische Logik, die auf Ge-

darum ging, die Kraft zum Widerstand gegen ihren Un-

walt und Vernichtung zielte«.

259

Die Nazis trennten ihre

rechtsstaat in vollem Umfang zu mobilisieren. Und sie

eigene Person von ihren pflichtgetreuen Handlungen,

waren es selbst dann noch, als ihre eigene Angelegenheit

von der »notwendigen« Tötung der »Feinde«. Man kann

bedroht war: die Freiheit der bürgerlichen Gesellschaft.

daraus schließen, dass der humanistische Sinn für das

Die Konsequenz von Hrdlickas Aussage, alle Macht gehe

freie Individuum, die Anstrengung der Selbstreflexion

vom Fleisch aus, scheint nicht zuletzt darin zu liegen, dass

und die Bereitschaft, sich der »kommunikativen Ver-

der Mensch in seiner Leiblichkeit ein »Naturrecht« auf

nunft« zu stellen, als Bedingungen für die Bildung eines

Gewalttätigkeit und damit »Immoralität« gegenüber re-

Widerstandsgeistes angesehen werden müssen. Es gibt

pressiver Ordnung und – bezüglich der Menschenrechte

Phänomene, an denen sich bestimmte Notwendigkeiten

– rechtswidriger Moralität besitzt.262 Je nachdem wie das

besonders gut abzeichnen. Das Beispiel der inneren Lo-

»positive Recht« beschaffen ist, geht er damit das Risiko

gik eines totalitären Systems, das nicht auf Individuen,

ein, für sein Handeln ins Gefängnis zu müssen oder gar

sondern auf Massen setzt, macht die Bedeutung eines

erhängt zu werden. Doch die Natur dürfe und müsse sich

Verfassungsstaates deutlich, der »Verantwortungsge-

gegen die Herrschaft der instrumentellen Vernunft zur

rechtigkeit« ermöglicht. Das heißt eines Staates, der die

Wehr setzen. Nach 1945 setzte sich in Deutschland die

politische Möglichkeit schafft, dass jeder Einzelne für

Einsicht durch, dass das positive Recht einer bürgerlichen

sich und sein Umfeld Verantwortung übernehmen kann

Gesellschaft in bestimmten Fällen ein Recht, wenn nicht

und diese damit faktisch auch trägt.

sogar eine Pflicht zum Widerstand implizieren muss: Ge-

260

Was Hrdlicka an den Hierarchie-Strukturen des ostina-

setze, welche die Freiheit der Menschen nicht sichern

ten Militarismus aufzeigt, ist der »Übermut der Mächti-

oder erweitern, sondern willkürlich belasten, einschränken oder gar negieren, sind rechtswidrig.263 Schließlich

259 Alfred Hrdlicka/H. G. Behr: Der Klotz bleibt, aber er wird zum antifaschistischen Mahnmal, in: KONKRET (München),

261 Vgl. Fried/Hrdlicka/Ringel 1986, S. 142–144.

no. 12/1983, S. 92, zit. nach: Dietrich Schubert: Die Verant-

262 Vgl. Peter Gorsen: Die Emanzipation des Fleisches, in:

wortung der Kunst – Alfred Hrdlickas antifaschistisches Denkmal in Hamburg, in: Forum Wissenschaft, 5. Jg., 1988, Heft 1, S. 20–25. 122

11. Ausdrucksgehalt

260 Franziska Augstein 2008, S. 194.

Trautl Brandstaller 2008, S. 54. 263 Vgl. Artikel 20 GG. Bahnbrechend in Bezug auf den rechtlichen Status des Widerstands gegen das NS-Regime wirkte die rechtstheoretische Argumentation des Heidelberger

basiert seit dem 18. Jahrhundert die Legitimation von

man damit indirekt in die homo-sacer-Logik der Ausgren-

Gesetzen auf den Menschenrechten, die wesentlich Frei-

zung zurückfällt.264 Das heißt, es bedarf eines externen

heitsrechte sind. Sie gewährleisten die Konstitution einer

Maßstabes, anhand dessen das Töten von »jüdisch-bol-

bürgerlichen Gesellschaft. Diese ist nur sie selbst, solan-

schewistischen Untermenschen« verboten, der »Tyran-

ge sie Freiheit und Würde aller Bürger achtet. Gesetze,

nenmord« erlaubt und der »Märtyrertod« verehrungs-

die ein Subjekt zum Objekt der Willkür machen, ziehen

würdig ist. Die »Würde des Menschen« leistet dies nur

die Pflicht zum Widerstand nach sich.

bedingt, weil diese erstens eine Definition voraussetzt, welche Zugehörige von Ausgeschlossenen scheidet, und

Mag Gewalt in Ausnahmefällen für kurzfristige Ziele »ra-

weil man zweitens im Falle des Tyrannenmordes den ei-

tional« rechtfertigbar sein, bleibt doch das grundsätz­

nen Toten mit den vielen Toten verrechnen muss. In allen

liche Engagement für eine gewaltlose Konfliktlösung

drei Beispielfällen wird der eigene oder der fremde Tod

ein Hauptanliegen von Hrdlickas Kunst. Während seine

zu einem Mittel für einen »höheren Zweck«. Peter Gor-

Werke oftmals das Fehlen von Macht hervorheben, im

sens Kommentar zum Zyklus der Französischen Revolu-

Sinne des solidarischen Handelns von Individuen for-

tion gilt somit auch für »Wie ein Totentanz«:

dern sie dazu auf, die paradoxe Struktur jeder »vernünftigen« Legitimation von Gewalt zu reflektieren. Andern-

Hrdlicka lehnt die propagandistische Verherrlichung

falls hätte Hrdlicka die Gewalt in seinem Œuvre nicht auf

der Revolution und der Revolutionäre ab. Partei zu

derart drastische und abschreckende Weise anschaulich

ergreifen für die eine oder andere Seite der Gewalt er-

gemacht und er hätte auch nicht unablässig die Einsicht

scheint ihm lächerlich, daher »ist eine Spur Zynismus in

thematisiert, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt. Denn

meinem Zyklus«. Er finde für sich keine Funktion in der

bei der These, dass es ein Töten gebe, das kein Morden

Revolution und sehe sich heute in der Lage, die Revolu-

sei, handelt es sich um einen abgründigen Ansatz, weil

tion in ihrer Dialektik von Freiheit und Schrecken zu demolieren. Man müsse sehen, wie der Terror sich »aufgeschaukelt« hat, wenn zu den »Septembermorden«

Juristen Gustav Radbruch, derzufolge das positive Gesetz

die erste »Nationalhymne« der Revolution intoniert

den Maßstäben des »übergesetzlichen Rechtes« gerecht

wurde. »Ça ira, ça ira, les aristocrates à la lanterne!!!«265

werden müsse. 1952 setzte sich der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Braunschweiger Remer-Prozess grundlegend für das Widerstandsrecht und die Rehabilitierung der Männer des 20. Juli ein. Vgl. Wassermann, Rudolf: Widerstand als Rechtsproblem, Zur rechtlichen Rezeption des Widerstandes gegen das NS-Regime, in: Ueberschär,

264 Vgl. Giorgio Agamben: Homo sacer, Die souveräne Macht und das nackte Leben, übers. v. Hubert Thüring, Frankfurt a. M. 2002. 265 Peter Gorsen: Hrdlicka Sansculotte – Bildkommentare zum

Gerd B. (Hg.): Der 20. Juli 1944, Bewertung und Rezeption

Zyklus der Französischen Revolution, in: Alfred Hrdlicka,

des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime, Köln

Die große Französische Revolution, Wien 1989, S. XXV–

1994, S. 203–213.

XXXI, hier S. XXX.

11. Ausdrucksgehalt

123

1 1 . 4 N o c h ei n »T oten ta n z « ?

doch nicht im Sinne der Bildpredigten christlicher To-

Bisher stand die Untersuchung des Ausdrucksgehalts des

»Wie ein Totentanz«. Ihm geht es weder um den Tod

Zyklus »Wie ein Totentanz« hinsichtlich der geistesge-

als »Strafe« eines zornigen Gottes noch um den natür­

schichtlichen Wurzeln des Faschismus im 19. Jahrhundert

lichen Tod durch Krankheit oder Alter und ebenso wenig

sowie der von Gewalt, Furcht und Grausamkeit geprägten

um eine Vergegenwärtigung der Endlichkeit im Werden

Ereignisse um den 20. Juli 1944 im Zentrum der vorliegen-

und Vergehen alles Lebendigen im Sinne des christlich-

den Arbeit. Im Folgenden wird unter Rückgriff auf Kapitel

barocken memento mori. Die Konzeption eines unter-

6.2 der Titel des Zyklus genauer betrachtet. Sein Verhält-

schiedslosen und »gerechten« – da niemanden über-

nis zum mittelalterlichen Topos des Totentanzes will klar

gehenden – Todes, der aufgrund seiner Sinnhaftigkeit

bestimmt sein. Die kunsthistorische Vorliebe für angebli-

ein Trostpotenzial impliziert, ist aufgehoben. Hrdlicka

che Traditionen, konstruierte Kausalitäten, spitzfindige

zeigt die Gewalt am Gewaltlosen, den mordenden Men-

Ableitungen und Subordinationen trägt in der Regel we-

schen und die Dekonstruktion seiner »Menschlichkeit«.

nig zum Verstehen des speziellen Werkes bei. Zumindest

Er empört sich über die Entwertung und Vernichtung

müssen diese Zusammenhänge sorgfältig geprüft wer-

von Menschen. Des Todes Zeichen sind nicht Sense und

den. Ein möglicher Zusammenhang von Hrdlickas Zyklus

Stundenglas, sondern Hakenkreuz, Machtgier und In-

mit der Tradition des Totentanz-Motivs besteht in seiner

toleranz. Hrdlickas Totentanz-Paraphrase ist Ausdruck

Präsentationsform: Einige der mittelalterlichen Totentän-

der Bedrohung durch männliche Gewalt. In dem Zyklus

ze kombinieren die bildhaften Darstellungen mit Texten

ist der Mensch des Menschen Tod. Wesentlich ist nicht

– ebenso wie Hrdlicka.

mehr das »Gedenke, dass du sterben musst«, sondern

266

Auch im Prinzip »Bildergeschich-

te« kann ein gemeinsamer Nenner gesehen werden.

tentänze. Darum nennt Hrdlicka seinen Zyklus auch

ein »Gedenke, dass du zu morden vermagst«. Vor allem

Jedoch stellt der Juli-Zyklus keine fiedelnden Kno-

in kriegerischen Zuständen kann der Mensch seinem

chenmänner dar, sondern die grausamen Verbrechen

Mitmenschen tatsächlich zum »Wolf«267 werden – d. h.

des Faschismus. Mit »Wie ein Totentanz« reiht Hrdlicka

er kann zum Unterdrücker und Folterer werden. Folgt

sich nicht in den allegorischen Reigen der Toten ein. Wer

daraus ein pazifistisches Postulat? In seiner Eigenschaft

im Zyklus zum 20. Juli einen »symbolistischen« Toten-

als Kunstwerk lässt der Zyklus Fragen wie diese letztlich

tanz oder ein »deutsches Singspiel« sieht, verharmlost

offen – offen zur Auseinandersetzung und individuellen

die Historie. Auf den Graphiken grinsen keine Schädel,

Beantwortung für jeden Einzelnen, der sich ihnen stellt.

es turnen keine lebendigen Gebeine durchs Bild, und zum Tanzen der Skelette bleibt auch keine Zeit. Stattdessen wird gemordet. Der Tod ist durchaus präsent,

267 Um an das berühmte Diktum »homo homini lupus est« zu erinnern. Vgl. Thomas Hobbes: Vom Menschen, Vom Bürger [De cive, 1642], Elemente der Philosophie 2/3, hg, v.

124

11. Ausdrucksgehalt

266 Vgl. Friedrich Kasten 1985.

Günter Gawlick, Hamburg 1994.

11.5 Fazi t Blickt man zurück auf die Dramaturgie des Zyklus, auf Hrdlickas Texte und die vorgenommenen Einzelinterpretationen, wird deutlich, was der Zyklus zum 20. Juli nahe­legt: Es gibt einen Konnex der Gründe für das Scheitern des Attentats und der Voraussetzungen für den »Nationalsozialismus«. Zum einen denkt Hrdlicka dabei an militärische Disziplinierung: Dafür steht exemplarisch Blatt 1 Casanova am Hof Friedrichs des Großen. Zum anderen verweist er auf die morbide »Tiefe« der Romantik, auf verklärten Selbsthass und Vernichtungswahn. Dieses Thema behandeln die Radierungen 3 und 4 über Wagner und Weininger. Der Geist des 19. Jahrhunderts spielte sich nicht nur in Potsdam, Weimar und Wien ab. Vor allem aber endet er nicht mit der Jahrhundertwende. Hrdlicka regt den Betrachter seiner Radierungen an, über sozialpsychologische und politische Folgen nachzudenken – und nicht zu glauben, mit Chile 1974 sei alles vorüber.

11. Ausdrucksgehalt

125

12. Historische Positionierung des Gesamtwerkes

Die Kunst selbst existiert in der Moderne nur auf der

und nachträglich legitimierenden Kunsttheorien geführt

Grundlage ihres Verschwindens […]. Eben darin wurde

haben.

sie zum Ereignis […], heute ist die Kunst verschwun-

Die Hauptwerke jener bildender Künstler, die auf

den, weiß dies aber nicht, was das schlimmste ist, und

individuelle Weise ihre je eigene Zeit mit bildnerischen

zieht in einem überholten Koma ihre Bahn. […] Weil

Mitteln zu fassen versuchten, entfalteten auf längere

sie sich immer mehr mit der objektiven Banalität ver-

Sicht gesehen nicht zufällig eine herausragende Wir-

mischte und daher aufhörte, sich vom Leben zu unter-

kungsgeschichte im Verlauf der europäischen Kunst-

scheiden, ist sie überflüssig geworden.

geschichte. Man denke an Grünewald, Michelangelo,

268

V

El Greco, Rembrandt, Goya, Van Gogh, Rodin, Picasso

dass die bildende Kunst einen Bedeutungsver-

suche, die divergierendsten Künstlerpersönlichkeiten

lust erleiden könnte, wenn man den Kunstbegriff in mal

unter einen Hut zu bringen, das heißt aufgrund irgend-

spielerischer, mal mystischer Weise unter dem Vorwand

welcher Stilmerkmale, um andererseits Epigonentum,

der »Erweiterung« auflöst. An der weitgehenden Ab-

Ismenhäufung als logisches Abfolgespiel einer hypothe-

wesenheit sozial relevanter und anschaulich gemachter

tischen Kunstentwicklung darzustellen, kann man mir

Kunstinhalte nahmen seit 1945 nur wenige auf argumen-

nicht so leicht unter die Weste jubeln. Stammbaumlehre

tierende Weise Anstoß.

erstörend unzeitgemäß erschienen diejenigen

und Beckmann. Hrdlicka selbst warnte jedoch: »Das

Künstler der Nachkriegszeit, die früh ahnten,

Systemdenken der Historiker und Theoretiker, ihre Ver-

Es stellt sich die Frage, ob

und historischer Brückenschlag sind in der Regel Selbst-

nicht in den letzten 60 Jahren das Beuys’sche Diktum

zweck und Zeilenschinderei.«270 Dass das Betreiben von

»jeder ist ein Künstler« und das postmoderne »anything

Ableitungskunstgeschichte

goes« zu einem inflationären Überfluss an behaupteter

das Verständnis des Besonderen nicht erweitert, sei

Kunst und bewusster Antikunst, an »Kunstrevolutionen«

­vorausgesetzt. Festzuhalten ist dennoch, dass Hrdlicka

268 Jean Baudrillard 2008, S. 14 ff.

270 Alfred Hrdlicka: Egon Schiele [1985], in: LEWIN IV, 183,

269

269 Vgl. Jost Nolte: Kollaps der Moderne, Hamburg 1989.

S. 194.

und

Fortschritts-Denken

12. Historische Positionierung

127

in der Nachkriegskunst zu den wenigen gehörte, die

könnte selbst der Macht der elektronischen Massen-

sich auf hohem künstlerischen Niveau in die Tradition

medien und ihrem Einfluss auf Wahrnehmung und Den-

derer einreihten, die mit der menschlichen Figur als Aus-

ken etwas entgegensetzen. »Das Fernsehen stopft uns

drucksträger arbeiten – trotz oder gerade wegen ihrer

zwar voll, alles jedoch huscht durch uns hindurch. Auch

stereotypen Indienstnahme von der Nazi-Kunst.271 Die

Schreckensnachrichten sind ein Teil der Unterhaltung

künstlerische Negation der Idee, sich veranschaulichend

geworden [...] In dieser gräßlichen Situation hat Kunst

zu artikulieren, subsumieren Kunsthistoriker gern unter

die Chance, durch Absagen an Perfektion und Glätte

Begrifflichkeiten wie geheimnisvoll, mysteriös, unbe-

Nachdenklichkeit zu schaffen.«272

greiflich oder gar avantgardistisch. Der inflationäre Gebrauch dieser Kategorien erschwert es, die tatsächliche

Hrdlickas Bestreben zielte darauf ab, seine Zeit und de-

inhaltliche Bestimmtheit von Begriffen wie Einheitlich-

ren Menschen subjektiv zu deuten. In seinen Werken

keit und Unbestimmtheit oder Charakterisierungen wie

scheint dabei im Besonderen das Allgemeine auf. Zu

nonverbal und intuitiv – im Gegensatz zur Diskursivität

allen Zeiten gab es Künstler, die darum bemüht waren

der Wort-Sprache – dort zum Tragen zu bringen, wo sie

»in ihren Werken Artikulationen dessen [zu] geben, was

wirklich zum Verständnis der Sache beitragen.

unsere Zeit mit der Vergangenheit verbindet und wel-

Weiterhin führte Hrdlicka die Tradition derer fort,

che Möglichkeiten neu hinzugekommen sind, den Men-

die der Ansicht waren, dass neben naturwissenschaft-

schen mit seiner veränderten Umwelt in Harmonie zu

lichen Messungen und Beobachtungen, neben Musik,

bringen«.273 Diese Kompetenz, Bezugssysteme zwischen

Literatur und philosophischem Denken auch die »stum-

Kunst und der lebendigen Bewegung einer Gesellschaft

me« bildende Kunst eine Möglichkeit darstellt, Bedeu-

zu knüpfen, wird oft postuliert und ihr Versprechen sel-

tungen und Deutungen zu schaffen und zu vermitteln.

ten eingelöst. Es muss folglich zwischen der Motivation

Das Kunstwerk als »Ereignis« oder als »drittes Auge«

des Künstlers und der gelingenden Umsetzung, der spe-

ermöglicht eine einheitlichere Wirklichkeitserfahrung,

zifischen Qualität eines Kunstwerks unterschieden wer-

als sinnliche Wahrnehmung und begriffliches Denken

den. Beide Aspekte sind jeweils für sich zu beurteilen.

dies im Einzelnen leisten könnten. Denn in der bilden-

Hrdlicka stellt sich der Herausforderung, auf individuelle

den Kunst wird das Sinnliche geistig vermittelt und das

Weise das humanistische Projekt der Aufklärung ins Ge-

Geistige tritt sinnlich in Erscheinung. Dieses Potenzial

dächtnis zu rufen. Für den Künstler heißt das: Über antifaschistische Kunst an den Selbstzweck jedes Menschen zu erinnern. Im Gegensatz dazu steht der Selbstzweck

271

Die Torsierung des Körpers stellt freilich eine offensichtliche Kontradiktion zu den unversehrten »Bodybuildern«

der Kunst. Das Artistentum des »l’art pour l’art« nach

der Nazi-Künstler dar. Vgl. die Datenbank zu den »Großen 128

12. Historische Positionierung

Deutschen Kunstausstellungen« von 1937–1944, online

272

Hans-Dieter Schütt 1997, S. 26.

unter: www.gdk-research.de.

273

Udo Kultermann 1996, S. 241.

Théophile Gautier hat zweifellos narzisstische Züge.

fähigkeit, Unangenehmes wahrzunehmen und Formen

Denn: »Die Schönheit, die sich selbst genügt, ist andro-

des Umgangs zu entwickeln. Diese ­»allzu menschlichen«

gyn: Wenn sie begehrt, begehrt sie sich selbst.«274

Verarbeitungsverweigerungen – insbeson­dere mit Blick

In Hrdlickas Kunst steht nicht die Ersatzwelt der

auf den NS-Faschismus – waren Hrdlicka­stets ein An-

Zirkusarena, sondern die soziale und psychologische

sporn, Strategien der Enthüllung zu entwickeln. Nicht

Lebenswelt des Menschen im Zentrum. Aspekte der

zuletzt daher erregte Hrdlickas Kunst immer wieder

menschlichen Konstitution und ihre Abgründe werden

Anstoß. Doch vor den Schattenseiten unseres religiö-

anhand faktischer Ereignisse der Historie zur Anschau-

sen, revolutionären, politischen und wirtschaftlichen

ung gebracht. Das heißt, mit historischen Themen

Tuns die Augen zu schließen bedeutet, sich Illusionen

machte er immer auch auf soziale und individualpsycho-

über den Stand der Dinge zu machen. Grundrechtswid-

logische Missstände seiner Zeit aufmerksam. In diesem

rige Entwicklungen können auf diese Weise weder pro-

Sinne handelt es sich um Memorial- und Daseinskunst,

blematisiert noch kritisiert werden. Wohin pathologisch

die das Bild der Geschichte nicht glättet, sondern durch

pervertierte menschliche Urtriebe führen können, wenn

Verfremdung und Betonung des Hässlichen aufraut und

die sozialen Umstände dafür Raum geben, zeigen bei-

damit wach hält. »Mit Trost macht man keinem Mut.

spielsweise Hrdlickas Arbeiten zum Polizeispitzel und

Die Tiere lernen durch Schrecken und die Menschen

Lustmörder Friedrich Haarmann (1879–1924), die zwi-

auch.«275 Dabei zeigt sich Hrdlickas Kunst als Anwalt ei-

schen 1965 und 1971 entstanden sind.276

nes ganzheitlichen Existenz-Verständnisses, welches das

Aus einer ethischen Perspektive betrachtet ist daher

leidende Individuum mit einbezieht. Diese Vorgehens-

das Mitwirken an den sozialen Umständen und die Über-

weise ist nicht nur historisch, sondern auch politisch

nahme von Verantwortung des Ich für ein Wir geboten.

motiviert. Daran, dass das marktwirtschaftliche Gesell-

In dieser Hinsicht bedeutet jeder soziale Rückzug eine

schaftssystem mit seiner profit- und konsumorientierten

Entfremdung vom ganzheitlichen Menschsein, insofern,

Ausrichtung die Bedingung der Möglichkeit für die beste

als wir als zoon politikon sowohl Individuum als auch

aller Welten bildet, glaubte Hrdlicka nicht.

Glied eines Gemeinwesens sind.277 Eine Kunst, die nur als

Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit standen daher die Strategien der Verdrängung. Dabei war ihm durchaus bewusst, dass gerade im Namen einer »freien Kunst«

276 Siehe Philipp Gutbrod: Zur Darstellung von Gewalt im Haarmann-Zyklus des Alfred Hrdlicka, in: AK Magdeburg: Alfred

freiheitsraubende, weil existenz- und geschichtszen-

Hrdlicka – Der Tod und das Mädchen, Werke 1944–1997,

sierende Bilderverbote den Kunstmarkt dominierten.

hg. v. Matthias Puhle u. Jürgen Fitschen, Ausstellung im

Hrdlickas Drastik ist immer auch eine Kritik an der Un-

Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen, Magdeburg 2000, S. 21–33. 277

Vgl. Martin Heidegger: »Existierendes Seiendes sichtet

274 Jean Starobinski 1985, S. 39.

»sich« nur, sofern es sich gleichursprünglich in seinem Sein

275

bei der Welt, im Mitsein mit Anderen als der konstitutiven

Zit. nach: Hans-Dieter Schütt 1997, S. 36.

12. Historische Positionierung

129

»Vehikel öder Selbstverwirklichung«278 oder der privatis-

Hrdlicka konnte das kreative Aufstellen von künstli-

tischen Freizeitgestaltung dient, bedeutet in ihrer l’art

chen Attrappenwelten nie wirklich nachvollziehen, denn

pour l’art-Selbstgefälligkeit per se politische Anpassung,

»die Kunst gibt es ja nicht, damit es Kunst gibt, sondern

bzw. ist ein Ausdruck von Indifferenz der Realität des

damit sich etwas bewegt«.282 Denn »[m]an sollte Kunst

Menschen gegenüber. Schon Thoré-Bürger prägte im 19.

nicht unterschätzen für die Entwicklung von stimulie-

Jahrhundert in Opposition zum Selbstzweck-Konzept

renden politischen Haltungen«283. Im Rahmen der hier

von Victor Cousin und Théophile Gautier den Begriff des

zitierten Podiumsdiskussion aus dem Jahre 1980 in Ber-

»l’art pour l’homme«.

Théophile Thoré – alias Willem

lin führte Klaus Traube diesen Gedanken wie folgt fort:

Bürger bzw. Thoré-Bürger – schrieb 1857 in seinem Es-

»Kunst kann die Erinnerung an die Grenzen des Sach-

say »Neue Bestrebungen der Kunst« über die Künstler

zwangsystems wach halten und damit den Widerstands-

der romantischen Schule, dass sie mit der Eroberung

willen wecken.«284

279

der Freiheit in Erfindung und Stil viel erreicht hätten.

In diesem Sinne hinterlässt Hrdlicka als aufmerksa-

Zugleich stellte er aber die Frage, was sie mit dieser

mer und unbequemer Zeuge seiner Zeit sein Werk als

gewonnenen Freiheit nun anfangen würden.280 Thoré-

anregendes »Reibflächen-Multiple«. Unruhe und Nervo-

Bürger hegte die Hoffnung, dass die Künste, nachdem

sität sprechen aus seinem Œuvre. Mit der drastischen

sie nicht mehr in Symbolen und Hieroglyphen die alten

Thematisierung des eskamotierten Todes, der Veran-

Göttergeschichten wiedergeben müssten, sich endlich

schaulichung verdrängter Grausamkeit und Aggressivi-

für die Lebenswelt des Menschen öffneten; dass sie zu

tät sowie der Enthüllung der handlungsprägenden Kraft

einem unmittelbaren Ausdruck, zu einer verständlichen

des Eros trifft Hrdlicka die Nerven des 20. Jahrhunderts.

Sprache fänden, die »zur Mitteilung und zum Austausch

Demnach lässt sich auf den zu Beginn des Kapitels zitier-

der Gefühle dient«.281

ten Jean Boudrillard mit den Worten Carl Ludwig Fernows – mit leiser Ironie – antworten: Aber auch dieser scheinbare Stillestand der Kunst war

Momente seiner Existenz durchsichtig geworden ist.«

zur Vorbereitung einer neuen Periode nöthig; […] die

[Martin Heidegger SuZ, S. 146].

Wiederanerkennung der Vortrefflichkeit der alten Bild-

278 Alfred Hrdlicka: Denn sie wissen nicht, was sie tun, in: AK Heilbronn 1983, S. 23. 279 Théophile Thoré: Neue Bestrebungen der Kunst [1857], in: A. Schmarsow u. B. Klemm (Hg.): W. Bürger’s Kunstkritik, dt. Bearbeitung, Bd. 1 Neue Bestrebungen der Kunst,

12. Historische Positionierung

281

ZEIT, Nr. 9, 21. 02. 2008, S. 45. 283 Alfred Hrdlicka zit. nach: Überleben durch Kunst, Eine

Landschaftsmalerei, Leipzig 1908, S. 30 [im Folgenden zit.

Diskussionsmontage v. Wolfgang Max Faust des Karl-

als: Théophile Thoré 1908].

Hofer-Symposions in der Hochschule der Künste, Berlin, in:

280 Vgl. Théophile Thoré 1908, S. 1. 130

282 Alfred Hrdlicka im Interview mit Hanno Rauterberg, in: DIE

Ebd. S. 34.

KUNSTFORUM, Bd. 43, 1/81, Mainz 1981, S. 95. 284 Klaus Traube, in: ebd., S. 99.

werke muste das Bedürfnis nach dem Besseren rege

Hrdlickas ausführliche Selbstreflexionen dürfen nicht zu

gemacht haben, um ein Streben nach demselben zu

unkritischen, konsensorientierten Interpretationen füh-

bewirken; die Gemüther muste kein herschendes Vor-

ren. Auch sie wollen – genau wie sein Werk – hinterfragt

urteil mehr gefesselt halten, um des Besseren desto

sein. Doch dass Hrdlicka als bildender Künstler und Au-

leichter empfänglich zu seyn.285

tor begegnet, darf als gute Grundlage dafür gelten, dass sein Werk auch in der Zukunft zugänglich sein wird.

Im Kontext seiner kulturellen Leistung ist abschließend auf Hrdlickas schriftliche Äußerungen einzugehen. Kunsthistoriker stehen oft vor dem Problem, dass sie zu einer Kluft zwischen reflektierter und produzierter Kunst beitragen. Hrdlicka stellt sich durch beständige Selbstreflexion jenen Entwicklungen in den Weg, die dazu führen, dass dieser Gegensatz widersprüchliche Ausmaße annimmt. Das, was Hrdlicka aufzeigt, bewertet und mitteilt wird zugänglicher, stellt man das ästhetisch-leibliche Verstehen neben das sprachliche und umgekehrt: Ich bin zwar ein großer Anhänger der Bilderwelt, aber von dieser geht nur zusammen mit dem Wort etwas Bewirkendes aus. Das Bild in seiner Anschaulichkeit regt unmittelbar an. […] Meine Arbeiten bilden eine Kombination von Wort und Bild, was nichts mit Illus­ tration zu tun hat. Dabei besteht jedes Bild auch für sich selbst, also auch ohne das Wort. Doch zusammen erst formen Wort und Bild das Andere, eben Kunst.286

285 Carl Ludwig Fernow: Über den Bildhauer Canova und dessen Werke [1806], hg. v. Alexander Auf der Heyde, Bassano del Grappa 2006, S. 15. 286 Zit. nach: Walter Schurian 1988, S. 21.

12. Historische Positionierung

131

13. Zusammenfassung

H

rdlicka wendet sich in seinem bedeutendsten

züglich des deutschen Faschismus. Die Untersuchung

und umfangreichsten Radierzyklus

»Wie ein

hat gezeigt, dass er dabei den sozialpsychologischen Zu-

Totentanz – Die Ereignisse des 20. Juli 1944« der

sammenhängen von Militarismus und Männlichkeitskult,

deutschen Geschichte zu. Das behandelte historische

von Grausamkeit und politisch verantwortungsloser

Geschehen wird im Lichte einer bestimmten Darstel-

Innerlichkeit auf der Spur ist. Künstler sind keine distan-

lungstechnik, der zyklischen Druckgraphik, gesehen und

zierten Chronisten, d. h. Hrdlickas Herangehensweise ist

in den Kontext einer zeitenübergreifenden Entwicklung

keine dokumentarisch-neutrale, sondern eine emotional

gestellt. Die erschütternde Darstellung des körperlichen

aufrüttelnde und subjektiv deutende. Obwohl einzel-

Schmerzes enthält eine allgemeingültige und ins Ge-

ne Szenen von anekdotischem Charakter sind, verleiht

dächtnis brennende Anklage gegen Menschverachtung

er jeder einzelnen Radierung dennoch ein ästhetisch

und Terror.

komponiertes Erscheinungsbild, das ihre überzeitliche

287

Exemplifiziert wird dieses Thema am gescheiterten

Wirkung garantiert.288 Dadurch unterscheiden sie sich

Generalsaufstand 1944 in Berlin und Paris sowie an den

von Illustrationen und Karikaturen. Auch als Propagan-

Hinrichtungen in Berlin-Plötzensee. Die Widerstandsbe-

dablätter sind sie nicht zu bezeichnen, da Hrdlicka für

wegung des 20. Juli 1944 dient heutzutage in Deutsch-

seine politisch-psychologischen Interessen die Kunst

land als Identität stiftende Rettungsinsel einer schiff-

nicht benutzt, sondern sich bewusst auf ihre spezifi-

brüchigen deutschen Tradition. Hrdlicka reflektiert die

schen Möglichkeiten und Grenzen einlässt. Somit wird

Ereignisse um den 20. Juli in dialektischem Zugriff und

die Institution der bildenden Kunst als gesellschaftliches

betreibt anhand dieses Themas Ursachenforschung be-

Funktionssystem gestärkt: Denn als kunstspezifische, d. h. veranschaulichende »Urteilsform« und als eine auf-

287 Der Zyklus »Die große Französische Revolution« umfasst 42 Radierungen sowie 19 weitere »Szenen zur Französi-

288 Vorausgesetzt sei, dass »Regeln« des Bildaufbaus, der

schen Revolution« [1985–1989, vgl. Lewin III/2 1043–1103].

Komposition, der Flächeneinteilung existieren. Bei einem

Bezieht man alle zusätzlichen Szenen und Varianten mit

in dieser Hinsicht gelungenen Werk ist von einem »l’effet

ein, besteht »Wie ein Totentanz« aus 70 Radierungen.

du tout-ensemble« (Roger de Piles) zu sprechen.

13. Zusammenfassung

133

klärerische Weise der »Gedächtnisstiftung« kann sie eine

fizient, sondern wahrheitsdienlich. Hrdlicka betrachtet

intellektuelle Bedeutung für die bürgerliche Gesellschaft

erinnerungswürdige Ereignisse differenziert, d. h. aus

besitzen. Ein zentrales Ergebnis der Arbeit ist der Nach-

miteinander konkurrierenden Blickwinkeln. Dabei wird

weis der kulturgeschichtlichen Relevanz des Zyklus zum

bei aller kunstspezifischen Offenheit verbindlich nach

20. Juli.

historischen und philosophischen Voraussetzungen wie

Die Sinndimension von Hrdlickas Werk bricht mit der

Konsequenzen geforscht. Denn »wenn sich das kulturel-

weitgehenden Abstinenz einer ernsthaften Erörterung

le Gedächtnis an Fixpunkten festmacht, ist nach deren

des fragwürdig gewordenen humanistischen Menschen-

Entstehung zu fragen«.290

Bildes in der bildenden Kunst der Nachkriegszeit. In der

Mit der Herausarbeitung der Methode des »zykli-

Einleitung wurde konstatiert, dass sich Hrdlicka ab den

schen Erinnerns« ist eine Antwort auf das in der Einlei-

1960er-Jahren mit der Frage beschäftigte: Auf welchen

tung zur Disposition gestellte Problem gefunden, wie

Wegen ist mit der fatalen »Schweige-Krankheit« der

Erinnerungskultur und Bewältigungsarbeit geleistet

deutschen Nachkriegszeit umzugehen? Der figürliche

werden können. Anstatt inhaltlich austauschbare Be-

Stil und die gegenseitige Ergänzung von Wort und Bild

onstelen aufzustellen oder feierliche Schlusssteine zu

wurden in der vorliegenden Arbeit als ein Plädoyer dafür

setzen,291 bieten Hrdlickas Radierungen eine Reihe von

interpretiert, die Wahrheit des Krieges – Leid und Tod –

bildnerischen Ideen an, die als anregende Diskursgrund-

verbindlich zu benennen und anschaulich zu vergegen-

lage auf lange Zeit hin wirksam sein können.

wärtigen: Den Tätern und Opfern ist Gestalt und Gesicht gegeben.289 Die Struktur des Zyklus deutet die vorliegende Untersuchung dahin gehend, dass zur Verarbeitung dieser Ereignisse im Informationszeitalter für das Individuum einzig der »offene Stil« bleibt. Ein für sich stehendes, statisches Großprojekt mit dem Anspruch auf Abgeschlossenheit ist zum Scheitern verurteilt. Stattdessen bieten sich das ständig zu erneuernde, skizzenhafte Versuchen und die assoziative Annäherung an den Gegenstand an. Die Umkreisung des Themas führt zu einer Pluralität der Standorte und Blickpunkte. Der

290 Jochen Spielmann: Stein des Anstoßes oder Schlußstein der Auseinandersetzung? Bemerkungen zum Prozeß der

scheinbare Widerspruch in der Gegenüberstellung un-

Entstehung von Denkmalen und zu aktuellen Tendenzen,

terschiedlicher Perspektiven auf die Ereignisse regt zum

in: Denkmal – Zeichen – Monument, Skulptur und öffentlicher Raum heute, hg. v. Ekkehard Mai u. Gisela Schmirber,

Nachdenken an. Diese Herangehensweise ist nicht de-

München 1989, S. 110. 291

134

13. Zusammenfassung

289 Vgl. Christine Pielken 2003, S. 67.

Vgl. Hans-Ernst Mittig: Gegen das Holocaustdenkmal der Berliner Republik, Berlin 2005.

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bisch Hall: Alfred Hrdlicka – Bildhauer/Maler/Zeichner, Künzels­au 2008, S. 66–73.

Spielmann, Jochen: Stein des Anstoßes oder Schlußstein der Auseinandersetzung? Bemerkungen zum Prozeß der

Walda, Christian: Der gekreuzigte Mensch im Werk von

Entstehung von Denkmalen und zu aktuellen Tenden-

Alfred Hrdlicka, Unmittelbar anschauliche Intersubjekti-

zen, in: Denkmal – Zeichen – Monument, Skulptur und

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öffentlicher Raum heute, hg. v. Ekkehard Mai u. Gisela

2007.

Schmirber, München 1989. Wassermann, Rudolf: Widerstand als Rechtsproblem, Steinbach, Peter: Der 20. Juli 1944, Gesichter des Wider-

Zur rechtlichen Rezeption des Widerstandes gegen das

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Stubbe, Wolf: Manifestationen in der Radierung – Zur

standes gegen das NS-Regime, Köln 1994, S. 203–213.

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Wedekind, Gregor: Le portrait mis à nu. �������������� Théodore Géri-

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Überleben durch Kunst, Eine Diskussionsmontage v.

Weiermair, Peter: Österreich – Ein Land der Zeichner, in:

Wolfgang Max Faust des Karl-Hofer-Symposions in der

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17. 02 bis 21. 05. 2006 i. Kunst der Gegenwart, kuratiert v. Wieland Schmied, Wien 2006.

Ueberschär, Gerd B. (Hg.): Der 20. Juli 1944, Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstandes gegen das

Wohlfart, Günther: Friedrich Nietzsche, in: Ästhetik und

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Kunstphilosophie – Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, hg. v. J. Nida-Rümelin u. M. Betzler,

Valentien, Freerk: Skizzenhafte Betrachtungen über den

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144

Literaturverzeichnis

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Wunderlich, Uli: Der Tanz in den Tod, Totentänze vom

1983, S. 2–9.

Mittelalter bis zur Gegenwart, Freiburg 2001.

Anhang

Rezep t i o n sge s chichte

einzusetzen. Sie sollen für viele Menschen erschwinglich bleiben.

Eine Monographie oder eigenständige kunsthistorische Publikation zu Hrdlickas Zyklus »Wie ein Totentanz«

Der möglicherweise entscheidende Parameter betrifft

existiert nicht. Doch finden sich einige Aufsätze in Aus-

die Ausstellungen und ihre Relevanz. Sie sind Thema

stellungskatalogen sowie Presseartikel und Reden zu

dieses Abschnitts. Welchen Weg nahm der Werkkom-

Ausstellungen. Nur die wichtigsten Texte seien hier er-

plex? Erreichte er seine Adressaten? »Wie ein Totentanz«

wähnt, z. B. 1975 die Einführung von Wieland Schmied

gehört zu den meistausgestellten graphischen Zyklen

für die Westberliner Ausstellung, 1978 der Aufsatz von

Hrdlickas. Zum ersten Mal wurde er in einer Ausstellung

Werner Schmidt für die Erwerbung des Dresdner Kup-

der Stuttgarter »Galerie Valentien« vom 20. Juli bis zum

ferstichkabinetts und 1982 der Text »Der Krieg als To-

15. August 1974 gezeigt, also exakt 30 Jahre nach der

tentanz« von Wouter Kotte, der Otto Dix’ »Der Krieg«

Detonation der Sprengladung im Führerbunker. Im Jahr

Alfred Hrdlickas »Wie ein Totentanz« in Utrecht gegen-

darauf war er vom 19. Juli bis zum 31. August in der Na-

überstellte. 1985 erschien die Heidelberger Rede von

tionalgalerie West-Berlin zu sehen. Dieter Honisch war

Dietrich Schubert »Otto Dix und Alfred Hrdlicka im Dia-

dort seit dem 1. Juni Direktor. Der Kunstverein Heilbronn

log« und 2002 der Aufsatz der Künstlerin Waltraud Jam-

veranstaltete vom 2. bis zum 30. November desselben

mers anlässlich des Umzugs der Bonhoeffer-Büste in die

Jahres eine Doppel-Ausstellung mit Gunther Stilling. Im

Staatsbibliothek zu Berlin.

Rahmen des Evangelischen Kirchentags 1977 ging eine Mappe vom 15. Mai bis zum 16. Juni ein weiteres Mal

Weitere Parameter für die Qualität der Rezeption sind

nach Berlin, und zwar ins Gemeindezentrum Plötzensee.

die kunsthistorische Wirkung, das Auftreten von künst-

1978 erhielt das Kupferstichkabinett der »Staatlichen

lerischen Zitaten, Anspielungen und Fortführungen und

Kunstsammlungen zu Dresden« den Zyklus »Wie ein

die erzielten Preise auf dem Kunstmarkt. Die Preise für

Totentanz« als Geschenk von Alfred Hrdlicka und prä-

die Radierungen sind niedrig. Doch beabsichtigte Hrdlic-

sentierte ihn vom 13. 09. 1978 bis zum 12. 01. 1979 der

ka selbst, seine Graphiken als »kleines Massenmedium«

Öffentlichkeit. 1980 war er sogar in zwei Städten zu se-

Anhang

145

146

Anhang

hen: vom 29. Juni bis zum 31. August im »Museum am

von Constanze und Dr. Helmut Meyer aus. 2002 befand

Dom« in Lübeck und anlässlich des Tages der Bildenden

sich ein Exemplar des Zyklus in Berlin, wo es vom 28.

Kunst im Klub der Kulturschaffenden »Johannes R. Be-

Januar bis zum 2. März der Marmorbüste »Dietrich Bon-

cher« mit 35 Blättern vom 18. Oktober bis zum 25. No-

hoeffer« gegenübergestellt wurde (Staatsbibliothek zu

vember in Berlin. Das »Karl Ernst Osthaus Museum« in

Berlin – Preußischer Kulturbesitz). Vom 4. Juni bis zum

Hagen stellte ihn vom 17. Januar bis zum 22. Februar

25. August desselben Jahres hing der Zyklus auch im

1981 und vom 6. bis zum 28. November 1982 aus. Auch

Schloß Morsbroich des Städtischen Museums Leverku-

in der »Alten Synagoge Essen« (30. Juni–10. August) und

sen anlässlich seiner Neuerwerbung für die graphische

in Mürzzuschlag, organisiert von der Walter Buchebner

Sammlung. Ein Großteil der Blätter befand sich vom

Gesellschaft im Bundesschulzentrum (1.–27. November;

3. 09. bis 2. 11. 2003 in der Ausstellung der »Versiche-

»steirischer Herbst ’82«) war der Juli-Zyklus 1982 zu se-

rungskammer Bayern« in München. 2004, zum 60. Jah-

hen. Eine weitere wichtige Ausstellung von Wouter Kot-

restag des Aufstandes, zeigte die Galerie Valentien ein

te stellte 1982/83 in Utrecht (Hedendaagse Kunst) den

Portfolio in Stuttgart (18. September–16. Oktober). Au-

Zyklus 50 Radierungen von Otto Dix’ Mappe »Der Krieg«

ßerdem wurde der Zyklus aus der Sammlung Alfred Hoh

gegenüber. Auf Initiative von Dietrich Schubert gelang

vom 20. Juli bis zum 31. Oktober im Nürnberger »Doku-

es dem Leiter des Heidelberger Kunstvereins Hans Ger-

mentationszentrum Reichsparteitagsgebäude« präsen-

cke, diese Ausstellung am 6. März 1983 nach Heidel-

tiert. 2005 konnte man die Radierungen vom 1. Juli bis

berg zu holen. Vom 14. Juni bis zum 15. November 1985

zum 14. August in Salzgitter-Salder bei Braunschweig

beteiligte sich Hrdlicka mit »Wie ein Totentanz« an der

sehen (Städtische Kunstsammlungen Schloss Salder).

Ausstellung »Sieben Künstler malen Zeitgeschichte« des

Die Gegenüberstellung der beiden wichtigsten graphi-

ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen. 1989

schen Kriegszyklen des 20. Jahrhunderts – Dix’ Mappe

stellte die Staatliche Kunsthalle Berlin das druckgraphi-

»Der Krieg« und Hrdlickas Zyklus »Wie ein Totentanz« –

sche Gesamtwerk aus. Vom 11. Oktober bis zum 15. No-

gelang erneut dem »Kunstforum Ostdeutsche Galerie«

vember 1992 hingen sieben Radierungen im Foyer der

vom 23. 10. 2005 bis zum 29. 01. 2006 in Regensburg im

Staatsoper Stuttgart. 1994, als sich der 20. Juli zum fünf-

Rahmen der Dix-Ausstellung »Welt & Sinnlichkeit«, die

zigsten Mal jährte, erfuhr »Wie ein Totentanz« wieder

Ulrike Lorenz organisierte. Das Kunstmuseum Erlangen

größere Aufmerksamkeit: in Frankfurt, Galerie im Kar-

richtete 2007 dem Zyklus eine eigene Ausstellung vom

meliterkloster, in Trier im Bischöflichen Dom- und Diöze-

17. Juni bis zum 29. Juli ein. Ein eigener Raum wurde

sanmuseum vom 10. Juni bis zum 7. August sowie erneut

»Wie ein Totentanz« auch im Rahmen der groß angeleg-

in Berlin-Plötzensee. Im Rahmen der Frankfurter Retros-

ten Retrospektive zum 80. Geburtstag in der Kunsthal-

pektive 1997 präsentierte die Städtische Galerie den Zyk-

le Würth in Schwäbisch Hall zugeteilt. Er war dort vom

lus wieder im Karmeliterkloster. Im Jahr 2001 stellte das

19. Januar bis zum 14. September 2008 zu sehen.

Bayreuther Kunstmuseum eine Mappe der Sammlung

Vom 7. März bis zum 15. August 2010 präsentierte das Leverkusener Museum Morsbroich mit einer kurzen Unterbrechung erneut den Juli-Zyklus aus dem eigenen Sammlungsbestand. Vollständigkeit kann diese Aufzählung nicht beanspruchen, doch allein die genannten 31 Termine sind beachtlich. Eine ablehnende Rezeption des Zyklus ist nicht bekannt. Er wurde im Zuge seiner Präsentation stets begrüßt. Bedauerlich ist, dass abgesehen von den frühen Ausstellungen in Berlin und Dresden kein größeres Museum sich in die Liste einreiht. Beispielsweise 1994, fünfzig Jahre nach dem 20. Juli, wäre ein geeigneter Anlass für eine große Ausstellung gewesen, ebenso 2004! Doch erneut zeigte kein deutsches Museum den Zyklus.

Anhang

147

Personenregister

A

Bussche, Axel Freiherr von dem 14, 36, 41, 74

Adorno, Theodor W. 95, 111

C

Agamben, Giorgio 123

Callot, Jacques 69, 91 f.

Allende, Salvador 34

Camus, Albert 101, 103

Améry, Jean 49

Canaris, Wilhelm 58

Arendt, Hannah 71, 77, 121

Canetti, Elias 15

Aristoteles 112 ff

Casanova, Giacomo 22, 125

Auerbach, Erich 106

Cäsar, Gaius Julius 29

B

Cézanne, Paul 46

Ball, Hugo 78

Chobot, Manfred 18

Baselitz, Georg 75

Choné, Paulette 69

Baudrillard, Jean 100, 113, 130

Christus, Jesus 36, 66, 72, 103, 106

Beck, Ludwig 34, 58

Cousin, Victor 130

Beck, Martha 87

Cremer, Fritz 75

Beckmann, Max 91, 127

D

Beethoven, Ludwig van 48

Damus, Martin 81

Beuys, Joseph 78, 127

Daumier, Honoré 91

Bockemühl, Michael 109

Diemer, Karl 50

Boehm, Gottfried 12 f.

Dix, Otto 69 f., 91 f., 101, 108, 145 f.

Bolz, Eugen 83

Dollfuß, Engelbert 74

Bonhoeffer, Dietrich 59, 87, 89, 120, 145 f.

Dostojewskij, Fjodor 101

Börsch-Supan, Helmut 112

Duchamp, Marcel 78

Breicha, Otto 90

Dürer, Albrecht 91

Bruegel d. Ä., Pieter 92

Einstein, Carl 12, 73

Burger, Rudolf 40

Eisenman, Peter 15

Personenregister

149

Elser, Georg 59

Gumbrecht, Hans-Ulrich 27

Engels, Friedrich 87

H

F

Haarmann, Friedrich 27, 87, 103, 121, 129

Fellgiebel, Erich 59

Habermas, Jürgen 77

Fernow, Carl Ludwig 100, 130

Haeften, Werner von 34, 56, 59

Fest, Joachim 18

Havekost, Eberhard 109

Fischer, Ernst 105, 112

Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 94, 104

Fischl, Eric 110

Heidegger, Martin 92

Freisler, Roland 59

Heine, Heinrich 11

Freud, Sigmund 48 f.

Henriet, Israël 69

Friedrich II. 22, 29, 125

Herder, Johann Gottfried 22

Friedrich, Caspar David 91

Herrmann, Otto 75

Fromm, Friedrich 21, 56, 59

Himmler, Heinrich 53, 58

G

Hitler, Adolf 18, 21 f., 24, 29, 31, 42, 49, 53, 56, 58 f., 66 f.,

Gadamer, Hans-Georg 11, 13, 48, 70

150

Personenregister

74, 85 f., 120

Gauguin, Paul 46

Hobbes, Thomas 124

Gautier, Théophile 129 f.

Hoffmann, Peter 59

Gehlen, Arnold 80

Hogarth, William 91

George, Stefan 33

Hoh, Alfred 146

Gercke, Hans 145

Holbein d. J., Hans 56 f., 91

Géricault, Théodore 87

Honisch, Dieter 145

Giotto di Bondone 92

Hrdlicka, Leopold (Vater) 74

Goerdeler, Carl Friedrich 58

Husserl, Edmund 94

Gogh, Theo van 106

I

Gogh, Vincent van 92, 127

Imdahl, Max 13, 109

Göring, Hermann 53, 58

J

Gorsen, Peter 75, 110, 123

Jammers, Waltraud 145

Goya, Francisco de 62, 67, 70, 87, 91 f., 94, 127

Jara, Victor 35

Greco, El 127

K

Grieshaber, HAP 81

Kaiser, Georg 26

Grötzebach, Dietmar 64

Kandinsky, Wassily 78

Grünewald, Matthias 127

Kant, Immanuel 118

Guderian, Heinz 29

Katz, Alex 109

Kiefer, Anselm 75

Mondrian, Piet 27, 63, 78

Kleist-Schmenzin, Ewald-Heinrich von 55 f.

Monet, Claude 92

Kleist, Heinrich von 22 f., 58

Munch, Edvard 92

Klinger, Max 89, 91, 94

Mussolini, Benito 29, 31, 59

Kluge, Günther von 21

Naumann, Bringfried 19, 62 f.

Kneffel, Karin 110

Nierendorf, Karl 69

Kollwitz, Käthe 92

N

Korpalski, Edward 120

Nietzsche, Friedrich 50 ff, 71 f., 113 ff

Kortzfleisch, Joachim von 56

Nolde, Emil 22

Kotte, Wouter 145 f.

O

Krieg, Dieter 109

Oertzen, Hans-Ulrich von 58

L

Olbricht, Friedrich 34, 58 f.

LeRider, Jacques 53

P

Lersch, Heinrich 43

Pasolini, Pier Paolo 87, 103

Limburg, Brüder von 92

Paul, Jean 70

Lipps, Theodor 105

Picasso, Pablo 87, 117, 127

Lissitzky, El 78

Pielken, Christine 96

Longinus (Heiliger) 64

Pinochet, Augusto 35

Loos, Sigrun 90

Platon 51

Lorenz, Ulrike 146

Q

Löwith, Karl 36

Quirnheim, Albrecht Ritter Mertz von 34, 59

Ludwig XVI. 87

R

M

Rauff, Walter 34

Malewitsch, Kasimir 78

Rembrandt van Rijn 91, 117, 127

Marinetti, Filippo T. 78

Riegl, Alois 73, 105

Marolles, Michel de 69

Robespierre, Maximilien de 87

Martin, John 91

Rodin, Auguste 87, 127

Matta, Roberto 81

Röhm, Ernst 24

Mennekes, Friedhelm 121

Rommel, Erwin 58

Merleau-Ponty, Maurice 102

Rosenkranz, Karl 118

Meyer, Constanze und Helmut 146

Roth, Dieter 78

Michelangelo Buonarroti 92, 127

Rückriem, Ulrich 75

Milton, John 91

Personenregister

151

S

Valentien, Freerk 18, 85, 145 f.

Schapiro, Meyer 12

Verdun, Nikolaus von 92

Scheibe, Richard 80 f.

Vogel, Henriette 23

Schickele, René 26

W

Schiller, Friedrich 70

Wagner, Richard 22, 121, 125

Schlabrendorff, Fabian von 34

Weiermair, Peter 91

Schmidt, Werner 95, 97, 145

Weininger, Otto 14, 22, 46 ff, 53, 55, 58, 71, 121, 125

Schmied, Wieland 16, 90, 145

Winckelmann, Johann Joachim 27, 112

Schopenhauer, Arthur 51

Wunderlich, Paul 78 ff

Schubert, Dietrich 145 f.

Z

Schurian, Walter 21, 42, 101

Zadkine, Ossip 75

Schütt, Hans-Dieter 39, 73 Schütte, Thomas 110 Schwerin, Gerhard Graf von 80 Schwitters, Kurt 78 Sedlmayr, Hans 13 Siedler, Wolf Jobst 18 Sokrates 114 Starobinski, Jean 113 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 21, 29, 33 f., 42, 56, 58 f., 85, 120 Stilling, Gunther 145 Strindberg, August 83 Stubbe, Wolf 62 T Tatlin, Wladimir 78 Thiele, Fritz 59 Thoré-Bürger, Théophile 130 Traube, Klaus 130 Tresckow, Henning von 58, 120 Tucholsky, Kurt 26 Tuymans, Luc 75 152

Personenregister

V

Zum Dank

Ohne die Mitwirkung vieler Personen und Institutionen gäbe es diese Studie über das Kunstschaffen des Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka nicht. Besonders danke ich Dietrich Schubert, der diese Arbeit von Anfang bis Ende kritisch begleitet und inspirierend gefördert hat. Nadja Wünsche ist es auf einmalige Weise gelungen, dunkle Formulierungen aufzuhellen. Korrekturen, konstruktive Anregungen und auch fröhliche Kartengrüße verdanke ich Ulla Hullmann, Oda Maschke sowie meinen Eltern Sabine und Eginhard Fernow. Stefanie Kovacic und Bettina Waringer aus dem Böhlau Verlag danke ich für ihre kollegiale Redaktion. Angelina Hrdlicka­und das HrdlickaArchiv in Wien unter der Leitung des Nachlassverwalters Dietmar Kolb haben die Reproduktionsrechte für die Radierungen eingeräumt, und Renate Deckers-Matzko zeichnet für die Digitalisierungen der Abbildungen verantwortlich. Die Drucklegung wurde gefördert mit freundlicher Unterstützung der Ahlers AG. (Herford), Nicolas Schubert (Heidelberg), der Villa Grisebach (Berlin) sowie weiterer ungenannter Spender.

Zum Dank

153

Abbildungs verzeichnis

1.

Abb. aus: AK Berlin: Alfred Hrdlicka – »Wie ein Totentanz«��������������������������������������� , Ausstellungskatalog der Nationalgale-

Das Gesamtwerk, Druckgraphik, Bd. III/2, Wien/Zürich 1987, S. 865.

rie Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbe-

22. Abb. aus: Das Gesamtwerk, Bd. III/2, S. 579.

sitz, Berlin 1975, S. XXXI.

23. Abb. aus: Das Gesamtwerk, Bd. III/1, S. 477.

2.

Abb. aus: AK Berlin 1975, S. IX.

24. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXXI.

3.

Abb. aus: AK Berlin 1975, S. X.

25. Abb. aus: Hans Holbein d. J., Bilder des Todes, Leip-

4.

Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XIII f.

5.

Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XVI.

26. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXXVIII.

6.

Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XVII.

27. Abb. aus: Mössinger, Ingrid: Der Plötzenseer To-

7.

Abb. aus: Sinnbilder des Reiches, München 1938,

tentanz – im Evang. Gemeindezentrum Plötzensee,

Abb. 47.

München 1982, S. 15.

zig 1977, o. Pag.

8.

Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XVIII.

28. Abb. aus: Mössinger 1982, S. 1.

9.

Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XVIII.

29. Abb. aus: Mössinger 1982, S. 12.

10. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXIII f.

30. Abb. aus: Mössinger 1982, S. 19.

11. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXI.

31. Abb. aus: AK Hamburg: Goya – Los Desastres de la

12. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXIX.

Guerra, Kat. zur Ausst. in der Hamburger Kunsthal-

13. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXXII.

le, Stuttgart 1992, S. 80.

14. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXXIV.

32. Abb. aus: AK Hamburg 1992, S. 38.

15. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXXIX.

33. Abb. aus: Jacques Callot – Das druckgraphische

16. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XLII.

Werk im Kupferstich-Kabinett zu Dresden, bearb.

17. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XVI.

v. Christian Dittrich, Kat. zur Ausst. i. Albertinum,

18. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXVI. 19. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XXVII f.

Dresden 1992, S. 97. 34. Abb. aus: AK Thun: Otto Dix – »Der Krieg«, Ein Ra-

20. Abb. aus: AK Berlin 1975, S. XI.

dierwerk in 5 Mappen, Kat. zur Ausst. i. Kunstmuse-

21. Abb. aus: Lewin, Michael (Hg.): Alfred Hrdlicka –

um Thun, Thun 1995. o. Pag.

Abbildungsverzeichnis

155

35. Abb. Fotografie Hannes Fernow. 36. Abb. aus: Die Rückriem-Stelen, Dürener Geschichtswerkstatt, Düren 1991, S. 6.

Wien/München 1973, S. 11/12. 51. Abb. aus: Hrdlicka, Barbara/Scheufele, Theodor

Werkverzeichnis der Lithographien von 1949–1965,

(Hg.): Alfred Hrdlicka – Zeichnungen, Dortmund 1994, S. 138.

38. Abb. aus: Brusberg 1966, S. 37.

52. Abb. aus: Hrdlicka/Scheufele 1994, S. 149.

39. Abb. Fotografie Hannes Fernow.

53. Abb. aus: Hrdlicka/Scheufele 1994, S. 13.

40. Abb. aus: Schön, Wolf: Grieshaber – Die Gouachen

54. Abb. aus: Hrdlicka/Scheufele 1994, S. 130.

zum Totentanz, Stuttgart o. Pag./ o. J. 41. Abb. aus: Beispiele zyklischer Grafik der Gegen­wart, hg. v. Otto Breicha, Eine Publikation d. ­Salzburger Landessammlungen Rupertinum zum eigenen­Samm­ lungsbestand, Salzburg 1995, S. 26. 42. Abb. aus: Brandstaller, Trautl/Sternthal, Barbara (Hg.): Hrdlicka – Eine Hommage –, St. Pölten/Salzburg 2008, S. 96, Fotografie Rudolf Meisch. 43. Abb. Fotografie Hannes Fernow. 44. Abb. aus: Schubert 2007, S. 44. 45. Abb. aus: AK Stuttgart: Alfred Hrdlicka – Claus von Stauffenberg und der 20. Juli 1944, Ein Zeichnungszyklus, hg. v. Freerk Valentien, Stuttgart 2005, S. 26. 46. Abb. aus: AK Stuttgart 2005, S. 30. 47. Abb. aus: AK Stuttgart 2005, S. 40. 48. Abb. aus: AK Berlin: Dietrich Bonhoeffer – Alfred­ Hrdlicka, hg. v. Antonius Jammers, Ausst. der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Berlin 2002, S. 32, Fotografie Prof. Rainer König. 49. Abb. aus: AK Schwäbisch Hall: Alfred Hrdlicka – Bildhauer/Maler/Zeichner, Künzelsau, 2008, S. 83. Abbildungsverzeichnis

Zeichnungen, Werkkatalog v. Manfred Chobot,

37. Abb. aus: Brusberg, Dieter (Hg.): Paul Wunderlich, Hannover 1966, S. 36.

156

50. Abb. aus: Alfred Hrdlicka – Skulptur und große

55. Abb. aus: Das Gesamtwerk, Bd. III/1, S. 297.

CHRISTIAN WALDA

DER GEKREUZIGTE MENSCH IM WERK VON ALFRED HRDLICKA UNMITTELBAR ANSCHAULICHE INTERSUBJEKTIVITÄT DURCH LEIBLICHKEIT IN DER KUNST

Das Werk des großen österreichischen Bildhauers und Grafi kers Alfred Hrdlicka lässt sich durch ein zentrales Motiv seines Oeuvres erschließen: über den gekreuzigten Menschen. Wenn der Gekreuzigte auch ein Motiv aus dem christlich-europäischen Formenrepertoire ist – das prominenteste sogar –, so ist die anschaulich transportierte Aussage kulturell nicht gebunden, sondern jedem sehenden Menschen unmittelbar zugänglich und in ihrem aufklärerischen Gehalt verständlich. 2007. 403 S. 116 S/W-ABB. BR. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-77708-3

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

Christian Fuhrmeister / Johannes Griebel / stephan KlinGen / r alF peters (hG.)

KunsthistoriKer im KrieG DeutsCher militärisCher KunstsChutz in italien 1943–1945

Nach der Landung der Alliierten auf Sizilien im Juli 1943 und der Amtsenthebung Mussolinis besetzten deutsche Truppen Italien. Gemäß der Haager Landkriegsordnung wurde im Herbst 1943 im Rahmen der deutschen Militärverwaltung eine Abteilung für »Kunst-, Archiv- und Bibliotheksschutz« eingerichtet. Namhafte deutsche Kunsthistoriker arbeiteten in den Dienststellen des Kunstschutzes in Rom und Florenz, Mailand und zuletzt Fasano del Garda. Zu ihren Aufgaben zählte die Erfassung schützenswerter Bauwerke, die Errichtung von Schutzbauten sowie die Auslagerung beweglicher Kunstgegenstände in Depots. Ab Sommer 1944 rückte indes die fotografische Dokumentation der durch alliierte Luftangriffe verursachten Schäden an Kulturdenkmälern in den Vordergrund. Diese Wendung zur Kulturpropaganda veranschaulichen die rund 2000 Aufnahmen des kürzlich aufgefundenen »Fotoarchivs zerstörter Kunstwerke«. Mit den Voraussetzungen, Bedingungen und der Durchführung des »Kunstschutzes« in Italien sowie den Grenzen kunsthistorischer und denkmalpflegerischer Tätigkeit im Krieg beschäftigen sich die Beiträge in diesem Band. Er stellt zudem eine exemplarische Auswahl des Fotokonvoluts vor. 2012. 450 S. 298 S/w-Abb. und FAkSimileS. FrAnz. br. 170 x 240 mm. iSbn 978-3-412-20804-2

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HERWIG ZENS

HERWIG ZENS DAS DRUCKGRAPHISCHE WERK 1965–2007 WERKVERZEICHNIS

Österreichische Künstler wie Alfred Kubin, aber auch Oskar Kokoschka und Kurt Absolon wussten die Reize der Druckgraphik für ihre Bildwerke zu nutzen. Für den Maler Herwig Zens hat sich die Druckgraphik im Laufe seines Künstlerlebens einen ganz besonderen Platz erobert, neben Malerei, Zeichnungen, Videofi lmen, Büchern und Buchillustrationen sowie Möbelbemalungen. Zum überwiegenden Teil besteht das Zens’sche Druckwerk aus Radierungen, häufig in Kombination mit Aquatinta eingesetzt. Seine spezielle Vorliebe dafür ist, so Zens, dass sie die „ehrlichere Technik“ ist als beispielsweise die Malerei und „sehr disziplinierend“. Hinzu kommt der ganz spezielle reduktonistische Schwarz-Weiß-Kontrast, der von Zens nur in ganz seltenen Fällen durch Farbübermalungen kontrastiert oder durch den Aquatintaeffekt in Brauntönen erweitert wird. Mit dem Werkverzeichnis der Druckgraphik von Herwig Zens legt Johannes Scheer erstmals die Zusammenschau des Gesamtwerks des Künstlers in dieser Technik von 1966 bis 2007 vor. 2007. 217 S. ZAHLR. S/W-ABB. BR. 290 X 290 MM | ISBN 978-3-205-77633-8

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Sabine FaStert / alexiS JoachimideS / Verena Krieger (hg.)

die WiederKehr deS KünStlerS themen und PoSitionen der aK tuellen KünStler /innen ForSchung (KunSt – geSchichte – gegenWart, band 2)

Nachdem die Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert erfolgreich bemüht war, die Fixierung auf das Künstlersubjekt zu überwinden, ist um die Jahrtausendwende die Figur des Künstlers wieder verstärkt in ihren Fokus geraten. Die Künstler/innen-Forschung geht heute von einer theoretisch und methodologisch neu reflektierten Basis aus. Anstatt naiv »das Leben« oder »die Seele« des Künstlers zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen, begreift sie die Verbindung von Biografie, Sozialstatus, psychischer Konstitution, Habitus und Werk als komplexe Konstruktionen, die es in ihrer je spezifischen historischen Situation zu analysieren gilt. Der vorliegende Band gibt – konzentriert auf die Moderne vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart – einen Einblick in die aktuelle Künstler/innen-Forschung. 2011. 362 S. Mit 74 S/w-Abb. FrAnz. br. 155 x 230 MM. iSbn 978-3-412-20727-4

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