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German Pages 431 [432] Year 2017
Patrick Ostermann Zwischen Hitler und Mussolini
Elites and Modernity Elitenwandel in der Moderne
Edited by / Herausgegeben von Gabriele B. Clemens, Dietlind Hüchtker, Martin Kohlrausch, Stephan Malinowski und Malte Rolf
Volume / Band 21
Patrick Ostermann
Zwischen Hitler und Mussolini Guido Manacorda und die faschistischen Katholiken
ISBN 978-3-11-053635-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-053899-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-053700-0 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the Internet at http://dnb.dnb.de. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Abbildung auf dem Einband: Werbeeinlageblatt des Wessobrunner Verlags: Guido Manacorda, Dichter, Politiker, Gelehrter. In: Guido Manacorda. Welt und Darstellung der italienischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Berlin 1938 Printing and binding: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die vorliegende gleichermaßen soziologische wie historische Studie entstand als Habilitationsschrift im Rahmen des DFG-Projektes „Wissenssoziologische Untersuchungen über die Rolle der nationalkatholischen Intellektuellengruppe während der Epoche des Faschismus am Beispiel Guido Manacordas (1879 – 1965)“ an der TU Dresden. Vor allem danke ich Prof. Dr. Karl Siegbert Rehberg für den engen Austausch und die zahlreichen inhaltlichen Anstöße wie für die Begleitung und Begutachtung meiner Arbeit. Vielfache Anregung in unserem gemeinsamen DFG-Projekt gab mir außerdem Dr. Claudia Müller, die meine Studie ebenso kritisch wie konstruktiv verfolgte. Es würde den Rahmen sprengen, all den MitarbeiterInnen in den Archiven, Bibliotheken und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen zu danken, die zum Erfolg dieser Arbeit beitrugen. Hervorzuheben ist dennoch die Forschungsgruppe des Archivio del Novecento der Università degli Studi di Roma „La Sapienza“: Prof. Giuliano Manacorda (†), Prof.ssa Francesca Bernardini und Prof. Aldo Mastropasqua (†) standen mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Noch mehr bin ich Novecento-Archivar Dott. Alessandro Taddei verpflichtet, der die Transkription selbst der unleserlichsten Textfragmente sicherstellte und entlegendste Dokumente aufspürte. Sie alle sind mir zu Freunden geworden. Dies gilt auch im besonderen Maße für Prof.ssa Sonia Gentili und Prof. Alesandro Ottaviani. Vielerlei wertvolle Anstöße erhielt ich von Prof. Mauro Canali von der Università degli Studi di Camerino, der die Akten über das Ventennio im Archivio dello Stato in Rom wie kein anderer kennt, von Prof. Renato Moro, Università degli Studi Roma Tre, dem Experten für die Geschichte des politischen Katholizismus Italiens im 20. Jahrhun dert sowie von PD Dr. Lutz Klinkhammer vom DHI Rom. Prof. Gustavo Corni, Università degli Studi di Trento, und Prof. Dr. Hartmut Voit, TU-Dresden, gebührt Dank für die gutachterliche Betreuung, Martin Graß dafür, dass er mir den beruflichen Freiraum schuf. Ohne das genaue Lektorat von Anita Wilke aus Hattersheim und von Mona Grosche aus Bonn wäre diese Arbeit ebenso wenig zu einem gedeihlichen Ende gekommen, wie ohne die Software-Betreuung von Götz Schneiderat, M. A aus Dresden. Außerdem dankt der Verfasser den Herausgebern, Prof. Dr. Gabriele B. Clemens von der Universität des Saarlandes, PD Dr. Dietlind Hüchtker von der Universität Leipzig, Prof. Dr. Martin Kohlrausch von der KU Leuven, Dr. Stephan Malinowski von der University of Edinburgh sowie Prof. Dr. Malte Rolf von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe „Elitenwandel in der Moderne“. Denn zweifellos stellt die Intellektuellengruppe um Guido Manacorda als faschistische Teilelite ein Phänomen der Moderne dar, wenngleich sie – um George L. Mosse – zu folgen, für die dunkle Seite der Aufklärung und damit für deren Ambivalenz steht.
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Vorwort
Für die gelegentlich stilistisch eleganten Übertragungen aus dem Italienischen wie für die deutlich größere Zahl an holprigen Übersetzungen der Zitate hingegen ist alleine der Verfasser verantwortlich und niemand sonst. Zuletzt bedanke ich mich bei meiner Frau Marion für ihre Unterstützung, vor allem wegen der Tatsache, dass faschistische Katholiken kein angenehmes Sujet sind, und für die jahrelange Geduld angesichts meiner langen Archivaufenthalte und der vielen Stunden am Schreibtisch. Patrick Ostermann
Juli 2017
Inhalt
Einleitung
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I Biografischer Teil
Die Genese des faschistisch-katholischen „Denkstils“ und der Intellektuellengruppe um Guido Manacorda 27
Die Herausbildung des faschistisch-katholischen „Denkstils“
49
II Historischer Teil
Im Dreieck zwischen Mussolini, Hitler und dem Vatikan
Die Neuausrichtung der faschistischen Außenpolitik und Propaganda von 1933 bis zum Äthiopien-Feldzug 184
Im Zweiten Weltkrieg
113
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III Wissenssoziologischer und institutionenanalytischer Teil
Die faschistischen Katholiken aus wissenssoziologischer und institutionenanalytischer Perspektive 257
Ein neuer „Denkstil“ entsteht: Die „Totalsynthese“ der faschistisch-ka290 tholischen Revolution
Das Spannungsverhältnis zwischen Romanität und Germanität
Der faschistisch-katholische Rassismus
Fazit
Dokumente:
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen 392 Gedruckte Quellen 393
376 382 392
345
303
VIII
Inhalt
Memoiren und Selbstzeugnisse Zeitzeugengespräche 395 Periodika 395 Primärliteratur 396 Forschungsliteratur 403 Websites 417 Verzeichnis der Abkürzungen Namensregister
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394
418
1 Einleitung Nach Renato Moro, dem renommiertesten Experten der Geschichte des politischen Katholizismus in Italien während des 20 Jahrhunderts, war Guido Manacorda derjenige katholische Intellektuelle, der mit seiner Gruppe von Gleichgesinnten wie kein anderer im Zentrum des faschistischen Regimes stand.¹ Der Germanist, ist dem italienischen Opernpublikum bis heute als Übersetzer der Libretti Richard Wagners vertraut. Wolfgang Schieder betont, dass Manacorda „das besondere Vertrauen des ‚Duce‘ hatte, der ihn ungewöhnlich oft in Audienz empfing“, wobei er insbesondere die elf dicht beieinander liegenden Zusammkünftedes Diktators mit Manacorda zwischen dem 20. Mai 1935 und dem 15. Dezember 1936 hervorhebt.² Insgesamt erheilt er bei Mussolini 32 Audienzen.³ Mitte der 1930er Jahre spielte Letzterer in doppelter Hinsicht als Wegbereiter des deutsch-italienischen Achsenbündnisses eine Rolle: Als paradiplomatisch-propagandistischer Akteur leitete Manacorda zum einen die Annäherung zwischen dem faschistischen Italien und NS-Deutschland persönlich mit ein.⁴ Denn ihm kommt 1935/36 das zweifelhafte Verdienst zu, als Vermittler des „Duce“ in mehreren Audienzen bei Hitler die nach der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß⁵ zwischen beiden Regimen bestehende über einjährige diplomatische Eiszeit beendet zu haben.⁶ Manacordas irriges, auf seiner Beschäftigung mit Wagner resultierendes Verständnis des Nationalsozialismus, nach dem dieser eine Revolution darstelle, die tief im deutschen Volk verankert sei, beeinflusste zum anderen Mussolini sowie andere Gerarchen wie den Minister für Volkskultur Alfieri und dessen Nachfolger Pavolini, Erziehungsminister Bottai sowie Außenminister Ciano erheblich. Dies gilt ebenso für Interview des Verfassers mit Renato Moro vom 16. Oktober 2008. Vgl. Gaetano Polverelli an Guido Manacorda, Brief vom 6. Dezember 1932. In: Archivio del Novecento der Università degli Studi di Roma „La Sapienza“ (AdN della Sapienza Rom), Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1˚ Semestre bis Fasc. Carteggio religioso-politico 1944, 1˚ Semestre, Sottofasc. Duce, Colloquio XXXII. Schieder, Wolfgang: Mythos Mussolini. Deutsche in Audienz beim Duce. München 2013, S. 174. Vgl. die Audienzlisten. Diese finden sich im Archivio Storico Diplomatico del Ministero degli Affari Esteri, Gabinetto di S. E. il Ministro e della Segreteria Generale Parte Prima 1923 – 1929, Pacco 41– 43 sowie im Archivio Centrale dello Stato (ACS) Rom, Segreteria particolare del Duce (SPD), Carteggio Ordinario, Udienze bzw. ACS, RSI, SPD sowie Dokument 1 im Anhang. Demnach waren es 31 Audienzen, Manacorda verzeichnete 32 Unterredungen. Vermutlich zählte er seine Begegnung mit Hitler und Mussolini am 9. Mai 1938 dazu. In seiner regen diplomatisch-propagandistischen Aktivität in Europa ist Manacorda ein typischer Exponent des Phänomens der Paradiplomazia fascista, vgl. Garzarelli, Benedetta: „Parleremo al mondo intero“. La propaganda fascista all’estero. Alessandria 2004. S. 3, sowie dies: Guido Manacorda. In: Dizionario bibliografico degli italiani. Bd. 68. Roma 2007. S. 404– 407. Am 25. Juli 1934 wurde Dollfuß während des sog. Juli-Putsches von österreichischen Nazionalsozialisten ermordet. Petersen, Jens: Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 43). Tübingen 1973, hier S. 446. https://doi.org/10.1515/9783110538991-001
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1 Einleitung
ein weiteres Denkelement Manacordas und seiner Intellektuellengruppe, wonach sich das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien als zwei gegensätzliche und komplementäre Welten wechselseitig zu einer höheren und fruchtbaren Synthese miteinander verbänden. Mithilfe Hitlers sollte das Römische Reich als faschistisches Imperium neu entstehen, so die Hoffnung Manacordas, die sich das faschistische Regime zu eigen machte. So war er maßgeblich an der fatalen Entscheidung des „Duce“ beteiligt, sich von den Westmächten ab und NS-Deutschland zuzuwenden. Gerade in diesem Spannungsfeld als Germanist, Intellektueller und aktiver Faschist, der in allen Feldern immense Anerkennung genoss, liegt die Bedeutung seiner Biografie. Zugespitzt formuliert, liegt die besondere Größe Manacordas nicht in seinen Leistungen, sondern in seinem Scheitern als Intellektueller, weil er und seine Gruppe sich bereitwillig und aus freien Stücken einem verbrecherischen Regime zur Verfügung stellten, in dem sie in verheerender Weise wirkten. Ziel dieser Untersuchung ist zu analysieren, wie es dazu kommen konnte. Insbesondere soll gezeigt werden, wie und warum Manacorda und seine Gruppe, als hochgebildete und angesehene Angehörige der intellektuellen Elite ihres Landes, zu den radikalsten und einflussreichsten Verfechtern des italienischen Rassismus werden konnten. Trotz ihrer Unvollständigkeit zeigt die folgende Aufzählung die Bandbreite seiner ausländischen Gesprächspartner sowie die Ergiebigkeit seiner Missionen, über die er außer Mussolini u. a. auch den faschistischen Ministern wie Dino Alfieri, Giuseppe Bottai, Galeazzo Ciano oder Alessandro Pavolini und der savoyischen Kronprinzessin Maria von Piemont berichtete. In Westeuropa sowie im deutschsprachigen Raum war er in persönlichem Kontakt mit führenden Politikern und Staatsmännern. Im Vatikan traf er mit Papst Pius XI. und dessen Kardinalstaatssekretär Pacelli, in Deutschland, außer mit Hitler, mit NS-Größen wie Hans Frank, Joseph Goebbels, Ulrich von Hassell, Franz von Papen, Joachim von Ribbentrop oder Arthur Rosenberg zusammen. Weitere Missionen führten ihn nach Belgien, Frankreich, Holland, in die Schweiz und zum Völkerbund nach Genf. Am 29. September 1935 erhielt Manacorda durch Vermittlung des deutschen Botschafters in Rom, Ulrich von Hassell⁷, die erste von vier langen Audienzen bei Hitler. Dieser vertraute ihm, weil er „von Manacorda den Eindruck gewonnen hatte, daß dieser zuverlässig und diskret sei und das Ohr des Duce besitze“.⁸ Die Bedeutung Manacordas und der faschistischen Katholiken lässt sich auch anhand des Zugangs zu den Eliten des Landes und der Kontakte zu katholischen und/ oder faschistoiden Rechten im Ausland ablesen: Manacorda duzte sowohl seinen Freund, den Unterrichtsminister Bottai, als auch den Präsidenten der Italienischen
Ulrich von Hassell (1881– 1944) war von September 1932 bis Februar 1938 Botschafter in Rom, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871– 1945. Bd. 2: G–K. Paderborn u. a. 2005. S. 205 – 207. Ministerialrat in der Reichskanzlei Hans Thomsen an Botschaftsrat Ples in Rom, Brief vom 30. Dezember 1935. In: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin (PAAA), Rom-Quirinal, Bd. 39, 1935, Vorgang 56, Empfang des Universitäts-Prof. Manacorda durch Führer.
1 Einleitung
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Akademie Federzoni.⁹ Den Minister für Volkskultur Alessandro Pavolini, den er aus Florenz kannte, nannte er „Beppino“.¹⁰ Der katholische Faschist Pasquale Pennisi erhob seinen selbst gewählten und von ihm bewunderten Mentor zum „Maestro“.¹¹ Der Genfer Führer der frontistischen Grauhemden Georges Oltramare titulierte ihn mit „Maître“ und beschrieb den Professor als „schrecklichen Polemiker des ,Corriere della Sera‘“. In Manacordas Werk sah er den Willen zur Aktion, Opferbereitschaft und moralischen Gesundheit vereinigt. Manacorda sei ein christlicher Philosoph und ein wertvoller Soldat, an dessen Seite er kämpfe, weil sein Land von geistiger Zersetzung bedroht sei.¹² Der in Saltocchio bei Lucca lebende konservative Revolutionär Rudolf Borchardt schätzte Manacordas Werk außerordentlich und stellte ihn auf eine Stufe mit seinem Freund Benedetto Croce.¹³ Der intransigente katholische Berner Literaturprofessor Gonzague de Reynold, der nicht nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Völkerbundkommission für geistige Zusammenarbeit zu den wichtigsten Intellektuellen Europas gehörte¹⁴, stand mit ihm in engem Kontakt, ebenso der Kardinalprimas von Spanien, Isidoro Goma y Tomas, und der in New York lebende österreichische katholische ständestaatlich-orientierte Schriftsteller Erik Kühnelt-Leddihn. Auch als Prophet, Emissär und konservativer antikommunistischer Revolutionär des katholischen Faschismus fand Manacorda im Ausland, und das längst nicht nur bei den rechten, faschistischen oder faschistoiden Bewegungen, Anklang: Der Gründer der Paneuropa-Bewegung und Vordenker der europäischen Einigung Graf CoudenhoveKalergi machte im Privathaus Manacordas auf seinen Italienreisen gerne Station.¹⁵ Der englische Unterhausabgeordnete Kenneth de Courcy lobte seine Sichtweisen und Informationen als in hohem Maße zutreffend.¹⁶ Als katholischen Mystiker¹⁷ achteten
AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Federzoni. Notiz Manacordas über das Treffen mit Alessando Pavolini am 15. Januar 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Cultura Popolare Pavolini. Pasquale Pennisi an Guido Manacorda, Brief vom 22. April 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Carteggio Premio Littorio. Vgl. Georges Oltramare an Guido Manacorda, Brief vom 29. Oktober. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 2˚ Semestre, Sottofasc. Oltramare. Rudolf Borchardt: Briefe 1931– 1935. Bearb. von Gerhard Schuster. München u. a. 1996. S. 234. Vgl. Mattioli, Aram: Zwischen Demokratie und totalitärer Diktatur. Gonzague de Reynold und die Tradition der autoritären Rechten in der Schweiz. Phil. Diss. Zürich 1994, S. 202. Vgl. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi an Guido Manacorda, Brief vom 26. Mai 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1˚ Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 1– 2 giugno 1936, Relazione XVI–XVII. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 3. März 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.P.G. Zu Guido Manacordas religiösen mystischen Hauptwerken zählten: Meccanesimo, intellettualismo e misticismo. In: Nuova Antologia. Mai/Juni (1916). S. 140 – 150;Verso una nuova mistica. Bologna 1922; Mistica minore. Foligno 1926; Poesia e contemplazione: Gioacchino da Fiore, s. Francesco, Dante, s. Caterina: con un saggio su arte e contemplazione. Firenze 1947; Delle cose supreme. Firenze 1948.
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ihn viele europäische katholische demokratisch-orientierte Intellektuelle wie Jacques Maritain oder Franziskus Stratmann, der den Friedensbund deutscher Katholiken leitete. Noch im Jahre 2009 bezeichnete der hoch angesehene christdemokratische Politiker und Professor für Geschichte und Internationales Recht Giuseppe Vedovato, der von 1972 bis 1975 Präsident der Parlamentarische Versammlung des Europarates war, Manacorda als einen der großen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts.¹⁸ Dennoch würde es zu kurz greifen, Manacorda nur auf seine Rolle des fanatischen Faschisten, der er war, zu reduzieren. Er hatte noch zahlreiche weitere Rollen inne, die ihn so gefährlich machten: In den Jahren von 1935 bis 1937 hatte Manacorda den Zenit seines politischen, wissenschaftlichen und paradiplomatischen Wirkens erreicht. Seinem Intimus Kulturminister Giuseppe Bottai schrieb er nicht ohne Stolz, dass er 24 Stunden am Tag beschäftigt sei. Er sei neben seinem Lehrstuhl mit seiner Monografie über den Kommunismus, mit diplomatischen Missionen, durch seine Tätigkeit für den „Corriere della Sera“, für zahlreiche weitere Zeitungen und Zeitschriften wie die Florentiner „Nazione“ und ausgiebiger Korrespondenz in mehreren Sprachen beschäftigt.¹⁹ Besonders als Journalist war der Polemiker Manacorda nicht frei von Talent. Als fester Mitarbeiter im „Frontespizio“ galt Manacorda, so der katholische Faschist Piero Bargellini, als Mann der Tat und war berüchtigt für seinen harten, unchristlichen Ton.²⁰ Seine Bandbreite reichte von hasserfüllten keifenden Tiraden, über beißenden Sarkasmus bis hin zu feiner Ironie, meist gegenüber dem Gegner und bisweilen auch gegenüber sich selbst: So schrieb Manacorda bezüglich der eigenen Physis erstaunlich selbstkritisch: „Offen gesagt nicht schön, um aufrichtig zu sein hässlich, wenn auch in keiner Weise entstellt.“²¹ Und im Mai 1937 klagte er – während einer seiner zahlreichen Reisen in die ihm verhassten westlichen Demokratien – über einen schmerzhaften Abszess am Bein, den er als „demokratische Infektion“ karikierte.²² Im Hinblick auf Deutschland ist interessant, dass er einer der ersten Germanisten überhaupt war, die sich journalistisch und wissenschaftlich intensiv mit dem Deutschland der Gegenwart beschäftigten.²³ Seine Goethe-Übertragung wurde weit-
Hinzu kam sein poetisch-religiöses Werk: Paolo di Tarso: dramma sacro in tre atti e un intermezzo. Firenze 1927; Giorgio Delgani. Storia di un uomo mediocre. Milano 1930; Le solitudini. Milano 1933; Le nuove solitudini .Milano 1942; I contrafforti: religione, pensiero, arte. Brescia 1946; Solitudini. Milano 1955. Vgl. Vedovato, Giuseppe: Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede. In: Rivista di Studi Politici Internazionali 1 (2009). S. 96 – 131, hier S. 96. Vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 25. September 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2˚ Semestro, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Mazza, Maria Serafina: Not for art’s sake. The story of Il Frontespizio. New York 1948, S. 135. Vgl. Manacorda, Guido: Un Uomo. In: Ders.: Medaglioni. Milano 1941. S. IX–XL, hier S. IX. Vgl. Guido Manacorda an Blasco Lanza d’Ajeta, Brief vom 26. Mai 1917. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta. Zu den vielfältigen germanistischen Veröffentlichungen Manacordas gehörten u. a.: Celtis’ Gedichte in ihren Beziehungen zum Klassizismus und italienischen Humanismus. Berlin 1905; Della
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hin – u. a. von Mussolini und Giovanni Papini – geschätzt.²⁴ Seine Wagner-Übersetzungen²⁵ erreichten schon in den 1940er Jahren eine fünfstellige Gesamtauflage und setzen den bis heute gültigen Standard.²⁶ Maßgeblich prägte er durch seine Veröffentlichungen die Deutschlandperzeption Italiens der Zwischenkriegszeit mit. Darüber hinaus hatte seine völkerpsychologische Fehldeutung des Nationalsozialismus direkten Einfluss auf das Deutschlandbild Mussolinis und das Bild des faschistischen Italiens über das „Dritte Reich“. Schließlich, und nicht weniger wichtig, waren Manacorda und seine faschistischen Katholiken am propagandistischen und ideologischen faschistischen Gegenentwurf zu den NS-Geltungsansprüchen im Kampf um die „neue Ordnung“ der Achsenmächte nach dem Frankreich-Feldzug entscheidend mitbeteiligt. Manacorda stand im Zentrum des kulturellen Lebens: Zu vielen italienischen Künstlern und Intellektuellen jeglicher ästhetischer, politischer, religiöser und wissenschaftsparadigmatischer Couleur hatte der Florentiner Professor engen Kontakt, u. a. zu den beiden Hegelianern, seinem Mentor Benedetto Croce, mit dem er sich Poesia latina in Germania durante il Rinascimento. Roma 1906; Beziehungen Hans Sachsens zur italienischen Literatur. Berlin 1906; Germania filologica: Guida bibliografica per gli studiosi e per gl’insegnanti di lingua e letteratura tedesca, con circa 20.000 indicazioni. Cremona 1909; Alcune teoriche di Jean Paul Richter (Komus, Humor, Witz). o. O. u. J. [1909]; Hortus conclusus (per l’interpretazione degli inni alla notte di F. Novalis; Paolo Verlaine, paesista; Les trophees di Jose-Maria de Heredia). Pisa 1911; Pro aris et focis. In: Il Marzocco vom 8. November 1914. S. 1– 2; Civiltà tedesca e civiltà italiana. Roma 1915; Del mito germanico nella tradizione nordica e nell’interpretazione wagneriana. Napoli 1915; Degli scritti di Goethe intorno all’arte: memoria.Napoli 1916; Riccardo Wagner rivoluzionario: (1848 – 1852). Napoli 1918; L’ agonia di un impero (note di un viaggio nell’Austria tedesca). Roma 1919; I primi due drammi di Riccardo Wagner. Roma 1920; La selva e il tempio. Studi sullo spirito del Germanesimo. Firenze 1933; De Julius Langbehn e del suo cattolicesimo. In: Julius Langbehn: Lo spirito del tutto. Hrsg. von B. Momme Nissen. Brescia 1934. S. VII–XVI; I contrafforti, Brescia 1935; I miti. In: Romanità e Germanesimo. Hrsg. von Jolanda De Blasi. Firenze 1941. S. 15 – 28; Il nuovo paganesimo germanico. Dottrina-testi-critica. Hrsg. von Sincerus. Roma 1946. Johann Wolfgang von Goethe: Faust, versione integrata dell’edizione critica di Weimar con introduzione e commento a cura di Guido Manacorda. Milano 1932. In einer Werbebroschüre des Mondadori-Verlages von 1943 heißt es über Manacordas Goethe-Übersetzung: „Faust“ Mussolini „Versione classica“, vgl. Entwurf einer Verkaufsankündigung „Goethe. Il Faust nella classica versione e nel monumentale commento di Guido Manacorda, 3˚ edizione, 5˚ ristampa, 15˚ migliaio“. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, II E–Z, 1˚ Semestre, Sottofasc. Mondadori. Die Übersetzungen von Richard Wagner durch Guido Manacorda erschienen in rascher Folge seit Anfang der 1920er Jahre jeweils in Florenz. 1921: L’ olandese volante (Il vascello fantasma), Rienzi, Tannhäuser, 1922: Lohengrin, Tristano e Isolda, 1923: I maestri cantori di Norimberga, L’ oro del Reno, 1935: Il crepuscolo degli dei, 1936: Parsifal. Manacorda schrieb dem Direktor der Literaturzeitschrift „Meridiano di Roma. L’Italia letteraria artistica e scientifica“, dass seine Wagner-Übersetzungen insgesamt 300.000 Mal in den letzten 20 Jahren verkauft worden seien. Er habe darüber hinaus den einzigen kritischen Kommentar verfasst, vgl. Guido Manacorda an Cornelio di Marzio, Direktor. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, II E–Z, 1˚ Semestre, Sottofasc. Der 1896 geborene di Marzio war Mitglied der Direktion des PNF und Präsident der Confederazione nazionale fascista dei professionisti e degli artisti, vgl. Bottai, Giuseppe: Diario 1935 – 1944. Hrsg. von Giordano Bruno Guerri. Milano 1982, S. 555.
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jedoch noch während des Ersten Weltkrieges überwarf, und zu Giovanni Gentile. Eng arbeitete er bis in die 1920er Jahre hinein mit dem jüdischen Journalisten und Herausgeber des „Marzocco“ Adolfo Orvieto zusammen. Zu nennen wären der Futurist Filippo Tommaso Marinetti oder Primo Conti, einer der herausragenden italienischen Maler des 20. Jahrhunderts,²⁷ oder der junge, 1943 für die Resistenza gefallene Germanist Giaime Pintor, der in der Nachkriegszeit zu einer Ikone der italienischen Linken wurde. Manacorda gründete zwei Intellektuellengruppen: Erstens die schwärmerische Ripafratta-Gruppe Anfang der 1920er Jahre und schließlich eine faschistisch-katholische Gruppe Anfang der 1930er Jahre, die (nicht zuletzt durch die Apologie des faschistischen Rassismus) sukzessive mit dem katholischen Faschismus einen originären Beitrag zur Legitimation des faschistischen Regimes im Ausland wie im Inland lieferte. Diese zweite, faschistisch-katholische Intellektuellengruppe Manacordas steht daher im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung: Zu den bekanntesten Akteuren, die alle eine Multiplikatorenrolle innehatten, zählen in alphabetischer Reihenfolge der Direktor des „Frontespizio“ Piero Bargellini, der Veroneser Direktor der explizit faschistisch-katholischen Zeitschrift „Segni dei tempi“ und der Pädagoge Paolo Bonatelli sowie der „Frontespizio“-Mitarbeiter und Journalist Riccardo Carbonelli, Auro d’Alba, beide aus Rom, der Schriftsteller Giovanni Papini oder der im katholischen Milieu bekannte Privatdozent Pasquale Pennisi aus Rom.²⁸ Guido Manacorda war bislang in keiner wissenschaftlichen Disziplin Gegenstand systematischer Betrachtung²⁹, obwohl man in den unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder auf seinen Namen stieß.³⁰ Eine Biografie zu Manacorda existiert
Manacorda bedauerte die Nichtberücksichtigung Primo Contis bei der italienischen Kunstausstellung in Berlin 1937, wie Conti in seinem gedruckten Berliner Vortrag über die Kunstausstellung nachlesen könne. In: Guido Manacorda an Primo Conti, Postkarte mit Poststempel vom 7. April 1943, Archivio Primo Conti (APC) Fiesole, Fondo Archivio Conti. Die Monografien Manacordas und der anderen faschistischen Katholiken würden den Rahmen dieser Einleitung sprengen und werden daher im ersten Teil dieser Untersuchung ausführlich behandelt. Vgl. hierzu: Ostermann, Patrick: Lo stile di pensiero cattolico-fascista: i suoi effetti tra gli intellettuali. Il germanista Guido Manacorda e il romanista tedesco Victor Klemperer: una messa a punto. In: Storia Contemporanea, Settembre-ottobre (2010). S. 33 – 48. Er findet vor allem in italienischen Lexika und Fachbiografien kursorische Erwähnung. So u. a. in Rovito, Teodoro: Letterati e giornalisti italiani contemporanei.Napoli 1922. S. 245; Casati, Giovanni: Scrittori cattolici italiani viventi. Milano 1928. S. 339; Chi è? Dizionario degli Italiani d’oggi. Roma 1931. S. 333; Schmidl, Carlo: Dizionario universale dei musicisti. Supplemento, Bd. 2a. Milano 1938. S. 445; Chi è? Roma/Modena 1940. S. 36; Fusco, Enrico M.: Scrittori e idee. Dizionario critico della letteratura italiana. Torino 1956. S. 384; Vaccaro, Gennaro (Hrsg.): Panorama biografico degli italiani d’oggi. Bd. 2. Roma 1956. S. 360; Renda, Umberto und Piero Operti: Dizionario storico della letteratura italiana. Torino 1959. S. 386; Chi scrive? Repertorio bio-bibliografico degli scrittori italiani. Milano 1966. S. 347; Lessico Universale Italiano, Bd. XII, Rom 1973, S. 657. Vgl. hierzu Archivio Bibliografico Italiano I (Bl. 397– 400) und II (Bl. 89 – 109). In neueren Nachschlagewerken wie dem Grande Dizionario Enciclopedico von 1988 wird Manacorda nicht mehr aufgeführt.
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bislang nicht, vielerorts finden sich aber verstreute Hinweise auf die verschiedenen Gebiete seines breiten germanistischen, literarischen, journalistischen, politischen und religionswissenschaftlichen Wirkens. Die italienische Germanistik befasste sich erst in jüngster Zeit im Rahmen der Aufarbeitung der Geschichte ihrer Disziplin, allerdings nur unter verschiedenen disparaten Teilaspekten, mit Guido Manacorda.³¹ Bereits 1964 machte die Germanistin Lavinia Jollos-Mazzucchetti Manacorda als den kompromittierten Vertreter in ihrer angeblich ansonsten unpolitischen italienischen Disziplin aus: Nur ein ernstzunehmender Germanist, der damalige Ordinarius in Florenz, gab sich dazu her, den Vermittler zwischen Führer und Duce zu spielen.³²
Lediglich eine fachbezogene Erwähnung findet er auch in italianistischen Studien von romanistischer Seite.³³ En détail ist der Forschungsstand in den einzelnen Disziplinen zwar unterschiedlich, aber selbst in den geschichtlichen Studien bleibt dieser unbefriedigend. Aus der mehrbändigen Mussolini-Biografie Renzo De Felices³⁴ der 1980er und 1990er Jahre, aus den Akteneditionen des Auswärtigen Amtes,³⁵ aus Tagebüchern wie von Giuseppe Bottai³⁶, Graf Ciano³⁷, Ulrich von Hassell³⁸ oder Josef Goebbels³⁹ sowie aus der genannten Petersen-Studie⁴⁰ gehen zumindest der Zugang Manacordas zu Hitler bzw. zu Mussolini und der Kontakt mit faschistischen und NS-Diplomaten hervor. Hinweise zu Manacorda fanden sich auch in Erinnerungen wie vom Schweizer
Cometa, Michele: Die Germanistik in Ostsizilien (1800 – 1965). In: Geschichte der Germanistik in Italien. Hrsg. von Hans-Georg Grüning. Ancona 1996.. 409 – 428, hier S. 409 – 410 sowie Galli, Matteo: „Gittando semi di titoli piùttosto che semi di pensiero“: Carlo Fasola und die „Rivista di Letteratura Tedesca“ (1907– 1911). In: ebd., S. 123 – 139, hier S. 134– 135. Die anständigen Germanisten hätten sich dem faschistischen Regime ferngehalten, Gabetti vertiefte sich in das alte Skandinavien, Bonaventura Tecchi schrieb weiter über Thomas Mann und Leonello Vincenti und widmete sich den Klassikern, vgl. Jollos-Mazzucchetti, Lavinia (Hrsg.): Die andere Achse. Italienische Resistenza und geistiges Deutschland. Hamburg 1964, S. 18. Hausmann, Frank-Rutger: „Vom Strudel der Ereignisse verschlungen“. Deutsche Romanistik im „Dritten Reich“. Frankfurt a. M. 2000, S. 84 u. 453. De Felice, Renzo: Mussolini il duce. II. Lo Stato totalitario 1936 – 1940.Torino 1981, S. 307 u. 338. Der deutsche Botschafter in Rom, Hassell, wandte sich beispielsweise am 3. Oktober 1935 an die Reichskanzlei bezüglich Manacordas zweiter Audienz bei Hitler. In: Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP). Serie C 1933 – 1937. Bd. IV. 2. Göttingen 1975, S. 681. Bottai: Diario, S. 173, S. 222– 223, S. 227, S. 232, S. 273, S. 288 sowie S. 510. Ciano, Galeazzo: Tagebücher 1937/38. Hamburg 1949, S. 104. Am 15. Februar 1938 empfing Ciano Manacorda und Alessandro Pavolini, 1939 – 43 Minister für Volkskultur, im Zusammenhang mit der Österreich-Frage. Interessante Details sind vor allem in den Diarien Hassells enthalten: Hassell, Ulrich von: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 38. Hrsg. von Ulrich Schlie. München 2004. Die Tagebücher von Joseph Goebbels (Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands). Hrsg. von Elke Fröhlich. Teil 1: Aufzeichnungen 1923 – 1941, Bd. 4: März–November 1937. München 2000, S. 45. Jens Petersen: Hitler – Mussolini, S. 446, 469 und 476.
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Frontenführer Georges Oltramare⁴¹, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi⁴² oder in den Aufzeichnungen von Yvon De Begnac über seine Gespräche mit Mussolini.⁴³ Über Manacordas Vermittlertätigkeit zwischen Hitler, Mussolini und Pius XI. berichteten Emma Fattorini⁴⁴ und Giovanni Sale⁴⁵, die beide zwar im Geheimarchiv des Vatikans forschten, aber die edierten Akten des italienischen Außenministeriums ignorierten.⁴⁶ In ihren Dissertationen über die faschistische Auslandspropaganda kommen besonders Benedetta Garzarelli⁴⁷, Andrea Hoffend⁴⁸ und Beate Scholz⁴⁹ wiederholt auf die „Frontespizio“-Gruppe um Manacorda zu sprechen. Frank-Rutger Hausmann⁵⁰ und Mirella Serri⁵¹ wiederum rekonstruieren die zentrale Rolle des faschistischen Katholiken Papini auf dem Europäischen Schriftsteller-Kongress in Weimar im März 1942, während Francesca Cavarocchi in ihrer Untersuchung über die faschistische Kulturpropaganda im Ausland die faschistischen Katholiken völlig ignoriert.⁵² Diese und andere Arbeiten befassen sich auch mit der Perzeption des „Dritten Reiches“, wobei hier wiederum Renato Moro seinen Rang als bester Kenner der Geschichte des katholischen Italiens im 20. Jahrhundert in zahllosen Veröffentlichungen immer wieder unter Beweis gestellt hat.⁵³ Moro ist es, der Guido Manacorda einer Gruppe von faschistischen Katholiken zuordnet, die in den 1930er Jahren eine neue Koiné zwischen katholischem und faschistischem Glauben herstellte. Daraus sei
Oltramare, Georges: Les Souvenirs nous vengent. Genève 1956, S. 154– 159. Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus: Ein Leben für Europa. Meine Lebenserinnerungen. Köln/ Berlin 1966, S. 136, sowie Ziegerhofer-Prettenthaler, Anita: Botschafter Europas: Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren. Wien u. a. 2002, S. 386. De Begnac, Yvon: Taccuini mussoliniani. Bologna 1990. Fattorini, Emma: Pio XI, Hitler e Mussolini. La solitudine di un papa. Torino 2007. Sale, Giovanni: Hitler, la Santa Sede e gli ebrei. Con documenti dell’Archivio Segreto Vaticano. Milano 2004. Vgl. Teil I. Garzarelli: „Parleremo al mondo intero“. Hoffend, Andrea: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf. Die Beziehungen zwischen ‚Drittem Reich‘ und faschistischem Italien in den Bereichen Medien, Kunst, Wissenschaft und Rassenfragen. Phil. Diss. Frankfurt a. M. u. a. 1998. Scholz, Beate: Italienischer Faschismus als ‚Export‘-Artikel (1927– 1935). Ideologische und organisatorische Ansätze zur Verbreitung des Faschismus im Ausland. Phil. Diss. Trier 2001. Hausmann, Frank-Rutger: Kollaborierende Intellektuelle in Weimar – Die „Europäische Schriftstellervereinigung als Anti-P.E.N.-Club. Europa in Weimar – Visionen eines Kontinents (Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar, Jg. 2008). Hrsg. von Hellmut Th. Seemann. Göttingen 2008. S. 399 – 422, hier S. 411– 413. Serri, Mirella: Il breve viaggio. Giaime Pintor nella Weimar nazista. Venezia 2002. Cavarocchi, Francesca: Avanguardie dello spirito. Il fascismo e la propaganda culturale all’estero. Roma 2010. Um hier nur eine erste Veröffentlichung zu nennen: Moro, Renato: La Germania di Hitler come „eresia protestante“. In: Die Herausforderung der Diktaturen. Katholizismus in Deutschland und Italien 1918 – 1943/45. Hrsg. von Wolfram Pyta, Carsten Kretschmann, Giuseppe Ignesti und Tiziana Di Maio. Tübingen 2009. S. 93 – 108.
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ein katholischer Faschismus entstanden.⁵⁴ Andere Untersuchungen, wie die Mussolini-Biografie von Denis Mack Smith, erwähnen Manacorda hingegen nicht.⁵⁵ Emblematisch ist Andrea Hoffend, die ihn fälschlicherweise als Dolmetscher beim Treffen von Hitler mit Mussolini 1934 in Venedig anführt.⁵⁶ Auch Manacordas Rolle als Vermittler einer spezifischen Deutschlandperzeption, die er als wissenschaftlicher und literarischer Autor⁵⁷ sowie als Hochschullehrer, vor allem in den 1930er und 1940er Jahren, maßgeblich mitprägte, wird in der historischen Forschung allenfalls angeschnitten.⁵⁸ Die vorliegende Studie versucht, diese Lücke zu schließen. Dagegen gibt es seitens der italienischen Germanistik und Literaturwissenschaft sowie teilweise auch Geschichtswissenschaft disparate Untersuchungen, die – ohne Rezeption der historischen Fachliteratur, in selektiver Auswahl seiner Rolle bzw. völliger Umdeutung der Fakten – Manacorda nach dem Zweiten Weltkrieg in die Reihe NS-kritischer, vorwiegend katholischer Autoren stellen und dessen aktive Verbindung mit dem Faschismus schlichtweg übergehen.⁵⁹ Bezug genommen wird dabei auf zwei seiner Deutschland-Studien, welche 1935 bzw. 1946 erschienen sind.⁶⁰ Zu einer solchen Ausblendung der faschistischen Verstrickung Manacordas gehört, dass in seinen immer wieder aufgelegten Wagner-Übersetzungen auf eine Kommentierung und Werkhermeneutik konsequent verzichtet wurde und man sich mit bloßen Neueditionen der Originale aus den 1920er und 1930er Jahren begnügte.⁶¹
Von den zahlreichen Aufsätzen Moros seien hier nur zwei weitere exemplarisch angeführt, vgl. Renato Moro: Il Mito dell’Impero in Italia fra universalismo cristiano e totalitarismo. In: Cattolicesimo e totalitarismo: chiese e culture religiose tra le due guerre. Hrsg. von Daniele Menozzi und ders. Brescia 2004, S. 311– 371, sowie ders.: Religione del trascendente e religioni politiche: Il cattolicesimo italiano di fronte alla sacralizzazione fascista della politica. In: Mondo contemporanea. Rivista di storia 1 (2005). S. 9 – 67. Vgl. Mack Smith, Dennis: Mussolini: Eine Biographie. München u. a. 1983, wo Manacorda völlig ignoriert wird. Flüchtige Erwähnungen findet er bei Giorgio Bocca: La Repubblica di Mussolini (Milano 1994) auf Seite 218. Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf, S. 412. Guido Manacorda: La selva e il tempio; ders.: I miti. De Felice, Renzo: Mussolini l’alleato. 1940 – 1945. I. L’Italia in guerra 1940 – 1943. II. Crisi e agonia del regime. Torino 1990, S. 857 u. 1039. Cottone, Margherita: Nationalsozialistische Kultur in der italienischen Germanistik zwischen den beiden Weltkriegen. In: Geschichte der Germanistik in Italien. Hrsg. von Hans-Georg Grüning. Ancona 1996. S. 243 – 269, hier S. 252 sowie Renda/Operti, S. 386. So stellte zuletzt Filippo Focardi Guido Manacorda in eine antifaschistische Tradition, vgl. Focardi, Filippo: Die Unsitte des Vergleichs. Die Rezeption von Faschismus und Nationalsozialismus in Italien und die Schwierigkeiten, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen. In: Parallele Geschichte? Italien und Deutschland 1945 – 2000. Hrsg. von Gian Enrico Rusconi und Hans Woller. Berlin 2006. S. 107– 139, hier S. 108. Manacorda, Guido: La crisi spirituale dell’odierna Germania. In: Ders.: I contrafforti, Brescia 1935, S. 271– 316 sowie Ders.: Il nuovo paganesimo germanico. Richard Wagner: Tannhäuser, hrsg. v. Guido Manacorda, [1. Aufl. 1921] Firenze 1998; Ders.: I maestri cantori di Norimberga. Hrsg. von Guido Manacorda, [1. Aufl. 1923]. Firenze 1993 sowie ders.: Rienzi. Hrsg. von Guido Manacorda [1. Aufl. 1921, Wiederg. der erw. 2. Aufl. 1940]. Firenze 1998.
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Für diese Studie wurden nicht nur der umfangreiche und bislang noch nicht systematisch ausgewertete Nachlass Manacordas im Archivio del Novecento presso la Sapienza Università di Roma (AdN) sowie sein kleinerer Teilnachlass im Istituto Stensen in Florenz⁶² ausgewertet, sondern auch das Archivio Centrale dello Stato in Rom (ACS), das Archivio Contemporaneo ‚Alessandro Bonsanti‘, Gabinetto G. P. Vieusseux (ACGV) in Florenz, das Archivio della Fondazione Primo Conti Fiesole, das Bundesarchiv in Koblenz, das Geheimarchiv des Vatikans, das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Ferner wurden in geringem Maße auch Quellen aus dem in privatem Besitz befindlichen Nachlass Ulrich von Hassell⁶³ sowie das Archiv der Fondazione Ugo Spirito in Rom und aus dem Fondo Vedovato der Università di Firenze, Sezione Manoscritti della Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze herangezogen. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, das Wirken dieser faschistisch-katholischen Intellektuellengruppe im ambivalenten Beziehungsgefüge zwischen NSDeutschland und dem faschistischen Italien zu analysieren. Darüber hinaus ist es ihr Anliegen, beispielhaft zu zeigen, wie die Intellektuellen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Alterität der nationalen Kulturen immer stärker betonten und auf diese Weise zur historisch spezifischen Aufladung der Spannung zwischen den europäischen Kulturen entscheidend beitrugen. Dieses Vorhaben wirft jedoch ein Ensemble von Fragen auf, die in dieser dreiteiligen Untersuchung geklärt werden sollen: Zunächst soll, ausgehend von den individuellen Lebensläufen, insbesondere des Werdegangs von Guido Manacorda, eine kollektive Biografie der faschistischen Katholiken mit ihren spezifischen sozialen Merkmalen erstellt und von ähnlichen Gruppen abgegrenzt werden. Im Anschluss daran sollen die politischen Rollen aufgezeigt werden, die die faschistischen Katholiken als Stabilisierungsleistung für die faschistische Diktatur als Intellektuelle, Propagandisten und Vermittler erbrachten.
Von den acht Schachteln mit Manuskripten, Zeitungsausschnitten und der Privatbibliothek waren im Jahr 2009 nur noch drei völlig ungeordnete Schachteln auffindbar, die unsachgemäß im Keller lagerten. Inzwischen sind auch die umfänglichen Hinweise auf der Webseite des Istituto Niels Stensen, die über den Teilnachlass Manacordas Aufschluss gaben, gelöscht worden. Der Verfasser dankt Ulrich Schlie für die freundliche Überlassung zweier Briefe. Der Zugang zum Archiv von Hassell ist allerdings mehr als schwierig, da offensichtlich die Familie bemüht ist, Ulrich von Hassell als Hitler-Gegner zu stilisieren. Ähnliches versuchen die Nachfahren des italienischen Botschafters in Berlin, Bernardo Attolico, der von 1935 bis 1940 die italienischen Interessen in der Reichshauptstadt vertrat, vgl. insbesondere die drei folgenden in jeder Beziehung apologetischen, distanzlosen und unkritischen Beiträge in dem Band „Vie parallele/Parallele Wege: Italia e Germania 1944– 2004/Italien und Deutschland 1944– 2004“, der von Renato Cristin im Jahr 2005 in Frankfurt a. M. herausgegeben wurde: Pirzio-Biroli, Roberto: Erfahrungen und Erinnerungen. S. 53 – 57; Hassell, Johann Dietrich von: Erfahrungen und Erinnerungen. S. 59 – 60 sowie Attolico, Giacomo: Esperienze e ricordi. S. 61– 64; Schöllgen, Gregor: Ulrich von Hassell. Ein Konservativer in der Opposition. München 2004 sowie Hassell: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 1938. Dass Hassell Hitler lange bewunderte und seine Politik bis 1938 mittrug und als Botschafter in Rom mitgestaltete – wie die Manacorda-Hassell-Briefe zeigen –, mag an der Aufrechterhaltung dieser Idealisierung stören.Weil der Briefwechsel mit Hassell sich durch die Durchschläge rekonstruieren lässt, kann in dieser Studie auf den Zugang zum Hassell-Archiv verzichtet werden.
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Dabei stellt sich abschließend die Frage, worin ihre historische Bedeutung während des Ventennio von 1922 bis 1943 liegt. Aus ideengeschichtlicher Perspektive soll geklärt, werden, was unter einer im Grunde paradoxen Kopplung eines faschistischen Katholizismus bzw. katholischen Faschismus zu verstehen ist. Darüber hinaus ist zu untersuchen, aus welchen Elementen diese Synthese besteht und wie diese miteinander korrelieren. Wenn es einen katholischen Faschismus gab, so ist weiter zu überprüfen, ob dann seine Träger nicht besser als katholische Faschisten zu bezeichnen wären. Empirische Grundlagen der Studie sind die angeführten Archivalien, gedruckten Dokumente sowie die Primär- und Sekundärliteratur. Die drei Fragenkomplexe werden anhand des unten beschriebenen Forschungsprogramms, das historisch-soziologisch und kulturwissenschaftlich orientiert ist, beantwortet. Es verbindet Fachgebiete wie Wissenssoziologie, Geschichtswissenschaft (insbesondere der Italianistik und der Faschismusforschung), politische Ideen- und Wissenschaftsgeschichte sowie Institutionenanalyse. Im ersten Teil dieser Untersuchung soll die Intellektuellengruppe um Guido Manacorda in ihrem konkreten historischen Umfeld und mit ihrem nach außen deutlich abgrenzbaren Denken mittels sozialwissenschaftlicher, d. h. wissenssoziologischer und institutionenanalytischer Kategorien beschrieben werden. Die von KarlSiegbert Rehberg auf der Grundlage der Arbeiten von Arnold Gehlen weiterentwickelte Institutionenanalyse bildet die theoretische Basis für die Rekonstruktion der ideologischen und organisatorischen Entwicklung der Intellektuellengruppe um Manacorda und ermöglicht die Verwendung von qualitativen Verfahren wie beispielsweise der unten angeführten Realtypologie zur Beschreibung moderner Intellektuellengruppen.⁶⁴ Insbesondere im Falle eines Elitenwechsels, wie er in den 1920er Jahren im Prozess der Etablierung der faschistischen Diktatur stattfand, ist die Institutionenanalyse besonders vielversprechend. Das neue institutionelle Herrschaftsgefüge, das faschistische Regime, legitimierte sich nach völlig anderen Ordnungsprinzipien als zuvor die liberale parlamentarische Oligarchie. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, den für diese Untersuchungen grundlegenden Begriff der Institutionalisierung und seine Relevanz für die Studie kurz zu präzisieren: In der Weiterentwicklung der Institutionenansätze von Helmut Schelsky⁶⁵ und Arnold Gehlen⁶⁶ durch KarlSiegbert Rehberg geht es um die besondere Bedeutung der Symbolisierung sozialer Beziehungen und Ordnungen und der Herausarbeitung spezieller „institutioneller
Vgl. Rehberg: Zur Konstruktion kollektiver „Lebensläufe“. Schelsky, Helmut: Zur soziologischen Theorie der Institution. In: Ders.: Zur Theorie der Institution. Düsseldorf 1970. S. 9 – 26. Gehlen, Arnold: Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen [zuerst 1956]. 6. erw. Aufl. hrsg. von Karl-Siegbert Rehberg. Frankfurt a. M. 2004.
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Mechanismen“.⁶⁷ Damit werden sowohl „Leitideen“, der Begriff geht auf Maurice Hauriou zurück⁶⁸, als auch „Leitinstitutionen“ in den Zusammenhang von Konflikten und Machtkämpfen gestellt, wie man sie im vorliegenden Fall im faschistischen Staat zugespitzt beobachten kann. „Leitideen“ treten fast ausschließlich im Plural auf, als „Bündel von Orientierungsmustern“, die sich gegenüber konkurrierenden alternativen Sinnangeboten durchsetzen: Leitideen sind [daher] zugleich als Leitdifferenzen zu verstehen, als Konzepte der Abgrenzung und Selbststilisierung eines institutionellen Gefüges. […] Sie formulieren explizit die jeweils grundlegenden Werte und Normen und sollen die individuellen wie kollektiven Handlungsregulative sicherstellen, indem sie diese erläutern, rechtfertigen und legitimieren.⁶⁹
Aus solchen Leitideenkonflikten ging die faschistische Ideologie hervor. Die Untersuchung von Institutionen und ihren „Leitideen“ ist nach Rehberg daher keine idealistische Deduktion in dem Sinne, dass Institutionen auf einer einzigen Idee basieren, sondern umgekehrt ihre „Leitideen“ das Produkt von unterschiedlichen Ideen sind. Dabei sind diese Ideen selbst das Ergebnis von Institutionalisierungsprozessen, an denen sich die verschiedenen konkurrierenden Gruppen von Akteuren beteiligen.⁷⁰ Das bedeutet, dass Ideen zwar als Ideengeschichte in einer geistesgeschichtlichen Tradition stehen, dass sie aber, weil sie sozial verankert sind, Ausdruck von sozialen Spannungen sind. Dies lenkt wiederum den Fokus auf die konkreten Trägergruppen dieser „Leitideen“, die sich auch als „Mikroinstitutionen“ bezeichnen lassen. Auf diese Weise verknüpft die Institutionenanalyse die ideengeschichtliche mit der sozialen und organisatorischen Ebene. Die „Mikroinstitutionen“ rangen im internen faschistischen Herrschaftsgefüge um Geltung und Anerkennung der „Leitinstitution“ – im vorliegenden Fall das faschistische Regime mit Mussolini im Zentrum –, denn die „Umschichtungen und jeder ‚Kreislauf der Eliten‘ (Pareto) sind verbunden mit Anspruchshaltungen der aufstrebenden Gruppierungen, mit einer Expansion von
Vgl. Rehberg, Karl-Siegbert: Eine Grundlagentheorie der Institutionen: Arnold Gehlen. Mit systematischen Schlußfolgerungen für eine kritische Institutionentheorie. In: Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven. Hrsg. von Gerhard Göhler, Kurt Lenk u. Rainer SchmalzBruns. Wiesbaden 1990. S. 115 – 144; ders.: Institutionen als symbolische Ordnungen. Leitfragen zur Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen (TAIM). In: Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorie. Hrsg. von Gerhard Göhler. Baden-Baden 1994. S. 47– 84, sowie ders.: Weltrepräsentanz und Verkörperung. Institutionelle Analyse und Symboltheorien – Eine Einführung in systematischer Absicht. In: Institutionalität und Symbolisierung.Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart. Hrsg. von Gert Melville. Köln u. a. 2001. S. 3 – 49. Der Rechtswissenschaftler Maurice Hauriou (1856 – 1929) prägte den von Carl Schmitt und Arnold Gehlen aufgenommenen, „die symbolische ‚Kontinuität‘ der Institution zum Ausdruck bringenden Synthesebegriff“, vgl. Rehberg: Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 67. SFB 537 Institutionalität und Geschichtlichkeit. Ein neuer Sonderforschungsbereich stellt sich vor. Dresden 1997, S. 19. Rehberg: Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 69.
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Beteiligungsforderungen und -möglichkeiten“.⁷¹ Als solche „aufstrebenden Gruppierungen“ oder „Mikroinstitutionen“ lassen sich während des Ventennio die verschiedenen miteinander konkurrierenden Intellektuellenzirkel – wie die beiden von Manacorda gegründeten bzw. von ihm geprägten Gruppen – beschreiben, die, häufig geschart um Zeitschriften, in einem Wettbewerb um die Durchsetzung ihrer „Leitideen“ ihre Interpretationen von Sinnmustern durchzusetzen suchten, um ihre selektiven Interessen im Faschismus zu verwirklichen. Damit dienten sie aber zugleich als Zielbestimmungsformel der faschistischen Ordnung. Nach 1933 ermöglichte gerade die religiöse Transzendierung des faschistischen Mythos durch katholische Intellektuelle dem faschistischen Regime, sich von einem als neopagan bewerteten Nationalsozialismus zu unterscheiden und somit eine „Leitdifferenz“ zu propagieren. Das Regime als die zentrale „Leitinstitution“ erfuhr damit eine wesentliche Stabilisierung. Aus Sicht der Institutionenanalyse liegt, so Karl-Siegbert Rehberg, aber die Pointe von „Leitideen“ gerade darin, dass es deren Natur ist, als ein System von „Leitdifferenzen“ diese in einem Spannungsverhältnis zu synthetisieren: Die Realität von ‚Leitideen‘ kann […] erst begriffen werden durch einen Blick auf die Divergenzen, welche auf diese Weise kodifiziert und vereinheitlicht werden. Jede Leitidee leistet eine Heraushebung aus einer Vielzahl oftmals unvereinbarer Orientierungsmöglichkeiten, sie ist eine Synthese von Widersprüchlichem und verleugnet zugleich die Mehrzahl der in ihr spannungsreich verarbeiteten und der mit ihr konkurrierenden Sinnsetzungen und Ordnungsentwürfe.⁷²
Anders formuliert: Weil „Leitideen“ aus Institutionenkämpfen herausgefiltert werden bzw. hervorgehen, mögen kontrafaktische Kopplungen wie der faschistische Katholizismus zwar als ideelle Konstruktionen kaum vorstellbar sein, dennoch sind sie als Ergebnis von Institutionalisierungsprozessen keinesfalls unwahrscheinlich. Solche unwahrscheinlichen Kopplungen gibt es nicht nur zwischen Religionen und totalitären Ideologien, sondern auch zwischen Wissenschaft und Ideologie wie etwa die Synthesenbildung zwischen Nationalsozialismus und Weber’scher Demokratietheorie. Eine derartige unplausible, gleichwohl interessante Variante stammt von dem Weberianer Christoph Steding, der Weber für die völkische Idee und eine mythische Weltanschauung in Anspruch nahm.⁷³ Für die vorliegende Untersuchung sind jedoch
SFB 537 Institutionalität und Geschichtlichkeit, S. 99. Rehberg: Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 68. Die institutionelle Analyse schärft den Blick für die jederzeit bedrohte Stabilität von Institutionen: „Jede durchgesetzte Leitidee zieht ihren Erfolg aus ihrer (temporären) Herausgehobenheit aus einem Komplex oftmals unvereinbarer Orientierungsmöglichkeiten. Da sie ein Kampfprodukt ist und eine Synthese von Widersprüchlichem, werden in ihr oftmals viele der konkurrierenden Sinnsetzungen und Ordnungsentwürfe verleugnet. Aber gerade deshalb ist ihre Geltung nie unbestritten und von unterschiedlichen Situationen, Interessen und Trägerschichten abhängig“, vgl. Rehberg: Die stabilisierende Fiktionalität von Präsenz und Dauer, S. 388. Steding sah Max Weber als Interpret des Geistes des Kapitalismus, und damit der Moderne, zu einem Zeitpunkt, da deren politische Kräfte „schon intellektualistisch gebrochen“ und erschöpft seien. Bereits in seiner 1931 geschriebenen Dissertation suchte Christoph Steding Max Weber antidemokra-
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Verbindungen zwischen der heidnischen nationalsozialistischen Ideologie und dem protestantischen wie katholischen Christentum besonders relevant: In diesem Zusammenhang sind als Beispiele die Deutschen Christen ⁷⁴ oder etwa Papens am 3. April 1933 gegründete Vereinigung Kreuz und Adler ⁷⁵ zu nennen. Papens Denken ähnelt in vielerlei Hinsicht der faschistisch-katholischen Haltung Manacordas⁷⁶, wie es überhaupt im rechten Flügel des katholischen Milieus in Deutschland und Österreich der Zwischenkriegszeit noch eine Reihe weiterer Beispiele gibt wie der katholische jungkonservative Publizist Karl Anton Prinz von Rohan⁷⁷, die bis weit in die Zeit nach 1945 wirkten.⁷⁸ In diesem Zusammenhang stellte Klaus-Peter Hoepke die be-
tisch zu deuten, indem er die Frage stellte, „ob die in Weber lebendige Idee der liberalen Demokratie die einzig denkbare ist, oder ob darüber hinaus noch ganz andere Möglichkeiten dieser oder ähnlicher Staatsformen bestehen“, vgl. Steding, Christoph: Politik und Wissenschaft bei Max Weber. Teildruck Phil. Diss. Breslau 1932, S. 8. Nach der „Machtergreifung“ schrieb Steding,Webers Werk stehe an einem Wendepunkt der Sozialgeschichte, an dem „wissenschaftliche Standardwerke erschienen, in denen der dem Untergang geweihte Menschentypus sich über seine Vergangenheit Rechenschaft ablegt“. Das Puritanertum Max Webers sei alttestamentarisch-jüdisch. Im Heidelberg von Max und Alfred Weber, Jasper und Gundolf sei „die Stufe vollkommener Reichsfremdheit idealtypisch realisiert“ (S. 491). Die „Entzauberung der Welt“ solle das Dasein auf der höchsten Kulturstufe reduzieren (S. 382). Dafür hätten die denaturierten Juden Begabung. Das niederdeutsche Bauerntum, zu dem sich Steding zählte, müsse den seit Jahrhunderten verlorenen Glauben an seine völkische Reichsmission wiedererlangen, vgl. Steding, Christoph: Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur. 3. Aufl. Hamburg 1942. Arnhold, Oliver: Entjudung – Kirche im Abgrund. 2 Bde. Berlin 2010, sowie Siegele-Wenschkewitz, Leonore (Hrsg.): Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen. Frankfurt a. M. 1994. Papen war als Vizekanzler der Regierung Hitler am Abschluss des Reichskonkordats mitbeteiligt, vgl. Denzler, Georg: Franz von Papen (1879 – 1969). Katholik, Zentrumspolitiker, Konkordatspromotor und Nationalsozialist. In: Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Hrsg. von Ulrich von Hehl. Reihe B: Forschungen, Bd. 109). Hrsg. von Thomas Brechenmacher. Paderborn u. a. 2007, S. 55 – 69. Wie Letzterer Italien an das Rom der Antike und der Päpste anknüpfte, so dachte Ersterer das Deutsche Reich in seiner mittelalterlichen Tradition als christlich-katholisch. Reminiszenzen an das Sacrum Imperium Teutonicum waren bei ihm häufig. Kreuz und Adler war als „Gesinnungsgemeinschaft zwischen dem Nationalsozialismus und dem konservativen Katholizismus“ gedacht. Das „Dritte Reich“ begriff Papen als christlichen Gegenentwurf zur französischen Revolution. Die Vereinigung löste sich allerdings im Oktober 1933 schon wieder auf, denn anders als der Faschismus ließ der Nationalsozialismus einer solchen möglichen Synthese mit dem Katholizismus keinen Spielraum. Später fungierte Papens Gruppe unter dem Namen Arbeitsgemeinschaft deutscher Katholiken als faktische Untergliederung der NSDAP, in die Papen dann 1938 eintrat, vgl. Denzler: Franz von Papen (1879 – 1969), S. 64. Karl Anton von Rohan (1898 – 1975) war von Max Scheler und Carl Schmitt beeinflusst. Sein 1922 gegründeter Kulturbund sollte die europäischen Eliten sammeln, um den Kontinent vor dem Bolschewismus und dem Liberalismus zu retten. 1925 bis 1936 leitete er die „Europa-Revue“. Rohan arbeitete u. a. eng mit der Zeitschrift „Antieuropa“ von Asvero Gravelli zusammen. Wie Manacorda plädierte er für ein Bündnis von Katholizismus, Faschismus und Nationalsozialismus, vgl. Müller, Guido: Rohan, Karl Anton. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 21. Berlin 2003. S. 760 – 761. Vgl. Großmann, Johannes: Die Internationale der Konservativen. Transnationale Elitenzirkel und private Außenpolitik in Westeuropa seit 1945 (Studien zur internationalen Geschichte Bd. 35) München
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rechtigte Frage nach der Kohärenz zwischen faschistischem und katholischem Wertesystem.⁷⁹ Der österreichische Nationalökonom Othmar Spann, der den „Führer“ führen wollte, wurde monatelang von den Nationalsozialisten interniert, weil er seine ständestaatlichen Vorstellungen im „Dritten Reich“ verwirklichen wollte.⁸⁰ In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass solche Brückenbauer, wie Wolfgang Altgeld in der Festschrift zum 85. Geburtstag von Konrad Repgen diejenigen nennt, die zum NS-System „eine Annäherung über den Rahmen der Selbstbehauptung hinaus suchten und damit tatsächlich die Preisgabe katholischen christlichen Glaubens […] betrieben“, der NS-Elite und Hitler zu keinem Zeitpunkt weit genug gingen.⁸¹ Passgenau zur Beschreibung der Interdependenz zwischen Manacorda und seiner Intellektuellengruppe einerseits und dem faschistischen Regime andererseits ist der von Karl Mannheim geprägte, vermeintlich schlichte, aber umso schärfere wissenssoziologische Begriff ⁸² des „Rechtfertigungsdenkers“.⁸³ Mit ihm kann das grundlegende Problem geklärt werden, wie es dazu kommen kann, dass aus Intellektuellen, deren Eigenschaft doch gerade kritische Reflexion sein soll und die per definitionem Träger der Aufklärung sind – wie M. Rainer Lepsius zu Recht konstatierte –,Verteidiger antiemanzipatorischer Herrschaftsformen werden können.⁸⁴ Mannheim löst diese
2014, hier u. a. S. 45 – 46, S. 62– 71, S. 188 – 192 u. S. 526 – 533. Großmann nennt u. a. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, Karl Anton Prinz Rohan und Erik Kuehnelt-Leddihn. Vgl. Hoepke, Klaus-Peter: Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus. Düsseldorf 1968, S. 67 sowie S. 84. Othmar Spann (1878 – 1950) war 1931 bis 1938 Herausgeber der Periodika „Ständisches Leben“ und „Zeitschrift für Volkswirtschaft“. In seiner Lehre vom wahren Staat forderte er eine berufsständische Ordnung. Er kämpft gegen Liberalismus und Marxismus, vgl. Deutsche Biographische Enzyklopädie. Bd. 9. Hrsg. von Walther Killy und Rudolf Vierhaus. München 1998. S. 385 sowie Bracher, Karl Dietrich: Nationalsozialismus, Faschismus und autoritäre Regime. In: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938. Hrsg. von Gerald Stourzh und Brigitta Zaar. Wien 1990. S. 1– 27, hier S. 9. Altgeld, Wolfgang: Rassistische Ideologie und völkische Religiosität. In: Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten. Hrsg. von Karl-Joseph Hummel und Michael Kißner.2. Aufl. Paderborn u. a. 2010. S. 63 – 82, hier S. 72. „Die Wissenssoziologie versucht, den gesamten ideologischen Bereich zusammen mit seinen historischen Wechselwirkungen und Veränderungen zu erfassen sowie eine Erklärung für die sich verändernden Klassen- und Generationssituationen zu liefern, deren Sinn die Ideologien den betreffenden Gruppierungen deutend auslegen“, vgl. Kettler und Meja: Karl Mannheim, S. 300. Mannheim, Karl: Wissenssoziologie. Neuwied u. a. 1964, S. 457. Mannheims Werk ist neben seiner grundlegenden analytischen Schärfe auch deshalb besonders ergiebig, weil es während des vorliegenden Untersuchungszeitraums entstand, denn sozialwissenschaftliche Theorien sind immer hinsichtlich ihrer Entstehungszeit besonders passgenau. Nach der Verfemung im „Dritten Reich“ waren Mannheims von 1920 bis 1933 verfasste Schriften erstmals wieder in den 1960er Jahren auf Deutsch zugänglich. Für M. Rainer Lepsius liegt der Kern des Selbstverständnisses der Intellektuellen in ihrer Unorganisiertheit. Sie seien nur ihrem Gewissen verpflichtet und sähen sich jenseits sozialer Interessen im Dienst für humanitäre Ideale verpflichtet. Ihr Beruf bzw. Berufung sei die Kritik an den bestehenden Verhältnissen, was sich auf die Struktur von Intellektuellengruppen auswirke, vgl. Lepsius, M. Rainer:
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Problematik mithilfe eines Paradoxons, indem er sich des von Alfred Weber stammenden berühmten Ausdrucks des „sozial freischwebenden Intellektuellen“ bedient, der als Aufklärer trotzdem für die Metternich’sche Reaktion Partei ergreift. Sein am Beispiel der deutschen Intellektuellen im Zeitalter der Romantik hergeleiteter historisch-soziologischer Erklärungsansatz löst den Widerspruch auf. Zwar entstammten diese Intellektuellen, so Mannheim, der Schicht der in der Aufklärung engagierten und im Bürgertum verankerten Schriftsteller. Gleichzeitig beschreibt er sie jedoch in sozialer Hinsicht als „eine unverwurzelte oder wenig verwurzelte, klassenmäßig, standesmäßig nicht eindeutig zurechenbare Schicht“, die er im Zuge einer „soziologischen und metaphysischen Entfremdung“ als Träger des konservativen Denkens im Deutschland des 19. Jahrhunderts ausmacht.⁸⁵ Ursächlich ist für ihn, dass die „‚Intelligenz‘ ein ganz besonderes soziologisches Phänomen ist, dessen ‚realsoziologische‘ Zurechenbarkeit gerade wegen der äußerst labilen äußeren Lage und wirtschaftlichen Heimatlosigkeit der Träger so kompliziert ist.“ Der „freischwebende Intellektuelle“ suche also einerseits seine Karrierechance, das ist der soziale Aspekt Mannheims, zugleich beeinflusse andererseits seine Lage – und das ist der Kern des wissenssoziologischen Ansatzes – seinen „Denkstil“. Karl Mannheims zeitdiagnostisches wissenssoziologisches Forschungsprogramm stellt daher mit der dynamischen Kategorie des „Denkstils“ ein geeignetes Instrumentarium zur Bestimmung von Denksystemen und ihrer Genese zur Verfügung. Als „Denkstil“ bezeichnet der Soziologe Mannheim eine kollektive Gesamtorientierung, weil sie alle Wissenskomponenten umfasst und von allen ihren sozialen Trägern geteilt wird. Über das Spannungsverhältnis vom faschistisch-katholischen „Denkstil“ zum Regime wird im Kapitel über den sozialen Standort der faschistischen Katholiken noch die Rede sein, hier soll zunächst, in der gebotenen Kürze, das Konzept allgemein erläutert werden: Der Begriff des „Denkstils“ beschreibt also den plausibel gemachten Denkstandort einer konkreten sozialen Strömung. Er korrespondiert insofern mit dem institutionenanalytischen Begriff der „Leitidee“, als beide auf die Untersuchung der individuellen bzw. kollektiven Symbolwelten und Deutungsschemata abzielen. „Leitideen“ könnte man als die grundlegenden thetischen Elemente von „Denkstilen“ beschreiben, die diese ausmachen bzw. bestimmen. Eine Ordnung von „Leitideenbündeln“ in einer Spannungsstabilisierung wäre mit der Ausprägung eines „Denkstils“ gleichzusetzen. Bevor von der Herausbildung des faschistischen Katholizismus bzw. katholischen Faschismus die Rede sein kann, ist es notwendig, den Begriff des „Denkstils“ historisch zu verorten. Ein homogener „Denkstil“ in einem bestimmten Zeitabschnitt ist für Mannheim zunächst nur aus der Vogelperspektive erkennbar, denn jede Epoche sei Interessen, Ideen und Institutionen, S. 272. Vgl. u. a. am Beispiel der Gruppen um Rudolf Eucken, Friedrich Naumann und Georg Picht zur Funktion von Intellektuellengruppen Kuhlemann, FrankMichael u. Michael Schäfer (Hg.): Kreise – Bünde – Intellektuellen-Netzwerke. Formen bürgerlicher Vergesellschaftung und politischer Kommunikation 1890 – 1960. Bielefeld 2017. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 454– 455.
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seines Erachtens von mehreren Denkströmungen durchsetzt, wobei es höchstens möglich sei, dass „eine [Kursiv. i. Orig.] dieser Strömungen in einer Epoche zur Dominante wird und die übrigen Strömungen als Unterströmungen verdrängt“.⁸⁶ Mannheim legt hingegen den Schwerpunkt seiner Überlegungen auf die Pluralität und Rivalität der verschiedenen „Denkstile“ und fährt fort: Aber niemals kommt ein endgültiges Verdrängen einer Denkströmung zustande, jede mit einem Kulturkörper gegebene Denkspannung und jedes Glied der Spannung lebt, auch während des Sieges der anderen Richtung als Unterströmung weiter, um, wenn die Zeit gekommen ist (wenn auch wieder in veränderter Gestalt) wieder aufzuerstehen und auf einer höheren Stufe sich neu zu konstituieren.⁸⁷
Diese Genese von „Denkstilen“ könnte man als „Metamorphosen der Identität“ von Gruppen bezeichnen.⁸⁸ Während allgemein anerkannt wird, dass die Wissenssoziologie die Verbindung von „Denkstilen“ mit der Gesamtgesellschaft auf befriedigende Weise rekonstruieren kann, so wurde allerdings schon früh ihr Erkenntniswert bestritten. Schon in der Weimarer Zeit warf die Kritik im sog. Streit um die Wissenssoziologie der Mannheim’schen Konstruktion eine Homologie, also einen Parallelismus von sozialen Lagen mit der geistigen Produktion von Intellektuellen, vor. Obwohl ihr Evidenz zugestanden wurde, bemängelten die Kritiker, dass sie sich entweder im Allgemeinen verlöre oder in der Umsetzung an der Überkomplexität der Realität scheitere.⁸⁹ Trotz dieser Einwände basiert die heutige Soziologie, wenn sie die Interdependenz zwischen dem Denken von Intellektuellen und ihrer sozialen Lage thematisiert, immer noch auf den Mannheim’schen Grundlagen. Intellektuelle seien, bemerkt etwa Pierre Bourdieu, Akteure in einem Möglichkeitenfeld. Sie bildeten eine „Gruppe mit eigenen Interessen, die nicht besser und nicht schlechter sind als die anderer corporate bodies“.⁹⁰ Ein weiterer Vorzug der Wissenssoziologie besteht in ihrer dynamischen Dimension, denn ihr Instrumentarium schärft nicht nur den synchronen Blick bezüglich der
Ebd., S. 274. Ebd., S. 374. In einem kritischen Aufsatz über den Stand der Nationalismustheorieforschung hat Christian Geulen diesen Begriff verwendet, um die „immanente Wandelbarkeit“ dieser Ideologie zu skizzieren. Dabei hat er implizit in die Mannheim’sche Richtung gedacht, ohne allerdings die entsprechenden sozialwissenschaftlichen Modelle anzuführen, vgl. Geulen, Christian: Die Metamorphose der Identität. Zur ‚Langlebigkeit‘ des Nationalismus. In: Identitäten. Hrsg. von Aleida Assmann und Heidrun Friese. Frankfurt a. M. 1998. S. 346 – 373. Der Kritiker Theodor Geiger bemängelte, dass die Zusammenhänge zwischen Denkweise und sozialer Verortung ex post und zu vorschnell gezogen würden, vgl. Eßbach,Wolfgang: Die Junghegelianer. Soziologie einer Intellektuellengruppe. München 1988, S. 13. Zu den Kritikern gehörten u. a. auch der Romanist Ernst Robert Curtius, der österreichische Ökonom Otto Neurath, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, vgl. Knoblauch, Hubert: Wissenssoziologie. Konstanz 2005, S. 111. Dölling, Irene: Vorwort. In: Pierre Bourdieu: Die Intellektuellen und die Macht. Hamburg 1991. S. 7– 11, hier S. 9.
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Feststellung des Gruppentypus, sondern ermöglicht auch eine diachrone Betrachtung, mit der sich die Entwicklung von „Denkstilen“ bzw. ihre Ausdifferenzierung analysieren lässt. Auf diese Weise beschreibt sie den Faschismus als moderne Form des Konservatismus. Bereits im Jahre 1927 wies Karl Mannheim auf den konservativen Gehalt der Denkweisen hin, die das bürgerlich-rationalisierende Denken ablehnten, und stellte gleichzeitig fest, ihr jetziges Stadium sei nicht mehr gegenrevolutionär, sondern politisch indifferent. Dies traf beispielsweise auf Manacorda und Papini zu, die sich beide bis Mitte der 1920er Jahre noch gänzlich vom Regime Mussolinis fernhielten. Diese Politisierung sah Mannheim in Form neuer Konstellationen kommen. Er hielt eine Hinwendung (zumindest hinsichtlich der Bergson’schen Linie) zu „den modernen eruptiven, auf unmittelbare Aktionen ausgerichteten Tendenzen (sei es im reaktionären, sei es im fortschrittlichen Sinne)“ für wahrscheinlich.⁹¹ Explizit nannte er Faschismus und Sorel’schen Syndikalismus. Ein solcher Politisierungsprozess vollzog sich im Denken Manacordas, der eben genau den Realtyp eines „freischwebenden Intellektuellen“ im Sinne Karl Mannheims darstellte, in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auf idealtypische Weise. In der Tat ist bei Manacorda das konstatierte Abgleiten ins Halbkonkrete aufgrund eines ungeklärten Status beobachtbar. Intellektuelle, stellt der Soziologe fest, verfügten einerseits über einen weiten „geistigen Horizont“, andererseits sei ihr Denken geprägt von einer großen „moralischen Unsicherheit“.⁹² Weil ihre wesentliche Tätigkeit geheimdienstlich und propagandistisch ausgerichtet sei, oszilliere ihr Denken zwischen „der Weltfremdheit der Idealisten“ und „der Ausgerichtetheit auf konkrete Aufgaben“.⁹³ Was in Mannheims Wissenssoziologie über die freien Schriftsteller der deutschen Romantik gesagt wird, trifft auf Manacorda und seine faschistisch-katholische Intellektuellengruppe⁹⁴ zu: Diese freischwebenden Intellektuellen sind die typischen Rechtfertigungsdenker, ‚Ideologen‘, die jedes politische Wollen, in dessen Dienst sie sich stellen, zu unter- und zu hintergründen verstehen. Aus ihrer eigenen Lage ergibt sich keine Gebundenheit, sie haben aber eine äußerst feine Empfindlichkeit für die […] vorhandenen Kollektivwollungen und die Fähigkeit, sie aufzuspüren
Ebd., S. 505. Ebd., S. 455. Karl Mannheim beschreibt die deutsche Intelligenz des 19. Jahrhunderts, die sich durch ungeheure Sensibilität, moralische Unsicherheit, eine stete Bereitschaft zum Abenteuer und „Obskuranten“ ausgezeichnet habe. Gesellschaftlich freischwebend hätten sie sich den Regierungen angeschlossen: „Da sie nie richtig beamtet sind, sondern ihre wesentliche Aufgabe in Geheimdiensten und in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung besteht, gewinnt ihr Denken jenen halbkonkreten Zug, der zwischen der Weltfremdheit der Idealisten und der alleinigen Ausgerichtetheit auf konkrete Aufgaben der Beamten die Mitte hält“, vgl. ebd., S. 455 – 456. Vgl. Frese, Jürgen: Intellektuellen-Assoziationen. In: Kreise – Gruppen – Bünde. Hrsg. von Richard Faber und Christine Holste. Würzburg 2000. S. 441– 462. Frese entwickelt dort durch die Beschreibung von Strukturelementen und Phasen einen historisch explizierbaren und theoretisch artikulierbaren Extremtypus. Siehe auch Oevermann, Ulrich: Der Intellektuelle – Soziologische Strukturbestimmung des Komplementär von Öffentlichkeit. In: Die Macht des Geistes. S. 13 – 75.
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und sich in sie einzufühlen. Sie wissen von sich aus gar nichts; sobald sie aber etwas Fremdes auffangen, und sich mit ihm identifizieren, wissen sie es besser [Kursivierung i. Orig.]. […] Nicht Gründlichkeit ist ihre Tugend, sondern der ‚gute Blick‘ für die Geschehnisse […]. Ihre Konstruktionen sind deshalb immer falsch oder auch gefälscht, aber irgend etwas ist immer ‚gut gesehen‘.⁹⁵
Als dynamische und historisch-orientierte Theorie mittlerer Reichweite ist die Institutionenanalyse – ebenso wie die Wissenssoziologie – offen und anschlussfähig für den kulturwissenschaftlichen und anthropologischen Zweig der neueren Faschismusforschung. Die kulturelle Dimension des Faschismus ist seit Antonio Gramscis⁹⁶ Auffassung von politischer Herrschaft als dem Kampf um die Erringung der kulturellen Hegemonie in der Zivilgesellschaft und Walter Benjamins Beschreibung des Faschismus als Ästhetisierung des Politischen ⁹⁷ von Anfang an im Fokus der Auseinandersetzung mit dem Faschismus gewesen. Dieser Befund gilt allerdings, trotz Gramsci, nur mit Einschränkungen für die italienische Faschismusforschung, die sich erst nach der kritischen Werkausgabe 1975 seiner Briefe aus dem Gefängnis eingehend auf die Thesen des marxistischen Vordenkers bezog.⁹⁸ Die Ausblendung der kulturellen Dimension geht auf eine lange, bis in die Zwischenkriegszeit zurückliegende Tradition zurück: Hier hatte in den 1920er Jahren Benedetto Croce die Existenz einer faschistischen Kultur schlichtweg negiert, indem er in seinem Beitrag in „Il Mondo“ vom 1. Mai 1925 den Faschismus als kulturlos und Antikultur bezeichnet hatte.⁹⁹ Bezeichnenderweise charakterisierte in den 1960er Jahren der prominente Turiner Historiker Franco Venturi den Faschismus als „una gran fabbrica del vuoto“, also als „eine große Fabrik der Leere“.¹⁰⁰ Diese These wurde noch in den 1970er Jahren von Historikern wie z. B. von Philip V. Cannistraro verteidigt, sodass kulturalistisch orientierte Arbeiten wie die Monographie über den „Frontespizio“ der römischen Historikerin Luisa Mangoni die Ausnahme bildeten.¹⁰¹ Stattdessen verstellten Unterscheidungen wie die des Nestors der italienischen Faschismusforschung Renzo De Felice zwischen „moderaten“ und „ex-
Ebd., S. 457. Gramsci, Antonio: Lettere dal carcere. Bd. 2. Hrsg. von Antonio A. Santucci. Roma 1987. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a. M. 1977 [1936], S. 42. Gramsci, Antonio: Quaderni del carcere. Hrsg. von Valentino Gerratana. Bde. 1– 4. Torino 1975. Vgl. Cannistraro, Philip V.: La fabbrica del consenso: fascismo e mass media. Roma u. a. 1975. Noch im Jahre 1985 sah sich Pier Giorgio Zunino gezwungen, seine Analyse der faschistischen Symbolwelten zu rechtfertigen, vgl. Zunino, Pier Giorgio: L’ideologia del fascismo. Miti, credenze e valori nella stabilizzazione del regime. Bologna 1985. Belardelli, Giovanni: Mosse, lo storico che svelò i miti del nazismo. In: Corriere della Sera vom 27. Januar 1999. S. 29. Mangoni, Luisa: Aspetti della cultura cattolica sotto il fascismo: la rivista ‚Il Frontespizio‘. In: Modernismo, fascismo, comunismo. Aspetti e figure della cultura e della politica dei cattolici nel ‘900. Hrsg. von Giuseppe Rossini. Bologna 1972. S. 363 – 417 sowie dies.: L’interventismo della cultura. Intellettuali e riviste del fascismo. Roma 1974.
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tremistischen“ Intellektuellen den Blick auf die zugrundeliegenden „Denkstile“.¹⁰² Diese methodischen Defizite führten nicht selten zu möglicherweise ungewollten, gleichwohl problematischen relativierend-apologetischen Bewertungen wie im Falle der Biografie über den engen Freund von Manacorda, Unterrichtsminister Giuseppe Bottai, aus dem Jahre 1976: Der genauso antisemitische wie weltoffene Bottai wurde von seinem Biografen Giordano Bruno Guerri nicht nur analytisch wenig erhellend, sondern auch höchst missverständlich als „kritischer Faschist“ charakterisiert. Mit diesem Etikett verstellte er den Blick auf die zentrale Rolle, die Bottai bei der Radikalisierung des faschistischen Regimes spielte, denn damit entwarf Guerri ein positives Bild Bottais, den er implizit als quasi regimekritischen Intellektuellen darstellte, was zumindest mithalf, dessen rassistisches und bellizistisches Denken und Handeln in der italienischen Öffentlichkeit zeitweise komplett in den Hintergrund zu rücken.¹⁰³ Nur mit Mühe verhinderte der Protest u. a. der jüdischen Gemeinde von Rom, dass ausgerechnet der grüne Bürgermeister Francesco Rutelli die Straße der von Bottai gegründeten Galleria d’arte moderna nach dem antisemitischen Gerarchen benannte.¹⁰⁴ Seit Mitte der 1970er Jahre rückte in der Faschismusforschung die zuvor lange fast völlig vernachlässigte kulturwissenschaftliche Perspektive zunehmend in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang ist die Studie von Daniele Marchesini über die sog. Schule der faschistischen Mystik zu nennen.¹⁰⁵ Anfang der 1980er Jahre leitete der Mussolini-Biograf Renzo De Felice als der führende Experte des italienischen Faschismus insofern eine Revision ein, als auch er den Äthiopienfeldzug 1935/36 als Auslöser einer „kulturellen Revolution“ bezeichnete. Nach dieser totalitären Wende, so De Felice, habe das Regime die Schaffung eines „neuen Menschen“ durch die Einführung einer eigenen Sprache, eigener Sitten und die Rassengesetzgebung geplant.¹⁰⁶ De Felice war dabei zunehmend von den anthropologisch-orientierten Studien des deutschjüdischen US-Historikers Georges L. Mosse beeinflusst, die die reli-
Luzzatto, Sergio: The political culture of Fascist Italy. In: Contemporary European History 2 (1999). S. 317– 334, hier S. 319. Guerri, Giordano Bruno: Giuseppe Bottai. Un fascista critico: ideologia e azione del gerarca che avrebbe voluto portare l’intelligenza nel fascismo e il fascismo alla liberalizzazione. Milano 1976. Der korrigierte Titel der Neuauflage lautet: Giuseppe Bottai: Fascista (Milano 1996). Die dritte Auflage aus dem Jahre 2010 erschien nur noch unter dem Titel „Giuseppe Bottai“ und verzichtete auf jeden Zusatz. Darin relativiert Guerri immer noch den vehementen Antisemitismus Bottais, vgl. S. 31– 32. Longo, Alessandra: E alla fine Rutelli cede su via Bottai. In: La Repubblica vom 19. September 1995. S. 7; Stone, Marla Susan: The Patron State. Culture and Politics in Fascist Italy. Princeton 1998, S. 45. Marchesini, Daniele: La scuola dei gerarchi: Mistica fascista, storia, problemi, istituzioni. Milano 1976. Zur „Scuola di Mistica fascista“ folgten nach der Jahrtausendwende zwei weitere Studien: Grandi, Aldo: Gli eroi di Mussolini. Niccolò Giani e la Scuola di Mistica fascista. Milano 2004 sowie Carini, Tomas: Niccolò Giani e la scuola di mistica fascista 1930 – 1943. Milano 2009. De Felice: Mussolini: Il duce, S. 100.
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giöse, symbolische und rituelle Dimension des Faschismus betonten.¹⁰⁷ Beide hatten sich 1967 kennengelernt.¹⁰⁸ Mosse vertrat ausdrücklich die These, dass der Faschismus seine eigene Kultur gehabe habe. Eine neue Generation von Intellektuellen, die sich als Avantgarde der Nation verstanden habe, habe geglaubt, innerhalb des Faschismus die „historischen Werte“ der italienischen Gesellschaft realisieren zu können, so Mosse.¹⁰⁹ Die Thesen des römischen Historikers und De-Felice-Schülers Emilio Gentile, die an De Felices und Mosses Überlegungen zur kulturellen Revolution anschlossen, sollen im Folgenden notwendig verkürzt dargestellt werden, weil sie in besonderer Weise mit einer institutionenanalytischen und wissenssoziologischen Perspektive kompatibel sind. In Weiterführung der Ansätze seines Mentors und der von Mosse versteht Emilio Gentile den Faschismus als ein totalitäres Experiment politischer Herrschaft „gemäß dem Prinzip der vollständigen Politisierung der individuellen wie kollektiven Existenz, die nun im Lichte der Vorstellungen, Mythen und Werte einer Ideologie nationaler Wiedergeburt gesehen wird, sakralisiert in einer politischen Religion“.¹¹⁰
Dies sei verbunden gewesen mit dem Anspruch, durch eine anthropologische Revolution einen „neuen Menschen“ zu erschaffen, der für die Verwirklichung der revolutionären und imperialistischen Pläne der Partei für eine supranationale Ordnung kämpfe. Seiner inneren Dynamik nach fordere der pragmatisch agierende und sich ästhetisch äußernde Faschismus eine permanente Revolution und ständige neue Eingriffe. Der totalitäre Staat sei demnach gezwungen gewesen, als politisches Laboratorium fortwährend zu experimentieren.¹¹¹ In der zitierten Definition Gentiles und deutlicher noch in einem seiner Frühwerke „Le origini dell’ideologia fascista“ aus dem Jahre 1975 findet sich eine gedankliche Entsprechung zum „Leitideen“-Verständnis der Institutionenanalyse: Gentile schreibt darin, die faschistische Ideologie habe in ihren palingenetischen Mythen und restaurativen Politikentwürfen Gegensätzliches wie die Begeisterung für den produktiven Kapitalismus mit der Verachtung des vermeintlich parasitären Konservatismus gekoppelt. Außerdem habe der Faschismus – so ein weiteres Paradoxon – für eine Revolution gekämpft, die die Eigentumsfrage nicht
George L. Mosse hatte bereits 1966 den „neuen Menschen“ als Traumziel der faschistischen Utopie bezeichnet, vgl. Mosse, George L.: The Genesis of Fascism. In: Journal of Contemporary History 1 (1966). S. 14– 26, hier S. 26. Vgl. ders.: The Fascist Revolution. New York 1999, S. X. Vgl. zur konzisen Einordnung des Werkes von Renzo De Felice und zur andauernden Infragestellung seines Werkes unter dem Vorwurf des Revisionismus u. a. durch die konservative Vulgata v. a. durch die Turiner Schule um Nicolo Tranfaglia Canali, Mauro: Il revisionismo storico e il fascismo. In Cercles. Rivista d’Història Cultural (2011). S. 82– 109. Aramini, Donatello: George L. Mosse, l’Italia e gli storici. Milano 2010, S. 28. Gentile, Emilio: Der Faschismus. Eine Definition zur Orientierung. In: Mittelweg 36 1 (2007). S. 81– 99, hier S. 94. Ders.: Le religioni della politica. Erw. Aufl. v. 2001. Roma u. a. 2007, S. 71.
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stellte, aber dennoch den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit habe überwinden wollen. Gerade in der Verworrenheit der Projekte für eine neue soziale Ordnung, so der römische Historiker, habe möglicherweise ihr Faszinosum gelegen.¹¹² Diese Ausführungen Gentiles entsprechen der Vorstellung von „Leitideen“ als Synthesen von spannungsreich verarbeiteten Widersprüchen, die die mit ihr konkurrierenden Sinnsetzungen und Ordnungsentwürfe in sich aufnehmen und gerade dadurch ihre außerordentliche – wenn auch prekäre – Spannungsstabilisierung erzielen. Um im Bild Gentiles zu bleiben: Insofern wäre im politischen Laboratorium des Faschismus der katholische Faschismus die chemische Formel, die das unter großem Druck stehende, hochexplosive Ideengebräu der faschistischen Doktrin so synthetisiert, dass ein Gleichgewicht erreicht wird. In der vorliegenden Arbeit wird auf den Ansatz Gentiles noch in einer weiteren Hinsicht Bezug genommen, denn – so lautet die Leitthese dieser Studie – der Faschismus wurde innerhalb des sich herausbildenden faschistisch-katholischen Denksystems doppelt sakralisiert: Der „Kult des Littorio“ wurde durch den seit 1848 erstmals wieder vollständig in die Nationalstaatsidee reintegrierten katholischen Kult und daraufhin ein zweites Mal in einer neuen Synthese, in ein neues „Leitideenbündel“ transzendiert. Der katholische Faschismus war in gewisser Weise die direkte und logische Folge der Lateranverträge von 1929. Bezüglich der Christianisierung ist der italienische Faschismus kein Einzelfall. Das Phänomen, dass faschistische Bewegungen als eine kulturelle Revolution die neue Moral auf das traditionelle Christentum gründen wollten, stellte George L. Mosse bereits bezüglich der belgischen Rexisten und der rumänischen „Eisernen Garde“ fest.¹¹³ Und auch Daniele Menozzi und Renato Moro haben sich in einem Sammelband intensiv mit dem Verhältnis der faschistischen Bewegungen in Europa zum katholischen Glauben beschäftigt.¹¹⁴ Die Folgen der katholischen Aufladung, die Lutz Klinkhammer zutreffend als „Christianisierung des Faschismus“ wie gleichermaßen als „Faschisierung des italienischen Katholizismus“ charakterisierte¹¹⁵, waren für den italienischen Faschismus zweifellos von enormer Bedeutung, insofern sie ihm gestattete, das 2.000-jährige symbolische Universum der Kirche zu absorbieren. Auf der ideologischen Ebene liegt die wesentliche Stabilisierungsleistung der faschistischen Katholiken in der Neukonnotierung von zentralen Begriffen der faschistischen Bewegung wie u. a. Mystik, Glaube, Krieg, Opfer, Romanität und Impero, Rom-Mythos, „neue Ordnung“, Universalismus und Rasse sowie der Spannungsbeziehung zur Germanität, wie im dritten Teil der vorliegenden Untersuchung gezeigt werden soll.
Ders.: Le origini dell’ideologia fascista (1918 – 1925). Roma u. a. 1975, S. 205 – 206. Mosse: The Genesis of Fascism, S. 7. Menozzi, Daniele und Renato Moro (Hrsg.): Cattolicesimo e totalitarismo. Chiese e culture religiose tra le due guerre (Italia, Spagna, Francia). Brescia 2004. Klinkhammer, Lutz: Mussolinis Italien zwischen Staat, Kirche und Religion. In: Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus. Hrsg. von Klaus Hildebrand. München 2003. S. 73 – 90.
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Diese Studie ist in drei Teile gegliedert: Ausgehend von den Einzelbiografien der Akteure der faschistisch-katholischen Intellektuellengruppe werden im ersten Teil deren gemeinsame sozialen Merkmale in Bezug auf Parteizugehörigkeit, Selbstbeschreibung, soziale Schicht, Geschlecht, Altersstruktur und regionale Herkunft ausgewertet. Der zweite Teil ist historisch ausgelegt und analysiert das konkrete Handeln der katholisch-faschistischen Intellektuellen, wobei die Rolle Manacordas als Vermittler zwischen Hitler und Mussolini sowie als politischer Emissär und Propagandist im Mittelpunkt steht. Im dritten Teil wird das konkrete Denksystem des katholischen Faschismus rekonstruiert. Somit werden in der vorliegenden Studie beide Ansätze – eine qualitative soziale Analyse der faschistischen Katholiken (für eine quantitative Analyse ist die Gruppe der faschistischen Katholiken viel zu klein) und eine ideengeschichtliche Untersuchung ihres „Denkstils“ – miteinander zu einer wissenssoziologischen Betrachtung verknüpft.
I Biografischer Teil
2 Die Genese des faschistisch-katholischen „Denkstils“ und der Intellektuellengruppe um Guido Manacorda Guido Manacorda wurde am 5. Juni 1879 in dem damals rund 11.000 Einwohner zählenden Landstädtchen Acqui in der piemontesischen Provinz Alessandria als Sohn eines Lehrers geboren.¹ Die Manacordas stammen aus dem Weinort Penango in Monferrato am Po, wo sie seit 1580 als eine der führenden Familien nachgewiesen sind. Aus ihr gingen zahlreiche Pfarrer, Notare, Ärzte und Lehrer hervor. Manacordas nicht unvermögende Mutter Francesca Demartini kam ebenfalls aus dem Provinzbürgertum. Guido war der jüngste von drei Brüdern: Der im Jahre 1873 erstgeborene Umberto wurde Jurist, der 1876 zweitgeborene Giuseppe Pädagoge und Verfasser eines Standardwerks zum italienischen Schulwesen.² Guido Manacorda war gerade 16 Jahre alt, als sein Vater nach rund 40-jähriger Tätigkeit als Elementar- und Mittelschullehrer im Alter von 66 Jahren unvermittelt starb. Hierdurch verschlechterte sich die soziale Lage der Familie dramatisch, weil die Pension der Witwe in Höhe von 100 Lire nicht zum Leben reichte und sie daher fortan auf die Unterstützung ihrer Söhne angewiesen war.³ Trotzdem besuchte der junge Guido Manacorda eine höhere Schule in Turin und studierte ab 1897 vier Jahre Belle Lettere an der Scuola Normale in Pisa. Sein weiterer beruflicher Werdegang lässt sich anhand seiner Personalakte im Zentralen Staatsarchiv in Rom lückenlos verfolgen: Am 2. Juli 1901 schloss er sein philologisches Studium an der Universität Pisa mit Bestnote und der Bemerkung ab, dass seine Examensarbeit veröffentlicht werden solle. Hier hatte er auch Deutsch gelernt.⁴ Daraufhin bekam er 1902 ein Stipendium des Istituto di studi superiori in Florenz, mit dessen Hilfe er seine Sprachkenntnisse vertiefte. Wiederum erhielt er in einer Abschlussprüfung die maximale Punktzahl.⁵ Die finanzielle Misere der Familie verschlimmerte sich erneut beunruhigend, als der älteste Bruder Anfang 1903 noch nicht einmal dreißigjährig verstarb. Weil in Guido Manacordas Nachlass die frühen Aufzeichnungen vollständig fehlen, sind seine eigenen Erinnerungen, sein autobiografisches Selbstbild „Un uomo“ aus dem Jahre 1941, eine wichtige, wenngleich gefilterte Quelle. Darin berichtet er von einer Kindheit, die er „wirtschaftlich in trauriger Armut“
Sein Vater Vittorio (1829 – 1896) war Lehrer in Alessandria, vgl. Manacorda, Mario Alighiero: Nota biografica su Giuseppe Manacorda. In: Manacorda, Giuseppe: Storia della scuola in Italia. Bd. 1/1. 2. Aufl. Firenze 1980. S. 15 – 30. Manacorda, Giuseppe: Storia della scuola in Italia. 2 Bde. Mailand 1913 – 1914. Manacorda, Alighiero Mario: Nota biografica su Giuseppe Manacorda, S. 16. Bestätigung der Universität Pisa über sein Examen vom 7. Januar 1907. In: Archivio Centrale dello Stato Rom (ACS) Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG Istruzione Superiore Div. I, Liberi Docenti, II Serie (1910 – 1930), Busta 194, Fasc. Manacorda, Guido. R. Università degli Studi Catania, Commissione giudicatrice della libera docenza per titoli in letteratura tedesca chiesta dal dr. Guido Manacorda, ohne Datum, ebd. https://doi.org/10.1515/9783110538991-002
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verbrachte.⁶ 1904/1905 leistete er seinen Militärdienst.⁷ 1906 erwarb er ein Diplom als Bibliothekar. In dieser Zeit führte er – trotz der vorgeblich prekären finanziellen Lage der Familie – mehrere Reisen nach Deutschland durch.⁸ Er will in München und Berlin studiert haben, wie er mehrfach vage in seinen Lebensläufen angibt.⁹ Vermutlich begab er sich auf kürzere Studienreisen, regulär immatrikuliert scheint er, soweit bekannt, im Reich nicht gewesen zu sein.¹⁰ Francesco Marin stieß im Rahmen seines Dissertationsprojektes über die italienischen Stipendiaten an deutschen Universitäten vor dem Ersten Weltkrieg jedenfalls nicht auf seinen Namen.¹¹ Hingegen legte Manacorda in seinem autobiografischen Selbstbild freimütig den Wandel seiner politischen und religiösen Überzeugungen offen. Er stand demnach in seiner Jugend und während seines Studiums lange der Kirche fern, bevor er durch das Kriegserlebnis wieder zum Glauben zurückgefunden habe.¹² Ebenso gesichert sind die Erkenntnisse über seinen weiteren persönlichen Werdegang: 1906 trat er eine Stelle als Bibliothekar in der Universitätsbibliothek von Catania an. Im gleichen Jahr heiratete er in Turin die 1881 geborene Emma Lantermo. Nach seinem Bekunden handelte es sich um eine Konvenienzehe, die er dennoch „immer mit Würde und härtester Disziplin“ geachtet haben will.¹³ Aus dieser Ehe ging der 1920 geborene Sohn Tristano hervor.¹⁴ Manacordas verbliebener Bruder Giuseppe, auf dem nach dem Tode Umbertos die Hauptlast der Unterstützung seiner Mutter lastete, verfolgte ebenfalls eine akademische Karriere, indem er im Jahre 1909 Privatdozent an der Universität Pisa wurde. Dabei nahm er in seiner wissenschaftlichen Arbeit immer stärker auf Benedetto Croces Idealismus Bezug, während er politisch dem Partito Socialista Italiano (PSI) nahestand.¹⁵ Guido Manacorda teilte dessen Pazifismus nicht und vertrat zunehmend nationalistischere Positionen. Folgerichtig meldete er sich am 11. August
Manacorda: Un Uomo, S. XII. Eine zweite, erweiterte Auflage dieser literarisch-essayistischen Sammlung biografischer Skizzen erschien 1942. Vedovato: Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede, S. 97. Manacorda, Alighiero Mario: Nota biografica su Giuseppe Manacorda, S. 19. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1927, 1° Semestre. Vage ist die Rede von Vertiefung der Studien in Deutschland, vgl. auch Gorgolini, Pietro: Italica. Prose e poesie della terza Italia. Bd. 3. Torino 1928. S. 1183. Marin, Francesco: Die Ausbildung italienischer Nachwuchswissenschaftler in Deutschland 1861– 1915. In: Jahrbuch für europäische Geschichte 6 (2005). S. 77– 98 sowie ders.: Die „deutsche Minerva“ in Italien: Die Rezeption eines Universitäts- und Wissenschaftsmodells 1861– 1923. Phil. Diss. Köln 2010. Manacorda: Un Uomo, S. XIX. Lebenslauf verfasst für Benito Mussolini. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 1˚ Semestre, S. 1. Vgl. Comune di Firenze, Zertifikat der Familie Guido Manacorda vom 22. Juni 1946 sowie Città di Torino, Divisione dello stato civile. Estratto per riassunto di atto di matrimonio. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG. Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido. Manacorda, Alighiero Mario: Nota biografica su Giuseppe Manacorda, S. 26 f.
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1915 als Kriegsfreiwilliger zur Front.¹⁶ 1916 wurde er zum Sottotenente der Artillerie ernannt, 1917 zum Tenente artiglieria in der Dritten Armee in der Abteilung Servizio Informazioni. ¹⁷ Seinen Angaben nach kämpfte er im Val di Ledro, auf dem Karst, nahm am Rückzug hinter den Piave und am Sieg von Vittorio Veneto teil, außerdem am Einmarsch in Triest. Er habe als „Draufgänger“ gegolten, schreibt er unbescheiden im Rückblick, und sei mehrfach ausgezeichnet geworden.¹⁸ Bevor vom wissenschaftlichen Werdegang Guido Manacordas die Rede sein soll, ist ein kurzer Blick auf das Umfeld der jungen Disziplin geboten. Von einer eigenständigen italienischen Germanistik kann man erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts sprechen. Der Beginn der neuen Fachrichtung ist dabei eng mit den Namen Benedetto Croce und Arturo Farinelli verbunden.¹⁹ Hier ist vor allem auf den wissenschaftsgeschichtlichen europäischen Sonderweg Italiens hinzuweisen, für den maßgeblich Croce, der führende und im Ausland bekannteste Intellektuelle Italiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verantwortlich ist. Zwar wurde diesseits wie jenseits der Alpen das brüchige positivistische Paradigma um 1900 oft durch irrationale Deutungsmuster à la Bergson abgelöst, diese alten und neuen Wissenschaftskonzepte bzw. Ordnungssysteme standen sich jedoch in den seltensten Fällen antithetisch gegenüber. Vielmehr bildeten sich komplexe Verknüpfungen zwischen beiden Wissenschaftskulturen heraus.²⁰ Doch während es anderswo in Europa in der Folge zu einer Konkurrenz von akademischen und ideologischen Denksystemen kam, setzte sich in Italien durch das Wirken Benedetto Croces zum zweiten Mal die sonst marginalisierte idealistische Philosophie durch, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zum beherrschenden Deutungsmuster Italiens aufgestiegen war. Im Übrigen prägte Croces Neukonzeption die liberalen politischen Klassen, die Universitäten und das Schulsystem bis in die Zeit nach 1945. Der Idealismus erreichte dabei nicht nur das Groß-, sondern
Stato matricolare. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG. Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido, sowie Ministero della Guerra an das Unterrichtsministerium, Brief vom 6. April 1916, ebd., vgl. Guido Manacorda: Un Uomo, S. XIV. Vgl. Guido Manacorda an Adolfo Orvieto, Brief vom 28. März 1917. In: Archivio Contemporaneo ‚Alessandro Bonsanti‘, Gabinetto G. P. Vieusseux (ACGV) Florenz: Fondo Orvieto, Or. 1.1416.7. Guido Manacorda erhielt in der Tat zwei bronzene Tapferkeitsmedaillen, eine silberne Tapferkeitsmedaille sowie das Kriegskreuz, vgl. ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG. Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido. Grüning, Hans Georg: Germanistik in Italien: Anmerkungen zur Problematik und zur Fachgeschichte. In: Ders.(Hrsg.): Geschichte der Germanistik in Italien. Ancona 1996. S. 5 – 13, hier S. 8. Vgl. Vom Bruch, Rüdiger, Friedrich Wilhelm Graf und Gangolf Hübinger: Einleitung: Idealismus – Positivismus. Grundspannung und Vermittlung in Kultur und Kulturwissenschaften um 1900. In: Kultur und Kulturwissenschaften um 1900. Bd. 2: Idealismus und Positivismus. Hrsg. von dens. Stuttgart 1997. S. 9 – 23, hier S. 13 f. Zur methodischen Originalität Vosslers für die Sprachwissenschaften vgl. Bochmann, Klaus: Sprache und Kultur bei Karl Vossler. In: Grenzgänge 6 (1996). S. 110 – 123.
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auch das stetig wachsende Kleinbürgertum.²¹ Manacorda übernahm also zunächst nur das herrschende bürgerliche Denksystem und Wissenschaftsparadigma, von dem er sich allerdings wie viele andere seiner Generation schon vor dem Ersten Weltkrieg zu lösen begann. In diesem Zusammenhang ist auf eine wichtige Katalysatorrolle der croceanischen Ästhetik zu verweisen, die trotz einer völlig anderen Grundintention den Nährboden für eine völkerpsychologische Sprachwissenschaft bereitete.²² Croce begriff Literatur als ästhetischen Ausdruck des Dichters, wodurch sich sein Werk einer schematischen, in seiner Begrifflichkeit „wissenschaftlichen“ und „mechanischen“ Analyse zwangsläufig entzog.²³ Diese Konzeption führte er 1902 in seiner Schrift „Estetica come scienza dell’espressione e linguistica generale“ zum ersten Mal aus.²⁴ Von dort war es nur ein kleiner Schritt, Literatur nicht nur als kreativen Ausdruck eines Autors, sondern Nationalliteraturen als schöpferischen Ausdruck eines Volkes zu begreifen: Diesen Schluss zogen in der Folge u. a. Vossler²⁵ und Klemperer²⁶ mit ihrem Konzept der Idealistischen Neuphilologie sowie Manacorda.²⁷ Die gleiche Sichtweise kommt in Manacordas zweiseitiger, intellektuell dürftiger, trotzdem aber
Verucci, Guido: Idealisti all’indice – Croce, Gentile e la condanna del Sant’Uffizio. Roma u. a. 2006, sowie Patrick Ostermann: Guido Verucci: Idealisti all’indice – Croce, Gentile e la condanna del Sant’Uffiizio. In: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 19 (2007). S. 313 – 315. Hausmann, Frank-Rutger: „… ein Haltmachen vor den jüngsten Entwicklungen ist Selbstverstümmelung.“ Die deutsche Romanistik vor und nach dem Ersten Weltkrieg. In: Konkurrenten in der Fakultät, Kultur, Wissen und Universität um 1900. Hrsg. von Christoph König und Eberhard Lämmert. Frankfurt 1999. S. 273 – 285 sowie Settekorn, Wolfgang und Hans Peter Lütjen: Der Fremde als Feind?: Zur Rolle der Fremdsprachenphilologie 1900 – 1933. In: „1933 in Gesellschaft und Wissenschaft“. Ringvorlesung im Wintersemester 1982/83 und Sommersemester 1983. Bd. 2. Hamburg 1984. S. 43 – 72, hier S. 45. Vgl. Carteggio Croce-Vossler, S. 31. Palermo 1902. Darin machte er sich über den seines Erachtens toten Positivismus lustig, vgl. Benedetto Croce: Estetica come scienza dell’espressione e linguistica generale. Bari 1958, S. 158. Der Romanist Karl Vossler wurde 1872 in Hohenheim geboren. Um 1895 trat er in Rom in den Kreis von Domenico Gnoli ein, dessen Tochter er heiratete, vgl. Frank-Rutger Hausmann: „… ein Haltmachen vor den jüngsten Entwicklungen ist Selbstverstümmelung.“ S. 277– 278. Mit Benedetto Croce verband Vossler eine lebenslange Freundschaft und er führte mit ihm über ein halbes Jahrhundert einen Briefwechsel, der heute grundlegend für das Verständnis des deutsch-italienischen Kulturtransfers im 20. Jahrhundert ist, vgl. Carteggio Croce-Vossler. Ab 1902 lehrte er in Heidelberg, ab 1909 in Würzburg und ab 1911 in München, vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich:Vom Leben und Sterben der großen Romanisten. München 2002, S. 14– 16. und Vossler, Karl: Frankreichs Kultur im Spiegel seiner Sprachentwicklung. Heidelberg 1913. Die Bestimmung von angeblichen Wesensmerkmalen der Völker ist noch Gegenstand von Klemperers Dresdner Antrittsvorlesung vom 3. Juni 1920. 1926 betitelte er einen Sammelband Romanische Sonderart in Abgrenzung zur germanischen Eigenart und mehrfach fanden diese Schablonen in modifizierter Form auch Eingang in seine während des „Dritten Reiches“ geschriebenen Erinnerungen, vgl. Klemperer, Victor: Romanische Sonderart. München 1926. Vgl. die weiteren Ausführungen zu Manacorda in diesem Kapitel sowie Ostermann, Patrick: Il concetto della stilistica nel lavoro di Karl Vossler. In: Giornale Wolf. Quindicinale Online. 13 (2005).
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aussagekräftiger Denkschrift zu einer neuen Philologie aus dem Jahr 1936, die er an den faschistischen Erziehungsminister De Vecchi richtete, klar zum Ausdruck: Darin verwarf er einerseits wie Croce den seines Erachtens objektivistisch-positivistischen Ansatz, die Literatur mit einer naturwissenschaftlichen Methodik in ihre Bestandteile zu zerlegen. Andererseits spricht er sich dagegen aus, das Werk nur subjektiv-ideengeschichtlich als Poesia zu begreifen, was er der idealistischen Philosophie vorwirft. Damit verkäme die Philologie zur Geschmacksfrage, wenn auch die Innerlichkeit der Fichte’schen und hegelianischen Tradition zu begrüßen sei. Manacorda plädierte stattdessen für eine Synthese in der ewigen und christlichen religiösen Erfahrung der Universalität.²⁸ Was hier anscheinend harmlos formuliert wird, erweist sich als nationalistisches Paradigma der faschistisch-katholischen Romanità. Doch zurück zur italienischen Germanistik der Jahrhundertwende: Farinelli erhielt im Jahre 1907 in Turin den ersten italienischen Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur.²⁹ Mit beiden Koryphäen der jungen Disziplin, Croce und Farinelli, sollte der Nachwuchsgermanist Manacorda erbitterte Polemiken führen. Zum besseren Verständnis der Diskurse, die durch persönliche Rivalitäten ebenso bestimmt waren wie durch konkurrierende Wissenschaftsparadigmen, ist es sinnvoll, die in der Einleitung angesprochenen, zugrunde liegenden langfristigen Denktraditionen zu illustrieren. Vor dem Ersten Weltkrieg waren die Sprachwissenschaften in das Konzept der Nationalliteraturen eingebettet. Darin machte auch die italienische Germanistik keine Ausnahme, wobei hier die „Leitidee“ des Risorgimento als Bezugspunkt diente.³⁰ Ausschließlich der Kanon der großen Klassiker war Gegenstand der Betrachtung, während die Beschäftigung mit der als vulgär eingestuften Gegenwartsliteratur lange verpönt war und die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse ignoriert wurden. In der deutschen Romanistik hatte der von Klemperers Mentor Karl Vossler eingeleitete Paradigmenwechsel von einem überholten, erstarrten und schematischen Positivismus hin zur idealistischen Philologie erstmals den Blick für die literarische und gesellschaftliche Gegenwart der romanischen Länder eröffnet.³¹ Seine bahnbrechende italienische Literaturgeschichte aus dem Jahre 1914 war das erste Werk überhaupt, das sich nicht nur mit der zeitgenössischen Literatur, sondern sogar mit der Avantgarde
„Promemoria del nome di ‚filologia‘“ per S. E. il Ministro della Educazione Nazionale. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre, Sottofasc. De Vecchi. Strappini, Lucia: Farinelli, Arturo. Dizionario biografico degli italiani. Bd. 45. Roma 1995. S. 21– 24. Ostermann, Patrick: Die Leitidee des Risorgimento vor dem Hintergrund des „italienischen Kulturkampfes“ am Ende des Ottocento. In: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung, 19 (2007). S. 177– 192. Die Geschichte der als Ausdruck des jeweiligen Volkscharakters geltenden Nationalliteraturen versinnbildlichte aus der Sicht der Philologen die Entwicklung der Nationen insgesamt, vgl. Bontempelli, Pier Carlo: Storia della germanistica. Roma 2000. Vossler, Karl: Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft. Heidelberg 1904. Diese Studie Vosslers formulierte paradigmatisch eine intellektuelle Spannung, die nicht nur den deutschen Wissenschaftsdiskurs, sondern alle kultur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen in Europa tiefgreifend prägte, sodass sie gar als die intellektuelle Signatur der Epoche gelten kann.
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beschäftigte.³² Eine solche Öffnung der Disziplin blieb in der Zwischenkriegszeit in der deutschen Romanistik wie in der italienischen Germanistik aber die Ausnahme.³³ Die junge Disziplin stand überdies unter dem Eindruck der sich rasch verändernden deutsch-italienischen Beziehungen, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend schwieriger wurden. Dieser Prozess soll hier nur in der gebotenen Kürze angerissen werden³⁴: Der seit 1882 zwischen Italien, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich bestehende Dreibund war, was das italo-österreichische Bündnis betraf, von Anfang an eine „unnatürliche Allianz“ gewesen.³⁵ Der austro-italienische Antagonismus, der aufgrund der italienischen Ansprüche auf die sog. Irredenta ³⁶ (namentlich auf Trient und Triest) stets virulent blieb, war lediglich ausgeklammert und nicht gelöst worden. Zwischen Italien und Deutschland bestanden solche Gegensätze jedoch nicht. 1914 war der Dreibund für Italien trotzdem nur noch ein Vertrag unter anderen, zumal es seit 1902 auch mit Frankreich einen bilateralen Freundschaftsvertrag abgeschlossen hatte. Dennoch galt Italien in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit immer noch als Verbündeter, zumal sich die wechselseitigen Beziehungen sehr eng gestalteten: Besonders auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet ging von Deutschland der stärkste Einfluss aller Staaten aus, später nur vergleichbar mit der ab 1945 dominierenden anglo-amerikanischen Einwirkung. Das Deutsche Reich war Italiens wichtigster Außenhandelspartner, das italienische Offizierskorps durch die lange Zusammenarbeit mit Deutschland mehrheitlich germanophil, die italienische Professorenschaft ebenso beeindruckt von der deutschen Technik und Naturwissenschaft wie von deutschen Beiträgen auf literarischem oder philosophischem Gebiet. Dennoch hatte seit der Jahrhundertwende die positive Rezeption Deutschlands eine allmähliche Revision erfahren. Nicht ohne Grund wurde den Deutschen zum einen Überheblichkeit vorgeworfen. Selbst Benedetto Croce, zeitlebens Bewunderer der deutschen Kultur, bemerkte über einen Aufenthalt in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg: „Ich mußte oft über das Beiwort staunen, das ich auf vielen Inschriften las: ‚Deutsche Treue‘, ‚Deutsche Tapferkeit‘, ‚Deutsche Großmut‘ – und, darüber lächelnd, sagte ich zu mir selbst, es
Vossler, Karl: Italienische Literatur der Gegenwart von der Romantik zum Futurismus. Heidelberg 1914. Die italienische Übersetzung konnte sogar während des Krieges in Italien unter folgendem Titel erscheinen: Letteratura italiana contemporanea dal Romanticismo al Futurismo. Traduzione dal tedesco di Tomaso Gnoli. Napoli 1916. Gabetti, Giuseppe: Presentazione. In: Studi Germanici 1 (1935). S. 1– 4, hier S. 1– 2. Vgl. hierzu u. a. L’entrata in guerra dell’Italia nel 1915. Hrsg. von Johannes Hürter und Gian Enrico Rusconi. Bologna 2010; Afflerbach, Holger: Der Dreibund. Europäische Großmacht- und Allianzpolitik vor dem Ersten Weltkrieg. Wien 2002; Ostermann, Patrick: Duell der Diplomaten. Die Propaganda der Mittelmächte in Italien während des Ersten Weltkrieges. Phil. Diss. Weimar 2000. Fellner, Fritz: Der Dreibund. München 1960, S. 83. Mit diesem Begriff wurden die sogenannten unerlösten, also nicht zu Italien gehörenden, aber mehrheitlich italienisch besiedelten Gebiete in Österreich-Ungarn bezeichnet.
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schiene, als hätten die Deutschen sämtliche allgemeinmenschlichen Tugenden für sich beschlagnahmt.“³⁷
Zum anderen wurde dem wilhelminischen Deutschland nicht zu Unrecht eine aggressive, sozialdarwinistische und imperialistische Außenpolitik unterstellt. Bezeichnend für diese in Italien aufkommende kritische Tendenz war das 1909 erschienene Buch „La Germania Nuova“ des römischen Professors für deutsche Sprache, Giuseppe Antonio Borgese, in dem er seit 1870 eine geistige Verflachung der zuvor universalistisch ausgerichteten deutschen Kultur feststellte.³⁸ So hatte das zuvor lange positiv besetzte italienische Deutschlandbild deutliche Kratzer erhalten, als am 23. März 1908 Manacorda an der Universität von Catania zum Privatdozenten für deutsche Literatur ernannt wurde, wo er seitdem kontinuierlich unterrichtete.³⁹ Manacordas Schaffen blieb davon vorerst allerdings unberührt. Seine Arbeitsgebiete umfassten u. a. „Meister Eckhart und die altdeutsche Mystik“, „Einführung zu einem Kurs über Faust“, „Lessing als Dramenkritiker“ und „Schiller als dramatischer Dichter“.⁴⁰ Die Berufungskommission lobte seine umfangreiche Publikationstätigkeit zur italienischen und zur deutschen Literatur.⁴¹ Hervorgehoben wurde insbesondere, dass der junge Wissenschaftler, der sich der modernen Philologie widme, gleichfalls in der klassischen bewandert sei. Seine jüngste Veröffentlichung zur lateinischen Dichtung in Deutschland in der Renaissancezeit⁴², die in den Akten der renommierten Accademia dei Lincei von seinem Mentor Alessandro d’Ancona vorgestellt wurde, hob die Kommission ausdrücklich hervor.⁴³ Erstmals läge hier eine profunde Studie zu diesem Thema vor. Von Anfang an habe der junge Literaturwissenschaftler komparativ gearbeitet und wechselseitige Abhängigkeiten der beiden von ihm als national verstandenen Literaturen in den Blickpunkt gerückt.⁴⁴
Croce, Benedetto: Europa und Deutschland. Bern 1946, S. 15 – 16. Deutschland erschien ihm in einer treffenden Metapher als Gebäude aus Zement und Kristallglas mit einer mittelalterlichen Kuppel, vgl. Borgese, Giuseppe Antonio: Italia e Germania. Milano 1915, S. 172. Dekret des Unterrichtsministeriums über den Erhalt einer Privatdozentur vom 23. März 1908 sowie Dekret über den Wechsel der Privatdozentur von Dott. Guido Manacorda von Catania nach Pisa, Urkunde vom 10. November 1911. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG Istruzione Superiore Div. I, Liberi Docenti, II Serie (1910 – 1930), Busta 194, Fasc. Manacorda, Guido. Universität Catania, Libera docenza Manacorda, 1. Sitzung vom 26. November 1907, ebd. R. Università degli Studi Catania, Commissione giudicatrice della libera docenza per titoli in letteratura tedesca chiesta dal dr. Guido Manacorda, ohne Datum, S. 2, ebd.. Manacorda: Della poesia latina in Germania durante il Rinascimento. R. Università degli Studi Catania, Commissione giudicatrice della libera docenza per titoli in letteratura tedesca chiesta dal dr. Guido Manacorda, ohne Datum, S. 3, ebd. Die Kommission stellte fest, sein Wirken sei wichtig für die Verbreitung der germanistischen Arbeiten in Italien. Der Schwerpunkt, die deutsche und italienische Literatur in der Epoche der Renaissance, seine überzeugend kritische Methode, solide und fundierte Arbeiten, die Erschließung von bislang unbekannten Dokumenten bereicherten die Forschung, so lautete das Urteil der Kommission,
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Den großen Einfluss der italienischen Kultur auf das Ausland stellte das Gremium gerne fest. Hier wird das Bemühen der jungen italienischen Germanistik deutlich, sich gerade auf dem Gebiet der Sprach- und Literaturwissenschaften gegenüber dem dominierenden deutschen Einfluss zu behaupten, indem die Bedeutung des eigenen nationalen Erbes für das restliche Europa hervorgehoben wurde.⁴⁵ Diese Art der Argumentation sollte zu einem Topos der italienischen Literaturgeschichte bis 1945 werden. Schon sehr früh werden hier die Stärken und Schwächen von Manacordas germanistischem Schaffen deutlich: Zum einen war er ein fleißiger Arbeiter, der in der croceanischen Kategorie von Ästhetik und in der Vossler’schen von Nationalliteraturen und -kulturen dachte und dabei kühne Schlüsse zog. Zum anderen wird bereits der Vielschreiber sichtbar, dessen hohe quantitative Produktion zuweilen zulasten der Qualität ging: Entsprechend wurde bemängelt, dass sein Repertorium für literarische Motive von zweifelhaftem Nutzen sei, weil es nicht ausreichend kritisch und zu wenig gelehrt sei.⁴⁶ Manacorda zeigte darin seine umfangreichen Kenntnisse der internationalen Literaturen. Seine Zeitschrift, die er als fragmentarisches Manuskript vorgelegt hatte, berücksichtigte die Kommission zwar nicht, wertete sie aber als erneuten Beweis seiner Tüchtigkeit. Sie erschien 1909 unter dem Titel „Germania filologica“.⁴⁷ Liest man das Vorwort, in dem sich Manacorda in spröden Bemerkungen zur Gliederungssystematik erschöpft, so wird der positivistische Ansatz dieser Veröffentlichung mehr als deutlich.⁴⁸ Bereits ein Jahr zuvor hatte Manacorda seine erste eigene Zeitschrift mit dem Titel „Studi di filologia moderna“ gegründet. Der Palermer Germanist Michele Cometa fand noch in den 1990er Jahren lobende Worte für Manacordas Frühwerk. Die Zeitschrift stellte seines Erachtens „einen der Höhepunkte der italienischen ‚Germanistik‘ der ersten Jahre des Jahrhunderts dar“.⁴⁹
vgl. R. Università degli Studi di Catania, Commissione giudicatrice della libera docenza per titoli in letteratura tedesca chiesta dal dr. Guido Manacorda, ohne Datum, S. 6, ebd. Ebd., S. 3. R. Università degli Studi Catania, Commissione giudicatrice della libera docenza per titoli in letteratura tedesca chiesta dal dr. Guido Manacorda, ohne Datum, S. 5. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG Istruzione Superiore Div. I, Liberi Docenti, II Serie (1910 – 1930), Busta 194, Fasc. Manacorda, Guido. Es handelte sich um den folgenden Titel: Manacorda, Guido: Intorno alle fonti di alcuni motivi satirici ed alla loro diffusione durante il Rinascimento. In: Romanische Forschungen, 3 (1908). S. 733 – 760. Sie trug den sperrigen Arbeitstitel „Avviamento agli studi di Germanistica, rassegna critica di reparatori e delle fonti con appendice di un dizionario bio-bibliografico“. In dem 1909 erschienenen Konvolut kam der Bibliothekar zum Vorschein, der seine Bestände systematisch auswertet, vgl. Manacorda: Germania filologica. Darin charakterisierte sich Manacorda als Bibliothekar und Privatdozent für deutsche Literatur an der Universität von Catania. Manacorda: Prefazione, ebd., S. V–IX. Cometa: Die Germanistik in Ostsizilien (1800 – 1965), S. 410.
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Von 1911 bis 1913 leitete Manacorda die Bibliothek in Pisa.⁵⁰ Auch als Privatdozent wechselte er von der Universität von Catania nach Pisa.⁵¹ Währenddessen entbrannte über seine „Germania filologica“ eine heftige Polemik mit Farinelli, die erste der vielen hadersüchtigen Auseinandersetzungen, die Manacorda zeitlebens führte. In der erwähnten „Rivista di letteratura tedesca“ veröffentlichte Farinelli eine 166 Seiten [sic!] lange Rezension zu Manacordas Werk nebst einem 13-seitigen Aufsatz, in dem er Manacordas „Guida“ zerpflückte. Darin unterstellte er seinem jungen Kollegen, er werfe als trockener Bibliothekar nur mit Titeln um sich, ohne diese in irgendeinen Sinnzusammenhang zu stellen.⁵² Im Anschluss daran überprüfte, korrigierte und redigierte Farinelli sämtliche Angaben Manacordas, wie er es schon mit dessen langem bibliographischem Aufsatz über die lateinische Dichtung der Renaissance, der im „Giornale storico della letteratura italiana“ erschienen war, getan hatte. Manacorda wehrte sich 1911 in einem Beitrag mit dem Titel „Per due zibaldoni di Arturo Farinelli“, in dem er wiederum die Korrekturen Farinellis verbesserte und den geschwollenen Stil des Turiner Professors nicht ohne Geschick ins Lächerliche zog.⁵³ Michele Cometa bemerkte hinsichtlich der gleichermaßen hitzigen wie grotesken Polemik zwischen Manacorda und Farinelli lakonisch: „Dieser Zwist bedeutete gewiß kein Ruhmesblatt in der Fachgeschichte.“⁵⁴ Im Rahmen des oben beschriebenen Streits mit Farinelli geriet der weitgehend unbekannte Privatdozent außerdem in Konflikt mit dem neuen „Star“ der literarischen Avantgarde, Giovanni Papini, der 1912 gerade mit seinem Buch „Un uomo finito“ – zu Deutsch: „Ein erledigter Mensch“ – hatte aufhorchen lassen.⁵⁵ Papini war im Jahre 1906 seinem Freund Ardengo Soffici⁵⁶ nach Paris gefolgt, wo er mit führenden Intellektuellen und Künstlern wie Henri Bergson, André Gide, Pablo Picasso und Georges Sorel in engem Austausch stand.⁵⁷ In der Polemik schlug sich Papini in einem Artikel in der „Voce“ auf die Seite Farinellis, den er persönlich kannte.
Stato di Servizio del Signor Manacorda, dott. Guido, vom 29. Mai 1922. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG. Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido. Universität Pisa an das Unterrichtsministerium, Brief vom 6. November 1911. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG Istruzione Superiore Div. I, Liberi Docenti, II Serie (1910 – 1930), Busta 194, Fasc. Manacorda, Guido. Galli: „Gittando semi di titoli piuttosto che semi di pensiero“, S. 138 f. Manacorda,Guido: La fine di una polemica. In: Studi di filologia moderna 2 (1911). S. 347– 361. Michele Cometa: Die Germanistik in Ostsizilien, S. 414. Papini, Giovanni: Un uomo finito. Firenze 1913. Das Werk befasst sich in der Form einer Autobiografie mit den Depressionen der jungen Generation. Es thematisiert an der Schwelle zum Ersten Weltkrieg die schmerzhaft empfundene Diskrepanz zwischen der Sehnsucht nach Heroismus und mutlosem Verzagen bis hin zum Todeswunsch“, vgl. Harenberg Lexikon der Weltliteratur. Bd. 2. Dortmund 1989, S. 878. Der Maler Ardengo Soffici (1879 – 1964) ist nach Ansicht von Renzo de Felice derjenige der alten Weggefährten Mussolinis gewesen, dem sich der „Duce“ am meisten verbunden fühlte, vgl. De Felice, Renzo: Prefazione. In: Yvon De Begnac: Taccuini mussoliniani. Bologna 1990. S. VII–XVII, hier S. XIII. Lovreglio, Janvier: Une odyssée intellectuelle entre Dieu et Satan. Bd. 1: L’homme. Phil. Diss. Paris 1973, S. 71.
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Manacorda warf er gekränkte Eitelkeit vor. Er wende sich gegen Leute, die ihr Wissen nur aus Büchern schöpften, aber keinem Geistesadel angehörten, kanzelte er Manacorda ab.⁵⁸ Der so Angegriffene wandte sich daraufhin an den Direktor der „Voce“, Giuseppe Prezzolini:⁵⁹ Die letzte Nummer der „Voce“ habe einen Artikel Papinis enthalten, in dem lügenhafte Anschuldigungen gegen ihn geäußert würden. Er forderte ein Ehrengericht, um den Fall Farinelli-Manacorda-Papini zu diskutieren. Zu diesem Zeitpunkt deutete somit nichts auf die enge politische Zusammenarbeit zwischen Papini und Manacorda hin, die in den 1930er und 1940er Jahren mit ihrem faschistisch-katholischen „Denkstil“ maßgeblich das Regime stützten. Doch war schnell klar, dass Manacorda der öffentliche Zwist mit Farinelli langfristig nicht schadete. Mit seinen Studien zu Verlaine und Novalis in „Hortus conclusus“ fand er in Fachkreisen breite Anerkennung⁶⁰, sodass ihn am 16. Oktober 1913 die Universität Neapel zum Außerordentlichen Professor für deutsche Literatur berief. Seine Berufung auf den neu gegründeten Lehrstuhl hatte er maßgeblich Croce zu verdanken, der Manacordas Bruder Giuseppe sehr schätzte. Dennoch warf Guido Manacorda seinem Förderer bald einen Mangel an Gefühl und Religiosität vor.⁶¹ In seinen Äußerungen kommt, neben persönlichen Befindlichkeiten, die lebensphilosophische Ablehnung des von Croce personifizierten Intellekts deutlich zum Ausdruck. Der idealistische Philosoph verstünde das Leben nicht, wie Manacorda gegenüber Victor Klemperer abfällig urteilte.⁶² Auf diese unter jungen Intellektuellen weitverbreitete Kritik an Croces Idealismus wird weiter unten noch eingegangen. Allerdings war Manacorda zu dieser Zeit, trotz seiner demonstrativen Abkehr von Croce, immer noch sehr durch dessen Denken geprägt.⁶³ Umgekehrt bereute offensichtlich Croce seinerseits, Manacorda gefördert zu haben. Gegenüber Klemperer charakterisierte er ihn als „eitlen und unklaren Kopf“, der mit seinem „ewigen Wagnerkolleg“ seine Professorenpflicht vernachlässige.⁶⁴ Victor Klemperer hingegen relativierte unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Italien, das er mit allen Reichsdeutschen im Mai 1915 nach der italienischen Kriegs-
Der Grund für Manacordas Verhalten liege darin, dass er bei einem Wettbewerb um eine Professorenstelle, bei der Farinelli in der Berufungskommission gesessen habe, als Bewerber nicht berücksichtigt wurde. Manacorda, der bis dahin Elogen auf Farinelli verfasst habe, um Karriere zu machen, habe sich von da an nun gegen seinen vermeintlichen Mentor gewandt, vgl. Papini, Giovanni: Per Farinelli e per la verità. In: La Voce vom 4. Januar 1912. S. 729. Guido Manacorda an Giuseppe Prezzolini, Brief vom 9. Januar 1912, APC Fiesole, Archivio Papini. Falconi, Carlo: La Chiesa e le organizzazioni cattoliche in Italia 1945 – 1955: Saggi per una storia del cattolicesimo italiano nel dopoguerra. Torino 1956, S. 178. Im Jahre 1914/15 arbeitete Klemperer als Lektor am Lehrstuhl Manacordas eng mit diesem zusammen. Klemperer,Victor: Curriculum Vitae. Erinnerungen eines Philologen. 1881– 1918. Bd. 2. Berlin (Ost) 1989, S. 116. Zu Manacordas Kritik an Croce hier und im Folgenden vgl. S. 128 u. 139. Klemperer: Curriculum vitae. Bd. 2, S. 140. Dies lässt sich u. a. an der idealistischen Perspektive der erwähnten Studie Manacordas „Hortus conclusus“ zeigen, vgl. Falconi: La Chiesa e le organizzazioni cattoliche in Italia, S. 178. Klemperer: Curriculum vitae. Bd. 2, S. 239.
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erklärung an Wien verlassen hatte, die akademischen Leistungen Manacordas aufs Äußerste: Ich will über seine wissenschaftliche Leistung nicht absprechend urteilen. Er war ein denkender und fleißiger Mensch. Er gab eine Zeitung heraus, die ‚Studi di Filologia moderna‘, ließ unter Croces Ägide eine Serie deutscher Klassik in italienischer Übersetzung bei Laterza erscheinen, sein Kolleg über Richard Wagner […] war gediegen.⁶⁵
Seine Forschung und Lehre habe sich aber ganz auf den deutschen Komponisten beschränkt: Der Lehrstuhl für deutsche Literatur wurde zugleich mit dem deutschen Lektorat im Winter 1914 in Neapel errichtet. Durch drei Semester hindurch hat Manacorda als eigentlich einziges Kolleg über Richard Wagner gelesen. Ich will keineswegs sagen, daß diese Vorlesung an Ernst und Tiefe Mangel litt. Das Gegenteil war der Fall. Aber ist es das qualitativ Richtige, wenn es sich darum handelt, erste Begriffe von der ungeheuren Fülle unserer Dichtung zu übermitteln, anderthalb Jahre lang ausschließlich an einem neueren Autor zu haften?⁶⁶
Aus heutiger Perspektive erscheinen die beiden negativen Urteile des über die italienische Intervention verbitterten Klemperer und des von Manacordas Charakter enttäuschten Croce zu harsch. Schließlich gilt Manacorda doch bis in die Gegenwart als der italienische Wagner-Übersetzer schlechthin, der damit einen wichtigen Beitrag zum deutsch-italienischen Kulturtransfer leistete.⁶⁷ Nach dem Krieg übertrug er nicht nur dessen gesamtes Werk, sondern setzte damit auch qualitativ neue Maßstäbe. Das bleibt seine eigentliche Leistung als Germanist, und noch heute sind seine Übersetzungen in den Buchhandlungen zu finden. Hinzu kommt, dass die Lehrtätigkeit der Professoren an italienischen Universitäten zu dieser Zeit im Umfang sehr beschränkt war. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 gerieten die Intellektuellen in ganz Europa in den Sog des nationalen Taumels und der Kriegsbegeisterung. Auch Italien bildete darin keine Ausnahme, wenngleich hier neutralistische
Ebd., S. 121. Klemperer, Victor: Die letzten Friedensmonate in Italien. In: Kriegshefte der Süddeutschen Monatshefte. Juni 1915. Hrsg. von Paul Nikolaus Cossmann. S. 434– 453, hier S. 447– 448. Der Aufsatz Klemperers ist wiederabgedruckt im Anhang von Patrick Ostermann: Un celebre cronista del ‚Terzo Reich‘, un italianista dimenticato.Victor Klemperer e la romanistica tedesca prima della Grande guerra. In: Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento 27 (2001). S. 107– 153. Die ersten Übertragungen von Wagner ins Italienische nahm Arrigo Boito im Jahre 1868 vor. Die rhythmischen Übersetzungen des bekanntesten und umstrittensten Wagner-Übersetzers überhaupt, Angelo Zanardini, blieben unbefriedigend. Unter den rein literarischen Übertragungen „ragt das von dem Germanisten Guido Manacorda […] Geleistete hervor, der zwischen 1919 und 1926 eine ausführlich kommentierte Gesamtübersetzung der Werke vorlegte, wodurch Wagner der italienischen Kultur endlich in toto zugänglich wurde“, vgl. Heitmann, Klaus: Das italienische Deutschlandbild in seiner Geschichte. Bd. 2: Das lange neunzehnte Jahrhundert (1800 – 1915). Heidelberg 2008, S. 432.
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Tendenzen, relativ gesehen, zunächst stärker waren als anderswo.⁶⁸ Doch je länger der Krieg dauerte, desto deutlicher kamen auch hier die unterschwelligen langfristigen nationalistischen Denktraditionen, die in Friedenszeiten eher latent vorhanden waren, zum Tragen.⁶⁹ Insbesondere die Germanisten konnten sich dem antideutschen risorgimentalen Fremdbild umso weniger entziehen, wie sich das deutsch-italienische und vor allem das italienisch-österreichische Verhältnis im Dreibund dramatisch verschlechterte: Italien hatte sich – im Einklang mit den Bestimmungen des Dreibundvertrages – am 3. August 1914 für neutral erklärt, da die Habsburgermonarchie ihr Vorgehen gegen Serbien nicht mit Rom abgesprochen hatte, um der Frage nach italienischen Aspirationen auf das Trentino auszuweichen.⁷⁰ Berlin verhinderte die Politik Wiens nicht. Damit war schon vor Kriegsausbruch das diplomatische Dilemma der künftigen Mittelmächte vorgegeben. Eine Abtretung des Trentino durch die Habsburgermonarchie wurde in den Folgemonaten allerdings zur italienischen Mindestforderung für die Neutralität. Die strikte Weigerung Wiens, dem nachzugeben, führte Italien im April 1915 auf die Seite der Entente. Im Mai 1915 erklärte Italien Österreich-Ungarn den Krieg. Schon im Herbst 1914 rückten die auflagenstarken, führenden liberalen Zeitungen vom Dreibund ab. Wie die öffentliche Meinung, so spalteten sich die politischen Lager in Kriegsgegner und -befürworter. Im Unterschied zu anderen neutralen Staaten, in denen die Mittelmächte die Unterstützung gerade der konservativen Kreise erhielten, wandte sich in Italien die große Mehrheit der konservativen Liberalen, die die Regierung Antonio Salandra stellte, von ihren alten Alliierten ab. Lediglich der kleinere Teil der Konservativen, die mit Deutschland eng verflochtenen Wirtschaftskreise sowie die organisierten Katholiken und der ganz überwiegende Teil des Klerus⁷¹, blieben Dreibundanhänger bzw. plädierten für die Beibehaltung der italienischen Neutralität. Einige germanophile Intellektuelle und Politiker – darunter Benedetto Croce – formierten sich im Herbst 1914 zu einer eigenen Vereinigung mit dem Namen Pro Italia Nostra. ⁷² Die demokratischen, radikalen und Vgl. Vincenzo Calì, Gustavo Corni und Giuseppe Ferrandi (Hrsg.): Gli intellettuali e la Grande guerra. Bologna 2000. Vgl. Einleitung. Vgl. Fellner: Der Dreibund, S. 82 u. S. 92 sowie Valiani, Leo: La dissoluzione dell’Austria-Ungheria. Milano 1966, S. 103. Viele Katholiken und der Vatikan sympathisierten mit der apostolischen Habsburgermonarchie als der letzten katholischen Großmacht. Hinzu kam, dass sich die organisierten italienischen Katholiken – seit der Annexion des Kirchenstaates durch die Savoyermonarchie 1870 – der Teilnahme am politischen Leben Italiens weitgehend enthalten hatten. Vgl. Molinari, Majolo: La stampa periodica romana dal 1900 al 1926, Scienze morali, storiche e filologiche. Bd. 1. Roma 1977. S. 421– 424. Es handelte sich um vorwiegend ältere, nicht selten prominente Wissenschaftler, die sich durch akademische Beziehungen und konservatives Gedankengut an Deutschland gebunden fühlten. Zu dieser Gruppe zählte neben Croce der Philologe Cesare De Lollis, der Dichter Domenico Gnoli und der Historiker Ettore Di Ruggiero. Eine geringe Rolle spielten familiäre Bindungen wie im Falle des Dichters Domenico Gnoli. Vgl. Bericht der Pubblica Sicurezza vom 17. November 1914. In: ACS Rom, Ministero dell’Interno, DG Pubblica Sicurezza, Cat. A5G Ia guerra mondiale, Busta 128, fasc. 262, sottofasc. 7.
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republikanischen sowie syndikalistischen Strömungen bezogen ohnehin Stellung für die französische Republik und das parlamentarische Großbritannien. Immerhin blieb die sozialistische Partei (PSI) als einziges großes Mitglied der Ersten Internationalen vom Chauvinismus verschont. Nur eine – freilich lautstarke – Minderheit um den Avanti!-Chefredakteur Benito Mussolini konvertierte vom absoluten Neutralismus hin zum unbedingten Interventionismus und spaltete sich im Oktober 1914 ab.⁷³ Die faschistischen Rollkommandos vorwegnehmend, beherrschten die Interventionisten mit ihren Kampagnen, Demonstrationen und teilweise auch Übergriffen zusehends die Straße und den öffentlichen Raum, wie es Klemperer selbst erlebte.⁷⁴ Das akademische Milieu war gespalten: Während die ältere Professorenschaft, wie gesehen, latent für Deutschland oder zumindest für die Neutralität eintrat, begeisterten und engagierten sich viele Studenten, jüngere Dozenten und Hochschullehrer für die Sache der Interventionisten. Zu ihnen gehörte Manacorda. In diesem Kontext der heftigen Auseinandersetzung unter den italienischen Intellektuellen um die Perzeption Deutschlands richtete sich Klemperers Mentor Karl Vossler am 19. Oktober 1914 im „Giornale d’Italia“ an die „wahren Freunde Italiens“. Er gehöre zu den Deutschen, die Italien am meisten verbunden seien, Vossler appellierte aber an Italien, dass es im Interesse beider Länder liege, den gemeinsamen Weg im Dreibund weiter zu bestreiten.⁷⁵ Privat äußerte sich der selbst ernannte Semiitaliener Vossler gegenüber Klemperer übrigens weitaus weniger freundlich über seine zweite Heimat: Seines Erachtens „seien sie [die Italiener] durch ‚politisches Schmarotzertum‘ groß geworden und das merke man ihrer Politik an: schlau im Kleinen, dumm, kraftlos im Großen“.⁷⁶ Daraufhin verfasste der gar nicht direkt angesprochene Manacorda einen offenen Brief an Karl Vossler, der unter dem Titel „Pro aris et focis“ erschien, worin er in der einflussreichen Florentiner Zeitschrift „Marzocco“ in typisch risorgimentaler Manier und erstmals auf Basis einer scheinbar wissenschaftlich abgesicherten dichotomischen Konstruktion eines ewigen Gegensatzes zwischen Romanität und Germanität
Vgl. Vigezzi, Brunello: L’Italia di fronte alla prima guerra mondiale. Bd. 1: L’Italia neutrale. Milano 1966. Klemperer: Friedensmonate in Italien, S. 451. Vgl. Lettera di Carlo Vossler su l’Italia e la Germania. In: Giornale d’Italia vom 19. Oktober 1914. S. 3. Vossler gehörte zu den Unterzeichnern des am 4. Oktober 1914 veröffentlichten und in zehn Sprachen übersetzten Aufrufs „An die Kulturwelt“. Die 93 Wissenschaftler und Künstler, die ihn unterschrieben hatten, stellten das Reich als Verteidigerin der europäischen Zivilisation dar und bekannten sich zum „deutschen Militarismus“, vgl. Brocke, Bernhard von: Wissenschaft und Militarismus. Der Aufruf der 93 „An die Kulturwelt!“ und der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik im Ersten Weltkrieg. In: Wilamowitz nach 50 Jahren. Hrsg. von W. M. Calder III. u. a. Darmstadt 1985. S. 649 – 717, hier S. 657. Vossler verteidigte in einem Brief an Croce den deutschen Militarismus als Erzieher der Jugend zur Pflicht. Vossler an Croce, Schreiben vom 28. Oktober 1914. In: Carteggio Croce-Vossler, S. 190 – 191; Vom Freund- zum Feindbild in Zeiten des Krieges. Über den Wandel in Victor Klemperers Italienperzeption. In: Leviathan 2 (2003), S. 219 – 241. Klemperer: Curriculum vitae, S. 192.
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die italienische Intervention gegen Österreich-Ungarn befürwortete. In mancherlei Hinsicht stellt dieser Artikel eine Wende in seinem Schaffen dar, da er hier erstmals seine Konzeption eines vorerst noch positiv besetzten, weil von ihm noch immer bewunderten germanischen Fremdbildes mit einer nationalistischen politischen Aussage verband. In dem besagten offenen Brief Manacordas an Vossler forderte er, Italien müsse seinen Landsleuten in der Habsburgermonarchie zu Hilfe eilen und ggf. aus egoistischem Lebens- und Machtwillen intervenieren, nicht aber aufgrund universaler Werte.⁷⁷ Deutschland warf er vor, es kämpfe nur für seine eigenen Interessen. Auch Italien habe seinen vom Volk gewollten Militarismus, um die schrecklichen dekadenten Effekte von Pazifismus und Antimilitarismus zu überwinden. Dieser sei Ausdruck des „Lebenswillens und der Stärke“ einer kühnen Jugend. Wie Manacorda der Direktion des „Marzocco“ schrieb, bezweckte er, der deutschen Kulturwelt bezüglich ihres Ansehens in Italien die Illusionen zu nehmen.⁷⁸ Manacordas Vorstellung von einem ewigen Gegensatz zwischen beiden Kulturen war noch ausgeprägter geworden. Das positiv besetzte Bild der Romanität kontrastierte er jetzt mit einer Negativfolie der sog. Germanität. Die antike römische Geschichte der Eroberung eines Weltreichs projizierte er auf die Gegenwart, wobei er die militärische Schwäche Italiens, die mit diesen neoimperialen Phantasmagorien nur schwer in Einklang zu bringen ist, fast völlig außer Acht ließ, wie Klemperer feststellen musste: Ich hatte einen heftigen Zusammenstoß mit einem feinen und guten Menschen, dem Professor der deutschen Literatur an der Universität Neapel. Manacorda, der nicht nur die deutsche Dichtung, sondern auch Deutschland selber sehr genau kennt, hat die Weihnachtsferien zu Vorträgen in Oberitalien benutzt, die zum Kriege aufriefen. Ich sagte es ihm, und er leugnete es mit der Entrüstung eines guten Gewissens. Er solle zum Kriege aufgerufen haben? Aber doch nicht zum Kriege in diesem Augenblick! Was er gepredigt habe, sei nur die Stählung der Körper und Gemüter für einen irgendwann kommenden Krieg. Und solche Stählung und solcher Zukunftskrieg seien notwendig, um das italienische Volk gesunden zu lassen. Er solle zum Krieg gegen die Zentralmächte aufgerufen haben? Er habe von unbefreiten italienischen Ländern überhaupt gesprochen, und solche lägen im Westen genau so gut wie im Osten. In diesem Augenblick müßten dennoch alle seine Worte allein als Kriegsruf gegen uns erscheinen? Höchstens gegen Österreich, nicht gegen Deutschland. Und die Bündnistreue? Treu sein müsse man dem Vaterland und dem Ideal, und das Zerreißen papierener Verträge habe Deutschland gelehrt. Und das Ehrenhafte, dem bedrohten Freunde von gestern in den Rücken zu fallen? Auch hierin könne man von Deutschland lernen, das deutsche Offiziere im Tripoliskrieg gegen Italien stellte. Und übrigens: Italien werde niemals gegen die unterliegenden Zentralmächte marschieren, nein, gerade gegen die siegreichen – und das nicht nur für Italien, sondern um der Sache der Menschheit willen, denn der Deutsche als Eroberer sei nie Kulturträger gewesen wie der Römer der Antike, und wie es das moderne Rom auch heute in seinen afrikanischen Provinzen sei … Das klingt alles phrasenhaft; wer den Menschen in der ganzen Lauterkeit seines Wesens, in seiner hundertmal den verschiedensten Personen und Gelegenheiten gegenüber bewiesenen Güte kennt, wer das Zittern seines
Vgl. Manacorda: Pro aris et focis, S. 2. Vgl. Guido Manacorda an die Direktion des „Marzocco“, Brief vom 29. Oktober 1914. In: ACGV Florenz, Or. 1.1416.3.
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Herzens unter solchen Reden vernommen hat, der weiß genau, daß hier von bewußter Lüge keine Rede sein kann. Manacorda, ein schwacher, kränklicher Mensch und eifriger wissenschaftlicher Arbeiter, hat sich bereits in den letzten Ferien privatim im Fechten und Schießen ausbilden lassen, um nur gleich als Freiwilliger bereit zu sein, wenn ihn das Vaterland ruft. Manacorda ist ein Typus; in dieser freiwilligen Waffenausbildung wie in seiner Denkart hat er viele Genossen.⁷⁹
Als die Kriegserklärung an Österreich im Mai 1915 unmittelbar bevorstand und Klemperer mit der deutschen Kolonie Italien verließ, um in Deutschland in die Armee eingezogen zu werden und an die Front zu gehen, wurde die letzte Begegnung mit Manacorda für ihn wiederum zu einem Schlüsselereignis: Den traurigsten persönlichen Eindruck aber habe ich im letzten Augenblick in Neapel gehabt: Als sich der beste Mensch, der reinste und verblendetste, von mir verabschiedete. Er wußte, daß ich zum Landsturm aufgerufen war, ahnte und hoffte, daß deutsche Truppen bald den italienischen gegenüberstehen würden, und zählte sich selbst schon zum italienischen Heer. Er umarmte mich sehr ergriffen und sagte, da ich meine Verwunderung nicht ganz verbergen konnte, ich möchte ihn doch küssen, und wir sollten uns über alles Kommende hinweg treue Freundschaft halten. Daß bei diesem Menschen so gar keine Komödie im Spiel war, daß so viel Sinnlosigkeit aus so reinem Herzen wachsen konnte und ringsum Unheil wirken mußte, das ist mein traurigstes Erlebnis.⁸⁰
In einem im Juni 1915 erschienenen Beitrag für die „Nuova Antologia“, den Manacorda noch vor dem italienischen Kriegseintritt verfasst hatte, finden sich die Beobachtungen Klemperers systematisch ausgeführt wieder. Manacorda unterscheidet darin die deutsche nun grundsätzlich von der italienischen Kultur. Die aus seiner Perspektive nur auf sich bezogenen Germanen bzw. Deutschen seien unfähig, mit anderen Völkern in einen Kulturtransfer zu treten, weil ihre Selbstbezogenheit sie gegenüber der Außenwelt gewalttätig und intolerant werden lasse.⁸¹ Nur so hätte sich die germanische Kultur des 2.000-jährigen Austausches mit der Romanität erwehren können.⁸² Den Germanen fehle das politische Gefühl. Sie strebten seit jeher nach den mystischen absoluten, von Manacorda als orpheisch bezeichneten Werten, denen er die olympischen Partikularwerte der Romanen (und damit auch der Italiener) entgegenstellte, die aber ihrerseits – und hier wird seine Begrifflichkeit endgültig diffus – orpheische Merkmale aufwiesen, die den germanischen überlegen seien. Deshalb stünden sich, so der junge Germanist, seit der Schlacht vom Teutoburger Wald die lateinische und die germanische Welt in einer endlosen Reihe von Kriegen und Konflikten gegenüber, die in der Geschichte der Völker beispiellos sei.⁸³ Nur bei einzelnen Stämmen sei es den Romanen gelungen, diese zu assimilieren; es müsse aber
Klemperer: Die letzten Friedensmonate in Italien, S. 440 – 441. Ebd., S. 453. Manacorda: Civiltà tedesca e civiltà italiana, S. 8. Ebd., S. 11. Ebd., S. 3.
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die Aufgabe sein, die Germanen insgesamt zu zivilisieren.⁸⁴ Wie der fatalistische germanische Götterglaube beweise, der der Götterdämmerung entgegensehe, sei die germanische eine nach innen gerichtete Kultur des Schmerzes und des abstrakten Absoluten. Diese Innerlichkeit sei beim Mystizismus Eckharts bis hin zu Leibniz, Kant, Schopenhauer, Fichte und Hegel nachweisbar.⁸⁵ Außerdem versuchte Manacorda anhand der Bereiche Architektur, Literatur, Malerei und Musik aufzuzeigen, dass die germanische Kultur keinen originären Beitrag zur konkreten, realen Welt geleistet und höchstens die klassische griechisch-lateinische Kultur imitiert habe. Politisch komme die Unfähigkeit der Deutschen, andere Völker zu assimilieren, zum Ausdruck, wie das angebliche Versagen der Österreicher in Trient oder der Preußen gegenüber den Polen und Elsässern zeige.⁸⁶ Hingegen sei der griechisch-lateinische Olymp durch die Freude charakterisiert. In einer Anmerkung, die er nach der Intervention seines Landes in Deutschland schrieb, spitzte Manacorda seine These noch einmal dramatisch zu, indem er einen neuen italienischen „transzendenten Heroismus“ propagierte, der den „Mechanismus“ eines eisigen und unfruchtbaren intellektuellen Dandytums beiseitegeschoben habe. Die Ansprachen von Ministerpräsident Antonio Salandra seien Ausdruck des vollkommenen Olympismus gewesen.⁸⁷ Und noch einen weiteren schmalen Aufsatz publizierte er während des Krieges in der „Nuova Antologia“. Dieser ist insofern höchst bedeutsam, weil darin sämtliche Grundzüge seines späteren faschistisch-katholischen Denksystems – wenn auch noch in eingekapselter Form – enthalten sind. Insbesondere die drei folgenden wesentlichen Elemente nahm er vorweg: erstens die erwähnte Konstruktion eines germanischromanischen Gegensatzes. Eine germanische „Hydra des Mechanismus“ bedrohe mit ihren Tentakeln die freie lateinische Welt.⁸⁸ Zweitens der Kampf gegen den Rationalismus: Hier wandte er sich gegen einen falschen Intellektualismus, der verantwortlich sei für die kalte Mechanik: Intelligenz bedeute Schmerz und Irrtum⁸⁹. Rationalität wie die Katastrophenökonomie von Marx und der kalte Idealismus Hegels – so der Seitenhieb auf Croce und auf die deutsche Geschichtsphilosophie – führten zu vernunftgeleitetem, kaltem Hass. Logik bedeute die Leugnung der Existenz Gottes. Doch Manacorda beließ es nicht bei dieser Pauschalkritik an der Moderne, als deren Verkörperung er aus seiner nationalistischen Perspektive die deutsche Industriegesellschaft und deren Kultur begriff. Daher plädierte er drittens unter Bezug auf Tolstoi und Bergson für das Prinzip des Gefühls und die Erlösung durch einen neuen, durch einen intuitiven Gottesglauben getragenen Mystizismus.⁹⁰ Diesem vitalistischen Mystizismus fehlt aber zu diesem Zeitpunkt noch der Bezug zur katholischen Lehre, da Ma-
Ebd., S. 12. Ebd., S. 6. Ebd., S. 8. Ebd., S. 15, Anm. 1. Manacorda: Meccanismo, intellettualismo e misticismo, S. 141. Ebd., S. 143. Ebd., S. 149.
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nacorda damals kein praktizierender Katholik war. Insofern war die darin enthaltene „Leitidee“ noch nicht ontologisch fundiert, sondern blieb vorerst eine voluntaristische Mobilisierungsidee im Sorel’schen Sinne des heroischen „sozialen Mythos“⁹¹, der sich bereits auf die Nation bezog. Insbesondere die Differenzbehauptung zur Germanität und die palingenetische Vorstellung eines durch den Krieg erweckten „transzendenten Heroismus“ erwiesen sich darüber hinaus als anschlussfähig an die faschistische Romanità-Projektion der Nachkriegszeit. Wie ist diese erste politische Beschreibung der germanischen Welt durch Manacorda zu bewerten und wie groß war ihre Reichweite? Wie gesehen, handelte es sich um eine mit spezifisch kulturellen Zuschreibungen aufgeladene Zivilisationskritik und damit um eine konservative Reaktion – eine progressive Variante wäre der Erste Futurismus – auf die Modernisierungsschübe, von denen Italien zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfasst wurde. Von der kulturellen und sozialen Verortung seines „Denkstils“ wird weiter unten noch die Rede sein. Es zeigt sich, dass seine Auslassungen beileibe keine Ausnahme waren. Im Ersten Weltkrieg war es geradezu ein Topos einer immer hysterischeren Propaganda, dass die Deutschen seit jeher in allen ihren Bestrebungen – sei es militärisch, als Wissenschaftler, Touristen oder als Träger eines heimtückischen Kapitalismus – Italien unterwandern und zerstören wollten.⁹² Diese Kampagne aus interventionistischen Kreisen führte sogar zur Gründung einer Antideutschen Liga. ⁹³ Germanophobe Wahrnehmungsmuster mischten sich dabei mit antisemitischen Reminiszenzen zu einem neuen synkretischen Konglomerat von Bedrohungsvorstellungen. Der Jesuit Giovanni Preziosi behauptete beispielsweise in der Zeitschrift „La Vita italiana all’estero“, die von den deutschstämmigen jüdischen Di-
Sorel selbst schreibt 1906 über die politischen Mythen, sie spiegelten die vitalsten Tendenzen eines Volkes, einer Partei oder einer Klasse wider, weil sie die mit ihnen verbundenen Hoffnungen veranschaulichen, und damit bestärken würden. Sorel nennt das Beispiel des starken Glaubens der ersten Christen. Ihre feste Überzeugung, dass das Reich Gottes unmittelbar bevorstehe, habe ihr Handeln so erfolgreich gemacht. Er war der Auffassung, man müsse Mythen alleine nach ihrer Wirkung auf die Gegenwart beurteilen. Die Ganzheit des Mythos sei ausschließlich von Interesse, seine Teile nur im Bezug auf diese Ganzheit, vgl. Sorel, Georges: Über die Gewalt. Frankfurt a. M. 1981, S. 141– 145. Nach Sternhell sind Sorels Mythen „Bildwerke, die den Menschen erlauben, die an den großen sozialen Bewegungen teilnehmen, sich ihr bevorstehendes Handeln in Gestalt von Schlachtbildern vorzustellen, die den Triumph ihrer Sache sichern“, vgl. Sternhell, Zeev, Mario Sznajder, Maia Asheri: Die Entstehung der faschistischen Ideologie: Von Sorel zu Mussolini. Hamburg 1999, S. 81. Sorel gehe dabei auf den Inhalt von Mythen nicht ein, verzichte gar auf eine Definition des Begriffs, sondern konzentriere sich auf ihre soziale Funktion, ebd. S. 82. Vgl. Gray, Ezio M.: Germania in Italia, (Problemi Italiani, Bd. 21). Milano 28. Juni 1915. Nach dem Ersten Weltkrieg machte Gray im Faschismus Karriere und blieb bis nach 1945 mit Manacorda befreundet, vgl. hierzu und im Folgenden: Ostermann: Duell der Diplomaten, S. 218 – 220. Zu diesem Ergebnis kommt auch Gabriele Clemens, vgl. Clemens, Gabriele: Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 106). Tübingen 2004. Vgl. La Lega antitedesca al Congresso Interventista di Milano del 21– 22 Maggio 1916. Hrsg. von der Lega italiana antitedesca. Genova 1916.
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rektoren Otto Joel und Federico Weil geleitete Banca Commerciale sei ein trojanisches Pferd der Deutschen zur Vernichtung Italiens.⁹⁴ Diese Verschwörungstheorie war im Kern der Prototyp eines faschistischen Ideologems. In diesem Zusammenhang überrascht es auch nicht, dass Preziosi 1921 die antisemitischen sog. Protokolle der Weisen von Zion edierte und im März 1944 in Salò zum „Generalinspektor für Rasseangelegenheiten“ ernannt wurde.⁹⁵ Allerdings waren die auf die Deutschen bezogenen Merkmale des Feindbilds austauschbar, sofern das zugrundeliegende modernisierungsfeindliche Deutungsmuster erhalten blieb. Im Zweiten Weltkrieg setzten die faschistischen Agitatoren, und insbesondere die faschistischen Katholiken wie Papini, an die Stelle der nun verbündeten Deutschen die „plutokratischen Angelsachsen“, gegen die jetzt der Vorwurf erhoben wurde, ihre Nation sei von den Juden infiltriert.⁹⁶ Methodisch übertrug Manacorda die Quintessenz seiner bisherigen Studien über die Deutschen, hier vor allem zu Wagner, indem er seine literaturwissenschaftlichen Schlüsse auf alle Bereiche und als ewig geltende Eigenschaften des deutschen Volkscharakters verallgemeinerte. Denn in Wagners Opern glaubte er einen mystischen germanischen „Willen zum Schmerz“ und die Sehnsucht nach dem „schönen Tod“ („bella morte“) zu finden, die er als orpheisch bezeichnete.⁹⁷ Wenn er auch konzedierte, dass sich Wagner als Künstler seinen eigenen Kosmos geschaffen und die reale Welt um ihn herum ausgeblendet habe⁹⁸, so nahm er dessen Kunst doch als Ausdruck der Tiefen der deutschen Volksseele. Natürlich wirkten diese Thesen in der aufgeheizten germanophoben Stimmung im Zuge des italienischen Kriegseintritts politisch und stießen durchaus auf Zustimmung. Anerkennung fand ebenso die von Manacorda bezeugte unbedingte nationale Gesinnung. Entsprechend lobte die Kommission der Universität Neapel, die ihn nach Kriegsende im November 1918 zum Ordinarius berief, dass er als Frontkämpfer seinen Mut mehrfach unter Beweis gestellt habe und drei Mal ausgezeichnet worden sei. Tatsächlich hatte Manacorda als Leutnant einer speziellen Kommandogruppe angehört, die im Jahre 1918 Flüge in das von den Österreichern besetzte Nordostitalien unternahm. In das Feindgebiet wurden u. a. Nachrichten, Brieftauben, aber auch Agenten bzw. Kundschafter abgesetzt. Manacorda gehörte jedoch nicht zu denjenigen, die hinter die feindlichen Linien gegangen waren.⁹⁹ Seine peinliche, bereits drei Monate nach Kriegsende veröffentlichte Selbstapotheose – sie trug in Anspielung auf
Die Artikel erschienen 1915 als Buch, vgl. Preziosi, Giovanni: La Germania alla conquista dell’Italia. Con prefazione dell’on G. A. Colonna Di Cesarò. Firenze 1915 sowie Ostermann: Duell der Diplomaten, S. 188 – 189. Vgl. Sarfatti, Michele: Gli ebrei nell’Italia fascista.Vicende, identità, persecuzione. Torino 2007, S. 19 u. S. 272. Vgl. u. a. Papini, Giovanni: Italia mia. 2. Aufl. Firenze [April] 1941, S. 182. Manacorda: Del mito germanico nella tradizione nordica e nell’interpretazione wagneriana, S. 33. Ebd., S. 43 – 46. Manacorda, Guido: La „Giovane Italia“. Breve storia di una cospirazione di guerra per la liberazione delle terre invase (con documenti e ritratti). Maggio–Novembre 1918. Milano 1919, S. 199.
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Mazzinis legendärer Assoziation den Titel Junges Italien, der der Deckname der Gruppe gewesen sein soll – beschwor den eigenen Heroismus. Geradezu anbiedernd verglich er sich mit der historischen Befreiungsbewegung. Allerdings überzeugte seine wissenschaftliche Konstruktion einer sog. ewigen germanischen Kultur des Schmerzes nicht einmal in der aufgepeitschten Stimmung kurz nach Kriegsende. Die Berufungskommission unter der Leitung seines Intimfeindes Arturo Farinelli kritisierte an seiner Schrift „Civiltà tedesca e civiltà italiana“, es bleibe unklar und nicht belegt, auf welcher Grundlage Manacorda zu seinen Schlüssen gekommen sei.¹⁰⁰ Für seine Kontakte zu deutschen Gelehrten erwies sich seine Deutschland-Perzeption als nachteilig. Als Manacorda Kenntnis von den Äußerungen Klemperers erhielt, brach er die Beziehung zu ihm ab und nahm sie selbst nach Kriegsende nicht mehr auf. Beide sahen sich nie wieder. Ebenso rückte Karl Vossler von Manacorda, der ihn im September 1919 in München besuchte hatte, ab, weil ihn dessen engstirniger Nationalismus abstieß. Vossler zeigte sich befremdet von Manacorda, der „mit den ‚Arditi‘ gelebt und mit den feindlichen Granaten kokettiert haben will“.¹⁰¹ Nach Kriegsende geriet Manacorda in eine tiefe Sinn- und Lebenskrise, die aus doppeltem Grund hier von Belang ist: Zum einen konturierte sich aus dem persönlichen Bemühen Manacordas, sie zu überwinden, eine neue Phase seines „Denkstils“, indem er allmählich wieder im katholischen Glauben Zuflucht suchte, zum anderen spiegelt sich darin die gesellschaftliche Krise in Italien nach dem Ersten Weltkrieg wider, die direkt in den Faschismus führen sollte. Die von der Front zurückgekehrten Soldaten der demobilisierten Armeen hatten in allen kriegführenden Ländern Mühe, sich wieder in den Alltag einzugliedern, von dem sie durch das Kriegserlebnis entfremdet waren. Erich Maria Remarque hat die Schwierigkeit der Kriegsheimkehrer, ins zivile Leben zurückzufinden, in „Der Weg zurück“, seinem Nachfolgeroman zu „Im Westen nichts Neues“, für Deutschland eindrucksvoll literarisch beschrieben.¹⁰² Bürgerkriegsähnliche Unruhen stellten bald vielerorts in Europa die alten gesell-
Die Berufungskommission tagte am 6. November 1918 in Neapel. Positiv wurden Seminare zu Goethe, Wagner und Walther von der Vogelweide an der Universität von Neapel vermerkt. Defizite sah die Berufungskommission kaum, höchstens einige Unschärfen („indeterminatezza“) oder Ungenauigkeiten, vor allem in der philosophischen Sprache und einige Unklarheiten („oscurità“) und Unsicherheiten in seinen Schlussfolgerungen, vgl. Auszug aus dem gemeinsamen Gutachten der Berufungskommission vom 9. November unter dem Vorsitz von Arturo Farinelli. „Relazione della Commissione guiditrice per la promozione ad ordinario di Guido Manacorda P. S. di letteratura tedesca nella R. Università di Napoli“. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG. Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido. Erst zum 1. Januar 1919 sollte er zum Ordinarius ernannt werden, vgl. Guido Manacorda an Unterrichtsministerium, Brief vom 8. Mai 1922, ebd. Karl Vossler an Benedetto Croce, Schreiben vom 1. Oktober 1919. In: Carteggio Croce-Vossler, S. 237– 239. Remarque, Erich Maria: Der Weg zurück. Berlin 1931. Das Werk wurde in 25 Sprachen übersetzt. Die Auflage betrug in Deutschland allein im Erscheinungsjahr 175.000 Exemplare.
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schaftlichen und politischen Ordnungen in Frage. Besonders Italien schien in den Jahren 1919 – 1920 vor einem kommunistischen Umsturz zu stehen. Nicht wenige Kriegsveteranen – man denke an Martin Niemöller – suchten aufgrund der traumatischen Gewalt-, Verlust- und Todeserfahrungen des Weltkrieges – Trost im religiösen Glauben zu finden. Überall in Europa führten die Erfahrungen des Massensterbens zu einer Zäsur in der Erinnerungskultur und zu neuen Formen der Bewältigung von öffentlicher Trauer, etwa durch das Grab des unbekannten Soldaten in Westminster, am Arc de Triomphe und am Vittoriano. ¹⁰³ Die Trauer um die Kameraden kam auch in dem weitverbreiteten Opfergedenken zum Ausdruck. In Italien fand eine Nationalisierung des Totenkultes vor allem in den ehemaligen Frontgebieten in den Alpen und auf dem Karst statt wie durch die Errichtung von Gebeinhäusern am Grappa, am Pasubio und in Rovereto.¹⁰⁴ Über seine vermeintlichen Heldentaten in einer Einheit der Nachrichtenabteilung der Dritten Armee mit dem Namen „Giovane Italia“ schrieb Manacorda, wie erwähnt, ein schmales Büchlein, das schon 1919 erschien.¹⁰⁵ Im gleichen Jahr arbeitete er im Auftrag der Dritten Armee einen Plan für einen Erinnerungsraum aus, der vorsah, dass die ganze Hochebene des Karstes zum Monument des Krieges geweiht werde, indem durch sie eine Via Sacra führen solle.¹⁰⁶ Das Kriegsministerium legte seinen Plan zusammen mit anderen Vorschlägen des Oberkommandos dem Kabinett vor.¹⁰⁷ Gegenüber vergleichbaren Denkmalsplänen bestach der Vorschlag Manacordas, die
Tobia, Bruno: L’altare della patria. Bologna 1998, vgl. zur architektonischen Funktion dieses Monuments Rehberg, Karl-Siegbert: Institutionenwandel und die Funktionsveränderung des Symbolischen. In: Institutionenwandel. Hrsg. von Gerhard Göhler. Opladen 1997.S. 94– 118, hier S. 109. Insbesondere das Vittoriano, das für den als „Vater des Vaterlandes“ betitelten italienischen König Vittorio Emanuele II., und damit für den Ruhm der Dynastie errichtete Denkmal, fungierte nun mit dem Altar des Vaterlandes im Zentrum als kollektives nationales Symbol für alle Weltkriegsgefallenen, vgl. Brice, Catherine: Il Vittoriano. Monumentalità pubblica e politica a Roma. Roma 2005. Rasera, Fabrizio und Camillo Zadra: Memorie in conflitto. La Grande Guerra nelle esposizioni del Museo della Guerra di Rovereto. In: Memoria e ricerca 7 (2001), S. 15 – 38, hier S. 17 sowie Janz, Oliver: Das symbolische Kapital der Trauer: Nation, Religion und Familie im italienischen Gefallenenkult des Ersten Weltkriegs (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 120). Tübingen 2009. Manacorda: La Giovane Italia sowie ders.: La Giovane Italia. Breve storia di una nostra gesta di guerra. Con documenti, ritratti e facsimili. Maggio–novembre 1918. 2. Aufl. Brescia 1935. Die Delegierten der Kommune Cairo der Società italiani reduci guerra europea, Gruppo pro Famiglia dei caduti in guerra, an Guido Manacorda, Brief vom 6. Dezember 1919. In: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5 „Manoscritti, appunti, conferenze“, Sottofasc. 1. Via Sacra e Monumento al Fronte. Diese Projektidee wurde von Manacorda im Auftrag des Ufficio I.T.O. der Dritten Armee ausgearbeitet. Das Armeekommando nahm den Entwurf Manacordas an, leitete ihn an das Kriegsministerium weiter und ließ ihn in Mailand im Verlag „Bestetti e Tumminelli“ drucken, vgl. Guido Manacorda: Proposta per la consacrazione dell’altopiano carsico a monumento della guerra nazionale, Mailand 1919. Il Ministro della Guerra an Emanuele Filiberto di Savoia, Duca d’Aosta, Generale d’Esercito Comandante della 3˚ armata, Brief vom 20. Juni 1919. In: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5 „Manoscritti, appunti, conferenze“, Sottofasc. 1. Via Sacra e Monumento al Fronte.
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Schlachtfelder unberührt zu lassen, durch seine Schlichtheit.¹⁰⁸ Manacorda versuchte, sein Projekt zu forcieren, indem er entsprechende Artikel in mehreren Zeitungen und Zeitschriften wie der „Nuova Antologia“, dem „Giornale d’Italia“, dem „Marzocco“¹⁰⁹, der „Alabarda“ und im Juliheft des Touring Club von 1919 veröffentlichte.¹¹⁰ Sogar D’Annunzio nahm auf ihn in einer Rede Bezug.¹¹¹ Inzwischen formierte sich jedoch ein Konkurrenzprojekt, das einflussreichste Befürworter hinter sich bringen konnte. Deren Ziel war es, am Monte S. Michele ein Gebeinhaus und eine Votivstätte zu errichten. Entsprechende Propagandapostkarten der Dritten Armee zeigten bald einen Entwurf, der in ästhetischer Hässlichkeit und in seiner chauvinistischen Megalomanie an das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig erinnerte.¹¹² Selbst in der italienischen Öffentlichkeit wurde der Vergleich zur wilhelminischen Monumentalarchitektur an der Pleiße und zum Berliner Bismarckturm gezogen.¹¹³ Trotzdem setzte sich das Comitato nazionale per la glorificazione del fante italiano unter der Ehrenpräsidentschaft des Herzogs von Aosta für diesen monströsen Vorschlag ein. Dem Komitee gehörten mit General Armando Diaz, Kriegsminister General Enrico Caviglia, dem Bürgermeister von Trient Vittorio Zippel sowie den Bürgermeistern von Triest und Fiume mächtige Männer mit Schlüsselstellungen in Dynastie, Staat und aus den jetzt „erlösten“ Irredenta-Gebieten an.¹¹⁴ In der italienischen Presse entwickelte sich eine lebhafte Debatte über die Form des Gedenkens.¹¹⁵ Die Kritiker – obgleich mit
Vgl. Textfragment aus „Il Mattino“ unter der Rubrik „Libri e Riviste“ aus dem Jahr 1919. In: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5 „Manoscritti, appunti, conferenze“, Sottofasc. 1. Via Sacra e Monumento al Fronte. Guido Manacorda aus Triest an Adolfo Orvieto, Brief vom 22. April 1919. In: ACGV Florenz, Fondo Orvieto, Or. 1.1416.8. Manacorda schickte Orvieto einen Artikel über die „Via Sacra“, der im Mai 1919 erschien: Guido Manacorda: Per una ‚via sacra‘. In: Il Marzocco vom 11. Mai 1919, S. 1. Verbale di Seduta in Aquileia vom 2. September 1919. In: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5 „Manoscritti, appunti, conferenze“, Sottofasc. 1.Via Sacra e Monumento al Fronte. An der Besprechung im Archäologischen Museum nahmen teil: Guido Cirilli, Capo dell’Ufficio Belle Arti e Monumenti in Vertretung des Generalkommissariats von Julisch-Venetien, Capitano Achille Vogliano del Comando 8˚ Armata, Mons. Celso Costantini, Direttore del Museo d’Aquileia, Presidente del Comitato per la conservazione delle tombe dei caduti sul Carso, Tenente Colonello Emilio Bancale, Rappresentante del Comitato Nazionale per le onoranze al Fante, Prof. Guido Manacorda, Autore del progetto per la Via Sacra del Carso. Verbale di Seduta in Aquileia vom 2. September 1919, S. 2. Cartolina postale italiana della terza armata: „Mausoleo“, glorificando gli eroi nostri di terra, del mare, del cielo (Sott. Palanti Mario – Esposizione Trieste 1919). „D’Annunzio protesta per l’ispirazione del monumento al Fante“. In: Il Mattino vom 10./11. Juni 1921. In: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5 „Manoscritti, appunti, conferenze“, Sottofasc. 1. Via Sacra e Monumento al Fronte. Comitato nazionale per la glorificazione del fante italiano: L’appello alla Nazione, Flugblatt, Mailand o. J., versehen mit dem handschriftlichen Zusatz Manacordas Juni 1919, ebd. Das Komitee führte einen Wettbewerb durch und wählte schließlich ein Projekt des Bildhauers Eugenio Baroni aus. Vgl. Relazione della Presidenza del Comitato per il Monumento-Ossario del S. Michele a commento dell’ordine del giorno del 5 Dicembre 1922, S. 15 – 17, ebd.
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Ugo Ojetti¹¹⁶ und Gabriele d’Annunzio¹¹⁷ nicht weniger prominent – konnten nicht durchdringen. Manacorda schrieb resigniert: Er habe alles versucht, öffentlich und privat, mündlich und schriftlich, diese Profanisierung zu verhindern– umsonst. Die stärkere Gruppe habe sich durchgesetzt.¹¹⁸ Nach der Ablehnung seines Projekts erlitt er, wie er weiter schrieb, einen allgemeinen Zusammenbruch, der in eine persönliche Lebens- und Schaffenskrise mündete. Manacordas persönliche Krise war durch den Tod der Mutter und seines jüngeren Bruders Giuseppe verstärkt worden. Giuseppe, der während des Krieges zu einer konfessionell ungebundenen Religiosität gefunden hatte, starb am 3. Januar 1920 im Alter von nicht einmal 44 Jahren an der Spanischen Grippe, kurz vor Erscheinen seines neuen Werkes über Ugo Foscolo, das posthum von der „Accademia della Crusca“ prämiert wurde.¹¹⁹ Benedetto Croce schrieb am 24. Oktober 1920 über das Ableben Giuseppe Manacordas an Karl Vossler, dieser habe ein wichtiges Buch geschrieben. Er sei gänzlich verschieden von seinem Bruder Guido gewesen.¹²⁰ In seiner Eigenschaft als Erziehungsminister sorgte Croce dafür, dass Giuseppes Witwe mit ihren sechs Kindern eine,wenn auch unzureichende, Pension in Höhe von 800 Lire erhielt.
Ojetti, Ugo: Ancora del monumento al Fante. In: Corriere della Sera vom 9. Dezember 1922, ebd. „D’Annunzio protesta per l’ispirazione del monumento al Fante“. In: Il Mattino vom 10./11. Juni 1921, ebd. Guido Manacorda, Brief vom 12. Juni 1923 an einen nicht genannten Adressaten, ebd. Manacorda, Alighiero Mario: Nota biografica su Giuseppe Manacorda, S. 29. Ebd., S. 30.
3 Die Herausbildung des faschistisch-katholischen „Denkstils“ Bis hierher wurde versucht, die Genese von Manacordas „Denkstil“, der seinerseits von den nationalistischen Grundtendenzen der Epoche geprägt war, v. a. in die fachwissenschaftlichen Diskurse der italienischen Germanistik einzubetten. Nun soll gezeigt werden, wie sein Denken zwischen den verschiedenen Denkströmungen seiner Zeit oszillierte, bis sich der „freischwebende Intellektuelle“ jenen zwei „Leitinstitutionen“ und ihren transzendenten „Leitideen“ anschloss, die die italienische Gesellschaft am nachhaltigsten prägten: nämlich die katholische Kirche mit ihrem religiösen und das faschistische Regime mit seinem politischen Erlösungsversprechen. Beide Versprechen waren für Manacorda besonders attraktiv, denn sie besaßen einen mystischen Kern, der mit Manacordas schwärmerischem, diffusem nationalreligiösem Wunderglauben kompatibel war. Zum besseren Verständnis ist es notwendig, kurz zu umreißen, welche Rolle die Katholiken für die Entwicklung der politischen Kultur Italiens zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielten. Luisa Mangoni wies in ihrem Standardwerk „Interventionismus der Kultur“ auf die kulturelle Wende in Italien im Jahre 1911 im Zuge des italienisch-türkischen Krieges um Libyen hin. Dabei hat der Begriff des Interventionismus der Kultur bei ihr eine doppelte außen- und innenpolitische Bedeutung: Einerseits meint die römische Historikerin damit die Forderung der italienischen Avantgarde, eine expansionistische Politik zu betreiben. Wie gesehen, führte die Kampagne dieser jungen nationalistischen Intellektuellen im Ersten Weltkrieg mit zur Intervention zunächst im Mai 1915 gegen Österreich und dann im August 1916 gegen Deutschland. Dieser kulturelle nationalistische Grundkonsens habe ihres Erachtens die Intellektuellen in Italien von der Jahrhundertwende bis 1945 geprägt. Andererseits beinhalte der Terminus den Prozess der Ablehnung des bürgerlich-liberalen Staates und seines Wertgefüges durch die Intellektuellen in dem Maße, wie sich diese vom bis dato dominierenden Idealismus croceanischer Prägung und seinem Leitbild einer parlamentarischen Demokratie entfernten.¹ Luisa Mangoni, die allerdings ohne jegliches offengelegte methodische Instrumentarium operiert, schildert implizit die Herausbildung eines neuen „Denkstils“, der das Denken der vorigen Intellektuellengeneration ablöste. Aus einer wissenssoziologischen Perspektive lässt sich ihre Beobachtung noch präziser fassen. Denn durch den Wechsel der Generationen, so Karl Mannheim, werden tradierte akkumulierte Kulturgüter von den neuen Generationseinheiten – in kritischer Auseinandersetzung mit der vorigen Generation – neu und
Mangoni: L’interventismo della cultura. Über die Ergebnisse von Mangoni gelangt auch die neuere Untersuchung von Helmut Goetz nicht hinaus: Goetz, Helmut: Intellektuelle im faschistischen Italien: Denk- undVerhaltensweisen (1922– 1931). Hamburg 1997. https://doi.org/10.1515/9783110538991-003
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selektiv angeeignet.² Solche Generationsstile bilden sich in relativ rascher Abfolge in Zeiten hoher gesellschaftlicher Dynamik etwa in der Folge prägender kollektiver Erlebnisse, wie sie die nationale Einigung Italiens 1861 sichtbar machte. Dem amerikanischen Historiker Walter L. Adamson zufolge trat die erste italienische AvantgardeGeneration mit Gabriele d’Annunzio, Benedetto Croce, Giovanni Gentile und Luigi Pirandello in den 1890er Jahren öffentlich in Erscheinung. Diese Generation umfasste – mit Ausnahme des 1875 geborenen Gentile – die Kohorten von 1863 bis 1867.³ Die zweite, dicht folgende Generation bzw. Generationseinheit bildeten, so der USHistoriker, mit Filippo Tommaso Marinetti, Giovanni Papini, Giuseppe Prezzolini und Ardengo Soffici die Jahrgänge von 1879 bis 1882. Zu ihr gehörte auch der 1879 geborene Manacorda. Die sich um Zeitschriften sammelnde Bewegung habe sich in einen futuristischen Mailänder und in einen traditionelleren Florentiner Flügel um das Journal „La Voce“ aufgeteilt. Beide hätten sich programmatisch nahegestanden und sich ab 1914 immer stärker miteinander verbunden. Diese Intellektuellen, so geht Adamson mit Mangoni konform, hätten Croces Neoidealismus, der den Positivismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Leitparadigma ablöste, im Laufe der Zeit immer negativer perzipiert, da sie sich zunehmend an irrationalen Denkmustern orientierten.⁴ In diesem Zusammenhang sei ein über die Bergson’sche Lebensphilosophie vermitteltes mystisches Bewusstsein für diese Generationseinheit charakteristisch. Gemeinsam war der italienischen Avantgarde außerdem die Forderung nach einem Aufbruch hin zu einem neuen Aristokratismus des Geistes und zunehmend zugunsten autoritärer Strukturen. Adamson charakterisierte die Programmatik dieser Intellektuellengruppen als einen Modernismus, der die Moderne des industriellen, technischen und wissenschaftlichen Fortschritts ebenso ablehnte wie den in ihren Augen dekadenten Ästhetizismus d’Annunzios. Modern sei diese Bewegung vor allem deshalb gewesen, weil sie eine vollständige gesellschaftliche Transformation angestrebt habe.⁵ Gemeinsam war ihren Trägern die durch Sorel inspirierte Opposition zum liberalen Staat, das vage Ziel, durch eine Modernisierung ein zweites Italien zu
Als Generationseinheit bezeichnet Mannheim die Kollektivträger, die im selben historisch-sozialen Raum, z. B. eines Landes, einen neuen Generationsstil entwickeln, vgl. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 525 – 527. Seit 2004 entstanden im Rahmen des interdiszpilinären DFG-Graduiertenkollegs 1083 „Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert“ eine Reihe von Arbeiten zu generationenbezogenen Fragestellungen. Beispielhaft sei hier angeführt: Gerland, Kirsten, Benjamin Möckel, Daniel Ristau (Hrsg.): Generation und Erwartung. Konstruktionen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Göttingen 2013. Vgl.: Adamson: Modernism and Fascism, S. 367 f. Zunächst wurde Croces 1902 erschienene „Ästhetik“ von der jungen Generation positiv aufgenommen, weil sie den Vorrang der Kunst vor Ökonomie, Politik und Wissenschaft behauptet hatte. Croce kritisierte den Positivismus aus kultureller Perspektive, indem er ihm vorwarf, dieser habe die religiösen Bedürfnisse der Menschen unberücksichtigt gelassen. Deshalb sei die gegenwärtige Welt auf der Suche nach Religion. Croce versuchte, dieses Vakuum mit seiner spekulativen Philosophie zu füllen, ebd., S. 368 f. Adamson: Avant-Garde Florence. From Modernism to Fascism.
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schaffen. Dabei war die Florentiner Avantgarde merklich konservativer als die futuristische Bewegung in Mailand und Turin.⁶ Ausschlaggebend dürfte dafür gewesen sein, dass Florenz weitaus weniger industrialisiert als die Städte des Nordens war und damit die neuen sozialen und politischen Bewegungen der Massengesellschaft hier schwächer waren. So lag die spezifische Modernität der Avantgarde in der Kunst- und Kulturstadt am Arno vor allem in ihrer experimentellen, fragmentarischen Kulturrezeption und -adaption, aber nicht in ihrer politischen Progressivität. Als Laboratorium modernster Kunstrichtungen orientierte sie sich unter dem Konzept der Toscanità an Traditionalismus und Provinzialismus. Im Vergleich zur Avantgarde in Berlin, Paris oder Wien unterschied sich die Florentiner Moderne außerdem durch das übergroße Sendungsbewusstsein, mit dem sich ihre Träger anmaßten, die Propheten für ein neues Italien zu sein.⁷ Giovanni Papini formulierte bereits 1912 in seinem erwähnten autobiografischen Werk „Un uomo finito“ den Primat Italiens auf geistiger Ebene.⁸ Die italienische Avantgarde folgte zu dieser Zeit in großen Teilen der idealistischen Variante Gentiles, der in seinem Aktualismus ebenfalls eine geistige Erneuerung des Landes forderte.⁹ Eine säkulare Religion wurde als Grundlage für dieses neue Italien u. a. von Prezzolini, Papini und Soffici gefordert, eine Auffassung, welche von Mussolini begeistert aufgegriffen wurde.¹⁰ Auch Manacorda war dieser Gedanke nicht fremd: „Der Grundzug seines Wesens war Schwärmerei und Verlangen nach Glauben“, charakterisierte ihn Victor Klemperer im Jahre 1914.¹¹ Die politisch ungebundene Bewegung zeichnet sich, wie erwähnt, bald durch einen vehementen Nationalismus aus, der sich nach dem Libyenkrieg 1911 und während des Ersten Weltkrieges noch einmal steigerte. Manacorda orientierte sich an dieser Florentiner Avantgarde und veröffentlichte seit 1912 im „Marzocco“, der eines der Flaggschiffe dieser Bewegung war.¹² Der von 1896 bis 1932 existierende „Mar-
Vgl. zu Strapaese-Bewegung Adamson, Walter L.: Fascism and Culture: Avant-Gardes and Secular Religion in the Italian Case. In: Journal of Contemporary History 3 (1989). S. 411– 435, hier S. 424. Adamson: Modernism and Fascism, S. 375 – 377. Im Gegensatz dazu waren die Mailänder Futuristen zunächst sehr viel weniger nationalistisch eingestellt als die florentinische Gruppe und arbeiteten zeitweilig eng mit dem Industrieproletariat der lombardischen Metropole zusammen, ebd. S. 378 f. 1914 äußerte sich der starke gentilistische Einfluss bei der Zeitschrift „La Voce“, die unter der Leitung Prezzolinis stand, im Untertitel „Rivista dell’idealismo militante“, vgl. ebd., S. 371. Antliff, Mark: Fascism, Modernism and Modernity. In: The Art Bulletin 1 (2002). S. 148 – 169, hier S. 157– 159. Klemperer: Curriculum Vitae. Bd. 2, S. 117. Der erste Brief Manacordas an den „Marzocco“ datiert vom November 1912. Weitere Anfragen, im „Marzocco“ zu veröffentlichen, folgten, vgl. Guido Manacorda an Adolfo Orvieto, Brief vom 12. November 1912. In: ACGV Florenz: Fondo Orvieto, Or. 1.1416.1. Der Briefwechsel Orvietos mit Manacorda endete 1926. Wie aus dem Autorenverzeichnis des „Marzocco“ hervorgeht, war die Mitarbeit Manacordas in dieser bedeutenden Zeitschrift seit 1912 kontinuierlich und fand ihre Fortsetzung sogar während des Krieges, vgl. Accademia toscana di scienze e lettere „La Colombaria“: Il Marzocco (Firenze 1896 – 1932), Indici, hrsg. v. Clementina Rotondi, Bd. 1, Florenz 1980, S. 163.
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zocco“¹³ wurde von dem einflussreichen jüdischen Direktor Adolfo Orvieto geleitet, der seit 1923 zum Ziel antisemitischer Übergriffe wurde.¹⁴ Die Annäherung der Katholiken an die gesellschaftlichen und politischen Strömungen im immer nationalistischer werdenden Italien erfolgte in mehreren Schritten und nicht ohne Brüche. Insbesondere vollzog sie sich in Auseinandersetzung mit der nationalen Bewegung der 1910 bezeichnenderweise in Florenz gegründeten Associazione Nazionalista Italiana, die Teil dieser Aufbruchsbewegung war und schließlich 1921 mit den Faschisten zum Partito Nazionale Fascista fusionierte. In religiöser Beziehung war die Avantgardebewegung ursprünglich alles andere als prokirchlich eingestellt, was der Tradition des liberalen Italiens seit 1848/49 durchaus entsprach. Mit dem Aufkommen der ersten nationalistisch orientierten Presseorgane, wie dem oben genannten „Marzocco“, „Leonardo“ (1903 – 1907) oder „Regno“ (1903 – 1906), die alle in Florenz verlegt wurden, schien den Katholiken gar ein neuer Gegner zu erwachsen. Die Gruppe um „Leonardo“ mit den drei Direktoren Giovanni Papini, Giuseppe Prezzolini und Giuseppe Antonio Borgese gab sich elitär, individualistisch und offen heidnisch.¹⁵ Allerdings anerkannte diese Gruppe den Katholizismus als Träger genuin antiker römischer Werte, wenn sich auch einzelne Akteure, wie insbesondere Papini, vorerst durch einen vehementen Antiklerikalismus auszeichneten.¹⁶ Sie forderten jedoch, dass die Kirche den italienischen Nationalstaat anerkennen müsse. Denn zu diesem Zeitpunkt näherten sich die Katholiken dem italienischen liberalen Staat erst zögerlich an, weil Papst Pius IX. in seiner 1874 erlassenen Bulle „Non expedit“ ihnen die Teilnahme am politischen Leben verboten hatte. Der Grund für den faktischen Bruch der Kurie mit dem italienischen Nationalstaat war die Eroberung des Kirchenstaats im Jahre 1870 gewesen. Erschwerend kam hinzu, dass Pius 1864 in seinem „Syllabus Errorum“ den Liberalismus als Irrlehre gebrandmarkt und verworfen hatte. Erste, vorerst nur politische Fühlungsnahmen ergaben sich aber während des Libyenkrieges, der auch auf katholischer Seite teilweise enthusiastisch begrüßt wurde. 1913 führten gemeinsame Gespräche, von ka-
Del Vivo, Caterina: Introduzione. In: Archivio Contemporaneo „Alessandro Bonsanti“, Gabinetto G. P.Vieusseux: Fondo Orvieto, Serie I. Corrispondenza generale Lettere A–B. Hrsg.von ders. Firenze 1994. S. 7– 34, hier S. 7. Del Vivo: Introduzione, S. 13. Veneruso, Danielo: Movimento cattolico, nazionalismo e fascismo. In: Dizionario storico del movimento cattolico in Italia. Bd. 1/2: I fatti e le idee. Hrsg. von Francesco Traniello und Giorgio Campanini.Torino 1981. S. 9 – 17. Moro: Il mito dell’Impero in Italia fra universalismo cristiano e totalitarismo, S. 323. Enrico Corradini gründete zusammen mit Papini, Vilfredo Pareto und Giuseppe Prezzolini die Zeitschrift „Il Regno“. Im Jahre 1910 gehörte Corradini zu den Gründern der nationalistischen Partei. Corradini hatte zwar ebenfalls die christliche Tradition attackiert, betonte aber unter Bezug auf Charles Maurras den Nutzen der katholischen Kirche aufgrund ihrer Autorität als Ordnungsfaktor für eine nationale Expansion, weshalb sich „Il Regno“ antireligiöse Ausfälle versagte. Im Gegenteil wurden der Ordnungssinn und die Festigkeit des antiken lateinischen Genius gelobt, der die Kirche zum wahren und legitimen Erbe und Fortführer von Rom mache, vgl. Veneruso: Movimento cattolico, S. 10.
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tholischer Seite unter Beteiligung u. a. von Filippo Meda und Egilberto Martire, mit dem Nationalistenführer Luigi Federzoni zu lokalen Wahlabsprachen. Die Nationalisten ihrerseits lösten sich auf ihrem Mailänder Kongress 1914 aus dem liberalen Lager. Die Frage der italienischen Intervention gegen die Habsburgermonarchie – die von den Nationalisten forciert wurde, während die Katholiken für die Neutralität eintraten – hemmte vorerst eine weitere Annäherung. Nach dem Krieg richtete sich die Aufmerksamkeit der Nationalisten auf die Friedensverhandlungen und die italienische Expansion, während sich die im März 1919 gegründete faschistische Bewegung um Mussolini mit antiklerikalen Ausfällen hervortat, die gar in der Forderung gipfelten, der Papst möge italienischen Boden verlassen. Hinzu kam die Nähe der Faschisten zu radikal antiklerikalen Avantgarde-Bewegungen wie den Futuristen. Mit dem Abstoßen der linken Elemente und dem Aufgehen der nationalistischen Bewegung im Faschismus auf dem Kongress in Rom im November 1921 übernahm der neue Partito Nazionale Fascista (PNF) das Ziel der nationalistischen Religionspolitik einer Staatskirche, wobei er den demokratisch orientierten politischen Katholizismus Italiens des Partito Popolare Italiano (PPI) Don Sturzos vehement bekämpfte. Der 1919 nach der Aufhebung des „Non Expedit“ gegründete PPI versuchte seinerseits, sich der drohenden Diktatur entgegenzustellen, was aber nur das Zusammengehen der liberalen Elite mit der Rechten unter faschistischer Führung beschleunigte. Die Etablierung des faschistischen Regimes 1922 war eine Zäsur für die politische Kultur Italiens. Die antiparlamentarischen Intellektuellen sahen ihren gemeinsamen Gegner, das liberale System, liquidiert. Die neue Regierung teilte die wesentlichen „Leitideen“ der kulturellen Wende von 1911. In der Folge gewannen die Unterschiede ihrer Unterstützer immer stärker an Bedeutung. Denn nun begann der für totalitäre Systeme charakteristische Kampf der „Mikroinstitutionen“, in diesem Fall v. a. der Katholiken, Gentilisten und Croce-Anhänger, um die Durchsetzung der eigenen kulturellen und politischen Geltungsansprüche. Während Croce seiner liberalen Grundüberzeugung und dem Antifaschismus – nach einer kurzen philofaschistischen Phase¹⁷ – ab 1925 treu blieb, näherte sich Gentile autoritären und spirituell-religiösen Denkmustern an. Gemäß seiner Version des Hegel’schen Staates verkörperte das faschistische Regime seinen sog. Ethischen Staat. Außerdem begriff er den Faschismus seltsamerweise als Weiterführung des Liberalismus, weil er dem Bürger außer Rechten auch Pflichten auferlege. Von Mussolini schon im Oktober 1922 zum Erziehungsminister ernannt, führte Gentile 1923 eine bahnbrechende Schulreform durch: Der von der Kirche seit Jahrzehnten geforderte Religionsunterricht an Grundschulen wurde flächendeckend eingeführt. Nach Ansicht Gentiles sollte der Katholizismus als Philosophie des einfachen Volkes den Massen Halt geben, während er für die wenigen Gymnasiasten – als künftige faschistische Elite – die eigene, von ihm als Aktualismus bezeichnete Philosophie als Zivilreligion des Ethischen Staates vorsah. Die gesamte katholische Welt, allen voran die „Civiltà Cattolica“, rühmte zunächst Gentiles Re-
Sternhell u. a.: Die Entstehung der faschistischen Ideologie, S. 284.
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form. Doch bald schon entfachte die katholische Seite eine vehemente Polemik gegen ihn und forderte den mehr oder weniger völligen Ersatz der philosophischen Lehrinhalte durch scholastische. Je länger der Faschismus an der Macht war, desto schwächer wurde die Position Gentiles (der bereits 1924 als Erziehungsminister wieder demissionierte) und desto intensiver näherten sich katholische Kirche und faschistisches Regime einander an. Die sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg anbahnende langjährige Polemik zwischen Croce und Manacorda war daher weit mehr als eine private Auseinandersetzung, sondern der nach Unterzeichnung der Lateranverträge eskalierende Deutungskonflikt zwischen der katholischen Neoscholastik einerseits und dem liberalen Idealismus und seiner deformierten Abart, dem Aktualismus Gentiles, andererseits.¹⁸ Es handelte sich nicht nur um einen Konkurrenzkampf zweier rivalisierender Wissenschaftler, die ihren Geltungsanspruch um die kulturelle Hegemonie in Italien vertraten, der sich auf dem beschränkten Gebiet der Bildungspolitik materialisierte. Dahinter stand die Rivalität von „Mikroinstitutionen“ und der sie repräsentierenden sozialen Basis (nämlich liberales versus katholisches Milieu), die miteinander erbittert um ihren Einfluss innerhalb des Regimes insgesamt, und damit letztlich um die Interpretationsmacht im Kampf der „Leitideen“ des Faschismus rangen. Schon 1921 stellte Mussolini fest, dass der Faschismus über keine definitive Programmatik verfüge. Auch in den folgenden Jahren behielt der Faschismus seinen pragmatischen Charakter bei.¹⁹ In diesem Zusammenhang ist das Taktieren Mussolinis in der Auseinandersetzung mit dem Papst über die offizielle faschistische Doktrin emblematisch. Der 1932 in Band XIV der „Enciclopedia italiana“ erschienene, offiziell von Mussolini verfasste Beitrag über die Doktrin des Faschismus sollte zumindest einen Rahmen dafür geben, was unter Faschismus zu verstehen sei. Giovanni Gentile war dabei jedoch der Mitverfasser, der den ersten Entwurf fast alleine geschrieben hatte. Ursprünglich wollte Mussolini diesen Entwurf im Juni 1930 nur redigieren, erweiterte ihn dann jedoch gründlich, nachdem ein erster Vorabdruck in der Presse massiv von Pius XI. kritisiert worden war. Der Papst drohte sogar, den Text zu indizieren, was den „Duce“ feige dazu bewog, Gentile gegenüber dem Pontifex als alleinigen Autor zu bezeichnen. Daraufhin bekannte sich Mussolini in seinen ausführlichen Ergänzungen zur „positiven Religion“ des Katholizismus, um den Heiligen Stuhl zu beruhigen. Der faschistische Staat wolle sich keinen eigenen Gott schaffen.²⁰ Den neuen Entwurf legte der wankelmütige „Duce“ dem Papst vor, der ihn nun, wenn schon nicht befriedigend, so doch weitaus akzeptabler fand. Hatte sich der Faschismus in den 1920er Jahren noch scheinbar in ein idealistisches Ordnungsarrangement eingefügt, so tendierte Mussolini aus machtpolitischem Vgl. Verucci: Idealisti all’indice sowie Ostermann: Guido Verucci: Idealisti all’indice. Vgl. das Kapitel VII „La ‚dottrina del fascismo‘ tra Gentile, Mussolini e Pio XI.“ von Belardelli, Giovanni: Il Ventennio degli intellettuali. Cultura, politica, ideologia nell’Italia fascista. Roma u. a. 2005, S. 193. Belardelli: Il Ventennio degli intellettuali, S. 198.
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Kalkül in den 1930er Jahren immer offener zu einer Stabilisierung seines Regimes mittels der Inkorporierung von katholischen „Leitideen“ in die faschistische Doktrin, ohne dass die aktualistische Deutung des Faschismus, die unterschwellig weiter wirksam war, offiziell endgültig verworfen wurde. Diese internen Leitideenkonflikte wurden dadurch verkompliziert, dass mit dem Heiligen Stuhl eine externe Institution beteiligt war, die eigene „Leitideen“ in die faschistische Gemengelage mit einbrachte. Deren Einflussnahme gipfelte im Jahre 1934 in der Indexsetzung der Gesamtwerke der Philosophen Benedetto Croce und Giovanni Gentile. Dies hatte zur Folge, dass innerhalb des Regimes die Auseinandersetzung zwischen Gentilisten und Antigentilisten nun offen geführt wurde. Besonders erwähnenswert ist dabei das Doppelspiel von Padre Agosto Gemelli. Als Rektor der Katholischen Universität Mailand, die ihre Gründung im Jahre 1924 ausschließlich Gentiles Reform verdankte, führte Gemelli scheinheilig eine freundschaftliche Korrespondenz mit Gentile, während er gleichzeitig das Gutachten schrieb, in dem er für das vollständige Verbot von dessen Schriften plädierte.²¹ Zwar richtete sich das Hauptaugenmerk der Katholiken auf Gentile, getroffen werdensollte aber auch Croce, dessen Idealismus die kulturelle Hegemonie innehatte.²² Dem besten Kenner der Geschichte des italienischen Katholizismus, dem römischen Historiker Renato Moro zufolge, wollten die in diesem Klima entstandenen katholischen Strömungen nicht nur eine Rekatholisierung Italiens auf kulturellem und religiösem Gebiet erreichen, sondern gar die Durchsetzung einer katholischen Version der Moderne, die das ganze gesellschaftliche und politische Leben hätte umfassen sollen.²³ Voraussetzung für diese Entwicklung war der sich nun rasch vollziehende Niedergang des PPI. Der seit Februar 1922 amtierende Papst Pius XI. entzog ab 1922 dem PPI die Unterstützung. Obwohl dem ersten Kabinett Mussolini noch PPI-Minister angehörten, kam es 1923 zum Bruch und zum Austritt aus der Regierung. 1924 spaltete sich der philofaschistische Flügel als Centro nazionale ²⁴ vom PPI
Vgl. Verucci: Idealisti all’indice, S. 121– 123. Verucci lässt in seinem Buch und ließ auch bei der offiziellen Präsentation am 12. Oktober 2006 in der Biblioteca di storia moderna e contemporanea in Rom, welcher der Verfasser beiwohnte, keinen Zweifel daran, dass die Kirche die liberale Philosophie Croces als die modernere, anspruchs- und wirkungsvollere, und damit als die gefährlichere von beiden einstufte. „La ‚ripresa religiosa‘ ci fu anche nel nostro paese. Preceduta da qualche sintomo nell’età giolittiana, accelerata dalla crisi della guerra, essa finì per compiersi negli anni trenta. Nella particolare situazione italiana essa tuttavia non solo e non tanto assunse i caratteri di un processo di ‚modernizzazione‘ più istituzionale e organizzativo che culturale e religioso, ma soprattutto si mosse lungo i binari di una rilettura ‚moderna‘, novecentesca del modello intransigente di riconquista cattolica e risultò così largamente condizionata e, per dir così, ‚distorta‘ dal rapporto molto stretto che la legò al clima e alle condizioni create dal regime fascista“, vgl. Moro, Renato: Il ‚modernismo buono‘. La ‚modernizzazione‘ cattolica tra fascismo e postfascismo come problema storiografico. In: Storia contemporanea 4 (1988). S. 625 – 716, hier S. 716. Vgl. Candeloro,Giorgio: Il movimento cattolico in Italia. Roma 1953; Webster, Richard A.: La croce e i fasci: cattolici e fascismo in Italia. Milano 1964; Broglio, Francesco Margiotta: Italia e Santa Sede dalla
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ab, stieß aber trotz massiver Unterstützung von Regierung und Amtskirche auf wenig Resonanz. Wie die anderen Parteien wurde der PPI 1926 aufgelöst. Die neuere Forschung geht nach dem Untergang der Volkspartei von einer Dreiteilung des katholischen Milieus Ende der 1920er Jahre aus²⁵: Demnach stellten Klerikalfaschismus und Antifaschismus zwei relativ kleine radikale Positionen innerhalb der großen Mehrheit der Katholiken dar. Die sog. Klerikalfaschisten waren somit eine Gruppe von italienischen Laien, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre agierten. Sie charakterisierten sich dadurch, dass sie eine von der Kirche unabhängige Position einnahmen. Sie beanspruchten daher eine beschränkte Autonomie im Rahmen der Diktatur, standen aber zugleich loyal zum Regime. Ihren Zenit erreichten sie in den 1920er Jahren während der Verhandlungen um die Lateran-Verträge. Mit der Auflösung des Centro nazionale verschwand diese Gruppierung.²⁶ Darüber hinaus oszillierten im katholischen Spektrum Italiens der 1920er Jahre eine Vielzahl von in engerem Sinne apolitischen Gruppen, die aber durchaus eine Rekatholisierung bzw. Rechristianisierung des gesellschaftlichen Lebens anstrebten, ohne allerdings einen dauerhaften und tieferen Einfluss zu nehmen.²⁷ Sie entstanden häufig im Umfeld von literarischen und politischen Zeitschriften. Hierzu zählten u. a. die von Luciano Gennari gegründete „Arte e Vita“, die „Rivista dei Giovani“ von Don Cojazzi (beide Turin), „Davide“ von Giuseppe Gorgerino, „La Festa“, geleitet von Don Carlo Rossi, und die Mailänder S. Paolo-Gesellschaft, „Il Carroccio“, die Palermer „Tradizione“ von Pietro Mignosi sowie Manacordas Mystiker von Ripafratta, wie sie nach der toskanischen Ortschaft benannt wurden, in die sich Manacorda mit gleichgesinnten Intellektuellen zurückzog. Manacordas Ripafratta-Gruppe entstand im Jahr 1922, also inmitten der geschilderten kollektiven mentalen Sinnkrise, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nicht nur Italien, sondern die kriegführenden Nationen Europas erfasste. Manacorda Grande Guerra alla conciliazione: aspetti politici e giuridici. Bari 1966; Scoppola, Pietro: La chiesa e il fascismo: Documenti e interpretazioni Bari 1973; Riccardi, Andrea: I clerico-fascisti. In: Dizionario storico del movimento cattolico in Italia, Bd. 1/1: I fatti e le idee. Hrsg. von Francesco Traniello und Giorgio Campanini. Torino 1981. S. 79 – 84; Moro, Renato: Nazione, Cattolicesimo e Regime fascista. In: Rivista di Storia del Cristianesimo 1 (2004). S. 129 – 147, S. 133, Anm. 15 u. 16. Erst seit den 1970er Jahren wurde diese Politisierung der Geschichtsdeutung zugunsten einer zunehmenden Historisierung überwunden. Seitdem ist genauer zwischen den verschiedenen Gruppen im katholischen Milieu zu unterscheiden, ebd., S. 79. In den 1930er Jahre existierten zwar noch vereinzelte Stimmen dieser Strömung wie die von Egilberto Martire und Presseorgane wie die „Rassegna romana“, die allerdings nicht mehr politisch selbstständig waren. Dies geschah im Übrigen sehr zum Unwillen von Pius XI., der jegliche politische Vermittlung durch Laien zu vermeiden trachtete. Schließlich wurde die Gruppierung vom Philofaschismus absorbiert, obwohl ihre Anhänger über Zeitschriften wie „La Crociata italica“ bis hinein in die faschistische Sozialrepublik wirkten, vgl. Riccardi, Andrea: Egilberto Martire. In: Dizionario storico del movimento cattolico in Italia, Bd. 2/1: Protagonisti.Hrsg. von Francesco Traniello und Giorgio Campanini. Torino 1982. S. 336 – 339 sowie Sorrentino, Domenico: La conciliazione e il „fascismo cattolico“. I tempi e la figura di Egilberto Martire. Brescia 1980. Vgl. Renato Moro: La formazione della classe dirigente cattolica (1929 – 1937). Bologna 1979, S.139.
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wandte sich immer stärker einem christlichen mystischen Glauben zu, wobei er sich noch ausdrücklich von der katholischen Lehre distanzierte. In dieser Zeit zog er sich wiederholt in das an der Provinzgrenze zwischen Pisa und Lucca gelegene Ripafratta zurück, wobei er seine Frau und den jungen Sohn in Neapel zurückließ. In dem kleinen Dorf in der nördlichen Toskana übersetzte er Faust und Wagner. Außerdem befasste er sich mit scholastischen und religiösen Studien. Dabei verfiel er, wie er selbst schreibt, in einen „anarchischen Mystizismus“, der in seiner Retrospektive auf konfuse Weise auf Urchristentum, orthodoxem Mysterienkult und deutscher Romantik fußte.²⁸ Sein Artikel über die Jungfrau Maria leitete seine religiöse Rückbesinnung ein.²⁹ Darüber hinaus verfasste er über seine Rekonversion ein Buch mit dem Titel „Verso una nuova mistica“, von dem er sich später wieder distanzierte. In dieser Periode war Manacorda so radikal und institutionenfeindlich, dass er sowohl den Katholizismus als auch die Amtskirche ablehnte!³⁰ Er bemängelte im Vorwort seiner „Nuova mistica“ die angebliche Rationalität der katholischen Doktrin. Der Katholizismus habe nichts Geheimnisvolles mehr an sich und nehme für sich in Anspruch, alles belegen zu können, angefangen von der Rebellion der Engel bis zu den Tagen und Stunden, um die ein Gebet den Aufenthalt einer verlorenen Seele im Fegefeuer verkürzen könne. Es gebe nichts Traurigeres bzw. weniger Religiöses als vermeintliche Allwissenheit. Sein eigenes religiöses Empfinden bezeichnete er in seinen weiteren Ausführungen als überkatholisch („supercattolica“). Sein Werk erfuhr große Resonanz in der Öffentlichkeit und wurde von den führenden Vertretern aller wesentlichen kulturellen Strömungen rezipiert.³¹ Es stieß auf vereinzelten Zuspruch – u. a. von Gherardo Marone³² – und auf eine Flut nicht unberechtigter Kritik, vor allem von Giovanni Gentile, Benedetto Croce oder von dem antifaschistischen Theologen Ernesto Buonaiuti³³. Die Mehrheit der Kritiker hielt das Werk zumindest in Teilen für
Manacorda: Un Uomo, S. XXXII. Guido Manacorda: Intorno a Maria. In: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5 „Manoscritti, appunti, conferenze“. Mazza: Not for art’s sake, S. XV. Falconi: La Chiesa e le organizzazioni cattoliche in Italia, S. 180. Gherardo Marone (1891– 1962) gründete die wichtige Literaturzeitschrift „La Diana“ in Neapel, die von 1915 bis 1917 bestand. Sie war von zentraler Bedeutung für die italienische Avantgarde und zählte zu ihren Mitarbeitern namhafte Künstler wie Carlo Carrà, Filippo Tommaso Marinetti, Corrado Govoni, Diego Valeri, Arturo Onofri, Ardengo Soffici, Luciano Folgore, Massimo Bontempelli, Giuseppe Antonio Borgese, Emilio Cecchi, Salvatore Di Giacomo, Francesco Gaeta, Clemente Rebora oder Umberto Saba. Er führte Briefwechsel mit so unterschiedlichen Künstlern wie Hans Arp, Filippo Tommaso Marinetti oder Auro d’Alba. Ernesto Buonaiuti (1881– 1946) gilt als wichtigster Vertreter des Modernismus. Als Hochschullehrer verweigerte er als einer der wenigen den Eid auf den Faschismus und emigrierte in die Schweiz, vgl. Bautz, Friedrich Wilhelm: Buonaiuti, Ernesto. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 1, Hamm 1975. Sp. 813 – 814.
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gelungen. Zu dieser Gruppe zählten der Literat Augusto Hermet³⁴, der Historiker Mario Vinciguerra, ebenso Antifaschisten wie der „Stampa“-Direktor Luigi Salvatorelli, der Philosoph und Essayist Adriano Tilgher. Das Wirken des Ripafratta-Kreises ist nicht exakt dokumentiert. Zu lückenhaft ist hier der Nachlass Manacordas, in dem die Dokumente bis 1926 weitgehend fehlen. Nur ein Konvolut mit Briefen ist in ihm erhalten.³⁵ So ist man v. a. auf die nicht sehr umfangreiche Sekundärliteratur angewiesen³⁶: Fest steht demnach, dass sich die von Manacorda gegründete Intellektuellen-Gruppe mehrfach traf, um ein philosophischreligiöses Gegenprogramm zur idealistischen Philosophie zu entwerfen.³⁷ Diese sog. Mystiker hielten mindestens drei Konvente ab, veröffentlichten Proklamationen und riefen die in Varese erscheinende Zeitschrift „Giornale di poesia. Rassegna settimanale di Poesia“ ins Leben.³⁸ Das Aprilheft von 1924 war Manacorda gewidmet.³⁹ Die Wirkung des Ripafratta-Kreises zeigt sich außer in der Resonanz in der prominenten Zusammensetzung, wie aus einer Teilnehmerliste mit 30 Namen im Nachlass Manacordas hervorgeht.⁴⁰ An erster Stelle ist sicherlich der römische Priester und Philologe Don Giuseppe De Luca⁴¹ zu nennen, der an allen drei Treffen zugegen war. De Luca war ein führender wie schillernder katholischer Intellektueller⁴² mit engen Verbindungen, u. a. zum Erziehungsminister Bottai oder zum Führer der katholischen Aktion Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI. De Luca bekämpfte einerseits vehement den Liberalismus, stand aber andererseits gleichzeitig in regem Briefverkehr mit Benedetto Croce.⁴³ Sein Ziel war es, unter dem Leitbegriff der Nuova Apolo Der gebürtige Trienter Augusto Hermet (1889 – 1954) war als Musikkritiker und Dichter tätig, wobei er zahlreiche mystisch und religiös orientierte Werke verfasste, vgl. Il Frontespizio 1929 – 1938, S. 11, 546 u. 570. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio Corrispondenze 1922– 24: Movimento Mistica I-II. Vgl. hierzu folgende Titel: Falconi: La Chiesa e le organizzazioni cattoliche in Italia, S. 180 – 184; Mazza, S. 133 – 136. Mazza: Not for art’s sake, S. 134. Cipriano Cipriani an Guido Manacorda, Brief vom 21. Januar 1924. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio Corrispondenze 1922– 24: Movimento Mistica I–II. Benedetta Garzarelli: Guido Manacorda, S. 404– 407. Proeggo dei ipotesi del convegno mistico, ebd. Der Priester, Journalist, Herausgeber und Philologe Giuseppe De Luca (1898 – 1962) war Anfang der 1920er Jahre im Auftrag Don Sturzos für die AC aktiv, vgl. Guarnieri, Romana: Don Giuseppe De Luca tra cronaca e storia.Cinisello Balsamo 1991 sowie dies.: De Luca, Giuseppe. In: Dizionario storico del movimento cattolico in Italia. Bd. 2/1: Protagonisti. Hrsg. von Francesco Traniello und Giorgio Campanini.Torino 1982. S. 171– 178. Giuseppe De Luca war mit einer Vielzahl von italienischen wie ausländischen Schriftstellern (wie Bo, Ungaretti), Künstlern,Wissenschaftlern sowie Politikern (wie Don Sturzo und De Gasperi oder dem Kommunisten Togliatti) bekannt, vgl. Guarnieri: Don Giuseppe De Lucca tra cronaca e storia; dies.: Giuseppe De Luca, S. 170 – 178; Giuseppe De Luca – Fausto Minelli. Carteggio 1930 – 1934. Hrsg. von Marco Roncalli. Roma 1999. De Luca teilte Croces Ideen nicht, weder seinen Liberalismus und noch weniger seinen Antifaschismus, schätzte ihn aber als Intellektuellen. Er bedauerte Anfang der 1930er Jahre, sich mit zwei
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getica eine einheitliche, in derTradition des Mittelalters stehende katholische italienische Kultur zu schaffen, um die gesellschaftliche und politische Entwicklung seit 1789 zu korrigieren. Mit diesem Projekt wirkte der Priester bis weit in die Kreise der Azione Cattolica hinein.⁴⁴ Seit 1922 pflegte er engen Kontakt mit dem zu diesem Zeitpunkt gerade konvertierten Giovanni Papini.⁴⁵ De Luca enthielt sich zwar der Parteiund der Tagespolitik⁴⁶; in den BriefenDe Lucas an den seit 1929 in den USA lebenden Schriftsteller Prezzolini finden sich jedoch wiederholt Hinweise, die seine Nähe zum Faschismus belegen.⁴⁷ Ganz so intim wie zwischen Papini und De Luca scheint das Verhältnis zwischen dem Germanisten und Neomystiker Manacorda und De Luca nicht gewesen zu sein. Auch wenn sie sich gegenseitig besuchten und De Luca ihm für sein Vertrauen dankte, blieb Letzterer bei seiner förmlichen Anrede Professor. ⁴⁸ Weitere einflussreiche Teilnehmer des Ripafratta-Kreises waren u. a. die Hegelianer Armando Carlini⁴⁹oder der junge, aufstrebende Florentiner Philologe und Journalist Goffredo Coppola.⁵⁰ Außerdem waren bei der dritten Zusammenkunft am
Artikeln an der „Schlacht“ gegen den idealistischen Philosophen beteiligt zu haben, vgl. Giuseppe De Luca an Giuseppe Prezzolini, Brief vom 29. Dezember 1932. In: Don Giuseppe de Luca – Giuseppe Prezzolini. Carteggio 1925 – 1962. Hrsg. v. Giuseppe Prezzolini. Roma 1975, S. 109 f. Moro: La formazione della classe dirigente cattolica, S. 140 – 142. Hieraus entstand eine Jahrzehnte währende Freundschaft. So wohnte Papini bei seinen RomAufenthalten häufig im Hause De Lucas. Mit Papini kam es nach 1945 zum Bruch, vgl. Guarnieri: Don Giuseppe De Luca, S. 91– 93. Romana Guarnieri: Don Giuseppe De Luca, S. 121, sowie Don Giuseppe De Luca – Giovanni Papini. Carteggio 1922– 1929. Hrsg. von Mario Picchi. Roma 1985. Im November 1933 schrieb De Luca beispielsweise, er gehöre zu denjenigen, die das Werk Mussolinis im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten unterstützen wollen, vgl. Don Giuseppe de Luca – Giuseppe Prezzolini. Carteggio, S. 121, sowie Renzo De Felice und Renato Moro: Introduzione, S. XLI. Nach den Lateran-Verträgen stellte er die Mitarbeit für die AC bezeichnenderweise umgehend ein, da er als Katholik jetzt den faschistischen Staat vorbehaltlos bejahte und somit eine eigene katholische Organisation für unnötig hielt. Sein Rückzug aus der katholischen Laienbewegung hatte – laut Renato Moro – ebenfalls indirekt politische Gründe. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er sich nur aufgrund der Ausnahmesituation innerhalb der AC engagiert, da er gesellschaftliche Organisationen ablehnte, vgl. Moro: La formazione della classe dirigente cattolica, S. 143. Giuseppe De Luca an Guido Manacorda, Brief vom 22. Dezember 1931. In: AdN della Sapienza Rom, Fasc. Cart. 1931, 1˚ Semestre. Carlini wurde 1917 zum Nachfolger seines Freundes Giovanni Gentile an die Universität Pisa berufen. In seinem 1921 erschienenen Werk über das Leben des Geistes versuchte der überzeugte Parteigänger des Faschismus, Idealismus und christlichen Glauben zu verbinden. In den 1930er Jahren wurde er in die Accademia d’Italia berufen und in die Kammer gewählt, vgl. Carlini, Armando: La vita dello spirito. Firenze 1921. Mit seinen Werken „Neo-Scolastica, idealismo e spiritualismo“ (zus. mit Francesco Ogliati, Mailand bei „Vita e pensiero“ 1933) und „La religiosità dell’arte e della filosofia“ (Florenz bei Sansoni, 1934) wandte er sich endgültig einem katholischen Spiritualismus zu. Der Altphilologe Gherardo Coppola (1898 – 1945) fand noch als Student der Universität Neapel den Weg zu den Faschisten. 1920 schloss er sein Studium ab und wechselte 1921, nachdem er den Premio Cantoni gewonnen hatte, an das Istituto di studi superiori di Firenze. Coppola wurde im Dezember 1943 Rektor der Universität von Bologna und Nachfolger Gentiles als Präsident der faschistischen Kultur-
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9. Mai 1924 neben weiteren Intellektuellen – wie die erwähnten Gherardo Marone und der spätere „Frontespizio“-Mitarbeiter Augusto Hermet – auch schon führende lokale Faschisten wie Gherardo Casini⁵¹ und der sog. Ras, also Squadristenführer von Lucca, Carlo Scorza,⁵² zugegen. Letzterer war derjenige, der eine zentrale Figur des Antifaschismus, den Journalisten und Politiker Giovanni Amendola, im Juli des gleichen Jahres bei Montecatini Terme in einen tödlichen Hinterhalt lockte.⁵³ Noch ein Dreivierteljahr vor der Tat saßen im nur rund 40 Kilometer entfernten Ripafratta mit Marone also ein enger Freund und Mitstreiter Amendolas⁵⁴ und mit Scorza quasi dessen Mörder einträchtig in Manacordas Kreis zusammen. Das illustriert deutlich, wie heterogen diese Gruppe politisch war. Zu Recht spricht Falconi in diesem Zusammenhang von Naivität.⁵⁵ Diese politische Unbedarftheit kommt in einem schwärmerisch-elegischen und zugleich rückwärtsorientierten wie kosmopolitischen Appell an die jungen Italiener zum Ausdruck, der am 23. April 1922 in einer Veranstaltung der Amici del Libro der Florentiner Patrizierin Maria Bianca Viviani della Robbia⁵⁶ verlesen wurde: Ein neuer April wird geboren. […] Liebt und freut euch an dem Wunder. Und schämt euch, wenn ihr nach den langen furchtbaren Kriegen und den listigen politischen Intrigen nicht mehr in der Lage seid, Seele und Ohr hinzugeben für einen Choral von Palestrina, an eine Fuge von Bach, an
institute. Partisanen erschossen Coppola 1945 in Dongo, wo er im Gefolge Mussolinis aufgegriffen worden war, vgl. Cinti: Il Rettore della RSI. Goffredo Coppola tra filologia e ideologia. Bologna, 2004. Der 1903 geborene Gherardo Casini war zunächst Redakteur des „Resto di Carlino“ in Bologna, bevor er in Florenz die Zeitschriften „Rivoluzione fascista“ und „Battaglie fasciste“ gründete. Zusammen mit seinem Freund Bottai gab er von 1929 – 1936 die Zeitschrift „Critica fascista“ heraus, vgl. Bottai: Diario, S. 546. Der Squadristenführer von Lucca und Milizoffizier Carlo Scorza (1897– 1988) war bis 1931 im Direktorium des PNF und bis 1939 Abgeordneter. Von April bis Juli 1943 amtierte er als Sekretär des PNF, vgl. ebd., S. 594. Giovanni Amendola war der Initiator des von Benedetto Croce am 1. Mai 1925 veröffentlichten „Antifaschistischen Manifestes“. Die Umstände seines Überfalls in Montecatini Terme beschreibt sein Sohn Amendola, Giorgio: Una scelta di vita.Milano 1976, S. 127– 129. Die im Jahre 1924 von ihm u. a. mit Giovanni Amendola ins Leben gerufene Zeitschrift „Il Saggiatore“ wurde ein Jahr nach ihrer Gründung verboten. Manacorda stand im Übrigen mit Marone noch bis mindestens Ende der 1920er Jahre in Kontakt, vgl. Guido Manacorda an Gherardo Marone, Brief vom 25. Oktober [1928]. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Gherardo Marone. Carlo Falconi: La Chiesa e le organizzazioni cattoliche in Italia, S. 182. Die 1884 geborene Maria Bianca Viviani della Robbia gehörte einer reichen Industriellenfamilie an, die in Livorno und Florenz über Stadtpalazzi verfügte. Insbesondere der im Stil einer englischen Burg ausgebaute Florentiner Palazzo an der Piazza San Gaetano an der Via Tornabuoni wurde zum Symbol des Reichtums und Prestiges der Familie. Seit 1912 verfasste sie Artikel für Zeitschriften. 1913 lernte sie Laura und Adolfo Orvieto kennen und wurde so in den Kreis des „Marzocco“ eingeführt, für den sie ebenfalls publizierte. 1921 gründete sie die Gesellschaft Amici del libro. Sie starb 1971. Zur Biografie von Viviani della Robbia siehe das Kapitel „Amiche de Larderel, Bianca di Mirafiore, Maria Bianca Viviani della Robbia“. In: Melosi, Laura: Profili di donne dai fondi dell’Archivio Contemporaneo Gabinetto G. P. Vieusseux. Roma 2001. S. 55 – 66.
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ein Vorspiel von Wagner, an eine Sonate von Beethoven; wenn ihr noch nicht angesichts einer Madonna von Gentile [Bellini] oder einer zarten Figur von Beato Angelica gelächelt habt.⁵⁷
Zu diesem Zeitpunkt beschrieb sich Manacorda als Philologe von Beruf, als D’Annunzianer in der Literatur und als Hegelianer in der Philosophie. Kurz darauf dementierte er jedoch vehement, jemals Hegelianer gewesen zu sein, schon seit seiner ersten Begegnung mit Croce 1909 stünde er in radikalem Gegensatz zum Idealismus. Seine sog. Neue Mystik gründe auf dem Kriegserlebnis in den Schützengräben des Karstes, argumentierte Manacorda. Zugleich findet sich in der „Nuova mistica“ in seinem Bemühen, Gegensätze zu vereinen, idealistisches Denken, wie überhaupt viele Mitglieder des Ripafratta-Kreises aus dem Lager Croces und Gentiles kamen. Das ganze Werk war durchdrungen von einem ungezügelten Anarchismus, mit dem Manacorda alle Institutionen wie Ehe, Recht und Staat zugunsten eines Aktivismus verwarf. Der faschismuskritische Essayist Adriano Tilgher bezeichnete Manacorda deshalb als Mystiker der Aktion, der gegen alles Erstarrte angehe.⁵⁸ Diese Vehemenz war jedoch noch nicht politisch, allerdings findet sich der gleiche Wille zur Aktion auch im Faschismus. Der philosophische Entwurf Manacordas war darüber hinaus – hier eine weitere Parallele zum Faschismus – noch widersprüchlich, bruchstückhaft und unzusammenhängend, keinesfalls existierte schon ein geschlossenes Denksystem. Entsprechend vernichtend waren die Kritiken von Gentile und Croce, deren Philosophie Manacorda attackiert hatte. Aber es gab auch gemäßigte Besprechungen bis hin zu vereinzeltem Zuspruch. Die Ripafratta-Mystiker verwarfen ihrerseits nun zunehmend vehementer die idealistische Philosophie und bezogen gegen die von ihnen als Immanentisti bezeichnete Schule um Croce und Gentile Stellung. Insgesamt hielt die Ripafratta-Gruppe drei Zusammenkünfte ab. Das vierte Treffen kam offenbar nicht mehr zustande, wohl aber eine Vorversammlung, in der ein „Appell an die Italiener“ verabschiedet wurde. Darin wurde Giovanni Gentile angekündigt, eine spirituelle Wiedergeburt werde erfolgen, sobald das Land sich der toten Last seiner Doktrin entledigt habe, die u. a. heimtückisch gottlos, moralisch zynisch, politisch repressiv und eng sei wie die schlimmsten preußischen Sitten. Hier zeigt sich die RipafrattaBewegung ganz eindeutig als Teil der religiösen Bewegung, die in den 1920er Jahren so vehement gegen den Idealismus kämpfte.⁵⁹ Zwar erklärte Manacorda noch in seiner 1926 erschienenen Schrift „Mistica minore“, seine mystische Bewegung habe in den vier Jahren stetig an Kraft gewonnen, dennoch löste sich die Gruppe aufgrund der Dissonanzen zwischen Faschisten und Antifaschisten auf.⁶⁰ Mitte der 1920er Jahre galt Manacorda als einer derjenigen Intellektuellen, die am nachdrücklichsten für „eine religiöse Erneuerung der Intelligenz und des Bewusst Vgl. Manacorda: Mistica minore, S. 230. Tilgher, Adriano: Ricognizioni. Profili di scrittori e movimenti spirituali contemporanei italiani. Rom 1924, S. 90 – 91. Vgl. Falconi: La Chiesa e le organizzazioni cattoliche in Italia (1945 – 1955), S. 182. Ebd., S. 182– 183.
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seins“ eintreten, ohne der Partei anzugehören.⁶¹ Zu dieser Zeit setzte er sich im Rahmen der innerfaschistischen Diskussion u. a. in seiner „Nuova mistica“ kritisch mit dem Begriff des Vaterlandes, des Imperialismus und der Vorstellung von einer blutsmäßigen Abstammungsgemeinschaft auseinander und wandte sich gegen die Existenz angeblicher natürlicher Grenzen von Nationen.⁶² Im Römischen Vielvölkerreich der Antike sei jede latinische ethnische Reinheit verloren gegangen. Explizit verwarf er jegliche Rassenlehre: In den Venen der Verteidiger von Verdun sei vermutlich mehr germanisches, weil fränkisches Blut zu finden gewesen als in dem der deutschen Angreifer aus Ostpreußen und Posen mit ihrer slawischen Herkunft.⁶³ Außerdem lehnte er jede Etablierung einer nationalen Religion ab.⁶⁴ Wiederum den Idealismus Croces sowie Gentiles Konzept des ethischen Staates kritisierend, hielt Manacorda nur einen christlichen Staat für ethisch.⁶⁵ Nichts führe mehr zu Krieg, als sich für ein auserwähltes Volk zu halten wie früher die Juden und jüngst die Preußen. Heute sei die Welt horizontal in Nationen und vertikal in Klassen geteilt, die Folge seien nationale Kriege und Bürgerkriege. Aber Kunst, Poesie und Religion würden die Völker verbrüdern, formulierte er sein im Grunde aufklärerisches wie zugleich naives romantisch-schwärmerisches Konzept von einem den Nationalismus überwindenden „spirituellen Universalismus“ und forderte die Italiener auf, im religiösen Sinne „Weltbürger“ zu werden.⁶⁶ In den Salons der Florentiner Oberschicht suchte Manacorda Anhänger zu finden: Der reichen, schriftstellernden Patrizierin Maria Bianca Viviani della Robbia, die zu den führenden Familien der Stadt gehörte⁶⁷, und der Schriftstellerin Clotilde Marghieri, der Tochter des Universitätsrektors⁶⁸, stilisierte er sich als einsamer, in Ripafratta versunkener Denker, der in „verzweifeltem Glauben“⁶⁹ an seiner „Nuova
Vorbemerkung der Direktion von„La Polemica“, geleitet von Antonio Goglia, zu Manacorda,Guido: Patria, Nazione, Stato. Napoli 1924. Es handelt sich um einen Sonderdruck, der in der Juni-/Juli-Ausgabe des Jahrgangs 1924 erschien. Ebd., S. 5. Ebd., S. 8. Ebd., S. 11. Der Ethische Staat Gentiles, der auf brutaler Gewalt aufbaue, verhalte sich zum christlichen Staat wie der Antichrist zu Christus, vgl. ebd. S. 16. Ebd., S. 20. Guido Manacorda an Bianca Viviani della Robbia, Brief vom 30. März o. J. In: ACGV Florenz, Carte Fondo Viviani della Robbia, 1.872. Drei undatierte Briefe von Guido Manacorda an Clotilde Marghieri sind enthalten in ebd., Carte Fondo Clotilde Marghieri, CM. 1.215.1– 3. Die Schriftstellerin Clotilde Marghieri wurde 1897 in Neapel geboren und wuchs in Florenz auf. Ihr Schwiegervater Alberto Marghieri war Rektor der Universität von Florenz, bekannter Jurist und später Senator. Zu den Gästen im Salon der Marghieri gehörten u. a. Matilde Serao und Benedetto Croce. Zu ihrer Biografie vgl. das Kapitel „Clotilde Marghieri“. In: Melosi: Profili di donne dai fondi dell’Archivio Contemporaneo Gabinetto G. P. Vieusseux, S. 73 – 78. ACGV Florenz, Carte Fondo Clotilde Marghieri, CM. 1.215.1
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mistica“ schreibe.⁷⁰ Doch nicht nur bei den Damen der besseren Gesellschaft der Arnostadt, auch bei den Intellektuellen inszenierte er sich als einsamer Denker – wie zum Beispiel gegenüber Adolfo Orvieto⁷¹ oder Mario Puccini, der in den 1920er Jahren einen Briefwechsel mit Thomas Mann führte.⁷² Voller Selbstmitleid beschrieb Manacorda gegenüber den Mitgliedern, Anhängern und Sympathisanten der RipafrattaBewegung sein Leben in der Abgeschiedenheit als Märtyrertum für seine große Aufgabe. Er habe Schreibhemmung und lese christliche Literatur, ließ er wissen. Seine Gesundheit sei sehr angegriffen und er verliere in den Hunderten von Büchern, die ihn erreichten, den Überblick.⁷³ Der Soziologe Jürgen Frese begreift solche larmoyanten Selbstbeschreibungsmuster, die Manacorda auch als erfolgreicher Faschist zeitlebens beibehielt, als typischen Akt einer symbolischen Dramatisierung des eigenen Ichs. Sich als marginalisiert verstehende Individuen versuchten mit diesem Verhaltensmuster, zu erfolgreichen Akteuren zu mutieren:⁷⁴ Aus Empörten, Verletzten und Beleidigten werden, so Frese, durch die Gruppenbildung Gläubige mit einem erklärten Feindbild, bis sie schließlich selbst ihren eigenen Führungsanspruch formulieren. Die Institutionenanalyse verfügt in diesem Zusammenhang über ein noch schärferes Instrumentarium, um den Versuch Manacordas, seine christlich-mystische Ripafratta-Gruppe gesellschaftlich zu positionieren, zu erfassen: Denn im Kern ging es dabei um die Institutionalisierung von Geltungsansprüchen im Bezug auf die politische Ordnung, im vorliegenden Fall des faschistischen Herrschaftssystems. Dieser Prozess mündete schließlich in neue Spannungsstabilisierungen von christlichem (katholischem) und politischem (faschistischem) Denken. Eine konkurrierende „Mikroinstitution“ im Sinne der Institutionenlehre bildeten ebenso die von Manacorda angegriffenen Idealisten, die nun ihrerseits angriffen. Benedetto Croce und Karl Vossler überzogen Manacordas Bekenntnis zum Mystizismus mit Spott. In seinem Brief an Benedetto Croce vom 1. Oktober 1919 bezeichnete Karl Vossler dessen ehemaligen Schüler Guido Manacorda als „sonderbaren Heiligen“, und auch vom philologischen Ansatz des Goethe- und Wagner-Übersetzers hielt er wenig:
Ebd.: Er habe in der Stille verrückte Dinge getan („cose folli“), nichts habe genutzt, er sei immer noch ein verhüllter und unruhiger Geist. Guido Manacorda an Adolfo Orvieto, Postkarte vom 3. November 1921. In: ACGV Florenz, Fondo Orvieto, Or. 1.1416.13 M. Manacorda schrieb aus Ripafratta, dass er Orvieto in der Redaktion besuchen wolle. ACGV: Fondo Mario Puccini. Hrsg. von Gloria Manghetti und Aurora Savelli. Firenze 2002, S. III. Der „Voce“-Mitarbeiter Mario Puccini (1887– 1957) war mit zahlreichen in- und ausländischen Zeitschriften in Kontakt. Nach dem Ersten Weltkrieg siedelte er nach Rom über. Guido Manacorda aus Ripafratta an Mario Puccini, Postkarte vom 26. Juli 1920. In: ACGV Florenz, Fondo Mario Puccini, 768. Frese: Intellektuellen-Assoziationen, S. 455.
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sein Schriftchen über Intellettualismo, meccanismo, misticismo [Kursivierung im Orig.] hast Du mit Recht zerzaust. Es ist nicht nur töricht, sondern auch schrecklich geschmacklos.⁷⁵
Insbesondere das negative Verdikt des idealistischen Philosophen aus Neapel, als des bedeutendsten Intellektuellen Italiens, war geeignet, Manacorda zu schaden. Damit war er im Bereich der Germanistik und der Philologie nachhaltig marginalisiert. Das Element der Selbststigmatisierung als Mystiker gab ihn in den Augen seines ehemaligen Mentors, und damit in großen Teilen der akademischen Welt – genau genommen der antifaschistischen, liberalen und (auch in ihrer faschistischen Variante) laizistischen Intellektuellen – fast der Lächerlichkeit preis. Entsprechend lautete fast 30 Jahre später das Urteil in einem Schriftstellerlexikon über Manacorda: Von der Philologie hat er die Arbeit des Schriftstellers auf die Religion, auf die Politik und auf die Poesie ausgedehnt. Diese Spannbreite an Neigungen, obwohl allesamt erleuchtet von einem mystischen Drängen, hat nur wenig überzeugt, oder wenigstens keine adäquate Resonanz erfahren. Andere sagen aufgrund von Verzettelung und Oberflächlichkeit oder in der Folge der harten Polemiken (mit Farinelli und Croce).⁷⁶
Dieses Ausgestoßenwerden verstärkte nun bei Manacorda den allgemeinen Geltungsanspruch seiner Mystik. Dabei setzte er sich endgültig und immer feindseliger von der liberalen, idealistischen Philosophie Benedetto Croces und von der Faschismus-kompatiblen aktualistischen Variante Giovanni Gentiles ab. Möglicherweise hängt damit auch Manacordas Wechsel von der Universität Neapel an die Universität von Florenz zusammen, wohin er sich im Jahre 1925 bewarb. In diesem Fall wäre es eine Flucht vor Croce und dem Idealismus gewesen.⁷⁷ Doch bleiben die Gründe für seine Rückkehr in den Norden Spekulation, die Quellen geben darüber keine Auskunft. Fest steht jedoch, dass sich sein zielloses eremitisches Arbeiten und der diffuse Mystizismus der Ripafratta-Gruppe auf Manacorda zunächst insgesamt negativ auswirkten: Vorerst verlor er als Intellektueller in akademischen Kreisen mehr Ansehen, als er in den großbürgerlichen Lesezirkeln von Florenz und vorübergehend bei einigen spiritualistisch orientierten Intellektuellen gewann. Vor allen Dingen die Damen der Gesellschaft waren geneigt, die religiösen Schwärmereien eines Mannes ernst zu nehmen, der sich mit einer düsteren und leidenden Aura schmückte. Als folgenschwerer erwies sich, dass Manacordas Gruppe nur lose strukturiert war und sich schon bald wieder auflöste. Mitte der 1920er Jahre schien Manacordas Selbststilisie-
Karl Vossler an Benedetto Croce, Brief vom 1. Oktober 1919. In: Carteggio Croce-Vossler, S. 237– 239, hier S. 238. Vgl. Fusco: Scrittori e idee, S. 95 f. R. Università degli Studi di Firenze: Estratto dal verbale dell’adunanza del 14 maggio 1925. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG. Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido.
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rung somit gescheitert und ihm drohte mangels Anhängern und Gefolgschaft die geistige Isolation.⁷⁸ Dieser Misserfolg mag dazu beigetragen haben, dass der Professor seinen Versuch einer eigenen autonomen neuen Verbindung von Mystik und Philosophie im Jahre 1927 aufgab und in den Schoß der Kirche zurückkehrte. Er schloss sich der franziskanischen Richtung an, die seines Erachtens seiner Vorstellung von einer mystischen Religiosität am nächsten kam. Im September 1927 schrieb er Papini, der sittliche und ethische Franziskanismus sei für ihn der höchste Ausdruck der Christenheit und des Katholizismus.⁷⁹ Seine Rekonversion zur Amtskirche ging einher mit der Veröffentlichung seines einzigen Dramas „Paolo di Tarso“.⁸⁰ Zu seiner Wiederannäherung an den Katholizismus mag, wie Maria Serafina Mazza mutmaßt, sein Studium der Kirchenväter beigetragen haben, denn er war nun Herausgeber der Editionsreihe „Testi cristiani“ des Verlages Libreria editrice fiorentina und widmete sich intensiv sprachlich moderner und kommentierter Übersetzungen christlicher Texte.⁸¹ Möglicherweise war diese Beschäftigung mit den katholischen Kirchenvätern eher Ausdruck seiner Wiederannäherung an den Katholizismus als Motiv für seine Rekonversion. Plausibler scheint die Erklärung von Carlo Falconi, der den Grund für die Rekatholisierung Manacordas in dessen Einsicht in die Unmöglichkeit sieht, die verschiedenen spirituellen und politischen Tendenzen der Ripafratta-Gruppe fest miteinander zu verbinden oder wenigstens miteinander in Einklang bringen zu können.⁸² Manacorda selbst äußerte sich später mehrfach dazu, ohne allerdings auf seine übliche Selbststilisierung zu verzichten. 1932 schrieb er, dass er sich, je mehr sein Katholizismus angegriffen wurde, desto mehr verpflichtet gefühlt habe, ihn zu leben, wobei er nun im Rückblick seinen Glauben mit dem katholischen Bekenntnis gleichsetzte.⁸³ Im Jahre 1940 charakterisierte er sich gegenüber Mussolini wie folgt: Er sei langsam von einem romantisch-intellektuellen Anarchismus zum imperialen Faschismus gereift. Immer sei er antidemokratisch und gegen die Freimaurer gewesen. Mit „granithartem“ Glauben sei er überzeugt von der Zukunft und der historischen Mission des von Mussolini gegründeten Impero. ⁸⁴ Äußerst katholisch erzogen, habe er sich von der Religion abgewandt, ehe er wieder zum Katholizismus im Zeichen von Augustinus und Dante zurückgefunden habe. Aber er kämpfe gegen den zentristischen politi-
Oevermann: Der Intellektuelle, S. 30. Er sei sehr stolz, denn im Franziskanertum müsse man das aufnehmen, was dunkel, morbide und sentimentalistisch sei und aus dem die sog. Gesellschaft schöpfe, vgl. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief vom 3. September [1927– 1930], S. 2, APC Fiesole, Archivio Papini. Manacorda,Guido: Paolo di Tarso. Firenze 1927. Mazza: Not for art’s sake, S. 135. Falconi: La Chiesa e le organizzazioni cattoliche in Italia, S. 183. Manacorda, Guido: Benedetto Croce ovvero dell’improntitudine. Firenze 1932, S. 93. Vgl. Lebenslauf für Mussolini. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 1˚ Semestre, S. 1– 2.
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schen „demo-freimaurerischen, fordistischen, rooseveltianischen Katholizismus“ der Volkspartei.⁸⁵ Nach seiner Rekonversion zum Katholizismus erhielt Manacorda von wichtigen katholischen Intellektuellen Anerkennung ausgesprochen. Domenico Giuliotti, der als Erzähler, Essayist, Poet und Übersetzer einen prominenten Namen in Italien hatte⁸⁶, gehörte zu den vehementesten und wortgewaltigsten Verfechtern eines absoluten und integralen Katholizismus ohne jegliche Zugeständnisse an die moderne Welt. Er pflegte steten Kontakt mit dem jungen katholischen Schriftsteller und Journalisten Piero Bargellini und war verantwortlich für die Rekonversion Papinis, mit dem er eng zusammenarbeitete. Bis Mitte der 1920er Jahre kannten sich Giuliotti und Manacorda nicht persönlich. Der reaktionäre Eremit aus Greve in Chianti, der dort eine ärmliche Landwirtschaft betrieb, äußerte sich aber durchaus wohlwollend bezüglich der Glaubensfestigkeit Manacordas. Dennoch machte er sich in der ihm eigenen Härte über Manacordas Prosa lustig, die er als teilweise „unglaublichen Quatsch“ bezeichnete.⁸⁷ Zu einem ähnlichen, wenn auch nicht so drastisch formulierten Urteil kamen noch andere integrale Katholiken. Sehr erboste es Manacorda, dass sein in Versen verfasstes Drama „Paolo di Tarso“ in der Presse vom erwähnten Piero Bargellini als Wiederaufleben des „Dolce Stil nuovo“ Dantes belächelt wurde.⁸⁸ Manacorda sah sich dadurch als Veteran des Karstes in seinen darin ausgedrückten religiösen Gefühlen verunglimpft und von Salonschreibern angegriffen, die nie einen Schützengraben gesehen hätten.⁸⁹ Trotzdem war seine Stellung als Intellektueller gestärkt, weil Manacorda die Unterstützung der katholischen Intelligenz erhielt und zu einer immerhin akzeptierten Stimme im katholischen Milieu geworden war. Denn sein Mystizismus erschien als aussichtsreiche Variante im Kampf um die Rekatholisierung Italiens. Im Sinne Freses bot er ein allgemeines Modell für alle Katholiken an, das durch seine Rückkehr in die Amtskirche nun für weite katholische Kreise an Ebd., S. 2. Domenico Giuliotti (geb. S. Casciano Val di Pesa 1877, gest. Greve in Chianti 1956) gründete mit seinem Freund Federigo Tozzi 1913 in Siena die katholisch-intransigente Zeitschrift „La Torre“, in der er eine Rückkehr zur religiösen Orthodoxie forderte. Die Zeitschrift hatte nur bis 1914 Bestand, Giuliotti zählte nach seiner Konversion zu den reaktionären Katholiken. In den 1920er Jahren redete er einem Primat der Kirche über den Staat das Wort. 1920 erschien sein bekanntestes Werk „L’ora di Barabba“, dem ein bitterer und polemischer Ton, gepaart mit starkem Glauben, zu eigen war, vgl. ACGV Florenz, Carte Fondo Domenico Giuliotti. Vgl. Domenico Giuliotti an Raimondo Manzini, Brief vom 21. Juli 1927. In: Permoli, Piergiovanni: Lettere da Gobetti a Tozzi. In: Nuova Antologia Gennaio/Marzo (1980). S. 213 – 232, hier S. 229 – 230. Manzini war ein katholischer Journalist, Direktor des „Carroccio“, einer Monatsschrift für junge Katholiken, die von 1922 bis 1940 bestand. Von 1927 bis 1960 leitete er den „L’Avvenire d’Italia“ und danach den „Osservatore Romano“, ebd. Bargellini hatte in der antimodernistischen Zeitschrift„Fede e Ragione“ in der Ausgabe vom 15. August 1927 Manacordas Drama „Paolo di Tarso“ besprochen, vgl. Piero Bargellini – Carlo Betocchi: Lettere (1920 – 1979). Hrsg. von Maria Chiara Tarsi. Novara 2005, S. 52. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Handschriftliche Mitteilung ohne Datum [1927– 1928], APC Fiesole, Archivio Papini.
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nehmbar geworden war. Damit schwächte jedoch Manacorda paradoxerweise in dem Maße, wie er seinem Denken durch die Macht der Kirche Geltung verschaffte, seine Rolle als selbstständiger Intellektueller, weil er sein kritisches Potenzial aufgab, das, so Lepsius, die Voraussetzung für intellektuelle Legitimation darstellt.⁹⁰ Aus dem kritischen Intellektuellen wurde ein affirmativer Intellektueller, der sich einem reaktionären katholischen und später dann faschistischen Projekt verschrieb. Karl Mannheim charakterisiert einen solchen Rollenwechsel vom kritischen Aufklärer zum Reaktionär treffend als typischen „Rechtfertigungsdenker“.⁹¹ In den Worten von Wolfgang Eßbach war es im doppelten Sinne die häretische Linie, die er durch den Schulterschluss mit der katholischen Kirche aufgab. Auf diese Weise wurde Manacordas Denken zugleich Teil der katholischen Denkströmung, ehe er sich durch die Annäherung an den Faschismus als Intellektueller ein zweites Mal desavouierte.⁹² Dieser Prozess lässt sich mit Hilfe einer wissenssoziologischen Perspektive noch besser fassen: Nach Abschluss der LateranVerträge bildete sich in den 1930er Jahren ein kollektives faschistisch-katholische Denksystem heraus. Doch zunächst zeichneten sich Manacorda und Papini– wie es für(Re)Konvertiten typisch ist– durch besonders doktrinäre Rigidität in ihrem katholischen Glauben aus, weshalb sie dem faschistischen Regime und dem italienischen Staat noch distanziert gegenüber standen. Beispielsweise verwarfen Giuliotti und Papini in dem von ihnen redigierten „Dizionario dell’Omo Salvatico“ (Florenz 1923) das römische Kaisertum, was ein Affront gegen die Faschisten war, die das antike Rom als Vorbild für ihr politisches Projekt uneingeschränkt bewunderten.⁹³ Erst allmählich näherten sie sich dem Faschismus an, genauso übrigens wie Filippo Tommaso Marinetti, der in dieser Zeit ebenfalls zum Katholizismus zurückgefunden hatte. Marinetti bezeichnete jetzt Jesus als Futuristen und Gott als obersten Künstler. Marinetti stand einer politischen Vereinnahmung durch den so regimenahen Secondo Futurismo und der Person Mussolini anfangs distanziert gegenüber, wie private Aufzeichnungen von ihm aus den frühen 1920er Jahren belegen⁹⁴, ehe er sich vorbehaltlos in den Dienst des Regimes stellte.⁹⁵
Lepsius: Interessen, Ideen und Institutionen, S. 271. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 457. Oevermann: Der Intellektuelle, S. 38. Domenico Giuliotti – Giovanni Papini. Carteggio, Bd. 1: (1913 – 1927).Hrsg. von Nello Vian. Roma 1984, S. 316. Härmänmaa, Marja: Un patriota che sfidò la decadenza. F. T. Marinetti e l’idea dell’uomo nuovo fascista 1929 – 1944. Helsinki 2000. In der Folge stellte er seine Strömung willig und aus persönlicher Überzeugung in die Sache des Impero. Seine vorübergehende Distanz zum Diktator verwandelte sich zu einer aktiven Forcierung des Ducekults, vgl. Berghaus, Günter: Review Article: New Research on Futurism and its Relations with the Fascist Regime. In: Journal of Contemporary History 1 (2007). S. 149 – 150, hier S. 152.
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Manacorda trat am 3. Januar 1925 dem PNF bei.⁹⁶ Zunächst war sein Engagement eher zögerlich, denn er lehnte es ab, sich, wie gefordert, ostentativ öffentlich zum Regime zu bekennen und das Manifest der faschistischen Intellektuellen ⁹⁷ zu unterzeichnen, wie er Franco Ciarlantini, dem Leiter des das Presse- und Propagandaamt der Partei⁹⁸ mitteilte. Letzterer rief die geistige Elite und daher auch das neue Parteimitglied Manacorda zur Unterschrift auf.⁹⁹ Allerdings, fügte Manacorda an, könne er genauso wenig das antifaschistische Gegenmanifest Benedetto Croces und Giovanni Amendolas unterzeichnen, das ihm von seinem Universitätskollegen Guido Della Valle zugesendet worden war.¹⁰⁰ Gegen das niedere Preußentum hätte Italien im Weltkrieg gekämpft, und daran mahnten die Toten, schrieb Manacorda an den Pressechef Mussolinis, auch wenn es einen respektablen Prussianismus gebe, wie Bach, Goethe, Beethoven, Schelling, Schleiermacher etc. bewiesen. Die Philosophie der beiden Hegelianer Croce und Gentile sei inhaltlich genau gleich, ihr Dissens sei nur persönlicher Natur. Mit dem „niederen Preußentum“ meinte Manacorda wiederum den italienischen Neoidealismus Hegel’scher Provenienz. Auf Hegel gingen seines Erachtens einerseits Marx, Engels und Lassalle, andererseits Treitschke, Rodenbach und Bernhardi zurück.¹⁰¹ Und schon hier formulierte er seinen sich seit Ripafratta formierenden schwärmerischen „Denkstil“, der eine gesamtgesellschaftliche Reinigung durch den geistig-kulturellen Primat Italiens forderte und den er später mit dem Faschismus realisieren wollte. Man müsse, schrieb er Ciarlantini, die Italiener wieder universal machen im Rahmen aller Einschränkungen der möglichen Politik: Wir müssen Magna Grecia werden (das das griechische Denken schuf), Christentum, Renaissance, Dante, Leonardo, Michelangelo, Leopardi, Mazzini, Rossini etc. und den Virus ausscheiden, der uns und Europa vergiftet hat. Das ist, glaube ich, unser Beitrag, wenn wir uns und die anderen retten wollen.¹⁰²
Doch noch sah sich Manacorda, gebrannt durch das Scheitern seiner Intellektuellengruppe, als Einzelkämpfer nach dem Motto Giovanni Pascolis aus dem Gedicht „La piccozza“: „Da me, da solo, solo con l’anima.“ Daher stehe er allen Parteien fern, dem Manacorda an die Federazione Fascista di Firenze, Brief vom 23. Januar 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Tessera 1925. Zur Perzeption des Manifests der faschistischen Intellektuellen vgl. Tarquini: The Anti-Gentilians, S. 643 – 645. Franco Ciarlantini (1885 – 1940) war Abgeordneter und im Direktorium des PNF, vgl. Bottai: Diario, S. 549, sowie De Begnac: Taccuini mussoliniani, S. 290. Guido Manacorda an Franco Ciarlantini, Brief vom 5. Juli 1925. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1925, 2˚ Semestre. Guido della Valle an Guido Manacorda, Brief o. D. [Mai 1925]. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1925, 1˚ Semestre. Guido Manacorda an Franco Ciarlantini, Brief vom 5. Juli 1925. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1925, 2˚ Semestre. Guido Manacorda an Franco Ciarlantini, Brief vom 5. Juli 1925, ebd.
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erstarrten Heidentum ebenso wie dem falschen Katholizismus, den Croce und Gentile aus dem teutonischen Protestantismus schöpften, der allen reinen und vornehmen Traditionen Italiens zuwiderliefe. Er sei kein Freidenker und habe immer gegen Demokratie, Sozialismus und Kommunismus gekämpft. Er wolle aber jenseits der Politik zum Aufbau einer geistigen Welt beitragen, begriff er sich noch nicht als Parteiaktivist.¹⁰³ Dieser finale Schritt zum Faschismus ist Gegenstand der nächsten Abschnitte. Was den Katholizismus betrifft, so berichtete Don Giuseppe de Luca, der als Intellektueller in der katholischen Kultur des Landes eine Schlüsselstellung einnahm, am 23. März 1931 Giuseppe Prezzolini, gebe es in Italien mindestens zwölf verschiedene Kategorien.¹⁰⁴ In der Italia Letteraria vom 1. Oktober 1931 persiflierte der Literaturwissenschaftler Enrico Falqui in einem scharfzüngig-metaphorischen Rundblick über die „neue literarische Stadt“ Italiens die rechten bzw. intransigenten katholischen Strömungen des Corso Papini: Im Corso Papini sind die Giebeldächer der Kirchtürme zu einem Wald geworden. Die Fenstergitter der Klöster verflechten sich auf den Fassaden der Häuser zu einem großen Gebildvotiv. Aus ihnen ragen schwankende, philosophische Altäre heraus, die sich – wie im Gesang des Mignosi¹⁰⁵ – niemand zu enthüllen traut. Unzählig sind die Bildungsanstalten wie die von […] Cesare Angelini und die katholischen Studienkreise nach dem Vorbild von Filippo Crispolti.¹⁰⁶ Alles ist Andacht, Kasteiung, Entsagung, Gebet. Nur aus der Pfarrei Giuliotti¹⁰⁷ riecht man dann und wann Kerzenstümpfe. Die gleichen Kerzenstümpfe werden in der angrenzenden Wachsfabrik ManacordaZanfrognini¹⁰⁸ hergestellt und in der Pasamentfabrik Augusto Hermet¹⁰⁹& Co verziert.¹¹⁰
Diese Szenerie ergänzte der Historiker Falconi 1956 durch die Bemerkung, der Corso Papini sei – vor allem durch die ersten zehn Jahre der faschistischen Diktatur – si Guido Manacorda an Franco Ciarlantini, Brief vom 27. Juli 1925, ebd. Don Giuseppe de Luca – Giuseppe Prezzolini, S. 83. Pietro Mignosi war Gründer einer neoromantischen sizilianischen Gruppe um die Zeitschrift „La Tradizione“. Vgl. Moro: Il mito dell’Impero, S. 335. Filippo Crispolti war Mitglied des Centro nazionale, vgl. ebd., S. 341. Domenico Giuliotti wurde 1916 eingezogen und arbeitete im Kriegsministerium in Rom als Sottotenente beim Generalstab. In dieser Zeit knüpft er einen immer engeren Kontakt zu Papini. Die 1913 begonnene Freundschaft Giuliottis zu Giovanni Papini in der Zeitschrift „La Torre“ bestärkte Letzteren, sich 1920 wieder dem Glauben zuzuwenden, vgl. Izzi, Giuseppe: Domenico Giuliotti.Dizionario Biografico degli Italiani. Roma 2001. Bd. 57. S. 56 – 60; Arnone, Vincenzo: Papini. Un uomo … infinito. Padova 2005, S. 44– 45; Papini, Giovanni: A Domenico Giuliotti. In: Il Frontespizio 2 (1937). S. 112– 113, hier S. 113. Pietro Zanfrognini an Guido Manacorda, Brief vom 26. Juli 1923. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Corrispondenze 1922– 24: Movimento Mistica I-II. Der Mystiker und Philosoph Zanfrognini tauschte sich ebenfalls in verschiedenen Briefen mit Manacorda aus. Augusto Hermet gehörte zu den Gründern des „Frontespizio“. Er verfasste eine Reihe von Artikeln über die florentinischen Avantgarde-Zeitschriften. 1940/41 veröffentlichte er im florentinischen PNFOrgan eine Reihe von Propaganda-Artikeln über das Achsenbündnis,vgl. Hainsworth, Peter: Fiorentine cultural journalism under fascism ‚Il Bargello‘. In: The Modern Language Review 3 (2000). S. 696 – 711, hier S. 710 f. Zitiert nach: Carlo Falconi: La Chiesa e le organizzazioni cattoliche in Italia, S. 175.
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cherlich nicht die Hauptverkehrsachse, aber Anfang der 1930er Jahre zu einer der dicht bewohntesten Verkehrsachsen und lautesten geworden.¹¹¹ Für den politischen Lärm war, so ließe sich hinzufügen, Guido Manacorda mit verantwortlich, der dafür sorgte, dass der Corso Papini, in die Viale Manacorda mündete, einer faschistischen Aufmarschstraße, die gleichermaßen von pompösen Kruzifixen sowie von MussoliniBüsten und Liktoren-Stelen flankiert war. Am Ende der 1920er Jahre war es zur Annäherung zwischen den beiden Rekonvertiten Giovanni Papini und Guido Manacorda gekommen, deren – trotz räumlicher Nähe – intensiver Briefwechsel von 1928 bis zu Papinis Tod dauerte. Schon bald sprach Manacorda wiederholt von einem brüderlichen Verhältnis. Hinzu kam, dass der Professor in einem Haus Papinis in der Via Farina eine Wohnung mietete, wo er sich allerdings über das störende Klavierspiel einer Nachbarstochter bitterlich beklagte, weil es ihn von der Arbeit abhalte.¹¹² Außerdem schweißte sie ihre gemeinsame „Mission“ der Rekatholisierung Italiens zusammen, hielten sich beide für Glaubenskämpfer. So schrieb Manacorda in Bezug auf seine eigene Reihe Testi cristiani im ersten überlieferten Brief, die strategische Schlacht werde beginnen.¹¹³ In der Folge ging es um die verschiedenen Editionsprojekte zu mystischen bzw. christlichen Themen¹¹⁴. Dabei zeigte sich, dass Manacorda seine Herausgeberschaft zu sehr in Anspruch nahm und vor allem, dass ihm die Finanzierung zunehmend über den Kopf wuchs.¹¹⁵ Leichter von der Hand ging ihm seine Arbeit als Mystiker und Schriftsteller. Im Frühjahr 1930 schrieb Manacorda im faschistischen Jargon, die Arbeit an seiner „Mistica“ gehe im Bersaglieri-Schritt voran, außerdem habe er den ersten Band der Testi cristiani fertiggestellt.¹¹⁶ Im gleichen Jahr stellte er auch seinen autobiografischen Roman Giorgio Delgani. Geschichte eines mittelmäßigen Menschen fertig.¹¹⁷ An Papini schrieb Manacorda, ihre immer engere Freundschaft lobend, einsam sei sein Ebd. Francesco Traniello, der den Forschungsstand zu dieser Frage bilanzierte, relativierte allerdings die Bedeutung der sog. mystischen und konfessionellen Zusammenschlüsse für die christliche Reformbewegung, die nach dem Ersten Weltkrieg Ausdruck des Auflösungsprozesses von Werthaltungen und ideologischen Orientierungen gewesen seien, aber über keine breite soziale Basis verfügt hätten, vgl. Traniello, Francesco: Città dell’uomo. Cattolici, partito e stato nella storia d’Italia. Bologna 1998. S. 168 – 169. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief vom 7. Januar 1932. In: AdN della Sapienza Rom, Fasc. Papini. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief vom 8. März 1928 aus Rom. In: APC Fiesole, Archivio Papini. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief vom 18. Juni 1928, ebd. Manacorda schrieb, die Arbeit an der „Mistica Maggiore“ gehe voran und er habe ein Ultimatum vom Ferrari-Verlag erhalten. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief vom 22. Juni 1928, ebd. Der Reihe Testi cristiani, der kritischen Edition griechischer und lateinischer Schriften, war kein großer Erfolg beschieden. Sie existierte seit 1930 und wurde schon im Folgejahr 1931 wieder eingestellt, vgl. Bargellini – Betocchi: Lettere, S. 62. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief vom 26. Mai 1930. In: APC Fiesole, Archivio Papini. Gemeint ist Guido Manacordas Werk „Giorgio Delgani. Storia di un uomo mediocre“.
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Protagonist Delgani, aber er habe seinen Weg in Demut aufgenommen. Daher sei dies kein leerer Stolz eines Mittelmäßigen („Uomo mediocre“), wie er es bezeichnete, oder eines Niemands („Uomo nullo“), wie Papini es ausdrücke.¹¹⁸ Sein Werk richte er gegen die sog. gebildeten demokratischen Kreise, die das Nichts über Gott stellten. Allerdings hielten weder Papini noch Giuliotti den Roman für gelungen.¹¹⁹ Es sollte für über ein Jahrzehnt sein letzter literarischer Versuch bleiben. Aus dem zu diesem Zeitpunkt zwar philofaschistischen, im Grunde aber apolitischen Netzwerk von gleichgesinnten katholischen Intellektuellen, die in verschiedenen Projekten seit den 1920er Jahren für die Rekatholisierung Italiens in Kultur und Gesellschaft wirkten, ging die Monatsschrift „Frontespizio“ hervor. Sie entstand auf Initiative von De Luca und wurde das wichtigste Medium im katholischen Milieu, das dort zumindest vorübergehend die Meinungsführerschaft innehatte. Waren die Zeitschriften „Voce“ oder „Lacerba“ wegweisend für die italienische Avantgarde der Vorkriegszeit, so wurde der „Frontespizio“ zum Leitmedium der Gegenavantgarde. Die Zeitschrift genoss besonders Anfang der 1930er Jahre großes Ansehen, so Renato Moro, das bis weit hinein in die Azione Cattolica und vor allem in die gebildeten Kreise reichte. Attraktiv machte den „Frontespizio“, dass darin versucht wurde, den Graben zwischen der Kirche und der Moderne zu überwinden und so zu einer katholischen Renaissance zu gelangen, die wiederum eine religiöse Hegemonie im intellektuellen Leben des Landes schaffen sollte. Leitmotiv war hier – wiederum ausgehend vom Prinzip der Toskanität¹²⁰ – die erwähnte anspruchsvolle Nuova Apologetica De Lucas, die die laizistische mit der kirchlichen Tradition zu versöhnen trachtete. Persönlichkeiten wie Giuseppe De Luca, Giovanni Papini, Piero Bargellini, Domenico Giuliotti, Carlo Bo, Nicola Lisi und Carlo Betocchi, so Moro weiter, die hier zusammenkamen, genossen nicht nur innerhalb des katholischen Milieus großes Ansehen, sondern waren für die italienische Kultur im Ganzen von zentraler Bedeutung.¹²¹ In den 1930er Jahren vollzog sich jedoch ein Prozess der Selbstfaschisierung des „Frontespizio“, der ihn unter der Leitung von Giovanni Papini von 1938 bis zur Einstellung der Zeitschrift im Jahre 1940 zu dem Periodikum machte, das nach Ansicht Manacordas faschistisches und katholisches Denken am überzeugendsten miteinander verband.¹²² Die
Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief von Corpus domini [19. Juni] 1930. In: APC Fiesole, Archivio Papini. Giuliotti schrieb, er habe sich mit dem „knorpeligen Guido“ über dessen Buch unterhalten. Der wolle seinen Fehler, auf den Papini zu Recht hingewiesen habe, nicht einsehen, zumal er auch auf positive Resonanz gestoßen sei. Dies sei ein falscher Manacorda, er warte auf den richtigen, mit den versprochenen Veröffentlichungen zur Literaturwissenschaft und zur Mystik, vgl. Domenico Giuliotti an Giovanni Papini, Brief vom 2. Juli 1930. In: Carteggio Giuiliotti – Giovanni Papini. Bd. 2: (1928 – 1939). Hrsg. von Nello Vian. Roma 1989, S. 184. Fallacara, Luigi: Vorwort. In: Il Frontespizio 1929 – 1938. Antologia, S. 9 – 18, hier S. 9. Auf den Seiten 532– 557 findet sich ein Verzeichnis mit sämtlichen Artikeln der jeweiligen Autoren. Moro: La formazione della classe dirigente cattolica, S. 140 – 143. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 3. Oktober 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai.
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Freiwilligkeit des Eintretens für den Faschismus kommt auch darin zum Ausdruck, dass der „Frontespizio“ vom Ministero della Cultura popolare (Minculpop), das den Kulturbetrieb und die Presse kontrollierte, nur eine einmalige Zahlung erhielt. Diese war mit 10.000 Lire mehr als gering, zieht man in Betracht, dass manche offiziöse Organe sechs- oder gar siebenstellige Summen erhielten. In der Tat erhielt der „Frontespizio“, der eine Auflage von 10.000 Exemplaren hatte, am weitaus wenigsten von allen 387 vom Ministerium subventionierten Periodika, von denen Angaben überliefert sind.¹²³ So groß der Einfluss des „Frontespizio“ werden sollte, so unscheinbar waren seine Anfänge: Die Nullnummer des „Frontespizio“ erschien am 26. Mai 1929 anlässlich der dritten Buchmesse in Florenz als kostenlose zwölfseitige Verlagsbeilage der Libreria Editrice Fiorentina.¹²⁴ Der Leitartikel war von Giovanni Papini. Die wichtigsten Autoren wurden im Porträt vorgestellt, darunter auch Bargellini und Manacorda. Drei Monate später erschien dann die achtseitige erste reguläre Nummer mit dem Titel Bolletino bibliografico della Libreria Editrice Fiorentina mit Enrico Lucatello als verantwortlichem Direktor¹²⁵, dem schon 1930 Bargellini folgte. Ab Dezember 1930 wurde die Zeitschrift beim bekannteren Verlag Vallecchi verlegt.Von Anfang an war „Il Frontespizio“ mehr als eine literarische oder Kunstzeitschrift. Er war ein Organ, dem es um die kulturelle Hegemonie ging. Denn in diesen beiden Sektoren konnte die kulturelle Debatte geführt werden, ohne sich auf das ideologisch gefährliche Gebiet der Politik zu bewegen.¹²⁶ Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die katholische Kirche auf beiden Gebieten einen intransigenten Kurs fuhr.¹²⁷ Der „Frontespizio“ befasste sich gemäß der delucanischen Apologetik intensiv mit der modernen Kunst, die er im Unterschied zur Kurie begrüßte, wenngleich er sie aus der Perspektive der faschistisch und katholisch orientierten Strapaese-Bewegung perzipierte.¹²⁸ Letztere hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die ursprünglichen Werte der bäuerlichen Lebenswelt Italiens zu erhalten und diese gegen die Urbanität, gegen fremde Einflüsse und Moden sowie gegen den Materialismus und überhaupt eine laizistische Konzeption des Lebens zu verteidigen. Eine faschistische Variante entstand in den 1920er Jahren um die squadristische toskanische Zeitschrift „Il
Sedita: Gli intellettuali di Mussolini, S. 171. Im August 1938 erbat nicht etwa die Redaktion, sondern der Verleger Attilo Vallecchi eine Unterstützung. Parteiorgane wie „Augustea“ (1,3 Mio. Lire), „Corriere Adriatico“ (2 Mio. Lire) erhielten weitaus größere Beträge. Die größten Summen bekamen vor allem antisemitische Organe wie „Difesa della Razza“ (3,7 Mio. Lire), „Quadrivio“ (1 Mio. Lire), „Regime Fascista“ (1,1 Mio. Lire) oder „Tevere“ (1,2 Mio. Lire). Insgesamt gab das Minculpop von 1933 bis 1943 über 410 Mio. Lire an Pressesubventionen, ebd. S. 232– 244. Maini, Roberto und Marta Zangheri (Hrsg.): La Libreria Editrice Fiorentina da oltre un secolo cenacolo di fede e di scienza in mezzo alla città. Firenze 2004, S. 63 f. Arnone: Papini. Un uomo … infinito, S. 60. Mangoni: L’interventismo della cultura, S. 244. Ebd., S. 245. Ebd., S. 245.
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Selvaggio“.¹²⁹ Ihr Vorläufer ist in dem Konzept der Toskanität, wie sie 1913/1914 in der Zeitschrift „La Torre“ von Domenico Giuliotti propagiert wurde, zu finden.¹³⁰ Daneben spricht die Forschung auch von einer katholischen Variante des Strapaese, wie sie von den jungen Herausgebern des bäuerlichen Almanachs Calendario dei pensieri e delle pratiche solari, Piero Bargellini, Carlo Betocchi und Nicola Lisi vertreten wurde, der in den Jahren 1923 bis 1924 erschien. In diesem Kalender propagierten die jungen Katholiken eine Synthese von katholischer Lehre sowie antiaufklärerischen und analphabetischen Volksweisheiten.¹³¹ Piero Bargellini, Giovanni Papini und Ardengo Soffici arbeiteten außerdem beim „Selvaggio“ mit. Die Lateranverträge vom 11. Februar 1929, die den historischen Ausgleich zwischen italienischem Staat und der Kirche mit sich brachten, ermöglichten nun im „Frontespizio“ eine faschistisch-katholische Synthese zwischen beiden Strapaese-Richtungen, sofern es sie realtypisch je gegeben hat. Insgesamt war die Perzeption der Moderne seitens der Monatsschrift unter den genannten ästhetisch-religiösen Prämissen zwar nicht ablehnend, aber dogmatisch reaktionär. Genauso wie sich ehemals die „Voce“ dem Idealismus Croces verschrieben hatte, bezog sich der „Frontespizio“ jetzt auf den Katholizismus. Soffici beispielsweise, der Kubismus und Futurismus in den Bildenden Künsten Italiens mit am nachhaltigsten verbreitet hatte, versuchte nach dem Ersten Weltkrieg, das Strapaese-Konzept umzusetzen, indem er nun gegenständliche bäuerliche Sujets darstellte und sich an der klassischen mittelalterlichen toskanischen Malerei orientierte. Er brach unter dem Leitbild des „Ritorno all’ordine“ vollkommen mit der Moderne, was sein kreatives Potenzial zum erliegen brachte.¹³² Demgegenüber revidierten Künstler wie Carrà oder Picasso lediglich ihren modernen Stil durch die Aufnahme archaischer Elemente und behielten ihre Authentizität.¹³³ Die Kontinuität der Strapaese-Tradition im „Frontespizio“ wurde auch von den Beteiligten so empfunden: Bargellini sah die Monatsschrift als direkte Fortsetzung des Calendario. ¹³⁴ Luisa Mangoni konstatierte für die Periode zwischen dem Abschluss der Lateranverträge und der letzten faschistischen Zeitschrift „Primato“ von Giuseppe Bottai
Vgl. Adamson, Walter L.: The Culture of Italian Fascism and the Fascist Crisis of Modernity: The Case of Il Selvaggio. In: Journal of Contemporary History 4 (1995). S. 555 – 575, hier S. 558 f.; ders.: Fascism and Culture, S. 424. Der „Torre“ wandte sich kämpferisch gegen das liberale Italien, gegen Freimaurerei, Demokratie und Sozialismus, aber auch gegen den Futurismus, vgl. Nevola, Maria Luisa: Introduzione. In: Il calendario dei pensieri e delle pratiche solari. Hrsg. von Piero Bargellini, Carlo Batocchi und Nicola Lisi. Napoli 1987. S. 7– 31, hier S. 29. Ferner wurde der Gehorsam gegenüber Autoritäten, die Disziplin in einer Hierarchie, die ausgehend von der Familie zum Reich Gottes führen sollte, eingefordert, vgl. Nevola: Introduzione, S. 15. Entsprechend schrieb Italo Tavolato bereits 1925 im „Kunstblatt“, Soffici sei zum „Postimpressionismus“ zurückgekehrt, vgl. Tavolato, Italo: Chronik der futuristischen Instauration. In: Das Kunstblatt 9 (1925). S. 354– 359, hier S. 359. Bauer, Franz. J.: De Chirico baut. Der Raum und die Leere in der Stadt des Faschismus. In: QFIAB 83 (2003). S. 319 – 362, hier S. 339. Bargellini, Piero: Pagine di una vita. Firenze 1981, S. 45.
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eine Symbiose zwischen katholischer Kultur und Faschismus, in der schwer zu unterscheiden sei, welche der beiden Parteien mehr gegeben oder erhalten habe. Entsprechend sei ihres Erachtens die Fragestellung legitim, ob die faschistische Kultur der 1930er Jahre wirklich durch die Philosophie Gentiles, durch die Historiografie Volpes, im Korporativismus Ugo Spiritos und in der Enciclopedia Treccani ihren prägnantesten Ausdruck gefunden habe oder nicht vielmehr in der katholischen Kultur um den „Frontespizio“.¹³⁵ Mangoni spricht also von einer neuen Verbindung zwischen Katholizismus und Faschismus. Zwar gelingt es ihr, die Existenz dieser Strömung diskursanalytisch sehr plausibel zu machen, allerdings lässt sie weitgehend offen, wie sich dieser „Denkstil“ im Mannheim’schen Sinne konkret äußerte, denn ihre Monografie beschränkt sich auf die Auswertung gedruckter Quellen. Damit steht sie in einer breiten Tradition der italienischen Historiografie, die die Archivarbeit als nicht standesgemäß bewusst vernachlässigt. Mangonis Hypothese wirft daher einige zu klärende Leitfragen auf, die sie mit ihrem Forschungsprogramm nicht beantworten konnte: 1. Was ist unter faschistischen Katholiken zu verstehen und wie sind sie von ähnlichen Gruppen zu unterscheiden? 2. Wer waren die Akteure dieser Gruppierung und wo war ihr sozialer Ort im Regime? 3. Wenn es faschistische Katholiken gab, wäre es demnach nicht sinnvoll, ebenfalls von einem kohärenten katholischen Faschismus als einem Denksystem zu sprechen? Die ersten beiden Fragen werden im Folgenden wissenssoziologisch analysiert. Die dritte Frage wird im dritten Teil dieser Untersuchung behandelt und hier nur kurz skizziert. Die faschistischen Katholiken waren diejenigen Protagonisten, die aus katholischer Perspektive eine synkretische Verbindung mit dem Faschismus suchten und sich auch politisch engagierten. Renato Moro, der profundeste Kenner des politischen Katholizismus im Italien des 20. Jahrhunderts, hat für die Träger dieses neuen „Denkstils“ diese treffende Bezeichnung faschistische Katholiken geprägt. Moro sieht bei ihnen den Versuch, an den neoguelfischen Diskurs Giobertis und Balbos in Bezug auf den Primat Italiens sowie an die nationale Unabhängigkeit und die imperialen Projektionen anzuknüpfen. Explizit nennt Moro die Zeitschrift „Segni dei tempi“ als eines der Sprachrohre dieses neuen „Denkstils“.¹³⁶ Moro führt bezüglich der Genese dieses „Denkstils“ aus, man könne vereinfachend den sich chronologisch entwickelnden Richtungen folgende inhaltliche Aussagen zuordnen: Das Motto des nationalen Katholizismus der 1920er Jahre sei „mit dem Faschismus für die Nation“ gewesen, die national-katholische Ideologie der 1930er Jahre habe unter dem Leitmotiv „mit der Nation für die Kirche“ und der faschistische Katholizismus unter dem Leitmotiv „mit dem Faschismus der Katholiken“ gestanden, der im Einzelfall gar zu einem katholischen Faschismus verdichtete.¹³⁷ Hierzu ließe sich anfügen, „für den Faschismus und das Impero“. Vgl. Mangoni: L’interventismo della cultura, S. 241– 242. Moro: Il mito dell’impero, hier S. 355. Er spricht von einem faschistischen Katholizismus, der in einen katholischen Faschismus umschlug. Moro: Nazione: Cattolicesimo e Regime fascista, S. 140.
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Die faschistischen Katholiken sahen sich, so der „Barde der Schwarzhemden“ Auro d’Alba, als katholische „Arditi“ und als unüberwindliche „Squadra“ der Soldaten Christi.¹³⁸ Die Fusion von christlichem und faschistischem Glauben gipfelte schließlich in einer religiösen Verklärung Mussolinis, dessen Sache man sich als eine von Gott gesandte zu opfern bereit war, wie es sich in Auro d’Albas Lyrik verdeutlicht.¹³⁹ Auf diese Weise wird der katholische Faschismus zu einem Phänomen i n n e r h a l b und nicht außerhalb des Faschismus. Unter faschistischen Katholiken sollen also alle diejenigen subsumiert werden, die Katholizismus und Faschismus zu einer neuen Synthese miteinander verbanden. Sie waren dabei zunächst nur eine von mehreren Strömungen des „Frontespizio“, in dessen Dunstkreis ihr „Denkstil“ seinen Ausgang nahm. Gemeinsam war den faschistischen Katholiken, dass sie eine einheitliche, alle Seinsbereiche umfassende antirationalistische, ästhetisch wie politisch homogene faschistisch-katholische Weltdeutung auszuarbeiten suchten. Insofern sind die Arbeiten ihrer Mitglieder wie von Bargellini und von Papini oder diejenigen Manacordas sowohl poetisch als auch wissenschaftlich und weltanschaulich-religiös orientiert, und zwar durch eine Verbindung von christlichen mit faschistischen „Leitideen“, die sich mit der Selbstetikettierung ‚antibürgerlich‘ zugleich entschieden gegenüber Giovanni Gentiles Konstrukt des Faschismus als Weiterentwicklung des Liberalismus abgrenzten.¹⁴⁰ Gemeinsam war ihnen darüber hinaus eine wenngleich diffuse Vorstellung von Romanität, die sie beispielsweise anfänglich den als heidnisch erachteten Nationalsozialismus ablehnen ließ. Insofern ist es zulässig bzw. geboten, nicht nur von faschistischen Katholiken, sondern von einem katholischen Faschismus zu sprechen, der sich in ihrem gemeinsamen Denksystem manifestiert. Dies gilt allerdings mit der Einschränkung, dass die Gesamtheit der Denkelemente nicht hinreichend ist, sondern ihre hierarchische Verknüpfung den spezifischen „Denkstil“ ausmacht. Denn die genannten Einstellungen gehörten durchaus zu den Topoi katholischen Denkens im Italien der Zwischenkriegszeit. Anders ausgedrückt, die faschistischen Katholiken unterschieden sich zwar nicht in ihrem christlichen, wohl aber in ihrem politischen Bekenntnis, und damit bezüglich ihrer Stellung zum Regime von denjenigen, die sich nicht primär als Faschisten, sondern als Katholiken sahen. Letztlich ist die jeweilige Biografie zu betrachten, um eine eindeutige Zuordnung des jeweiligen Intellektuellen vornehmen zu können. Folgende Strömungen weisen zwar eine personelle und/oder inhaltliche Affinität zum katholischen Faschismus auf, ohne jedoch dem faschistisch-katholischen „Denkstil“ zugerechnet werden zu können: Hier sind zunächst die Katholiken mit De
Auro d’Alba an Guido Manacorda, Brief vom Mai 1933. In: AdN della Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1˚ Semestre. Vgl. D’Alba, Auro: Tonici. In: Corriere Padano vom 12. Juli 1933, S. 1. Zum Liberalismusbegriff Gentiles: Schattenfroh, Sebastian: Die Staatsphilosophie Giovanni Gentiles und die Versuche ihrer Verwirklichung im faschistischen Italien. Phil. Diss. Frankfurt u. a. 1999, S. 149 – 151.
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Luca an der Spitze zu nennen, die den religiösen Glauben in den Mittelpunkt stellen. Folgerichtig verließ De Luca den „Frontespizio“, als dieser sich Ende der 1930er Jahre faschisierte. Sein Verhältnis zum Regime lässt sich mit dem Begriff des Philofaschismus bezeichnen. Der ultrakatholische Domenico Giuliotti gehört ebenfalls zu denjenigen, die zwar in der Nähe des katholischen Faschismus zu verorten sind, letztlich aber nicht dazugehören, weil für sie der katholische Glaube den Vorrang vor dem Bekenntnis zum Faschismus hatte. Aus seiner fanatisch-rigiden katholischen Perspektive, die die ganze Entwicklung seit dem Mittelalter als sündhaften Irrweg vom rechten Glauben begriff, erschien Giuliotti der Faschismus als Teil der Moderne, den er deshalb, wenn zwar nicht offen ablehnte, aber doch mit Argwohn betrachtete.¹⁴¹ Denn er verwarf die Moderne und das aus seiner pessimistischen apokalyptischen Perspektive „mechanische Zeitalter der Pestilenz“ („pestilenziale secolo meccanico“) in toto.¹⁴² Zwar teilte er die faschistische Kritik an Demokratie, Wahlrecht, Industrialisierung, Arbeiterbewegung und an der Volkspartei Don Sturzos, dem PPI ¹⁴³, aber er verurteilte zugleich auch jegliche Revolution, und damit letztlich auch das faschistische Projekt einer imperialen Expansion verbunden mit einer Versöhnung von Tradition und Moderne. Zwar schrieb er seit 1924 für Giuseppe Bottais „La Rivoluzione fascista“, aber er war im Grunde gegen jegliche Organisation außerhalb des mystischen Körpers der Kirche. Seine Themen waren folglich eher religiös denn politisch.¹⁴⁴ Es finden sich im „Frontespizio“ ebenfalls nur einige wenige Sonette von dem Einsiedler aus Greve in Chianti, die ihn in Verbindung mit dem Faschismus bringen, zumal Giuliotti selbst den Abdruck seiner Werke oft nur dann zuließ, wenn seine karge Landwirtschaft keine andere Möglichkeit des Verdienstes eröffnete.¹⁴⁵ Eine weitere, eher apolitische Gruppe innerhalb des „Frontespizio“ stellte der literarisch orientierte Kreis der Hermetiker um Carlo Bo dar, dessen magisch-verrätselte Lyrik sich zu diesem Zeitpunkt am katholischen Mystizismus orientierte, indem er sich auf den intellektuellen Stimulus De Lucas bezog.¹⁴⁶ Die faschistischen Katholiken, alle entweder mit Parteibuch und/oder im Dienste des Regimes, unterscheiden sich somit grundlegend von den anderen Verbindungen
Mangoni: L’interventismo della cultura, S. 248. Pampaloni, Geno: Autoritratto testamentario. In: Domenico Giuliotti: Lettere agli amici. Vicenza 1980, hier S. 5 – 10, hier S. 8. Ebd., S. 9. Um der Religiosität Giuliottis Rechnung zu tragen, forderte Bottai beispielsweise für die Februarausgabe der „Critica fascista“ einen Artikel über Kardinal Mercier, vgl. Giuseppe Bottai an Domenico Giuliotti, Telegramm vom 21. Januar 1926. In: ACGV Florenz, Carte Fondo Domenico Giuliotti, DG 1 95.3. Insgesamt finden sich vier Schriftstücke Bottais im Nachlass Giuliotti, allesamt Mitte der 1920er Jahre datierend. So u. a. Giuseppe Bottai in seiner Eigenschaft als Direktor der Zeitung „L’Epoca“ an Domenico Giuliotti, Brief vom 30. April 1925. In: ACGV Florenz, Carte Fondo Domenico Giuliotti, DG 1 95.2. Bottai dankte für das neueste Buch Giuliottis (vermutlich „Tizzi e fiamme“), das er besprechen wollte. Giuliotti, Domenico: Pensieri di un malpensante. Firenze 1937. Mangoni: L’interventismo della cultura, S. 248 sowie Maria Luisa Nevola: Introduzione, S. 15.
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zwischen Faschismus und Katholizismus, die von außerhalb des faschistischen Regimes auf den Faschismus einwirken wollten und eine Christianisierung des Faschismus anstrebten, wie die erwähnten nationalkatholischen Klerikalfaschisten um Egilberto Martire. Die Annäherungspolitik und -rhetorik des Vatikans, der weitverbreitete Philofaschismus der katholischen Kirche und des katholischen kulturellen Milieus gehören ebenso wenig dazu.¹⁴⁷ Nicht untersucht wird hier der ebenfalls faschistisch-katholische Rektor der katholischen Universität Agostino Gemelli, zum einen weil sein Rassismus ein spezifisches naturwissenschaftliches Fundament aufweist¹⁴⁸, zum anderen da er außerhalb der faschistischen Katholiken um Manacorda agierte. Der neue „Denkstil“ dieser Gruppe, nach Moro die Konstruktion einer großen ideologischen Koinè, findet sich wiederum in der Selbstbeschreibung der faschistischen Katholiken emblematisch bei Auro d’Alba, der Papini schrieb, sie seien in der Schlacht im Namen des Kreuzes und kämpften als Soldaten Christi und Roms.¹⁴⁹ Für einen anderen faschistischen Katholiken, Riccardo Carbonelli, war der Faschismus die moderne Form der Romanität.¹⁵⁰ 1942 lieferte ein weiterer Akteur dieser Gruppe, Pasquale Pennisi, eine Eigendefinition des Faschismus als „traditionelle Revolution“, in der sämtliche Elemente der Mannheim’schen Prognose einer konservativen aktionistischen Synthese auf rassischer Grundlage enthalten sind: Demnach sei der Faschismus traditional, weil er die Rom-Idee aufnehme und er sich unbeugsam gegen die Welt auflehne, die aus den sog. ‚unsterblichen Prinzipien’ von 1789 hervorgegangen sei. Er sei in der Hinsicht eine Revolution, weil er sich zugleich gegen jede reaktionäre Interpretation von Tradition richte und eine neue und originäre Verkörperung der Idee des Impero begründe, die sich über die italienische Rasse ausdrücke.¹⁵¹ Wie sich dieser aus konservativen Elementen neu synthetisierte „Denkstil“ allmählich verdichtete, zeigt die nachstehende Analyse. Eindeutig lässt sich die Genese eines katholischen Faschismus im „Frontespizio“ spätestens ab 1934 wissenssoziologisch – also zugleich ideengeschichtlich und als sozial vernetzte Gruppe – nachweisen. Gleichzeitig verbanden sich die faschistischen Katholiken zu einer Gruppe bzw. „Mikroinstitution“, die ausgehend vom „Frontespizio“ agierte. Ein zweites explizit faschistisch-katholisches Organ war, wie von Moro festgestellt, die 1934 gegründete „Segni dei tempi“, deren Mitarbeiter häufig junge Vgl. Moro: Nazione, Cattolicesimo e Regime fascista, S. 129 – 147. Ottaviani, Alessandro: Dallo spirito latino allo spirito della razza: il caso Gemelli. In: Cultura della razza e cultura letteraria nell’Italia del Novecento. Hrsg. von Sonia Gentili und Simona Foà. Roma 2010. S. 69 – 92. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 25. Februar 1933. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. An anderer Stelle schreibt d’Alba Papini, sie seien Soldaten Christi, Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 11. Februar 1933. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Riccardo Carbonelli an Guido Manacorda, Brief vom 10. März 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1938, 1˚ Semestre. Vgl. Pennisi, Pasquale: Appunti per la dottrina fascista della razza. In: Gerarchia 7 (1942). S. 286 – 299, hier S. 288.
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militante Aktivisten waren.¹⁵² Ein weiterer Bezugspunkt der faschistischen Katholiken war der katholische Vallecchi-Verlag in Florenz, in dem der „Frontespizio“ erschien. Dort wurden insbesondere die Werke von Bargellini, Manacorda und Papini veröffentlicht. Faschistische Katholiken publizierten aber auch in den großen Tageszeitungen wie dem „Corriere della Sera“ und in der Vielzahl faschistischer Zeitschriften. Die zentralen Akteure dieser Gruppe sollen hier nachfolgend vorgestellt werden. Allesamt hatten sie eine Multiplikatorenrolle in den Bereichen schulische und universitäre Erziehung, Journalismus, politische Arbeit in der Partei, Propaganda (im Inund Ausland) und Wissenschaft inne: Zu den faschistischen Katholiken zählten beim „Frontespizio“ das Florentiner Dreigestirn Guido Manacorda, der Direktor des „Frontespizio“ Piero Bargellini und Giovanni Papini. Aus Rom kamen der Milizoffizier und „Barde der Schwarzhemden“ Auro d’Alba, der Journalist Riccardo Carbonelli, der in der Hauptstadt selbst eine Gruppe von faschistischen Katholiken um sich scharte, sowie der Staatswissenschaftler, Parteitheoretiker und Ideologe einer faschistischkatholischen Doktrin, der Privatdozent Pasquale Pennisi. Außerdem spielte der Veroneser Direktor der explizit faschistisch-katholischen Zeitschrift „Segni dei tempi“ und Pädagoge Paolo Bonatelli eine herausragende Rolle. Dieser Kreis wirkte mit seinen Positionen wiederum auf zahlreiche weitere katholische und faschistische Intellektuelle sowie in der Öffentlichkeit. Ardengo Soffici war ebenso eng mit dieser Gruppe verbunden, ohne dass er explizit katholische Positionen bezog, wie der schillernde faschistische Grande, Kulturpolitiker und Erziehungsminister Giuseppe Bottai, der insbesondere Manacorda und Papini protegierte. Bottai stand – auch durch gegenseitige Besuche in Florenz und Rom – in engen, direkten und freundschaftlichen Kontakten zu Bargellini, Manacorda, Papini, Soffici und Vallecchi.¹⁵³ Er traf sich besonders regelmäßig mit Papini und Soffici in geselliger Runde in Trattorien, um lebhafte literarische Streitgespräche zu führen. Er bezeichnete sie als seine Freunde, die nichts von ihm forderten. Engen persönlichen Kontakt pflegte Bottai ebenso seit den 1930er Jahren zu seinem Duzfreund Manacorda, mit dem er einen intensiven Briefwechsel führte und den er wiederholt privat traf.¹⁵⁴ Dabei schätzte er auch insbesondere seine Arbeit als Germanist und Literaturwissenschaftler¹⁵⁵. Papinis und Manacordas Bücher hatte Bottai bei seinem Einsatz an der griechischen Front im Tornister.¹⁵⁶ Emilio Gentile zufolge habe Bottai zu denjenigen gehört, die ihren aufrichtigen Glauben an den Faschismus als politische Religion mit ihrer persönlichen
Moro, Renato: Propagandisti cattolici del razzismo antisemita in Italia (1937– 1941). In: Les racines chrétiennes de l’antisémitisme politique (fin XIXe–XXe Siècle). Hrsg. von Catherine Brice und Giovanni Miccoli. Roma 2003. S. 275 – 345, hier S. 325. Vgl. Bottai: Diario, S. 117– 118, S. 222– 223. Der Herausgeber des Tagesbuchs Giordano Bruno Guerri bezeichnet Manacorda im Namensverzeichnis explizit als „Freund Bottais“, ebd. S. 573. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 17. April 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Bottai. Vgl. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 6. Februar 1939, ebd. Bottai: Diario, S. 497.
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Hinwendung an die Kirche vereinbaren wollten.¹⁵⁷ Engen Kontakt zum Katholizismus hatte Bottai auch durch seinen Austausch mit Don Giuseppe De Luca.¹⁵⁸ Seine Hinwendung zum Katholizismus wurde Ende der 1930er Jahre immer sichtbarer. Der Erziehungsminister bezeichnete beispielsweise in einem kurz vor Unterzeichnung des Münchner Abkommens abgefassten Brief die faschistische Außenpolitik als deckungsgleich mit den Interessen des Katholizismus, weil beide Träger der Romanität seien.¹⁵⁹ Im Folgenden sollen die genannten Akteure anhand ihrer Biografie sozial verortet werden: Guido Manacorda ist zweifellos derjenige dieser Gruppierung, der am kontinuierlichsten in Wort und Tat in Italien wie im europäischen Ausland für den katholischen Faschismus stand. Dies ermöglichte sein engmaschiges Geflecht von kirchlichen, politischen und wissenschaftlichen Kontakten auf nationaler und internationaler Ebene, inklusive zur Führungsspitze der faschistischen Partei. Darüber hinaus war Manacorda der außenpolitische Akteur und der Deutschlandexperte dieser Strömung, wie in den beiden folgenden Kapiteln gezeigt wird.¹⁶⁰ Die Redaktion von „Segni dei tempi“ charakterisierte das Werk Manacordas ihren Lesern daher wie folgt: Die Relevanz der Schriften dieses italienischen, katholischen und faschistischen Denkers und Kämpfers, der im „Corriere della Sera“ zu politischen, gesellschaftlichen und religiösen Fragen und besonders zu internationalen Fragen veröffentliche, könne in dieser schweren Zeit niemandem entgangen sein.¹⁶¹ Der schwer kompromittierte Guido Manacorda geriet bereits unmittelbar nach der Befreiung in das Fadenkreuz der Säuberungskommission, die mit der Entfaschisierung von Staat und Administration betraut war. Nach dem Dekret vom 27. Juli 1944 sollten alle diejenigen belangt werden, die sich während des Ventennio aktiv für den Faschismus eingesetzt und vor allen Dingen aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit wichtige Ämter bekleidet hatten. Wer nach dem 8. September 1943 für die Republik von Salò optiert hatte, sollte ebenfalls entlassen werden. Am 16. Oktober 1944 wurde Manacorda von seinem Lehrstuhl suspendiert. Die Untersuchungskommission, die im
Für diese Gruppe katholisch orientierter Faschisten sei vermutlich – so Gentile – die Konstruktion einer Symbiose zwischen Faschismus und Katholizismus kennzeichnend gewesen, vgl. Gentile, Emilio: Il culto del littorio. La sacralizzazione della politica nell’Italia fascista. Roma 1994, S. 142. De Luca war regelmäßiger Mitarbeiter in der 1940 von Bottai gegründeten Zeitschrift „Primato“: Bottai und De Luca verband die Sorge, dass in der Nachkriegszeit im Falle eines Sieges der Achse eine Welle des Antiklerikalismus auch seitens des philonazistischen Flügels des PNF sowie im Falle der Niederlage seitens des Kommunismus drohe., vgl. Guarnieri: Don Giuseppe de Luca tra cronaca e storia, S. 117– 124. Moro: Introduzione. In: Giuseppe Bottai – Don Giuseppe De Luca. Carteggio 1940 – 1957, S. XLII. Vgl. Manacorda: Un Uomo, S. IX-XL, sowie Garzarelli, Benedetta: Guido Manacorda. In: Dizionario bibliografico degli italiani. Bd. 68. Roma 2007. S. 404– 407. [Bonatelli, Paolo:] Vorwort zu Guido Manacorda: Cattolicesimo e Massoneria. In: Segni dei tempi 3 (1937). S. 20 – 25, hier S. 20.
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Juli 1945 ihren Bericht vorlegte, war über Manacordas Verstrickung in das Regime im Wesentlichen durchaus informiert.¹⁶² Dieser versuchte sein Handeln zu verharmlosen, indem er seine wahren Motive verbarg und belastende Fakten ungeniert abstritt. Er habe 1933 den Eintritt in die Partei abgelehnt und sich nie mit Politik beschäftigt¹⁶³, erklärte der 1925 in den PNF eingetretene Professor. Im Auftrag Mussolinis sei es zwar in mehreren europäischen Hauptstädten, vor allem in Genf und Paris, zu persönlichen Sondierungen mit Politikern vorgenommen, gab er zu, aber der Inhalt der Gespräche sei ganz überwiegend über „kulturelle“ Fragen gegangen. Seine Berlin-Missionen unterschlug er. Er hätte mit allen nach eigenem Ermessen und ohne Auftrag gesprochen und Hitler lediglich im Rahmen seiner kulturwissenschaftlichen Arbeiten aus der Nähe studieren wollen. Eingeschüchtert durch die Tiraden des „Führers“ gegen den Faschismus und die italienische Politik, habe er die italienische Botschaft und Mussolini informiert.¹⁶⁴ Zweimal hätte er im Auftrag von Pius XI. mit Hitler gesprochen, und zwar mit dem Ziel, das Los der Juden und Katholiken in Deutschland zu verbessern. 1939 sei er gegen den Stahlpakt gewesen, äußerte der selbst ernannte Begründer des Achsenbündnisses, und bis April 1942 habe er keinen Kontakt mit Mussolini gehabt.¹⁶⁵ Die Kommission urteilte trotzdem zu Recht, Manacorda sei nicht mehr würdig, Staatsdiener zu sein.¹⁶⁶ Auch einige Entlastungsbriefe, die vorgelegt wurden, retteten ihn nicht.¹⁶⁷ In seiner Verzweiflung schrieb Manacorda Bittbriefe an Papst Pacelli und Pizzardo, in denen er um eine Anstellung an der Università cattolica in Rom, in der Vatikanischen Bibliothek als Ausbilder oder im diplomatischen Dienst bat.¹⁶⁸ Außerdem betätigte er sich wieder journalistisch, wobei er auf seine alten Kontakte zurückgriff.¹⁶⁹
Ministero della Pubblica Istruzione an die DG Istruzione superiore Div. I vom 24. Januar 1947. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG. Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido. Seine Pension erhielt er, weil ihm die Bezüge irrtümlich bis zum Dekret vom 22. Januar 1946 weiterbezahlt wurden, ebd. Ebd., S. 4. Ebd. S. 4. Ebd., S. 5. Ebd., S. 10. Zu denjenigen, die Manacorda entlasteten, gehörte der Jurist Massimo Pilotti, der 1952 erster Präsident des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl wurde, vgl. Massimo Pilotti an Guido Manacorda,Brief vom 22. Juni 1945. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1945 1˚ Semestre, 2˚ Semestre. Guido Manacorda an Eugenio Pacelli, Brief vom 22. August 1945 und ders. an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 20. August 1945, ebd. Guido Manacorda an den Direktor des „Mattino“ Giovanni Ansaldo, Brief vom 26. Juni 1950. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1950, 2˚ Semestre, Sottofasc. Mattino. Manacorda veröffentlichte weiter in der Provinzpresse u. a. im „Giornale di Trieste“, „Sicilia del Popolo“, „Corriere del Popolo“ oder „Provincia di Como“. Leitorgane wie der „Corriere della Sera“ blieben ihm allerdings verwehrt. Er schrieb auch zur Freude von Alberto Mondadori für die „Epoca“ – in der illustren Gesellschaft von Antifaschisten wie Thomas Mann, Franceso Saverio Nitti oder G. A. Borgese etc.,vgl. AdN
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Die in der Nachkriegszeit rasch einsetzende Relativierung der Verstrickung der italienischen Gesellschaft in den Faschismus, die mit den Ausbruch des Kalten Krieges einen entscheidenden Schub erhielt, führte dazu, dass sich die Konsequenzen für die faschistischen Katholiken skandalöserweise in überschaubaren Grenzen hielten: Am 31. Juli 1948 erklärte das Unterrichtsministerium den Processo di epurazione gegen Prof. Guido Manacorda für beendet, da dieser durch seine Pensionierung zum 9. November 1945 in keiner Beziehung mehr zur öffentlichen Verwaltung gestanden habe.¹⁷⁰ Darüber hinaus stilisierte sich Manacorda – bis heute erfolgreich – als Gegner der NS-Rassendoktrin, wobei er seinen eigenen Antisemitismus unterschlug. Seine talentierteste Schülerin Gabriela Bemporad, Tochter des Verlegers, habe als Halbjüdin nach den Rassengesetzen mit der höchsten Punktzahl von 110 abgeschlossen, gab er an.¹⁷¹ Seine unter dem Pseudonym Sincerus¹⁷² 1946 veröffentlichte, jedoch bereits 1935 fertiggestellte Analyse des deutschen Rassismus half ihm dabei¹⁷³, denn sie basierte auf der völkerpsychologischen Fehlannahme, dass ein ewiger irrationaler germanischer Nationalcharakter existiere, der die Deutschen immer wieder bis ans Ende aller Zeiten in den Untergang führe. Dem germanischen Wesen fehle es an Architektur und Maß, kurz an „Humanitas-romanitas“, die für Gleichgewicht, Versöhnung und Synthese stehe, lautete seine Kernthese.¹⁷⁴ Da auch ausgerechnet sein Intimfeind Croce ähnliche Deutungsmuster verwandte, stand Manacordas zyklischer Untergangsmythos plötzlich im Einklang mit der italienischen Deutschlandperzeption der Nachkriegszeit. Mehr noch, aus Manacorda dem Täter wurde der brillante Deuter der NSVerbrechen, denn als Verfasser einer solch kritischen Abhandlung erschien der kompromittierte Professor jetzt als authentischer Gegner des Nationalsozialismus, quasi automatisch als Antirassist und sogar als Antifaschist. Croce hatte 1944 in seinem Buch „Il dissidio spirituale della Germania con l’Europa“, wie Manacorda, die Idee von einem geistigen Sonderweg Deutschlands aufgrund der missglückten Rodella Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1938, 2˚ Semestre Sottofasc. Mondadori. Abschrift der Bestätigung des Erhalts der Entlassungsurkunde zum 9. November 1945, unterzeichnet von Manacorda am 25. Februar 1946, sowie Ministero della Pubblica Istruzione an den Rektor der Universität Florenz, Brief vom 31. Juli 1948. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, Dir. Gen., Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido. Unter Pseudonym hätte Gabriela Bemporad die Indices seiner Wagner-Ausgaben erstellt. Guido Manacorda: Aggiunte e segnalazioni (Appendice alle Deduzioni presentate il 29-V-’45). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1945 1˚ Semestre, 2˚ Semestre. Sincerus: Il nuovo paganesimo germanico. Dottrine, testi, critica. Das Pseudonym Sincerus verwandte Manacorda schon im Jahre 1939 im „Corriere della Sera“, als er über das Konklave vom 8. Mai 1939 berichtete, vgl. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 27. Mai 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Attolico. Allerdings hatte er seine Monografie nachweislich redigiert, denn es findet sich auf Seite 29 ein Verweis auf eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuter vom Dezember 1945. Ebd., S. 76.
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manisierung nach dem Sieg des Arminius über Varus im Jahre 9 n. Chr. vertreten. Den italienischen Faschismus wertete der neapolitanische Philosoph als singuläre Erscheinung der italienischen Geschichte¹⁷⁵, während der Rassismus tief im deutschen Volk verwurzelt gewesen sei.¹⁷⁶ Diese Entlastung der italienischen Gesellschaft Croces nahmen nicht nur die liberalen und marxistischen, sondern auch die katholischen Intellektuellen gerne auf. Selbst De Gaspari machte sie sich zu eigen.¹⁷⁷ In der Folge kam und kommt es immer wieder zu grotesken Fehleinordnungen der Person Manacordas: Eine solche unverhohlen apologetische Tendenz zeigt sich im eingangs zitierten Aufsatz von Giuseppe Vedovato, der Manacorda persönlich seit den 1930er Jahren kannte und schätzte. Es ist unverständlich, wie Vedovato sich ausschließlich auf die ihm vorliegenden persönlichen Aufzeichnungen Manacordas stützt und kritiklos für bare Münze nimmt – und dabei sämtliche Archivalien und den kompletten Forschungsstand ignoriert.¹⁷⁸ Schlimmer als die für Manacorda typischen Alibis sind die Schlussfolgerungen des Autors. Manacordas Rassismus wird verharmlost¹⁷⁹, seine Vermittlertätigkeit zwischen Hitler und Mussolini wird zum Dienst an der Kirche und Manacorda zum Sendboten des Papstes.¹⁸⁰ Grotesk wird es geradezu, wenn Vedovato Manacorda, der mehr für das Achsenbündnis getan hat als jeder andere italienische Intellektuelle, zum Kritiker des „Dritten Reiches“ ¹⁸¹ und den Kriegstreiber Manacorda zum Friedensapostel stilisiert.¹⁸² Die 32 Treffen mit Mussolini werden zu „literarischen Unterredungen“ umgedeutet.¹⁸³ Vedovatos Apologetik scheint sich auf den ersten Blick in die von Lutz Klinkhammer analysierte, für den Berlusconismus typische Revision der italienischen Weltkriegsgeschichtsschreibung einzufügen.¹⁸⁴ Doch der
Filippo Focardi weist darauf hin, dass diese Apologie des italienischen Volkes politisch motiviert war, um Italien gegenüber den Alliierten zu entlasten. Auf diese Weise hätten die Italiener gehofft, einen vorteilhaften Friedensvertrag zu erhalten, vgl. Focardi: Die Unsitte des Vergleichs, hier S. 108. Ebd., S. 109. Focardi betonte, dass auch De Gasperi Croces These teilte, die Deutschland moralisch be- und Italien entlastet habe. Die christliche Tradition der ‚Griechen und Römer‘ stehe im Gegensatz zur deutschen Tradition einer ‚heidnischen Barbarei‘, habe der Christdemokrat geäußert. Die Sichtweise von De Gasperi sei in katholischen Kreisen auf ungeteilte Zustimmung gestoßen, ebd., S. 112. Vedovato: Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede. Vedovato stützt sich auf Aufzeichnungen Manacordas mit dem Titel „Appunti per servire alla storia della mia esperienza politica“, die sich in seinem Privatarchiv befinden. Manacorda schrieb die 18 Seiten am 13. und 14. Juni 1944 mit dem Ziel, sich zu rechtfertigen. Ebd., S. 108 und S. 114. Hier wird Manacorda zum Antirassisten erhoben. Ebd., S. 105 und S. 108. Ebd., S. 109. Ebd., S. 106. Ebd., S. 115. Klinkhammer, Lutz: Der neue ‚Antifaschismus‘ des Gianfranco Fini. Überlegungen zur italienischen Vergangenheitspolitik der letzten beiden Jahrzehnte. In: Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Petra Terhoven. Göttingen 2010. S. 257– 280, hier S. 267.
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oberflächliche Blick trügt, denn sie gehört eindeutig zu einem weitaus älteren Strang der Relativierung der katholischen Verstrickung in den Faschismus, nämlich zu der christdemokratischen Apologetik im Nachkriegsitalien. Substanziell unterscheiden sich die Euphemismen des christdemokratischen Veteranen Vedovato aus dem Jahre 2009 in keiner Weise von den 60 Jahre älteren Beschönigungen in Maria Serafina Mazzas Monografie über die „Frontespizio“-Gruppe. Mazza, Schwester der katholischen Glaubenskongregation Sisters of Charity of New York, stand wie Vedovato im privaten Kontakt mit der „Frontespizio“-Gruppe und teilte deren katholische Ansichten. Sie befragte in ihrer an der Columbia University in New York geschriebenen Arbeit Bargellini, Papini und Giovanni De Luca. Da sie ihr fertiges Manuskript in einem Akt freiwilliger Selbstzensur De Luca vorlegte¹⁸⁵, sind die durch Bargellini, Papini und De Luca suggerierten Schlussfolgerungen Mazzas zur politischen Ausrichtung des „Frontespizio“ wenig überraschend: Die Zeitschrift sei von einer literarischen katholischen Bewegung getragen gewesen, die bedrängt von einem totalitären Staat mühsamst ihre künstlerischen und religiösen Überzeugungen verteidigte. Die faschistische Grundorientierung wird unterschlagen.¹⁸⁶ Und der überzeugte antisemitische Anhänger des Faschismus Manacorda wird zum Kämpfer gegen alle Irrlehren wie Rassismus, Kommunismus und jeglicher „Ismen“.¹⁸⁷ Ungewollt legt die New Yorker Schwester dann doch den Antijudaismus der Gruppe offen. Naiv berichtet sie von den ihres Erachtens großen französischen katholischen Denkern des 19. Jahrhunderts, wie Léon Bloy und Louis Veuillot, deren Schriften insbesondere Papini, aber auch andere „Frontespizio“-Mitglieder, wie Mazza arglos mitteilte, so schätzten.¹⁸⁸ Der notorische Antisemitismus insbesondere Veuillots¹⁸⁹ war ihr offensichtlich unbekannt oder wurde von ihr geteilt. Nach dieser distanzlosen Studie konnte es nicht überraschen, dass der Poet und Literaturprofessor Luigi Fallacara in seiner 1961 erschienenen Anthologie über den „Frontespizio“ auf eine politische Einordnung mit der lakonischen Bemerkung verzichtete, diese gebe es bereits.¹⁹⁰ Dass Fallacara, nach Mazza als Mazza: Not for art’s sake, S. VIII. Ebd., S. 153. Ebd., S. 135– 136. Ebd., S. 44– 46. sowie S. 185 – 188. Im Jahre 1858 entwarf während der sog. Mortata-Affäre der Publizist Veuillot (1813 – 1883) das Bild von einem jüdischen Komplott an Universitäten, im Finanzsektor und in der Presse gegen die Kirche. Dies fordere der Talmud, der den Hass gegen alle Völker predige. Veuillot beeinflusste den Antisemitismus bis in die 1880er Jahre, u. a. „La Croix“ und „La France juive“ von Drumont, vgl. Winock, Michel: Louis Veuillot et l’antijudaïsme français lors de l’affaire Mortata. In: Les Racines chrétiennes de l’antisémitisme politique (fin XIXe-XXe siècle). Hrsg. von Catherine Brice und Giovanni Miccoli (Hrsg.). Rom 2003. S. 79 – 88. Auch Bloys Werk „Le salut par les juifs“ (1892) wurde vorgeworfen, antisemitisch zu sein, vgl. Bloy, Leon: Das Heil durch die Juden. Jeanne D′Arc und Deutschland. Zwei Schriften. Hrsg. von Peter Weiß. Wien 2002. Bloys katholisch-mystisch-apokalyptische Kurzgeschichten „Blutschweiß“ (Berlin 2011) über den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 mit ihrer kruden Feindbild-Zeichnung der protestantischen Preußen erschien jetzt neu, vgl. Setz, Clemens: Jeder tote Preuße ist ein HappyEnd. In: Die Zeit vom 9. Juni 2011. S. 51. Il Frontespizio 1929 – 1938. Antologia. Hrsg. von Luigi Fallacara. Rom 1961.
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„Christ ein Apostel der Kunst“¹⁹¹, selbst ein ehemaliger Mitarbeiter der Zeitschrift war, zeigt, wie sehr die „Frontespizio“-Gruppe versuchte, ihre Vergangenheit zu schönen, indem sie die historische Aufarbeitung monopolisierte. In dieser selektiven Erinnerung hatte der Begriff „faschistisch“ folgerichtig keinen Platz. Noch im Jahr 2006 stellte Fillippo Focardi Manacorda mit seinem Buch über den deutschen Rassismus zu Unrecht in die Reihe antifaschistischer Intellektueller wie Mario Bendiscioli¹⁹², Ernesto Buonaiuti¹⁹³ oder Jacques Maritain.¹⁹⁴ Manacorda war alles andere als das. Noch in seiner letzten Lebensphase 1958 gründete Manacorda u. a. mit Altfaschisten wie Ardengo Soffici, Giorgio Del Vecchio und Gioacchino Volpe sowie dem MSI-Abgeordneten Nino Tripodi in Rom das Istituto nazionale di studi politici e economici, das letztlich erfolglos versuchte, aus neofaschistischer Perspektive den angeblich marxistischen Zeitgeist zu bekämpfen.¹⁹⁵ Piero Bargellini: Der 1897 in Florenz geborene Piero Bargellini¹⁹⁶ war der Direktor des „Frontespizio“ und Generalinspektor im Erziehungsministerium. Damit kam dem faschistischen Katholiken eine doppelte Multiplikatorenrolle ins katholische Milieu sowie bei der Erziehung der Jugend zu. Unter seiner Leitung setzte ab 1934 die Faschisierung des „Frontespizio“ ein¹⁹⁷, wobei er eine katholische Grundorientierung immer beibehielt.¹⁹⁸ Insbesondere richtete er den „Frontespizio“ antisowjetisch und in den Jahren von 1934– 35 antinationalsozialistisch aus.¹⁹⁹ Parallel dazu machte er sich als Verfasser christlicher Erbauungsliteratur einen Namen. Sein viel beachtetes Nach dem Krieg lehrte der 1890 in Bari geborene Luigi Fallacara am Istituto Tecnico in Reggio Emilia, vgl. zu Fallacara Mazza: Not for art’s sake, S. 86 – 90. Das Zitat befindet sich auf Seite 90. Bendiscioli, Mario: Neopaganismo razzista. 3. Aufl. Brescia 1945. Buonaiuti, Ernesto: Paganesimo, germanesimo, nazismo. Milano 1946. Maritain, Jacques: Umanesimo integrale. Roma 1946. Vedovato: Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede, S. 127. Im Krieg war Piero Bargellini Sottotenente der Artillerie, vgl. Bargellini: Pagine di una vita. Mangoni: L’interventismo della cultura, S. 276. Bargellini schrieb anlässlich einer aus seiner Sicht gelungenen Tolstoi-Besprechung Manacordas, so erträume er sich die Rezensionen: eine Zeitschrift, die zu allen Fragen das richtige und profunde katholische Urteil gebe, vgl. Piero Bargellini an Guido Manacorda, Brief vom 3. August 1934, sowie Bargellini an Manacorda. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio 1934, 1° Semestre. Er bat Manacorda um zwei Übersetzungen, eine davon eine kritische Analyse über das Neuheidentum der Hitlerjugend. Das gegenwärtige Christentum solle zerstört werden bis ein vorchristlicher Zustand erreicht sei, um dann ein neues heroisches germanisches Christentum zu errichten. Bargellini besuchte Manacorda zu Hause, um mit ihm über die Katholikenverfolgung im Reich zu sprechen. Die Kirche werde dort systematisch und planmäßig bekämpft. Hiergegen müsse entschiedener als gegenwärtig angegangen werden. Dazu merkte Manacorda gegenüber Bargellini an, dass diese Analyse der Hitlerjugend vollkommen der Realität entspräche, vgl. Piero Bargellini an Guido Manacorda, Brief ohne Datum [Ende 1934]. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio 1934, 1° Semestre, sowie Piero Bargellini an Guido Manacorda, Brief vom 3. August 1934, Bargellini an Manacorda, Postkarte vom 5. September 1934 und „Lo stato d’animo della ‚Gioventù Hitleriana‘ di fronte al problema religioso“ (Da lettera di tedesco cattolico, in data 4 novembre 1934), ebd.
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zweites Werk über den Heiligen Bernhard von Siena erschien 1937 bei der Herderschen Verlagsbuchhandlung in einer deutschen Übersetzung von Lili Sertorius.²⁰⁰ Letztere war auch für Manacorda tätig. Der ehemalige Mitarbeiter des „Selvaggio“ schrieb darüber hinaus u. a. für die dritte Seite des „Bargello“, dem faschistischen Wochenblatt von Florenz, das von 1929 bis 1943 in den ersten Jahren von Alessandro Pavolini herausgegeben wurde, dem späteren Minister für Volkskultur in der Republik von Salò.²⁰¹ Außerdem veröffentlichte er in Bottais „Critica fascista“. Im Jahre 1933 trat er der Partei bei.²⁰² Bottai berief Bargellini im Jahr 1937 zum Hauptinspektor seines Ministeriums.²⁰³ Jener bestritt nach 1945 dreist, dass ihn Bottai ins Amt befördert habe. Dieser habe ihn nur dem Namen nach gekannt. Verantwortlich seien seine Vorgänger Erbole und De Vecchi gewesen.²⁰⁴ Eine Eignung besaß er immerhin dahingehend, dass er seit 1924 sieben Jahre Elementarschullehrer gewesen war, bevor er seit 1931 zum Direttore didattico delle scuole di Firenze befördert wurde.²⁰⁵ In dieser Zeit publizierte er auch zur Lehramtsausbildung und wurde 1935 in die nationale Schulbuchkommission berufen.²⁰⁶ Außerdem gab er selbst Schulbücher heraus.²⁰⁷ Als Hauptinspekteur hatte er eine Schlüsselstellung inne, denn er konnte jetzt über die Inhalte der Schulbücher wesentlich mitentscheiden. Die Elementarschulbücher der vierten und fünften Klassen dieser Zeit wurden von ihm verfasst. Seine Position im Ministerium hatte er bis 1948 inne. Im „Bargello“ rief er im Jahre 1938 einen Preis für das beste Gedicht über die Ansiedlung von 20.000 Italienern in Libyen aus.²⁰⁸ Zum Jahreswechsel 1938/39 legte er die Leitung des „Frontespizio“ nieder, da sich die verschiedenen Strömungen nicht mehr vereinen ließen, wie Bargellini beklagte. Allerdings war der Verleger Attilio Vallecchi ebenso wie Papini entschlossen, die Zeitschrift fortzuführen, die Bargellini einzustellen geneigt war.²⁰⁹ Papini übernahm
Bargellini, Piero: Bernardino der Rufer von Siena. Ein kulturgeschichtliches Bild aus dem 15. Jahrhundert (Übertragung von Lili Sertorius). Freiburg i. Br. 1937. 1932 veröffentlichte er sein erstes Werk „Fra Diavolo“ und 1933 sein zweites „San Bernadino di Siena“, das ihn bekannt machte. Ciampi, Paolo: Firenze e i suoi giornali. Firenze 2002, S. 342. Piero Bargellini an die „Commissione centrale per l’epurazione“, Einspruch vom 6. August 1945, S. 4. In: ACS Rom, Consiglio di Stato, Epurazione, Busta 2270, Bargellini, Piero. Vgl. Bottai: Diario, S. 537; Chi è? Rom 1940, S. 62. Piero Bargellini: Copia del Ricorso alla commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione. In: ACS Rom, Consiglio di Stato, Epurazione, Busta 2270, Bargellini, Piero. Piero Bargellini: Copia del Ricorso alla commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione, ebd. Ebd. Vgl. Listri, Pier Francesco: Tutto Bargellini: L’uomo, lo scrittore, il sindaco. Firenze 1989, S. 19 – 22. Beim Vallecchi-Verlag übernahm er die Didaktik-Sparte. Listri bemerkt, Bargellini sei zwar Faschist gewesen, aber der imperiale Prunk sei seiner toskanischen Natur und seinem christlichen Bekenntnis sehr weit entfernt gewesen, ebd. S. 23. Vgl. Hainsworth: Fiorentine cultural journalism under fascism ‚Il Bargello‘, S. 705 – 707. Piero Bargellini – Carlo Betocchi: Lettere (1920 – 1979), S. 147– 149. Das geht aus den Briefen Bargellinis an Betocchi von Allerheiligen und vom 3. November 1938 hervor.
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daraufhin die Direktion. Sein Schwiegersohn Barna Occhini wurde 1939 Chefredakteur. Damit begann ein journalistischer Aderlass, da auch Don Giuseppe De Luca 1939 seine Mitarbeit einstellte, weil ihm die Hermetiker zu kirchenfern geworden waren. Gleichzeitig verlor der „Frontespizio“ an Auflage und seine bisherige Meinungsführerschaft im katholischen Milieu. Im Jahre 1940 wurde er eingestellt.²¹⁰ Nach dem Zusammenbruch des Regimes im Juli 1943 folgte Bargellini nicht dem Salò-Ministerium nach Padova, obwohl er sich weiter im Machtbereich der Sozialrepublik aufhielt, sondern blieb ohne Gehalt als Privatier in Monte della Verna.²¹¹ Am 15. Juli 1945 wurde er zwar von der Commissione centrale per l’epurazione zunächst zu Recht mit der Begründung suspendiert²¹², dass er das Zentralinspektorat aufgrund seiner Zustimmung zum Faschismus erhalten und weil er sich für den Faschismus eingesetzt habe. Besonders wurde ihm seine politisch-literarische Apotheose Mussolinis in dem Buch „Ritratto virile“²¹³ verübelt.²¹⁴ Von dieser Eloge wird weiter unten noch die Rede sein. Außerdem wies die Kommission eindeutig nach, wie sehr Bargellini im Schulbuch für die vierte Klasse der Elementarschule suggestiv den Mythos von Rom beschwor, in dem er den Faschismus in die Tradition des antiken Roms stellte. Hier ein Zitat: Der Duce fühlt, dass ganz Italien nur eine Stimme und nur ein Herz ist. Fest schaut es zurück. Auch er ist, wie Cäsar, auf Rom marschiert, nicht, um es zu plündern oder zu bestrafen, sondern um es von unfähigen Regierenden zu befreien. Auch er hat, wie Caesar, den Parteienhader beendet. Auch er hat, wie Caesar, an das Volk gedacht und ihm Arbeit gegeben. Auch er hat die
Wie Manacorda Bottai gegenüber einräumte, habe der „Frontespizio“ zwar an Bedeutung eingebüßt, allerdings gäbe es nach seiner Einstellung keine Zeitschrift mehr, die eine spirituelle Verbindung zwischen Faschismus und Katholizismus herstelle, vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 3. Oktober 1940. In: AdN della Sapienza, Rom Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politicoreligioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Am 14. Januar schrieb Bottai in sein Tagebuch, er habe sich zu Hause mit Manacorda getroffen: Einzig Papini und Soffici blieben beim „Frontespizio“ zusammen mit der konservativen Nachhut. Bargellini habe sich von ihnen gelöst und vertrete eine mittlere Position. Beide sprachen lange über die Verwicklungen zwischen Staat und Kirche. Dabei zitierte Bottai einen Ausspruch Mussolinis: „Gli ebrei sono responsabili di tre cose: della democrazia, della banca, del cristianesimo“, vgl. Bottai: Diario, S. 173. Seit dem Auseinanderbrechen des Triumvirats habe er keine Freude mehr beim „Frontespizio“, äußerte ebenso Auro d’Alba, vgl. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 26. Januar 1940. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Piero Bargellini: Copia del Ricorso alla commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione. In: ACS Rom, Consiglio di Stato, Epurazione, Busta 2270, Bargellini, Piero. Decisione della commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione. In: ACS Rom, Consiglio di Stato, Epurazione, Busta 2270, Bargellini, Piero. Seine rührselig-sentimentale Lobeshymne auf die Menschlichkeit des „Duce“ erschien bis 1941 in fünf Auflagen, vgl. Bargellini,Piero: Ritratto virile. 3. Aufl. Brescia 1940. Vgl. Decisione della commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione. In: ACS Rom, Consiglio di Stato, Epurazione, Busta 2270, Bargellini, Piero.
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ganze Welt besiegt, indem er die Belagerung von 52 Nationen sprengte und in Afrika in sieben Monaten über ein Sklavenhalterreich siegte: ‚Salve Cäsar! Salve Duce!‘²¹⁵
Die Entfaschisierungskommission stellte fest, dass die Apologie Bargellinis angesichts seiner großen literarischen Verdienste umso schwerer wöge, als die Auswirkungen auf die kognitiv noch unfertige italienische Jugend eine ehrliche und objektive Sprache und keine vergiftenden Lügen erfordert hätte.²¹⁶ Bargellini legte gegen seine Entlassung Widerspruch ein.²¹⁷ Er gab an, nur in fünf seiner 16 Bücher und in zwei seiner Rezensionen hätte sich ein Bezug zu Mussolini gefunden. Diese Bezüge relativierte er alle. So erklärte er schönfärberisch seine Aussage, „kein Politiker ist je so tief menschlich gewesen wie Mussolini“.²¹⁸ Weiter bezog er sich auf das Schulbuch für die vierte Klasse, das vom Ministerium staatlich genehmigt gewesen sei. Hierfür sei er kraft seiner Funktion verantwortlich gewesen und im Übrigen von Bottai im Jahre 1937 beauftragt worden, als Schriftsteller und Didaktiker dieses Buch zu schreiben, nachdem ein vorheriger Concorso ohne Ergebnis geblieben sei. Deshalb sei er als Verfasser ungenannt geblieben.²¹⁹ Ferner seien seine Arbeit und seine Artikel selbst der faschistischen Zensur unterworfen worden. Er habe das Wort Gott häufiger benutzt als „Duce“, was die faschistische Schulbuchkommission damals bemängelt habe.²²⁰ Zwar seien nach dem Juli 1943 daraus einige Seiten über die historischen Daten des Faschismus getilgt worden, trotzdem habe man es in den Schuljahren 1943/44 und 1944/45 beibehalten.²²¹ Der „Frontespizio“ sei eine rein katholische Zeitschrift gewesen.²²² Listig fragte er, wie sich erklären ließe, dass er von faschistischen Zeitungen wie „Il Tevere“, „Il Quadrivio“, „Il Regime fascista“ oder „La Vedetta fascista“ angegriffen wurde. Dabei war die Erklärung hierfür einfach: Es handelte sich um eine mit den faschistischen Katholiken konkurrierende faschistische Strömung. Nach dem Krieg verlor Bargellini sein Amt im Ministerium, arbeitete aber erfolgreich als Schriftsteller²²³ und machte skandalöserweise als Bürgermeister von
Ebd. Decisione della commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione, S. 2, ebd. Piero Bargellini an die „Commissione centrale per l’epurazione“, Einspruch vom 6. August 1945, S. 1, ebd. Ebd. Vgl. Piero Bargellini: Copia del Ricorso alla commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione, ebd. Piero Bargellini an die „Commissione centrale per l’epurazione“, Einspruch vom 6. August 1945, S. 6, ebd. Ebd., S. 8. Piero Bargellini: Copia del Ricorso alla commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione, ebd. Zwischen 1946 und 1948 veröffentlichte Bargellini sieben Bücher und war bereits in ganz Italien bekannt. Allerdings blieb er immer ein populärwissenschaftlicher Vielschreiber, der, weil er seine trivialen farbig illustrierten kunsthistorisch-religiösen Abhandlungen für den Laien verständlich for-
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Florenz und als Senator in der Democrazia Cristiana (DC) Karriere. Er starb 1980. Sein faschistisches Engagement schwieg er tot. In seiner Autobiografie kommen der Begriff „Faschismus“ und der Name „Mussolini“ gar nicht vor. Dagegen stilisierte er sich gar als passiver Widerständler, denn er gab an, er habe sich in diesem Jahr geweigert, in das Schulbuch ein Kapitel über die Rasse einzufügen, weil er sich als Katholik nicht gegen die Juden äußern wollte.²²⁴ Bargellini gab an, dass ihn der PNF-Sekretär Starace deswegen belangen wollte, was erst Mussolini verhindert habe.²²⁵ Politisches behandelte Bargellini in seiner persönlichen Erinnerungen nur, als er auf seine Ernennung zum christdemokratischen Bürgermeister von Florenz 1966 zu sprechen kam.²²⁶ Giovanni Papini Der im Jahre 1881 in Florenz geborene, aus einer Handwerkerfamilie stammende Schriftsteller Giovanni Papini²²⁷ galt, wie gesehen, zu Lebzeiten als einer der wichtigsten italienischen Intellektuellen. Entsprechend umfassend ist die Literatur über ihn, die vor allem sein literarisches Schaffen betrifft. Auch seine politische Einstellung ist hinreichend bekannt, und seit den 1970er Jahren steht sein Bekenntnis zum Faschismus – wie u. a. die Arbeiten von Isnenghi²²⁸, Invitto²²⁹, di Biase²³⁰ und Arnone zeigen, um nur einige zu nennen – außer Frage, sodass er hier nur kurz vorgestellt werden soll. Schon vor dem Ersten Weltkrieg als Gründer des „Leonardo“ und dann bei Corradinis „Regno“ verachtete er die Demokratie und setzte sich mit sozialdarwinistischen Theorien auseinander.²³¹ Er erhoffte sich eine elitäre Gesellschaft in einer imperialistischen Nation. Papini war dabei von großem Idealismus getragen. So wandte er sich von Corradini ab, weil er ihn für zu materialistisch hielt. Nach seiner Mitarbeit bei Prezzolinis „La Voce“ gründete er 1913 mit Soffici die Zeitschrift „Lacerba“, die 1914/15 vehement interventionistisch war. 1915 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und wurde – obwohl ohne akademischen Abschluss – als Un-
mulierte, eine große Leserschaft hatte. Im Grunde stellten sie Vorläufer von Reiseführern dar, vgl. Listri: Tutto Bargellini, S. 107. Über sein Schulbuch bilanzierte er, dieses sei im „Corriere della Sera“ von Ugo Ojetti gelobt worden, ebd. Piero Bargellini: Copia del Ricorso alla commissione di epurazione per il personale dell’amministrazione centrale del Ministero della pubblica istruzione. In: ACS Rom, Consiglio di Stato, Epurazione, Busta 2270, Bargellini, Piero. Bargellini: Pagine di una vita, S. 127– 29. De Filippis, Michele: Giovanni Papini. In: The Modern Language Journal 4 (194). S. 352– 364. Isnenghi, Mario: Papini. Bologna 1972. Invitto, Giovanni: Giovanni Papini. In: Dizionario storico del movimento cattolico in Italia. Bd. 2: I protagonist. Hrsg. von Francesco Traniello und Giorgio Campanini. Casale Monferrato 1982. S. 453 – 458. In seinen „Frontespizio“-Jahren, so di Biase, habe Papini seine Stellung in der Öffentlichkeit verteidigen müssen. Dies habe er nicht selten auf polemische, banale und unpassende Art und Weise getan, wovon „Italia mia“ das beredtste Zeugnis abgebe, vgl. Di Biase,Carmine: Giovanni Papini: L’anima intera.Milano 1999, S. 181. Vgl. Regina, Vincenzo: Giovanni Papini dal ‚Leonardo‘ a ‚Lacerba‘ (1902– 1913) attraverso suoi carteggi inediti ed editi, unveröffentl. Phil. Diss. Napoli Akademisches Jahr 2005 – 2006.
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terleutnant eingestuft, aufgrund seines Augenleidens aber nicht eingezogen. Der Apostel der „Revolte gegen den Positivismus“ und ebenso gegen den Idealismus Croces aus der Vorkriegszeit wurde jetzt plötzlich durch zahlreiche Arbeiten zu religiösen und philosophischen Problemen bekannt. Im Jahre 1923 stellte Mario Puglisi in einem Beitrag für die amerikanische Zeitschrift „The Journal of Religion“ fest, dass ein oberflächlicher und aggressiv-reaktionärer katholischer Mystizismus in intellektuellen Zirkeln oszilliere, der sich gegen Materialismus, Freimaurertum und die protestantischen Kirchen richte und sich seit der faschistischen Machtübernahme ungehemmt entfalten könne. Hierbei nannte er explizit Papini, der durch Giuliotti angestiftet worden sei.²³² Man kann nicht sagen, dass Papini das Konzept der Romanität von Anfang vertreten hätte. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte er in seiner berühmten Römischen Rede ²³³ „der ehemaligen Hauptstadt der Welt allen Wert, jeden psychischen Inhalt abgesprochen“.²³⁴ Noch 1919 hatte sich Papini sehr kritisch über Mussolini geäußert.²³⁵ Wie Manacorda lehnte er es deshalb ab, das Manifest der faschistischen Intellektuellen vom 21. April 1925 zu unterzeichnen.²³⁶ Sein langer Marsch der Konversion zum Katholizismus ließ ihn nach Abschluss der Lateranverträge den Weg zum Faschismus finden. In diesem Zusammenhang kam Manacorda die Rolle zu, seinen Freund zur aktiven Mitarbeit für das Regime gedrängt zu haben:²³⁷ Der Katholizismus befinde sich im heftigsten Kampf seit den Zeiten Luthers, schrieb er Papini. Niemand, der nicht dumm oder böswillig sei, könne sich des gigantischen Werkes des Capo, wie er Mussolini betitelte, verschließen. Wie er, Manacorda, und die Katholiken, so erwarte auch der „Duce“, dass Papini ihm zur Seite stehe, nicht nur in literarischen Elogen zu Carducci²³⁸, sondern auch mit seinem eigenen heroischen Werk²³⁹, setzte Manacorda Katholizismus und Faschismus in eins. Offensichtlich konnte Manacorda ihn überzeugen, denn ein erstes klares Indiz zu seiner Annäherung an das Regime war Papinis am 1. September 1933 gehaltene regimenahe Einführungsrede der von Mussolini ins Leben gerufenen Settimana di Poesia im Teatro comunale von Forlì wiederum über Carducci. 1935 erhielt der Nichtakademiker den Carducci-Lehrstuhl an der Universität
Pugliesi, Mario: Present Religious Tendencies in Italy. In: The Journal of Religion 5 (1923). S. 494– 500. Die Rede Papinis, die er am 21. Februar 1913 im „Teatro Costanzi“ in Rom hielt, trug den Titel „Contro Roma e contro Bendetto Croce“ (Mailand 1913) und wurde erstmals in der Zeitschrift „Lacerba“ vom 1. März 1913 abgedruckt. Tavolato: Chronik der futuristischen Instauration, S. 357. Isnenghi: Papini, S. 138. De Begnac: Taccuini mussoliniani, S. 237, 287 u. 362. Vgl. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief von Lunedì in albis [darin antwortet Manacorda auf einen Brief Papinis von Ostern 1934, seine Antwort stammt also vom 7. April 1934]. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Lettere Papini. Papini schrieb zu diesem Zeitpunkt über den italienischen Nationaldichter das Buch „Grandezze di Carducci“, das 1935 bei Vallechi in Florenz erschien. Ebd.
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von Bologna. Seine 1937 erschienene italienische Literaturgeschichte widmete er dem italienischen Diktator²⁴⁰, der sich revanchierte und ihn zum Mitglied der Italienischen Akademie ernannte.²⁴¹ 1943 zog er sich enttäuscht von Mussolini und vom Faschismus politisch zurück. Nach dem Krieg wurde seine Rolle zunächst von seinem Freund und Biografen Roberto Ridolfi massiv verharmlost, wie unten gezeigt wird.²⁴² Auro d’Alba: Der zweitklassige Lyriker Auro d’Alba, der 1888 in dem 225 Kilometer südöstlich von Rom gelegenen Gebirgsort Schiavi di Abruzzo als Umberto Bottone geboren wurde, stellt einen besonders interessanten Einzelfall dar.²⁴³ Sein Vater Giuseppe Bottone war Schneider und Schuhmacher. Die Familie siedelte bald nach der Geburt ihres Sohnes nach Rom über. Dort liegen vor dem Ersten Weltkrieg auch seine ersten schriftstellerischen Anfänge, wo er der melancholischen literarischen Strömung des Crepuscolismo angehörte. Im Jahre 1906 erschien Auro d’Albas Erstveröffentlichung „Lumi d’argento“, 1910 folgte „Corde ai fianchi“. 1912 gehörte er zu den Mitunterzeichnern des Technischen Manifests der futuristischen Literatur und war in der ersten futuristischen Anthologie „I Poeti Futuristi“ mit drei Gedichten vertreten. D’Alba entwickelte eine eigene, traditionelle Formen überwindende Metrik mit Elementen des Verso libero und Canto, die aber beide keinen klassischen Regeln folgten²⁴⁴ und die ebenfalls seine politische Lyrik prägen sollte. Während des Krieges schrieb er Heldengedichte, wie das den Bersaglieri gewidmete „Baionette“, die er als Fackeln im blutigen Morgenrot stilisierte.²⁴⁵ Große Bewunderung empfand d’Alba für den wesentlich begabteren Papini, der für ihn der größte Schriftsteller und Denker Italiens war²⁴⁶ und dessen Gesamtwerk er überschwänglich lobte. Im Nachlass Papinis sind 65 Briefe von d’Alba aus der Zeit von 1913 bis 1955 enthalten²⁴⁷, der sein Vorbild mit der Anrede Grande fratello bedachte.
Papini, Giovanni: Storia della letteratura italiana. Bd. 1: Duecento e Trecento. Firenze 1937. Invitto: Giovanni Papini. Ridolfi, Roberto: Vita di Giovanni Papini. Milano 1957. Er heiratete ca. 1910 und hatte zwei Kinder, Sergio und Ofelia, vgl. Rizzotti Raus, Enrica: Umberto Bottone (Auro d’Alba). In: Dizionario bibliografico degli italiani. Bd. 13. Roma 1971. S. 482– 484. Dort wird fälschlicherweise Rom als Geburtsort angegeben. D’Albas Wirken als Avantgarde-Lyriker wurde in der Italianistik weitgehend ignoriert, zu kompromittiert erschien wohl der Dichter. Zu den wenigen Ausnahmen gehört eine Anthologie aus dem Jahre 1961. Darin heißt es in der Einleitung von Alberto Viviani unter Bezugnahme auf das Gedicht „Ofelia“, das er im Andenken an seine durch Selbstmord gestorbene Tochter schrieb, die darin enthaltenen Unterbrechungen des Rhythmus verwiesen auf eine Atmosphäre der Vernichtung. Hier zeige sich ein delikater und schwieriger Bereich seiner Dichtung und seiner forma mentis als seinem Leiden an der Welt, schreibt der Italianist über d’Albas Werk. Die Schönheit des Lebens werde bei aller Unvollkommenheit der Welt nicht nur passiv erlitten, sondern in aktive Beteiligung umgedeutet, vgl. Viviani, Alberto: Introduzione. In: Auro d’Alba: Poesie. Milano 1961. S. 9 – 29. Dieses aktive Engagement war sein Bekenntnis zum Faschismus. Vgl. D’Alba, Auro: Baionette. Versi liberi e parole in libertà. Milano 1915. D’Alba, Auro: Formato tessera. Incontri fra due secoli. Milano 1956, S. 193. Sandro Gentili und Gloria Manghetti: Inventario dell’Archivio Papini, Roma 1998, S. 66.
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Besonders in den 1930er Jahren war der Briefwechsel intensiv. Begonnen hatte der Kontakt aber vor dem Ersten Weltkrieg, als d’Alba an die „Lacerba“ schrieb, um sich Papini vorzustellen.²⁴⁸ In der „Lacerba“ erschienen dann auch Beiträge von ihm. Im Jahre 1917 richtete er sich erneut an Papini. Inzwischen kämpfte d’Alba als BersaglieriHauptmann an der Front. Von dort berichtete er für das „Giornale d’Italia“.²⁴⁹ Dieses Mal wandte er sich im Auftrag von Gherardo Marone, der in Neapel die Zeitschrift „Diana“ herausgab, an ihn. Zu dieser Zeit leitete d’Alba in Rom die „Cronache Letterarie“ und lud Papini ein.²⁵⁰ Er schickt Papini Gedichte, die teilweise die Kriegserfahrung verarbeiteten.²⁵¹ Der Krieg habe ihn besser gemacht, nicht als Menschen, aber als Poeten.²⁵² In der von Papini und Pancrazi herausgegebenen Anthologie zeitgenössischer Dichter aus dem Jahr 1920²⁵³ war er mit acht Beiträgen vertreten.²⁵⁴ Nach Kriegsende rückte seine schriftstellerische Arbeit in den Hintergrund, er sagte sich vom Futurismus los und engagierte sich politisch: Zunächst trat er in die Futuristische Partei ein, um sich kurz darauf den Anhängern Mussolinis anzuschließen.Vom Futurismus löste er sich dann auch ästhetisch.²⁵⁵ Er arbeitete stattdessen für den „Popolo d’Italia“ und stieg in das Direktorium des römischen Fascio auf, wo er die Squadra La Guascona gründete und kommandierte. Den Marsch auf Rom organisierte er von der Hauptstadt aus mit. Er war am Aufbau der Milizia volontaria per la sicurezza nazionale (MVSN) beteiligt²⁵⁶, die am 14. Januar 1923 gegründet wurde, um die Macht der Ras einzuschränken.²⁵⁷ D’Alba befasste sich mit der Propagandaarbeit, er schrieb für die Milizpresse und verfasste politische Lyrik. Tatsächlich war die politische Erziehung ein zentraler Auftrag der Miliz.²⁵⁸ Seine Verse wurden im Radio verlesen und bei Kundgebungen der Squadristen, wie etwa anlässlich der Feiern des 20. Jahrestages der faschistischen Bewegung, verteilt.²⁵⁹ Sie trugen ihm den Titel offizieller Dichter der Miliz ein.²⁶⁰ Der Philosoph Gennaro Sasso erinnert sich, wie er als Jugendlicher in Rundfunksendungen die dramatisch aufgeladene Stimme des Poeten der Miliz hörte, der sich in seinen lyrischen Litaneien der Ebbrezza fascista, dem faschistischen
Auro d’Alba an Giovanni Papini, Notiz o. D. [1913 – 1914]. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Gorgolini, Pietro: Italica. Prose e poesie della terza Italia. Bd. 2. Torino 1928, S. 565. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 9. April 1917, ebd. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 22. August 1917 und Postkarte vom 26. Dezember 1917, ebd. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 19. Juni 1919, ebd. Papini, Giovanni und Pietro Pancrazi (Hrsg.): Poeti d’oggi (1900 – 1920). Firenze 1920. D’Alba: Formato tessera, S. 55. Vgl. D’Alba: Formato tessera, S. 114 f. Rizzotti Raus: Umberto Bottone (Auro d’Alba), S. 483. Poesio: Reprimere le idee, abusare del potere, S. 7. Ebd., S. 32. Auro d’Alba an Osvaldo Sebastiani, Brief vom 23. März 1939, sowie Dettato del Col. Mileti gleichen Datums. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, Busta 2089, N. 537.475. Rizzotti Raus: Umberto Bottone (Auro d’Alba), S. 483.
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Rausch, hingab.²⁶¹ Außerdem wurden seine Gedichte vertont. Seine suggestiven Liedtexte, u. a. „Italia“²⁶², „Preghiera del legionario“, „Duce“, „Cantate di legionari“ und „L’acquila legionaria“, gehörten zum Kanon der Bewegung, die wie die Parteihymne „Giovinezza“ oder der „Marcia reale“ an den großen Feiertagen des Regimes wie dem 23. März und dem 28. Oktober fester Bestandteil des musikalischen Teiles der Radioprogramme waren, die auch durch die Lautsprecher auf den Straßen zu hören waren.²⁶³ In Kooperation mit Bottais Erziehungsministerium stellte er Radioansprachen für Schulen zusammen, die wiederum broschiert erschienen.²⁶⁴ Zu Manacorda stand d’Alba seit den 1920er Jahren in engem Kontakt. Zwischen beiden existierte seit 1926 ein reger Briefwechsel.²⁶⁵ Manacorda stieß über Auro d’Alba überhaupt erst zur faschistischen Bewegung.²⁶⁶ Auro d’Alba, so Manacorda, spreche mit seinen Versen zu Gott²⁶⁷ und stehe in der mystischen Tradition. Seine Poesie übersteige den Verstand und führe aus dem Dunkel zur Wahrheit, indem der Glaube die Poesie überschreite. Sein Werk sei Andacht, die Kampf und Sieg bedeute.²⁶⁸ D’Alba seinerseits schätzte Manacorda als Grande spirito. ²⁶⁹ 1936 ernannte Mussolini d‘Alba zum Luogotenente generale della Milizia. ²⁷⁰ Er nahm als Leiter der Propagandaabteilung der Miliz an den Feldzügen in Äthiopien und gegen Griechenland²⁷¹ teil, wobei er sich eher in der Etappe aufhielt. Im Zweiten Weltkrieg war er erneut an der afrikanischen Front. Nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 und dessen Befreiung durch ein deutsches Kommandounternehmen im September, war Alba unter jenen Milizoffizieren, die die neue faschistische Republik von Salò unterstützten. Für die seit Herbst aufgestellte sog. italienische SS ²⁷² schrieb General d’Alba eine rassistische Hymne.²⁷³ Er hatte
Interview des Verfassers mit Gennaro Sasso vom 9. Dezember 2008. D’Alba Auro: Italia. Roma 1933. Giacomo De Marzi: De Marzi, Giacomo: I canti del fascismo. Genova 2004, S. 149. Auro d’Alba: Milizia eroica. Roma 1941. Vgl. AdN della Sapienza Rom, Manacorda, Fasc. Corrispondenze I 1926. Dies geht aus dem Brief von Auro d’Alba an Guido Manacorda vom 20. Mai 1933 hervor, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Vgl. Manacorda, Guido: Introduzione. In: Auro d’Alba: La tortura della grazia. Roma 1932. S. 13 – 19, hier S. 13. Das Buch ist seiner Tochter gewidmet, die durch Suizid aus dem Leben geschieden war. Vgl. Manacorda: Introduzione, S. 16 – 17. Auro d’Alba: Formato tessera, S. 385. Porrone, Franco: Auro d’Alba. Roma 1987, S. 7. Die 15-seitige Druckschrift trägt den Zusatz Associazione Culturale Amici di Schiavi di Abruzzo. Auro d’Alba an Guido Manacorda, Postkarte aus Tirana vom 19. Mai 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc, Carteggio 1941, II, Malattia, Sottofasc. d’Alba. Am 2. Oktober 1943 beschloss Heinrich Himmler zunächst die Bewaffnung von Milizverbänden zur Partisanenbekämpfung unter der Ägide der SS. Die dafür vorgesehene Bezeichnung Waffen-Miliz wurde aber schließlich in italienische SS umgeändert. Im Gegensatz zu den sog. Hilfswilligen, d. h. zu den auf deutscher Seite kämpfenden Verbänden, war die italienische SS auf Hitler vereidigt. Am 17. März 1944 kamen erstmals 650 Legionäre der italienischen SS an der Front zwischen Anzio und
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persönlichen Zugang zu Mussolini.²⁷⁴ Sein Sohn Major Sergio d‘Alba²⁷⁵ war wie der Vater in der Guardia nazionale repubblicana GNR, der Miliz der Sozialrepublik, und Dozent eines weltanschaulichen Schulungskurses mit dem Titel Lezioni di cultura politica razziale an der Scuola Allievi Ufficialli della G.N.R. di Fontanellato. ²⁷⁶ Ihm wurde unterstellt, Kontakte zu den Giovani Repubblicani zu haben, was sein Vater dementierte.²⁷⁷ In den letzten Kriegswochen wurde der im Zuge der Auflösungserscheinungen der Repubblica Sociale Italiana (RSI) in Intrigen verwickelte Sergio d’Alba von den eigenen Leuten im Centro Addestramento della Guardia in Como festgesetzt, weil er den kommandierenden General Niccolò Nicchiarelli des Verrats beschuldigte, da er seine Flucht in die Schweiz vorbereite.²⁷⁸ Zum Glück für ihn kam die GNR der SS dabei zuvor. Beide, Sohn und Vater, überlebten den Krieg. Auro d’Alba wurde zwar kurzzeitig interniert, befand sich aber schon im Frühjahr wieder auf freiem Fuß. Ebenso wie sein Sohn Sergio, da die staatliche Eisenbahngesellschaft ihn entlassen hatte, war er zunächst arbeitslos.²⁷⁹ Nach dem Zusammenbruch der Sozialrepublik wurde Letzterer einige Monate in einem alliierten Kriegsgefangenenlager interniert. Sein Palazzo in der Via di Sant’Alessio wurde enteignet. Gesellschaftlich geächtet, fand er den Schutz der Kirche: Seit 1946 wurde ihm unter dem Pseudonym Benigno in der Sonntagsausgabe des „Osservatore Romano“ eine feste Rubrik anvertraut. 1948 gab er wieder eine Anthologie heraus.²⁸⁰ 1961 erschien sein letztes, oben zitiertes Werk „Poesie“. Er starb am 15. April 1965 in Rom. Gegenwärtig wird versucht, das Bild des faschistischen Katholiken d’Alba zu revidieren bzw. zu relativieren, indem einseitig seine poetische
Nettuno zum Einsatz. Hauptsächlich wurden sie jedoch gegen Partisanen eingesetzt, vgl. Lazzero, Ricciotti: Le SS italiane. Storia dei 20.000 che giurano fedeltà a Hitler. Milano 1982, S. 19, S. 47 und 108. Ebd., S. 183 – 185. Vgl. an den „Duce“ gerichteter Bericht „Dell’attività del Generale Auro d’Alba“, Mailand, 3. Januar 1945, sowie undat. Erklärung von General Auro d’Alba sowie Zeugenaussage dreier Nationalgardisten über eine Begegnung mit Sergio d’Alba vom 29. März 1945. In: ACS Rom, RSI, SPD, Carteggio Riservato (1943 – 45), Busta 47, N. 498 Sergio d’Alba. Die beiden d’Albas wurden verdächtigt, belastendes Material über Innenminister Buffarini Guidì zu sammeln. Im Range eines Centurione der Miliz (was dem Rang eines Hauptmanns bei den Streitkräften entsprach) hatte Sergio d’Alba im September XIX eine Denkschrift über die Erfordernisse des modernen motorisierten Wüstenkrieges für die Miliz vorgelegt, ebd. Zu der Frage „Come compite un’azione razziale nella Repubblica Sociale“ reichten Offiziersanwärter Abhandlungen ein, die wiederholt auf Sergio d’Alba sowie auf Papinis „Gog“ Bezug nahmen, vgl. ebd. sowie den dritten Teil der vorliegenden Studie. „Dell’attività del Generale Auro d’Alba“ vom 3. Januar 1945, ebd. Vgl. Guardia nazionale repubblicana, Unterschrift unleserlich an Gatti, Feldpostbrief vom 4. April XXIII, ebd. Auro d’Alba an Guido Manacorda, Brief vom 4. Dezember 1945. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1945 1˚ Semestre, 2˚ Semestre sowie Tucci, Alessandro: Auro d’Alba. Futurista inquieto. Vasto 2010, S. 11– 13. Der Verfasser dankt dem Verlag Q Edizioni für die freundliche Überlassung eines Bandes. Ders.: Riu. Siena 1948.
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Leistung betont wird. Dies wird anhand der Internetseite der Kommune Schiavi di Abruzzo²⁸¹ und einer im Jahre 2010 erschienenen Biografie deutlich: Hier wie dort wird der futuristische Schriftsteller herausgestellt, sein fatales Wirken als Faschist unterschlagen bzw. sein Engagement durch Auslassungen relativiert.²⁸² Riccardo Carbonelli: Die Quellenlage zum 1906 geborenen Riccardo Carbonelli ist schwierig. Er besuchte das Jesuitenkolleg Collegio Massimo und anschließend die Universität des Heiligen Stuhls, die Gregoriana, die er mit dem Magisterdiplom Corsi di cultura religiosa abschloss. Er heiratete 1928 Maria Garbarino, mit der er sechs Kinder hatte. Carbonelli schrieb für katholische Zeitschriften wie den „Frontespizio“, „Vangelo“ und „Roma cattolica“ und für eine Reihe regimenaher Organe. Dazu gehörten „Conquiste“ (gegründet 1932), „Conquiste d’Impero“ (1934), „Europa fascista“ (1941), „Fascismo“ (1935), „Il Nuovo Occidente“ (1934), „Origini“ (1937), „Roma fascista“ (1924), „Lo Schema“ (1934) und „Secolo fascista“ (1931) und wie erwähnt „Segni dei tempi“. Außerdem war er ständiger Mitarbeiter der 1933 gegründeten antigentilistischen Zeitschrift „La Sapienza“ um den Direktor Gastone Silvano Spinetti. Die erste Auflage von Manacordas Bolschewismus-Buch hatte er ebenfalls besprochen. Er fungierte als Direktor der „Rassegna sociale dell’A. I.“ und führte eine eigene Gruppe junger katholischer Faschisten in Rom. Der Direktor der Zeitschrift „Europa fascista“ Cesare Ferri beschrieb Carbonelli als Kameraden und treuen faschistischen Aktivisten.²⁸³ Daneben arbeitete er als Angestellter für die Krankenversicherungsanstalt Federazione Mutue Malattie Lavoranti Industrie. Doch ab August 1940 erkrankte er an Tuberkulose und seine journalistische und reguläre Arbeit kam zum Erliegen.²⁸⁴ Die noch folgenden zweieinhalb Lebensjahre war er ans Bett gefesselt. Anfangs versuchte er noch, von zu Hause aus journalistisch tätig zu sein, was ihm immer weniger gelang.²⁸⁵ Weil er seine Familie nicht mehr ernähren konnte, bat seine Frau Mussolini um Hilfe.²⁸⁶ An der gefährlichen Infektion infizierten sich auch seine Frau und vier der Kinder.²⁸⁷ Noch zwei Wochen vor seinem Tod, im März 1943, schrieb Carbonelli an
Unter http://www.schiavidiabruzzo.com/emigrazione.html wird seine faschistische Vergangenheit vollkommen verschwiegen. (3. August 2010). Tucci: Auro d’Alba. Cesare Ferri an Benito Mussolini, Brief vom 24. April 1943. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 1313, N. 510.365. Vgl. Aktennotiz vom 24. Oktober 1940. In: ACS Rom, SPD, CO,Busta 1313, N. 510.965. Riccardo Carbonelli è morto. In: „Osservatore Romano“ vom 24. März 1943. In: AdN della Sapienza Rom Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚Semestre I. Maria Garbarino Carbonelli an Benito Mussolini, Brief vom 22. Oktober 1940. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 1313, N. 510.365. Das Sekretariat des Duce überwies 1.000 Lire, vgl. Osvaldo Sebastiani an Maria Garbarino, Brief vom 28. Oktober 1940, ebd. Nicolò de Cesare, Segretario Particolare del Duce an Gabinetto del Ministro del’Interno, Brief vom April 1943. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 1313, N. 510.365.
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Manacorda. Er hoffte, Manacorda treffen zu können.²⁸⁸ Carbonelli starb am 23. März 1943.²⁸⁹ Paolo Bonatelli: Ein weiterer Multiplikator war der Pädagoge Paolo Bonatelli aus Verona. Die von ihm gegründete Zeitschrift „Segni dei tempi“ verstand sich, wie gesehen, als Ausdruck des jungen „faschistischen Katholizismus“, der sich durch absolute Regimetreue auszeichnete.²⁹⁰ Im Vergleich zum „Frontespizio“ war die Zeitschrift zwar längst nicht so einflussreich, dafür war ihr katholischer Faschismus noch kämpferischer. Bonatelli wurde am 3. Februar 1893 in Romano di Lombardia in der Provinz Bergamo geboren.²⁹¹Sein Vater Adelchi Bonatelli, der am 20. November 1855 in Chiari in der Provinz Brescia geboren wurde und in Cagliari am 20. Juli 1929 starb, war eines von zehn Kindern von Francesco Bonatelli, dem bekannten Philosophen und Professor an den Universitäten von Bologna und Padua.²⁹² In der antipositivistischen und antimaterialistischen christlich-spekulativen Tradition seines Großvaters sah sich auch sein Enkel.²⁹³ Paolo Bonatelli kam als Kriegsversehrter aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Mit seiner Frau Isabella Pezziol hatte er einen Sohn und zwei Töchter. Paolo Bonatelli lebte in Verona, war Mitglied der faschistischen Partei und Direktor des R. Collegio Femminile ‚Agli Angeli‘ ²⁹⁴, einer Erziehungsanstalt, die mit dem Opus Dei kooperierte, in der höhere Töchter auf ihre Mutterrolle vorbereitet und zu Faschistinnen erzogen wurden.²⁹⁵ Für den Gruppo universitario fascista (GUF), die faschistische Hochschulgruppe in Verona, hielt er politisch weltanschauliche Kurse.²⁹⁶ Leit-
Riccardo Carbonelli an Guido Manacorda, Brief vom 4. März 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre I. „Carbonelli è morto“ sowie Serri, Mirella: I redenti. Gli intellettuali che vissero due volte. 1938 – 1948. Milano 2005, S. 67 sowie S. 68. Moro: Propagandisti cattolici del razzismo antisemita in Italia, S. 325 f. Vgl. Archivio di Stato di Verona, Fondo Archivio della Società letteraria, Busta 137/01.Die weiteren biografischen Angaben zu Paolo Bonatelli stammen von dem Veroneser Historiker Mario Gecchele, dem der Verfasser hiermit ausdrücklich für seine wertvolle Hilfe dankt. Biographical Dictionary of Twentieth Century Philosphers. Hrsg. vonStuart C. Brown u. a., London/New York 1996, hier S. 85. Bonatelli schrieb an Orvieto zwecks der Veröffentlichung von zwei Artikeln im „Marzocco“ anlässlich des 100-jährigen Geburtstages des Bologneser Philosophen Francesco Bonatelli, vgl. Pier Paolo Bonatelli an Adolfo Orvieto, Brief vom 3. März 1930. In: ACGV Florenz, Carte Fondo Adolfo Orvieto. Ein solcher Artikel erschien jedoch nie. Der einzige Artikel im „Marzocco“ über Francesco Bonatelli war ein Nachruf, der am 21. Mai 1911 erschien und von Giovanni Calò stammt. Im „Marzocco“ erschien überhaupt kein Artikel Bonatellis. Gecchele, Mario: L’Educandato Agli Angeli nella storia dell’educazione a Verona. Verona 2006. R. Collegio Femminile ‚Agli Angeli‘ Verona: Apertura dell’anno scolastico 1936 – 37. Parole del Prof. Dott. Paolo Bonatelli. Verona o. J. [1936], S. 5. Bonatelli, Paolo: Il Fascismo nell’ora attuale (21 Aprile, Natale di Roma – Inizio dei Corsi di Preperazione Politica degli studenti del G.U.F. a Verona nel 1940). In: Ders.: Orientamenti. Fidenza
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thema seiner zahlreichen pädagogischen Veröffentlichungen und politischen Ansprachen als Parteifunktionär war die Erziehung der Mädchen.²⁹⁷ Nach dem Krieg arbeitete er weiter unbehelligt als Lehrer und war geachteter Bürger u. a. in der Literarischen Gesellschaft, die ihm bei seinem Austritt 1953 ausdrücklich für seine Verdienste dankte.²⁹⁸ Er starb am 16. September 1976. Aus seinem Briefwechsel mit Manacorda geht hervor, dass er auf eine jahrzehntelange Lehrtätigkeit im pädagogischen Bereich zurückblicken konnte. Allerdings war er im akademischen Bereich nicht arriviert, sodass er sich noch Anfang der 1940er Jahre vergeblich um eine Privatdozentur bewarb.²⁹⁹ Bonatelli wandte sich an Manacorda, den er als führende katholische Persönlichkeit ansah, um im Namen seiner Zeitschrift und der von ihm geleiteten Gruppe den Vorschlag zu machen, die verschiedenen katholischen Strömungen angesichts der nationalen und internationalen Lage auch politisch zu vereinigen. Zunächst wollte er einen internationalen LaienKongress des katholischen Denkens (in den Bereichen Philosophie, Gesellschaft, Politik, Religion, Kunst) durchführen, den er mit Hilfe von Bottai zu realisieren trachtete. Manacorda trug er hierfür die Präsidentschaft des Kongresses an.³⁰⁰ Bonatelli traf sich auch privat mit Manacorda und warb mehrfach und erfolgreich um die Mitarbeit des Florentiners in seiner Zeitschrift „Segni dei Tempi“.³⁰¹ Pasquale Pennisi: Baron von Santa Margherita, der Neffe des Marchese di San Giuliano, des 1914 verstorbenen italienischen Außenministers, wurde am 29. Januar 1908 in Acireale (Catania) geboren. Sein Todesjahr konnte nicht ermittelt werden. Er studierte Rechtswissenschaften und Politik an der Universität Padua. In den Akten des Segreteria Particolare del Duce heißt es: Verheiratet und kinderlos, von gutem moralischen Verhalten als Bürger wie politisch, Parteimitgliedschaft (Fascio von Rom) ununterbrochen seit dem 21. April 1928. Die Lehrbefähigung in
(Parma) 1942. S. 299 – 310 sowie ders.: Commemorazione di Arnaldo Mussolini (Discorso alla G.I.L. e al G.U.F. di Verona nel Dicembre 1941 – XX), ebd. S. 365 – 374. Ders.: Lineamenti d’educazione e di storia della educazione femminile. Verona 1942. Er sprach sich gegen die Suffragetten-, aber für die faschistische Frauenbewegung aus. Im Jahre 1953 erklärte er seinen Austritt aus der Gesellschaft, Consigliere segretario Bruno Fabbri an Paolo Bonatelli, Brief vom 15. Juni 1953, vgl. A. S. Verona, Fondo Archivio della Società letteraria, Busta 137/01. Vgl. Paolo Bonatelli an Guido Manacorda, Brief ohne Datum. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, I. Paolo Bonatelli an Guido Manacorda, Brief vom 31. Januar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1˚ Semestre, Sottofasc. Bonatelli. Paolo Bonatelli an Guido Manacorda, Telegramm vom 5. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1˚ Semestre, Sottofasc. Bonatelli.
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internationalem Recht wird von ihm an der politikwissenschaftlichen Fakultät der kgl. Universität von Rom ausgeübt.³⁰²
Seit 1934 war er Libero docente. ³⁰³ Außerdem lehrte er an der juristischen Fakultät von Parma und an der Mailänder Scuola di mistica fascista. Er war Leiter im Führungsstab der Federazione Universitaria Cattolica Italiana (FUCI), des katholischen Studentenverbandes. Pennisi schrieb für zahlreiche katholische und nichtkatholische Blätter, darunter „Carattere“, „Conquiste d’Impero“, „Gerarchia“, „Il Mattino“, „Il Nuovo Occidente“, „La Piazza“, „Regime fascista“, „Roma fascista“, „Il Secolo fascista“ und „Vita italiana“³⁰⁴ und vor allem für die Zeitschrift „Segni dei tempi“. 1943 arbeitete er u. a. auch für die Zeitschrift „Il Nuovo Occidente“.³⁰⁵ Seit Ende der 1930er Jahre entwickelte sich der Autor – zusammen mit Manacorda – durch zahlreiche Veröffentlichungen über die Theorie des katholischen Faschismus, zum wichtigsten Ideologen dieser Strömung.³⁰⁶ Pasquale Pennisi war nach dem Krieg als Journalist u. a. für den „Popolo di Roma“ tätig. Im katholischen Milieu war er genauso wenig verfemt wie die anderen ehemaligen faschistischen Katholiken. Der christdemokratische Senator Alberto Canaletti Gaudenti, der für die „De Propaganda Fide“, für die Internationale Universität „Pro Deo“ sowie an der Päpstlichen Lateran-Universität tätig war, nahm zwei seiner Artikel in einen Sammelband auf. Darin diskutierte Pennisi aus katholischer Sicht die Ausgestaltung der korporativen Verfassung in einem demokratischen Staat. Zu den Autoren gehörte auch Luigi Sturzo, der im Gegensatz zu Pennisi die Unvereinbarkeit zwischen katholischem und faschistischem Korporativismus betonte.³⁰⁷ Nachdem Pennisi während der 1950er Jahre nach eigenem Bekunden weit rechts stand, trat er 1967 der Democrazia cristiana bei, wobei er die von Aldo Moro betriebene Öffnung der DC zu den Sozialisten anfangs publizistisch bekämpfte³⁰⁸, bevor er seine Einstellung radikal änderte. In den 1970er Jahren wandte er sich sogar in zwei Briefen direkt an
Vgl. Gabinetto del Ministro dell’Educazione Nazionale, Appunto per la Segreteria Particolare del Duce vom 22. Februar 1942. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 1921, N. 530713, Pennisi, Prof. Pasquale – Docente alla R. Università di Roma. Gabinetto del Ministro dell’Educazione Nazionale, Appunto per la Segreteria particolare del Duce vom 22. Februar 1942. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 1921, N. 530713, Pennisi, Prof. Pasquale – Docente alla R. Università di Roma. Moro: Propagandisti cattolici del razzismo antisemita in Italia, S. 325. Pasquale Pennisi an Guido Manacorda, Brief vom 20. Januar 1933. In: Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, I. Darin bedauerte Pennisi, dass er nicht zu Manacordas Einführungsveranstaltung kommen könne. Vgl. Teil III. Sturzo, Luigi: Unioni, Sindacati, Corporazioni. In: Verso il corporativismo democratic. Scritti scelti coordinati ed annotati dal Alberto Canaletti Gaudenti e Saverio di Simone. Bari 1951. S. 57– 61, sowie ders.: Corporativismo e libertà. ebd., S. 93 – 96, hier S. 96. Pasquale Pennisi an Aldo Moro, Brief vom 16. Januar 1972. In: ACS Rom, Archivio Aldo Moro (1953 – 1978), Busta 192, Sottofasc. Pasquale Pennisi.
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Aldo Moro, den er noch aus gemeinsamen FUCI-Zeiten duzte³⁰⁹ und dessen CentroSinistra er jetzt unterstützte. Pennisi war inzwischen für das italienische Fernsehen RAI tätig.³¹⁰ Die soziale Basis des katholischen Faschismus lässt sich mit Mannheims wissenssoziologischem Forschungsprogramm erfassen, denn den „Denkstilen“ will Mannheim konkrete soziale Träger zuordnen.³¹¹ Auch die Faschismusforschung hat sich inzwischen von pauschalen Zuschreibungen nach sozialen Klassen verabschiedet. In diesem Zusammenhang stellte der US-Amerikaner Michael Mann in seinen viel beachteten Forschungen zur Soziologie der Faschisten³¹² den Nutzen einer solchen eindimensionalen Zuordnung in Abrede. Dies tat er auch deshalb, weil seines Erachtens die so verfahrenden Forscher, die nicht selten eine marxistische Sichtweise verfolgten, dazu neigten, faschistische Einstellungen unter- und die sozioökonomische Basis überzubewerten.³¹³ Mann greift hier denselben Vorwurf auf, den auch schon Mannheim der marxistischen Schule gemacht hatte. Insbesondere das marxistische Etikett „kleinbürgerlich“ hält Mann zur Analyse für nicht geeignet.³¹⁴ Dagegen plädiert er dafür, andere soziale Merkmale wie militärischer Hintergrund, Alter, Geschlecht, akademische Bildung etc. heranzuziehen. Eine solche soziale Standortbestimmung der faschistischen Katholiken soll daher im wissenssoziologischen Sinne durchgeführt werden, was die Gruppenstruktur im Übrigen auch aus institutionenanalytischer Perspektive beschreibt. Nimmt man als Kriterium für die Bezeichnung Faschist allein die Parteizugehörigkeit, so ist einschränkend festzustellen, dass sich nicht alle faschistischen Katholiken in die Partei eingeschrieben hatten. Nur Bargellini, Bonatelli, d’Alba, Manacorda und Pennisi waren Mitglieder des PNF. Allerdings sind Carbonellis und Papinis viel-
Für diesen Hinweis dankt der Verfasser Renato Moro. Pasquale Pennisi an Aldo Moro, Brief vom 29. Oktober 1974. In: ACS Rom, Archivio Aldo Moro (1953 – 1978), Busta 192, Sottofasc. Pasquale Pennisi. „Zur Soziologie des Wissens kann eine solche ideengeschichtliche Vorarbeit nur werden, wenn das dahinter stehende historisch-sozial determinierte Sein zur Frage wird“, vgl. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 375. Mann: Fascists, S. 101. Die Analyse Manns erfolgt auf Grundlage der Mitgliederdatei der Partei aus dem Jahre 1921. Überzeugend wendet sich Michael Mann gegen die lange dominierende Zuweisung, das von sozialer Deklassierung bedrohte „Kleinbürgertum“ sei besonders anfällig gegenüber dem Faschismus gewesen. Dazu sei es schon zahlenmäßig viel zu marginal gewesen, ebd., S. 46. Mann schreibt dazu süffisant: „Theorien, die den Faschismus als eine spezifische Gestalt des Nationalismus deuten, […] bekommen im Unterschied zu den klassentheoretischen Ansätzen die Wählerschaften der Faschisten nicht in den Blick. Ihnen geht es nur um den ideologischen Gehalt, nicht um die soziale Basis. So behelfen sie sich unter Umständen mit Anleihen bei der Klassentheorie. Merkwürdigerweise wird dann behauptet, Wertesysteme wie Nationalismus, Rassismus oder Militarismus seien ‚bürgerlich‘ oder ’kleinbürgerlich‘ […] Warum solche Werte typisch für den Mittelstand sein sollen, ist mir ein Rätsel. Viele Wissenschaftler scheinen das Kleinbürgertum nicht besonders zu mögen. Vielleicht ist es der Klassenhintergrund, dem sie selbst entkommen wollen?“ Ebd., S. 51.
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fache öffentliche Bekenntnisse zum Faschismus und ihre Selbstbeschreibung als Faschisten Legion und lassen sie daher ebenfalls zu Recht als Faschisten erscheinen. Im Folgenden werden die faschistischen Katholiken anhand der Kategorien Schicht, Geschlecht, Altersstruktur und regionale Herkunft beschrieben. Die soziale Herkunft der faschistischen Katholiken scheint dem gängigen Urteil der Forschung zu entsprechen, das besagt, dass die Faschisten aus der Mittelschicht bzw. aus der unteren Mittelschicht kommen.³¹⁵ Nur Pasquale Pennisi stammt aus einem einflussreichen Adelsgeschlecht und passt damit nicht in dieses Raster. D’Alba und Papini kamen explizit aus dem als faschistisch geltenden Kleinbürgertum. Allerdings sind gerade die kleinen Handwerker in den erhaltenen Mitgliederlisten der faschistischen Partei von 1921 unterrepräsentiert gewesen.³¹⁶ Wichtiger erscheint, dass alle untersuchten faschistischen Katholiken im tertiären Sektor, und zwar ausnahmslos im Bereich der Bildung tätig waren. Nur Carbonelli als Versicherungsangestellter übte einen anderen Hauptberuf aus, war aber auch als Journalist tätig. Bis auf Papini, der dennoch als einziger neben Manacorda einen Lehrstuhl erhielt, waren sie allesamt humanistisch gebildete Akademiker. Dieser Befund ist wiederum typisch für den italienischen Faschismus insgesamt, in dem Lehrer und Studenten³¹⁷ mit einer klassischen Bildung³¹⁸ überrepräsentiert waren. In Florenz stellten die Studenten die Hälfte der Squadristen.³¹⁹ Mann zufolge rekrutierte sich der Faschismus aus dem jungen, humanistisch ausgebildeten Bürgertum und keinesfalls aus dem deklassierten unterprivilegierten Teil der Mittelklasse. Faschisten seien vor allem Angehörige des an nationalen Werten orientierten, in gesicherten Verhältnissen lebenden Mittelstands geworden.³²⁰ Diese Beschreibung trifft auf die faschistischen Katholiken sicherlich zu. In diesem Zusammenhang verwies Suzzi Valli auf die steigende Akademikerarbeitslosigkeit in Italien, die seit den 1880er Jahren zur Radikalisierung der Jugend beigetragen habe.³²¹ Dieser Karriere-Aspekt soll hier vorerst nur erwähnt und im Kapitel über den sozialen Standort der faschistischen Katholiken innerhalb des Regimes gesondert analysiert werden. Geschlecht: Auf den ersten Blick erscheint die Feststellung banal, dass alle hier vorgestellten faschistischen Katholiken männlich waren, denn der Faschismus gilt
Mann: Fascists, S. 108. Ebd. Petersen, Jens: Elettorato e base sociale del fascismo italiano negli anni venti. In: Studi storici 3 (1975). S. 627– 669. 12 bis 13 % aller Studenten und Schüler wurden im Winter 1921/22 von den Faschisten gewonnen. Suzzi Valli kommt in ihrer Regionalstudie zu Bologna und Florenz zu einem Ergebnis, das die geisteswissenschaftliche Orientierung der akademischen Studierenden zumindest relativiert, denn die faschistische Anhängerschaft in anderen Fachrichtungen sei ebenfalls groß gewesen, vgl. Valli, Suzzi: The Myth of Squadrismo in the Fascist Regime. In: Journal of Contemporary History 2 (2000). S. 131– 150, hier S. 138. Mann: Fascists, S. 108. Ebd., S. 113. Valli: The Myth of Squadrismo in the Fascist Regime, S. 138.
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allgemein als maskuliner, gewaltorientierter Männerbund, der im Squadrismus seinen spezifischen Ausdruck fand. Die Frauen, die bei der Gründungsveranstaltung der Bewegung im März 1919 noch einen Anteil von fünf Prozent stellten, wurden deshalb rasch beiseite gedrängt, sodass 1921 nur ein bis zwei Prozent der PNF-Mitglieder weiblich waren.³²² In Jolanda de Blasi, die die Sektion Literatur des traditionsreichen Lyceum-Clubs für Künstlerinnen und Schriftstellerinnen in Florenz leitete³²³, hatten die faschistischen Katholiken jedoch eine überzeugte Gefolgsfrau, die bis in die Sozialrepublik an den „Duce“ glaubte.³²⁴ Sie organisierte kontinuierlich regimenahe Veranstaltungen und insbesondere 1941 eine Konferenz im Lyceum zu Romanität und Germanität, an der u. a. Manacorda und Minister Bottai teilnahmen. De Blasi gab auch den Tagungsband heraus.³²⁵ Außerdem hatte Manacorda ein enges Vertrauensverhältnis zu Kronprinzessin Maria von Piemont aufgebaut, das er auch politisch nutzte. Die faschistischen Katholiken gehörten zu denjenigen, die die offiziell traditionelle Rolle, die das Regime den Frauen zuwies, begrüßten. Im Jahre 1942 erläuterte Manacorda stellvertretend in der Zeitschrift „Augustea“, was er darunter verstand: Die Familie sei als grundlegende gesellschaftliche Institution gegen jede malthusianische Lehre zu schützen. Daraus ergäben sich einerseits das Verbot von Scheidung und Abtreibung, anderseits Geburtsprämien sowie soziale Vergünstigungen. Die Familie verklärte er als „Ort der physischen und moralischen Heilung und Kräftigung der Rasse und der Nation.“³²⁶ Allerdings war das Verhältnis des Faschismus zu den Frauen nicht allein reaktionär, sondern komplexer und mehrdeutiger: Im totalitären Staat wurden sie in den Massenorganisationen eingebunden und politisiert. Ebenfalls richtete sich die faschistische Propaganda explizit an Frauen.³²⁷ Insbesondere Mütter profitierten durch eine Reihe von Gesetzen und Sozialleistungen. Jedoch war ihnen eine passive Rolle zugedacht, die von Männern bestimmt wurde. Der Pädagoge Bonatelli gehörte zu den führenden Theoretikern der faschistischen Mädchenerziehung unter rassistischen Vorzeichen, ohne dass sich sein Bildungskonzept der Geschlechtertrennung durchgesetzt hätte³²⁸, denn sein Kolleg war eines von insgesamt nur fünf in ganz Italien.³²⁹
Mann, Michael: Fascists. Cambridge (USA) u. a. 2006., S. 101. Der erste internationale Lyceum-Club wurde 1904 in London als Teil der gemäßigten Suffragettenbewegung unter der Präsidentschaft von Lady Frances Balfour gegründet. Papini, Giovanni: Diario. Firenze 1962, S. 165. De Blasi, Jolanda (Hrsg.): Romanità e Germanesimo. Firenze 1941. Vgl. Manacorda, Guido: Di alcuni fondamentali principi di etica fascista. In: Augustea, Rivista Imperiale del nostro tempo 19 – 20 (1942). S. 609 – 611, hier S. 610. De Grazia, Victoria: Le donne nel regime fascista. Venezia 2001. Über die Mädchenschulen, die 1939 in der Carta della Scuola von Giuseppe Bottai festgeschrieben wurden, urteilte der Chicagoer Historiker Alexander De Grand, wobei er sich auf Bonatellis Opus (Lineamenti d’educazione e di storia dell’educazione femminile, Florenz 1942, S. 567) bezog: „The women’s schools were designed to prepare girls for housework and professions related to the rearing of children. In fact, such schools were not really new and had never attracted the more ambitious female students. The crucial fact was that women could continue to attend the same schools as their male
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Typisch für das faschistisch-katholische Frauenbild ist es nichtsdestoweniger. Anlässlich der Eröffnung des Schuljahres 1936/37 des R. Collegio Femminile ‚Agli Angeli‘ beschwor er das Impero. ³³⁰ Er stellte einen Zusammenhang zwischen Expansion nach außen und innerer Bereitschaft des Einzelnen her, appellierte an den Lehrkörper sowie an die Schülerinnen und warnte vor der verderbten herabgewürdigten bolschewistischen Frau.³³¹ Seine Ausführungen gipfelten in dem Aufruf der Verpflichtung der jungen Generation gegenüber der alten.³³² In einer Denkschrift schrieb er, auch die moderne Frau müsse sich in der durch die faschistische Revolution grundlegend veränderten gesellschaftlichen Situation am nationalen Leben beteiligen.³³³ Damit sei die so exaltierte ästhetische Funktion aus der Zeit des liberal-jüdischen Materialismus überwunden. Faschismus und Religion, so Bonatelli, nähmen die Frau in Familie und Gesellschaft in die Pflicht, dazu sollten die Mädchenkollegs künftig erziehen. Die faschistisch-katholische Version der Frauenpolitik war damit von derselben Widersprüchlichkeit wie die offizielle PNF-Linie, weil die totalitäre Vereinnahmung der Frauen das vom Regime propagierte traditionelle Frauenbild unterminierte, sodass die faschistische Frauenpolitik genau die Werte selbst untergrub, die sie zu bewahren angetreten war.³³⁴ Manacorda erhielt regelmäßig Briefe von überzeugten Faschistinnen, die ihn und den „Duce“ bewunderten. Darunter waren – neben den erwähnten Damen der Florentiner Gesellschaft – u. a. die Baronessa Luisa Wassenaer-Crocini, die Präsidentin der Dante-Alighieri-Gesellschaft in Den Haag³³⁵, oder Maria d’Alba³³⁶, deren Schreibtisch ein Porträt sowohl Mussolinis und als auch Manacordas zierte.³³⁷ Außerdem zählten auch ausländische Frauen dazu. Ein Beispiel hierfür war die gebürtige ita-
counterparts and to study the same materials“, vgl. De Grand, Alexander: Woman under Italian Fascism. In: The Historical Journal 4 (1976). S. 947– 968, hier S. 968. Gecchele: L’Educandato Agli Angeli, S. 382. Vgl. R. Collegio Femminile ‚Agli Angeli‘ Verona: Apertura dell’anno scolastico 1936 – 37, S. 5; Der Kampf sei noch nicht vorbei. Eine neue Zivilisation lasse sich nicht improvisieren, sondern bedürfe des kontinuierlichen Aufbaus. Ein gerade erst erobertes und unsicheres Imperium, so Bonatelli, sei ein gefährdetes, ebd., S. 7. Vgl. R. Collegio Femminile ‚Agli Angeli‘ Verona: Apertura dell’anno scolastico 1936 – 37, S. 7 Ebd., S. 10. Paolo Bonatelli: In tema di riforma della scuola i reali collegi femminili. In: Associazione tra ex alunne del reale collegio „Agli Angeli“ Verona, Verona März 1939, S. 16 – 17. In: AS Verona, Fondo Prefettura, b. 2636. Victoria De Grazia: Le donne nel regime fascista, S. 18. Vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Wassenaer. Ein Konvolut von Briefen von Aura, Maria und Sergio d’Alba befindet sich in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio 1941, II, Malattia, Sottofasc. d’Alba. Maria d’Alba an Guido Manacorda, Postkarte ohne Datum, ebd.
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lianisierte Deutsche Marchesa Carla Nobili Vitelleschi.³³⁸ Sie schrieb Manacorda seit 1941 regelmäßig und schickte ihm ihre expressionistischen Ergüsse zu. Ihr Manuskript „Lieder um Gott“ widmete sie „Manacorda, dem Freunde, zu seiner heiligen Werdung in Hingabe“ [sic].³³⁹ Ihre gehaltlosen Hymnen an Mussolini, die sie übersetzen lassen wollte, stellen zweifellos einen Tiefpunkt der lyrischen Produktion des 20. Jahrhunderts dar, sind aber als esoterisch-religiöses Zeugnis der weiblichen „Duce“-Verehrung aussagekräftig.³⁴⁰ Wie sehr das Regime, um sich zu stabilisieren, auf diese triviale Art von Anerkennung angewiesen war, zeigt sich daran, dass Mussolini Nobili Vitelleschi auf Staatskosten nach Rom einlud.³⁴¹ Die ersten Strophen ihrer trivial-expressiven, an schiefen Metaphern reichen Hymne „Benito Mussolini“ trugen ihr diese Ehre ein: Fanfaren schmettern! Sturmschritt dröhnt heran! Der Boden bebt! Die Atmosphere [sic!] zittert, denn durch den Siegesbogen stürmt ein Mann, um dessen Haupt Prophetentum gewittert. Nun ist er nah – geheimnisvoll erkürt [sic!] zwei Augen – gleissend wie zwei nackte Degen – das Kinn wie eine Festung vorgeschoben, die Stirne steil, das Löwenhaupt erhoben, so tritt er her, ist grenzenlos verwegen, denn Sternenzeit hat ihn heraufgeführt. […] Er wirkt dem Untergang des ewig Halben, und wo er schreitet, wird es nimmer Nacht. […] So dröhnt er durch das Dasein wie ein Gott.³⁴²
Dem Regime gefielen diese Zeilen. Die Vermittlung Manacordas fruchtete. Carla Nobili Vitelleschi wurde eine von nur 201 externen Mitarbeitern mit einem festen Salär von Pavolinis Minculpop. Insgesamt erhielt die Literatin die beachtliche Summe von 72.000 Lire für ihre Verse und für ihre Arbeit im Rahmen der Associazione Italo-Germanico. ³⁴³ Altersstruktur: Nach der einzigen der Forschung vorliegenden Erhebung zur Sozialstruktur des PNF, die die Hälfte der Mitgliedskartei von 1921 auswertete, handelte es sich um eine junge maskuline Bewegung, mit einem Durchschnittsalter von kaum mehr als 25 Jahren, also der Alterskohorte mit den Jahrgängen von 1895 bis 1900.³⁴⁴ Carla Vitelleschi war eine enge Freundin des indischen spirituellen „Weltlehrers“ Jiddu Krishnamurti, vgl. Beraldo, Michele: Krishnamurti nell’occhio della polizia politica. In: Gianfranco De Turris: Esoterismo e fascismo. Storia, interpretazioni, documenti. Roma 2006. S. 67– 76, hier, S. 70. Subfaszikel mit dem Titel „Dem geschenkt, was in Dir heilig ist, Manacorda“ vom Juni 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Vitelleschi, 1941– 1943, Lettere, Poesie, Traduzione, vgl. Vitelleschi, Carla: Der Namenlose geht vorüber. München 1943. Manacorda wollte ihr bei der Übersetzung ihrer Gedichte ins Italienische behilflich sein. Nobili Vitelleschi sandte ihm den Faschismus und Mussolini verklärende Heldengedichte, die sich bei Manacorda in einem großen Konvolut stapelten. In einem Brief vom 30. September 1943 schrieb Manacorda an Carla Vitelleschi, D’Annunzio habe ihn „Magna corda“ lateinisch „Gran cuori“ genannt. In seinem Brief vom 10. Oktober bat Manacorda sie, ihm keine Manuskripte mehr zu schicken, vgl. ebd. Vgl. Benito Mussolini an Carla Vitelleschi, Abschrift eines Briefs vom 29. Mai 1941 und Pavolini an Carla Vitelleschi, Abschrift eines Briefes vom 12. Juni 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Vitelleschi, 1941– 1943, Lettere, Poesie, Traduzione. Ebd. Sedita: Gli intellettuali di Mussolini, S. 226. Im November 1921 hatte der PNF 320.000 Mitglieder, vgl. Mann: Fascist, S. 101.
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Die Parteiführer waren geringfügig älter und wurden in den Jahren von 1885 bis 1895 geboren. 57 % der Mitglieder von 1921 hatten im Weltkrieg gekämpft. Der 1879 geborene Manacorda und der 1881 geborene Papini waren somit etwas älter als die Faschisten der ersten Stunde. D’Alba, Jahrgang 1888, entsprach als Squadristenführer genau dem Alter der faschistischen Führungsebene. Die Weltkriegsveteranen Bonatelli, Jahrgang 1893, und Bargellini, Jahrgang 1897, waren Teil der Generationseinheit, aus der der Faschismus seine Anhänger rekrutierte. Sie alle waren durch das Fronterlebnis geprägt, bis auf Papini, der ausgemustert worden war. Ein Viertel der Arditi fand den Weg zum Faschismus, als solcher begriff sich auch Manacorda. Der 1906 geborene Carbonelli und der jüngste, 1908 geborene Pennisi gehörten hingegen einer neuen Generationseinheit an, die im Faschismus akkulturiert worden war. Die faschistischen Katholiken gehörten also – mit der Ausnahme d’Albas – nicht zu den Faschisten der ersten Stunde, sie waren dementsprechend nicht squadristisch geprägt, sondern standen dem Faschismus zu diesem Zeitpunkt noch fern. Regionale Herkunft: Der italienische Faschismus war, so die Forschung, in den nordöstlichen Grenzregionen wie in Triest oder Udine weiter in der Poebene, der Toskana und Umbrien, allgemein in den fortschrittlichsten Landesteilen besonders stark. Bonatelli aus dem nördlichen Verona sowie die Florentiner passen in dieses Muster. Die faschistischen Katholiken aus Florenz bestätigen die vielen Untersuchungen, die ergaben, dass die Toskaner im nationalen Parteiapparat überrepräsentiert waren³⁴⁵, während wiederum der gebürtige Sizilianer Pennisi nicht ins Bild passt. Der Wahl-Römer sowie Carbonelli und D’Alba lebten in der Hauptstadt. Das belegt, dass Rom bis Ende der 1920er Jahre aufgrund der Faschisierung des Staates zu einem Zentrum der Bewegung wurde, nachdem die Schwarzhemden vor der Regimephase dort einen schweren Stand hatten.³⁴⁶ Die genannten faschistischen Katholiken agierten in einem ebenso losen wie dauerhaften Zusammenhang. Sie bildeten also keine Einheit, auch wenn sie sich um bestimmte Zeitschriften sammelten, sich einander bei Polemiken unterstützten. Durch das gemeinsame Vorgehen in der im folgenden Kapitel beschriebenen Auseinandersetzung mit dem Idealismus von Croce und Gentile bildete sich die Gruppe erst eigentlich heraus. Eine wichtige Rolle bei der Politisierung der Gruppe kam dabei Auro d’Alba zu: 1932 erneuerte d’Alba den Kontakt zu Papini, um im „Frontespizio“ zu veröffentlichen. Mussolini habe veranlasst, die „Preghiera del milite“ in allen Zeitungen abdrucken zu lassen und bestimmt werde der „Frontespizio“ dem folgen. Außerdem verwies er in seinen Briefen immer wieder auf seinen Kontakt zu Bargellini, mit dem er über redaktionelle Fragen wie den Abdruck von Artikeln, darunter den „Tonici“,
Valli: The Myth of Squadrismo in the Fascist Regime, S. 139. Mann: Fascists, S. 113. Über die Schwäche des Squadrismus schrieb ein junges Schwarzhemd aus der Toskana: „Di fascismo in Roma non c’era neppure di parlare“, vgl. Gentile, Emilio: Fascismo di pietra. Roma 2007, S. 5.
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sprach.³⁴⁷ Papini sicherte er zu, er habe seine Batterien für ihn in Stellung gebracht, auch wenn sie nur kleinen Kalibers seien.³⁴⁸ Er unterstütze immer die Sache der beiden Vaterländer, womit er das Reich Gottes und das faschistische Italien meine. Er verfüge über gute Beziehungen zu Leuten, die täglich den „Duce“ sähen und sich der geschichtlichen Notwendigkeit bewusst seien, einen meisterhaften Schlag gegen den aktualistischen Idealismus zu führen.³⁴⁹ Überdies sei ihm bekannt, dass der Capo den „Frontespizio“ aufmerksam verfolge.³⁵⁰ Mussolini sei jetzt auf ihrer Seite und der Überzeugung, es sei die Stunde Papinis. Papini solle ihm alles anvertrauen, was er dem „Duce“ mitteilen wolle.³⁵¹ Er bete für Papinis Sieg.³⁵² Auro d’Alba teilte ihm darüber hinaus mit, dass Mussolini veranlasst hatte, Papinis „Dante vivo“³⁵³ von der Accademia d’Italia herausstellen zu lassen.³⁵⁴ D’Alba verwandte sich auch für Manacorda, indem er sich mit Mussolinis Pressechef Gaetano Polverelli in Verbindung setzte, worauf im folgenden Kapitel noch detailliert eingegangen wird. Denn er betrachtete sein politisches Engagement als Bestandteil der „Miliz Christi und Italiens“.³⁵⁵ Er habe sich gänzlich Italien „verkauft“.³⁵⁶ Schließlich war es auch der Miliz-Poet, der Manacorda dazu bewegen konnte, seine zögerliche Haltung gegenüber einem Bargellini längst unterbreiteten Angebot zur Mitarbeit an der Zeitschrift „Frontespizio“ aufzugeben. Vom „Frontespizio“ seien einige stilvolle Attacken gegen Croce und Gentile ausgegangen, auf die kein Idealist habe antworten können.³⁵⁷ Die faschistischen Katholiken schrieben füreinander positive Rezensionen ihrer Bücher sowie Vorworte und Widmungen. Beispielsweise feierten die Anhänger Manacordas seine Monografie über den Bolschewismus euphorisch: Es sei ein sehr systematisches und hervorragend dokumentiertes Werk, lobte Pennisi in den „Segni dei tempi“, wie auch der „Frontespizio“ die objektive und präzise Dokumentation herausstrich. Gewohnt exaltiert und bildreich sprach Auro d’Alba von einer „Flamme, Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 28. Dezember 1934. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 25. Februar 1933, ebd. Ebd. Ebd. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 18. März 1933. In: Ebd. Alle wüssten, so d’Alba, dass Papini nie infame Sätze geschrieben habe. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Postkarte vom 14. April 1933, ebd. Papini, Giovanni: Dante vivo. Firenze 1933. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 16. Mai 1933. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Auro d’Alba an Guido Manacorda, Brief vom 2. April 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Auro d’Alba an Guido Manacorda, Brief vom 20. Mai 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Die Bedenken Manacordas, dass Artikel im „Frontespizio“ und Rezensionen als Protektion angesehen werden könnten, wies d’Alba als unbegründet zurück. Wenn es keine gegenseitige Unterstützung und Sympathie zwischen Soldaten einer gemeinsamen Sache gäbe, wo käme man hin in dieser kannibalistischen Welt, fragte er rhetorisch zurück, ebd.
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die durch ihr Licht glühe“ und von „stählerner Härte“. Carbonelli würdigte etwas gemessener den „gewissenhaften Autor und originellen Beobachter“.³⁵⁸ Außerdem verfasste zum Beispiel d’Alba für Pennisi und Manacorda für d’Alba ein Vorwort. Manacorda gelangen einfühlsame Worte der Trauer anlässlich des Selbstmordes der Tochter seines Freundes.³⁵⁹ Papinis „Italia mia“ zeigte wiederum d’Alba in den „Foglio d’ordine“ der Miliz an.³⁶⁰ Als der „Dichter der Schwarzhemden“ 1935 am Abessinienkrieg teilnahm, schickte er Papini Postkarten vom ostafrikanischen Kriegsschauplatz und wünschte ihm „ein frohes neues christliches und faschistisches Jahr“.³⁶¹ Papini widmete umgekehrt seine faschistische Bekenntnisschrift „Italia mia“ in einem Brief „A.d’A., der für Italien und die Poesie lebte und lebt“.³⁶² Manacorda seinerseits brachte Bottai, der sich darüber herzlich bei Manacorda bedankte, in seiner Monografie über den Bolschewismus eine Eloge dar.³⁶³ Seine Zueignung kennzeichnete ein pompöser Duktus: Giuseppe Bottai widme ich in den Waffen, im Geist, im Aufbau, durch Härte, Wissen und der strengen Humanität der Gesetze dreifach ein Römer, diese Studie über eine finstere Revolution, die den gequälten Völkern den Weg zu Licht und Rettung unter der ewigen Sonne Roms unter dem Siegel des gemeinsamen imperialen Glaubens weisen soll.³⁶⁴
Außerdem unterstützte sich die faschistisch-katholische Intellektuellengruppe gegenseitig bei Polemiken. So verteidigte beispielsweise Carbonelli Manacorda gegen die Angriffe des Vertreters der Spanischen Republik in Den Haag José María de Semprún Gurrea, wie weiter unten ausführlich dargelegt werden soll.³⁶⁵ Die Argumentations- und Deutungsmuster der verschiedenen Akteure wurden innerhalb der Gruppe diskursiv aufgegriffen, zitiert, verstärkt und weiterentwickelt, sodass sich ein eigenes faschistisch-katholisches Denksystem herausbildete und verdichtete, das im dritten Teil dieser Untersuchung vorgestellt werden soll. Dieser Prozess vollzog sich
„Opera sistematica e documentatissima“, Pasquale Pennisi in „Segni dei tempi“; „documentazione obbiettiva e precisa“, R. Paoli im „Frontespizio“; „Fiamma che arde di luce propria […] tempra d’acciaio“, Auro d’Alba im „Giornale d’Italia“; „autore coscienzioso, osservatore originale“, R. Carbonelli in „Fascismo“. Vgl. Gesammelte Pressestimmen zu Guido Manacorda: Il Bolscevismo (aggiornato al 10-IV-40-XVIII). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 1˚ Semestre, Corriere-Z. D’Alba Auro: Prefazione. In: Pasquale Pennisi: Mistica del fascismo e dinamica della rivoluzione. Roma 1941, S. 7– 11; Manacorda: Introduzione. In: D’Alba: La tortura della grazia. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 27. Februar 1940. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Postkarte vom 28. Oktober 1935, ebd. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 13. März 1940, ebd. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 22. August 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Vgl. Manacorda, Guido: Il Bolscevismo.Firenze 1940. Vgl. Carbonelli, Riccardo: Urbe vita dell’orbe. In: Il Frontespizio 2 (1938). S. 101– 109.
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nicht zufällig, sondern war intendiert, indem die Gruppe in wechselnden Konstellationen zusammenarbeitete: Im Februar 1937 empfing Papini Carbonelli, der ihm von Bargellini vorgestellt wurde.³⁶⁶ Carbonelli hielt Vorträge für das Istituto di Cultura fascista und bezog sich dabei auf Papini.³⁶⁷ In einem Brief vom September 1942 lobte Papini einige der Schriften seines Adepten und kündigte seinen Besuch in Rom an.³⁶⁸ Pennisi brachte seinem Freund Carbonelli³⁶⁹, wenn er aus Parma, wo er lehrte, oder von Sizilien nach Rom kam, seine Artikel vorbei.³⁷⁰ Beide stimmten ihre Veröffentlichungen und ihre Projekte miteinander ab.³⁷¹ Daraus resultierte auch das von Pennisi forcierte, von Carbonelli allerdings nur zögerlich unterstützte Projekt der Zeitschrift Imperialità, das weiter unten dargestellt werden soll. Pennisis katholische Rechtfertigung des faschistischen Rassismus wurde für Bonatelli, d’Alba sowie für viele faschistische Katholiken und auch für die laizistischen Faschisten zu einem wichtigen Bezugspunkt. Außerdem führte Carbonelli einen intensiven Briefwechsel mit Manacorda³⁷² und schickte dem Professor seine Artikel zu. Er erhielt auf Vermittlung Manacordas³⁷³ Zugang zu Bottai, um diesem eine Zusammenarbeit von ihm und Pennisi in dessen Zeitschrift „Critica fascista“ vorzuschlagen. Carbonellis und Manacordas gemeinsames Ziel war es, die katholischen Positionen im Faschismus zu stärken, denn Carbonelli und Manacorda waren der Ansicht, dass die „Critica fascista“ bereit sei, von ihrer laizistischen Orientierung zugunsten einer katholischeren Linie abzurücken.³⁷⁴ Tatsächlich ist bei Bottai, dem Gründer der „Critica“, eine verstärkte Hinwendung zum Katholizismus gerade für die Periode des Zweiten Weltkrieges belegt.³⁷⁵ Diese Tendenz manifestierte sich auf doppelte Weise: Zum einen suchte er Faschismus und Katholizismus politisch zusammenzubringen. In diesem Kontext steht Manacordas Mitarbeit als monatlicher Gastkommentator bei der von Bottai geleiteten „Critica Fascista“ unter der Rubrik „Corte Circuito“. Wie der Minister seinem Freund Manacorda mit Riccardo Carbonelli an Giovanni Papini, Brief vom 25. April 1938. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Riccardo Carbonelli an Giovanni Papini, Brief vom 25. April 1938, ebd. Riccardo Carbonelli an Giovanni Papini, Brief vom 28. September 1942, ebd. Carbonelli seinerseits war zu diesem Zeitpunkt, wie er feststellte, in einem so prekären gesundheitlichen Zustand, dass er nicht wusste, ob er Rom im Oktober verlassen könne. Riccardo Carbonelli an Guido Manacorda, Brief vom 7. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1938, 1˚ Semestre. Riccardo Carbonelli an Guido Manacorda, Brief vom 5. März 1938, hier S. 3, ebd. Riccardo Carbonelli an Guido Manacorda, Brief vom 28. März 1938, ebd. Ebd. Guido Manacorda an Riccardo Carbonelli, Brief vom 23. Februar 1938, ebd. Riccardo Carbonelli an Guido Manacorda, Brief vom 10. März 1938, ebd. An der Audienz sollte auch Pennisi teilnehmen, der es allerdings nicht rechtzeitig nach Rom schaffte, vgl. Riccardo Carbonelli an Guido Manacorda, Brief vom 5. März 1938, ebd. Vgl. De Felice, Renzo: Alcune lettere di Mons. Giuseppe De Luca a Giuseppe Bottai. In: Modernismo, fascismo, comunismo. Aspetti e figure della cultura e della politica dei cattolici nel ‘900. Hrsg. von Giuseppe Rossini. Bologna 1972. S. 419 – 451 sowie Carteggio De Luca – Bottai.
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teilte, wolle er dadurch einen größeren Bezug zu den katholischen Positionen sicherstellen, da der Katholizismus politisch international von enormer Bedeutung sei.³⁷⁶ Hierüber führten sie eine Besprechung in Rom.³⁷⁷ Zum anderen näherte sich Bottai auch in seinem persönlichen Glauben der Kirche an: Neben literarischen und bildungspolitischen Fragen, die in Zusammenhang mit der von Bottai im März 1940 gegründeten Literatur- und Kunstzeitschrift „Il Primato“ standen³⁷⁸, spielten zwischen ihm und dem Professor deshalb – ähnlich wie bei Bottais Austausch mit De Luca – zunehmend auch religiöse Themen eine Rolle. So las Bottai im Herbst 1940 mit großem Interesse die religiösen Werke Manacordas „Nuova mistica“ und „Mistica minore“.Er schrieb Manacorda: „Ich lese gerade [deine] ‚Nuova mistica‘. Mache dich nicht lustig über deine Bücher. Ich finde darin einen Manacorda, der mir sehr wertvoll ist.“³⁷⁹ Nahm nun Mussolini, genauso wie Minister Bottai das glaubhaft tat, die faschistischen Katholiken ernst? Der „Duce“ wusste, dass er ihnen die Stabilisierung seines Herrschaftssystems verdankte. Das zeigen seine zahlreichen materiellen und symbolischen Gunstbeweise, worüber ebenfalls im dritten Teil ausführlicher die Rede sein soll. Dessen ungeachtet kann man nicht davon ausgehen, dass ihn das nützliche Konstrukt eines katholischen Faschismus inhaltlich überzeugte. Privatim machte er sich gar über ihre katholische Intransigenz lustig: Beispielsweise berichtete Mussolini über die tiefe Betroffenheit Papinis, als er erfuhr, dass der Diktator nicht zur Beichte gehe. Papini habe Mussolini deswegen schon in der Hölle gesehen, weshalb er in den Petersdom geeilt sei, um für ihn zu beten. Der „Duce“ kommentierte lakonisch, er sei ihm dafür durchaus dankbar, ziehe es aber vor, dass man stattdessen an ihn glaube.³⁸⁰ Insgesamt misstraue er den Katholiken, die immer in Opposition zu den revolutionären politischen Ideen gestanden hätten. Die Polizei beobachte mit Besorgnis die Versammlungen der Katholiken in der Toskana und er habe umsonst dem Chef der italienischen Polizei Bocchini geraten, sich nicht von diesen „Jungs aus der Sakristei“
Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 16. September 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 29. November 1937, ebd. Bottai ließ sich im Winter 1939/1940 von Manacorda geeignete Mitarbeiter für sein Zeitschriftenprojekt „Primato“ nennen, der u. a. den Lyriker Mario Refolo empfahl, vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 5. Februar und 19. Mai 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1° Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale – Bottai. Vgl. Guiseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 8. Oktober 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Darüber hinaus war Mussolini der Ansicht, Papinis Welt reduziere sich auf den Occhini-Clan, auf die Familie, auf Soffici und Giuliotti, vgl. De Begnac: Taccuini mussoliniani, S. 334.
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verängstigen zu lassen.³⁸¹ Immerhin schätzte der Diktator Manacorda als meisterhaften Übersetzer des „Urfaust“.³⁸² Nach dem Zusammenbruch des Faschismus fanden die faschistischen Katholiken, denen ihr politischer Glaube, nicht jedoch ihre politische Einstellung abhandengekommen war, im Schoß der Kirche Schutz. So hatte der verfemte Manacorda doch noch Erfolg mit seinen Bewerbungen für kirchliche Einrichtungen. Im Herbst 1947 gelang es Manacorda, seine Lehrtätigkeit am Angelicum dei Frati Minori. ³⁸³ Das Angelicum, exakter die Associazione laicale religiosa ‚Angelicum‘ dei Frati Minori, war eine Laienorganisation der Franziskaner in Mailand.³⁸⁴ In Florenz und Rom gab es Zweigniederlassungen. Es wandte sich als Einrichtung der Hochkultur an die Künstler und die Angehörigen „geistiger“ Berufe.³⁸⁵ Gründer des Angelicum war der streng antikommunistische Padre Enrico Zucca, der dadurch Berühmtheit erlangte, dass er den am 23. April 1946 aus dem anonymen Grab des Mailänder Mussocco-Friedhofes entwendeten Leichnam von Mussolini in seinem Konvent versteckte.³⁸⁶ Der Padre und Manacorda, zwei Brüder im Geiste, fanden so zu einer intimen Zusammenarbeit. Seine Studien führte Manacorda im Angelicum fort und hielt darüber in den 1950er Jahren zahlreiche Vorträge im katholischen und akademischen Milieu des In- und Auslands, wo er, der Mussolini-Vertraute, keinesfalls persona non grata war:³⁸⁷ Er sprach im Institut der Dominikaner in Rom, im Bischöflichen Seminar in Triest, in den katholischen Universitäten von Freiburg (Schweiz) und im belgischen Louvain. Auch die Bundesrepublik besuchte er mehrfach: In Bonn kam er zur Inauguration der Dante-Gesellschaft. Weitere Reisen führten ihn an die Universitäten von Köln und Heidelberg sowie an das Italienische Kulturinstitut in München. Manacorda gehörte auch der Kommission des 1956 gestifteten Premio Angelicum an, der 1960 mit 3.000.000 Lire dotiert war.³⁸⁸ Dass der Mailänder Kardinal und spätere Papst Montini das Angelicum besuchte, zeigt, dass die Kirche keine Berührungsängste hatte. Auf diese Weise war Manacorda bis zu seinem Tod im Februar 1965 über mehr als 15 Jahre
Ebd., S. 402. Ebd., S. 581. Guido Manacorda an Oreste Macrí, Brief vom 9. Oktober 1948. In: ACGV Florenz, Carte Oreste Macrí, 10.1323.1. Macrí war Professor in Parma. L’Angelicum. Cenacolo di spirito dei professionisti e artisti dei figli e amici di San Francesco d’Assisi Patrono d’Italia. Milano o.J. [1959], S. 3. Das Stammhaus des Angelicum wurde 1939 am gleichnamigen Platz erbaut. Zielgruppen waren neben den genannten Trägern Intellektuelle und Studierende, mit der Absicht, den franziskanischen Geist mit modernen Mitteln zu verbreiten, vgl. Guido Manacorda an Oreste Macrí, Briefe vom 17. Juli und 7. September 1951. In: ACGV Florenz, Carte Oreste Macrí, 10.1323.18 u. 19. Vgl. Afeltra, Gaetano: E padre Zucca nascose il salma di Mussolini. In: Corriere della Sera vom 8. November 1998. S. 33. Guido Manacorda: Del ‚Divinum Silentium‘, S. 11, Anm. 4, ebd. Ebd., S. 7.
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als „literaturwissenschaftlicher Berater“ für das Programm verantwortlich.³⁸⁹ Als er am 25. Februar 1965 starb, beklagte das Erziehungsministerium in einem Kondolenztelegramm an die Universität Florenz den „schmerzlichen Verlust“.³⁹⁰ Manacordas Spätwerk wurde von der „Civiltà cattolica“ stets positiv besprochen. Seine christlichen Studien gefielen den Jesuiten in Stil und Religiosität.³⁹¹ Wie Manacorda fanden die meisten anderen faschistischen Katholiken ihren Platz im katholischen Milieu: am internationalen Kongress der katholischen Künstler, der anlässlich des Heiligen Jahres vom 1. bis 5. September 1950 im Palazzo della Cancelleria in Rom in Beisein des Papstes³⁹² stattfand, waren Bargellini, Manacorda und Papini als Redner vorgesehen.³⁹³ Manacordas Scheinheiligkeit wurde nur noch von der Bargellinis übertroffen. Wie zuvor bei Mussolini biederte sich der Ex-„Frontespizio“-Direktor mit einer Biografie erfolgreich bei Pacelli an. Für sein Werk erhielt er den päpstlichen Segen: Die Monatsschrift Amor di Librodes Sansoni-Verlags, zeigt in ihrer Ausgabe vom März und April im Titelbild den knienden Bargellini, der die Hand des Papstes küsst.³⁹⁴ Bargellini verfasste auch den Leitartikel, eine Laudatio auf den angeblich immer noch jugendlichen 72-jährigen Papst, der nicht altere.³⁹⁵ Im Mai 1950 pilgerte Bargellini zu Fuß nach Rom, wo ihn Pacelli empfing.³⁹⁶ Und Jolanda de Blasi, die mit Bottai und Manacorda während des Krieges den Tagungsband über die gemeinsamen Grundlagen der Achse herausgegeben hatte, edierte nun eine Anthologie über die italienischen Heiligen.³⁹⁷ Papini, der sich schon 1943 in das FranziskanerKonvent von La Verna zurückgezogen hatte, vertiefte sich ganz in seine christlichen Studien. Pasquale Pennisi war nach dem Krieg ebenfalls als Journalist u. a. für den „Popolo di Roma“ tätig. Im katholischen Milieu war er genauso wenig verfemt wie die anderen ehemaligen faschistischen Katholiken.³⁹⁸ Der Kompromittierteste von allen,
Vgl. Guido Manacorda an Oreste Macrí, Brief vom 9. Oktober 1948, S. 1. In: ACGV Florenz, Carte Oreste Macrí, 10.1323.1. Vgl. ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, Dir. Gen., Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido. Rezension zu Guido Manacorda: La ‚Leggenda‘ della B.V. Maria.Firenze 1948. In: Civiltà cattolica 3 (1948). S. 538. Vgl. Coscienza Quindicinale del Movimento Laureati di A. C., Sondernummer vom April 1951, S. 1. Diese Ausgabe war ausschließlich dem Kongress gewidmet. Giorgio Colarizi an Guido Manacorda, Brief vom 30. Juni 1950, ebd. Eine diesbezügliche, allerdings nicht eindeutig zuordenbare Notiz ist angeheftet. Die Bildunterschrift lautete: „Ich segne euer Werk – sagte Pius XII. zu Piero Bargellini, der daran denkt, eine Papstbiographie zu verfassen.“ In: Amor di Libro. Rassegna di varietà letteraria, storica, artistica e libraria vom März–April (1948). S. 1. Vgl. „Il vegliardo che non invechia“, ebd. S. 1– 2. Das Buch erschien 1948 unter dem Titel: „Il pastore angelico“ im Sansoni-Verlag in Florenz. Überdies bat Bargellini den Papst schon im Voraus um Absolution für sein Buchprojekt. Vgl. Listri: Tutto Bargellini, S. 41. De Blasi, Jolanda (Hrsg.): Santi Italiani. Firenze 1948. Senator Alberto Canaletti, der zugleich Professor der Lateran-Universität sowie für die „De Propaganda Fide“ und für die Internationale Universität „Pro Deo“ tätig war, nahm zwei Artikel von
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Auro d’Alba, fand ebenfalls Zugang zum katholischen Milieu und stand weiter in Kontakt zu Manacorda und Papini.³⁹⁹ Letzterer machte aber Vorbehalte gegenüber dem Ex-Milizgeneral geltend. Den Vorwurf des Hochmuts von Papini verstand d’Alba nicht, der seine floskelhaften lyrischen Litaneien auch in der Privatkorrespondenz zwanghaft fortsetzte.⁴⁰⁰ Die einseitige und unkritische Rezeption der religiösen Werke der Manacorda-Gruppe der Katholiken setzt sich bis in die Gegenwart fort und macht selbst vor dem Papst nicht halt. In der Neuauflage von Papinis „Storia di Cristo“ des Vallecchi-Verlages aus dem Jahr 2007 fand sich folgender Werbeeinband: „Papa Ratzinger. Ein begeisterndes Buch“.⁴⁰¹ Wenigstens ist d’Albas ehemals regimegefällige Hasslyrik inzwischen marginalisiert und wird nur noch von der Randgruppe tradiert, deren geistiger Horizont entsprechend primitiv und limitiert ist: den neofaschistischen Hooligans. Bonatelli, Carbonelli und Pennisi sind vergessen.
Pennisi in einem Band auf, in dem aus katholischer Sicht die Einführung korporatistischer Strukturen in einem demokratischen System diskutiert wurde, vgl. Pennisi, Pasquale: Deviazione Democristiana dal Pensiero Cattolico. In: Verso il corporativismo democratico, scritti scelti coordinati ed annotati dal Alberto Canaletti Gaudenti e Saverio di Simone. Bari 1951. S. 50 – 52. Dieser Artikel erschien zuerst in „Il Popolo di Roma“ vom 15. November 1950; ders.: ‚Apostasia politica‘ della Democrazia Cristiana. In: Verso il corporativismo democratico, scritti scelti coordinati ed annotati dal Alberto Canaletti Gaudenti e Saverio di Simone. Bari 1951. S. 69 – 71. Der Artikel erschien zuerst in „Il Popolo di Roma“ vom 28. November 1950. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Postkarte vom 26. Juni 1946. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Auro d’Alba an Giovanni Papini, Brief vom 17. April 1947, ebd. Im Original hieß es: „Papa Ratzinger un libro entusiasmante“.
II Historischer Teil
4 Im Dreieck zwischen Mussolini, Hitler und dem Vatikan Das Jahr 1932 war das Schlüsseljahr für Manacorda, weil es ihn erstmals seit langem wieder in direkten Kontakt mit Mussolini brachte.¹ Damit gelangte er dauerhaft in das Zentrum des Herrschaftssystems des Faschismus. Ausgangspunkt war eine Polemik, die hier aus doppeltem Grund wichtig ist. Denn zum einen gibt sie Aufschluss über die Qualität seiner germanistischen Arbeit, zum anderen steht sie beispielhaft für die permanente Konfrontation zwischen neoscholastischen Katholiken und neoidealistischen Hegelianern während des Ventennio, die wiederum exemplarisch für die zugrundeliegenden Leitideenkonflikte steht. 1932 jährte sich zum 100. Mal der Todestag Goethes. Mussolini nutzte dieses Jubiläum, um das faschistische Italien als große Kulturnation darzustellen. Daher wurde in Rom ein Italienisches Institut für Germanische Studien unter der Präsidentschaft von Senator Giovanni Gentile gegründet. Zum Direktor wurde der Germanist Giuseppe Gabetti berufen.² Parallel dazu entstand das Petrarca-Haus in Köln.³ In der Übersetzung des Germanisten Arturo Farinelli erschienen Goethes „Römische Tagebücher“. Die darin enthaltenen Elogen Goethes auf die antike Tradition Roms legitimierten den faschistischen Anspruch, dieses Erbe fortzusetzen. Auch Guido Manacorda legte im Mailänder Mondadori-Verlag eine „Faust“-Übersetzung vor, die erste seit über 100 Jahren, wie er stolz verkündete.⁴ Wie in Italien so wurde auch in Deutschland dem Goethe-Gedenkjahr als Mittel der Selbst-und Außendarstellung große Bedeutung zugemessen. Reichspräsident Hindenburg stiftete für das Auswärtige Amt silberne GoetheMedaillen. Ausgezeichnet wurden dabei diejenigen Persönlichkeiten, die sich um das Zustandekommen der Goethe-Feiern im Ausland hervorgetan hatten. Fünf der sieben ordentlichen italienischen Germanistik-Professoren, darunter auch Manacorda sowie einige weitere Personen (u. a. der Privatdozent Zamboni) erhielten auf Vorschlag des deutschen Botschafters in Rom Ulrich von Hassell eine bronzene Goethe-Plakette. Außenminister von Neurath war wegen dessen Goethe-Übersetzung ebenfalls schon auf Manacorda
Bereits am 28. November 1924 hatte Manacorda eine Audienz bei Mussolini erhalten. Im Nachlass Mancordas fanden sich jedoch dazu keine Hinweise, vgl. Dokument 1 im Anhang. Bericht der deutschen Botschaft in Rom über die deutsch-italienischen Kulturbeziehungen ohne Datum [1933]. In: PA Berlin, Rom-Quirinal, Bd. 196, Sammlung des Botschafters von Hassell: Berichte über die Lage in Italien sowie Antoni, Carlo: Ricordo di Giuseppe Gabetti. In: Studi germanici 1 (1963). S. 5 – 18. Konrad Adenauer hatte 1928 die Gründung eines italienischen Instituts in Köln angedacht. Beide Institute, das in Rom und das in Köln, entstanden durch ein Decreto-legge vom 26. März 1931,vgl. Civico Museo Storico Archeologico Giuseppe Gabetti, Dogliani (Hrsg.): Giuseppe Gabetti. Dogliani 1998, S. 124. Guido Manacorda an Giuseppe Prezzolini, Brief vom 16. Februar, APC Fiesole, Fondo Corrado Pavolini (CP). https://doi.org/10.1515/9783110538991-004
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aufmerksam geworden und hatte ihn für eine Auszeichnung vorgeschlagen.⁵ Die Deutsche Botschaft in Rom schrieb, dass Manacorda die Goethe-Veranstaltung an der Universität Florenz in Zusammenarbeit mit dem Konsulat vorbereitet habe. Über Manacordas germanistische Arbeit war man gut orientiert: Er verfolge die deutschen literarischen Entwicklungen seit Jahren, wenngleich er zur neuen deutschen Literatur weniger enge Beziehungen pflege, weil er hauptsächlich als Literaturhistoriker arbeite.⁶ Während also sein „Faust“ Manacorda in Deutschland Renommee eintrug, geriet er aufgrund eben dieser Übersetzung in Italien wiederum in eine Polemik, und zwar die heftigste, die er überhaupt je führte. Deren Urheber war Benedetto Croce. In der Ausgabe seiner Zeitschrift „La Critica“ vom 20. September 1932 verriss der neapolitanische Philosoph Manacordas „Faust“-Übertragung gründlich, nachdem Manacorda im dazugehörigen Kommentar die beiden Goethe-Bände Croces⁷ wiederholt attackiert hatte.⁸ In der Folge zitierte er ausgiebig Passagen aus Manacordas „Faust“, die er in ihre Bestandteile zerlegte, mit anderen seines Erachtens geglückteren Übersetzungen verglich und als falsch übertragen zu entlarven suchte.⁹ Der Kommentar Manacordas, den dieser aus deutschen Dissertationen abgeschrieben habe, sei selbstgefällig und habe nur das Ziel, seine Gelehrsamkeit zu demonstrieren. Croce fühlte sich in seiner Goethe-Rezeption von Manacorda angegriffen, der sich dazu noch über Croces Kernthema, die Ästhetik, ausließ.¹⁰ Umso mehr ärgerte sich Croce, dass Manacordas Übersetzung allgemein wohlwollend besprochen, ja zum nationalen Ereignis stilisiert worden sei und selbst die Katholiken ihre traditionelle Abneigung gegen Goethe vergessen hätten. Das gelte auch für Papini, den großen Goethe- und Deutschlandkenner, der Manacordas Buch aber in den höchsten Tönen gelobt habe¹¹,
Ulrich von Hassell an das Auswärtige Amt, Brief vom 9. Dezember 1932, sowie Antwortschreiben vom 27. Dezember 1932. In: PA Berlin, Rom-Quirinal, Paket 1329a, Goethe 1932– 1936. Konsulat Florenz an das Auswärtige Amt, Brief vom 21. Juni 1932, ebd. Es handelte sich um Croce, Benedetto: Goethe: Con una scelta delle liriche nuovamente tradotte. Bari 1919, eine zweite, revidierte Auflage erschien 1921. Außerdem veröffentlichte er: Volfgango Goethe a Napoli. Aneddoti e ritratti con 5 incisioni. Napoli 1903. Croce, Benedetto: Di una nuova traduzione italiana del „Faust“. In: Ders.: Pagine sparse. Volume terzo: Postille, osservazioni sui libri nuovi, seconda edizione interamente riveduta dall’autore. Bari 1960. S. 540 – 570. Die Rezension erschien im Band 20 der „Critica“ von 1932 auf den Seiten 345 – 358. Croce bemängelte, dass Manacorda, der überdies im Vorwort ausführlichst über sich selbst rede, keine reine, werktreue Prosaübersetzung vorgelegt habe, sondern einige Teile davon auch in Versform. Manacorda habe seine dienende Rolle als Übersetzer nicht eingehalten und sei ein „traduttore traditore“, also ein Übersetzer, der das Werk verraten habe, ebd. S. 543. Dabei ging Croce bis auf die Wortebene herab: „Stupendo“ non è „herrlich“, ebd. S. 547 sowie S. 566 – 567. Ebd., S. 558 f. Croce bezieht sich dabei auf mehrere Stellungnahmen Papinis, die dieser seit 1931 u. a. im „Frontespizio“ verfasste. Dazu zählen u. a. sein Artikel „Croce e la Croce“, der auch in „Vita e Pensiero“ (Mai 1933, S. 306 – 307) abgedruckt wurde, sowie die positive Besprechung von Manacordas „Faust“ im „Frontespizio“.
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wie Croce, angesichts der Tatsache, dass Papini zur deutschen Kultur in der Tat kaum einen Bezug hatte, spöttisch bemerkte.¹² Croce empfahl die Übersetzung dringend zur grundlegenden Revision. Manacorda gehöre zu den eitlen Mystikern, die sich aufspielten und Gift verspritzten.¹³ Croce betonte die Unmöglichkeit, Kunstwerke in eine andere Sprache zu übertragen, was er philosophisch nachgewiesen zu haben glaubte. Manacorda wolle hingegen eine werkgetreue Übersetzung erreichen, indem er sich „demütig“ eine „geistige Brüderschaft mit dem Verfasser“ erarbeite. Genau an dieser Demut, so Croce, mangle es Manacorda, weil er willkürlich nicht nur eine poetische Prosa verwendet, sondern auch einige Teile in Verse übertragen habe. Der neapolitanische Philosoph hielt Manacordas Übersetzung wegen dieses, so Croce, poetischen bzw. halb-poetischen Anspruches für misslungen.¹⁴ Daraufhin legte Manacorda im gleichen Jahr noch ein Bändchen vor, das den Titel „Benedetto Croce oder über die Dreistigkeit“ trug.¹⁵ In seinen Übertragungen hatte Croce versucht, an die Rhythmen und Metrik der italienischen Poesie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen, vor allem, indem er häufig Einschübe und Füllwörter verwandte. Für Manacorda war dies hingegen der Beweis, dass Croce nur sehr beschränkt die deutsche Sprache und besonders die Sprache Goethes verstünde, weil diese Ausdrücke im deutschen Originaltext nicht zu finden seien.¹⁶ Croce schrieb dazu an Karl Vossler, Manacorda habe das getan, was seinem Gehirn und seinem Geist entspräche. Er werde darauf nicht mehr antworten, um dessen Person nicht noch weiter aufzuwerten, da er davon ausgehe, dass sich Manacorda durch diese Polemik profilieren wolle. Hinzu komme, dass die italienische Presse so weit gleichgeschaltet sei, dass die Kernstellen von Manacordas Schrift zitiert würden, als handle es sich um eine Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten oder des Reichspräsidenten Hindenburg.¹⁷ Ganz substanzlos war die Kritik Manacordas an Croce nicht, wie die römische Literaturwissenschaftlerin Sonia Gentili feststellte, zu frei hatte der neapolitanische Philosoph übersetzt.¹⁸ Die Polemik Croce-Manacorda beschäftigte auch die Geheimpolizei – die Bestände des Archivio Centrale dello Stato geben darüber Auskunft –, die den Briefverkehr des führenden antifaschistischen Denkers, der nur aufgrund seines internationalen Renommees öffentlich geduldet
Croce: Di una nuova traduzione italiana del „Faust“, S. 563. Ebd., S. 568. Ebd., S. 543. Manacorda: Benedetto Croce ovvero dell’improntitudine. D’Angelo, Paolo: Croce interpreti di Goethe. In: Croce filosofo. Bd. 1. Hrsg. von Giuseppe Cacciatore u. a. Soveria Mannelli 2003. S. 235 – 250, hier S. 247– 248. Benedetto Croce an Karl Vossler, Brief vom 21. Januar 1933. In: Carteggio Croce-Vossler 1899 – 1949. Bari 1951. S. 332– 333. Zuvor hatte Vossler Manacordas Schmähschrift erhalten und sich davon abgestoßen gezeigt. Croce solle auch dies als Hommage auffassen. Er habe ferner einen Brief von Farinelli bekommen, der sich darüber auch negativ geäußert habe, schrieb der deutsche Romanist, vgl. Karl Vossler an Benedetto Croce, Brief vom 18. Januar 1933, S. 331– 332, ebd. Gentili, Sonia: Cultura della razza: alcune strutture concettuali. In: Cultura della razza e cultura letteraria nell’Italia del Novecento. Hrsg. von ders. und Simona Foà. Torino 2010. S. 13 – 39, S. 34.
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war, lückenlos überwachte.¹⁹ Die deutschen Diplomaten verfolgten den Zwist zwischen Croce und Manacorda ebenfalls genau. In einem Bericht des deutschen Konsulats in Florenz heißt es: Ich darf dabei bemerken, dass Prof. Manacorda durch seine über die sachliche Kritik hinausgehende Polemik mit Benedetto Croce in italienischen Fachkreisen an Achtung eingebüßt hat. Andererseits teilte mir Prof. Manacorda mit, dass seine Polemik die volle Billigung des Herrn Ministerpräsidenten Mussolini gefunden habe.²⁰
Der Konflikt zwischen den Idealisten und ihren Kritikern erreichte einen neuen Höhepunkt als die 1933 gegründete Gruppe um die Zeitschrift „La Sapienza“ einen antiidealistischen Kongress in Rom veranstaltete, der vom 14. bis 15. Juni des gleichen Jahres stattfand.²¹ Der katholische Faschist Carbonelli, der im „Secolo fascista“²² und in der „Sapienza“ gegen den Gentilismus schrieb, gehörte mit zum Organisationskomitee des Kongresses.²³ „La Sapienza“ war eine Gründung von jungen Faschisten. Allerdings verblieb die Qualität ihrer Kritik am Neoidealismus auf intellektuell sehr bescheidenem Niveau.²⁴ Auf der Sachebene bezog sich die Kritik dieser sog. Antigentilianer zu diesem Zeitpunkt vor allem auf das Projekt der Enciclopedia italiana und richtete sich gegen die Auswahl der Mitarbeiter und den Tenor einiger Beiträge.²⁵ An dem Kongress nahmen neben Carbonelli auch andere faschistische Katholiken wie Auro d’Alba und Piero Bargellini teil. Manacorda war ebenfalls eingeladen.²⁶ Die katholische Kritik am Aktualismus war nicht neu und hatte sich seit den 1920er Jahren ständig verschärft. Manacorda und Papini wurden zusammen mit Giuliotti und de Luca seit langem zu den maßgeblichen Gegnern des Idealismus gezählt.²⁷ Doch jetzt bekam ihre Kritik eine neue Qualität, denn erstmals meldeten sich insbesondere die
Alto Commissariato per la Città e Provincia di Napoli an Ministero dell’Interno, Direzione Generale della PS. Polizia Politica, Brief vom 29. Dezember 1932. In: ACS Rom, Ministero dell’Interno, DG. PS., Div. Polizia Politica, Fascicoli Personali 1927– 1944, Busta 763, Fasc. Guido Manacorda. Konsulat Florenz an die Botschaft Rom, Brief vom 2. Februar 1933, ebd. Weiter hieß es dort: „Wenn auch anzuerkennen ist, dass Prof. Manacorda durch seine eingehende und langjährige Goethe-Forschung wie durch seine Faust-Übersetzung sich ein besonderes Verdienst um die Verbreitung der Goetheliteratur in Italien erworben hat, so erscheint seine jetzige Haltung vorzugsweise aus persönlicher gekränkter Eitelkeit heraus erklärlich.“ La Rovere, Luca: Storia dei Guf. Organizzazione, politica e miti della gioventù universitaria fascista. 1919 – 1943. Torino 2003, S. 268. Tarquini: Il Gentile dei fascisti, S. 193. Ebd. sowie S. 203 – 205. Tarquini, Alessandra: Gli antigentiliani nel facismo degli anni Venti. In: Storia contemporanea 1 (1996). S. 5 – 59, hier S. 41. Ebd. Spinetti, Gastone Silvano: Difesa di una generazione. Roma 1948, S. 32. Entgegen der Behauptung Spinettis nahm Manacorda an der Tagung nicht teil und sagte kurzfristig ab. Tarquini, Alessandra: Il Gentile dei fascisti: Gentiliani e antigentiliani nel regime fascista. Bologna 2009, S. 143.
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beiden Erstgenannten nicht nur als Katholiken, sondern auch als Faschisten zu Wort.²⁸ Auro d’Alba brachte Manacorda mit dem „Frontespizio“ in Kontakt und forderte ihn auf, endlich einen Artikel für das katholische Leitorgan abzuliefern, den die Redaktion schon seit der ersten Nummer haben wollte. Dies sei nötig, so d’Alba, um mit den faschistischen Croce-Anhängern abzurechnen. Denn diese würden, falls es darauf ankäme, ohne zu zögern für den Idealismus – und nicht für den Faschismus – votieren, weil sie immer nur nach dem Parteibuch Faschisten gewesen seien.²⁹ Zuletzt riet er Manacorda zur Teilnahme am Congresso antiidealista, dessen Veranstalter dem Pressechef Mussolinis, Gaetano Polverelli,³⁰ nahestünden.³¹ Manacorda kam zwar letztlich doch nicht, aber er ließ sich die Beiträge zukommen, um einen Artikel zu verfassen, den er schließlich in der Zeitschrift „La Sapienza“ publizierte.³² Doch auch das idealistische Lager positionierte sich: Der Schriftsteller und Journalist Arrigo Cajumi³³ rechnete in der unabhängigen crocianischen Zeitschrift „La Cultura“, die 1936 von den Faschisten verboten wurde, nicht nur mit dem mystischen Denkgebäude des Florentiner Professors ab, sondern unterzog auch dessen wissenschaftliche Vita und Person einer ätzenden, ihn bewusst beleidigenden Kritik.³⁴ Erträglich ist zunächst noch Cajumis Exkurs auf die Farinelli-Polemik: 1922 sei dann seine „Nuova mistica“ erschienen. Einige Gelehrte seien bis zu einem gewissen Punkt davon ausgegangen, er sei ernsthaft zum Mystizismus bekehrt, bis er 1930 seine pseudo-romantische Autobiographie „Giorgio Delgani“ vorgelegt habe. Dieses Buch nutzte Cajumi nun zu seinem gezielten Angriff unter der Gürtellinie: Manacorda habe
Ebd., S. 150. Auro d’Alba an Guido Manacorda, Brief vom 20. Mai 1933, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Gaetano Polverelli leitete seit Dezember 1931 das Pressebüro Mussolinis, das Ufficio Stampa. Er war auch Redaktionsleiter des offiziellen Organs der faschistischen Partei „Il Popolo d’Italia“. Er galt als ernst, wenig flexibel und kaum innovativ, setzte dagegen auf verstärkte Kontrolle, vgl. Scholz: Italienischer Faschismus als ‚Export‘-Artikel, S. 413 f. Auro d’Alba an Guido Manacorda, Brief vom 20. Mai 1933, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Damit bezog sich d’Alba auf Spinetti, der seit 1933 im Ufficio stampa del Capo del Governo als einer von drei Pressezensoren tätig war, vgl. Cannistraro: La fabbrica del consenso, S. 73. Vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1934, 1° Semestre. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkte Arrigo Cajumi (1899 – 1955) in der liberalen Organisation „Movimento liberale indipendente“, außerdem im „Partito liberale italiano“ mit, vgl. Blasberg, Christian: Die Liberale Linke und das Schicksal der Dritten Kraft im italienischen Zentrismus. 1947– 1951. Phil. Diss. Frankfurt u. a. 2008, S. 464. Die philofaschistische Mailänder Zeitung „L’Ambrosiano“ wurde von Direktor Enrico Cajumi geleitet, der seinen Vetter Arrigo zum Chefredakteur ernannte, vgl. Veränderungen in der Mailänder Presse, Bericht des Generalkonsulats Mailand an die Botschaft Rom vom 17. Dezember 1927, S. 3. In: PA Berlin, Rom-Quirinal, Paket 1420a, italienische Presse 1921– 1937. Cajumi, Arrigo: Manacorda e Croce. In: La Cultura. Januar 1933. S. 241– 242. Die Januar-Nummer erschien erst im März 1933.
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hier mehr oder weniger Persönliches und Unflätiges mitgeteilt wie Masturbation, das Schwängern von Dienstmädchen sowie eine durchgeführte Abtreibung, was allerdings niemanden interessiere. Im Jahr darauf sei seine Goethe-Übersetzung erschienen. Von Croce sei dieser „Faust“ in der „Critica“ vom 20. September auf 14 Seiten kritisch besprochen worden. Manacorda habe darauf mit seinem üblichen Spektakel von Beleidigungen und verletztem Stolz reagiert.³⁵ Sein Buch müsse daher eigentlich den Untertitel „die Unverschämtheit Guido Manacordas“ tragen. Manacorda schrieb daraufhin an das Presseamt Mussolinis, das Militärkommando in Mailand, den Rektor der Universität Florenz sowie an weitere Persönlichkeiten. Er habe sich an die zivilen und militärischen Instanzen gewandt, da er durch massive persönliche Angriffe in seiner Mannesehre auch als Offizier und Kriegsveteran verletzt sei.³⁶ Zugleich fuhr er nach Mailand und forderte Cajumi zum Duell auf.³⁷ Dieser wies die Aufforderung durch ein in einen Reim gekleidetes Götz-von-Berlichingen-Zitat zurück, was den Gekränkten noch mehr erbitterte.³⁸ Denn durch diese Ablehnung sah sich Manacorda noch mehr seiner moralischen und ritterlichen Ehre verlustig. Auch seine beiden Adjutanten Aldo Borelli, Direktor des „Corriere della Sera“,³⁹ und der Artillerieoberst Gino Ninchi blieben unbeschäftigt. Cajumi wandte sich daraufhin ebenso an die Behörden⁴⁰, zumal das italienische Strafrecht seit dem 1. Juli 1931 Duelle unter eine wenngleich milde Strafe stellte.⁴¹ Diese Zweikämpfe hatten nach der italienischen Einigung einen großen Aufschwung erfahren, da es den patriotischen Eliten, zu denen auch Cajumi durchaus gehörte, ein maskulines Modell des nationalen Befreiungskampfes lieferte, sodass Kommentatoren gar von einer Duellmania sprachen. In dieser virilen und militärischen Tradition sah sich der Weltkriegsveteran Manacorda, obwohl die ka-
Ebd. Guido Manacorda an Gaetano Polverelli, Brief vom 12. März 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Vertenza Cajumi 1933 (Altro giornalisti); Guido Manacorda an Onorevole [Gaetano Polverelli], Brief vom 12. April 1933, ebd. Darin schreibt Manacorda „Bis Mai also“, ebd. Guido Manacorda an Arrigo Cajumi, Brief vom 5. April 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Manacorda, Fasc. Vertenza Cajumi 1933 (Altro giornalisti). Manacorda benannte darin zwei Vertreter, Borelli und Prof. Vincenzo Errante von der Universität Mailand, in seinem Namen Erklärung, Widerruf oder Genugtuung zu fordern. Rapporto sindicati […], D’Alba, Polverelli u. a. vom 10. April 1933, ebd. Aldo Borelli an Guido Manacorda, Brief vom 14. April 1933, ebd. Borelli erklärte sich solidarisch mit Manacorda. Der Journalist Aldo Borelli, Direktor der Florentiner „Nazione“ nach dem Krieg, war ursprünglich Parteigänger der rechten Liberalen um Salandra, bevor er noch vor dem Marsch auf Rom zu den Faschisten wechselte. 1929 wurde er Direktor des „Corriere della Sera“, der 1925 – durch die Verdrängung der Albertini-Brüder – faschisiert worden war. Mit politischen Gegnern focht er mehrfach Duelle aus,vgl. Borelli, Aldo. In: Handbuch der Weltpresse. Hrsg.vom Institut für Zeitungswissenschaft der Universität Berlin und Außenpolitischem Amt der NSDAP. Leipzig u. a. 1937, S. 458. Arrigo Cajumi an Guido Manacorda, Postkarte vom 20. April 1933, sowie Auro d’Alba an Guido Manacorda, Postkarte vom 15. März 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Das Gesetz sah eine Geldstrafe zwischen 1.000 und 10.000 Lire vor, vgl. Hughes, Steven C.: Politics of the sword: Dueling, honor and masculinity in modern Italy. Columbus (Ohio) 2007, S. 291– 294.
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tholische Kirche sich vehement gegen diese Praxis aussprach, was zur ostentativen Gläubigkeit des Professors im Widerspruch stand. Nicht nur die Kirche, auch das Regime bekämpfte das Duell, dem es ambivalent gegenüberstand: Die Faschisten schätzten zwar den darin zum Ausdruck kommenden Aspekt des Kults der Gewalt und Aktion. Doch war für sie das Duell zu sehr mit der liberalen Epoche verbunden und zu individuell für ihre totalitäre Staatsvorstellung, die zunehmend Hierarchie, Unterordnung und Gehorsam als Formen persönlichen Engagements für das Regime betonte. In diesem Sinne tradierte der Faschismus den Mythos des Duells, suchte aber, seine Austragung zu unterbinden.⁴² Die Zahl der Duelle stieg nach der Etablierung der Diktatur Mussolinis 1925 vorübergehend noch einmal an, ging aber in den 1930er Jahren massiv zurück. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das Regime – neben der Strafverfolgung und dem Einsetzen von Ehrengerichten – jetzt einen faschistischen Ehrbegriff des neuen faschistischen Menschen propagierte, der kollektiv ausgerichtet war, indem er sich auf das Prestige des italienischen Volks bezog, das es durch die Eroberung des Impero zu mehren galt.⁴³ Wie sich zeigte, war Manacordas Herausforderung an Cajumi der persönlichen Wertschätzung des „Duce“, der sich selbst zu Beginn seiner Karriere fünf Mal mit dem politischen Gegner duelliert hatte⁴⁴ und sich gerne damit brüstete, trotzdem nicht abträglich. Denn durch die Vermittlung von Auro d’Alba, der den Pressechef Mussolinis, Gaetano Polverelli, kannte, erhielt Manacorda eine Audienz.⁴⁵ Mussolini hatte sich über Polverelli sogar solidarisch mit Manacorda erklärt und für den Mai 1933 in Aussicht gestellt, ihn zu empfangen. Als er binnen eines halben Jahres keine Einladung erhalten hatte, sprach Manacorda dort – sich immer noch als Opfer der crocianischen Polemik gerierend – noch einmal vor.⁴⁶ In diesem Ersuchen bot er seine Dienste für das Land an und stellte sich als Europa- und Deutschlandkenner heraus. Dabei verwies er auf sein jüngstes Buch über die geistige Krise Deutschlands. Als strenger Katholik und im Geiste Dantes erzogen, kenne er die Grenzen beider Mächte. Er wolle nun als Veteran sein Presente! in dem Augenblick übergeben, in dem Rom durch das Denken und das Werk Mussolinis seine Kräfte wiederfände, um seine universale und geistig ewige Mission zu erfüllen. Am 6. De-
Steven C. Hughes: Politics of the sword, S. 269. Nach der nationalen Einigung ging die Zahl der in Duellen Getöteten bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in die Tausende. Das Phänomen des Duells bildete somit die innenpolitische Seite der sog. „inutili stragi“, des unnötigen Blutvergießens der nationalen „Befreiungskriege“, vgl. ebd., S. 267– 269. Das erste Mal duellierte sich Mussolini im Februar 1915 mit dem Anarchisten Libero Merlino, ein weiteres Duell folgte kurz darauf mit Claudio Treves.Waffe war jeweils der Säbel. 1918 war sein Gegner der Sozialist Francesco Ciccotti, später kam der Arditi-Oberstleutnant Cristoforo Baseggio hinzu. Das letzte datiert vom Mai 1922 mit dem liberalen Journalisten Mario Missiroli, ebd. S. 274. Gaetano Polverelli an Guido Manacorda, Brief vom 5. April 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 25. November 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre.
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zember 1932 erhielt er eine Audienz.⁴⁷ Über den Inhalt der Unterredung, die um 18.30 Uhr im Palazzo Venezia stattfand, gibt ein Notizzettel Manacordas Aufschluss. Demnach wurde in der halbstündigen Unterredung⁴⁸ über Spengler, Croce, das Individuum, die Universalität der Nation und die Rolle des Katholizismus gesprochen. Damit hatte er seine Vorstellung eines katholischen Faschismus gegenüber dem „Duce“ erstmals umrissen, die er in den folgenden Monaten weiter präzisierte: Das italienisch-österreichisch-ungarische Abkommen sei, so schrieb Manacorda an anderer Stelle an Mussolini, die herausragende Sicherung unseres bedrohten Westens, und die feierliche Bekräftigung der faschistischen Universalität habe wieder einen seiner Lebensträume verwirklicht.⁴⁹ Wolfgang Schieder betont die zentrale Funktion der Audienzen für die charismatische Herrschaft Mussolinis und stellt sie auf eine Stufe mit den öffentlichen Massenkundgebungen.⁵⁰ Je stärker es dem „Duce“ gelungen sei, seine Diktatur auszubauen, desto so seltener sei er in Kontakt mit der Bevölkerung gekommen. Dies gelte vor allen Dingen für die Zeit nach den beiden Attentaten auf den Diktator in den Jahren 1925 und 1926. Die Gespräche mit den Eliten – die einfache Bevölkerung hatte zu Mussolini keinen Zugang – hätten es dem „Duce“ ermöglicht, sein Gegenüber für sich und den Faschismus einzunehmen. Damit habe er eine gewaltfreie und zivile Form gefunden, Kontrolle auszuüben, die das Instrument der Überwachung und Repression wirkungsvoll ergänzte.⁵¹ Darüber hinaus sicherte das Audienzsystem Mussolinis die Gleichrangigkeit mit dem Zeremoniell des italienischen Königs und des Papstes.⁵² Schon eine einmalige Audienz bedeutete für den Betroffenen, vor allem wenn es sich um einen Italiener handelte, eine erhebliche Aufwertung seiner Stellung im Regime. Je häufiger ein Besucher Zugang zu Mussolini hatte, desto gefestiger und unangreifbarer wurde seine Position: Schließlich konnte sich Mussolini gegenüber seinen Audienzbesuchern noch eines weiteren Gunsterweises bedienen, nämlich der einmaligen oder sogar mehrmaligen Wiederholung der Audienz. Bei jedem weiteren Treffen, das er einem Besucher gewährte, handelte es sich um einen besonderen Vertrauensbeweis, wobei sich Mussolini freilich immer auch einen verstärkten Werbeerfolg für seine Person und den Faschismus ausrechnete. Ein weiteres Gespräch schlug er offensichtlich immer dann vor, wenn er das Gefühl hatte, es könnten sich aus einer neuerlichen Audienz über das Atmosphärische hinaus besondere propagandistische oder poltische Perspektiven ergeben.⁵³
Über einen langen Zeitraum kontinuierlich Zugang zu Mussolini aufrecht zu erhalten, das gelang Manacorda auf bemerkenswerte Weise, denn in einem Mussolini vorge
Gaetano Polverelli an Guido Manacorda, Brief vom 6. Dezember 1932, ebd. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 11. April 1934, ebd. Ebd. Schieder: Mythos Mussolini, S. 12. Ebd. Ebd., S. 21. Ebd., S. 51.
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legten Promemoria vom 26. Mai 1934⁵⁴ bot er sich als Vermittler und für politische Missionen, ebenso im Kulturbereich des europäischen Auslands, an. Außerdem schlug er vor, über fundamentale geistige, politische und gesellschaftliche Entwicklungen Synthesen zu verfassen sowie über ihm persönlich wichtige Beobachtungen auf seinen Auslandsreisen Bericht zu erstatten. Manacorda stilisierte sich als Intelligence Office, das als Wissenschaftler auch Orten Zugang habe, die offiziellen Stellen verschlossen seien (während er über seine sonstigen Reiseerfahrungen im „Corriere della Sera“ und in der „Nazione“ publiziere). Eine solche Tätigkeit habe er bereits während des Ersten Weltkrieges ausgeübt. Statt als Kriegsfreiwilliger könne er jetzt als „Friedensfreiwilliger“ wirken und sich dort dem literarischen Feld und der Böswilligkeit seiner Gegner entziehen. Dazu legte er von ihm geschriebene Artikel mit der Bitte um das Urteil Mussolinis bei, darunter eine Kritik zu Rosenbergs „Mythus“ und zu Spenglers „L’uomo e la macchina“⁵⁵. Der von Manacorda außerdem angebotene Bericht über seine Frankreichreise und die dortigen faschistoiden Bewegungen „Croix de feu“ und „Ordre Nouveau“ sandte er kurz darauf an den Palazzo Venezia. ⁵⁶ Im Jahr 1934 legte Manacorda auch zwei Abhandlungen über die NS-Rassendoktrin vor, worauf Mussolini ihm vorschlug, er möge darüber ein Buch verfassen. Diese Anregung nahm Manacorda sofort auf.⁵⁷ Mussolini betraute des Öfteren Personen mit Sondermissionen im Ausland, die, ohne mit einem offiziellen Amt ausgestattet zu sein, für ihn als sog. Paralleldiplomaten geheime politische Verhandlungen führten und/oder propagandistisch tätig waren.⁵⁸ Auf diese Weise waren Luigi Villari im angelsächsischen Raum und Eugenio Morreales in Österreich aktiv. Nach Angaben des italienischen Diplomaten Filippo Anfuso⁵⁹ gab es fünf Männer, die in den Jahren ab 1923 zwischen Hitler und Mussolini „Mitteilungen hin- und hertrugen“, und zwar der „Bevollmächtigte Hitlers bei der italienischen Regierung“ Kurt Lüdecke⁶⁰, der Schwiegersohn des italienischen Königs Prinz Philipp von Hessen, der Journalist Roberto di Fiori⁶¹, der Florentiner Germanist
AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Spengler, Oswald: Der Mensch und die Technik. Beitrag zu einer Philosophie des Lebens. München 1931. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 15. Juni 1934. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 7. November 1934. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Scholz: Italienischer Faschismus als ‚Export‘-Artikel, S. 393. Anfuso, Filippo: Roma – Berlino – Salò (1936 – 1945). Milano 1950, S. 41– 43. Anfuso war in den 1920er Jahren am italienischen Konsulat in München tätig. Jens Petersen: Hitler – Mussolini, S. 15. Der schillernde, 1854 in Görz geborene Journalist Roberto di Fiori war seit 1881 Rom-Korrespondent der „Neuen Freien Presse“ und stand auch auf der Gehaltsliste der k. u. k. Botschaft beim Quirinal. Am Ende des Ersten Weltkrieges leitete er die „Gazzetta del Veneto“ im von den Mittelmächten besetzten Nordostitalien. Dann war er in den 1920er Jahren vorübergehend beim italienischen Generalkonsulat
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Prof. Guido Manacorda und Major Giuseppe Renzetti. Letzterer gilt bis dato als der einflussreichste Akteur, der das Ohr des „Duce“ hatte und dem als Präsident der italienischen Handelskammer und Generalkonsul in Berlin eine Schlüsselstellung zukam.⁶² Renzetti war es auch, der als Mittelsmann Hitlers im Sommer 1935 bei Mussolini die Abberufung des italienischen Botschafter Cerrutti – unter Umgehung des italienischen Außenministeriums – erreichte: So spektakulär die Abberufung des italienischen Botschafters auch sein mochte, darf sie nicht isoliert gesehen werden. Vielmehr verlief auch die weitere Annäherung der beiden faschistischen Diktatoren über inoffizielle Sendeboten. Sowohl Mussolini als auch Hitler kommunizierten, ohne das zu koordinieren, seit Herbst 1935 außerhalb der Diplomatie wechselseitig über geheime Mittelsleute, in der beiderseitigen Absicht, die Chancen für eine Wiederannäherung zu erkunden und zu einer Verflechtung der deutschen und italienischen Politik im Geist des Faschismus zu kommen.⁶³
Ebenso einhellig sind die Meinungen der Historiker über die Rolle Manacordas, insofern er überhaupt Erwähnung findet. Filippo Anfuso urteilte, dem Interesse Manacordas habe eher germanistische Neugier als politische Absichten zugrundegelegen.⁶⁴ Ihm, dem Wagner-Verehrer, so Klaus Peter Hoepke, komme „sicherlich die geringste Bedeutung zu“⁶⁵ Wolfgang Schieder spricht von der einerseits „in der Tat wenig erfolgreichen Vermittlerrolle“ Manacordas⁶⁶, urteilt aber andererseits: Schon Ende September 1935 wurde der Florentiner Germanistikprofessor Guido Manacorda von Hitler empfangen, am 22. Januar war er erneut im Auftrag Mussolinis beim ‚Führer‘. Er hatte das besondere Vertrauen des ‚Duce‘. […] Wenig glaubwürdig war es daher, wenn Mussolini die Aktivitäten Manacordas gegenüber Hassell […] herunterzuspielen suchte. In Wahrheit entsprach
in München angestellt. Mitte 1929 traf Hitler in di Fioris Haus den Senator Ettore Tolomei und sprach mit ihm über die Südtirol- und die Anschlussfrage, vgl. Hoepke: Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus, S. 165 u. 307, sowie Ostermann: Duell der Diplomaten, S. 75. Giuseppe Renzetti war als Angehöriger der italienischen Militärmission 1920/21 nach Oberschlesien gekommen und hatte dort in eine jüdische Familie eingeheiratet. Er verfügte über zahlreiche Verbindungen zur deutschen Rechten wie etwa zu DNVP, Stahlhelm und NSDAP. Nach seiner ersten Begegnung mit Mussolini galt er als dessen Vertrauter. Dem „Duce“ berichtete er unter Umgehung und in Konkurrenz mit der italienischen Botschaft direkt. Anfang der 1930er Jahre, noch vor seiner Ernennung zum Reichskanzler, ersuchte Hitler Mussolini zweimal über Renzetti um ein persönliches Treffen, vgl. Hoepke: Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus, S. 307; Petersen: Hitler – Mussolini, S. 17– 19, 112, 124 und 262; De Felice, Renzo: Mussolini e Hitler. I rapporti segreti 1922– 1933. Firenze 1975, S. 54 f. u. 211– 270 sowie 291 u. 295. De Felice gibt hier die zahlreichen Berichte Renzettis an Mussolini wieder. Schieder: Mythos Mussolini; S. 173. Als ersten Deutschen nach der Ermordung von Dollfuß empfing Mussolini am 9. Juli den Journalisten Sven von Müller und am 31. Januar 1936 den SS-Führer und Reportes des „Völkischen Beobachters“ Roland E. Strunk sowie am 26. Februar Leni Riefenstahl, ebd., S. 353. Anfuso: Roma – Berlino – Salò, S. 41. Hoepke: Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus, S. 307. Vgl. Schieder: Mythos, Mussolini, S. 178.
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Manacordas Entsendung nach Berlin genau dem faschistischen Stil außerdiplomatischer Kommunikation, den Mussolini und Hitler kreiert hatten.⁶⁷
Der Nachlass Manacordas zeigt, dass die negativen Einschätzungen der Bedeutung seiner diplomatischen Tätigkeiten nicht gerecht werden: Durch seine germanistische Arbeit versuchte Manacorda bereits im Oktober 1934 während eines Berlin-Besuchs über die Vermittlung des Preußischen Staatsrats und ehemaligen Chefs der Admiralität Adolf von Trotha eine Audienz bei Hitler zu erreichen.⁶⁸ Die Annäherung an Hitler ging dabei gänzlich auf Manacordas Initiative zurück, der erst später ausdrücklich auch im Auftrag Mussolinis agierte. Für Manacorda gilt, im Hinblick auf seine bereits dargestellte Kontaktaufnahme mit dem „Duce“ wie für sein Herantreten an den „Führer“, was Wolfgang Schieder in Bezug auf die Geheimaktionen Renzettis feststellte: Es handelte sich um eine Art von politischer Selbstmobilisierung, deren Erfolg um so erstaunlicher war, als [… er] sich gegen den Widerstand der professionellen Diplomaten durchsetzen musste.⁶⁹
Der letzte Punkt traf auf Manacorda indessen weniger zu, weil er auch bei den Botschaften und bei Ciano über Rückhalt verfügte. Das Ziel des italienischen Germanisten war dabei ein dreifaches: Erstens ging es sicherlich um seine Anerkennung als Intellektueller innerhalb des Regimes, die er durch den direkten Zugang zum deutschen Diktator stärken wollte. Zweitens wollte er zwischen Nationalsozialismus und Faschismus vermitteln. Damit wollte er wiederum dem „Duce“ imponieren und zugleich damit seiner persönlichen Ordnungsvorstellung eines katholischen Faschismus zur Geltung verhelfen. Im Entwurf eines Schreibens an den von ihm „Reichsführer“ titulierten Hitler empfahl er sich als „Professor der deutschen Literatur, […] Katholik und Arier“ sowie als Übersetzer des „Faust“ und natürlich vor allem des wagnerianischen Gesamtwerkes. Er beabsichtige, ein Buch über das Wesen des Nationalsozialismus zu schreiben, das – so suchte sich der Autor von „La selva e il tempio“ interessant zu machen – maßgeblich für das italienische Bild über die NS-Bewegung werden könne.
Ebd., S. 173 – 174. Adolf von Trotha (1868 – 1940) war von 1901 bis 1906 Großadmiral Alfred von Tirpitz als Stabsoffizier im Reichsmarineamt direkt unterstellt gewesen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er zum Chef der Admiralität ernannt, im Zuge des Kapp-Putsches aufgrund seiner Illoyalität zur Weimarer Republik in den Ruhestand versetzt. Von 1934 bis zu seinem Tod war Trotha Leiter des Reichsbundes Deutscher Seegeltung, vgl. Hildebrand, Hans H. und Ernest Henriot: Deutschlands Admirale 1849 – 1945. Bd. 3: PZ. Osnabrück 1990. S. 460 – 462. Schieder, Wolfgang: Faschismus im politischen Transfer. Giuseppe Renzetti als faschistischer Propagandist und Geheimagent in Berlin 1922– 1941. In: Faschismus in Italien und Deutschland. Studien zu Transfer und Vergleich. Hrsg. von Sven Reichardt und Armin Nolzen. Göttingen 2005. S. 28 – 58, hier S. 36.
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Er betrachte es als seine Pflicht, so führte er aus, sein Verständnis der NS-Ideologie mit Hitler als dem Gründer der Bewegung zu überprüfen.⁷⁰ Dieser Versuch blieb inmitten der Eiszeit zwischen dem faschistischen Italien und dem „Dritten Reich“ erfolglos. Denn vorerst gehörte Italien weiter zu den Staaten, die sich der deutschen Revisionspolitik entgegenstellten. Nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß am 30. Juni und dem gescheiterten Putsch-Versuch österreichischer Nationalsozialisten um deren Landesinspekteur Theodor Habicht am 25. Juli 1934 war das Verhältnis zwischen Deutschland und der österreichischen Schutzmacht Italien auf das Äußerste angespannt. Dies umso mehr, da Mussolini den Besuch von Dollfuß erwartete hatte, dessen Frau bereits bei ihm zu Gast war und er ihr selbst die Todesnachricht überbringen musste. Zusammen mit Großbritannien und Frankreich formulierte Mussolini nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland am 14. April 1935 in Stresa eine entsprechende Entschließung, in der das deutsche Vorgehen verurteilt und Widerstand gegen jede einseitige Aufkündigung von Verträgen angekündigt wurde. Der deutsche Botschafter in Rom Ulrich von Hassell⁷¹ schrieb in einem Bericht über das deutsch-italienische Verhältnis im Frühjahr 1935: Die seit rund einem Jahr zu beobachtende Verschlechterung des deutsch-italienischen Verhältnisses hat in letzter Zeit einen Höhepunkt erreicht.⁷²
Italien habe immer Verständnis für die deutsche Aufrüstung gehabt, bekämpfe sie nun fast so scharf wie Frankreich, der Faschismus stehe der NS-Bewegung, die er stürmisch begrüßt habe, kritisch bis ablehnend gegenüber, der Revisionist Mussolini sei in die Front der Verteidiger von Versailles eingeschwenkt. Verantwortlich seien u. a. die wirtschaftspolitische Passivität, die Politik Habichts in Österreich, die Behandlung Mussolinis beim Austritt aus dem Völkerbund. Gleichzeitig sei eine von beiden Seiten verbohrt und kurzsichtig geführte Pressestreiterei über Rasse-, Kultur- und Systemfragen zwischen beiden Ländern geführt worden.⁷³ Manacorda traf daher während seines Aufenthaltes in der Reichshauptstadt lediglich einige Bekannte wie den Diplomaten Hans Thomsen, den er aus der gemeinsamen Zeit in Neapel kannte und mit
Guido Manacorda kannte Adolf von Trotha bereits seit 1930, vgl. Guido Manacorda an Adolf von Trotha, Brief vom 5. Oktober 1934, sowie Entwurf eines Anschreibens „An A. Hitler“. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc.1935, Sottofasc. 4bis Germania. Ulrich von Hassell (1881– 1944) war von September 1932 bis Februar 1938 Botschafter in Rom, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871– 1945. Bd. 2: G-K, Paderborn u. a. 2005. S. 205 – 207. Das deutsch-italienische Verhältnis von Ende 1932 bis Anfang 1935, S. 1. In: PA Berlin, RomQuirinal, Bd. 196, Sammlung des Botschafters von Hassell: Berichte über die Lage in Italien. Der Bericht wurde nach dem 6. April verfasst und liegt gedruckt vor in ADAP 1918 – 1945. Serie C 1933 – 1937. Das Dritte Reich: Die ersten Jahre. Bd. IV, 1: 1. April bis 13. September 1935. Göttingen 1975, S. 102– 111. Das deutsch-italienische Verhältnis von Ende 1932 bis Anfang 1935, S. 12. In: PA Berlin, RomQuirinal, Bd. 196, Sammlung des Botschafters von Hassell: Berichte über die Lage in Italien.
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dem er privatim über seine Forschungen zum Nationalsozialismus diskutierte.⁷⁴ Thomsen hatte inzwischen als Ministerialrat in der Reichskanzlei und als außenpolitischer Referent Karriere gemacht. Somit war er – wenn auch in untergeordneter Position – selbst Teil des Machtzentrums der Diktatur. Später wurde er als deutscher Gesandter in die USA berufen.⁷⁵ Thomsen, der seit seiner Zeit als Vizekonsul in Mailand und Neapel Anfang der 1920er Jahre fließend Italienisch sprach, blieb noch bis weit in den Krieg hinein mit Manacorda in brieflichem Kontakt. 1. Gespräch am 29. September 1935: Ein Jahr später startete Manacorda indessen einen neuen Anlauf, den „Führer“ zu treffen, der nun unter veränderten internationalen Rahmenbedingungen erfolgreicher verlief. So kann man sagen, dass die Annäherung zwischen Hitler und Mussolini in den Jahren 1935/36 ohne den Vermittler Manacorda so nicht erfolgt wäre, wie auch Jens Petersen in seiner noch immer gültigen Monographie⁷⁶ bereits in den 1970er Jahren zeigte. Andererseits darf man die Rolle Manacordas nicht überschätzen, weil beide Diktaturen, die faschistische und die nationalsozialistische, aufgrund ihrer ideologischen Affinität und ihrer gemeinsamen revisionistischen Interessen unweigerlich auf eine Annäherung zusteuerten, sodass eher früher als später ein anderer Akteur seine Rolle übernommen hätte. Trotzdem ist deswegen das Wirken Manacordas keineswegs zu vernachlässigen, hat es doch in einem Katalysatoreffekt den deutsch-italienischen Annäherungsprozess gerade in seinen Anfängen beträchtlich beschleunigt. Wie Manacorda dem italienischen Botschafter in Berlin, Bernardo Attolico, gegenüber bekundete, habe ihm Hitler gesagt, dieser sei der erste Italiener gewesen, mit dem er nach dem Mord an Dollfuss habe verhandeln können.⁷⁷ Insgesamt führte Manacorda vier längere Unterredungen mit
Hans Thomsen an Guido Manacorda, Brief vom 5. April 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Hans Thomsen schrieb Manacorda Anfang 1935. Ulrich von Hassel an Hans Thomsen, Brief v. 27. November 1935. In: PA Berlin, Rom-Quirinal, Bd. 39. Hassell urteilte darin über Manacorda: Vgl. ADAP. Serie C: 1933 – 1937. Bd. IV, 2. 16. September 1935 bis 4. März 1936. Göttingen 1975, S. 681. Petersen: Hitler – Mussolini, S. 446. Petersen verweist auf die Audienz Manacordas bei Hitler am 22. Januar 1936. Unzutreffend ist hingegen, die schon in den deutschen Akten und in der Sekundärliteratur sich findende Behauptung, Manacorda sei im Jahre 1934 Dolmetscher bei der Unterredung zwischen Hitler und Mussolini in Venedig gewesen, vgl. BA Berlin, R55/96, Bl. 300. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 19. September 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Die Aussage des „“Führers“ hält, sofern man sie wörtlich nimmt, allerdings einer genauen Überprüfung nicht völlig stand, denn am 21. Juni 1935 empfing Hitler Renzetti, der aus Berlin abberufen wurde. Gegenüber Renzetti hatte der Diktator die Entfernung des nazifeindlichen Botschafters Cerrutti verlangt, vgl. Schieder: Faschismus im politischen Transfer, S. 54. Dennoch bleibt der Grundtenor von Hitlers Aussage zutreffend, und die Jahre 1934/35 waren sicherlich eine diplomatische Eiszeit.
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Hitler sowie mit Frank, Goebbels, Hassell, Papen, Ribbentrop, Rosenberg und Nuntius Cesare Orsenigo.⁷⁸ Die deutsch-italienische diplomatische Eiszeit endete am 4. Oktober 1935 mit dem seit Monaten militärisch und diplomatisch vorbereiteten italienischen Angriff auf Abessinien. Die Sanktionen, die der Völkerbund am 7. Oktober 1935 gegenüber dem importabhängigen Land verhängte, umfassten ein Waffenembargo, außerdem eine Kredit- und Rohstoffsperre. Zudem kreuzte die britische Home Fleet seit dem Sommer im Mittelmeer, was in breiten Kreisen der italienischen Bevölkerung und bei der militärischen Führung höchste Besorgnis auslöste. In dieser Lage war die Annäherung an eine wirtschaftliche und zunehmend wieder militärische Großmacht wie Deutschland dringend erwünscht. In einem Promemoria mehrerer kurzer Unterredungen mit Mussolini, die zwischen dem 20. und 22. Mai 1935 stattfanden⁷⁹, bewegten sich die politischen Vorschläge Manacordas noch im Rahmen der offiziellen faschistischen deutschlandkritischen Sicht, indem sie auf eine Stärkung der Unabhängigkeit des christlichfaschistoiden österreichischen Ständestaats abzielten und insbesondere die kirchenfeindliche Politik und heidnische Ideologie des „Dritten Reiches“ anprangerten. Zu beiden Themen hatte er in zahlreichen Büchern und Zeitungsartikeln Stellung bezogen. Er schlug vor, eine koordinierte Propagandakampagne in deutscher Sprache bei der katholischen Bevölkerung in Österreich und Südtirol durchzuführen, um die Unvereinbarkeit der Rassendoktrin mit dem katholischen Glauben zu demonstrieren. Doch zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Kehrtwendung in Manacordas Deutschlandperzeption ab. Denn inzwischen war er in Rom in Kontakt mit dem deutschen Botschafter von Hassell gekommen. Den italophilen Hobby-Danteforscher Hassel hatte Manacorda 1934 in Florenz über seine germanistischen Arbeiten persönlich kennengelernt und ihm im November 1934 über den Verlag Sansonis eine acht Wagner-Bände zukommen lassen.⁸⁰ Daraufhin hatte Hassell ihn in Florenz besucht.⁸¹ Offenbar ersuchte Manacorda den deutschen Botschafter im Jahr 1935 mehrfach um eine Audienz bei Hitler. Dabei schien er sich seiner Sache sehr sicher, jedenfalls schrieb er seinem Freund Giovanni Papini im Juli, er hoffe, vom „Führer“ empfangen zu werden und auch das Buch über den Nazismus bis Ende des Jahres fertigzustellen.
Bericht von Guido Manacorda an Benito Mussolini vom 20. März in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, Relazione XXIV. Notizen Manacordas zur Unterredung im Mai 1935 sowie Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 8. Mai 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Verlag G. C. Sansoni an Guido Manacorda, Brief vom 14. November 1934, AdN, Fondo Manacorda Fasc. Carteggio 1934, 2° Semestre sowie Hassell an F. Gentile, Generaldirektor des Sansoni-Verlages, Brief vom 17. November 1934, AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Ulrich von Hassell an Guido Manacorda, Brief vom 2. Januar 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania.
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Dass Manacorda dies offen auf eine Postkarte schrieb, zeigt seine diplomatische Unbedarftheit.⁸² Vor seiner bevorstehenden Reise nach München und Berlin im September/Oktober bat er Hassell um ein Gespräch in Feldafing oder Florenz, was er – wie im Vorjahr – etwas umständlich mit seinen Forschungen zur NS-Bewegung begründete: Ich bin nunmehr mit meinem Buch über den Geist des Nationalsozialismus [Unterstreichung im Orig.] fertig: ein Buch, […] das vielleicht als maßgebend gelten könnte. Es fehlt mir nur die Ehre eines direkten Kontakts mit dem Führer, der psychologisch und historisch zwangsläufig fruchtbringend, sogar entscheidend sein sollte. Schon voriges Jahr fehlte es sehr wenig, daß die von mir erwünschte Ehre erteilt würde.⁸³
Er wolle, so Manacorda weiter, in diesem Moment, in dem die Welt wieder vor einer Katastrophe stehe, seinen „bescheidenen Beitrag zur Verständigung unserer beiden großen Länder“ leisten. Darüber hinaus versäumte er es auch nicht, dem Dantisten Hassell mitzuteilen, dass ihn die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft am 21. Januar zu einem Vortrag über die „Göttliche Komödie“ eingeladen habe.⁸⁴ Des Weiteren erklärte sich Hassel bereit, sich für Manacorda zu verwenden.⁸⁵ Euphorisch schrieb Manacorda zurück: Ich glaube unterdessen meine Pflicht vor Ew. Exc. meine geistig-politische Lage in kurzen Zeilen offen festzustellen. Jede Revolution macht große Fehler und entsteht, wie jede Geburt, unter großen Leiden. Faschismus und Nationalsozialismus haben sich diesem eisernen Gesetz nicht entziehen können. Sie sollen, meiner Meinung nach, die Fehler in gutem Gewissen anerkennen und alles Mögliche tun, um sie zu beseitigen. Sie sollen alles Mögliche tun, die Leiden in solchen Grenzen zu halten, wie es nur die Lebensgesetze erlauben. Aber Ehre, Gerechtigkeit, Leben und Zukunft gehören uns. Das Alte soll vor dem Neuen, das Ungerechte vor dem Gerechten zurückweichen. Was ich als antizentristischer Katholik, als Lateiner, als Gelehrter, als ein dreimal auf dem Schlachtfeld dekorierter Frontkämpfer, und – last not least [Unterstreichungen im Orig.] – als Mensch mit meinen bescheidenen Kräften werde leisten können, […] werde ich unbedingt leisten. Bin in der freundlichsten persönlichen Verbindung mit Mussolini. Dieselben Worte, die ich Ihm
Guido Manacorda an Giovanni Papini, Postkarte mit Poststempel vom 9. Juli 1935. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Guido Manacorda an Ulrich von Hassell, Brief vom 10. September 1935. In: PA Berlin, Bestand Rom Quirinal, Bd. 450/21a, Privater Briefwechsel des Botschafters von Hassell vom März 1935 bis Januar 1936. Ulrich von Hassell an Major v. Cranach von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Brief vom 13. Dezember 1935, ebd. Cranach hatte Hassell gegenüber in einem Brief vom 2. Dezember über den Vortrag im Harnack-Haus und ein gemeinsames Essen am Vorabend gesprochen. An beidem nahm Hassell teil, vgl.: Hassell: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 1938, S. 125. Hassell antwortete in einem Brief aus Nürnberg, wo der Parteitag der NSDAP stattfand, an Manacorda vom 13. September 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania.
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gesprochen habe [sic!], und ich mir heute erlaube Ew. Exc. zu schreiben, werde ich, wenn es mir nur möglich sein wird, Ihrem Führer wiederholen.⁸⁶
Am 22. September 1935 trug Hassell Hitler während seines Besuchs in dessen Münchner Wohnung dann in der Tat Manacordas Anliegen und Teile seines Briefes vor.⁸⁷ Am 29. September 1935 erhielt Manacorda eine fast zweistündige Audienz bei Hitler.⁸⁸ Noch am gleichen Tag setzte Hassell aus Feldafing Manacorda über seinen Termin in Kenntnis⁸⁹, nicht ohne ihm Verhaltensmaßregeln mitzugeben und nahezulegen, er möge ihn über das Gespräch unterrichten. In seinen Aufzeichnungen schreibt Hassell über seine diesbezügliche Unterredung mit Hitler: Ich erzählte ihm zunächst von dem Florentiner Prof[essor] Manacorda, der ein Buch über den Nat [ional]sozialismus schrieb und gerne eine Audienz hätte. Dabei las ich ihm, um die Wirkung zu beobachten, einige Sätze aus einem Briefe M[anacorda]s vor, in dem dieser davon sprach, dass Bewegungen wie der Faschismus und Nat.sozialismus unvermeidlich Fehler machten und sich nicht scheuen sollten, sie einzugestehen. H[itler] hörte sich das ohne Kommentar an, erklärte sich sofort bereit, M[anacorda] zu empfangen und hat ihn 10 Tage später fast 2 Stunden bei sich gesehen.⁹⁰
Manacorda seinerseits beabsichtigte mit Hassell über einen kulturpolitischen Austausch zwischen Deutschland und Italien sprechen: Zum einem wollte er eine deutsche Beteiligung an der von ihm organisierten Vortragsreihe über das gegenwärtige religiöse Denken in Europa und zum anderen regte er eine Kontaktaufnahme zwischen dem Comitato per l’Universalità di Roma und NS-Kulturverbänden an.⁹¹ Über den seiner Ansicht nach „entscheidenden“ Inhalt des Gesprächs mit Hitler schrieb Manacorda Hassell:
Guido Manacorda an Ulrich von Hassell, Brief vom 15. September 1935. In: PA Berlin, Bestand Rom Quirinal, Bd. 450/21a, Privater Briefwechsel des Botschafters von Hassell vom März 1935 bis Januar 1936. Hassell schrieb: „Auf ihren freundlichen Brief vom 15. d. M. freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, dass der Führer, dem ich heute von Ihnen erzählt und aus Ihrem Briefe vorgelesen habe, sich bereit erklärt hat, Sie am Sonntag, den 29. in Berlin zu empfangen.“ Ulrich von Hassell an Guido Manacorda, Brief vom 22. September 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Guido Manacorda an Ulrich von Hassell, Brief vom 26. Dezember 1934. In: Nachlass Ulrich von Hassell. Ulrich von Hassell an Guido Manacorda, Brief vom 22. September 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Hassell: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 1938, S. 223, sowie Manacorda an Hassell, Brief vom 30. September 1935, im Nachlass Hassell. Manacorda dankte in seinem im Hotel Bristol geschriebenen Brief dem deutschen Botschafter ausdrücklich für seine Vermittlung und kündigte ihm an, ihn über das Gespräch bei seinem nächsten Rom-Besuch ausführlich zu berichten. Guido Manacorda an Ulrich von Hassell, Brief vom 25. September 1935. In: PA Berlin, Bestand Rom Quirinal, Bd. 450/21a, Privater Briefwechsel des Botschafters von Hassell vom März 1935 bis Januar 1936. Den Brief verfasste er bereits in München.
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Da Er sehr wichtige und nicht nur geistige Probleme mit offener Entscheidung berührt hat, hab’ ich von ihm die Erlaubnis verlangt, darüber mit dem Duce sprechen zu können. Das hat Er […] gern gestattet. […] Gebe es Gott, dass sie [die Audienz] für die Zukunft unserer Länder fruchtbar sein könne!⁹²
In einem im Februar 1939 in Deutschland gehaltenen Vortrag ging Manacorda – wenn auch in dramatisierender, Hitler sowie sich selbst verklärender Art und Weise – auf seinen ersten Besuch in der Reichskanzlei ein: 29. September 1935: Berlin, Wilhelmstraße. Zum ersten Mal vor dem Führer. Tiefes Stillschweigen. Nur wie ein leises Brummen von weitem her: Stimmen der Völker, Stimmen der Welt. Ich kenne die Lage. Genf im Begriff, sein unverschämtes Urteil zu fällen. Die politische Hefe der ganzen Welt dort versammelt: Freimaurer, Juden, Demokraten, Sozialkommunisten; Unbewußte, Feige, Heuchler, Neider. Alles schreit seinen Jubel aus vollem Halse: kein Völkerbund mehr: eine Menagerie. Das faschistische Italien wird endlich in kurzer Zeit auf die Knie niedergezwungen. Die englische Home Fleet ist schon in voller Rüstung ins Mittelmeer eingelaufen. Genau 540 Tausend Tonnen.Wir können höchstens über 200 – 220 Tausend Tonnen verfügen. Trotzdem ist’s bei uns so ruhig. Fast heiter. Stillschweigend, unsichtbar, fliegen im Äther die römischen Adler vorbei. Der Führer, nachdem er ziemlich lange über Religion und Literatur gesprochen hat, ist spontan mitten in die Weltpolitik gesprungen. Ein fabelhafter Blick auf die Zukunft: wirklich Führer und Seher zugleich. Und dieser in der Tat so wunderbar, dass das, was er damals voraussagte, im Moment, wo ich zu Euch rede, über alles Erwarten großenteils schon realisiert ist. Plötzlich aber schweigt er still, wie nachdenkend. Ich warte respektvoll in gemischtem Gefühl von Bangigkeit und Begierde. Was geht durch seinen Sinn? Da springt er, zunächst mit einer etwas gedämpften, dann mit scharf skandierter Stimme auf: ‚Mussolini gehört zu diesen Menschen, die nur bei jeder großen Weltepoche emportauchen. Eine Menge Pygmäen hat sich gegen ihn verschworen: Liliputaner gegen Gulliver. Wenn ich aber einen Menschen auf meinem Weg finde, der von 52 Feinden angegriffen wird, stelle ich mich sofort auf seine Seite. England, ich weiß es, wird mich in diesen Tagen offiziell einladen, an den Sanktionen gegen Italien teilzunehmen. Ich werde mein ‚Nein‘ rund aussprechen.‘ Damals wußte davon noch niemand. Damals wurde die Achse virtuell begründet.⁹³
Kurz danach eröffnete Italien in den ersten Oktobertagen die Kampfhandlungen in Afrika. Schon am 7. Oktober stellte der Völkerbundsrat seine Sanktionsverpflichtung fest und verhängte ein Waffenembargo sowie eine Kredit- und Rohstoffsperre. Hingegen erklärte das scheinbar italophile Deutschland am 7. November, sich nicht an den Sanktionen gegenüber Italien beteiligen zu wollen und lieferte dringend benötigte Kohle. Allerdings spielte Hitler ein doppeltes Spiel, das das Urteil Manacordas über die Ehrbarkeit Hitlers doch sehr relativiert. Denn wie Manfred Funke in seiner Monographie über die deutsche Äthiopienpolitik bilanzierte, lieferte das „Dritte Reich“,
Guido Manacorda an Ulrich von Hassell, Brief vom 30. September 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Manacorda, Guido: Die Demokratien des Westens. Berlin 1940, S. 29 – 31. Diese 40-seitige Broschüre basiert auf einem Vortrag, den Manacorda am 8. Februar im „Club zu Bremen“ und am 10. Februar 1939 im Ausland-Club in Berlin hielt. Im Archivio del Novecento und in den anderen konsultierten Archiven konnte kein Originalbericht über dieses erste Gespräch zwischen Hitler und Manacorda ermittelt werden.
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während es Italien diplomatisch unterstützte, als einzige europäische Großmacht im größeren Maßstab dringend benötigte Waffen an Abessinien, schürte den Konflikt, der – so das Kalkül – je länger er loderte, den eigenen Expansionsbestrebungen Freiräume eröffnete.⁹⁴ Inzwischen kehrte Manacorda nach Italien zurück und erstattete Mussolini Bericht. Für seine Missionen erhielt er zu dieser Zeit vom Palazzo Venezia eine Finanzierung.⁹⁵ Nach kurzem Aufenthalt in Italien begab er sich wieder auf diplomatische Mission nach Frankreich, Holland und in die Schweiz. Zuvor besuchte er d’Annunzio, der ihm Präsente für de La Rocque und Hitler mitgab.⁹⁶ Während dieser Mission traf er auch mit dem deutschen Botschafter in Paris, gemeint ist wohl der deutsche Geschäftsträger in Paris, Botschaftsrat Forster, zusammen⁹⁷, worüber er wieder Mussolini Vortrag hielt.⁹⁸ Nach seiner Westeuropareise teilte Manacorda Hassell Ende November mit, dass er „auf allerhöchsten Wunsch“ wieder nach Paris und Berlin reise und wiederholte seinen Wunsch nach einer zweiten Audienz noch im Jahre 1935 bei Hitler, dem er Bedeutsames mitzuteilen habe.⁹⁹ Manacorda präzisierte Hassell die zu besprechenden „wichtigen“ Inhalte und seine Rolle. Im Gepäck hatte er – wie er Hassell mitteilte – die Lösung des österreichischen Problems in Aussicht:
Funke, Manfred: Sanktionen und Kanonen. Hitler, Mussolini und der internationale Abessinienkonflikt 1934– 1936. Phil. Diss. Düsseldorf 1971, S. 43 – 45. Im Mai 1935 wurde demnach eine äthiopische Waffenankaufsdelegation in Berlin vorstellig. Hitler beschied die Anfrage positiv, sodass die Äthiopier von den Deutschen 10.000 Mausergewehre mit Munition, MGs, Pistolen, Handgranaten, Medikamente, Panzerabwehrkanonen und sogar drei Flugzeuge ausgehändigt bekamen. Auch danach soll es noch Waffenlieferungen gegeben haben. Kaiser Haile Selassie äußerte später, Deutschland habe als einziges Land kontinuierliche Waffenhilfe geleistet. Für seine Auslandsmission im November 1935 erhielt er 2.500 Lire, die allerdings angeblich seine Kosten nicht deckten, vgl. Guido Manacorda an Osvaldo Sebastiani, Segretario Particolare del Capo del Governo, Briefe vom 25. und 26. November 1935, sowie Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 3. Dezember 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 3. Dezember 1935, ebd. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 20. Dezember 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Colloquio Mussolini 20 dicembre 1935, Relazione X. Die drei Gespräche fanden zwischen dem 22. und 24. November 1935 statt, vgl AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda Fasc. 1935, Sottofasc. Colloqui Mussolini 22– 24 novembre 1935, Relazioni VII– IX. Guido Manacorda an Ulrich von Hassell, vom 24. [November 1935]. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania, sowie in: PA Berlin, Rom-Quirinal, Bd. 39, sowie Ulrich von Hassell an Guido Manacorda, Brief vom 27. November 1935, ebd. Hassel war jedoch weniger zuversichtlich, weil er über den Inhalt des ersten Gesprächs Manacordas mit Hitler immer noch nicht orientiert war.
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Die zwei Anschauungen, früher so entfernt, scheinen mir nunmehr so nah zu stehen, dass es ein wirklich grosser [sic] Fehler, nicht nur gegen unsere beiden Nationen, sondern auch gegen Europa und die Menschheit wäre, nicht zu versuchen, sie endlich zu [ver]knüpfen.¹⁰⁰
Seinen Status definierte er dabei wie folgt: Ich bin weder ein offizieller noch ein offiziöser Vermittler; nur ein autorisierter Ausleger und zugleich eine Person, die autorisiert ist, einen Weg womöglich privat vorherzubahnen.¹⁰¹
Dies meldete Hassell umgehend der Wilhelmstraße und der Reichskanzlei, nachdem er beim italienischen Außenministerium Manacordas Angaben überprüft hatte, nicht ohne die Auskunft erhalten zu haben, „dass bei solchen Nichtpolitikern selbstverständlich immer eine gewisse Vorsicht am Platze sei, weil sie meist recht optimistisch seien und nicht alle Seiten des Problems übersähen“.¹⁰² Hassel sondierte zunächst einmal bei Hans Thomsen. Hassel äußerte zu Manacorda: Der Führer hat dann Herrn Manacorda kurz tatsächlich empfangen und, wie es scheint, an ihm Interesse gefunden, denn die Unterhaltung hat länger als anderthalb Stunden gedauert. Manacorda entwickelt nun einen ziemlich großen politischen Eifer, um, wie er sicherlich aufrichtig sagt, dem guten Verhältnis zwischen Deutschland und Italien zu dienen. Nachdem er hier nach der Unterhaltung mit dem Führer zwei Mal von Mussolini empfangen worden war, ist er – augenscheinlich auch im Einverständnis mit diesem – auch nach Paris gefahren und hat dort Unterhaltungen mit Laval und anderen führenden Persönlichkeiten gehabt. Hierher zurückgekehrt, ist er abermals von Mussolini empfangen worden und schreibt mir nun heute, dass er im Auftrage des letzteren nochmals nach Berlin und Paris fährt und wiederum um eine Audienz bitten möchte. Ich möchte annehmen, dass unter den gegenwärtigen Umständen eine Unterhaltung mit Prof. Manacorda den Führer auch dieses Mal interessieren würde. Vielleicht sind Sie so freundlich, das zu vermitteln, nachdem Sie sich, wenn Sie das für richtig halten, vorher in einer Unterhaltung mit ihm ein Bild von der Sache gemacht haben.¹⁰³
Seinen geplanten Berlin-Besuch konnte Manacorda aber im Dezember nicht realisieren, wie er in der eigens aufgesuchten deutschen Botschaft in Rom mitteilte.¹⁰⁴ Dieser fand dann Anfang des darauffolgenden Jahres statt, obwohl die mit Manacorda befassten deutschen Diplomaten etwas skeptisch dessen Selbstprofilierung und -inszenierung betrachteten¹⁰⁵. „Schließlich ist die Hauptsache“, so Thomsen, „daß der Guido Manacorda an Ulrich von Hassell, Brief vom 29. November 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania, sowie in: PA Berlin, Rom-Quirinal, Bd. 39. Ebd. Entwurf eines Berichts über den Empfang des Universitätsprofessors Manacorda durch den Führer der deutschen Botschaft in Rom für Hans Thomsen vom 6. Dezember 1935, ebd. Ebd. Botschaftsrat Johann von Plessen an Hans Thomsen, Brief vom 21. Dezember 1935. In: PA Berlin, Rom-Quirinal, Bd. 39. Hans Thomsen an Johann von Plessen in Rom, Brief vom 30. Dezember 1935, ebd. Thomsen schrieb: „Ich habe gerade heute einen Brief von M[anacorda] erhalten […] M[anacorda] stellt den Fall
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Führer von M[anacorda] den Eindruck gewonnen hat, daß er zuverlässig und diskret ist und das Ohr des “Duce„ besitzt.“¹⁰⁶ Dabei täuschte sich Hitler gründlich in Manacorda, der sowohl seine Unterredungen mit dem „Duce“ als auch mit dem „Führer“ keineswegs geheim hielt und stattdessen freimütig darüber in Briefen Auskunft gab. Seinem florentinischen Universitätskollegen, dem Historiker Raffaele Ciampini, gegenüber verzichtete er wenigstens auf konkrete Angaben.¹⁰⁷ An den Präsidenten der Paneuropäischen Union, Graf Richard Coudenhove-Kalergi, berichtete er jedoch ebenfalls freimütig.¹⁰⁸ 2. Gespräch am 22. Januar 1936: Bereits im November 1935 hatte Manacorda wie gesehen bei Hassell um eine zweite Audienz ersucht.¹⁰⁹ Der Ministerialrat in der Reichskanzlei, Hans Thomsen, bekundete die Bereitschaft zu einem erneuten Empfang, wie er dem „Lieben Professor und Freund“ am 2. Januar 1936 schrieb.¹¹⁰ Am 22. Dezember 1935 führte Manacorda ein Gespräch mit Hassell. Der deutsche Botschafter charakterisierte dabei die Lage wie folgt: Erstens sei die Krise des Völkerbundes unauflösbar. Zweitens bestehe tiefes Misstrauen gegenüber der englischen Politik. Drittens bekundete er das deutsche Interesse, dass Italien aus der aktuellen Krise gestärkt und ehrenhaft hervorgehe. Viertens äußerte Hassell den Wunsch nach einer Lösung der österreichischen Frage, die im Moment aber nicht dränge. Fünftens sei es sein starker Wunsch, dass die Stresa-Front nicht wieder entstehe. Und sechstens und letztens sei der Botschafter lebhaft darüber erfreut, schrieb Manacorda an Mussolini, dass „seine Exzellenz“, wie er Mussolini zu diesem Zeitpunkt anredete, mit dem „Führer“ inoffizielle persönliche Kontakte aufgenommen habe, wovon er sich fruchtbare Ergebnisse erwarte.¹¹¹
jetzt so dar, als ob die Idee zu einem neuen Empfang beim Führer von der Botschaft ausgegangen sei, und zwar aus ihm nicht ganz verständlichen Gründen. Dagegen schrieb mir Herr Botschafter von Hassell, M[anacorda] habe ihm schriftlich mitgeteilt, daß er im Auftrage des Duce nach Paris und Berlin fahre und um eine Audienz beim Führer bäte. Diese Diskrepanz ist an sich belanglos, aber typisch für M[anacorda].“ Hans Thomsen an Johann von Plessen in Rom, Brief vom 30. Dezember 1935. In: PA Berlin, RomQuirinal, Bd. 39, 1935, Vorgang 56, Empfang des Universitäts-Prof. Manacorda durch Führer. Guido Manacorda an Raffaele Ciampini, Brief vom 29. September 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda ohne Fasc. Darin bekundete er, er habe den „Führer“ getroffen. Guido Manacorda an Richard Coudenhove-Kalergi, Brief vom 26. Oktober 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. Coudenhove, Unterredung vom 22. November 1935. Ebd. Ulrich von Hassell an Guido Manacorda, Brief vom 27. Novembre sowie vom 13. Dezember 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Hassell gab die Anfrage an die Reichskanzlei weiter. Hans Thomsen an Guido Manacorda, Brief vom 2. Januar 1936, ebd. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 23. Dezember 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. Colloquio 20 dicembre 1935, Relazione X.
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Die vorbereitende Audienz für Manacordas zweiten Hitler-Besuch bei Mussolini fand am 13. Januar 1936 statt.¹¹² Der „Duce“ hatte in diesen Tagen seine Österreichpolitik, die bis dahin der deutsch-italienischen Annäherung im Wege stand, wenn schon nicht einer Zäsur, so doch einer merklichen Akzentverschiebung unterworfen.¹¹³ Indem er Hassell gegenüber am 6. Januar äußerte, er habe keine Einwände, falls Österreich ein deutscher Satellit werde, der eine deutsche Außenpolitik betreibe¹¹⁴, wenngleich er auf die staatliche Unabhängigkeit des Landes weiter insistierte, schwächte Mussolini seine Schutzmachtfunktion erheblich. Zugleich erklärte er Stresa für tot. Dennoch fuhr die italienische Außenpolitik weiterhin zweigleisig, indem sie differierende Signale an die Westmächte sandte. Am 22. Januar fand dann das – von Jens Petersen dokumentierte – einstündige Gespräch Manacordas mit Hitler statt. Während seines Aufenthaltes war er in Berlin vom dortigen italienischen Botschafter, Bernardo Attolico¹¹⁵, vorbereitet und unterstützt worden. Manacorda berichtete Mussolini noch am gleichen Tag, wobei er es wie folgt einschätzte: „Caratteristicamente ‚sachlich‘“. Der Rapport besteht aus neun Punkten, die hier wiedergegeben werden.¹¹⁶ Darin wird wiederum Hitlers Vermögen deutlich, seine Gesprächspartner durch dreiste Lügen und geschicktes Eingehen auf die Erwartungen seines Gegenübers über seine Pläne zu täuschen. Der florentinische Professor jedenfalls war von der Person des „Führers“ und dessen Ausführungen eingenommen. Vorab bedankte sich Hitler, so Manacorda, für die freundschaftlichen Grüße Mussolinis und erwiderte sie seinerseits durch offene Bekundungen der Freundschaft und Bewunderung. Im gleichen Atemzug bedauerte Hitler – als Initiator
Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 22. Januar 1936, ebd., Sottofasc. Mussolini Colloquio 13 gennaio 1936, Relazione XI. Auch wenn Renzo De Felice betont, die Erklärung Mussolinis sei eher taktischer Natur gewesen, hatte sie doch weitreichende Folgen. Allerdings bedeutete sie vorerst für sich noch keine Kehrtwendung in der Außenpolitik, wohl zeigt sie aber eine Prädisposition Mussolinis hinsichtlich einer Annäherung an Deutschland, vgl. De Felice, Renzo: Mussolini il duce. I. Gli anni del consenso 1929 – 1936. Torino 1974, S. 667– 668.; Mori, Renato: Verso il riavvicinamento fra Hitler e Mussolini. Ottobre 1935 – Giugno 1936. In: Storia e Politica 15 (1976). S. 70 – 120, S. 93 – 96. Telegramm Ulrich von Hassells an das Auswärtige Amt vom 7. Januar 1936. In: ADAP 1918 – 1945. Serie C, Bd. IV. Göttingen 1975, Nr. 485, S. 954– 956. Bernardo Attolico wechselte im August 1935 als italienischer Botschafter von Moskau nach Berlin. Er wurde zu einem entschiedenen Befürworter der Annäherung an Hitlerdeutschland, vgl. Petersen: Hitler – Mussolini, S. 424– 426; Toscano, M.: Bernardo Attolico. In: Dizionario Biografico degli Italiani. Bd. 4. Roma 1962. S. 556 – 560; Falanga, Gianluca: Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. Italiens Politik in Berlin 1933 – 1945. Berlin 2008, S. 65 – 67. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 22. Januar 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Mussolini Colloqui 30 – 31 gennaio 1935, Relazioni XII-XIII, Relazione XIV. Das Dokument liegt im Anhang erstmals gedruckt vor. Aus der Unterredung Hitlers mit Manacorda zitierend, leitete auch der italienische Botschafter in Berlin den gegenwärtigen Verzicht Hitlers auf den Anschluss ab, vgl. Bernardo Attolico an Benito Mussolini, Telegramm vom 30. Januar 1936. In: Documenti Diplomatici Italiani (DDI), Ottava Serie: 1935 – 1939, Bd. III, 1. Januar – 9. Mai 1936, Rom 1999, Dok. 139, S. 180.
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des Juli-Putsches der Hauptverantwortliche für den Mord an Dollfuß, und damit für die Spannungen zwischen ihm und Mussolini – scheinheilig die geistige Entfremdung zwischen beiden Völkern in den letzten Monaten, die für ihn zutiefst schmerzlich gewesen sei. Zweitens stimmte Hitler mit Manacorda überein, dass der parallele Weg wie die Affinität der beiden Regime die politische Geschichte beider Länder – trotz ihrer unausweichlichen Differenzen – prägen würde. Beide Nationen hätten, so Hitler einen Topos des italienischen Nationalismus aufgreifend, einen „proletarischen“ Charakter, da sie beide historisch verspätet an der Aufteilung der produktiven Zentren der Welt teilgenommen hätten, was sich im Fehlen bzw. im Mangel an Kolonien ausdrücke. Beide teilten nach Hitlers Worten auch die Erfahrung der feigen Gesinnung in der Verhängung der Sanktionen und des kürzlich abgeschlossenen französisch-britischen Militärabkommens.¹¹⁷ Außerdem sprach Hitler Italien seine große Sympathie aus, „egal was geschehe“.¹¹⁸ Zugleich geißelte er das Vorgehen des Völkerbundes als „unehrenhaft“, da 52 Staaten gegen einen vorgingen. Dies zeige dessen „freimaurerisch-jüdisch-demokratisch-kommunistischen“ Charakter. Hinsichtlich der österreichischen Frage meinte er drittens, dass er einem deutsch-österreichischen Nichteinmischungsvertrag prinzipiell nicht im Wege stehe. Eine solche Vereinbarung halte er jedoch mit der gegenwärtigen, vollkommen antinationalsozialistischen Regierung für unmöglich, wie die letzte Rede Starhembergs beweise. Mit diesem Hinweis attackierte Hitler die Position des österreichischen Vizekanzlers und sog. Bundesführers der Vaterländischen Front, der sein unbedingter Gegner und der entschiedenste Verfechter der Anlehnung an Italien zur Bewahrung der Eigenstaatlichkeit der Alpenrepublik war. Außerdem gab er, wiederum unaufrichtig, zu verstehen, dass das österreichische Problem für ihn nicht auf der Tagesordnung stehe. Seine Politik sei gegenwärtig und für lange Zeit nur die eines Verzichtes auf den Anschluss – und hier zitierte Manacorda in seinem Bericht die Worte Hitlers auf Deutsch: „Ich abstiniere“.¹¹⁹ Taktisch geschickt wiegelte Hitler weiter ab, indem er in einem Interview mit dem „Völkischen Beobachter“ äußerte, die Anschlussfrage in Berlin sei nicht akut, „dieses Schreckgespenst benötigt man in Wien aus innenpolitischen Gründen“.¹²⁰ Viertens zeigte sich Hitler gegenüber Manacorda von der technischen und moralischen Vorbereitung – vor allem seitens des „Duce“ und des italienischen Volkes –, die es Italien ermögliche, den Abessinienfeldzug siegreich zu beenden, vermeintlich
Am 19. Januar 1936 setzte der italienische Botschafter Attolico den deutschen Außenminister Neurath über eine angebliche französisch-britische Militärkonvention in Kenntnis, die über den Abessinienkonflikt hinausgehe, vgl. Funke: Sanktionen und Kanonen, S. 104. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 22. Januar 1936, S. 1. In: AdN della Sapienza, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre, Sottofasc. Colloquio Mussolini, gennaio 1936, Relazione XII. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 22. Januar 1936, S. 1. Der Führer über deutsche Lebensfragen. Unterredung des Führers mit der Vertreterin des ‚Paris Soir‘. In: Völkischer Beobachter vom 27. Januar 1936. S. 1– 2, hier S. 2.
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überzeugt. Tatsächlich erachtete der deutsche Diktator die italienischen Chancen noch am 17. Januar als gering, weil er das afrikanische Buschgelände für eine moderne motorisierte Kriegführung mit Panzern für ungeeignet hielt. Geradezu abfällig äußerte man sich zu diesem Zeitpunkt auch in Wehrmacht und Partei über die Kampfkraft der italienischen Armee.¹²¹ Doch schon vier Wochen später glaubte Hitler offenbar daran, dass es Mussolini gelänge, Äthiopien vollständig zu erobern. Eine deutsche Funkstation in Addis Abeba und ein Korrespondent des „Völkischen Beobachters“ im Hauptquartier Badoglios versorgten ihn mit den nötigen Informationen über die militärische Lage und beseitigten so seine Zweifel. Fünftens erklärte Hitler bezüglich der Kohlelieferungen nach Italien, Deutschland werde sich vom Völkerbund keine Reglementierungen seines Außenhandels aufzwingen lassen. Das Reich sei freiwillig aus der Genfer Versammlung ausgetreten und werde weder früher noch später dorthin zurückkehren. Das „Nie“ habe Hitler drei Mal wiederholt.¹²² Überdies sei er der festen Überzeugung, dass weder der Völkerbund noch die kapitalistischen Staaten jemals die [deutschen] Kolonien zurückgeben würden. Sechstens habe er absolutes Vertrauen in die fast abgeschlossene deutsche Aufrüstung. Die russischen Streitkräfte seien zwar sehr groß, aber wenig kampfstark. Siebtens beeilte sich Hitler, für die von Manacorda zur Sprache gebrachten italophoben Presseartikel antinationalsozialistische wie zugleich antifaschistische Strömungen verantwortlich zu machen, deren Überwachung er verstärken und die er eliminieren werde. Gleichzeitig versprach er, in der parteinahen und -eigenen Presse positiv über Italien zu berichten. Achtens bedankte sich Hitler ausdrücklich für die offenen „ausser- und überdiplomatischen“¹²³ persönlichen Kontakte, wie es ebenfalls im Text auf Deutsch heißt, die er gerne wieder erneuern werde. Neuntens lobte Hitler das ihm überbrachte Geschenk von d’Annunzio – und wenn man den Aufzeichnungen Manacordas in diesem Punkt glauben darf, – auch dessen illustriertes Schmuckbändchen „Italienische Madonnen des Quattrocento“¹²⁴. Manacorda zog folgendes Resümee: Bezüglich der Schlussfolgerungen, die Eure Exzellenz im höchsten Interesse des Landes zu treffen haben und in Anbetracht der Vorbehalte aus religiöser Sicht, die ich gegenüber dem Nationalsozialismus hatte und habe, muss ich gestehen, dass die offenen und entschiedenen Erklärungen bezüglich der Genfer und Pariser Umschweife (Verhandlungen de La Rocque) auf mich wie das Atmen von Bergluft nach einem Aufenthalt im Sumpf gewirkt haben.¹²⁵
Außerdem bedankte er sich für die Unterstützung, die er während seines einwöchigen Berlin-Aufenthaltes von Attolico erhalten habe. Weitere Details wolle er mündlich mit
Funke: Sanktionen und Kanonen, S. 103 u. 114– 115. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 22. Januar 1936, S. 2. Ebd. Manacorda, Guido: Italienische Madonnen des Quattrocento. Berlin 1935. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 22. Januar 1936, S. 2– 3.
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Mussolini besprechen, für den er ab 29. Dezember in Rom wieder zur Verfügung stehe.¹²⁶ Am 30. Januar 1936 empfing Graf Ciano Manacorda in seinem Propagandaministerium, das von ihm zum Nebenaußenministerium ausgebaut worden war.¹²⁷ Die Ernennung des germanophilen Ciano zum Außenminister im Mai leitete dann das Bündnis mit dem „Dritten Reich“ ein. Gegenstand der Unterredung war also ganz folgerichtig das deutsch-italienische Verhältnis. Wie den Notizen Manacordas zu entnehmen ist, berichtete er dem Minister über seine Gespräche in Berlin. Darüber hinaus wurde über die Haltung Englands, Danzig, die Stresa-Front, den Vatikan, Abessinien und die Reaktion auf katholischer Seite gesprochen. Über ein weiteres Gespräch mit Hassell referierte Manacorda am 6. Februar wiederum Mussolini: Der Botschafter war sehr einverstanden mit der deutsch-italienischen Wiederannäherung, die nun in der Presse und zwischen den Völkern vertieft werden müsse.¹²⁸ Hassell wünsche sich, so Manacorda, dass Ende März ein Ausgleich zwischen Kirche und Nationalsozialismus zum beiderseitigen Nutzen angestrebt werde. Wie Manacorda Mussolini bereits erläutert habe, solle sich die Kirche jeder politischen Betätigung enthalten, insbesondere von einer Wiedererrichtung der Zentrumspartei absehen. Als Gegenleistung solle sich das Reich verpflichten, das religiöse Gefühl, den Kult und den Klerus vorbehaltlos zu respektieren.¹²⁹ Über die Vermittlung des bekennenden Katholiken, Erziehungsminister Cesare Maria De Vecchi di Val Cismon, mit dem er mehrfach zusammentraf, wollte Manacorda bis Ostern eine Einigung erreichen. Dieses Ziel suchte er über Mussolini, außerdem durch Verhandlungen mit dem deutschen Botschafter, dem Auswärtigen Amt und Hitler sowie mit geistlichen Würdenträgern in Rom zu erreichen.¹³⁰ Zwar war eine Verständigung zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus das dringendste Anliegen Manacordas, im Zentrum des Interesses des faschistischen Regimes stand sie in keiner Weise. Dies galt umso mehr, als es sich dabei, wenn schon nicht um eine innere Angelegenheit des Reiches, so doch höchstens um eine bilaterale Angelegenheit
Dem Bericht Manacordas an Mussolini liegt eine verschlüsselte Liste mit Decknamen für Mussolini („Alessandro“), Hitler („Enrico“) und Goebbels („Gustavo“) bei. Weitere Zuordnungen bezogen sich auf nationale Mythen – Ungheria (Stefano), Frankreich (Giovanna) – oder (alltags)kulturelle Besonderheiten – Österreich (Strauss), Svizzera (Cioccolata). Die Entsprechung für den Faschismus war „Primavera“, für den Nationalsozialismus ggf. des Parteibrauns wegen „Autunno“, vgl.: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 30 – 31 gennaio, Relazioni XII–XIII. Celso Luciano, Capo Gabinetto Maggiore del Minculpop, an Guido Manacorda, Telegramm vom 29. Januar 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. Ciano. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 5. Februar 1936 (Anhang I). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, Relazione XV. Ebd. Guido Manacorda an Cesare Maria De Vecchi, Brief vom 5. Februar 1936. In: AdN della Sapienza Rom Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. De Vecchi.
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zwischen Vatikan und Deutschland handelte, bei der Italien allenfalls eine Vermittlerfunktion zukommen konnte. Hingegen war die deutsch-italienische Annäherung zuallererst von einer für beide Seiten akzeptablen Lösung der Österreichfrage abhängig. Sie stand daher im Vordergrund. Sie war vom aktuellen Äthiopienkonflikt mit allen seinen direkten und indirekten Implikationen bestimmt, der die Handlungsmöglichkeiten des unter dem Druck des Völkerbundes stehenden Italien geschmälert und diejenigen Deutschlands erhöht hatte. Die deutsche Diplomatie war entschlossen, diesen Spielraum zu nutzen. Am 22. Februar erzielte Mussolini in einem längeren Gespräch mit Hassell Übereinstimmung in wichtigen Grundfragen, die sich aus der permanenten krisenhaften Situation ergaben, darunter über die Sanktionen, den Völkerbund und Locarno. Mussolini sagte zu, sich nicht an einer Verurteilung Deutschlands seitens Frankreichs und Großbritanniens wegen eines angeblichen Bruchs des Locarno-Vertrages zu beteiligen. Diese Versicherung wiederholte er am 9. März noch einmal. Er fühlte sich aber zunächst nicht an sie gebunden, weil er parallel zu der Annäherung an NS-Deutschland weiter mit den Westmächten verhandelte.¹³¹ Mussolini hatte sich immer noch nicht endgültig entschieden, die italienische Außenpolitik neu auszurichten. Der „Duce“ instruierte Manacorda daher sorgfältig. In seiner Audienz bei Mussolini am 3. März 1936 wurden Manacordas bevorstehende offiziöse Missionen nach Belgien, in die Schweiz und nach Frankreich sowie nach Deutschland besprochen.¹³² Wie der Gesprächsnotiz zu entnehmen ist, ging es diesbezüglich um ein etwaiges Treffen Mussolinis mit Hitler, den Völkerbund, das deutsch-englische Abkommen und religiöse Fragen.¹³³ Durch den handstreichartigen Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 7. März in das durch den Versailler Vertrag entmilitarisierte Rheinland wurde die deutsch-italienische Annäherung noch einmal für einige Wochen verzögert. Das eigentliche Faktum der deutschen Besetzung und die einseitige Aufkündigung des Vertrages von Locarno ließen Mussolini zwar relativ gleichgültig. Anders verhielt es sich mit dem an die Westmächte gerichteten Angebot Hitlers, Deutschland könne ggf. wieder in den Völkerbund eintreten, das Mussolinis Argwohn weckte. Dass das Reich dem Völkerbund fern bleibe, hatte Hitler ihn ja erst kürzlich über Manacorda wissen lassen.¹³⁴ Und nicht nur gegenüber dem Florentiner Germanisten hatte sich der deutsche Diktator entsprechend festgelegt, wie der Botschafter Hassell in seinen privaten Aufzeichnungen resümierte: Hier in Rom steht natürlich unsere Bereitschaft für den Völkerbund im Vordergrunde der Kritik. Auch hier spielt die Frage von Hitlers Glaubwürdigkeit, in einem anderen Sinne allerdings, eine
Messerschmidt, Manfred: Außenpolitik und Kriegsvorbereitung. In: Ursachen und Voraussetzungen des Zweiten Weltkrieges. Hrsg. von Wilhelm Deist, dems., Hans-Erich Volkmann und Wolfram Wette. Frankfurt a. M. 1989. S. 641– 850, hier S. 730. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Mussolini Colloquio, 13 marzo 1936, Relazione XIV. Ebd. Darauf weist auch Renato Mori hin, vgl. Mori: Verso il riavvicinamento fra Hitler e Mussolini, S. 110.
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bedenkliche Rolle. Suvich, Theodoli (Sambuci) und Prof. Manacorda betonten gleichmäßig, daß Hitler noch vor wenigen Wochen gerade Italienern (Manacorda und Attolico) gegenüber auf das bestimmteste erklärt habe, er werde nicht in den V[ölker]b[und]d zurückkehren. Manacorda erzählte mir, er habe, auf den Tisch schlagend gesagt: ‚Niemals, niemals, niemals!‘ Im Übrigen habe ich Hitler, als Attolico mir Sorgen dieserhalb aussprach, im Januar selbst gefragt, und die Antwort erhalten: ‚Ich denke nicht daran!‘¹³⁵
Auch Botschafter Attolico berichtete Mussolini von Hitlers diesbezüglicher Zusage an Manacorda.¹³⁶ Auf diese scheinbare Kehrtwende reagierte die italienische Seite deswegen nervös bis alarmiert, weil eine deutsche Rückkehr nach Genf Italien des wichtigen Druckmittels eines Austrittes aus dem Völkerbund beraubt hätte. Außerdem befürchtete Mussolini, dass die Rheinlandbesetzung zwischen England und Deutschland abgesprochen sein könnte. Daher betrachtete der aufgebrachte Diktator das deutsche Vorgehen als einen Verrat, wie er in einer Unterredung am 7. März dem deutschen Botschafter gegenüber zu verstehen gab.¹³⁷ Hassell gelang es nicht, Mussolini zu beruhigen und dessen starken Zweifel zu zerstreuen. Acht Tage nach diesem Vorfall, am 15. März 1936, führte Hassell eine weitere Unterredung mit Manacorda.¹³⁸ Erstens versicherte der Botschafter Manacorda, um die italienische Vermutung eines deutsch-britischen Fait accompli zu entkräften, dass keine der europäischen Kanzleien, England eingeschlossen, über das deutsche Vorgehen im Bilde gewesen sei. Allein Italien sei konsultiert worden.¹³⁹ Zweitens ging Hassell auf den von Hitler nach dem Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland am 7. März 1936 in seiner Friedensrede in Aussicht gestellten deutschen Wiedereintritt in den Völkerbund ein. Hassell hielt diese Option für unwahrscheinlich, da sie nicht den Intentionen Hitlers entspreche. In zwei Gesprächen, die er mit Hitler geführt habe, habe dieser eine Rückkehr nicht im Entferntesten in Betracht gezogen. Die Offerte sei im letzten Moment in die Hitler-Rede aufgenommen worden. Woher die Einflüsterung Vgl. Hassell: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 1938, S. 129 – 130. Bernardo Attolico an Benito Mussolini, Telegramm vom 7. März 1936. In: DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. III. 1. Januar – 9. Mai 1936. Roma 1999, Dok. 395, S. 457– 459, hier S. 458. Ulrich von Hassell schrieb über die Benachrichtigung Mussolinis am 7. März: „Mussolini empfindet also nicht nur, daß ihm die Waffe der Drohung mit dem Austritt aus der Hand geschlagen worden ist, sondern er fühlt sich auch getäuscht. […] Bei meiner Unterhaltung am Sonnabend, dem 7.3. früh, nahm ich Plessen mit hinein […]. M[ussolini] zeigte nicht, wie z. B. nach dem Dollfußmord, zornige Erregung, sondern eher eine Art Geschlagenheit“, vgl. Hassell: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 1938, S. 130 sowie Mori: Verso il riavvicinamento fra Hitler e Mussolini, S. 109. Sein Begleiter Plessen notierte: „Mein Gesamteindruck geht dahin, daß Mussolini […] die ihm gemachten Mitteilungen nicht schlechter hätte aufnehmen können, daß er die von uns beabsichtigten Maßnahmen für eine Dummheit hält und sie als einen Verrat an Italien betrachtet“, vgl. Funke: Sanktionen und Kanonen, S. 123. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief v. 16. März 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 2 maggio 1936, Relazione XV. Tatsächlich wurde Mussolini durch Hassell am 7. März nicht später als die Regierungen der anderen Locarno-Mächte informiert. Allerdings war er bereits u. a. durch Attolico auf eine bevorstehende Aktion hingewiesen worden, vgl. Renzo De Felice: Mussolini il duce. I., S. 734.
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komme, sei unklar, möglicherweise stamme sie von Ribbentrop. Drittens würde sich Deutschland, selbst in dem unwahrscheinlichen Fall eines Wiedereintritts in den Völkerbund, als Freund Italiens erweisen und Position gegen die beiden hegemonialen demokratischen Großmächte beziehen. Viertens erklärte der Botschafter, dass er einen Pakt mit Großbritannien und Frankreich augenblicklich für unwahrscheinlich und ein Bündnis unter Einschluss Russlands gänzlich für ausgeschlossen halte. Hassell mahnte fünftens die Unterstützung Italiens an. Das Reich sei sehr enttäuscht darüber, dass Italien in den Konsultationen des Völkerbundsrats ohne Weiteres die juristische Feststellung akzeptierte, dass Deutschland eine flagrante Verletzung der Verträge von Versailles und Locarno begangen habe, nachdem das Reich während der Sanktionskrise Italien nachdrücklich entlastet habe. Hassell hoffe sehr, dass sich Italien jeglicher feindlicher Schritte gegenüber dem Reich enthalte und dessen Interessen wahre.¹⁴⁰ Schon am 8. und 13. März hatte Hassel dem bekannt germanophoben Unterstaatssekretär im Außenministerium Suvich gleichlautende Erklärungen gemacht, die er jetzt vor dem Mussolini-Vertrauten Manacorda wiederholte. Offensichtlich misstraute der deutsche Botschafter der offiziellen italienischen Diplomatie und wollte durch den informellen Kontakt mit dem Florentiner Germanisten sicherstellen, dass seine Erläuterungen den „Duce“ auch wirklich erreichten. Diese Vermittlerfunktion erfüllte Manacorda voll und ganz, indem er Mussolini umgehend über die fünf Gesprächspunkte informierte.¹⁴¹ Diese Verlautbarungen Hassells bezogen sich auf den Umstand, dass Italien nicht, wie von Deutschland erhofft, die Stresa-Front verlassen, sondern sich stattdessen gegenüber Frankreich und Großbritannien lediglich nicht dazu in der Lage erklärt hatte, als vom Völkerbund sanktioniertes Land ökonomische, politische oder militärische Maßnahmen gegenüber dem Reich zu veranlassen. Es war offenkundig, dass Mussolini jetzt zwar eine antideutsche Politik vermied, aber weiterhin zwischen Deutschland und den Westmächten lavierte: Zunächst hatte sich Italien am 19. März der Verurteilung des deutschen Vorgehens in einer Resolution durch den Völkerbundsrat angeschlossen. Am 24. März allerdings, als in der Versammlung des Völkerbundes über die Beschlüsse vom 19. März beraten werden sollte, wurde klar, dass Italien den Resolutionsentwurf nicht unterzeichnet hatte, sodass dieser Punkt von der Tagungsordnung gestrichen wurde.¹⁴² Hintergrund dieses Stimmungswandels war aber beileibe keine Deutschfreundlichkeit, sondern das simple Faktum, dass sich die Zustimmung vom 19. März für Italien nicht materialisierte, weil zwischenzeitlich deutlich wurde, dass die Briten ihre Sanktionspolitik nicht mildern wollten.¹⁴³ So
Vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief v. 16. März 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 2 maggio 1936, Relazione XV. Vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. März 1936, sowie der ausführliche Bericht in: Ders. an dens., Brief vom 16. März 1936, beide ebd. Messerschmidt: Außenpolitik und Kriegsvorbereitung, S. 731; Funke: Sanktionen und Kanonen, S. 141. Funke: Sanktionen und Kanonen, S. 142.
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beschleunigte sich im Frühjahr 1936 die deutsch-italienische Annäherung. Unter anderen besuchten mit dem Unterstaatssekretär und „Führer“ der Operazione nazionale dopolavoro, Renato Ricci, und Landwirtschaftsminister Rossoni nun auch offizielle Emissäre Deutschland, die demonstrativ herzlich empfangen wurden. Am 1. April schlossen außerdem der Chef der italienischen Polizei Bocchini und Himmler in Berlin ein geheimes gemeinsames Polizeiabkommen zur Bekämpfung des ideologischen Gegners.¹⁴⁴ Im Gegenzug reiste Reichsminister Frank im April nach Rom. In dieser Periode agierte Manacorda ebenfalls noch als willkommener Vermittler. Gerade von deutscher Seite war er als Gesprächspartner akzeptiert. So äußerte Frank während seiner Unterredung mit Unterstaatssekretär Erzbischof Pizzardo¹⁴⁵ im Vatikan den Wunsch, gerne mit Manacorda in Rom eine Unterredung führen zu wollen, wie Botschafter Attolico in einem Brief vom 24. April 1936 dem Professor mitteilte, der zu diesem Zeitpunkt den Zenit seines Renommees als Vermittler zwischen Hitler und Mussolini erreicht hatte. Bezüglich der deutsch-italienischen Annäherung fügte er hinzu, dass die Dinge einen günstigen Verlauf nähmen, und wenn Manacorda käme, so liefen sie noch besser.¹⁴⁶ Das war nicht einmal übertrieben, denn in diesen Monaten ging dieser im Palazzo Venezia ein und aus. So führte er am 2. Mai 1936 ein weiteres Gespräch mit Mussolini, in dem er seine bevorstehenden Gespräche in Wien mit Papen ankündigte.¹⁴⁷ Manacorda schlug einen erneuten Besuch bei Hitler vor, der sehr nützlich sein könne. Gleichzeitig kündigte er an, einen persönlichen Kontakt Mussolinis mit Stalin in Moskau herstellen zu wollen.¹⁴⁸ Vom 9. Mai datiert ein Bericht an Mussolini über seine Gespräche in Wien mit Bundeskanzler Schuschnigg sowie vor allem mit katholischen Vertretern, aber auch ein zweistündiges Gespräch mit Franz von Papen, der seit 1934 als Außerordentlicher Gesandter an der Deutschen Botschaft in Wien, ab 1936 dann im Range eines Botschafters, tätig war. Im Gespräch mit Papen sondierte Manacorda u. a. die Möglichkeit einer Wiederholung des Putsches von
Garzarelli: „Parleremo al mondo intero“, S. 194. Während des Äthiopienfeldzuges, so der Historiker Alessandro Visani, teilte Giuseppe Pizzardo (1877– 1970) Mussolinis Phantasmagorie einer jüdischen Verschwörung. Visani betont außerdem die zentrale Stellung Pizzardos trotz des Präfixes in seinem Titel Unterstaatssekretär in der Hierarchie des Heiligen Stuhls als gleichrangige Nummer zwei auf einer Höhe mit Kardinalstaatssekretär Pacelli, vgl. Visani, Alessandro: Il Fascismo, la Santa Sede e le leggi razziali del 1938. In: QFIAB 87 (2007). S. 337– 354, S. 339. Diese Feststellung mag übertrieben sein, gleichwohl wirkte Pizzardo als Sekretär der im Zitat erwähnten Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten politisch, auch weil er in dieser Eigenschaft Konsultor des Heiligen Offiziums war, vgl. Wolf, Hubert: Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich. München 2008, S. 275. Vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 1– 2 giugno 1936, Relazioni XVI–XVII. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 27. April 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 2 maggio 1936, Relazione XV. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 21. April (Natale di Roma) 1936, ebd.
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1934.¹⁴⁹ Papen stellte bei diesem Treffen eine Lösung der Österreichfrage auf Grundlage der hitlerischen Konzeption in Form eines Mitteleuropa-Blocks unter Beteiligung von Deutschland, Italien, Polen, Österreich und Ungarn vor. Deutschland könne politisch nach der Ukraine und ökonomisch auf die Balkanhalbinsel im Einvernehmen mit Italien expandieren. Darüber hinaus erklärte er den Verzicht auf den Anschluss sowie auf einen nationalsozialistischen Putsch und die Unverletzlichkeit der Brennergrenze. Er wehrte sich gegen die Unterstellung vieler, er betreibe die gleiche Politik wie Habicht, nur nicht mit Waffen und im „Frack“. Er habe vor Antritt seiner Mission in Wien auf der Ausschaltung von Habicht bestanden. Trotzdem sähe er sich in Wien von offizieller Seite tiefem Misstrauen ausgesetzt. Sogar Kardinal Innitzer habe ihn nicht empfangen wollen. Papen sprach von einer schweren Krise des Katholizismus in Deutschland und befürwortete die von Manacorda bereits Mussolini und dem vatikanischen Staatssekretär vorgelegte Lösungsmöglichkeit, auch wenn er auf die gravierenden Hindernisse hinwies. Papen bot sich selbst als Vermittler bei Mussolini an, eine vorherige Autorisierung durch Hitler vorausgesetzt. Diesbezüglich bat er auch Manacorda um Vermittlung. Sollte es zu einem Bruch zwischen Vatikan und Nationalsozialismus kommen, so beabsichtige er, seine politische Karriere zu beenden. Mussolini drückte er seine Bewunderung angesichts des vollständigen italienischen Sieges über Äthiopien aus. Am 5. Mai waren die Italiener in Addis Abeba einmarschiert.¹⁵⁰ Einige weitere persönliche Enthüllungen wollte Manacorda Mussolini direkt mitteilen. Gespräche führte Manacorda auch mit Schuschnigg, mit Monsignore Fried, katholischen Laien, dem katholischen Philosophen Prof. Hildebrand und dem apostolischen Nuntius Sibilia. Diese werden im nächsten Kapitel geschildert.¹⁵¹ 3. Gespräch am 15. Mai 1936: Das circa anderthalbstündige, in seiner Schilderung sehr herzliche Gespräch, das Manacorda am 15. Mai mit Hitler führte, hatte ganz überwiegend politisch-religiöse Themen zum Gegenstand.¹⁵² Dies lag vor allem daran, dass Manacorda auf Anweisung Mussolinis auf politische Fragen verzichtete. Weil er im Auftrag des „Duce“ nach Berlin kam und Hitler ihm wie gesehen vertraute, erhielt er rasch und problemlos diese dritte Audienz. Dennoch habe Hitler, so berichtete Manacorda Mussolini, von sich aus zu einigen politischen Punkten Stellung genommen. Er anerkenne die Ähnlichkeit und Solidarität der beiden Regime. Deshalb werde Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936, S. 1. In: AdN della Sapienza, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Fasc. Carteggio politico, Sottofasc. Mussolini, Colloqui 1– 2 giugno 1936.Vgl. DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. IV. 10. Mai – 31. August 1936. Roma 1993, Dok. 44, S. 51– 53. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936 (Anhang 1), S. 2. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Mussolini, Colloqui 1– 2 giugno 1936. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936, ebd. Relazione III. Carteggio politico-religioso 1936. 1° semestre Problema religioso-germanico (Colloquio col Fuehrer, 15 maggio ’36) sowie AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, IV bis. Die beiden Dokumente liegen im Anhang erstmals gedruckt vor.
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er die baldige oder ferne Neuordnung Europas weder ohne noch gegen Italien vornehmen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass England versuche, ein Bündnis mit Frankreich und Deutschland unter Einschluss Russlands zu erhalten. Dem kommunistischen Russland gelte sein unauslöschbarer Hass, denn „Bolschewismus bedeute Judaismus“ und deshalb sei kein Einvernehmen möglich. Hitler stehe Eden sehr feindlich gegenüber, verhandle aber angesichts seiner prekären Lage in Europa mit England, das für Deutschland eine Schlüsselrolle spiele wie Frankreich für Italien. Hitler stimmte der vollkommenen Annexion Äthiopiens in das neue italienische Imperium zu, da Taten mehr zählten als Worte. Die Fiktion des Völkerbundes, dass das Kaiserreich Äthiopien fortbestehe, halte er für lächerlich. Der Sieg Italiens beweise, dass der Glaube Berge versetzen könne. In seinem Bericht an Mussolini¹⁵³ schrieb Manacorda, Hitler erkläre, es sei zweifelsfrei der Fall, dass der überwiegende Teil des Klerus das Zentrum wieder gründen wolle und viele mit dem Nationalsozialismus sympathisierende Priester an der Ausübung ihres Amtes behindert würden. Im Rheinland hätten die Katholiken mit den Kommunisten paktiert.¹⁵⁴ Des Weiteren seien auf den Vorschlagslisten für Lehrer, die ihm gemäß dem Konkordat vorgelegt würden, mehrheitlich Zentrumsleute, was ihn schmerze, Rosenberg hingegen triumphieren ließe. Hitler sei der Ansicht, dass ein dauerhaftes und einvernehmliches Abkommen mit dem Heiligen Stuhl nur zu erreichen sei, wenn die deutschen Bischöfe folgende Punkte akzeptierten: Erstens sei der Nationalsozialismus als politische Tatsache „unwiderruflich“ anzuerkennen, wobei er das italienische Beispiel anführte. Zweitens müsse der Klerus seine absolute Loyalität zum NS-Regime erklären. Drittens sollten die Bischöfe nicht länger die am 15. September 1935 erlassenen Nürnberger Rassegesetze bekämpfen, die seiner Ansicht nach dem Katholizismus nicht schaden, sondern ihm nützen würden. Seiner Auffassung nach bildeten die arisch-jüdischen Mischehen kein – wie Rosenberg meine – wirkliches Vergehen. Wahr sei aber auch, dass diese trotzdem unweigerlich zu einem Niedergang der Rasse führen, wie Wissenschaft, Erfahrung und die Statistik unerbittlich lehrten. Der „Führer“ sei sich gewiss, dass künftig die Kirche die Gesetze der Rasse genauso anerkennen würden wie heute das kopernikanische System. Er bevorzuge eine gemeinsame Erklärung der deutschen Bischöfe und des Vatikans, in der die deutschen Bischöfe den Anweisungen aus Rom nur dann Folge zu leisten hätten,
Guido Manacorda an Benito Mussolini, Bericht über seine Unterredung mit dem Führer vom 15. Mai 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Relazione IVbis. Hitler bezog sich hier auf die Verhaftung des Generalpräses der Katholischen Jungmännervereine Deutschlands (KJMVD) Ludwig Wolker und 56 seiner Mitarbeiter des Jugendhauses in Düsseldorf. Sie erfolgte am 6. Februar 1936 unter der Anschuldigung des Hochverrats und der Zusammenarbeit mit der KPD. Der Vorwurf ließ sich allerdings nicht erhärten und Wolker wurde nach drei Monaten freigelassen. Lediglich sieben Verhafteten wurde der Prozess gemacht, nur vier davon wurden im April 1937 überhaupt verurteilt, vgl. Hürten, Heinz: Kurze Geschichte des deutschen Katholizismus 1800 – 1960. Mainz 1986, S. 239 – 240.
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insofern sie mit ihren eigenen Meinungen übereinstimmten. Zum Beweis seiner Ablehnung gegenüber heidnischem Fanatismus informierte Hitler Manacorda über ein angeblich kürzlich ausgesprochenes Publikationsverbot von Ludendorffs Zeitschrift.¹⁵⁵ Hitler bekräftigte außerdem seinen Glauben an die Vitalität der beiden großen Konfessionen in Deutschland. Von Manacorda gesammeltes antichristliches NS-Propagandamaterial¹⁵⁶, das er Hitler vorlegte, bezeichnete dieser als bedeutungslos und kühn als Provokationen des Zentrums. Er bekräftigte seine feste Absicht, die Prozesse wegen Devisenvergehen¹⁵⁷ mittels einer Generalamnestie zu beenden, zeigte sich aber betroffen von der katholisch-kommunistischen Verschwörung im Rheinland, wo er kurzen Prozess machen werde. Manacorda unternahm im Anschluss an seinen Berlin-Aufenthalt vom 20. bis 28. Mai eine Reise nach London, wo er – wie er Mussolini mitteilte – auf Wunsch der Reichskanzlei und des italienischen Botschafters in Berlin Attolico mit dem Außerordentlichen Bevollmächtigten Botschafter des Deutschen Reiches Ribbentrop ein einstündiges Gespräch führte.¹⁵⁸ Dieser beschwor die deutsch-italienische Solidarität auf politischer und moralischer Ebene, die seiner Ansicht nach durch die gemeinsamen Gegner gestärkt werde. Deutschland suche und pflege die Freundschaft mit Großbritannien, aber die Bindungen zwischen Deutschland und Italien würden in der Zukunft noch fester und fruchtbarer sein. Er warnte aber vor einer Annäherung an die Sowjetunion, die zu einem Bruch führen würde. Deshalb sei eine gemeinsame antibolschewistische Front absolut notwendig. Eine solche Front stelle auch das beste ‚Bollwerk‘ für den Katholizismus dar, fügte Ribbentrop an – wohl um den Erwartungen seines Gesprächspartners gerecht zu werden. Großbritannien werde angesichts der Erklärungen und eindeutigen Fakten, die Italien in Bezug auf seine imperialen Ambitionen habe verlautbaren lassen bzw. geschaffen habe, zurückweichen. Mussolini ließ er seine lebhaftesten Glückwünsche und herzlichste Verehrung mitteilen. Manacorda führte dies auf den tiefen Eindruck zurück, den der italienische Sieg – am 5. Mai waren wie erwähnt italienische Truppen in Addis Abeba einmarschiert, am 9. proklamierte Mussolini das Impero – auf die kriegerische Gesinnung des ‚Nazismus‘ gemacht oder gehabt habe. Diese Unterredung blieb die einzige diplo-
Tatsächlich war die antichristliche Bewegung von Erich und Mathilde Ludendorff 1933 verboten worden, 1937 sollte sie jedoch wieder zugelassen werden, vgl. Altgeld: Rassistische Ideologie und völkische Religiosität, S. 75. Die seit 1934 laufende antichristliche Kampagne der Partei war von eher lautlosen, aber wirkungsvollen SS- und Gestapo-Aktionen geprägt, vgl. Hehl, Ulrich von: Die Kirchen in der NS-Diktatur. Zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand. In: Deutschland 1933 – 1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Hrsg. von Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen. 2. Aufl. Bonn 1993. S. 153 – 181, hier S. 172. Der in der deutschen Presse erhobene Vorwurf, Ordensleute begingen Devisenvergehen, war Teil des Kampfes gegen die katholische Kirche, vgl. Kershaw, Ian: Hitler. 1936 – 1945. Stuttgart 2000, S. 16. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Berichte ohne Datum über die Gespräche vom 20.–27. Mai 1936 in Berlin, London und Bern. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Relazione IV.
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matische, welche er in England führte, da er auf die dringende Bitte des italienischen Botschafters in London, Grandi, auf Kontakte mit britischen Kreisen verzichtete.¹⁵⁹ Am 1. und 2. Juni 1936 empfing Mussolini Manacorda erneut, der ihm ausgiebig über seine Reisen berichtete. Wiederum ging es um das „Dritte Reich“.¹⁶⁰ In der ersten Hälfte des Jahres 1936 glaubte Manacorda aufgrund seines direkten Zuganges zu beiden Diktatoren offenbar daran, mit Verhandlungen über die Lage der Katholiken im diplomatischen Dreieck Reich – Heiliger Stuhl – Mussolini eine Vermittlerrolle einnehmen zu können. Es verwundert nicht, dass Manacorda von Hitler positiv beeindruckt war. Der „Führer“ vermochte auch NS-kritische Persönlichkeiten, wie Ian Kershaw gezeigt hat, für sich einzunehmen: Er bewies Geschick, sich auf die Empfindlichkeiten seines Gesprächspartners einzustellen, vermochte charmant zu sein, wirkte oft vernünftig und entgegenkommend. Auf jeden Fall war er ein gewandter Heuchler.¹⁶¹
Wie der britische Hitler-Biograph an gleicher Stelle anfügt, gelang es dem „Führer“ im November 1936, den Erzbischof von München-Freising, Kardinal Faulhaber, davon zu überzeugen, dass er zutiefst religiös sei.¹⁶² Manacorda war also beileibe nicht der Einzige, der sich täuschen ließ, doch im Juli war er angesichts der fortwährenden Katholikenverfolgungbereits sichtlich ernüchtert, wie er Papen schrieb: Es bleibt jetzt noch die recht schwere, um nicht zu sagen unheimlich drohende religiöse Frage in Deutschland. Ich habe mich damit nicht nur mit dem Führer, wie Ew. Exz. weiß, sondern auch mehrmals und noch neulich erst mit dem Duce und mit dem Vatican befasst. Leider muss ich anerkennen, dass die Frage momentan [an] einem toten Punkt angelangt ist.¹⁶³
In dieser Zeit flankierte Manacorda seine politisch-diplomatischen Missionen mit konkreten Veröffentlichungen. Diese journalistische Arbeit half ihm in mehrfacher Hinsicht: Zum einen galt er durch diese Publikationen, die er dann gesammelt als Monographien herausgab, als Experte. Dies war umso mehr der Fall, als er darin immer wieder direkt oder indirekt auf seine Verbindungen in die europäischen Hauptstädte verwies. Zum anderen besetzte er damit politische Themen in dem Rahmen, den die gelenkte Presse des faschistischen Italiens gestattete. Als Faschist dachte er jedoch gar nicht daran, diesen Rahmen zu sprengen. Im Gegenteil, er beteiligte sich an den öffentlichen Diskussionen, die innerhalb des Regimes von den
Ebd. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 1– 2 giugno 1936, Relazioni XVI–XVII. Kershaw: Hitler. 1936 – 1945, S. 66. Kardinal Faulhaber schrieb über Hitler: „Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott. Er anerkennt das Christentum als den Baumeister der abendländischen Kultur“, ebd. Guido Manacorda an Franz von Papen, Brief vom 16. Juli 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. Papen.
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verschiedenen faschistischen Strömungen geführt wurden. Nicht zuletzt machte ihn diese Arbeit in der italienischen Öffentlichkeit bekannt. Sie erhöhte sein Prestige und ermöglichte damit den Zutritt zum inneren Kreis des Regimes und zum Hof. Und eine weitere, ebenfalls streng abgeschottete Institution zeigte sich beeindruckt: der Kirchenstaat, der auf diese Weise auf Manacordas Verbindungen nach Deutschland aufmerksam gemacht wurde. Denn u. a. für das publizistische Leitorgan der italienischen Presse, den „Corriere della Sera“, verfasste Manacorda in dieser Zeit eine Reihe von Artikeln über die Volksfront und die kommunistische Gefahr sowie die Situation der Katholiken in Deutschland und Holland. Diese sowie eine umfangreiche Synthese des darin behandelten Materials legte er einem Gesuch an den Heiligen Stuhl um eine Audienz zunächst bei Pizzardo, dann bei Papst Ratti bei. Außerdem verwies er auf seine bevorstehende Unterredung mit dem „Duce“. Als Lösung der Probleme schlug er etwas nebulös ein Bündnis der Ordnungskräfte vor.¹⁶⁴ Manacorda hielt in seinem Schreiben an den Heiligen Stuhl die Ansicht, den Kommunismus als das kleinere Übel als den Nationalsozialismus anzusehen, die sich unter den Katholiken verbreite, für gefährlich, besonders jetzt, wo Spanien in Flammen stünde und die anarcho-kommunistische Republik sich wohl durchsetzen werde.¹⁶⁵ In Frankreich sei die Lage prekär, und in Belgien und Holland fange die rote kommunistische Glut schon zu glimmen an. Millionen von Katholiken würden Licht, Weisung und Trost aus Rom erwarten. Es sei an der Zeit zu handeln.¹⁶⁶ Auf diese Weise knüpfte Manacorda Kontakt mit dem Vatikan. Seine Hoffnung, als Einzelperson den Kirchenkampf im Reich beenden zu können, zeugt von einem hohen Maß an Selbstüberschätzung. Die naive Vorstellung, alle Parteien als aufrichtige Unterhändler an den Verhandlungstisch bringen zu können, verweist auf die Denkmuster eines Intellektuellen, der durch sachorientiertes, rationales Argumentieren zu Lösungen kommen will. Dabei verkannte er den totalitären Charakter des Nationalsozialismus völlig. Zugleich täuschte er sich auch in der Politik des Heiligen Stuhls, der doppelt agierte: Zum einen suchte er
Guido Manacorda an Segreteria di Stato, Brief vom 24. September 1936. In: Archivio Segreto Vaticano (Vatikanisches Geheimarchiv ASV) Città del Vaticano, AES, Francia, IV per., pos. 805, fasc. 367– 70, Intesa cattolici-radicali-comunisti. Die Wahlen vom Februar 1936 hatten zur Bildung einer bürgerlich-demokratischen Regierung geführt, die umfangreiche Sozialreformen in Angriff nahm. Trotz ihres bürgerlich-republikanischen Charakters galt sie im Ausland als sowjetisch inspiriert. Die von Frankreich und Großbritannien forcierte Politik der Nichtintervention auch durch den Völkerbund verhinderte nicht die durch massive Waffenhilfe unterstützte Intervention durch Italien und Deutschland, die schließlich in der Entsendung militärischer Einheiten (Legion Condor) gipfelte. Diese Politik führte schließlich tatsächlich zu einer sowjetischen Militärhilfe und Sowjetisierung der Republik. Sie trug maßgeblich mit zur Niederlage der legitimen Spanischen Republik bei, vgl. Weber, Hermann: Vom Völkerbund zu den Vereinten Nationen. Hrsg. von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Bonn 1987, S. 66 – 68. Guido Manacorda an Segreteria di Stato, Brief vom 29. Juli 1936, S. 3 in: ASV Città del Vaticano, AES, Francia, IV per., pos. 805, fasc. 367, 1936 Intesa cattolici-radicali-comunisti. Der Brief und die kommunistisch-katholische Zeitschrift liegen im Fondo Manacorda ebenfalls vor.
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das kirchliche Leben in Deutschland auf Dauer diplomatisch zu sichern, zum anderen setzte er sich weltanschaulich-dogmatisch mit der neuheidnischen Lehre auseinander. Manacorda suchte auf beiden Ebenen eine Versöhnung. Aus seiner Perspektive war ein Ausgleich zwischen Staat und Kirche wie in den Lateranverträgen durchaus konsequent, zumal dies nur eine politische Umsetzung seiner eigenen Faschismusdeutung als Synthese von politischer Doktrin und katholischem Fundament bedeutete. Ein Blick auf die handelnden Akteure zeigt außerdem, dass es von deutscher Seite und auch vom Vatikan Signale gab, die den Gedanken einer Einigung zumindest nicht völlig ausschlossen und dass auch andere Vermittler in ähnlicher Weise initiativ wurden. Eine Vielzahl von Mittelsmännern ging in der Kurie ein und aus, wie Padre Pietro Tacchi-Venturi, wie Monsignore Hudal, der Rektor des Collegio dell’Anima oder Franz von Papen, die das Staatssekretariat belagerten, weil sie eine erneute Übereinkunft zwischen dem Papst und Hitler betrieben.¹⁶⁷ Als Manacorda mit seiner Vermittlertätigkeit begann, sprach wenig dafür, dass es zu einer akzeptablen Regelung des Konfliktes kommen könne, allerdings war eine Einigung auch noch nicht völlig ausgeschlossen: Für die katholische Kirche nahm die Entwicklung der Lage in Europa in den 1930er Jahren bedenkliche bis dramatische Züge an. Anfangs hatte Pacelli den Aufstieg der Nationalsozialisten als Bündnispartner im Kampf gegen den Bolschewismus begrüßt und im März 1933 erklärt, einer Privataudienz Hitlers beim Papst stehe nichts im Wege.¹⁶⁸ Das am 20. Juli unterzeichnete Reichskonkordat hatte allerdings – wie von Pacelli befürchtet – den Nationalsozialismus nicht gemäßigt. Die Katholikenverfolgung in NS-Deutschland und die sich abzeichnende Annäherung zwischen dem „Dritten Reich“ und dem faschistischen Italien oder die NS-Orientierung österreichischer Katholiken waren dabei aber keinesfalls das einzige Problem der Römischen Kurie. Ebenso sehr zeigte sich der Heilige Stuhl von der Volksfront in Frankreich und mehr noch durch den Spanischen Bürgerkrieg beunruhigt, der sich mit Übergriffen gegen den Klerus seitens beider Parteien gegen die Kirche als Institution zu richten schien. Bezüglich des Verhältnisses zum Deutschen Reich trat dann in den letzten Jahren vor dem Ableben von Pius XI. im Februar 1939 eine Differenz in der Auffassung von der richtigen Politik zwischen Papst Achille Ratti und Pacelli zu Tage.Während Ersterer zunehmend einen Bruch mit NS-Deutschland in Betracht zog, setzte der Kardinalstaatssekretär weiter auf Verhandlungen. Zwar garantierte das Konkordat in Artikel 31 der Kirche ein eigenständiges Vereins- und Verbandswesen, inklusive der Jugendarbeit, detaillierte Ausführungsbestimmungen enthielt dieser Passus jedoch nicht. Diese sollten in gesonderten Gesprächen beschlossen werden, die jedoch 1935 scheiterten. „Genau in diese Lücke
Dazu zählten außerdem Agostino Gemelli, der französische Demokrat Francisque Gay sowie der antisemitische und antikommunistische Jesuitengeneral Ledóchowski, vgl. Fattorini: Pio XI, Hitler e Mussolini, S. XIII. Wolf: Papst und Teufel, S. 182.
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aber brach die terroristische Wirklichkeit des NS-Staates […] ein.“¹⁶⁹ Das NS-Regime brach das Konkordat fortwährend, während das Instrument der Kurie, die diplomatische Protestnote, wirkungslos blieb. Die Hoffnung des Vatikans, durch Verhandlungen zum Ziel zu gelangen, nahm zusehends ab. Dennoch gab es noch die vage Hoffnung, dass dieser Religionskampf nicht das Werk Hitlers, sondern nur rangniederer antiklerikaler NS-Fanatiker sei. „Weiß er [der ‚Führer‘] davon?“, fragte der Bischof von Münster, Clemens August von Galen: „Ich kann es kaum glauben.“¹⁷⁰ Hitlers Interesse an einem Ausgleich mit dem Vatikan ist für das ganze Jahr 1936 belegt. In der Tat, so Karl-Joseph Hummel, „interessierte sich Hitler damals in einem kurzlebigen kirchenpolitischen Experiment für die Schnittmenge zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus“.¹⁷¹ Im Februar 1936 hatte der Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerrl, den katholischen Bischöfen angeboten, die Angriffe auf die Kirche einzustellen, wenn der Klerus den Nationalsozialismus nicht weiter ablehne. Darüber hinaus stellte er eine baldige Übereinkunft in Aussicht.¹⁷² Gegenüber Kardinal Faulhaber erklärte der deutsche Diktator im November auf dem Obersalzberg: Entweder siegen Nationalsozialismus und Kirche zusammen oder sie gehen beide zugrunde. Ich werde all das Kleine, was die friedliche Zusammenarbeit stört, wie die Klosterprozesse und die Deutsche Glaubensbewegung, aus der Welt schaffen. […] Die Bischöfe werden also bestimmte Vorschläge machen müssen, […] noch bevor Hudal¹⁷³ zum Hoftheologen der Partei ernannt wird.¹⁷⁴
Brechenmacher, Thomas: Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ als Höhe- und Wendepunkt der päpstlichen Politik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland. In: Die Herausforderung der Diktaturen. Katholizismus in Deutschland und Italien 1918 – 1943/45. Hrsg. von Wolfgang Pyta u. a. Tübingen 2009. S. 271– 300, hier S. 279. Godman, Peter: Der Vatikan und Hitler. Die geheimen Archive. München 2005, S. 164. Hummel, Karl-Joseph: Alois Hudal, Franz von Papen, Eugenio Pacelli. Neue Quellen aus dem Anima-Archiv. In: Das Reichskonkordat 1933, Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente. Hrsg. von Thomas Brechenmacher. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen. Bd. 109). Paderborn u. a. 2007. S. 85 – 113, hier S. 97. Godman: Der Vatikan und Hitler, S. 161. Alois Hudal (1885 – 1963), Rektor des Pontificium Institutum Teutonicum Sanctae Mariae de Anima amtierte von 1923 – 1952. Die Öffnung des Hudal-Archives im Herbst 2006 zeigte, so der Direktor der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn Karl-Joseph Hummel, dass die Zweifel an seinen 1976 posthum edierten Tagebücher unberechtigt waren und Etiketten wie „brauner Bischof“ und „Fluchthelfer“ den Blick auf seine komplexe Persönlichkeit verstellen. Wie Hudal selbst angab, informierte er seit 1934 im Auftrag von Pius XI. über die Lage in Deutschland, vgl. Hummel: Hudal, Pacelli, von Papen, hier S. 85 – 87. Hitler zu Faulhaber am 4. November 1936, nach einem Bericht Faulhabers. In: Ludwig Volk (Bearb.): Akten Kardinal Michael von Faulhaber 1917– 1945 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, A 26). Bd. 2: 1935 – 1945, S. 184– 194, hier S. 193, zitiert nach ebd. Einige Tage zuvor hatte Franz von Papen Hitler das erste, mit einer persönlichen Widmung versehene Buch „Grundlagen des Nationalsozialismus“ überreicht, in der er die NSDAP in einen „anständigen“ rechtskonservativen und in einen nationalbolschewistischen christenfeindlichen Flügel einteilte. Obwohl Hitler die Veröffent-
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Der Konkordatsspezialist Pacelli¹⁷⁵ setzte weiter auf Verhandlungen und die Kraft des völkerrechtlich verbindlichen Abkommens mit dem Reich, wobei der Heilige Stuhl zu Beginn des Jahres 1937 sogar eine Kündigung des Konkordats erwogen hatte.¹⁷⁶ Klarer war die dogmatische Position des Vatikans zum „Dritten Reich“, denn über das kirchenfeindliche Wesen des Nationalsozialismus machten sich weder Papst Ratti noch Pacelli Illusionen. Im Staatssekretariat des Vatikans hatte man schon im September 1933 ein Gutachten über das Verhältnis von Heiligem Stuhl zur NS-Ideologie angefertigt. Am 14. Februar 1934 setzte das Heilige Offizium Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ und „Die deutsche Nationalkirche“ des Leipziger Philosophen Ernst Bergmann auf den Index der verbotenen Bücher.¹⁷⁷ Offen Partei für die verfolgten Juden zu ergreifen, trauten sich jedoch weder die deutschen Bischöfe noch die Kurie. Beide glaubten, sich – wenn überhaupt – nur für zum Katholizismus übergetretene Juden einsetzen zu können. Doch selbst die Bittbriefe der Konvertiten – wie der (im Gegensatz zu heute damals völlig unbekannten) Edith Stein – wurden vom Heiligen Stuhl ignoriert.¹⁷⁸ Dagegen erarbeitete seit Ende 1934 das Heilige Offizium einen „Syllabus“, der mit den modernen totalitären Ideologien abrechnete und explizit auch die Rassenlehre verwarf.¹⁷⁹ Basierend auf zwei Gutachten der Jesuiten Franz Hürth und Louis Chagnon, die im März und Mai 1935 fertiggestellt waren¹⁸⁰, lag ein entsprechender Entwurf im Oktober 1936 vor. Im November 1936 und im Juni 1937 wurde die Veröffentlichung dieses „Syllabus“ aber auf unbestimmte Zeit vertagt.¹⁸¹ Thomas Brechenmacher bezeichnet diese Enzyklika daher zu Recht als Beginn einer neuen Phase der Beziehungen zwischen Reich und Vatikan, die er mit der Leitformel „Konfrontation ohne Bruch“ charakterisiert.¹⁸² Gleiches gilt für die Enzyklika „Divini
lichung befürwortete und Hudal das Manuskript zur Zensur dem Propagandaministerium vorgelegt hatte, wurde sie durch Goebbels und Rosenberg erfolgreich hintertrieben. Vgl. Brechenmacher,Thomas: Der Papst im Zweiten Weltkrieg. In: Die Katholiken und das Dritte Reich. Hrsg. von Karl-Joseph Hummel und Michael Kißner. S. 179 – 195, hier S. 185 – 189. Ders.: Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, S. 283. Ebd., S. 286. Wolf: Papst und Teufel, S. 208 – 210. Auf Anregung Hudals im Herbst 1934 wurde im Vatikan bis zum Oktober ein „Syllabus errorum“ erarbeitet, der aus insgesamt 24 Propositionen bestand. Fünf davon wandten sich gegen Nationalismus und Faschismus, drei gegen den Totalitarismus und jeweils acht gegen Rassismus und Kommunismus. Die Kongregation beschloss aber am 18. November 1936 die Veröffentlichung auf unbestimmte Zeit zu suspendieren, vgl. Godman: Der Vatikan und Hitler, S. 252– 315. Der Entwurf vom Oktober 1936 findet sich auf den Seiten 276 – 281; Wolf, Hubert: Pius XI. und die „Zeitirrtümer“. Die Initiativen der römischen Inquisition gegen Rassismus und Nationalsozialismus. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 53 (2005). S. 1– 42. Brechenmacher: Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, S. 287 sowie Godman: Der Vatikan und Hitler, S. 252– 275. Im April 1937 lagen schon zehn statt acht zu verurteilende Lehrsätze zum Thema Rassismus und Nationalsozialismus vor, vgl. Wolf: Papst und Teufel, S. 294– 296. Brechenmacher: Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, S. 290. In dieser Quelle wird sichtbar, wie wenig Illusionen man sich im Vatikan über Hitlers Antisemitismus und Rassismus machte. Das be-
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Redemptoris“ vom 19. März 1937, in der der Kommunismus verworfen wurde, und die sich ebenfalls auf den besagten Entwurf des Syllabus bezog. Außerdem erschien am 13. April 1938 ein Reskript der Studienkongregation mit acht Thesen zum Rassismus, die ebenfalls auf den Vorarbeiten zum „Syllabus“ basierten, das an die katholischen Fakultäten verschickt wurde. Damit hatte der Papst der Wahrung der reinen Lehre aus seiner Sicht Genüge getan, indem er die Ansichten in „Mein Kampf“ widerlegt und in der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ der katholischen Lehre gegenübergestellt hatte.¹⁸³ „Das katholische Obrigkeitsdenken dürfte den Papst letztlich daran gehindert haben, Hitler namentlich zu verurteilen und sein Werk auf den Index zu setzen“, bilanziert der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf das Zögern von Pius XI. gegenüber dem „Dritten Reich“.¹⁸⁴ Außerdem ergänzten sich der aufbrausende Papst und sein zurückhaltender Staatssekretär in ihrem Temperament wechselseitig. Pius XI. setzte weiterhin sein vollstes Vertrauen in die diplomatischen Künste Pacellis, der bereits seine Papstkandidatur vorbereitete und weiterhin dafür sorgte, dass der Heilige Stuhl Hitlerdeutschland nicht zu offen verurteilte. Papst Ratti war sich über die Unvollkommenheit des Konkordats ebenfalls im Klaren. Obwohl er als konkordatsfixiert galt, war der Papst davon überzeugt, dass der Kampf zwischen der Christenheit und ihren Gegnern nicht der faschistisch-nationalsozialistische Kampf gegen den Bolschewismus sei, da Deutschland und Italien nicht auf der christlichen Seite stünden. Der Papst wollte keine Politik machen, wie ihm von Hitler und Mussolini vorgeworfen wurde, sondern zurück zum Ursprung des Glaubens mit der Gleichsetzung von Universalität und Kirche.¹⁸⁵ Das Verhältnis zwischen Heiligem Stuhl und Reich war also mehr als angespannt, als Papst Pius XI. Manacorda am 9. Oktober 1936 zu einer Audienz empfing und mit ihm über die Lage der katholischen Kirche in Deutschland sprach.¹⁸⁶ Der Papst bewertete die Situation als äußerst bitter und beklagte sich auch sehr über Hitler, den er sehr verurteilte. Manacorda meinte, diesbezüglich Pius über den Charakter Hitlers aufklären zu können, was diesen offensichtlich „etwas erleichterte“.¹⁸⁷ Im Geheimarchiv des Vatikans wurde die Audienz, im Gegensatz zu derjenigen am 9. April 1937, nicht vermerkt. Dies weist auf den inoffiziellen bzw. privaten Charakter des Empfangs hin, der dann nicht protokolliert wurde. So fanden sich Hinweise zu diesem Gespräch nur im Nachlass Manacordas in seinem Bericht an den „Duce“. Mit Giuseppe Pizzardo, stätigen auch die Dokumente Manacordas. Im Mai 1937 wurde der Höhepunkte einer neuen Prozesswelle gegen die katholische Kirche erreicht, vgl. Raem, Heinz-Albert: Pius XI. und der Nationalsozialismus. Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom 14. März 1937. Paderborn u. a. 1979. Wolf: Papst und Teufel, S. 303. Ebd., S. 305. Fattorini: Pio XI, Hitler e Mussolini, S. XVIII. Notiz in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I– Z, Sottofasc. Vaticano, Pio XI, Colloquio 5. Ottobre 1936, I. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Bericht vom 9. Oktober 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Mussolini Colloquio 15 dicembre 1936, Relazione XXII. Nach den Aufzeichnungen Manacordas fand das Gespräch am 5. Oktober 1936 statt.
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der wie gesehen den Ansichten Manacordas in der römischen Kurie politisch am nächsten stand, führte er auch ein Gespräch, u. a. über die Begegnung Hitlers mit Faulhaber am 4. November, aber auch über die holländische und britische Situation. Eine weitere Begegnung mit dem Unterstaatssekretär und Vertrauten des Papstes fand ebenfalls im November statt.¹⁸⁸ Im Frühjahr 1937 unternahm Manacorda einen weiteren Anlauf, das Reich und den Heiligen Stuhl zusammenzubringen. Anlass war eine bevorstehende Berlin-Reise. Manacordas Vortrag an der Hochschule für Politik war für den 10. März und die Audienz bei Hitler für den darauffolgenden Tag festgelegt. Mussolini hatte er zugesichert, dessen Anweisungen strengstens zu beachten.¹⁸⁹ Durch zwei vermutlich von Attolico stammende Niederschriften wurde Manacorda in seiner positiven Einschätzung hinsichtlich einer möglichen Annäherung bestärkt:¹⁹⁰ In der ersten wurde angesichts der antibolschewistischen Positionierung der deutschen Bischöfe und des Heiligen Stuhls eine Entspannung festgestellt. Wenn dieses antibolschewistische Bekenntnis auch Eingang in die Sonntagspredigten finde, merkte der Verfasser vertraulich an, könnte das politische Ergebnis noch positiver ausfallen.¹⁹¹ Ein Hauptproblem liege nach wie vor in der Erziehung der Jugend. Hier garantiere das Konkordat der Kirche mehr Recht, als ein totalitärer Staat einräumen könne. Wenn der Vatikan sich dieser neuen Situation stelle, sei ein Konsens möglich. Nach offiziösen Sondierungen über die Klärung der jeweiligen Einflusszonen könne das Verhältnis zwischen politischer und religiöser Loyalität geklärt werden.¹⁹² Es sei unwahrscheinlich, hieß es im zweiten Dokument, dass die Haltung des deutschen Klerus auf Instruktionen und Direktiven des Vatikans zurückgehe. Ursache sei vielmehr die Engstirnigkeit des deutschen Episkopats. Ein totalitärer Staat beanspruche selbstverständlich als vitales Interesse der Nation das Erziehungsmonopol für sich, auch wenn das Konkordat etwas anderes besage. Bei etwas mehr Entgegenkommen der deutschen Bischöfe könne ein Bruch sehr wohl vermieden werden.¹⁹³ Der Heilige Stuhl trage ebenfalls nicht zur Beruhigung bei, so heißt es weiter, wenn er
Giuseppe Pizzardo an Guido Manacorda, Telegramm vom 10. November 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. Vaticano. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 12. Februar 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, Relazione XXIV. Abschrift von Briefen ohne Adressat und Absender vom 18. September 1936 und vom 20. Februar 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Vaticano – Attolico. Hierbei handelt es sich um eine nicht signierte Abschrift ohne Adressat. Bei der Lektüre wird deutlich, dass der Verfasser über intime diplomatische Kenntnisse verfügt und über die Ereignisse in Berlin gut informiert ist. Weil Manacorda dieses Dokument unter das Subfaszikel „Attolico“ abgelegt hat, erscheint es als sehr wahrscheinlich, dass der italienische Botschafter der Verfasser war. Abschrift des Briefs vom 18. September 1936, ebd. Ebd. Abschrift des Briefs vom 20. Februar 1937, ebd.
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sich immer nur über die Lage in Deutschland beschwere. In Frankreich greife der Kommunismus um sich und die Elementarschule sei vollkommen säkular. Warum werde nicht anerkannt, dass Deutschland vor dem Bolschewismus und vor dem Atheismus bewahrt wurde. Natürlich gebe es auf allen Seiten Fanatiker, aber Hitler persönlich sei nicht antireligiös und konziliant, wie er jüngst gegenüber der evangelischen Kirche gezeigt habe. Und der Verfasser riet Manacorda diesbezüglich, bei Hitler vorstellig zu werden, weil ein solcher umfassender Lösungsansatz noch gar nicht versucht worden sei.¹⁹⁴ Am 4. März 1937 traf Manacorda mit Giuseppe Pizzardo zusammen, um entsprechend vor seiner Abreise zu sondieren.¹⁹⁵ 4. Gespräch am 10. März 1937: Zu diesem Zeitpunkt kam Manacorda also der Rang eines offiziösen Vermittlers des „Duce“ zu. So wurde er im März auf Betreiben des Königlich Italienischen Botschafters von der Hochschule für Politik eingeladen. Dort hielt er im Beisein von Rudolf Hess und weiteren wichtigen Vertretern des NS-Regimes, außerdem in Anwesenheit des italienischen und des japanischen Botschafters, einen Vortrag über „Wesen und Kritik des Kommunismus“. Über die vierte Audienz Manacordas bei Hitler am 10. März sowie über seine Ansprache berichtete auch die italienische Presse. Manacordas Vortrag, so heißt es weiter in einem Zeitungsartikel, sei „von lang anhaltendem Applaus gekrönt“ worden.¹⁹⁶ Während seines einwöchigen Aufenthalts in Berlin war ihm der Ministerialreferent vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Frederick Charles Willis¹⁹⁷, als Begleiter zugeteilt.¹⁹⁸ Der ehemalige Berichterstatter des „Völkischen Beobachters“ in Rom veröffentlichte wenig später eine heuchlerische, im hysterischen Ton der NS-Propaganda abgefasste Eloge auf den Mussolini-Besuch in Berlin im September 1937, in der die Aggressionspolitik der beiden Diktatoren – am 24. Mai 1937 hatte im Spanischen Bürgerkrieg die Legion Condor Guernica ausradiert, italienische Geschwader bombardierten seit dem Herbst 1937 täglich Barcelona, Cartagena sowie Ebd., S. 2– 3. Notiz Manacordas über das Gespräch mit Giuseppe Pizzardo vom 4. März 1937, ebd. Il Cancelliere Hitler riceve il prof. Guido Manacorda“. In: Il Messaggero vom 11. März 1937 [aufgeklebter Zeitungsausschnitt ohne Seitenzahl]. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, fasc. N. 550.702. Die Deutsche Hochschule für Politik hatte Manacorda auf Vermittlung der italienischen Botschaft zu einem Vortrag eingeladen, wie aus einem an ihn adressierten Schreiben von 28. Januar 1937 hervorgeht. Die Deutsch-Italienische Gesellschaft hatte ihn am 6. März zu einem Empfang eingeladen, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Ministero Esteri, Conferenze Berlino. Der Journalist Dr. Frederick C. Willis (geb. 1914) war bis 1934 Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Rom. Willis wurde Ministerialreferent und Referatsleiter in der Abteilung VII (Ausland) des Propagandaministeriums, zuständig für Italien, italienische Kolonien und den Vatikan, vgl. Hassell: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 1938, S. 384. In Rom war Willis u. a. als Korrespondent für die „Hamburger Nachrichten“ und den „Völkischen Beobachter“ tätig, vgl. PA Berlin, Rom-Quirinal, Paket 1330b. Aufzeichnung Dr. Willis vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin, den 19. März 1937. In: PA Berlin, Pol. Abt. III, PO 2, Bd. 1 (R103249).
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Valencia und Mussolini verweigerte in einer Rede in Berlin vom 28. September einen italienischen Rückzug aus Spanien¹⁹⁹ – zum Beitrag für den Frieden umgedeutet wurde.²⁰⁰ Noch einmal empfing Hitler Manacorda, der Mussolini über diese und sämtliche anderen Unterredungen berichtete.²⁰¹ Das Vier-Augen-Gespräch dauerte nach seinen Angaben 50 Minuten. Erstens besprach er mit Hitler das Oltramare-Projekt, worauf im folgenden Kapitel eingegangen wird. Zweitens zeigte sich Hitler Manacorda gegenüber besorgt über das „religiöse Problem“, das er aber lösen wolle. Hitler versicherte ihm, er sei geneigt, die heidnische Propaganda einzudämmen und Deutschland sei an einem Ausgleich mit dem Heiligen Stuhl interessiert. In der Frage der Sterilisierungen, so erklärte der „Führer“, suche er einen „Modus Vivendi“, wie er das auch schon Kardinal Faulhaber zugesichert habe.²⁰² Manacorda stimmte dem Diktator zu, wie er Willis gegenüber mitteilte, und war der Ansicht, dass dieser Streitpunkt kaum „einen dauernden Bruch Wert sei“.²⁰³ Dennoch bot sich der Florentiner Germanist als Vermittler an, und Hitler ging, folgt man Manacordas Bericht an den „Duce“, mit großer Freude auf diesen Vorschlag ein. Dabei habe er – und diese Passage unterstrich Manacorda und legte noch einmal Mussolinis Augenmerk darauf – auf sofortige Geheimverhandlungen gedrängt. Mit den beiden letzten Gesprächspunkten, Stärkung des Tourismus und Verbesserungen des bilateralen Warenaustausches, wurde der italienische Botschafter umgehend betraut.
Weber: Vom Völkerbund zu den Vereinten Nationen, S. 68 – 70. Willis, Frederick Charles: Mussolini in Deutschland. Eine Volkskundgebung für den Frieden in den Tagen vom 25. bis 29. September 1937. Berlin 1937. Il Cancelliere Hitler riceve il prof. Guido Manacorda. In: Il Messaggero vom 11. März 1937 sowie DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. VII. 1. Juli – 31. Dezember 1937. Roma 1998, Dok. 47, S. 52– 54, hier S. 53. Hier wird die Audienz Manacordas bei Hitler vom italienischen Botschafter in Berlin, Attolico, erwähnt, fälschlicherweise aber auf den 20. März verlegt. Vom 20. März datiert vielmehr der Bericht Manacordas an Mussolini, der in seinem Nachlass vorliegt und der hier im Folgenden wiedergegeben wird. Darin sind auch die anderen Gespräche mit NS-Größen, die er in Berlin führt, enthalten. Die Abschrift im Fondo Manacorda ist anscheinend die einzige überlieferte, weil die Originale im italienischen Außenministerium offenbar verloren gingen, vgl. Fußnote 47, S. 53, ebd. sowie Massimo Magistrati an Galeazzo Ciano, Brief vom 2. April 1937 in: DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. VI. 1. Januar bis 30. Juni 1937. Roma 1997, Dok. 388, S. 472– 475. Magistrati berichtet darin über ein Treffen Manacordas mit führenden NS-Politikern einschließlich Hitler. Entsprechende Dokumente wurden von den DDIHerausgebern nicht gefunden, denn laut ihrer Anmerkung 1 auf Seite 474 sind diese nicht mehr auffindbar. Das Dokument liegt im Anhang erstmals gedruckt vor. Weitere Hinweise auf das Gespräch finden sich unter: der Beauftragte für die Berliner Angelegenheiten Botschaftsrat Massimo Magistrati an Außenminister Graf Ciano, Telegramm vom 2. April 1937. In: DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. VI, Dok. 388, S. 472– 475, hier S. 474, sowie Aufzeichnung Dr. Willis, S. 1. Einig waren sich die deutschen Bischöfe in der Ablehnung der Zwangssterilisationsgesetze vom Juli 1933. Allerdings war sich das katholische Episkopat uneins darüber, wie sehr es sich von der offiziellen Sterilisierungspolitik distanzieren sollte, vgl. Richter, Ingrid: Katholizismus und Eugenik in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Zwischen Sittlichkeitsreform und Rassenhygiene. Paderborn 2001, S. 416 – 418. Hierzu und im Folgenden vgl. Aufzeichnung Dr. Willis, S. 1.
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Es erscheint nicht unmöglich, dass Manacorda das Drängen Hitlers auf umgehende Verhandlungen in seinem Bericht etwas dramatisierte, was vielmehr in seinem eigenen Interesse lag. Zumindest neigte Manacorda – wie von Hans Thomsen zu Recht bemerkt – zu Übertreibungen. Weil seine Unterredungen mit Hitler und anderen Nationalsozialisten nicht nur von ihm selbst, sondern teilweise auch von seinen Gesprächsteilnehmern überliefert wurden, lässt sich der Grad der Verlässlichkeit seiner Darstellungen überprüfen. Während Manacorda die Dauer seiner Audienz bei Hitler mit 50 Minuten angab, waren es laut dem allerdings nicht anwesenden Willis nur 15 Minuten.²⁰⁴ Die Länge des mit Hans Frank am Folgetag geführten Gesprächs belief sich nach Manacordas Angaben, die er gegenüber Mussolini machte, auf über zwei Stunden. Folgt man dem dieses Mal beteiligten Willis, handelte es sich um eine „mehr als einstündige Unterhaltung“.Wenn der Germanist also dazu neigte, die Länge seiner Gespräche etwas zu „schönen“, so ist es dennoch wenig wahrscheinlich, dass er es wagte, wesentliche Inhalte zu erfinden, zumal er davon ausgehen musste, dass „Duce“ und „Führer“ direkt miteinander kommunizierten. Am 11. März führte Manacorda – in Anwesenheit von Willis, der ihm als Begleiter diente²⁰⁵ – die besagte Unterhaltung mit Reichsminister Dr. Hans Frank, die sich, so der Referent aus dem Goebbels-Ministerium, gänzlich auf das Verhältnis zwischen Deutschland und dem Vatikan bezog.²⁰⁶ Die Wiedergabe Manacordas unterscheidet sich kaum von derjenigen seines Begleiters. Der Florentiner Professor sprach von einer herzlichen Atmosphäre. Ausschließlich sei es um das „religiöse Problem“ gegangen. Frank sei sehr interessiert gewesen zu vermitteln, auch durch einen persönlichen Besuch bei Pacelli.²⁰⁷ Diese Besorgnis um die katholische Kirche zeigte sich auch anlässlich des Besuchs des Arbeitsdienstlagers Alt-Landsberg bei Bernau, 23 Kilometer nördlich von Berlin, wo Manacorda den Kommandanten fragte, ob die Insassen zur Kirche gingen bzw. daran gehindert würden.²⁰⁸ Manacorda hatte Willis gebeten, ihm über alle Maßnahmen zu berichten, die das NS-Regime zugunsten der Katholiken in letzter Zeit getroffen hatte,
Aufzeichnung Dr. Willis, S. 1. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 II, I–Z, Sottofasc.Willis. Aufzeichnung Dr. Willis, S. 2. Willis arbeitete für das Propagandaministerium im Rahmen der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen, vgl. Stand der Arbeiten der Deutsch-Italienischen Gesellschaften im Reich, Abschrift vom 15. Februar 1938, S. 3. In: PA Berlin, R 61296, Deutsch-Italienische Gesellschaft Berlin, 1938 – 1939. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Bericht vom 20. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, Relazione XXIV. Aufzeichnung Dr. Willis, S. 2, sowie Tagesprogramm für den 14. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, I-Z, Sottofasc. Willis. Die Führung durch das 150 Mann zählende Lager sollte durch Dr. Junack vom Auslandsamt des Reichsarbeitsdienstes erfolgen.
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„was zum Vorteil meiner bevorstehenden äusserst delikaten Verhandlungen gereichen kann“.²⁰⁹ Eine weitere Unterredung führte Manacorda mit Goebbels. In seinem Tagebuch geht der Propagandaminister ausführlich auf das Treffen ein. Der Germanist habe von seiner Arbeit an einem Buch über den Kommunismus und über seinen Zugang zum Vatikan berichtet. Pacelli sei laut Manacorda ganz gegen Deutschland, sei „Liberalist und Demokrat“. Die Überzeugung, dass Pacelli „grundsätzlich demokratisch‘“ sei, behielt Manacorda noch im August 1940 bei, als dieser längst als Pius XII. amtierte.²¹⁰ Der Papst habe hingegen manchmal „Anwandlungen“ für das „Dritte Reich“. Goebbels hielt Manacorda für einen „klugen Kopf“, fügte in seinem Tagebuch aber hinzu: Aber was nützt das alles. Die Katholiken sind immer Gegner der Macht des Staates. Das müssen sie sein kraft ihres Glaubens. Warum aber paktiert der Vatikan so offensichtlich mit dem Bolschewismus? Ein Rätsel? Nein! Er entspringt derselben Wurzel.²¹¹
Manacorda schrieb über die Unterredung mit Goebbels, dass sie ebenfalls sehr herzlich gewesen sei, aber nur 20 Minuten gedauert habe. Leider habe Goebbels eine weitere angesetzte Besprechung aus Termingründen abgesagt.²¹² Darüber hinaus tauschte sich Manacorda mit dem erklärten Gegner der katholischen Religion und verfemten Autor des auf den Index gesetzten „Mythus“, Alfred Rosenberg, aus. Obgleich dieser weniger entgegenkommend als Hitler gewesen sei, habe auch er sich klar für eine Lösung des Problems mit der katholischen Kirche ausgesprochen.²¹³ Ferner traf er nach seinen Angaben den Nuntius Cesare Orsenigo in Berlin²¹⁴ sowie weitere päpstliche Vertreter in Berlin und München, außerdem verschiedene deutsche Katholiken unterschiedlichster Provenienz.²¹⁵ In seinem Bericht an den „Duce“ fasste er die Summe seiner Beobachtungen und der ihm von zwei Seiten von der Nuntiatur und der italienischen Botschaft in Berlin vorgelegten Do-
Guido Manacorda an Frederick Charles Willis, Brief vom 19. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 2° Semestre, I–Z, Sottofasc. Willis. Vgl. Frederick Charles Willis an Guido Manacorda, Brief vom 17. April 1937, ebd. Bottai: Diario 1935 – 1944, S. 223. Vgl. zum Gespräch Manacorda-Goebbels den Tagebucheintrag vom 11. März 1937. In: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil 1. Bd. 4: März-November 1937, S. 45. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Bericht vom 20. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom. Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, Relazione XXIV. Ebd. Im Geheimarchiv des Vatikans finden sich keine Hinweise auf das Gespräch, da das Archiv Orsenigo in der Nuntiatur Berlin während des Zweiten Weltkrieges fast völlig zerstört wurde, vgl. Archivio della Nunziatura Apostolica in Berlino (Nunziatura Pacelli). Indice 1196. Hrsg. von Kirsi Salonen. Città del Vaticano 2003. Guido Manacorda an den Staatssekretär des Heiligen Stuhls, Eugenio Pacelli, Bericht vom 20. März 1937. In: ASV Città del Vaticano, AES, Germania, pos. 719, fasc. 316, p. 79 – 80, sowie AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Vaticano.
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kumente in fünf Punkten zusammen; Quintessenz war dabei seine Feststellung, dass die „religiöse Frage“ ganz oben auf der innenpolitischen Prioritätenliste des Reiches stehe:²¹⁶ Erstens sei die Fixierung der deutschen Seite auf das Konkordat, das schon immer von Brüning aufgeschoben worden sei, ein großer Fehler, umso mehr als sich die NS-Revolution noch in vollem Fluss befinde, unter Umständen, die für jeden modernen Staat inakzeptabel seien (wie die reinen Konfessionsschulen in den katholischen Ländern). Zweitens werde dies negativ verstärkt durch eine entfesselte heidnische Propaganda und die Werke von Wissenschaftlern und Pseudo-Wissenschaftlern sowie durch das harte Vorgehen gegen das kirchliche Leben durch zahlreiche Unterführer, was von Hitler nicht so gerne gesehen werde. Hier zeigt sich deutlich seine positive und unkritische Wahrnehmung des deutschen Diktators. Drittens sei es schmerzhaft, fügte Manacorda an, dass sich der Vatikan an die Buchstaben des wenig geglückten Konkordats klammere, das inzwischen nicht nur verletzt, sondern geradezu ignoriert werde, was schwerwiegende Folgen für die Gemeinden nach sich ziehe. Außerdem wende sich insbesondere die Jugend von der Kirche ab. Viertens vertrat er die Auffassung, dass nach einer langen Phase einer radikalen antichristlichen und antikatholischen Offensive, die von vielen repräsentativen Elementen des Regimes getragen worden sei, diese Periode trotz einiger bedauerlicher und vermeidbarer, von der Regierung provozierter Vorfälle jetzt vorbei sei. Der allwöchentliche Kreuzzug von den Kanzeln könne aber fünftens von einem zum anderen Augenblick die Reaktion unverantwortlicher Elemente hervorrufen. Dies könne zu einem Blutvergießen mit für Deutschland unkalkulierbaren Konsequenzen führen, mit sehr negativen Auswirkungen auch für Italien. Deshalb schlug er Mussolini seinen Dringlichkeitsplan vor, der mit Hitler abgestimmt sei. Diesen Plan, der auch vom Vatikan autorisiert worden sei, wolle er nun persönlich dem Papst vorlegen. Über Manacordas Absichten informierte Willis die Reichskanzlei. Seines Erachtens sei der Vortrag für ihn nur ein Vorwand, um bis zu den „höchsten Stellen eine Unterhaltung über das Verhältnis des Reichs zum Vatikan anzuknüpfen, wobei es nicht ausgeschlossen scheint, dass er dazu direkt einen Auftrag hatte, sei es von Mussolini, sei es vom Papst [gesperrt im Orig.]“. Weiter fügte er an: M[anacorda] gab sich dabei immer als Freund Deutschlands, der aber als guter Katholik so sehr bedauere, daß es immer wieder zu Reibungen komme. Er hat auch während dieser Woche mindestens zweimal den Nuntius besucht und mir gesagt, dieser betrachte die Lage als ‚noch ernster als er früher gedacht habe‘. […] M[anacorda] erzählte mir, er habe eine Woche vor seiner jetzigen Reise in Rom den Papst und Pacelli besucht und werde dort nach seiner Rückkehr wieder empfangen werden. […] Aus allen diesen Einzelheiten ziehe ich den Schluß, daß Manacorda unter dem Deckmantel seines Vortrages versuchen wollte, eine Vermittler-Rolle zu spielen [gesperrt im
Vgl. hierzu und im Folgenden wiederum Guido Manacorda an Benito Mussolini, Bericht vom 20. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom. Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, Relazione XXIV.
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Orig.]. Es wird zu beobachten sein, wie er sich in nächster Zeit dem Vatikan gegenüber verhält und was er in seinen Zeitungsartikeln über die religiöse Frage in Deutschland sagen wird.²¹⁷
Willis fügte an, Manacorda habe ihm am 22. März geschrieben und auf „delikate Verhandlungen“ verwiesen. Aus dieser Aufzeichnung Willis’ gehen die Stärken und Schwächen Manacordas eindrucksvoll hervor. Zu den Stärken zählen seine vielfältigen Kontakte bis auf die höchsten Ebenen, wobei er seine Person, und das ist die Negativseite, durch Anspielungen und Prahlereien – die Akten bestätigen in diesem Fall ein Sondierungsgespräch mit Pizzardo, nicht aber mit Pacelli und Pius XI. – ständig hervorzuheben suchte. Dieses Gebaren fiel auf ihn zurück, denn es war leicht durchschaubar, obendrein schwächte es seine Glaubwürdigkeit. Die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl klärte die anfragende Reichskanzlei über Manacorda jedenfalls auf: Für die Annahme, dass Manacorda bei seinem Aufenthalt in Berlin Anfang März d. J. auch einen besonderen Auftrag des Vatikans gehabt hätte, haben sich hier keine Anhaltspunkte ergeben. Dass er vom Papst eine Woche vor seiner Reise nach Berlin und nach seiner Reise wieder empfangen worden sei, ist jedenfalls unzutreffend schon aus dem Grunde, weil der Papst damals wegen seiner Erkrankung ausser seiner nächsten Umgebung und einigen hohen Geistlichen bekanntlich keine Audienzen erteilte. Möglich wäre es immerhin, dass Manacorda bei Pacelli gewesen ist. Aber es ist wohl kaum anzunehmen, dass er von dieser Seite mit einer besonderen Mission betraut worden ist. Zu unserer Botschaft hat Manacorda nie in Beziehungen gestanden, wohl aber zu Herrn von Hassell, den er, so viel ich weiss, vor und nach seiner Berlin-Reise besucht hat. Dass die Spannung in unseren Beziehungen zum Vatikan in uns wohlgesinnten italienischen Kreisen sehr bedauert wird, ist eine Tatsache, über die wir wiederholt berichtet haben. Wir glauben daher, dass die Äusserungen Manacordas und sein Wunsch, sich über die tatsächliche kirchenpolitische Lage in Deutschland zu informieren, mehr in diesem allgemeinen Bedauern ihren Grund hat, als in einem besonderen Auftrage von einer hiesigen amtlichen Stelle.²¹⁸
Deutlich wird hier Manacordas Taktik, sich immer als Übermittler von Mussolini, von Hitler oder des Papstes zu bezeichnen. Tatsächlich dürfte gerade die Forcierung der Lösung des „religiösen Problems“ wesentlich auf seiner eigenen Initiative beruht haben. Die Vorgehensweise erklärt den relativen Erfolg seiner Bemühungen – Mussolini, Hitler und der Papst wurden mit Manacordas Vorschlägen konfrontiert – sowie deren absehbare Folgenlosigkeit, entsprang doch der Plan nicht dem Willen der Entscheidungsträger selbst, sondern nur den Intentionen des ungerufenen und selbsternannten, wohlmeinenden wie naiven Boten. In seinen nach Kriegsende geschriebenen Erinnerungen äußerte der Erste Botschaftssekretär der italienischen Botschaft in Berlin Magistrati rückblickend, das Gespräch, das der katholische Antikommunist Manacorda mit Hitler führte, habe zu keinem Ergebnis geführt und reihe
Aufzeichnung Dr. Willis, S. 2. Dr. Fritz von Menshausen an Legationsrat Dumont in der Reichskanzlei, Brief vom 6. April 1937. In: PA Berlin, Politische Abt. III – Heiliger Stuhl, Po 2, Bd. 2 (R 103250).
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sich ein mit ebensolchen vergeblichen Versuchen von Seiten Papens und Faulhabers.²¹⁹ Doch auch die politische Entwicklung war für Manacordas Initiative nicht förderlich, denn kurz darauf bezog Papst Pius XI. – wie erwähnt – mit der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom 14. März 1937 in ungewöhnlich scharfer Form gegen die Kirchenpolitik des NS-Regimes Stellung: „Wer die Rasse oder das Volk oder den Staat oder die Staatsform […] vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene […] Ordnung der Dinge.“²²⁰ Die deutsche Replik in der Presse, zunächst ausgehend vom „Völkischen Beobachter“ in dessen Ausgabe vom 22. März, war so vehement, dass der Nuntius in Berlin Orsenigo fürchtete, das Reich könne einseitig das Konkordat aufkündigen.²²¹ Mit aller Macht versuchte Manacorda, die Eiszeit zwischen Vatikan und NS-Deutschland zu verhindern. Noch immer strebte er eine Verständigung an und berief sich dabei – in seinem Bericht an das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls – auch auf Padre Gemelli.²²² Zurückgekehrt nach Florenz stufte er in einem Bericht über seine Deutschlandreise an Pizzardo die Situation als höchst gefährlich ein und forderte den Heiligen Stuhl zum sofortigen Handeln auf.²²³ Er drängte am 20. März Pizzardo auf eine Privataudienz bei Papst Ratti für die Woche nach Ostern, wenn er auch nach Rom komme, um dem „Duce“ Bericht zu erstatten.²²⁴ Seiner Auffassung nach müsse ein Einvernehmen zwischen Vatikan und Nationalsozialismus die katholische Sittenlehre unangetastet lassen. Trotz der enormen Schwierigkeiten zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei aus seiner Sicht alles zu versuchen. Denn nur so könne eine neue tragische Episode für Europa und die Welt vermieden werden. Niemals zuvor, so ließ er Pizzardo wissen, sei die Bereitschaft von NS-Seite so groß gewesen, vor allen Dingen bei Hitler, aber auch bei den Fanatikern. Ein sofortiger und völliger „Waffenstillstand“ sei möglich und Manacorda bot sich als Vermittler zwischen dem Papst und Hitler an. Wiederum argumentierte er nach dem bekannten Muster: Sein Plan sei vom „Führer“ in den Grundzügen gutgeheißen worden. Es sei auch in dessen lebhaftem Interesse, dass er, Manacorda, mit dem Heiligen Vater darüber persönlich spreche und Hitler dann umgehend über das Ergebnis berichte. Der Plan sei auch auf das Wohlwollen der deutschen Katholiken gestoßen. Diesen Frieden zu schaffen, sei seine gefühlte Pflicht als Katholik.
Magistrati, Massimo: Il prologo del dramma. Berlino 1934– 1937. Milano 1971, S. 179. Albrecht, Dieter (Bearb.): Der Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der deutschen Reichsregierung. Bd. 1. Mainz 1965, S. 402– 443, hier S. 410; Hehl: Die Kirchen in der NS-Diktatur, S. 174. Sale: Hitler, la Santa Sede e gli ebrei, S. 141. Fattorini: Pio XI, Hitler e Mussolini, S. 146. Ebd., S. 148. Emma Fattorini merkt an, dass Manacorda noch zwei Jahre vorher, am 12. Juni 1935, an Monsignor Costantini eine alarmierende Einschätzung der NS-Ideologie, die definitiv heidnisch und widerwärtig aggressiv [invasiva] sei, gegeben habe. Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 20. März 1937. In: ASV Città del Vaticano, AES, Germania, pos. 719, fasc. 316. Firenze 20 marzo 1937, p. 79 – 80. Giovanni Sale hat in seiner Monographie den Brief fast vollständig wiedergegeben, vgl. Giovanni Sale: Hitler, la Santa Sede e gli ebrei, S. 128 – 129.
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Am 1. April erneuerte Manacorda, der sich bereits in Rom befand, bei Pizzardo seinen Wunsch, vom Papst empfangen zu werden. Dies sei nach der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ in gewisser Hinsicht noch wichtiger, weil er die Worte Hitlers überbringen wolle, die ihm dieser vor einigen Tagen mitgegeben habe.²²⁵ Viele katholische Stimmen hätten ihm geschrieben, er solle jetzt nicht aufgeben.²²⁶ Auf diese Entwicklung nahm er in seinem Bericht an Mussolini, der ihn am 6. April 1937 zur Audienz empfing, Bezug. In seinem Vorbericht resümierte er, dass er auch nach der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ auf seine Verhandlungen nicht verzichten wolle, zumal ihm Hitler eine Botschaft an Pius XI. mitgegeben habe. Für die bevorstehende Unterredung mit dem Papst bat er um Instruktionen Mussolinis.²²⁷ Er werde im „Corriere della Sera“, so teilte er dem „Duce“ mit, seinen Kampf gegen die dem Faschismus feindlich gegenüberstehenden Katholiken fortsetzen. Am gleichen Tag sprach er auch bei Ciano vor, der ihn bereits vor seiner Berlin-Reise empfangen hatte.²²⁸ Für die Einschätzung des Einflusses Manacordas ist interessant, wie die römische Kurie seine Person und sein Handeln beurteilte. Der Titularbischof von Theodosiopolis Celso Costantini²²⁹ war beeindruckt von dessen germanistischen Forschungen und leitete 1935 einen Brief Manacordas an Kardinalstaatssekretär Pacelli weiter. Manacordas Deutung des Nationalsozialismus und vor allen Dingen dessen Analyse der Konsequenzen der NS-Herrschaft für die katholische Kirche hielt er für hoch brisant.²³⁰ Costantini hielt Manacorda für einen der gelehrtesten Deutschlandexperten und einen äußerst scharfsinnigen Geist von außerordentlicher Kultur, der überdies in den Schoß der Kirche zurückgekehrt sei. Im letzten Jahr habe er über Deutschland sein Buch „La selva e il tempio“ veröffentlicht. Im Anhang des Briefes legte Bischof Costantini eine Abschrift des Briefes von Manacorda an Costantini vom 6. Mai 1935 über das „deutsche Problem“ bei, mit dem sich der Florentiner Professor nach eigenen Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 20. März 1937. In: ASV Città del Vaticano, AES, Germania, pos. 719, fasc. 316. Firenze 20 marzo 1937, p. 81. Im Anhang des Briefes von Manacorda war wieder ein undatierter Ausschnitt aus einem solchen Unterstützerbrief eines Klerikers, denn unter der Überschrift „Problema Religioso Germanico“ war handschriftlich hinzugefügt „da lettera privata di insigne religioso“. In: ASV Città del Vaticano, Fondo AES (Affari ecclesiastici straordinari), IV periodo, Germania, pos. 719, fasc. 316. Firenze 20 marzo 1937, p. 82. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 1. April 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, Relazione XXIV. Notiz Manacordas über das Gespräch mit Ciano vom 6. April 1937 sowie Blasco Lanza d’Ajeta an Guido Manacorda, Telegramm vom 3. April 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Ciano, d’Ajeta. Celso Benigno Luigi Costantini (1876 – 1958) wurde u. a. 1935 zum Sekretär der „S. Congregatio de Propaganda Fide“ und 1953 zum Kardinal ernannt, vgl. Hierarchia Catholica. Medii et recentioris aevi. Volumen IX. 1903 – 1922, Padova 2002, S. 197. Celso Costantini an Eugenio Pacelli, Brief vom 12. Juni 1935. In: ASV Città del Vaticano, AES, IV periodo, Germania, pos. 666, fasc. 223, p. 13.
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Angaben seit 30 Jahren befasse. Darin erläuterte Manacorda seine These, die später auch von Mussolini geteilt wurde, dass die Hitler-Diktatur keine vorübergehende Erscheinung sei.²³¹ Manacorda erklärte in seinem Brief, der Nationalsozialismus stelle den ultimativen Ableger der Reformation dar, der Jahrhunderte andauern werde. Daher solle man ihn nicht unterschätzen, wie das bei Luther der Fall gewesen sei, den man für einen „trunkenen Mönch“ gehalten habe.²³² Die NS-Ideologie stelle nicht bloß eine Form des Atheismus dar wie der Bolschewismus, dann wäre er weniger gefährlich, sondern eine neue heidnische Religion, die alles in Frage stelle, Göttlichkeit, Erkenntnis, Moral, Kunst. Emilio Gentile, der diese Textstelle auswertete, sieht nicht nur zu Recht in dieser Perzeption Manacordas seine eigene Kernthese, wonach der Faschismus eine politische Religion darstellt, bestätigt, sondern auch seine jüngste Beweisführung, wonach der Faschismus aufgrund seines totalitären Charakters die katholische Kirche existentiell in Frage stellte, ohne sie ersetzen zu wollen.²³³ Ebenso interessant ist aber zugleich die vom Florentiner Germanisten gezogene Traditionslinie, die – unten weiter erläutert – den Nationalsozialismus in eine Tradition germanischer Abtrünnigkeit vom römischen Glauben stellte und damit die eigengeschichtliche Dimension seines „Denkstils“ beleuchtet.²³⁴ Jedenfalls deckte sich das von Manacorda entworfene Bedrohungsszenario durchaus mit den Befürchtungen Pacellis und Pius’ XI. Der Kardinalstaatssekretär hatte schon 1933, kurz nach der Unterzeichnung des Konkordats mit dem Reich geäußert, dass nicht davon auszugehen sei, dass nach Abschluss des revolutionären Prozesses der „Machtergreifung“ Hitler nun zu normaleren Regierungsmethoden zurückkehren werde.²³⁵ Aus einem Dokument des Geheimarchivs des Vatikans geht hervor, wie Pius XI. über Manacordas Selbstverständnis als katholischer Faschist und über dessen Vermittlungsbemühungen dachte, weil er am 3. April 1937 mit Pacelli über das Audi-
Vgl. den dritten Teil der vorliegenden Untersuchung zur Deutschlandperzeption Manacordas; Wolf: Papst und Teufel, S. 305. Er bezieht sich dabei auf folgende Signatur: Audienz vom 10. April 1938. In: ASV Città del Vaticano, AES, Germania, 4. per., pos. 720, fasc. 329, fol. 31r. Am 7. April 1938 vertrat Mussolini beispielsweise gegenüber dem Jesuitenpater Pietro Tacchi-Venturi (1861– 1956), seinem Mittelsmann bei der Kurie, die Auffassung, dass die Hitler-Diktatur keine vorübergehende Erscheinung sei. Die Abschrift des Briefes von Guido Manacorda an Celso Costantini vom 6. Mai 1935 legte Costantini als Anhang seines Briefes an Pacelli bei. Daher liegt der Brief Manacordas im Geheimarchiv des Vatikans vor. Vgl. Celso Costantini an Eugenio Pacelli, Brief vom 12. Juni 1935. In: ASV Città del Vaticano, AES, IV periodo, Germania, pos. 666, fasc. 223, p. 13. Die beiden Briefe sind in leicht veränderter Abschrift als „documento n. 94“ abgedruckt bei Giovanni Sale: Hitler, la Santa Sede e gli ebrei, S. 449 – 450. Gentile, Emilio: New idols: Catholicism in the face of Fascist Totalitarianism. In: Journal of Modern Italian Studies 2 (2006). S. 143 – 170, S. 158 – 159. Vgl. hierzu ebenfalls den dritten Teil dieser Studie über den Denkstil der faschistischen Katholiken. Wolf: Papst und Teufel, S. 201.
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enzgesuch des Professors sprach.²³⁶ Zwar sei Manacorda, so Papst Ratti, voller guter Absichten, aber er sei etwas zwielichtig, wie alle jene, die Diener zweier Herren sein wollen, obgleich er sich selbst als guten Katholiken bezeichne. Daher solle Pizzardo ihm ausrichten, dass er, Pius, weil er gegenwärtig vielbeschäftigt sei, es vorziehe, wenn der Staatssekretär ihm das Anliegen erst einmal vor- und entsprechend aufbereite. Manacorda könne, wenn er es wünsche, sich auch erst einmal mit Pizzardo besprechen. Er werde dann über sein Anliegen informiert.²³⁷ Klar geht aus diesen Ausführungen hervor, dass Pius XI. Manacordas Parteinahme für den Faschismus letztlich für unvereinbar mit dem katholischen Glauben hielt. Die Aufzeichnungen bestätigen insofern auch das Bild, das die Forschung über die faschismuskritische Einstellung Rattis in seinen letzten Lebensjahren zeichnet. Diese Quelle findet sich bis dahin wortgleich bei Emma Fattorini. Jedoch endet bei ihr dieses Zitat noch nicht, sondern wird ergänzt durch den Zusatz: „Somit schreibe ihm, dass der Papst indisponiert ist.“ Dieser Zusatz findet sich definitiv nicht auf dem besagten Dokument im Geheimarchiv des Vatikans. ²³⁸ Ebenso unrichtig ist dann ihre auf Basis der so ergänzten bzw. falschen Wiedergabe gezogene Schlussfolgerung, nämlich dass die Audienz nicht stattfand. Dieses Fazit zieht ebenfalls Giovanni Sale.²³⁹ Dies ist doppelt verwunderlich: Zum einen geben die von beiden Autoren ignorierten gedruckten Akten der Documenti Diplomatici Italiani schon seit Langem über das Treffen Manacordas mit Pius XI. Auskunft.²⁴⁰ Zum anderen ist diese zweite Papstaudienz – im Gegensatz zur ersten – im Geheimarchiv des Vatikans protokolliert. Außerdem findet sich dort ein Schreiben des Staatssekretariats des Heiligen Stuhls, aus dem klar hervorgeht, dass der Papst dem Gesuch zustimmte.²⁴¹ Die Audienz mit Manacorda war für Freitag, den 9. April 1937, auf 11.30 Uhr angesetzt und auf 15 Minuten veranschlagt²⁴², dauerte dann aber viel länger. Manacorda führte dieses über halbstündige Gespräch mit Pius XI.und ein weiteres am 11. April mit Pacelli. Über
Udienza del 3 aprile 1937. In: ASV Città del Vaticano, AES, Stati Ecclesiastici, IV Periodo, Pos. 430a, (Udienze del Santo Padre Pio XI al Card. Pacelli 1930 – 1938), Fasc. 354 (1937), f. 37. Ebd. Ebd. und Fattorini: Pio XI, Hitler e Mussolini, S. 148. Bei Fattorini findet sich der Zusatz: „Quindi scrivergli che il papa è indisposto.“ Sale gelingt keine befriedigende Einordnung Manacordas, der von ihm als „funzionario italiano“ und Mitarbeiter Bottais tituliert wird. Die Authentizität der Mission Manacordas zieht Sale in Zweifel, obwohl diese in den DDI seit Jahren dokumentiert ist. Bezüglich der Unterredung mit dem Papst wird nur bemerkt, sie sei verschoben worden, nicht jedoch, dass sie stattfand, vgl. Sale: Hitler, la Santa Sede e gli ebrei, S. 128 – 129. DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. VI. 1. Januar bis 30. Juni 1937. Roma 1997, Dok. 440, S. 554– 555. Vgl. ASV Città del Vaticano, Prefettura Casa Pontificia. Udienze 1937, Busta 33, Fasc. 3, f. 207. In einer teilweise unleserlichen, undatierten handschriftlichen Aktennotiz findet sich folgende Angabe: „Prof. Manacorda Giovedì (Card. Pacelli)“, ebd. f. 206. Proposta delle udienze per venerdì 9 aprile 1937. In: ASV Città del Vaticano, Prefettura Casa Pontificia, Udienze 1937, Busta 33, Fasc. 3, f. 205.
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beide Unterredungen informierte er sofort den „Duce“. ²⁴³ Papst Ratti sei leidend, aber bei schärfstem Verstand. Der Papst habe erklärt, er habe wenig Vertrauen in die Aufrichtigkeit der von Manacorda überbrachten persönlichen Mitteilung Hitlers. Er sei niedergeschmettert darüber, dass der „Führer“ die Rolle, die die Katholiken im antisowjetischen Kampf spielen könnten, nicht anerkenne. Nach der Enzyklika warte der Papst jetzt ab. Er sei aber immer geneigt, nicht nur „zuzuhören“, sondern auch „zu verhandeln“. Den Vorschlag Manacordas einer Enzyklika gegen die Freimaurerei, die dreifach wirken würde, auf die religiösen und staatlichen Autoritäten, auf den „Führer“ und auf italienische Kreise, wurde von ihm wohlwollend aufgenommen. Darüber liege dem Heiligen Stuhl bereits Material vor. Den Papst habe er zu seiner großen Betroffenheit noch verbitterter und resignierter vorgefunden als bei seiner letzten Audienz.²⁴⁴ Manacorda verwies auf die Bereitschaft des Reichskanzlers, in direkten Verhandlungen die Spannungen auszuräumen. Hitler sei von der letzten antikommunistischen Enzyklika²⁴⁵, die zum ersten Mal den Katholizismus zum Gegner des Bolschewismus erklärt habe, sehr angetan gewesen. Außerdem sei er geneigt, einen Modus Vivendi bezüglich der gesetzlichen Regelung der Sterilisation zu finden. Die Katholikenverfolgung sei nur Teil des gegenwärtigen dunklen europäischen Chaos, das die Kirche wie immer mit christlicher Ergebenheit erdulde. Trotz seiner Vorbehalte ziehe der Papst die Ausführungen Hitlers sehr in Betracht und stehe – sofern die Initiative von dort ausgehe – für Verhandlungen mit Berlin zur Verfügung. Dies solle Manacorda Berlin mitteilen. Nach Ansicht Manacordas – so wurde es Ciano vermittelt – sei der Papst sehr müde und er habe sich nur vorübergehend wieder gesundheitlich erholt und zu alter Tatkraft gefunden. Seine beiden willensstarken Stellungnahmen zum Kommunismus und zum Nationalsozialismus gäben aber doch wohl nur den Eindruck eines Schwanengesangs wieder. Manacorda habe zum Ausdruck gebracht, dass die Möglichkeiten des Papstes sehr begrenzt seien. Die einstündige Unterredung mit Pacelli verlief offensichtlich konfrontativ: Manacorda legte ihm den Plan einer Überarbeitung des Konkordats vor, der die Billigung Mussolinis gefunden habe. Dass das Konkordat von der Reichsregierung nicht mehr anerkannt werden könne, nahm er regungslos zur Kenntnis, gab aber zu verstehen, dass der Vatikan immer zu Verhandlungen bereits sei, zumal „Pace“, das italienische
Das Dokument findet sich in Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 11. April 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 1° Semestre, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 16 gennaio 1937, Relazione XXIII.Vgl. außerdem Guido Manacorda an Adolf Hitler, persönlicher Brief vom 14. April 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre, Sottfasc. Hitler, abgedruckt in: DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd.VI, 1. Januar bis 30. Juni 1937. Roma 1997, Dok. 482, S. 603 – 604. Vgl. hierzu und im Folgenden: Il Funzionario addetto all’Ufficio di Gabinetto Blasco Lanza d’Ajeta, an Außenminister Galeazzo Ciano, Appunto secreto vom 10. April 1937. In: DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. VI. 1. Januar bis 30. Juni 1937. Roma 1997, Dok. 440, S. 554– 555. Es handelte sich um die Enzyklika „Divini Redemptoris“ vom 19. März 1937.
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Wort für Frieden, in seinem Namen wurzle. Beeindruckt habe sich der Kardinalstaatssekretär gezeigt, als Manacorda auf die Möglichkeit eines Blutvergießens zu sprechen kam, sollten sich die schweren Angriffe von den Kanzeln fortsetzen. Den Vorschlag einer Enzyklika gegen die Freimaurer habe er ebenfalls positiv aufgenommen. Des Weiteren führte Manacorda Gespräche mit Monsignore Pizzardo. Nach seinem Eindruck seien die demokratischen und ‚linksgerichteten‘ Kräfte auf dem Wege der Konsolidierung und drängten nicht zuletzt aufgrund ausländischer Pressionen auf eine Konklave. Diese Kreise stünden dem Nationalsozialismus feindlich gegenüber. Manacorda fürchtete das baldige Ableben des Papstes und die Wahl eines an den Demokratien orientierten Nachfolgers.²⁴⁶ Hätten sich Manacordas Vorstellungen durchgesetzt, wäre die katholische Kirche eine im faschistischen Sinne römische geworden, nämlich eine von einem ausschließlich italienischen höheren Klerus dominierte Nationalkirche, die die Katholiken weltweit autoritär geführt bzw. gegängelt und den Anspruch Italiens als imperiale Führungsmacht und die darauf basierenden faschistischen Ordnungsvorstellungen gegenüber den anderen Nationen religiös legitimiert hätte. Dass diese Ambitionen, weil sie kirchenpolitisch auf einem obsoleten, traditionalistischen integralen Konservatismus fußten, politisch so chauvinistisch bzw. ideologisch verengt waren und dem tatsächlichen, relativ beschränkten Machtpotential Italiens in keiner Weise entsprachen, völlig unrealistisch waren, änderte nichts an ihrem Geltungsanspruch. Dieser Geltungsanspruch kommt auch in Manacordas spezifischer faschistischer Wahrnehmung der Kurie zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang ist es interessant, wie der Professor die wichtigsten Persönlichkeiten des Heiligen Stuhls einschätzte: In privatem Kreis äußerte Manacorda seine Bewunderung für den Papst. Ihm gefiel außerdem dessen direkte Art.²⁴⁷ Den Kardinalstaatssekretär schätzte Manacorda hingegen weitaus weniger, wie er schon Goebbels gegenüber kundgetan hatte. Aber er hoffte, dass der Papst seinen Staatssekretär überstimmen könnte, denn, wenn es einen Konflikt gebe zwischen der höheren Autorität der Bischöfe und der höchsten des Papstes, so argumentierte er, müssten letztlich die Bischöfe gehorchen. Pius XI., Pizzardo und Pacelli charakterisierte er dabei so: Jenseits des Tibers stünde er den drei führenden Personen wie folgt gegenüber: Einer, der oberste, sei über alle Kritik erhaben, ein anderer, ihm Unterstellter sei sein enger Freund und ein Dritter, der in der Hierarchie dazwischen stehe, habe eine demokratische Mentalität und sei deshalb gefährlich, wenngleich religiös und moralisch unantastbar. Der italienische Bot-
Außenminister Ciano an den italienischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, persönliches Schreiben vom 12. April 1937. In: DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. VI. 1. Januar bis 30. Juni 1937. Roma 1997, Dok. 450, S. 566, sowie Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 11. April 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 1° Semestre, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 16 gennaio 1937, Relazione XXIII. Guido Manacorda an Luisa Wassenaer-Crocini, Brief vom 9. Mai 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico II, I–Z, Sottofasc. Wassenaer.
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schafter beim Heiligen Stuhl, Pignatti, bestätigte diese Einschätzung Manacordas bezüglich der Aktivitäten zur Nachfolge des Papstes und der demokratischen Strömungen. Nicht nur der Heilige Stuhl, die ganze katholische Kirche fürchte die totalitären Regime, was auch darin zum Ausdruck käme, dass der päpstliche Brief an die deutschen Bischöfe sich an sämtliche totalitären Regime richte.²⁴⁸ Gemäß den Mussolini erteilten Instruktionen und den Vereinbarungen mit Hitler erarbeitete Manacorda in deutscher Sprache eine Zusammenfassung seines Gespräches mit dem Papst, um sie zunächst dem „Duce“ vorzulegen und dann als vertrauliches Dokument an Hitler zu übermitteln. Dieses wurde Hitler im Zeitraum vom 19. April, an diesem Tag hatte Manacorda eine Audienz bei Ciano²⁴⁹, bis spätestens 24. April über die italienische Botschaft in Berlin übergeben.²⁵⁰ Der hier im Anhang wiedergegebene Brief findet sich im Nachlass Manacordas, liegt aber bereits in der Aktenedition des italienischen Außenministeriums, in den Documenti Diplomatici Italiani, seit Längerem gedruckt vor.²⁵¹ In den Grundzügen gleicht der Brief an Hitler dem erwähnten Bericht an Mussolini, er ist aber in einigen Details ausführlicher. Darin betonte Manacorda, dass der Papst auf einen deutschen Verhandlungsvorschlag warte. Er habe trotz der Enzyklika vom 14. März immer versucht, eine Krise wie die gegenwärtige zu vermeiden. Außerdem habe Ratti unterstrichen, dass der Katholizismus die größte Kraft sei, die den Bolschewismus bekämpft habe bzw. weiter bekämpfen werde. In einem weiteren Gespräch mit Kardinalstaatssekretär Pacelli habe Manacorda das gegenwärtige Konkordat kritisiert. Dabei habe jener ihm nicht darin widersprochen, dass es müßig sei, seinen jetzigen Wortlaut in Gänze zu verteidigen. In Abstimmung mit Mussolini unterbreitete Manacorda Hitler nun in seinem Schreiben einen Zweiphasenplan, der auch – wie Manacorda etwas relativierte – von Pacelli mitgetragen werde. Erstens sollten beide Parteien unverzüglich geheime Sondierungen außerhalb der diplomatischen Kanäle aufnehmen. Zugleich sollten die gegenseitigen Angriffe in Presse, von den Kanzeln, in Strafprozessen etc. suspendiert werden. Soweit sich die Lage beruhigt habe, sollten zweitens wirkliche Geheimverhandlungen begonnen werden mit dem Ziel, ein neues, den geistlichen Bedürfnissen angemessenes und praktikables Konkordat abzuschließen, das beiden
Der italienische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Graf Bonifacio Pignatti Morano di Custoza, an Außenminister Galeazzo Ciano, rapporto secreto vom 13. April 1937. In: DDI. Ottava Serie: 1935 – 1939. Bd. VI. 1. Januar bis 30. Juni 1937. Roma 1997, Dok. 456, S. 572– 574. Am 19. April 1937 fand die Audienz Manacordas zusammen mit einer Begleitperson statt, vgl. Blasco Lanza d‘Ajeta an Guido Manacorda, Telegramm vom 17. April 1937 und Notiz Manacordas über das Gespräch mit Ciano vom 19. April 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 1° Semestre, A–H, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta. Außenminister Galeazzo Ciano an den Consigliere dell’ambasciata in Berlin, Massimo Magistrati. In: DDI Ottava Serie: 1935 – 1939, Bd. VI, 1. Januar bis 30. Juni 1937, Rom 1997, Dok. 482, S. 603, Anmerkung 1. Magistrati übergab den Brief Hitler persönlich. Guido Manacorda an Adolf Hitler, persönlicher Brief vom 14. April 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre, Sottofasc. Hitler, abgedruckt in: DDI Ottava Serie 1935 – 1939. Bd. VI. 1. Januar bis 30. Juni 1937. Roma 1997, Dok. 482, S. 603 – 604.
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Seiten zum Vorteil gereiche und streng überwacht werde. Hitler um ein Zeichen der Zustimmung ersuchend, bot sich Manacorda als Vermittler an. Massimo Magistrati, der den Brief Manacordas überbracht hatte, übermittelte Ciano am 8. Mai, dass sich Hitler dafür bedankt habe.²⁵² Mussolini stellte Manacorda also immerhin seinen diplomatischen Dienst zu Verfügung, um das persönliche Anliegen seines Beraters und Mittelsmanns auf den Weg zu bringen: Damit ist nicht gesagt, dass er dessen Vorstellung eines Ausgleichs zwischen Reich und Kirche teilte. Der„Duce“ dürfte am Versöhnungsprojekt Manacordas kein eigenes, sondern höchstens ein taktisches Interesse gehabt haben. Eine erfolgreiche Vermittlung hätte ihn als Mediatorinnen- und außenpolitisch gestärkt. Wohl deshalb brachte er es gegenüber den deutschen Vertretern auf die Tagesordnung. In einem Gespräch mit Neurath Anfang Mai 1937 versuchte Mussolini, Hitler dazu zu veranlassen, der katholischen Kirche in Deutschland außerhalb der politischgesellschaftlichen Sphäre mehr Freiraum zu lassen: Wenn er einen Rat geben dürfe, so sei er der, sich auf der folgenden Basis mit der Kirche zu verständigen: Die Politik ist ein ausschließliches Reservat des Staates, die Religion ist das Betätigungsfeld der Kirchen. […] Er selbst habe sich nach den schwierigen Auseinandersetzungen mit dem Vatikan auf diese Linie geeinigt und sei dabei gut gefahren.²⁵³
Doch von der Reichsregierung erhielt Manacorda keine Antwort, trotzdem hielt er sich bereit und wurde von der italienischen Diplomatie weiterhin konsultiert. Am 15. Juli 1937 besprach er sich mit Ciano u. a. über das Problem der Religion in Deutschland, über Hitler, Pacelli sowie Gemelli. Außerdem war er jetzt interessiert, sich wissenschaftlich in Deutschland zu etablieren. Daher waren weitere Themen wie die Besetzung von Lehrstühlen in Deutschland und Konferenzen in Berlin für ihn interessant.²⁵⁴ Die italienische Botschaft informierte ihn weiter über das Vorgehen des NSRegimes gegen die Kirche.²⁵⁵ Ein weiteres Gespräch über die Lage in Frankreich und die Situation der Lehrstühle in Deutschland führte er mit Cianos Kabinettschef Blasco Lanza d’Ajeta.²⁵⁶ Diese Konsultationen konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bedeutung Manacordas für die faschistische Außenpolitik ihren Hö-
Massimo Magistrati an Galeazzo Ciano, persönlicher Brief vom 8. Mai 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 193, 2° Semestre Sottofasc. Hitler. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen von Neurath vom 4.05.1937. In: ADAP 1918 – 1945. Serie D: 1937– 1941. Bd. 1: Von Neurath zu Ribbentrop (September 1937–September 1938). BadenBaden 1959, S. 786, zitiert nach Karl-Joseph Hummel: Hudal, Pacelli, von Papen, S. 92. Notizen des Gesprächs mit Ciano vom 15. Juli 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta. Der Direttore Generale per i Servizi della Propaganda, Andrea Geisser Celesia di Vegliasco an Guido Manacorda, Telegramm vom 11. November 1937 AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Guido Manacorda an Blasco Lanza d’Ajeta, Brief vom 22. Juli 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta.
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hepunkt überschritten hatte. Die deutsch-italienischen Beziehungen wurden jetzt mit Mussolinis Deutschlandbesuch im September 1937 und dem dann im Mai 1938 stattfindenden Gegenbesuch Hitlers endgültig zur Chefsache der beiden Diktaturen, die eines offiziösen, geschweige denn selbst ernannten Vermittlers, der dazu eigene politische Ambitionen in einer unbequemen Sachfrage hatte, nicht mehr bedurfte. Anlässlich der bevorstehenden Deutschland-Reise des „Duce“ vom 25. bis 29. September 1937 schrieb ihm Manacorda einen Brief, in dem er ein psychologisches Profil des „Führers“ entwarf. Darin versuchte er auch vorsichtig, Mussolini als Fürsprecher für seine Konkordatsneuverhandlungen zu gewinnen. Der Inhalt des Briefes verleitet aus heutiger Sicht aufgrund der darin enthaltenen Beobachtungen der Eigenheiten des deutschen Diktators und mehr noch aus den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen Manacordas zum Schmunzeln, ist aber in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zunächst wird die Beharrlichkeit sichtbar, mit der Manacorda agierte. Außerdem wird hier seine völkerpsychologische Fehldeutung deutlich, weil er dem „Führer“ nordische Wesensmerkmale zuschreibt. Mit diesen Deutungen wirkte er auf Mussolini ein und trug sehr wahrscheinlich mit dazu bei, dass Mussolini vor dem Zweiten Weltkrieg nie ein zutreffendes Bild von seinem Achsenpartner erhielt. Über Hitler schrieb der Germanist und Deutschland-Experte Mussolinis, dieser sei voller Bewunderung für Mussolini, den er als Epochenfigur bezeichnete habe, die nur alle Jahrhunderte erscheine. Drei Themen würden ihn allerdings in Wut versetzen: Judentum, Kommunismus und katholisches Zentrum. Im Gegensatz zum Vatikan sei er jedoch der Auffassung, dass Hitler in der religiösen Frage weitaus beweglicher sei. Treue, Ehre und Heldentum schätze er, weniger aber den Begriff der Intelligenz, wenigstens im lateinischen Sinn, den er mit dem der Verschlagenheit durcheinander bringe.²⁵⁷ Es sei schwierig, mit ihm eine Unterhaltung zu führen, wenn man seinen Redefluss, der nur von wenigen Pausen unterbrochen sei, nicht stoppe. Ihm nicht ins Wort zu fallen, sei auch der Fehler von Kardinal Faulhaber gewesen. Der „Führer“ stilisiere seine vollkommene Keuschheit, indem er häufig betone, dass Deutschland seine einzige Liebe sei. Diese Haltung sei der lateinischen Mentalität zwar fremd, dozierte der Professor, sie stimme allerdings mit der nordischen Grals-Mystik von Wagners „Lohengrin“ und „Parzifal“ überein. Deren reines, selbstloses, beharrliches Streben symbolisiere das Eintreten für eine gerechte Sache. Hitlers Metapher, Mussolini sei ein Riese unter Zwergen sei Ausdruck dieser nordischen Prägung. Seine Bereitschaft, Italien gegen die 52 Nationen des Völkerbundes beizustehen, gehe ebenfalls auf den germanischen Treuebegriff wie bei den Nibelungen zurück. Hier lag Manacorda in seiner Deutung Hitlers als treuer germanischer Held grundlegend falsch. Es war der „Führer“, der seinen italienischen „Freund“ von Anfang bis Ende
Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. September 1937 (Anhang VIII). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre Mussolini, Colloqui XI– XII.
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instrumentalisierte, während sich Mussolini als Juniorpartner in der Achse weitaus mehr an Hitler orientierte, bevor er von diesem in den Untergang gerissen wurde.²⁵⁸ Während Manacordas Sondierungen beim Heiligen Stuhl ergebnislos blieben, hoffte er weiterhin, in Berlin für seine Sache werben zu können. Am 25. September 1937 erhielt Manacorda von Hitlerdeutschland mit dem Verdienstkreuz des Ordens vom Deutschen Adler eine hohe Auszeichnung. Das bestärkte ihn darin, wie er dem Sekretär des „Duce“ schrieb, sich weiter für eine Neufassung des Konkordats einzusetzen.²⁵⁹ Die baldige Gelegenheit hierzu bot die große italienische Kunstausstellung in Berlin, die von italienischer Seite von langer Hand vorbereitet wurde und an der er auch mitwirkte.²⁶⁰ Deren Vorgeschichte beginnt anlässlich eines Besuches von Goebbels auf der Biennale 1936 in Venedig, wo er die Idee einer Ausstellung über die zeitgenössische italienische Kunst in Berlin aufwarf.²⁶¹ In Deutschland war die italienische Kunst bislang so gut wie nicht zu sehen gewesen, sieht man von einigen wenigen Werken der Biennale von 1932 ab, die in München, Frankfurt, Köln und Dresden und einigen anderen Städten gezeigt wurden und mit Ausnahme der unten näher beschriebenen, erwähnten Futuristen-Ausstellung im Jahre 1934. Propagandaminister Alfieri sowie Botschafter Attolico erhielten im Januar 1937 grünes Licht für eine repräsentative Ausstellung der italienischen Kunst in der Preußischen Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin.²⁶² Ziel war es, die politische Annäherung Italiens an das „Dritte Reich“ kulturell zu flankieren. Natürlich sollte auch Hitler durch die Ausstellung geleitet werden. Dafür hatten die Italiener Manacorda auserkoren. Ferner sollte er, als einer der ganz wenigen italienischen Intellektuellen, die fließend Deutsch sprachen, einen Vortrag über die italienische Kunst halten. Rom wollte Vorfälle wie während der futuristischen Ausstellung 1934 in Berlin unbedingt verhindern.²⁶³ Die Irritationen in den deutsch-italienischen Kunstbeziehungen, die eng verknüpft mit der NS-Kunstdebatte sind, sollen daher kurz beleuchtet werden: Diese innerdeutsche Debatte wurde über die Bewertung des Expressionismus im „Dritten Reich“ geführt. Für diesen ergriff die seit Oktober 1933 erscheinende Zeitschrift „Kunst der Nation“ Partei. Im November 1933 hatte überdies Gottfried Benn in
Kershaw: Hitler. 1936 – 1946, S. 783. Guido Manacorda an Osvaldo Sebastiani, Brief vom 31. Oktober 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Sottofasc. Sebastiani. Die Gesamtkosten der Ausstellung beliefen sich auf 187.300 Lire, vgl. Mostra d’arte italiana a Berlino 1937–XV–XVI, Resoconto generale. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino. Anhang zu „Appunto per l’ispettorato radio“ vom 27. Oktober 1937, ebd. Auswärtiges Amt an die Botschaft in Rom, Brief vom 17. Januar 1937, sowie Abschrift des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 7. Januar 1939. In: PA Berlin, Rom-Quirinal, Paket 1332b, verschiedene Kunstausstellungen in anderen Ländern als Italien 1929 – 1939 sowie Garzarelli: „Parleremo al mondo intero“, S. 209. Auf dem Reichsparteitag im September 1934 zog Hitler selbst dann einen Schlussstrich unter die kunstpolitische Debatte, indem er die moderne Malerei ächtete,vgl. Petersen: Hitler – Mussolini, S. 339, sowie Crispolti, Enrico: Il mito della macchina e altri temi del futurismo. Roma 1971, S. 686.
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der „Deutschen Zukunft“ den Expressionismus als letzte große künstlerische Revolution Europas und als vereinbar mit dem Nationalsozialismus verteidigt. Dies war der Stand der Diskussion, als im März 1934 die Ausstellung Italienische Futuristische Flugmalerei (Aeropittura) zunächst in Hamburg und dann in Berlin Station machte. Noch am gleichen Tag richtete Robert Scholz, Kunstschriftleiter im „Völkischen Beobachter“ und ein Mann Rosenbergs, heftige Angriffe gegen die Ausstellung. Die Futuristen hätten im faschistischen Italien nur marginale Bedeutung. Weil Außenminister von Neurath die Ehrenpräsidentschaft abgelehnt hatte, da er Marinetti der Deutschlandfeindlichkeit bezichtigte, übernahmen Goebbels und Göring daraufhin mit Wissenschaftsminister Bernhard Rust die Schirmherrschaft für die Ausstellung. Hitler, der sich in Kunstfragen für versiert hielt, schob solchen Bestrebungen auf dem Reichsparteitag im September 1934 einen Riegel vor, indem er die moderne Kunst als antinationalsozialistisch verdammte.²⁶⁴ Goebbels hingegen hatte bislang eine Position der Indienstnahme der Kunstrichtung für das Regime und der ideologischen Öffnung zugunsten des Expressionismus eingenommen.²⁶⁵ So war sich die italienische Seite durchaus bewusst, dass bei einer neuen Ausstellung Schwierigkeiten auftreten könnten. Deshalb hatte der Direktor und Organisator der Biennale in Venedig Antonio Maraini als Kurator mit seinem Auswahlkomitee von vorneherein den Schwerpunkt der Ausstellung auf das 19. Jahrhundert gelegt. Manacorda war im September ebenfalls nach Venedig gekommen, um sich bei der Auswahl der Exponate zu beteiligen.²⁶⁶ Weil die Hängung einen vollständigen chronologischen Überblick über die Entwicklung der italienischen Kunst gewährleisten sollte, meinte man – trotz der bekannten NS-Vorbehalte gegen die künstlerische Avantgarde – auf einen die Ausstellung abschließenden futuristischen Saal mit einer schwer zu deutenden Skulptur von Boccioni nicht verzichten zu können.²⁶⁷ Die Organisatoren wurden aber während der Zusammenstellung der Exponate von der Verschärfung der NS-Kunstpolitik vor allen Dingen durch die Ausstellung Entartete Kunst in München im Juli 1937 und durch eine Hitler-Rede anlässlich der Eröffnung der Ersten Deutschen Kunstausstellung überrascht.²⁶⁸ Hitler hatte in dieser programmatischen Rede eine wahre deutsche Kunst
Hitlers Reichsparteitagsrede hattedas Verbot der Zeitschrift „Kunst und Nation“ zur Folge. Und auch Rosenberg wiederholte seine intransingenten Positionen vom Herbst 1933, indem er Kubismus, Futuristen und Dadaisten als korrupte, moderne Kunstrichtungen diffamierte, ebd. Im Mai 1933 hatte Goebbels die beiden Richtungen Expressionismus und Neue Sachlichkeit als die kommende deutsche Kunst bezeichnet. Damit befand er sich zu diesem Zeitpunkt in seiner Kunstauffassung in Nähe zu Bottai, ebd., S. 598. Guido Manacorda an den Minister des Ministeriums für Volkskultur, Brief vom 26. Dezember 1937. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino. Die Spesen Manacordas beliefen sich für das gesamte Projekt auf insgesamt über 4.700 Lire. Magistrati, Massimo: L’Italia a Berlino 1937– 39. Verona 1956, S. 87. „La ‚crocciata‘ socialnazionale per l’arte tedesca“, Das Generalkonsulat München an das Außenministerium, Telespresso vom 24. August 1937. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino.
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gefordert und „Kulturbolschewismus“ sowie die modernen Kunstrichtungen insgesamt unter expliziter Erwähnung des Futurismus verworfen.²⁶⁹ Die futuristischen Exponate waren daraufhin aus sämtlichen deutschen Sammlungen entfernt worden, aber erst im Augustinformierte Botschafter Attolico darüber den Minister für Volkskultur Dino Alfieri.²⁷⁰ Hier blieb die Nachricht liegen. Es dauerte bis Mitte September, als mit der Verschickung der Exponate nach Deutschland bereits begonnen wurde, bis Maraini in Venedig eine entsprechende Warnung erreichte. Nachdem dieser kurz darüber nachdachte, unter diesen Umständen auf die Ausstellung zu verzichten, legte sich Mussolini darauf fest, wenigstens einige wenige gemäßigte Futuristen zu berücksichtigen, zumal er angesichts der Verschärfung des Kurses in der NS-Kunstpolitik erklärte, dass es „ohne den Futurismus nie zur faschistischen Revolution gekommen wäre“.²⁷¹ Der „Duce“ zeigte sich außerdem verwundert über die reaktionäre Kunstauffassung des „Dritten Reiches“, denn wenn der Nationalsozialismus seine avantgardistischen Künstler ächte, verzichte er auf seine revolutionäre Qualität. Er habe nie verstanden, fügte Mussolini konsterniert an, wieso ein Mann wie Hitler, der auf dem Gebiet der Bildenden Künste alles andere als ein Laie sei, es zulassen könne, dass in seinem Land der Expressionismus verfolgt werde. Die Futuristen waren daher auf höchste Anweisung vertreten durch Boccioni und Prampolini, die Aereopittori Ambrosi und Tato sowie den Bildhauer Mino Rosso und Thayat, letzterer mit seinem berühmten „Duce“ aus Stahl.²⁷² Denn obwohl der in den 1930er Jahren erstarrte Futurismus vom intransigenten Flügel um Farinacci, Interlandi und Preziosi heftig kritisiert wurde, galt er auch, aber nicht nur wegen der schützenden Hand des italienischen Diktators weiter als d i e faschistische Ausdrucksform in der Kunst.²⁷³ Jedoch hatte der Futurismus seinen Zenit, der die Periode zwischen 1920 und 1930 umfasste, als er seine größte Verbreitung erfuhr, und das schlagkräftigste künstlerische Netzwerk Italiens bildete, sichtbar überschritten.²⁷⁴ Im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen Äthiopien und der Intervention im Spanischen Die Etiketten der Kunstrichtungen wie die von ihm genannten Impressionismus, Futurismus, Kubismus und Dadaismus bezeichnete Hitler als „Blödeleien“ und er sprach von „Vergiftung unseres gesunden Kultur- und Kunstempfindens“, vgl. Hitlers Rede bei der Eröffnung der Ersten Großen Deutschen Kunstausstellung 1937 aus dem „Völkischen Beobachter“ vom 19. Juli 1937, zitiert nach: Hinz, Berthold: Die Malerei im deutschen Faschismus. Kunst und Konterrevolution. München 1984, S. 152. Bernardo Attolico an Dino Alfieri, Brief vom 20. Juli 1937. In: ACS Rom, Minculpop, DGP, Busta 94, Fasc. Esposizione d’arte italiana sowie Benedetta Garzarelli: „Parleremo al mondo intero“, S. 214– 215. Vgl. De Begnac: Taccuini mussoliniani, S. 424– 425. VglManacorda, Guido: Welt und Darstellung der italienischen Kunstdes XIX. und XX. Jahrhunderts. Berlin 1938S. 38. Darin sind hochwertige Fotografien der Schlüsselexponate der Ausstellung enthalten. Salaris, Claudia: Artecrazia: l’avanguardia futurista negli anni del fascismo. Firenze 1992, S. 113, vgl. Massimo Campigli, Carlo Carrà, Achille Funi, and Mario Sironi, „Manifesto della pittura murale“ (Dezember 1933). In: Mario Sironi: Scritti editi e inediti. Hrsg. von Ettore Camesasca. Milano 1982, S. 155 – 157. Vgl. Berghaus: Review Article, S. 149 – 150.
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Bürgerkrieg befleißigte er sich daher, seine fortschreitende künstlerische Profanisierung durch einen bellizistischen faschistischen Gestus zu überspielen, der bemüht die imperiale „Leitidee“ Roms abbildete: Nach 1939 bewirkte die Ästhetik der ‚aeropittura‘ eine geradezu obsessive Produktion von Werken, die Bombardierungen, Luftschlachten über Land und See, mit und ohne Schiffe darstellen.²⁷⁵
Obwohl sich Goebbels zu Beginn des Dritten Reiches wie gesehen für die künstlerische Avantgarde wie den Expressionismus stark gemacht hatte, setzte er sich im Herbst 1937 – ganz der treue Diener seines „Führers“ – an die Spitze der antimodernen NSKulturkritik. Am 5. November notierte er in sich selbst entlarvender Offenheit in sein Tagebuch über die Beschlagnahme der sog. Entarteten Kunst: Nur ganz wenige Grenzfälle. Das andere ist ein derartiger Dreck, das [sic] einem bei einer dreistündigen Besichtigung direkt übel wird. Dann habe ich nun die Museen gesäubert. Ich glaube mir einen Verdienst damit erworben zu haben.²⁷⁶
Jetzt entbrannte eine Polemik zwischen der italienischen Botschaft in Berlin und dem deutschen Propagandaministerium. Hitler könne keine Ausstellung besuchen, in der Werke hingen, die er selbst verurteilt habe, hieß es aus dem Hause Goebbels. Erst in einer Unterredung zwischen dessen Kabinettschef und Vertrauten Karl Hanke, der Maraini von der Biennale auch privat kannte, und Attolico im Tiergarten konnten die Vorbehalte ausgeräumt werden, weil es dem Botschafter gelang, die Bedeutung des Futurismus für die faschistische Revolution zu verdeutlichen.²⁷⁷ Die Ausstellungsleitung um Maraini bemühte sich eiligst, die so entstandene Lücke mit einer bislang fehlenden Auswahl propagandistischer Werke zu schließen. So wurde das von Antonio Barrera auf der Biennale 1934 gezeigte und von der faschistischen Partei gekaufte Bildnis „L’Apoteosi del Duce“ in die Ausstellung mit aufgenommen, obwohl ihm kein künstlerischer Wert zugeschrieben wurde.²⁷⁸ Mit der verstärkten Berücksichtigung des Novecento, gab Alfieri gegenüber der Auswahlkommission zu verstehen, habe man alles richtig gemacht.Weil die Kunstrichtung des Novecento die nationale Tradition mit der Avantgarde verband, vertrat er einen im Vergleich zum Futurismus gemäßigten, für die Nazis daher etwas erträglicheren Mo-
Fochessati, Matteo: Die zwiespältigen Beziehungen zwischen Faschismus und Futurismus. In: Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930 – 1945: Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin in Zusammenarbeit mit The Wolfsonian-Florida International University (26. Januar bis 29. April 2007). Hrsg. von Hans-Jörg Czech und Nikola Doll. Dresden 2007. S. 64– 75, S. 75. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil 1. Bd. 4: März-November 1937, S. 392. Magistrati: L’Italia a Berlino 1937– 39, S. 87. Ministro della Cultura Popolare: „Appunti per S. E. il Ministro“. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino.
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dernismus²⁷⁹. Nachdem der Termin mehrfach verschoben worden war, eröffneten Göring und der italienische Justizminister Arrigo Solmi am 1. November 1937²⁸⁰ die Ausstellung vor zahlreicher Prominenz von Staat und Partei, darunter an erster Stelle Neurath, Frank, Rust, Schacht sowie die Staatssekretäre Meissner und Funk, jedoch in Abwesenheit des ob der futuristischen Beteiligung verärgerten „Führers“ ²⁸¹ und ohne Goebbels. Die Ausstellung, die bis zum 12. Dezember geöffnet war, stieß mit 22.000 Besuchern²⁸² auf eine große Resonanz und wurde von den deutschen wie von den italienischen Zeitungen ganz überwiegend wohlwollend besprochen.²⁸³ Sie erregte auch das Interesse der internationalen Presse.²⁸⁴ Noch Ende November hoffte der nach Berlin angereiste Manacorda auf persönliche Treffen mit Goebbels und Hitler, die Botschafter Attolico für ihn während des Ausstellungsbesuches Hitlers vermitteln wollte.²⁸⁵ Der Botschaft war Anfang November mitgeteilt worden, dass der Diktator die Ausstellung zwischen dem 20. und 30. November nach seiner Rückkehr von den Feiern zum 9. November in München besuchen wolle. Die Anwesenheit Manacordas in dieser Periode wurde von der Botschaft daher angefordert.²⁸⁶ Ein entsprechendes Telegramm erging an Manacorda vom Ministerium für Volkskultur am 10. November.²⁸⁷ Am 30. November ersuchte der Professor Hitler um eine kurze Audienz um
Die 1922 gegründete Novecento-Gruppe wurde von Margherita Sarfatti, die einer reichen jüdischen Familie entstammte und Geliebte Mussolinis war, initiiert, vgl. Gentile, Emilio: The Conquest of Modernity: From Modernist Nationalism to Fascism. In: Modernism/Modernity (A Special Issue on Marinetti and the Italian Futurists) 3 (1994). S. 55 – 87, S. 76; Stone: The Patron State, S. 46 – 54. „Chronik der politischen Ereignisse 1937“. In: „Völkischer Beobachter“ vom 31. Dezember 1937, S. 6. Hassell: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 1938, S. 86 – 87; Magistrati: L’Italia a Berlino 1937– 39, S. 93 f. Preußische Akademie der Künste an den Gesandten [Attolico], Brief vom 31. Dezember 1937, ebd. Besprechungen fanden sich u. a. im „Berliner Tageblatt“ vom 1. November 1937, der „BörsenZeitung“ vom 2. November 1937, in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 1. November 1937, im Bonner „Generalanzeiger“ vom 21. November 1937, in der „Germania“ vom 2. November 1937, im „Hamburger Fremdenblatt“ vom 2. November 1937, in der „Kölnischen Volkszeitung“ vom 7. November 1937, in der Essener „Nationalzeitung“ vom 2. November 1937 und im „Westdeutschen Beobachter“ vom 2. November 1937 und 23. Dezember 1937. Diese Presseschau wurde von der italienischen Botschaft in Berlin ausgewertet und liegt den Akten des Ministeriums für Volkskultur bei, vgl. ebd. Vgl. ebd. Die italienische Botschaft war trotzdem mit der Resonanz nicht zufrieden, wie Magistrati schreibt, vgl. Massimo Magistrati: L’Italia a Berlino 1937– 39, S. 86 – 88. Vgl. Manacorda an die italienische Botschaft, Schreiben vom 21. November 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Botschaft Berlin an das Ministerium für Volkskultur, Telespresso vom 6. November 1937. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino. Ministerium für Volkskultur an Guido Manacorda, Telegramm vom 10. November 1937, ebd.
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Ew. Exzellenz über das Gefühl der italienischen deutsch-freundlichen Katholiken zu erkundigen und Ew. Exzellenz den Plan zu unterbreiten, den ich mit allen meinen Kräften und im Einklang mit einigen der hervorragendsten italienischen katholischen Persönlichkeiten der politischen und geistlichen Welt unter jeden Umständen ausführen werde, um eine gerechte, ehrliche, dauerhafte Lösung einer so schweren allen Unheil drohenden Frage zu finden.²⁸⁸
Derweil entzündete sich in Deutschland eine Debatte über die Bewertung des Futurismus. Emblematisch ist der Bericht von Carl Meissner in der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung“, auch hinsichtlich der ambivalenten Beurteilung der Futuristen und der Wertschätzung des Novecento ²⁸⁹: Unter der Plastik ragen […] die Bildnisbüsten hervor. Gleich im Eingangsraum: die großdekorativen Köpfe des Königs und Kaisers und des Duce von Adolfo Wildt. Intimer die beiden Büsten von Graf und Gräfin Ciano von Francesco Messina. Die Futuristen waren in Plastik und Malerei die stimmungsmäßigen Vorläufer und treuen Mitkämpfer des Faschismus, stehen also anders als bei uns im geschichtlichen Zusammenhang.²⁹⁰
Im „Westdeutschen Beobachter“ war das Urteil über die Futuristen deutlich negativer: Im letzten Saal sind auch einige ‚futuristische‘ Künstler zur Stelle, darunter der typische Vertreter des italienischen „Futurismus“ in der bildenden Kunst B o c c i o n i [gesperrt i. Orig.]. Die Vertreter dieser Bewegung in Italien waren tief patriotisch; es war kein Jude darunter und sie haben treu für den Faschismus gekämpft. So erschien es als gerecht, auch sie ihr Wort in dieser Ausstellung sagen zu lassen.²⁹¹
Gerade der im Ersten Weltkrieg bei einem Unfall während einer militärischen Übung verstorbene Umberto Boccioni war ein Künstler, dessen Werk Mussolini unbedingt ausgestellt haben wollte.²⁹² Neutral berichtete das „Berliner Tageblatt“ über die Futuristen, „deren Elemente Geschwindigkeit, Dynamik kehrten in der ‚aeropittura‘, der Luft- und Flugmalerei wieder, vermehrt um die Perspektive, die sich vom Flugzeug aus ergibt“.²⁹³ Über die italienische Kunstausstellung werde in großer Aufmachung berichtet, meldete die Botschaft nach Rom, allerdings werde der Futurismus fast tot-
Guido Manacorda an Adolf Hitler, Brief vom 30. November 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Sottofasc. Hitler. Meissner, Carl: Italiens Kunst von 1800 bis zur Gegenwart in der Preußischen Akademie der Künste. In: Rheinisch-Westfälische Zeitung vom 7. November 1937. S. 9. Ebd., S. 9. „Erster italienisch-deutscher Kulturaustausch“. In: Westdeutscher Beobachter vom 2. Novembre 1937, S. 2. Vgl. Garzarelli: „Parleremo al mondo intero“, S. 215. Nemitz, Fritz: Freundschafts-Botschaft italienischer Kunst. Die universelle Bedeutung der italienischen Kunst – Zur Eröffnung der Ausstellung in der Berliner Akademie. In: Berliner Tageblatt vom 1. November 1937 (Abendausgabe). 1. Beiblatt.
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geschwiegen. Zwar werde er als faschistisch, zugleich aber auch als sonderbar dargestellt.²⁹⁴ Auf doppelte Weise war der Vortrag Manacordas nun mehr als schwierig: Erstens geriet der italienische Fachvortrag zur Ausstellung, den Manacorda halten sollte, notwendig nicht in erster Linie zu einem kultivierten, intellektuellen Schaulaufen für das Feuilleton und die illustren Gäste, sondern zum heiklen Politikum. Gefordert war nun ein Parforceritt des Redners, in dem es ihm unter den Argusaugen der gesamten deutschen und italienischen Presse gelingen musste, ein schwieriges Gleichgewicht zu wahren: nämlich zum einen die Ausstellung seines Heimatlandes – und insbesondere die Berücksichtigung der futuristischen Exponate – zu verteidigen, zum anderen den ideologischen Vorbehalten des Gastgebers Rechnung zu tragen. Nur dann konnte ein weiterer Eklat vermieden und der bereits mehr als erboste Diktator besänftigt werden. Denn für die Vertiefung des Achsenbündnisses war es politischpropagandistische Notwendigkeit, dass Hitler die Ausstellung besuchte. Es lag außerdem im ureigensten Interesse Manacordas, für den der persönliche Zugang zum Diktator für sein Vermittlungsprojekt zwischen dem Reich und dem Heiligen Stuhl unabdingbar war. Da Kunstausstellungen für totalitäre Bewegungen besonders relevant sind – wie die Femeschau Entartete Kunst zeigte –, da sie mittels dieses Forums ihre Geltungsansprüche gegenüber der Öffentlichkeit durchsetzen wollen, musste Manacorda, wollte er seiner selbstgewählten Rolle gerecht werden, vor allem den Futurismus verteidigen und ihn ideologisch gegenüber der NS-Bewegung rechtfertigen.²⁹⁵ Zugleich positionierte und stärkte er – das Gelingen seiner Rede vorausgesetzt – seine Intellektuellengruppe auch im politischen Machtfeld innerhalb des Regimes, z. B. gegenüber dem Farinacci-Flügel. Unter diesen schwierigen Voraussetzungen hielt Manacorda am 29. November seinen Vortrag über die Welt und Darstellung in der heutigen italienischen Kunst. Hierfür hatte er sich selbst vorgeschlagen, wie das römische Außenministerium befand.²⁹⁶ In der Version von Manacorda war er von Maraini dazu eingeladen worden. Er habe sich schon seit Monaten intensiv darauf vorbereitet und u. a. in Venedig die Originale studiert.²⁹⁷
„Invio ritagli dai quotidiani locali“, Generalkonsul Armao von der Botschaft Berlin an das Ministerium für Volkskultur, Telespresso vom 23. November 1937. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino. Wie Pierre Bourdieu gezeigt hat, sind Kulturinstitutionen generell an der Herstellung von Dominanzsystemen und Geltungshierarchien sogar wesentlich beteiligt, was auch daran ersichtlich ist, dass sie von Änderungen im Herrschaftssystem konkret betroffen sind, vgl. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Frankfurt a. M. 1982. Galeazzo Ciano an Dino Alfieri, Minister für Volkskultur, Brief vom 26. Oktober 1937. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino. Guido Manacorda an Dino Alfieri, Brief vom 22. Oktober 1937, ebd.
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Ort war der erste große Saal im Erdgeschoss der Preußischen Akademie der Künste. ²⁹⁸ Manacorda war sich der prekären Situation bewusst, Hitler nicht verärgern zu dürfen. Er löste sein Dilemma mit einer erfolgversprechenden Strategie, die er aus seinen eigenen Erfahrungen in der faschistischen Diktatur übertragen konnte: Er bediente sich der Worte des Diktators und berief sich auf dessen Deutungsmonopol. In seinem Vortrag ging Manacorda direkt auf Hitlers Ausführungen zur Kunst ein, indem er sich wie dieser von der Idee der Existenz verschiedener Kunstrichtungen distanzierte: Es werden daher heute von mir weniger Schulen – Impressionismus, Divisionismus, Realismus, Expressionismus, Kubismus, Futurismus usw. – als Taten, d. h. Gemälde und Skulpturen, weniger Streben als Wirken, weniger ‚Wollen‘ – wenn es mir erlaubt wird, mich eines glücklichen Ausdrucks des Führers zu bedienen […] als ‚Können‘ vor- und dargestellt.²⁹⁹
Wie Hitler plädierte er für eine staatlich-gesteuerte, aus dem Volk kommende, die Moderne letztlich absterben lassende Kunst, die den Elementen seiner faschistischkatholischen „Leitidee“ Rechnung tragen sollte. Zu diesen zählte Manacorda: neben den ewigen Werten der Religion die unsterblichen Werte der Menschheit: Familie, Vaterland, Volkstum; die großen Erlebnisse der neuen Epoche: Krieg und Revolution; der neue von Zeitnot und Zeitgröße geschmiedete Lebenscharakter: Dynamik, Wettkampf, Kampflust.³⁰⁰
Sodann verwarf er ausdrücklich die künstlerische Avantgarde: Eine unglückliche, rein formalistische Ästhetik hatte bei uns, Anfang des Jahrhunderts, ihr Mögliches getan, um Kunst vom Leben zu trennen und die künstlerische Darstellung zu abstrakten, zerbröckelten Fragmenten zu reduzieren. Es ist ihr leider größtenteils gelungen. Der Krieg, von ihr vollständig unverstanden, gab ihr den ersten Schlag, die revolutionären faschistischen Zeiten sind im Begriff, ihr den letzten beizubringen. Kunst soll tief im Leben wurzeln: Leben soll unbedingt mit der Kunst versöhnt werden. Noch ein Verdienst unseres Maraini, es gegen den herrschenden intellektualistischen Strom verstanden und als Chef der italienischen Kunstsyndikate unseren jungen Künstlern eingeschärft zu haben.³⁰¹
Vorsichtig warb er immerhin für den Futurismus: Ich meine, der Futurismus ist bei uns, im nationalen Boden wurzelnd und belebend wirkend, offenbar trotz seines Überschwanges nicht so häßlich, wie er meist gemalt wird!³⁰²
Der Präsident der Preußischen Akademie der Künste Georg Schumann an Manacorda, Brief vom 26. Novembre 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Der Vortrag erschien im „Wessobrunner Verlag“: Guido Manacorda: Welt und Darstellung der italienischen Kunst, hier S. 5 – 6. Manacorda: Italienische Kunst, S. 32. Ebd., S. 33 – 34. Ebd., S. 31– 32.
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Und weiter: Schade, daß eins der interessantesten Kriegsgemälde hier fehlt, das ‚Schlachtgetümmel‘ von dem Futuristen Boccioni – der Futurismus ist hier, in der Kriegsdynamik, an seiner rechten Stelle.³⁰³
Im Bericht der italienischen Botschaft über den Vortrag hieß es: Dieser sei in deutscher Sprache am Ort der Ausstellung vor dem diplomatischen Korps und zahlreichen Vertretern aus Künstlerkreisen aus der Hauptstadt erfolgt. Der Erfolg sei groß gewesen, einerseits aufgrund der Exaktheit seiner Ausführungen, andererseits aufgrund seiner perfekten Beherrschung der deutschen Sprache. Darauf bezöge sich auch die Presse. Manacorda solle daher noch in Berlin bleiben, um den „Führer“ durch die Ausstellung zu begleiten.³⁰⁴ In der deutschen Presse und sogar von Robert Scholz im „Völkischen Beobachter“ erfuhr sein Vortrag eine wohlwollende Besprechung, so sehr hatte Manacorda den Anschluss an die NS-Ideologie hergestellt. Das NS-Kampfblatt sprach in seinem Dreispalter von einem „nach Form und Inhalt außerordentlichen Vortrag“ Manacordas, denn er sei nicht von einem historisch überwundenen, formal-analytischen, „sondern vom Standpunkt einer höheren philosophischen Betrachtung der inneren Gesetzmäßigkeit der Beziehung zwischen Welterlebnis und Darstellungsform“ ausgegangen. Manacordas Formel von der Kunst als Ausdruck einer ganzheitlichen schöpferischen Tat, die er von Hitler übernommen hatte, fand folgerichtig das volle Plazet des NS-Kunstkritikers, der sich darin wiedererkannte. Letzterer kam zu dem Schluss: „Prof. Manacorda stellte fest, daß dieser Grundsatz nationalsozialistischer Kunstwertung auch im italienischen Kunstleben bereits eine nachhaltige Wirkung ausgelöst hat.“³⁰⁵ Und er schloss: In Bezug auf die Kunst der Gegenwart stellte der Vortragende fest, daß die faschistische Revolution auch der Kunst Italiens einen neuen Weg der Entwicklung gewiesen hat und dieser neue Stil als Festigkeit der künstlerischen Ausdrucksform nicht mehr ein Versprechen, sondern bereits eine Tatsache ist.³⁰⁶
Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ schickte ihrem Bericht eine Vorstellung der Person des Redners voran: Ebd., S. 37. „Conferenza del Prof. Manacorda sulla Mostra d’Arte Italiana di Berlino“, [Massimo Magistrati von der] Botschaft Berlin an das Ministerium für Volkskultur, Telespresso vom 1. Dezember 1937. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino. Scholz, Robert: Das Weltbild der heutigen italienischen Kunst. In: Völkischer Beobachter vom 1. Dezember 1937. Manacorda sei es durch eine treffende Charakterisierung der einzelnen Künstler gelungen, die Logik der Entwicklung der italienischen Kunst „als den künstlerischen Reflex des geistigen und nationalen Lebensprozesses des italienischen Volkes aufzuzeigen“, stellte der NSKunstkritiker in seinem Artikel fest, ebd. Scholz: Das Weltbild der heutigen italienischen Kunst.
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[…] gestern abend trat nun ein Kulturforscher, Prof. Guido M a n a c o r d a [gesperrt i. Orig.] von der Florentiner Universität, vor einen geladenen Kreis deutscher Kunstfreunde. Lebhaft begrüßt – ist er uns doch kein Unbekannter; wir wissen, daß er sich besonders viel mit deutschem Wesen und deutscher Sprache beschäftigt, eine vollständige rhythmische Übersetzung sämtlicher Werke Richard Wagners ins Italienische, auch einige Werke Goethes, geschaffen hat, wofür ihn vom Führer die 1. Stufe des Ordens vom Deutschen Adler verliehen worden ist. Manacorda, der schon früher mehrfach in Berlin öffentlich gesprochen hat, beherrscht die deutsche Sprache fließend und in sehr gewählter Form, und die Art seines Vortrages deckt sich ganz mit seiner Erscheinung eines durchgeistigten, feingestimmten Gelehrten, dem bei jedem Wort Achtung und innige Liebe zur Kunst aus den Augen leuchteten.³⁰⁷
Manacordas These sei, dass Künstler „aus dem Sehnen und Streben ihres Volkes schöpften“.³⁰⁸ Eine erste Anknüpfung an das Leben des italienischen Volkes habe die Kunst – nach einer Periode klassizistischer Erstarrung – in der gemeinsamen Liebe zur Natur gefunden, das belegten die zahlreichen Landschaftsbilder. Auch die „hohe Auffassung des Italieners vom Menschen“ komme in der Ausstellung beweisträchtig zum Ausdruck sowie die religiösen Motive, die Empfindungen des Familienlebens, der Mutterliebe, der Treue zu Volk und Vaterland, an der sich auch die italienischen Künstler begeisterten.³⁰⁹ Dennoch habe die Revolution ihren letzten künstlerischen Ausdruck noch nicht gefunden. Zurück in Florenz bekannte sich Manacorda in einer privaten Äußerung zu seiner Freundschaft mit Marinetti. Er habe sein Bestes getan, die Futuristen in seinem Vortrag zu verteidigen.³¹⁰ Betrachtet man den Ausstellungskatalog, so erwies sich das Presseurteil, hier werde die zeitgenössische italienische Kunst angemessen vermittelt, allerdings als unzutreffend:³¹¹ Der Schwerpunkt lag klar auf der Maltradition des 19. Jahrhunderts mit den Sälen zum Neuklassizismus, der Romantik, dem Realismus und den akademischen Künstlern. Mit Carlo Carrà, Achille Funi, Pietro Marussig, Alberto Salietti, Ardengo Soffici waren zwar wichtige moderne Künstler vertreten; jedoch waren vor allem Mario Sironi³¹² mit seinen drei Exponaten und der Futurist Gino Severini, Mitverfasser des Manifests der futuristischen Malerei von 1910, der 1935 den mit 100.000 Lire dotierten Preis der zweiten Quadriennale in Rom erhalten hat-
Hellwag, Fritz: ‚Welt und Darstellung‘ in der italienischen Kunst. Prof. Manacorda in der Akademie der Künste. In: „Deutsche Allgemeine Zeitung“ vom 30. November 1937, ebd. Ebd. Ebd. Guido Manacorda an Clara Ferrero, Brief vom 29. Dezember 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1° Semestre II, A-F., Sottofasc. Conferenze Torino. Akademie der Künste: Ausstellung italienischer Kunst von 1800 bis zur Gegenwart (November– Dezember 1937). Berlin o. J. [1937]. Unter den faschistischen Künstlern war vielleicht Sironi der von Mussolini am meisten geschätzte Maler, der am besten das politisch-ästhetische Ideal der „Italienischen Moderne“ interpretierte und repräsentierte, vgl. Braun, Emily: Illustrations of Propaganda: The Political Drawings of Mario Sironi. In: The Journal of Decorative and Propaganda Arts. Bd. 3. Italian Theme Issue (Winter 1987). S. 84– 107 sowie dies.: Mario Sironi. Arte e politica in Italia sotto il fascismo. Torino 2003.
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te,³¹³ mit einem Werk völlig unterrepräsentiert, ganz zu schweigen davon, dass Marinetti völlig fehlte. Nur der zwölfte und letzte Saal war dem Futurismus gewidmet, der gerade 24 von insgesamt 362 Exponaten stellte. Insbesondere wurde die Ausstellung der grundlegenden Bedeutung der Frühphase des Futurismus für die italienische Kunst nicht gerecht. Diese blieb in der Ausstellung völlig unterbelichtet. Darüber konnte die Aufnahme von zwei Bildern Boccionis nicht hinwegtäuschen, auf die sich die faschistische Ausstellungskommission berief. Hitlers Besuch der Ausstellung italienischer Künstler, durch die Manacorda den „Führer“ führen sollte, wurde immer wieder verschoben, sodass sich die Länge von Manacordas Berlin-Besuch bis zum 8. Dezember verdoppelte, ohne dass er Hitler begegnet wäre.³¹⁴ Der Diktator stattete in Begleitung des Botschafters der Ausstellung erst zwei Tage vor ihrer Schließung und nach der Abreise Manacordas eine halbstündige Visite ab, warf allerdings nur einen kurzen Blick in den futuristischen Saal. Vom italienischen Botschafter erhielt Hitler als weitere Beschwichtigungsgeste eine monumentale Ausgabe der „Göttlichen Komödie“ überreicht. Während sich der „Führer“ sehr interessiert an der opulenten Dante-Ausgabe zeigte und wiederholt für den Nationaldichter seine Bewunderung ausdrückte, ließ er kein Wort über seine während des Ausstellungsbesuchs gewonnenen Eindrücke verlauten. Attolico bemerkte hierzu in seinem Bericht nach Rom, dass dieses Verhalten Hitlers dessen inzwischen hinreichend bekannter tiefen Ablehnung gegen jede Form von moderner Kunst zuzuschreiben sei. Aus diesem Grund habe auch der Titel von Manacordas Rede abgeändert werden müssen, indem man das Wort „modern“ durch „heutig“ ersetzt habe.³¹⁵ Die diplomatischen Wogen wurden dadurch geglättet, dass Hitler die Bronzestatue „Balilla“ von Antonio Lucarda und auch das Ministerium für Wissenschaft einige Exponate erwarben.³¹⁶ Antonio Maraini war mit dem Erlös von über 50.000 Lire mehr als zufrieden, es sei der höchste, der jemals auf einer Ausstellung im Ausland erzielt werden konnte. Trotz manchen Unverständnisses und mancher Malevolenza, die es bezüglich der Ausstellung gegeben habe,³¹⁷ sollte man nun die positiven Fakten
Akademie der Künste: Ausstellung italienischer Kunst von 1800 bis zur Gegenwart (November– Dezember 1937), S. 66. Das Bild hieß „Rhythmus der Dinge“. Guido Manacorda an Galeazzo Ciano, Brief vom 12. Dezember 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Das Außenministerium bat Manacorda um Erstattung der Kosten, wie es das Sekretariat del Capo del Governo immer getan habe. Vom Ministero della Cultura Popolare erhielt er 4.108 Lire, vgl. Ministero della Cultura Popolare, Überweisung vom 15. März 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Ministero della cultura popolare. Botschafter Bernardo Attolico an Dino Alfieri, Minister für Volkskultur, Brief vom 14. Dezember 1935. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 94, Sottofasc. Esposizione d’arte italiana Berlino. DG per i servizi della propaganda: „Appunti per la direzione generale per la stampa italiana“ vom 11. Januar 1938, ebd. Dr. Adolf Dresler, der die Presseabteilung des „Braunen Hauses“ in München leitete, lehnte die von italienischer Seite vorgeschlagene Verlegung der Ausstellung von Berlin nach München ab. Ins-
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aufzeigen.³¹⁸ Vom Ausstellungsbesuch Hitlers erfuhr der inzwischen nach Florenz zurückgekehrte Manacorda aus dem Radio.³¹⁹ Nach seiner Rückkehr berichtete Manacorda Mussolini.³²⁰ Sodann informierte er seinen Capo über das, was er in Deutschland zum politisch-religiösen Problem aus sicherer Quelle erfahren habe:³²¹ Erstens stehe eine weitere vehemente Kampagne gegen den katholischen Klerus bevor. Zweitens sei jedoch die Militärseelsorge in der Wehrmacht gewährleistet, somit böte sich hier ein Ansatz für eine Verständigung. Drittens bereite der Heilige Vater eine weitere Enzyklika gegen die „Entchristlichung der Welt“ vor, in der das heidnische Germanentum noch stärker angegriffen werde. Tatsächlich gab der Papst im Juni eine Enzyklika zum Rassismus mit dem Arbeitstitel „Societatis unio“ in Auftrag.³²² Viertens provoziere die andauernde Anbiederung des Vatikans an die das freimaurerische und marxistische Spanien unterstützende französische Regierung heftige deutsche Reaktionen. Der nächste relevante, siebte Punkt bezog sich auf im KZ einsitzende Geistliche, deren Zahl sich auf unter 70 bis 80 belaufe. Tatsächlich hatte das NS-Regime im April 1937 die vor den Olympischen Spielen 1936 eingestellten Sittlichkeitsprozesse gegen Kleriker und Ordensangehörige wieder aufgenommen.³²³ Da die NS-Regierung neuntens davon ausgehe, dass das Konkordat „innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes“ gültig sei und daher das Reich das Konkordat niemals verletzt zu haben glaubt, vertrete Manacorda zehntens die Ansicht, dass die von Hitler angebotene Revision des Konkordats vom Vatikan verworfen worden sei. Dies führe elftens zu einem wachsenden Heidentum vor allem in der Jugend. Er habe zwar den „Führer“ nicht persönlich getroffen, er habe aber Hinweise darauf, dass dieser von einem Ausgleich mit dem Heiligen Stuhl so weit entfernt wie nie sei. Manacorda sah einerseits eine schwere Krise kommen, die nicht ohne Rückwirkung auf die italienischen Katholiken bleiben werde, wie er warnend hinzufügte. Andererseits gab er an, Symptome der Entspannung finden zu können und sprach von einer immer noch möglichen Übereinkunft zum beiderseitigen Vorteil auch für die Millionen Katholiken in Deutschland.³²⁴ Über Attolico, der von einer
besondere Goebbels blockierte dieses Vorhaben, vgl.: Antonio Maraini an Andrea Geisser Celesia di Vegliasco, Brief vom 17. Dezember 1937, sowie Adolf Dresler an Antonio Maraini, Abschrift des Briefes vom 15. Dezember 1937, ebd. Antonio Maraini an Andrea Geisser Celesia di Vegliasco, Brief vom 27. Dezember 1937, ebd. Guido Manacorda an die italienische Botschaft in Berlin, Brief vom 10. Dezember 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. R. Ambasciata D’Italia. Weber: Vom Völkerbund zu den Vereinten Nationen, S. 66. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 12. Dezember 1937 (Anhang XII). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloqui XI–XII. Brechenmacher: Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, S. 299. Ebd., S. 292. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 12. Dezember 1937 (Anhang XII). In: Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloqui XI–XII.
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wenig rosigen Situation sprach, blieb Manacorda über das weitere Vorgehen des NSRegimes orientiert.³²⁵ Nachdem eine Begegnung mit der NS-Führung gescheitert war und er sich an Mussolini gewandt hatte, richtete sich Manacorda nun wiederum an die Kurie. Pizzardo gegenüber äußerte er, er sehe jetzt die Vergeblichkeit seines politisch-diplomatischen Werkes.³²⁶ Ein weiteres Schreiben an Mussolini sandte er im Januar 1938 nach Rom. Als Anhang legte er ein fünfseitiges Memorandum zum „politisch-religiösen Problem“ bei, in dem er die Schlussfolgerungen zog, die katholische Kirche werde immer stärker von Anhängern der westlichen Demokratien beeinflusst, was sogar zu einer politisch-gesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Kommunismus führen könne.³²⁷ Am 14. und 15. Februar 1938 hatte Manacorda zwei Besprechungen mit Pizzardo.³²⁸ Außerdem empfing Graf Ciano Manacorda am 15. Februar 1938. Gesprächsthemen waren wiederum die Lage des Katholizismus in Frankreich, Belgien, Holland und in Deutschland, die katholische Presse in Italien sowie die Unterredung am Vortag mit d’Ajeta.³²⁹ Manacorda schickte im Rahmen seiner Sondierungen ein Exemplar der offiziösen „Revue des Ambassades“ an das Außenministerium.³³⁰ Doch das Umfeld wurde für solche Sondierungen immer ungünstiger. Zu Beginn des Jahres 1938 hatten sich die Beziehungen zwischen dem Reich und dem Vatikan weiter verschlechtert. Zunächst hatte sich der Vatikan von der Erklärung der österreichischen Bischöfe um Kardinal Innitzer vom 27. März 1938, in der diese den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich begrüßten, in einer am 2. April im „L’Osservatore Romano“ erschienenen Note ausdrücklich distanziert. Die Erklärung sei ohne vorherige und nachherige Billigung des Heiligen Stuhls. ³³¹ Angesichts des bevorstehenden Besuchs Hitlers in Italien vom 3. bis 9. Mai versuchte Mussolini – wohl nicht aus Gewissensgründen wie Sale schreibt, sondern weitaus eher aus politischem Opportunismus –, den deutschen Diktator noch einmal zur Änderung seiner Politik Bernardo Attolico an Guido Manacorda, Brief vom 15. Dezember 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre, Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 4. Januar 1938. In: AdN della Sapienza, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, I–Z, Sottofasc. Pizzardo. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 20. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, I–Z, Colloquio XXV. Notizen des Treffens mit Giuseppe Pizzardo vom 14.–15. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Pizzardo. Folgende Punkte wurden abgehandelt: 1. „ Libertà e Cattolicesimo“, 2. Frankreich, 3. Germania v. Neurath, 4. Spagna Semprun, 5. Italien Versöhnung Papst-Mussolini, Hitler-Besuch etc. Blasco Lanza d’Ajeta an Guido Manacorda, Telegramm vom 12. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta, sowie Notizen Manacordas über sein Gespräch mit Ciano am 15. Februar 1938, ebd. Blasco Lanza d’Ajeta an Guido Manacorda, Brief vom 26. März 1938, ebd. Sale: Hitler, la Santa Sede e gli ebrei, S. 155.
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gegenüber der katholischen Kirche zu bewegen.³³² Hitler hatte – entgegen der bisherigen Praxis der Staatsbesucher aus Ländern mit katholischer Bevölkerung – nicht die Absicht geäußert, dem Papst seine Aufwartung zu machen und deshalb auch nicht offiziell um eine Audienz ersucht. Dazu wollte ihn Mussolini bewegen. In den Vatikan schickte der „Duce“ seinen Vermittler Tacchi-Venturi. Obwohl Anfang April einige Andeutungen kursierten, es könne zu einem Treffen Hitlers mit dem Papst kommen, wurde bald klar, dass es sich um haltlose Spekulationen handelte. Solche Gerüchteerregten kurzzeitig die Phantasie Manacordas, der noch einmal an die Möglichkeit der Realisierung seiner Pläne glaubte. Am 16. April schrieb Manacorda euphorisch an den Direktor des „Corriere della Sera“ Borelli, der Besuch Hitlers bei Pius XI. stehe möglicherweise bevor. Wenn sich das bewahrheite, sei es von herausragender Bedeutung für ihn. Dies könne dazu führen, dass auch er vom Heiligen Vater empfangen werde, zumal er gerade seine Sondierungen wiederaufgenommen habe.³³³ Für den Fall eines solchen Treffens war Manacorda als Sonderberichterstatter und Kommentator des „Corriere della Sera“ vorgesehen.³³⁴ Allerdings war dies zunehmend Wunschdenken, denn am 13. April 1938 erließ die päpstliche Studienkongregation wie gezeigt den sog. Rassensyllabus, der noch einmal explizit die Irrlehren des Rassismus verurteilte und sich mit dem Syllabus-Entwurf vom Oktober 1936 weitgehend deckte.³³⁵ Damit hatte der Heilige Stuhl wenige Wochen vor dem bevorstehenden Staatsbesuch Hitlers in Rom den Nationalsozialismus unmissverständlich verworfen. Ernüchtert schrieb Manacorda Borelli Anfang Mai, dass die Beziehungen zwischen dem Reich und dem Vatikan katastrophal seien.³³⁶ Spätestens als der Papst am 30. April 1938, drei Tage vor der Ankunft Hitlers, Rom in Richtung Castel Gandolfo verließ, zeigte sich endgültig, wie unbegründet die Hoffnungen Manacordas waren. Der Papst untersagte sogar allen geistlichen Würdenträgern, an den Zeremonien während des Besuches Hitlers teilzunehmen.³³⁷ Im Archiv des Vatikans ist als Eingang in der betreffenden Periode ein von Manacorda an den Papst übersandtes Buch „Dante – ein Lebensbild“ verzeichnet. Mit diesem Geschenk wollte der Florentiner Professor möglicherweise eine Audienz vorbereiten.³³⁸ Seine Vermittlung war gescheitert. Jetzt ging es ihm nur noch darum, in seiner Rolle als führender regimenaher Intellektueller als Wegbereiter der faschistisch-nationalsozialistischen Annäherung anerkannt zu werden.
Ebd., S. 159. Guido Manacorda an Aldo Borelli, Brief vom 16. April 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1° Semestre II, A–F., Sottofasc. Corriere della Sera. Aldo Borelli an Guido Manacorda, Brief vom 18. April 1938, ebd. Vgl. Brechenmacher: Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, S. 299. Guido Manacorda an Aldo Borelli, Brief vom 5. Mai 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1° Semestre II, A–F., Sottofasc. Corriere della Sera. Sale: Hitler, la Santa Sede e gli ebrei, S. 172. Segreteria di Stato: Alfabetico Schedario 1936 – 1939. Bd. 42. Città del Vaticano 2006, S. 2800.
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Hitler reiste im Mai 1938 mit einem großen Gefolge nach Italien.³³⁹ Nachdem er von Ciano am Brenner empfangen worden war, verbrachte er den zweiten und dritten Tag in Rom. Am vierten sah er ein Flottenmanöver im Golf von Neapel, bevor er nach zwei weiteren Tagen in Rom auf der Heimreise in Florenz Station machte.³⁴⁰ Konnte Manacorda während Hitlers Italienvisite schon nicht zum Retter der katholischen Kirche in Deutschland werden, so wollte er doch wenigstens seine Rolle als Initiator des Achsenbündnisses öffentlich gewürdigt wissen. Vehement beschwerte sich Manacorda daher bei Mussolini, als er zunächst nicht zum bevorstehenden Besuch Hitlers in seiner Heimatstadt Florenz eingeladen wurde. Dies sei von zentraler Bedeutung für ihn, argumentierte er: Man kenne ihn vor allem an der Universität, bei seinen Kollegen und Studenten. Da er doch vier lange Gespräche mit dem „Führer“ gehabt habe, bat er, im Rahmen des kulturellen Teils berücksichtigt zu werden und wenigstens für „wenige Sekunden“ einen Auftritt zu erhalten.³⁴¹ Hier materialisiert und verdichtet sich ein grundlegendes, wesentliches Handlungsmotiv Manacordas, der im Sinne von Alfred Weber als sozial „freischwebender Intellektueller“³⁴² von niemandem gezwungen seine Loyalität zu den beiden Diktatoren wählte. An seinem Lebensort Florenz sollten ihn alle bewundern, dass er – und sei es nur für einen Moment – der Mann zwischen Hitler und Mussolini war. So wollte er von seiner Position eines mystisch-katholischen Außenseiters, die er in den 1920er Jahren innegehabt hatte, deutlich sichtbar öffentlich in das Zentrum der Macht rücken. Erst auf diese Weise – durch die in seiner Wahrnehmung Sichtbarmachung seiner „ewig“ gültigen Bedeutung als Vermittler des Achsenbündnisses – konnte er die ersehnte symbolische gesellschaftliche Apotheose erhalten. Nur so konnte er zum genuin, durch den „Duce“ und den „Führer“ gleichsam geadelten, faschistischen Intellektuellen werden, dessen Taten und Worte durch die Nähe zur Macht ein Stück weit unangreifbar wurden. Das Ansinnen stellte sich jedoch aufgrund des dichtgedrängten Besuchsprogramms trotz der Vermittlung Lanza d’Ajetas als schwierig heraus.³⁴³ Immerhin gelang es ihm, am siebten Tag des Hitler-Besuches, am Morgen des 9. Mai, in Florenz eine kurze Begegnung im Rahmen einer Huldigung ausgewählter italieni-
Das italienische Außenministerium erstellte ein Verzeichnis des engeren Gefolges, das 100 Personen umfasste, R. Ministro degli affari esteri, Gabinetto. Elenco delle personalità tedesche al seguito del Führer o presenti in Roma, sulla base del quale sono da regolarsi gli inviti. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 98, Sottofasc. Viaggio del Führer in Italia. Ebd. Manacorda an Mussolini, Brief vom 19. April 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Colloquio XXV. Wolff, Kurt H.: Karl Mannheim in seinen Abhandlungen bis 1933. In: Karl Mannheim: Wissenssoziologie. S. 11– 65, hier S. 47. Blaso Lanza d’Ajeta an Manacorda, Brief vom 15. April 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta.
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scher Künstler an den „Führer“ zu erlangen.³⁴⁴ Manacorda gehörte zu den 150 Personen, die angeführt von Pavolini im Palazzo Vecchio – und damit im historischen Mittelpunkt der weltlichen Macht der Stadtrepublik – Hitler ihre Aufwartung machen durften.³⁴⁵ Stolz berichtete er Attolico nach Berlin, dass ihm der „Führer“ mit größter Herzlichkeit in Anwesenheit des „Duce“ die Hand geschüttelt habe und beide Diktatoren wohlmeinende Worte an ihn gerichtet hätten. Daraus schloss der erleichterte Professor, dass ihm Hitler sein Schreiben vom Dezember wohl nicht allzu sehr verüble.³⁴⁶ Dennoch beschäftigte ihn die Lage der katholischen Kirche in Deutschland weiter, hatte er seinen utopischen Plan noch nicht gänzlich aufgegeben: Zur Pastorale von Fulda äußerte Manacorda gegenüber Pizzardo, diese möge zwar heroisch sein, habe aber entschieden Brücken eingerissen. Es sei fraglich, ob man die Entwicklung jetzt passiv bis zum Martyrium hinnehmen oder nicht besser etwas tun solle.³⁴⁷ Es gäbe einen Ausweg, die ersten Schritte dorthin seien bereits mit Einverständnis des Papstes und Wohlwollen Hitlers gegangen: Er habe immer die Irrtümer des Nationalsozialismus auf religiösem und teilweise auch moralischem Gebiet angeprangert. Aber die Politik des Vatikans hätte besser daran getan, für diese großen Verirrungen mehr Verständnis aufzubringen, da sie den Ursprüngen einer Bewegung geschuldet seien, die aus den Erfahrungen großen Unrechts hervorgegangen sei.³⁴⁸ In einem weiteren
Confederazione fascista dei professionisti e degli artisti an Manacorda, Brief vom 27. April 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Hitler. Trionfale suggello alle giornate italiane del Führer nell’annuale dell’Impero. Firenze insuperabile in ardore. In: La Nazione vom 10. Mai 1938. S. 1– 3, hier S. 2. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 13. Mai 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. In den Archivalien befinden sich auch die Zugangsberechtigung zum Bahnhof für seinen Wagen während der Ankunft und Abfahrt des „Führers“ vom 5. Mai 1938, die Einladung der Presidenza del Consiglio dei Ministri bei Ankunft Hitlers und der deutschen Minister um 12.30 Uhr sowie bei seiner Abfahrt um 23.30 Uhr am 9. Mai am Bahnhof S. Maria Novella als Zivilist in faschistischer Uniform mit deutschen und italienischen Orden zu erscheinen sowie die Zugangsberechtigung zum Palazzo Vecchio. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Hitler. Es handelt sich um den Hirtenbrief der deutschen Bischöfe vom 19. August 1938. Er ist in Auszügen abgedruckt bei: Gruber, Hubert: Katholische Kirche und Nationalsozialismus 1930 – 1945. Ein Bericht in Quellen. Paderborn u. a. 2006, Nr. 176, S. 375 – 377. Die deutschen Bischöfe erklärten sich nicht bereit, Zugeständnisse zu machen. Ziel der Angriffe gegen die Kirche sei die Zerstörung der Kirche in Deutschland und „die Ausrottung des Christentums überhaupt“ und die Einführung eines neuen Glaubens (NS-Ideologie). Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 3. Oktober 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc Vaticano, Pizzardo sowie Pizzardo an Manacorda, Brief vom 8. Oktober 1938, ebd. Pizzardo sprach darüber mit Vilaplana Forcado.
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Brief an den Unterstaatssekretär Pizzardo äußerte er, dass er an den Papst oder Pacelli schreiben wolle, um die Chamberlain-Rolle zu übernehmen.³⁴⁹ Doch Manacordas diplomatische Rolle in Berlin war vorbei, lediglich als Akteur der Kulturpropaganda war er noch Persona grata in der Reichshauptstadt. Zwar bemühte er sich bei Attolico erfolgreich um Vorträge in Berlin; Attolico vermittelte ihn an den Auslands-Club in Berlin.³⁵⁰ Am 8. Februar 1939 referierte er in Bremen und zwei Tage später, am 10. Februar 1939, in Berlin über „Wesen, Praxis und Untergang der heutigen Demokratien“.³⁵¹ Es gelang ihm jedoch nicht mehr wie in der Vergangenheit, seine wissenschaftliche Vortragstätigkeit in politische Kontakte und politisches Engagement umzumünzen. An diesem 10. Februar starb Pius XI. Einiges spricht dafür, dass der Papst, der ein antimoderner Traditionalist geblieben war, am Ende seines Lebens – enttäuscht vom Faschismus – diesen bekämpfen wollte. Spätestens mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland war die von Manacorda erhoffte katholische Internationale Italiens, Österreichs, Spaniens und Portugals obsolet. Der Konflikt der katholischen Kirche mit dem Reich, der sich 1937 abgezeichnet hatte, hatte sich 1938 immer weiter verschärft – durch das fehlgeschlagene Treffen mit Hitler während dessen Rom-Besuch, aber auch weil Italien die Rassegesetze übernahm.³⁵² Für den 11. Februar 1939 hatte der Papst geplant, in seiner Rede zum zehnten Jahrestag der Lateran-Verträge mit dem Faschismus und dem Rassismus abzurechnen. Pacelli, seit dem 13. Dezember 1937 sein Camerlengo, ließ die schon gedruckte Rede vernichten.³⁵³ Ebenso verschwand die besagte Enzyklika gegen den rassistischen Antisemitismus, die der Papst im Juni 1938 bei den Jesuiten in Auftrag gegeben hatte.³⁵⁴ Nach seiner Reise nach Deutschland bat Manacorda Mussolini angesichts des Ablebens von Papst Ratti wiederum um eine Audienz.³⁵⁵ Doch dieses Mal war seine Anfrage vergeblich. Offensichtlich hatte auch Mussolini kein Interesse an Manacordas Lösungsvorschlägen mehr.³⁵⁶ Allerdings Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 1. Dezember 1938. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 17. September 1938, sowie Attolico an Manacorda, Brief vom 19. November 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Generalsekretär des Ausland-Clubs, Baron v. Monteton, an Guido Manacorda, Brief vom 1. Februar 1939, ebd., sowie Guido Manacorda an Dino Alfieri, Brief vom 13. März 1939, sowie Außenministerium an Ministerium für Volkskultur, Telespresso vom 17. April 1939. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 100, Sottofasc. Conferenze. Duce, Alessandro: La Santa Sede e la Questione ebraica 1933 – 1945. Roma 2006. Wolf: Papst und Teufel, S. 235 – 240. Ebd., S. 237– 239. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 17. Februar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini. Brief vom 1. Februar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1° Semestre, Sottofasc. Sebastiani. Weitere Eingaben u. a. über seine Südtirolreise folgten. Manacorda bemühte sich sogar, seinen Neffen zu vermitteln, vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 2. Juni 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini.
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verfügte er weiterhin über einen direkten Zugang zu den faschistischen Granden. Immerhin traf er Ciano am 22. Februar sowie am 3. März 1939 im Vatikan und sprach mit ihm über die laufenden Papstwahlen sowie über das italienische Kulturinstitut in Berlin.³⁵⁷ Wie sehr der Intellektuelle auf öffentliche Anerkennung seitens der Macht angewiesen war, zeigt sich nicht nur im Erfolgsfall. Aus den vielen vergeblichen, sogar anbiedernden Versuchen, sich Hitler zu nähern, geht die Fragilität dieser Machtpositionierung genauso hervor, die allein vom Zugang bei „Hofe“ (am besten zum Diktator selbst oder mindestens zu seinen Satrapen) abhängig war. Nach dem Attentat von Georg Elser vom 8. November 1939 nutzte Manacorda wiederum vergeblich die Gelegenheit, an das NS-Regime heranzutreten, indem er sich an Außenminister Ribbentrop wandte. Er schrieb ihm: Ein einsamer Forscher und Schriftsteller, aber zugleich ein alter und treuer Freund Deutschlands, der die hohe Ehre hatte, durch mehrere persönliche Gespräche mit dem Führer zur Verständigung zwischen Italien und Deutschland beizutragen, erlaubt sich, Ew. Exz. seine lebhafteste und tiefste Beglückwünschung zur wundersamen Rettung des Führers aus dem ruchlosen Münchener Attentat und sein aufrichtiges gerührtes Bedauern über so viele edle Opfer auszudrücken. Ein unvergessenes und unvergessliches zweistündiges Gespräch, das er die Ehre hatte mit Ew. Exz. in ihrem Dahlem-Haus 1937 zu halten, lässt ihm schon lange den Wunsch, es eines Tags wiederholen zu können [sic].³⁵⁸
Manacorda bot an, über geistige und psychologische Zustände in Italien und anderen europäischen Ländern zu berichten. Ribbentrop dankte ihm zwar, aber er erhielt vom Reichsaußenminister keine weitere Antwort. ³⁵⁹ Und auch mit dem oberflächlichen Wohlwollen des Frontkämpfers Hitler gegenüber dem Weltkriegsveteranen Manacorda war es vorbei. Der „Führer“ hatte kein Interesse mehr an Menschen, die ihm keinen Nutzen mehr brachten.³⁶⁰ Noch 1941 schrieb er „eingedenk des hohen Wohlwollens das mir in trüben Zeiten erlaubte der noch zu entstehenden Achsenidee treu und einsam zu dienen“ an den „Reichsführer Adolf Hitler“, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren, bekam aber nur eine kurze nichtssagende und unsignierte Standarddanksagung zurück.³⁶¹
Notizen des Gesprächs mit Ciano vom 22. Februar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1° Semestre, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta sowie Telegramm des Außenministeriums mit der Einladung vom 20. Februar 1939, ebd. Guido Manacorda an Joachim von Ribbentrop, Brief vom 11. November 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1939, 2° Semestre, Sottofasc. Ribbentrop. Joachim von Ribbentrop an Guido Manacorda, Brief vom 23. November 1939, ebd. Kershaw: Hitler. 1936 – 1945, S. 67. Guido Manacorda an Adolf Hitler, undat. Brief [April 1941]. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1941, 1° Semestre, sowie das Deutsche Konsulat in Florenz an Guido Manacorda, Brief vom 27. Juni 1941, ebd.
5 Die Neuausrichtung der faschistischen Außenpolitik und Propaganda von 1933 bis zum Äthiopien-Feldzug Durch Manacordas nachfolgend geschilderten unermüdlichen Einsatz als Wissenschaftler, Propagandist und Vermittler sowie Berater des „Duce“ gelang es ihm wie keinem anderen, den katholischen Faschismus zu repräsentieren. Er profitierte dabei von seinem Talent, persönliche Kontakte zur katholischen Welt und zu den politischen und intellektuellen Eliten West- und Mitteleuropas aufzunehmen bzw. zu vertiefen. Mehrere Entwicklungen waren dafür günstig: Zunächst begann eine neue Phase der italienischen Außenpolitik, die in den 1920er Jahren vergleichsweise ruhig und zögerlich gewesen war. Der italienische Außenminister Dino Grandi hatte bis zu seiner Entlassung am 20. Juli 1932 nach der „Conciliazione“ mit dem Vatikan auf der Bühne des Völkerbundes eine taktisch motivierte pseudo-pazifistische, letztlich nicht aufrichtig gemeinte Abrüstungspolitik unter dem Schlagwort „Pace romana“ inszeniert.¹ Diese Politik verfolgte Mussolini bis in das Jahr 1933. Parallel zur klassischen Diplomatie gründete das Regime eigene Organisationen oder bediente sich der vorhandenen, die außenpolitisch tätig waren. Zu den Erstgenannten zählten die Fasci all’estero und das von Giovanni Gentile geleitete Istituto Nazionale Fascista di Cultura, das 1925 unter der Ägide der Parteiführung explizit mit dem Ziel gegründet worden war, die Verbreitung des Faschismus und der Nationalkultur im Ausland zu unterstützen.² Gentile war es auch, der dafür das Schlagwort vom „imperialismo spirituale“ prägte.³ Diesem Leitmotiv folgten ebenfalls die Auslandssektionen der Dante-Alighieri-Gesellschaft, die sich nicht immer freiwillig in den Dienst der Kulturpropaganda stellte.⁴ Das Bemühen, den weltanschaulichen Primat des Faschismus, der zum Vorbild vieler Bewegungen der europäischen Rechten – nicht zuletzt der NSDAP – geworden war, zu erhalten, wurde ebenfalls in dieser Periode sichtbar. Bis Oktober 1930 hatte
Vgl. hierzu und im folgenden Absatz Scholz: Italienischer Faschismus als ‚Export‘-Artikel (1927– 1935), S. 427– 430. Turi, Gabriele: Faschismus und Kultur. In: Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat, Wirtschaft, Kultur. Hrsg. von Jens Petersen und Wolfgang Schieder. Köln 1998. S. 91– 109, hier S. 103. Hinzu kamen eine Reihe kleinerer Einrichtungen wie die im Adriaraum wirkende Ente Nazionale Italica, vgl. Scholz: Italienischer Faschismus als ‚Export‘-Artikel (1927– 1935), S. 267. Nach Francesca Cavarocchi wurde die Dante Alighieri-Gesellschaft in den 1930er Jahren dadurch faschisiert, dass 1931 eine neue Satzung in Kraft trat, die die Gesellschaft auf die „faschistische Revolution“ verpflichtete. Mit Giovanni Celesia gab es 1932 einen neuen Präsidenten, der den verstorbenen Paolo Boselli, der von 1916 bis 1917 Ministerpräsident gewesen war, ersetzte, vgl. Cavarocchi: Avanguardie dello spirito, S. 130 – 132. https://doi.org/10.1515/9783110538991-005
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Mussolini energisch bestritten, dass der Faschismus ein Exportartikel sei.⁵ Ab 1930 mehrten sich Stimmen aus dem katholischen und korporatistischen Bereich, die wie Bottai vorsichtig die selbst gewählte Begrenzung der Ideologie auf Italien infrage stellten, ehe Mussolini selbst am 27. Oktober 1930 in einer Ansprache vor Provinzsekretären des PNF erstmals die Universalität des Faschismus ausrief. In diesem Zusammenhang dachte Mussolini gar daran, die öffentliche Meinung der westlichen Staaten gewinnen zu können. Ferner, so De Felice, hegte er die Hoffnung, eine faschistische Epoche einleiten zu können, die die ökonomisch und kulturell krisenhaften Demokratien hinwegfegen würde.⁶ Angesichts der in Europa zu Anfang der 1930er Jahre sich vollziehenden zahlreichen Wechsel von demokratischen zu autoritären Regimen schien eine solche grundlegende politische Transformation tatsächlich einzusetzen. Träger dieser Entwicklung sollten faschistoide Bewegungen wie die von de La Rocque in Frankreich sein, um nur eine zu nennen.⁷ Damit gab Mussolini die Konzeption eines auf Italien beschränkten Faschismus zugunsten einer universalen Gültigkeit seiner Doktrin auf. Diese Fehleinschätzung der Realität in den europäischen Ländern resultierte aus den mangelnden Kenntnissen Mussolinis, aber auch der anderen faschistischen Gerarchen, die es eigentlich hätten besser wissen müssen. Der „Duce“ bezog seine Informationen aus zweiter und dritter Hand; zum Kreis dieser Ratgeber gehörte auch Manacorda. Nun erreichten die Subventionierung von Organisationen, die den faschistischen Universalismus im Ausland propagierten, und die Unterstützung rechtsgerichteter Strömungen in Mittel-, Süd- und Osteuropa ihren Höhepunkt. Die im Juli 1933 von Eugenio Coselschi gegründeten Comitati d’azione per l’università di Roma (CAUR), die sich an einem katholischen Universalismus orientierten⁸, riefen 1933 gar eine faschistische Internationale nach dem Vorbild der Komintern ins Leben. Der von diesen Komitees 1934 in Montreux durchgeführte, kläglich gescheiterte Kongress war ein erster (und im Rückblick der einzige) Höhepunkt dieser Bemühungen.⁹ Mussolini, für den das Großmachtdenken stets im Vordergrund vor ideologischen Gesichtspunkten stand, nahm in der Folge wieder Abstand von dieser Strategie. Dafür forcierte der „Duce“ seine machtpolitischen Expansionsbestrebungen, die er nun nicht mehr durch eine Friedensrhetorik kaschierte. Allerdings ließ er die internationale Öffentlichkeit im Unklaren, wo Italien den „ungerechten“ Frieden bekämpfen wolle, um gewaltsam
Scholz: Italienischer Faschismus als ‚Export‘-Artikel (1927– 1935), S. 189 – 191 sowie Schieder: Faschismus im politischen Transfer, S. 59. De Felice: Mussolini il duce. I., S. 588 – 590. Ebd., S. 589. Longo, Gisella: I tentativi per la costituzione di un’internazionale fascista: gli incontri di Amsterdam e di Montreux attraverso i verbali delle riunioni. In: Storia contemporanea 3 (1996). S. 475 – 567. Den CAUR gelang es nicht, einheitliche Kriterien für die Bewegungen faschistischen Typs zu entwickeln. In einem Bericht aus dem April 1936 hatte das italienische Außenministerium immerhin 39 Länder mit faschistischen Gruppen weltweit ausgemacht, vgl. „I movimenti fascisti nel mondo“. In: De Felice: Mussolini il duce. I, Anhang 8, S. 872– 919.
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sein Impero zu errichten. Organisatorischer Ausdruck dieser Neuausrichtung war im Ausland eine Zentralisierung und Systematisierung der bis Anfang der 1930er Jahre unkoordinierten Propaganda und zunehmend auch der Außenpolitik. Dies galt nicht zuletzt für die Informationspolitik, die der gelernte Journalist Mussolini lange in erster Linie als Pressearbeit begriff und die er demzufolge seinem Ufficio Stampa überließ. Die Konkurrenz mit dem Nationalsozialismus veranlasste ihn spätestens nach der „Machtergreifung“ Hitlers auch in diesem Bereich zu einem Umdenken. Der „Duce“ verstärkte jetzt die eigenen Anstrengungen und ersetzte seinen uninspirierten Pressechef Gaetano Polverelli durch seinen Schwiegersohn Galeazzo Ciano.¹⁰ Letzterem gelang es, das Ufficio Stampa wesentlich aufzuwerten und seine Aktivitäten nach dem Vorbild des Goebbels’schen Propagandaministeriums auf die Bereiche Film, Musik und Theater, Radio und Tourismus auszudehnen, sodass sein Amt im September 1934 zum Unterstaatssekretariat für Presse und Propaganda und im Juni 1935 schließlich zum Ministero per la stampa e la propaganda erhoben wurde, nicht zuletzt um den bevorstehenden Äthiopien-Feldzug zu flankieren. Während Ciano als Bomberpilot nach Afrika ging, übernahm sein Unterstaatssekretär Dino Alfieri¹¹ die Leitung des Ministeriums. 1936 wurde er Cianos Nachfolger der 1937 in Ministero della Cultura Popolare umbenannten Institution. Damit ging ein massiver Rückgang der quasi-offiziellen Paralleldiplomatie ein¹² her. Von dieser Gleichschaltung betroffen waren u. a. die elitäre Società Dante Alighieri ¹³ sowie die parteieigene Auslandspropaganda der Fasci all’estero, die bis dahin neben der noch nicht gänzlich faschisierten Diplomatie gearbeitet hatten¹⁴, ferner die Zeitschrift „Antieuropa“, über die ihr Direktor Asvero Gravelli lange ins Ausland wirkte und die mit der konkurrierenden CAUR in Dauerfehde lag.¹⁵ Erstere wurde 1936 vorübergehend eingestellt¹⁶, Letztere verlor ihre Selbstständigkeit 1937 als sie dem Ministerium für Volkskultur zugeordnet wurde. Im September 1939 wurde sie endgültig aufgelöst. So eröffnete sich dem polyglotten und in Europa über ein Netz von wissenschaftlichen Kontakten verfügenden Manacorda, just als er sich politisierte, in den 1930er Jahren ein neues weites Betätigungsfeld: Für die CAUR hielt er eifrig politische
Scholz: Italienischer Faschismus als ‚Export‘-Artikel (1927– 1935), S. 413 – 415. Dino Alfieri (1886 – 1966) wechselte im Herbst 1939 in den diplomatischen Dienst. Nach wenigen Monaten als italienischer Botschafter im Vatikan wurde er italienischer Botschafter in Berlin, vgl. Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf, S. 45. Scholz: Italienischer Faschismus als ‚Export‘-Artikel (1927– 1935), S. 440. Im Januar 1938 ordnete Ciano die Auflösung aller Sektionen an, die sich in Städten mit italienischen Kulturinstituten befanden. Die übrigen Sektionen mussten sich auf Sprachkurse beschränken, ebd., S. 284. Ebd., S. 440. Ebd., S. 154. Nachdem sich Gravelli im Spanischen Bürgerkrieg bewehrt hatte, erschien die Zeitschrift ab 1938 mit achsentreuer Linie bis zum Juli 1943 wieder, ebd., S. 177.
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Vorträge.¹⁷ Inhaltlich ging seine Konzeption eines katholischen Faschismus mit dem Geltungsanspruch der CAUR und der offiziellen Doktrin eines universellen Faschismus konform. Desgleichen arbeitete er für die Dante-Alighieri-Gesellschaft und hatte Kontakte zu Alfieri, Ciano, aber auch zu Gentile. In diesem Zusammenhang waren auch seine Kontakte zu den katholischen Kreisen in Europa äußerst hilfreich. Mit dem italienischen Angriff auf Abessinien und den daraus resultierenden Sanktionen des Völkerbundes vom 7. Oktober 1935 begann eigentlich dieintensive Tätigkeit Manacordas als offiziöser Emissär im Dreieck zwischen Diplomatie, Propaganda und Wissenschaft. Die aus eigenem Antrieb durch den Besuch Hitlers begonnene Vermittlungstätigkeit Manacordas wurde nun in diesen neuen Rahmen einer genuin faschistischen Außenpolitik eingebunden, in der sich Diplomatie und Propaganda miteinander vermischten. In ganz Westeuropa trat Manacorda in Verbindung mit Staatsmännern und vor allen Dingen mit Politikern aus dem konservativen katholischen Spektrum mit Affinität zum Faschismus oder aber mit den Führern bzw. Vertretern der faschistoiden Bewegungen selbst, um sie in der Frage der Sanktionen auf die Seite Italiens zu bringen bzw. für die italienische Position zu werben. Hierzu seien einige Beispiele angeführt: Am 6. November fuhr Manacorda über Amsterdam und Straßburg nach Bern. Zurück in Italien erstattete er Mussolini unter vier Augen Bericht. Am 7. Dezember 1935 referierte er um 17 Uhr im „Hotel des Bergues“ unter der Ägide der Société genevoise d’études italiennes über das Thema „L’Italie et la crise actuelle“ und um 20.45 Uhr für das Genfer Komitee der Dante-Gesellschaft „La synthèse spirituelle de Rome“.¹⁸ Manacorda unternahm weitere Reisen im Februar und März 1936 nach Paris und Bern.¹⁹ In diesem Zusammenhang nahm er an Versammlungen der Antisanktionisten teil.²⁰ Außerdem traf er Nuntius Bernardini in der Schweiz.²¹ Bis Juni 1937 hatte er auf diese Weise bereits zwölf Missionen durchgeführt. Die letzte Reise führte Manacorda wiederum über die Schweiz nach Holland, Belgien und Frankreich. Die Reisen Manacordas trugen dabei immer offiziösen Charakter. Das heißt, er wurde vor Ort von den jeweiligen Diplomaten unterstützt oder nutzte andere bestehende italienische Auslandsorganisationen. Vor und nach seiner Reise erstattete er den entsprechenden Stellen in Rom Bericht: an erster Stelle natürlich Mussolini, aber auch Ciano, Bottai und den jeweils betroffenen Ministerien. Auf diese Weise unterschied sich die Tätigkeit Manacordas insofern von der bisherigen „Paradiplo Eugenio Coselschi, Präsident der CAUR, an Guido Manacorda, Brief vom 23. September 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935. Vgl. jeweils die Einladungen zu den Vorträgen in AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc.1935. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 14. März [1936]. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, Relazione XV. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 6. März 1936 (Anhang VIII), ebd. Colloquio col Nunzio Bernardini, 17 febbraio. In: Guido Manacorda an Mussolini, Bericht vom 14. Februar [1936] über die Antisanktionskonferenz im Schweizerischen Freiburg (Anlage II), S. 2– 3, ebd.
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mazia“, als er zwar einerseits seine Stellung ebenfalls seinem direkten Zugang zu Mussolini verdankte, andererseits nie auf eigene Rechnung, sondern immer in Absprache mit sämtlichen staatlichen und parastaatlichen Organisationen agierte. Falls notwendig, erhielt er einen Diplomatenpass²² und offizielle amtliche Schriftstücke, wie Memoranden für den Völkerbund, die ihm das Ministerium für Volkskultur zuschickte.²³ Zurückgekommen von einer 24-tägigen Reise in die Schweiz und dann über Holland und Belgien nach Frankreich im Jahre 1937 erhielt Manacorda von der Botschaft in Paris 2000 Lire und beantragte weitere 5.500 Lire²⁴, die ihm das Sekretariat des „Duce“ am 14. Juli 1937 vollständig überwies.²⁵ Darüber hinaus beriet Manacorda seinen „Duce“, indem er ihn zum einen über seine Reisen informierte und die verschiedenen politischen Konstellationen und Entwicklungen – gemäß den Kategorien seines Denksystems und seiner völkerpsychologischen Betrachtungen, die in den beiden nächsten Kapiteln vorgestellt werden, – (miss)deutete. Auch das sei hier exemplarisch illustriert: Der Florentiner Professor leistete den Vorurteilen Mussolinis mit seinen vermeintlich objektiv „wissenschaftlich“ gestützten Analysen Vorschub und ermunterte ihn zu einer aggressiven Expansionspolitik. So bestärkte ihn der Professor darin, an die Dominotheorie zu glauben. Manacorda war so sehr davon überzeugt, dass sich im weltweiten Maßstab ein Zusammenbruch der Demokratien vollzog, dass diese Hypothese bei ihm geradezu zu einem teleologischen Topos wurde: In den letzten vier Jahren, frohlockte er 1939, hätten die Demokratien Land um Land verloren und jetzt kämen nach Äthiopien, Spanien, der Tschechoslowakei und Albanien noch der Ferne Osten dazu.²⁶ Und 1940 schrieb er über die Demokratien, dass diese den Keim der Verwesung schon seit ihrer Entstehung in sich trügen: Nun, dass die heutigen Demokratien mit solchen verdorbenen Anfängen entstanden sind, habe ich hier […] deutlich genug bewiesen. Was später passiert ist, darf man nur als eine logische Entwicklung betrachten. Übrigens, dass die Demokratien nach einem anderthalben Jahrhundert sich schon in Todesangst zu winden scheinen, während die alten so verachteten und berüchtigten Regierungsformen Jahrhunderte und Jahrtausende lang fortgedauert haben, bedeutet nur Eines: daß diese immer noch auf viel gesündere und festere Gründe gestützt waren. Wie es auch immer sei, vorwärts geht der Zeiger der ewigen Uhr der Zeit nie rückwärts.²⁷
Königliche Botschaft Italiens in Berlin, Urkunde über den Diplomatenstatus von Prof. Guido Manacorda bei der Einreise nach Italien vom 12. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Attolico. Durchschlag des Briefes an Manacorda vom 27. Januar 1936. In: ACS Rom, Minculpop, D.G. Propaganda N.U.B.I.E, Busta 237, Fasc. 66: Manacorda. Guido Manacorda an Osvaldo Sebastiani, Brief vom 23. Juni 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, I, I-Z, Sottofasc. Sebastiani. Osvaldo Sebastiani an Guido Manacorda, Brief vom 14. Juli 1937, ebd. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 22. Juni 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1° Semestre, Sottofasc. I.P.G. Guido Manacorda: Die Demokratien des Westens, S. 40.
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Besonders in Paris fand Manacorda wiederholt offene Türen vor, denn es empfingen ihn bei Weitem nicht nur die Exponenten von rechten und ultrarechten Gruppierungen und Strömungen (wie Léon Bailby²⁸, Marcel Déat²⁹, Henry Dorgères³⁰, François de La Rocque³¹ oder Charles Maurras), sondern hochrangige Politiker wie Premierminister Pierre Laval und Vertreter des gemäßigten Lagers (wie Camille Chautemps³² oder Édouard Herriot³³). Darüber hinaus trat Manacorda in eine heftige öffentliche Pole-
Léon Bailby (1867– 1954) war Direktor der nationalistischen Zeitung „Le Jour“, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Bailby. Der spätere Kollaborateur Marcel Déat (1894– 1955) war 1936 Luftfahrtminister im zweiten Kabinett Albert Sarraut, vgl. Marcel Déat. In: Dizionario dei Fascismi. Hrsg. von Nicola Tranfaglia und Brunello Mantelli et al. Milano 2002, S. 159 – 160. Henry Dorgères (1897– 1985) gründete 1928 angesichts der Wirtschaftskrise bäuerliche Selbstverteidigungskomitees. Das Programm der Komitees, die mehrere 100.000 Anhänger hatten, ähnelte dem der „faschistischen Revolution“ und nahm Parolen von Vichy wie „Haut les fourches“ vorweg, vgl. Paxton, Robert O.: French Peasant Fascism. Henry Dorgères’s Greenshirts and the crises of French agriculture 1929 – 1939. Oxford u. a. 1997. Die 1927 gegründete von François de La Rocque (1885 – 1946) geführte Croix de feuwar seit 1931 zur einflussreichsten nationalistischen Bewegung der Zwischenkriegszeit in Frankreich geworden. Ursprünglich umfasste sie diejenigen Veteranen, die mit dem gleichnamigen Weltkriegsorden dekoriert wurden.Von 15.000 Mitgliedern 1930 wuchs die Zahl auf über 150.000 im Jahre 1934. De La Rocque war nie antibürgerlich. Das militante Christentum ihres Führers und die Bedeutung des Sports brachte die Croix de feu in die Nähe der katholischen Jugendverbände. Andererseits oszillierte die Bewegung zwischen Faschismus und der antiparlamentarischen Rechten. Sie verfügte aber weder über eine Ideologie noch eine Strategie. Wie alle Bünde wurde die Bewegung im Juni 1936 aufgelöst. De La Rocque gründete stattdessen die Parti sociale français, vgl. Payne, Stanley: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung. Berlin 2001, S. 362 f. sowie Rudaux, Philippe: Les Croix de feu et le PSF. Paris 1967 und Nobécourt, Jacques: Le Colonel de La Rocque, ou les pièges du nationalisme chrétien. Paris 1996. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 2. März 1936 (Anhang VII). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, Relazione XV. Wie zwischen dem Heiligen Stuhl und Berlin, so sah sich Manacorda auch als Vermittler zwischen Paris und Rom berufen. Im September 1937 richtete Manacorda zwei Schreiben an den von ihm geschätzten Radikalsozialisten Camille Chautemps, der am 22. Juni die Nachfolge Blums als Premierminister angetreten hatte, worin er den radikalen Politiker bat, ein persönliches Gespräch mit Mussolini zu führen, um eine bilaterale Verständigung zu erreichen, vgl. Guido Manacorda an Camille Chautemps, Brief vom 12. August und 25. September 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico II, A–H, Sottofasc. Chautemps.Im Antwortbrief, den Manacorda Mussolini vorlegte, forderte Chautemps Manacorda auf, wieder nach Paris zu kommen, um die Gespräche fortzusetzen, vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. September 1937 (Anhang IX). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre Mussolini, Colloqui XI–XII sowie Camille Chautemps an Guido Manacorda, Brief vom 3. September 1937, ebd. Der Radikalsozialist Édouard Herriot (1872– 1957), der zwischen 1924 und 1932 drei Mal Premierminister wurde, war u. a. ein Anhänger der Paneuropa-Bewegung. Bis Januar 1936 war er Staatsminister in der Regierung Doumergue. Ab 4. Juni war er Präsident der Deputiertenkammer, vgl. Garrett, Pierre-Frédéric: Herriot. In: Premiers ministres et présidents du Conseil. Hrsg. von Benoît Yvert Paris 2002. S. 386 – 391.
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mik³⁴ mit Jacques Maritain der wichtigsten Stimme der linken katholischen Intellektuellen nicht nur in Frankreich, sondern in Europa.³⁵ Manacorda setzte sogar vage Hoffnungen in eine Militärrevolte: Eine Anfrage um Unterstützung der Geheimorganisation OSARN leitete der Florentiner Professor im Januar 1937 an Mussolini weiter.³⁶ OSARN war das Kürzel des aus der Action française entstandenen faschistoiden Geheimbunds Organisation secrète d‘action révolutionnaire nationale ³⁷, der von Eugène Deloncle³⁸ 1936 mit dem Ziel gegründet wurde, einen kommunistischen Staatsstreich zu verhindern. In der Presse fungierte die Organisation auch unter dem Namen La Cagoule, zu Deutsch „die Maske“. Prominente Mitglieder waren u. a. Joseph Pozzo di Borgo, Herzog von Korsika³⁹, oder Eugène Schueller, der Gründer von L’Oréal. Manacorda führte eine langjährige Kor-
Vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935. Sottofasc. Maritain. Von den zahlreichen Artikeln Manacordas gegen Maritain sei aus Platzgründen hier nur die beiden wichtigsten erwähnt: Opifex: Cattolici al bivio. In: Corriere della Sera vom 3. September 1936. S. 1 sowie ders.: Pour la justice et pour la paix. In: Il Frontespizio 11 (1935). S. 3 – 5. Der 1882 geborene Jacques Maritain, der erst 1906 zum katholischen Glauben konvertierte, war zu Beginn seiner intellektuellen Karriere ein konsequenter Anhänger der Action française gewesen und stand damit bis Mitte der 1920er Jahre dem Denken eines Manacorda oder eines Papini durchaus nahe. Ursprünglich ein Schüler Bergsons widmete er sich der Philosophie des Heiligen Thomas. Nach der Verdammung der Action française durch Pius XI. im Jahre 1926 löste er sich schrittweise von den konservativ-integralistischen Kreisen, als deren maßgeblichster Exponent er bis dahin galt. In den 1930er Jahren brach Maritain endgültig mit dem rechten Denken und entwickelte eine politische Philosophie, die auf demokratischen Prämissen fußte. Politisch ergriff er Partei für die demokratische Linke und gegen den Faschismus. 1940 nach New York geflüchtet, war er maßgeblich an der Formulierung der „UN-Erklärung der Menschenrechte“ beteiligt, wobei er auf sein Buch „Les Droits de l’Homme et la Loi naturelle“ (New York 1942) zurückgriff. Darüber hinaus übte Maritains Denken einen großen Einfluss auf den Konzilpapst Paul VI. aus, vgl. Doering, Bernard E.: Jacques Maritain and the French Catholic Intellectuals. Notre Dame (USA) u. a. 1983, S. 2– 5. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 23. Juni 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A-H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 16 gennaio 1937, Relazione XXIII. Tatsächlich plante die OSARN einen Putsch, der jedoch in der Nacht vom 15. auf den 16. November 1937 von den französischen Sicherheitskräften vereitelt wurde. Im ganzen Land wurden Waffenlager aufgedeckt. Bis 1938 wurden mehr als 120 Mitglieder festgenommen, darunter auch am 26. November Pozzo di Borgo, der im Verdacht stand, Geld vom faschistischen Italien erhalten zu haben, vgl. Valla, Jean-Claude: La Cagoule 1936 – 1937. Paris 2000, S. 45 – 46. Eugène Deloncle spielte eine wichtige Rolle als Kollaborateur in Vichy, bis er 1944 von der Gestapo getötet wurde. Unter anderem gründete er 1941 die französische Freiwilligenlegion gegen den Bolschewismus, vgl. Monier, Frédéric: Le complot dans la République. Stratégies du secret de Boulanger à la Cagoule. Paris 1998, S. 319. Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 11. August 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2˚ Semestre I–Z, Sottofasc. Vaticano. Manacorda bemühte sich im August 1936, für seinen alten Freund Pozzo di Borgo eine Audienz bei Kardinalstaatssekretär Pacelli zu erhalten. Pozzo di Borgo entstammte altem korsischem Adel. Einer seiner Ahnen war Gegner Napoleons und dann russischer Vertreter auf dem Wiener Kongress.
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respondenz mit Pozzo di Borgo.⁴⁰ Die Gruppe, die über enge Kontakte zu den französischen Streitkräften und geheime Waffenlager verfügte, führte Aktionen zur Destabilisierung der Dritten Republik durch und u. a. einen Anschlag auf die italienischen Antifaschisten, die Brüder Rosselli am 9. Juni 1937. Dieser wurde mithilfe des italienischen Geheimdienstes ausgeführt.⁴¹ Alberto Moravia hat dieses Attentat als Vorbild für seinen Roman „Der Konformist“⁴² genommen.⁴³ In Holland traf Manacorda mit dem Ministerpräsidenten Hendrikus Colijn, einem calvinistischen Politiker, der katholischer Positionen unverdächtig war, zusammen. Sein zweiter wichtiger Gesprächspartner in Holland war der „Führer“ der holländischen Nationalsozialisten Anton Adriaan Mussert, den er im Vatikan unterstützte. Anlass für die Hilfe des Italieners war u. a. eine Erklärung der holländischen Bischofskonferenz vom 24. Mai 1936, die den Katholiken die Teilnahme an der NS-Bewegung bei Androhung der Nichtzulassung zu den heiligen Sakramenten untersagte. Der Professor hatte eine Denkschrift Musserts an den Heiligen Stuhl erhalten und über Padre Pietro Tacchi-Venturi dem Papst überbringen lassen. Während seiner Audienz bei Pius XI. am 5. Oktober 1936 brachte Manacorda die Mussert-Frage vergeblich zur Sprache, da hierzu Pacelli seine Zustimmung verweigerte. Dessen Meinung aber war ausschlaggebend, da die Gesundheit von Pius XI. zu wünschen übrigließ. In Belgien sprach Manacorda in Brüssel mit Léon Degrelle, dem Führer der aus dem katholischen Lager hervorgegangenen belgischen Rexisten-Bewegung.⁴⁴ Besonders während des Äthiopienkrieges rückte die Schweiz, die in Genf den Völkerbund beheimatete, wegen der Sanktionsfrage in den Fokus der faschistischen Außenpolitik. Auf seinen häufigen Auslandsreisen machte Manacorda fast immer in Genf Station.⁴⁵ Mit dem italienischen Botschafter in Bern, Atenolfi Talamo, stand
Monier: Le complot dans la Republique, S. 280 – 281. Die Beziehungen zwischen faschistischem Italien und dem Geheimbund sind noch nicht genau geklärt. Fest steht allerdings, dass die italienische Gegenspionage in Turin die Waffen an die Franzosen lieferte, vgl. Delluc, Brigitte und Gilles: Jean Filliol, du Périgord à la Cagoule, de la Milice à Oradour. Périgueux 2005, 54– 56; Pugliese, Stanislao G.: Death in Exile: The Assassination of Carlo Rosselli. In: Journal of Contemporary History 32 (1997). S. 305 – 319 sowie Valla: La Cagoule 1936 – 1937, S. 77– 79. Moravia, Alberto: Der Konformist. Wien u. a. 1960. Monier: Le complot dans la République, S. 300. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 12. Mai 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 16 gennaio 1937, Relazione XXIII, sowie Sekretariat von Leon Degrelle an Guido Manacorda, Brief vom 4. Mai 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico II, I–Z, Sottofasc. Rex, Degrelle.Die rexistische Bewegung ging aus dem katholischen Bürgertum Walloniens hervor, verfügte über kein kohärentes Programm, vgl. Conway, Martin: Collaboration in Belgium. Léon Degrelle and the Rexist Movement (1940 – 1944). New Haven u. a. 1993, S. 8 – 12. sowie Di Muro, Giovanni F.: Léon Degrelle e l’aventure rexiste 1927– 1940. Bruxelles 2005. In der katholischen Universität in Genf sprach Manacorda im Februar 1936, vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 24. Februar 1936 (Anhang IV). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, Relazione XV.
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Manacorda dabei in einem engen Austausch.⁴⁶ Darüber hinaus etablierte ein enges Netz von Kontakten zu konservativen und zu den mit dem Faschismus sympathisierenden Schweizer Politikern, vor allem zum katholisch-konservativen Bundesrat Giuseppe Motta, dem De-facto-Außenminister, dem ehemaligen Bundesrat Jean-Marie Musy⁴⁷ und zum Führer der Frontenbewegung in der Romandie, Georges Oltramare.⁴⁸ Mit Letzterem organisierte er Antisanktionskonferenzen.⁴⁹ Gesprächspartner waren außerdem der einer alten Berner Patrizierfamilie entstammenden Frédéric de Diesbach⁵⁰ und besonders der ultrakatholische Berner Literaturprofessor Gonzague de Reynold, der zu den führenden europäischen Intellektuellen seiner Zeit gehörte.⁵¹ De
Atenolfi Talamo an Guido Manacorda, Brief vom 8. Januar 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre. Jean-Marie Musy (1876 – 1952), bis März 1934 Bundesrat, stand faschistischen Ideen nahe und hatte Verbindungen zu den NS-Größen bis zur Spitze der SS. Trotz seiner Sympathien für die Achsenmächte gelang ihm 1945 die Rettung von 1.200 Juden aus Theresienstadt in die Schweiz, vgl. Kaiser, Chantal: Bundesrat Jean-Marie Musy 1919 – 1934, Freiburg (Schweiz) 1999. Der in Genf geborene, antisemitische Dramatiker, Journalist und Poltiker Georges Oltramare (1896 – 1960) trat nach dem Ersten Weltkrieg aktiv in die Politik ein. Seine seit 1923 erscheinende satirische Wochenzeitschrift „Le Pilori“ (der Pranger) bekämpfte den Liberalismus, den Sozialismus, das Judentum und die Freimaurerei. Er gründete 1932 die Union nationale, die er bis 1940 führte. Im Februar 1937 schloss Oltramare ein Abkommen mit Rolf Henne von der Nationalen Front, wodurch die jeweilige Bewegung auf das eigene Sprachgebiet beschränkt wurde. Trotzdem nahm die Bedeutung der Fronten stetig ab, vgl. Spindler, Katharina: Die Schweiz und der italienische Faschismus.Phil. Diss. Zürich u. a. 1974, S. 173; Wolf: Faschismus in der Schweiz, S. 513, sowie Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 15. Februar 1936 (Anhang II). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, Relazione XV. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Bericht vom 14. Februar [1936] über die Antisanktionskonferenz im Schweizerischen Freiburg (Anlage II). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Fasc. Carteggio politico, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 2 maggio 1936, Relazione XV. Der Stammbaum der Berner Patrizierfamilie Diesbach reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück, vgl. Moser, Ulrich: Diesbach, von. In: Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 3. Basel 2004. S. 710 – 711. Frédéric de Diesbach war Mitglied in Oltramares Union nationale sowie Mitgründer und Chefredakteur der parteinahen Genfer Zeitschrift „La Revue anticommuniste“, die 1938 erstmals erschien, vgl. Mattioli: Zwischen Demokratie und totalitärer Diktatur, S. 211, sowie Frédéric de Diesbach an Guido Manacorda, Brief vom 5. April 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre, Sottfasc. Diesbach. Gonzague de Reynold (1880 – 1970) wurde von der Schweizerischen Schiller-Stiftung in Zürich im Jahre 1955 der Großen Schillerpreis verliehen, vgl. Cerutti, Mauro: Faschismus. In: Historisches Lexikon der Schweiz. Bd. 4. Basel 2005. S. 413 – 415, hier S. 414. De Reynold war Mitglied der Völkerbundskommission für geistige Zusammenarbeit zum Ausdruck. Die Kommission nahm im Januar 1922 ihre Arbeit auf, um die durch den Ersten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft geratene internationale Zusammenarbeit der Gelehrtenwelt wieder in Gang zu bringen. Sie gilt damit als Vorläuferin der UNESCO, auch wenn sie im Unterschied zu dieser keine organisatorische Selbstständigkeit hatte und ihr Etat wie ihre Aufgaben weitaus beschränkter waren. Berufen wurden ausschließlich Wissenschaftler mit einem herausragenden Renommee: Die illustren Kollegen von de Reynold – darunter der französische Philosoph (und erste Vorsitzende) Henri Bergson, die polnische Chemikerin Marie Curie, Albert Einstein, Sigmund Freud oder der US-Astrononom G. E. Hale – zählen noch heute zu den Geistesgrößen des
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Reynold, der sich selbst als Reaktionär verstand⁵², war ein großer Bewunderer des „Duce“, dem er als Freund von Justizminister Alfredo Rocco wiederholt begegnete. In einem Brief vom 12. Februar 1927 hatte der Schweizer Mussolini aufgefordert, den Faschismus aus einer Bewegung mit nationalem, in eine mit universellem Geltungsanspruch zu transformieren, indem er sich mit der katholischen Lehre, v. a. der thomistischen, verbinde und mit dem Vatikan aussöhne. Auf diese Weise würden der Faschismus universell und der Katholizismus international gestärkt.⁵³ Daraufhin erhielt de Reynold im März 1927 seine erste von insgesamt sechs Audienzen bei Mussolini.⁵⁴ 1934 war de Reynold der CAUR beigetreten. Sein Biograph Aram Mattioli stellt hierzu diese Überlegung an: „Vielleicht glaubte er tatsächlich eine Zeitlang an die Möglichkeit eines katholischen Faschismus und an eine neue ,Universalität Roms‘.“⁵⁵ Zugleich verweist er auf dessen angebliche Vorbehalte gegenüber dem italienischen Faschismus, u. a. bezüglich des übersteigerten Nationalismus, der dem Schweizer Intellektuellen als Häresie erschienen sei. Dies hätte de Reynold ab 1935 auf Distanz zum faschistischen Italien gehen lassen.⁵⁶ Diese Hypothese wird durch eine Äußerung von de Reynold 1935 in seinem in Luzern erschienenen Buch „Die Tragik Europas“ scheinbar belegt. Dort heißt es auf Seite 259, dass trotz aller Sympathien und Bewunderung des Faschismus für den Katholizismus seine Grundprinzipien nicht christlich seien, da die Religion des Faschismus der Patriotismus sei.⁵⁷ Aus dem Briefwechsel mit Manacorda ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Der Schweizer sagte im Februar 1936 Manacorda zu, politisch für das faschistische Italien tätig zu werden.⁵⁸ Noch enger kooperierte Manacorda mit Oltramare, mit dem er eine faschistisch inspirierte Konkurrenzinstitution zum Völkerbund kreieren wollte. Manacorda legte diesen Plan nicht nur Ciano und Mussolini, sondern auch Hitler bei dessen Besuch im März 1937 vor. Die „Vereinigung der Vaterländer“⁵⁹, die ihren Sitz als „Société an20. Jahrhunderts. Sie unterstreichen indirekt die außerordentliche Reputation, die der heute vergessene Schweizer, der aber mit ihnen damals auf einer Stufe stand, zu dieser Zeit genoss. Darüber hinaus war er im katholischen Europa als Präsidiumsmitglied der „Union catholique d’études internationales“ tätig, vgl. Weber: Vom Völkerbund zu den Vereinten Nationen, S. 112– 114. Mattioli, Aram: Gonzague de Reynold – Vordenker, Propagandist und gescheiterter Chef der ‚nationalen Revolution‘. In: Intellektuelle von Rechts. Ideologie und Politik in der Schweiz 1918 – 1939. Hrsg. von dems. Zürich 1995. S. 135– 156, hier S. 137. Spindler: Die Schweiz und der italienische Faschismus, S. 203. Mattioli: Zwischen Demokratie und totalitärer Diktatur, S. 168. Ebd., S. 176. Ebd., S. 179. Aerschmann, Stephan: Katholische Schweizer Intellektuelle und der italienische Faschismus 1922– 1943. Freiburg (Schweiz) 2002, S. 121. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 15. Februar 1936 (Anlage II), S. 2. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Fasc. Carteggio politico, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 2 maggio 1936, Relazione XV. Notiz Manacordas über das Gespräch mit Ciano vom 4. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta, sowie
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onyme à but philanthropique dans le Registre du Commerce“ des Kantons Genf gehabt hätte, sollte nach dem Willen ihrer Urheber den realen Bedürfnissen aller zivilisierten und souveränen Vaterländer gerecht werden. Ferner wurde eine vernünftige Aufteilung in nationale Einflusszonen gefordert, damit Differenzen zwischen kapitalistischen und proletarischen Staaten verschwänden.⁶⁰ Manacorda arbeitete im ganzen Frühjahr 1937 mit Oltramare an dem Projekt und besprach die Entwürfe bei seinen Audienzen mit Mussolini.⁶¹ Ein Durchschlag ging an das Außenministerium.⁶² Ciano erstattete er am 4. März Bericht.⁶³ Der Hinweis auf die „soziale korporative und christliche Ordnung werde“, so meinte Manacorda, „sicherlich kein Hindernis für den ‚Führer‘ darstellen, wohl aber in Hinblick auf Japan“.⁶⁴ Das Projekt wollten Oltramare und Manacorda gemeinsam Hitler vorstellen. Hans Thomsen, den er noch in der Reichskanzlei vermutete, schrieb er: Am 10. März werde ich in Berlin sein, um einen Vortrag über die Lehre und Kritik des Kommunismus bei der dortigen Hochschule für Politik [Unterstreichung im Orig.] zu halten. Wie gewöhnlich, stellt der Vortrag nur die äussere Seite meiner Mission dar, indem die Audienz beim Führer, wenn von Seiner Seite nichts dagegen sein wird, ihre innere und interessanteste Seite bilden sollte. Selbstverständlich steht mein Verlangen in vollkommenem Einklang mit den Instruktionen, die ich kürzlich und persönlich in Rom vom Duce erhalten habe. Diesmal sollte die Audienz eine ganz besondere Bedeutung bekommen, insofern ich, mit Erlaub[nis] des Führers, Ihm Herrn Oltramare, chef de l’Union Nationale Suisse vorstellen möchte. Er hat dem Führer einen sehr wichtigen politischen Plan zu unterlegen [sic], der schon vom Duce mit Interesse und Sympathie geprüft worden ist.⁶⁵
Zwei Wochen vor seiner Audienz richtete er eine entsprechende Anfrage an die italienische Botschaft in Berlin, die in Abstimmung mit Mussolini erfolgte; natürlich nur
Telegramm d’Ajetas an Manacorda ohne Datum, in dem die Einladung ausgesprochen wird, ebd. Der Entwurf umfasst neun Abschnitte. Geregelt werden darin die Grundlagen, die juristische Verfassung, die Mitgliedsstaaten, das Sekretariat, die Einrichtung eines Nachrichtenbüros. Als Generalsekretär war Gonzague de Reynold und als Sitz der Vereinigung Genf vorgesehen. Die Kosten sollten sich auf jährlich rund 400.000 Franken belaufen. Der Entwurf findet sich in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico II, I–Z, Sottofasc. Oltramare. Ebd. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 1. April 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, Relazione XXIV. Guido Manacorda an Blasco Lanza d’Ajeta, Brief vom 19. Februar 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Ciano, d’Ajeta. Notiz Manacordas über das Gespräch mit Ciano vom 4. März 1937, ebd. Ebd. Guido Manacorda an Hans Thomsen, Brief vom 24. Februar 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico II, I–Z, Sottofasc. Thomsen. Thomsen, der schon im September 1937 nach Washington versetzt worden war, antwortete ihm am 13. März 1937.
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mit der Einschränkung, dass dies dem „Führer“ opportun erscheine.⁶⁶ Oltramare wurde schließlich doch nicht vorgelassen.⁶⁷ So stellte Manacorda das ins Deutsche übersetzte Memorandum Hitler in dem im vorigen Kapitel erwähnten Vier-AugenGespräch alleine vor.⁶⁸ Der Diktator hielt die Idee für gut, ein Gegengewicht zum Völkerbund zu schaffen. Allerdings dürfe man seines Erachtens weder auf die Unterstützung Österreichs noch Ungarns hoffen. Die Regierungschefs beider Länder hätten ihm auf seine diesbezügliche Anfrage versichert, sie würden sich nicht trauen, Genf zu verlassen. Deutschland und Italien, sobald es ausgetreten sei, würden aber bald ihren definitiven Bruch ohne Wiederkehr mit dem Völkerbund erklären. England werde, fügte Hitler an, Italien niemals die Gründung des Imperoverzeihen und Deutschland niemals seine Haltung in der Sanktionsfrage. Deshalb sei es wichtig, die Konsequenzen zu ziehen. Auf die Kolonial- und Österreichfrage ging Hitler nicht ein, so fasste Manacorda diesen Gesprächspunkt zusammen. Zwar hatte Hitler den Vorschlag Manacordas vorgeblich positiv aufgenommen, ihn dann aber mit dem fadenscheinigen Verweis auf die Haltung Österreichs und Ungarns für undurchführbar erklärt, und damit in eine unbestimmte Zukunft verschoben. Vieles spricht dafür, dass Hitler, der bilaterale Pakte zwischen Staaten bevorzugte, weil sie am einfachsten zu brechen waren, nicht gewillt war, sich irgendeiner internationalen Organisation der kollektiven Sicherheit auszuliefern, sei sie auch noch so nationalistisch und faschistisch. In seinen in den 1950er Jahren erschienenen Erinnerungen kommt Oltramare ebenfalls ausführlich auf das Projekt der Vereinigung der Vaterländer zu sprechen: Das Konzept hierzu habe er 1937 im Auftrag Mussolinis einer Sekretärin im Außenministerium in Rom diktiert. Manacorda habe ihm aber dann im Frühjahr 1937 mitgeteilt, dass Mussolini der Plan gegenwärtig nicht opportun erschien.⁶⁹ Der „Duce“ habe den Plan mit Rücksicht auf Hitler fallen lassen, da eine solche Union Österreich geschützt hätte. Diese Initiative einer nationalistischen Internationalen der Schweizer Frontenbewegung glich im Kern den Vorschlägen des deutschen Völkerrechtlers Hans K. E. L. Keller, der für die Rockefeller-Stiftung forschte.⁷⁰ Letzterer hatte seinen Vorschlag im bewussten Gegensatz zum Versailler System verstanden. Eine erste Tagung fand 1934 in Berlin, eine zweite 1935 in London und eine dritte im Nobel-Institut in Oslo statt. Danach wurde das Projekt nicht mehr weiterverfolgt, offenbar auch weil diese Bestrebungen in Deutschland untersagt wurden.⁷¹ Keller ging von einer „na Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 27. Februar 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico II, A–H, Sottofasc. Conferenze Berlino. Georges Oltramare an Guido Manacorda, Telegramm vom 9. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico II, I–Z, Sottofasc. Oltramare. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Bericht vom 20. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, XXIV. Oltremare: Les Souvenirs nous vengent, S. 154– 159. Darin wird ein Brief Manacordas wiedergegeben, in dem dieser seinen Besuch für Mitte Mai [1937] ankündigt, ebd. S. 159. Glaus, Beat: Die Nationale Front. Eine Schweizer faschistische Bewegung 1930 – 1940. Phil. Diss., Zürich u. a. 1969, S. 319. Ebd., S. 322.
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türlichen organischen Einheit“ anstelle des Völkerrechts aus. Der Rang eines Volkes sollte von dessen Anteil an der Durchsetzung von Gerechtigkeit im Völkerleben und von der Verantwortung für den Frieden abhängen. Vorbild war das Zeitalter, zu dem sich die Völker als Teil eines Reiches gefühlt hätten.⁷² Im Juni 1940 hielt sich Oltramare als politischer Flüchtling in Manacordas Haus auf, nachdem er „nach vielen Schicksalsschlägen aus der Schweiz nach Montecatini geflüchtet war“, wie Manacorda Mussolini schrieb.⁷³ Manacorda überbrachte Mussolini dessen Treuebekenntnis „Unque q[uo)d mortem“, das aber martialischer klang, als es offenkundig gemeint war. Denn noch im gleichen Monat nahm Oltramare ein Angebot vom deutschen Botschafter bei der Vichy-Regierung, Otto Abetz, als Kollaborateur an. In Paris arbeitete er bis 1944 unter dem Pseudonym „Dieudonné“ im Presse- und Rundfunk für die Deutschen, bis er Marschall Pétain nach Sigmaringen folgte.⁷⁴ Für seine aktive Unterstützung des „Dritten Reiches“ wurde er in der Schweiz 1947 zu drei Jahren Zuchthaus und 1950 in Paris in Abwesenheit zum Tode wegen Kollaboration verurteilt. Er floh vorübergehend ins frankistische Spanien und nach Ägypten. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wurde er bis 1958 mit Schreibverbot belegt. Der Äthiopienfeldzug veränderte die internationale Lage in einem Maße und in einer Geschwindigkeit, dass er auch eine endgültige Neuorientierung der italienischen Österreichpolitik einleitete. Denn angesichts der Isolation und des Konfliktes mit Großbritannien suchte Mussolini die Unterstützung Hitlers. Renzo De Felice hob hervor, dass die Annäherung an Deutschland auch erfolgt sei, um die faschistische Revolution voranzutreiben.⁷⁵ Dies bedeutete außenpolitisch die Verlagerung der italienischen Politik von der Adria und dem Balkan auf eine imperiale Mittelmeerpolitik des „Mare nostro“ und beinhaltete die Opferung Österreichs.⁷⁶ Mit dem damit verbundenen Abrücken von Stresa rückte die Österreichfrage in das Zentrum der Betrachtung. Vom 20. bis 24. März 1936 lud Mussolini den ungarischen Ministerpräsidenten Gömbös und Bundeskanzler Schuschnigg nach Rom ein, um die Verträge von 1934 noch einmal zu bekräftigen. Dies war Teil seiner widersprüchlichen Doppelstrategie dieser Monate, in der er Frankreich gegenüber erklärte, ohne Sanktionen würde Italien den Pakt von Stresa unter Einschluss von Polen gerne erneuern.⁷⁷ Das
Ebd., S. 473. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 6. Juni 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1940, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini. Inzwischen benutzte er die Anrede „Duce“. Clavien, Alain: Georges Oltramare. Von der Theaterbühne auf die politische Bühne. In: Aram Mattioli (Hrsg.): Intellektuelle von Rechts. Ideologie und Politik in der Schweiz 1918 – 1939. Zürich 1995. S. 157– 170, hier S. 169. De Felice: Mussolini il duce. I., S. 756. Ara, Angelo: Diskussion zu den Beiträgen Ara, Ormos, Castellan. In: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938. Hrsg. von Gerald Stourzh und Brigitta Zaar. Wien 1990. S. 167– 176, hier S. 175. De Felice: Mussolini il duce. I., S. 753.
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Augenmerk des italienischen Diktators galt dabei auch, den Gefahren eines drohenden NS-Putsches vorzubeugen. Jedenfalls wollte sich Mussolini nicht ein weiteres Mal wie 1934 von Hitler desavouieren und vor vollendete Tatsachen stellen lassen.⁷⁸ Im katholischen Österreich kamen als Ansprechpartner Manacordas die Anhänger des austrofaschistischen Ständestaats in Betracht: Der Gründer der PaneuropaBewegung, der neoaristokratische Nietzscheaner und Antibolschewist Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi bewunderte Mussolini als ersten Staatsmann, der gegen den Bolschewismus kämpfte. Mussolinis Parolen Ordnung, Autorität und Disziplin deckten sich, so seine Biographin Anita Ziegerhofer-Prettentaler, mit Coudenhoves Werten. Coudenhoves und Mussolinis Geisteshaltung sei die gleiche gewesen. Er bezeichnete den italienischen Diktator schon in einem offenen Brief in der „Neuen Freien Presse“ vom 21. Februar 1923 als „Erbe des Marius und Cäsar“ und wandte sich ergebnislos an den italienischen Diktator mit der Bitte, eine paneuropäische Konferenz in Rom einzuberufen.⁷⁹ Die politische Haltung und das katholische Bekenntnis Coudenhoves glichen in jeder Beziehung dem Denken Manacordas. Ihr Briefwechsel und ihr persönlicher Kontakt in den 1930er Jahren sind daher folgerichtig. Dass Coudenhove in seiner Mitte der 1960er Jahre erschienenen Autobiographie Manacorda rückblickend zur „antifaschistischen Intelligenz“ zählt, erscheint nur vor dem Hintergrund plausibel, dass er diesen Kontakt relativieren wollte, einerseits um seinen Philofaschismus zu kaschieren, andererseits, um sich durch den Mussolini-Vertrauten und Hitler-Bewunderer Manacorda nicht zu kompromittieren.⁸⁰ Spätestens 1930 gab Coudenhove die anfänglich antifaschistische Orientierung seiner Paneuropa-Bewegung auf. Anlässlich des zweiten Paneuropa-Kongresses, der – ignoriert von der Reichsregierung Brüning – am 17. Mai 1930 in Berlin stattfand, suchte Coudenhove erneut, eine Beziehung zum faschistischen Regime aufzubauen, und sprach beim italienischen Botschafter Baron Luca Orsini vor. Er wollte Alberto Pirelli und Guido Manacorda einladen, die über wirtschaftliche und kulturelle Themen sprechen sollten. Ostentativ verzichtete er auf die Einladung seines antifaschistischen Freundes Graf Sforza, einem Paneuropäer der ersten Stunde.⁸¹ Coudenhoves ausgeprägter katholisch-österreichischer Patriotismus, den er auf eine christlich-katholische Identität bezog, brachte ihn 1933 nach der Gründung des „Dritten Reiches“ in schroffen Gegensatz zur Rosenberg’schen Ideologie.⁸² Diese Grundüberzeugung prädestinierte den österreichischen Verfechter des Europa-Gedankens für einen Anhänger des austrofaschistischen Ständestaats. Am 10. Mai 1933 erhielt der DollfußAnhänger die lange ersehnte Audienz bei Mussolini und besprach mit ihm die Möglichkeiten einer lateinischen Union mit Frankreich als Schutzwall gegen das „Dritte
Ebd., S. 755. Ziegerhofer-Prettenthaler: Botschafter Europas: Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, S. 386. Coudenhove-Kalergi: Ein Leben für Europa, S. 136. DDI. Settima Serie: 1922– 1935. Bd. IX. Roma 1975, Dok. 10, S. 10. Ziegerhofer-Prettenthaler: Botschafter Europas: Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, S. 496 – 497.
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Reich“.⁸³ Coudenhove blieb ein Hitler-Gegner. Zu dieser Zeit korrespondierte seine Haltung bezüglich der Österreich-Frage noch mit derjenigen Manacordas, der die Unabhängigkeit des katholisch-faschistoiden österreichischen Satelliten Italiens ebenfalls unbedingt gegenüber dem heidnisch-nationalsozialistischen Deutschland erhalten wissen wollte. Manacorda versuchte, Coudenhove mit Mussolini im Gespräch zu halten und ermunterte ihn, sich bei ihm anzumelden. Denn auf eine Einladung zu warten sei „von deiner Seite recht vornehm, aber in dieser schweren raschen Stunde könnte es vielleicht unfruchtbar sein.“⁸⁴ Er versicherte Coudenhove, der „Duce“ zähle ihn zu seinen Freunden: Du würdest sicher recht freundlich empfangen und einen Mann kennen lernen, dessen geistige Statur über die nur von zu vielen europäischen Politikern hervorragt. Und es könnten vielleicht gute Folgerungen davon kommen.⁸⁵
Über sein Gespräch berichtete Manacorda freimütig: In Berlin habe ich ein sehr interessantes fast ein paar Stunden langes Gespräch mit dem Führer gehabt, von dem etwas Nützliches vielleicht entstehen dürfte. Später habe ich auch mit dem Duce gesprochen.⁸⁶
Den deutschen Diktator achtete Coudenhove gering. Auf die Mitteilung Manacordas über dessen erste Begegnung mit Hitler am 29. September 1935 teilte er in seinem Antwortbrief vom 2. November jedenfalls die positive Beurteilung des „Führers“ durch Manacorda in keiner Weise, zeigt sich aber Mussolini gegenüber weiter aufgeschlossen: Ich kann Deine Hoffnung nicht teilen, dass von Hitler vielleicht etwas Nützliches entstehen dürfte. Ich betrachte ihn neben dem Bolschewismus als das grösste Unglück Europas. Ausserdem glaube ich nicht, dass von einer so vulgären Physiognomie überhaupt etwas Gutes oder Edles kommen kann. Mit Mussolini würde ich schon gerne eingehend sprechen, denn ich glaube, dass Italien gerade in der augenblicklichen Situation nach der Liquidierung des abessinischen Konfliktes bei der Einigung Europas führend werden kann.⁸⁷
Ebd., S. 398. Guido Manacorda an Richard Coudenhove-Kalergi, Brief vom 26. Oktober 1935, sowie dessen Antwort an Manacorda vom 2. November 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Ziegerhofer-Prettenthaler zitiert die beiden Briefe von Manacorda und Coudenhove, ordnet sie aber falsch zu, indem sie Manacordas Brief als Antwortbrief an Coudenhove auffasst. Ziegerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas: Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, S. 405. Ebd. Guido Manacorda an Richard Coudenhove-Kalergi, Brief vom 26. Oktober 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Richard Coudenhove-Kalergi an Guido Manacorda, Brief vom 2. November 1935, ebd.
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Im Mai 1936 reiste Coudenhove nach Rom, um Mussolini zu treffen. Die Audienzen fanden am 11. und 12. Mai statt.⁸⁸ Auf dem Weg dorthin machte er im Hause Manacordas in Florenz Zwischenstation. In der Unterredung mit dem italienischen Diktator sprach Coudenhove wiederum über eine französisch-italienisch-lateinische Allianz. Bei dieser Audienz äußerte der Diktator aber starke Vorbehalte gegen das Volksfrontfrankreich von Léon Blum. Dennoch nahm Coudenhove für den „Duce“, so Renzo De Felice, erneut Sondierungen bezüglich einer lateinischen Union mit Frankreich gegen das „Dritte Reich“ vor.⁸⁹ Coudenhove selbst zeigte sich über den Gesprächsverlauf mit dem „Duce“ „ausserordentlich zufrieden“, wie er Manacorda schrieb.⁹⁰ Auf die Verbindungen Coudenhoves setzte auch Manacorda, der nach seiner Rückkehr aus Berlin am 27. Oktober 1935 nach Paris passenderweise ins Hotel „Ambassador“ fuhr. Denn im Auftrag Mussolinis war er tatsächlich, wenn auch nicht in offizieller, so doch in offiziöser Mission.⁹¹ Im Mai 1936 reiste Manacorda nach Wien, um die dortige Lage im Zuge der deutsch-italienischen Annäherung zu sondieren.⁹² Dort erhielt er die Gelegenheit einer einstündigen Unterredung mit Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, der die nationalsozialistische Bewegung in Österreich fälschlicherweise als wenig gefährlich einstufte. Immer wenn Geld aus Deutschland fließe, werde sie wieder aktiv.⁹³ Schuschnigg erklärte seine Loyalität, seine Freundschaft und seine Bewunderung gegenüber Mussolini und dem faschistischen Staat. Der Bundeskanzler ließ seinen Worten durchaus Taten folgen: Als erster Staat erkannte Österreich am 15. Mai das Imperium an.⁹⁴ Anschließend traf der Professor den Domkapitular von St. Stephan, Monsignore Jakob Fried, Generaldirektor des Katholischen Volksbunds für Österreich.⁹⁵ Der Monsignore schloss einen nationalsozialistischen Putsch in naher oder ferner Zukunft ebenso wie Schuschnigg aus. In Wien stünden nicht mehr als fünf Prozent der Be Richard Coudenhove-Kalergi an Guido Manacorda, Brief vom 26. Mai 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre. De Felice: Mussolini il duce. I., S. 410, sowie Ziegerhofer-Prettenthaler: Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi. Richard Coudenhove-Kalergi an Guido Manacorda, Brief vom 26. Mai 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre. Guido Manacorda an Richard Coudenhove-Kalergi, Brief vom 26. Oktober. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. Sottosegretario di Stato per gli Affari esteri an Guido Manacorda, Brief vom 30. April 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, Relazione XV. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936 (Anhang 1), S. 2. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloqui 1– 2 giugno 1936. De Felice: Mussolini il duce. I., S. 754. Hanisch, Ernst: Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In: Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur 1933 – 1938. Hrsg. von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer. Wien 2005. S. 68 – 86, hier S. 74.
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völkerung auf der Seite der Nationalsozialisten, die allerdings im Fall eines Plebiszits wohl auf zwei Drittel der Stimmen zählen könnten.⁹⁶ Hitler bezeichnete er als einen Scharlatan. Außerdem berichtete Manacorda Mussolini über seine Treffen mit Dietrich von Hildebrand, den in Florenz aufgewachsenen katholischen Phänomenologen, Husserlund Scheler-Schüler.⁹⁷ Schließlich hielt Manacordas letzter Gesprächspartner, der apostolische Nuntius Kardinal Enrico Sibilia, ebenfalls einen Putsch für völlig ausgeschlossen.⁹⁸ Damit hatte der Florentiner Professor v. a. die katholischen Persönlichkeiten besucht, die dem Nationalsozialismus und Hitler feindlichst gegenüberstanden und die Papen noch im Januar 1937 als Gegner einer Annäherung an das „Dritte Reich“ betrachtete, nämlich das extreme klerikale Lager, Kartellverband und katholische Aktion, und die Anhänger einer Restauration der Habsburger, die sog. Legitimisten. Während seines Aufenthaltes in Wien wurde Manacorda Zeuge, wie Schuschnigg die Heimwehr entmachtete und Starhemberg als deren Bundesführer ablöste. Anlass war ein Telegramm Starhembergs an Mussolini, in dem der Heimwehrführer „im Bewusstsein faschistischer Verbundenheit“ zum Einmarsch in Addis Abeba gratulierte. Es sei ein „Sieg der faschistischen Opferfreude über demokratische Unehrlichkeit“. Das in der österreichischen Presse veröffentlichte und vom englischen Gesandten umgehend kritisierte Telegramm schloss mit dem Satz: „Es lebe der Sieg des faschistischen Gedankens in der Welt.“⁹⁹ Manacorda beurteilte die Ausschaltung dieser paramilitärischen faschistischen Bewegung, die zugleich der Garant der Beibehaltung des „italienischen Kurses“ war,¹⁰⁰ seltsam distanziert, die Gefahr einer
Guido Manacorda an Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936 (Anhang 1), S. 2– 3. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloqui 1– 2 giugno 1936, XVI–XVII Relazione I. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936 (Anhang 1), S. 2– 3. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloqui 1– 2 giugno 1936. Hildebrand musste aus München, wo er lehrte, aufgrund seiner antinazistischen Einstellung, die er seit den 1920er Jahren öffentlich bekundete, gleich nach der sog. Machtergreifung nach Wien fliehen. Dort gab er die von Dollfuß genehmigte Zeitschrift „Der christliche Ständestaat“ heraus, die eine von Österreich ausgehende Mission einer Katholisierung Mitteleuropas und Deutschlands propagieren sollte und damit eine explizit antinationalsozialistische Stoßrichtung aufwies. In der Schuschnigg-Ära vertrat „Der Christliche Ständestaat“ zunehmend habsburgisch-legitimistische Tendenzen. In seiner Wirkung war er auf die katholischen Intellektuellen beschränkt, vgl. Staudinger,Anton: Austrofaschistische „Österreich“-Ideologie. In: Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur 1933 – 1938. Hrsg. vonEmmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer.Wien 2005. S. 28 – 53, hier S. 36 sowie Groll, Karin: Hildebrand, Dietrich von. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 2. Hamm 1990. Spalten 845 – 846. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936 (Anhang 1), S. 3, ebd. Schuschnigg, Kurt: Im Kampf gegen Hitler. Wien u. a. 1969, S. 176. Tálos, Emmerichund Walter Manoschek: Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus. In: Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur 1933 – 1938. Hrsg. von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer. Wien 2005. S. 124– 160, hier S. 155 – 157.
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Nazi-Revolte relativierend. Ein „österreichischer Putsch“ habe sich unter seinen Augen abgespielt. Dies sei nicht weiter tragisch, aber symptomatisch und in jeder Beziehung schmerzhaft. Manacordas Distanz zum österreichischen Ständestaat überrascht. Denn die katholische Kirche, die als Herrschaftsträger und Ideologielieferant in das autoritäre System einbezogen war, profitierte kurzfristig am meisten von diesem Regime, sodass seine faschistisch-katholische Synthese doch eigentlich durch Dollfuß eine Realisierung fand. Ein ständischer Aufbau im christlich-deutschen Geist auf Grundlage der Enzyklika „Quadrogesimo Anno“ sollte, wie der österreichische Bundeskanzler auf dem „Allgemeinen Deutschen Katholikentag“ 1933 erklärte, Wegweiser für die Gestaltung eines wie einst im Mittelalter wieder harmonischen Staatswesens sein. Gerade das Korporationswesen war für den italienischen Professor ein wesentliches Element der faschistischen Antwort auf die Probleme der Moderne. Die katholische Orientierung kam im Kreuzfahrersymbol der Vaterländischen Front, dem Kruckenkreuz, zum Ausdruck.¹⁰¹ Der Wiener Historiker Ernst Hanisch bezeichnete die katholische Kirche allerdings „als Sperrriegel gegen den vollfaschistischen Charakter des Regimes“, dem jede Modernisierungsstrategie faschistischen Typs gefehlt habe.¹⁰² Hanisch resümiert: Indem sich das Dollfuß-Schuschnigg-Regime auf die traditionelle Religion stützte, lehnte es den säkularisierten Irrationalismus des ‚elan vital’ mit seinen quasireligiösen Zügen ab. Die Christianisierungskampagne schloß an Strategien der Gegenreformation an und stellte sich quer zur bereits säkularisierten Gesellschaft. Allein wegen dieser Naivität war ein Scheitern vorauszusehen.¹⁰³
Mit dem Faschismus habe man aber den Antiliberalismus, Antibolschewismus und die Vorstellung eines starken Staates und eines österreichischen, aufgrund der militärischen Schwäche des Kleinstaats, kulturellen Imperialismus gemein gehabt. Hinzu kam bis 1936 der gemeinsame Antinazismus. Die Hoffnung des politischen Katholizismus bestand darin, „im Rahmen des kleinen Österreich das Reich Christi und das Königtum Christi wiederaufzurichten“.¹⁰⁴ Anfangs stellten sich der Vatikan, das Episkopat und der Klerus hinter dieses Projekt des Dollfuß-Regimes, das dann jedoch vor allem unter Schuschnigg weder die Erwartungen der Kirche noch des faschistischen Italiens erfüllen konnte. So äußerte Kardinal Innitzer 1936, mit der Bezeichnung „Christliches Österreich“ hätte man noch warten sollen, wenngleich die Hierarchie nicht mehr die Kraft fand, sich vom Regime zu lösen.¹⁰⁵ Dies könnte die Reserviertheit und Skepsis Manacordas erklären, der außerdem einem Faschismus im Sinn des Bergson’schen „elan vital“ und einer Sorel’schen Revolutionsdynamik das Wort re
Hanisch: Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“, S. 75. Ebd., S. 68 – 69. Ebd., S. 69. Ebd., S. 72. Ebd., S. 83.
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dete, die, wenn überhaupt, höchstens die Heimwehr vertreten hatte. Der aber fehlte die Massenbasis und eine glaubhafte Führerfigur. Darüber hinaus dachte Manacorda schon an seine bevorstehende Unterredung mit dem von ihm bewunderten, in seinen Augen charismatischen Hitler, die ihm für den 15. Mai bevorstand.¹⁰⁶ Im Gegensatz zum Austrofaschismus verkörperte der Nationalsozialismus für ihn diesen aktivistischen Bewegungscharakter.¹⁰⁷ Schon aus Berlin übersandte Manacorda Mussolini zwei Memoranden italienischer Agenten über die Lage in Österreich.¹⁰⁸ Beide ließen wenig Zweifel über die innere Lage des Landes: Eugenio Morreale, offiziell der Sekretär des Wiener „Fascio“, sprach von der neuen deutschen Taktik der „kalten Gleichschaltung“.¹⁰⁹ Die italienische Unterstützung Starhembergs, der äußerst vulgär und intellektuell „eine Null“ sei, schade dem italienischen Ansehen in Österreich, fügte der Universitätsdozent Angelini, der ebenfalls geheimdienstlich tätig war, an.¹¹⁰ Am 5. Juni führte Mussolini in Rocca delle Camminate ein langes Gespräch mit Schuschnigg, der ihm über die Verhandlungen mit Papen berichtete. Mussolini drängte den Bundeskanzler, künftig gute Beziehungen zu Deutschland zu pflegen.¹¹¹ Dies führte zu dem bekannten, von Schuschnigg und Papen unterzeichneten JuliAbkommen zwischen Berlin und Wien, in dem das Reich zwar die Unabhängigkeit Österreichs anerkannte, Schuschnigg aber die Nationalsozialisten aus der Illegalität und in die Regierung holen musste. Mussolini gab sich, so Renzo De Felice, wohl keiner Illusion hin, damit den Anschluss verhindern zu können. Er glaubte aber, auf diese Weise eine deutsch-britische Annäherung verhindert und Zeit gewonnen zu haben, um dann nach einer Einigung mit den Westmächten wieder aus einer gemeinsamen Position der Stärke die Annexion Österreichs durch das Reich verhindern zu können. Vermeintlich schien Mussolinis Kalkül aufzugehen und sein Handlungsspielraum gewachsen: Im Juli 1936 wurden die Sanktionen ausgesetzt, und die Home Fleet zog sich aus dem Mittelmeer zurück, während die deutsch-italienischen Spannungen – aufgrund der deutschen Garantie der österreichischen Selbstständigkeit –
Guido Manacorda an Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936 (Anhang 1), S. 4. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloqui 1– 2 giugno 1936. Vgl. hierzu das Kapitel zur Perzeption der Germanität im Werk Manacordas. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 14. Mai 1936 sowie Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936 (Anhang 1), S. 4. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloqui 1– 2 giugno 1936. Es handelt sich um zwei Exposés Manacordas über die Lage in Österreich vom 14. Mai 1936, die die italienische Botschaft übersandte. Attolico an Mussolini, Telegramm vom 16. Mai 1936. In: DDI, Ottava Seria 1935 – 1939, Bd. IV, 10. Mai–31. August 1936, Rom 1993, S. 68. Mussolini hatte allerdings die diesbezüglichen Memoranden Manacordas mit der Randbemerkung „marginale Bedeutung“ versehen. Eugenio Morreale: „Appunti sulla situazione dell’Austria“ vom 9. Mai 1935, Anlage zu Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 14. Mai 1936, ebd. Domenico Angelini: „Pro Memoria“, ebd. Renzo De Felice: Mussolini il duce. I., S. 755 – 757; Schuschnigg, Kurt: Ein Requiem in Rot-WeissRot. Zürich 1946, S. 246.
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beseitigt waren. Erst auf den zweiten Blick wurde der Rückschritt deutlich, denn die Problemlösung wurde jetzt mit, statt wie zuvor ohne oder gegen Hitler gesucht. Die ehemalige Schutzmacht Italien stand passiv beiseite.¹¹² Ad acta gelegt war auch die ideologische Gleichschaltung Österreichs mit Italien, was in der Opferung Starhembergs, dessen Heimwehr sich noch am ehesten am faschistischen Modell orientierte, zum Ausdruck kam. Manacorda focht das nicht an. Er schrieb dem italienischen Botschafter in Bern, er sei über das Abkommen sehr froh, wenn auch der weitere Weg noch lang und steinig sei.¹¹³ In das seit Juli 1936 vom Bürgerkrieg geschundene Spanien reiste Manacorda erst weit nach 1945. Dennoch stärkte er durch seinen journalistischen Einsatz für das katholisch-nationalistische Spanien nachhaltig die faschistische Spanien-Propaganda. Vor allen Dingen führte er eine scharfe Polemik mit José María de Semprún y Gurrea, dem Botschafter der Spanischen Republik in Den Haag und Vater des Schriftstellers Jorge Semprún. Im Oktober 1937 veröffentlichte der „Corriere della Sera“ wiederum einen Beitrag Manacordas als Leitartikel auf der ersten Seite mit dem Titel „Spagna cattolica“.¹¹⁴ Damit handelte es sich zwar nicht um einen offiziösen, wohl aber um einen Text, der sich mit der offiziellen faschistischen Sichtweise deckte. Die Bombardierung und Zerstörung von Guernica, höhnte Manacorda, habe die heilige Empörung der Freimaurer, Demokratien, Sozialisten und Sozialkommunisten der Welt hervorgerufen. Die holländische Übersetzung des Artikels Manacordas las Semprún am 30. Oktober in der Den Haager katholischen Zeitung „Residentiebode“.¹¹⁵ Der Botschafter kannte „den alten Professor“, wie er ihn titulierte, von einer Konferenz und hatte mit ihm seinerzeit über den Faschismus diskutiert.¹¹⁶ Der Jurist Semprún verwarf in einem Leserbrief vom 1. November die Anschuldigungen insgesamt und insbesondere die an ihn gerichtete Aussage, er trete für einen Katholizismus ohne päpstliche Urbs ein. Manacorda habe seine Zitate verfälscht. Manacorda antwortete am 8. November, er habe einen Artikel Semprúns aus „El Sol“¹¹⁷ zitiert, der voller Hass gegen Rom sei.¹¹⁸
Ara, Angelo: Die italienische Österreichpolitik 1936 – 1938. In: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938. Hrsg. von Gerald Stourzh und Brigitta Zaar. Wien 1990. S. 111– 129, hier S. 119. Guido Manacorda an Atenolfi Talamo, Brief vom 15. Juni 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I-Z, Sottofasc. Guido Manacorda: Spagna cattolica. In: Corriere della Sera vom 26. Oktober 1937. S. 1. Der Artikel Manacordas erschien unter dem Titel „Katholiek Spanje“ im Residentiebode vom 30. Oktober 1937 auf Seite 2. Semprún y Gurrea,José Maria de: En face de l’imperialisme romain. Réponse à Monsieur Guido Manacorda. Den Haag 1937. S. 3. Die 47-seitige Replik erschien broschiert in einer Auflage von 300 Exemplaren und wurde nicht kommerziell vertrieben. Es handelte sich um den Artikel „España ante el Orbe y la Urbe“ vom 15. März 1936 in den „Folletones“ von „El Sol“. In französischer Übersetzung wurde er wiederabgedruckt in José María de Semprún y Gurrea: En face de l’imperialisme romain. Réponse à Monsieur Guido Manacorda, S. 11– 18.
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Darauf verfasste Semprún zum Jahreswechsel 1937/38 eine detaillierte Gegendarstellung, die broschiert in französischer Sprache in Den Haag erschien.¹¹⁹ Unterstützung erhielt Manacorda vom spanischen Kardinal-Primas und Erzbischof von Toledo Goma y Tomas¹²⁰, der auf Manacorda durch die Semprún-Polemik aufmerksam geworden war und ihm im Januar 1938 einen Brief aus Pamplona geschrieben hatte.¹²¹ Der Professor gab seiner Art gemäß gleich die Laudatio des spanischen Kardinals dem Außenministerium bekannt.¹²² Von dort wurde ihm bestätigt, dass die Regierung in Valencia über sein Wirken sehr aufgebracht sei.¹²³ Sofort holte er außerdem von Goma y Tomas die Erlaubnis ein, dessen Dankesbrief vom 18. Januar veröffentlichen zu dürfen.¹²⁴ Auf diese Weise erfuhren die Leser des „Frontespizio“ in der Februarausgabe, dass der Kardinal Manacorda von Herzen im Namen Gottes und Spaniens für die vermeintliche Verbreitung der Wahrheit über den Krieg dankte.¹²⁵ Der sich daraus entwickelnde intensive Briefwechsel dauerte bis zum Tod des Kardinals im August 1940 an. Es scheint so, als setzte Manacorda hier noch einmal auf einen Block faschistischkatholischer Länder, die als Gegengewicht zu einem in der antirömischen protestantischen Tradition stehenden „Dritten Reich“ Italien das Primat oder wenigstens die Mitsprache bei der Neuordnung Europas sichern sollten. Im April 1939 wertete er gegenüber Bottai den Beitritt Spaniens zum Antikominternpakt daher nicht nur als politischen Sieg und eine strategische Eroberung erster Ordnung, sondern auch als eine lateinische und katholische Stütze der Achse mit großer Bedeutung für die Ge-
Der Antwortbrief Manacordas an den Direktor des „Residentiebode“ vom 8. November 1937 ist abgedruckt ebd., S. 8 – 10. Ebd. Das minutiöse Gegenplädoyer findet sich auf den Seiten 19 – 41 siehe auch: Carbonelli, Riccardo: Postilla. In: Il Frontespizio 2 (1938). S. 109 – 111. Isidoro Goma y Tomas wurde 1895 zum Priester, 1927 zum Bischof von Tarragona und 1935 zum Erzbischof von Toledo geweiht. Er starb 1940, vgl. Manacorda, Guido: Dell’autore di questo libro. In: Isidoro Goma y Tomas: Martirio e resurrezione di Spagna di I. G. Y. T.: Lettera collettiva dell’episcopato spagnolo e risposta del mondo cattolico, con una prefazione di Guido Manacorda. Brescia 1940. S. IX– XIX, hier S. IX. Isidoro Goma y Tomas an Guido Manacorda, Brief vom 18. Januar 1938. Vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. I–Z, Cardinal Goma y Tomas. Guido Manacorda an Blasco Lanza d’Ajeta, Brief vom 26. Januar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, A–H, Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta. Blasco Lanza d’Ajeta an Guido Manacorda, Brief vom 11. Oktober 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre. Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta. Isidoro Goma y Tomas an Guido Manacorda, Brief vom 16. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, A–H, Sottofasc. Cardinal Goma y Tomas. Vgl. Una lettera. In: Il Frontespizio 3 (1938). S. 155.
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genwart und die Zukunft.¹²⁶ Der Briefaustausch zwischen dem faschistischen Professor und dem spanischen Kardinal materialisierte sich auch in gemeinsamen Propagandaaktivitäten: Manacorda vermittelte den Druck eines offenen Briefes des Primas der spanischen Kirche und seiner Bischöfe in dem katholischen Verlag Morcelliana in Brescia. Für das 1940 erschienene Buch mit dem Titel „Martyrium und Auferstehung Spaniens“ schrieb er ein Vorwort.¹²⁷ Die Abteilung für Radio und Fernsehen des Ministeriums für Volkskultur sorgte dafür, dass es ins Spanische übersetzt und im Radio Verdad italo-españa verlesen wurde. Außerdem lancierte es die Madrider Botschaft an die Presse.¹²⁸ Auch mit britischen Emissären verkehrte Manacorda kontinuierlich: Von 1936 bis zum italienischen Eintritt in den Zweiten Weltkrieg fungierte er als Vermittler zwischen Mussolini und englischen Politikern, die auf einen Ausgleich mit Italien setzten, der Imperial Policy Group (IPG). Diese Vereinigung konservativer Unterhausabgeordneter, die sich mit außenpolitischen Fragen befasste und offen für eine AppeasementPolitik eintrat,¹²⁹ nahm mit Manacorda Kontakt auf.¹³⁰ Sie rühmte sich ihrer diplomatischen Aktivitäten und bezeichnete sich als ein unabhängiges Foreign Office ¹³¹, das im Begriff sei, eine Schlüsselrolle in Großbritannien zu erringen.¹³² Die Gruppe britischer Abgeordneter stand Lord Londonderry nahe, der im Spanienkrieg eine philofranquistische Linie vertrat und eher für ein Bündnis mit Hitlerdeutschland und dem faschistischen Italien als mit Frankreich plädierte, das er für korrupt und jüdisch unterwandert hielt. Ian Kershaw ist in seiner Untersuchung über „Hitlers Freunde in
Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 11. April 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1° Semestre, Sottofasc. Bottai. Goma y Tomas, Isidoro: Martirio e resurrezione di Spagna di I. G. Y. T.: Lettera collettiva dell’episcopato spagnolo e risposta del mondo cattolico, con una prefazione di Guido Manacorda. Brescia 1940. Ministero della cultura populare, Ispettorato per la radiodiffusione e la televisione. Servizi politici e culturali an Guido Manacorda, Brief vom 23. Januar 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1° Semestre, Sottofasc. Radio Spagna sowie Isidoro Goma y Tomas an Guido Manacorda, Brief vom 25. Januar 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1° Semestre, Sottofasc. Goma y Tomas. Die spanische Originalfassung von Radio Verdad findet sich in: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5 „Manoscritti, appunti, conferenze“. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. Oktober 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre. Die Gruppe um Lord Mansfield und Mr. Wise habe Einfluss auf Chamberlain. Ihre Vertreter baten um eine Audienz bei Mussolini. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Mai 1936 (Anhang 1), S. 4. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloqui 1– 2 giugno 1936. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 1. Juli 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. I.P.G. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 11. September 1936, ebd.
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England“ ausführlich auf sie zu sprechen gekommen.¹³³ Lord Mansfield selbst hatte Manacorda im März 1936 aus London angerufen und um Rat gefragt. Dieser hatte ihn an die italienische Botschaft in London verwiesen und die Entsendung einer Delegation nach Rom angeregt.¹³⁴ Der telefonische Austausch setzte sich fort: So konnte der Florentiner Professor seinem „Duce“ am 10. März melden, dass Großbritannien keinen antideutschen Sanktionen zustimmen werde.¹³⁵ Mit der Sowjetunion könne dann sogar ein Viererbündnis abgeschlossen werden.¹³⁶ Vertreter dieser Gruppe, wie das Mitglied des Oberhauses, Lord Mansfield, Kenneth de Courcy und Mr. Wise, nahmen wie Manacorda an zwei franko-anglo-italienischen Treffen teil, wobei Manacorda der einzige italienische Vertreter blieb.¹³⁷ Von französischer Seite waren u. a. Henry Lémery, Louis de Vienne und Georges Batault¹³⁸ zugegen. Bei den beiden Treffen kam man überein, die Kontakte auszubauen. Batault solle die französischen Antisanktionisten vertreten und Manacorda Italien. Zugegen waren auch Vertreter der Falange und der belgischen Rexisten. Manacordas Mitteilung an Mussolini zufolge bestehe die Imperial Policy Group aus 25 Abgeordneten. Seiner Ansicht nach lohne es sich, die Gruppe weiterzuverfolgen. Sie sei gegen den Völkerbund, antikommunistisch, plädiere für einen starken, nicht aber für einen totalitären Staat, auch weil die parlamentarische Tradition tief im englischen Volk verwurzelt sei. Die faschistische Mosley-Bewegung genieße daher kein Vertrauen. Manacorda erklärte sich gegenüber der IPG bereit, im Rahmen seiner Möglichkeiten alles für eine Zusammenarbeit zu tun. Die Regierungen müssten sich für die christliche Ordnung oder für das freimaurerische und atheistische Chaos entscheiden.¹³⁹ In der Folge entwickelte sich ein enger Austausch mit Kenneth de Courcy, dem Sekretär der Gruppierung.¹⁴⁰ Der gut unterrichtete Manacorda mit seinem quasi direkten Zugang zu Mussolini, über den er über die Segreteria Particolare del Duce, die Kanzlei des „Duce del fascismo“, besonders in den Jahren 1935 – 1937 verfügte, und zu Kershaw, Ian: Gli amici di Hitler. Lord Londonderry e la Gran Bretagna verso la Seconda guerra mondiale. Milano 2005, S. 346 – 349. Auf Deutsch lautet der Titel: Hitlers Freunde in England. Lord Londonderry und der Weg in den Krieg. München 2005. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 6. März 1937 (Anhang VIII). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, Relazione XV. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. März 1937 (Anhang IX), ebd. Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. März 1937 (Anhang IX), ebd. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 2. März 1936 (Anhang VII), ebd. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1936, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Batault; Georg Batault (1887– 1963) war ein in Paris lebender, antisemitischer und nationalistischer Schriftsteller aus der schweizerischen Romandie. Manacorda unterbreitete er einen Projektvorschlag zur Gründung eines antikommunistischen Centre d’Étude et d’Action pour la Réorganisation Européenne als Gegenentwurf zum Völkerbund. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, irrtümlich an Lord Mansfield adressiert, Brief vom 25. Juni 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. I.P.G. Vgl. Kershaw: Gli amici di Hitler, S. 348.
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den faschistischen Gerarchen sowie seinen guten politischen Verbindungen in Westeuropa und nach Deutschland erschien für die IPG, die hinter den Kulissen agierte, als der geeignete Verbindungsmann. Dieser Rolle wurde der Professor gerecht, der Mussolini kontinuierlich Bericht erstattete. Ian Kershaw charakterisiert de Courcy als eine pittoreske Figur mit hervorragenden Beziehungen zu den Geheimdiensten, als Vertrauten zahlreicher Minister und nach dem Zweiten Weltkrieg Tischgast des Herzogs von Windsor, bevor er in den 1960er Jahren u. a. wegen Betrugs und Meineids verurteilt wurde.¹⁴¹ Zum einen suchten die Briten Manacorda als Informationsquelle zu benutzen, zum anderen ihn zu beeinflussen. De Courcy tat im Sommer 1936 alles, um Italiens Zugehörigkeit zum westlichen Lager herauszustellen: Es handle sich gegenwärtig um eine delikate und schwierige Situation, schrieb er Manacorda. Die Welt sei seines Erachtens in drei Lager geteilt, die bedrohliche kommunistische Linksbewegung, das Nazi-System, das die Hegemonie über Europa anstrebe, und die christliche Zivilisation, zu der sein Land, die USA, Skandinavien und Italien so klar stünden, versuchte er, Manacorda durch diese religiöse Lagerbenennung zu überzeugen.¹⁴² Die Sanktionsfrage sei eine Frage zwischen dem Völkerbund und Italien und nicht zwischen Großbritannien und Italien gewesen.¹⁴³ Die Freundschaft mit dem Empire, das ein Viertel der Welt umfasse, müsse Italien mehr wert sein als ein deutsches Übergangssystem, das für beide Länder sehr gefährlich sei. Hier setzte Manacorda ein Fragezeichen an den Rand und unterstrich das Wort „Übergang“. Ganz augenscheinlich suchte die IPG einen Keil zwischen Italien und das Reich zu treiben, während Manacorda die faschistischen Geltungsansprüche und militärische Stärke betonte. Manacorda teilte de Courcy eine Botschaft Mussolinis und des neuen Außenministers Ciano mit.¹⁴⁴ Bezüglich der Wiederherstellung eines normalen bilateralen Verhältnisses sei, so Manacorda, erstens die englische Anerkennung des Impero unabdingbare Voraussetzung.¹⁴⁵ Zweitens sei die deutsch-italienische Annäherung zum einen aufgrund der faktischen Parallelität der beiden Revolutionen – nicht aufgrund
A. R.Wise an Guido Manacorda, Brief ohne Datum, sowie Stanley Hymans, Brief vom 27. Juli 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. I.P.G. „We are going to go through a delicate and difficult period, and I so much agree with you that it will take great intelligence to handle the situation. As I see we are faced with a world divided into three systems. The Communist Left Wing movement, the dangers of which are so well known to us; the Nazi system of Germany which would if it could control all Europe; and the Christian civilization for which this country, the United States of America, the Scandinavian countries and Italy so clearly stand“, vgl. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 1. Juli 1936, ebd. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 30. Juli 1936, ebd. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 16. Juli, sowie Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 30. Juli 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. I.P.G. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 16. Juli, sowie Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 6. August 1936, ebd.
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ihrer Affinität und schon gar nicht ihrer Identität – sowie zum anderen durch die Sanktionspolitik erfolgt. Drittens habe die französische und britische Politik Italien zum Verlassen der Stresa-Front genötigt. Viertens könne er als Deutschlandexperte sagen, dass der Nationalsozialismus sicherlich nicht kürzer als die Reformation sein werde. Fünftens gehöre auch dem Kommunismus und dem Faschismus die Zukunft. Sechstens seien die Tage des Liberalismus gezählt. Siebtens hätten die Italiener vor einem von Hitler beherrschten Europa keine Angst. Italien verfüge über acht Millionen gut ausgerüsteter und kriegsbereiter Soldaten. Das garantiere die absolute Unabhängigkeit in jedem Bündnis. Das zeige achtens auch, dass unter den Auspizien von Italien abgeschlossene deutsch-österreichische Abkommen, das virtuell bereits im Januar vereinbart worden sei. Neuntens und letztens stellte Manacorda die mentale Kriegsbereitschaft der englischen Gesellschaft infrage. Diese aggressiven Aussagen veranlassten de Courcy, einen härteren Ton anzuschlagen. Er warnte Italien, die britische Verteidigungsfähigkeit zu unterschätzen. Im Falle einer Bedrohung werde Großbritannien sich mit den USA verbünden, was dann auch die deutsche Militärmaschine weniger bedrohlich mache.¹⁴⁶ Nach diesem ersten außenpolitischen Austausch bzw. Schlagabtausch trafen sich Manacorda und de Courcy Anfang September 1936 zu einer informellen Unterredung in Bern.¹⁴⁷ Zwei weitere Gespräche folgten im Herbst und Frühjahr 1937 in Paris.¹⁴⁸ Der Brite sprach die Hoffnung aus, Manacorda werde die Hauptpunkte ihres Gespräches Mussolini mitteilen.¹⁴⁹ Ferner teilte er bezüglich Deutschlands Forderungen nach Kolonien mit, England werde keinen Fußbreit seines Mandatsgebietes an das Reich oder irgendjemanden sonst abgeben. Manacorda trug Mussolini den wiederholten Wunsch der Imperial Policy Group nach einer Audienz vor. Er fügte an, dass der Einfluss der Gruppe besonders auf Premierminister Chamberlain stetig zunehme.¹⁵⁰ Im November ließ de Courcy die Maske quasi fallen, indem er auf diplomatische Finessen verzichtete und Manacorda direkte, konkrete Fragen stellte.¹⁵¹ Zunächst wollte er wissen, inwieweit bereits eine
Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 12. August 1936, ebd. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 29. August 1936, ebd. Kenneth de Courcy bezeichnete die Gespräche mit Manacorda als beträchtlichen Beitrag für einen allgemeinen Ausgleich in Europa. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 18. November 1936, ebd., sowie Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 18. Mai 1937, S. 2. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 16 gennaio 1937, Relazione XXIII. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 11. September 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. I.P.G. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. Oktober 1937 (Anhang X). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre Mussolini, Colloqui XI– XII. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 18. November 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. I.P.G.
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Übereinkunft zwischen Berlin und Rom über Österreich erzielt worden oder ob noch ein Bruch zwischen beiden möglich sei. Als Zweites erkundigte er sich, wie die Italiener die Stärke der deutschen Streitkräfte beurteilten und wie viele Divisionen diese in drei Jahren mobilisieren könnten. Außerdem fragte er nach der Stärke der Luftwaffe und nach der monatlichen Produktion von Kampfflugzeugen im Kriegsfall. Des Weiteren erkundigte er sich u. a. nach dem Stand der Beziehungen zwischen Berlin und Prag sowie Berlin und Moskau. Manacorda antwortete ihm umgehend:¹⁵² Erstens sei ein Bruch zwischen Deuts chland und Italien auf lange Sicht unwahrscheinlich, besonders solange die Westmächte der Sowjetunion gegenüber so aufgeschlossen seien. Die deutsche Aufrüstung sei beachtlich, aber er verfüge über keine genauen Informationen. Die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau seien sehr gespannt, über die zu Prag wisse er nichts zu sagen. Er werde „seinen großen Freund“ im Dezember wiedertreffen und de Courcy darüber berichten. Manacorda berichtete Mussolini umgehend, dass die Imperial Policy Group äußerst beunruhigt über die Lage in Europa, und vor allem bezüglich Deutschlands sei. Kenneth de Courcy erbäte daher dringend eine Audienz, in der er seine Vorschläge unterbreiten wollte.¹⁵³ Dabei solle Italien im Völkerbund und neutral bleiben und die territoriale Integrität Frankreichs im Falle eines unprovozierten Angriffs garantieren. Dafür erkenne Großbritannien das Impero an. Für de Courcy sei es klar, dass das „Dritte Reich“ auf einen Krieg zusteuere.¹⁵⁴ Deshalb solle ein Krieg möglichst begrenzt werden. Nach dem Münchner Abkommen gratulierte de Courcy am 29. September Mussolini zu dessen staatsmännischer Leistung. Er sprach die Hoffnung aus, nun mit München ein funktionierendes Konzert der Großmächte gefunden zu haben.¹⁵⁵ Jetzt müssten die bestehenden Konflikte vernünftig geschlichtet und die Unabhängigkeit Europas erhalten werden, ohne dass der Status quo überall erhalten bleibe und ohne dass alle 25 Jahre ein neuer Krieg ausbreche. Ausnahmsweise stimmte Manacorda mit de Courcy überein. Die Zukunft Europas sei durch die Weitsicht von Chamberlain und Mussolini in guten Händen.¹⁵⁶ Einige Punkte seien aber als Voraussetzung hierfür unabdingbar, das möge de Courcy Chamberlain antragen. In der folgenden Weltdeutung wird der faschistische „Denkstil“ Manacordas sehr konturiert: Erstens stelle Frankreich die größte Gefahr dar: Moral, Wirtschaft, Gesundheit, Politik, dies alles müsse in diesem Land schnellstens wiedererrichtet werden, sonst stehe eine Kata-
Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 27. November 1936, ebd. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 13. Januar 1937, und Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 31. Dezember 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 16 gennaio 1937, Relazione XXIII. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 31. Dezember 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 16 gennaio 1937, Relazione XXIII. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 29. September 1938, ebd. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 1. Oktober 1938, ebd.
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strophe bevor. Der blinde Hass auf den Faschismus verhindere einen konstruktiven Frieden. Zweitens müsse England außerdem das Impero anerkennen und drittens das nationale Spanien vollständig siegen. Viertens müsse die Vorstellung kollektiver Konferenzen wie der Völkerbund ad acta gelegt werden, denn es gebe eine Hierarchie der Nationen, die von Gott und der Natur gewollt sei. Mit Befriedigung nahm de Courcy das Inkrafttreten des italienisch-britischen Pakts zur Kenntnis.¹⁵⁷ Das zwischen Chamberlain und Mussolini an Ostern 1938 vereinbarte Abkommen wurde am 16. November wirksam. Damit erkannte London das Impero tatsächlich an. Im Gegenzug sicherte Rom den Rückzug der italienischen „Freiwilligen“ aus Spanien zu, was angesichts des unmittelbar bevorstehenden Sieges der Nationalisten kein großes Zugeständnis darstellte.¹⁵⁸ Außerdem sollten strittige Fragen im Nahen Osten gemeinsam geregelt werden. Diese vorübergehende Annäherung schuf die Basis für einen weiteren direkten Kontakt: Manacorda traf Kenneth de Courcy im Februar 1939 in Venedig während dessen Durchreise nach Bulgarien und Bukarest. Über das lange Gespräch, das er mit de Courcy führte, informierte er Mussolini wiederum umgehend.¹⁵⁹ Die Gruppe habe sich – im Rahmen der britischen Vorbehalte – dem Faschismus gegenüber alles andere als feindselig verhalten, sei einflussreich und verfüge über gute Beziehungen zu Chamberlain, bilanzierte er. Allerdings musste Manacorda einräumen, dass Großbritannien wohl doch nicht so schwächlich sei, wie er unterstellt hatte: Nach Ansicht der IPG sei eine territoriale Konzession seitens Frankreichs an Italien ausgeschlossen. England werde Frankreich im Kriegsfall unterstützen. Chamberlain sei nicht mehr der Mann von München und jetzt zum Widerstand entschlossen. Auch an britische Konzessionen im Mittelmeer sei nicht zu denken. Sie sei überzeugt davon, dass Italien im Kriegsfall von Deutschland und Japan im Stich gelassen werde. Dann werde Italien allein Frankreich, England und den USA gegenüberstehen, rekapitulierte er de Courcys Drohkulisse und Kalkül. Von Chamberlain habe die Gruppe erfahren, dass sich Hitler diesem gegenüber abschätzig über die militärische Stärke Italiens geäußert habe. Italien solle sich auf absehbare Zeit mit dem jetzt erreichten territorialen Umfang des Imperos zufriedengeben.¹⁶⁰ Während sich im Frühjahr 1939 der Ausbruch des kommenden Krieges immer stärker abzeichnete, suchte de Courcy weiter den Kontakt nach Florenz und distanzierte sich als Konservativer, Christ, Imperialist und Antikommunist von den briti-
Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 16. November 1938, ebd. Graml, Hermann: Europas Weg in den Krieg. München 1990, S. 124– 126. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 1. März 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1° Semestre, Sottofasc. I.P.G., sowie Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. Januar 1939, ebd. Sottofasc. Mussolini, Colloquio XXII. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 10. Januar 1939, ebd. Sottofasc. Mussolini, Colloquio XXII.
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schen Verhandlungen mit der Sowjetunion.¹⁶¹ Kenneth de Courcy fragte Manacorda anlässlich der Unterzeichnung des Stahlpaktes am 22. Mai 1939 zu Recht, wie es im italienischen Interesse liegen könne, dass eine Macht den ganzen Kontinent dominiere, denn darauf laufe die jetzige Entwicklung hinaus. Italien habe nicht sehr von der deutschen Politik profitiert, auch diese Beobachtung entsprach den Tatsachen. Er sei nach wie vor stolz auf seine Begegnung mit Mussolini im Jahre 1936. Selbst wenn Italien die dalmatinische Küste erhalte, könne dies doch nicht den Verlust der Einflusszone in Südosteuropa kompensieren, legte er den Finger in die Wunde. Denn in dieser Region hatte das „Dritte Reich“ Italien vollständig den Rang abgelaufen.¹⁶² Manacorda antwortete aus der ideologischen Perspektive seiner bellizistischen Vorstellung der ewigen imperialen Sendung Roms und sprach seine Geringschätzung der von ihm sogenannten Friedensfront aus.¹⁶³ Im August und November 1939 schrieb de Courcy wiederum an Manacorda und bat ihn um Stellungnahme zu den jüngsten Ereignissen unter Hinweis auf die verstärkte britische Rüstung, die die Kräfte des Empires langsam, aber stetig mobilisiere. Er sei schon immer der Ansicht gewesen, dass die NS-Bewegung links sei und Hitler und Stalin sich arrangieren würden, appellierte er nun an den faschistischen Antikommunismus. Manacorda habe dies immer verneint. Er befürchte, die antireligiöse und probolschewistische Tendenz des Nationalsozialismus werde sich durchsetzen, suchte de Courcy Manacorda zu verunsichern.¹⁶⁴ Den deutsch-sowjetischen Angriffspakt, gab Manacorda de Courcy recht, habe er nicht vorausgesehen.¹⁶⁵ Einzig Italien und Spanien, die auch nicht ohne Fehler seien, würden einer humanen Zukunft und christlichen Zivilisation entgegengehen, rekurrierte er auf seine faschistisch-katholische „Leitidee“. Deutschland hatte er hier also ausdrücklich nicht genannt.¹⁶⁶ Am 18. März 1940 schrieb ihm de Courcy, er sei sehr besorgt, zwar nicht hinsichtlich des Kriegsausgangs zwischen Großbritannien und Deutschland, aber bezüglich der Zukunft für Europa. Er schaue mit größtem Interesse auf die diplomatischen Entwicklungen und hoffe auf Manacordas Ratschläge und Sichtweisen.¹⁶⁷
Kenneth de Courcy schrieb aus seinem Büro in Whitehall auf IPG-Briefpapier: „I have never concealed the colours under which I work. I am a strong Conservative, a strong churchman, a strong imperialist, and I hate and loathe Russia and everything which goes with it.“ Kenneth de Courcy an Manacorda, Brief vom 3. April 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1° Semestre, Sottofasc. I.P.G. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 10. Juni 1939, ebd. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 22. Juni 1939, ebd. Kenneth de Courcy an Manacorda, Brief vom 11. November 1939, ebd. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 22. November 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1° Semestre, Sottofasc. I.P.G. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Briefe vom 18. März und 7. Mai 1940, ebd. Wörtlich schrieb de Courcy: „I am very apprehensive about the future. I have not the least doubt as to the final outcome of any military conflict between ourselves and Germany, but cannot say I feel very happy about the future of Europe. I am watching with profound interest the diplomatic move-
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Nach Beginn des deutschen Blitzkrieges gegen Frankreich im Mai 1940 schrieb de Courcy an Lord Londonderry, der über seinen Freund Außenminister Halifax versuchte, Mussolini von einer Intervention abzuhalten. Obwohl er Halifax Stillschweigen zugesichert hatte, unterrichtete der Lord de Courcy, der seinerseits über seine Verbindungen zum italienischen Botschafter in London, Giuseppe Bastiani, Auskunft erteilte. In einem Gespräch mit dem Botschafter schlug Halifax vor, dass Mussolini auf einer europäischen Konferenz als Vermittler auftreten solle. Dafür wurden Italien territoriale Zugeständnisse geboten. Außenminister Halifax, der dem Kabinett eine Denkschrift mit dem Titel „Vorschlag zur Fühlungnahme mit Mussolini“ vorlegte, fand mit diesem Vorstoß in der Sitzung vom 28. Mai allerdings keine Mehrheit. Insbesondere Churchill, der die USA hinter London wusste, wandte sich dagegen. Ian Kershaw vermutet, dass sich de Courcy und Londonderry trafen, um die Möglichkeit einer Vermittlung Mussolinis zu Hitler auszuloten.¹⁶⁸ In diesem Zusammenhang ist der letzte drängende Brief von de Courcy vom 7. Mai an Manacorda zu sehen. Darin schrieb er, dass er sehr dankbar sei, Manacordas Sichtweise der gegenwärtigen Situation kennenzulernen, vor allen Dingen diejenigen, welche ihre beiden Länder beträfen. Er sei äußerst bekümmert angesichts der jüngsten Verschlechterung der Beziehungen, wenn er auch hinter sämtlichen Entscheidungen seiner Regierung stehe, die er für unvermeidbar erachte; er meine dabei die Entscheidungen bezüglich des Mittelmeers: Manacorda sei ihm gegenüber immer offen gewesen und darauf vertraue er auch jetzt.¹⁶⁹ Offenbar ließ Letzterer diese beiden letzten Briefe unbeantwortet, jedenfalls fehlen in seinem Nachlass die sonst üblichen Durchschläge. Auch darüber, ob er sie an Mussolini weiterleitete, fehlen jegliche Hinweise. Am 10. Juni 1940 erklärte Mussolini Großbritannien den Krieg mit den von de Courcy für Italien vorhergesehenen Folgen. Damit war die Zeit der offiziösen Vermittler vorbei. Über den fehlenden politischen Ertrag seiner Missionen, die mit Ausnahme seiner Gespräche mit Hitler zu keinen praktischen Ergebnissen führten – lässt man den Aspekt der Propaganda außer Acht –, war sich Manacorda durchaus bewusst. Wie er Mussolini gegenüber äußerte, sei er an der „demokratischen Mentalität“ seiner Gesprächspartner gescheitert, was die Wiederholung seines Erfolges bei Hitler verun-
ments which are taking place just now, and I only wish that I had the benefit of your wisdom and views just now“, vgl. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 18. März, ebd. Kershaw: Gli amici di Hitler, S. 348 – 350. „I should be extremely grateful to have your views on the present situation, especially about our two countries. I am sorely distressed to see the recent deterioration though I am, of course, in complete accord with our Government’s actions, which appear to me to have been inevitable; I mean their actions vis-à-vis the Mediterranian: you have always written to me very frankly and I know you will do so now and I should very much like to know what you feel“, vgl. Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 7. Mai 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1° Semestre, Sottofasc. I.P.G.
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möglicht habe.¹⁷⁰ Auf welche Weise wirkte Manacorda als Informant, Propagandist, Vermittler und Berater? – Im Rahmen der regimeinternen Debatte, in der sich neoscholastische Denkströmungen und die idealistischen Strömungen des faschistischen Aktualismus Gentiles und der antifaschistisch-liberalen Philosophie Croces gegenüberstanden, verstand es Manacorda, sich als faschistisch-katholischer Denker zu profilieren. Der bis dahin „freischwebende Intellektuelle“ erhielt durch die Vermittlung seiner Gesinnungsfreunde den direkten Zugang zu Mussolini, in dessen Dienst er sich vorbehaltlos stellte. Aus Manacorda wurde das, was Karl Mannheim als „typischen Rechtfertigungsdenker“ charakterisiert hat.¹⁷¹ Darunter versteht er einen Ideologen, der das politische Projekt, dem er sich verschrieben hat, zu begründen und zu stärken versteht. Dies tat der Professor auf seine eigene Weise, indem er sein spezifisches Verständnis eines katholischen Faschismus vertrat, der im dritten Teil dieser Studie analysiert werden soll. Hier soll zunächst geprüft werden, inwieweit sein Denksystem in seinem politischen Handeln sichtbar wurde, diesem entsprach bzw. davon abwich und welche Handlungsspielräume dem Intellektuellen im politischen System des Regimes verblieben: Zunächst liegen Manacordas Handeln deutlich katholische Denkmuster zugrunde. So tat er sich auf spezifisch scholastische Weise gegenüber Mussolini mit seiner Analyse des Nationalsozialismus hervor. Die NS-Bewegung deutete er als pagane und häretische. Sie stehe für die jahrtausendealte ewige Opposition des Germanentums gegen das universale imperiale und katholische Rom. Er forderte die Unabhängigkeit des christlich-faschistoiden österreichischen Ständestaats und prangerte insbesondere die kirchenfeindliche Politik und heidnische Ideologie des „Dritten Reiches“ an. Darüber hinaus setzte sich Manacorda bei Mussolini noch im Mai 1935 für eine Kampagne gegen den NS-Rassismus in Österreich und Südtirol ein. Ebenfalls im Einklang mit seinem katholisch inspirierten faschistischen „Denkstil“ steht der erfolgreiche Versuch, zwischen Hitler und Mussolini zu vermitteln und sein gescheitertes Bemühen, der Verfolgung der katholischen Kirche in Deutschland Einhalt zu gebieten. Bei alledem berief sich Manacorda wiederum auf den von Mussolini im Oktober 1930 ausgerufenen faschistischen Universalismus, der den Faschismus zum Exportartikel erklärte, weil er gerade implizit auf den dualistischen imperialen und katholischen Rom-Begriff Bezug nahm. Konsequent zu Ende gedacht, musste er sich an alle katholische Staaten richten. Tatsächlich träumte Manacorda von einem faschistischen Staatenblock, bestehend aus im Kern katholischen Nationen, darunter Franco-Spanien, Frankreich, Österreich, Portugal und die Schweiz, geführt durch das imperiale Italien unter dem Leitbild des „Pax Romana“.
Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 23. Juni 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1937, 1° Semestre, Carteggio politico, Sottofasc. Colloquio Mussolini, 16 gennaio 1937, Relazione XXIII. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 457.
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Gerade seine eigenen diplomatischen Vermittlungsversuche beruhten auf dieser katholischen Motivation. Sein unrealistisches Projekt, durch seine Vermittlung Hitler und den Papst zu einer Lösung der Kirchenfrage im Reich zu bewegen, scheiterte aus vielerlei Gründen, allein schon deshalb, weil Hitler daran überhaupt nicht gelegen war. Neben weiteren spezifischen Aspekten ist dieser Misserfolg auch im sozialwissenschaftlichen Sinne typisch für die Reichweite des politischen Handlungsspielraums von intellektuellen Eliten. Daher werden in dieser Episode zugleich die strukturellen Grenzen ihres Einflusses scharf konturiert: Zunächst sind die Intellektuellen im Bereich des Abstrakten mit ihren Denksystemen und der Konstruktion symbolischer Geltungsansprüche und Ordnungen für die Träger von Macht willkommen. Darüber hinaus erfüllen sie im Bereich des Konkreten als Propagandisten, Informanten oder Berater wichtige Vermittlungsaufgaben. Doch als selbstständig handelnde Akteure mit eigenen politischen Projekten bleiben ihre Schwärmereien – Mannheim nennt sie „leerlaufende Konstruktionen“¹⁷² – in der machtpolitischen Konkurrenz der Institutionen auf der Strecke. Dies ist schon deshalb der Fall, weil von ihnen gefordert wird, dass sie ihr Denken und Handeln in den Dienst der übergeordneten „Leitidee“ stellen, der sie sich verschrieben haben, und gerade nicht eigene Vorstellungen durchsetzen sollen. Dass er den Freiraum, den ihm seine Rolle als Intellektueller gab, überbeansprucht hatte, wurde schließlich Manacorda selbst klar, denn er bedeutete Pizzardo im Januar 1939 die einstweilige Aufgabe seiner Ambitionen: Ich habe, wie Sie wissen, seit langem auf leidvolle und mehr als einmal auf gefährliche Weise im höchsten Geist der leuchtenden Verständigung und des Wiederaufbaus der Kräfte, die heute agieren, gearbeitet. Alle meine Pläne habe ich einen nach dem anderen untergehen sehen. Immer bereit, mit niemals erloschenem Eifer einzugreifen, habe ich jetzt den Eindruck, dass wenn ich heute auch noch so vorsichtig agiere, es als lästige und überhebliche Aufdringlichkeit ausgelegt werden könnte. Deshalb ziehe ich mich zurück und warte in Ruhe, aber nicht untätig ab, dass eine neue Stunde schlagen wird.¹⁷³
Dass Manacorda sein Projekt von außen dem „Führer“, dem „Duce“ und dem Papst aufzwingen wollte, zeigt die ganze intellektuelle Weltfremdheit des Protagonisten. Insofern verwundert eher, dass es ihm gelang, beide Diktatoren und den Pontifex mit ihren Institutionen über einen Zeitraum von zwei Jahren wiederholt mit seiner immer wieder persönlich vorgetragenen Idee zu beschäftigen, um nicht zu sagen zu behelligen. Im Zusammenhang mit seiner katholischen Ausrichtung stehen auch seine Sammlungsbemühungen im rechten katholischen und faschistoiden Spektrum der Staaten West- und Mitteleuropas sowie seine Kontakte zu führenden Intellektuellen (wie etwa Coudenhove-Kalergi) und den politischen Eliten (von Chautemps bis
Ebd., S. 456. Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 11. Januar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Vaticano.
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Schuschnigg). In diesem Kontext sind auch seine vehementen propagandistischen Angriffe auf die französischen, holländischen und spanischen Linkskatholiken und sein Eintreten für den antirepublikanischen spanischen Kardinal-Primas zu sehen sowie außerdem sein Versuch, die Exkommunizierung der Mussert-Bewegung durch die holländischen Bischöfe rückgängig zu machen. Seine Bemühungen der Gründung einer faschistisch-katholischen Sammlungsbewegung in Europa gipfelten in den Kontakten mit dem rechtskatholischen Schweizer Intellektuellen Gonzague de Reynold, einem Vordenker des faschistisch-katholischen Universalismus. Zum einen wollte Manacorda mit dessen Hilfe die Union catholique d’Études internationales auf faschistischen Kurs bringen, zum anderen strebte er mit ihm die Gründung einer „Vereinigung der Vaterländer“ in Genf als einen nationalistischen Gegenentwurf zum Völkerbund an. Dass auch dieses sowohl Mussolini als auch Hitler unterbreitete Projekt folgenlos blieb, hängt wiederum ursächlich mit der oben beschriebenen beschränkten Wirkungssphäre der Intellektuellen zusammen. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Manacordas diplomatisches Wirken mit dafür sorgte, dass seinem katholischen „Weltwollen“ durch das „Dritte Reich“ Einhalt geboten wurde. Dass die persönliche Annäherung des florentinischen Professors an den „Führer“ gelang, liegt auch daran, dass Manacorda zum genau passenden Zeitpunkt die Initiative ergriff, denn beide Diktatoren hatten im Herbst 1935 an einer Beilegung ihrer Konflikte starkes Interesse. Allerdings traf er bei Hitler den richtigen Ton eines „Frontkämpfers“ und verfügte auch über die entsprechende rhetorische Gewandtheit in der deutschen Sprache. Am Nationalsozialismus begeisterte Manacorda die Dynamik, die er auch im Faschismus zu erkennen glaubte, der für ihn die revolutionäre Avantgarde Italiens verkörperte. Beide Bewegungen waren für ihn berufen, die Irrtümer der Moderne zu korrigieren. Insofern trat hier der religiös motivierte subjektive Handlungssinn zugunsten eines übersteigerten Nationalismus zurück. So gar nicht in das katholische Muster seines „Denkstils“ passt hingegen seine Meinungsänderung in der Österreich-Frage: Die Entmachtung der Heimwehr und ihres „Bundesführers“ Starhemberg, der ein begeisterter Anhänger Mussolinis war, ließ ihn ungerührt. Die Gefahr eines NS-Putsches schob er beiseite. Einiges spricht dafür, dass Manacorda den österreichischen Ständestaat für reaktionär und daher für gescheitert hielt. Für ihn war ein starrer Faschismus ohne Bewegungscharakter nicht vorstellbar. Diese Meinung vertrat er, obwohl doch die Ständestaatsidee noch stärker als der italienische Faschismus auf den Katholizismus rekurrierte und damit seiner Vorstellung eines katholischen Faschismus zumindest theoretisch entsprach. Die bevorstehende Annexion Österreichs, des katholisch-faschistoiden Verbündeten Italiens, durch das heidnische „Dritte Reich“ musste seine Konzeption eines Blocks faschistisch-katholischer Staaten schwächen, wenn nicht sogar sprengen. Das wurde von dem auf Hitler fixierten Manacorda verdrängt, der stattdessen Deutschland als Mitgarant und Mitkämpfer für die Beseitigung der Demokratien in Europa und der Welt durch die Achsenmächte sah. Damit war sein faschistischer Katholizismus, wenn schon nicht widersprüchlich, doch zumindest noch faschistischer geworden, während
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sich der katholische Sinngehalt reduzierte. Gleichzeitig werden in diesen „Leitideenkonflikten“ die zugrundliegenden inkompatiblen Deutungsmuster von säkularer und christlicher Religion dramatisch sichtbar. Außerdem bewegte sich Manacorda in der Grauzone von geheimdienstlichen Aktionen, die das Ausland destabilisieren sollten, wie seine Kontakte zur französischen Untergrundbewegung Cagoule und ihren Attentaten belegen. Auffallend ist hier, dass er als Faschist Gewalt und Terror als legitime Mittel der politischen Auseinandersetzung erachtete. Es zeigt sich auch hier, dass auf der Handlungsebene das faschistische Element des Kampfes vor katholischen Inhalten den Vorrang bekam. Mehr noch: Der „Rechtfertigungsdenker“ Manacorda propagierte die faschistische Gewalt als von der christlichen Lehre gedeckt, wie weiter unten gezeigt werden soll. Der Kontakt mit der Imperial Policy Group verweist hingegen auf den fließenden Übergang von offiziöser Vermittlungstätigkeit und Sondierungen britischer Appeasement-Politiker zu Mussolini zu gegenseitiger Beeinflussung durch lancierte Nachrichten, der ideologischen Bewertung von politischen Prozessen, der gegenseitigen Verunsicherung bis hin zum Versuch, an nachrichtendienstlich verwertbare Erkenntnisse zu gelangen. Die grundlegenden Dilemmata eines von Intellektuellen getragenen katholischen Faschismus tritt in Manacordas Wirken als Akteur im außenpolitischen Handlungsfeld deutlich hervor: Im Machtgefüge des Regimes und den Zwängen seiner expansiven Außenpolitik zeitigte seine zweifellos faschistisch-katholische Handlungsmotivation letztlich nur Resultate zugunsten der faschistischen Machtpolitik. Für die Umsetzung katholischer Denkinhalte gab es schon deshalb keinen wirklichen Spielraum, weil Manacorda damit seine ihm zugewiesene Rolle als Intellektueller überschritt. Intellektuelle wie er sollten keine katholische Politik betreiben, sondern bestenfalls faschistische Politik katholisch legitimieren bzw. die Interessen des Regimes mit allen zu Gebote stehenden Mitteln vertreten.
6 Im Zweiten Weltkrieg Wenn der Krieg ausbreche, so äußerte der gerade 60 Jahre alt gewordene Manacorda gegenüber Bottai, wolle er wieder ins Feld ziehen. Er werde gerne am Schreibtisch sterben oder im Feld im Angesicht des Feindes.¹ Im Januar 1940 bot Manacorda dem „Duce“ an, 100.000 Lire, die er in 40 Jahren erspart hatte, dem Vaterland zu geben.² Manacorda freute sich, nach drei Jahren wieder im Palazzo Venezia zu sein. Sebastiani sicherte ihm zu, er könne kommen, wann immer er wolle.³ Das Regime hatte solchen Hurrapatriotismus und politische Verblendung bitter nötig. Schon im Januar 1940 äußerte Manacorda gegenüber dem Rektor der Università di Roma, Pietro De Francisci, er habe in die mentale Verfassung [„Stato d’anima“] der Nation in diesem schwierigen Moment, der jederzeit noch schlimmer werden könne, wenig Vertrauen. Nach dem italienischen Kriegseintritt im Juni aufseiten des Reiches wurde die mangelnde Kriegsbegeisterung der Bevölkerung noch offensichtlicher, die vollkommen mit dem Bellizismus der faschistischen Katholiken kontrastierte. Bonatelli zeigte sich ebenfalls besorgt über die Anglophilie in Teilen der Bevölkerung.⁴ Erneut bot Manacorda dem faschistischen Regime seine Hilfe an: Mussolini übersandte er seinen Vortrag über die westlichen Demokratien und seine Monographie über den Stalinismus. Ferner unterrichtete er den „Duce“ über die verbreitete Germanophobie in Norditalien angesichts der raschen, erfolgreichen Blitzkriege an allen Fronten und der militärischen Überlegenheit der Wehrmacht.⁵ Im Juli 1940 erstattete Manacorda Mussolini Bericht über ein Gespräch mit dem seit 20. Mai amtierenden französischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Wladimir d’Ormesson, der allerdings von der Vichy-Regierung bereits im Oktober wieder abberufen wurde.⁶
Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 18. August 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1939, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale (Bottai). Guido Manacorda an Osvaldo Sebastiani, Brief vom 7. Januar 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Sebastiani. Ebd. sowie Sebastiani an Manacorda, Brief vom 19. Februar 1940, ebd. Ähnliche Erfahrungen machte auch Bonatalli. Vgl. Paolo Bonatelli an Guido Manacorda, Brief vom 28. April 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Bonatelli. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 19. Mai und 22. Juni 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940. 1˚ Semestre, Carteggio politico-religioso. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 9. Juli 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Mussolini. Dieser äußerte die Vermutung, Frankreich werde sich dem Totalitarismus annähern und hielt sogar eine Restauration der Monarchie für möglich. Frankreich sei sehr aufgebracht über Italien, das ihm in den Rücken gefallen sei. Den Waffenstillstand mit Deutschland betrachtete er als verabscheuungswürdig, den italienischen für unwichtig, ohne dessen Milde anerkennen zu wollen. Frankreich sei geneigt, Tunesien und Djibouti aufzugeben, nicht jedoch seinen Großmachtstatus. Manacorda äußerte die Vermutung, Frankreich wolle sich bei den bevorstehenden Friedensverhandlungen als bereits ‚faschisiert‘ und https://doi.org/10.1515/9783110538991-006
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Darüber hinaus wandte er sich an das Außen- und das Innenministerium⁷ und war in Kontakt mit Roberto Farinacci⁸. Er wies Farinacci ferner auf den Genfer Frontenführer Georges Oltramare hin, der sich in der Schweiz seiner Verhaftung entzogen hatte und im Florentiner Hause des Professors quasi als politisch Verfolgter Unterschlupf gefunden hatte. Ihm habe das gleiche Schicksal wie Degrelle und Mussert gedroht.⁹ Überdies sprach Manacorda lange mit Monsignore Montini, dem späteren Papst Johannes Paul VI.¹⁰ Manacorda beantragte beim Sekretariat des „Duce“, als Major einberufen zu werden, was ihm verwehrt wurde, weil er die Altersgrenze überschritten hatte.¹¹ Er habe persönlich von Mussolini die Zusicherung bekommen, im Krieg für den Intelligence Service arbeiten zu können, hatte er noch zuvor stolz verkündet.¹² Entsprechend beneidete Manacorda Bottai um dessen Kampfeinsatz bei der Eroberung der französischen Grenzstadt Menton. Doch den faschistischen Katholiken blieb nicht verborgen, dass sich eine tiefe Kluft zwischen den Geltungs- und Machtansprüchen des Faschismus und den für deren Realisierung zur Verfügung stehenden militärischen Machtmitteln auftat. Angesichts der von Bottai beklagten desaströsen taktischen und militärischen Durchführung des italienischen Angriffes auf das von der Wehrmacht schon geschlagene Frankreich gestand Manacorda ein, auch er sehe, welche Dinge bezüglich des imperialen Schicksals realisierbar seien und welche nicht. Aber sein ‚granitharter‘ Glaube werde von seiner Umgebung nicht geteilt.¹³ Bottai äußerte sich auch aufgrund der mangelnden politischen Dynamik des Regimes gegenüber Manacorda desillusioniert und amtsmüde.¹⁴ Mit Elan nahm Bottai jedoch sein intellektuelles Sammlungsprojekt um die Zeitschriftenneugründung „Primato“ in Angriff, die im März 1940 erstmals erschien. Manacorda stand ihm als Ratgeber zur Seite. So schätzte er den Beitrag von Camillo Pellizzi.¹⁵ Der seit 1919 mit Mussolini befreundete Pellizzi gehörte zu den wenigen Faschisten mit Auslandserfahrung, weil faktischer Verbündeter der Achse darstellen, um den italienischen territorialen Forderungen nicht entsprechen zu müssen. Guido Manacorda an Galeazzo Ciano, Brief vom 6. Juni 1940, ebd. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 27. Mai 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Attolico. Guido Manacorda an Roberto Farinacci, Brief vom 8. Juni 1940, ebd. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 19. Mai 1940, ebd. Guido Manacorda an Osvaldo Sebastiani, Brief vom 22. Juni 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Sebastiani. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 6. Juni 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Attolico. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 9. August 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Manacorda schickte ihm auch sein einzig verbliebenes Exemplar der „Nuova Mistica“. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 28. September 1942, ebd. Pelizzis und Bocellis Beiträge seien am geglücktesten schrieb Manacorda, vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 18. Juli 1940, ebd.
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er bis Kriegsausbruch als Hochschullehrer für Italianistik am University College in London gelehrt hatte.¹⁶ Im Jahr 1939 erhielt er einen Lehrstuhl für politische Wissenschaft an der Universität Florenz und war damit Kollege Manacordas, bevor ihm am 5. April 1940 Mussolini die Präsidentschaft des Istituto nazionale fascista di cultura (INCF), dem die Inlandspropaganda oblag, anvertraute.¹⁷ Bottai hatte sich für ihn eingesetzt, vielleicht auch deshalb, weil sich Pellizzi zum Ziel gesetzt hatte, die aktualistische Philosophie mit dem katholischen Glauben zu versöhnen.¹⁸ Der erste Kontakt zwischen Pellizzi und Manacorda ist für das Jahr 1938 belegt.¹⁹ Das Duo Pellizzi und Manacorda sollte in der Folge noch eine zentrale Rolle in der prodeutschen Inlandspropaganda spielen. Als unmöglich gestalteten sich die Bemühungen Manacordas, in das von der Wehrmacht besetzte Westeuropa zu gelangen, denn die Deutschen dachten gar nicht daran, Einreisegenehmigungen für italienische Propagandaemissäre zu erteilen. Und auch die gewohnten Vortragsreisen ins Reich wurden schwieriger, obwohl der Florentiner Professor alles versuchte. Manacorda meldete dem Minister für Volkskultur Pavolini²⁰, der wie er aus Florenz kam²¹, dass er durch Vermittlung des Bayerischen Ministerpräsidenten Siebert einen Vortrag in München über „Latinität und Germanität“ halten könne.²² Manacorda war sehr daran interessiert, seine Vortrags- und Ge-
Vgl. Salvati, Mariuccia: Introduzione. In: Camillo Pellizzi: Una rivoluzione mancata. Bologna 2009. S. 7– 43 sowie: Nota biografica, S. 45 – 46, ebd. Breschi, Danilo und Gisella Longo: Camillo Pellizzi. La ricerca delle élites tra politica e sociologia (1876 – 1979). Soveria Mannelli 2003, S. 149. Vgl. Longo, Gisella: L’Istituto nazionale fascista di cultura. Da Giovanni Gentile a Camillo Pellizzi 1925 – 1943. Gli intellettuali tra partito e regime. Roma 2000, S. 177. Pellizzi glaubte an die mystische und religiöse Dimension des Staates, der die Intellektuellen zu stärken habe, ebd. S. 183. Camillo Pellizzi an Guido Manacorda, Brief vom 16. Januar 1938 sowie Antwortschreiben vom 29. April 1938. In: Fondazione Ugo Spirito, Fondo Camillo Pellizzi, Seria Corrispondenza B 33f43, doc. N 61. Alessandro Pavolini (1903 – 1945) war seit Ende der 1920er Jahre der unbestrittene Führer der faschistischen Partei in Florenz. Mit Hilfe von Galeazzo Ciano begann er in den 1930er Jahren eine nationale Karriere. In der Republik von Salò verfügte Pavolini nach Mussolini über die größte Macht, die er zum Wiederaufbau des Squadrismus, zum Aufstellen der sog. Brigate nere und zu einem repressiven Terrorapparat nutzte, vgl. Snowden, Frank M.: Alessandro Pavolini. In: Dizionario del fascismo. Bd. 2. Hrsg. von Victoria de Grazia und Sergio Luzzato. Torino 2003. S. 351– 354. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 18. Juli 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale – Bottai; Manacorda an Pavolini, Brief vom 12. September 1940. In: Ministero degli Affari Esteri an Ministero della Cultura Popolare, Telespresso vom 5. August 1940. In: ACS Rom, Minculpop, D.G. Propaganda N.U.B.I.E, Busta 237, Fasc. 66: Manacorda, sowie AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Culturale Popolare, Pavolini. Guido Manacorda an Alessandro Pavolini, Brief vom 18. März 1938 und Antwortbrief Pavolinis vom 25. März 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1938, 1˚ Semestre. Beide hatten sich Ende Februar 1939 in Rom getroffen, vgl. Alessandro Pavolini an Guido
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sprächsreisen in die Schweiz²³, Holland, Belgien und falls möglich auch ins besetzte Frankreich wiederaufzunehmen. Bottai wollte sich entsprechend bei Ciano für Manacorda verwenden.²⁴ Das Ministerium für Volkskultur befürwortete das Ansinnen Manacordas, da dieser mit gutem Erfolg schon einige Propagandamissionen unternommen habe.²⁵ Die Botschaft in Bern erklärte ebenfalls ihr Interesse, sah sich aber außerstande die Kosten zu tragen.²⁶ Das Außenministerium erklärte, dass entsprechende Reisen in die besetzten Gebiete und in die Schweiz im Moment nicht opportun seien und wohl auch kaum genehmigt werden würden. Darüber hinaus brächten die von Manacorda angegebenen Vorschläge literarisch-mystischen Charakters wenig praktischen Nutzen für die Realisierung der Ziele der italienischen Propaganda.²⁷ Hier deutete sich bereits an, dass Manacorda bei Ciano wohl aufgrund einer kritischen Bemerkung zur Partei in Ungnade gefallen war.²⁸
Manacorda, Brief vom 20. Februar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.R.C.E. Außenministerium an Ministerium für Volkskultur, Manacorda wolle 1941 Konferenzen in der Schweiz abhalten, vgl. Ministero degli Affari Esteri an Ministero della Cultura Popolare, Telespresso vom 5. August 1940. In: ACS Rom, Minculpop, D.G. Propaganda N.U.B.I.E, Busta 237, Fasc. 66: Manacorda. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 26. Juli 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale – Bottai; ein entsprechendes Gesuch richtete er auch an Pavolini, wobei er als Themen Vorträge zu Dante („Dante poeta, contemplante, imperiale“), D’Annunzio („D’Annunzio alle porte del Mistero“), den „Hl. Franziskus“ und die „Heilige Katharina von Siena“ vorschlug. Des Weiteren schlug er unter Nennung des deutschen Titels das Thema „Romanentum und Germanentum“ vor, über das er – auf Einladung der Deutschen Akademie – im Herbst in München und in Berlin sprechen werde. Außerdem habe er auch weitere Vorträge politischen Inhalts in petto, sei sich aber nicht sicher, ob diese in den okkupierten Gebieten und in der Schweiz schon möglich seien. Er habe in diese Länder viele politische, kulturelle und im Falle Belgiens auch dynastische Kontakte, fügte er an und er wolle an seine früheren Missionen wieder anknüpfen. Über deutsche Stellen müsse eine Erlaubnis seines Erachtens zu bekommen sein.Von allen diesen Ländern würde ihn die Schweiz am wenigsten interessieren, vgl. Guido Manacorda an Alessandro Pavolini, Brief vom 12. September 1940. In: Ministero degli Affari Esteri an Ministero della Cultura Popolare, Telespresso vom 5. August 1940. In: ACS Rom, Minculpop, D.G. Propaganda N.U.B.I.E, Busta 237, Fasc. 66: Manacorda. Ministero della Cultura Popolare an Ministero degli Affari Esteri, Telespresso vom 13. August 1940, ebd. Die italienische Botschaft in Bern an Ministero della Cultura Popolare, Telespresso vom 29. August 1940. In: Ministero degli Affari Esteri an Ministero della Cultura Popolare, Telespresso vom 5. August 1940, ebd. Ministero degli Affari Esteri an das Ministero dell’Educazione Nazionale und al Ministero della Culura Populare, Dr. Gen. Propaganda – Div. I vom 24. September 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Culturale Popolare – Pavolini. Der Direktor von „Il Telegrafo“ Giovanni Ansaldo aus Livorno wunderte sich, dass sich der Minister immer noch angesichts eines Vorfalls verletzt fühle, der aus Manacordas Sicht nie stattgefunden habe und der deshalb Ansaldo um Vermittlung gebeten hatte, vgl. Guido Manacorda an Giovanni Ansaldo,
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Noch aus einem anderen Grund hatte Manacorda enge Beziehungen zu Pavolini, und zwar wegen seines Buchs über die sowjetische Ideologie. Seit den 1930er Jahren hatte sich Manacorda immer wieder mit dem Kommunismus befasst, den er als Gegenentwurf zum Faschismus auffasste. Im Jahr 1937 verglich Manacorda im „Frontespizio“ unter dem Pseudonym Opifexin zwei einseitigen Beiträgen erstmals stichwortartig das stalinistische System mit dem Katholizismus.²⁹ Der Artikel „Panorama Sovietico“ erschien am 6. Januar 1937 im „Corriere della Sera“³⁰ und am 10. März 1937 hielt er einen Vortrag über „Lehre und Kritik des Kommunismus“ an der Hochschule für Politik in Berlin ³¹, der broschiert im „Wessobrunner Verlag“ erschien.³² Vorworte verfassten Hans Frank und Giuseppe Bottai. Der Reichsminister bescheinigte Manacorda, anschaulich dargestellt zu haben, wie dieser Wissenschaftler des faschistischen Italiens den Bolschewismus sehe. Manacorda komme darin zu den gleichen Ergebnissen wie der Nationalsozialismus auf Grundlage seiner Rassenlehre.³³ Das 360 Seiten starke Buch, das in erster Auflage in einer Höhe von 12.000 Exemplaren im Januar 1940 erschien, wurde zu dem faschistischen Standardwerk über den sog. Bolschewismus. Gewidmet war es Bottai. Manacorda beschäftigte sich, seinen Angaben nach, seit Jahren in zahlreichen Artikeln mit den drei Revolutionen gegen die seines Erachtens dekadenten Demokratien. Die ungeheure russische Dynamik müsse aber durch die lateinische Disziplin gebremst werden. Allerdings hatte er Angst, dass angesichts des deutsch-sowjetischen Paktes eine Veröffentlichung untersagt werde und bat diesbezüglich in mehreren Briefen, Bottai möge sich für eine Druckfreigabe
Brief vom 21. April 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 1° Semestre, Sottofasc. Ansaldo. Die Akten der Politischen Polizei geben über Manacordas Problem Aufschluss, vgl. „Guido Manacorda voleva riformare il partito?“ Pro-memoria vom 15. April 1941. In: Pro-memoria vom 6. April 1942,vgl. ACS Rom, Ministero dell’Interno, D.G. P.S., Div. Polizia Politica, Fascicoli Personali 1927– 1944, Busta 763, Fasc. Guido Manacorda. Manacorda erhielt aufgrund der Aussagen Ansaldos gar einen Hausbesuch der Politischen Polizei. Gleichzeitig musste der Polizeispitzel aber auch einräumen, Manacorda habe sich öffentlich über die politische Unzuverlässigkeit des akademischen Bereichs, besonders der Professoren beklagt, die sich der gegenwärtigen Lage als unwürdig erwiesen hätten. Opifex: Cattolicesimo e bolscevismo (prima serie). In: Il Frontespizio 1 (1937). S. 41 sowie ders.: Cattolicesimo e bolscevismo (seconda serie). In: Il Frontespizio, 2 (1937). S. 92. Direktion des „Corriere della Sera“ an Guido Manacorda, Brief vom 7. Januar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1° Semestre II, A–F., Sottofasc. Corriere della Sera. Manacorda an Wessobrunner Verlag, Brief vom 15. April 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1° Semestre II, G–Z., Sottofasc. Wessobrunner Verlag. Manacorda, Guido: Kommunismus und Demokratie. 1. Lehre und Kritik des Kommunismus. Berlin 1939. Prefazione Frank. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico- religioso 1939, 1° Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Im Nachlass Manacorda liegt das Vorwort zu „Dottrina e Critica del Comunismo“ vor. Das Vorwort findet sich in deutscher Sprache in Manacorda: Kommunismus und Demokratie, S. 5, das Vorwort Bottais auf Italienisch und Deutsch auf den Seiten 7– 17.
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einsetzen.³⁴ Diese erteilte Bottai Ende Oktober.³⁵ Insofern war die Widmung für Bottai auch ein Mittel, um die Veröffentlichung seines Werkes sicherzustellen. Mit verantwortlich für den großen Erfolg war das Ministerium für Volkskultur, das 2.000 Lire dafür ausgab, dass jeweils ein Exemplar an alle Ortsgruppen der Federazioni dei Fasci di Combattimento ging.³⁶ Beppino, wie Manacorda Pavolini nannte³⁷, äußerte diesbezüglich, diese Entscheidung sei in Anbetracht des großen Nutzens getroffen worden, die die Kenntnis dieses Buch für die faschistischen Massen bringe, so der Minister.³⁸ Die zweite Auflage gab der von Gentile geführte Sansoni-Verlag bereits im Februar, die dritte Auflage im Mai heraus.³⁹ Im „Corriere della Sera“ war Manacorda jetzt der Sowjetunion-Experte, der über den Forschungsstand Auskunft gab.⁴⁰ Die vierte Auflage seines Bolschewismus-Buches erschien erst 1942⁴¹, weil Papiermangel das Erscheinen verzögerte.⁴² Anlässlich des Erscheinens der vierten, erweiterten Auflage seines Bolschewismus-Buches bat Manacorda um eine Audienz, um Mussolini persönlich ein Exemplar überreichen zu können.⁴³ Die nationale und internationale Presse besprach sein Buch positiv, wie aus einer Zusammenstellung der Pressestimmen vom „Corriere della Sera“ bis zum „Luxemburger Wort“ hervorgeht.⁴⁴ Die faschistisch-katholischen Intellektuellen feierten sein Werk als systematisches und dokumentengesättigtes Werk, so Pasquale Pennisi in „Segni dei tempi“. Die präzise und objektive Dokumentation lobte R. Paoli im „Frontespizio“. Von „einer hell leuchtenden Flamme“ und „von stählerner Härte“
Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 13. September 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1939, 2° Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale (Bottai). Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 28. Oktober 1939, ebd. Alessandro Pavolini an Guido Manacorda, Expressbrief vom 27. Januar 1940, sowie Guido Manacorda an Alessandro Pavolini, Brief vom 28. Januar 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Cultura Popolare Pavolini. Notiz Manacordas über das Treffen mit Alessando Pavolini am 15. Januar 1940, ebd. Alessandro Pavolini an Guido Manacorda, Brief vom 13. Februar 1940, ebd. Guido Manacorda: Il Bolscevismo Marxismo, Mistica, Meccanesimo, Ateismo, Morale, Politica, Economia, Letteratura e Arte, Scuola e Propaganda, 3. Aufl. Florenz 1940, sowie Guido Manacorda an Luigi Federzoni, Brief vom 25. Mai 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1° Semestre, Sottofasc. Federzoni. Manacorda, Guido: Studi sul bolscevismo. In: Corriere della Sera vom 10. Juli 1942. S. 3. Guido Manacorda an Giovanni Papini, Brief vom 20. Juli 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1942, 2˚ Semestre, I, Sottofasc. Papini. Guido Manacorda an Alexandru Marcu, Brief vom 13. Oktober 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 2˚ Semestre, Sottofasc. Marcu. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 1. Oktober 1942, sowie De Cesare an Manacorda, Telegramm vom 6. Oktober 1942 mit der Mitteilung, dass seinem Gesuch stattgegeben wurde. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 2˚ Semestre, Sottofasc. Duce. Guido Manacorda: Il Bolscevismo (aggiornato al 10-IV-40-XVIII). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 1° Semestre, Corriere-Z.
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sprach Auro d’Alba im „Giornale d’Italia“. Den genauen Autor und originalen Beobachter hob Riccardo Carbonelli in „Fascismo“ hervor.⁴⁵ Persönliche Glückwünsche kamen auch von Motta und Pavolini.⁴⁶ Der in New York lebende österreichische, katholische, ständestaatlich-orientierte Schriftsteller Erik Kühnelt-Leddihn gratulierte ihm ebenfalls zu seinem Buch über die Sowjetunion, weil er den „Geist und die Atmosphäre des Bolschewismus so gut charakterisiert und photographiert habe“, obwohl er doch nie dort gewesen sei.⁴⁷ Diese Resonanz zeigt, dass längst nicht nur die faschistischen Katholiken von Manacordas Werk angetan waren: Mussolini äußerte sich Bottai gegenüber geradezu enthusiastisch darüber. Der „Duce“ wies unter Bezug auf Renzo Bertonis Buch „Il trionfo del Fascismo nell’U.R.S.S.“⁴⁸ auf die Evolution der Bolschewisten hin zu autoritären „faschistischen“ Formen hin, die sie mit der Liederlichkeit des Bürgertums begründeten. Dies treffe, denke man an die Italiener, durchaus zu.⁴⁹ Ein Ausschnitt aus seiner Monographie über den Bolschewismus erschien noch 1944 als PropagandaBroschüre. Darin unterteilte Manacorda die Staaten in „demoliberale“ und „totalitäre Regime“ und hoffte auf einen Sieg „unter der Ordnung und im Licht von Rom“.⁵⁰ Noch in den 1950er Jahren publizierte Manacorda in Italien über den sowjetischen Staatssozialismus.⁵¹ Daran zeigt sich, wie nahtlos sich dieses Denkelement in das westliche Antikommunismuskonzept, hier der Christdemokraten um De Gasperi, einfügte. Selbst die Achsenmächte Rumänien und Deutschland, die sich im Krieg gegen die Sowjetunion befanden, waren an Manacordas Werk interessiert. Im April 1942 besuchte der rumänische Unterstaatssekretär für Propaganda, Dr. Alexandru Marcu, Italien und hielt einen Vortrag an der Universität Florenz, wo er in Kontakt mit Manacorda kam.Wie die italienische, so berief sich auch die rumänische Propaganda auf das Konzept der Romanität. Gegenüber dem „Duce“ bezeichnete Marcu Rom als geistige Hauptstadt Rumäniens. Das Rumänien von Marschall Antonescu sei stolz, für diesen Sieg an der Seite von Benito Mussolinis Italien und Adolf Hitlers Deutschland kämpfen zu dürfen.⁵² Die italienischen und rumänischen Soldaten stünden in der Tradition Roms und griffen nach Jahrhunderten als Landwirtschaft treibende Veteranen wieder zum Schwert, um ihre Scholle und die römische Institution des Eigen-
Schließlich lobte L. M. Persone, im „Resto del Carlino“ die „analisi serrata, ricca di raffronti e di constatazioni, di dottrina e d’esperienza“, ebd. S. 2 f. Alessandro Pavolini an Guido Manacorda, Brief vom 11. Januar 1940: Motta an Manacorda, Brief vom 6. Januar 1940: in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, „Bolscevismo“. Erik Kühnelt-Leddihn an Guido Manacorda, Brief vom 18. Mai 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1° Semestre. Roma 1934. Bottai: Diario 1935 – 1944, S. 173. Manacorda, Guido: Fascismo e Bolscevismo. Vicenza 1944, S. 11. Manacorda, Guido: Comunismo und cattolicesimo. Milano 1953. Alexandru Marcu an Benito Mussolini, Telegramm vom 26. April 1942. In: ACS Rom, PCM (Presidenza del Consiglio dei Ministri), Busta 3137, Fasc. Conferenza presso la R. Università di Firenze dell’Ecc. Dott. Alexandru Marcu.
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tums zu verteidigen.⁵³ Manacorda sah im erhofften Triumph der Achse ebenfalls den Sieg Roms.⁵⁴ Marcu wollte Manacordas Buch ins Rumänische übersetzen lassen⁵⁵ und eine Übertragung ins Deutsche wurde vorbereitet. Ein Übersetzer wurde beim Deutschen Marinekommando auf Antrag Bottais beurlaubt.⁵⁶ Beide Projekte wurden aufgrund der für die Achse katastrophalen Entwicklung des Krieges jedoch nicht mehr realisiert. Im Deutschen Reich suchte man ebenfalls die intellektuelle Diskussion, um die „neue Ordnung“ in Europa zu kanalisieren. Die faschistisch-katholische „Leitidee“ erfüllte dabei eine doppelte Funktion: Sie spielt den aktivsten Gegenpart des faschistischen Italiens bei dem Versuch, sich den NS-Geltungsansprüchen zu widersetzen. Zum anderen propagierte sie die Achsenpartnerschaft. Die drei großen Schriftstellerkongresse von 1941 und 1942 in Weimar sind emblematisch für die erstgenannte Funktion.⁵⁷ Der erste Kongress wurde auf Initiative von Goebbels vom am 24. Oktober 1941 gegründeten Europäischen Schriftstellerverband unter Vorsitz von Hans Carossa organisiert.⁵⁸ Am ersten Treffen vom 23. Oktober nahmen 14 Nationen teil. Das war ein Erfolg für die deutsche, nicht jedoch für die italienische Seite, denn mit Farinelli und dem Juristen Alfredo Acito waren nur zwei italienische Vertreter gekommen, obwohlPapini und Bargellini, der schon im Jahre 1939 im Rahmen der Kulturbrücke Weimar-Florenz die thüringische Kulturstadt besucht hatte⁵⁹, als weitere Teilnehmer vorgesehenwaren.⁶⁰ Am 27. Oktober 1941 hielt Gauleiter Sauckel anlässlich der sog. Woche des Deutschen Kriegsbuches seine Eröffnungsrede, in der er die unsterblichen griechischen Götter, die großen Männer Roms und der germanischen Vorgeschichte beschwor. Beide Götterwelten gäben vom Olymp und von der Walhalla dem großen Kampf Hitlers und Mussolinis ihren Segen.⁶¹ Als im Frühjahr 1942, vom 25. bis 28. März 1942, ein zweites Treffen anberaumt wurde, war die italienische Seite entschlossen, stärker präsent zu sein, um die italienische Position bezüglich der „neuen Ordnung“ stärker herauszustellen. Daher hatte der „Duce“ die Idee, das Akademiemitglied Papini in den Vorstand des Euro-
Vgl. Alexandru Marcu an Guido Manacorda, Brief vom 17. August 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 2° Semestre, Sottofasc. Marcu. Guido Manacorda an Alexandru Marcu, Brief vom 13. Oktober 1942, ebd. Alexandru Marcu an Guido Manacorda, Brief vom 2. Dezember 1942, ebd. Dr. Alfred Bönsch an Guido Manacorda, Brief vom 13. Juli 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1942, 1˚ Semestre, II2, D-Z, Sottofasc. Sansoni. ACS Rom, Minculpop, Gabinetto, Busta 68, Fasc. Convegni italo tedeschi, Sottofasc. Annuale incontro scrittori di Weimar. Statuto dell’Associazione Europea degli Scrittori, ebd. Ebd., S. 35. Serri: Il breve viaggio. Giaime Pintor nella Weimar nazista, S. 201. Dies bedeute die Überwindung des schlechten jüdischen Geistes und die „premessa imprescindibile dell’immortalità“, der Unsterblichkeit der weißen Rasse, ebd., S. 151.
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päischen Schriftstellerverbandes zu entsenden.⁶² Denn Papini galt als einer der führenden Theoretiker der Romanità, seitdem der Schreibtischtäter in seinem 1939 erschienenen Büchlein „Italia mia“ die Expansion des faschistischen Imperiums und den Primat Italiens beschworen hatte. Darin referierte er im „Adlerflug“, wie er schrieb, über die grandiose Erfolgsgeschichte Italiens, indem er quasi den gesamten wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt Europas dem italienischen Genius zuschrieb. Die Auflage von 1941 erweiterte Papini um ein Kapitel „Dieser Krieg“, das zuvor im „Popolo d’Italia“ erschienen war, worin er den italienischen Krieg als „imperial“, aber nicht „imperialistisch“ charakterisierte, und die italienische Jugend aufrief, sich für das italienische Vaterland zu opfern.⁶³ Diese kleinformatige „Eigengeschichte“, die gut in jeden Tornister passte, erschien in vier Auflagen und war aufgrund seines gehobenen, zugleich leicht verständlichen Duktus die ideale Propagandaschrift für die jungen Soldaten. Renato Moro bezeichnet es als sinnbildlichste Schrift des katholischen Faschismus dieser Periode.⁶⁴ Zunächst hatte Papini, aufgrund seiner Sehschwäche und des Umstands, dass er seit Jahren Deutsch weder gesprochen noch gelesen hatte, ebenfalls eine Absage erwogen. Schließlich folgte er aber doch dem ausdrücklichen Wunsch Mussolinis und begab sich am 23. März zum ersten Mal in seinem Leben nach Deutschland. Dort angekommen, besuchte Papini – in Begleitung von Karl Ulrich von Hutten vom Goebbels-Ministerium – die Universitäten in Jena und Weimar und er traf auch Hans Carossa. Papini war sichtlich mit sich zufrieden, er schrieb Manacorda aus dem Hotel Elephant, er sei froh, nach Weimar gekommen zu sein, auch von dessen „Faust“ sei gesprochen worden.⁶⁵ Am 26. März hielt er dann seine von Hutten simultan übersetzte Ansprache. Dazu bemerkte sein erster Biograph und Intimus, der Florentiner Kunsthistoriker Ridolfi, in den 1950er Jahren beschönigend: Unserem Freund [Papini, Anm. d. Verf.] fehlte es nicht an Mut, in dieses Land der rassistischen und heidnischen Deutschtümelei Hitlers zu gehen und von einer universalen, einheitlichen Botschaft der italienischen und christlichen Kultur zu sprechen, war mehr als mutig.⁶⁶
Die Presse habe von Goebbels Befehl erhalten, den Vortrag unerwähnt zu lassen. Kühn war dieses Unterfangen mit Sicherheit nicht, denn Papini genoss quasi Diplomatenstatus.Wenn er auch aus seiner Perspektive kritisch Position bezog, so sprach aus ihm sicherlich ebenso wenig eine antifaschistische Haltung, die Ridolfi hier implizit unterstellte. Vielmehr bewegte er sich ganz im Rahmen der faschistisch-katholischen „Leitideen“, die er allerdings insofern relativierte, als er keinen absoluten Primat mehr Papini wurde allerdings erst berufen, nachdem die Deutschen Riccardo Bacchelli vorgeschlagen, dieser aber abgelehnt hatte. Papini: Italia mia, S. 163 – 172. Moro: Il mito dell’impero in Italia fra universalismo cristiano e totalitarismo, hier S. 365 – 366. Giovanni Papini an Guido Manacorda, Postkarte vom 25. März 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Papini. Vgl. Ridolfi: Vita di Giovanni Papini, S. 294.
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für Italien einforderte, sondern lediglich im Sinne einer Parität mit der deutschen Kultur argumentierte. Die einseitige Rezeption des NS-kritischen Teils der Papini-Rede hat sich, wenn auch im Ton gemildert, wie zuletzt bei Mirella Serri, in der italienischen Sekundärliteratur fortgesetzt. Unterschlagen werden die rassistisch-imperialistischen, faschistisch-katholischen Denkelemente, die offen zutage treten, wenn man den Vortrag als Ganzes betrachtet. Eben deshalb handelt es sich jedoch um einen Schlüsseltext zum Verständnis des faschistisch-katholischen Denksystems⁶⁷: Mit einem Rekurs auf seine persönliche intellektuelle Rezeption der Weimarer Klassik leitete Papini seinen Vortrag ein. Seine Zeitschrift „Leonardo“ sei als die einzige „Sturmund-Drang“-Zeit Italiens bezeichnet worden. In Florenz habe er Theodor Däubler kennengelernt und Moller van den Bruck, den Autor des „Dritten Reiches“, so seine Hommage an das NS-Regime. Er hob die Bedeutung Weimars für die europäische Literatur hervor und die Verantwortung, die er als italienischer Schriftsteller in dieser schweren Stunde habe, denn er spräche für eine Kultur, die in einer 2.000-jährigen Tradition stehe, und die mehrfach bestimmend für Europa gewesen sei. Jede Nation müsse nun ihre eigene und authentische Stimme erheben, um Europa nach dem ersehnten Sieg zu einigen, damit nicht eine Kultur über alle anderen herrsche. Deshalb müsse es zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Großmächte, darunter Italien, kommen. Die italienische Literatur könne hierzu mit drei Prinzipien beitragen: erstens der Realität, zweitens dem Klassizismus und drittens der Universalität. 1. Der italienische Genius habe sich immer mit dem Wahren befasst. 2. Der Klassizismus habe mehrfach die antike Kultur wiederaufgenommen. 3. Der andere italienische Charakter sei die Universalität, d. h. die Katholizität. In den großen Epochen Italiens seien Universalismus und Nationalismus immer einhergegangen. Italien sei nur es selbst, wenn es in Politik, Religion oder Ästhetik universell gewesen sei. Politisch sei das durch das römische Imperium der Fall gewesen und heute wiederum mit dem Faschismus. Das Christentum drücke das Innere der italienischen Seele aus. So sei beispielsweise die Lesart des Evangeliums durch den Heiligen Franziskus mehr hellenistisch als jüdisch gewesen. Der Katholizismus stelle die von Gott gewollte Synthese aus der Offenbarung des Evangeliums im Lichte des griechischen Denkens und mit der Struktur der römischen Ordnung dar. Daher sei es vielmehr europäisch als aus Palästina stammend. In diesem Denkschema verdichtet sich Papinis katholischer antijüdischer Rassismus, den er im Faschismus zeitgemäß adaptiert sah. Gegenwärtig gehe das neue Europa seiner glücklichen Vollendung entgegen, fuhr er fort. Die modernen italienischen Schriftsteller hätten einen großen Anteil an der Genese des heroischen Geistes, der zum Italien Mussolinis geführt habe. Sie würden sich jetzt für
Die Rede Papinis in Weimar ist entgegen der Behauptung von Frank Rutger Hausmann erhalten und leicht im Archivio Centrale dello Stato zugänglich, vgl. ders.: Kollaborierende Intellektuelle in Weimar, S. 414. In: Minculpop. DG Servizio della Stampa italiana: Discorso che l’Accademico d’Italia Giovanni Papini ha pronunciato a Weimar nel recente Convegno delgi scrittori europei della cui Unione egli è stato nominato Vice Presidente del 9 aprile XX ore 13. In: ACS Rom, Minculpop, Gabinetto, Busta 68, Fasc. Convegni italo tedeschi, Sottofasc. Annuale incontro scrittori di Weimar, Bl. 76 – 80.
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die notwendige geistige Eintracht Europas einsetzen. Er schloss im Namen seiner Delegation mit dem klaren und unbedingten Willen, dem Sieg der Waffen den Sieg des Geistes folgen zu lassen. Nachdem Gauleiter Sauckel einen Toast auf die gemeinsamen europäischen Streitkräfte im antibolschewistischen Kampf ausgesprochen hatte, erhob sich auch Papini und wünschte ebenfalls den vollkommenen Sieg der Achse. ⁶⁸ Papinis Kritik an Deutschland wurde von der italienischen Delegation durchaus geteilt. Überhaupt waren die Italiener mit der Art und Weise, wie das Reich den Kongress steuerte, nicht zufrieden. Deutschland wolle, so berichtete der italienische Botschafter in Berlin Dino Alfieri über den Kongressverlauf nach Rom, die Führung des Verbandes – entgegen offiziellen Beteuerungen – nicht den Italienern überlassen: Carossa sei ein Feigenblatt, der maßgebliche Mann der Regierung sei der Schriftsteller Rothe.⁶⁹ Zu diesem Urteil kam es, weil die Italiener den nicht unberechtigten Eindruck gewonnen hatten, die Deutschen wollten den Europäischen Schriftstellerverband für ihre Zwecke instrumentalisieren und über das Propagandaministerium überwachen.⁷⁰ Die Wahl eines Franzosen oder Spaniers zum zweiten Vizepräsidenten, wie von Papini vorgeschlagen, sei von den Deutschen zugunsten eines Finnen hintertrieben worden, um ein Übergewicht der lateinischen Staaten zu verhindern.⁷¹ Insofern erweckte Papinis Rede in Rom durch die darin klar formulierten Geltungsansprüche des faschistischen Italiens größte Befriedigung und sie wurde entsprechend von der gleichgeschalteten italienischen Presse gefeiert. Denn der Florentiner hatte darin seine in seiner Bekenntnisschrift „L’Italia mia“ geäußerten Vorstellungen über einen gemeinsamen christlich-abendländischen europäischen Kulturraum klar und deutlich dargelegt, wie es im Bericht Alfieris hieß: Das Akademiemitglied Papini hat während der ersten Sitzung seine Sache gut gemacht, indem er in seinem Vortrag die geistige Einheit der europäischen Völker nicht als hervorgerufen durch die Vorherrschaft einer Hegemonialmacht [des Deutschen Reiches, Anm. d. Verf.] definierte, sondern als eine harmonische Eintracht der Großmächte. In diesem Zusammenhang erscheint es unsererseits bei jeder Gelegenheit geboten, den wahren Anteil der lateinischen Kultur herauszustellen, welche die germanische nicht ausschließt, dieser aber nicht nachsteht.⁷²
Bericht des Botschafters Alfieri vom 31. März 1943 über das Treffen in Weimar. In: ACS Rom, Minculpop, Gabinetto, Busta 68, Fasc. Convegni italo tedeschi, Sottofasc. Annuale incontro scrittori di Weimar, Bl. 83; vgl. Serri: Il breve viaggio. Giaime Pintor nella Weimar nazista, S. 215. Bericht des Botschafters Dino Alfieri vom 31. März 1943 über das Treffen in Weimar, Brief vom 31. März 1942. In: ACS Rom, Minculpop, Gabinetto, Busta 68, Fasc. Convegni italo tedeschi, Sottofasc. Annuale incontro scrittori di Weimar, Bl. 82– 86, hier Bl. 85. Ebd., Bl. 84. Ebd., Bl. 85. Ebd., Bl. 84.
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Papini selbst war mit seinem Auftritt ebenfalls mehr als zufrieden. Er sei bei den Delegierten „optimal angekommen“, wie er Pavolini wissen ließ.⁷³ Der Vortrag Papinis, für den sich der Minister herzlich bedankte,⁷⁴ wurde Mussolini vorgelegt.⁷⁵ Nach seiner Rückkehr nach Italien führte Papini mit dem „Duce“ über seine Deutschlandreise am 8. und 9. April zwei längere Unterredungen. Der Diktator fand an den Äußerungen seines „Rechtfertigungsdenkers“ großen Gefallen. Aber auch umgekehrt zeigte sich Giovanni Papini mehr als zufrieden, er habe insgesamt 90 Minuten mit Mussolini sprechen können und habe „in jeder Beziehung den besten Eindruck“.⁷⁶ Manacorda und Papini gelang immerhin noch eine Nachbesprechung zu Weimar sowie vor allem zur Mussolini-Audienz Papinis und zu derjenigen Manacordas, die kurz zuvor am 3. April 1942 stattgefunden hatte. Weitere Gesprächspunkte waren das Verhältnis von Staat und Kirche, die Politik des Vatikans, die Ambitionen Manacordas in Bezug auf eine Aufnahme in die Accademia d’Italia sowie die innere Situation und die Versorgungslage.⁷⁷ Eine zweite Besprechung zum deutsch-italienischen Verhältnis erfolgte im Mai.⁷⁸ Noch ein letztes derartiges Schriftstellertreffen im Weimar folgte: Im Oktober 1942 nahmen daran 250 Vertreter aus 16 Ländern teil.⁷⁹ Auch der römische Germanist Giaime Pintor, der wenige Monate später nach dem Sturz Mussolinis 1943 für die Resistenza kämpfte und fiel und nach dem Krieg von der Linken zum Idol einer ganzen Generation stilisiert wurde⁸⁰, gehörte der neunköpfigen italienischen Delegation an.⁸¹ Die Deutsche Botschaft legte den italienischen Stellen Anfang September eine fertige
Vgl. Giovanni Papini an Alessandro Pavolini, Brief vom 31. März 1942 über das Treffen in Weimar vom 31. März 1942. In: ACS Rom, Minculpop, Gabinetto, Busta 68, Fasc. Convegni italo tedeschi, Sottofasc. Annuale incontro scrittori di Weimar, Bl. 72. Alessandro Pavolini an Giovanni Papini, Telegramm vom 3. April 1942. In: ACS Rom, Minculpop, Gabinetto, Busta 68, Fasc. Convegni italo tedeschi, Sottofasc. Annuale incontro scrittori di Weimar, Bl. 73. Der Minister für Volkskultur Pavolini, Appunto per il Duce vom 7. April 1942. In: ACS Rom, Minculpop, Gabinetto, Busta 68, Fasc. Convegni italo tedeschi, Sottofasc. Annuale incontro scrittori di Weimar, Bl. 70. Vgl. Giovanni Papini an Guido Manacorda, Brief vom 10. April 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 1˚ Semestre, Sottofasc. Papini. Notiz „Colloquio Papini“ vom 21. April 1942, ebd. Ebd. Serri: Il breve viaggio. Giaime Pintor nella Weimar nazista, S. 141. Vgl. zuletzt Kroll, Thomas: Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa. Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien im Vergleich (1945 – 1956). Köln u. a. 2007, S. 426. Zu diesem Zeitpunkt schrieb Pintor noch für Bottais „Primato“ und stellte als Sekretär der Italienischen Akademie seine intellektuellen Fähigkeiten in den Dienst des faschistischen Regimes. Mirella Serri hat Pintor und seiner Reise nach Weimar jüngst eine ganze Monographie gewidmet, vgl. Serri: Il breve viaggio. Giaime Pintor nella Weimar nazista, S. 144. Für Pintor war Weimar offensichtlich der Anlass, mit dem Faschismus zu brechen, vgl. ebd., S. 168.
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Liste vor und düpierte auf diese Weise die italienischen Ministerien.⁸² Auf der Liste standen u. a. der Vizepräsident Papini, die Germanisten Farinelli und Pintor sowie Enrico Falqui. Papini selbst konnte nicht teilnehmen. Gründe hierfür ließen sich nicht ermitteln.⁸³ Die italienische Botschaft in Berlin mahnte eine vollständige Beteiligung an, damit Italien auf diesem wichtigen Kongress den Platz einnehmen könne, der ihm gebühre.⁸⁴ In Abwesenheit von Carossa übernahm Karl Rothe die Tagungsleitung. Goebbels beschwor in seiner antidemokratischen, antibolschewistischen, antisemitischen und antiamerikanischen Eröffnungsrede den deutschen Geist, wandte sich aber gegen den Intellektualismus, der „eine Halbbildung ohne Wissen und Charakter“ sei.⁸⁵ Der Faschist Prof. Mario Sertoli, als Sonderbeauftragter des Ministeriums für Volkskultur, sprach von einem völligen Scheitern in Weimar, denn in Abwesenheit von Hans Carossa, Ernst Jünger und Vizepräsident Papini habe eine apathische und verschlafene Atmosphäre geherrscht. Die deutsche Delegation bestehe aus der dritten, vierten und letzten Reihe. Die Deutschen hätten nur ihnen genehme Kandidaten eingeladen.⁸⁶ Rassistische und antidemokratische Erklärungen wurden zu Propagandazwecken unterzeichnet. Keine Zeitung in Italien, außer dem Parteiorgan „Popolo d’Italia“, berichtete im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden über diese Herbsttagung.⁸⁷ Eventuell glaubte Manacorda zu diesem Zeitpunkt auch, der „Duce“ teile ihre Ansichten. Entsprechend schrieb er an Bottai, er sehe mit großer Teilnahme dessen
Nota Verbale der Deutschen Botschaft in Rom vom 5. September 1942. In: ACS Rom, PCM (Presidenza del Consiglio dei Ministri), Busta 3137, Fasc. Convegno dell’Unione Europa degli Scrittori a Weimar. Invito a scrittori italiani. PCM, Gabinetto, an das Außen-, Volkskultur- und Erziehungsministerium sowie an die Accademia d’Italia, Telegramm vom 30. September 1942, ebd. Außenministerium an PCM, Erziehungs- und Volkskulturministerium sowie an die Accademia d’Italia, Telespresso vom 8. Oktober 1942, ebd. Ein ebenfalls teilnehmender, in Berlin wohnhafter Italiener, der „Rasseforscher“ Prof. Giulio Cogni galt der restlichen italienischen Delegation als Informant des Goebbel’schen Propagandaministeriums. Giulio Cogni forschte seit der zweiten Hälfte der1930er Jahre in Deutschland und war u. a. Leiter des Italienischen Kulturinstituts in Hamburg. Er vertrat die Auffassung, dass das italienische Volk seit jeher eine nordische Natur habe. Lediglich auf Sizilien gäbe es einen geringen orientalischen Einschlag. Vgl. ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda: Germania, Busta 95, Sottofasc. Pellicole per Giulio Cogni. Der „geistige Arbeiter“ trage eine große Verantwortung für den Schicksalskampf des Volkes, weil Deutschland nicht nur seinen Lebensraum, sondern auch seine Jahrhunderte alte Kultur verteidige, in der die nationale Kraft des Volkes liege. Diejenigen Dichter, die nur ästhetisches Wollen hätten, hätten kein Existenzrecht, vgl. Die eigentliche Wurzel unserer Standhaftigkeit. Reichsminister Dr. Goebbels sprach vor den Dichtern Europas in der Weimar-Halle. In: Der Angriff vom 12. Oktober 1942. S. 3. Wenigstens Ungarn habe auf der Beteiligung jüdischer Schriftsteller zumindest für seine nationale Gruppe bestanden. Die Rede Goebbels sei schlecht und bürokratisch, die Planung missglückt und nicht einmal eine angemessene Verpflegung gewährleistet gewesen. Angesichts der ungeahnten Dauer des Russlandfeldzuges sei den Deutschen die Siegeszuversicht abhanden gekommen. Die Unsicherheit darüber, dass das Reich einen Kampf auf Leben und Tod führe, sei mit Händen zu greifen, vgl. Serri: Il breve viaggio. Giaime Pintor nella Weimar nazista, S. 161– 166. Ebd., S. 172.
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katholische Revision, und das noch mehr nach den Worten Mussolinis an ihn und an Papini.⁸⁸ Bottai, der seit dem Vormarsch der Wehrmacht an allen Fronten im Jahre 1940 über die politische Situation nach einem Sieg der Achse besorgt war, hatte in der Tat Manacordas These einer erfolgreichen Gegensatzspannung von faschistischer Romanität und NS-Germanität verinnerlicht, wobei er sich explizit auf den Florentiner Professor bezog. Nicht zuletzt erfüllte die „Leitidee“ der Romanität eine wichtige Funktion zur Abgrenzung vom „Dritten Reich“⁸⁹, denn er hoffte darauf, dass eine ideologische Distanz zum Nationalsozialismus Italien die Sympathien der anderen europäischen Staaten einbringen könne. Die Intellektuellen sollten mithelfen, den Primat Italiens zu formulieren, und in diesem Kontext steht die Gründung der gleichnamigen Zeitschrift⁹⁰, um die Ideale der faschistischen Revolution auch im gegenwärtigen Krieg zu erfüllen.⁹¹ Insofern rekurriert die Rede Bottais, die dieser anlässlich der Eröffnung des italienischen Instituts Studia Humanitatis am 6. Dezember 1942 in Berlin hielt, auf die gleichen faschistisch-katholischen Denkmuster mit dem gleichen Zweck der Positionierung gegenüber Deutschland. Über die Vorgeschichte der Gründung dieses Instituts, das erst nach langem Blockieren von deutscher Seite eröffnet werden konnte, wird im folgenden Kapitel noch näher eingegangen. Dargestellt werden sollen hier deshalb nur die Kernargumente der Ausführungen des Ministers der wechselseitigen Aufeinanderbezogenheit der Achsenmächte: Selbstbewusst betonte Bottai in der Reichshauptstadt die Augenhöhe der beiden Achsen-„Partner“, die sich wechselseitig ergänzten und befruchteten, wie er die These Manacordas aufnahm: Ausgehend zunächst von den Zeugnissen unserer italienischen Tradition […] soll dieses Institut zu einer solchen Aufgabe [den Geist unserer Völker neu zu formen] beitragen. Dass dies aber in einer rechten Weise geschehe, erscheint uns undenkbar ohne den Beitrag des germanischen Geistes. Denn wie wir seit den Tagen der Studia Humanitatis, so haben auch die Deutschen vorzüglich unter den Völkern Europas sich mit dem Wesen der Antike auseinandergesetzt. Dies geschah in einer Art, die innerlich uns wesensverwandt ist, weil von unseren beiden Völkern die Antike als Aufgabe und nicht als Stoff begriffen wurde. So mögen auf diesem Felde […] Italiener
Guido Manacorda an Giuseppe Bottai: Brief vom 15. April 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1942, 1˚ Semestre, Sottofasc. Bottai. Bottai erarbeitete einen Plan für einen internationalen Korporatismus, wobei er eher moralisch denn politisch kohärent argumentierte, vgl. Serri: Il breve viaggio, vgl. Giaime Pintor nella Weimar nazista, S. 110 – 112. Die „Appunti“ von Bottai vom 13. und 19. Juli 1940 gehen in diese Richtung. In einer Unterredung am 13. August 1940 akzeptierte Mussolini Bottais Vorschlag einer breiten Diskussion auf universitärer Ebene über das neue Europa, die allerdings intern erfolgen sollte, vgl. De Felice: Mussolini l’alleato, I/2, S. 845 – 847. In seinem Leitartikel zum Jahr 1941 beschwor Bottai angesichts der Rückschläge in Albanien und der Cirenaica den Kampf für die revolutionären faschistischen Ideale, vgl. Bottai, Giuseppe: Questo momento. In: Il Primato 1 (1941). S. 1.
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mit Deutschen zusammentreffen und zusammenwirken, um auch hier neue Siege für den Bestand und die Herrschaft des europäischen Geistes, des klaren und massvollen, zu erringen.⁹²
Bottai ließ Manacorda seine Rede zukommen. Sie sei von den Deutschen sehr gut und herzlich aufgenommen worden. Sie hätten es goutiert, dass sich endlich jemand traue, in unserer echten authentischen Sprache zu sprechen. Das hätten die Deutschen dringend nötig. Ich weiß, dass Du und ich, und Du mit weitaus mehr Autorität in dieser Materie als ich, wir uns beide unisono einig sind, von der Notwendigkeit mit unseren Alliierten Klartext zu sprechen vor allen Dingen, was die Ideen betrifft.⁹³
Diesbezüglich fügte er an, dass der Artikel von Orestano in „Gerarchia“ von den Deutschen als Zeichen für eine Einladung des Christentums von einer faschistischen Kanzel gesehen werde.⁹⁴ Dieser hatte argumentiert, die Kämpfer aus allen Teilen Europas kämpften gegen den Bolschewismus in der Überzeugung, „pro aris et focis“ gegen den russisch-asiatischen Antichristen zu fechten, der die christliche Grundlage der gesellschaftlichen, politischen und nationalen Gemeinschaften bedrohe.⁹⁵ Der Nationalsozialismus habe zwar das konfessionell gespaltene Reich geeinigt, aber sei jetzt zu vehement, weil er das Christentum immer totalitärer bekämpfe und als jüdisch verwerfe. Europa müsse aber wieder zum Synonym für das Christentum werden, dazu müsse Deutschland sich selbst überwinden. Es sei immer dann universal gewesen, wenn es dem Wort Roms gefolgt sei.⁹⁶ Deutschland finde dort das Vorbild des Pax Romana, das sei im Übrigen auch das Geheimnis des Katholizismus. In seinem Artikel im „Corriere della Sera“ vom März sprach Manacorda selbstbewusst und sendungs-
Bottai, Giuseppe: Studia Humanitatis und die wissenschaftliche Methode. In: Studia Humanitatis. Festschrift zur Eröffnung des Instituts. Berlin 1942. S. 9 – 17, hier S. 16 – 17. Vgl. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 26. Dezember 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1942, 2° Semestre, Sottofasc. Bottai. Orestano betonte darin eine Konvergenz der Geister hinsichtlich der „neuen Ordnung“, Einheit Europas werde heute vor allem kulturell gedeutet. Das Christentum habe diese Einheit Europas über Jahrhunderte gewährleistet, vgl. Orestano, Franceso: La vita religiosa nella nuova Europa. In: Gerarchia, 12 (1942). S. 476 – 484. Die Gottlosigkeit des Staates sei nach dem ökonomischen das größte Problem der Achse. Deutschland habe allen universellen Ideen immer seine eigene separatistische gegenübergestellt. Folgende Gegensatzpaare seien sich gegenübergestanden: Katholizismus vs. Reformation, europäische vs. deutsche Aufklärung, Klassizismus vs. Romantik, das Paradigma des Nationalismus vs. deutscher Rassismus, internationaler Sozialismus vs. Nationalsozialismus, ebd., S. 477. Der Kampf der NS-Bewegung habe gar 1937 zur Gründung einer nationalen Kirche geführt und zum Neuheidentum Rosenbergs und Ludendorffs und sei der Endpunkt eines langen geistesgeschichtlichen deutschen Sonderweges, der nicht erst mit Nietzsche, sondern bereits ein Jahrhundert früher begonnen habe. Ebd., S. 484.
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bewusst von der Schaffung eines neuen Geistes.⁹⁷ Dies war der ideologische Hintergrund, der die faschistisch-katholische Deutschlandperzeption auch für den „Duce“ so interessant machte. Während des Krieges nahm Manacorda an einer ganzen Reihe von Konferenzen zur deutsch-italienischen Waffenbrüderschaft teil, organisiert u. a. von der deutschitalienischen Gesellschaft, dem Istituto nazionale di cultura fascista sowie der Gruppo fascisti universitari aus ganz Nord- und Mittelitalien und dem Istituto di Studi Romani. ⁹⁸ Im Jahre 1941 übernahm die Manacorda gewogene Prinzessin von Piemont auf dessen Anregung das Patronat über die deutsch-italienische Gesellschaft.⁹⁹ Von ihrer Schirmherrschaft versprach sich Manacorda Kontroll- und Einflussmöglichkeiten.¹⁰⁰ Mit dem neuen Präsidenten der Vereinigung, Alessandro Pavolini, und dem Beiratsvorsitzenden Giuseppe Bottai hatten zwei weitere seiner Unterstützer eine Schlüsselposition inne. In der Tat entwickelte sich daraus das erfolgreichste propagandistische Projekt, das Manacorda seinem lang gehegten Wunsch näherbrachte, im Rahmen der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen eine offizielle Funktion zu erhalten. Zuvor war sein Versuch, die Leitung des italienischen Kulturinstituts in Berlin zu erhalten, gescheitert. Entsprechend stolz berichtete der Professor Innenminister Buffarini Guidi, Pavolini und Bottai hätten ihm eine zentrale Position für die Kulturpropaganda der Achse zugewiesen.¹⁰¹ Den Eröffnungsvortrag in Rom hielt Manacorda über das Thema „Alle fonti del Germanesimo. I miti dell’Edda“. Drei schwere Augenoperationen zwangen Manacorda im Frühjahr 1941 jedoch zu einem mehrmonatigen Klinikaufenthalt. In einem abgedunkelten Krankenzimmer ohne Sonnenlicht war er zu vollständiger Untätigkeit verurteilt. Als Sekretärin kam ihm seine Frau, die sich in ihre Rolle fügte, ausnahmsweise gelegen.¹⁰² Auro und Maria d’Alba und ihr Sohn Sergio wünschten ihm mit exaltiertem Pathos gute Genesung: Es ist der unsterbliche Geist der Revolution, der sich aus dem Gebot der Gefallenen erhebt. Mein Guido, kann man diesen Geist vernichten? Und dann wird der Herr auch niemals erlauben, dass Du in dieser Stunde fehlst.¹⁰³
Manacorda,Guido: „Costruire nello spirito“ Un piano per lo studio della civiltà europea. In: Corriere della Sera vom 20. März 1943. S. 3. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 1˚ Semestre, II: A–Conferenze. Il Gentiluomo di Corte di S. A. R. la principessa di Piemonte an Guido Manacorda, Brief vom 13. März 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1941, 1° Semestre, Sottofasc. Principessa di Piemonte. Guido Manacorda an Prinzessin von Piemont, Brief vom 27. März 1941, ebd.; Manacorda sprach mit ihr am 4. April 1941, vgl. Notiz über das Gespräch ebd. Guido Manacorda an Guido Buffarini Guidi, Brief vom 28. März u. 15. Juni 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1941, 1˚ Semestre, Sottofasc. Buffarini Guidi. Emma Manacorda an die Familie d’Alba, Brief vom 5. Juni 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio 1941, II, Malattia, Sottofasc. d’Alba. Vgl. Auro d’Alba an Manacorda, Brief vom 2. Juni 1941, ebd.
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Das „Giornale d’Italia“ meldete in seiner Ausgabe vom 26. August 1941 auf Seite 3, nach langer Zeit des Schweigens, während dessen seine Freunde um seine Sehkraft bangten, sei Manacorda wieder mit einem Artikel „Bolschewismus und Katholizismus“ an die Öffentlichkeit getreten.¹⁰⁴ Nach seiner Genesung nahm der Professor u. a. wieder Kontakt mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Siebert auf.¹⁰⁵ Des Weiteren schrieb er an den deutschen Außenminister Ribbentrop.¹⁰⁶ Wiederholt besprach er sich mit Bottai¹⁰⁷, Pavolini¹⁰⁸, der Prinzessin von Piemont¹⁰⁹ und dem Direktor seiner Universität¹¹⁰ in Florenz. Mitte Oktober führten Manacorda und Papini ein langes Gespräch über das Projekt Zentrum für das Studium der europäischen Zivilisation. Dieses solle sich zunächst mit Deutschland und den Staaten der Achse befassen, um sich dann schrittweise auf ganze Europa auszudehnen.¹¹¹ Am 28. Oktober 1941 führte Manacorda darüber eine lange Unterredung mit Bottai.¹¹² Der rege Austausch mit dem Erziehungsminister setzte sich das ganze
Ebd. Dort ist der Artikel rot markiert. Siebert lud Manacorda ins Reich ein: „Ich würde mich freuen, Sie Ende dieses Jahres hier unter den hoffentlich denkbar erfreulichsten äußeren Verhältnissen für unsere beiden Völker begrüßen zu können und sehe dann zu gegebener Zeit gerne Ihren Vorschlägen entgegen.“ Dazu kam es nicht mehr, denn Siebert starb im Dezember 1942, vgl. Ludwig Siebert an Guido Manacorda, Brief vom 8. Juli 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Fasc. Carteggio politico-religioso, Sottofasc. Deutsche Akademie – Conferenza Monaco. Manacorda schickte Ribbentrop die vierte Ausgabe der Meisterwerke der deutschen Literatur. Der Durchschlag der Widmung findet sich noch in seinem Nachlass: „Joachim von Ribbentrop, dem genialen Vertreter der Aussenpolitik des grossdeutschen Reiches dieses in 23.jähriger Spannung und Arbeit in seinem Geist der noch nicht entstandenden Asse [sic!] vollendete Werke in Erinnerung einiger unvergessenen und unvergesslichen im gastfreien Hause Berlin-Dahlem verbrachten Stunden überreicht“, vgl. Guido Manacorda an Joachim Ribbentrop, Brief vom 4. August 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1941, 2˚ Semestre, Sottofasc. Bottai. Manacorda traf Bottai am 8. Juli 1941 und sprach von der Gemeinsamkeit der Ansichten, vgl. Notiz über das Gespräch sowie Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 11. Juli 1941, ebd. Bottai; Manacorda traf Bottai am 29. August und sprach mit ihm über u. a. über das italienisch-deutsche Projekt, vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, undat. Brief [September] 1941, ebd. Pavolini war allerdings verärgert und alarmierte Rom wegen der „florentinischen Anfrage“, vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 16. Juli 1941, ebd. Am 6. November 1941 traf er die Prinzessin von Piemont zu einer Unterredung, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1941, 2˚ Semestre, Sottofasc. Principessa. Er diskutierte das Projekt im Juli 1941 mit dem Direktor der Universität Florenz, vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 11. Juli 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1941, 2˚ Semestre, Sottofasc. Bottai, sowie AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1942, 1˚ Semestre, II2, D-Z, Sottofasc. Centro per lo Studio della Civiltà Europea. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 13. Oktober 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1941, 2˚ Semestre, Sottofasc. Bottai. Notiz über das Gespräch mit Bottai am 28. Oktober 1941, ebd.
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Frühjahr 1942 über fort.¹¹³ Mehr als zwei Jahre nach seiner letzten Audienz fragte Manacorda wieder bei Mussolini um eine Audienz nach, um ihn von diesem Plan zu überzeugen.¹¹⁴ Jetzt im Jahre 1942 wurde der schon im Jahre 1940 von Giuseppe Bottai und Ugo Spirito Mussolini vorgelegte Plan, die Rolle Italiens gegenüber Deutschland im Rahmen der politischen und ökonomischen Neuordnung Europas zu klären, durch das INCF Pellizzis teilweise realisiert. Den Vorschlag von Bottai und Spirito hatte der „Duce“ damals mit dem Hinweis abgelehnt, jetzt würden die Waffen sprechen. Mussolini wollte das INCF schon 1940 zu einer Dachorganisation formen, die die Arbeit der anderen Kulturinstitute und Propagandaeinrichtungen koordinieren sollte¹¹⁵, ohne jedoch genaue Vorstellungen zu haben, wie dieses Ziel zu erreichen sei.¹¹⁶ Immerhin waren von Herbst 1940 bis zum Frühjahr 1941 zu diesem Zweck verschiedene Arbeitsgruppen von Wissenschaftlern zusammengestellt worden.¹¹⁷ Pellizzi suchte in den Jahren 1942/43 diese Aktivitäten aus doppeltem Grund wiederzubeleben: Einerseits tat er das, um wie Bottai die Eliten an das Regime zu binden.¹¹⁸ Daran, dass die Intellektuellen wenig mobilisiert waren¹¹⁹, war auch Mussolini, der ihnen misstraute, mit schuld. Andererseits war Pellizzi inhaltlich an der Ausarbeitung einer Blaupause für die europäische Nachkriegsordnung (und besonders an der Frage der Wirtschaftsordnung) interessiert.¹²⁰ Erst vom 23. bis 26. November 1942 präsentierten 70 Gelehrte dieser Arbeitsgruppen ihre diesbezüglichen Ergebnisse.¹²¹ Währenddessen nahm im Unterschied zu vielen vorigen gescheiterten Projekten Manacordas Konzept einer deutschfreundlichen Achsenkampagne in Italien immer konkreter Gestalt an. Dabei half ihm die italienisch-deutsche Gesellschaft Associazi-
Notiz Manacordas über das Gespräch mit Bottai vom 3. März 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 1˚ Semestre, Sottofasc. Bottai. Vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 23. März 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1941, 2˚ Semestre, Sottofasc. Mussolini. Vgl. ACS Rom, SPD, CO, Busta 1034, N. 509.150. Dort liegen mehrere Dokumente zur Reorganisation der gesamten Inlandspropaganda vor, die u. a. in Abstimmung mit dem Ministerium für Volkskultur erfolgen sollte. In einem Memorandum des INCF mit dem Titel „Coordimento dell istitutuzioni e delle attività culturali e divulgative“ ist die Rede von einem „piano generale ed armonico di azione culturale e divulgativa“. Vgl. Breschi und Gisella Longo: Camillo Pellizzi, S. 153. Vgl. Longo: L’Istituto nazionale fascista di cultura, S. 255 – 257. Ebd., S. 179. Ebd., S. 227. Vgl. Pellizzi: Una rivoluzione mancata, S. 165 – 173. Vgl. Camillo Pellizzi an Benito Mussolini, Brief vom 4. Dezember 1942. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 1034, N. 509.150. Pellizzi fasste darin das Treffen zusammen; Serri: Il breve viaggio. Giaime Pintor nella Weimar nazista, S. 124 sowie Melis, Guido (Hrsg.): Fascismo e pianificazione. Il convegno sul piano economico 1942/43. Roma 1997 sowieLongo, Gisella: Il primo convegno dei gruppi scientifici dell’Istituto nazionale di cultura fascista sull’„Idea di Europa“ (23 – 24 novembre 1942). Le relazioni di Camillo Pellizzi e di Gaetano Pietra e l’intervento di Ugo Spirito. In: Annali della Fondazione Ugo Spirito. 6 (1994). S. 127– 186, hier S. 142.
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one Italo-Germanica. Sie verfügte über eine deutsche und eine italienische Organisation. Ihr italienischer Ableger wurde seit 1940 vom Minister für Volkskultur Pavolini geleitet. Im März 1942 charakterisierte Baron Giovanni von Rautenkrantz, Vizepräsident des Sektionsrats Lombardei-Mailand, der Associazione Italo-Germanico Sezione Lombardo, den umtriebigen, aber unsteten Florentiner Professor äußerst zutreffend¹²²: Er bat den Sekretär der Sektion in Mailand, Pino Guarnieri, Manacorda deshalb zu unterstützen, weil dieser nur das eine Defizit habe, nämlich seine Sprunghaftigkeit sowie die absolute Unfähigkeit, sich in sämtlichen Angelegenheit zu positionieren, die ihm zum Vorteil gereichen könnten. Es sei aber von allergrößter Bedeutung, die Beziehung zwischen Deutschland und Italien auch in den Jahren nach dem Sieg zu knüpfen, zu festigen und zu perfektionieren. Morgen sei das Metier, mit den Verbündeten verhandeln zu können, das wichtigste Berufsbild. Es brauche eine Klasse von Experten, die in einem entsprechenden Institut auszubilden sei. Manacorda sei hierfür der geeignete Mann, und Bottai habe schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass eine solche Einrichtung unter seiner Patronage stehen werde. Im Juli 1942 legte Manacorda einen Personalplan vor, der einen Konferenzzyklus über die „neue Ordnung“ vorsah.¹²³ Der Entwurf sollte den INCF-Plan, der die Dimension des ökonomischen Wiederaufbaus für die Bildung eines „europäischen Marktes“ [sic!] vorsah, kulturell flankieren. Hierfür solle Mailand der Ort sein, während Florenz die geistige Erneuerung ausfüllen sollte.¹²⁴ Seinem Promemoria sul Centro per le Studie della Civiltà Europea lag – völlig ungewöhnlich für den nicht selten in mythischen Sphären schwebenden Intellektuellen – sogar ein Finanzplan zugrunde.¹²⁵ Im „Corriere della Sera“ vom 8. Oktober 1942 stand anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Associazione italo-germanica zu lesen: Endlich wird ein bedeutendes Werk begonnen, das bereits jetzt beachtliche Ergebnisse zeitigt: ein organisches Projekt von komparativen italienisch-deutschen Studien in allen gemeinsamen Interessensgebieten beider Länder.¹²⁶
Diese Ankündigung in der gleichgeschalteten faschistischen Presse war eine Vorentscheidung zu dessen Bewilligung, dessen war sich der hocherfreute Manacorda bewusst.¹²⁷ Die endgültige Approbation erhielt er vom „Duce“ im November¹²⁸ während
Giovanni von Rautenkrantz an Pino Guarnieri, Brief vom 13. März 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1942, 1˚ Semestre, II, A-C.T.I. (Conferenze), Sottofasc. Associazione ItaloGermanico. Guido Manacorda an Pino Guarnieri, Brief vom 15. Juli 1942, ebd. Pino Guarnieri an Guido Manacorda, Brief vom 15. Juli 1942, ebd. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1942, 1˚ Semestre, II/2, D-Z, Sottofasc. Centro delle Civiltà Europee. Vgl.: Il primo decennale dell’Associazione italo-germanica. In: Corriere della Sera vom 8. Oktober 1942. S. 2. Vgl. Guido Manacorda an Pino Guarnieri, Brief vom 8. Oktober 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1942, II, A–C.T.I (Conferenze), Sottofasc. Associazione Italo-Germanico.
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zweier Audienzen.¹²⁹ Beseelt schrieb Manacorda an Guarnieri, dass der Diktator dem Plan zugestimmt habe. Mussolini habe die gesamte Durchführung unter seiner, Manacordas, Leitung der Präsidentschaft der faschistischen Kulturinstitute anvertraut.¹³⁰ Seinem Intimfreund Bottai berichtete Manacorda mit einer kritischeren Nuance, er sei nach Rom gerufen worden, um seinen Entwurf vorzustellen.¹³¹ Zu seiner großen Überraschung habe Mussolini nicht nur ihn, sondern auch Camillo Pellizzi mit der Umsetzung des Plans zu den italienisch-deutschen Studien beauftragt.¹³² Aus den vorliegenden Dokumenten geht somit deutlich hervor, dass der Plan einer prodeutschen Kampagne weder unter der Ägide des INCF entstand noch eine Idee Pellizzis war, die dieser während seines Berlin-Besuches im Oktober gehabt haben soll, wie Gisella Longo mutmaßt.¹³³ Tatsächlich war sie das Werk Manacordas und der Associazione Italo-Germanica. Anfang Dezember hatte Manacorda eine Konferenzreihe aus 39 Veranstaltungen fertiggestellt.¹³⁴ Die entsprechende Liste der herausragendsten Intellektuellen Italiens, so der Anspruch¹³⁵, wurde Mitte Dezember 1942 an den „Duce“ gesendet¹³⁶, damit dieser die endgültige Genehmigung erteile.¹³⁷ Das Programm sah wie folgt aus¹³⁸: Für den Eröffnungsvortrag war Guido Manacorda vorgesehen. Nicolo Abbagno sollte die
Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 27. November 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Mussolini. Regelmäßige Gespräche waren alle drei bis vier Monate geplant, das nächste fand tatsächlich im darauffolgenden Februar statt, vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 12. November 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 2˚ Semestre, Sottofasc.Duce, sowie Notiz über das Colloquio XXVII vom 9. November und über das Colloquio XXVIII vom 14. November 1942, ebd. Vgl. Guido Manacorda an Pino Guarnieri, Brief vom 18. November 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1942, II, A–C.T.I (Conferenze), Sottofasc. Associazione Italo-Germanico. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 27. November 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 2˚ Semestre, Sottofasc. Bottai. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, ebd. Vgl. Longo: L’Istituto nazionale fascista di cultura, S. 283 – 285; Mariuccia Salvati: Teoria e uso della propaganda nella guerra fascista: il caso di Camillo Pellizzi […] Vortrag, gehalten auf der Tagung „L’uomo nuovo del fascismo“ am 14. und 15. April 2010 im Deutschen Historischen Institut in Rom. Allerdings spricht auch Salvati davon, dass der Plan von Manacorda organisiert wurde. Guido Manacorda an Camillo Pellizzi, Brief vom 7. Dezember 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.N.C.F., Piano Civiltà Europea. Vgl. Gisella Longo: L’Istituto nazionale fascista di cultura, S. 287. Camillo Pellizzi an Guido Manacorda, Brief vom 18. Dezember 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.N.C.F., Piano Civiltà Europea. Die Vortragsthemen waren immer komparativ angelegt, wie der Liste von Vorschlägen zu entnehmen ist. Camillo Pellizzi an Benito Mussolini, undat. Brief mit Eingangsstempel vom 8. Januar 1943. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 1034, N. 509.150. Istituto Nazionale di Cultura Fascista: Piano organico per lo studio comparato delle civiltà italiana e germanica (Direttore: Guido Manacorda).
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gegenwärtige Philosophie in Italien vorstellen. Giuseppe Bottai war für die faschistische Doktrin, Guido Carli für die deutsch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen, Federico Chabod für die moderne Kultur und Dino Grandi für das faschistische Recht vorgesehen. Eugenio Garin sollte über die Philosophie der Renaissance in Deutschland und Italien sprechen. Gioacchino Volpe war für mehrere Konferenzen zur mittelalterlichen Kultur vorgesehen.¹³⁹ Über die deutsche Botschaft wollte man sich um Alfred Rosenberg bemühen. Unter den faschistischen Katholiken waren außer Bottai nur Papini zu Dante und Manacorda zu Goethe auf der Liste. Eingeladen wurden nur die prominentesten Intellektuellen aller Denkströmungen.¹⁴⁰ Guido Manacorda trug den Titel Direktor des Zyklus La civiltà italiana e la civiltà germanica ¹⁴¹, der einer von insgesamt dreien war.¹⁴² Gegenüber Pellizzi beschwerte sich Manacorda allerdings über die redaktionellen Änderungen, die ohne sein Wissen vorgenommen worden waren. So sei der Hinweis auf das Kulturinstitut entfallen, außerdem habe er im Titel auf die nächste Phase seiner Ausdehnung auf Europa verweisen wollen. Manacorda hatte die Komplementarität der italo-deutschen Beziehungen betonen wollen. Das sei besser, als eine abstrakte mystische Identität behaupten zu wollen, die – auch wenn sie niemals zu erreichen sei – dazu führen müsste, dass die eine Kultur von der anderen absorbiert werde und dass vielleicht beide zugrundegehen würden.¹⁴³ Dieser Zusatz war der Kern der faschistisch-katholischen Spiegelung von Romanität und Germanität in einer Gegensatzspannung. Sie sicherte die Existenz der Romanität gegenüber einer biologistischen Vereinnahmung der angeblich arischen Italiker durch die NS-Rassenlehre ab. Nicht gekürzt wurde hingegen die Passage, die den Achsenpartner Deutschland betraf. Darin bekräftigte Manacorda zunächst den Geist der Freundschaft beider Revolutionen und beider Civiltà, die heute gemeinsam für ein neues und besseres Europa kämpften. Dennoch solle man die Unterschiede zwischen beiden geistigen Positionen nicht vermischen, betonte er erneut den deutsch-italienischen Gegensatz. Tatsächlich enthält der von ihm eingereichte Artikel eine Passage über das geplante Institut in Florenz. Manacorda plante weiterhin Diskussionsveranstaltungen im ganzen Land.¹⁴⁴
Vgl. Longo: L’Istituto nazionale fascista di cultura, S. 279 – 282. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 23. Dezember 1942. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 1034, N. 509.150. Manacorda hatte den Brief am 22. Dezember im Sekretariat des Duce persönlich abgegeben, wie die beiliegende Mitteilung auf seiner Visitenkarte zeigt. Einladungskarte. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.N.C.F., Piano Civiltà Europea. Guido Manacorda an Camillo Pellizzi, Brief vom 12. Februar 1943, ebd. Vgl. Guido Manacorda an Camillo Pellizzi, Brief vom 11. März 1943, ebd., sowie auf Seite 3 seines am 18. Februar an den „Corriere della Sera“ geschickten Artikels, vgl. in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚Semestre II, A.–CTI, Sottofasc. Corriere della Sera. Guido Manacorda an Camillo Pellizzi, Brief vom 11. April 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.N.C.F., Piano Civiltà Europea.
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Aus Bukarest schrieb ihm Marcu, der über Manacordas Konzept mit dem rumänischen Präsidenten sprechen wollte.¹⁴⁵ Erste Sondierungen nahm Manacorda also bereits im Hinblick auf die zweite Phase vor. Während der erste Zyklus startete, fielen in Mailand schon die Bomben, wie der Generaldirektor des Touring Clubs, der seit 1937 im Zuge einer Kampagne des Regimes die italianisierte Bezeichnung Consociazione turistica italiana trug, Manacorda berichtete.¹⁴⁶ Am 4. und 6. Februar 1943 führte Manacorda mit Mussolini zwei weitere Unterredungen bezüglich des Projektes.¹⁴⁷ Bei der Kabinettsumbildung am 5. Februar 1943 war zwar Giuseppe Bottai seines Ministeriums enthoben worden. Somit verlor Manacorda seinen wichtigsten Fürsprecher, dem er aber weiter häufig schrieb.¹⁴⁸ Im Zuge der Umbesetzungen verlor auch Pellizzi¹⁴⁹, der in Bottai einen Unterstützer gehabt hatte, seine Funktion als Präsident des INCF. ¹⁵⁰ Dennoch schritt das Projekt mit dem Florentiner Professor als nimmermüdem Propagandaredner in ganz Nord- und Mittelitalien voran. Manacorda eilte von Vortrag zu Vortrag: Am 20. Januar 1943 hielt er wie vorgesehen den Eröffnungsvortrag in Rom.¹⁵¹ Am 27. Februar referierte er in Como über den Bolschewismus, am 28. Februar in Mailand über Dante und Goethe, am 2. März in Bergamo über den Bolschewismus, am 4. März in Mailand über „Il genio lirico della Germania da Lutero a Rilke“ und am 6. März in Verona wiederum über den Bolschewismus.¹⁵² Am 15. April sprach Manacorda vor der Dante-Gesellschaft in Florenz
Alexandru Marcu an Guido Manacorda, Brief vom 7. April 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, II E–Z, 1˚ Semestre, Sottofasc. Piano culturale. Attilio Gerelli an Guido Manacorda, Brief vom 20. Februar 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre II, A.–CTI, Sottofasc. CTI. Notiz über das Gespräch Manacordas mit Mussolini vom 4. Februar 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. Errante, sowie Guido Manacorda an Borelli. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre II, A.–CTI, Sottofasc. Corriere della Sera. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Breschi und Longo: Camillo Pellizzi, S. 193. Guido Manacorda an Camillo Pellizzi, Brief vom 15. Juni 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.N.C.F., Piano Civiltà Europea. Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Fasc. Carteggio politico-religioso, Sottofasc. Duce. Darin findet sich eine Reihe von Durchschlägen von Briefen, die Manacorda an den „Duce“ richtete, in der Hoffnung, eine kurze Audienz zu erhalten. Pino Guarnieri an Guido Manacorda, Brief vom 17. Februar 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre II, A.-CTI, Sottofasc. Associazione Italo-Germanica Milano, Conferenze.
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über amerikanische Kriegspsychosen.¹⁵³ Am 15. Mai sprach er in Udine¹⁵⁴, Anfang Juni in Turin¹⁵⁵ und hielt am 13. Juni einen Vortrag über den Bolschewismus in Florenz.¹⁵⁶ Die Resonanz der Kampagne war, schenkt man dem Germanisten Glauben, groß: Zu den Vorträgen kamen nach Angaben Manacordas in der Provinz nie weniger als 600 bis 700 Personen¹⁵⁷, sodass er von einem Triumph sprach.¹⁵⁸ Auch die faschistischen Kulturmanager sprachen von einem großen Erfolg seiner Konferenzen in Venetien.¹⁵⁹ An Hans Thomsen schrieb er stolz über sein großes Projekt, das er im Auftrag des „Duce“ durchführen dürfe.¹⁶⁰ Pellizzi vermeldete hingegen aus Rom geringes Besucherinteresse, besonders bei Referenten aus Deutschland. So sei der Vortrag von Prof. Blume sogar abgesagt worden.¹⁶¹ Wer von beiden hatte recht? Eventuell gab es einen Unterschied zwischen Land und Stadt, zumal in Rom das kulturelle Angebot entsprechend groß war. Möglicherweise kommt hier aber auch Manacordas Neigung zur Großmannssucht zum Tragen. Zahlen aus der Provinz waren im Übrigen leichter zu beschönigen als die in der Hauptstadt, wo die Überprüfung leichter fiel. Die Kampagne ging weiter: Die sog. Kulturbrücke Florenz-Weimar fand vom 20. bis 30. Juni 1942 statt. Zu Gast waren Jugendliche aus Florenz und von befreundeten und alliierten Nationen, die u. a. den Gegensatz von Romanità e Germanesimo von Manacorda vermittelt bekamen.¹⁶² Im Rahmen der beiden Gespräche, die Mussolini mit Manacorda führte, ging es auch um den Preis der Italienischen Akademie.¹⁶³ Tatsächlich erhielt er einen von drei Einladungskarte. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Fasc. Carteggio politico-religioso, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre II, A.–CTI, Sottofasc. Conferenza Udine. Präsident der Associazione Italo-Germanica an Guido Manacorda, Brief vom 11. Juni 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre II, A.–CTI, Sottofasc. Conferenza Torino. Guido Manacorda parla su ‚Bolscevismo‘. In: Il Nuovo Giornale vom 14. Juni 1943, S. 2. Guido Manacorda an Camillo Pellizzi, Brief vom 24. Mai 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.N.C.F., Piano Civiltà Europea. Vgl. Guido Manacorda an den Morcelliana-Verlag, Brief vom 14. Juni 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, II E–Z, 1˚ Semestre, Sottofasc. Morcelliana. Pino Guarnieri an Guido Manacorda, Brief vom 22. Dezember 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1942, II, A–C.T.I (Conferenze), Sottofasc. Associazione Italo-Germanico. Vgl. Guido Manacorda an Hans Thomsen, Brief vom 27. April 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Carteggio premio Littorio. Guido Manacorda an Camillo Pellizzi, Brief vom 21. Mai 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.N.C.F., Piano Civiltà Europea. Si prepara il ponte culturale Firenze-Weimar. In: Il Telegrafo vom 26. Februar 1942. S. 2. Notiz über das Colloquio XXVII vom 9. November und über das Colloquio XXVIII mit Mussolini vom 14. November 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1942, 2˚ Semestre, Sottofasc. Duce.
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Preisen des Premi del Littorio della R. Accademia d‘Italia. Sie wurden 1943 als Nationalpreise vergeben. Die Accademia d’Italia lud ihn zur Sitzung am 21. April 1943 auf dem Kapitol ein.¹⁶⁴ Francesco Orestano hatte in der Sitzung seinen Vorschlag, Manacorda zu nominieren, mit dessen unermüdlichem Einsatz für die Italianità in seinem literarischen, propagandistischen und wissenschaftlichen Schaffen sowie mit seinen diplomatischen Missionen begründet: Guido Manacorda, Kultivator der Geschichte und besonders der deutschen Literaturwissenschaft, der Philosophie, der Religion, der gesellschaftlichen und politischen Geschichte findet in der Wissenschaft Beachtung aufgrund der großen Breite und Varianz seines Werkes, der reichen und gewichtigen Dokumentation seiner Ausführungen, aufgrund seiner kritischen Haltung, die sensibelst auf die grundlegenden Werte Bezug nimmt, für den lebendigen Sinn seiner Italianität, die sein ganzes wissenschaftliches und poetisches Werk durchdringt. Für die Zuerkennung des ‚Premio Littorio‘ in den historisch-politischen Disziplinen war zunächst sein Werk ‚Il Bolcesvimo‘, das 1940 erschien, verantwortlich, mit dem er sich an die Spitze der Auseinandersetzung mit den kommunistischen Degenerationen stellt, sowie sein Aufsatz ‚Imperium e la civiltà‘, der im gleichen Jahr publiziert wurde und eine Klärung der geistigen Koeffizienten der gegenwärtigen Geschichte darstellt. Manacorda ist ein Kämpfer für die Idee, der es verstand, im rechten Moment ein Kämpfer an den Waffen zu werden, der sowohl seinen Geist als auch seine Fähigkeiten in den Dienst glänzender diplomatischer Operationen stellte. In dieser dreifachen Dimension offenbart sich die Einheit eines zutiefst humanen und patriotischen Geistes.¹⁶⁵
In der Folge erhielt er Glückwünsche in Form von Telegrammen, Visitenkarten und Briefen von zahllosen Intellektuellen, mit Ausnahme des Croce-Lagers, und von den faschistischen Gerarchen. Sie geben Aufschluss über die vielfältigen Wirkungsbereiche Manacordas und über den Rückhalt, den er im Jahre 1943 genoss.Zu den Gratulanten aus Parteikreisen zählten u. a. A. L. Arrigoni von der Scuola di Mistica Fascista, Pino Guarnieri von der Associazione italo-germanico in Mailand und Ezio M. Gray, der Vizepräsident der Camera di Fasci e delle Corporazioni. Hinzu kamen zahlreiche Senatoren und Mitglieder der Kammer und faschistischer Verbände wie der Verband der italienischen Künstler und die römische Sektion von Dopolavoro. Ebenso beglückwünschten Manacorda die Schriftsteller Mario Buzzichini, Gian Battista Vicari, Giuseppe Villaroel und der Präsident der R. Accademia d’Arte Drammatica Silvio d’Amico. Außerdem gratulierten ihm der Direktor der Nazione Maffio Maffi sowie die Redaktion der Augustea und viele weitere Redaktionen, für die der Professor tätig war. Auch einzelne Mitarbeiter des „Corriere della Sera“, der „Civiltà Cattolica“, des „Giornale di Sicilia“ gratulierten ihm. Die Verlagshäuer bzw. Verleger Enrico Bemporad, Garzanti, Alfredo Mondadori, Morcelliana und Sansoni, in denen seine Bücher erschienen,
Kanzler der Akademie Italiens, Francesco Pellati, Telegramm vom 20. April 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Carteggio premio Littorio. Paolo Orestano: handschriftliches Original seiner Stellungnahme sowie Begleitbrief der Kanzlei der Akademie vom 29. April 1943, ebd.
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waren ebenfalls mit von der Partie. Ferner gratulierten die Akademiemitglieder Ettore Brignone, Luigi Federzoni, Paolo Orestano, außerdem Arrigo Pozzi und aus dem Reich Hans Thomsen. Aus dem akademischen Bereich beglückwünschten ihn u. a. der Rektor der Universität Florenz Arrigo Serpieri, sein Florentiner Kollege Guiliano Mazzoni sowie Giorgio Morandi und Carlo Galassi Paluzzi, der Präsident des Reale Istituto di Studi Romani ¹⁶⁶, außerdem die Germanisten Giuseppe Gabetti und Giaime Pintor, der mit Manacorda eng vertraut war, sowie zahlreiche weitere Professoren.¹⁶⁷ Darüber hinaus gratulierten ihm seine persönlichen Freunde wie Bonatelli, Bottai, Papini und Pennisi. Unverdrossen arbeitete Manacorda bis zum Untergang des Regimes. Noch im Juni 1943 offenbarte er dem italienischen Außenministerium sein faschistisch-katholisches Selbstverständnis: Eine solide ‚neue Ordnung‘ zu schaffen in absoluter katholischer Orthodoxie und mit der notwendigen modernsten Sensibilität, aber im großen imperialen und nationalen dantesken Erbe sowie außerdem in gewisser Weise im mazzininischen und giobertischen: Das will ich leisten, um Dir und dem Duce zu gefallen, während so viele Geister feige schweigen oder mehr oder weniger versteckt Gegner sind.¹⁶⁸
Nach dem Sturz Mussolinis am 24./25. Juli 1943 fielen Manacorda und die faschistischen Katholiken in eine gewisse Agonie, von der sie sich nie wieder vollständig erholten. Vor allem bedeutete diese Zäsur das Ende des katholischen Faschismus als Denkmodell. Und es gab sogar eine kurze Episode der Annäherung Manacordas an das Badoglio-Regime. Zwischen dem 4. und 6. September war Manacorda für den italienischen Außenminister Raffaele Guariglia tätig. Der Minister hatte ihn beauftragt, Hitler die Situation in Italien zu schildern und zu sondieren, wie die Reaktion der Deutschen auf das schon am 3. September beschlossene Ausscheiden Italiens aus dem Achsenbündnis aussehe.¹⁶⁹ Dieser Brief ist Bestandteil des Nachlasses Manacorda, der im Besitz Vedovatos ist.¹⁷⁰ Das Konvolut wird gegenwärtig in der Biblioteca
Carlo Galassi Paluzzi gründete 1925 das Istituto (Nazionale) di Studi Romani. Die Institutszeitschrift trug den Titel „Roma“. Das Institut war an der Rekonstruktion des klassischen antiken Roms beteiligt, vgl.Visser, Romke: Fascist Doctrine and the Cult of the Romanità. In: Journal of Contemporary History 1 (1992). S. 5 – 22, hier S. 10 – 11. Der junge Germanist Giaime Pintor genoss das Privileg, den weitaus älteren Manacorda duzen zu dürfen, während nicht wenige Personen ihn mit „Maestro“ betitelten. Pintors Anrede lautete „Guido“. Noch bis 1943 waren sie in direktem Kontakt, vgl. Giaime Pintor an Guido Manacorda, Brief ohne Datum. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, I. Vgl. Guido Manacorda an Ortona, Brief vom 14. Juni 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Fasc. Carteggio politico-religioso, Sottofasc. Ministero Esteri. Vedovato: Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede, S. 116. Dieser Teilnachlass besteht aus einer sechzehnseitigen Rechtfertigungsschrift Manacordas über sein Verhältnis zum Faschismus und zu Mussolini, die dieser zwischen dem 13. und 14. Juni verfasste. Außerdem im Anhang Berichte über seine drei letzten Gespräche mit Mussolini vom 6. Juli und 13. Dezember 1943 sowie vom 22. Mai 1944 (Colloquio XXX–XXXII). Über alle drei Gespräche liegen auch Manacordas Notizen im Nachlass in der Sapienza vor. Außer dem Brief an Hitler enthält der
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Nazionale in Florenz inventarisiert und ist noch nicht zugänglich.¹⁷¹ Im Nachlass Manacordas in der Sapienza findet sich dazu eine Visitenkarte des ebenfalls beteiligten Richters Massimo Pilotti mit einer Nachricht an Manacorda, die möglicherweise am 6. September 1943 verfasst wurde. Sie belegt zum einen den Kontakt zu Pilotti, der offensichtlich zwischen Manacorda und dem Außenministerium vermittelte, und zum anderen die Anwesenheit des Professors in Rom: Darin entschuldigt sich Pilotti, im Außenministerium blockiert gewesen zu sein. Er wolle Manacorda aber am nächsten Tag treffen.¹⁷² Auch Pariani, so ist seinem Briefwechsel mit Manacorda zu entnehmen, war daran beteiligt und bereit, für das Badoglio-Regime zu arbeiten. Jedenfalls hatte er Mühe, sich von dieser Aktion zu distanzieren, als nach der Gründung der italienischen Sozialrepublikim „Regime fascista“ vom 1. Oktober 1943 ein Artikel mit dem Titel „Badoglio e i suoi generali“ erschien.¹⁷³ Er habe niemals mit einem jüdischen General zu tun gehabt und habe Marschall Badoglio im August 1944 nur einmal getroffen.¹⁷⁴ Er sei am 6. September nach Rom gekommen, wo ihn der König zum Botschafter ernannt habe.Von einem Waffenstillstand und den Verhandlungen sei nicht die Rede gewesen. Er habe sich dann am 17. September dem deutschen Botschafter Rahn zu Verfügung gestellt. Nach ihrer Konstituierung sei er, Pariani, der faschistisch-republikanischen Partei beigetreten. Handschriftliche Kopien seiner Briefe an den „Duce“ und an die „Regime fascista“ schickte er an Manacorda, wohl mit dem Hintergedanken, bei etwaigen Verhören die Aussagen abstimmen zu können. Manacorda war diesbezüglich offener: Er berichtete Pino Guarnieri, er sei im Juli und im September 48 Stunden vor
Nachlass einen Brief von Ettore Janni vom 9. August 1943 und von Alberto Pariani vom 30. September 1943. Der Brief von Janni liegt ebenfalls im Nachlass Manacorda in der Sapienza vor. Auf ihn wird unten Bezug genommen. Manacorda übergab diese Dokumente, die ihn entlasten sollten, Vedovato, vgl. Vedovato: Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede, S. 96. Wie Vedovato schreibt, sei Manacorda von General Alberto Pariani, der von der Badoglio-Regierung als Botschafter nach Berlin berufen wurde, sowie von Massimo Pilotti und vom deutschen Gesandten beim Heiligen Stuhl von Weizäcker dazu ermutigt worden, in einem Brief Hitler um eine Audienz zu bitten, um mit ihm über das deutsch-italienische Verhältnis zu sprechen. Ich danke Prof. Fabio Bertini von der Universität Florenz für die freundliche Zusendung des Manacorda-Briefes an Hitler. Undatierte handschriftliche Notiz von Massimo Pilotti auf dessen eigener Visitenkarte. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 2˚ Semestre I. Der 6. September 1943 war ein Montag. Vgl. auch Massimo Pilotti, Brief vom 2. September 1943, ebd.: Darin lud er Manacorda zu sich nach Rom ein. Abschrift eines Briefes von Alberto Pariani an den Direktor von „Regime fascista“, Brief aus Malcesine vom 3. Oktober 1943, ebd. Sein Verhältnis zum Marschall sei immer rein dienstlich gewesen. Manacorda und Pariani (1876 – 1955) führten 1943/44 einen intensiven Briefwechsel. Im Frühjahr 1944 trafen sie sich in Verona, vgl. Alberto Pariani an Guido Manacorda, Brief vom 30. April 1944, ebd. Abschrift eines Briefes von Alberto Pariani an Benito Mussolini vom 3. Oktober 1943, ebd. Dem „Duce“ schrieb er, er habe nur einmal im August 1943 von Tirana aus Badoglio um Instruktionen gebeten. DDI. Nona Serie: 1939 – 1943. Bd. X. 7. Februar – 8. September 1943. Roma 1990, Dok. 753, S. 916 – 917. Ein ähnlicher Brief Parianis an Außenminister Guariglia aus Tirana, in dem er über die Lage in Albanien berichtet, datiert vom 2. September 1943.
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dem Waffenstillstand in Rom gewesen und habe an höchster Stelle vorgesprochen, um einen ehrenvollen Ausweg zu finden.¹⁷⁵ Diese Äußerung legte tatsächlich ein von Deutschland toleriertes Ausscheiden Italiens aus dem Achsenbündnis nahe. Das an den „Führer“ gerichtete Schreiben Manacordas datierte vom 6. September 1943. Verfasst wurde es in der Grande Albergo. In kurzen, einleitenden Bemerkungen nahm der Professor auf seine Vermittlungstätigkeit zwischen 1935 und 1937 Bezug. Die zentrale Passage hat folgenden Wortlaut: Heute, in einer neuen schicksalsvollen Stunde, erlaube ich mir Ew. Exc. um eine Audienz wärmstens zu bitten. Ich habe seit lange[m] das begründete Gefühl, dass Ew. Exz. nicht Alles, oder wenigstens nicht Alles richtig Kund getan worden ist. Um so mehr halte ich [es] für meine strenge Pflicht Ew. Exz. über die letzten politischen Ereignisse und über die wirklichen politischen militärischen psychologischen Zustände Italiens vollständig und wahrheitsgetreu zu berichten. Möge es, wie ich es aus vollem Herzen wünsche, zum Heile unserer beiden Nationen und des neuen Europas gelingen!¹⁷⁶
Die Zusammenarbeit mit dem Badoglio-Regime blieb eine folgenlose Episode. Es war mit dem Mussolini-Freund Ardengo Soffici auch ein dem katholischen Glauben fernstehender Faschist, der den Kampf für die alte Sache wiederaufnahm, indem er an ein nationales Sammlungsprojekt anknüpfte, das er zuammen mit Manacorda, Papini und Gentile schon vor dem Zusammenbruch des Regimes realisieren sollte. Der jahrzehntealte Zwist zwischen Katholiken und Aktualisten wurde somit in der Stunde der Not, vor dem Scheitern der gemeinsamen faschistischen „Leitidee“, im Sinne eines Burgfriedens aufgeschoben. Soffici setzte nun auf die am 23. September propagierte Republik. Die faschistischen Katholiken Papini und Manacorda rangen sich dazu nur zögerlich durch. Zumindest am Anfang unterstützte ihn aber Papini bei der Gründung einer Zeitschrift mit dem Titel „Italia e Civiltà“. Allerdings riet Papini dazu, die kompromittierte Partei in den Hintergrund treten zu lassen.¹⁷⁷ An dem Zeitungsprojekt „Italia e Civiltà“ sei
Guido Manacorda an Pino Guarnieri, Brief vom 22. Oktober 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 2˚ Semestre, II, Sottfasc. Associazione Italo-Germanica. Guido Manacorda an Adolf Hitler, Brief vom 6. September 1943. In: Biblioteca nazionale centrale Florenz, Archivio Vedovato. Eine solche Haltung hatte Papini auch schon als Direktor des „Frontespizio“ vertreten. Die beiden letzten Jahre der Existenz des „Frontespizio“ waren durch Papinis intransigenten, tendenziell dogmatischen und selbstreferentiellen Katholizismus geprägt gewesen. Dies geschah zum Verdruss von Barna Occhini, dem Schwiegersohn Papinis, und vor allem von Soffici, für den Politik gelebte Kunst war. Beide hätten eine noch stärkere politische Ausrichtung bevorzugt. Barna Occhini hieß eigentlich Carlo Luigi Occhini. Er wurde 1905 geboren und starb 1978. Er war Sohn des berühmten Kunsthistorikers Pier Ludovico Conte Occhini (1875 – 1941) und Mitarbeiter des „Marzocco“. Am 18. Mai 1933 heiratete Occhini Gioconda, die Tochter Papinis. Über seinen Schwiegervater kam er zum „Frontespizio“, wo er zunächst zusammen mit Soffici für den Bereich der Bildenden Künste zuständig war, bevor er von 1939 – 1940 als Chefredakteur amtierte. Seinen Künstlernamen „Barna“ entlehnte er von einem Freskenmaler des „Trecento“ aus San Gimignano, vgl. Bartolini, Simonetta: La breve avventura
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vermutlich auch Manacorda beteiligt gewesen, der Papini im April 1943 ein Programm zur Gründung der Zeitschrift zugeschickt hatte, schrieb Mario Richter, der den Briefwechsel zwischen Papini und Soffici edierte.¹⁷⁸ Tatsächlich findet sich im Nachlass Manacordas eine entsprechende Denkschrift vom 21. April 1943. Bezüglich der programmatischen Ausrichtung der Zeitschrift heißt es darin: Eine Gruppe von Schriftstellern, Künstlern und Kulturschaffenden will eine Wochenschrift mit dem Titel ‚Italia e Civiltà‘ herausgeben: Zu dieser Gruppe gehören Giovanni Gentile, Giovanni Papini, Ardengo Soffici, Guido Manacorda und andere Persönlichkeiten des intellektuellen Italiens. Das Periodikum will die Kultur aufrufen, sich an der Wiedergeburt Italiens zu beteiligen.¹⁷⁹
Drei von ihnen ersuchten Mussolini, so der Schlusssatz, um eine Audienz, um das Projekt konkret vorzustellen. Somit war das Zeitungsprojekt durchaus mit der Beteiligung der „Frontespizio“-Gruppe geplant, wie aus einer Anlage zum Entwurf eines Briefes von Giovanni Gentile an das Ministerium für Volkskultur hervorgeht. Der neue Erziehungsminister Biggini hatte Papini im Mai mitgeteilt, dass Mussolini das Projekt gutgeheißen habe. Manacorda, der in Oberitalien antibolschewistische Konferenzen hielt, wollte darüber in einer Audienz verhandeln.¹⁸⁰ Nach Ausrufung des Waffenstillstands durch die Badoglio-Regierung am 8. September 1943 hatte Papini die Hoffnung an einen siegreichen Krieg endgültig aufgeben. Er schrieb an seinen Schwiegersohn, das bedeute das Ende seines 40-jährigen Glaubens an das italienische Volk. Er lehnte daher jede weitere aktive Beteiligung an der Zeitschrift ab¹⁸¹ und behielt diese Haltung auch bei. Tatsächlich erschienen auch keine Artikel Papinis darin.¹⁸² Occhini war hingegen gewillt, weiterzukämpfen und schrieb fast den größten Teil der Artikel unter wechselnden Pseudonymen selbst. Auch von Manacorda erschienen keine Beiträge. Die erste Nummer von „Italia e Civiltà“ titelte hingegen mit einem Appell von Giovanni Gentile, der sich weiter für den Faschismus öffentlich engagierte, an die Italiener, sich unter der Fahne der Republik zu scharen.¹⁸³
di „Italia e Civiltà“. Una rivista teorica di intellettuali toscani nella RSI. In: Nuova Storia contemporanea 5 (2000). S. 85 – 112, hier S. 85 – 87. Giovanni Papini an Ardengo Soffici, Brief vom 21. April 1943. In: Giovanni Papini – Ardengo Soffici Carteggio. Bd. 4: 1919 – 1956. Dal primo al secondo dopoguerra. Hrsg.von Mario Richter. Roma 2002, S. 234. Vgl. Minuta mit der Anrede „Duce“ vom 21. April 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. Papini, Soffici ecc. (Giornale) sowie Bartolini: La breve avventura di „Italia e Civiltà“, S. 95. Giovanni Papini an Ardengo Soffici, Brief vom 4. Mai 1943. In: Giovanni Papini – Ardengo Soffici Carteggio, Bd. 4, S. 234– 235. Giovanni Papini an Barna Occhini, Briefe vom 20. September 1943 und 10. Januar 1944. In: Bartolini: La breve avventura di „Italia e Civiltà“, S. 89 u. 92. Giovanni Papini an Ardengo Soffici, Brief vom 21. April 1943. In: Giovanni Papini – Ardengo Soffici Carteggio, Bd. 4, S. 248. Gentile, Giovanni: Questione morale. In: Italia e Civiltà vom 8. Januar 1944. S. 1.
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Der verantwortliche Direktor appellierte an gleicher Stelle an die Intelligenz, den Geist und den Charakter, um gegen die Schmach des 8. Septembers anzukämpfen.¹⁸⁴ Manacorda fühlte sich trotzdem weiter verpflichtet, für die Achse propagandistisch zu wirken. Die Luftangriffe auf Norditalien verhinderten dieses Vorhaben zunächst, denn in Mailand war der Palazzo der italienisch-deutschen Vereinigung in der Via Fatebenefratelli nur noch ein Trümmerhaufen. Guarnieri berichtete, dass die Büros provisorisch im Pförtnerhaus und im Freien untergebracht seien, nachdem bei einem Bombenangriff in der Nacht des 13. August 1943 das Gebäude völlig ausgebrannt sei. Ähnliches gelte für zahlreiche weitere Tagungsorte.¹⁸⁵ Auch Manacorda war vor den Bombardements in Florenz nach Pontassieve per Travignoli ausgewichen. Er arbeitete an neuen Untersuchungen. In Deutschland sei eine Anthologie seines religiösen, geistigen und poetischen Werks in Vorbereitung.Viele junge Menschen und Gruppierungen aus Florenz, Mailand und Rom hätten sich an ihn gewandt, damit er ihnen einen Weg aufzeige. Er sei auch einige Tage in Rom gewesen, wolle aber nur mündlich darüber berichten, worauf es dort hinauslaufe, gab er einen vagen Hinweis auf den Brief an Hitler.¹⁸⁶ Darüber hinaus hielt er, wo er nur konnte, weiter seine Vorträge und hoffte auf eine Stabilisierung der Front.¹⁸⁷ Immerhin konnte er Ende August in Perugia über D’Annunzio vortragen.¹⁸⁸ Der „Corriere della Sera“ hatte sich im Juli 1943 im politischen Vakuum der Badoglio-Regierung vorübergehend von der faschistischen Bevormundung befreit. Die neue Redaktion schickte seinen letzten Artikel mit der Begründung zurück, die politische Neuausrichtung des „Corriere della Sera“ kündigte ihm angesichts dessen „heißen Konsenses“ zum Faschismus den Status als Mitarbeiter auf.¹⁸⁹ Nach der Ausrufung der Republik schickte Manacorda diesen Brief und seinen abgelehnten Artikel wieder an die Redaktion unter dem neuen Direktor Ermanno Amicucci, der vorbehaltlos für die Sache Salòs eintrat.¹⁹⁰ Noch einmal kam der Faschismus nach Mittel- und Norditalien zurück. Denn im Herbst 1943 gelang es den Faschisten, sich mit deutscher Hilfe in Mittelund Norditalien zu etablieren. Die Staatlichkeit der faschistischen Sozialrepublik und vor allen Dingen ihre Autonomie gegenüber den Deutschen ist von der italienischen
Occhini, Barna: Prima la qualità. In: Italia e Civiltà vom 8. Januar 1944. S. 1. Pino Guarnieri an Guido Manacorda, Brief vom 19. u. Postkarte vom 25. August 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, II. Guido Manacorda an Beltramini vom Sansoni-Verlag, Brief vom 16. September 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 2˚ Semestre, II. Vgl. Guido Manacorda an Präsident Don Giovanni Rossi. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre II, A.–CTI. Manacorda schrieb an den Podestà von Assisi im August 1943. Er unterrichte in Perugia wie geplant über D’Annunzio, vgl. Guido Manacorda an Analdo Fortini, Brief vom 27. August 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, II. Direktor Ettore Janni an Guido Manacorda, 9. August 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 2˚ Semestre, II, Sottfasc. Associazione Italo-Germanica, Sottofasc. Corriere della Sera. Guido Manacorda an Ermanno Amicucci, Brief vom 4. Oktober 1943, ebd.
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Forschung bis in die 1990er Jahre angezweifelt worden.¹⁹¹ Diese Frage kann hier nicht diskutiert werden. Festgestellt werden soll in diesem Zusammenhang nur, dass die Republik von Salò ein beachtliches polizeiliches und militärisches Potential mobilisieren konnte, staatliche Strukturen schuf und innenpolitisch ein wenn auch jederzeit gefährdetes prekäres Gewaltmonopol durchsetzte, das für die Bevölkerung eine Realität darstellte. Auf dem Kongress von Verona vom 14. bis 16. November 1943 wurden die politischen Grundsätze der neuen Sozialrepublik vorgelegt. In dem von Pavolini verfassten Manifest war von der Abschaffung des kapitalistischen Systems und vom Kampf gegen die Plutokratien der Welt die Rede. Bezüglich der Religionspolitik blieb formal alles beim Alten. Die Religion der Republik, die katholische Religion, sollte auf Vorschlag Pavolinis besonders geschützt werden, was allerdings auf dem Kongress keinen ungeteilten Beifall hervorrief.¹⁹² In der Folge gelang der Republik von Salò ein beträchtlicher Mobilisierungserfolg. So stieg die Stärke der Streitkräfte im April 1944 auf ca. 245.000 Mann an, ebenso hoch sollen die Mitgliedszahlen der faschistisch-republikanischen Partei gewesen sein. Hinzu kamen Polizei- und Milizverbände mit einer Stärke von noch einmal 130.000 Mann. Diese relativ bedeutende Konsolidierung belegt auch der Umstand, dass die kommunistische Führung Giovanni Gentile ermorden ließ, dessen Sammlungsappelle offensichtlich verfingen.¹⁹³ Zumindest teilweise erreichte die Sozialrepublik auch den Klerus. Im Herbst hatte sich die Lage damit so weit stabilisiert, dass Manacorda seine Vortragsreisen für die italienisch-deutsche Vereinigung in Zusammenarbeit mit Guarnieri wieder aufnahm.¹⁹⁴ Sein in Nähe der Bahnlinie gelegenes Haus war zwar beim Bombenangriff auf Florenz vom 25. September unversehrt geblieben, lag aber inmitten eines zerstörten Viertels, sodass er es nun völlig räumte. Er überlegte, nach Mailand zu gehen und schloss für sich den Ruf eines Ministeriums nicht aus. Am 6. Dezember hielt er Vorträge zur Wiedereröffnung der Associazione italo-germanica in Como, Varese und weiteren norditalienischen Städten.¹⁹⁵ Auch der Treccani-Verlag wollte mit Manacorda sprechen, worüber sich Manacorda sehr freute.¹⁹⁶ Er hatte außerdem „Civiltà nordico-germanica“ sowie „Dante e Goethe“ im Gepäck.¹⁹⁷ Außerdem fuhr er nach Salò, wo er kurz vor Weihnachten 1944 Mussolini traf.¹⁹⁸ Den „Duce“ habe er in
Vgl. u. a. Bocca: La repubblica di Mussolini. Lepre, Aurelio: La storia della repubblica di Mussolini.Milano 2000, S. 118. Klinkhammer, Lutz: Zwischen Bündnis und Besatzung. Das nationalsozialistische Deutschland und die Republik von Salò 1943 – 1945 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 75). Phil. Diss. Tübingen 1993, S. 565. Guido Manacorda an Pino Guarnieri, Brief vom 1. November 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 2˚ Semestre, II, Sottfasc. Associazione Italo-Germanica. Pino Guarnieri an Guido Manacorda, Brief vom 25. November 1943, ebd. Guido Manacorda an Pino Guarnieri, Brief vom 28. November 1943, ebd. Ders. an dens., Brief vom 1. Dezember 1943, ebd. Ders.an dens., Brief datiert mit Weihnachten 1943, ebd.
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„Bestform“ vorgefunden, schrieb er Hans Thomsen nach Berlin.¹⁹⁹ Er habe sich nicht vorstellen können, dass sich sein Land einer so harten Probe unterziehen müsse. Aber im kommenden Frühling könne es wieder erblühen, führte er an. Darüber hinaus machte der Professor dem Minister für Volkskultur Mezzasoma Vorschläge für den Aufbau der Republik mit geeigneten Personen.²⁰⁰ Abschließend bat Manacorda Mezzasoma, Mussolini seine Wünsche für das bevorstehende schwere und entscheidende Jahr mitzuteilen. Mezzasoma seinerseits akzeptierte alle Vorschläge Manacordas.²⁰¹ Seine Rolle war also durchaus politisch und nicht nur passiv. Ende des Jahres 1944 führte Manacorda ein weiteres wichtiges Gespräch, und zwar mit dem deutschen Botschafter bei der Italienischen Sozialrepublik Rudolf Rahn ²⁰², in der Dienststelle Rahn in Fasano in der Nähe von Salò. Der Professor war von Rahns energischer Art beeindruckt. Wäre er schon früher in Italien gewesen, wären die Dinge anders verlaufen, äußerte er.²⁰³ Manacorda hätte ihm sogar zugetraut, den Abfall Italiens von der Achse zu verhindern. Er verfolge weiter seinen Plan, schrieb er an Thomsen.²⁰⁴ Mitte Januar 1944 traf Manacorda Erziehungsminister Biggini in Florenz.²⁰⁵ Wie Minister Mezzasoma legte er auch Biggini eine Liste mit geeigneten Mitarbeitern vor. Seine Vorschläge hatte er nach Einfallsreichstum, kultureller Erfahrung und Rechtschaffenheit in drei Kategorien, nicht aber nach politischer Orthodoxie und administrativer Eignung ausgewählt.²⁰⁶ Sein Biggini gegenüber geäußertes Bekenntnis zum Endsieg war wiederum katholisch geprägt.²⁰⁷ Auch gegenüber
An Thomsen schrieb Manacorda im März 1944, er sei während der Krise im September in Rom gewesen. Vgl. Guido Manacorda an Hans Thomsen, Brief vom 9. März 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Thomsen. Guido Manacorda an Fernando Mezzasoma, Brief vom 29. Dezember 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Cultura Popolare Mezzasoma. Fernando Mezzasoma an Guido Manacorda, Brief vom 23. Februar 1944, ebd. In den Memoiren Rahns (1900 – 1975) taucht der Name Manacordas nicht auf, wie überhaupt seine Ausführungen sehr allgemein sind und offensichtlich in der Absicht geschrieben wurden, sich selbst zu entlasten, vgl. Rahn, Rudolf: Ruheloses Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Düsseldorf 1949, S. 222– 261. Rahn war am 10. September 1943 erst zum Bevollmächtigten des Reiches bei der faschistischen Nationalregierung und im November zum Botschafter in der Dienststelle Rahn in Fasano berufen worden, vgl. Conze, Eckart, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. 3. Aufl. München 2010, S. 269 – 272. Guido Manacorda an Fernando Mezzasoma, Brief vom 29. Dezember 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Cultura Popolare Mezzasoma. Vgl. Guido Manacorda an Hans Thomsen, Brief vom 9. März Februar 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Thomsen. Guido Manacorda an Biscottini, Brief vom 13. Januar 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Fasc. Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Educazione Nazionale Biggini, Biscottini. Guido Manacorda an Carlo Alberto Biggini, Brief vom 31. Januar 1944, ebd. Vgl. Guido Manacorda an Carlo Alberto Biggini, Brief vom 7. Januar 1944, ebd.
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Biscottini vom Erziehungsministerium stellte er seine Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit heraus.²⁰⁸ Mezzasoma ernannte Manacorda im Februar 1944 zum Consultore pratico della Associazione Italo-Germanica. ²⁰⁹ Manacorda nahm auch an Besprechungen zwischen dem Präfekten von Florenz und dem deutschen Kommandanten teil.²¹⁰ Außerdem suchte der Präfekt seinen Rat bei der Zusammenstellung von Mitgliedern für die Sektion der Associazione Italo-Germanica in Florenz.²¹¹ Das faschistische Kulturinstitut von Venedig und die Ortsvereine der Deutsch-Italienischen Gesellschaft von Mailand und Verona luden ihn zu einem Vortrag über den Bolschewismus und die Universität Triest zu einem Dante-Vortrag ein. Aufgrund von Krankheit und Bombenangriffen verschob er seine Reise.²¹² Im Winter 1944 hatte er seine Lehrtätigkeit an der wiedereröffneten Universität von Florenz erneut aufgenommen.²¹³ Sogar aus dem Reich kam wieder eine Einladung: Die Akademie für Jugendführung der HJ in Braunschweig, die kriegsversehrte HJFührer für zivile Führungsaufgaben ausbildete, lud Manacorda ein, einen Vortrag über das Thema Romanität und Germanentum zu halten. Er, der sonst jede Gelegenheit für eine Auslandsreise besonders nach Deutschland ergriffen hatte, sagte aber u. a. aufgrund der „allgemeinen Lage“ ab.²¹⁴ Ganz offensichtlich wollte er sich nicht kompromittieren. Der Direktor des „Corriere della Sera“ Ermanno Amicucci bat Manacorda, Artikel zu schreiben über den Antikatholizismus Großbritanniens, die Freundschaft Deutschlands, das entgegen der Proklamation des Königs nicht der jahrhundertealte Erbfeind Italiens sei, sondern im Gegenteil seit der nationalen Einigung und bis heute die deutsch-italienische Verbindung herausgebildet habe, die wichtig sei für die Freiheit und die Unabhängigkeit Europas. Dies lehnte er jedoch mit
Vgl. Segreteria Particolare del Ministero Carlo Alberto Biggini an Guido Manacorda, Telegramm vom 14. Januar 1944, ebd. Guido Manacorda an Fernando Mezzasoma, Brief vom 13. Februar 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Fasc. Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Cultura Popolare Mezzasoma. Guido Manacorda an Carlo Alberto Biggini, Brief vom 31. Januar 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Educazione Nazionale Biggini, Biscottini. Prefettura di Firenze an Guido Manacorda, Brief vom 18. März 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Prefettura. Guido Manacorda an Fernando Mezzasoma, Brief vom 23. Januar 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Cultura Popolare Mezzasoma. Guido Manacorda an Carlo Alberto Biggini, Brief vom 7. Januar 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Educazione Nazionale Biggini, Biscottini. Hauptgefolgschaftsführer Held an Guido Manacorda, Brief vom 19. Juli 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 2˚ Semestre, II, Sottfasc. Associazione Italo-Germanica, Sottfasc. Conferenze Braunschweig.
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dem Hinweis ab, dass er keinen Zugriff mehr auf seine Bibliothek habe.²¹⁵ Stattdessen wollte Manacorda gegen Croce vorgehen und seine Diktatur aus den Angeln heben, was wiederum Amicucci für nicht so relevant hielt.²¹⁶ In der Folge nahm er seine Mitarbeit wieder auf und seine Artikel zu Themen wie der christlichen Symbolik des Mittelalters, zu den Burgen Friedrich des Großen, zu Dürer und zur Villa Doria Pamphilj wurden auch in rascherer Folge als zuvor abgedruckt. Dafür musste er jedoch auf Wunsch des „Corriere“ seine Tätigkeit für die „Nazione“ und den „Piccolo“ einstellen.²¹⁷ Die von Jolanda De Blasi organisierte Lyceum-Konferenzreihe „Santi italiani“, die von März bis Mai 1944 unter dem Patronat der Stadt Florenz und mit Genehmigung des Kardinal-Erzbischofs von Florenz abgehalten wurde, passt in dieses apolitsche Schema. Manacorda hielt am 29. März den Auftaktvortrag über den Heiligen Bernhard. Für den Monat Mai plante er Vorträge in Bergamo²¹⁸, Bologna und Venedig.²¹⁹ Er wolle auch seinen Plan wiederaufnehmen, schrieb er an den ihm seit den Tagen von Ripafratta bekannten Goffredo Coppola, den Rektor der Universität von Bologna während Salò, der mit Mussolini in Dongi füsiliert wurde.²²⁰ Der bereits vor 1938 stark antisemitische Coppola war im August 1943 inhaftiert worden.²²¹ Nach seiner Befreiung trat er in die neue faschistische republikanische Partei ein, leitete das Bologneser Parteiblatt „L’Assalto“ und wurde Anfang 1944 Präsident des Istituto nazionale di cultura fascista. Er war ein entschiedener Befürworter der Kollaboration mit dem Reich.²²² Manacorda wandte sich also an einen fanatischen Faschisten. Kontakt hatte er auch mit dem aufgrund einer im Krieg erlittenen Augenverletzung sehr gehandicapten, gemäßigten Journalisten Carlo Borsani bis Sommer 1944, dem Direktor der Zeitung „Repubblica fascista“, die auf Wunsch Mussolinis im Frühjahr 1944 gegründet wurde. Über sein letztes Gespräch mit Mussolini vom 22. Mai 1944 geben seine stichpunktartigen Aufzeichnungen Aufschluss: Er überbrachte seinem „Duce“ einen Augenzeugenbericht über die Situation in Südtirol²²³, vor allen Dingen mit den Ereig-
Ermanno Amicucci an Guido Manacorda, Brief vom 4. Oktober 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 2˚ Semestre, II, Sottfasc. Corriere della Sera. Guido Manacorda an Ermanno Amicucci, Brief vom 3. November 1943, sowie Ermanno Amicucci an Guido Manacorda, Brief vom 8. November 1943, ebd. Guido Manacorda an Ermanno Amicucci, Brief vom 31. Dezember 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 2˚ Semestre, II, Sottfasc. Corriere della Sera. Pino Guarnieri an Guido Manacorda, Brief vom 18. April 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, 1˚ Semestre II, Associazione Italo-Germanica, Guarnieri Conferenze MilanoBergamo. Am 24. Mai sollte er über „La civiltà eterna di Roma“ sprechen. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Coppola. Guido Manacorda an Goffredo Coppola, Brief vom 3. März 1944, ebd. Cinti: Il Rettore della RSI, S. 23 f. u. 179 f. Ebd., S. 26. Relazione del Legionario Renato Perricone. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio religioso-politico 1944, 1˚ Semestre, Sottofasc. Duce, Colloquio XXXII.
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nissen in Bozen nach dem 8. September. Hier berührte Manacorda tatsächlich einen wunden Punkt im Verhältnis zwischen dem Reich und Salò. Deutsche Inschriften hätten italienische ersetzt. Der Südtiroler Ordnungsdienst habe die Büsten von Filzi und Battisti am faschistischen Siegesdenkmal jenseits der Etsch zerstört. Der Exodus der Italiener habe begonnen, als einzige Zeitung sei nur der „Trentino“ noch in Bozen erhältlich. Die Miliz sei binnen 24 Stunden vertrieben worden. Die italienische Bevölkerung verhalte sich passiv abwartend. Auf zwei Geheimsitzungen der Faschisten sei sogar die Absetzung Mussolinis gefordert worden. Sie verlangten die sofortige Intervention des „Duce“ beim „Führer“. Der Bericht Manacordas entsprach im Wesentlichen den Tatsachen: Die Agonie der italienischen Bevölkerung und des PNF hatte schon mit der Absetzung Mussolinis im Juli eingesetzt.²²⁴ Nach dem Verbot der Partei durch die Deutschen im September wurden ihre Strukturen und die ihrer Organisationen in kurzer Zeit zerschlagen, faschistische Denkmäler beschädigt oder ganz geschleift, wie die genannte Büste Battistis oder die Alpinistatuen in Bruneck oder Meran. Weitgehend ohne Erfolg blieben auch die Versuche, eine klandestine faschistische Organisation aufzubauen.²²⁵ Als sich am 22. April 1944 Hitler und Mussolini in Schloss Klessheim trafen, hatte sich Mussolini besorgt über die Operationsgebiete geäußert.²²⁶ In den Manacorda-Unterlagen über sein Gespräch mit dem „Duce“ findet sich auch ein Textauszug aus den sog. Protokollen der Weisen von Zion in der römischen Ausgabe von 1939des „Principe N. Gewakhow“, der auf Preziosi Bezug nimmt.²²⁷ Preziosi befasse sich nur akademisch, aber nicht politisch mit dieser Frage, schreibt Gewakhow darin²²⁸, denn er sehe darin keine Bedrohung des Christentums und auch nicht des Staates.²²⁹ Weil ein Gesprächsprotokoll der Unterredung Manacordas mit Mussolini fehlt, müssen die Umstände, in denen dieses Zitat Verwendung fand, im Dunkeln bleiben. Allerdings ist der darin enthaltene Hinweis, dass der Antisemitismus Kirche und Staat nicht bedrohten, offenkundig. Er scheint Manacorda wichtig gewesen zu sein, sonst hätte er das Zitat in der knapp bemessenen Zeit nicht vorgelegt. Möglicherweise war es gegen Preziosi gerichtet. Zugleich setzte sich Manacorda für
Lechner, Stefan: Der PNF zwischen Brenner und Salurn. In: Die Region Trentino-Südtirol im 20. Jahrhundert. Bd. 1: Politik und Institutionen. Hrsg. von Giuseppe Ferrandi und Günther Pallaver. Trento 2007. S. 375 – 400, hier S. 399. Ebd., S. 400. Lepre: La storia della repubblica di Mussolini, S. 169. Gewakhow, N. D.: Il retroscena dei Protocolli di Sion: la vita e le opere del loro editore Sergio Nilus e del loro autore Ascer Ghinsberg. Roma 1939. De Michelis zitiert exakt diese Passage und weist auf Gewakhows Verbindungen zu faschistischen Gerarchen wie Solmi und Rocco hin, vgl. De Michelis, Cesare G.: The Non-Existent Manuscript. A Study of the Protocols of the Sages of Zion. Lincoln (Nebraska) 2004, S. 158 f. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio religioso-politico 1944, 1˚ Semestre, Sottofasc. Duce Colloquio XXXII.
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einen im Reich internierten Soldaten ein, der seine Einberufung in die Salò-Armee beantragte.²³⁰ Außerdem verwandte er sich für einen vermeintlichen Antifaschisten.²³¹ Ein weiteres Beispiel für seine inhaltliche, auch inhaltlich mediale Zurückhaltung war neben Presse und Vortragstätigkeit das Radio: Manacorda kam auf das Angebot von Fernando Mezzasoma, dem Minister für Volkskultur, zurück, Rundfunkvorträge zu halten.²³² Manacorda bot ihm an, im Radio zu sprechen, und zwar über religiöse bzw. politisch-religiöse Themen, ohne die jetzigen harten Ereignisse zu verschweigen.²³³ Das sei seines Erachtens auch wirksamer als Polemik. Darüber habe er auch mit Mussolini gesprochen. Offenbar hat sich sein faschistisch-katholisches Glaubensbekenntnis erneut zu einer Rückwendung zur christlichen Mystik verschoben. Jetzt plötzlich nahm er – wie in den 1920er Jahren – wieder die Rolle des Mahners ein. Eindeutig hatte sich jetzt sein Schwerpunkt auf den religiösen Bereich gewandt. So tragen seine Faszikel 1944 nicht mehr das Attribut „Carteggio politico-religioso“, sondern umgekehrt „religioso-politico“. Mezzasoma schrieb er, er wolle seiner religiösen und politisch-religiösen Berufung folgen. Seine Themenvorschläge repräsentierten in der Tat nicht unbedingt das Programm, das sich die faschistische Sozialrepublik in Verona gegeben hatte: „Conciliazione“, „S. Benedetto“, „La Passione“, die Wiederauferstehung, die Heilige Katharina von Siena und Christi Himmelfahrt nannte er. Diese Themen folgten seinem Geist der Wahrheit, der Poesie und der Romanität und er werde auch eindeutig auf die jetzige schwere Lage Bezug nehmen: „Entspringen nicht den Lehren des Heiligen Benedikt und der Heiligen Katharina wunderbare Maßstäbe für unseren heutigen gesellschaftlichen und politischen Alltag?“, fragte er rhetorisch.²³⁴ Der Wiederaufbau, so seine jetzige Überzeugung, sei wichtiger als die Polemik. Außerdem entspreche diese Haltung seinem Willen, die Verbindung zwischen Staat und Kirche zu stärken. Dafür stehe auch sein Programm, das sicherlich die italienischen und ausländischen Katholiken, die der neuen Regierung in Salò bisher entweder schwankend oder feindlich gegenüberstünden, dazu veranlassen würde, die Positionen, welche die Regierung offiziell und glücklicherweise gegenüber dem Katholizismus eingenommen habe, zu akzeptieren. In seinem Gespräch vom
Es handelte sich um den Tenente del Genio, Mario Gambassi, Parteimitglied seit 1920, Squadrist im Stammlager 366, Zweiglager in Biala Podlaska G. G., Sekretär der GUF in Florenz, Vice Federale Federazione Fascista in Arezzo bis zum 25. Juli 1943, er habe schon zweimal die Einberufung in die Armee von Salò beantragt, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio religiosopolitico 1944, 1˚ Semestre, Sottofasc. Duce Colloquio XXXII. Ismaele Mario Carrera, der sich während der Badoglio-Zeit kompromittiert hatte, saß im Gefängnis ein. Ein politischer Lebenslauf sowie ein Brief desselben finden sich ebd. Guido Manacorda an Fernando Mezzasomo, Brief vom 29. Dezember 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Cultura Popolare Mezzasoma. Vgl. Guido Manacorda an Fernando Mezzasomo, Brief vom 29. Dezember 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944 Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Cultura Popolare Mezzasoma. Ebd.
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13. Dezember 1943 mit Mussolini habe der „Duce“ dieser Politik der Sammlung zugestimmt.²³⁵ Tatsächlich konnte man das Wirken der Heiligen Katharina von Siena durchaus als Ausdruck der Romanität deuten, hatte sie doch den Papst wieder von Avignon nach Rom zurückgeholt. Das konnte als römischer Neubeginn parallel zur neuen Sozialrepublik verstanden werden. Jederzeit konnte sich Manacorda aber auch mit ihrer religiösen Kernbedeutung herausreden. Er, Manacorda, wolle einen, nicht spalten.²³⁶ Es muss offen bleiben, ob sich Manacorda hier schon absichtlich mit unverfänglich religiösen, kunst- und kulturgeschichtlichen Themen für den Fall einer Niederlage der Sozialrepublik absichern wollte. Genauso argumentierte er schließlich nach 1945 vor der Säuberungskommission. Allerdings zeichnete sich die endgültige Niederlage der Achse bis zum Sommer 1944 noch nicht ab, waren auch andere Szenarien denkbar. Wie kann man seine Haltung bewerten? Manacorda beteiligte sich sicherlich an den Bestrebungen, die Lutz Klinkhammer unter dem Etikett der Pazifizierungsstrategien zusammengefasst hat.²³⁷ Letzterer beschreibt damit die Bestrebungen großer Teile des nationalkonservativen Bürgertums, darunter nicht zuletzt die weitgehend im Faschismus sozialisierte Verwaltungsbürokratie, aus einem Ensemble von heterogenen Motiven möglichst die bestehende Gesellschaftsordnung in die Nachkriegszeit hinüberzuretten. Diese Gruppen sprachen sich für die Dauer des Krieges für eine Conciliazione aus, um eine nationale Versöhnung, so Klinkhammer, über eine Entpolitisierung zu erreichen. Von Mussolini wurde diese Öffnung durch eine gewisse Liberalisierung der Presse unterstützt, die diesen Gruppen Raum zur Entfaltung ließ. Bekämpft worden seien diese Bestrebungen durch die intransigenten Regierungsmitglieder, vor allem von Buffarini Guidi, Mezzasoma und Pavolini, so Klinkhammer. In den ersten Monaten der Existenz der RSI war zudem das Ende noch nicht abzusehen und zumindest ein Kompromissfriede erschien den Gerarchen der RSI durchaus im Rahmen des Möglichen, sodass die Idee einer nationalen Sammlung nicht von vorneherein aussichtslos erschien.²³⁸ Wie die Deutschen so setzte auch Mussolini keinesfalls auf die Intransigenten, die Säuberungen bis in die faschistische Partei durchführen wollten, wohlwissend, dass ansonsten die soziale Basis der Republik viel zu schwach wäre.²³⁹ Gleichzeitig spann Manacorda hinter den Kulissen die Fäden und agierte weiter für die deutsch-italienische Sache. Noch zwei Monate vor dem tödlichen Attentat auf Gentile schrieb dieser Manacorda und bat ihn um Artikel für die „Nuova Antologia“.²⁴⁰ Manacorda, der explizite
Ebd. Guido Manacorda an Mario Cicognani, Brief vom 1. Februar 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Cicognani. Klinkhammer: Zwischen Bündnis und Besatzung, S. 344. Lepre: La storia della repubblica di Mussolini, S. 93. Ebd., S. 108. Giovanni Gentile an Guido Manacorda, Brief vom 24. Februar 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Gentile.
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Gegner jeder Form von philosophischem Idealismus, erklärte sich grundsätzlich bereit, konnte aber aufgrund einer schweren, möglicherweise aufgrund der schlechten militärischen Situation lediglich „politischen Grippe“ augenblicklich keinen Termin angeben und hatte deswegen ebenfalls seine Konferenzreihe in Oberitalien verschoben.²⁴¹ Die alten Polemiken zwischen Gentilismus und Thomanismus wurden erneut zurückgestellt. Dies belegt auch der Entwurf von Manacordas Kondolenzbrief an die Familie Gentiles, in dem er sich zum einen selbst stilisiert und zum anderen katholische und faschistische Elemente besonders sichtbar in seinem „Denkstil“ ineinanderfließen: Sonntag, 16 April. Meine Liebsten, in diesem Augenblick habe ich von dem Verbrechen erfahren. Ich fühle mich in meinem Geist verletzt und gar fast in meinem Fleisch als Mann, als Italiener, als Wissenschaftler, als Kamerad und Freund. Der Abgrund, in den Italien gefallen ist, ist noch viel tiefer, als ich befürchtet hatte. Gläubig kniee ich im Geiste vor dem brüderlichen Leichnam und ich bete zu Gott, dass aus so vornehmem Blut, das so ungerecht und brutal vergossen wurde, ein solches gewaltiges Licht entstehen werde, dass es unser unglückseliges Land erlösen möge. In eurem unendlichen Schmerz könnt ihr stolz sein, durch das Martyrium geweiht zu sein. Ich umarme euch. Euer Manacorda.²⁴²
Im Mai zeigte sich, dass Manacorda nicht nur Katholik, sondern auch Faschist geblieben war. Ein Wagen des Ministers für Volkskultur holte ihn am 22. Mai 1944 zu einem Gespräch nach Salò ab.²⁴³ Dort traf er am selben Tag in Fasano Botschafter Rahn.²⁴⁴ Von dieser Begegnung fertigte Manacorda ein Gesprächsprotokoll an. So ergibt sich ein interessanter Einblick in seine Gefühlslage im Mai 1944: Erstens wurde Manacorda wegen der deutschen Besatzungspolitik in Südtirol und im Adriatischen Küstenland vorstellig. Dort werde eine österreichische, antiitalienische und antideutsche Politik betrieben. Rahn beruhigte ihn und zeigte ihm die deutsche „AdriaZeitung“, die die ganze Operationszone als italienisch deklarierte. Das Reich benötige nur stabile Nachschublinien. Zweitens war die Rede vom Krieg: Es seien, so Rahn, drei Verteidigungslinien angelegt. Wenn die deutsche Gegenoffensive starte, werde sich alles zum Guten wenden. Drittens gab Rahn an, Deutschland habe gegenüber Italien Fehler begangen. Es hätte den italienischen Angriff auf Frankreich und Griechenland nicht billigen und außerdem rechtzeitig zwei Panzerdivisionen nach Libyen entsen-
Guido Manacorda an Giovanni Gentile, Brief vom 3. März 1944, ebd. Hier handelt es sich entweder um das Original oder um eine handschriftliche Abschrift, allerdings nicht aus der Feder Manacordas, sodass unklar bleibt, ob er den Brief diktierte und ob dieser überhaupt abgeschickt wurde. Vgl. Guido Manacorda an die Familie Gentile, Entwurf eines Kondolenzbriefes vom 16. April 1944, ebd. Kabinett des Ministero della Cultura Popolare an Guido Manacorda, Brief vom 21. Mai 1944. In: Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Fasc. Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Ministero Cultura Popolare Mezzasoma. Notiz über das Gespräch Manacordas mit Botschafter Rudolf Rahn vom 22. Mai 1944. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1944, Carteggio religioso-politico, 1˚ Semestre, Sottfasc. Rahn: Colloquio ambasciatore.
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den sollen. Viertens zeigte sich Rahn bereit, mit Manacorda über die Lage in Südtirol zu sprechen. Fünftens betonte der Botschafter die Notwendigkeit der Eliminierung von Ciano. Rahn, der großspurig eine deutsche Gegenoffensive ankündigte und seinem Gegenüber konziliante, aber wertlose verbale Zugeständnisse gab, machte im Gespräch mit Manacorda seinerseits seinem Titel als „Karl May unter den Diplomaten“²⁴⁵ alle Ehre. Bezog sich dieser Beiname auf seine Tatkraft, so scheint sie im vorliegenden Fall auch auf den fehlenden Realitätsgehalt seiner Ausführungen zuzutreffen. Wie in den Geschichten des Radebeuler Autors, so gab es auch die deutschen Armeen zur „Befreiung Italiens“ nur in Rahns Fantasie, der gleichwohl auf diese Weise wie bei seinem Wirken in Paris, die Kollaborateure bei der Stange hielt. Die deutsche Gegenoffensive kam nicht, stattdessen räumte die Wehrmacht am 4. Juni Rom. Die Alliierten eroberten Florenz am 11. August 1944. Manacorda ließ sich wie Papini und Bargellini von der Front überrollen. So blieben nur Auro d’Alba und sein Sohn Sergio dem „Duce“ jenseits der Linea gotica bis zum Ende treu.
Conze u. a.: Das Amt und die Vergangenheit, S. 270.
III Wissenssoziologischer und institutionenanalytischer Teil
7 Die faschistischen Katholiken aus wissenssoziologischer und institutionenanalytischer Perspektive Die Ideengeschichte, die Ideen und deren Entwicklung auf den verschiedensten Gebieten wie der Politik, Philosophie, Ökonomie, Ästhetik oder Morallehre beschreibt, beschränkt sich auf den Wandel der Denkinhalte. Demgegenüber geht eine wissenssoziologische Perspektive nach Karl Mannheim darüber hinaus, indem sie das Denken nicht nur von innen nach seiner logischen Struktur, sondern von außen in seiner sozialen Funktionalität, d. h. in der Abhängigkeit und Standortgebundenheit des Denkens, untersucht. Sie ist damit, so Mannheim, arbeitsteilig ideengeschichtlich und soziologisch. Außerdem ist sie zugleich historisch, weil sie die Entstehungsprozesse und den Wandel der Denkinhalte beschreibt.¹ Das heißt, wissenssoziologisch im Mannheim’schen Sinne ist eine Herangehensweise nur, wenn die immanent ermittelten Denkstandorte und sozialen Strömungen (sozialen Standorte) miteinander in Beziehung gesetzt werden.² Mannheim verdeutlicht das am Beispiel der Ästhetik: So ist eine Bindung an einen Kunststil nicht nur, wie der Marxismus meint, an ökonomische Interessen gebunden, denn ein Kunstwerk kann man nicht ausschließlich durch ein Interesse auf einen sozialen Träger beziehen. Aber der Kunststil als Ausdruck eines bestimmten „Denkstils“ oder Denkstandortes kann in einem bestimmten Weltanschauungssystem verankert sein³, das wiederum auf einem bestimmten sozialen und Herrschaftssystem gründet.⁴ Das bedeutet, dass die verschiedenen „Weltwollungen“⁵ sozial gebunden sind, und damit eben nicht willkürlich auftreten. Das heißt allerdings nicht, dass sie stets bewusst sind, sondern dass sie durchaus, wie Erwin Panofsky für das Kunstwollen ausgeführt hat, „unbewusst latent“ vorhanden sein können.⁶ Etiketten wie konservativ und
Mannheim spricht hier von „oft latenten systematischen Zentren, in denen Gedanken ursprünglich auftraten und aus denen sie später herausgehoben wurden, um in neuen systematischen Zusammenhängen weiterzuleben“. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 373. Mannheim hält eine Auflösung der Denkgeschichte nur dann für möglich, „wenn Ideengeschichte durch eine historische Strukturanalyse [Kursivierung i. Orig.] der dynamisch sich ablösenden Systematisierungszentren ergänzt wird“, ebd. In diesem Zusammenhang kritisiert Mannheim die vulgärmarxistische Methode, die nur das funktionale, ökonomisch motivierte Interessiertsein als einzige Verbindung zwischen sozialem Sein und Ideengehalt kennt, ebd., S. 376. Wie Pierre Bourdieu gezeigt hat, sind Kulturinstitutionen an der Herstellung von Dominanzsystemen und Geltungshierarchien wesentlich beteiligt, was auch daran ersichtlich ist, dass sie von Änderungen im Herrschaftssystem immer konkret betroffen sind, vgl. Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 379. Unter „Weltwollen“ versteht Mannheim das von einer geistigen Schicht vertretene Ensemble von geistigen Standorten bestehend aus Wirtschaftswollen, Denkwollen, Kunstwollen etc., für das sie sich in einem konkreten Zeitabschnitt innerhalb einer Gesellschaft „engagiert“, ebd., S. 381. Ebd., S. 381. https://doi.org/10.1515/9783110538991-007
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progressiv sind dabei relative Bestimmungen, denn ehemals progressive Schichten können arriviert, und damit konservativ werden. Die Institutionenanalyse geht über den wissenssoziologischen Ansatz insofern hinaus, als sie schärfer beschreibt, wie die sozialen Träger eines „Denkstils“ die gesellschaftliche Ordnung stabilisieren bzw. konstituieren. Sie bezeichnet diese Gruppen als „Mikroinstitutionen“ und geht davon aus, dass sie miteinander konkurrieren. Diese Institutionen erbringen symbolische Ordnungsleistungen, d. h., sie verkörpern auf symbolische Weise ihre Geltungsansprüche.⁷ Karl-Siegbert Rehberg führt als ihre Träger allgemein Spezialistengruppen von Deutungswissen wie Priester, Propheten und Intellektuelle an.⁸ Von ihnen wird ein Anspruch auf Dauer und „Eigenrichtigkeit“ formuliert. Im Fall der faschistischen Katholiken übernehmen nun die Intellektuellen sogar prophetische und priesterliche Stabilisierungsleistungen „der Heilsverwaltung, der Vergangenheits- und Zukunftsbeherrschung“, weil sie das Herrschaftssystem und die Person Mussolinis transzendieren,⁹ indem sie den Faschismus und den „Duce“ aus der räumlichen und zeitlichen Realität der Gegenwart herauslösen. Durch diesen Akt der Enthistorisierung wird nicht nur die Diktatur, sondern auch der Diktator selbst in die Sphäre christlicher Reichs- und Heilserwartungen entrückt und der Faschismus transzendiert zugleich zur politischen Religion, wie weiter unten ausgeführt werden soll. Diese Personalisierung vollzieht sich nach Rehberg u. a. auch deshalb, weil Institutionen Ordnungen immer auch darstellen und verkörpern. Daher bedürfen diese Verkörperungen tatsächlich des Körpers als Darstellungsmedium, „sodass repräsentative Öffentlichkeit sich schon deshalb als personale [Kursiv i. Orig.] Darstellung vollziehen muss, oft genug als Choreographie der Herrschaft“.¹⁰ Dies wird im Cäsarismus Mussolinis mehr als deutlich, auf den die Formel Gehlens zutreffend scheint: „Eine Persönlichkeit: das ist eine Institution in einem [Kursiv i. Orig.] Fall.“¹¹ Jedenfalls war der katholische Faschismus eng an die „institutionelle Fiktion“ des „Duce“ gebunden. Möglicherweise deshalb hat er mit den absolutistischen Herrschern das Merkmal der Erstarrung gemein.¹²
Rehberg: Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 57. Ebd., S. 62. Ebd., S. 63. Rehberg, Karl-Siegbert: Die „Öffentlichkeit“ der Institutionen. Grundbegriffliche Überlegungen im Rahmen der Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen. In: Macht der Öffentlichkeit – Öffentlichkeit der Macht. Hrsg. von Gerhard Göhler. Baden-Baden 1995. S. 181– 211, hier S. 191. Gehlen, Arnold: Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, Hamburg 1957. S. 118, vgl. Rehberg: Institutionenwandel und die Funktionsveränderung des Symbolischen, S. 111. „Institutionelle Form und Persönlichkeitsausbildung müssen schließlich zur Einheit werden: An den Fürstenhöfen und insbesondere in der erstarrten Stilisierung des absolutistischen Hofes zeigt sich am deutlichsten, was auch noch für unseren entdramatisierten Alltag gilt: ‚Öffentliche Personen‘ – wie sie etwa im idealisierten Vorschriftenkanon von Baldassare Castigliones 1528 erschienenem Libro del cortegiano beschrieben werden – erscheinen als lebendige Normbilder der Tugend, des Anstandes und Taktes, der Grandezza und Anmut [Kursiv. jeweils i. Orig.]“, vgl. ebd., S. 43.
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In diesem Kapitel geht es also zusammenfassend um das Ensemble von Elementen, welche die faschistisch-katholische „Leitidee“ konstituierten und auf die sich ihre Geltungsansprüche im Herrschaftssystem gründeten. Ausgangspunkt dieser Institutionenanalyse ist der soziale Standort der faschistischen Katholiken im Mussolini-Regime, der ihren Denkstandort mitbedingt. In diesem Zusammenhang ist die Transformation bzw. Umdeutung genuin christlicher Begriffe besonders interessant, weil hier die eigenwillige Fusion politischer und sakraler Heilsaufladung zum Tragen kommt. Die Verbindung von religiöser Heilserwartung und säkularer Weltanschauung kann zu Recht als „unwahrscheinliche Kopplung“ gelten. Das Denken des Heiligen Thomas bildete das Scharnier für die Synthese des katholischen Faschismus. Notwendig verkürzt soll dies skizziert werden: Der sog. Neuthomismus ging davon aus, dass die Erkenntnisformen der aristotelischen Vernunft und des Glaubens miteinander harmonierten und nicht im Widerspruch zueinander stünden. Das daraus von Thomas abgeleitete Subordinationsmodell stellte damit zwar einerseits die Wissenschaft unter die Theologie, führte andererseits aber auch zu einer Aristotelisierung der Theologie: Das heißt, theologisches Denken konnte methodisch-formal wissenschaftlich und argumentativ erfolgen¹³. Das war das, was die faschistisch-katholischen Intellektuellen – und besonders Manacorda und Pennisi – für das Regime leisteten, indem sie ein systematisches Denksystem schufen. Um den Faschisten gerecht zu werden, müssen sie ernst genommen werden, fordert der amerikanische Soziologe Michael Mann. Es sei daher wesentlich, ihre Anpassung, ihre Karrierepläne und ihre Einbindung in den Machtapparat zu untersuchen.¹⁴ Das Bekenntnis zum Regime war den Italienern nicht nur in den öffentlichen Inszenierungen aufgezwungen. Der Faschismus wurde von der Bevölkerung nicht nur passiv erduldet. Im Gegenteil leisteten viele Faschisten Mussolini aus Überzeugung treu Gefolgschaft. Gleiches ist auch für den Führerkult im „Dritten Reich“ belegt. Darin zeigt sich, so der Sozialphilosoph Hermann Lübbe, der innere Funktionsmechanismus totalitärer Systeme, die allein durch Karriereprämien für opportunistische Mitläufer auf Dauer nicht bestehen können. Sie basieren gerade darauf, dass dem Mitläufer, dessen Verhalten angeprangert wird, der Fluchtweg offen steht, den Glauben an die „Leitidee“ zu übernehmen.¹⁵ Wie in der Einleitung gezeigt, waren mehr noch als die Mitläufer die nach Alfred Weber moralisch und ideologisch unsicheren, „sozial freischwebenden Intellektuellen“ in der Lage, die faschistische „Leitidee“ zu rechtfertigen und zu legitimieren. Karl Mannheim hat für die deutschen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts scharfsinnig beobachtet, was sich auch für die faschistischen Intellektuellen sagen lässt: Obwohl die bürgerlichen Schriftsteller in ihren historisch-sozialen Ursprüngen der Aufklärung verhaftet waren, entfremdeten sie sich von diesen Wurzeln. Die Faschisten verschrieben sich sogar einem Projekt, das
Leppin, Volker: Thomas von Aquin. Münster 2009, S. 23 – 31. Mann: Der Faschismus und die Faschisten, S. 26 – 29. Lübbe: Die Historizität des Totalitarismus, S. 289.
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die bürgerliche Emanzipation noch weitaus vehementer bekämpfte als die konservative Reaktion im deutschen Vormärz, auf die Mannheim in seiner Untersuchung Bezug nimmt.¹⁶ Das gelang dem Faschismus nicht zuletzt dadurch, dass er eine Leerstelle besetzte, welche die Sozialisten im Kampf um die kulturelle Hegemonie hinterlassen hatten. Letztere hatten die Intellektuellen als bürgerlich abgelehnt. Für den marxistischen Vordenker der italienischen Kommunisten Antonio Gramsci stellte die von den Intellektuellen garantierte kulturelle Hegemonie der Bourgeoisie nur einen anderen Teil des kapitalistischen Herrschaftssystems dar, das auf Gewalt, Zwang, legislativer, polizeilicher und staatlicher Intervention beruhe.¹⁷ Hingegen zollten die faschistischen Syndikate dem Intellektuellen Anerkennung, indem sie von ihm als intellektuellen Arbeiter sprachen, der wie jeder Werktätige die faschistische Revolution aufbaue, wenngleich die Faschisten die Freiheit der Kulturschaffenden bestritten. 1920 gründeten sie die Confederazione italiana del lavoro intellettuale. ¹⁸ Faschistische Vordenker wie Giuseppe Bottai begriffen den Faschismus gar als eine lebendige und praktische „intellektuelle Revolution“, die von einer neuer Elite der Intelligenz und der Produzenten getragen werden sollte.¹⁹ Doch selbst Bottai, der Manacorda und die Intellektuellen sehr schätzte, ließ doch zugleich auch eine gewisse Reserve gegenüber den akademischen Eliten durchblicken. So zeichnete er im August 1940 in seinem Tagebuch ein ambivalentes Charakterbild Manacordas und der Intellektuellen insgesamt: Manacorda spreche immer von Bekenntnis. Man könne nicht mit ihm sprechen, sondern ihm lediglich zuhören, da er immer nur mit sich selbst Zwiesprache halte. Bottai sah sich beim Anblick von dessen Kopf an eine Voltaire-Maske erinnert, die er in Potsdam gesehen habe. Dem kahlen Manacorda müsse man nur eine Perücke aufsetzen, schon hätte man einen Voltaire, der bei einem Tabak rauchenden und krittelnden Friedrich dem Großen zu Gast sei. Wie der französische Denker verstricke sich Manacorda in einem selbst gewebten Netz dialektischer, gelehrter Sottisen, sodass jeder Bezug zu konkreten Fakten und Personen, über die er gerade referiere, verloren gehe. Dies sei ein typisches intellektuelles Vorgehen, ein mentaler „Voltairismus“, der jetzt weit verbreitet sei, leider auch bei denjenigen die [an den Faschismus] glaubten.²⁰ Der Intellektuellen-kritische „Duce“ fand Manacordas umständliche Ausdrucksweise zu zeitraubend. Der „Duce“, ein Mann des knappen journalistischen Wortes, hatte den Professor dazu aufgefordert, seine weitschweifigen Erörterungen im Telegrammstil vorzutragen. Diesem Befehl war der Professor nachgekommen, der nun fürderhin auch alle seine übrigen Berichte an die faschistischen Hierarchen in abgehackten, grammatikalisch reduzierten Sentenzen
Mannheim: Wissenssoziologie, S. 454. Gramsci: Lettere dal carcere. Bd. 2, S. 110. Sie trug 1934 schließlich den Namen Corporazione delle professioni e delle arti, welche die freien Berufe und Künste umfasste und die in Federazioni und Sindacati aufgeteilt war, vgl. Turi, Gabriele: Lo Stato educatore. Politica e intellettuali nell’Italia fascista. Roma u. a. 2002, S. 20 – 25. Vgl. Bottai: Questo momento, S. 1. Bottai: Diario, S. 222– 223.
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verfasste, die er nun als faschistisch und als vom „Duce“ verordnet deklarierte.²¹ Auf diese Weise gerierte er sich als besonders eifriger faschistischer Intellektueller. Auf dem Convegno per la cultura fascista in Bologna im März 1925 versammelten sich unter dem Vorsitz von Giovanni Gentile 400 Intellektuelle. Die Einheit zwischen der Bewegung und den Kulturschaffenden wurde beschworen und das Manifest der faschistischen Intellektuellen verabschiedet, das u. a. von Curzio Malaparte, Filippo Tomaso Marinetti, Luigi Pirandello, Ardengo Soffici und Giuseppe Ungaretti unterzeichnet wurde.²² Darauf wurde einen Monat später unter der Ägide Croces ein Gegenmanifest veröffentlicht. Manacorda schrieb, wie oben erwähnt, an den Redakteur des „Popolo d’Italia“, Franco Ciarlantini, er könne weder das eine noch das andere Manifest unterzeichnen.²³ Allerdings wurde der Begriff des Intellektuellen auch von den Faschisten ambivalent gebraucht und teilweise pejorativ verwendet.²⁴ Trotzdem überwogen bei Weitem die integrativen Angebote. Deswegen konnte der Faschismus auch in den 1930er Jahren, als er in eine neue expansive Phase trat, einen breiten Konsens innerhalb der akademischen Eliten mobilisieren, ohne dabei auf repressive Herrschaftsmethoden zurückgreifen zu müssen.²⁵ Als die 1.200 Universitätsprofessoren 1931 nicht nur auf den König, sondern auch auf den Faschismus ihren Eid ablegen mussten, verweigerten ihn nur 14.²⁶ Nur wenige Intellektuelle wie der Literaturprofessor Giuseppe Antonio Borgese gingen als Antifaschisten ins Exil. Die angesehensten italienischen, auch progressiven Intellektuellen stellten sich fast ausnahmslos in den Dienst des Regimes. Dabei deckte sich die faschistische Intellektuellen-Kritik, die eine Reinigung des verderbten Denkens forderte, in Vielem mit der katholischen: Piero Bargellini setzte Ideologen mit Pornografen gleich, denen beiden die Passion fehle und die daher unitalienisch seien.²⁷ Er war der Auffassung, dass der toskanische Bauer eine natürlichere Kultur als der nervöse Städter besitze.
Vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 5. Juli 1937: Ministero della Educazione an Manacorda, Telegramm vom 9. Juli 1937 in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Noether, Emiliana P.: Italian Intellectuals under Fascism. In: The Journal of Modern History 4 (1971). S. 630 – 648, S. 640 – 641. Guido Manacorda an Franco Ciarlantini, Brief vom 5. Juli 1925. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1925, 2˚ Semestre. So äußerte Mussolini auf dem sog. Kongress der Intellektuellen vom 1. Oktober 1932, man müsse anti-intellektuell werden, um intellektuell zu sein. Der Begriff „intellektuell“ fand keinen Eingang in die „Enciclopedia italiana“. Für die Strapaese-Bewegung wurde er mit der negativ konnotierten Moderne gleichgesetzt, wie Curzio Malaparte 1923 schrieb. Entsprechend rechtfertigten sich die Unterzeichner des Manifestes der faschistischen Intellektuellen unter der Führung von Giovanni Gentile vom 30. März 1930 und sprachen sich gegen den Intellektualismus aus, vgl. Turi: Lo Stato educatore, S. 22– 23. Dabei war es weniger die Partei als vielmehr die Werte von Nation und Staat, die dabei als ideologische Orientierungspunkte dienten. In dieser Hinsicht wurde den Intellektuellen ein gewisser Deutungsspielraum gewährt, ebd., S. 98. Noether: Italian Intellectuals under Fascism, S. 642. Piero Bargellini: Passione dell’Italiano. In: Ders.: Ritratto virile, S. 161– 168.
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Der Italiener trotze den Theorien, die von außen mit dem Auto und dem Zug ins Land kämen, um die Autorität der Kirche in Frage zu stellen: Hierzu zählte er „Krankheiten“ wie die Aufklärung, Enzyklopädismus, Liberalismus, Positivismus, Idealismus, die ganzen intellektuellen Pathologien, Kinderkrankheiten, Nachwirkungen der Universität und Alterslähmungen.²⁸ Noch während des Zweiten Weltkriegs gelang es dem Regime, die große Mehrheit der Intellektuellen um sich zu scharen. Im März 1940 gründete Giuseppe Bottai erfolgreich die Zeitschrift „Primato“, um alle lebendigen Kräfte der Kultur zu sammeln.²⁹ Die römische Literaturwissenschaftlerin Mirella Serri hat die große Strahlkraft des Faschismus gerade auch auf progressive Intellektuelle zum Anlass genommen, in einer provokativen Studie auf die faschistische Vergangenheit vieler kommunistischer Intellektueller im Nachkriegsitalien hinzuweisen. Ihre Monografie trägt den süffisanten Titel „I redenti. Gli intellettuali che vissero due volte“, auf Deutsch etwa „Die Erlösten. Die Intellektuellen, die zweimal lebten“. In der Tat waren viele solcher antifaschistischen Biografien der Nachkriegszeit durch ihre Vorgeschichte in der Diktatur gebrochen wie das Beispiel von Giaime Pintor zeigt.³⁰ Insbesondere die Avantgarde erbrachte ihr Engagement für den Faschismus aus hehren Motiven: Papini wollte schon im Jahre 1905 zum Erneuerer Italiens werden.³¹ In seinem Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ schreibt Walter Benjamin, der Faschismus suche durch ‚eine Ästhetisierung des politischen Lebens’ die Massen zu organisieren.³² Emilio Gentile erweiterte diese These dahin gehend, dass er ergänzte, der Faschismus habe zugleich eine Politisierung des Ästhetischen betrieben. Diese Feststellung sei a priori nötig, um nicht den Blick auf den totalitären Hintergrund der faschistischen Herrschaftspraxis zu verstellen, der hierfür den Kunst- und Kulturbereich instrumentalisierte.³³ Viele Intellektuelle erhielten nicht nur Anerkennung, sondern profitierten ebenso materiell von der expansiven Kulturpolitik des Regimes. Sie fanden Arbeitsplätze an den vielen Kulturinstituten und bei Zeitschriften und Verlagen, wie besonders im von Giovanni Gentile
Ders.: Fede dell’Italiano, ebd., S. 153 – 159, hier S. 157– 158. Der Einladungsbrief Bottais zur Mitarbeit wandte sich an die „besten Kräfte“ der Kultur, vgl. I redenti. Gli intellettuali che vissero due volte. 1938 – 1948. Milano 2005, S. 25. Die Zeitschrift wurde für die Eliten gegründet, die im Falle eines Sieges das Impero regiert hätten. Sie war auf nationaler Ebene als Medium der Erziehung der jungen Generation zum „neuen Menschen“ gedacht. International stellte der Titel „Il Primato“ das Programm dar, worin sich der italienische Führungsanspruch in der politischideologischen Auseinandersetzung um die neue Ordnung Europas im Wettstreit mit dem Deutschen Reich manifestierte, wobei diese neue Ordnung aber auf rassischer Grundlage fußte. „Il Primato“ bildete eine absolute Ausnahme in der modernen italienischen Kulturgeschichte, da sie die verschiedenen Strömungen und Generationen überwand. Für die Zeitschrift schrieb auch ein großer Teil der progressiven Intellektuellen bis in das Jahr 1943, ebd., S. 42. Vgl. zuletzt Kroll: Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa, S. 426. Gentile: The Conquest of Modernity, S. 65. Ebd., S. 42. Ebd., S. 57.
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1932 erworbenen Sansoni-Verlag³⁴, die das Regime seit den 1920er Jahren nicht zuletzt in der Hauptstadt gründete.³⁵ Zu den 3.272 Mitarbeitern der Enciclopedia italiana gehörte auch Manacorda. Die Schulreform Gentiles 1923 brachte weitere Investitionen im Bildungsbereich. In der neuen Universitätsstadt in Rom stieg die Zahl der Dozenten beträchtlich an. Die staatlichen Versorgungsleistungen für die Kulturschaffenden lassen sich für den Bereich der Bildenden Künstler exemplarisch illustrieren: Der faschistische war ein in hohem Maße mäzenatischer Staat, der durch ästhetische Überproduktion den öffentlichen Raum besetzen wollte. Auf der anderen Seite existierte – zumindest in den 1920er Jahren – keine einheitliche faschistische Kultur. Die faschistische Kulturpolitik war genauso vielfältig wie widersprüchlich, weder existierte ein freier Markt noch ein totalitäres Kunstsystem. Künstler wurden – anders als im „Dritten Reich“ – kaum in die Emigration gezwungen. Der Staat verhielt sich im Gegenteil konsensorientiert, solange die Betroffenen nicht explizit antifaschistisch wirkten. So existierte eine hohe personelle Kontinuität bis in die Nachkriegszeit.³⁶ Dieser ästhetische Pluralismus hatte seinen Ursprung in den verschiedenen Strömungen des Faschismus, der syndikalistische, futuristische und moderne Strömungen umfasste.³⁷ Der Staat vergab lukrative Aufträge wie für die Ausstellung zum zehnjährigen Jubiläum der faschistischen Revolution.³⁸ Im Gegenzug akzeptierten die Künstler die faschistische Patronage, die ihnen ein gesichertes Auskommen garantierte.³⁹ Um diese Pfründe stritten die verschiedensten Künstlergruppen wie Futurismus, Novecento, Scuola Romana, Concretisti oder Strapaese. Das Minculpop finanzierte in der Dekade von 1933 bis 1943 906 Journalisten, Schriftsteller und Künstler mit projektbezogenen Zuwendungen und weitere 201 Intellektuelle mit festen Beträgen. Insgesamt erhielten die Intellektuellen, darunter illustre Namen – wie Vitaliano Brancati, Filippo Tommaso Marinetti, Giuseppe Ungaretti –, eine Gesamtsumme von fast 200 Mio. Lire.⁴⁰ Die Presse wurde im gleichen Zeitraum mit 410 Mio. Lire subventioniert⁴¹, so dass ein
Pedullà, Gianfranco: Il mercato delle idee. Giovanni Gentile e la Casa editrice Sansoni. Bologna 1986. Gentile: The Conquest of Modernity, S. 41. Stone: The Patron State, S. 4– 6 u. 256 – 258. Es gab beispielsweise in der Architektur ein friedliches Nebeneinander von neorömischen und Bezügen auf Le Corbusier und Walter Gropius. Außer der Sowjetunion und der Weimarer Republik war das faschistische Italien der einzige Staat in der Zwischenkriegszeit, der die Moderne förderte. Denn Modernismus und Neorealismus waren nicht per se antifaschistisch, da sie sich auf die antibürgerliche Attitüde des Faschismus beziehen konnten, vgl. ebd., S. 5. Stone, Marla Susan: The Exhibition of the Fascist Revolution. In: Journal of Contemporary History 2 (1993). S. 215 – 243. Dies: The Patron State, S. 99 – 103. Sedita, Giovanni: Gli intellettuali di Mussolini. La cultura finanziata dal fascismo. Firenze 2010, S. 189. Ebd., S. 244.
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Gesamtbetrag von über 600 Mio. Lire erreicht wurde.⁴² Der erwähnte Marinetti reichte gar regelmäßig Gehaltslisten ein, in denen er für die Getreuen des Zweiten Futurismus Gelder einforderte. So beantragte er beispielsweise für Fortunato Depero im Juli 1932 3.000 Lire. Depero, heute im Museo d’Arte Contemporanea Trento e Rovereto (MART) als Exponent eines unpolitischen „trentinischen“ Futurismus verklärt, bedankte sich mehrfach beim Ministerium für die erhaltenen Zuwendungen.⁴³ Aus einer institutionenanalytischen Perspektive handelt es sich, wie für den Kunstbereich skizziert, um Leitideenkämpfe der rivalisierenden Intellektuellengruppen. Für die Intellektuellen, und damit auch für die faschistischen Katholiken, stellte Mussolini ideell und materiell den zentralen Bezugspunkt dar. Denn zum einen verkörperte er ihre Utopie und zum anderen waren von seinem Wohlwollen ihre Karrieren, ihre Position im Machtgefüge, und damit ihr sozialer Standort, entscheidend abhängig. Sie projizierten ihre persönlichen Erwartungen auf ihn, indem sie ihre individuellen Karriereambitionen mit Legitimationsangeboten für das Regime verbanden. Damit erbrachten die faschistischen Katholiken die Stabilisierungsleistung, die die totalitäre Diktatur von ihnen einforderte. Dies lässt sich besonders am Beispiel von Guido Manacorda, Auro d’Alba, Giovanni Papini und Pasquale Pennisi exemplarisch zeigen. Aber auch Piero Bargellini, Paolo Bonatelli und Riccardo Carbonelli versprachen sich von ihrem Engagement direkte und indirekte Vorteile. Doch ging es nicht nur um direkte Subsidien, sondern um Karrierechancen und Statusgewinne: Gerade Manacorda verdankte seine Machtposition seinem kontinuierlichen Zugang zu Mussolini und anderen faschistischen Großen. Über diese Audienzen berichtete die Presse. Durch seine Missionen nach Berlin als Sonderemissär und aufgrund seiner Vermittlung zwischen „Duce“ und „Führer“ erhielt er deutsche und italienische Orden. Seiner historischen Leistung war er sich bewusst. Gerne schmückte sich Manacorda mit seinem Zugang zu Hitler und Mussolini. Ungewohnt salopp schrieb er: „Bin mit beiden Chefs lange in persönlicher Verbindung.“⁴⁴ Der „Duce“ selbst schrieb Manacorda als Ehrenmitglied in die Partei ein, um ihn für seine Verdienste in Berlin auszuzeichnen⁴⁵ und übergab ihm sein Porträt.⁴⁶ Außerdem erhielt der Professor einen Reisepass für alle Staaten mit Ausnahme der So-
Ebd., S. 18. Ebd., S. 93. Beiden Diktatoren wollte Manacorda ein Luxus-Exemplar seines Dante-Vortrages überreichen. Weiter fügte er an: „Und ich glaube, die Gabe könnte vielleicht für die guten Beziehungen unserer Nationen als ein gutes Zeichen etwas bedeuten,“ vgl. Guido Manacorda an Wessobrunner Verlag, Brief vom 6. Februar 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G-Z., Sottofasc. Wessobrunner Verlag. Guido Manacorda an die Federazione Fascista di Firenze, Brief vom 23. Januar 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Tessera 1925. Offiziell erhielt Manacorda diese Auszeichnung aufgrund seiner Verdienste während des Afrikafeldzuges („benemerenze acquistate durante la campagna d’Africa“). Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 19. Mai 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Mussolini.
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wjetunion.⁴⁷ Im Gegenzug übersandte Manacorda Mussolini jeweils seine neuesten Werke.⁴⁸ 1937 erhielt er von Hitler den für Ausländer gestifteten Orden Deutscher Adler erster Stufe⁴⁹ und als Nichtdiplomat die Anerkennung der italienischen Botschaft in Berlin.⁵⁰ Außerdem wurde Manacorda im Juli 1941 mit Dekret vom 25. Juni 1941 zum Commendatore dell’Ordine della Corona d’Italia ernannt.⁵¹ Diese Ehrentitel und EtikettSymbole⁵² fungieren hier noch als eindeutige institutionelle Symbolisierungen, deren Erkennungsmerkmal nach innen (in Staat und Partei) wie nach außen verbindlich wirkte.⁵³ Immer wieder bot sich Manacorda in Rom den faschistischen Granden im faschistischen Duktus als „intellektueller Arbeiter“ an. Exemplarisch ist sein Brief an Unterstaatssekretär Guido Buffarini Guidi⁵⁴: Wenn Ihr einen freien Augenblick habt, würde ich Euch sehr gerne besuchen und Euch anbieten, was ich bereits seit Längerem für denDuceund einigen weiteren Ministern, die meine alten Freunde sind,leiste: Als ein einsamer Arbeiter des Geistes versuche ich seit jeher die grandiose Entstehung des neuen Europas wissenschaftlich und mit meiner Erfahrung zu begleiten und zu analysieren.⁵⁵
Guido Mancorda an Galeazzo Ciano, Brief vom 6. Juni 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 1˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Esteri – Ciano. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 17. Februar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Mussolini. Eine Sonderanfertigung als sog. Großkreuz des Deutschen Adlerordens in Gold und mit Brillanten verlieh Hitler am gleichen Tag Mussolini, vgl. Otto Meissner an Joseph Goebbels, Schreiben vom 27. März 1940, bezüglich der Verleihung der Goethe-Medaille an Manacorda. In: BA Berlin, R55/96 Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Bl. 296. Massimo Magistrati ließ ihm aus Berlin mitteilen, dass sich alle in der Botschaft sehr darüber gefreut hätten, vgl.Massimo Magistrati an Guido Manacorda, Brief vom 23. Oktober 1937, sowie Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 16. September 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Manacorda hatte sich kurz zuvor verbittert in einem Brief gegenüber Botschafter Attolico geäußert. Man vergesse ihn und man sei ihm gegenüber undankbar, vgl. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 19. September 1937. In einem Brief an Magistrati bedauerte er seine Formulierungen, zumal ihn inzwischen die Benachrichtigung über seine Auszeichnung erreicht hatte, vgl. Guido Manacorda an Massimo Magistrati, Brief vom 3. Oktober 1937, jeweils ebd. Gabinetto dell’Educazione Nazionale, an die DG dell’Ordine Universitario, Brief vom 4. Juli 1941. In: ACS Rom, Ministero Pubblica Istruzione, DG. Istruzione Universitaria, Fascicoli Professori Universitari III Serie (1940 – 1970), Busta 286, Fasc. Prof. Manacorda, Guido. Alfred Schütz bezeichnet Symbole als „eine appräsentative Verweisung höherer Ordnung“, vgl. Schütz, Alfred und Thomas Luckmann: Strukturen der Lebenswelt. Bd. 2. Frankfurt a. M. 1984, S. 357. Rehberg: Institutionenwandel und die Funktionsveränderung des Symbolischen, S. 105. Guido Buffarini Guidi (1895 – 1945) leitete als Innenminister die Polizei von Salò. Zusammen mit Alessandro Pavolini bemühte er sich im Herbst 1943 um die Schaffung einer neuen Regierung. Aufgrund seiner großen Identifikation mit dem „Dritten Reich“ wurde er im Februar 1945 von Mussolini abgesetzt, vgl. Domenico, Roy P.: Buffarini Guidi, Guido. In: Dizionario del fascismo. Bd. 1. Hrsg. von Victoria de Grazia und Sergio Luzzato. Torino 2002. S. 204– 205. Vgl. Guido Manacorda an Guido Buffarini Guidi, Brief vom 18. März 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Ministero per l’Interno.
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Auch für die Prinzessin von Piemont schrieb er politische Berichte.⁵⁶ Auf gleiche Weise wie bei der Annäherung an Buffarini Guidi suchte der Florentiner Professor den Kontakt ins Reich, wie sich anhand seines Herantretens an den bayerischen Ministerpräsidenten und Präsidenten der Deutschen Akademie, Ludwig Siebert, illustrieren lässt. Manacorda lernte ihn im März 1940 in Florenz kennen. Manacorda stellte sich als persönlicher Freund des „Duce“ vor, der auch bei den beiden Besuchen Hitlers zugegen gewesen sei. Siebert zeigte sich von der Befindlichkeit Manacordas sehr betroffen, wie er nach seiner Rückkehr nach Deutschland zugleich Staatsminister Otto Meissner, dem Leiter der Präsidialkanzlei des Führers schrieb: Dabei klang durch sein Gespräch ein etwas empfindsamer Ton durch, daß er vergessen sei. Dr. Manacorda widmete mir am nächsten Tage seine italienische Übersetzung der literarischen Arbeiten Richard Wagner’s und sein neuestes Werk, die sehr geschmackvoll ausgestattete Übersetzung von Goethes Faust. In das letztere Werk schrieb er als Widmung: ‚Herrn Ludwig Siebert […] ein ignorierter einsamer Geist, der seine 40jährige Tätigkeit den kulturellen und politischen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland treu und fest gewidmet hat.⁵⁷
Von Siebert zurate gezogene Vertreter der deutschen Kolonie bezeichneten Manacorda als wissenschaftliche Koryphäe mit Zugang zum „Duce“ und zum Königshaus. Der Ministerpräsident plädierte daraufhin, Manacorda stärker zu hofieren und ihm zunächst einen Orden zu verleihen.⁵⁸ Daraufhin zog Otto Meissner weitere Erkundigungen ein. Im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda war man der Auffassung, Manacorda spiele keine führende Rolle, habe lediglich Kontakt zu deutschen Kreisen, vor allem durch seine antikommunistischen Veröffentlichungen und Vorträge, wobei ihm Opportunismus unterstellt wurde: Mit dem Antibolschewismus hat er sich aber nur so lange ‚wissenschaftlich‘ beschäftigt, wie es politisch zweckmäßig war. Manacorda ist auch nach Ansicht der Italiener sehr ehrgeizig und tut nichts, was nicht auch ihm selbst von Nutzen zu sein scheint.⁵⁹
AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 2° Semestre, Sottofasc. Principessa di Piemonte. Ludwig Siebert an Otto Meissner, Brief vom 19. März 1940. In: BA Berlin, R55/96 Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Bl. 1298 – 300, hier Bl. 1299. Er schlug vor, hierfür die seit 1932 vergebene Goethe-Medaille zu verleihen (die Manacorda bereits erhalten hatte), denn solche Leute könnten viel nützen und ihrer Mentalität müsse man Rechnung tragen, wie er an Staatsminister Otto Meissner schrieb und diesem diesbezüglich sogar eine Vorlage an Hitler anheim stellte, vgl. Ludwig Siebert an Otto Meissner, Bl. 1299. Die Goethe-Medaille, die von Hitler nur wenigen „großen“ Gelehrten verliehen wurde, stellte die höchste Auszeichnung für „Kunst und Wissenschaft“ dar. Diese Auszeichnung erhielt 1939 Gabetti als Leiter des Instituts für Germanistische Studien in Rom, vgl. der Generaldirektor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Glum, an Hassell, Brief vom 8. Januar 1937. In: PA Berlin, Rom-Quirinal, Paket 1329b, Goethe 1937– 1939. Abteilung Ausland, Referent Dr. Stock „Auszeichnung von Prof. Dr. Manacorda“ vom 12. Juni 1940. In: BA Berlin, R55/96 Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Bl. 304.
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Zwar bewertete das Propaganda-Ministerium Manacordas Arbeiten als „bedeutsame Leistungen“, hielt sie aber mit dem Adler-Orden bereits für hinreichend honoriert.⁶⁰ Immerhin wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie ernannt.⁶¹ Die Urkunde erreichte ihn am 25. September 1940.⁶² In Italien rieben sich nicht wenige Außenstehende über Manacordas Zugang zur großen Politik zunächst verwundert die Augen. So bezweifelte der in der Nähe von Lucca wohnende Rudolf Borchardt, dass ein gewöhnlicher Professor tatsächlich außenpolitisch so erfolgreich agieren könne.⁶³ Wie gesehen, war für ihn der Auftritt mit dem „Duce“ und Hitler in Florenz 1938 von entscheidender Bedeutung und er genoss die Bewunderung, die ihm entgegengebracht wurde. So schrieb ihm sein deutscher Verleger Georg Lüttke am 10. Mai 1938: Mein Wunsch richtet sich nun sehr dahin, die mit ihrem Dantebuch und mit dem Buch über die italienische Malerei begonnene Verbindung zu pflegen und fortzusetzen. Ich werde auch sicher sehr bald einmal nach Florenz kommen und hoffe, dann einige Zeit dortbleiben zu können. Die herrlichen Tage, in denen Benito Mussolini und Adolf Hitler gemeinsam in Rom den Neubau der Weltgeschichte geschmiedet haben, gehen zu Ende. Es muss herrlich für Sie sein, zu wissen, daß Sie an der Vorbereitung dieses Werkes so großen Anteil gehabt haben. Heute ist der Führer in Florenz. Sie werden ihn sehen und mit ihm sprechen. Ich gedenke Ihrer mit herzlicher Begrüßung.⁶⁴
Die Wertschätzung Lüttkes machte sich für Manacorda auch materiell bezahlt, da er ihm den Zugang zum deutschen Buchmarkt für seine Vorträge eröffnete. Außerdem war er durch seinen direkten Zugang zu Mussolini vor innerparteilicher Kritik zwar nicht gefeit, aber letztlich nicht antastbar. Das war auch nötig, denn seine eigenwillige katholische Spielart des Faschismus wurde bei Weitem nicht von allen Schwarzhemden geteilt, wie die folgende Episode zeigt: Nach einem Vortrag Manacordas über das Impero in Florenz erschien unter dem Pseudonym Vaspra im örtlichen Kampfblatt der Partei „Il Bargello“ ein Artikel, der sich gegen dessen Auslegung einer transzendenten Natur des Imperiums richtete. Dies sei eine klerikale Auffassung, das faschistische Impero verkörpere hingegen eine weltliche Realität.⁶⁵ Die von Manacorda beschworene, eine neue Ordnung schaffende Gewalt des Impero richtete sich
Stellungnahme vom 4. Juni 1940, ebd., Bl. 303. Ludwig Siebert an Guido Manacorda, Schreiben vom 30. September 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Siebert. Guido Manacorda an Ludwig Siebert, Brief vom 25. September 1940, ebd. Rudolf Borchardt an Conte Girolamo Roncioni, nicht abgeschickter Brief vom Jahresende 1935. In: Rudolf Borchardt an die Redaktion von „Convivium“, Brief vom 24. März 1933. In: Rudolf Borchardt: Gesammelte Briefe, Brief 1931– 1935, S. 546. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z, Sottofasc. Wessobrunner Verlag. Vaspra: Interpretazioni trascendenti. In: Il Bargello vom 8. November 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, 1936, Carteggio politico-religioso, 1˚ Semestre.
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nun gegen ihn selbst, denn er erhielt einen anonymen Drohbrief, in dem er frech geduzt wurde: Was willst du vom Impero und vom Kampf wissen. Du kennst dich nicht einmal mit dem Schreibtisch aus.Vaspra hat richtig gesagt, dass Manacorda Wasser auf seine Mühlen laufen lässt. = Quartini [Vierzeiler] = Wie Papini. Verdaut das bis auf Weiteres gut und reinigt euch mit Rizinusöl für den Artikel, der euch bloßstellt und für den ihr an die Wand gestellt gehört.⁶⁶
Manacorda musste sich daraufhin an die lokale Parteiführung wenden, um zu erreichen, dass die Angriffe gegen ihn eingestellt wurden. Der Sekretär des PNF in Florenz entschuldigte sich bei Manacorda, dessen Opfergeist von Mussolini anerkannt werde und der Ehrenmitglied der Partei sei.⁶⁷ Dennoch wollte sich das wie jedes totalitäre System auf Konsens und Repression basierende faschistische System nicht auf bloße Treuebekenntnisse verlassen. Laut dem OVRA-Experten Mauro Canali traute das Regime grundsätzlich niemanden: Die OVRA, die faschistische Geheimpolizei, und die Politische Polizei Polpol infiltrierten zusehends die öffentliche Verwaltung, die Universitäten, Handel, Gewerkschaften und die verschiedenen faschistischen Organisationen.⁶⁸ Im Zuge der zunehmenden Skepsis der Bevölkerung gegenüber der italienischen Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg und gegenüber dem Bündnis mit NS-Deutschland wurden besonders die Journalisten und die Intellektuellen überwacht. Just zu diesem Zeitpunkt rückte auch Manacorda ins Visier der OVRA: In einem Bericht der Mailänder Polpol vom 14. September 1939 wurde Manacorda unterstellt, er sei beauftragt worden, sich der Prinzessin von Piemont zu nähern, um die Beziehungen zwischen Erbprinz und der Krone in der gegenwärtigen Situation zu verbessern, was sich negativ auf die faschistische Regierung auswirken könne.⁶⁹ Vermutlich geriet Manacorda auch im Zuge der Bespitzelung von Erziehungsminister Bottai ins Fadenkreuz der Geheimpolizei. Möglicherweise ahnte Manacorda das, denn er äußerte häufig, er wolle Genaueres ausschließlich mündlich mitteilen mit der Begründung, dass die Zensur das Schreiben erheblich erschwere.⁷⁰ In den Akten der Politischen Polizei der Direzione Generale Pubblica Sicurezza findet sich über ihn eine Reihe von Berichten aus dem Zeitraum von Januar 1941 bis April 1942. Beispielsweise heißt es im Kurzbericht vom 7. Januar 1941, er sei am 2. Januar in Rom gewesen. Er habe einmal Farinacci und zweimal Bottai
Ebd. Ricciardo Ricciardi Pollini an Guido Manacorda, Brief vom 11. November 1936, ebd. Canali, Mauro: Repressione e consenso nell’esperimento fascista. In: Modernità totalitaria. Il fascismo italiano. Hrsg. von Emilio Gentile. Roma u. a. 2008. S. 56 – 81, hier S. 77. „Ancora notizie allarmistiche e una presunta missione del prof. Manacorda. „ Pro-memoria vom 14. September 1939, ACS Rom, Ministero dell’Interno, D.G. P.S., Div. Polizia Politica, Fascicoli Personali 1927– 1944, Busta 763, Fasc. Guido Manacorda. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 28. August 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai.
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getroffen. Am 6. April 1942 wurde festgestellt, er sei am 5. April nach Florenz zurückgekehrt. In Rom habe er Bottai, Pilotti und Padre De Bavier aufgesucht. Außerdem ergab die Überwachung das, was schon das Radio im ganzen Land vermeldet hatte, nämlich dass er von Mussolini empfangen worden sei.⁷¹ Sogar ein Spitzel, der den Decknamen Placido trug und mit Manacorda befreundet gewesen sein soll, wurde auf ihn angesetzt. Doch konnte der nichts Belastendes finden: Manacorda äußerte sich permanent und uneingeschränkt regimetreu, sodass sich im September 1939 sogar der Verfasser des Berichtes der Politischen Polizei gezwungen sah, sich mit Manacordas Aussagen zu solidarisieren, indem er sich die Ansicht des Professor zu eigen machte, das italienische Volk warte auf ein klärendes Wort des „Duce“, an den es glaube und es gebe sich nicht mit offiziösen Verlautbarungen zufrieden.⁷² Kritik an Manacorda wurde nicht nur von laizistischen Faschisten im Inland, sondern auch von katholischen Antifaschisten im Ausland laut. So warf ihm der französische, nationalismuskritische katholische Essayist und Freund Don Sturzos Maurice Vaussard⁷³ vor, Manacorda gebe jetzt den wohlwollenden und offensichtlich überzeugten Propagandisten einer Staatstyrannei, für die die Religion nur schmückendes Beiwerk oder ein Herrschaftsinstrument im Kampf zwischen Wort und Geist beinhalte. Der Geist sei auf der Seite Frankreichs, während das Wort seit Langem eher in Italien, Spanien und vor allem in Deutschland auf Seiten der diktatorischen Regime anzutreffen sei. Manacorda würde besser daran tun, sich an solchen ideologischen Spektakeln nicht zu beteiligen.⁷⁴ Der Professor tat hingegen so, als habe er seine Überzeugung niemals geändert: Über die Defekte der modernen Demokratien habe er schon 1919 bis 1921 in der „Nuova mistica“ geschrieben. Zwischen dem Manacorda von damals und dem heutigen gebe es nur eine einzige Differenz: Jetzt sei er kein Zerstörer mehr, sondern ein Erbauer im doppelten (faschistisch-katholischen) dantesken Sinne des Kreuzes.⁷⁵
Pro-memoria vom 6. April 1942. In: ACS Rom, Ministero dell’Interno, D.G. P.S., Div. Polizia Politica, Fascicoli Personali 1927– 1944, Busta 763, Fasc. Guido Manacorda. „Un pensiero del prof. Manacorda sulla situazione“, Pro-memoria vom 14. September 1939, ebd. Maurice Vaussard (1888 – 1978), der vor und während des Ersten Weltkrieges in Italien lebte, war 1923 mit seiner „Enquête sur le nationalisme“ hervorgetreten, indem er den Nationalismus als unchristlich verwarf. Befragt hatte er 160 katholische Intellektuelle aus ganz Europa, wobei insbesondere einige Italiener, darunter Agostino Gemelli, es vorzogen, nicht zu antworten, um einen Konflikt mit der faschistischen Regierung zu vermeiden, vgl. Biagioli, Ilaria: Maurice Vaussard, un cristiano contro l’„eresia“ nazionalista. In: Cattolicesimo e totalitarismo. Hrsg. von Daniele Menozzi und Renato Moro. Brescia 2004. S. 223 – 243. Maurice Vaussard an Guido Manacorda, Brief vom 9. Januar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Vaussard. Vaussard monierte, Manacorda habe ihm noch vor nicht allzu langer Zeit in Neapel versichert, dass er sich weitaus mehr für theoretische Fragen interessiere als für Politik. Außerdem habe Manacorda zu verstehen gegeben, dass er zwar dem faschistischen Regime folgen werde, aber ohne sein Herz zu geben. Guido Manacorda an Maurice Vaussard, Brief vom 13. Januar 1939, ebd. Die entsprechenden Passagen, so Manacorda, fänden sich auf den Seiten 96 bis 99.
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Bei aller Überheblichkeit war Manacorda Realist genug, sich darüber im Klaren zu sein, dass Hitler und Mussolini ihn, nachdem die politische Annäherung vollzogen war, nicht weiter als Vermittler benötigten. Dem Sekretär Mussolinis, Sebastiani, schrieb er, dass er bezüglich der deutsch-italienischen politischen Beziehung angesichts der „großen Kaliber“ freiwillig das Feld räumen wolle. Allerdings drückte er seine Hoffnung aus, er werde auf kulturpolitischer Ebene zum Zuge kommen.⁷⁶ Doch schon an den Verhandlungen zum deutsch-italienischen Kulturabkommen vom 23. November 1938 war er nicht beteiligt gewesen, sondern sein Germanistenkollege Giuseppe Gabetti.⁷⁷ Seine Ambitionen konkretisierten sich auf das darin avisierte italienische Kulturinstitut in Berlin, das er zusammen mit seinem Schüler Giuseppe Zamboni⁷⁸ führen wollte. Zu diesem Zweck reiste er 1939 in die Messestadt.⁷⁹ Zamboni wies auf die Schwierigkeit der Realisierung des Instituts hin, das auch mit bereits bestehenden Einrichtungen konkurriere.⁸⁰ Es sei offen, ob es italienische Kultur nach Deutschland vermitteln oder sich mit der deutschen Kultur befassen solle.⁸¹ Über seine Kontakte zum Regime suchte Manacorda seine Ernennung sicherzustellen. Wie ihm in Rom beschieden wurde, war er als Präsident und Zamboni, der auch die Gastprofessur in Berlin übernehmen sollte, als Direktor vorgesehen.⁸² Ma-
Guido Manacorda an Osvaldo Sebastiani, Brief ohne Datum. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1938, 2˚ Semestre, Sottofasc. Sebastiani. Petersen, Jens: L’accordo culturale fra l’Italia e la Germania del 23 novembre 1938. In: Fascismo e nazionalsocialismo. Hrsg. von Karl Dietrich Bracher und Leo Valiani. Bologna 1986. S. 331– 387, hier S. 349. Giuseppe Zamboni (1903 – 1986) unterrichtete seit 1928 in verschiedenen Positionen Literaturwissenschaften an der Universität Florenz. Von 1936 an war er Gastprofessor in Leipzig. Dati sul Prof. Giuseppe Zamboni. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Zamboni. Im Herbst 1943 wurde er Kulturattaché an der Berliner Botschaft der RSI und leitete stellvertretend das Insitutut Studia Humanitatis, vgl. Büttemeyer, Wilhelm: Ernesto Grassi. Humanismus zwischen Faschismus und Nationalsozialismus. Freiburg 2010, S. 258. Guido Manacorda an Giuseppe Zamboni, Briefe vom 14. und 24. Januar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Conferenze Lipsia. Nachdem Manacorda in Berlin seinen Vortrag über den Untergang der westlichen Demokratien gehalten hatte, traf er sich – im Rahmen zweier Vorträge, die er vor der italienischen Kolonie in Leipzig zu Petrarca und der Heiligen Katharina in Deutschland hielt – mit Zamboni. Notizie complementari, Anlage zu Giuseppe Zamboni an Guido Manacorda, Brief vom 28. April 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Istituto Berlino. Im ersten Fall käme es zu Überschneidungen mit dem Institut in Rom, im Letzteren richte es sich an Italiener, die sich in deutscher Sprache und Literatur perfektionieren wollten und eher an die Universität gehen würden. Hingegen könne das Institut als Ausgangspunkt für Archivstudien dienen, es rechtfertige aber kein sprachwissenschaftliches Institut, vgl. Giuseppe Zamboni an Guido Manacorda, Brief vom 28. April 1939, ebd. Guido Manacorda an Giuseppe Zamboni, Brief vom 20. Mai 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Zamboni. Dem in der Anlage beiliegenden Exposé ist zu entnehmen, dass das Institut weniger wissenschaftlich sein sollte, sondern sich eher an die „cultura media“ des mittleren Bürgertums gerichtet hätte. Dort sollten auch
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nacorda blieb weiter misstrauisch.⁸³ Attolico, den Manacorda um Rat gefragt hatte, konnte nichts Konkretes bezüglich der Organisation des betreffenden Kulturinstituts in Berlin sagen, es sei lediglich in den Sitzungen der Kulturkommission entschieden worden, dass es 1940 gegründet werden solle. Hier und bezüglich des Programms liege die Verantwortung beim Ministerium.⁸⁴ Zamboni meldete ebenso, dass man hinsichtlich des Instituts etwas im Dunkeln tappe.⁸⁵ Schließlich wurde das Institut erst 1942 gegründet und Grassi zu seinem Direktor berufen. Manacorda wurde nicht berücksichtigt, eventuell weil er bei Ciano in Ungnade gefallen war. Die genauen Umstände bleiben unklar.Es war ausgerechnet Manacordas Freund,der Erziehungsminister Bottai, der bei mehreren Deutschland-Besuchen 1941/42 das Projekt in Gesprächen mit Rust und Ribbentrop vorantrieb, ohne auf ihn zurückzugreifen.⁸⁶ Im Mai 1942 legte er Mussolini entsprechende Pläne vor, die jetzt den Philosophen Ernesto Grassi als Institutsleiter vorsahen. Das Institut Studia humanitatis wurde dann tatsächlich am 6. Dezember 1942 eröffnet.⁸⁷ Die wenige Monate, in denen es existierte, wurde es von den Deutschen misstrauisch betrachtet. Andrea Hoffend hat diese Gründung als verzweifelten Akt der Selbstbehauptung eines in seiner Existenz bedrohten Regimes bewertet, durch das Italien gegenüber Deutschland und Europa seinen Primat formulieren wollte.⁸⁸ Das erscheint übertrieben. Das faschistische Regime war zwar durch das im November erlittene militärische Debakel nach El Alamein in Nordafrika geschwächt, hatte aber noch nicht endgültig abgewirtschaftet und intensivierte noch einmal seine Propagandaanstrengungen. Weil er die faschistische Kulturpropaganda nicht in Berlin vertreten konnte, befasste sich Manacorda mit der Unterstützung von Erziehungsminister Bottai – wie gesehen – erfolgreich mit dem Projekt der Inlandspropaganda und der Propagierung der deutsch-italienischen Achsenpartnerschaft, das schließlich von Mussolini akzeptiert wurde. Manacorda plante außerdem die Gründung einer italienisch-deutschen Gesellschaft für Kultur.⁸⁹ Diese wollte Bottai an der Universität Florenz verordie Sprachkurse stattfinden. Seinen Platz sollte es im Botschaftsneubau am Tiergarten und beim Aufbau eines deutschen Instituts für die italienische Kultur in Rom haben. Manacorda fragte bei Botschafter Attolico nach, ob es dabei bleibe, dass er Präsident des Instituts werde, wie ihm im letzten Monat Pavolini und Vitetti versprochen hätten. Wenn er nicht seinen granitischen Glauben hätte, wie er auf seine Kampferfahrung als Veteran im Karst anspielte, und die Verpflichtung für seinen Sohn hätte, würde er sich wie Zarathustra auf einen Berg zurückziehen, allerdings ohne wieder zurückzukommen, vgl. Guido Manacorda an Bernardo Attolico, Brief vom 14. Juni 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. Ambasciata Berlino, Attolico, Magistrati. Bernardo Attolico an Guido Manacorda, Brief vom 19. Juni 1939, ebd. Giuseppe Zamboni an Guido Manacorda, Brief vom 25. Juli 1939. In: Istituto Berlino. Zum Besuch Bottais in Deutschland im September 1941, vgl. Bottai: Diario, S. 284– 287, zum BerlinBesuch im Februar 1942, S. 297– 298. Ebd., S. 343. Andrea Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf, S. 424. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 12. Januar 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1941, 1˚ Semestre, Sottofasc. Bottai. Dem Beirat sollten
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ten.⁹⁰ Kurz vor seinem Sturz überreichte der „Duce“ Manacorda, wie gesehen, den von ihm 1943 gestifteten Premio del Littorio, dotiert in Höhe von 100.000 Lire.⁹¹ Seine langgehegte Hoffnung, wie Papini in die Accademia d’Italia aufgenommen zu werden, erfüllte sich indessen nicht.⁹² Könnte man für Manacorda Sympathien empfinden, so wäre eine gewisse Tragik darin festzustellen, dass er just in dem Moment, in dem der Faschismus nahezu ans Ende gelangt war, den Höhepunkt seines Status als einer der führenden Intellektuellen des Regimes erreichte. In einem Glückwunschschreiben drückte Pennisi treffend aus, was seine Anhänger in ihrem „Maestro“ sahen: In Euch wird der Wissenschaftler ausgezeichnet und eine geistige, moralische und politische Adresse, die damit untrennbar verbunden ist: Aus dieser Perspektive umfasst dieser Preis – und die Gratulationen, die daraus resultieren – mehr als nur die Sphäre der Forschung, des Freundeskreises und des ergebenen Bewunderers, sondern er hebt den Katholiken, den Faschisten, den ‚Römer‘ hervor.⁹³
Die anderen faschistischen Katholiken konnten – mit Ausnahme von d’Alba und Papini – nicht wie der Florentiner Professor auf eine ähnliche Erfolgsbilanz verweisen. Sie beschränkten sich überdies auf die den Intellektuellen zugeschriebene Rolle als Träger des Deutungswissens. Als Priester, Prophet und Apologet vollbrachte Auro d’Alba sicherlich die bizarrste Symbolisierungsleistung. Während Manacorda als Universitätsprofessor bereits etabliert war, als er sich dem Faschismus als Aktivist anschloss, stellte sich der mäßig erfolgreiche Lyriker Auro d’Alba auch deshalb in den Dienst der Bewegung, um an Lohn und Brot zu kommen. Letztlich verdankte er dem Faschismus seine ganze Karriere und Existenz als selbsternannter „Barde der Revolution“ und Milizgeneral. Der Dichter hat das „Privileg“, Mussolini aus der faschistischen Kampfzeit persönlich zu kennen. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg arbeitete er beim „Popolo d’Italia“ mit. Beim Marsch auf Rom gehörte er wie erwähnt zur squadristischen Führung. Schon Weihnachten 1922, wenige Wochen danach, richtete Auro d’Alba in der ihm eigenen lyrischen Sprache ein in bitterem Ton verfasstes Hilfsgesuch an Mussolini. Er habe bei der neuen Regierung um eine Tätigkeit gebeten, um ohne Sorgen leben zu können, doch hätte sie sich noch schlimmer verhalten als die Figuren des alten Regimes. Er erinnere nun in tiefer Traurigkeit an das ihm gegebene Ver-
angehören: Bottai als Präsident sowie Attolico, Maestro De Sabata, Ercole, Grandi, Accad. Ada Negri, Accad. Ugo Ojetti, Prof. Pelizzi, Maestro Pizzeti, Ecc. Solmi. Guido Manacorda an Alessandro Pavolini, Brief vom 11. Januar 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1941, 1˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Cultura popolare – Pavolini. Reale Accademia d’Italia. Inventario dell’Archivio. Hrsg. von Paola Cagiano de Azevedo und Elvira Gerardi. Roma 2005, S. 118. Vedovato: Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede, S. 115. Pasquale Pennisi an Guido Manacorda, Brief vom 22. April 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Fasc. Carteggio Premio Littorio.
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sprechen.⁹⁴ Mussolini schrieb ihm zurück, er habe d’Alba nicht vergessen und er solle ihm sagen, welche Position er anstrebe.⁹⁵ Ermutigt durch Mussolinis Antwort schrieb er zurück, das Versprechen bezöge sich auf eine Anstellung beim „Popolo“.⁹⁶ Eine solche hatte der Dichter aber im Juli 1923 noch immer nicht erhalten.⁹⁷ Schließlich wurde er 1923 zum Konsul der Miliz ernannt, für die er nun schrieb.⁹⁸ Nach der Faschisierung des „Corriere della Sera“ zeigte er dem „Duce“ seine Aspiration an, dort als ständiger freier Mitarbeiter tätig werden zu dürfen.⁹⁹ Immer wieder wandte er sich an Mussolini, um materielle oder symbolische Gunstbeweise zu erhalten.¹⁰⁰ Einer seiner Beschwerdebriefe an Mussolini sei hier exemplarisch wiedergegeben: Es fehle ihm an Anerkennung, er bekäme nur hier und dort einen vagen Gruß, obwohl er zu den Getreusten gehöre. Außerdem sei er der einzige Schriftsteller, der ihm stets das erste Exemplar seiner neuesten Veröffentlichung zukommen lasse. Er sei einer der wenigen Konsuln, die noch nicht befördert worden seien, einer der wenigen Journalisten der dritten Seite ohne feste Anstellung. Dabei sicherte ihm der Rang des Konsuls der Miliz, was dem Rang eines Colonnello entsprach, ein Jahressalär von immerhin 19.440 Lire.¹⁰¹ Auch wenn ein Oberst beim Heer über 6.000 Lire mehr erhielt, war das eine stattliche Summe, was d’Alba nicht vom Jammern über seine vermeintlich so prekäre Lage abhielt. Es träfe zwar zu, dass das Parteibuch niemanden zum Genie mache, aber wenigstens gleiche Verdienste sollten anerkannt werden. Ganz wirkungslos blieb seine Hartnäckigkeit nicht, denn er wurde zum Console generale befördert¹⁰², gleichrangig mit einem Brigadegeneral und einem Jahreseinkommen von nun 23.376 Lire. In der 28-stufigen Hierarchie vom einfachen Camicia nera zum Primo comandante generale, dem Oberkommandierenden der Miliz, hatte er die vierthöchste Stufe erklommen.¹⁰³ Nach dem Suizid von d’Albas Tochter reagierte dieses Mal das Sekretariat des „Duce“ mit einem Kondolenztelegramm. Der schrieb pathetisch zurück:
Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief von Weihnachten 1922. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, Carteggio Riservato (1922– 1943), Busta 83, Sottofasc. D’Alba, Auro. Vgl. unsignierter Durchschlag des Briefes Mussolinis an Auro d’Alba vom 27. Dezember 1922, ebd. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief vom 6. Januar 1923, ebd. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief vom 28. Juli 1923, ebd. Vgl. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief vom 17. September V [1927], sowie Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief zu Ostern V [1927]. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, Busta 2089, N. 537.475. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief vom 7. Dezember VI [1927], ebd. Im Juni VII richtete er einen Brief mit selbst für seine Verhältnisse besonders klagendem Ton an Mussolini. Vgl. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief vom Juni VII [1929], sowie Mussolini an Auro d’Alba, Telegramm vom 28. Juni 1929, ebd. Poesio, Camilla: Reprimere le idee, abusare del potere. La milizia e l’instaurazione del regime fascista. Roma 2010, S. 18. Das Referenzjahr ist 1928. Milizia Volontaria per la sicurezza nazionale: Foglio d’ordini, Dispensa 18bis vom 11. August 1929, S. 189. Auro d’Alba wurde zum 1. September 1929 zum Console Generale und vom Capo Uff. Stampa Comando Generale zum Capo Reparto Stampa-Propaganda-Storico del Comando Generale ernannt. Poesio: Reprimere le idee, abusare del potere, S. 15 – 16.
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Im Namen Gottes und in eurem Namen, denen ich mich im Leben und im Tod verschrieben habe, werde ich die Kraft finden, weiterzumachen.¹⁰⁴
Im November schickte der Revolutionspoet Mussolini wiederum sein neuestes Werk „La tortura della grazia“, das seines Erachtens das erste Zeugnis eines Aktes der Treue voller Liebe zu beiden Vaterländern, d. h. zum Ewigen Gott und zu Mussolini, darstelle.¹⁰⁵ Seinem Zugang zu Mussolini verdankte d’Alba auch, dass er die Vorwürfe der Feigheit, der Anmaßung von Dienstgraden und der Korruption, die gegen ihn zur Zeit des Abessinien-Feldzugs laut wurden, unbeschadet überstand. Nach Ostafrika hatte er sich freiwillig gemeldet¹⁰⁶ und am 6. Oktober 1936 das Kommando über die Propagandaabteilung der Miliz erhalten.¹⁰⁷ In einer von den Streitkräften durchgeführten Untersuchung zu seiner Tätigkeit wurden ihm eine Reihe von Verfehlungen vorgeworfen:¹⁰⁸ Zunächst wurde festgestellt, dass d’Alba für den Dienst der Filmabteilung in Ostafrika untauglich sei. In Eritrea habe er sich erfolgreich jeder Zuteilung zu einer Einheit entzogen und sich als freier Korrespondent geriert und eigenmächtig mit einer kleinen Abteilung Propaganda betrieben. Dabei habe er dem nationalen LUCE-Filminstitut Mitarbeiter weggenommen. Nur im Range eines Konsuls habe sich d’Alba ferner den Titel eines Generals angemaßt. Seinen Adjutanten Diego Calcagno habe er geduzt. Letzterer habe – ohne Erlaubnis – fast immer keine Uniform getragen. Für seine Tapferkeit vor dem Feind seien ihm zu Unrecht zwei hohe Auszeichnungen verliehen worden, denn es sei mit der vermeintlichen Tollkühnheit des d’Alba nicht gut bestellt gewesen. Das Oberkommando der Miliz legte 1937 Mussolini den „schändlichen Fall“ d’Albas vor:¹⁰⁹ Er sei ungeachtet der Tatsache dekoriert worden,
Benito Mussolini an Auro d’Alba, Telegramm vom 23. März 1932, sowie das Antworttelegramm d’Albas vom 29. März 1932. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, Busta 2089, N. 537.475. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief vom 16. November 1932. In: ebd. Osvaldo Sebastiani, Segretario Particolare, an Auro d’Alba, Brief vom 2. September 1935, ebd. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief von 15. Juli 1936, S. 1. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, Carteggio Riservato (1922– 1943), Busta 83, Sottofasc. D’Alba, Auro. Darin berichtete er über seine Aufgaben. In vier Arbeitsgebieten befasste sich d’Alba zufolge das sog. Ufficio 1 mit der Pressearbeit für das In- und Ausland, der Ausstrahlung von insgesamt einem Dutzend Radiosendungen und der Propaganda innerhalb der Truppe. Ufficio 2 sicherte die Hinterlassenschaften und Aufzeichnungen der Gefallenen wie Tagebücher und erfasste ihre Auszeichnungen sowie ihre Biographien u. a. durch Gespräche mit Kameraden. Demnach sollte Ufficio 3 in Zusammenarbeit mit dem Istituto Luce die Fotodokumentation des Krieges durchführen. Ufficio 4 half bei der Durchführung der Nachlassregelung gegenüber der Kolonialverwaltung und der Regelung der Hinterbliebenenrenten. Darüber hinaus habe es eine mobile Einheit von Kriegsberichterstattern gegeben, dabei seien ein Korrespondent ums Leben gekommen und zwei verletzt worden. Alcune informazioni, sulle quali si ritiene opportuno che vengano fatti immediati accertamenti, onde, se del caso, provvedere in merito. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, Carteggio Riservato (1922– 1943), Busta 83, Sottofasc. D’Alba, Auro. Vgl. Milizia Volontaria Sicurezza Nazionale, Comando Generale Promemoria vom 16. April 1937. In: Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief von Weihnachten 1922, ebd.
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dass er an keiner Kampfhandlung beteiligt gewesen sei. Seine einzige kriegerische Handlung habe darin bestanden, dass er von einem Lastesel gefallen sei und mit äußerster Vorsicht und Zaudern den Etappenpunkt Dessie erreicht habe, von wo ihn Marschall Badoglio zurückgeschickt habe. Man dürfe sich von den schamlosen Spekulationen dieses ausgelaugten Poeten nicht verwirren lassen, der sich als General gebärde, den es bis zum äußersten Opfer und Märtyrertum leuchtenden Heldentums dränge. In einem beigefügten Bericht des ungarischen Kriegsberichterstatters Barcz, der als Korrespondent ebenfalls am ostafrikanischen Kriegsschauplatz vor Ort war, wurde ein Negativbild der Journalisten und Literaten im Allgemeinen und d’Albas im Besonderen gezeichnet. Diese nutzlosen Intellektuellen sollte man nach Ansicht des Ungarn alle auf ein Schiff bringen lassen und im Roten Meer versenken. Marinetti sei eine komische Figur, die es wage, die Generale zu behandeln, als seien sie seine Untergebenen. Der Journalist Asvero Gravelli, der Gründer der Zeitschrift „Antieuropa“, spaziere durch die Straßen von Asmara mit einem riesigen Dolch im Gürtel und stelle sich zur Schau, sei aber noch nie an der Front gesichtet worden: Die größte Witzfigur von allen, so Barcz, sei Auro d’Alba, der sich als Schwarzhemden-General und Poet der Revolution vorstelle. Bei Macallé sei er vom Esel gefallen und leicht am Bein verletzt worden. Daraus habe er ein Heldenepos konstruiert und sich mit dem Flugzeug nach Asmara bringen lassen, wo sich der „Dichter der Revolution“ in einem mit Blumen geschmückten Krankenzimmer im Bett den Huldigungen seiner Verehrer hingegeben habe.¹¹⁰ Badoglio wolle mit diesem Theater nun Schluss machen. Dem Hofdichter Mussolinis wurde nicht nur Feigheit vorgeworfen, sondern auch Korruption:¹¹¹ Von den von der Miliz zur Finanzierung der Zeitung „Milizia fascista“ an d’Alba treuhänderisch übergebenen 5.000 Lire habe dieser stets 3.000 Lire für sich behalten. Seitdem der Zuschuss auf 500 Lire reduziert worden sei, behalte er 400 Lire und gebe nur 100 Lire an die Zeitung weiter. Im Juli 1936 erhielt er dennoch eine Audienz bei Mussolini.¹¹² Die Vorwürfe blieben folgenlos. Dem „Duce“ gegenüber beklagte d’Alba seinerseits, er sei in seiner Arbeit behindert worden. Bei Dessie sei ihm vom Oberkommando verboten worden, sich einem Bataillon der Schwarzhemden beim Vormarsch auf Addis Abeba anzuschließen.¹¹³ Stattdessen sei er sofort nach Asmara zurückbeordert worden, während ausländische Korrespondenten dem Oberkommando hätten folgen dürfen.Wirkt diese Episode eher lächerlich, so zeigt sie doch, wie sehr sich d’Alba befleißigte, in seinem eigenen Lebensstil zumindest den Anschein zu erwecken, der von der heroischen Gesellschaft des Faschismus geforderten und von
Bericht über das Verhalten des Konsuls Auro d’Alba in Ostafrika vom 22. Dezember 1935. Eine Kopie ging an die Pubblica Sicurezza, ebd. Abschrift eines Berichts ohne Angabe des Verfassers vom 4. August 1935, ebd. Il Console Auro d’Alba. In: Il Lavoro fascista vom 18. Juli 1936. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, Busta 2089, N. 537.475. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief vom 15. Juli 1936, S. 2. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, Carteggio Riservato (1922– 1943), Busta 83, Sottofasc. D’Alba, Auro.
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ihm in seiner Lyrik besungenen, transzendent aufgeladenen Opferbereitschaft gerecht zu werden. In seinem wohl bekanntesten und weitverbreiteten Liedtext zum Äthiopienkrieg „Cantate di Legionari“, vertont durch Francesco Pellegrino, besang er den Heldenmut des blutenden italienischen Schwarzhemdes, das freilich durch die Konfrontation mit den abessinischen Barbaren – und nicht durch die Begegnung mit dem störrischen Hufvieh der Etappe – seine Verletzung davontrug.¹¹⁴ Tendierte das künstlerische Niveau von d’Albas Ergüssen gegen Null, so erfolgreich war ihr propagandistischer Wert, das wusste der „Duce“ nur zu genau. Zu der erwähnten Ernennung des Poeten zum Leiter der Propagandaabteilung als Capo dell’Ufficio Centrale per la Stampa e la Propaganda della Milizia lobte ihn Mussolini zunächst als Frontkämpfer und Mitglied im ersten Direttorio del Fascio di combattimento, dann charakterisierte er pathetisch, aber exakt die Funktion von Auro d’Alba innerhalb der Bewegung und beschwor sogar dessen vermeintlichen Heroismus: Poet und Soldat! Vortrefflich revolutionär beseelt, mutig vor allem [sic!]. […] Er ist ein unermüdlicher Antreiber der schwarzen Legionäre. Er ist einer von uns! Er ist einer von denen, die Strophe um Strophe, Atemzug um Atemzug die Seiten des großen Epos schreiben, der durch Tränen und Lieder gewoben wurde … Giovinezza! Giovinezza!¹¹⁵
Einen für Mussolini ebenso unbestritten wertvollen Beitrag zur Herrschaftsstabilisierung leistete Giovanni Papini, der trotz seines engstirnigen Katholizismus zweifellos zu den wichtigsten Intellektuellen seines Landes zählte. Der Florentiner lieferte keine exaltierte und billige Prosa wie d’Alba, sondern stellte den Faschismus in einer niveaureichen und anspruchsvollen Art und Weise literarisch und historisch in die Tradition der italienischen Geistesgeschichte. Religiös wie politisch konvertierte er spät zu seinem Glauben: Noch im Jahre 1929 hielt sich Papini, wie gesehen, vom Regime fern und lehnte den Eintritt in die Accademia d’Italia ab, da er – wie er 1931 schrieb – keiner Partei angehöre und nicht einmal die Livree des Vaterlandes getragen habe.¹¹⁶ 1933 bekam er den erstmals vergebenen Premio Firenze für sein Werk „Dante Vivo“.¹¹⁷ Er eröffnete 1933 im Teatro Comunale von Forlì die von Mussolini eingeführte Settimana di Poesia mit einem Vortrag über „Carducci Alma sdegnosa“, der ihn in den Augen der Regimegegner endgültig diskreditierte.¹¹⁸ Darin stilisierte Papini Carducci zum Propheten des faschistischen Italiens und Mussolini zum Mann der Tat, der die Botschaft des Dichters umgesetzt habe.¹¹⁹ Daraufhin lud ihn der Diktator zu einer Audienz ein, die Papini mit Mussolini im Februar 1934 wahrnahm. Im Jahr 1936 un Das patriotische, von Francesco Sapori edierte Liederbuch „I canti della patria“, das das Lied enthielt, erschien in Clusone (Bergamo) bis 1941 in dritter Auflage, vgl. De Marzi: I canti del fascismo, S. 81 sowie den kompletten Liedtext auf den Seiten 344– 345. Tucci: Auro d’Alba, S. 58. Arnone: Papini. Un uomo … infinito, S. 56. Lovreglio: Une odyssée intellectuelle entre Dieu et Satan, S. 141. Ebd., S. 144. Papini, Giovanni: Grandezze di Carducci.Firenze 1935, S. 105.
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terschrieb der zuständige Minister Cesare Maria De Vecchi das Dekret, das Papini auf Carduccis Lehrstuhl an der Universität Bologna berief, ohne dass er die dafür erforderliche akademische Qualifikation besessen hätte.¹²⁰ Am 12. Mai 1937 nahm Papini schließlich seine Berufung in die Accademia d’Italia an. Anlässlich der Ernennung Papinis zum Akademiemitglied richtete Carbonelli an ihn eine Hommage mit der Anrede „Exzellenz“.¹²¹ Diese Würdigung ist emblematisch für die Weltdeutung und die Hoffnungen der faschistischen Katholiken. Papini und er seien beide vereint in christlicher Brüderschaft und Caritas. Die Kultur, die sich allein in den Dienst der Zivilisation, d. h. der Kirche, stellen könne, wenn sie wahr sein wolle, sei in der revolutionären Aufbauarbeit seit Beginn des 20. Jahrhunderts von den italienischen Katholiken mitgeprägt worden. Papini komme dabei der größte Anteil zu. 1967 kam sein Biograf Vittorio Vettori zu dem Schluss, dass Papini über den Nationalismus zum Faschismus gekommen sei. Es stehe außer Zweifel, dass sein Bekenntnis aufrichtig und keinem Kalkül geschuldet gewesen sei. Vielmehr sei er aus Überzeugung und aufgrund seiner Bewunderung für Mussolini der faschistischen Bewegung beigetreten.¹²² Fünf Jahre später fällte Mario Isnenghi ein ähnliches Urteil: In den 1930er-Jahren habe sich gezeigt, dass der antidemokratische und nationalistische Papini kein autonomes Programm entwickelt habe, sodass sich seine Denkweise nicht mehr vom Faschismus unterschied.¹²³ Während die Faschisten der ersten Stunde wie d’Alba und herausragende Intellektuelle wie Papini auf das Wohlwollen des ihnen persönlich bekannten Mussolini zählen konnten, war es für die jüngere Generation, zu der Pasquale Pennisi gehörte, deutlich schwieriger, Gehör zu finden. Dies war der Fall, obwohl sich Pennisi durch seine Veröffentlichungen für den Faschismus in seiner katholischen Variante mehr als eingesetzt hatte. Durch Giovanni Seditas Auswertung der Subventionslisten des Minculpop, die 1986 zufällig gefunden wurden, kennen wir die Dimension der Zahlungen an die Intellektuellen. Auf diese Weise lässt sich immerhin eine Vergütung in Höhe von 6.000 Lire an Pasquale Pennisi belegen.¹²⁴ Er, der an mehreren Universitäten und Parteieinrichtungen als Dozent tätig war, bemühte sich zu Anfang der 1940er Jahre intensiv um eine Anstellung als Hochschullehrer, u. a. an der Universität Rom. Im Mai 1940 nahm er deshalb Kontakt mit Camillo Pellizzi auf.¹²⁵ Pellizzi, der auch der Berufungskommission angehörte, unterstützte Pennisi bei dessen Bewer-
Bargellini, Piero: Papini sulla cattedra del Carducci. In: Il Frontespizio 10 (1936). S. 3 – 5. Riccardo Carbonelli an Giovanni Papini, Brief vom 13. April 1937. In: Archivio Primo Conti (AC) Fiesole, Fondo Archivio Papini. Vettori, Vittorio: Giovanni Papini.Torino 1967, S. 108. Isnenghi: Papini, S. 138. Sedita: Gli intellettuali di Mussolini, S. 209. Pasquale Pennisi an Camillo Pellizzi, Brief vom 24. Mai 1940. In: Fondazione Ugo Spirito Rom, Fondo Camillo Pellizzi, Serie Corrispondenza B 3f8, doc. N64.
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bung um eine Libera docenza in Geschichte und Doktrin des Faschismus.¹²⁶ Beim Ministerium für Volkskultur beantragte er 1941 die Lizenzierung einer Zeitschrift, die nach dem von ihm erwarteten Sieg der Achse, die dem Faschismus zugeneigten ausländischen Intellektuellen einbinden sollte, um die revolutionäre Neuordnung Europas auf der Grundlage der Romanität sicherzustellen. Damit sollte erreicht werden, dass eine solche Sammlung nicht von anderer – sprich deutscher – Seite aus erfolge.¹²⁷ Die Zeitschrift wäre inhaltlich wie personell ein Projekt der faschistischen Katholiken geworden: Thematisch, weil Pennisi die imperiale Universalität in der römisch-katholischen Tradition und der faschistischen Revolution begründet sah, wie er Manacorda mitteilte, und personell, da er die Teilnahme Manacordas am Redaktionskomitee als unabdingbar ansah und – neben weiteren Persönlichkeiten wie Emilio Bodrero¹²⁸ und Roberto Cantalupo¹²⁹ – auch die Zusage von Auro d’Alba hatte. Auch der bereits erkrankte Riccardo Carbonelli sollte mitarbeiten, sofern es ihm sein Gesundheitszustand erlaubte. Das Ministerium lehnte den Antrag jedoch als gegenwärtig nicht opportun ab.¹³⁰ Kurz darauf ersuchte er Mussolini um eine Audienz, um ihm seine jüngsten Werke „Mistica del Fascismo e dinamica della Rivoluzione“ und „Principe“¹³¹ vorzustellen.¹³² Tatsächlich empfing der „Duce“ Pennisi am 6. März 1942.¹³³ Dieser überreichte ihm seine gesammelten Werke. Nach der Audienz äußerte Pennisi seine völlige Hingabe an Mussolini und die Revolution noch einmal in einem huldigenden Dankesbrief.¹³⁴ In der Audienz bei Mussolini bat Pennisi um die Autorisierung für die Monatsschrift „Imperialità“.¹³⁵ Darin wollte Pennisi den „historischen und sittlichen Primat der faschistischen Revolution“ festschreiben, der in der Mission bestehe, die neue Zivili-
Camillo Pellizzi an Pasquale Pennisi, Brief vom 5. Januar 1942. In: Fondazione Ugo Spirito Rom, Fondo Camillo Pellizzi, Serie Corrispondenza B 3f8, doc. N66. Vgl. hierzu und im Folgenden Pasquale Pennisi an Guido Manacorda, Brief vom 19. Februar 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1941, 1˚ Semestre I, Sottofasc. Pennisi. Der Historiker und Philosoph Emilio Bodrero (1874– 1949) war Dozent an der Scuola di Mistica fascista und lehrte an der Universität von Rom die faschistische Doktrin, vgl. Bottai, Diario, S. 540. Der 1891 geborene Diplomat Roberto Cantalupo war im vorgezogenen Ruhestand, nachdem er sich 1937 mit Ciano überworfen hatte, vgl. ebd., S. 545. Allegato N. 5: Copia Risposta negativa del Ministero della Cultura popolare vom 11. April 1941. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, Busta 1921, N. 530713, Pennisi, Prof. Pasquale – Docente alla R. Università di Roma. Pasquale Pennisi: Principii. Roma 1941. Pasquale Pennisi al Capo della Segreteria particolare del Duce, Brief vom 17. Februar 1942; Gabinetto del Ministro dell’Educazione Nazionale, Appunto per la Segreteria particolare del Duce vom 22. Februar 1942 sowie Notiz vom gleichen Datum. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, Busta 1921, N. 530713, Pennisi, Prof. Pasquale – Docente alla R. Università di Roma. Nicolò De Cesare, Segretario Particolare an Pasquale Pennisi, Telegramm vom 3. März 1942, sowie Pasquale Pennisi an Segretario Particolare del Duce, Telegramm vom 3. März 1942, ebd. Pasquale Pennisi an Segretario Particolare del Duce, Telegramm vom 7. März 1942, ebd. Allegato N. 3: Pro-Memoria presentato da Pasquale Pennisi e da Mario Pazzi all’Ecc. Polverelli nella udienza di 7 Marzo 1941.XX per la rivista „Imperialità“, ebd.
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sation zu führen, was ihr von keiner anderen Macht in Abrede gestellt werden dürfe.¹³⁶ In einer späteren Phase sollten sich deutsche, japanische, spanische und ungarische Kameraden beteiligen. In der unterwürfigst formulierten Bittstellung stellte sich Pennisi ganz in den Dienst Mussolinis, um dessen Gunst zu erheischen: In dem Wunsch, so der römischen Sache der Revolution dienen zu dürfen, bitte ich euch anzuordnen, dass der Betrieb und die Veröffentlichung der Zeitschrift für politische Studien „Imperialità“ autorisiert werde und dass Ihr mir die Ehre einer weiteren Audienz gewährt, um direkt von Euch, Duce, die praktischen Anweisungen für ihre Umsetzung zu erhalten.¹³⁷
Pennisi drang mit seinem Zeitschriftenprojekt, das ihm großes Prestige und Kontakte in ganz Europa ermöglicht hätte, nicht durch. So blieb ihm nur, sein im Übrigen rassistisches Prinzip der Imperialität in Aufsätzen und Ganzschriften zu vertreten. Aber auch die anderen Intellektuellenkarrieren profitierten durch das Regime: Erziehungsminister Bottai berief Bargellini 1937 zum Hauptinspekteur seines Ministeriums.¹³⁸ Lediglich Paolo Bonatelli kam über seine regionale Stellung nicht hinaus. Vom Minculpop bekamen weder er noch seine Zeitschrift „Segni di tempi“ auch nur eine Lira, noch erhielt er den von ihm angestrebten Lehrstuhl für Pädagogik. Gleichwohl interessierte er sich sehr für Manacordas Institutsprojekt und hoffte, mit seinen Studien zur Erziehung der faschistischen Frauen inhaltlich anknüpfen zu können.¹³⁹ Auch Riccardo Carbonelli erhielt keine Förderung. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die faschistisch-katholischen Intellektuellen zwar spürbar, jedoch materiell nur in geringem Maße vom Regime profitierten. Am ehesten erscheint Auro d’Alba mit seinem anbiedernden Pathos seine Milizkarriere gesichert zu haben. Vor allen Dingen Manacorda erhielt eine vergleichsweise hohe symbolische Anerkennung, gekrönt durch den Premio del Littorio, weder jedoch die so sehr ersehnte Institutsleitung in Berlin noch die Akademiemitgliedschaft. Papini war hingegen schon vor seinem Engagement für den Faschismus einer der führenden Intellektuellen des Landes. Seine Aufnahme in die Accademia d’Italia wurde ihm ausdrücklich schon 1929 angetragen, als er sich politisch noch abstinent hielt. Bargellinis steile Karriere im Erziehungsministerium verdankte er der Protektion durch Bottai. So blieb besonders die jüngere Generation im Wartestand: Pennisi und Carbonelli hatten zwar einen hervorragenden Ruf als Publizisten, die zu aktuellen politischen und ideologischen Fragen mit die Diskussion bestimmten, trotzdem erhielt Pennisi den angestrebten Lehrstuhl nicht. Carbonelli schließlich war schon über den Kontakt mit Manacorda, Papini und Bottai mehr als froh. An Mussolini wagte er sich gar nicht erst heran. Und
Vgl. ebd. Ebd. Moro, Renato: Introduzione. In: Giuseppe Bottai – Don Giuseppe De Luca. Carteggio 1940 – 1957. Hrsg. von Renzo De Felice und dems. Roma 1989. S. VII–CLXVII. Paolo Bonatelli an Guido Manacorda, Brief ohne Datum. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚Semestre, I.
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es kam vorübergehend noch schlimmer für Carbonelli: Ähnlich wie Manacorda mit seiner katholischen Begründung des Impero erregt er mit seiner katholischen Variante des Faschismus den Verdacht regimefeindlicher Umtriebe. 1939 lud die Questura in Rom Riccardo Carbonelli, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied des PNF war, zusammen mit einigen Gesinnungsgenossen unter dem Vorwurf vor, sie wollten eine Reihe religiösen und politischen antifaschistischen Inhalts herausgeben. Auch wenn sich diese Anschuldigung als haltlos erwies, denn sein Selbstverständnis war wie gesehen faschistisch, lief der katholische Faschismus immer Gefahr als inkompatibel mit der faschistischen Doktrin verstanden zu werden.¹⁴⁰ Mehr noch zeigen die Beispiele Carbonellis und Manacordas, dass sogar die gewaltsame Exklusion aus der faschistischen Glaubensgemeinschaft drohen konnte: gemäß der doppelten faschistischen Gewalt sowohl von unten durch den squadristischen Straßenterror (wie im Falle Manacordas) als auch von oben durch staatliche Repression (wie das Beispiel Carbonellis zeigt). Somit ist der materielle und symbolische Eigennutz für die faschistisch-katholischen Intellektuellen zwar nachweisbar, kann aber nicht hinreichend als Handlungsmotivation gelten. Insofern ist davon auszugehen, dass sie auch Überzeugungstäter waren, die für ihre Werte und ihren Glauben einzutreten bereit waren.Die faschistische Überhöhung des „Duce“ entspricht in ihrer Funktion der devoten Verbeugungslyrik der Kulturschaffenden im Staatssozialismus. Im Gedicht „Danksagung“ des Präsidenten des Kulturbunds der DDR, Johannes R. Becher, kommt dies besonders emblematisch, weil trivial, zum Ausdruck. Hier wird die Figur Stalins nach dessen Ableben ins Mystisch-Religiöse transzendiert: Dort wirst du, Stalin, stehn in voller Blüte. Der Apfelbäume an dem Bodensee, Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte, Und winkt zu sich heran ein scheues Reh.¹⁴¹
Der Turiner Historiker Sergio Luzzatto argumentiert ähnlich. Er analysiert in seinem lesenswerten Buch die große Bedeutung des Körpers des „Duce“ sowohl für den Faschismus als Kultobjekt wie auch für den Antifaschismus als Hassobjekt. Diese große Geltung der Physis des Diktators führt er weniger auf den theatralischen Charakter totalitärer Regime zurück als auf ihren kollektiven Affekt der Verzauberung¹⁴². Dies deckt sich mit der institutionenanalytischen Perspektive der Verkörperung von Herrschaft, die als deren extremste Zuspitzung die Heiligung von Ordnungen betrachtet.¹⁴³
Aktennotiz vom 24. Oktober 1940. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, Busta 1313, N. 510.965. Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945 – 1990. Bonn 1986, S. 290. So zitiert Luzzatto ein Bild des jungen Schriftstellers Vitaliano Brancati, der Mussolini als Monolith beschreibt, um den das Volk eine Pyramide bilde und ihn spontan als Spitze akzeptiere, vgl. Luzzatto, Sergio: Il duce: Das Leben nach dem Tod. Frankfurt a. M. 2008, S. 33. Max Webers beschriebene Tendenz von der Entzauberung der Welt durch die Rationalisierungsprozesse der Moderne wird, nach der phänomenologisch orientierten Wissenssoziologie u. a. Alfred Schütz zufolge, durch die Symbolisierungsleistungen in „großen Transzendenzen“ durchbro-
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Im Jahr 1926 liegt für Luzzatto der Ursprung dieser Mythisierung. Denn Margherita Sarfatti veröffentlichte in diesem Jahr das Buch „Dux“ und leitete damit eine Welle hagiografischer Literatur ein. Zugleich erschien die Mussolini-Biografie von Giorgio Pini. Es sei kein Zufall, so Luzzatto, dass zu diesem Zeitpunkt zusammen mit den demokratischen Parteien die beiden letzten satirischen Zeitschriften „L’Asino“ und „Il Becco Giallo“ verboten wurden und die OVRA gegründet wurde. Über Mussolini sollte man nicht mehr spotten, man sollte ihn verehren. Für die faschistischen Katholiken fügte sich Piero Bargellini in die Schar der Mussolini-Verehrer ein, der mit seinen Worten der Generation der Zwanzigjährigen die Würde, den Lebensmut, das Privileg der Jugend, die erniedrigt und verzagt war, als „klassischer lateinischer “Duce“ wiedergegeben habe.¹⁴⁴ Dieser anbiedernde, vom Februar 1934 datierende, zuerst im „Frontespizio“ erschienene Artikel „Ein doppelt Zwanzigjähriger“ spielte auf die jugendliche Virilität Mussolinis an, der zweimal ein Zwanzigjähriger sei. Den faschistischen Giovinezza-Jugendkult behielt Bargellini nach dem Krieg bei, als er bezeichnenderweise Pacelli als ewig jungen Papst porträtierte. In der Bildenden Kunst setzte parallel dazu eine zunehmende Ästhetisierung seines Körpers ein, so Luzzatto. Tatsächlich erreichte im Jahre 1929 der „Duce“-Kult in der Kunst einen vorläufigen Höhepunkt, als Marinetti in seinem Text „Marinetti e il futurismo“ eine stilbildende Beschreibung der Physiognomie Mussolinis vorgab, welche mit ihrer Betonung der expressiven Züge des Diktators die Futuristen (darunter Fortunato Depero, Gerardo Dottori, Enrico Prampolini oder Ernesto Thayaht) stark beeinflusste, aber auch auf Künstler wirkte, die (wie Renato Bertelli) dieser Kunstrichtung fernstanden.¹⁴⁵ In der Folge förderte der mäzenatische faschistische Staat durch den gezielten Aufkauf solcher Arbeiten die von Emilio Gentile festgestellte Politisierung von Bildhauerei und Malerei. Ikonenhafte Abbilder des „Duce“ prägten, wie gezeigt, auf der italienischen Kunstausstellung in Berlin 1937 den ideologischen Teil der Exponate wie beispielsweise Thayahts Büste „Duce“ aus Stahl“, die im Besitz Mussolinis war.¹⁴⁶ Gegenständlich und formreduziert war sie eine reliefartige, ausdruckslose Metallmaske, die ohne Mund- oder Augenöffnung entfernt an einen Ritterhelm erinnerte. Sie stilisierte einen gepanzerten Körper, an dem die Bombensplitter des Ersten Weltkrieges, die Attentate und Unfälle wirkungslos abprallten.¹⁴⁷ Der stählerne „Duce“ rekurrierte dabei auf die alte Utopie der Metallisierung des menschlichen Körpers – man denke
chen. Karl-Siegbert Rehberg versieht die „Wiederverzauberung der Welt“ allerdings mit einem Fragezeichen, weil Symbole auch den Alltag strukturieren helfen. Vor allen Dingen strukturieren sie soziale Ordnungen wie im vorliegenden Fall das faschistische Regime, wie sich anfügen lässt, vgl. Rehberg: Institutionen als symbolische Ordnungen, hier S. 61– 65. Eine solche Sakralisierung liegt im „Duce“Kult eindeutig vor. Bargellini, Piero: Giovane doppiamente ventenne. In: Ders.: Ritratto virile. S. 233 – 254, hier S. 254. Vgl. Fochessati: Die zwiespältigen Beziehungen zwischen Faschismus und Futurismus, S. 75. Akademie der Künste: Ausstellung italienischer Kunst von 1800 bis zur Gegenwart (November– Dezember 1937), S. 70. Sergio Luzzatto: Il duce: Das Leben nach dem Tod, S. 69.
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hier an den Kampfnamen eines anderen totalitären Diktators Stalin. Diese Vorstellung sahen Marinetti und seine Bewegung, wie Walter Benjamin verdeutlicht, in der kriegerischen Dynamik des Faschismus bereits verwirklicht. Im Manifest der Futuristen zur Eroberung Äthiopiens aus dem Jahr 1937 heißt es: „Der Krieg ist schön, weil er die erträumte Metallisierung des menschlichen Körpers inauguriert.“¹⁴⁸ Manacorda charakterisierte in seiner Berliner Rede vor den NS-Größen 1937 in Berlin etwas unbeholfen, aber dennoch in emblematischen Worten die neue ideologische Kunstauffassung: Der Faschismus kommt, und mit dem Faschismus das Imperium. Statuen des Duce wachsen überall aus dem Boden empor; Büsten, Ölgemälde, Pastelle, Medaillen, Radierungen, Zeichnungen, Kupferstiche, Holzschnitte wetteifern miteinander um sein Bildnis […] eine fortreißende Reiterstatue von Griselli; ein Kondottierekopf desselben, eigenartig scharf in Stahl, synthetisiert von Thayaht; lichte begeisterte Menge, ‚während der Ducevorüberkommt‘ von Barrera oder ‚während der Duce spricht‘ von Carpanetti.¹⁴⁹
Zehn Jahre zuvor hatte sich Manacordas Freund, Giuseppe Bottai, in der „Critica fascista“ als einer der wenigen und vergeblich gegen eine Form von faschistischer Kunst gewandt, „die sich in ‚gräßlichen Büsten aus bemaltem Gips‘ und ‚Farblithographien des “Duce„ in den absurdesten Posen‘ erschöpfe“.¹⁵⁰ Diese Ikonisierung Mussolinis äußerte sich nicht nur in der Kunst, sondern erst recht in den ideologischen Texten der faschistischen Katholiken. Doch worin besteht der Unterschied zwischen der faschistischen politischen Religion und der katholischen Faschismussynthese? So schrieb ein Mädchen aus Florenz anlässlich ihrer Erstkommunion an Mussolini: Könnte ich Sie doch zusammen mit Jesus empfangen! Könnten Sie doch in meine Zunge eindringen, sich auf meine Brust setzen, sich auf meinem armen Herzen ausruhen!¹⁵¹
Ähnlich klingt es bei den faschistischen Mystikern, die keinen besonderen Bezug zum Katholizismus hatten: Die Aussage der „Duce“ hat immer recht“ und die Liebe zu ihm würden zum festen Bestandteil der eigenen Seele, so Guido Pallotta auf dem nationalen Kongress der Scuola Mistica. Die Treue zum „Duce“ sei „blind und absolut“, denn Mussolini verkörpere alles, wofür der Faschismus stehe. In Mussolini glaubten die Faschisten den Willen der Rasse, der Geschichte und des Schicksals zu fühlen: An ihm bewunderten sie den Mann der Vorsehung und „den einen, der wir alle sind“.¹⁵²
Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 43. Manacorda: Welt und Darstellung der italienischen Kunst des XIX. und XX. Jahrhunderts, S. 37– 40. Der Artikel von Giuseppe Bottai erschien in der„Critica fascista“ vom 15. Februar 1927 auf Seite 63 unter dem Titel„Resultanze dell’inchiesta sull’arte fascista“, zitiert nach Luzzatto: Il duce: Das Leben nach dem Tod, S. 37. Ebd., S. 32. Vgl. Pallotta, Guido: Valore e funzione della mistica nella dinamica della Rivoluzione fascista. In: Dottrina fascista 1– 3 (1940). S. 579 – 592, hier S. 585.
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Auch die faschistischen Katholiken vermengten katholisches und faschistisches Denken. Dabei gingen sie insofern einen Schritt weiter als das faschistische Mädchen und der laizistische faschistische Mystiker, als sie ihren Führerkult nicht nur religiös aufluden, sondern ihn in die katholische Religion zu integrieren suchten, indem sie nicht davor zurückschreckten, eine christliche Theologie des Faschismus zu entwickeln. Kurz nach dem deutschen Überfall auf Polen schrieb Papini an Manacorda im Duktus der erwähnten, eher konventionellen Mussolini-Verehrung, er sei der festen Überzeugung, dass Gott ihr Italien nicht im Stich lassen werde.¹⁵³ Doch dabei beließen es die faschistischen Katholiken nicht. Im kitschigen Rührstück Bargellinis über den den Tod seines Bruders Arnaldo betrauernden Mussolini wird die Verschmelzung von Katholizismus und Faschismus bereits angedeutet.¹⁵⁴ In der Eloge, in der sich der „Frontespizio“-Direktor auf das schmale Erinnerungswerk des Diktators bezog, wird aus dem „Duce“ der oberste katholische Faschist:¹⁵⁵ Das Bekenntnis des „Duce“, er wolle in Frieden ruhen, wenn er in die Ewigkeit eingegangen sei,¹⁵⁶ zeige dessen tiefe Religiosität: Im Gegensatz zu den anderen Memoiren der großen Männer, in denen die Angst vor dem Ende sichtbar werde, sei sich hingegen Mussolini, wie er sage, der Beschränktheit seines kleinen irdischen Lebens bewusst, wenngleich er wisse, dass seine Revolution nicht ungeschehen gemacht werden könne. In diesem festen Glauben an dieses Motto und an Gott nehme er sein großes Werk weiter in Angriff.¹⁵⁷ Außerdem sahen sich die faschistischen Katholiken selbst als katholische Arditi und als unüberwindliche „Squadra“ der Soldaten Christi.¹⁵⁸ Die Fusion von christlichem und faschistischem Glauben gipfelte zunächst in einer religiösen Verklärung Mussolinis, dessen Sache man sich als eine von Gott gesandte zu opfern bereit war, wie sich in Auro d‘Albas Lyrik verdeutlicht. Die faschistische Idee salze die Welt und offenbare eine Botschaft von ewigem Wert. Die faschistischen Katholiken „glaubten an den ‚“Duce„’, weil sie an Gott glaubten“.¹⁵⁹ In seinem Lied „L’Aquila Legionaria“ formulierte er, das Schicksalsrad sei in seiner Hand.¹⁶⁰ Alfred Schütz betont die Verweisungsdimension der Außeralltäglichkeit von Symbolen und ihre Transzendie-
Giovanni Papini an Guido Manacorda, Brief vom 4. September 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Lettere di Papini. Bargellini, Piero: Pianto dell’amor fraterno. In: Ders.: Ritratto virile, S. 255 – 277. Der Beitrag erschien zuerst in der Aprilnummer des „Frontespizio“ des Jahres 1933. Mussolini, Benito: Vita di Arnaldo. Milano 1932. Noch nie habe ein Politiker ein solches Buch geschrieben, denn keiner sei von so tiefer Humanität erfüllt wie Mussolini, vgl. Piero Bargellini: Pianto dell’amor fraterno, S. 271. Indem Mussolini feststelle, sein Bruder Arnaldo sei eine „gute Seele“ gewesen, die allen verziehen habe, offenbare sich der Kern des Christentums, wobei Bargellini die tiefe katholische Religiosität Arnaldos herausstellte, ebd., S. 274– 275. Ebd., S. 275 – 277. Auro d’Alba an Manacorda, Brief vom Mai 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1˚ Semestre. D’Alba, Auro: Tonici. In: Corriere Padano vom 12. Juli 1933. S. 1. Vgl. De Marzi: I canti del fascismo, S. 280.
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rungskraft. Sie bieten laut Schütz die Option, andere Wirklichkeiten im Alltag präsent zu halten. Die Annäherung an eine solches Außeralltägliches könne gar zu einem Zustand führen, der einer symbolischen Vermittlung gar nicht mehr bedürfe, in dem die Präsenz des Transzendenten rauschhaft, ggf. gar in einem Akt mystischer Vereinigung, erreicht wird.¹⁶¹ Dies trifft auf diese Zeilen d’Albas in besonderer Weise zu, in denen allein schon die symbolische Gegenwart des „Duce“ seine Anhänger in Ekstase versetzt. Diesen religiösen Gehalt erlebten die katholischen Faschisten durch ihr mystisch-utopisches Empfinden¹⁶², vergegenwärtigte sich doch für sie im Faschismus das Reich Gottes. Mehr noch, in seiner faschistisch-katholisch synkretischen Verblendung glaubte Auro d’Alba möglicherweise sogar, Mussolini könne Krankheiten heilen wie die von Marc Bloch beschriebenen wundertätigen französischen Könige des Mittelalters.¹⁶³ Über solche Fähigkeiten verfügen aus katholischer Sicht ansonsten nur wenige Heilige wie der stigmatisierte Franz von Assisi oder der seit den 1920er Jahren in Italien durch den Volksglauben verehrte Kapuzinermönch Pater Pio, der seit 1940, zu diesem Zeitpunkt von der Amtskirche noch skeptisch betrachtet, als Heiler auftrat.¹⁶⁴ Im Spätherbst 1942 richtete d’Alba, weil seine Frau im Sterben lag, einen Hilferuf an Mussolini. Darin bat er um einen Brief, da seine Frau den „Duce“ so verehre, und – wie der „Dichter der Revolution“ ein Motto Mussolinis aufgriff – der Glaube Berge versetzen könne¹⁶⁵. Denn wie ihr Mann, so war auch Maria d’Alba gläubige Faschistin: Auf ihrem Schreibtisch stand eine Fotografie Mussolinis (und auch ein Porträt Manacordas, den
Schütz und Luckmann: Strukturen der Lebenswelt, Bd. 2, S. 196 – 199. Aus institutionenanalytischer Sicht ist der Zusatz wichtig, dass auf diese Weise die faschistische Ordnung nachhaltig gestärkt wurde. Das Denken von Mystikern und Chiliasten ähnelt sich Karl Mannheim zufolge. Das Wichtigste sei für den Chiliasten nicht, dass das Reich Gottes komme, sondern dass es „hier sei und jetzt sei und aus dem Irdischen entstehe“. Gemäß dem Utopie-Begriff von Karl Mannheim ist ein Bewusstsein dann utopisch, wenn es nicht mit der gegenwärtigen „Seinsordnung“ kongruent ist und das Handeln deshalb darauf ausgerichtet ist, die bestehende Ordnung zu überwinden: „Die Beschränkung des Utopischen auf Art wirklichkeitstranszendenter Orientierung […] unterscheidet das utopische vom ideologischen Bewußtsein“, vgl. Mannheim, Karl: Das utopische Bewusstsein. (Alfred Weber zum 60. Geburtstag gewidmet). In: Ders.: Ideologie und Utopie. Frankfurt a. M. 1952. S. 169 – 225, hier S. 169 und S. 189. Bloch, Marc: Les rois thaumaturges. Paris 1924. Bei Pater Pio (1887– 1968) zeigten sich angeblich die Wundmale Christi. Daraufhin wurde ihm die Gabe des Heilens unterstellt. Im Jahre 1999 sprach Papst Johannes Paul II. den Pater selig und 2002 heilig. Er ist bis heute einer der populärsten Heiligen Italiens. In seiner Biographie beschreibt Sergio Luzzatto die Nähe Pius’ zum Faschismus, vgl. Luzzatto, Sergio: Padre Pio: Miracoli e politica nell’Italia del Novecento. Torino 2007. Zur wachsenden Volksfrömmigkeit während des Zweiten Weltkrieges und zur Hinwendung an den Padre, vgl. S. 278 – 280. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief vom 21. November 1942. In: ACS Rom, Archivi fascisti, SPD, CO, Busta 2089, N. 537.475.
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sie ebenfalls auf exaltierte Weise verehrte).¹⁶⁶ Eine Büste des „Duce“ thronte außerdem auf einer Vitrine. Die Hoffnung auf die thaumaturgische Fähigkeit des „Duce“ erwies sich – wie das ganze unheilvolle Wirken des Diktators für Italien – auch hier als trügerisch. Maria d’Alba starb am 6. Januar 1943.¹⁶⁷ Ob d’Alba tatsächlich an übersinnliche Kräfte Mussolinis glaubte, muss offen bleiben. Genauso kann sein Gesuch lediglich als die Erfüllung eines letzten Wunsches für eine Sterbenskranke gemeint gewesen sein. Er mag damit außerdem die Hoffnung verbunden haben, seine Frau werde durch die Aufmerksamkeit ihres Idols etwas Lebensmut gewinnen. Trotzdem bleibt auch die Erklärungsmöglichkeit, dass d’Alba autosuggestiv seiner eigenen manipulativen sakralen Verklärungslyrik erlag. Nimmt man den Faschisten d’Alba ernst, so ist es sehr wohl denkbar, dass seine jahrelangen faschistisch-katholischen Revolutionshymnen ihn ggf. allmählich – in dem von Lübbe oben beschriebenen Akt der Fanatisierung – an seine eigene pathetische, mystische Transzendierung des „Duce“ glauben ließen. Immerhin lässt sich in der religiösen Sphäre der Wunderglauben der faschistischen Katholiken belegen. Als Manacorda 1940 vorübergehend sein Augenlicht verlor, ersuchte er göttlichen Beistand beim populären Pater Pio¹⁶⁸, der aber, wie der Turiner Historiker Sergio Luzzatto zeigen konnte, nichts weiter als ein Scharlatan war.¹⁶⁹ Der Kapuzinermönch sandte dem Professor Heiligenbilder, ein Porträt seiner selbst und ein billiges Blechmedaillon. Dass Manacorda seine Sehkraft wiederbekam, dürfte ihn in seinem volkstümlichen Aberglauben bestärkt haben. Eine solche Naivität sollte bei einem so renommierten Wissenschaftler eigentlich ausgeschlossen sein, doch der christliche Mystiker in ihm war für solche Wundertaten empfänglich. Diese Episode belegt, dass die faschistisch-katholischen Intellektuellen zumindest im religiösen Denken das Rationale ausschalteten und legt nahe, dass sie auch in der Sphäre des politischen Mystizismus davor nicht gefeit waren. Mit Sicherheit glaubten sie im Bereich des Politischen, wie die meisten italienischen Katholiken inklusive des Klerus und der Hierarchie, in den 1930er Jahren daran, dass die göttliche Vorsehung Mussolini gesandt habe.
Vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z., Sottofasc. d’Alba. Darin sind auch zwei Fotografien von Maria d’Alba, lesend und vor einer Vitrine, enthalten. Maria d’Alba an Guido Manacorda, Postkarte ohne Datum. Auro d’Alba an Nicolò De Cesare, Brief vom 6. Januar 1943. In: ACS Rom, SPD, CO, Busta 2089, N. 537.475. Guido Manacorda an Pater Pio, Brief vom 15. Juli 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio 1941, III, Malattia, Sottfasc. Padre Pio. Sergio Luzzatto führt Pater Pios Stigmata nicht auf göttlichen Ursprung, sondern auf die gezielte Verwendung von Karbolsäure zurück. Der Historiker fand Apothekenbestellungen Pios, aus denen hervorgeht, dass er in größeren Mengen das Nervengift „Veratrin“ bestellte, das gegen Wundschmerz unempfindlich macht. Die Enthüllungen entfachten in Italien eine intensive Debatte um den Pater. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wurde er daraufhin auch als „Säurenheiliger“ bezeichnet, vgl. Luzzatto: Padre Pio: Miracoli e politica nell’Italia del Novecento, S. 128 – 130.
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In diesem Sinne bestätigte wiederum d’Alba Pennisis Auffassung, wonach der Faschismus identisch mit Mussolini und der Faschismus der gemeinsame Glaube sei.¹⁷⁰ Wenn man in Abrede stellen würde, dass Mussolini immer recht habe, würde man die Wahrhaftigkeit des Glaubens entkräften, weil man dann an etwas Fehlbares glauben würde, konstruierte d’Alba ein faschistisches Unfehlbarkeitsdogma.¹⁷¹ Pennisi habe die schönste Interpretation über die Entstehung des Faschismus geliefert: „Wenn die Persönlichkeit Mussolinis sich darauf beschränkt hätte, das Problem des Menschen zu verstehen, so wäre daraus ein philosophisches System hervorgegangen. Aber Mussolini wollte den Menschen lieben, indem er ihn politisch betrachtete. Am Ursprung des Faschismus stehe daher ein persönlicher Akt der Liebe: „Der ‚Duce‘ ist daher der erste Mystiker des Faschismus.“¹⁷² Konsequent ziehe Pennisi den Schluss, dass der Faschismus und der „Duce“ religiöse Phänomene seien.¹⁷³ Er folge damit, so d’Alba, einer Wahrheit aus seinen „Tònici“, dass der Glaube an den „Duce“ zugleich der Glaube an Gott sei.¹⁷⁴ Sehr befremdlich und unpassend erscheint an dieser Stelle das christliche Motiv der Liebe angesichts der Ideologie und Praxis der faschistischen Gewaltpolitik. Der Konservatismus-Experte Kurt Lenk sieht in einem apokalyptischen Heroismus, der mit der Vorstellung einer Wiedergeburt verbunden sei, einen Topos faschistischer Krisensemantik seit Sorel.¹⁷⁵ Folgt man Lenk, erfüllt sie immer dieselbe Funktion einer „glaubenslosen Glaubenssehnsucht“ als formale Bejahung von Aktivität ungeachtet ihrer Ziele.¹⁷⁶ Ähnlich argumentiert auch Emilio Gentile, wonach der Kult des Liktorenbündels den Faschismus sakralisierte.¹⁷⁷ War der Faschismus eine „politische Religion“, wie Emilio Gentile meint?¹⁷⁸ Lutz Klinkhammer sieht den Nachweis dafür bislang nicht erbracht. Weder habe gezeigt werden können, dass er einen religiösen Gehalt besessen habe, noch dass er massenwirksam geworden sei.¹⁷⁹ Könnte dann wenigstens der katholische Faschismus als eine solche „politische Religion“ betrachtet werden? In der vorliegenden Analyse konnte die utopisch-mystische Außerdem erklärte Auro d’Alba in seinem Vorwort zu dem erwähnten Buch Pennisis, er habe sich intuitiv, nicht aus dogmatischen Gründen bereit erklärt, es zu verfassen, weil der Autor im Klima der Zeit lebe, atme und aus ihr schöpfe. Es sei ein Privileg der ,alten Garde‘, den Ideologen zu raten, nie auf die Straße zu gehen, um alles ignorant niederzuknüppeln, vgl. Auro d’Alba: Prefazione. Das Buch müsse man Churchill und den presbyterianischen Bischöfen schicken in der Hoffnung, dass es einen Schimmer im dunklen Schädel des Antichristen erhelle, ebd., S. 11. Ebd. Ebd., S. 8. Ebd., S. 10. Ebd. Lenk, Kurt: Das Problem der Dekadenz seit Georges Sorel. In: Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie. Hrsg. von Heiko Kauffmann, Helmut Kellershohn und Jobst Paul. Münster 2005. S. 49 – 63, hier S. 61. Ebd., S. 56. Vgl. Gentile: Le religioni della politica. S. VII Ebd.: Le religioni della politica. Fra democrazie e totalitarismi. Vgl. Klinkhammer, Lutz: Il fascismo italiano tra religione di stato e liturgia politica. In: La Chiesa cattolica e il totalitarismo. Atti del Convegno Torino 25 – 26 ottobre 2001. Hrsg. von Vincenzo Ferrone. Firenze 2011. S. 185 – 203, hier: S. 187.
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Erfahrung für d’Alba und Manacorda exemplarisch belegt werden. Auch für den engeren Kern der Manacorda-Gruppe bei Bonatelli, Carbonelli und Pennisi ließe sie sich nachweisen. Somit bliebe die von Klinkhammer gestellte Frage nach der Reichweite des katholischen Faschismus. Bestenfalls bildete die faschistischen Katholiken von ca. 1930 bis 1943 eine politische Sekte. Die faschistischen Katholiken boten somit immerhin ein sakrales Gegenangebot zur rationalen aktualistischen Konzeption Giovanni Gentiles eines ethischen Staates. Den laizistischen faschistischen Intellektuellen war diese Argumentation suspekt. Julius Evola hielt sie für scholastisch.¹⁸⁰ Dass nur der von Gott kommende Glaube einen wahren faschistischen Glauben evozieren könne, der aus der römischen katholischen Kirche entspringe, dieser Argumentation wollte der Philosoph nicht folgen.¹⁸¹ Mussolini verkörperte für die Manacorda-Gruppe ihre „Leitidee“ eines katholischen Faschismus.¹⁸² Nachdem der katholische Faschismus nach der Verkündigung der faschistischen Universalität im Oktober 1930 urplötzlich aufgetaucht war, implodierte er daher genauso jäh mit dem Sturz des „Duce“ im Juli 1943, denn ohne ihre Leitfigur war der katholische Faschismus nicht mehr denkbar. In der Republik von Salò waren einige faschistische Katholiken als Einzelakteure zwar noch weiter präsent und es gab weiter faschistisch-katholische und kulturpessiministische Denkelemente, jedoch nicht mehr ein geschlossenes Denksystem. Manacorda war über den Sturz Mussolinis entsetzt gewesen und hielt ihm in Salò – wenngleich mit deutlicher Distanz – zunächst die Treue. In seiner von Vedovato zitierten Rechtfertigungsschrift vom Juni 1944 relativierte der nach Travognoli bei Pontassieve geflüchtete Professor indessen sein Engagement. Nachdem ihn ein Partisanensender als „Konzertmeister“ des Diktators bezeichnet hatte, bewertete Manacorda seinen „Duce“ im Rückblick durchaus kritisch:¹⁸³ Zwar habe er die Befreiung Mussolinis durch deutsche Fallschirmjäger vom Gran Sasso begrüßt, weil er dem „Duce“ freundschaftlich verbunden gewesen sei, die neue Republik von Salò habe aber die alten Fehler aus dem Ventennio
Dazu bemerkte Evola, Pennesi vertrete die These, dass der Faschismus über die Logik hinausgehe: „Per precisare questa idea, egli adopera una terminologia quasi scolastica, parla di un rapporto fra l’adesione intuitiva (fede) e l’adesione logica (sistema) come di mens illuminans a mens illuminata“, vgl. Evola, Julius: Problemi della „mistica fascista“. In: La Vita Italiana 11 (1941). S. 505 – 510. Für Evola war hingegen die sichtbare Geschichte der unmittelbare Gegenstand der Mystik. Aus dem Handeln einer Bewegung, einer Organisation, von Führern gehe dann der Gedanke an eine mythische Legitimation hervor und nicht umgekehrt, ebd., S. 506. Nach Karl-Siegbert Rehberg „setzt jede institutionalisierte Sozialbeziehung Formen der Subjekterzeugung [Kursiv. i. Orig.] voraus: die erlebnishafte Konstitution und die institutionelle Formierung einer Gemeinschaft vollziehen sich nicht ohne den Entwurf und die permanente Neuschaffung besonderer Personentypen“, vgl. Rehberg, Karl-Siegbert: Institutionen als symbolische Verkörperungen. In: Institutionen. Entstehung – Funktionsweise – Wandel – Kritik. Hrsg. von Tamás Meleghy und Heinz Jürgen Niedenzu. Innsbruck 2003. S. 33 – 53, hier S. 42. Vgl. Manacorda: Appunti per servire alla storia della mia esperienza politica, vom 13./14. Juni 1944 zitiert nach Vedovato:Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede,S. 121– 122.
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wiederholt, wie Partei- und Gewaltherrschaft, Zwangsrekrutierung sowie aufgrund des deutschen Misstrauens die Unfähigkeit, eine Armee aufzubauen¹⁸⁴. Mussolini sei zwar ein starker, präsenter und generöser Geist gewesen, er habe aber eher intuitiv gehandelt. Darüber hinaus sei er cholerisch und durch falsche Ratgeber beeinflussbar gewesen. Das habe schließlich zur Hörigkeit gegenüber Deutschland geführt, das er nie geliebt, aber immer bewundert habe. Der naive und für Schmeichelei empfängliche Diktator habe sich mit wenig Geschmack inszeniert. Sein kulturelles Verständnis sei oberflächlich gewesen, wenngleich er die Klassik geliebt habe. Er habe zum Bluff geneigt. Trotzdem sei der talentierte Journalist und Polemiker, nach Manacordas Ansicht, ein großer Staatsmann gewesen, der sich an Nietzsche, James und Sorel orientiert habe. Sein augusteischer Traum habe allerdings leider seine Möglichkeiten und die seines Volkes und seiner Mitstreiter überstiegen. In religiöser Hinsicht habe er zwischen einem vagen Glauben und manifestem Antiklerikalismus geschwankt. Außerdem missfiel dem faschistischen Katholiken, dass der faschistische Staat zu hegelianisch und zu wenig faschistisch-katholisch gewesen sei, sodass es ihm an moralischem Bewusstsein und spiritueller Kraft gefehlt habe. Trotz dieser Vorbehalte hoffte er noch in den 1950er Jahren auf einen neuen „Duce“, der seinen eingekapselten katholischen Faschismus wiederbelebt hätte: Er wünsche sich, dass Rechts eines Tages auch im politisch-gesellschaftlichen Sektor realisiert werde, von jemandem der sich nicht der Vergangenheit schäme oder sie fürchte, sondern sie hoch schätze und die Verantwortung für die Zukunft im Sinne einer rechtsorientieren Politik fühle.¹⁸⁵ Hingegen glaubte Auro d’Alba weiter fest an den Diktator. Er verklärte vor Juli 1943¹⁸⁶ und danach den Faschismus. Berüchtigt ist seine „Hymne der italienischen SS“. 1956 war d’Alba – ungeachtet der italienischen Kriegsverbrechen¹⁸⁷– immer noch stolz auf seine Taten und die seiner Miliz-Abteilungen während des Äthiopienkrieges.¹⁸⁸ Besonders Giovanni Papini schloss mit dem Faschismus und jeglicher Politik ab. Obwohl der Schriftsteller auf der Seite der Republik von Salò stand, notierte er am 4. Dezember 1943 in sein Tagebuch, nach dem schmerzlichen Ende aller italienischen Hoffnungen gelinge es ihm nicht mehr, eine Klasse, eine Faktion, ein Volk oder ein
Ebd., S. 116. Vgl. Guido Mancorda: La ‚destra‘ e la ‚sinistra‘. In: Giornale de Trieste vom 14. April 1951. In: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5, Manoscritti, appunti, conferenze. Die Miliz, die erstmals zu großen Einheiten zusammengefasst war, habe sich in herkulischer Weise an diesem größten Kolonialkrieg der Geschichte beteiligt, vgl. Auro d’Alba an Benito Mussolini, Brief von 15. Juli 1936, S. 1. In: ACS Rom, SPD, Carteggio Riservato (1922– 1943), Busta 83, Sottofasc. D’Alba, Auro. Thöndl, Michael: Der Abessinienkrieg und das totalitäre Potential des Faschismus in ItalienischOstafrika 1935 – 1941. In: QFIAB 87 (2007). S. 402– 419. Es sei dem Heroismus der Miliz zu verdanken gewesen, dass die Kämpfe am Uarieu-Pass nicht mit einer Niederlage geendet hätten. Auch bei Macallé habe sie ihre Feuertaufe bestanden, vgl. d’Alba: Formato tessera, S. 115.
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Prinzip zu präferieren. Und am 7. Januar fügte er hinzu, er habe jetzt keine nationale Sichtweise mehr, sondern nur noch eine überparteilich universale katholische.¹⁸⁹ Inzwischen war die Accademia d’Italia von Rom nach Florenz verlegt worden und titulierte nun als Akademie der Republik. Nach dem tödlichen Attentat von Partisanen auf Giovanni Gentile am 15. April 1944 lehnte Papini die ihm angetragene Präsidentschaft aus vorgeblich gesundheitlichen Gründen ab.¹⁹⁰ Gleichwohl stand er der Resistenza mit Unverständnis gegenüber, deren Anhänger für ihn „Rebellenbanden“¹⁹¹ waren. Nach der Besetzung Roms am 5. Juni 1944 durch die Alliierten war er vollkommen enttäuscht über die Radio-Ansprache Mussolinis. Kein Wort habe dieser über italienische Truppen verloren. Nach acht Monaten habe die faschistische Sozialrepublik nicht einmal eine Division zur Verteidigung der Hauptstadt entsenden können. Mussolini gebe nur leere Phrasen und Versprechen von sich. Mit dieser Demütigung könne kein Vertrauen mehr entstehen.¹⁹² Auch konnte er sich nicht dazu entschließen, sich an der Zeitung „Italia e Civiltà“ seines Schwiegersohnes Occhini zu beteiligen.¹⁹³ Papini lehnt dies explizit ab, weil er, wie er ausdrücklich in sein Tagebuch notierte, den Glauben verloren habe und er daher den Italienern keinen Glauben zurückgeben könne.¹⁹⁴ Noch 1954, kurz vor seinem Tod, äußerte er, der wahre Triumph des Faschismus werde erst nach seinem Zusammenbruch sichtbar. Die meisten seiner Methoden würden nun in einem noch drastischeren und kohärenteren autoritären System Anwendung finden.¹⁹⁵ Die Nachkriegsgesellschaft, in der der Materialismus über den Geist herrsche, der Niedergang der Moral und die Atomisierung der Kunst wie des alltäglichen Lebens ließen ihn ohne Hoffnung.
Papini: Diario, Opera Omnia. Bd. 10/2. S. 138 sowie S. 154– 155. Zitiert nach di Biase: Giovanni Papini, S. 255 – 256. Vgl. Papini: Diario, S. 121. Turi, Gabriele: Le istituzioni culturali del regime fascista durante la seconda guerra mondiale. In: Italia contemporanea 138 (1980). S. 3 – 23, hier S. 3 f. Tagebucheintrag vom 28. November 1944. In: Diario. Opera Omnia Bd. 10/2. S. 172. Zitiert nach di Biase: Giovanni Papini, S. 255. Vgl. Papini: Diario, S. 191. Papini hielt die Zeitung auch inhaltlich nicht für gelungen. Am besten gefielen ihm noch die Artikel Occhinis, inklusive der vielen unter Pseudonym von ihm verfassten. Papini: Diario, S. 142 f. Tagebucheintrag vom 16. Januar 1944. Ebd., S. 145. Tagebucheintrag vom 9. Juli 1954, ebd., S. 255.
8 Ein neuer „Denkstil“ entsteht: Die „Totalsynthese“ der faschistisch-katholischen Revolution Nach Emilio Gentile ist seit 1921 die Romanität die zentrale symbolische Ausdrucksform des Faschismus geworden, in der sich seine ganze politische Existenz, seine Organisation, sein Lebensstil und alle seine Handlungsziele artikulierten. Der Faschismus habe sich als Avantgarde der italienischen Stämme begriffen mit dem Ziel, einen neuen Staat zu schaffen, der die Nation läutern und den modernen Italienern den imperialen und universalen Geist der römischen Tradition wiedergeben werde: „Mussolini […] schuf die Idee einer neuen faschistischen Romanität aus dem Mythos von Rom.“¹ Die Romanità als legitimierendes Element faschistischer Politik war während des Ventennio ein durchaus immer wieder auftauchender Bezugspunkt, der letztlich massenwirksam in Aufmärschen, Architektur, Symbolen etc. inszeniert, und damit vergegenwärtigt und veralltäglicht wurde.² Die faschistischen Katholiken transzendierten diese umfassende, palingenetische „Leitidee“ der faschistischen Romanität durch den Katholizismus ein zweites Mal in eine neue Synthese eines, wie Auro d’Alba formulierte, „unsichtbaren Glaubens“³ an eine zweite, verborgene mystische Realität, die es zu leben gelte. Die faschistischen Katholiken erweiterten damit die faschistische Mystik um den christlichen Symbolhorizont. Aus der Märtyrerbereitschaft wurde ein apokalyptischer Heroismus im Sinne Lenks gleichermaßen für das irdische faschistische wie das christliche Himmelreich. Der Tod für die faschistische Sache wurde zur freudigen Erlösung in ein ewiges Leben sublimiert, denn die faschistischen Toten, um die Parole d’Albas aufzunehmen, seien die wahren Lebenden. Wie aus der bereits früher zitierten Definition Pennisis hervorgeht, begriffen die faschistischen Katholiken den Faschismus als „traditionelle Revolution“. Entsprechend war nicht nur für Manacorda die Feststellung eminent wichtig, dass es sich bei der faschistischen um eine progressive Bewegung handle, die die bestehende Gesellschaft grundlegend umgestalten und erneuern werde. Dies wird anhand einer Episode aus dem Jahre 1936 deutlich: Sein französischer Freund Pozzo di Borgo bat ihn um eine Stellungnahme zu einem Editorial für eine neue Monatsschrift mit dem Titel „Konterrevolution“, die Pozzo mit Gleichgesinnten gründen wollte.⁴ Darin war Gentile: Fascismo di pietra, S. 43. Aus der Menge der Literatur zum faschistischen Romanità-Kult sei auf die jüngsten Monographien verwiesen: Giardina, Andrea und André Vauchez: Il mito di Roma. Da Carlo Magno a Mussolini. Roma u. a. 2000 sowie Lazzaro, Claudia und Roger J. Crum (Hrsg.): Donatello among the Blackshirts. History and Modernity in the Visual Culture of Fascist Italy. Ithaca u. a. 2005. Vgl. D’Alba, Auro: Tonici. In: Il Frontespizio 12 (1934). S. 6. Contre-Révolution. Revue Internationale Mensuelle. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. Pozzo di Borgo. https://doi.org/10.1515/9783110538991-008
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die Rede von Kräften der Revolution und der Gegenrevolution, die sich auf internationaler Ebene gegenüberstünden. Die besten Kräfte müssten sich der Gegenrevolution anschließen. Mit blauem Stift schrieb Manacorda ein großes „Nein“ an den Rand. Handschriftlich setzte er auf Französisch darunter: „Unsere muss eine positive Revolution sein.“⁵ Der Veroneser Paolo Bonatelli fasste den faschistisch-katholischen „Denkstil“ ebenfalls als revolutionäres Projekt einer neuen Generation auf, das Altes und Neues miteinander verbinde. Katholik und Faschist zu sein, sei die Synthese zweier Begriffe, die sich im tiefsten Bewusstsein der gegenwärtigen Generation aus lang herauskristallisierten Überzeugungen und religiösen wie politischen Glaubensgewissheiten geformt habe.⁶ Sogar die Metapher Emilio Gentiles vom totalitären Staat als einem „politischen Laboratorium, das zum fortwährenden Experimentieren verdammt ist, um seine anthropologische Revolution in der Gesellschaft zu verwirklichen“⁷, findet sich bei Bonatelli in der Substanz wieder: Wenn der Faschismus eine permanente Revolution darstelle, so sei und müsse das Christentum ebenso eine permanente Revolution des Geistes sein, denn der religiöse Glaube verpflichte, in jedem Augenblick mit allen Kräften dem Bösen zu widerstehen.⁸ Die faschistischen Katholiken begriffen den Faschismus demnach ebenfalls als ein alle Lebensbereiche umfassendes, auf die Zukunft gerichtetes totalitäres Projekt. Die Errungenschaften des Faschismus auf sämtlichen Gebieten von Politik und Gesellschaft mündeten in der Schaffung des „neuen Menschen“. Paolo Bonatelli charakterisierte die Finalität des in seiner Zeitschrift entwickelten faschistisch-katholischen „Denkstils“, den er in einer neuen Humanität aufgehen sah: Wir haben auf diesen Seiten seit vielen Jahren die Fahne hochgehalten für eine größere Freiheit, für eine tiefere Gemeinschaft, für einen entschlosseneren Willen und eine härtere Disziplin, die das neue italienische Bewusstsein in Bronze gießen soll, das katholisch und faschistisch ist. Wir haben die Hinterlist bekämpft und den Wert des neuen Menschen gegenüber dem alten betont, für eine bessere Welt.⁹
Weiter hob er die Gottgefälligkeit dieser Entwicklung hervor.¹⁰ Die Intellektuellengruppe um Manacorda beschwor also die Mission des faschistischen Italiens auf eine besonders umfassende Weise als anthropologische Revolution mit dem Ziel, eine neue spirituelle und zivilisatorische Utopie zu verwirklichen.¹¹ Ihre unverwechselbare, ek-
Ebd. Vgl. Bonatelli, Paolo: La Questione della Razza (Discorso alle Donne Fasciste di Verona). In: Ders.: Orientamenti, Fidenza (Parma) 1942. S. 347– 364, S. 351. Gentile: Der Faschismus, S. 94– 95. Ebd., S. 364. Vgl. Bonatelli, Paolo: La Grande Diana. In: Segni dei tempi 4 (1940). S. 6 – 7, hier S. 6. Ebd., S. 7. Zu denjenigen, die eine Synthese zwischen Faschismus und Katholizismus anstrebten, gehörten „La rassegna romana“ von Martire und auch die Veröffentlichungen im Milieu der katholischen Universität in Mailand, vgl. Moro: Il mito dell’Impero, S. 356.
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lektizistische Mischung der Deutung von Chiffren, Symbolen und Zeichen beschrieb das Programm ihrer kulturellen Revolution, die sich als „Leitideenbündel“ von allen anderen Geltungsbehauptungen unterschied. Die faschistischen Katholiken bemühten sich, die faschistische Romanität in ihrer Gesamtheit, in allen ihren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prinzipien aus der katholischen Lehre heraus zu begründen. Folgerichtig suchten sie alle „Leitideen“ des faschistischen „Leitideenbündels“ auf ein katholisches Fundament zu stellen, indem sie die katholische Doktrin an die Erfordernisse des Faschismus anpassten. Die christlichen Kernbegriffe wurden dabei radikal umgedeutet: Die Angriffskriege des Regimes wurden als gerecht, die faschistische Gewaltherrschaft nach innen und außen als Läuterung und Purifizierung verklärt. Ebenso wurde, wie im nächsten Kapitel zu sehen sein wird, die Nächstenliebe zur Begründung des Rassismus missbraucht.Wie die scholastischen Staatsdenker die Alleinherrschaft der Monarchie und die Feudalordnung, so legitimierten die faschistisch-katholischen „Rechtfertigungsdenker“ die Diktatur des „Duce“ und das faschistische Regime in allen seinen Ausprägungen als gottgewollt. Nicht von ungefähr bezogen sich die faschistischen Katholiken auf den mittelalterlichen Thomismus. Konsequenterweise wurde alles Antifaschistische entweder als nicht konform mit der katholischen Lehre, als protestantisch oder als Häresie geradezu verteufelt. Durch den Versuch, den Faschismus umfassend von einem katholischen Denkstandort¹² aus zu begründen, unterschieden sich die faschistischen Katholiken von allen philofaschistischen Katholiken, die den Faschismus zwar mit Sympathie betrachteten, einzelne seiner Punkte guthießen, ihn aber nicht als im Kern katholisch begriffen. Betrachtet man einzelne regimetreue Äußerungen im katholischen Milieu isoliert, so lassen sich die Aussagen der faschistischen Katholiken oder besser katholischen Faschisten nicht immer von denen bloßer Sympathisanten oder Mitläufer unterscheiden, schon deshalb, weil sie dieselben Chiffren benutzten, die aber sehr verschieden konnotiert waren. So deckt sich der Tenor eines philofaschistischen Telegramms von 30 Bischöfen an den „Duce“, in dem der Wunsch ausgesprochen wurde, die italienische Fahne möge bald auf dem Heiligen Grab wehen¹³, vorderhand durchaus mit den imperialen Hoffnungen der Manacorda-Gruppe. Deshalb ist die Feststellung wichtig, dass der katholische Faschismus nur in seiner Ganzheit als komplexes Denksystem, nicht aber in seinen Einzelelementen und ihrer spezifischen Deutung sichtbar wird, was eine erkenntnistheoretische, wissenssoziologische Perspektive verlangt. Die vorliegende grundlegende These soll daher noch einmal wiederholt werden: Die Verbindung von Faschismus und Katholizismus war nicht syn-
Denkstandorte sind nach Mannheim „Systematisierungszentren“ für eine „Seinstotalität“ bzw. ein Denksystem. Solange noch keine „Totalsynthese“ erfolgt sei, könne es auch mehrere Denkstandorte geben, vgl. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 368 – 372. Episkopat, Klerus und Katholische Aktion Italiens zum Eintritt Italiens in den Krieg, Abschrift des Berichts des deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl Bergen an das Auswärtige Amt vom 24. Juni 1940, S. 1. In: PA Berlin, Rom-Vatikan, Paket 560, Katholische Presse und Bücher, 1929 – 1942, S. 3.
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kretistisch, sondern synthetisch, d. h., die faschistischen Katholiken vermischten die katholische mit der faschistischen „Leitidee“, indem sie ein einheitliches, hierarchisches Denksystem aus beiden entwickelten. Zur Erläuterung ist ein erneuter kurzer Bezug auf Karl Mannheims Begriff des „Denkstils“ erforderlich, der für ihn ein Denksystem in einer Epoche darstellt.¹⁴ Ein Denksystem ist für den deutschen Soziologen dadurch gekennzeichnet, dass es als Systematisierungszentrum eine „Totalsynthese des bisher Gewordenen ermöglicht“ – im vorliegenden Fall des „Leitideenbündels“ des Faschismus –, wobei diese „Totalsynthese“ dynamisch ist.¹⁵ In seiner organischen Systematik liegt eine besondere Stabilisierungsleistung des katholischen Faschismus für das Regime. So entstand der katholische Faschismus als kohärenter „Denkstil“ erst 1929 nach den Lateranverträgen. Die Bedeutung dieses Gründungsereignisses für den katholischen Faschismus wird in einem Aufsatz von Riccardo Carbonelli verdeutlicht: Die Versöhnung von Staat und Kirche, folge seines Erachtens der Idee der Einheit Roms:Von Pius XI. sei sie gewollt gewesen, aber nur ein „Führer“ wie der „Duce“ habe sie realisieren können.¹⁶ Katholizismus und Faschismus wurden von den faschistischen Katholiken zunehmend zusammen gedacht und in eins gesetzt. In einem von der Direktion der „Segni dei tempi“ – und vermutlich von Paolo Bonatelli – verfassten Vorwort kommt diese Faschisierung des Katholizismus unmittelbar zum Ausdruck. Faschismus und Katholizismus werden als aufeinander bezogene „Leitideen“ vorgestellt, die ein höheres Ganzes bilden, weil die faschistische Doktrin aus der Humanität, und damit aus dem Christentum, schöpfe. Deshalb sei sie universal. Beide, Faschismus und Katholizismus, seien permanente Revolutionen, deren Dynamik auf den besten Energien des Volks beruhe.¹⁷ Insbesondere Manacorda und Pennisi schrieben Abhandlungen, in denen sie systematisch alle ideologischen Felder des Faschismus katholisch herleiteten. Bezeichnenderweise entstanden diese Werke nach der Proklamation des Impero, die den zweiten primordialen Gründungsakt, auf den sich der katholische Faschismus bezog, darstellt. Während des Äthiopienkrieges beschwor Auro d’Alba die Kulturmission, die Katholizismus und Faschismus miteinander verbinde.¹⁸ Papini veröffentlichte im Leitartikel des „Frontespizio“ vom November 1937 die später in sein Bändchen „L’Italia mia“ aufgenommenen neun Gründe, weshalb Italien den Primat für die Einigung Europas beanspruchen müsse.¹⁹ Er lieferte in seiner 1939 erstmals erschie Mannheim: Wissenssoziologie, S. 374. Ebd., S. 370. Der Katholizismus sei die Kraftmaschine Italiens, die die Einheit Roms schaffe. Christlicher Glaube und Hingabe zum Vaterland seien im doppelten Sinne römisch. Darin offenbare sich das Wesen der Geschichte, weil Gott die Menschen auserwähle und sie zum Instrument des Guten mache, vgl. Carbonelli, Riccardo: Il Pontificato della Conciliazione. In: Segni dei tempi Juli-August 1938. S. 4– 14, hier S. 14. Vgl. Vorwort zu Domenico Massè: Universalità del fascismo italiano. In: Segni dei tempi 4 (1938). S. 33 – 34, hier S. 33. Auro d’Alba: Puntata a Barentù. In: Il Frontespizio 2 (1936). S. 16 – 17. Papini, Giovanni: L’Italia e l’Europa. In: Il Frontespizio 11 (1937). S. 803 – 812.
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nenen und 1941 erweiterten Bekenntnisschrift eine Rechtfertigung des italienischen Primats, indem er – und dies ist emblematisch für den katholischen Faschismus in dieser Phase – auf katholische Denkmuster rekurrierte, diese aber letztlich in den Faschismus ein-, und damit unterordnete.²⁰ Eine solche „Totalsynthese“ einer faschistisch-katholischen Revolution erarbeiteten nur die faschistischen Katholiken um Manacorda – niemand sonst.²¹ Der deutsche Soziologe Georg Simmel stellte schon 1908 Staat und Kirche als zwei grundlegend verschiedene Formen von Vergesellschaftung und Ordnungskonzepten gegenüber. Den Staat beschrieb er als politische Ordnung einer Gesellschaft in einem Raum, die auf bestimmten kulturellen Konstellationen und Vorstellungswelten beruhe.²² Sein Bezugspunkt blieb der Herrschaftsraum des italienischen Nationalstaats in seinen aktuellen Grenzen. – Der katholische Faschismus erfüllte im Unterschied zum Philofaschismus eine ungleich größere Stabilisierungsleistung, indem er den faschistischen Herrschaftsraum zeitlich und territorial entgrenzte. Damit überwand er die Beschränktheit des nationalen Raums, weil er ihn in die imaginäre entzeitlichte Raumordnung der Kirche überführte; denn Simmel charakterisiert die Kirche im Gegensatz zum Staat als „unräumlich“ und weist ihr die Ebene der Zeit bzw. des Überzeitlichen und Ewigen zu.²³ Das mythische, faschistisch-katholische Impero oszillierte, um es in der Begrifflichkeit von Simmel zu sagen, zwischen der räumlichen Festgelegtheit des realen italienischen Machtbereiches und überzeitlicher christlicher Überräumlichkeit.²⁴
Dabei bezog Papini sich auf ein Ensemble geistesgeschichtlicher und kultureller, vermeintlich aus Italien stammender Errungenschaften. Zwar wies er den Mythos vom auserwählten Volk als jüdisch zurück, nahm ihn aber zugleich aufgrund seiner Analyse als empirische Tatsache für Italien in Anspruch. Vgl. Papini: Italia mia, S. 149. Relativierungen wie von Maria Bocci, die von der katholischen Universität kommt, Gemelli habe ein Doppelspiel gespielt etc., überzeugen jedenfalls nicht, vgl. Bocci, Maria: Agostino Gemelli. Rettore e francescano. Chiesa, regime, democrazia. Brescia 2003. Eine Tatsache sind jedenfalls Gemellis zahlreiche affirmative öffentliche Äußerungen. Vgl. Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin 1908, Kapitel IX: Der Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft, S. 460 – 462. „Das Prinzip der Kirche ist unräumlich und deshalb, obgleich über jeden Raum sich erstreckend, von keinem ein gleich geformtes Gebilde ausschließend. Es gibt innerhalb des Räumlichen ein Seitenstück zu dem zeitlichen Gegensatz des Ewigen und des Zeitlosen – das letztere seinem Wesen nach überhaupt nicht von der Frage des Jetzt oder Früher oder Später berührt und deshalb freilich jedem Zeitmoment zugängig oder gegenwärtig, das erstere gerade ein Begriff von Zeit, nämlich von endloser und ununterbrochener“, vgl. Simmel: Soziologie, S. 464. „Der reinste Typus der ersteren ist ersichtlich die Kirche, der des letzteren der Staat: zwischen beide schieben sich mittlere Erscheinungen, von denen ich einige andeutete; auf das formale Wesen von vielerlei sozialen Gebilden mag deshalb ein besonderes Licht von ihrer Stufe auf der Skala her fallen, die von der völligen territorialen Festgelegtheit und daraus folgenden Ausschließlichkeit zu der völligen Überräumlichkeit und der daraus folgenden Möglichkeit eines Kondominiums vieler gleichartiger über denselben Raumabschnitt führt“, vgl. ebd., S. 464– 465.
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Letztlich benötigt aber selbst die überräumliche Kirche paradoxerweise doch einen Ort, an dem sie sichtbar werden kann, worauf schon Maurice Halbwachs hinwies.²⁵ Sie hatte zwar „als Vertreterin des universalen Gottes die ganze Welt zu ihrem Raum, wenngleich sich dies aber stets doch in besonderen Orten der Verkündigung und der Anbetung konkretisieren musste“.²⁶ Dieser heilige Ort war für die faschistischen Katholiken, wie für alle Katholiken, Rom, das zur Chiffre für ihre Projektionen wurde. Die Besonderheit liegt wiederum in der spezifischen Ausformung des faschistischen Geltungsanspruchs, der vollständig aus dem universalen christlichen abgeleitet wurde. Carbonelli sprach von der ewigen Macht Roms und seiner unleugbaren einheitsbildenden, universellen und imperialen Funktion, kurz seines Primats.²⁷ Aus der Einheit von Staat und Kirche leitete auch Papini den Führungsanspruch der alten und neuen Caput mundi ab.²⁸ Manacorda verdichtete in seinem mythischen Rom-Begriff gar seinen ganzen „Denkstil“: Rom. Das ist der Kult des Geistes und der Vernunft. Das ist die ganze Welt als die Ordnung und Ruhe des Seins. Es ist der Sinn der Autorität, der Hierarchie, der bewussten Kraft. Rom-Rome. Aber es ist auch Bejahung des Rechts, der Gerechtigkeit und der Erfahrung der pietas [Unterstr. i. Orig.], des Ruhms und des Gotteshauses der Liebe.²⁹
Das lateinisch-italienische Wort für Rom Roma schrieb er abschließend rückwärts, sodass Amor: Liebe entstand. Das römische Gotteshaus der Liebe als Symbol der Romanität stellte er dem Wald der Germanität gegenüber. Dieses Gegensatzpaar war gleichzeitig der Motor seines teleologischen Geschichtsbildes. Manacorda beschwor diese doppelte Simmel’sche Raum-Zeit-Dimension des faschistischen Impero, indem er ihm ewigen und universalen Charakter zuwies. Dieses sei zugleich römisch wie christlich und entspreche durch seinen homogenisierenden, spirituellen und uni-
Halbwachs zeigte, wie die Christen in Palästina neue Erinnerungsorte schufen und zum anderen jüdische Orte christlich umdeuteten und in das eigene christliche kollektive Gedächtnis inkorporierten, vgl. Halbwachs, Maurice: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis (Maurice Halbwachs in der édition discours. Bd. 6). Konstanz 2003, S. 163. Rehberg, Karl-Siegbert: Macht-Räume als Objektivationen sozialer Beziehungen – Institutionenanalytische Perspektiven. In: Machträume der mittelalterlichen Stadt. Hrsg. von Christian Hochmuth und Susanne Rau. Konstanz 2006. S. 41– 55, S. 44. Vgl. Carbonelli: Urbe vita dell’orbe, S. 109. Papini, Giovanni: Discorsetti ai cattolici. In: Il Frontespizio 7 (1938). S. 403. Das faschistische Italien sei eines der wenigen Länder, in dem der Katholizismus Staatsreligion sei, der Staat die Unauflöslichkeit der Ehe und den Bestand der Familie verteidige und wo in den Schulen Religionsunterricht erteilt werde und außerdem Gotteslästerung unter Strafe stehe. Vgl. italienische Ausarbeitung des Vortrags Manacordas in Malcesine anlässlich der Verleihung des zweiten „Premio Goethe di Poesia“ vom 6. August 1939, S. 2. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1941, 1˚ Semestre – II bis. Als Artikel erschienen unter dem Titel: Premio Goethe di poesia a Malcesine. In: Illustrazione Italiana 34 (1939).S. 309. Manacorda bezieht sich mit „Rome“ auf Hellanikos von Lesbos der im 5. vorchristlichen Jahrhundert berichtete, Äneas habe Rom unter diesem Namen gegründet. Dieser solle auf Griechisch Kraft bedeutet haben.
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versalen Charakter dem Bild der zwei Sonnen Dantes. In der gemeinsamen Idee des Impero trage jede der beiden Institutionen, Kirche und Staat, als perfekte Vereinigung in vollkommener Harmonie der Ziele und in einem Machtgleichgewicht zum Nutzen des Einzelnen und zum Allgemeinwohl bei.³⁰ Pasquale Pennisi lud den Impero-Begriff ebenfalls christlich-teleologisch auf: Es sei die vorherbestimmte Form der göttlichen Gnade, um eine universale politische Ordnung zu gestalten und geschichtlich zu realisieren.³¹ Die katholischen Antifaschisten bestritten energisch die von den faschistischen Katholiken behauptete unabänderliche Bindung des Katholizismus an Rom und an die Italiener, und damit generell den universellen Geltungsanspruch des Faschismus. Der spanische Republikaner José María de Semprún y Gurrea wandte sich in der oben bereits dargestellten Polemik mit Manacorda gegen dessen Vorstellung von Rom als ewigem Sitz des Papsttums. Die Unfehlbarkeit des Papstes sei weder an die Stadt Rom noch an das Castel Gandolfo noch an den ehemaligen Papstsitz Avignon oder an Peniscola gebunden.³² Der Papst könne künftig vielleicht sogar einmal in San Francisco oder Ceylon residieren.³³ Er sprach sich gegen ein zweideutiges faschistischkatholisches Rom aus: Der Faschismus stehe im Widerspruch zur zu Grabe getragenen weltlichen Macht des Papstes. Hier merkte Manacorda handschriftlich an: „Und das Konkordat?“³⁴ Die Rom-Idee sei nur religiöser Natur. Semprún verwahrte sich gegen die seiner Ansicht nach gefährliche Mythisierung und die kindliche und melodramatische imperialistische Idolatrie Roms, in deren Namen so viele Verbrechen verübt würden.³⁵ Dies erkläre er im Namen seines humanen und religiös-universellen Katholizismus und im Namen seines legitimen politischen Amts sowie als demokratischer Republikaner, dessen Heimat von einer Invasion von Italienern, Deutschen und Marokkanern bedroht sei.³⁶ Von diesem Einwand sah Manacorda den Romanità-Mythos so in Frage gestellt, dass er Mussolini über Semprúns Sakrileg in Kenntnis setzte.³⁷ Im Jahre 1936 beschrieb der mehrfach erwähnte französische katholische Philosoph und Manacorda-Opponent Jacques Maritain in der Zeitschrift „Humanisme intégral“ das „Sacrum Imperium“ als geschichtliches Ideal des mittelalterlichen Christentums. Dieser Mythos, so Maritain weiter, sei kein verschüttetes archäologisches Relikt, sondern beeinflusse noch immer die Vorstellungswelt. In den katholischen Vgl. Manacorda, Guido: Le Fascisme. In: La Revue des Ambassades 2 (1938). S. 11– 13, hier S. 11. Zitiert nach Evola: Problemi della „mistica fascista“, S. 508. Peniscola war der Sitz der letzten beiden Gegenpäpste zur Zeit des Großen Abendländischen Schismas. José María de Semprún y Gurrea: En face de l’imperialisme romain, S. 24. Die Broschüre findet sich in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politicoreligioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. I–Z. Ebd., S. 25. Ebd., S. 26. Vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 26. Januar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, I–Z, Colloquio XXV.
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Ländern gebe es die Konzeption von gewissen katholischen Kreisen hinsichtlich einer christlichen Restauration, in den germanischen Ländern herrsche eine vorwiegend imperiale Ausrichtung vor.³⁸ Dagegen hielten Maritain und die demokratischen Katholiken diesen Mythos für überlebt. Tatsächlich waren in der Zwischenkriegszeit solche Reichsvorstellungen, wie sie die faschistischen Katholiken vertraten, vor allen Dingen im konservativen katholischen Lager nicht unüblich, wie Renato Moro zeigt: Seines Erachtens spielten solche Hybridformen in den 1930ern in der katholischen Kultur noch eine große Rolle. Besonders in Italien sei der Begriff des Reiches bzw. Impero ambivalent besetzt gewesen, weil er nicht nur einen religiösen, sondern auch laizistischen bzw. heidnischen Gehalt gehabt habe.³⁹ Worin liegt aus institutionenanalytischer Perspektive die besondere Stabilisierungsleistung der faschistisch-katholischen „Totalsynthese“? Nach der Rehberg’schen Institutionenanalyse sind es insbesondere zwei „institutionelle Mechanismen“⁴⁰, nämlich „Eigengeschichte“ und „Eigenzeit“, mit der die faschistischen Katholiken das Regime nach außen und nach innen legitimierten: 1. „Eigengeschichte“ meint eine Narration der geschichtlichen Ereignisse, welche die Kontinuität der eigenen Existenzform, im vorliegenden Falle der Anspruch des faschistischen Regimes, Erbe des antiken und christlichen Roms zu sein, beweisen soll. Die Geschichte wird dadurch enthistorisiert, dass die eigenen Anfänge – besonders in Form von Gründungsmythen – als Maßstab für alles Nachfolgende gesetzt und tradiert verewigt werden.⁴¹ Der Romanità-Kult ist eine solche mythisierende Form von „Eigengeschichte“ und Kontinuitätsfiktion, des „Es ist immer schon so gewesen“. Als Geltungsgeschichte wird der Rom-Mythos entsprechend mit weiteren Geschichten zu einer „Rechtfertigungsgeschichte“⁴² verschmolzen, so Claudia Müller in ihrem bei Karl-Siegbert Rehberg angesiedelten Promotion.⁴³ Diese Apologie, führt sie in Bezug auf Emilio Gentile weiter aus, beeinflusst maßgeblich die Selbstdefinition nationaler
Moro: Il mito dell’Impero, S. 311. In dieser Zeit sei für die Katholiken das Reich eine spirituelle und politische Einheit gewesen. Damit habe es sich um ein totalitäres Konzept der Konsekration gehandelt, das sich auf die Vorsehung gestützt habe, und damit explizit religiös unterfüttert gewesen sei, ebd., S. 313 – 314. Vgl. Rehberg: Die stabilisierende „Fiktionalität“ von Präsenz und Dauer, S. 406. „Die Zeitspanne zwischen dem Beginn und der Gegenwart wird als eine ungebrochene Abfolge konkreter Einlösungsakte der primordialen Qualitäten vorgeführt. […] Dieser Mechanismus birgt beträchtliche Vorteile: Er produziert eine Entzeitlichung des Geschehens, die allem Vergangenen die Kontingenz des Wandels nimmt, und die in jedem Augenblick der Geschichte das Unveränderliche als gegenwärtig zeigt. Es wird Zeitlichkeit in Dauer, Varianz in Gleichförmigkeit verwandelt und damit der Kern der institutionellen Leistung als realisiert aufgewiesen“, vgl. SFB 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“, S. 24– 25. Douglas, Mary: Wie Institutionen denken. Frankfurt a. M. 1991, S. 131. Claudia Müller vertieft diese Fragestellung: Politische Religion und Katholizismus. Geltungsgeschichten im faschistischen Romanità-Kult (Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Bd. 35). Phil. Diss. Paderborn 2017.
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Gruppierungen, ihre Freund- und Feindbilder, ihre politische Machtorganisation und eben das, was von der Masse gedacht und empfunden wird.⁴⁴ 2. Eine Sonderform der „Eigengeschichte“ bildet die institutionell erzeugte autonome „Eigenzeit“, die auch die Faschisten verordneten. Ihre Zeitrechnung begann am 28. Oktober 1922 mit dem Marsch auf Rom als primordialem Gründungsakt. Der faschistische Kalender wurde mit Erlass vom 25. Dezember 1926 eingeführt. An die gregorianische Datierung wurde in römischen Zahlen die faschistische Jahreszahl angefügt.⁴⁵ Aus dem 1. Januar 1927 wurde so der 1. Januar 1927-V. Das faschistische Jahr verfügte über eigene Feiertage wie Natale di Roma. Der faschistische Kalender ermöglichte insbesondere die Vergegenwärtigung von Einsetzungsakten wie das erwähnte Beispiel der Ausstellung zum ersten Jahrzehnt der faschistischen Revolution, die im Oktober 1932 von Mussolini im Palazzo delle Esposizioniin Rom eröffnet wurde. Durch den Romanità-Mythos wurden die wenigen Jahre der faschistischen Zeitrechnung in eine fiktive 2.000-jährige Traditions- und Kontinuitätslinie gestellt.⁴⁶ Der Romanità-Kult war spätestens seit der Gründung des Impero in katholischen Kreisen durchaus verbreitet, allerdings nicht so mystisch aufgeladen wie bei den faschistischen Katholiken, die damit die Vorstellung einer totalen Umwälzung auf christlicher Grundlage verbanden. Solche Raum-Zeit-Gebilde, wie sie die Faschisten konstruierten, widersprachen der Auffassung der Amtskirche, auch wenn konservative katholische Kreise, wie gesehen, dafür anfällig blieben. In seiner Antrittsenzyklika „Ubi arcano Dei consilio“ vom 23. Dezember 1922 betonte Papst Pius XI. den Gegensatz von Rom als Hauptstadt des antiken Weltreiches und des von Gott errichteten Roms und forderte eine Erneuerung des Reiches Christi, wobei er allerdings den Begriff Pax christi in regno christi verwandte.⁴⁷ Wie in der katholischen Vorstellung so entzog sich auch in der faschistischen Deutung das zu errichtende Impero durch seinen diffusen mystischen Charakter immer einer exakten räumlichen Festlegung. Der Faschismus von 1919, so Emilio Gentile, begriff sich noch nicht als imperialistisch, sondern als (kultur)expansionistisch. Er sah sich in der Tradition des Patriotismus einschließlich des Mythos der Romanità, der allgemeinen zivilisatorischen Mission, vage verortet an der afrikanischen Mittelmeerküste. Das im Vergleich dazu konkrete imperialistische Programm der nationalistischen Bewegung wurde verworfen. Die faschistische Ex-
Vgl. Gentile, Emilio: Il mito dello Stato nuovo. Dal radicalismo nazionale al fascismo. Roma u. a. 1999, S. 247 f. Das Anfügen einer römischen Jahreszahl an das gregorianische Datum findet sich auch in päpstlichen Dokumenten. Damit wird die Amtszeit des Papstes ausgedrückt. Anlässlich der 2.000-Jahr-Feier des Augustus hielt Kardinal Schuster ein Rede, in der er Mussolini als „Mann der Vorsehung“ mit Augustus und dem ersten christlichen Kaiser Konstantin verglich, vgl. Moro: Il mito dell’impero, S. 359. Nicht mehr zum Tragen kam die demokratische Staatskonzeption von Don Sturzo, dem Führer der katholischen Volkspartei, die eine neoguelfische Synthese im Gegensatz zur ghibellinischen des Nationalsozialismus und Faschismus beinhaltete, weil er 1923 zurücktreten musste, ebd., S. 333.
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pansion in der Tradition von „Voce“, d’Annunzio und den Futuristen beanspruchte, den Primat Italiens über Handel, Emigration und die Kultur zu verwirklichen. Die Romanità bezog sich nicht auf das imperiale, sondern das republikanische Rom vor Cäsar und Augustus.⁴⁸ Diese spirituelle und universalistische Akzentuierung des Impero-Gedankens gab dem Faschismus zugleich die Möglichkeit, an katholische Vorstellungen anzuknüpfen. Hierfür bezeichnend ist die erste Rede Mussolinis in der italienischen Kammer vom 21. Juni 1921, in der er die lateinische und imperiale mit der katholischen Tradition gleichsetzte.⁴⁹ Auch als in der Folge der intransigente revisionistische Faschismus stärker wurde, blieb dieser idealistische Flügel weiter bestehen.⁵⁰ Ende der 1920er Jahre intensivierte sich der innerfaschistische Diskurs zugunsten von imperialen Konzepten: Der Philosoph Julius Evola verwarf durch seine heidnische Impero-Deutung die christliche Reichsidee.⁵¹ Nicht nur der „Osservatore Romano“ und die Klerikalfaschisten um Egilberto Martire, sondern auch die „Critica fascista“, Farinacci und die gentilistische „Vita nuova“ distanzierten sich von Evola. Auch für Manacorda war Italien nur auf katholischer Grundlage vorstellbar.⁵² Die antikatholische Vorstellung Evolas war nicht mehrheitsfähig, auch weil das Regime eine Aussöhnung mit dem Heiligen Stuhl anstrebte. In einem im November 1931 im „Frontespizio“ erschienenen Artikel mit dem Titel „Dall’A all’effe“ verlangte Papini, der seine Ablehnung des weltlichen Roms nicht mehr aufrechterhielt, vom „Osservatore Romano“ nunmehr Respekt für das imperiale Rom. Und der unvermeidliche Pasquale Pennisi erklärte, dass das Imperium des Augustus zur Auflösung der Fraktionen geführt habe. Im augusteischen Frieden habe es sein religiöses Element gefunden.⁵³ Eine neue Stufe erreichte dieser Mythos mit der Eroberung Abessiniens, die von allen katholischen Strömungen breite Zustimmung erfuhr. Im Leitartikel der Mai-Nummer des „Frontespizio“ schrieb Bargellini, der Begriff Impero bedeute, dass Rom berufen sei, der Welt sein Gesetz aufzuerlegen, nicht um Völker und Nationen zu unterdrücken, sondern um sie an sein ewiges und universales Schicksal zu binden.⁵⁴ Zum Jahreswechsel 1936/37 feierte die Direktion von „Segni dei tempi“ um Paolo Bonatelli die Gründung des Impero mit einer historisch-politisch-religiösen eigengeschichtlichen teleologischen Deutung: Der Gott der Gerechtigkeit und des Sieges habe für die imperiale Apotheose Italiens gesorgt. In einer erschütterten und heidnischen Welt sei das christliche und römische Impero neu erstanden:
Gentile: Le origini dell’ideologia fascista, S. 208 – 211. Vgl. Scoppola: La Chiesa e il fascismo, S. 53. Moro: Il mito dell’Impero, S. 327. Seine atheistische Reichsidee stellte Julius Evola im Dezember 1927 in der „Critica fascista“ vor. Die Artikelserie erschien 1928 als Monographie unter dem Titel: Imperialismo pagano. Todi u. a. 1928. Guido Manacorda an Auro d’Alba, Brief vom 19. September 1931. In: AdN della Sapienza Rom, Fasc. 1931, 1° Semestre. Pennisi, Pasquale: Ordine politico e ordine religioso. Fidenza 1938. Vgl. Bargellini, Piero: Impero. In: Il Frontespizio 5 (1936). S. 1– 2, hier S. 1.
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Und die Welt schaut auf Rom, im dantesken Zeichen des Kreuzes und des [römischen] Adlers als den Symbolen der Einheit und des Heils. ‚Te Deum laudamus‘!⁵⁵
Die Vorsehung sei, so Bonatelli, mit den gerechten Imperien.⁵⁶ Der Schulmeister ließ es sich nicht nehmen, aus Dantes „Göttlicher Komödie“ das wohl berühmteste Zitat aus der „Aeneis“ anzuführen: „Tu regere imperio populos, romane, memento.“⁵⁷ Wie ist die faschistisch-katholische Impero-Projektion von anderen katholischen Stimmen in Italien zu unterscheiden? Richtig ist, dass nicht nur die faschistischen Katholiken, sondern weite katholische Kreise das neue Impero freudig begrüßten. Der Mailänder Kardinal Alfredo Ildefonso Schuster beispielsweise feierte die Annexion Abessiniens als „Triumph des Kreuzes Christi“.⁵⁸ Der bekannte katholische Publizist Romolo Murri definierte in seinem Buch „L’idea universale di Roma dalle origini al fascismo“⁵⁹ die Romanità als die Anerkennung von Gott und Ordnung. Das katholische und faschistische Rom solle eine Lega Latina gegen den Völkerbund führen. Das alles weicht nicht sonderlich von den Elogen Bargellinis oder Bonatellis ab. Allmählich regte sich jedoch bei vielen italienischen Katholiken verhaltene Kritik am kriegerischen Materialismus des Faschismus⁶⁰, während die faschistischen Katholiken weiter sämtliche Kriege des Regimes rechtfertigten, wie unten zu sehen sein wird. Zwar folgten viele Katholiken, so Renato Moro, der faschistischen Propaganda, indem sie die zivilisatorische Mission des Impero als Ausdruck einer gottgewollten Vorsehung empfanden, nicht hingegen teilten sie die Mystik des Staates und der Nation und auch nicht die Idee einer universalen Revolution, wie das die faschistischen Katholiken taten.⁶¹ Seine Auffassung des Impero stellte Manacorda in der 1936 von Henry Lémery gegründeten „Revue des Ambassades et des questions diplomatiques et coloniales“
La direzione: 1936. In: Segni dei tempi 1 (1937). S. 2. Italien, so Bonatelli, sei Erbe dieser hellenischen Idee der Gerechtigkeit, auf deren Fundament die Römer das Recht, das Christentum das Licht des Glaubens und das italienische Volk im Mysterium seiner vitalen und fruchtbaren, jahrtausendealten Entwicklung aller dieser Werte, in der Aktion fruchtbar machte. Er hob die Bedrohung durch die britische Flotte im Mare nostro hervor, vgl. Istituto Fascista dell’Africa Italiana. Sezione di Verona: Celebrazione Giornata Coloniale. Maggio XVIII. Discorso del Camerata Prof. Paolo Bonatelli. o. O.,o. J., S. 5. Demgegenüber hätten die Kolonialimperien der Engländer und Franzosen versagt, weil sie für die Versklavung und Deportation von Millionen Schwarzafrikanern nach Amerika verantwortlich seien, während die Italiener zwar arm, aber gerecht geblieben seien. Weitere Negativbeispiele seien das Opiummonopol oder die Vernichtung der Indianer. Um 1600 hätten die Engländer das heroische Spanien verdrängt, jetzt sei die Zeit des Empire abgelaufen, wie der „Duce“ in der Kammer gesagt habe, ebd., S. 10 – 12. Moro: Il mito dell’Impero, S. 350. Milano 1937. Einen Tag nach der Propagierung des Impero sprach sich Kardinal Elia Dalla Costa, Erzbischof von Florenz, für Frieden aus. Der Präsident der „Azione Cattolica“, Augusto Cariaci, folgte ihm am 31. Mai, vgl. Moro: Il mito dell’Impero, S. 350 – 352. Gentile: Le origini dell’ideologia fascista, S. 186.
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vor.⁶² Der Artikel in der französischen Zeitschrift über den Geist des Impero sei auf seine Initiative hin entstanden. Der „Duce“ habe ihn aber als gänzlich seinen Vorstellungen entsprechend gelobt, beschrieb Manacorda den offiziösen Charakter seiner Ausführungen.⁶³ Darin führte er aus, dass das Gemeinwohl, für das sich besonders im Faschismus der Einzelne opfere, nicht mit dem engen und egoistischen Nationalismus gleichzusetzen sei, da dieser auf materialistischen Konzeptionen des 19. Jahrhunderts beruhe. Der Faschismus basiere im Unterschied dazu auf einer Idee, der die Anwendung von Gewalt untergeordnet sei – erklärte er angesichts des Überfalls auf Äthiopien und der Intervention Mussolinis zugunsten Francos heuchlerisch –, und diese Idee verkörpere das universale Impero. ⁶⁴ Die gegenwärtigen konstruktiven (i. e. faschistischen) Bewegungen hätten das Stadium des Nationalismus überwunden und obwohl sie sich auf das Nationalitätenprinzip beriefen, wurzelten sie in den Völkern, seien aber offen für soziale Reformen und erstrebten eine humane Universalität. Mussolini gegenüber warnte er vor dem Begriff des Nationalismus, der zu leicht und gefährlicherweise mit dem Begriff der Reaktion vermischt werde.⁶⁵ Auch Papini betonte, der lateinische Genius sei immer dann besonders tief national gewesen, wenn er europäisch, ökumenisch, katholisch, und damit universal gewesen sei.⁶⁶ Der Universalismus bedeute die Überwindung des Nationalismus. Pennisi beschrieb an anderer Stelle diese neue hierarchische, faschistische Ordnung als Synthese, die alle alten Gegensätze überwunden habe.⁶⁷ Insbesondere sei der Antagonismus zwischen dem imperialen Ghibellismus und dem päpstlichen Guelfentum aufgelöst. Im universalen faschistischen Impero sei außerdem der Nationalismus auf eine höhere Stufe gestellt worden⁶⁸, weil er nun auf einer rassischen Grundlage beruhe, denn der Träger des Impero sei die
Manacorda: Le Fascisme, S. 11– 13. Die Monatsschrift, die den Aufstieg des „Dritten Reiches“ misstrauisch verfolgte, hatte ihre Leserschaft in der Pariser Oberschicht und unter den europäischen Diplomaten. An die „Revue“ hatte ihn die Imperial Policy Group vermittelt. Er erhielt für seinen Beitrag 500 Lire, vgl. Redaktion an Guido Manacorda, Brief vom 10. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1938, 2° Semestre, Sottofasc. Revue des Ambassades et des questions diplomatiques et coloniales. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 16. Juli 1936, sowie Kenneth de Courcy an Guido Manacorda, Brief vom 30. Juli 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. I.P.G. Vgl. Manacorda: Le Fascisme, S. 11. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 11. Februar 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio Politico 1937 I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, Relazione XXIV. Papini: Italia mia, S. 176. Pennisi, Pasquale: Nipponicità dell’Asia gialla, razzismo delle potenze dell’Asse e concessioni europee in Cina (Estr. da: La vita italiana. Ottobre 1939). Roma 1939. Vgl. Allegato 1: Programma preparato da Pasquale Pennisi per la rivista ‚IMPERIALITA‘ (Febbraio 1941.XIX). In: ACS, SPD, CO, Busta 1921, N. 530713, Pennisi, Prof. Pasquale – Docente alla R. Università di Roma.
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Rasse.⁶⁹ Demgegenüber stellte für Bonatelli das von Freimaurern und Juden regierte britische Empire quasi als „Reich des Bösen“ den negativen Gegenentwurf des faschistischen Impero dar.⁷⁰ Damit hätte eine italienische Nation aber ebenso wenig fortexistiert, wie das Grossgermanische Reich deutscher Nation, das Hitler nach dem Endsieg errichten wollte, ein deutscher Nationalstaat geblieben wäre.⁷¹ Paradoxerweise fiel die von den Faschisten – und auch von den faschistischen Katholiken – propagierte Überwindung des Nationalismus durch den Universalismus auf seine Urheber zurück. Denn diese dialektische Synthese des universellen Impero wandte sich am Ende gegen die Faschisten, weil sie den Begriff der Nation leichtfertig ihren Gegnern überlassen hatten. Im Zuge der Eroberung Äthiopiens schrieb der Antifaschist Carlo Rosselli: „Für euch, Faschisten, das ‚Impero‘: für uns die Nation“.⁷² Im Dezember 1942 stellte Ardengo Soffici nach einer der „Duce“-Reden resigniert fest, dieser spreche nur vom faschistischen Krieg, gerade so, als wenn der Krieg von der Partei geführt werde und nicht zur Rettung des Landes.⁷³ Erst angesichts der bevorstehenden Invasion der Alliierten in Italien proklamierte das Regime in letzter Sekunde die Verteidigung der Nation, ohne damit die Massen noch einmal mobilisieren zu können.⁷⁴
Zitiert nach Evola: Problemi della „mistica fascista“, S. 508. Vgl. Discorso del Camerata Prof. Paolo Bonatelli, S. 13. Vgl. zu den deutschen Neuordnungsvorstellungen: Das „Großgermanische Reich deutscher Nation“. In: Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich. Hrsg. von Horst Möller, Volker Dahm, Hartmut Mehringer. 3. Aufl. München u. a. 2001. S. 396 – 397. Im Original formulierte Roselli: „A voi, fascisti, l’impero; a noi la nazione“, vgl. Gentile, Emilio: La Grande Italia. Ascesa e declino del mito della nazione nel ventesimo secolo. Milano 1997, S. 220. Ebd., S. 215 – 217. Ebd., S. 221.
9 Das Spannungsverhältnis zwischen Romanität und Germanität In seinem berühmten Essay aus dem Jahre 1908 charakterisiert Georg Simmel die Erfahrung der Fremdheit als Produkt der Spannungsbeziehung zwischen Identität und Alterität: Die Einheit von Nähe und Entferntheit, die jegliches Verhältnis zwischen Menschen enthält, ist hier zu einer am kürzesten so zu formulierenden Konstellation gelangt: die Distanz innerhalb des Verhältnisses bedeutet, daß der Nahe fern ist, das Fremdsein aber, daß der Ferne nah ist. Denn das Fremdsein ist natürlich eine ganz positive Beziehung, eine besondere Wechselwirkungsform.¹
In Fortführung der Gedanken von Simmel hat Almut Loycke die Auswirkungen dieser Erfahrung präzisiert. Demnach rufe das Unbekannte des Anderen beim Betrachter Angst hervor. Von diesem Unbekannten, das der Fremde repräsentiere, gehe aber parallel dazu auch eine Faszination aus, die ein Verhalten bewirken könne, das von Abwehr und Verlangen zugleich bestimmt sei.² Für die Wahrnehmung Deutschlands durch die italienischen Katholiken in der Zwischenkriegszeit trifft diese Beobachtung in besonderem Maß zu, denn diese schwankte vehement zwischen schroffer Ablehnung und unverhohlener Anerkennung. Die auf diese Weise hervorgerufenen Ambivalenzgefühle gegenüber Deutschland setzten im katholischen Milieu Italiens einen Prozess der Selbstvergewisserung in Gang. Die Perzeption der Germanität fand ihre spiegelbildliche Entsprechung in dem ständigen Versuch der katholischen Intellektuellen, eigene Selbstbilder zu kreieren, die diese Projektionen verarbeiteten. Auf diese Weise fungierte die Auseinandersetzung mit der Germanität als Katalysator für die Genese des faschistisch-katholischen „Denkstils“. Der Germanist Manacorda war dabei der versierteste Deutschlandexperte seiner Gruppe. Obwohl grundfalsch, wurde sein Modell, das dem Zeitgeist und dem Stand der Philologie der Zwischenzeit durchaus entsprach, von vielen, nicht zuletzt von Bottai übernommen. Im faschistischen Regime gehörte der Professor als Ratgeber Mussolinis zu den prominentesten und einflussreichsten Kennern des Nationalsozialismus, obwohl er sich auch in dessen Wesen dramatisch täuschte. In den 1920er Jahren mehrte sich bei den italienischen Katholiken die Kritik an den modernen Tendenzen der Republik von Weimar, für die der Protestantismus verantwortlich gemacht wurde. Nach Abschluss der Lateran-Verträge im Jahre 1929 entwickelte sich eine regelrechte antiprotestantische Kampagne, die bis 1931 vehe-
Vgl. Simmel, Georg: Exkurs über den Fremden. In: Der Gast, der bleibt. Dimensionen von Georg Simmels Analyse des Fremdseins. Hrsg. von Almut Loycke. Frankfurt a. M. u. a 1992. S. 9 – 16, hier S. 9. Loycke, Almut: Der Gast, der bleibt. Dimensionen von Georg Simmels Analyse des Fremdseins. In: Der Gast, der bleibt. Hrsg. von ders. Frankfurt a. M. u. a. 1992. S. 103 – 123, hier S. 104. https://doi.org/10.1515/9783110538991-009
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ment geführt wurde.³ Die Wahrnehmung Deutschlands erfuhr eine immer stärkere chauvinistische Aufladung. Egilberto Martire wertete bereits 1924 die lutherische Reformation als germanische Revolte gegen Rom und die Romanität um. Gegen Ende der 1920er Jahre führten italienische und deutsche Katholiken u. a. in Gravellis Zeitschrift „Antieuropa“ diese Debatte. Nicht selten wurde dabei der Protestantismus als im Grunde heidnischer Kult diffamiert. An dieser Polemik beteiligte sich auch der „Frontespizio“: Die Katholiken betrachteten den Protestantismus als Produkt der Hegel’schen Staatsphilosophie, die im polemischen Urteil Domenico Giuliottis nichts anderes war als „ein biertrunkener Adler mit Fledermausflügeln“.⁴ Das 1933 von Manacorda veröffentlichte Buch „La selva e il tempio“ mit dem Untertitel „Studi sullo spirito del Germanesimo“ gehört zu den späten Werken dieser Kampagne. Sein Urteil über die Deutschen bezog sich zu diesem Zeitpunkt noch gänzlich auf die Weimarer Republik und war daher frei vom Konkurrenzdenken zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, das kennzeichnend für eine zweite deutschlandkritische Kampagne Mitte der 1930er Jahre werden sollte. In seinem Werk wiederholte Manacorda seine These von der ewigen Dichotomie zwischen Germanität und Romanität, wie wir sie aus dem Ersten Weltkrieg kennen, und der Idee einer Existenz unveränderlicher germanischer Wesensmerkmale, die eine Konstante in seinem Denken darstellte.⁵ In der Edda sowie in ausgewählten Werken Luthers, Goethes, Wagners, Hamsuns, Ibsens und weiterer Vertreter der nordischen Moderne spürte er dem ewigen germanischen Wesen nach, das er mit der Metapher des Waldes fassen wollte. In seinem völkerpsychologischen Deutungskonzept, das in eine gefährliche Nähe zur Vorstellung einer artgerechten, völkischen Literatur der NS-Ideologie geriet, interpretierte Manacorda das Schaffen der deutschsprachigen und skandinavischen Autoren als Ausdruck einer nordischen Volksseele, die sich in jedem Werk äußere.⁶ Diese Forschungsperspektive behielt er Zeit seines Lebens bei. Manacorda beanspruchte mit seiner literarischen Werkanalyse, den ewigen Volkscharakter erfassen, und damit letztlich genauer beschreiben zu können, als es über historische Rekonstruktionen möglich sei, die einer „mythischen Verdichtung“ entgegenstünden. Denn „Mythen tragen in sich die gebieterische Forderung nach Vereinfachung“, erläuterte er 1939 in der „Europäischen Revue“: „Sie bergen eine viel tiefere Wahrheit, als sie in der streng historischen Wirklichkeit gegeben ist.“⁷ Unzweifelhaft sei, fügte er an,
Moro: La Germania di Hitler come „eresia protestante“, S. 93 – 94. Vgl. Giuliotti, Domenico: Pensieri di un malpensante. In: Il Frontespizio 10 (1931). S. 5. Vgl. Biografischer Teil sowie Manacorda: Civiltà tedesca e civiltà italiana. Vgl. Manacorda: La selva e il tempio, S. 265. Manacorda, Guido: Dante und Goethe. In: Europäische Revue 15 (1939). S. 228 – 231, hier S. 228. Diese jungkonservative Zeitschrift war 1925 von Karl Anton Prinz Rohan, der der österreichischen Linie eines alten europäischen Adelsgeschlechts entstammte, gegründet worden. Ihr Ziel war die Sammlung und Weiterbildung einer Elite des jungen Europas. Ein künftiger Krieg sollte von den europäischen Nationen
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im dichten Wald dieser Mythendas moderne Wesen des nordisch-germanischen Menschen deutlicher sichtbar als in der geschichtlichen Betrachtung.⁸
Der germanische Mythos sei freudlos, da er keine Transzendenz kenne.⁹ Die Natur stehe bei den germanischen Völkern über dem Geist. Sie sei nicht eindeutig aus einem Prinzip ableitbar, weil sie entweder polytheistisch sei oder für das Luthertum stehe, wohingegen bei den Romanen der Tempel bzw. das Gotteshaus für den Primat des Geistes über die Natur stehe und Harmonie stifte. Anhand dieser beiden Metaphern beschrieb der Philologe nicht nur das germanische Fremdbild, sondern auch das Spannungsverhältnis mit dem lateinischen Eigenbild: Ein ewiger Kontrast, der sich immer wieder unter verschiedenen Namen und in diversen Formen aufs Neue ausdrückt, Apollo (oder Dionysos) und Christus, Romantizismus und Klassizismus, Germanentum und Romanität, Rassismus und Universalität, Idealismus und Realismus, mit Überlappungen, Irrläufern und unvermeidlichen Konfusionen, aber zugleich, wie erkennbar wird, mit gegenseitigen äußeren Konzessionen. Ein grundlegender ewiger Gegensatz.¹⁰
Mit der modernen Weimarer Literatur befasste sich das Buch nicht. Erwähnung findet der Nationalsozialismus nur an zwei Textstellen: Zum einen wird Tacitus mit der Aussage zitiert, die Germanen mischten ihr Blut nicht mit anderen Völkern. Zum anderen führt er Gobineau, Hitler und Rosenberg an, die ebenfalls dieser Ansicht seien.¹¹ Das gegenwärtige protestantische Denken war für Manacorda nichts anderes als das Ende eines Prozesses der Entchristianisierung. Manacorda stellte Luther daher in eine negative pagane Teleologie: Darin oszillierten, wie vermutlich im Odinglauben, Schmerz und Furcht, welche die Liebe niederringen, die aber wiederum weder in einem schönen Bild noch in einem schönen Gotteshaus, sondern in der Hingabe des Gesangs und der Musik zu finden sind. […] In Wirklichkeit äußert sich darin nicht nur das Wort, sondern auch der Geist.Wenn ich mich nicht völlig täusche, erweist sich die lutherische Reformation in erster Linie als eine antikatholische Häresie als ein germanisches Heidentum, in dem der physische Zusammenhalt generiert und in Glauben spiritualisiert wird, und in dem der Menschen den Kosmos ersetzt hat.¹²
Papini lobte das Buch seines Freundes: Keineswegs seien es „unreife Früchte“, wie Manacorda meine, sondern er habe ein tiefgründiges Werk vorgelegt, das zum
nicht mehr untereinander, sondern gegen einen gemeinsamen Gegner geführt werden, vgl. zur „Europäischen Revue“ Hoepke: Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus, S. 43 – 45. Manacorda, Guido: Nella selva del mito nordico-germanico. In: Le Vie d’Italia, Rivista mensile della consociazione turistica italiana 4 (1941). S. 413 – 419. Der Artikel ist mit Zeichnungen von Odin und Thor sowie den drei Nornen illustriert. Manacorda: La selva e il tempio, S. 27. Vgl. Manacorda: La selva e il tempio, S. 5 – 6. Ebd., S. 25. Ebd., S. 50.
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Schönsten zähle, was er jemals geschrieben habe.¹³ Im Übrigen hielt sich der Florentiner Professor keinesfalls für deutschfeindlich. Im Gegenteil trug er aus seiner Sicht zum besseren Verständnis der deutschen Kultur in Italien bei. Entsprechend schrieb er dem deutschen Botschafter in Rom Ulrich von Hassell zu Weihnachten 1934: Möge meine Arbeit als eine in schweren Zeiten von einem Weltkriegskämpfer und Geistesforscher treu erfüllte Pflicht gelten und zu einem tiefen gegenseitigen Einverständnis unsrer beiden grossen Kulturen dauerhaft beitragen.¹⁴
Eine zweite antiprotestantische Kampagne fand von 1934 bis 1936 statt. Sie wurde sowohl vom faschistischen Regime als auch von den Katholiken geführt.Während von letzteren die Katholikenverfolgung angeprangert wurde, war es für das erstere der missglückte Juli-Putsch der österreichischen Nazis, der zu einer abrupten Verschlechterung v. a. der persönlichen Beziehungen zwischen Hitler und Mussolini führte.¹⁵ Machtpolitisch ging es dem „Duce“ darum, seinen austrofaschistischen Satelliten zu stabilisieren und die als Bedrohung Italiens empfundene Anschlusspolitik der Nazionalsozialisten zu konterkarieren.¹⁶ Hinter diesen tagespolitischen Streitpunkten stand darüber hinaus immer die ideologische Rivalität zwischen den beiden totalitären Systemen in Berlin und Rom. Mussolini beanspruchte die ideologische Führung gegenüber dem Reich. Daher wurde der Machtkonflikt zwischen faschistischem Italien und NS-Deutschland von Anfang an über den Kampf der „Leitideen“ ausgetragen. Man stritt sich u. a. über die Frage, wer die bessere Arbeitsgesetzgebung habe oder die richtige Kunstpolitik.¹⁷ Emblematisch ist in diesem Zusammenhang die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Figur Dantes, die im faschistischen Symbolhorizont eine zentrale Legitimationsrolle für die Romanität spielte.¹⁸ Der
Vgl. Giovanni Papini an Guido Manacorda, Brief vom 23. Dezember 1933–XII. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Papini. Bezeichnend für seine zunehmend faschistische Orientierung fügte Papini dem christlichen auch das faschistische Kalenderjahr an. Guido Manacorda an Ulrich von Hassell, Schreiben vom 26. Dezember 1934. In: Nachlass Ulrich von Hassell. Petersen: Hitler – Mussolini, S. 360 – 362. Dies zeigt ein Aufsatz des „Duce“ über die historische Sendung Österreichs vom 13. Februar 1935, in dem sich Mussolini vehement gegen die großdeutsche Lösung ausspricht. Österreichs Bedeutung liege in der Funktion als Mittler zwischen dem deutschen Kultur- und dem Balkanraum sowie in dessen katholischer Tradition, die das katholische Italien von Luthertum und Orthodoxie abschirme. Österreich besitze eine eigene Kultur, die stark von der westlich-lateinischen Kultur (italienische Architektur, Kunst und Musik) beeinflusst worden sei, vgl. Alpendienst, Kulturpolitische und wissenschaftliche Nachrichten aus dem deutsch-romanischen Alpengrenzraum über die inneren Widerstände gegen die Achsenpolitik in Italien vom 24. März 1942, S. 6. In: PA Berlin, R 60601, Geheime Verschlusssachen des Ref. Kult W. Petersen: Hitler – Mussolini, S. 339 – 340. Vgl. Hollender, Martin und Ulrike: Die deutsche Dante-Rezeption in Publizistik und Wissenschaft: Zwischen politischer Instrumentalisierung und menschlicher Integrität. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 74 (1999). S. 13 – 84, hier S. 24.
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deutsche Rassentheoretiker Günther ordnete die Mehrheit der Italiener der ostischen und westischen Rasse zu, der es an „geistiger Schöpferkraft“ fehle. Folglich wurde den italienischen Geistesgrößen wie Galilei, Garibaldi, Leonardo da Vinci, Machiavelli, Raffael und eben Dante arische Abstammung unterstellt.¹⁹ Alfred Rosenberg schrieb in seinem Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, Dante sei ein „nordischer Italiener“ mit einem „germanischen Schönheitsideal“.²⁰ In einem Vorwort zur „Göttlichen Komödie“ hieß es: „Aldiger ist der ursprünglich deutsche Name, Alighieri die spätere italienische Wandlung aus altem, im Tale des Po ansässigen germanischen Geschlechte.“²¹ Hierzu befand Papini, die Deutschen wollten in Dante den germanischen Geist sehen und ihn sogar nach Gesicht, Rasse und Genius für eine deutsche Erscheinung halten.²² Ein wichtiger Anstoß für die Polemik war die Indexsetzung²³ des rassentheoretischen Machwerkes „Mythus des 20. Jahrhunderts“ des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg durch das Sanctum Officium am 9. Februar 1934.²⁴ Die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl berichtete mehrfach von der vehementen Reaktion der Vatikanpresse.²⁵ Der deutsche Botschafter Diego von Bergen meldete, die Indizierung sei erfolgt, weil der „Mythus“ nach Ansicht der Kirche die katholischen Dogmen verächtlich mache und verwerfe sowie die Grundlagen der christlichen Religion in Frage stelle. Das Buch beinhalte für die Kurie den Versuch, durch den mythischen Glauben an das Blut eine neue Religion zu stiften.²⁶ Im April 1934 erschien Hitlers „Mein Kampf“ in
Günther, Hans F.K.: Kleine Rassenkunde Europas. München 1925, S. 83 – 84. Das Buch befand sich auch im Besitz Manacordas, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio 1934, 2˚ Semestre. Vgl. Rosenberg, Alfred: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. München 1933, S. 68. Vgl. Bayer, Franz Joseph: Dantes Göttliche Komödie. München 1938, S. 4. Vgl. Papini, Giovanni: Dante. Ein ewiges Leben. Berlin u. a. 1936, S. 30. Vgl. Burkard, Dominik: Häresie und Mythos des 20. Jahrhunderts. Rosenbergs nationalsozialistische Weltanschauung vor dem Tribunal der römischen Inquisition. Paderborn 2005. Vgl. ebd. S. 34 sowie Verucci: Idealisti all’indice, S. 196. Padre Mario Barbera, seit 1920 Redakteur der jesuitischen Zeitschrift „Civiltà Cattolica“, verwarf den „antichristlichen Rassemythus“ Rosenbergs vehement, da er das Christentum insgesamt ablehne, vgl. Barbera, Mario: Mito razzista anticristiano, in. Civiltà cattolica 1 (1934). S. 238 – 249. Der Artikel wurde vom „Osservatore Romano“ am 7. Februar 1934 übernommen. Wie Bergen Berlin berichtete, sei der „Mythus“ in Barberas Augen „ein überaus phantastisches, ungestümes Buch, das Rassen- und Religionshass, Zwietracht und Eifersucht säe und so die Nationen entzweie, entgegen dem Ziel des Nationalsozialismus, das deutsche Volk zur nationalen Wiedergeburt zu einigen, und im schärfsten Gegensatz zu den Erklärungen Hitlers, das Dritte Reich auf christlicher Grundlage aufbauen zu wollen.“ Bergen schränkte ein, dass der Rezensent unter Verweis auf das Vorwort von Februar 1930 allerdings betone, dass das Buch nur Rosenbergs private Meinung widerspiegele, vgl. Bericht Bergens an das Auswärtige Amt vom 5. Februar 1934. In: PA Berlin, Rom-Vatikan, 223, Rosenberg. Zu Barbera vgl.: Sani, Roberto: „La Civiltà cattolica“ e la politica italiana nel secondo dopoguerra (1945 – 1958). Milano 2004, S. 36. Außerdem sei die Behauptung moniert worden, das Alte Testament sei für die deutsche Jugend gefährlich, vgl. Bericht Bergens an das Auswärtige Amt vom 14. Februar 1934. In: PA Berlin, Bestand Rom-Vatikan, Bd. 223. In seinem „Mythus“ hatte Rosenberg der Kirche vorgeworfen, sie habe „als
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Italien, wo es eine überwiegend kritische Aufnahme fand. Mussolini selbst äußerte sich im „Popolo d’Italia“ am 26. Mai: Rassenkult zu hundert Prozent. Gegen alles und gegen jeden: gestern gegen die christliche Zivilisation, heute gegen die lateinische Zivilisation, morgen vielleicht gegen die Zivilisation der ganzen Welt!²⁷
Dieser Perzeption schlossen sich die philofaschistischen Katholiken an. Interessanterweise waren es aber durchaus auch faschismuskritische Katholiken wie z. B. Ernesto Vercesi, die den Nationalsozialismus als paradigmatischen Ausdruck der irreversiblen Krise des Protestantismus für Individualismus, Neopaganismus, Rassismus und Antisemitismus verantwortlich machten.²⁸ Der pseudoreligiöse deutsche Glaube sei das Produkt des liberalen Protestantismus. Mit Sorge betrachteten viele italienische Katholiken die Deutschen Christen, deren Bedeutung sie überbewerteten, während der Pfarrer-Notbund in Italien unterschätzt wurde. Denn sie fürchteten zwei Entwicklungen: Erstens hatten sie Angst vor der Gründung einer deutschen Nationalkirche, die den Geltungsanspruch der römischen Kirche in Frage gestellt hätte. Zweitens sahen sie nicht zu Unrecht die Gefahr, dass der Nationalsozialismus den christlichen Glauben und die Kirche in toto abschaffen wolle. Doch nicht alle italienischen Katholiken erblickten in der Reformation den Ursprung der NS-Bewegung. Der prominente antifaschistische Historiker Mario Bendiscioli²⁹ kritisierte die protestantische Kirche in Deutschland, weil sie seines Erachtens ihre religiösen Grundüberzeugungen geopfert habe, um ihre Organisation zu erhalten, analysierte aber den Nationalsozialismus auf differenziertere Weise. Auch er hielt die NS-Ideologie aufgrund ihres Charakters als metaphysische Glaubensbewegung für sehr gefährlich.³⁰ Den Grund darin sah er nicht im Protestantismus, sondern im modernen Subjektivismus. Daher hielt er einen gemeinsamen Widerstand beider Kirchen gegen das „Dritte Reich“ für möglich. Dass das Buch im Jahre 1936 in Italien überhaupt ungehindert erscheinen konnte, zeigt, wie sehr das faschistische Italien die Katholiken für seine zu diesem Zeitpunkt noch gegen Hitlerdeutschland gerichteten ideologischen
Erbin, Sammelbecken und ‚Kloake‘ den ‚Niederschlag des Völkermorastes‘ in sich aufgenommen und mit Hilfe von ‚Zauberkulten und Judenbibel‘ über das Abendland verbreitet“, vgl. Burkard: Häresie und Mythos des 20. Jahrhunderts, S. 29. Paulus habe „‚den jüdischen Weltherrschaftstraum im Herzen‘ dem Rassenchaos den Weg geebnet“, ebd. S. 30. Petersen: Hitler – Mussolini, S. 341– 342. Moro: La Germania di Hitler come „eresia protestante“, S. 96 – 97. Der Historiker und Religionswissenschaftler Mario Bendiscioli (1903 – 1998) engagierte sich in den 1920er Jahren in der FUCI und gehörte zu den einflussreichsten jungen Intellektuellen des demokratischen Katholizismus, vgl.: Mario Bendiscioli storico: convegno di studio. Brescia. 17 marzo 2001. Brescia 2001. Bendiscioli, Mario: Germania religiosa del terzo Reich. Conflitti religiosi e culturali nella Germania nazista. Brescia 1936.
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Zwecke instrumentalisierte.³¹ Genauso folgerichtig verbot das Regime 1939 die erweiterte Fassung, die den forcierten NS-Kirchenkampf seit 1937 thematisierte und nur noch in englischer Ausgabe erscheinen konnte.³² Insgesamt seien sich die italienischen Katholiken, so Renato Moro, uneins darüber gewesen, ob der Nationalsozialismus eine bleibende Bedrohung des christlichen Abendlandes darstelle oder ob er sich nicht mit der Zeit mäßige und ein Ausgleich mit ihm möglich sei.³³ Das intellektuelle Flaggschiff der katholischen Publizistik, der „Frontespizio“, wurde nach der sog. Machtergreifung zum Leitorgan dieser zweiten antiprotestantischen Kampagne. Außer Papini und Manacorda beteiligten sich an ihr aber zunächst weniger besonders faschistisch orientierte Mitarbeiter, sondern eher solche, die aus beruflichen oder biografischen Gründen einen Bezug zum deutschen Kulturraum hatten, wie z. B. der in Wien geborene und in Triest aufgewachsene Felice Benuzzi.³⁴ Mit einer latent antisemitischen Begründung erklärte der Germanist Rodolfo Paoli³⁵ sich und den Lesern des „Frontespizio“ die Übergriffe der Nazis gegen die deutschen Juden im Frühjahr 1933. Weil den protestantischen Ländern ein Bollwerk wie die katholische Kirche fehle, die die „semitischen Elemente“ bekämpfe oder absondere, hätten diese sich ungehindert ausbreiten können, was jetzt zu Gewaltausbrüchen führe.³⁶ Es überwogen aber die Stimmen, die den Nationalsozialismus ablehnten und ihn als eine extreme Abart des Protestantismus begriffen, die gegen die Romanität gerichtet sei. Im „Frontespizio“ häuften sich besonders im Jahre 1934 die Artikel, die dieser These das Wort redeten. Laut Giovanni Papini sei die protestantische Kirche mit vertrockneten Wurzeln, fast ohne Pflanzensaft, ohne Früchte und Blüten, ein Schlangengrund faulender und verbogener Triebe.³⁷ Das Bedrohungsgefühl des Vatikans ging so weit, dass er sich 1935 an die italienische Regierung mit dem Hinweis wandte, Südtiroler Protestanten würden sich mit dem deutschen Konsul in Mailand in Verbindung setzen. Die Kurie glaubte also, zusammen mit dem Regime für die Ro-
Vgl. die Rezension von Lill, Rudolf: Germania religiosa nel terzo Reich. Conflitti religiosi e culturali nella Germania nazista. 2a edizione riveduta e aumentata. Brescia 1977. In: Historische Zeitschrift, Bd. 229 (1979). S. 218. Bendiscioli, Mario: Nazism versus Christianity. London 1939. Vgl. die Rezension von Macken. Mary M.: Reviews Nazism and the church. In: Studies 9 (1939). S. 505 – 508. Moro: La Germania di Hitler come „eresia protestante“, S. 103. Benuzzi, Felice: Teutones. In: Il Frontespizio 6 (1933). S. 16 – 17. Der Jurist Felice Benuzzi (1910 – 1988) schrieb zwischen 1932 und 1936 mehrere Artikel für den „Frontespizio“, vgl. Luigi Fallacara: Il Frontespizio, S. 536. Rodolfo Paoli (1905 – 1975) veröffentlichte während des Zweiten Weltkrieges Monografien über Carossa und Hauptmann, vgl. Fallacara: Il Frontespizio, S. 571. Im „Frontespizio“ gehörte er zu der Gruppe der jungen Literaten um Carlo Bo und Roberto Weiss, die nicht mehr im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, vgl. Mazza: Not for art’s sake, S. 8 u. S. 151. Paoli, Rodolfo: Duetto ebraico. In: Il Frontespizio 6 (1933). S. 17– 18. Papini, Giovanni: Notomia dei protestanti. In: Il Frontespizio 10 (1934). S. 3 – 6.
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manität zu kämpfen.³⁸ Auf gleiche Weise dachte und handelte Manacorda, wenn er wiederholt Mussolini und dem Heiligen Stuhl über die Lage in Südtirol berichtete.³⁹ Anfang 1935 wandte sich Manacorda gegen die von Hitler vorgebrachte Forderung nach nationaler Selbstbestimmung. Habe diese Formel Gültigkeit, könne sich nicht nur Trastevere von der Stadt Rom lossagen, sondern Hitler auch Memel verlangen.⁴⁰ Als katholischer Intellektueller besaß Manacorda ein gewisses Gespür für das sakrale Element der NS-Ideologie. Seiner Ansicht nach lag die Bedrohung, die vom nationalsozialistischen Deutschland ausging, nicht in der Aufstellung von 37 neuen Divisionen, sondern in deren „religiösem“ Geist. Dass das „Dritte Reich“ den Frieden bedrohen könne, so der Professor, liege am geschichtlichen Versagen des in vielerlei Hinsicht großen Augustus, der den Fehler begangen habe, nach der Schlacht im Teutoburger Wald nicht römisch gehandelt zu haben wie die Scipionen gegen Karthago und Caesar gegen die Gallier. Augustus hätte neue Truppen aufstellen, den Feldzug bis zum Äußersten fortführen und ihn gewinnen sollen. Rom am baltischen Meer hätte die definitive Weltherrschaft der lateinischen und christlichen Zivilisation bedeutet. Der tragische, unerklärliche, mit der Errichtung des Limes verbundene Verzicht ließ in dieser Welt stets die ständige Gefahr der Barbarei. Nur zu deutlich ist hier die Anspielung auf die Wiederaufrüstung des „Dritten Reiches“. Manacorda bewegt sich noch gänzlich auf der Stresa-Linie einer Eindämmungspolitik gegenüber Hitler. Kurz und prägnant bestimmte Auro d’Alba in einem plakativen Schwarz-WeißMuster den seines Erachtens grundlegenden und unüberwindbaren römisch-germanischen Antagonismus, der eine Annäherung beider Diktaturen kategorisch ausschloss: Für uns hingegen bleibt völlig klar, dass auf der einen Seite das lateinische, christliche, faschistische Licht erstrahlt, während auf der anderen Seite lutherischer, heidnischer, nazistischer Nebel ist.⁴¹
In die allgemeine Kritik des katholischen Lagers am paganen NS-Rassismus reihte sich auch Papini mit seinem im November 1934 im „Frontespizio“ erschienenen Artikel „Razzia dei razzisti“ ein. Dabei verband er geschichtliche Argumentationsmuster mit einer interessanten psychologischen Hypothese, um dann aber in zeitgeisthaftige völkerpsychologische Stereotypisierungen zurückzufallen. Papini, der mit der deutschen Kultur wenig in Berührung gekommen war, begann mit einer historisierenden Betrachtung, wonach jedes Volk einmal an eine besondere Berufung geglaubt habe:
Moro: La Germania di Hitler come „eresia protestante“, S. 103. Vgl. u. a. Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 18. Juli 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Pizzardo. Opifex: Autodecisione e eterodecisione. In: Il Frontespizio 3 (1935). S. 5. „Per noi invece, resti ben fermo che da una parte è la luce latina, cristiana, fascista, dall’altra è la nebbia luterana, pagana, nazista“, vgl. D’Alba, Auro: Tonici. In: Il Frontespizio 12 (1934). S. 6.
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Die Juden seien die ersten gewesen, die gedacht hätten, eines Tages würden alle Völker Tribute nach Jerusalem bringen. Ihnen seien die Griechen, Römer, die Franzosen der Revolutionszeit und die Panslawisten gefolgt. Die Polen hätten bei einem Aufstand davon fantasiert, dass Polen der Christus der Nationen sei. Jetzt seien eben die Deutschen an der Reihe und auch das werde vorübergehen.⁴² An diese Überlegung schloss er seine interessante Hypothese an, wonach der übersteigerte Chauvinismus des Nationalsozialismus eine Kompensation für das kollektive Trauma von Versailles sei. Gerade weil eine militärische Vergeltung unmöglich sei, verstiegen sich die Deutschen zu einer philosophischen und wissenschaftlichen Revanche: „Um zu vergessen, betrinken sich die Menschen: In der gleichen Situation schluckt Deutschland das Gebräu seiner Rassisten.“⁴³ Schließlich widersprach er seiner einleitenden Überlegung und bestimmte die kollektive Hybris als festen Charakterzug der Deutschen: Auch der Rassismus ist nur eine Tarnung […] des ewigen germanischen Hochmutes. Dieses Sammelsurium räuberischer Stämme, das nicht einmal Bismarck zu einigen vermochte, leidet an immerwährendem Größenwahn.⁴⁴
Nationalsozialismus und Christentum seien unversöhnliche Feinde. Lieder der Hitlerjugend, in deren Texten es hieße, die Priester würden dem Volk die Seele stehlen, entsprächen dem, was Luther über den jüdischen Glauben gesagt habe. Der Rassismus stelle das letzte Gefecht gegen Rom dar. Die Germanen hätten zum Untergang des Imperiums beigetragen und die Reformation sei eine weitere Rebellion gegen den Primat Roms gewesen.⁴⁵ Aus dieser Sicht war die NS-Rassendoktrin nur die letzte Metamorphose des germanischen Kampfes gegen Rom.⁴⁶ Die Entwicklung des „Dritten Reiches“ und insbesondere dessen Kirchenpolitik verfolgte Manacorda, wie im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung gezeigt wurde, mit so großem Interesse, dass er 1935 an Hitler und an Papst Ratti herantrat. Als katholischer Intellektueller, der die Kirche im Reich verfolgt sah, und als Deutschlandexperte musste er es als tiefen Mangel empfinden, dass er sich in dem 1933 im Jahr der „Machtergreifung“ erschienenen „La selva e il tempio“ so gut wie nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie beschäftigt hatte. Ganz offensichtlich hatte er die NS-Bewegung unterschätzt. Umso mehr bemühte er sich in der Folgezeit, den Nationalsozialismus systematisch aus einer katholischen Perspektive zu analy-
Papini, Giovanni: Razzia dei razzisti. In: Il Frontespizio 12 (1934). S. 3 – 6, hier S. 4. Vgl. ebd., S. 5. Ebd. Ebd., S. 6. Papinis Biografen haben diesen Artikel als Ausdruck eines teleologischen nationalgeschichtlichen Blickwinkels gedeutet: Carmine di Biase stellte ihn in die Tradition Giobertis im Sinne der christlichimperialen Rom-Idee. Mario Isnenghi ist der Auffassung, Papini verwerfe darin nur die germanischen Ambitionen, um seinerseits den Geltungsanspruch einer geschichtlichen Überlegenheit der Latinität zu formulieren, vgl. Di Biase: Giovanni Papini, S. 179 sowie Isnenghi: Papini, S. 140.
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sieren, denn politisch verstand er sich zunächst als NS-Kritiker und suchte den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Zur Erinnerung: Noch im Mai 1935 schlug Manacorda während einer Audienz Mussolini eine koordinierte Propagandakampagne bei der katholischen Bevölkerung in Österreich und Südtirol vor, um die Unvereinbarkeit der Rassendoktrin mit dem katholischen Glauben zu demonstrieren.⁴⁷ Wie im zweiten Teil dieser Untersuchung gezeigt, war die NS-Rassenlehre in den Jahren 1934/35 mehrfach Gegenstand der Unterredungen zwischen Manacorda und dem „Duce“. 1934 legte ihm Manacorda zwei Abhandlungen vor – vermutlich handelte es sich um die Studien „Luce del nord“ und „Crisi spirituale dell’odierna Germania“ –, worauf Mussolini ihm vorschlug, vertraut man den Angaben des Professors, darüber ein Buch zu verfassen.⁴⁸ Möglicherweise stand diese Aufforderung von Mussolini in Verbindung mit seiner Entscheidung, gegen alle Juden in Italien vorzugehen, die Giorgio Fabre in seiner Monographie „Mussolini razzista“⁴⁹ für die Jahresmitte 1935 veranschlagt.⁵⁰ Diese Anregung nahm Manacorda auf.⁵¹ Die Absicht, eine Untersuchung über das Wesen des Nationalsozialismus zu schreiben, war ja auch im September 1935 der offizielle Grund gewesen, warum er in der Reichskanzlei eine Audienz bei Hitler erhalten wollte.⁵² Manacorda hatte dieses Buch über den Nationalsozialismus allerdings schon im April 1935 beendet und Mussolini vorgelegt. Es erschien unter dem Pseudonym „der Aufrichtige“ aber erst im Jahre 1946: Er habe die „Studie über das neue Heidentum“ aus naheliegenden Gründen damals nicht veröffentlichen können.⁵³ Hingegen hatte er am 13. September 1935 von der kirchlichen Zensurbehörde das Nihil obstat quominus imprimatur erhalten⁵⁴ Manacorda beschäftigte sich seit dem Jahre 1934 intensiv mit dem „Dritten Reich“. Im November 1934 präsentierte er den Lesern der „Nazione“ und des „Frontespizio“ –
Notizen Manacordas zur Unterredung im Mai 1935 sowie Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 8. Mai 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1˚ Semestre. Gegebenenfalls, so legen die Quellen nahe, ging die Initiative eher von Manacorda aus, denn dieser neigte dazu, sich mit „Duce“-Aufträgen zu schmücken. Jedenfalls war er es, der Mussolini um die Zusendung einer Mussolini-Schrift zur Rassendoktrin bat und eine eigene Untersuchung ankündigte, vgl. Gaetano Polverelli an Guido Manacorda, Brief vom 31. Mai 1934, sowie Gateano Polverelli an Guido Manacorda, Brief vom 29. September 1934. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Der Untertitel lautet: Dal socialismo al fascismo: la formazione di un antisemita. Das Buch erschien 2005 in Mailand. Fabre, Giorgio: Mussolinis engagierter früher Antisemitismus. In: QFIAB 90 (2010). S. 347– 372, hier S. 370. Der Artikel in den QFIAB ist die Übersetzung der Einleitung zu „Mussolini razzista“. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 7. November 1934. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1° Semestre. Vgl. Entwurf eines Anschreibens „An A. Hitler“. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1935, Sottofasc. 4bis Germania. „Questo studio, compiuto nell’estate del 1935, e non potuto mai pubblicare per motivi che ogni lettore facilmente intuisce“, vgl. Il nuovo paganesimo germanico,S. 5. Ebd., S. 4.
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in doppelter ironischer Anspielung auf die scholastische Zahlensymbolik der „Göttlichen Komödie“ wie auf das Jahr der „Machtergreifung“ – 33 religiöse Gruppierungen, die im sog. „Dritten Reich“ um die religiöse Deutungshoheit konkurrieren würden.⁵⁵ Der gut informierte Manacorda zählte die Gruppierungen wie die Deutschen Christen, die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung, die Nordische Glaubensgemeinschaft, den Bund für Deutsche Kirche sowie die Ludendorff-Gruppe auf, die sich seines Erachtens gegen das Christentum wandten oder es purifizieren wollten, um einen neuen schicksalhaften deutschen Glauben bzw. nordischen Glauben einzuführen. Pointiert nahm er erstmals ausführlich gegen die NS-Rassenlehre Stellung: Alle 33 Glaubensrichtungen seien getragen von einer antisemitischen und antichristlichen Aversion, wobei dem Christentum seine semitische Wurzel nicht verziehen werde.⁵⁶ Darüber hinaus wandte sich Manacorda gegen Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“. Das Buch sei in vier Jahren über zwei Millionen Mal verkauft worden, habe es auf 14 Auflagen gebracht und stehe jetzt auf dem preußischen Lehrplan. Nach Rosenberg gingen alle Kultur- und politischen Leistungen auf den nordischen Menschen zurück, der Faschismus inbegriffen, so Manacorda.⁵⁷ Die mediterranen Rassen mache der NS-Ideologe hingegen für alle Fehlentwicklungen verantwortlich, darunter subsumiere er auch den Katholizismus. Der nordische Mythos fuße aber auf einer unsicheren Vorgeschichte, die These einer ursprünglichen kulturbringenden nordischen Invasion in den Mittelmeerraum war für den italienischen Germanisten ein Zeichen des Fanatismus. Und er bezweifelte ebenfalls zu Recht, dass dort, wo eine Zuwanderung historisch belegt sei, wie von Rosenberg behauptet, keine Vermischung der Rassen stattgefunden habe. Als Gegenbeispiel verwies er auf den multikulturellen Hof der Staufer in Palermo. Auch diese Kritik reihte sich ein in den Diskurs der zweiten antiprotestantischen katholischen Kampagne und hob – auch aus heutiger Sicht – die abwegigen Grundannahmen des „Mythus“ klar und nachvollziehbar hervor. Insofern gingen Manacordas Positionen konform mit dem katholischen Diskurs über die NS-Ideologie. Diesen und weitere Artikel, die er zuvor im „Corriere della Sera“ und in der „Nazione“ veröffentlicht hatte, fasste Manacorda zum Schlusskapitel mit dem Titel „La crisi spirituale dell’odierna Germania“ seines Buches „Contrafforti“ zusammen.⁵⁸ Es war binnen zwei Jahren sein zweites Werk über Deutschland, das er als „Bruder“ von „La selva e il tempio“ bezeichnete.⁵⁹ Weil er sich darin erstmals systematisch und
Guido Manacorda: Le 33 vie alla „fede tedesca“. In: La Nazione vom 13. November 1934. In: Fondazione Istituto Stensen Florenz, Fondo Manacorda, Scatola 5 Giornali Politici. Ebd. sowie ders.: Rosenberg e il mito della razza. In: Il Frontespizio 11 (1934). S. 3 – 6 sowie ders: La crisi spirituale dell’odierna Germania, S. 316. Manacorda: La crisi spirituale dell’odierna Germania, S. 301. Guido Manacorda: I contrafforti, S. 271– 316, S. 9. Häufig fasste Manacorda seine Essays, in der ihm eigenen Mischung von Journalismus, Wissenschaft und (politischer) Polemik, zu einem bestimmten Thema in einem Buch zusammen, vgl. Mazza: Not for art’s sake, S. 136. Manacorda: I contrafforti, S. 9.
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überaus kritisch zum NS-Rassismus äußerte, war es ein hochpolitisches und aktuelles Werk.⁶⁰ Die im Herbst 1934 fertiggestellten „Contrafforti“ erschienen Anfang 1935 im katholischen Verlag Morcelliana, der zehn Jahre zuvor u. a. von Mario Bendiscioli und Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI., gegründet worden war. Daraus wird ersichtlich, dass sich Manacorda zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der Ablehnung der NS-Rassenlehre durchaus noch im Einklang mit den faschismuskritischen bzw. demokratischen Katholiken befand. Das Buch Manacordas verkaufte sich durchaus gut.⁶¹ Manacorda bezog sich in seinem Beitrag über die gegenwärtige deutsche Geisteskrise explizit auf die oben erwähnte, ebenfalls bei Morcelliana publizierte Monographie von Mario Bendiscioli „Romanesimo e Germanesimo“ aus dem Jahr 1933.⁶² Manacorda stellte Bendiscioli in eine Reihe mit anderen großen katholischen Denkern wie dem britischen Schriftsteller Joseph Hilaire Pierre René Belloc, dem deutschen Pazifisten Friedrich Wilhelm Foerster⁶³, dem Theologen Romano Guardini⁶⁴ und Jacques Maritain, die den Unterschied zwischen Germanität und Romanität im germanischen Idealismus sähen. Diesen Idealismus kenne Rom, das für den Logos, Humanität und Universalismus stehe, nicht.⁶⁵ Wie gezeigt, war diese Einordnung Manacordas falsch, denn Bendiscioli führte den NS-Rassismus gerade nicht auf ein wie auch immer geartetes ewiges germanisches Sein zurück und auch die anderen von ihm genannten Denker argumentierten nicht in dieser simplen Dichotomie. Vorerst war dies aber nur ein akademisch bedeutsamer Unterschied. So war Manacordas
Manacorda: La crisi spirituale dell’odierna Germania. In: Ders.: I contrafforti, hier S. 297. Manacordas „Contrafforti“ mit einer Auflage von 2.500 und 1.435 verkauften und 210 Rezensionsbzw. Freiexemplaren kann als durchaus erfolgreich gelten. An die Auflage eines Benedetto Croce, dessen Buch „Storia d’Italia, 1871– 1915“ im Erscheinungsjahr 1928 auf Anhieb 10.000 Exemplare erreichte, kam er zwar nicht heran. Allerdings ist zu beachten, dass das Bildungsbürgertum, und damit der Buchmarkt in Italien, zumal für politisch-religiöse Themen, zu dieser Zeit nicht sehr groß war, sodass fünfstellige Verkaufszahlen selten erreicht wurden. Außerdem war Croce der führende Intellektuelle seines Landes und seine Auflagen daher die höchsten. Hingegen erwiesen sich Manacordas autobiografische Kriegserinnerungen „Giovane Italia“ mit einer Auflage von 3.250 und nur 1.019 Verkäufen (und 250 Freiexemplaren), so der Verlag, als ausgesprochener Ladenhüter. Das Kriegsministerium habe davon nur 16 Bücher bestellt, vgl. Morcelliana-Verlag in Brescia, Brief an Guido Manacorda vom 31. Mai 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z., Sottofasc. Morcelliana. Zur Auflage von Croces „Storia d’Italia, 1871– 1915“ vgl. Verucci: Idealisti all’indice, S. 77– 79. Manacorda: I contrafforti, S. 9. Der seit 1922 im Ausland lebende Friedrich Wilhelm Foerster (1869 – 1966) schrieb u. a. das Essay „Die tödliche Krankheit des deutschen Volkes“ (Straßburg 1934). 1937 wurde er als erster Deutscher von Hitler ausgebürgert. 1940 floh er vor der Gestapo aus dem besetzten Frankreich in die USA, vgl. Kühner, Hans: Friedrich Wilhelm Foerster. In: Gewerkschaftliche Monatshefte 20 (1969). S. 284– 289, hier S. 285. Der in Mainz aufgewachsene katholische Theologe Romano Guardini (1885 – 1968) hatte bis zu seiner Zwangsemeritierung 1939 an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin den Lehrstuhl für Religionsphilosophie inne, vgl. Bröckling, Ulrich: Katholische Intellektuelle in der Weimarer Republik. Zeitkritik und Gesellschaftstheorie bei Walter Dirks, Romano Guardini, Carl Schmitt, Ernst Michel und Heinrich Mertens. München 1993, S. 44. Manacorda: La crisi spirituale dell’odierna Germania, S. 274.
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Hypothese, Rom stelle die oberste lebendige, auf die Realität ausgerichtete Ordnungssynthese dar, die zur Überwindung des idealistischen Rassendenkens führe⁶⁶, eben gerade keine allgemein akzeptierte Auffassung, wie er meinte. Dies hinderte den Professor nicht, sie weiter zuzuspitzen: Sicherlich ist die Germanität in vielerlei Hinsicht eine Antithesis. Alles Innerlichkeit, alles Subjektivität, alles Geist, der auf das Irrationale und das Mysterium abzielt. Der Germane erscheint in unseren Augen als der höchste Entdecker und Verfechter der Individualität. Gegen die Autorität und gegen das Gesetz des Römers opponiert er mit Freiheit und Anarchie. Für ihn ist die objektive Realität nur ein Symbol: ein Gleichnis, singt der Schlusschor im Faust [Kursiv i. Orig.].⁶⁷
In diesem Zitat, das sich auf den Schlussgesang des Chorus misticus im fünften Akt in Faust II bezieht, wird die Forschungsperspektive des Germanisten mehr als deutlich: Für ihn sind die Nationalliteraturen Ausdruck ewiger völkerpsychologischer Charaktereigenschaften, die im Nationalsozialismus nur ihre zeitgemäße Erscheinung finden. Entsprechend erklärte Manacorda, er gehe von grundlegenden Temperamenten aus, die sich aus der Geschichte ablesen ließen. Im Anschluss daran stellte er die Frage, inwieweit eine gemeinsame römisch-germanische Kultur nicht für beide Seiten fruchtbar sein könne wie schon in den Zeiten des Tiberius oder Dantes. Denn das universale Rom sei fähig, die germanische wie die anderen Kulturen in sich aufzunehmen.⁶⁸ Der deutsche Protestantismus sei organisatorisch und im Glauben zersplittert und habe seine Anziehungskraft auf die Menschen weitgehend eingebüßt, wenngleich er z. B. in West- und Ostpreußen noch stark verankert sei.⁶⁹ Die Lage des Katholizismus sei positiv, aber beide großen Kirchen würden vom Modernismus, Naturalismus, Freudianischem Sexualismus, expressionistischem Übersubjektivismus, Surrealismus sowie von der neuen Sachlichkeit bedroht .Eine heilsame Reaktion auf diese Fehlentwicklungen erwartete Manacorda am wenigsten vom neuen Heidentum der NSDAP: Und weniger noch, scheint mir, dass dieser neue Paganismus, der von einer jungen und starken Partei gestützt wird, Deutschland im Namen des Blutes, des Bodens und der Rasse zu einer vorgeschichtlichen Religiosität und Sitte zurückführen wird. Und jetzt? Und jetzt gilt es, mit heiliger Geduld und ohne zu rosige Wunschvorstellungen abzuwarten.⁷⁰
Im Jahre 1935 rechnete Manacorda in der erweiterten, zweiten Auflage von „La selva e il tempio“ kritisch und hellsichtig mit den Mythen der deutschen Rassenlehre ab, wonach nur die solaren, aus der Polarregion in die Welt gesegelten Arier Kulturträger Manacorda behauptete, die römische Ordnung sei deshalb das Gegenprinzip zum Rassismus, weil sie auf Kraft, Maß, Gleichgewicht, Stabilität, Anstand, Disziplin, Polis-Gemeinschaft, Autorität, Recht und Aktion gründe, ebd., S. 276. Ebd., S. 278. Ebd., S. 280. Ebd., S. 291– 293. Ebd., S. 297.
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seien.⁷¹ Die Arier hätten gemäß der NS-Rassenlehre in der Prähistorie in den sonnenreichen Gebieten am Nordpol gelebt, als Grönland noch grünes Land gewesen sei, während in den giftigen tropischen Sümpfen unter der bleichen, scheelen und kalten Weiße des Mondes ein „Rassenchaos“ geherrscht habe.⁷² Von dort habe die nordische Rasse alle Kontinente entdeckt und alle Hochkulturen, an erster Stelle die griechischrömische, entwickelt. Nur die Deutschen könnten nach dieser Doktrin eine solche Hochkultur wieder errichten. Manacorda bestritt vehement die Gültigkeit dieses seines Erachtens rein biologischen Konzepts, denn dadurch, so der Florentiner Professor, werde der Mensch zum geistlosen Tier herabgewürdigt, weil ausschließlich die durch das Blut festgelegte Rassenseele von Bedeutung sei.⁷³ Von einem Uomo spirituale zu sprechen, sei sinnlos.⁷⁴ Das erinnere ihn an die krude Einfachheit der Edda, so Manacorda, in der Sigurd das Blut der beiden von ihm getöteten Brüder Regin und Fafnir getrunken habe. Das Blut bedeute Körper und Seele allen Lebens. Deshalb sei seine Reinheit das „Gute“ schlechthin und seine Vermischung das „Böse“. Wenn sich also die nordische Rasse der jahrhundertelangen Vermischung mit der minderwertigen Rasse entledige, könne sie sich demnach vermeintlich reinigen.⁷⁵ Diese Auffassung war nach Ansicht des Professors ein großer Irrtum, denn die Geschichte würde belegen, dass abgeschlossene Kasten degenerierten, wiederholte er sein Urteil aus den „Contrafforti“. Diesem modernen Mythos folgend, gehe der nordische Held fatalistisch in den Untergang.⁷⁶ Die Folgen dieser Züchtung seien schicksalhaft vorgegeben. Der nordische Held kenne nur seine eigene solare Unbeirrbarkeit.⁷⁷ Für Manacorda war der Rassismus, wie er unter Pseudonym im Juni 1935 im „Frontespizio“ schrieb, eine der Krankheiten des Jahrhunderts, weil er alle menschlichen Werte dem Blut zuschreibe und jedes Volk sich abschotte.⁷⁸ Weil die Vorsehung in jedem Sein inhärent
Manacorda, Guido: La luce del nord. In: Ders.: La selva e il tempio. 2. Aufl. Firenze 1935, S. 281– 289, hier S. 281– 282. Ebd., S. 282. Ebd., S. 284. Vgl. Manacorda: La luce del nord, ebd., S. 284. Ebd., S. 284– 285. Ebd. In diesem Zusammenhang schrieb Manacorda, der deutsche Geschichtsphilosoph Oswald Spengler fordere, auf verlorenem Posten auszuharren, ohne Hoffnung und ohne Rettung. Rasse, das Unbewusste und Heldentum seien der neue Weg zur Erlösung. Überall habe das Germanentum die Erlösung gesucht, in der Kunst, der Wissenschaft, dem Denken, in der Religion, bei sich selbst, den anderen Individuen, den anderen Völkern, in der Humanität, in der Natur, in der ganzen Welt. Jemanden oder etwas zu erlösen, sei für den nordischen Germanen eine höhere Notwendigkeit. Von den drei Elementen der Erlösung sei das Unbewusste leicht erreichbar […] Auch das Heldentum sei für uns „Barbaren“ mehr oder weniger leicht realisierbar. Das sei mit der Rasse anders. Die Lösung liege darin, den Übermenschen der vermeintlich dunklen Rassen wie Homer, Augustus oder Dante eine solare Herkunft zu bescheinigen. Auch Jesus werde eine nordische Herkunft angedichtet. In: Ders.: La selva e il tempio, S. 289. Opifex: Malattie del secolo (seconda serie). In: Il Frontespizio 6 (1935). S. 8.
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sei, gebe es kein Böses und keine Erlösung, keine Möglichkeit, aus der Unvollkommenheit zu entkommen: Das Leben als Mission zur Macht, zur ‚Heilung‘ durch heroisches Opfer ohne Hoffnung. Biologischer Naturismus, Scientismus, Vitalismus. Eine idealistische Äderung. Vollkommene Unmöglichkeit, zum Geist zu gelangen. Vorgeschichte ersetzt die Geschichte, Mythos die Realität. Zwischen aufschimmernder Poesie nackte und primitive Gewalt.⁷⁹
Damit hatte Manacorda den unbarmherzigen, inhumanen Kern der NS-Ideologie offengelegt. Paradoxerweise führte diese Einsicht zu keiner Konsequenz im Sinne von aktivem Bekämpfen des „Dritten Reiches“, im Gegenteil, seine Analyse geht parallel mit seiner Konversion zum Apologeten Hitler-Deutschlands. So blieb seine formulierte grundlegende Ablehnung der NS-Rassentheorie rein akademisch. Politisch beschränkte sich sein Interesse am Nationalsozialismus wie bisher auf die Kirchenpolitik. Die Judenverfolgung ignorierte er; sie wurde von Manacorda in seinen Gesprächen mit Hitler und der NS-Führung nie angesprochen. Auch kann seine Kritik an der NS-Rassendoktrin nicht als Ablehnung des „Dritten Reiches“ verstanden werden, denn drei Monate nach Erscheinen des „Frontespizio“-Beitrages erklärte er, wie gezeigt, im September 1935 in seinem ersten Gespräch mit Hitler „von Frontkämpfer zu Frontkämpfer“, die Zukunft gehöre dem Nationalsozialismus und Faschismus. Er wolle daran nach Kräften mitarbeiten. Mögliche Beweggründe für Manacordas Ambivalenz finden sich in einem seiner Briefe aus dem Jahr 1935, worin er schrieb, er sei Deutschlandkenner seit mehr als 30 Jahren und man solle das „Dritte Reich“ nicht als eine Übergangserscheinung betrachten. Der Nazismus sei eine Revolution, die in den tiefsten Wurzeln des deutschen Volks verankert sei und deshalb sicherlich nicht kürzer als die Reformation dauere.⁸⁰ Zweifellos war bei Manacorda die Faszination des Nationalsozialismus größer als seine Angst vor ihm. Durch die Spiegelung des Fremdbildes der Germanität mit seinem faschistisch-katholischen Eigenbild schärfte er zudem wesentlich sein Eigenbild der Romanität. Man kann sogar sagen, dass ohne die Negativfolie des heidnischen Deutschlands der Begriff der Romanità weitaus weniger akzentuiert gewesen wäre. In katholischen Kreisen fand Manacordas Dichotomiemodell durchaus Anklang, wenn es auch nicht im Ganzen adaptiert wurde. Als erste Kritikerin soll die für das Kölner Deutsch-Italienische Kulturinstitut Petrarca-Haus tätige und Manacorda freundschaftlich verbundene⁸¹ Übersetzerin Lili Sertorius angeführt werden.⁸² Zu Ebd. Abschrift des Briefes von Guido Manacorda an Celso Costantini vom 6. Mai 1935 als Anhang des Briefes von Celso Costantini an Eugenio Pacelli, Brief vom 12. Juni 1935. In: ASV Città del Vaticano, AES, IV periodo, Germania, pos. 666, fasc. 223, p. 13. Im Jahre 1946 widmete sie ihm ihr Buch „Leiden“ folgendermaßen: „entstanden 1945/46, Meinem Freund Manacorda herzlichst L. S.“, vgl. Sertorius, Lili: Leiden. Freiburg i. Brsg. (Herder-Verlag) 1947. Die aus dem Rheinland stammende Philologin Dr. Lili Sertorius (1901– 1972) veröffentlichte in den 1930er und 1940er Jahren zahlreiche literaturwissenschaftliche und religiöse Werke und Artikel, vgl.
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diesem Zeitpunkt korrespondierte Sertorius regelmäßig mit dem „Frontespizio“. Unter anderem übersetzte sie für die katholische Zeitung „Germania“ ein Kapitel von Bargellinis „San Bernardino“ und war auch für die 1937 erschienene Übertragung des gesamten Textes verantwortlich. Außerdem hatte sie Werke Manacordas der Redaktion vorgeschlagen, die nun ein Referat über „La selva e il tempio“ wünschte.⁸³ Trotzdem fand Sertorius Manacordas Modell insgesamt zu schematisch. Sie zeigte sich besorgt über dessen abstrakte Konstruktion aus dem Artikel „Romanesimo e Germanesimo“: Ich frage mich, lieber Freund, ob Sie sich nicht zu sehr festfahren in gewissen Gedankengängen. Ich habe das Gefühl, dass man nicht viel gewinnt, wenn man den Kontrast zwischen Germanentum und Romanentum zu sehr ins einzelne ausdeutet, oder auch, wenn man gewisse Eigentümlichkeiten des germanischen Wesens zu sehr auf eine einfache Formel bringt. Ich finde, dass Sie immer das Tiefste über das Germanentum sagen, wenn Sie es nicht an etwas anderem messen – außer am christlichen Glauben, der doch überhaupt der einzige Maßstab ist. […] Von dieser Gefahr, die für mich (trotz römischem Bastard) aus dieser germanischen Natur wie für alle […] vorhanden ist. Aber vieles ist noch nicht mit jenem „eterno fluire“ u. „inconscio“ usw. geklärt. Z. B. das ganze Problem der individualità.
Wenn Manacorda der Auffassung sei, die Deutschen hätten die Individualität erfunden, warf Sertorius ein, so würde das Gleiche über die italienische Renaissance in Deutschland gesagt. Obwohl kein Italiener, sei Bach sehr architektonisch und suche damit auf der ganzen Welt seinesgleichen.⁸⁴ Darüber hinaus sei seit der Reformation der Glaube in Deutschland auch der Kritik zugänglich.⁸⁵ Der katholische Religionsphilosoph Romano Guardini, der an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität lehrte und in Deutschland aufgewachsen war, war dem Florentiner Professor ebenfalls freundschaftlich verbunden. Er habe „Selva e tempio“ mit viel Vergnügen und Nutzen gelesen: „Gegen manche Aufstellungen hätte ich – wofür wäre man sonst Professor, nicht wahr? – Einwendungen zu machen.“⁸⁶ Er fällte ebenfalls ein ambivalentes Urteil über Manacordas dichotomische Setzung:
Lili Sertorius: Rätsel des späten Mittelalters. In: Germania vom 24. November 1934. Erste Beilage. S. 1. Seit 1946 gehörte sie der Redaktion der Herder-Korrespondenz an. Noch kurz vor ihrem Tod trat sie zum orthodoxen Glauben über, vgl. Nachruf auf Dr. Lili Sertorius. In: Beilage zu Herder-Korrespondenz. Monatshefte für Gesellschaft und Religion 9 (1972) sowie Hausmann: „Vom Strudel der Ereignisse verschlungen“, S. 215. Sertorius lobte, dass Manacordas Thema tiefer gehe als ihre eigenen Studien über die katholische Literatur, weil daraus hervorgehe, was Italien zu unseren Religionskämpfen sagen könne, vgl. Lili Sertorius an Guido Manacorda, Brief vom 25. Oktober 1934, AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda Fasc. Carteggio 1934, 2˚ Semestre. Lili Sertorius an Guido Manacorda, Brief vom 10. November 1934, ebd. Lili Sertorius an Guido Manacorda, Brief vom 21. November 1934, ebd. Romano Guardini an Guido Manacorda, Brief vom 15. März 1934. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda Fasc. Lettere di Papini.
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Manchmal scheint mir die Situation etwas vereinfacht […] Anderes wieder hat mir sehr eingeleuchtet. Es fallen oft überraschende, helle und aufklärende Lichter auf die Psychologie der nördlichen Menschen- und Kulturwelt.⁸⁷
Die beiden Urteile von Sertorius und Guardini zeigen, dass Manacordas Beobachtungen von in Deutschland lebenden Intellektuellen durchaus als angemessen betrachtet wurden. Auch der mit Manacorda gut bekannte, antidemokratische österreichische Denker Erik Kuehnelt-Leddihn⁸⁸, den Ernst Jünger als Solitär bezeichnete⁸⁹, kommentierte die Deutschland-Perzeption des Florentiner Professors. Wie bei vielen Katholiken der Alpenrepublik war sein ständestaatliches Denken durch die Habsburgermonarchie geprägt, was ihn auf Distanz zum Nationalsozialismus brachte. Seine Tätigkeit als Korrespondent in der Sowjetunion ließ ihn den Kommunismus ablehnen. Sein erstes Buch „Jesuiten, Spiesser, Bolschewiken“ erschien 1933 in Salzburg. Die italienische Übersetzung „Gesuiti, borghesi, bolscevichi“ hatte eine enorme Verbreitung unter den Katholiken in Italien und gewann einen Premio Mussolini als bestes antikommunistisches Buch.⁹⁰ Darin behauptete der Autor, dass die jüdische Gefahr überwunden sei, diese aber nun von den neuen heidnischen Bewegungen drohe, hinter denen sich christliche Häresien verbergen würden.⁹¹ Diese Vorstellung deckte sich auf den ersten Blick durchaus mit der Auffassung Manacordas vom paganen Nationalsozialismus, der aus dem Luthertum entstanden sei. Erik Kuehnelt-Leddihn beklagte in seinem Brief an Manacorda den Uniformierungsprozess des modernen Nationalismus, der sich nur noch graduell vom Internationalismus
Romano Guardini an Guido Manacorda, Brief vom 15. März 1934, ebd. Erik Kuehnelt-Leddihn (1909 – 1999) lebte seit seiner Heirat mit Christiane Gräfin von Goess in New York. Dort lehrte er an der jesuitischen „Georgetown University“ in Washington, D. C. Während des Spanischen Bürgerkrieges reiste er als Journalist nach Franko-Spanien, vgl. Baader, Roland: Vorwort, in Erik von Kuehnelt-Leddihn: Konservative Weltsicht als Chance. Entlarvung von Mythen und Klischees. 3. Aufl. Aachen 2010. S. 9 – 15. Manacorda schätzte Kuehnelt-Leddihn, der ihn von Österreich bzw. der damaligen sog. Ostmark aus im Juli/August 1939 besuchen wollte. Das Vorhaben misslang. Kuehnelt-Leddihn konnte zunächst keine Lire einwechseln, dann war die deutsch-italienische Grenze gesperrt, vgl. Christiane Kuehnelt-Leddihn, Brief vom 3. Juli 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 2˚ Semestre I. Vgl. Baader: Vorwort, S. 15. Moro, Renato: Le Chiese, gli ebrei e la società moderna: l’Italia. In: Storia e problemi contemporanei 14 (1994). S. 7– 22, hier S. 15 – 16. Zu der von den Kuehnelt-Leddihn gewünschten zweiten Auflage kam es nach Schließung des Achsenbündnisses nicht mehr. Im Jahre 1939 bat Christiane KuehneltLeddihn diesbezüglich Manacorda vergeblich um Hilfe. Dieser soll sich verwenden, weil das Buch zwar inzwischen nicht verboten, aber beanstandet werde. Aufgrund des Bescheids des Kulturministeriums Alfieris, dass das Buch „Jesuiten, Spiesser, Bolschewiken“ zu pessimistisch sei, befürchtete KuehneltLeddihn Probleme für seine weiteren Veröffentlichungen: „Da dachten wir an Sie, Herr Professor und ihren grossen Einfluss und ob es Ihnen möglich wäre, die Erlaubnis für die 2. Auflage der ‚Jesuiten, Sp., B.‘ zu erwirken“, vgl. Christiane Kuehnelt-Leddihn, Brief vom 3. Juli 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 2˚ Semestre I. Kuehnelt-Leddihn, Erik: Gesuiti, borghesi, bolscevichi. Milano 1936, S. 26 – 29.
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unterscheide, weil beide das „organisch Gewachsene und Gewordene zerstören“.⁹² Als Internationalist wähle er eine breitere Basis wie Pan-Europa und die Vereinigten Staaten der Welt. Die Amerikanisierung Europas sei sowieso unaufhaltsam.⁹³ In Erwiderung auf Manacorda schrieb er: Ein Punkt Ihrer Karte ist mir leider unannehmbar. Sie machen eine so starke Identifizierung von Italianität und Katholizismus.Wäre nun der Katholizismus wirklich so rein-italienisch, dann wäre er auch nicht katholisch (umgekehrt ja!). Verstehen Sie, was ich meine? Ich möchte auch nicht eine Identifizierung des Katholizismus mit der lateinischen Welt allein sehen. Wir sollen unsere Religion [Unterstr. i. Orig.] nicht lokalisieren, das überlassen wir den Angelsachsen und Russen.⁹⁴
Für ihn sei Spanien auch gar nicht so lateinisch geprägt. Philipp II. stehe ihm näher als Alexander VI. Mit einem Seitenhieb auf Manacordas Dichotomie-These bemerkte er: „Ich liebe eben die Wälder mehr als die Tempel.“⁹⁵ Zwar stand der sperrige österreichische Denker dem Faschismus als einer Bewegung, die sich auf den Katholizismus bezog, positiver gegenüber als dem „Dritten Reich“, allerdings werden seine Vorbehalte deutlich. Der überzeugte Katholik trat für eine übernationale, patriarchalische, christliche Monarchie als beste Staatsform ein, wie sie die Donaumonarchie gewesen war. Entsprechend konnte er mit dem übernationalen Heiligen Römischen Reich, nicht aber mit dem italienischen Impero etwas anfangen.⁹⁶ Im Jahre 1935 suchte Manacorda im deutschsprachigen Raum als Autor Fuß zu fassen. Deshalb ließ er „La selva e il tempio“, das an die Katholiken in Deutschland, Holland, Österreich und der Schweiz gerichtet sein sollte, von Franziskus Stratmann übersetzen. Der vor den Nazis ins römische Exil geflüchtete Stratmann sah sich dabei nicht nur als Übersetzer, sondern auch als kritischer Gutachter. Er wies Manacorda zurecht, weil dieser die Katholikenverfolgung im „Dritten Reich“ relativierte, indem er die Existenzberechtigung katholischer Parteien verneinte und sich gegen die Emigration aussprach: Heute darf man sich als Katholik die nationalsozialistische Anschuldigung von einer ‚schweren Gefahr sowohl für Staat wie Kirche‛ nicht zu eigen machen. [Unterstr. i. Orig.].⁹⁷
Erik Kuehnelt-Leddihn an Guido Manacorda, Brief vom 23. August 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 2˚ Semestre I. Erik Kuehnelt-Leddihn an Guido Manacorda, ebd. Ebd. Ebd. Wie Manacorda war Kuehnelt-Leddihn ein überzeugter Katholik und führte die Krise der Moderne auf die Französische Revolution zurück. Er nannte sich einen „katholischen rechtsradikalen Liberalen“. Rechts bedeutete für ihn Spiritualität, freier Wille, Patriotismus und freie Wirtschaft in der Tradition des „christlichen und vorchristlichen Westens“. Mit links verband er Materialismus, Totalitarismus, Sozialismus, Nationalismus und Rassismus, vgl. Baader: Vorwort, S. 11. Franziskus Stratmann an Guido Manacorda, Brief aus Rom vom 1. September 1935. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico I 1934– 35, 1˚ Semestre, Sottofasc. Stratmann, S. 2.
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Auch Jesus Christus und Dante seien politische Emigranten gewesen wie heute Brüning, der auf der Mordliste der Nazis am 30. Juni 1934 gestanden habe, so Stratmann. Bezug nehmend auf die Argumentation von Manacorda fuhr er fort: Heute ist es eine Ehre, vom Nazistaat verfolgt zu werden […] ‚aus Religion oder Rasse‘. […] Und ‚aus Rasse‘? Ist das nicht ein Herabsteigen auf die Ebene der Nazis?⁹⁸
Ganz offensichtlich war hier die von Stratmann versöhnlich propagierte „Geistes- und Arbeitsgemeinschaft“⁹⁹ schon brüchig, denn die Frage nach der christlichen Legitimität totalitärer Politik trennte beide desto stärker, je beharrlicher Manacorda den Faschismus und neuerdings auch den Nationalsozialismus verteidigte. Deutlich wird, dass Manacorda offensichtlich nicht mehr nur negativ über die NS-Kirchenpolitik dachte, sondern schon die deutschen Katholiken selbst für ihre Verfolgung mitverantwortlich machte.¹⁰⁰ Doch die Versuche, eine deutsche Ausgabe von „La selva e il tempio“ zu realisieren, scheiterten. Manacorda fand selbst in der neutralen Schweiz keinen Verlag, da das Goebbels’sche Zensursystem sämtliche NS-kritische Werke verbot und der deutschsprachige Markt ohne das Reichsgebiet zu klein war. Manacorda hatte sich diesbezüglich an den von Gonzague de Reynold empfohlenen Vita NovaVerlaggewandt, einen Exilverlag, der den Nationalsozialismus bekämpfte. Der aus Deutschland emigrierte Rudolf Rößler ¹⁰¹, der den Vita Nova Verlag in Luzern betrieb, sah sich außerstande, das Werk zu verlegen, obwohl ihm Manacordas Werk gefiel: Ihr Buch ‚La Selva e il Tempio‛ haben zwei uns nahestehende Herren mit allergrösstem Interesse gelesen, und beide haben die stärkste Sympathie für Ihre Gedanken und für die Grundtendenzen
Stratmann fuhr fort: „(Aus diesem Grunde empfinde ich auch Hemmungen gegenüber dem Wort ‚arischen‘ auf dem Titelblatt; ich fände es besser in der ‚Vorbemerkung‘ ein Wort darüber zu sagen). Selbstverständlich werde ich den Text übersetzen, den Sie mir endgültig vorlegen, aber ich bitte Sie, verehrter Herr Professor, die Einführungsworte nochmals zu überdenken. Ich habe mir erlaubt, eine andere Vorbemerkung als Vorschlag beizufügen. […] Mein Appetit auf „Selva e tempio“ ist noch vorhanden. Gern würde ich eine allerdings mit größerer Einleitung oder Nachschrift versehene Übersetzung machen und dem Ganzen den Untertitel geben: ‚Zur deutschen Selbstbesinnung‘“, ebd. S. 2– 3. So lautete die Grußformel Stratmanns, vgl. ebd. S. 3. Wie im vorigen Kapitel angesprochen, waren sich Stratmann und Manacorda bereits über die Frage einer Berechtigung des italienischen Überfalls auf Abessinien uneins gewesen. Noch war der Bruch allerdings nicht endgültig. Stratmann stimmte Manacorda immerhin darin zu, dass „konfessionelle Parteien dort unnötig und unerfreulich sind, wo das Land eine weltanschauliche Einheit bildet (mehr oder weniger), wie in Italien, Spanien“. Damit anerkannte er zumindest den faschistischen Einparteienstaat und das Verbot des PPI, vgl. Franziskus Stratmann an Guido Manacorda, Brief aus Rom vom 11. September 1935, ebd. Der Theaterkritiker Rudolf Rößler (1897– 1958) hatte Kontakt zu deutschen Widerstandskreisen und leitete einen Nachrichtendienst, der während des Zweiten Weltkrieges Informationen an die Sowjetunion lieferte. Er hatte auch Kontakte zu Schweizer und britischen Agenten, vgl. Kamber, Peter: Spionage. die keine war: Der Kalte Krieg und die Strafsache Rössler/Schnieper. In: Basler Magazin (Magazin der Basler Zeitung) vom 2. Juli 1994. S. 6 – 7.
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uns gegenüber zum Ausdruck gebracht. Trotzdem fürchten wir nun, der Absatz einer deutschen Ausgabe Ihres Buchs werde sich ausschliesslich auf das gebildete Publikum der deutschsprechenden Schweiz sowie einiger Bezirke des Auslanddeutschtums (vor allem Böhmens) erstrecken, was nun leider unter den gegebenen Verhältnissen nicht ausreicht, um eine solche Ausgabe wagen zu können.¹⁰²
Hinsichtlich einer Veröffentlichung von Manacordas Buch über den Nationalsozialismus war Rößler noch pessimistischer, obwohl er für den Fall interessiert war, dass Manacordas Buch von Berlin eine Freigabe erhalten sollte: Noch schwieriger wird vermutlich die Situation bei Ihrem Buch über den Nationalsozialismus liegen. Allerdings könnte hier vielleicht erwartet werden, dass in der Schweiz selbst, in der C.S.R. und in einigen anderen Gebieten das Interesse eines grösseren Kreises von Menschen geweckt werden kann als im Fall von ‚La Selva e il Tempio‘. Immerhin aber wäre es uns natürlich sehr wichtig zu wissen, ob nach Ihrer Auffassung das Buch über den Nationalsozialismus Aussichten hat, einem Verbot in Deutschland zu entgehen. Es wird Sie sicher in diesem Zusammenhang interessieren, zu erfahren, dass auch das Buch von Herrn Prof. de Reynold ‚Die Tragik Europas‘¹⁰³ nunmehr in Deutschland verboten worden ist, wie denn auch überhaupt die Zahl der von Deutschland ausgesprochenen Buchverbote allmählich ins Ungemessene wächst. Wir selbst fürchten natürlich sehr, dass alsbald nach Erscheinen gerade dieses zweite Buch in Deutschland verboten und unterdrückt werden wird, sodass deutsche Leser so gut wie nicht erfasst werden können.¹⁰⁴
Doch nicht nur der deutschsprachige Markt war für die NS-kritischen Schriften Manacordas blockiert, selbst eine italienische Veröffentlichung kam nicht mehr zustande, weil sie – traut man Manacordas Angaben aus dem Jahre 1944 – Mussolini inzwischen politisch nicht mehr genehm war.¹⁰⁵ Als Manacorda im September 1935 Hitler traf, wusste er also, dass er sein Buch über die NS-Rassenlehre weder in Deutschland noch in Italien je würde veröffentlichen können. Ebenfalls war ihm klar,
„Sehr verehrter Herr Professor! Nehmen Sie unseren herzlichsten Dank für Ihre liebenswürdigen Zeilen vorn l.d.s.Mts., in denen Sie uns noch einmal in so freundlicher Weise an ‚La Selva e il Tempio‛ und an Ihr neues Buch über den Nationalsozialismus sowie an die im Zusammenhang mit den beiden Büchern zwischen uns geführte Korrespondenz erinnern. […]“, vgl. Rudolf Rößler an Guido Manacorda, Brief vom 4. Mai 1935, AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc 1935 I, Semestre II. Das Buch war im Vita Nova Verlag gerade erschienen: De Reynold, Gonzague: Die Tragik Europas. Luzern 1935. Weiter hieß es: „Einem solchen Umstand kommt nun leider insofern besondere Bedeutung zu, als das österreichische Publikum als Bücherkäufer heute, infolge einer sehr bedauerlichen Gleichgültigkeit des Oesterreichers im allgemeinen wie auch infolge der besonders schwierigen wirtschaftlichen Lage des Landes, fast völlig ausfällt, sodass eigentlich nur mit dem Publikum der Schweiz und eines Teils des östlichen Auslanddeutschtums gerechnet werden kann. […] Nur für den Fall, dass Sie vorerst das Recht zur deutschen Uebersetzung des Buchs über den Nationalsozialismus nicht vergeben, wären wir Ihnen noch sehr dankbar für eine Mitteilung darüber, ob Sie glauben, dass ein ausdrückliches Verbot des Buches in Deutschland erfolgen wird oder nicht“, vgl. Rudolf Rößler an Guido Manacorda, Brief vom 4. Mai 1935, AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc 1935 I, Semestre II. Vedovato: Guido Manacorda tra Italia, Germania e Santa Sede, S. 104.
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dass er als Autor auf dem deutschen Büchermarkt mit regimekritischen Beiträgen keine Chance hatte. Das Jahr 1935 bildet bezüglich der Deutschlandperzeption Manacordas eindeutig eine Zäsur im „Denkstil“. Orientierte er sich bis dahin an NS-kritischen katholischen und Exilkreisen wie um Stratmann und Rößler, so sollte in der Folge die NS-Führung sein neuer Bezugspunkt werden. Drastischer kann eine politische Kehrtwende kaum sein. War das biografische Schlüsselerlebnis bei Manacorda sicherlich seine Audienz bei Hitler, so kann für die faschistischen Katholiken offenkundig der italienische Überfall auf Abessinien als das prägende, weil ihren „Denkstil“ formierende Erlebnis gelten. Seit der Gründung des Impero glaubten sie, die Phase der Verwirklichung ihrer Romanità-Utopie habe begonnen. DasSchicksal der deutschen Katholiken rückte zusehends in den Hintergrund, obwohl Manacorda sich aufrichtig diplomatisch für einen Ausgleich nach dem Vorbild der Lateran-Verträge einsetzte. Dem Faschismus der Manacorda-Gruppe, der sich jetzt dem Nationalsozialismus gegenüber aufgeschlossen zeigte, standen nun die Türen beider Regime in Italien und Deutschland weit offen, zumal das katholische Fundament ihres Denkens anfangs im Reich toleriert bzw. ignoriert wurde. Vollkommen gewandelt hatten sich für Manacorda damit die Zugangschancen zum deutschen Wissenschafts- und Büchermarkt. Sofort waren für ihn Publikationsmöglichkeiten gefunden: Schon 1935 erschien in der Reihe Die silbernen Bücher von Woldemar Klein eine erste Schrift „Italienische Madonnen des Quattrocento“, die mit zehn für die Zeit drucktechnisch anspruchsvollen und teuren Farbtafeln ausgestattet war.¹⁰⁶ Vor seinem zweiten Gespräch mit Hitler anlässlich einer Feierstunde der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft am 21. Januar 1936 referierte er, wie gesehen, über Dante, den er mit Goethe verglich. Vom zuvor vertretenen schroffen Gegensatz zwischen Romanität und Germanität war nun keine Rede mehr, stattdessen sprach Manacorda jetzt von einer „Arbeitsteilung“ zwischen beiden Völkern, die sich als für die Welt vorbildhafte Kulturträger in ihrem jeweiligen Bereich ergänzten: Ein gerechter Stolz aber soll von Deutschen und Italienern ausgesprochen werden: daß zwei Dichter der ganzen modernen Kultur Erde und Himmel in Dienst ihrer unsterblichen Werke gestellt haben […] Zwar der eine, Dante, mehr im Stein, in der Statik, in der Vernunft, in der Skulptur und Architektur und der andere, Goethe, mehr im Werden, in der Dynamik, in der Malerei und im dichterischen Stil wurzelnd.¹⁰⁷
Der sich den Nazis anbiedernde Charakterder Argumentation einer schöpferischen Gleichrangigkeit zwischen beiden Nationaldichternbegeisterte zumindestHassellnicht: „Abends Dantevortrag von Manacorda im Harnackhaus. Gut besucht, aber langweilig.“¹⁰⁸ Dieses negative Urteil hinderte Hassell jedoch nicht, sich in seinem
Manacorda: Italienische Madonnen des Quattrocento. Manacorda, Guido: Dante. Ein Lebensbild. Berlin 1937, S. 41– 42. Hassell: Römische Tagebücher und Briefe 1932– 1938, S. 125.
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Artikel „Deutschlands und Italiens europäische Sendung“ direkt auf Manacorda zu beziehen: Und wenn wir im Sinne des Florentiners Manacorda die frei zum Himmel rauschende Pracht des Waldes als Kennzeichen germanischer Art, die helle Harmonie des klassischen Tempels als Symbol italienischen Wesens bezeichnen können, so darf man sagen, daß Goethe diese beiden unentbehrlichen Bestandteile des wahren Europäertums in idealer Weise vereinigte.¹⁰⁹
Auffällig ist, dass Hassell für Tempio die Übersetzung Tempel, die der antichristlichen NS-Auffassung mehr entsprach, und nicht Gotteshaus wählte. Auch materiell zahlte sich die jähe Metamorphose seiner NS-Perzeption aus. Als Honorar erhielt Manacorda von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 450 Reichsmark.¹¹⁰ Und ein neuer Verleger wurde ihm vermittelt, mit dem er erfolgreich zusammenarbeitete. Der Wessobrunner Verlag des NSDAP-Mitgliedes und Reichsbeauftragten bei der Überwachungsstelle für unedle Metalle, Dr. Georg Lüttke¹¹¹, publizierte von nun an in aufwändigen, gebundenen Schmuckbänden seine weiteren Vorträge, insbesondere zu Themen der italienischen Bildenden Künste. Der Karrierist Lüttke war nicht immer ein Freund der von der NSDAP unbeanstandeten italienischen Renaissance gewesen, sondern an moderner Kunst interessiert. Er stand zusammen mit seiner Frau Gertrud u. a. in enger Beziehung zu Marta und Anton Räderscheidt. Viele andere Avantgardekünstler, deren großformatige Bilder die Räume schmückten, waren in den 1920er Jahren in Lüttkes Berliner Haus zu Gast.¹¹² Nach der „Machtergreifung“ brach Lüttke mit der Moderne und trennte sich von seiner jüdischen Frau. Nun ohne Schutz durch ihren arischen
Der Artikel ging auf einen Vortrag zurück, den er am 19. Januar 1937 an der Universität Köln gehalten hatte. Der Vortrag wurde abgedruckt in: Veröffentlichungen des Petrarca-Hauses, Zweite Reihe, Vorträge 8, Stuttgart 1937, und wiederabgedruckt bei Schölgen: Ulrich von Hassell 1881– 1944, S. 195 – 207, hier S. 200. Der Hobby-Dantist Hassell deutete darüber hinaus Dante ebenfalls politisch: In einem in Anwesenheit Mussolinis im Casa di Dante in Rom gehaltenen Vortrag vereinnahmte Hassell Dante zwar nicht für Deutschland, aber für die totalitäre Idee. Faschismus und Nationalsozialismus fußten auf dem politischen Gedankengut Dantes, das Europa „nicht nur aus der parlamentarischen Formaldemokratie erlöst, sondern auch vor dem Kommunismus gerettet“ habe, vgl. Hassell, Ulrich von: Die Bedeutung des politischen Gedankens Dantes für die Gegenwart. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 16 (1934). S. 103 – 112, hier S. 109. Guido Manacorda an Wessobrunner Verlag, Brief vom 6. Februar 1936. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z., Sottofasc. Wessobrunner Verlag. Georg Lüttke trat am 1. Oktober 1931 in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer: 671.217). Zuvor war er Herausgeber der Zeitschrift „Metallwirtschaft. Wochenschrift für das gesamte Interessengebiet der Nichteisenmetalle“ sowie Vorsitzender der „Metallgesellschaft“, einer Lobby der Schwerindustrie, gewesen, vgl. Maier, Helmut: Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung. 1900 – 1945/48, Göttingen 2005, S. 309, sowie vgl. Georg Lüttke an Guido Manacorda, Brief ohne Datum [Herbst 1939]. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 2˚ Semestre II. Lüttke schrieb Manacorda, er „mache Parteidienst“. Vgl. http://www.raederscheidt.com/Georg_Luttke.html (7. Juli 2011).
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Ehemann fand sie 1943 in Auschwitz den Tod.¹¹³ Offensichtlich versuchte Lüttke, durch den Kontakt mit Manacorda und in Kunstdingen mithilfe eines „artgerechten“ Engagements für die italienische Kultur, die Kompromittierung wegen seiner „Mischehe“ vergessen zu machen. Beispielsweise wurde Manacordas „Dante“ mit Holzschnitten und Federzeichnungen von Sandro Botticelli illustriert. Ein Teil der Auflage wurde gar in Leder gebunden und kostete 30 Reichsmark.¹¹⁴ Außerdem setzte sich der Wessobrunner Verlag bezüglich Manacordas Bolschewismus-Buch mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Verbindung.¹¹⁵ Allerdings lehnte das Goebbels-Ministerium eine Übertragung ins Deutsche ab, weil die darin kolportierten „philosophischen Anschauungen keineswegs in allen Teilen den in Deutschland vertretenen Anschauungen entsprechen“. Des Weiteren sei das Buch „absolut theoretisch und intellektuell“.¹¹⁶ Schnell waren die „Madonnen des Quattrocento“ mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren ganz und der „Dante“ fast völlig vergriffen.¹¹⁷ Damit hatte Manacorda knapp die zehnfache Auflage seines NS-kritischen „Contrafforti“ erreicht. Seine am 10. März 1937 – dem Tag seiner vierten Unterredung mit Hitler – an der Hochschule für Politik ¹¹⁸ „vor dem Stellvertreter des Führers, den höchsten Reichsbehörden, den Botschaftern Italiens und Japans“ gehaltene Rede „Kommunismus und Demokratie“ erschien 1939 mit Geleitworten von Reichsminister Frank und Minister Bottai.¹¹⁹ Dem Präsidenten der Hochschule Paul Meier-Benneckenstein bot Manacorda seine Mitarbeit an: Alles, was die geistigen und politischen Verhältnisse zwischen Italien und Deutschland betrifft, bleibt im Zentrum meines Lebens. Wenn ich je etwas Ihrem Institut zum Nutze[n], sei es beim Palazzo Venezia oder Palazzo Chigi, oder beim Minister Alfieri und Abgeordneten Pavolini, dem heutigen Präsidenten des Institut[s] für die ‚Relazioni culturali con l’Estero‘ persönlich leisten könnte, würde es mich immer ganz besonders freuen.¹²⁰
Heute erinnert ein Stolperstein vor dem Haus Riefstahlstr. 4 in Karlsruhe an Gertrud Lüttke, vgl. http://ka.stadtwiki.net/Stolpersteine_Riefstahlstra%C3%9Fe_4 (7. Juli 2011). Manacorda: Dante. Ein Lebensbild. Wessobrunner Verlag an Manacorda, Brief vom 7. Juni 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z., Sottofasc. Wessobrunner Verlag. Abteilungsleiter Propaganda an die Abteilung Pers., Bericht vom 26. Juni 1940 zur geplanten Auszeichnung von Prof. Dr. Manacorda. In: PA Berlin, R55/96, Bl. 306. Guido Manacorda an den Mondadori-Verlag vom 3. Mai 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z., Sottofasc. Mondadori. Die Deutsche Hochschule für Politik, die aus einer linksliberalen Gründung u. a. von Max Weber und Friedrich Naumann hervorging, welche die Weimarer Republik stärken sollte, wurde 1933 gleichgeschaltet und Goebbels unterstellt, vgl. Botsch, Gideon: „Politische Wissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Deutschen Auslandswissenschaften“ im Einsatz 1940 – 1945. Paderborn u. a. 2006, S. 40 – 43. Manacorda: Kommunismus und Demokratie, S. 59. Guido Manacorda an Paul Meier-Benneckenstein, Brief vom 31. März 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, Carteggio politico-religioso. Manacorda bezog sich auf eine Broschüre der Hochschule, die ihm zugegangen war: Das Neue Deutschland. Ferienkurs für Ausländer vom 30. Juli – 13. August, Hochschule für Politik Berlin, Berlin o. J.
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Mit 23 Abbildungen war wiederum Manacordas Vortrag über die italienische Kunstausstellung illustriert, den er am 29. November 1937 in der Preußischen Akademie der Künste gehalten hatte.¹²¹ Die Verbindung machte sich erneut bezahlt. Er erhielt von Dr. Lüttke 650 Reichsmark, umgerechnet 4.961 Lire, für sein Dante- und sein Ausstellungsbuch.¹²² Die Werbung wurde gemeinsam besprochen. Diskutiert wurde über einen Einlegezettel für seine Bücher, mit dem er sich den Lesern vorstellen sollte. Der Einleitungssatz „Manacorda, der vertraute Mitarbeiter des Duce, spricht in diesem Werk zu den Deutschen über die größte geistige Kraft des Italienertums“ wurde abgeändert in „Manacorda, der bekannte Goethe- und Wagner-Übersetzer und -Deuter, […]“.¹²³ Als Grund gab Manacorda an, dass es höchst unpassend wäre, sich der „hohen Freundschaft und des persönlichen Vertrauens des Duce öffentlich zu rühmen und als Reklamemotiv zu benützen“.¹²⁴ Doch so bescheiden, wie er hier zu sein vorgab, war der Professor nicht, der sich sehr wohl gerne mit seinen Kontakten zu Mussolini und Hitler brüstete. Um 1942 die Verkaufszahlen der erweiterten Neuauflage seiner Porträtreihe „Medaglioni“ von 5.000 Exemplaren¹²⁵ zu steigern, intendierte Manacorda in einem Beitrag Hitler vorzustellen, wobei er sich auf seine persönliche Begegnung mit dem „Führer“ beziehen wollte. Er erhielt jedoch dafür von Mussolini keine Genehmigung.¹²⁶ In der schließlich gedruckten Fassung der Einlage des Wessobrunner Verlags bekannte sich Manacorda zu seinem politischen Glauben: Aus alter vollarischer Familie geboren, unter dem Banner Dantes und durch das mächtige Erlebnis der faschistischen Revolution bin ich aus den dunklen Irrwegen eines romantisch-anarchistischen Individualismus am offenen sonnigen Licht unseres wiederauferstandenen Imperiums angelangt.¹²⁷
Der Wessobrunner Verlag schrieb über Manacorda:
Manacorda: Welt und Darstellung der italienischen Kunst des XIX. und XX. Jahrhunderts. Die fotographischen Reproduktionen erhielt der Verlag von Maraini, vgl. Verwaltung der Biennale von Venedig an Guido Manacorda, Brief vom 5. Januar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z., Sottofasc. Wessobrunner Verlag. Zahlungsanweisung vom 26. Februar 1938 sowie Georg Lüttke an Manacorda, Brief vom 21. Dezember 1937, ebd. Wessobrunner Verlag an Guido Manacorda, Brief vom 6. Januar 1938, ebd. Guido Manacorda an Georg Lüttke, Brief vom 22. Dezember 1937, ebd. Guido Manacorda an den Garzanti-Verlag, Brief vom 8. Oktober 1942. In: AdN della Sapienza Rom,Fondo Manacorda, Fasc. 1942, 1˚ Semestre, II/2, D–Z. Guido Manacorda an den Garzanti-Verlag, Brief vom 20. Juli 1942, ebd. Der Garzanti-Verlag war von diesem Vorschlag angetan. Manacorda wollte dazu erst Mussolini um Erlaubnis fragen, eine Anfrage an die Ministerien hielt er für unangemessen. Das Hitler-Porträt wollte er noch vor dem Porträt der Kronprinzessin platzieren. Einlage „Guido Manacorda. Dichter, Politiker, Gelehrter“. In: Guido Manacorda: Welt und Darstellung der italienischen Kunst des XIX. und XX. Jahrhunderts.
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Hier spricht Italien und der Faschismus. Und diese Stimme ist uns Deutschen besonders wertvoll, wir erkennen: Deutschland steht nicht mehr allein.¹²⁸
Der Professor revanchierte sich. Er vermittelte Lüttke an das Ministerium für Volkskultur, zu dem er enge Beziehungen hatte.¹²⁹ Manacorda berichtete Mussolini, Lüttke wolle für die Achse arbeiten und verfüge über Kapital, deshalb habe er ihn den betreffenden hiesigen Ministerien und Ämtern vorgestellt.¹³⁰ 1940 publizierte der Wessobrunner Verlag eine deutsche Ausgabe zur Mailänder Da-Vinci-Ausstellung¹³¹, für deren Erscheinen sich Lüttke beim neu ernannten Minister für Volkskultur Pavolini herzlich bedankte.¹³² Am 11. November schrieb Manacorda seinem deutschen Verleger: Zunächst genehmigen Sie meine herzlichste Beglückwünschung zu der wundersamen Rettung des Führers aus dem ruchlosen Münchner Attentat. […] Sie haben recht passend an Pavolini geschrieben.¹³³
Der Professor gehörte jetzt mit d’Alba zur ersten Garde der italienischen Kulturschaffenden, mit denen sich das faschistische Regime gegenüber dem Reich schmückte, denn in dem prächtigen, mit kurzen Beiträgen in deutscher und italienischer Sprache illustrierten Bildband über Hitlers Italienreise im Mai 1938 waren beide mit einer Eloge vertreten.¹³⁴ Außerdem wirkten Hitler und Mussolini sowie faschistische und nationalsozialistische Gerarchen wie Ciano, der Reichsminister für Justiz Hans Frank, Innenminister Frick oder Parteisekretär Achille Starace u.v.m.
Manacorda: Welt und Darstellung der italienischen Kunst des XIX. und XX. Jahrhunderts, S. 57. Vgl. Blasco Lanza d’Ajeta an Guido Manacorda, Brief vom 11. Oktober 1937. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2° Semestre. Sottofasc. Ministero Esteri, Ciano, d’Ajeta. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 1. Dezember 1938. In: AdN, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 2° Semestre I–Z, Sottofasc. Mussolini, Colloquio Mussolini, Relazioni XXI. Leonardo da Vinci. Dt. Übersetzung der italienischen Ausgabe hrsg. v. Sandro Piantanida u. Constantino Baroni, Werner R. Deusch u. a. Berlin 1940. Bis 1977 erschienen von diesem Buch acht Auflagen. Georg Lüttke an Alessandro Pavolini, Brief ohne Datum, das Begleitschreiben an Manacorda datiert vom 8. November 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 2˚ Semestre II, Sottofasc. Wessobrunner Verlag. Guido Manacorda an Georg Lüttke, Brief vom 11. November 1939, ebd. Es handelte sich um: Orano, Paolo (Hrsg.): L’asse nel pensiero dei due popoli. Die Achse im Denken der beiden Völker. Roma 1938. Paolo Orano übersandte Manacorda ein Exemplar von „L’Asse Roma-Berlino nel pensiero dei due popoli“ und dankte für seine Mitarbeit, vgl. Paolo Orano an Guido Manacorda, Brief vom 16. September 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, 1938, 2˚ Semestre I, Sottofasc. Bottai. Manacorda war von der „Associazione italo-germanico di cultura“ eingeladen worden, über die Edda zu schreiben, vgl. Giovanni Treccani an Manacorda, Brief vom 16. Mai 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z., Sottofasc. Associazione italo-germanico di cultura.
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mit.¹³⁵ Auch im offiziellen Bayreuther Festspielführer von 1938 war ein Artikel Manacordas enthalten.¹³⁶ In Italien publizierte er weiter zu den nordischen Mythen.¹³⁷ Manacorda schmeichelten nicht nur die hohen Auflagen, sondern es befriedigte auch seine intellektuelle Eitelkeit, dass es ihm gelang, seine Arbeiten persönlich der NSFührung zu überreichen. Lüttke schrieb er euphorisch: Während des grossen Besuchs des Führers in Florenz habe ich all’ die Exemplare meines ‚Dante‛ auf dem Altar der deutsch-italienischen Freundschaft recht gern geopfert.¹³⁸
Dazu überreichte er Hitler und dessen Gefolge seinen „Faust“.¹³⁹ Doch nicht nur Manacordas Publikationen nahmen zu. Weitere Anfragen für Vorträge von deutschen Einrichtungen in Italien kamen hinzu. Am 14. Februar 1938 sprach Manacorda auf Einladung der Kulturabteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaft in der Biblioteca Hertziana über das Thema „Sintesi Faustiana“.¹⁴⁰ In Mailand hielt Manacorda für die unter der Schirmherrschaft Alfieris stehende Associazione italo-germanica di cultura ¹⁴¹ einen Vortrag mit dem Titel „An der Quelle der germanischen Zivilisation (Die Edda)“, über den das Konsulat begeistert berichtete: Der Vortragende entwickelte in fesselnder Form ein Bild der germanischen Götter- und Heldenwelt, in das er Betrachtungen über den Grundcharakter des germanischen Volkes einflocht. Es war besonders anregend, gerade von einem Ausländer eine so interessante zusammenfassende
Außerdem waren darin von deutscher Seite Schriftsteller und Künstler wie Wilhelm Furtwängler, der Präsident der Reichsschrifttumskammer Hanns Johst, der Präsident der Reichstheaterkammer, Rainer Schlösser, der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste Adolf Ziegler, der Schriftsteller Dr. Werner A. Eicke vertreten. Von italienischer Seite waren es u. a. der Schriftsteller Ettore Allodoli, der Direktor der Zeitschrift „Criterion“ Siro Contri, der neapolitanische Professor Alfredo de Marsico, vgl. in: Paolo Orano: L’asse nel pensiero dei due popoli. Manacorda schrieb über „Italienische Städte und Landschaften im Leben und in den Werken R. Wagners“ in der Rubrik „Richard Wagner und das Ausland“, vgl. Briefwechsel Otto Strobel mit Guido Manacorda in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, A–F., Sottofasc. Bayreuth. Manacorda: Nella selva del mito nordico-germanico. Der Artikel ist mit Zeichnungen von Odin und Thor sowie den drei Nornen illustriert. Guido Manacorda an Wessobrunner Verlag, Brief vom 16. Mai 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1° Semestre II, G–Z., Sottofasc. Wessobrunner Verlag. Die Generaldirektion des Mondadori-Verlages an Guido Manacorda, Brief vom 12. Mai 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, G–Z., Sottofasc. Mondadori, sowie Manacorda an Mondadori, Brief vom 3. Mai 1938, ebd. Direktor Werner Hoppenstedt an Guido Manacorda, Brief vom 18. Januar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1° Semestre II, A–F., Sottofasc. Conferenze Roma. Vgl. Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 20. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, I–Z, Colloquio XXV. Generalsekretär Marcello Pulejo der Associazione italo-germanico di cultura an Guido Mailand, Brief vom 7. Januar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1° Semestre II, A– F., Sottofasc. Conferenze Milano. Die „Associazione“ sollte das Achsenbündnis in Italien populär machen.
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Darstellung und Auswertung der deutschen Mythologie zu hören. Der grosse Saal der Kulturgesellschaft war voll besetzt und dem Vortragenden, der völlig frei sprach, wurde wohlverdienter reicher Beifall gespendet. Es dürfte nicht unlohnend sein, sich an Prof. Manacorda bei sich bietender Gelegenheit zu erinnern.¹⁴²
Manacordas gute Deutschkenntnisse waren selten im Zeitalter des Faschismus. Das Ministero della Cultura Popolare stellte in einem Bericht vom 29. Oktober 1943 bezüglich der italienischen Propaganda im Rückblick auf das Kulturabkommen von 1938 fest, dass die Vorträge der italienischen Wissenschaftler in Deutschland fast allesamt an mangelnder Sprachkompetenz gekrankt hätten. Kaum ein italienischer Redner sei in der Lage gewesen, auf Deutsch vorzutragen, sondern höchstens in völlig unzureichender Weise abzulesen.¹⁴³ Auch in Italien wurde Manacorda – nachdem ihn Mussolini zum Ehrenmitglied der Partei ernannt hatte – mehrfach geehrt. Er wurde z. B., weil er dem faschistischen Italien in der Sanktionsphase die größten Dienste erwiesen habe¹⁴⁴, zum Consigliere della Sezione fiorentina dell’Istituto Nazionale di cultura fascista ernannt.¹⁴⁵ Vor dem Krieg hielt er eine ganze Reihe von Vorträgen in Nord- und Mittelitalien, u. a. für das Istituto di Studi Romani, das unter der Schirmherrschaft des Königs und Kaisers sowie unter der Ehrenpräsidentschaft von Mussolini stand. Innerhalb der Reihe Roma nell’opera del Genio lautete ein Vortrag „Dante romano e il nuovo libro di Merejkovskij“¹⁴⁶. Dieser Zyklus sollte dazu dienen, zu zeigen, wie in Rom die göttliche Mission, seine Universalität, seine Glorie, sein von ihm geschaffener zivilisatorischer Geist im Werke der Genies aller Länder und Nationen vergegenwärtigt seien.¹⁴⁷ Im akademischen Jahr 1938/39 veranstaltete das Istituto di Studi Romani eine Konferenz über die römische Zivilisation und die Rassenprobleme. Manacorda sollte dort über das Wie-
Generalkonsulat Mailand, Berichtsdurchschlag an das Auswärtige Amt über den Vortrag von Prof. Guido Manacorda vor der Deutsch-italienischen Kulturgesellschaft vom 20. Januar 1938. In: PA Berlin, Rom-Quirinal, Paket 1336/2 Künstlerische Veranstaltungen (Vorträge usw.) 1937– 1940. Ministero della Cultura Popolare, Propaganda in Germania, Bericht vom 29. Oktober, S. 2. In: ACS Rom, Minculpop, Servizi della propaganda, Germania, Busta 102, S. 2. Vgl. Einladung des Direktors des Istituto Nazionale di Cultura fascista, Alberto Luchini, vom 13. Januar 1938, einen Vortag über den Kommunismus zu halten. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1˚ Semestre, Sottofasc. Firenze, Istituto Cultura Fascista. Istituto Nazionale di Cultura fascista, Sezione di Firenze an Manacorda, Brief vom 11. Oktober 1937. In: Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 2˚ Semestre. Sottofasc. I. F. Cultura. Der nach dem Ersten Weltkrieg im Pariser Exil lebende Dichter Dimitri Mereschkowski (1865 – 1941) vertrat eine mythische, eschatologische Lehre vom „Dritten Reich“. Außerdem trat er für die Überwindung des Schismas mit Rom ein und sympathisierte mit dem Faschismus, vgl. Weiß, Volker: Dostojewskis Dämonen. Thomas Mann, Dimitri Mereschkowski und Arthur Moeller van den Bruck im Kampf gegen „den Westen“. In: Völkische Bande. Hrsg. von Heike Kaufmann, Helmut Kellershohn und Jobst Paul. S. 90 – 122. Manacorda bezog sich häufiger auf ihn. C. Galassi Paluzzi, Brief vom 5. Juli 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 1˚ Semestre, A–Conferenze, Sottofasc. Conferenza Roma, Istituto Studi Romani.
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dererblühen des Imperiums und der italienischen Rasse in der Renaissance referieren.¹⁴⁸ Damit festigte er weiter seinen Ruf als Deutschland-Experte, was ihn wiederum für die italienische Presse zum gefragten Leitartikler und Sachverständigen werden ließ. Der Direktor des „Corriere della Sera“, Borelli, finanzierte mit 2.500 Lire eine Reise des Professors nach Südtirol, damit er über die neue Situation berichte, die sich im Zuge des Anschlusses ergeben hatte und die italienische Seite sichtlich beunruhigte.¹⁴⁹ Darüber erstattete er wiederum dem Regime Bericht.¹⁵⁰ Zu den 1938 zum Abschluss gebrachten Verhandlungen über das deutsch-italienische Kulturabkommen wurde Manacorda allerdings zu seiner großen Verstimmung nicht herangezogen.¹⁵¹ Das lag u. a. daran, dass nicht der Erziehungsminister federführend war, sondern Außenminister Ciano¹⁵², bei dem Manacorda jedoch in Ungnade gefallen war. Nach Abschluss des deutsch-italienischen Freundschaftsvertrages im Oktober 1936 fand die völkerpsychologische Deutung Manacordas, das Achsenbündnis sei die seit 2.000 Jahren schicksalhaft erwartete Synthese von Wald und Tempel, immer größere Verbreitung. Sie füllte die Parolen der faschistischen Propaganda mit Inhalt und hatte im Vergleich zu den Deutungsangeboten der konkurrierenden „Mikroinstitutionen“ den Vorzug, relativ kohärent und anspruchsvoll zu sein. Hinzu kam, dass das faschistische Regime zweckrational agierte. Mussolini waren die kolportierten Inhalte und „Leitideen“ gleichgültig. Es interessierte ihn einzig und allein, ob sie zur Mobilisierung geeignet waren. Auch Andrea Hoffend betont den zwar pompösen, gleichwohl unverbindlichen ideologischen Charakter der Propaganda in den Jahren 1937/1938 sowohl von italienischer als auch deutscher Seite.¹⁵³ Besonders Hitler bemühte sich nach dem Anschluss Österreichs, die kulturellen, geschichtlichen und blutsmäßigen Gemeinsamkeiten zwischen Römern und Germanen zu betonen¹⁵⁴, um den Italienern entgegenzukommen. Außerdem bewunderte Hitler das antike Rom, das er sogar, allerdings nur privatim, der „germanischen Unkultur“ gegenüberstellte.
C. Galassi Paluzzi, Brief vom 13. Oktober 1938, ebd. Aldo Borelli an Guido Manacorda, Briefe vom 18. Februar und 16. Juni 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1938, 1˚ Semestre II, A–F., Sottofasc. Corriere della Sera. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 4. Februar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Bottai empfing Manacorda am 14. Februar 1938, um u. a. über dessen Reise nach Südtirol im Auftrag des „Corriere della Sera“ zu sprechen. Vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 30. November 1938 in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1° Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 7. Dezember 1938, ebd. Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf, S. 27. Am 30. Januar 1939 sagte Hitler, dass aus einer tausendjährigen Berührung zwischen den Italienern, den „Nachkommen des antiken Rom“, und den Deutschen, den „Nachkommen der damaligen Germanen“, eine Gemeinschaft erwachsen sei, vgl. Schreiner, Klaus: Reichsbegriff und Romgedanken. Leitbilder politischer Kultur in der Weimarer Republik. In: Deutsche Italomanie in Kunst,Wissenschaft und Politik. Hrsg. von Wolfgang Lange und Norbert Schnitzler. München 2000. S. 137– 177, hier S. 163.
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Im Rahmen einer gesamteuropäisch angelegten Raumpolitik […] wurde [für Hitler] Rom zum vorbildhaften Flucht- und Kristallisationspunkt einer übernationalen Reichsgründung. Hatte doch das antike Rom all das erreicht und realisiert, was auch der nationalsozialistischen Staatsführung als letzter Zielpunkt ihrer Außenpolitik vorschwebte. In diesem Punkt hielt es Hitler mit der ‚idea universale di Roma‘, wie sie von Mussolini und den italienischen Faschisten propagiert wurde.¹⁵⁵
Diese Auffassung des Diktators deckte sich paradoxerweise vollständig mit der der faschistischen Katholiken, allerdings wollte ersterer sein Reich auf rassischer Grundlage, die letzteren ihr Impero auf christlicher Basis schaffen. Entsprechend eindeutig fiel das Verdikt des Reichsführers SS/Chef des Sicherheitsamts schon Mitte 1934 aus: Im Nationalsozialismus ist der Gedanke des ‚Dritten Reiches‘ als der staatlichen Verkörperung des deutschen Volkstums Wirklichkeit geworden. Auch im Katholizismus redet oder schwärmt man von einem ‚Reich‘, meint aber damit jedoch […] das mittelalterliche ‚Römische Reich deutscher Nation‘ […] Von dieser Seite her wird der nationalsozialistische Reichsgedanke unterhöhlt.¹⁵⁶
Wie im Folgenden gezeigt wird, waren nicht nur die faschistischen Katholiken als Akteure, sondern auch ihr Denksystem im Rahmen der Achsenpropaganda an vorderster Stelle zu finden: Zu Beginn der einwöchigen Italienreise Hitlers und seines Gefolges erschien auf der Titelseite der Florentiner Tageszeitung „La Nazione“ unter dem Emblem des Reichsadlers ein weder gezeichneter noch betitelter Artikel der Direktion, in dem der deutsche Diktator willkommen geheißen wurde¹⁵⁷: Adolf Hitler, Stifter und Führer des neuen deutschen Reichs, kommt über den Brenner heran; er tritt in das heilige Land des mystischen Romulus und des ‚Imperator Augustus‘ ein. […] Es weht um seine Stirn der Wind des ‚Mare Nostrum‘. […] Und Rom nimmt ihn mit gleicher Freundschaft und mit gleicher Bewunderung auf. Es grüsst ihn als den Retter und den Wiederhersteller, seines vom Weltkriege tragisch geprüften und dennoch unbesiegten Volkes; […] als den einstigen hart ringenden Arbeiter, der durch Hunger, Schmach, Einsamkeit, Feindschaft, Unterdrückung, Opfer, Entsagung, kurz per aspera, durch Strenge, kraft seines riesigen Wollens, nur von der Ahnung seiner historischen Sendung ad astra, zu den Sternen emporgestiegen ist; letztens aber nicht am geringsten, den unerbittlichen Verteidiger der abendländischen Kultur gegen die euroasiatische Barbarei. Florenz […] grüsst den von Norden kommenden Ritter […], den Führer […] das Banner eines einzigen Volkstums, das in ihm seine Einheit nach tausendjährigem Streben und Leiden wiedergefunden hat. Die Flaggen hoch! Das heutige Ereignis bedeutet, weit über das politische Gebiet hinaus, das Aufdämmern einer neuen Epoche, die den Triumph der Jugend, der Aufrichtigkeit, des Heldentums, der Gerechtigkeit über das Greisenalter, über List, Feigheit und Egoismus
Allerdings verfügte Hitler über kein kohärentes Geschichtsbild, vgl. Schreiner: Reichsbegriff und Romgedanken, S. 164. Zitiert nach Altgeld: Rassistische Ideologie und völkische Religiosität, S. 73. Der deutschsprachige Artikel war auf der rechten Spalte. In der linken Spalte war der gleiche Artikel in italienischer Sprache abgedruckt, vgl. in: La Nazione vom 3. Mai 1938, S. 1.
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einer in Trümmer gehenden Welt bezeichnet wird. Hoch im blauen Aether ziehen die grossen Geister Dantes und Goethes, über die Jahrhunderte vereint, herrlich befriedigt vorüber.¹⁵⁸
Der Text weist nur einige kleinere stilistische Fehler auf, sodass zu vermuten ist, dass auch Manacorda als germanistischer Ordinarius der hiesigen Universität mit seinen für die damalige Zeit exzellenten Deutschkenntnissen daran beteiligt war. Außerdem war er regelmäßiger Mitarbeiter der „Nazione“. Insbesondere die Topoi der Romanità legen seine Urheberschaft nahe, wenngleich der Verweis auf deren christliche Wurzeln scheinbar fehlt, in der Figur Dantes ist jedoch die christliche (katholische) und imperiale (faschistische) „Leitidee“ paradigmatisch verdichtet.¹⁵⁹ Nicht nur dadurch ist der Bezug zur faschistisch-katholischen Mystik klar erkennbar, denn typisch für Manacorda ist die Stilisierung Hitlers als marginalisierte, ausgestoßene Erlöserfigur, die sich gegen alle Widerstände durch die Kraft ihrer Botschaft durchsetzt.¹⁶⁰ Auf diese Weise beschrieb er sich selbst immer wieder. Darüber hinaus spricht für die Autorenschaft Manacordas die Sublimierung von Dante und Goethe als große „Geister“¹⁶¹ mit einer seiner Lieblingsmetaphern „im Aether“¹⁶² sowie die geschichtsphilosophische Vorstellung von den jungen Völkern – Italien und Deutschland –, die gegen die alten im Niedergang begriffenen, dekadenten Mächte aufbegehren. Auf dieses Denkelement kam Manacorda wiederholt zurück. So sprach er 1937 in einem Brief an Pizzardo vom geschichtlich unvermeidlichen, weil gesetzmäßigen Verfall der „großen Demokratien“, deren Welt zu Recht zum Untergang bestimmt sei, weswegen sich die Kirche unbedingt mit dem Reich arrangieren müsse.¹⁶³ Dieses Herunterspielen der Spannungen zwischen Italien und Deutschland – nach Jahren der Skandalisierung des paganen NS-Rassismus – kommt auch in den Beiträgen in „L’asse nel pensiero dei due popoli. Die Achse im Denken der beiden Völker“ von Guido Manacorda und Aura d’Alba klar zum Ausdruck. Die zwei Kurztexte werden hier vollständig in der etwas holprigen, weil hastig übersetzten deutschen Variante wiedergegeben, denn sie zeigen emblematisch das Bemühen, die konkur-
„Roma acclamerà stasera Hitler“. In: La Nazione vom 3. Mai 1938. S. 1. Das Bild der zwei Sonnen Dantes, als der beiden Institutionen Kirche und Staat, sah Manacorda in der gemeinsamen Idee des faschistischen Impero verwirklicht, vgl. Manacorda: Le Fascisme, S. 11. „Der Führer […] wirklich, Führer und Seher zugleich“, vgl. Manacorda: Die Demokratien des Westens, S. 30. Vgl. ders.: Dante und Goethe, S. 230: „Zwei Geister, zwei Zeitalter, zwei Inkarnationen der Kunst“. „Stillschweigend, unsichtbar fliegen im Äther die römischen Adler vorbei“, vgl. ders.: Die Demokratien des Westens, S. 30. Vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 4. Januar 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1˚ Semestre, Sottofasc. Pizzardo; Anhang ohne Titel, mit Seitenangabe 9 zum Brief von Guido Manacorda an Giuseppe Pizzardo, Brief vom 4. Januar 1938, ebd. Auch in Italien müsse ein sich abzeichnender politisch-religiöser Konflikt vermieden werden. Er verwies auf einen im „Frontespizio“ erscheinenden Artikel: Darin führe er aus, dass die wahre Freiheit nicht von den schottischen Puritanern und der Guillotine der französischen Revolution komme, sondern aus einer Hirtenhütte in Palästina.
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rierenden Geltungsansprüche zwischen den Achsenmächten wenigstens an der Oberfläche zu harmonisieren. Manacorda schönte nun den Gegensatz, legte aber andererseits den blanken Expansionsanspruch der totalitären Systeme – nur verhüllt mit der Bemerkung zum Wohle der Menschheit zu agieren – offen: Das heutige Ereignis bedeutet das lichtvolle Zusammentreffen zweier grosser Kulturen, die seit Jahrtausenden auf das Leben der europäischen Geschichte am tiefsten einwirken. Auf der einen Seite Geist, Universalität, religiöses Empfinden, Rechtssinn, Weisheit, realistischer Daseinsinn, Konstruktionsinn [sic!], Organisation, plastische und malerische Künste, massvolles Gleichgewicht und Klarheit. Auf der anderen Seite Natur, Rasse, Wandertrieb, Sinn des Werdens, Musik, Mythus. Auf beiden Seiten, unter verschiedenen Gesichtspunkten Heroismus. Zwei parallele Entwicklungen des nationalen Aufbaus, zwei Revolutionen, jede nach ihrem Plan mächtig, zwei ‚grosse Proletarier‘, bei der gerechten Güterverteilung unserer gemeinsamen Erde zuletzt angekommen; beide, was ja selbstverständlich ist, schlecht von denen aufgenommen, die sich als alleinige despotische Herren dieser Güter wähnten. Es kann nicht Wunder erregen, wenn beide Völker, in ihren Gegensätzen, oft Gründe gefunden haben sich zu bekämpfen. Noch weniger, wenn sie in ihrem Schicksal und in ihrem gemeinsamen Bestreben, endlich sich zum gegenseitigen Verstehen und Zusammengehen gegen ein drohendes Vordringen der Barbarei, zur Rettung der höchsten Güter der Menschheit vereinigt haben.¹⁶⁴
Noch ekstatischer formulierte Auro d’Alba, General sowie Presse- und Propagandaleiter der faschistischen Miliz, die gemeinsame Sache als Kampf für das Gute, obwohl er doch zuvor das christliche faschistische Licht dem paganen nazistischen Nebel gegenübergestellt hatte: Unübersteigbarer Damm der Kultur gegen die vereinten Kräfte der internationalen Barbarei; Reaktion der gesunden Völker gegen die verdorbenen; ein ruhmreicher und tragischer Abschnitt des ewigen Kampfes zwischen dem Guten und dem Schlechten. Die Legionen Roms nehmen, im Namen des grössten der Cäsaren, ihren Vormarsch in der Welt zur Rettung der die Grundpfeiler des kulturellen Daseins darstellenden Werte wieder auf: es begleiten sie die mächtigen Scharen eines von einer unverdienten Niederlage nicht besiegten Volkes, das überaus reich an Gefühlen ist und der Dichtkunst äusserst würdig. Eine Zeile des ‚Gebetes des Legionärs‘ lautet ‚Oh Herr, mache aus Deinem Kreuze das Heereszeichen, das der Fahne meiner Legion vorausgeht.‘ [Kursiv i. Orig.] In diesem Zeichen ist das Heil der Menschheit und die Gewissenheit [sic!] des Sieges.¹⁶⁵
Manacorda,Guido: [ohne Titel]. In: Paolo Orano: L’asse nel pensiero dei due popoli. Die Achse im Denken der beiden Völker, Roma 1938, S. 161. Auro d’Alba: [ohne Titel]. In: Paolo Orano: L’asse nel pensiero dei due popoli. Die Achse im Denken der beiden Völker. Roma 1938. S. 124– 125. Unterzeichnet war der Beitrag mit Generale Auro d’Alba, Presse- und Propagandaleiter der Freiwilligen Miliz für die Nationale Sicherheit/Capo Reparto Stampa e Propaganda della Milizia Volontaria Sicurezza Nazionale.
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Neben dem unbeholfenen Verweis des „Barden der Schwarzhemden“ auf die deutsche Dichtkunst wird bei beiden, d’Alba und Manacorda, ihr katholischer „Denkstil“ spürbar. Während der Professor nur indirekt und unbestimmt von Religiosität spricht, wird aus der Feder des „Poeten“ ein gemeinsamer Kreuzzug unter dem christlichen, nicht dem Hakenkreuz. Die NS-Bewegung spielt außerdem nur den Part des später dazugekommenen Hilfskontingents, das sich in die faschistischen Marschformationen einreiht, während Mussolini die Richtung bestimmt. Das politische und ideologische Primat des faschistischen Italiens gegenüber dem „Dritten Reich“ wird so klar formuliert. Bottai übernahm uneingeschränkt die dichotomische Sicht Manacordas: Ich glaube, dass man über die germanische und die romanische Kultur sagen kann, dass sich diese paradoxen und in gewisser Beziehung verwirrenden Feststellungen von Antagonismus und Komplementarität parallel als Motive desselben dialektischen und historischen Prozesses mehr begleiten als abwechseln.¹⁶⁶
Intuitiv sei zu erkennen, dass die Werte des Einen verbunden mit den Werten des Anderen eine ideale Einheit bilden würden. Die Anziehung des Südens sei spirituell, die Denker orientierten sich stets dorthin, auch wenn das Volk eher gegen Rom opponiert habe. Die Parole Los von Rom sei immer auch ein Schrei einer ungestümen Liebe, denn die Vorstellung der antiken Größe Roms sei den Deutschen immer präsent gewesen. Die Spannungs- und Kooperationsbeziehungen zwischen der romanischen und germanischen Welt hätten die westliche Zivilisation maßgeblich bestimmt. Nach der italienischen Intervention im Juni 1940 verstärkte Bottai seine Propagandaanstrengungen, um die faschistisch-katholischen Deutungs- und Geltungsansprüche nach dem erwarteten baldigen militärischen Triumph über England und der damit verbundenen Neuordnung Europas zu formulieren. Euphorisch schrieb der Minister, er lebe wie wohl auch Manacorda in der Spannung dieser Tage, „denn unser Sieg ist ein historisches moralisches Recht“.¹⁶⁷ Zusammen mit Jolanda de Blasi und Guido Manacorda konzipierte er eine Konferenzreihe über das Spannungsverhältnis von Romanität und Germanentum, an der neben vielen Rednern aus Florenz auch führende Intellektuelle wie Giovanni Gentile und Ugo Spirito teilnahmen.¹⁶⁸ Am
Bottai redete einer Kontinuität der 2.000-jährigen Kulturbeziehungen seit der Antike, über die Goten und die Reformation das Wort. Vgl. Bottai, Giuseppe: Latinità e germanesimo. In: Il Primato 1 (1941). S. 2– 3, hier S. 2. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 19. November 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale – Bottai. Al Lyceum: Maria di Piemonte e Giuseppe Bottai al ciclo di conferenze su „Romanità e Germanesimo“. La prolusione del Ministro dell’Educazione Nazionale e la conferenza di Guido Manacorda. In: La Nazione vom 4. Dezember 1940, S. 4, sowie Guido Manacorda an Marcello Pulejo, Generalsekretär der Associazione italo-germanico di cultura in Mailand, Brief vom 20. November 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 2˚ Semestre, II, Sottofasc. Associazione italo-germanica.
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4. Dezember 1940 eröffneten Bottai, de Blasi und Manacorda in Anwesenheit der von ihnen hofierten Kronprinzessin Maria, die mit Manacordas Zutun die Schirmherrschaft der Associazione Italo-Germanica übernommen hatte, im Lyceum das erste Symposium. Wie die Florentiner „Nazione“ berichtete, sollte in der Konferenzreihe sichtbar werden, welchen Beitrag Romanität und Germanentum für die europäische Zivilisation leisten, indem sie die Bedeutung der Funktion ihres Ausgleichs und ihrer gegenseitigen Ergänzung untersuchten.¹⁶⁹ Die faschistischen Katholiken taten jedenfalls alles, um die Festigkeit des Achsenbündnisses zu feiern, schrieb Jolanda de Blasi: Heute würden Italien und Deutschland auf den heroischen Fundamenten dieses Erbes unter den sich nun gegenseitig ergänzenden Bannern von Romanität und Germanität Europa eine neue Ordnung geben. Zu dieser Ordnung gehöre auch, religiösen Normen zu gehorchen. Ihre Soldaten beseitigten die schon von Dante verachteten Oligarchien und Demokratien, die den Körper vom Geist, und damit von Wahrheit, also von Gott, getrennt hätten.¹⁷⁰ Dafür stehe das sabaudische und faschistische Italien ein, das tausendfach durch sein Blut und sein Märtyrertum geweiht sei.¹⁷¹ De Blasi redete von einem schicksalhaften gemeinsamen Weg und führte sogar megalomanisch die ganze menschliche Zivilisation auf Deutschland und Italien zurück: Zweitausend Jahre nach dem ersten Kontakt zwischen den romanischen und germanischen Völkern entstanden aus dieser geistigen Spannung […] die Kulturen der anderen Völker.¹⁷²
Nach einer Phase der gegenseitigen Ignoranz hätten die beiden Prinzipien sich wieder vereint, dozierte Bottai. Das Achsenbündnis sei nicht das Produkt einer bestimmten politischen Konstellation, sondern die notwendige Wiederannäherung zweier Welten, die sich immer aufeinander bezogen hätten und jetzt wieder zum gegenseitigen Nutzen zueinanderfinden würden.¹⁷³ Der „Duce“ und der „Führer“ kämpften mit ihren zwei Dogmen, die aus den siegreichen Revolutionen entstanden seien, so einstimmig und agierten so einträchtig, dass man meinen könnte, es handele sich um eine einzige Doktrin.¹⁷⁴ Aus Faschismus und Nationalsozialismus müsse ein dauerhaftes und in sich geschlossenes Aufbauwerk erwachsen, das bei aller Affinität den Unterschieden beider Lehren Rechnung trage. Die Betrachtung der Germanität und Romanität, die zueinander in einem dialektischen Verhältnis stünden, dürfe nie mit vorgefassten Interpretationsschemata erfolgen oder zum Gegenstand eines propagandistischen Auf und Ab führen: „Das schade den Zielen einer höheren geistigen und politischen
Il Ministro Bottai inaugurerà al Lyceum. In: La Nazione vom 28. November 1940. S. 4. De Blasi, Jolanda: Romanità e Germanesimo. In: Romanità e Germanesimo. Hrsg. von ders. Firenze 1941. S. 391– 401, hier S. 400. Ebd., S. 400 – 401. Dies.: Premessa. In: Romanità e Germanesimo. S. VII–XII, hier S. XII. Bottai, Giuseppe: Rapporti tra l’Italia e la Germania sul piano spirituale e politico. In: Romanità e Germanesimo, S. 1– 14, hier S. 11 f. Diese Passagen finden sich auch wieder in Bottai: Latinità e germanesimo, S. 3. Bottai: Rapporti tra l’Italia e la Germania, S. 13.
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Synthese […], in der die Achsenpartnerschaft allein bestehen könne.“¹⁷⁵ Manacorda behauptete in seinem Beitrag anders als 1933, dass sich germanische und „Weltanschauung romana“ im Bündnis der Achse zwischen nationalsozialistischem Deutschland und faschistischem Italien nunmehr gegenseitig ergänzten: Zwei Welten, die größtenteils antithesisch zueinander stehen und sich infolgedessen ergänzen und die darum dazu bestimmt sind, zu einer höheren und fruchtbaren Synthese emporzusteigen, indem sie sich miteinander versöhnen.¹⁷⁶
Die Vorstellung von der prinzipiellen Andersartigkeit behielt er jedoch bei. Darüber hinaus distanzierte sich der Professor von seinen früheren NS- und Deutschlandkritischen Schriften. Als er dem Morcelliana-Verlag die Druckfahnen für die vom Verlag gewünschte zweite Auflage von „Contrafforti“ schickte, bemerkte er: Ich habe ohne zu zögern gekürzt, [das Kapitel] Romanität und Germanität bleibt getilgt. Nach einer aufmerksamen Lektüre erschien es mir völlig ungenau und überholt. Die zwei Welten erscheinen jetzt, mit neuen Kapiteln (antikes Heidentum und die Orientierung des modernen Geistes: Neuheidentum) ohne Konfrontation markanter und differenzierter dargestellt.¹⁷⁷
Mit Unterstützung zunächst von Bottai und Pavolini, dann aber auch von Mussolini, wurde – wie oben beschrieben – Manacordas Deutschlandperzeption zum Kern einer 1943 in Italien durchgeführten Propagandakampagne für die Achse im Rahmen der faschistischen Kulturinstitute und der Associazione Italo-Germanica. ¹⁷⁸ Anlässlich der Vorstellung des Programms der Deutsch-Italienischen Gesellschaft für die Saison 1942/ 43 bezog sich nun Pavolini ebenfalls auf Manacordas Dichotomie-Konzeption, indem er in Gegenwart des „Duce“ betonte, dass die deutsche und germanische Kultur, obwohl sie verschieden seien, die neuen Säulen der europäischen Zivilisation bildeten.¹⁷⁹ Die faschistisch-katholische Deutschlandperzeption war kurz vor dem Zusammenbruch des Regimes zum einflussreichsten offiziösen Deutungskonzept geworden. In der Öffentlichkeit präsentierte sich Manacorda den Lesern gerne als Forscher des Nationalsozialismus seit der ersten Stunde, der Hitlerdeutschland in jeder Beziehung schätze, weil es dem faschistischen Italien treu und selbstlos zu Seite steht:
Vgl. Bottai: Latinità e germanesimo, S. 3. Vgl. Manacorda: I miti, S. 28. Vgl. Guido Manacorda an den Morcelliana-Verlag, Brief vom 7. April 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, II E–Z, 1˚ Semestre, Sottofasc. Morcelliana. Manacorda: „Costruire nello spirito“ sowie Notiz über das Gespräch Manacordas mit Mussolini vom 4. Februar 1943. In: AdN, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1943, 1˚ Semestre, Sottofasc. Errante, sowie Guido Manacorda an Borelli. In: AdN, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre II, A.–CTI, Sottofasc. Corriere della Sera. Vgl. All’Associazione Italo-Germanica il Duce presenzia l’inaugurazione del ciclo annuale di attività. In: La Nazione vom 2. Oktober 1941. S. 1– 2, hier S. 1.
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Das tat er auch in einem Artikel über das außenpolitische Programm des „Führers“ aus dem Jahre 1938.¹⁸⁰ Unter Verweis auf seine erste Begegnung mit Hitler betonte er, wie sehr dieser seine Bewunderung für den „Duce“ zum Ausdruck gebracht habe. Als Sinnbild der Größe und Ritterlichkeit stellte der Professor seinen Lesern Hitlers Ablehnung dar, sich an den Sanktionen gegen Italien zu beteiligen. Der noble „Führer“ habe gesagt, er werde immer für den Partei ergreifen, der allein gegen alle stünde.¹⁸¹ Hitler habe vom gemeinsamen Schicksal der beiden Revolutionen gesprochen. Damals vor drei Jahren im Herbst hätten sich ihm die Vision eines Staatsmannes und die Weissagung eines Skalden-Dichters enthüllt. Inzwischen sei vieles davon schon verwirklicht. Die rassische Verwandtschaft mit England sei Hitler weniger wert als der gemeinsame Geist der faschistischen und nationalsozialistischen Revolutionen. Der Kampf bis zum Äußersten müsse gegen die jüdisch-freimauererische Hochfinanz und gegen den Kommunismus geführt werden, die beide durch geheime Stränge miteinander verbunden seien.¹⁸² Selbst die Auseinandersetzung mit dem Heiligen Stuhl stehe vor einer Lösung, weil Hitler an Gott glaube.¹⁸³ Privatim äußerte er sich weitaus kritischer. Den Bekundungen Hitlers, die katholische Kirche zu respektieren, schenkte er zu diesem Zeitpunkt keinen Glauben mehr. Dem spanischen Kardinalprimas schrieb er, er habe den Artikel, der auf seinem persönlichen Treffen mit dem „Führer“ beruhe, anlässlich des Besuchs von Hitler in Florenz geschrieben. Unter vier Augen wolle er dem Primas jedoch Näheres über das schmerzhafte religiöse Problem und die bislang vergeblichen Bemühungen mitteilen.¹⁸⁴ Obwohl Manacorda von der NS-Kirchenpolitik enttäuscht war, glaubte er bis weit in das Jahr 1938 an eine Übereinstimmung der Interessen der Achsenpartner, die sich seines Erachtens auch für Italien auszahlen würde. Das Münchner Abkommen feierte Manacorda daher noch als gemeinsamen Triumph einer „politischen Chirurgie“ Hitlers und Mussolinis. Die Tschechoslowakei, die „Filia senectutis“ der französischen Republik, sei in den 20 Jahren ihres Lebens nicht eine Minute wohlauf gewesen. Der „Duce“, der bereits die äthiopische Operation siegreich bewältigt habe, sei der leitende Chirurg gewesen. Die Konferenz verklärte er zum Zeichen des impe-
Manacorda, Guido: Visione hitleriane di politica estera. In: La Nazione vom 8.–9. Mai 1938. S. 3. Ebd. Gegen die Gefahr der 15 bis 20 Millionen sowjetischen Soldaten habe der „Führer“ ebenfalls die richtige Antwort gefunden: Hitler habe erklärt, Kriege gewinne man mit der Moral, nach der ersten schweren Niederlage werde sich die Rote Armee auflösen und sich nie wieder sammeln, ebd. Es sei vor allem der Atheismus, weswegen Hitler gegen den Bolschewismus sei, wie er bekundet habe. Der Mensch, der nicht an Gott glaube, erhebe sich selbst zu Gott. Ein Mensch sei nur Pulver, ein Krebs würde genügen, ihn in wenigen Monaten zu zerstören. Diese ihm gegenüber gemachten Aussagen, so Manacorda, seien das theologische und philosophische Substrat von Hitlers Aussagen und er hoffe, dass Deutschland nach so vielen Jahrhunderten der tragischen Qual seinen religiösen Frieden wiederfinde, vgl. ebd. Guido Manacorda an Isidoro Goma y Tomas, Brief vom 11. Mai 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 1˚ Semestre, A–H, Sottofasc. Cardinal Goma y Tomas.
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rialen Primats Italiens unter dem Pax Romana: Rom habe gesprochen und die Welt habe zugehört, redete sich Manacorda das Ergebnis schön.¹⁸⁵ Tatsächlich stärkte ausschließlich das Reich durch die Annexion des Sudetengebietes und die Besetzung Tschechiens im März 1939 seine Rüstungskapazitäten, während die italienische Besetzung Albaniens, die Mussolini im April durchführte, um mit Hitlers Expansion Schritt zu halten, entgegen der Behauptung des „Duce“ gerade nicht das Böhmen des Balkans war und keinen Ressourcengewinn brachte.¹⁸⁶ Um die strukturelle wirtschaftliche, bevölkerungsmäßige und militärische Unterlegenheit Italiens gegenüber dem Reich zu kompensieren, wurde von den faschistischen Katholiken schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges angedacht, Italien könnte die Führung der romanischen Staatenwelt übernehmen, um so an Gewicht zu gewinnen. Dahinter stand aber keine alternative politische Konzeption zum Bündnis mit Deutschland. Diese unbestimmte Vorstellung ging über vage Szenarien nicht hinaus. Eher hoffte man, die Achse zu „romanisieren“. Entsprechend äußerte Manacorda, mit Spanien und allen weiteren Verbündeten werde der Stahlpakt eine „neue Ordnung“ errichten.¹⁸⁷ In einem Vortrag für die Società Leonardo da Vinci in Florenz sprach Manacorda über die „Albori di ricostruzione europea“ von einem Zusammenschluss der lateinischen Völker.¹⁸⁸ Wie gezeigt, setzte er 1942/43 auch einige Hoffnungen auf Rumänien, nachdem der rumänische Unterstaatssekretär für Propaganda, Dr. Alexandru Marcu das gemeinsame römische Erbe beschworen hatte. Gegenüber den Westmächten wurde das offensichtliche Ungleichgewicht in der Achsenpartnerschaft von Manacorda tapfer bestritten: Die Behauptung von Kenneth de Courcy, deutsche Offiziere assistierten der italienischen Armee, dementierte er energisch. Italien sei eine große Nation mit einer 3.000-jährigen Geschichte, die auf eine über tausendjährige Geschichte des Heroismus seiner Condottieri blicken könne.¹⁸⁹ Zwischen dem Reich und Italien gebe es in allen Bereichen einen loyalen, offenen und auf absoluter Gleichwertigkeit beruhenden Austausch. Zu den Nationaldichtern Dante und Goethe griff Manacorda in einem weiteren Artikel aus dem Jahre 1939 seine alte Metapher wieder auf. Ersterer wird angesichts seines spätscholastischen Ordnungssystems in der „Göttlichen Komödie“ zum „Erbauer eines Tempels“, Letzterer ist als ewiger faustischer Suchender der Natur zugewandt:
Manacorda, Guido: Chirurgia politica. In: Corriere adriatico vom 4. Oktober 1938. S. 1. Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf, S. 28. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 22. Juni 1939, S. 2. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.P.G. Angelo Martinelli an Guido Manacorda, Brief vom 7. August 1940, sowie Programmankündigung der Da-Vinci-Gesellschaft vom 26. Juli 1940 in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 2˚ Semestre, II, Sottofasc. Conferenza Firenze Leonardo. Guido Manacorda an Kenneth de Courcy, Brief vom 4. Juni 1939, S. 1. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1939, 1˚ Semestre, Sottofasc. I.P.G.
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Mit einem Wort, Dante ist mehr ‚Tempel‘ – wenn ich einen früher von mir geprägten Ausdruck wiederholen darf, der in der europäischen Kritik viel Anklang gefunden hat – und Goethe mehr ‚Wald‘.¹⁹⁰
Gleichzeitig aktualisiert er Goethe im Zeichen des heraufziehenden Weltkrieges: Er, Manacorda, habe während des Ersten Weltkrieges Goethes „Faust“ immer im Tornister getragen. Goethe stehe für den ewigen Kampf; nach dem heroischen Satz: „Nur der verdient sich Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muss.“ Danach lebe das ganze gegenwärtige Zeitalter.¹⁹¹ Es war aber das Deutsche Reich, das am 1. September 1939 seinen Eroberungskrieg gegen Polen begann und den Zweiten Weltkrieg auslöste, während sich Italien – zwar im Einklang mit den Buchstaben des Stahlpaktes, aber sehr zum Unwillen der Deutschen und im Widerspruch zur bellizistischen Rhetorik und zum virilen Selbstverständnis der Romanità – für neutral erklärte. Manacorda versuchte, seine deutschen Freunde zu beschwichtigen: „Ich verfolge die heutigen riesigen Ereignisse mit der Angst und der Teilnahme an Ihrem Land, die Sie sich leicht einbilden können.“¹⁹² Gleichzeitig bemühte er sich als selbst erklärter Freund der Deutschen um weitere Gastvorträge im Reich, wobei er sich seine Verbindungen zum bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert zunutze machen wollte.¹⁹³ In einem vom Mai 1940 datierten Brief an Siebert charakterisierte Manacorda sein Vortragsthema über „Latinität und Germanentum“ als den „Versuch, die Haupt- und Grundlinien unserer beiden Kulturen festzustellen und sie durch die Jahrtausende hindurch bis zu unseren Zeiten zu verfolgen und ans Licht zu bringen“.¹⁹⁴ Mit einem schönen Lapsus linguae beschwor der Germanist in unfreiwilliger Komik den Sieg der Achse: Ich bin stolz, auf die Zeit zu warten, die unseren gemeinen [sic!] Sieg krönen wird. Sieg Heil!¹⁹⁵
In politischer Hinsicht wünschte er dem bayerischen Ministerpräsidenten, dass „eine neue Welt der Grösse [!] für unsere beiden Nationen und der Gerechtigkeit für ganz Europa nach der harten Probe entstehen möge“. Außerdem bat er ihn, „dem Führer den Ausdruck meiner alten Ehrfurcht und treuen Erinnerung übermitteln zu wollen“.¹⁹⁶ Und noch euphorischer schrieb er während des Frankreich-Feldzuges:
Manacorda: Dante und Goethe, S. 230. Ebd., S. 229. Guido Manacorda an Georg Lüttke, Brief vom 9. September 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 2˚ Semestre II. Siebert hatte in seiner Funktion als Präsident der Deutschen Akademie in Florenz einen Vortrag gehalten und war dort von Manacorda angesprochen worden, vgl. Ludwig Siebert an den Chef der Präsidialkanzlei Dr. Meißner, Brief vom 19. März 1940. In: PA Berlin, R55/96, Bl. 298 – 299. Guido Manacorda an Ludwig Siebert, Brief vom 8. Mai 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Siebert. Guido Manacorda an Ludwig Siebert, Brief vom 28. Mai 1940, ebd. Ders. an dens., Brief vom 11. April 1940, ebd.
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Ew. Exz. kann sich leicht einbilden, mit welcher Stimmung ich die neuen kolossalen Erfolge des dritten Reiches verfolge. Es taucht eine grosse Epoche auf.¹⁹⁷
Diesen Äußerungen zum Trotz wurde Manacorda klar, dass diese Erfolge diejenigen der Deutschen und nicht der Achse waren. Spätestens nach der Niederwerfung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht war offensichtlich, dass sich die Machtverhältnisse innerhalb des Achsenbündnisses weiter zugunsten Deutschlands verschoben hatten. Jetzt waren die italienischen Aspirationen immer schwieriger durchzusetzen, zumal das Reich offensichtlich die zuvor verwehrte italienische Waffenhilfe, die am 10. Juni viel zu spät und wenig effektiv erfolgte, nicht mehr benötigte. In dieser Situation verlangte Manacorda in einem Artikel über den Westfeldzug in der „Atesia Augusta“¹⁹⁸, dass die Konsequenzen des französischen Zusammenbruchs zu keinem Verzicht der italienischen Forderungen führen dürften.¹⁹⁹ Widerstrebend lobte er die Rede Hitlers vom 19. Juli, die seines Erachtens dem Feind gegenüber sehr human gewesen sei, zugleich betonte er, der „Führer“ habe erneut seine unerschütterliche Freundschaft zu Italien und zum „Duce“ bekundet sowie den großen Beitrag Italiens zum Sieg der Achse hervorgehoben.²⁰⁰ Was die Streitkräfte des faschistischen Italien versäumten, suchte der Professor am Schreibtisch wenigstens rhetorisch auszugleichen: Das in seinem Geiste und militärisch bereite Italien kämpfe auf zwei Kontinenten von den Säulen des Herkules bis zum Indischen Ozean, tönte er schneidig in der „Atesia Augusta“.²⁰¹ Bottai, der Manacorda nach Kräften förderte, übernahm dessen dichotomische Sicht, die einen Unterschied zwischen Romanität und Germanentum, und damit eine romanische „Eigengeschichte“ behauptete, und vertrat dieses Konzept auch in seinen in Deutschland gehaltenen Reden.²⁰² Bottai plädierte entschieden dafür, dass man die italienische Position gegenüber dem „Dritten Reich“ mit Nachdruck vertreten müsse. Schon in der „Critica fascista“ hatte Bottai den Anspruch auf das Primat Italiens bei der Neuordnung Europas vehement verfochten. Von NS-Seite wurde vermutlich auch
Ders. an dens., Brief vom 26. Mai 1940, ebd. Manacorda an Chefredakteur Carlo Caretta, Brief vom 13. Juli 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Atesia Augusta. Die Zeitschrift mit dem Untertitel „Rassegna Mensile dell’Alto Adige“ wurde 1939 unter maßgeblicher Beteiligung des Präfekten von Bozen, Giuseppe Mastromattei, zum 20. Jahrestag der Entstehung der Fasci di combattimento am 23. März 1919 in Mailand gegründet. Mit Mastromattei führte Manacorda einen Briefwechsel, vgl. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Mastromattei. Manacorda, Guido: Il Corso della Storia. In: Atesia Augusta 8 (1940). S. 15 – 17, hier S. 16. Ebd., S. 15 – 17 sowie Durchschlag des am 24. Juli 1940 an die „Atesia Augusta“ gesandten Artikels. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Atesia Augusta. Der Artikel war mit Bildern der italienischen Kriegsmarine im Gefecht illustriert. Ebd., S. 17. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 26. Dezember 1942. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso 1942, 2˚ Semestre, Sottofasc. Bottai.
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deshalb bereits vor dem Krieg das Gerücht gestreut, Bottai sei jüdischer Abstammung, was im Jahre 1938 gar zur Verschiebung des Besuchs von Reichsminister Rust geführt hatte.²⁰³ Neben der schon beschriebenen Mobilisierung der Intellektuellen erfüllte die neue Zeitschrift „Primato“ noch stärker die Funktion, ihren im Titel formulierte Zielsetzung zu realisieren. In zwei Exposés an Mussolini legte Bottai seine Strategie dar, die darauf abzielte, den militärischen Erfolgen des Reiches auf ideologischem und kulturellem Gebiet zu begegnen, was der „Duce“ jedoch ablehnte.²⁰⁴ Während des ganzen Jahres 1940 korrespondierten der Minister und Manacorda über diese Initiative nicht nur in einem regen Briefwechsel, sondern trafen sich auch zu mehreren persönlichen Besprechungen in Florenz.²⁰⁵ Aus diesem Austausch geht eindeutig hervor, dass Manacorda von der perfekten Harmonie der beiden Völker weit weniger überzeugt war, als er in seinen Vorträgen und Schriften nach außen hin vorgab. Bottai teilte er mit, er wolle ihn gerne bei der Gründung des „Primato“ unterstützen. Zugleich wies er auf die großen inneren und äußeren Probleme hin, welche die Zeitschrift mit ihrem außenpolitischen Programm der Selbstbehauptung und der Durchsetzung der Geltungsansprüche des faschistischen Italiens in der Achse haben werde. Näheres wolle er mit ihm unter vier Augen besprechen, und er fuhr fort: Leider stehen sich die beiden Kulturen häufiger antithesisch als einvernehmlich gegenüber oder sie geraten in tiefe Abwege, wenn man nur an die Reformation denkt. Aber gut geplant könne und muss das Vorhaben gelingen.²⁰⁶
Emblematisch wurden anlässlich des zweiten europäischen Schriftstellerkongresses in Weimar in dem im „Primato“ erschienenen Essay die Grundzüge der Bottai’schen Deutschlandkritik verdichtet. Der Minister bezog sich auf die faschistisch-katholischen Thesen Papinis: Wenn der Krieg zu einer größeren Solidarität in Europa und zu einer friedlicheren Zukunft führen solle, müsse eine neue Ordnung konzipiert werden. Im Ersten Weltkrieg habe den Italienern eine klare Vorstellung der allgemeinen europäischen Ordnung gefehlt, die sich gegenüber den französischen und englischen Plänen hätte behaupten können.²⁰⁷ Es handle sich also nicht nur darum zu siegen,
Der darüber erboste Bottai schickte Attolico zu Georg von Mackensen, dem deutschen Botschafter in Rom, der nichts tun konnte, vgl. Botschafter Georg von Mackensen an das Auswärtige Amt, Brief vom 14. November 1938. In: PA Berlin, R 61267 Deutsche Kulturverträge Italien. Im September 1940 kam Rust nach Florenz. Ein auf den 22. September datiertes Foto von einem Empfang mit NS- und faschistischen Gerarchen liegt dem Nachlass Manacordas bei; in: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico-religioso1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Rust. Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf, S. 408. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 2. September 1940. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda Carteggio politico-religioso 1940, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale – Bottai. Vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, undat. Antwortbrief auf den oben zitierten Brief Bottais vom 2. September 1940, ebd. Bottai, Giuseppe: Weimar. In: Il Primato 9 (1942). S. 171.
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sondern auch um das Wie des Sieges. In Weimar habe Papini das angesprochen, was für den „Primato“ wesentlich sei: Die „neue Ordnung“ solle auf Grundlage einer kulturellen Zusammenarbeit des Respekts vor den einzelnen nationalen Kulturen und für ihre fortschreitende und freiwillige Integration erfolgen. Weimar sei ein Zentrum des deutschen und des europäischen Geistes²⁰⁸: Das Beispiel Weimar verweist aber zugleich, auch wenn die politischen Notwendigkeiten häufig das Gegenteil verlangen, auf ein Unsterbliches: nämlich auf ein Problem der spirituellen Neuordnung, die nicht nur in Begriffen der reinen Macht zu fassen und die nichtsdestoweniger essenziell für die Errichtung einer neuen Ordnung ist: Rom hat, daran erinnerte Papini, es immer verstanden, seiner Eigenart einen Sinn für das Verständnis und die Universalität hinzuzufügen, der von der kulturellen bis zur politischen Ebene ausstrahlt.²⁰⁹
Sehr klar und kaum verklausuliert formulierte der „Primato“ sein Unverständnis gegenüber dem NS-Rassismus, wie wir das von den faschistischen Katholiken kennen: Die Apotheose der eigenen Nation und der nationalen Vergangenheit seien für Freunde wie Feinde ebenso wenig ausreichend wie die Appelle einer unerreichbaren Rassenreinheit oder weltweiten Mission, weil sie keine gemeinsame Basis für eine internationale Zusammenarbeit böten²¹⁰: Auch Deutschland ist immer und wird immer in der europäischen Geschichte für das Europäische eintreten und nicht einfach nur für das, was nationalistisch oder rassistisch ist.²¹¹
Zwar sei der Mensch von der Geschichte geprägt, aber nicht durch das Blut unentrinnbar gebunden.²¹² Das gleiche Ziel der Selbstbehauptung Italiens gegenüber Deutschland verfolgte der faschistisch-katholische Theoretiker Pennisi, der mit einer Gruppe junger Faschisten eine internationale Zeitschrift mit dem bezeichnenden Titel „Imperialità“ gründen wollte. Pennisi hatte sich schon zuvor mit zahlreichen Schriften²¹³ als faschistisch-katholischer Vordenker positioniert. Als einziger katholischer Faschist außer Manacorda entwickelte er in systematischer Weise ein kohärentes fa-
Die Sprache sei deutsch, europäisch und für alle Menschen verständlich. Goethe, Herder und Schiller seien nicht nur die Protagonisten des Sturm und Drang, sondern auch einer romantischen Geistesrevolution gewesen. Sie entstammten dem europäischen Kosmopolitismus und bewunderten die Kultur der anderen Länder, vor allem die klassische Antike. Hier solle nicht wieder die jahrhundertelange Polemik über die Spaltung Deutschlands zwischen kosmopolitischem und preußischem und nationalem Geist aufgenommen werden. Genauso wenig wolle Italien zu der territorialen Zersplitterung und der Unfreiheit während der Renaissance zurückkehren, ebd. Ebd. Ebd. Ebd. So könne auch Italien einen universellen Beitrag leisten, um in neuen Synthesen die Probleme der Epoche anzugehen, ebd. Zu den Schriften Pennisis gehören: Etica cristiana e politica fascista. Torino 1938 oder Universalità del corporativismo. Fidenza 1938. Hinzu kommen zahllose Aufsätze in den in seiner Biographie angeführten Zeitschriften, für die er arbeitete, v. a. auch in den Segni dei tempi.
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schistisch-katholisches Denksystem. Außerdem interessierte er sich zunehmend für Fragen der Außen- und der Großraumpolitik.²¹⁴ Maßgeblich an der „Imperialità“ beteiligt werden sollten die faschistischen Katholiken Riccardo Carbonelli, Auro d’Alba und Guido Manacorda.²¹⁵ Pennisis Gruppe hatte schon mit ungarischen und japanischen Gleichgesinnten Kontakt aufgenommen und ersuchte Manacorda um Vermittlung zu „deutschen Kameraden“.²¹⁶ Wie Pennisi Manacorda schrieb, habe die Zeitschrift das Ziel, den Geist der Revolution, der aus der Furche der „italischen römisch-katholischen Tradition“ und der Universalität des Impero erwachsen sei, zu entwickeln und im Ausland zu verbreiten. ²¹⁷ Pennisi hielt diesen Vorstoß für sinnvoll, um zu verhindern, dass anderswo – und damit zielte er auf das Reich – nach dem Endsieg eine Ordnung entworfen werde, der der transzendente und unverzichtbare Charakter der Romanität fehle.²¹⁸ Ihr Programm formulierte die Gruppe in einem Editorial für die neue Zeitschrift.²¹⁹ Darin wurde behauptet, dass die europäische Revolution aus der faschistischen hervorgegangen sei. Der Faschismus wurde nun schon als die Synthese begriffen, die alle Antithesen, darunter auch den Gegensatz zwischen Romanität und Germanität, durch das Achsenbündnis überwunden habe. Eine solche Synthese hatte Bottai aus Romanität und Germanität erst schaffen wollen. Hier wurde also eine Hierarchie der „Leitideen“ behauptet, die das absolute Primat Italiens gegenüber dem Reich feststellte: Die Zeitschrift wurde – wie in Kapitel acht gezeigt – von Mussolini nicht genehmigt. Pennisi verbreitete aber seine Imperialità-Thesen in zahlreichen Veröffentlichungen, als Dozent an der Universität, an der Parteischule der faschistischen Mystik Sandro Italico Mussolini und in Schulungskursen für die Miliz.²²⁰ Der Diskurs über die Neuordnung Europas wurde noch geführt, als die Hoffnungen auf einen Sieg der Achse geschwunden waren und das faschistische Regime
Vgl. zum Großraumkonzept: Il concetto politico di Eurafrica. Milano 1942. Zu den außenpolitischen Werken zählen u. a. La dottrina di S. Tommaso d’Aquino ed i principii della politica internazionale: lezione tenuta al Seminario maggiore di Parma il 7 marzo 1938, in commemorazione di S. Tommaso. Parma 1938; La giustizia nel sistemadellaSocietàdelleNazioni. Acireale 1933; La fine della Cecoslovacchia ed i principii politici della pace europea. Ferrara 1939; Occupazione bellica o debellatio della Polonia. Catania 1939; Orientamenti internazionali, Roma 1939; La nemica fondamentale. Roma 1940. Pasquale Pennisi an Guido Manacorda, Brief vom 19. Februar sowie vom 2. April 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1941, 1˚ Semestre 1, Sottofasc. Pennisi. Conferenza Roma – Istituto Studi Romani. Ebd., S. 2. Ebd., S. 1. Ebd. Vgl. Anhang mit der Überschrift Introduzione zu Pennisi an Manacorda, Brief vom 19. Februar 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1941, 1˚ Semestre 1, Sottofasc. Pennisi. Conferenza Roma – Istituto Studi Romani. Vgl. folgende Schriften von Pasquale Pennisi: Per la pace romana sul mare di Roma. Roma 1939; Appunti per una teoria giuridica dell’intervento. Napoli 1940; L’espansione fascista in Africa. Roma 1941; Italia e Africa nel pensiero di Antonino di San Giuliano. Milano 1943.
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kurz vor dem Kollaps stand: In der Monatsschrift „Civiltà fascista“, dem Organ des Istituto nazionale di cultura fascista, mahnte Pellizzi noch im Mai 1943 eine Verständigung der Achse über die Grundlage der kulturellen Werte Europas an. Bislang hätten es die Achsenmächte versäumt kundzutun, wofür sie stünden und wofür sie kämpften und wie Europa aussehen solle. Das könne man nicht für die Nachkriegszeit aufsparen. Die Achse führe einen Krieg für Europa, die Gegner kämpften gegen Europa.²²¹ Der Nutzen für ganz Europa müsse dabei klar herausgestellt werden.Insofern müsse ein ökonomisch-soziales Konzept erarbeitet werden.²²² Wie Pennisi²²³ zählte auch Pellizzi das Mittelmeerbecken zum italienischen Großraum.²²⁴ Solche faschistischkatholischen Perspektiven kontrastierten diametral mit der Sichtweise der philonazistischen Strömungen wie z. B. von Evola, die sich mit dem Reich schicksalhaft verbunden sahen.²²⁵ Und auch der deutschen Seite konnte dieser selbstbewusste Geltungsanspruch nicht gefallen: Das Reichspropagandaministerium wollte die Wirkung aller italienischen Beiträge über die „neue Ordnung“ nach italienischer Lesart im deutschen Einflussbereich möglichst gering halten und unterband nach Kräften die Berichterstattung darüber im Reich.²²⁶
Vgl. Pellizzi, Camillo: Marzo XXI. Verso l’Europa. In: Civiltà fascista 5 (1943). S. 279 – 281, hier S. 281. Vgl. Pellizzi, Camillo: Idea dell’Europa. In: Civiltà fascista, 3 (1943). S. 146 – 155, hier S. 155. Zuvor hatte er ausgeführt: Die Tatsache, dass europäische Nationen unter den Feinden seien, bedeute nicht, dass sie europafeindlich seien. Das gelte für England wie für Russland. Russland sei nicht antieuropäisch, nur weil es kommunistisch sei. Der Kommunismus sei in mancher Hinsicht ein extremer Ausdruck des europäischen Bewusstseins. Den Nationalsozialisten komme das Verdienst zu, das Faktum der Rasse in das Bewusstsein gerückt zu haben, da sich Europa auch in Rassen aufteile. Vgl. Anhang mit der Überschrift Introduzione zu Pasquale Pennisi an Guido Manacorda, Brief vom 19. Februar 1941, S. 1. Europa sei dabei nicht nur im herkömmlichen und rein geografischen Sinne zu verstehen, sondern auch politisch und beziehe das Mittelmeerbecken und Länder wie Ägypten und die Türkei mit ein. Es werde abzuwarten sein, ob Großbritannien und Russland politisch zu Europa gehören werden, vgl. Pellizzi: Marzo XXI, S. 281. Vgl. Evola, Julius: Vie per una comprensione romano-germanica. In: Augustea 15 – 16 (1942). S. 13 – 14, hier S. 13. Vgl. Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf, S. 412.
10 Der faschistisch-katholische Rassismus Wie im vorigen Kapitel dargelegt, bezogen die faschistischen Katholiken gegen die NSRassentheoretiker wie Rosenberg Position. Genauso bekämpften sie die italienischen Adepten der NS-Rassenbiologie wie den „Rasseforscher“ und „Professor“ Giulio Cogni, einen ehemaligen Philosophielehrer für Mittelschulen. Seine Veröffentlichungen, die im „Tevere“ und „Quadrivio“ im Jahre 1936 als Monographie mit dem Titel „Il razzismo“ erschienen¹, hatten eine antisemitische Debatte in der italienischen Presse ausgelöst. Des Weiteren war Cogni an der Ausarbeitung der Rassengesetzgebung beteiligt, die am 9. Januar 1937 in den italienischen Kolonien in Kraft trat. In diesem Zusammenhang hatte er vorübergehend Zugang zu Mussolini. Über Cogni erschien im „Frontespizio“ ein Artikel Carbonellis. Es war aber nicht nur dessen persönlicher Standpunkt, sondern ebenso derjenige der Leitung der faschistisch-katholischen Monatsschrift, denn der Römer hatte den Inhalt zuvor mit Bargellini und Papini in Florenz besprochen.² Carbonelli beschrieb Cogni im „Frontespizio“ als Importeur teutonischer „Kultur“, besonders der Abteilung Rassismus.³ Dessen Buch widerspreche der Universalität und der Romanität, weil es der neoidealistische Versuch sei, die faschistische Revolution in sich aufzunehmen. Die Adaption solcher Ideen leugne die geschichtliche Mission Italiens. Es trage Krankheitserreger des Determinismus, des Irrationalismus, des Materialismus, des lutherischen Odinismus und der Apologie des Inzests in sich, verriss Carbonelli das Werk. Auf allen Ebenen bekämpften die faschistischen Katholiken die Eugeniker. Guido Manacorda verhinderte deshalb im „Corriere della Sera“ das Erscheinen eines Artikels Cognis. Der Germanist wurde deswegen sogar beim Ministerium für Volkskultur vorstellig, worauf er sich nach dem Krieg bezog, um seinen angeblichen Antirassismus zu beweisen.⁴ Die Verdammung des Sozialdarwinismus des NS-Regimes bedeutete allerdings nicht, dass die Gruppe um Manacorda selbst frei von Antijudaismus⁵ und Antisemi-
Im Frühjahr 1937 veröffentlichte Giulio Cogni das Buch „I valori della stirpe italiana“. Im Juni 1937 indizierte es die Heilige Kongregation mit einer ähnlichen Begründung, wie sie Carbonelli vorbrachte: Es sei voller Ideen Rosenbergs und stelle den ersten Versuch des deutschen Rassismus dar, in die faschistischen Reihen einzudringen. Als Leiter des italienischen Kulturinstituts in Hamburg stand Cogni in engem Kontakt zu den Deutschen, vgl. Cassata, Francesco: „La Difesa della razza“. Politica, ideologia e immagine del razzismo fascista. Torino 2008, S. 28. Riccardo Carbonelli an Giovanni Papini, Brief vom 28. September 1937. In: APC Fiesole, Fondo Archivio Papini. Carbonelli, Riccardo: Il dolicocefalo biondo in camicia nera. In: Il Frontespizio 2 (1937). S. 129 – 130. Guido Manacorda: Aggiunte e segnalazioni (Appendice alle Deduzioni presentate il 29-V-’45). In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1945 1˚ Semestre, 2˚ Semestre, sowie Guido Manacorda an Aldo Borelli, Brief vom 17. Juni 1945, ebd. Das Konzept des Antijudaismus beschreibt nach Thomas Brechenmacher die traditionelle, meist christliche Judenfeindschaft aus religiösen Gründen. Dem stellt er den erst im 19. Jahrhundert entstanden Antisemitismus gegenüber, der sozioökonomisch und rassistisch begründet sei. Der VatikanExperte bestreitet, dass die Kirche antisemitisch geprägt gewesen sei, vgl. Brechenmacher, Thomas: Die https://doi.org/10.1515/9783110538991-010
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tismus⁶ gewesen wäre. Das war weder vor noch nach Einführung der italienischen Rassengesetze im italienischen Kernland im Juli 1938 der Fall. Die Idee einer jüdischfreimaurerischen und ab 1917 auch bolschewistischen Verschwörung hatte in VatikanKreisen eine jahrhundertelange Tradition und war fester Bestandteil der Enzykliken wie „Quanta cura“ und „Syllabus Errorum“. Sie wurde in der Kurie nicht nur von Giuseppe Pizzardo, sondern beispielsweise auch von Eugenio Pacelli geteilt und von der „Civiltà Cattolica“ verbreitet.⁷ Nach Ansicht des katholischen Establishments jener Jahre, so Alessandro Visani, verbargen sich die Juden hinter allen Problemen, die die Kirche bedrohten.⁸ Während anderswo in Europa die traditionelle kirchliche Judenfeindschaft zur Bildung antisemitischer Massenbewegungen führte, so Renato Moro, vollzog sich in Italien dieser Prozess innerhalb des Katholizismus selbst.⁹ Nach katholischer Ansicht seien die modernen Entwicklungen im Bankenwesen, in der Industrie genauso wie in der Diplomatie, im Freimaurertum durch Liberalismus und okkulte Sekten jüdisch fremdgesteuert gewesen. Aus diesem Fundus habe ebenfalls der italienische Faschismus geschöpft.¹⁰ Die Ergebnisse dieser Studien belegen in der Tat, dass antisemitische Vorurteile Eingang in das Denken maßgeblicher Akteure des italienischen Katholizismus gefunden hatten. In Papinis literarischem Schaffen findet sich seit den 1920er Jahren eine virulente Judenfeindschaft, die in der Forschung bereits mehrfach herausgearbeitet wurde.¹¹ Sein Antisemitismus bzw. Antijudaismus vereinte traditionelle und moderne Aspekte, indem er einerseits die Blutschuld behauptete, andererseits aber die Verschwörungstheorie übernahm, wonach der Talmud den Juden zum Feind aller Nationen mache. Papinis Judenfeindschaft wurzelte im nationalistischen Humus der Jahrhundertwende französischer katholischer Autoren wie Veuillot, die er über Domenico Giuliotti vermittelt bekam.¹² Beide veröffentlichten, wie erwähnt, 1923 den sog. „Dizionario dell’Omo Salvatico“, die Bibel der Reaktion in der Tradition des Syllabus, ein Gegen-„J’accuse“, wie Mario Isnenghi treffend schrieb,¹³ in der beide Rekonvertiten Kirche und die Juden. In: Die Katholiken und das Dritte Reich. Hrsg. von Karl-Joseph Hummel und Michael Kißener. Paderborn 2010. S. 125 – 143. Ausgehend von Rolf Hochhuth, der in seinem Drama „Der Stellvertreter“ dem Papst moralisches Versagen vorwarf, weil er zum Holocaust geschwiegen habe, hat sich die Kritik an der katholischen Kirche dahingehend zugespitzt, dass ihr Antisemitismus unterstellt wird, vgl. dazu: Blaschke, Olaf und Aram Mattioli (Hrsg.): Katholischer Antisemitismus im 19. Jahrhundert. Ursachen und Traditionen im internationalen Vergleich. Zürich 2000. Visani: Il Fascismo, la Santa Sede e le leggi razziali del 1938, S. 348. Ebd., S. 349. Zwar beanspruchte die Kirche das Primat gegenüber dem ideologischen Antisemitismus, so Moro, aber sie neigte dazu, darin abzugleiten, vgl. Moro: Le chiese, gli ebrei e la società moderna: l’Italia, S. 17– 22. Visani: Il Fascismo, la Santa Sede e le leggi razziali del 1938, S. 350. Moro: Le chiese, gli ebrei e la società moderna: l’Italia, S. 17– 22. Vgl. Antologia di cattolici francesi del secolo XIX (De Maistre – Bonald – Lamennais – Balzac – D’Aurevilly – Hello – Veuillot – Bloy). Übers. u. komment. von Domenico Giuliotti. Lanciano 1920. Isnenghi: Papini, S. 107.
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auf provokante Weise mit der Moderne abrechneten.¹⁴ Darin hieß es u. a., die Juden seien materialistisch, zum Handel geboren und kalt berechnend.¹⁵ Das Tier und das Gold seien ihre Götzen.¹⁶ Zwischen dem früheren und heutigen Babylon gebe es nur einen Unterschied, damals seien die Juden die Sklaven gewesen, jetzt die Herren.¹⁷ Auch der Hinweis auf den Bolschewismus fehlt nicht.¹⁸ Zugleich werden die Juden mit New York und London in Verbindung gebracht.¹⁹ Der Christ, der als Bankier tätig werde, werde zum Juden.²⁰ So wurde Sidney Sonnino, während des Ersten Weltkrieges italienischer Außenminister, als „illustrer jüdisch-protestantischer-anglo-ägyptischer Baron“ angegriffen, der sich vehement den Bemühungen des Papstes widersetzt habe, einen Frieden zu vermitteln.²¹ Die Argumentation gipfelt in der Behauptung, wie alle Komposita mit dem Präfix „Anti-“ sei auch der Antisemitismus eine jüdische Erfindung. Die Juden hätten sämtliche Völker überwältigt, zu denen es sie verschlagen habe. So seien sie jetzt – selbst ohne Land – eines der mächtigsten Völker der Erde.²² In seinem Buch „Gog“, das 1931 erschien und großen Einfluss auf das katholische Milieu hatte – bis 1942 erreichte es sechs Auflagen –, zeichnete Papini wiederum das Bild eines Judentums, das die Völker ökonomisch versklave und sie geistig durch eine alle Seinsbereiche auflösende moderne Kultur zugrunde richte.²³ Bezeichnend ist auch Auro d‘Albas Antijudaismus, der sich in einem Brief an Manacorda vom 6. April 1933 in einem vernichtenden Urteil über den Mailänder Journalisten Arrigo Cajumi offenbarte: „Israel ist nicht zu trauen! Sie haben Jesus ans Kreuz geschlagen, jetzt überlege Dir, was sie uns Christen antun wollen.“²⁴ In diesem Zusammenhang verweist Amedeo Osti Guerrazzi auf ein italienisches Spezifikum: Die Sanktionen des Völkerbundes während des Äthiopienkrieges seien als eine internationale Verschwörung wahrgenommen worden, Italiens gerechte Ansprüche zu vereiteln. Nahe habe es gelegen, dafür die Juden verantwortlich zu machen. In Bezug auf die faschistischen Katholiken ist tatsächlich zu beobachten, dass dieses „Klima der Belagerung“ Italiens durch die westlichen Demokratien eine Ka-
Das Lexikon-Projekt erhielt aufgrund seiner einseitigen Polemik nur wenig Resonanz und wurde nach Erscheinen des ersten Bandes, der nur die Buchstaben A–B umfasste, eingestellt. Dizionario dell’Omo Salvatico. Redig. von Domenico Giuliotti und Giovanni Papini. Firenze 1923. Ebd., S. 51– 52. Ebd., S. 228 – 229. Ebd., S. 294. Ebd., S. 464 f. Ebd., S. 21. u. S. 112. Ebd., S. 319. Ebd., S. 395. Ebd., S. 190. Moro, Renato: Le premesse dell’atteggiamento cattolico di fronte alla legislazione razziale fascista. Cattolici ed ebrei nell’Italia degli anni venti 1919 – 1932. In: Storia contemporanea 6 (1988). S. 1013 – 1119, hier S. 1093 – 1096. Vgl. Auro d’Alba an Manacorda, Brief vom 6. April 1933. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1934– 1935, 1˚ Semestre.
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talysatorwirkung hatte und ihren „Denkstil“ extremistischer werden ließ.²⁵ Antisemitische Äußerungen der Manacorda-Gruppe sind seit dieser Zeit fester Bestandteil ihres Denkens: 1936 schrieb Manacorda über den Pazifismus, dieser unterliege den Einflüssen des Finanzjudentums.²⁶ Im Februar 1938 porträtierte Manacorda den Schweizer Faschisten Oltramare, wobei er auf dessen spezifischen faschistisch-katholischen Antisemitismus Bezug nahm: Keine Rassendoktrin, keine Vergötterung des Staates. Aber Krieg bis zum Äußersten gegen die hinterlistige Freimaurerei, das geschäftige Judentum, die schlaffe Demokratie und den barbarischen Bolschewismus.²⁷
In Bezug auf Heine strich Papini in seiner berühmten Laudatio auf Carducci dessen kritischen und vermeintlich destruktiven Geist als jüdischer Intellektueller heraus.²⁸ Merkwürdigerweise wird der faschistisch-katholische Rassismus in der einschlägigen Literatur zum italienischen Rassismus außer bei Renato Moro bislang nicht systematisch betrachtet.²⁹ In ihrem Standardwerk über das Schicksal der jüdischen Gelehrten nach Einführung der faschistischen Rassengesetzgebung nennen Giorgio Israel und Pietro Nastasi drei Faktoren, die die Entrechtung der italienischen Juden bewirkt hätten: Erstens habe der katholische Antisemitismus mit dem Konkordat 1929 Eingang in das faschistische Denken gefunden.³⁰ Zweitens erwähnen sie die antibürgerliche Kampagne, die nach Gründung des Imperos ventilierte, und drittens das Bündnis mit NSDeutschland. Israel und Nastasi bestreiten damit die von Historikern lange vertretene These, Mussolini habe 1938 die NS-Rassenlehre aus taktischen Erwägungen importiert und nur äußerlich adaptiert. Eine systematische Judenverfolgung sei deshalb ausgeblieben. Es habe ebenfalls keinen nennenswerten eigenständigen italienischen Rassismus, und damit auch keine italienische Rassisten gegeben, von ein paar versponnenen Außenseitern abgesehen.³¹ Diese Relativierung der italienischen Verant-
Osti Guerrazzi, Amedeo: Il nemico perfetto. Il Guf di Roma e l’antisemitismo. In: Le radici storiche dell’antisemitismo. Nuove fonti e ricerche. Atti del Seminario di studi, Rom, 13 – 14 dicembre 2007. Hrsg. von Marina Caffiero. Roma 2009. S. 161– 187, S. 164. Manacorda, Guido: Pacifismo. In: Il Frontespizio 7 (1936). S. 12. Vgl. Manacorda, Guido: Giorgio Oltramare e l’„Union Nationale“. In: Corriere della Sera vom 24. Februar 1938. S. 5. Papini: Grandezze di Carducci, S. 123. Immerhin ist im Dizionario del fascismo ein Hinweis auf den katholischen Rassismus um Bottai enthalten.Vgl. Maiocchi, Roberto: Manifesto degli scienziati razzisti. In: Dizionario del fascismo. Bd. 2. Hrsg. von Victoria de Grazia und Sergio Luzzatto. Torino 2003. S. 87– 88, hier S. 88. Vgl. Israel und Nastasi: Scienza e razza nell’Italia fascista, S. 77. Noch im Jahr 2000 behauptete Francesco Perfetti in der Neuauflage der Enciclopedia italiana, die antisemitischen Maßnahmen seien nicht die Folge der Annäherung an Hitler-Deutschland und nicht aus eigenem Antrieb erfolgt, zitiert nach Visani: Il Fascismo, la Santa Sede e le leggi razziali del 1938, S. 345. Vgl. Israel, Giorgio und Pietro Nastasi: Scienza e razza nell’Italia fascista. Bologna 1998, S. 8 u. S. 75.
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wortung für die Rassenverfolgung ist nicht zuletzt Renzo de Felice zuzuschreiben, der diese Ansicht über Jahrzehnte aufrecht hielt.³² Des Weiteren vertrat der MussoliniBiograph die Auffassung, die Mehrheit der Italiener habe die Rassengesetzgebung abgelehnt. Sogar der Konsens zwischen dem Regime und den Massen sei daran zerbrochen und die Italiener seien vom Faschismus abgerückt. Stattdessen hätten die Italiener in einer Welle der Hilfsbereitschaft ihre Juden beschützt. Diese These de Felices wurde von vielen italienischen und ausländischen Historikern wie z. B. Nicola Caracciolo³³ oder George L. Mosse³⁴ übernommen. Beispielsweise zählte Michael R. Marrus Italien mit Dänemark zu den beiden einzigen Staaten, in denen die NS-Judenpolitik auf stärksten Widerstand gestoßen sei.³⁵ Neuere Forschungen haben diese apologetischen Behauptungen widerlegt.³⁶ Israel und Nastasi stützen ihre Antithese durch den Nachweis, dass sich in Italien ein unabhängiger „romanisch-italisch-spiritualistischer Rassismus“³⁷ entwickelt habe, der von vielen Wissenschaftlern mitgetragen worden sei und der sich von der NSRassenlehre abgegrenzt habe.³⁸ In diesem seriösen Gewand habe der italienische Rassismus nicht zuletzt durch Bottai weit in die Gesellschaft und insbesondere in das katholische Milieu hineingewirkt.³⁹ Der philonazistische Flügel, geführt von gewalt-
De Felice, Renzo: Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo. Torino 1961 [4. Aufl. 1988], S. 309 – 311 sowie ders.: Mussolini il duce. II, S. 247 f. Caracciolo, Nicola: Gli ebrei e l’Italia durante la grande guerra 1940 – 1945. Roma 1986, S. 8. Es habe keine antisemitische Tradition gegeben, die Rassengesetzgebung gehe auf das Bündnis mit Deutschland zurück. Erst in seinen letzten Lebensjahren korrigierte beispielsweise George Mosse sein Urteil aus den 1970er Jahren, Mussolini sei kein Rassist gewesen. Er habe sich von den Ergebnissen der Untersuchung von Renzo de Felice aus dem Jahre 1961 leiten lassen, der sich u. a. darauf berufen hatte, dass nach der am 6. Oktober 1938 vom Gran Consiglio del Fascismo verabschiedeten Erklärung Dichiarazione sulla razza ein Jude „mit nationalen, politischen und soldatischen Verdiensten“ – mit Ausnahme der Lehrer – nicht verfolgt werden sollte. Tatsächlich spielte dieser Passus keine Rolle, wie der Mailänder Historiker Michele Sarfatti feststellte, und die Betroffenen wurden von allen öffentlichen Ämtern in Staat und Partei ausgeschlossen,vgl. Sarfatti, Michele: Grundzüge und Ziele der Judengesetzgebung im faschistischen Italien (1938 – 1943). In: QFIAB 83 (2003). S. 436 – 443, hier S. 436. Levi, Fabio: Die Verfolgung der italienischen Juden unter dem Faschismus. In: „… denn in Italien haben sich die Dinge anders abgespielt“: Judentum und Antisemitismus im modernen Italien. Hrsg. von Gudrun Jäger und Liana Novelli-Glaab. Berlin 2007. S. 155 – 175, hier S. 155. Avagliano, Mario: Offen rassistisch? Die ‚arischen‘ Italiener und die Rassengesetze. In: Die Shoah in Geschichte und Erinnerung. Perspektiven medialer Vermittlung in Italien und Deutschland. Hrsg. von Claudia Müller, Patrick Ostermann und Karl-Siegbert Rehberg. Bielefeld 2015. S. 57– 74. Israel und Nastasi weisen zu Recht darauf hin, dass das Begriffspaar spiritualistischer Rassismus kein Widerspruch in sich sei. Damit sei gemeint, dass sich der spirituelle Rassismus vom rein biologistischen Rassismus dadurch unterscheiden wolle, dass er die katholische und moderne Romanität betone, ebd. S. 71. In diesem Zusammenhang sei auf das obige Zitat Carbonellis verwiesen, der die Romanität als katholisch und faschistisch definierte. Ebd., S. 12. Ebd., S. 10.
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verherrlichenden Fanatikern wie Telesio Interlandi⁴⁰, Guido Landra⁴¹, Giovanni Preziosi⁴², Julius Evola⁴³ oder Roberto Farinacci, sei dagegen nicht in der Lage gewesen, außerhalb des militanten Lagers auf größere Resonanz zu stoßen. In Italien wurde zwischen den zwei wissenschaftlichen Positionen Eugenik und Kulturanthropologie in den 1920er Jahren eine lebhafte Debatte geführt. Dabei gingen die Eugeniker von der Unabhängigkeit des Erbguts von äußeren Einflüssen aus, das es deshalb durch soziale und hygienische Maßnahmen (Sterilisation und Aussonderung der biologisch und gesellschaftlich degenerierten Subjekte) zu verbessern gelte, während die kulturanthropologischen Sozialambientalisten unter Berufung auf Lamarck diese Behauptung der Eugeniker bestritten.⁴⁴ Letztere argumentierten sozioökologisch. Ihre Hauptvertreter wie Giuseppe Sergi, ein bekannter Anthropologe, Psychologe und Begründer der Zeitschrift „Rivista italiana di sociologia“, oder Edoardo Zavattari, bezeichnenderweise Direktor des Instituts für Zoologie der Universität Rom, definierten die Rasse anhand ihrer Psychologie und ihres sozialen Habitus, der durch die Umwelt „biopsychisch“ geprägt sei. Diese Theorie (nach dem Prinzip der Plasmabilità) eröffnete einem totalitären Staat die Möglichkeit, durch die Optimierung der Lebensumstände eine sog. Rasse binnen Kurzem zu verbessern⁴⁵ und so den
Telesio Interlandis Artikel „Ai margini del razzismo. Il meticciato dissidente“ erschien am 29. März 1937, vgl. Sarfatti, Michele: Legislazioni antiebraiche nell’Europa degli anni trenta e chiesa cattolica. In: Les racines chrétiennes de l’antisémitisme politique (fin XIXe–XXe Siècle). Hrsg. von Catherine Brice und Giovanni Miccoli. Roma 2003. S. 259 – 273, hier S. 261– 263. Telesio Interlandi (1894– 1965) hatte engen Kontakt mit Mussolini und galt als ideologischer Vorreiter. Er gründete und leitete die Zeitung „Il Tevere“ sowie die Wochenschrift „Quadrivio“ und die 14-täglich erscheinende „La difesa della razza“. Deren Artikel wurden häufig von der nationalen Presse übernommen, vgl. ders.: Interlandi, Telesio. In: Dizionario del fascismo. Bd. 1. Hrsg. von Victoria de Grazia und Sergio Luzzato. Torino 2002. S. 673 – 674. Mussolini lud Guido Landra im Februar 1938 vor und beauftragte ihn, ein Komitee zu gründen, das den Rassismus studieren und eine Rassenkampagne organisieren solle, vgl. Fabre: Mussolinis engagierter früher Antisemitismus, S. 367. Die Zeitschrift „Vita italiana. Rassegna Politica. Pubblicazione mensile deIl Regime fascista’“ war unter ihrem Direktor, dem Rassisten und Priester Giovanni Preziosi, eines der führenden antisemitischen Organe. Preziosi veröffentlichte 1939 in der Biblioteca della razza ein Buch mit dem Titel „Come il giudaismo ha preparato la guerra“, in dem er die „okkulte Kraft“ des Judentums entlarven wollte, die Europa in den Krieg geführt habe. Der Faschismus habe Demokratie und Freimauerei seit jeher für Instrumente des internationalen Judentums gehalten. Der antisemitische Philosoph Julius Evola (1899 – 1974) war seit seinem Buch „Imperialismo pagano“ weitgehend isoliert, bis er sich der Gruppe um Roberto Farinacci anschloss, vgl. Germinario, Francesco: Evola, Giulio Cesare. In: Dizionario del fascismo. Bd. 1. Hrsg. von Victoria de Grazia und Sergio Luzzato. Torino 2002. S. 497– 498. Vertreter dieser Schule waren Francis Galton, ein Cousin von Charles Darwin, der Statistiker Karl Pearson und der Zoologe August Weismann, vgl. Padovan, Dario: Ereditarismo e ambientalismo nel discorso sociologico sulla razza tra le due guerre. In: Nel nome della razza. Il razzismo nella storia d’Italia 1870 – 1945. Hrsg. von Alberto Burgio. Bologna 2000. S. 443 – 454, hier S. 445. Daher betrachteten die Ambientalisten den Bezug zwischen Umwelt und Rasse als Indikator für die Kultur einer Ethnie bzw. des synonym verwandten Rassebegriffs, ebd., S. 447.
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„neuen Menschen“ zu schaffen. Der Staat müsse aber, so meinten die Vertreter dieser Denkrichtung, dabei die Traditionen der jeweiligen Rasse beachten, die wiederum durch das Leben in ihrer Umwelt bestimmt sei.⁴⁶ Die Sozialambientalisten hatten ein dynamischeres Konzept der Entwicklung von Rassen als die Eugeniker. Ihr „Denkstil“ lag auch näher an der liberal-nationalen Tradition, weil ihre Thesen sich mit der Projektion des an seine Scholle gebundenen Volks vereinbaren ließen. Nicht wenige der Ambientalisten waren Kritiker des nordischen arischen Sozialdarwinismus, wie das prominente Beispiel von Giuseppe Sergi zeigt.⁴⁷ Es war aber die anthropologische Eugenik, die zunächst vom faschistischen Regime seit der Eroberung Äthiopiens propagiert wurde.⁴⁸ Dass die „italienische Rasse“ sich seit dem antiken Imperium quasi unverändert mit festen psychologischen und somatischen Eigenschaften erhalten habe, wurde seitdem als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis betrachtet. Daraus ergab sich zwingend, wie Guido Landra feststellte, dass gegen Rassenvermischungen vorgegangen werden musste.⁴⁹ Bereits 1936 hatte Farinaccis Zeitung „Il Regime fascista“ eine antisemitische Kampagne durchgeführt. Eine auf eugenischen Grundsätzen basierende rassistische Gesetzgebung wurde aber zunächst nur in den Kolonien eingeführt. Am 9. Januar 1937 verabschiedete, wie erwähnt, der Ministerrat für Italienisch-Ostafrika ein Gesetz, das jegliche Beziehungen zwischen „italienischen Bürgern“ und „Untertanen“ unter Strafe stellte. Im Pressekommuniqué wurden die Maßnahmen als zur „Verteidigung der Rasse“ notwendig gerechtfertigt, wie auch der ursprüngliche Titel des Gesetzes Provvedimenti per l’integrità della razza lautete (der dann abgeschwächt wurde in Provvedimenti per i rapporti fra nazionali e indigeni). Im März desselben Jahres erschienen in Italien kurz nacheinander zwei Veröffentlichungen von Paolo Orano⁵⁰ und von dem in engem Kontakt mit Mussolini stehenden Telesio Interlandi, welche die Diskriminierung der Juden auch im italienischen Mutterland einleiteten. Vorbereitet wurde die Einführung der Rassengesetze durch eine Deklaration, die eine Gruppe von zehn Hochschullehrern am 15. Juli 1938 im „Giornale d’Italia“ veröffentlichte. Am 5. August wurde sie in der „Difesa della razza“ wiederabgedruckt. Die Erklärung trug den Titel Il fascismo e i problemi della razza und wurde unter der Bezeichnung Ma-
Der Anthroposoziologe Giovanni Marro sah gerade in der Fähigkeit, die Umwelt zu gestalten, die spirituelle Besonderheit der höheren Rassen, vgl. Marro, Giovanni: Primato della razza italiana: confronti di morfologia, biologica, antropogeografia e di civiltà. Milano u. a. 1940. Gillette, Aaron: Racial Theories in Fascist Italy. London u. a. 2002, S. 25 – 27. Allerdings stellt Marro die Position von Sergi in Frage, weil Sergi seines Erachtens angeblich das Konzept der Romanität verwarf, vgl. Marro, Giovanni: Razzismo vero, razzismo spurio. In: La Difesa della razza 15 (1942). S. 4– 6. Padovan: Ereditarismo e ambientalismo nel discorso sociologico sulla razza tra le due guerre, S. 449 – 450. Landra, Guido: Antropologia. In: Antropologia e psicologia. Hrsg. von dems., Agostino Gemelli und Ferruccio Banissoni. Milano 1940. S. 312– 315. Paolo Orano wandte sich gegen den internationalen Charakter des Judentums und den Zionismus, weil er dem britischen Imperialismus diene, vgl. Orano, Paolo: Gli ebrei in Italia. Roma 1937
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nifesto degli scienziati razzisti bekannt.⁵¹ Darin wurde von der „italienischen Rasse“, „arischer Abstammung“, von „arischer Zivilisation“ und von dem Konzept der Rasse, das rein biologisch sei, gesprochen. Es wurde behauptet, dass die Juden nicht zur italienischen Rasse gehören würden. Es sei an der Zeit, dass sich die Italiener offen als Rassisten bekennen würden: „É tempo che gli italiani si proclamo francamente razzisti.“ Mischehen sollten verboten werden. Ab September wurden die Erklärungen des sog. Rassenmanifests in einer Reihe von Gesetzen und Dekreten umgesetzt. Die faschistischen Katholiken synthetisierten die eugenischen und kulturanthropologischen Konzepte zu einer neuen Rassentheorie, die sie um katholische Denkelemente ergänzten. Sie bezogen sich vorrangig auf die „spirituelle Romanität“ der Rasse, ohne jedoch, was nicht übersehen werden darf, das Erfordernis „rassenhygienischer“ Maßnahmen zu negieren.⁵² Altersmäßig gehörte zu diesen Rassisten außer der Weltkriegsgeneration um Manacorda die junge, im totalitären Staat sozialisierte Kohorte. Renato Moro nennt sie „die katholische Generation des Littorio“, die keinen innerkatholischen Diskurs, sondern Propaganda betrieben habe.⁵³ Diese jungen Aktivisten, die aus der GUF und der FUCI stammten, gruppierten sich um radikale Periodika wie um Interlandis „Difesa della razza“ oder Preziosis „Vita italiana“. Zu ihnen gehörten Carbonelli und Pennisi. Die faschistischen Katholiken blieben nicht die einzigen Rassisten im katholischen Lager. In der klerikal-moderaten, monarchistischen „Rassegna nazionale“ um ihren Direktor Giulio de‘ Rossi dell’Arno bildete sich die eigenständige Position eines rein kulturanthropologischen „nationalen Rassismus“ heraus.⁵⁴ Und in einer am 9. Januar 1939 in Bologna gehaltenen antisemitischen Rede plädierte Gemelli so nachdrücklich für die Rassengesetze, dass Farinacci den Rektor der „Cattolica“ für die Accademia d’Italia vorschlug.⁵⁵ Für die faschistischen Katholiken um Manacorda bedeutete die Einführung der Rassengesetze eine Zäsur, weil sie den faschistischen Rassismus als im Einklang mit der katholischen Doktrin stehend rechtfertigten. Damit faschisierten sie das katholische Denken in einem Ausmaß, das die religiöse Doktrin sinnentleerte, was ihnen nicht gänzlich unbewusst war. Wie im Übrigen ebenfalls Mussolini⁵⁶, fürchteten sie
Israel und Nastasi: Scienza e razza nell’Italia fascista, S. 217– 219. Nach Renato Moro bezogen sich diejenigen Katholiken,vor allem Journalisten,Wissenschaftler und Politiker, die daran gingen, die Rassengesetzgebung zu verteidigen, auf einen säkularisierten Antisemitismus, wobei sie das psychologische Moment betonten, vgl. Moro: Propagandisti cattolici del razzismo antisemita in Italia, S. 281. Ebd., S. 325. De‘ Rossi sprach von einem Gefühl der Rasse aus dem Geist der Schlachtfelder von Vittorio Veneto und den Idealen der faschistischen Revolution, ebd., S. 305 – 307. Zum Konzept des „nationalen Rassismus“, vgl. ebd., S. 313sowie Araya, Takashi: Cattolicesimo, razzismo e fascismo. L’attività propagandistica di Giulio de’ Rossi dell’Arno (1938 – 1943). In: Società e storia 143 (2014). S. 69 – 96. Bocci: Agostino Gemelli, S. 73 sowie ACS Rom, SPD, Carteggio Riservato, 1922– 43, Busta 7 f. Accademia d’Italia, Sottofasc. Gemelli. Kurz vor Einführung der Rassengesetze machte sich Mussolini bei Hof und Kirche ein Bild, wie ihre Reaktion sein werde. Das Schweigen der Kirche im August 1938 gegenüber dem antijüdischen Feldzug
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eine Reaktion der Kurie. Dass Manacorda eine Indizierung für möglich hielt, zeigte sich, als ihm Pennisi seine berüchtigte, im folgenden Kapitel behandelte Abhandlung über die Rassenfrage aus katholischer Sicht⁵⁷ zur Begutachtung zuschickte. Obwohl der Professor Teile der Schrift seines Schülers gelungen fand, rang er sich nicht zu einer öffentlichen Stellungnahme durch, da er nicht sicher war, ob Pennisis Schrift vollends auf dem Boden der kirchlichen Lehre stehe.⁵⁸ Doch schwieg Papst Pius XI. gegenüber der faschistisch-katholischen Häresie und protestierte öffentlich lediglich gegen die Bestimmung, welche die Eintragung in das kommunale Standesamtsregister der nach katholischem Ritus geschlossenen „rassischen Mischehen“ verbot.⁵⁹ Sein Nachfolger Pius XII. verzichtete ganz auf öffentliche Missbilligungen.⁶⁰ Die Manacorda-Gruppe fühlte sich dadurch in ihrem Tun bestätigt. Die Kirche habe, so Alessandro Visani, die Rassentrennung in den Kolonien mitgetragen, weil der italienische Rassismus aus dem kulturellen Kontext Italiens entsprungen sei, weshalb, so spitzt Visani seine These zu, der deutsche Einfluss zweitrangig oder gar zu vernachlässigen sei.⁶¹ Entgegen der lange von der Forschung vertretenen Auffassung habe die Einführung der Rassengesetze seines Erachtens weder zu einem Bruch zwischen dem italienischen Volk und dem Regime noch zu einer „Krise des Konsensus“ geführt.⁶² Von einer grundlegenden Abkehr der Katholiken könne ebenfalls keine Rede sein: Das faschistische Regime verwies auf die lange Tradition antisemitischer Maßnahmen der Cäsaren und der Päpste, sodass es schien, als seien die Faschisten die wahren Katholiken.⁶³ Insofern hatte Pennisi recht, wenn er sich vor einer Verurteilung wegen Häresie durch den Heiligen Stuhl nicht fürchtete.⁶⁴
und den Rassengesetzen sei, so Levi, ein großer Sieg gewesen, das dem Regime „vollkommene politische Bewegungsfreiheit“ beschert habe, vgl. Levi: Die Verfolgung der italienischen Juden unter dem Faschismus, S. 164. Pennisi, Pasquale: Presa di posizione francamente razzista. Note di un cattolico italiano. Messina 1938. Vgl. Pasquale Pennisi an Guido Manacorda, Brief vom 3. Februar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 1˚ Semestre I, Sottofasc. Pennisi. Weil der Brief Manacordas, auf den sich Pennisi bezieht, im Nachlass nicht vorhanden ist, lässt sich nicht nachvollziehen, worin die Kritik des Professors genau bestand. Rigano, Gabriele: La svolta razzista. Controverse ideologiche tra Chiesa e fascismo. Bologna 2013 sowie ders.: „Spiritualmente semiti“. Pio XI e l’antisemitismo in un discorso del settembre 1938. In: Römische Quartalsschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 109 (2014). S. 281– 308. Sarfatti: Grundzüge und Ziele der Judengesetzgebung im faschistischen Italien (1938 – 1943), S. 443. Visani: Il Fascismo, la Santa Sede e le leggi razziali del 1938, S. 354. Ebd., S. 346. So vertrat auch Andrea Hoffend noch die Auffassung, die Rassengesetzgebung sei bei den Italienern weitgehend auf Ablehnung gestoßen, vgl. Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf, S. 28. De Felice, Renzo: Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo, 9. Aufl., Torino 1993, S. 322. Vgl. Pasquale Pennisi an Guido Manacorda, Brief vom 3. Februar 1939. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1939, 1° Semestre I, Sottofasc. Pennisi.
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Die faschistischen Katholiken konkurrierten um die Deutungshoheit des RasseBegriffes vor allen Dingen mit dem eugenischen, philonazistischen Lager. Sogleich bezogen sie in einer Flut von Stellungnahmen Position. Die faschistischen Katholiken standen vor der Notwendigkeit, den Rassismus in ihre „Totalsynthese“ zu integrieren. Die Ergebnisse dieser Bemühungen und die Funktionen, die ihre Legitimationsleistung für das Regime hatten, sollen hier skizziert werden. Es wird dabei auf drastische Weise deutlich, wie radikal die faschistischen Katholiken die Einführung der Rassengesetzgebung forcierten. In einem Editorial der „Critica fascista“ bezeichnete Giuseppe Bottai die Rassengesetze als eine der größten Errungenschaften des Regimes. In einem weiteren Artikel in der gleichen Ausgabe vom 1. August 1938 mit dem Titel „Politica fascista della razza“ appellierte Bottai an die Italiener, den Juden, die während des Äthiopienkrieges den Generalstab des internationalen Antifaschismus gebildet hätten, zu widerstehen. Schule und antijüdische Gesetzgebung sollten wechselseitig der antisemitischen Mobilisierung dienen. Die Positionierung des Faschismus zur Rassenfrage gehe über eine bloße wissenschaftliche Bedeutung hinaus und reihe sich ein in den Aufbau der moralischen Einheit und der nationalen Erziehung. Das Erziehungsministerium betrieb folgerichtig von allen Ministerien am energischsten die Umsetzung der im September eingeführten Rassengesetze.⁶⁵ Beim Verbot des Schulbesuchs und in einigen anderen Bereichen eilte die faschistische Gesetzgebung der deutschen sogar voraus.⁶⁶ An diesen Maßnahmen störte sich der Generalinspektor des Ministeriums Bargellini nicht. Manacorda äußerte seine uneingeschränkte Zustimmung und gab sich deutlich als Antisemit zu erkennen: Mein Liebster, ich möchte Dir meine vollkommene und tiefe Übereinstimmung mit dem Artikel ‚Politica fascista della razza‘ […] ausdrücken. Von den Dutzenden, die ich bislang zu diesem Thema gelesen habe, ist er der klarste, der erhabenste, der ‚römischste‘, im wahrsten Sinne des Wortes.⁶⁷
Der Professor empfahl Bottais Artikel auch im „Frontespizio“ zum Abdruck und das ist auch der einzige Grund, weshalb er nicht, wie beabsichtigt, selbst zur Feder griff. Schon während des ganzen Jahres 1938 hatte Bonatelli seine Zeitschrift „Segni dei tempi“ zum Sprachrohr des Rassismus faschistisch-katholischer Prägung gemacht. In einem in der Veroneser Monatsschrift im Mai erschienenen Beitrag von Domenico Massè wird der „Denkstil“ des faschistisch-katholischen Rassismus emblematisch
Serri: I redenti, S. 39. Sarfatti: Grundzüge und Ziele der Judengesetzgebung im faschistischen Italien (1938 – 1943), S. 439. Vgl. Guido Manacorda an Giuseppe Bottai, Brief vom 5. August 1938. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso, 1938, 2˚ Semestre, Sottofasc. Ministero Educazione Nazionale Bottai. Bottai dankte ihm darauf herzlich. Vgl. Giuseppe Bottai an Guido Manacorda, Brief vom 9. August 1938, ebd.
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sichtbar, weil er dessen sämtliche Elemente anführt⁶⁸: Der deutsche Rassismus unterscheide sich vom italienischen, weil er deterministisch-biologisch sei, indem er die physischen und psychischen Eigenschaften durch das Blut für unabänderlich festgelegt erachte. Er negiere damit die Möglichkeit jeder geistigen, moralischen und kulturellen Entwicklung. Daher müsse sich die nordische Rasse als Herrenrasse von Vermischungen mit allen anderen Rassen fernhalten, was sämtliche Völker durch hohe Barrieren voneinander trennen würde. Hingegen folge der italienische Rassismus zwar insofern einem biologischen Verständnis, als dass er von der Existenz verschiedener Rassen ausgehe. Die biologische Grundlage der Völker sei aber seines Erachtens nicht statisch, denn die italienische Rasse wolle sich zwar nicht mit den nichtarischen und den zweifellos minderwertigen Rassen seines Kolonialimperiums, wohl aber mit anderen arischen Rassen mischen. Das italienische Volk habe das Recht, seine zivilisatorische Eigenart und seine moralische Einheit vor der jüdischen Infiltration zu schützen. Bezüglich der universellen Nächstenliebe konstatierte er, dass sie nicht gleichzusetzen sei mit dem positivistischen, egalitären Humanismus, sondern dass sie eine differenzierte Liebe verkörpere, welche die Ungleichheit der Individuen und der sozialen Gruppen beinhalte, die in katholischem Sinne geordnet würden. Auch der Faschist liebe seine Nächsten, aber das ändere nichts an erzieherischen Notwendigkeiten sowie an Differenzierungen und Distanzierungen.⁶⁹ Zu behaupten, die christliche Nächstenliebe befinde sich im Einklang mit den faschistischen Rassengesetzen, gehört zu den schamlosesten, wie gleichzeitig wirkungsvollsten scholastischen Rechtfertigungsleistungen der faschistischen Katholiken im Feld des Rassismus. Im „Leitideenbündel“ von Massè treten die verschiedensten Widersprüche offen zutage: Er wendet sich gegen das NS-Konstrukt einer arischen Rasse und vertritt dennoch einen antisemitischen Standpunkt. Er geht von erblich festgelegten Rassen (wie der jüdischen) aus und behauptet dessen ungeachtet die Möglichkeit ihrer Entwicklung. Außerdem mischt er eugenische mit ambientalistischen, katholischen und kulturalistisch-spirituellen Denkelementen, wobei wiederum in willkürlicher Setzung ausschließlich für die kulturell und habituell in Italien fast völlig assimilierten Juden die eugenische Sichtweise gelten soll. Deutlich wird dabei seine militante Aggressivität, die ihn als Vertreter der jungen „katholischen Generation des Littorio“ kenntlich macht.⁷⁰ Am 2. August 1938 verteidigte Pasquale Pennisi das Rassenmanifest in Farinaccis Tageszeitung „Il Regime fascista“. Dieser Beitrag bildete ein Kapitel seines erwähnten, noch im gleichen Jahr erschienenen schmalen Bändchens „Presa di posizione francamente razzista. Note di un cattolico italiano“, das er dem Cremoneser Ras widmete. In den folgenden Jahren wurde Pennisi mit zahlreichen Veröffentlichungen d e r wichtigste Protagonist der faschistischen Rassentheorie. Er propagierte sie in der Massè, Domenico: Universalità del fascismo italiano. In: Segni dei tempi 5 (1938). S. 33 – 60, hier S. 49 – 53. Vgl. Massè: Universalità del fascismo italiano, ebd., S. 52. Moro: Propagandisti cattolici del razzismo antisemita in Italia, S. 325.
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akademischen Lehre und in der politischen Schulung, u. a. war er als Dozent für die Indoktrinierung der Miliz tätig⁷¹, wo ihn Auro d’Alba hörte.⁷² Parallel dazu ging die Zeitschrift „Segni dei tempi“ umgehend daran, die Rasse aus faschistisch-katholischer Perspektive, d. h. im formalen Einklang mit der katholischen Lehre, zu bestimmen. Genauso systematisch wie Massè gelang es Pennisi in seiner Schrift „Presa di posizione“, die neue Rassenlehre in die katholische Tradition einzubetten. Er behauptete ebenso die Eigenständigkeit gegenüber der NS-Rassendoktrin, um im gleichen Atemzug trotzdem eugenisch zu argumentieren, ohne dabei den dynamischen Aspekt der Ambientalisten zu vernachlässigen. Alles synthetisierte er sodann unter dem Leitbild der Romanità. Seine „Leitidee“ des Rassismus ist deshalb ein typisches „Leitideenbündel“, weil es zum einen die Elemente verschiedenster „Denkstile“ vereint und zum anderen „Leitdifferenzen“ geltend macht. Pennisi positioniert den italienischen Faschismus ideengeschichtlich zwischen Nationalsozialismus und dem seines Erachtens antifaschistischen und demokratischen wurmstichigen Katholizismus Maritains. Scholastisch sprach er vom Wert des Fleisches ausdrücklich auch in der theologischen Dimension des Begriffes. Aber die Rassen existierten dennoch.⁷³ Bemerkenswerterweise für einen Katholiken fehlt zunächst jeglicher Bezug auf den traditionellen Antisemitismus. Stattdessen behauptet Pennisi, die italienische und jüdische Rasse seien grundverschieden, auch bezüglich ihrer psychologischen Merkmale.⁷⁴ Die Juden seien zugleich eine Rasse und eine Religion. Ihre Religion sei nur ein Ausdruck ihrer rassischen Besonderheit.⁷⁵ Ihre physischen und psychischen Eigenschaften könnten sie nicht ändern.⁷⁶ Weil man die Rasse vor Hybridisierungen schützen müsse, sei es notwendig, Mischehen und anormale sexuelle Beziehungen zu unterbinden.⁷⁷ Um den physischen und psychischen europäischen Charakter der Italiener zu erhalten, sei nur eine Vermischung mit anderen europäischen Rassen wünschenswert, die eine gemeinsame Abstammung Milizia Volontaria per la Sicurezza Nazionale, Comando Generale: Primo Corso sui Problemi della Razza Roma – 11– 21 Maggio XX. Roma 1942. Pennisi unterrichtete dort u. a. zusammen mit Giorgio Almirante, Giulio Evola und Edoardo Zavattari, der über das Thema „Razza e ambiente naturale“ referierte. Pennisis drei Vorträge in dem Modul „Razzismo fascista e Cattolicesimo“ lauteten „Politica razziale e dottrina religiosa“, „Razza interna italiana e dottrina religiosa“ sowie „Il problema della Civiltà e dell’Impero“. Elenco nominativo dei frequentatori, ebd. Vgl. Pennisi: Presa di posizione francamente razzista, S. 14. Die Existenz von Rassen zu leugnen, sei sentimental. Neben der Realität des Geistes, gebe es auch eine Realität der Intelligenz, des Blutes und des Fleisches. Maritain und alle anderen antifaschistischen christlichen Philosophen sollten sich erinnern, dass der heilige Paulus und die ganze christliche Lehre vom Dualismus von Geist und Körper ausgehe. Rasse sei eine biologische Tatsache, die sich neopaganer metaphysischer Theorien entzöge. Zugleich gäbe es aber auch keine Mystik des Blutes, bemerkte er mit einem Seitenhieb auf Julius Evola und den NS-Biologismus. Ebd., S. 10 – 20. Ebd., S. 83. Ebd., S. 65. Ebd., S. 19 – 20.
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hätten.⁷⁸ Der Faschismus wolle daher keinen rassischen Imperialismus, sondern einen imperialen Rassismus, der allein in der Lage sei, Ordnung und Zivilisation durch die Mystik des Pax Romana zu schaffen und nicht Chaos und Auflösung.⁷⁹ Diese Vorwürfe verband Pennisi mit einer Reihe haltloser Unterstellungen. Er führte ein Sammelsurium von antisemitischen Klischees auf eine primitive Art und Weise an, die dem niederen Niveau von Julius Streichers „Stürmer“ durchaus entsprechen. Die Kirche gehe von der Korrelation der geistigen und materiellen Grundlagen der Menschen aus und sei deshalb „francamente razzista“, was der verstorbene Benedikt XV. und der regierende Pius XI., so seine paradoxe Schlussfolgerung, durch die Förderung des indigenen Klerus unter Beweis gestellt hätten.⁸⁰ Im Gegensatz zum nationalsozialistischen Rassismus war Pennisi der Auffassung, in biologischer Hinsicht könne man a priori nur von verschiedenen Rassen, nicht von höher- oder minderwertigen sprechen.Vermischungen seien nicht per se negativ. Eine hierarchische Einteilung sei erst unter der Verwendung des Begriffes des Volks aus historischer Perspektive möglich, denn im Gegensatz zur statischen Rasse, sei der Begriff des Volks dynamisch⁸¹, machte er wie Massè kulturelle Umwelteinflüsse geltend. Explizit begründete er den Primat der Romanität spirituell und nicht biologistisch: Denn aus Pennisis Sicht leitete sich der Anspruch der zivilisatorischen und unifizierenden Überlegenheit der Mission Roms, auf der der italienische Rassenstolz beruhe, aus der Superiorität der italischen Nation ab. Diese äußere sich in der Mystik des Geistes, die wiederum in der Spiritualität der faschistischen Doktrin zum Ausdruck komme.⁸² Die italienische Nation habe im höchsten Maße andere Völker assimiliert, weil das göttliche Erbe der „universalen Mission des ,Impero’“ das biologische Konzept der Rasse überwinde.⁸³ Diese zweifelsohne absurde Mischung konfuser Ideen und Stereotypen erfüllte dennoch oder gerade deswegen ihre Funktion: Mit der Ablehnung der NS-Rassenlehre konnte eine „Leitdifferenz“ zur konkurrierenden NS-Ideologie formuliert werden. Gleichzeitig erlaubte das eigene Bekenntnis zur Eugenik, die gemeinsamen Ziele mit dem „Dritten Reich“ zu beschwören und die Nähe zu den eugenischen Rassisten in Italien herzustellen. Das spirituelle Element gestattete wiederum die Abgrenzung zu Letzteren und die Anknüpfung an die liberale kulturanthropologische Schule sowie an den traditionellen katholischen Antisemitismus.
Ebd., S. 83. Ebd., S. 35. Einer der Gründe hierfür erwähnte Pius XI. explizit in „Rerum Ecclesiae“, nämlich die besondere Fähigkeit des indigenen Klerus, auf die Psychologie der zu evangelisierenden Völker einzugehen. Dies gelänge den europäischen Missionaren trotz Ausbildung aufgrund ihrer Rassenverschiedenheit nicht, ebd., S. 28. Ebd., S. 32. Ebd., S. 26. Ebd., S. 18.
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In den Kriegsjahren betonte Pennisi in seiner Konzeption die Verbindung der Rasse mit der mythisierten „Leitidee“ der Romanità. ⁸⁴ Die Rasse sei politisch der Ausdruck ihres Stils und ihrer Vitalität, ausgedrückt in der Idee des Impero. ⁸⁵ Die „Leitdifferenz“ zur NS-Vorstellung der arischen Reinrassigkeit war dadurch im Grunde noch unüberbrückbarer geworden. Der Rassismusbegriff von Bonatelli unterscheidet sich auf den ersten Blick in seinem ganzen sprachlichen Duktus und durch seine deutlich stärkeren christlichen Bezüge klar von den Ausführungen des 1908 geborenen Pennisi, was den Generationenunterschied abbildet. Obwohl Bonatelli, Jahrgang 1893, über zehn Jahre jünger als Manacorda (geb. 1879) oder Papini (geb. 1881) war, gehörte er in seinem „Denkstil“ zu dieser durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg geprägten Generation. Entsprechend war Bonatellis eigener Antisemitismus wie der von Bargellini, Giuliotti, Manacorda oder Papini katholisch traditionell. Es finden sich bei ihm zunächst die gängigen Topoi des christlichen Antijudaismus verbunden mit dem sozialen Stereotyp des „reichen Juden“. Er erklärt beispielsweise, dass die Juden Christus verkauft und das goldene Kalb angebetet und über ihre letzte Diaspora ihr Bankwesen und ihren Handel über die Welt verbreitet hätten. Allerdings führt Bonatelli darüber hinaus Verschwörungstheorien des modernen Antisemitismus an. Nach der Französischen Revolution hätten die Juden sich zu den Paladinen des Kapitalismus gemacht. Darüber hinaus habe das Judentum Liberalismus und Freimaurertum erfunden, um die Vorherrschaft über alle ihre Gastvölker zu erringen. In allen Revolutionen und Kriegen sei das Judentum immer ein Element der Bedrohung im Völkerleben gewesen.⁸⁶ Noch fehlt in diesem Konglomerat die rassistische Perspektive. Außerdem verwandte Bonatalli „als Faschist und Katholik“⁸⁷ ambientalistische, liberale und die spirituellen Denkelemente, die sich auf die Romanità beziehen.⁸⁸ In seiner Zeitschrift „Segni dei tempi“ befasste sich der Veroneser Erzieher in zahlreichen Leitartikeln und Essays intensiv mit der Frage der Vereinbarkeit der katholischen Doktrin mit dem Rassismus.⁸⁹ Dazu schrieb er pädagogische Veröffentlichungen und hielt Vorträge. Im Gegensatz zu Manacorda übernahm er allerdings komplett Pennisis Rassismus-Konzeption, wie aus dem Titel seines Beitrages „La questione della razza e un franco atteggiamento cattolico“ hervorgeht, der sich explizit auf dessen Rassismus-
Vgl. Pennisi: Appunti per la dottrina fascista della razza, S. 286. Vital sei eine Rasse, wenn sie ihrer schicksalhaften historischen Berufung folge. Deshalb sei der Niedergang der italienischen Rasse erfolgt, als sie den Gedanken des Impero nach 1789 aufgegeben habe. Durch den Faschismus habe die italienische Rasse wieder zu ihrem Bewusstsein als imperiale Rasse gefunden. Die Rasse sei nicht die Determinante des faschistischen Lebens- und Weltentwurfs, sondern nur ein Instrument seiner Verwirklichung. Ebd., S. 288. Bonatelli: La Questione della Razza, S. 359. Ebd., S. 350. Ebd., S. 347– 364. Bonatelli, Paolo: Battute d’intesa: Razza, Cattolicità, Carità. In: Segni dei tempi 5 (1938). S. 8 – 13.
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Band bezieht.⁹⁰ Den Rassismus, den er bereits in der Weltkirche gelebt sah, hielt er für notwendig, um im Impero mit den Italienern als aristokratische Herrenrasse seine ersehnte Romanità-Utopie verwirklichen zu können.⁹¹ Wie alle anderen faschistischen Katholiken betonte er die Eigenständigkeit des italienischen Weges. Die Frage der Rasse sei nicht von außen über die Alpen herangetragen, sondern habe sich durch das Impero mit der immer intensiveren Begegnung zwischen Italienern und schwarzen Völkern von selbst gestellt. Den Zusammenhang, dass mit der Gründung des Impero die Notwendigkeit der Einführung einer Rassengesetzgebung gegeben gewesen sei, betonten Bonatelli und die faschistischen Katholiken stets, was zusätzlich gegen die These eines vermeintlichen Imports der NSRassenlehre spricht. Die Gründung des Impero erfordere von den Italienern in den Kolonien eine große sexuelle Selbstdisziplin. Der Staat müsse die Promiskuität verhindern.⁹² Genau deswegen forderte er die Herausbildung des „neuen faschistischen Menschen“, der seine Aufgabe mit imperialer Moral erfülle. Der PNF-Funktionär und Leiter einer Erziehungsanstalt für „höhere Töchter“ hielt als Rassenerzieher seine Schülerinnen und die Fasci Femminile zum Schutz der arischen Ehe an, wobei er in enger Anlehnung an Pennisi vor der Vermischung mit der jüdischen Rasse warnte.⁹³ Die Partei sei eine Miliz. Die Parteiangehörigen müssten sich daher als Kämpfer die Rassenmoral zur Pflicht machen.⁹⁴
Bonatelli bewertete Pennisis Positionierung als wichtigen Diskussionsbeitrag für das faschistischkatholische Lager und hieß sie hinsichtlich der Schaffung eines „Rassenbewusstseins“ im Rahmen der legitimen Selbstverteidigung für richtig. Die christlich-römische Zivilisation, welche die natürlichen, historischen und sozialen Unterschiede achte, bekräftige ihre universalen Werte des Geistes, welche ihre Verwirklichung in der konkreten Realität des Volkes fänden, vgl. ders.: La questione della razza e un franco atteggiamento cattolico. In: Segni dei tempi 2 (1939). S. 98 – 107, hier S. 99 u. S. 107. Die Kirche habe seit der Zeit der Apostel eine vorsichtige Diskriminierung der Verschiedenheit der Nationen, Rassen, Geschlechter und des Alters betrieben, bemerkte er schon im Mai 1938. Diese Unterscheidung habe allerdings niemanden von der Erlösung ausschließen, sondern lediglich einen geeigneten Zugang für jedes Volk, jeden Stamm, jede Zivilisation – und für jede biologische Rasse – eröffnen wollen. Dies zu skandalisieren bedeute, die Realität zu skandalisieren. Die vom Bolschewismus behauptete Gleichheit der Menschheit setze sich über die Verschiedenheit der menschlichen Persönlichkeit hinweg. Die Kirche habe diesen Unterschieden in Afrika und weltweit mit dem Werk der „Propaganda Fide“ durch die allmähliche Ausbildung eines indigenen Klerus Rechnung getragen. Ebenso trage das neue imperiale Rom diesen Realitäten mit dem Schutz der Rasse Rechnung. Die Vorstellung, die eigene Rasse zu verteidigen, wurde in der Deutung Bonatellis zur Voraussetzung dafür, dass sich ein Volk entwickeln könne.Vgl. Bonatelli: Battute d’intesa: Razza, Cattolicità, Carità, S. 11– 12. Vgl. Bonatelli: La Questione della Razza, S. 352. Die faschistischen Frauen sollten, so appellierte Bonatelli, dem fruchtbaren Humus der Zivilisation der eigenen Rasse vertrauen, die im Rom des Rechts und im Rom des Kreuzes unauflöslich vereint sei, ebd., S. 363. Das größte Problem sei, so Bonatelli, unzweifelhaft die Frage der Ehe zwischen Ariern und Juden. Zum einen sei die Ehe unauflöslich, zum anderen trage ihr Fortbestand große Gefahren mit sich. Er zitierte den Katholiken Pennisi, wie er ihn nannte, aus seiner „Presa di posizione francamente razzista.“ Ebd., S. 363 – 364.
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In seiner Monographie über die Mädchenbildung, die 1942 unter dem durchaus von ihm als rassistische Anleitung gemeinten Titel „Orientamenti“ erschien, stellte Bonatelli sein christlich-faschistisches Erziehungskonzept vor. Darin überlagerten die eugenischen Vorstellungen inzwischen die Topoi des katholischen Antisemitismus.⁹⁵ Die Rasse, schrieb er darin, sei eine Realität, die sich eugenisch-anthropometrisch, aber auch kulturell-historisch und religiös bestimmen lasse.⁹⁶ Auch die Kirche sei der spezifischen forma mentis der verschiedenen Rassen durch ihre verschiedenen Formen der Mission gerecht geworden. Dies stelle das universale Werk der römischen Kirche dar, die sich vor Vermischungen mit anderen Kulten schützen müsse: Die Vermischung sei in der Religion wie bei den Rassen eine Perversion, die nicht nur die Prinzipien schände, sondern auch die praktische Moral.⁹⁷ Deshalb arbeite der Faschismus nur auf der biologischen Ebene der Rasse und verteidige die physischen, intellektuellen, moralischen und künstlerischen Werte und erfülle auf diese Weise ein Opus sanum, das in hohem Maße sozial und aristokratisch sei.⁹⁸ Denn jede Degeneration führe dazu, dass sich der Volksgeist schlechter ausdrücken könne. Das Konzept der Rasse widerspreche nicht dem universalen Charakter der Kirche und des Impero, denn jedes Individuum könne gemeinsam mit anderen Rassen zusammenleben, von denen keine Infiltration drohe. Man wolle sich nicht gegen den Einzelnen wenden, sondern gegen die aggressive jüdische Rasse zur Wehr zu setzen.⁹⁹ Aus diesem letzten Satz gehen die totalitären antisemitischen Vernichtungsphantasmagorien deutlich hervor. Der faschistisch-katholische Rassismus hieß die brutale Verfolgung und Entrechtung der italienischen Juden auf genauso inhumane Weise wie die philonazistischen Rassisten gut. Für die Opfer mussten Bonatellis Worte, die Vernichtung ihrer gesellschaftlichen und ggf. physischen Existenz, sei nicht persönlich gemeint, wie Hohn klingen. Das Konstrukt des faschistisch-katholischen Rassismus leitete die Praxis des Versuchs der Auslöschung jüdischen Lebens in Italien ein. Besonders mit den italienischen philonazistischen Rassisten führten die faschistischen Katholiken starke Auseinandersetzungen, wie am Beispiel ihrer Polemik
Bonatelli: Orientamenti. Vgl. Bonatelli: La Questione della Razza, S. 353. Der Mensch sei Geist und Materie zugleich, der Geist drücke sich durch die Materie aus, das sei katholische Doktrin und habe schon der Heilige Thomas gelehrt. Jede Abweichung davon führe entweder zum Materialismus (wie etwa im Klassenkampf) oder zum Idealismus. Staat und Kirche stellten beide die Existenz verschiedener Rassen fest und diese Diversität, nicht Inferiorität sei durch Staat und Kirche praktisch und geistig reguliert. Der Mythos des Blutes, von dem alles abhänge, sei hingegen kein Element des faschistischen Rassismus. Ebd., S. 355. Sich zu verteidigen, fuhr Bonatelli fort, sei der erste Schritt, sich besser zu verstehen und gegenseitig zu helfen und bringe Wahrheit und Gerechtigkeit für alle: Diese drücke sich im Binonym Cristianità-Romanità aus. Die Kirche habe immer eine vorsichtige Rassendiskriminierung vorgenommen. Der faschistische Rassismus sei nicht gleichzusetzen mit einer antireligiösen Politik, ebd., S. 355 – 356. Deshalb sei es folgerichtig, dass sich der faschistische Staat in seiner Rassenpolitik gegen das Judentum gerichtet habe, da die faschistische Revolution anstelle des Materialismus den Primat des Geistes gesetzt habe, ebd., S. 360.
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mit Julius Evola gezeigt werden soll. Diese anthropologischen Rassisten argumentierten ohne religiöse Bezüge, gleichzeitig aber transzendierten sie das Impero in eine sakrale, mythische Dimension.¹⁰⁰ Die Polemik ist insofern erhellend, als der Philosoph darin bei aller Voreingenommenheit zahlreiche Elemente des faschistisch-katholischen „Denkstils“ treffend charakterisiert. Die immer stärkere Adaption der Dichotomie-These Manacordas in der Achsenpropaganda stieß auf stärksten Unmut der eugenischen Rassisten um die Zeitungen „Difesa della razza“ und „Vita italiana“. In einem mit dem Pseudonym Arthos signierten Artikel rechnete Letztere im Juni 1941 mit Manacordas Deutschlandperzeption ab.¹⁰¹ Kürzlich seien einige führende deutsche Rassisten nach Rom gekommen, wo ihnen gesagt wurde, es gebe im Istituto degli Studi Romani einen für sie interessanten Vortrag zum Thema „Romanesimo e Germanesimo“ von einem auch in Deutschland bekannten Experten. Groß sei die Verwunderung gewesen, dass es sich dabei um Prof. Guido Manacorda gehandelt habe. Arthos verwies auf die jüngste, von Manacorda ignorierte Forschung, welche die erstaunlichen Parallelen in der arischen Mythologie aller indogermanischen Völker entdeckt habe.¹⁰² Die Bezeichnung Germanist für Manacorda setzte Arthos in pejorative Anführungszeichen. Der Professor gehe von der Kernthese eines profunden Gegensatzes von deutschem und romanischem Geist aus, wobei romanisch als Synonym für das Christlich-Katholische stehe. Dies habe er seit 1933 mit Erscheinen seines Buch „La selva e il tempio“ in einer Serie von Aufsätzen zu den germanischen Mythen und verschiedenen deutschen Schriftstellern immer wieder auf vereinseitigende und tendenziöse Weise herausgearbeitet. Mit zweierlei Maß und zweierlei Gewicht zu messen, fremde Traditionen systematisch abzuwerten und zu diskreditieren, sei die schlechte Art der katholischen Apologetik, um die eigene Tradition hervorzuheben. Das arischnordische Deutschtum würde von Manacorda aus einer deformierten, willkürlichen und einseitigen literarischen Perspektive wahrgenommen, die mehr oder weniger hebräisierten Schulen entstamme.¹⁰³ Dieser militante, rationale und thomistische Der sakrale nationale Mystizismus wird am Beispiel von Massimo Scaligero deutlich. Vgl. Scaligero, Massimo: Compito eroico dello spirito nell’azione razzista. In: La Vita italiana 9 (1939). S. 327– 333, hier S. 333. Campanella, Mirandola und Vico seien ebenfalls faschistische Vorläufer, wenn auch nicht über ihre scholastischen Wurzeln, sondern über ihre zeitlose affinità elettiva. Der Vorwurf, es handle sich um einen Mythos oder Aberglaube, sei pseudo-kulturelle jüdische Manipulation. Der Faschismus knüpfte an die Dante-Begeisterung des 19. Jahrhunderts an. Domenico Venturi verklärte in seiner Monografie „Dante Alighieri e Benito Mussolini“ (Rom 1927) Dante zum Vorläufer des Faschismus, weil er dessen Ideale einer Restauration der europäischen Zivilisation sowie die Einheit und Größe Italiens vorweggenommen habe, vgl. Scorrana, Luigi: „Il Dante ‚fascista’“. In: Deutsches DanteJahrbuch 75 (2000). S. 85 – 123 sowie Schulze, Thies: Dante Alighieri als nationales Symbol Italiens (1793 – 1915). (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom). Phil. Diss. Tübingen 2005, S. 219. Arthos: Romanesimo, germanesimo e il caso Manacorda. In: La Vita Italiana 6 (1941). S. 649 – 657. Der Artikel trug den Übertitel „Per la serietà degli scambi culturali italo-germanici“. Entsprechend habe Günther die antiken arisch-orientalen Traditionen – der griechischen Welt und Roms – aufgezeigt, ebd., S. 649 – 657. Ebd., S. 651.
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Katholizismus offenbare damit keinen Gegensatz zwischen Romanität und Germanentum, sondern zwischen Christentum und allen anderen Traditionen. Im Anhang der zweiten Auflage von „Selva e il tempio“ mit dem Titel „La luce del nord“ spreche Manacorda von einem Gegensatz zwischen Rassismus und Universalität, so Arthos. Die Rasse werde von ihm materialistisch auf die blonde Haarfarbe reduziert. Zwar gestehe Manacorda die nordisch-arische Herkunft der hellenischen und römischen Zivilisation ein. Es geschehe aber immer auf tendenziöse Weise, indem er suggeriere, dies werte Italien ab, weil eine Überlegenheit der Germanen behauptet werde, wo es doch weder um jene, noch um die nordischen Menschen gehe, sondern um deren Ahnen in der Vorgeschichte.¹⁰⁴ Für Manacorda gelte nur das Blut. Außerdem habe er sogar die Klassik verworfen. Hingegen beanspruchte Arthos für sich, er wolle nach Transzendenz im antiken Rom suchen. Wenn Manacorda auf die minderwertige „braune Rasse“ verweise, entlarve er sich selbst.¹⁰⁵ Der Professor sei ein Beispiel für die Leichtfertigkeit der Beziehungen, denn er habe – obwohl er selbst häufig in Deutschland gewesen sei – ein von der romantischen Literatur verzerrtes Bild des Landes, weil er die nordische Spiritualität verkenne.¹⁰⁶ Zumindest in diesem Punkt hatte Evola recht: Der Professor hatte wegen seiner katholischen und literaturwissenschaftlichen Perspektive ein falsches Deutschlandbild, allerdings war dasjenige von Evola noch verzerrter. Der Artikel schloss mit einem Appell, gegen die „Sabotaggio cordiale“ mehr oder weniger empfohlener sog. Professoren oder sog. Germanisten vorzugehen. Diese besäßen zwar zweifellos akademische Meriten, seien aber absolut ungeeignet in ihrer mangelnden Sensibilität und ihrem mentalen Habitus. Man denke nur an die leider immer noch anhaltende verfälschte Perzeption von Wagners Werk, richtete er einen weiteren Seitenhieb gegen den Wagner-Übersetzer Manacorda. Auch in anderen Bereichen des Kulturlebens sei es aus Prinzipienlosigkeit zu Konfusionen gekommen, die den Thesen Manacordas einen Anschein von Wahrheit gegeben hätten. Manacorda berichtete Bottai über den Angriff gegen ihn in der „Vita italiana“ unter dem Pseudonym Arthos. ¹⁰⁷ Nach einigen Zeilen habe er den „barone-mago Julius“ als Verfasser identifiziert, der ihm seines Erachtens seinen „heroischen Katholizismus“ nicht verzeihen könne. Er entschied sich aber, den Angriff zu ignorieren, würde aber gerne eine Gegenattacke im „Primato“ sehen. In einem weiteren Artikel im Augustheft der „Vita italiana“ forderte Julius Evola, den Manacorda hinter dem Pseudonym Arthos enttarnt hatte, als Voraussetzung für eine wahre Allianz zwischen Deutschland und Italien eine gegenseitige kulturelle und geistige Integration. Der bisherige Kulturaustausch sei unbefriedigend, schrieb Evola, weil er nur auf die akademische und offizielle Ebene limitiert sei, auf der einseitig Ebd., S. 652. Ebd., S. 654. Ebd., S. 656. Manacorda an Bottai, Brief vom 27. August 1941. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico-religioso 1941, 2˚ Semestre, Sottofasc. Bottai.
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„Professoren“ und „Literaten“ zu Wort kämen, während die lebendige Realität der beiden Völker unberücksichtigt bleibe.¹⁰⁸ Außerdem sei der Begriff Cultura fehl am Platze, weil er nur an den „intellektualistischen“ und humanistischen Bereich denken lasse. Man solle sich auf den Begriff der Civiltà beziehen, der dem deutschen Begriff Kultur mehr entspreche, weil er einen Ethos, einen Lebensstil umfasse. Diese Stilelemente des neuen Deutschlands könnten, da sie auf einer gemeinsamen antiken Tradition beider Völker beruhten, gleichfalls in Italien adaptiert werden. Sie lägen im Antiintellektualismus und Antihumanismus eines aktiven Realismus.¹⁰⁹ Die „Weltanschauung“ beruhe auf Instinkt. Ihn zu wecken sei das Gebot. Der Faschismus sei immer noch zu sehr ein politischer, bestenfalls ethischer Mythos, der zum einen von spekulativen „Professoren“ und zum anderen vom Katholizismus vereinnahmt werde.¹¹⁰ Deshalb müsse das italienische Volk auch rassisch gegen die minderwertigen mediterranen, i. e. demoliberalen und freimaurerischen Elemente aufgewertet werden.¹¹¹ Diesen Gedanken nahm Evola an anderer Stelle auf. Auf besonders gehässige Art und Weise polemisierte er nämlich gegen Papini, indem er dessen nicht gerade heroisch wirkende Intellektuellenerscheinung als rassisch degeneriert und fast jüdisch karikierte. Im Bildanhang seiner „Grundrisse der faschistischen Rassenlehre“ fügte er folgenden Kommentar an eine Fotografie des Florentiner Schriftstellers an. Zwar nannte er Papini nicht beim Namen, da dieser zu den bekanntesten Persönlichkeiten Italiens gehörte, war es aber dennoch klar, wer gemeint war. Evola ordnete ihn dem Typ der „tellurisch-dionysischen Geistesrasse“¹¹² zu, der er instinkthafte, impulsive, irrationale und oberflächliche „leibliche Züge“ attestierte. Evola schrieb: Dieselbe innerliche Rasse tritt hier in einer intellektualisierenden Erscheinungsform auf. Der Entstellung einiger leiblicher Merkmale entspricht hier der Stil einer Seele, die unruhig durch jede Art intellektueller Erfahrungen, bei einem unklaren Drang zur Erlösung gegangen ist, bis sie schließlich bei einer lunaren Form der Frömmigkeit haltgemacht hat.¹¹³
Evola, Julius: Per una profonda alleanza italo-germanico. In: La Vita italiana 8 (1941). S. 128 – 134, hier S. 128. Ebd., S. 129. Diesen Stil zu übernehmen, bedeute eine effektive Romanisierung des italienischen Volkes, da er schon im klassisch-römischen Stil teilweise präsent gewesen sei. Danach sei er degeneriert und diese Degeneration sei noch heute bei den zu individualistischen, zu sehr auf die äußerliche Geste beschränkten Intellektuellen sichtbar, vgl. ebd., S. 130. Ebd., S. 131. Um die rassische „Gesundung“ zu erreichen, propagierte er den „Ordensstaatgedanken“ als Vorbild für Italien, ebd. Evola, Julius: Grundrisse der faschistischen Rassenlehre. Berlin 1943, S. 135– 137. Ebd., Bildanhang, Text zu Bild 24. In: Evola, Julius: Sintesi di dottrina della razza. Padova 1978 [Milano 1941], Bildanhang, Text zu Bild 26.
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„Lunar“ stand dabei für das Düstere, während der Arier sonnenhaft ausgerichtet sei, wie der Baron meinte.¹¹⁴ Der „tellurische“ Mensch stehe allgemein für eine Verfallskultur und damit in gewissem Sinn dem Judentum nahe. Deshalb müsse er vom mittelmeerischen, arisch-römisch ausgerichteten Menschen bekämpft werden. Von Dezember 1941 bis April 1942 führte Julius Evola in der römischen Wochenzeitschrift der GUF „Roma fascista“ gegen Riccardo Carbonelli und Pasquale Pennisi eine heftige Polemik.¹¹⁵ Carbonelli griff seinerseits den in der „Vita italiana“ propagierten biologischen Rassismus an. Auch wenn der Katholizismus nicht in den Faschismus aufgehen solle, so könne man ihn nicht einfach durch Metaphysik ersetzen. Der katholische Anteil des Faschismus stehe außer Frage, weil beide aus derselben und einzigen Romanität hervorgegangen seien. Das Achsenbündnis habe eine tiefere Grundlage als die Rassenfrage.¹¹⁶ Darüber forderte Carbonelli in der „Roma fascista“, den Rassismus nicht auf, falsche philosophische Theorien zu stützen, sondern er hielt „eine neue Synthese zwischen faschistischem Rassismus, Katholizismus und Romanität“ für notwendig.¹¹⁷ Am Ende favorisierte die Redaktion Carbonellis und Pennisis Positionen gegenüber Evolas Konzept von einer „Idea razziale ario-romana“. Das lag zum einen daran, dass der faschistisch-katholische Rassebegriff wesentlich komplexer war. Insbesondere Manacorda und Pennisi verfassten zum anderen streng in Paragraphen gegliederte, systematische Traktate, in denen sie Schritt für Schritt ihre Schlussfolgerungen entfalteten. Auch wenn letztlich die Tiefe ihrer Ausführungen essayistischen Charakter niemals überstieg, so waren sie häufig doch breiter angelegt und fundierter als die Schriften ihrer Gegner. Außerdem waren sie durch ihre prägnanten und aggressiven Formulierungen ideal für Propagandazwecke – etwa als Druckschriften oder als Vorträge – zu gebrauchen. Im Gegensatz dazu schwächten die Ausführungen Evolas, der eine Adaption des deutschen „arischeren“ Lebensstils durch die Italiener anmahnte, die faschistische Position gegenüber Deutschland, weil sich demnach der „neue faschistische Mensch“ nur durch die Nachahmung des „deutschen Herrenmenschen“ schaffen ließe. Dies war unvereinbar mit dem ideologischen Führungsanspruch des Faschismus und führte zur Marginalisierung der Position Evolas. Es war also sicher nicht die intellektuelle Schärfe der faschistischen Katholiken, die Mussolini veranlasst hatte, Manacorda mit einer zentralen Inlandspropaganda im Winter 1942/1943 zu einem Zeitpunkt zu betrauen, als das Regime bereits wankte, und ihm im April 1943 den mit 100.000 Lire dotierten „Premio del Littorio“ der italieni-
Lediglich dem dionysischen Anteil schrieb er auch einige positive Eigenschaften zu, vgl. Evola: Grundrisse der faschistischen Rassenlehre, S. 152– 153. Moro: Propagandisti cattolici del razzismo antisemita in Italia, S. 332– 337. Riccardo Carbonelli: Presupposti i pregiudiziali del razzismo fascista. In: Roma fascista [Wochenschrift der römischen GUF] vom 25. Dezember 1941, zitiert nach: Renato Moro: Propagandisti cattolici del razzismo antisemita in Italia, S. 333 sowie S. 336 – 338 zu der Debatte, die 1941/1942 zwischen Carbonelli und Pennisi auf der einen sowie Evola auf der anderen Seite geführt wurde. Cassata: La Difesa della razza, S. 84.
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schen Akademie zu verleihen¹¹⁸ – auch wenn Mussolini Manacorda als Germanisten sehr schätzte und ihn über 30 Mal empfing. Denn das Regime bediente sich bei der Definition der „Rasse“ je nach politischem Nutzen flexibel aller konkurrierenden Positionen, wobei es sich offiziell auf das Prinzip der Arianität berief.¹¹⁹ Der Rassebegriff der faschistisch-katholischen Intellektuellen hatte für das Regime den Vorteil, den Primat der faschistischen „Leitidee“ abzusichern. Dies tat Papini in seiner legendären Rede vor dem Kongress der Vereinigung europäischer Schriftsteller im März 1943 in Weimar auf defensive Weise, indem er den katholischen Universalismus als einen von drei Beiträgen des faschistischen Italiens für die „neue Ordnung“ Europas anpries. Dieses Christentum sei nicht afrikanisch-orientalisch-jüdisch, sondern hellenistisch und nach der römischen Ordnung aufgebaut.¹²⁰ Papini blieb – entgegen den Verharmlosungen seines ersten Biographen Ridolfi¹²¹ – in der von Mussolini und den Gerarchen gerühmten Rede immer auf dem Boden des Achsenbündnisses mit dem Reich, dessen Sieg er beschwor.¹²² Dieser Rassebegriff erfüllte nun für die italienische Inlands- und Auslandspropaganda eine doppelte Funktion in der Formulierung von „Leitdifferenzen“: zum einen zur Diffamierung der Gegner der Achse und zur Legitimation des Führungsanspruchs der „arischen“ Nationen Deutschland und Italien, zum anderen als ideologische Legitimation des italienischen (Führungs‐)Anspruchs innerhalb der ‚neuen Ordnung‘ Europas gegenüber Deutschland. Hierzu werden zunächst Beispiele zur Diffamierung des Feindes angeführt. Die Schaffung eines Feindbilds wurde durch antisemitische Verschwörungs- und Bedrohungsszenarien wesentlich vereinfacht, weil die faschistischen Katholiken für die Modernisierungskrisen pauschal und plakativ die Juden verantwortlich machten. Besonders Pennisi beschwor den Rassen- und Weltanschauungskrieg. In seinem fanatischen Bekenntnis zum Rassismus von 1938 erklärte Pennisi ähnlich apokalyptisch wie Hitler in „Mein Kampf“¹²³, dass der ewige Kampf zwischen Faschismus und Judentum bis zum letzten Blutstropfen geführt werde. Nur wenn der Faschismus siege,
Vgl. AdN, Fondo Manacorda, Fasc. 1943, 1˚ Semestre, Carteggio Premio Littorio. Padovan: Ereditarismo e ambientalismo nel discorso sociologico sulla razza tra le due guerre, S. 454. Minculpop. DG Servizio della Stampa italiana: Discorso che l’Accademico d’Italia Giovanni Papini ha pronunciato a Weimar nel recente Convegno degli scrittori europei della cui Unione egli è stato nominato Vice Presidente del 9 aprile XX ore 13. In: ACS Rom, Minculpop, Gabinetto, Busta 68, Fasc. Convegni italo tedeschi, Sottofasc. Annuale incontro scrittori di Weimar, Bl. 76 – 80, hier Bl. 78. Ridolfi: Vita di Giovanni Papini, S. 294. Serri: Il breve viaggio. Giaime Pintor nella Weimar nazista, S. 215. „Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein, dann wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den Äther ziehen. […] So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn [Kursiv i. O.]“, vgl. Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Ungekürzte Ausgabe. [851.–855. Auflage]München 1943, S. 69 – 70.
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könne die christliche Zivilisation überdauern.¹²⁴ Der Faschismus sei eine korporative Revolution, die die Unterwerfung der christlichen Völker durch das jüdische Kapital unterlaufe. In diesem Licht müssten auch der Kampf um die Autarkie und die Sanktionen gesehen werden.¹²⁵ Der Kampf zwischen Faschismus und Judentum sei die Auseinandersetzung zwischen den Trägern der Ordnung und des Chaos¹²⁶: Ökonomie gegen Arbeit, Recht gegen Moral, Politik gegen Staat, Philosophie gegen Gott, das sind die Karten des Pokerspiels durch die das Weltjudentum mit eiserner Logik seine Partie gewinnen will.¹²⁷
Der Faschismus, so Pennisi, sei der Feind der Demokratie, des Bürgertums und des Bolschewismus. Denn alle drei Begriffe stünden nur für eines, nämlich das Judentum, schrieb er anderer Stelle.¹²⁸ Das internationale Judentum leite dieses Netz von Bewegungen, das meist verdeckt, aber wie im Fall der zionistischen Bewegung in Palästina offen zutage trete. Die jüdische Infiltration als Gegner der christlichen Romanität führe zur Auflösung, indem sie die christlichen Völker „verjude“. Der Konstantinbogen in Rom feiere den Sieg des Christentums, aber der Titusbogen die Zerstörung des jüdischen Jerusalems, verband er die christliche und antike Tradition Roms, die er rassistisch auflud.¹²⁹ Seit 2.000 Jahren kämpfe das jüdische Volk um die Weltherrschaft, aber nicht in universeller Mission, sondern in egoistischer Absicht. In diesem Moment wolle es den Tempel und seinen Staat wiedererrichten, weil es die Zeit dafür für reif halte. Die christlichen Staaten seien uneinig, ihre Religiosität und Moral liege danieder. Es herrsche Krieg auf den Plätzen und in den Kanzleien und in den vom jüdischen Gold kontrollierten Unternehmen. Israel verfüge über drei Festungen: Genf, Moskau und Tel Aviv. Mussolini als Mann der Vorsehung habe jedoch der jüdischen Verschwörung Einhalt geboten. Wie den Deutschen im Ersten Weltkrieg wurde nach der Kriegserklärung an Frankreich und Großbritannien ab Juni 1940 den anglikanischpuritanischen Engländern (nicht aber den katholischen Franzosen) ein semitischer
Pennisi bezog sich dabei auf das Buch von Wast: ORO (Istituto di Propaganda Libraria), das nützliche Ergänzungen zum „Protokoll der Weisen von Zion“ enthalte, vgl. Pasquale Pennisi: Presa di posizione francamente razzista, S. 40. Er zitierte aus einem Roman und aus jüdischen Quellen, ohne diese zu nennen, und kam auf dieser Basis zu dem Schluss, dass die Juden die Völker in Ketten legen wollten, ebd., S. 43. Das kulturelle Wirken der Juden sei tätiges Antichristentum. Freimaurertum, Liberalismus, Kapitalismus, Plutokratie und Bolschewismus, das allgemeine Wahlrecht seien aufgrund ihres Geistes und ihrer Essenz jüdische Phänomene, gleichgültig wie viele Juden direkt daran beteiligt seien, ebd., S. 66. Ebd., S. 45. Pennisi, Pasquale: Controbolscevismo romano e anticomunismo altrui. In: Segni dei tempi 2 (1940). S. 32– 41, hier S. 32 u. 37. Ders.: Presa di posizione francamente razzista, S. 68.
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Charakter unterstellt: Wiederum sprach Pennisi über den entscheidenden Kampf des Faschismus gegen die anglo-jüdische Plutokratie.¹³⁰ Die Ausführungen von Manacorda sind sporadischer als die des Scharfmachers Pennisi, allerdings nicht weniger eindeutig. In seinem Vorwort zu dem im Frühjahr 1940 erschienenen Buch des Primas von Toledo Gomá y Tomás über den Spanischen Bürgerkrieg erörterte der Professor die vielfältigen Ursachen, die zum Zusammenbruch des Landes geführt hätten.¹³¹ Das dadurch geschwächte Land sei deshalb anfällig, so seine rassenbiologistische Diagnose, für die Erreger einer freimaurerischjüdischen und noch gefährlicheren bolschewistischen Infektion gewesen.¹³² Ebenso ereiferte sich Papini, dass die Engländer die Juden nordischer Rasse seien, die offiziell die Erlösung akzeptiert hätten, aber sich fühlten und lebten wie die Juden vor Christi Geburt. Dabei ließ er sich zu abwegigen Vergleichen hinreißen: Der Gott des Alten Testamentes habe die Vernichtung der Feinde Israels gefordert. Die Angelsachsen hätten daher die Indianer in Nordamerika, die Maori in Neuseeland und die Aborigines in Australien mit allen Mitteln ausrotten wollen und es bei den Iren mehrfach versucht. Sie hielten sich, so Papini, für das auserwählte Volk. Dies komme in ihrem säkularen Hang zum Geldwechsel, zum Kaufen und Verkaufen sowie in ihrer Unfähigkeit in den plastischen Künsten, in der Landwirtschaft und Kriegführung zum Ausdruck. Viele Engländer hielten ihr Volk für die Nachkommen des verloren gegangenen 13. israelitischen Stammesund es gebe sogar eine Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht habe, diese Deszendenz wissenschaftlich nachzuweisen.¹³³ Die Propagierung der Achsenpartnerschaft durch die faschistisch-katholischen Rechtfertigungsdenker hatte ein doppeltes Ziel: Zum einen sollte es das „Dritte Reich“ der Loyalität des faschistischen Italiens versichern, zum anderen in der Heimat das relativ unbeliebte Bündnis populärer machen. In diesem Zusammenhang spielte die gemeinsame rassische Grundlage zwar eine gewichtige, nicht aber die Hauptrolle. Weil das britische Imperium an der Lösung der Rassenfrage gescheitert sei, würden Rom, Berlin, Tokio, Madrid und Budapest, geeint durch eine geistige Gemeinschaft der wahrhaft rassischen Aristokratie, Asien und Europa zu einer Wiedergeburt der hierarchischen Zivilisation innerhalb der „neuen Ordnung“ führen, dozierte Pennisi.¹³⁴
Allegato 1: Programma preparato da Pasquale Pennisi per la rivista „IMPERIALITA“ (Febbraio 1941.XIX). In: ACS, SPD, CO, Busta 1921, N. 530713, Pennisi, Prof. Pasquale – Docente alla R. Università di Roma. Als Ursachen für den Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges nannte Manacorda die Unreife des Volkes, die reaktionäre Oberschicht, von der französischen Volksfront verführte Katholiken, eine verantwortungslose Presse, ein durch Parteien und Parlament gespaltenes Land, die Bedrohung der nationalen Einheit durch separatistische Regionalbewegungen, die wachsende Korrumpierung der Sitten „in brama insaziata di godimenti“, vgl. Manacorda: Dell’autore di questo libro, S. XII. Ebd., S. XII–XIII. Papini, Giovanni: Notizie sull’Inghilterra. In: Il Frontespizio 6 (1940). S. 315 – 323, hier S. 317 f. Pennisi, Pasquale: Nipponicità dell’Asia gialla, razzismo delle potenze dell’Asse, e concessioni europee in Cina. In: La Vita italiana 10 (1939). S. 439 – 449.
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Eines von vielen Beispielen für den Führungsanspruch der Achsenmächte gegenüber den Demokratien formulierte Manacorda kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Bezüglich des nunmehr verbündeten Deutschland aktualisierte er seine Konzeption. Am 6. August 1939 hielt der Germanist in Malcesine vor den faschistischen und nationalsozialistischen Gerarchen anlässlich der zweiten Verleihung des Premio Goethe eine Rede, in der er wiederum den ewigen Volkscharakter beider Nationen und ihre geschichtliche Bestimmung für die Neuordnung Europas hervorhob.¹³⁵ Diese beiden entgegengesetzten Welten, die aber deshalb nicht miteinander unvereinbar seien, hätten sich im Geiste Goethes versöhnt: Und 153 Jahre später hätten zwei Condottieri der Völker dieses Wunder in einem noch viel weiteren Sinn erneuert. Ihre Bestimmung bezöge sich nicht mehr nur auf die Kultur und Poesie, sondern auf die Politik und die Revolution.¹³⁶ Zwei Helden, die sich der Geschichte und des Schicksals ihrer Völker und ihrer Mission bewusst seien, hätten eine Achse geschaffen und sie in einen Stahlpakt geschmiedet. Die überkommenen Demokratien könnten nicht verhindern, dass sie ein neues Europa des Gesetzes und der Gerechtigkeit errichteten. Fest wie Stahl sei das Bündnis der beiden Nationen und in dessen sicherem Schatten spüre jeder Frieden und Seligkeit. Die die Germanen bestimmenden Naturmerkmale lud Manacorda mit rassistischen Termini dramatisch auf. Hier wird die gefährliche Affinität und Kompatibilität seiner Völkerpsychologie mit rassistischen Deutungsmustern erneut deutlich; Deutschland erschien jetzt als machtvolle und überwältigende Bestätigung „des Bodens, des Blutes, der Rasse, des Instinkts, der ewigen Blüte des Mythos und des Heroismus“.¹³⁷ Diese Werte hatte er noch 1935 heftig verurteilt. Ebenso faschisierte er den italienischen Volkscharakter. Demgegenüber bot in der Spannungskonstellation des Achsenbündnisses das von der Manacorda-Gruppe ausgearbeitete und von Bottai u.v. m. übernommene Deutungsangebot dem eindeutig schwächeren Akteur der beiden Partner, dem faschistischen Italien, den Vorteil, eigene Geltungsansprüche zu formulieren und zu legitimieren. In dieser Hinsicht wohnte dieser Konstruktion ein latent kritisches Potential inne, allerdings nicht in der Hinsicht, dass das Bündnis mit Deutschland in Frage gestellt werden sollte, wie dies Arthos unterstellte. Diese Selbstbeschreibung stabilisierte durch die Spiegelung mit dem Germanentum zunächst lediglich die kollektive Identität der faschistischen Diktatur, weil gerade durch den Kontrast zu
Dabei belegte Manacorda das vermeintlich ewige deutsche Streben zur Natur mit folgendem Goethe-Zitat: „Wo fass‘ ich dich, unendliche Natur“, vgl. italienische Ausarbeitung des Vortrags Manacordas in Malcesine anlässlich der Verleihung des zweiten Premio Goethe di Poesia vom 6. August 1939, S. 2. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. 1941, 1˚ Semestre – II bis. Der Artikel erschien unter dem Titel „Premio Goethe di poesia a Malcesine“ wie erwähnt in der „Illustrazione Italiana“. Der Premio Goethe war für das Regime ein bedeutendes Forum der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen. Ihn erhielten der Dichter Bruno Fattori und Marianna Giudici. Reden hielten Marinetti, Fraccaroli und Manacorda, der auf Deutsch sprach. Ebd., S. 2. Ebd.
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Deutschland eine italienische „Eigengeschichte“ und mit dem Konstrukt eines faschistisch-katholischen Impero ein italienischer Eigenraum projiziert wurde.¹³⁸ Dessen religiöser und gleichzeitig säkularer Legitimitätsglaube hatte aber auch einen außenpolitischen bzw. propagandistischen Wert, weil er eine doppelte Geltungsgrundlage für die Positionierung Italiens innerhalb der „neuen Ordnung“ Europas schuf – in Konkurrenz, aber nicht im Gegensatz zum Deutschen Reich. Entsprechend deuteten die faschistischen Katholiken das Spannungsverhältnis zwischen Romanität und Germanität auf ihre Weise: Das Bündnis zwischen Deutschland und Italien fuße, so Pennisi, auf einem intuitiven gemeinsamen Erleben, das auch den deutsch-italienischen Gegensatz überwinde, der auf politischer Ebene immer noch vorhanden sei: Die Achse Berlin-Rom habe nicht nur ihre politisch-diplomatische Kontingenz, sondern drücke darüber hinaus eine mystische Position der Revolution aus, die in der neuen Konvergenz eines gemeinsamen Glaubens der Romanität und der Germanität sichtbar werde: „Zwei Führer, zwei Völker, ein Krieg, aber auch zwei Führer, zwei Völker, eine Revolution“ [Kursiv i. O.].¹³⁹ Diese Konvergenz entstehe dadurch, dass der germanische Nationalsozialismus in der Universalität des Faschismus aufgehe. Auf diese Weise wurde versteckt das Primat Italiens formuliert.¹⁴⁰ Allein die Betonung eines deutsch-italienischen Gegensatzes – bedingt durch die Formulierung italienischer Führungsansprüche – musste der deutschen Seite missfallen. Darüber hinaus beanspruchte aus der Perspektive Pennisi die faschistische „Leitidee“ als das ideologische Original der nationalsozialistischen Ideologie übergeordnet zu sein, indem sie den Nationalsozialismus quasi als regionale faschistische Sonderform beschrieb und ihn damit zu einer faschistoiden Bewegung von vielen herabstufte. Seine Begründung lautete, dass die italienische Rasse wieder zu sich und zum Impero gefunden und auch der „politische Rassismus“ im Reich sich durch seine Hinwendung zu den vorrömischen Mythen von seiner antirömischen, protestantischliberalen Subversion gelöst habe. Auf diese Weise erfülle Deutschland nun die Voraussetzungen für eine neue römische Spiritualisierung.¹⁴¹ Der politische Rassismus müsse aber das Instrument der Imperialità bei allen Völkern der neuen Ordnung
Vgl. Rehberg: Zur Konstruktion kollektiver „Lebensläufe“, S. 3 – 18, sowie ders.: Die stabilisierende „Fiktionalität“ von Präsenz und Dauer, S. 399 – 401; ders.: Eine Grundlagentheorie der Institutionen, S. 115 – 144. Vgl. Pennisi: Mistica del fascismo e dinamica della rivoluzione, S. 65. Diese zeige die mystische Essenz der Revolution, fuhr Pennisi fort, weil auf der Ebene der Vernunft diese Annäherung aufgrund der besonderen Gegensätze (antitesi) in der Geschichte zwischen Romanität und Germanentum bislang nie erfolgt sei. Hier übernimmt Pennisi Manacordas antithesische Gegenüberstellung von Romanität und Germanentum. Die Unterschiede zwischen Faschismus und Nationalsozialismus beruhten zwingend auf den notwendigen Systemdifferenzen zwischen zwei Völkern, zwei Kulturen und zwei getrennten geschichtlichen Erfahrungen. Diese Differenzen seien durch den gemeinsamen Glauben aufgehoben und durch die „Blutsbrüderschaft der heroischen Gemeinschaft der beiden Völker zementiert worden.“ Ebd., S. 65 – 66. Vgl. Pennisi: Appunti per la dottrina fascista della razza, S. 289.
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werden, damit sie ihre Vitalität bewahrten: Dies geschehe im Westen durch den Willen der Vorsehung durch die Wiedererstehung der romanisch-germanischen Gemeinschaft unter der „Leitidee“ des Impero, wohingegen sich im Osten die imperiale Natur der japanischen Rasse zeige, an deren Heroismus man eine Charaktereigenschaft der Romanität erkenne.¹⁴² Mit dieser Deutung Pennisis beanspruchte im Juli 1942 die militärisch weitaus schwächste Macht des Antikominternpakts, Italien, das kurz vor dem Zusammenbruch seiner Afrikafronten stand, die spirituelle Führung im Dreieck Berlin-Rom-Tokio. Während dem Konstrukt der deutsch-italienischen Kultur- und Wertegemeinschaft wenigstens noch ein gewisses Maß an Evidenz zuzuschreiben ist, kann der Versuch, Japan zu romanisieren, kaum überzeugen. Dennoch war diese Argumentation für den Geltungsanspruch der Romanität von Nutzen: Indem Pennisi die positiven Charaktermerkmale der Deutschen als römisch deklarierte, kehrte er die Vereinnahmungsstrategie der Nationalsozialisten, die alle kulturellen Errungenschaften der Italiener auf nordische Einflüsse zurückführten, einfach um. Doch es blieb nicht bei mystisch-spirituellen Betrachtungen. Pennisi behauptete sogar die Überlegenheit der römischen Rasse, die das Imperium regieren solle, über die nordische und stellte damit die Gültigkeit der NS-Rassendoktrin und damit den Kern der NS-Weltanschauung in Frage. Mit seiner eigenen Deutung der Rassenlehre zielte der katholische Faschist auf den Bereich ab, in dem das „Dritte Reich“ am wenigsten erwartete, mit dem italienischen Verbündeten um die Meinungsführerschaft zu konkurrieren.¹⁴³ Dies leistete die kulturell-spiritualistische Dimension seines Rassenbegriffs: Wir behaupten für die römisch-italische Rasse, dem Träger der italischen Nation […] eine universelle Überlegenheit in ihrer historischen Aufgabe, d. h. einer göttlichen Berufung und damit seines universellen Primats internationaler Verantwortung. […] Dabei leugnen wir eine aristokratische Hierarchie der arischen Rasse über alle anderen nicht. Aber innerhalb der arischen Rasse, und eingedenk desselben hierarchischen romanisch-italischen Rassebegriffs und seiner mystischen Dimension, erheben wir Anspruch auf die aristokratische Überlegenheit der mediterranen über die nordischen Arier.¹⁴⁴
Ebd., S. 28. Begründet wurde der Primat der italienischen Rasse mit einem religiös-historischen-kunstgeschichtlichen sowie pseudo-wissenschaftlichem Sammelsurium. Die Rasse sei nicht nur ein rein biologisches Faktum, sondern sie bestehe aus geistiger Seele und körperlicher Materie. Sie sei daher auch ein einheitlicher psychobiologischer Komplex. Daher beinhalte die Rasse nicht nur physische, sondern auch moralische Haltungen. Die italienische Rasse sei reich an sozialen Tugenden wie Liebe zu Gott, der Anbetung der „Donna“, der Liebe zum Frieden und zum Heroismus, vgl. Pennisi: Mistica del fascismo e dinamica della rivoluzione, S. 93. Vgl. Pennisi: Mistica del fascismo e dinamica della rivoluzione, S. 90.
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Solche und andere Verlautbarungen, welche die faschistisch-katholische Argumentation aufnahmen, erregten den Unmut der Deutschen und ihrer Anhänger im PNF. ¹⁴⁵ Besonders Pennisi trat geradezu als rassistischer Vordenker in Erscheinung. Bottais „Primato“ bezeichnete ihn wohl zu Recht als denjenigen Theoretiker, der die faschistische Rassendoktrin im Sinne Mussolinis am kohärentesten umgesetzt habe.¹⁴⁶ Im März 1942 wurde Pennisi von Mussolini empfangen.¹⁴⁷ Der in der Folge für die Achsenmächte desaströse Kriegsverlauf verhinderte die Realisierung weiterer auf ganz Europa ausgerichteter Propagandaprojekte Pennisis und im Übrigen auch Manacordas. Dass ihre Argumentation aus heutiger Sicht zynisch und unchristlich klingen mag, ändert nichts an der Tatsache, dass sich ihre Denkmuster in den 1930er Jahren mit den Überzeugungen zentraler Akteure des Vatikans durchaus deckten. Das belegen die Aussagen über eine jüdisch-freimaurerisch-bolschewistische Verschwörung u. a. durch Staatssekretär Pacelli und durch den Sekretär der Sacra Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari, Kardinal Giuseppe Pizzardo. Sie waren katholisches Allgemeingut.¹⁴⁸ Verheerend wirkte auch Auro d‘Abla v. a. durch seine propagandistische politische Lyrik wie durch den Liedtext über die „Battaglioni ‚M’“, benannt nach den 1941 aufgestellten Eliteformationen der Miliz. Der Titel war in einem handlichen Liederbuch enthalten, das die faschistische Partei in die Tornister der italienischen Infanteristen legen ließ, um aus ihnen politische Soldaten im Kampf gegen das Judentum zu machen.¹⁴⁹ Außerdem wurde „Battaglioni ‚M’“ während der Republik von Salò im schmalen Liederbuch „Canti fascisti“ abgedruckt.¹⁵⁰ Berüchtigt sind die folgenden Zeilen der zweiten Strophe, die den Rassegedanken propagieren: „Gegen Juda, gegen das Gold wird es das Blut sein, das die Geschichte macht“.¹⁵¹ Außerdem ist vom Kampf gegen die Ghettos die Rede. Und in der ersten Strophe heißt es wiederum in kompletter Umdeutung der christlichen Nächstenliebe durch den katholischen Faschismus, dass ohne Hass keine Liebe möglich sei. Der Text ist ein unverhohlener Aufruf zu Razzien und zur Gewalt gegen Juden. Giacomo De Marzi, Herausgeber einer Anthologie faschistischer Lieder, nennt es das antisemitischste Lied, das der Faschismus im Sinne der Endlösung überhaupt hervorgebracht habe.¹⁵² Im Jahre 1944 legte Auro d’Alba seine „Hymne der italienischen SS“ vor, in der er wesentliche Metaphern aus dem „Battaglioni ‚M‘“ wiederaufnimmt. Der Text lässt mindestens zwei Lesarten zu: Die Vgl. Evola: Problemi della „mistica fascista“, S. 508. Serri, Mirella: Quando dico redenti so quel che dico. Primato fu rivista antisemita. In: Il Foglio vom 2. Dezember 2005. S. 2. Nicolò De Cesare, Segretario Particolare del Duce an Pasquale Pennisi, Telegramm vom 3. März 1942 sowie die Antwort Pennisis, Telegramm vom 3. März 1942. In: ACS, SPD, CO, Busta 1921, N. 530713, Pennisi, Prof. Pasquale – Docente alla R. Università di Roma. Visani: Il Fascismo, la Santa Sede e le leggi razziali del 1938. Canzoniere del soldato. Il Partito Nazionale Fascista ai Soldati d’Italia. Milano 1942. Giacomo De Marzi: I canti del fascismo, S. 23. „Battaglioni ‘M’ (testo di Auro d’Alba. Musica di Francesco Pellegrino. Ebd., S. 397. Ebd., S. 143 f.
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„Hymne der italienischen SS“ drückt einerseits den Höhepunkt der institutionellen Synthese zwischen Faschismus und Nationalsozialismus aus, indem das Gegensatzpaar Romanität und Germanität im widersprüchlichen, eigentlich paradoxen Konstrukt einer „italienischen SS“ nun gänzlich miteinander verschmolzen ist. Die Schwarz- und Braunhemden lassen darin den Kontinent gemeinsam wiederauferstehen. Allerdings ist nicht mehr das Germanische in die römische Imperialität inkorporiert wie einst bei Pennisi, stattdessen ist Rom jetzt untergeordnet.¹⁵³ In einem Rassenkreuzzug marschiert die italienische SS als Hilfstruppe mit Großdeutschland. Nur noch abstrakt ist von einem „Glauben“ die Rede, der aber eher politisch als religiös konnotiert zu sein scheint. Insofern lässt sich die Hymne als nationalsozialistische Eloge deuten und wurde von den Deutschen wohl auch so wahrgenommen.¹⁵⁴ Doch genauso sind andererseits Chiffren wie „Italien des Glaubens“, Virtus, Rom kompatibel mit dem katholischen Faschismus. Der christliche Glaube werde über das jüdische Gold siegen, heißt es in der vierten und letzten Strophe, die eine Passage aus dem Milizlied „Battaglioni M“ aufnimmt. Die Zeile, nach dem Endsieg werde nur noch das „gläubige Volk“ übrig bleiben, kann als typischer Bezug für d’Albas Katholizismus gelesen werden. Am deutlichsten wird der christliche Bezug in der Zeile „die morgendlichen Kirchenglocken die Hymne der Gewissheit in den Himmel tragen“. Während der Antisemitismus offen zutage tritt, liegt das katholische Substrat hier kryptisch vor. Auf diese Weise wird die vermeintlich nazifizierte SS-Hymne durch den Subtext von Auro d’Alba unbemerkt wieder katholisch-faschisiert. Der katholische Faschismus fand nicht nur Eingang in die Propaganda der Sozialrepublik, sondern durch Major Sergio d’Alba, der als Rassenforscher in Kontakt mit Giovanni Preziosi stand¹⁵⁵, ebenso in die Ausbildung ihrer Offiziere. In der Scuola Allievi Ufficiali della G.N.R. di Fontanellato war er u. a. Dozent des rassepolitischen Kulturkurses der Offiziersanwärter der GNR des Jahrganges 1924, der von März bis August des Jahres XXII – das christliche Kalenderjahr 1944 entfiel jetzt – dauerte. Zu der Frage: „Wie können Rassenmaßnahmen in der Sozialrepublik eingeleitet werden?“, ließ d’Alba die Kadetten Aufsätze schreiben. Die „besten“ 23 der 400 Ab-
Ricciotti Lazzero, der Verfasser einer Monografie über die italienische SS und selbst Teilnehmer am Russlandfeldzug, hält den Vergleich d’Albas der italienischen SS mit mittelalterlichen Ordensrittern für eine Übernahme der Himmler’schen Konzeption. Der „Reichsführer SS“ habe einen Orden politischer Soldaten einer heidnischen Religion, deren Symbolsystem keinen Bezug zur mediterranen Lebenswelt mehr aufgewiesen habe, schaffen wollen, vgl. Lazzero: Le SS italiane, S. 183 – 185. Vgl. ebd. Das Lied ist dort auf den Seiten 184– 185 abgedruckt. Undat. Zusammenfassung der Erklärung von General Auro d’Alba an den „Duce“ ohne Datum. In: ACS Rom, RSI, SPD, Carteggio Riservato (1943 – 45), Busta 47, N. 498, Sergio d’Alba. Vgl. Ostermann, Patrick: Contro l’antisemitismo tedesco, per la lotta dell’ebraismo. Il concetto cattolico-fascista della razza. In: Cultura della razza e cultura letteraria nell’Italia del Novecento. S. 43 – 68 sowie ders. Eine ‚Schule des Rassismus‘: Über die Verantwortung der katholischen Faschistenfür die Judenverfolgung in Italien. In: Die Shoah in Geschichte und Erinnerung. Hrsg. von Claudia Müller, Patrick Ostermann und Karl-Siegbert Rehberg. Bielefeld 2015. S. 75 – 88.
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schlussarbeiten liegen seiner Personalakte im Archivio Centrale dello Stato bei.¹⁵⁶ Sie sind heute eine wertvolle Quelle, um die faschistisch-katholischen Elemente des Rassismus innerhalb des Antisemitismus von Salò zu eruieren.¹⁵⁷ Nicht weniger aussagekräftig ist ebenso die beiliegende Kursbeschreibung von Major d’Alba, der darin für die Entstehung von Rassen erbliche und Umwelteinflüsse geltend machte.¹⁵⁸ Die Rasse sei der Mythos des Jahrhunderts, transzendierte er den Begriff in direktem Bezug auf Rosenberg.¹⁵⁹ D‘Alba stellte den deutschen und den italienischen Rassismus gegenüber.¹⁶⁰ Judentum und Freimaurer würden die spirituellen Werte der arischen Kulturen seit Jahrhunderten in Kriegen zersetzen, lautete sein kulturhistorischer, keinesfalls rein eugenischer Ansatz. Der gegenwärtige Krieg sei ein Rassenkrieg. Der Faschismus wolle zurück zur arisch-romanischen Spiritualität, dazu sei eine Verbesserung der italienischen Rassensubstanz nötig.¹⁶¹ Die Rassenlehre, die in d’Albas Kurs vermittelt wurde, war nicht kohärent: Einige der Offiziersanwärter bezogen sich auf Werke eugenischer Rassisten wie Evolas „Il mito del sangue“ und Preziosis „I protocolli dei savi anziani di Sion“, andere gaben als Referenzen den antisemitischen Roman „Gog“ von Papini an, ohne zu bedenken, dass es sich um eine fiktive Erzählung handelte. Außerdem bezogen sie sich auf ihre Seminarmitschriften.¹⁶² Die Haltung zur Kirche war ebenso uneinheitlich: Einige machten die Kirche als jüdische Institution für die vermeintlich falschen Prinzipien von 1789 verantwortlich¹⁶³, andere forderten explizit eine christliche Erziehung und betonten ihren Katholizismus.¹⁶⁴ Giglio Rustignoli von der 2. Kompanie bezeichnete z. B. die „faschistische und nationalsozialistische Revolution“ als dritte große Revo-
Il corso di cultura politico-razziale tenuto dal marzo all’agosto XII˚ presso la scuola allievi ufficiali della G.N.R. di Fontanellato. In: ACS Rom, RSI, SPD, Carteggio Riservato (1943 – 45), Busta 47, N. 498, Sergio d’Alba. Interessant ist auch, dass mehrere Offiziersanwärter die Stärke der GNR im August 1944 mit 50.000 Mann angeben, ebd. Corso di Cultura, Politica, Razziale. In: ACS Rom, RSI, SPD, Carteggio Riservato (1943 – 45), Busta 47, N. 488, Sergio d’Alba. Vgl. Auswertung der Kursarbeiten des Corso di Cultura, Politica, Razziale, S. 1. Der Bericht ist undatiert und nicht signiert, stammt aber trotzdem eindeutig von Sergio d’Alba. In: ACS Rom, RSI, SPD, Carteggio Riservato (1943 – 45), Busta 47, N. 488, Sergio d’Alba. D’Alba unterschied zwischen der Anima und dem Spirito einer Rasse, vgl. Auswertung der Kursarbeiten Corso di Cultura, Politica, Razziale, S. 1. Die angelsächsischen Staaten und der Bolschewismus seien Instrumente des Judentums, wobei er sich auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ beziehe, so d’Alba, vgl. Auswertung der Kursarbeiten. Die italienische Anima war nach d’Alba abhängig von der rassischen Umwelt in Italien, ebd., S. 1. U. a. All. Uff. Cesare Mosconi, V. Brig. 2 Compagnia Allievi: Come concepite un’azione politica razziale nella Repubblica Sociale, S. 1, sowie Nino Muccioli, V. Brig. 2 Compagnia Allievi, Come compite un’azione politica razziale nella Repubblica Sociale, S. 1 Enzo Spinelli (II Compagnia): Come concepite un’azione razziale nella Repubblica Sociale, S. 3 – 5. U. a. All. Uff. Cesare Mosconi, V. Brig. 2 Compagnia Allievi: Come concepite un’azione politica razziale nella Repubblica Sociale, S. 8.
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lution von weltweiter Bedeutung, bezeichnenderweise nach der von Christus und der Französischen Revolution.¹⁶⁵ Sein Katholizismus schloss Rassenhygiene nicht aus: Nur gesunden Menschen solle die Fortpflanzung ermöglicht werden, meinte er, sonst begehe man ein Unrecht und versündige sich gegen Gott. Die Reinheit der Rasse sei der Wille der Natur und Gottes.¹⁶⁶ Die Anwärter riefen zur Jagd auf alle Juden auf und schlugen radikale Maßnahmen vor wie eine an eine rassenbiologische Untersuchung des Blutes gebundene Heiratserlaubnis.¹⁶⁷ Für die Gesellschaft schädliche Individuen, heißt es in einer weiteren Arbeit, – wie Erb- und Tuberkulosekranke, Alkoholiker, Verrückte, Idioten, Kriminelle sowie Juden etc. – sollten je nach moralischem bzw. rassischem Wert ausgesondert, deportiert, überwacht, sterilisiert oder ggf. eliminiert werden.¹⁶⁸ Keiner der Kadetten argumentierte ausschließlich eugenisch. Alle hatten ebenso eine kulturanthropologische Perspektive, die aber immer wieder auf biologistische Deutungsmuster rekurrierte, wie das bei der Synthese von Pennisi und den faschistischen Katholiken der Fall war.¹⁶⁹ Beispielsweise bekannte sich Ermanno Migliarini zwar zu Punkt 6 des Rassenmanifestes von 1938, der besagte, dass es eine „reine italienische Rasse gebe“, er distanzierte sich aber von Punkt 7, wonach der Rassismus rein biologisch zu betrachten sei. Migliarini bezog sich in seinen Ausführungen dabei ausführlich und mehrfach auf Guido Manacordas „La selva e il tempio“, dessen Konzept der Romanität er aufgriff.¹⁷⁰ Die Italiener wollten nicht die kalte Reinheit eines pessimistischen Siegfried, nahm er die auf Deutung von Mythen basierende Völkerpsychologie Manacordas auf.¹⁷¹ Hinter dessen oberflächlichem Opti-
Giglio Rustignoli (II Compagnia): Come concepite un’azione razziale nella Repubblica Sociale, S. 2. Die katholische Kirche verhalte sich paradoxerweise neutral und verschließe sich dieser ,ewigen Wahrheit’, da sie zu naiv sei und Mitleid empfinde, ebd., S. 2– 3. Luciano Chitarrini, III Compagnia „Tigre“: Come concepite un’azione razziale nella R.S.I. vom 21. August 1944, S. 2– 3. Vgl. Araldo Forbicioni, Allievo Ufficiale III Compagnia „Tigre“: Un’azione razzista nella Repubblica Sociale Italiana, S. 7. So lehnte z. B. Giovanni Marconi von der IV. Kompanie einen biomorphologischen zugunsten eines spirituellen Rassismus ab, war aber gleichzeitig für die Ausscheidung der Juden und sprach sich für ein radikales Vorgehen aus, vgl. A. U. Giovanni Marconi, IV Compagnia: Come dovrà concepirsi e svilupparsi una possibile azione razzista in seno alla Repubblica Sociale Italiana, S. 3. Migliarini erinnerte sich an den nationalen Kongress der GUF im Jahre 1942 in Florenz, auf dem die „christliche Revolution“ für den Niedergang Roms verantwortlich gemacht wurde. Er war der Ansicht, dass es den Italienern zu Unrecht an Rassenstolz fehle. Diese Akzentuierung habe es auch in den letzten Kapiteln von Manacordas „La selva e il tempio“ gegeben. Demgegenüber betonte Migliarini, das Christentum sei römisch aus Tradition, da es von dort aus seinen weltweiten Siegeszug angetreten habe. Man müsse auf die universale Idee von Rom, wie sie Mussolini in der Kammer 1921 in Bezug auf Mommsen eingefordert hatte, zurückgreifen. Sie habe nichts mit dem halbfreimaurerischen und antiitalienischen Vatikan zu tun, sondernmit der universalen Idee, die sich zuerst in der Rasse äußere, vgl. Ermanno Migliarini (IV Compagnia): Come concepite un’azione razziale nella Repubblica Sociale, S. 1– 2. Hinter Aeneas stünde Christus und die „pietas“, ebd., S. 3. Ebd., S. 3.
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mismus verstecke sich ein radikaler Pessimismus. Dem nordischen Helden stellte er die römische Figur des frommen Aeneas gegenüber.¹⁷² Nach diesem Vorbild solle der „neue Mensch“ durch eine neue christlich-römische Aristokratie im Kampf gegen das vielgestaltige Weltjudentum entstehen.¹⁷³ Wieder andere plädierten für massive Säuberungen in der GNR von den „Verrätern des 8. September“, von Juden sowie Freimaurern, um aus der Guardia einen rassischen Orden wie die SS zu machen.¹⁷⁴ Das Ziel der Junggardisten, einen „neuen Menschen“, eine „arische italische republikanische“¹⁷⁵ Elite, die „Romani nuovi“ zu schaffen, blieb bis in die Sozialrepublik an den Mythos der Romanità gebunden.¹⁷⁶ Diese Ausführungen zeigen anhand der Tatsache, wie die Milizionäre ihren Rassismus intellektuell begründeten, die Wirkung des katholisch-spirituell-eugenischen Rassismuskonglomerats.
Ebd. Ermanno Migliarini (IV Compagnia): Come concepite un’azione razziale nella Repubblica Sociale, S. 4– 5. Nicola Guccione (I Compagnia): Tema di cultura politico-razziale, S. 2– 3. Araldo Forbicioni, Allievo Ufficiale III Compagnia „Tigre“: Un azione razzista nella Repubblica Sociale Italiana, S. 10. Leider hätten die „Degenerierten“ schon viele der besten Männer, die als „Capi“ für diese Aristokratie in Frage kämen, an erster Stelle Giovanni Gentile, eliminiert. Ebd., S. 11.
11 Fazit In der Institutionenanalyse von Karl-Siegbert Rehberg geht es um die besondere Bedeutung der Symbolisierung sozialer Ordnungen. Untersucht wird, wie „Leitideen“, als „Bündel von Orientierungsmustern“, sich gegenüber alternativen Sinnangeboten durchsetzen. Trägergruppen von „Leitideen“ kann man als „Mikroinstitutionen“ bezeichnen, die im faschistischen Herrschaftsgefüge um Geltung und Anerkennung der „Leitinstitution“– im vorliegenden Fall das faschistische Regime mit Mussolini im Zentrum – rangen. Dabei handelte es sich häufig um miteinander konkurrierende Intellektuellenzirkel, die sich um Zeitschriften formten. Eine solche Teilelite bildeten die faschistischen Katholiken, die im Umfeld der führenden Zeitschrift im katholischen Milieu „Il Frontespizio“ entstand. Diese Gruppe bestand aus humanistisch gebildeten Intellektuellen (wie Bargelini, Manacorda, oder Papini), die überwiegend aus Mittel- und Norditalien stammten. Beide Merkmale waren, nach Michael Mann, für die Anhängerschaft des italienischen Faschismus typisch. Die faschistischen Katholiken waren geringfügig älter als die faschistische Führungsebene, die die Generationseinheit von 1885 bis 1895 umfasste. Wie diese waren sie jedoch ganz überwiegend durch das Fronterlebnis des Ersten Weltkriegs geprägt. Nur zwei von ihnen (Carbonelli und Pennisi) gehörten hingegen einer neuen Generationseinheit an, die im Faschismus akkulturiert worden war. Mit Ausnahme Auro d’Albas gehörten sie nicht zu den Faschisten der ersten Stunde, denn ihre Gruppe entstand erst nach dem Ausgleich zwischen faschistischen Regime und dem Heiligen Stuhl in den Lateranverträgen 1929. Die faschistischen Katholiken konnten sich aus einem Ensemble von Gründen gegen ihre Konkurrenten durchsetzen und eine wichtige Rolle für das Mussolini-Regime spielen, weil sie in den 1930er Jahren eine Scharnierfunktion zum katholischen Milieu besaßen. Das gelang nicht zuletzt durch ihre spezifische Vorstellung des Imperos, in der christliche und faschistische Elemente miteinander verschmolzen, wie das in der Idee eines antibolschewistischen Kreuzzugs emblematisch zum Ausdruck kam. – Manacorda schrieb zum „Bolschewismus“ das faschistische Standardwerk, das schon in der kurzen Zeitspanne von Januar bis Mai 1940 drei Auflagen erreichte. Manacordas irriges, auf seiner Beschäftigung mit Richard Wagner resultierendes Verständnis des Nationalsozialismus, nach dem dieser eine Revolution darstelle, die genauso tief im deutschen Volk verankert sei wie die Reformation Luthers, beeinflusste Mussolini sowie andere Gerarchen wie den Minister für Volkskultur Alfieri und dessen Nachfolger Pavolini, Erziehungsminister Bottai sowie Außenminister Ciano erheblich. Dies gilt ebenso für ein weiteres Denkelement Manacordas, wonach sich das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien als zwei gegensätzliche und komplementäre Welten wechselseitig zu einer höheren und fruchtbaren Synthese miteinander verbänden. Mithilfe Hitlers sollte das Römische Reich als faschistisches Imperium neu entstehen, so die Hoffnung Manacordas, die das faschistische Regime https://doi.org/10.1515/9783110538991-011
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sich zu eigen machte. Daher kann Manacorda in doppelter Hinsicht als Wegbereiter des deutsch-italienischen Achsenbündnisses gelten: Als Emissär Mussolinis bei Hitler, mit dem er 1935 bis 1936 vier lange Gespräche führte, die das Achsenbündnis einleiteten, und als Deutschlandexperte des faschistischen Regimes, der das ewige Wesen des Germanesimo scheinbar erfasst hatte, war er maßgeblich an der fatalen Entscheidung des „Duce“ beteiligt, sich von den Westmächten ab und NS-Deutschland zuzuwenden. Darüber hinaus vertrat Manacorda in zahlreichen Missionen in ganz Westeuropa und Mitteleuropa, bei denen sich Politik, Propaganda und Informationsgewinnung miteinander vermischten, bei Intellektuellen, Politikern und Staatsmännern wirkungsvoll die Sache des faschistischen Italiens. Durch die Ablehnung des NS-Rassismus bei gleichzeitiger Verteidigung der italienischen Rassengesetzgebung erfüllten faschistische Katholiken mit Pennisi an der Spitze eine wichtige Funktion, wobei sich Manacorda in dieser Frage öffentlich eher zurückhielt. Die faschistisch-katholische Rassismus-Konzeption leistete der Diskriminierung und Verfolgung der italienischen Juden durch ihre moralisch-religiöse Entlastung der Rassengesetzgebung Vorschub, die jedoch in der Praxis ausschließlich nach rassenbiologischen Kriterien operierte, wie Michele Sarfatti zu Recht betont. Auch war das politische Handeln der faschistischen Katholiken keinesfalls moderat: Der faschistisch-katholisch inspirierte Bottai zeichnete sich im Bildungsbereich durch eine besonders schnelle und erbarmungslose Judenverfolgung aus. Weil Manacorda nicht nur das Achsenbündnis als Emissär anbahnte, sondern die faschistischen Katholiken auch das unpopuläre Bündnis mit dem „Dritten Reich“ popularisierten, waren sie wertvolle Apologeten und Unterstützer des Achsenbündnisses. Gleichzeitig trat der katholische Faschismus der NS-Ideologie auch durch das Konstrukt der Romanità entgegen und unterstützte auf diese Weise wirksam die faschistischen Geltungsansprüche in Bezug auf die Neuordnung Europas, die im Zeitfenster von Sommer 1940 bis Sommer 1942 so greifbar schien. Die faschistischen katholischen Intellektuellen warben auf europäischer Ebene für den Faschismus und waren wie im Falle von Manacorda, aber auch von Papini – auf dem Schriftstellerkongress im März 1941 in Weimar – politisch aktiv. Bottai propagierte es zum Unmut der Nationalsozialisten in Berlin. Die faschistischen Katholiken erwiesen sich als willige „Mikroinstiution“, die glaubhafte Synthetisierungen katholischer Denkelemente in die totalitäre Ideologie schuf. Stützen diese Ergebnisse die Hypothese Emilio Gentiles, wonach der Faschismus sein totalitäres Projekt gegenüber dem Katholizismus wesentlich erfolgreicher durchsetzte, als bislang angenommen? Die Antwort darauf muss differenzierter ausfallen. Der faschistische Katholizismus bzw. katholische Faschismus lieferte innerhalb der faschistischen Revolution einen kontinuierlichen, von der katholischen Kirche unabhängigen, weil substanziell eigenständigen Beitrag. Insofern stellt er durchaus eine Katholisierung des Faschismus dar, von der die Kirche jedoch nicht profitierte, weil seine Genese autonom innerhalb des Faschismus stattfand. Eher schwächte er die Kirche, weil er das klerikale Interpretationsmonopol bei der Definition religiöser Werte
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aufhob, etwa – wie gezeigt – durch die behauptete Vereinbarkeit von Rassismus und Nächstenliebe. Sich in irgendeiner Weise für die Juden oder auch für politische Verfolgte einzusetzen, lag aber nie im Sinn der faschistischen Katholiken, denen es – außer um die Durchsetzung ihres „Denkstils“ und ihrer „Leitideen“ – um die Stärkung ihrer Position als Teilelite innerhalb des Regimes und um die Realisierung ihrer Utopie ging. Benedetto Croce fragte im Mai 1941 öffentlich in der „Critica“ nach dem Verbleib des jüdischen Romanisten Victor Klemperer, der im Jahr 1914/15 als Lektor Manacordas an der Universität Neapel 1914/15 eng mit diesem zusammengearbeitet hatte. Klemperer war zu diesem Zeitpunkt in Dresden jederzeit von der Deportation ins KZ bedroht – Manacorda verschwendete daran nie einen Gedanken.¹ Das faschistische Regime profitierte stärker von den katholischen Faschisten als umgekehrt: Der besondere Wert des faschistisch-katholischen „Leitidee“ der Intellektuellengruppe um Guido Manacorda für das Regime Mussolini lag zweifellos in ihrer Funktion als „Rechtfertigungsdenker“ im Sinne von Karl Mannheim, weil sie das faschistische Machtgefüge nach Innen und Außen nachhaltig stabilisierten. Mannheim bedient sich dabei des von Alfred Weber stammenden berühmten Ausdrucks des „sozial freischwebenden Intellektuellen“, der als Aufklärer trotzdem für die Metternich’sche Reaktion Partei ergreift. Sein am Beispiel der deutschen Intellektuellen im Zeitalter der Romantik hergeleiteter historisch-soziologischer Erklärungsansatz lässt sich auf die faschistischen Katholiken bzw. katholischen Faschisten übertragen. Der „freischwebende faschistisch-katholische Intellektuelle“ suchte einerseits seine Karrierechance und seine Anerkennung durch das Regime, das ist der soziale Aspekt Mannheims, zugleich beeinflusste andererseits seine soziale Lage – und das ist der Kern des wissenssoziologischen Ansatzes – seinen „Denkstil“. Der Begriff des „Denkstils“ („Leitideen“ könnte man als die grundlegenden thetischen Elemente von „Denkstilen“ beschreiben) umfasst den plausibel gemachten Denkstandort einer konkreten sozialen Strömung. Zunächst zeigt sich, dass Karriereerwartungen als alleinigen Movens der faschistischen Katholiken wohl nicht ausschlaggebend gewesen sein können. Zwar gelang es ihnen teilweise, ihren sozialen Status und ihr Prestige zu erhöhen, aber das galt nur für diejenigen unter ihnen, die ohnehin bereits eine arrivierte Stellung innehatten. Viele Karrierehoffnungen der faschistischen Katholiken wurden hingegen ebenso enttäuscht (weder bekam Manacorda die ersehnte Mitgliedschaft in Accademia d’Italia verliehen, noch erhielten Bonatelli oder Pennisi einen Lehrstuhl). Mehr noch, teilweise wurden sie gar von der Geheimpolizei OVRA überwacht und bespitzelt (wie Carbonelli und Manacorda). Hier lohnt noch einmal der Blick auf Mannheim, der für die deutschen „Rechtfertigungsdenker“ im 19. Jahrhundert eine „soziologische und metaphysische Entfremdung und Vereinsamung“ für wesentlich hält.² Eine solche Verunsicherung ist beispielsweise bei den beiden katholisch-faschistischen In-
Vgl. C., A.: Un filosofo reticente. In: Critica fascista 19 (1941). S. 238. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 454– 455.
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tellektuellen Manacorda und Papini gerade zu greifbar, bevor sie sich an die zwei großen „Leitinstitutionen“ ihres Land, das faschistische Regime und die katholische Kirche, anlehnten, um gerade ihre Isolierung und gesellschaftliche Marginalisierung zu überwinden. Es ist gerade aufgrund dieser Motivlage davon auszugehen, dass die katholischen Faschisten Überzeugungstäter waren, die an die unwahrscheinliche Kopplung eines faschistischen Katholizismus bzw. einen katholischen Faschismus glaubten. Ob der italienische Faschismus eine „politische Religion“ gewesen ist, wie Emilio Gentile meint³, wurde in der Forschung bestritten. Er habe weder genug religiöse Substanz gehabt, noch sei er massenwirksam geworden, sagen die Gegner der These von Gentile.⁴ Könnte dann wenigstens der katholische Faschismus als eine solche „politische Religion“ betrachtet werden? In der vorliegenden wissenssoziologischen Analyse konnte die utopisch-mystische Erfahrung als grundlegend für den faschistisch-katholischen „Denkstil“ ausgemacht werden. Die Verschmelzung von religiösen und faschistischen Denken, die schon Renato Moro bei einzelnen Individuen für evident gehalten hat, kann hier tatsächlich für die kleine Gruppe der faschistischen Katholiken festgestellt werden. Somit bliebe die Frage nach der gesellschaftlichen Reichweite des katholischen Faschismus. Wiederum gibt hier Auro d’Alba eine Antwort: „Man hört die Leute murmeln, dass kaum jemand oder sogar keiner aus der obersten faschistischen Führungsebene streng katholisch sei. Auch wenn es so wäre, was nicht zutrifft, […] der wahre Faschismus schaut auf den Duce und kümmert sich nicht um seine Statthalter.“⁵ Halb aus Stolz, halb unfreiwillig resignativ, formulierte er: „Häufig hört man die Leute sagen: ‚Ihr seid nur ein paar Fanatiker‘.“⁶ Der selbsternannte „Barde der Schwarzhemden“ gibt also nolens volens die Isoliertheit und die Marginalität seiner Gruppe zu: Die faschistischen Katholiken bildeten allenfalls von ca. 1930 bis 1943 eine politische Sekte, die an das Impero als gottgewolltes irdisches Reich mit Mussolini als dem Mann der Vorsehung glaubten. Nach Mannheim wohnt dem mystischen Denken ohnehin die Tendenz inne, der Welt zu entsagen.⁷ Dies traf auf Manacorda und seine Gruppe zweifellos zu.⁸ Wenige Tage nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes schrieb Papini Manacorda:
Gentile: Le religioni della politica. Fra democrazie e totalitarismi. Vgl. Klinkhammer: Il fascismo italiano tra religione di stato e liturgia politica, S. 187. D’Alba: Tonici. In: Corriere Padano vom 12. Juli 1933, S. 1. Ders.: Bricciche di diaria. In: Il Giornale d’Italia vom 26. August 1941. S. 3 Mannheim: Das utopische Bewusstsein, S. 223. Im Mai 1946 las er Papini ein Kapitel seines Werkes „Delle Cose Supreme“ vor, das voller scholastischer Spitzfindigkeiten war. In sein Tagebuch schrieb Letzterer darüber: „In dieser ersten furchtbaren Phase des Atomzeitalters weiß ich nicht, ob ich einen Mann verurteilen oder bewundern soll, der nach dem Scheitern seines politischen Handelns, alles in dieses Weben von Abstraktionen setzt, die so weit von unserem heutigen Denken sind und so sehr den Spekulationen des Mittelalters des 17. Jahrhunderts ähneln.“ Vgl. Papini: Diario, S. 418.
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Wir haben mit unserem Einsatz für das Regime gehofft, Christus und seiner Kirche sowie Italien und seiner kulturellen Mission zu dienen.Vielleicht sind wir vom rechten Wege abgekommen […], aber sicher nicht aus Kalkül oder bösen Absichten.⁹
Konsequenterweise kehrten die ehemaligen faschistischen Katholiken nach dem Scheitern des Regimes in das katholische Milieu zurück, aus dem sie gekommen waren. Sie entsagten jetzt der Welt, schrieben religiöse Abhandlungen oder traten sogar – wie Manacorda und Papini – in Konvente ein. Es wäre dennoch grundlegend falsch, diese aus heutiger Sicht absurden Auslassungen des faschistisch-katholischen „Denkstils“ als geistige Verwirrungen abzutun. Denn den Faschismus zu begreifen, so der britisch-amerikanische Soziologe Michael Mann, bedeute auch zu verstehen, wie Menschen mit vermeintlich hohen Idealen nie gekannte Gräueltaten verüben konnten. Die ‚kompromisslosen‘ Faschisten müssen noch unter einer anderen, düsteren Hinsicht ernst genommen werden, nämlich als Vollstrecker großer Verbrechen. […] Das Vermögen, Böses zu tun, gehört zu den menschlichen Grundeigenschaften. Zu ihm gehört auch die Möglichkeit, Böses aus vermeintlich moralisch gebotenen Gründen zu tun. Zu dieser Art von Selbstbetrug neigten gerade die Faschisten.¹⁰
Die faschistischen Wertvorstellungen sollten daher ernst genommen werden, so Mann.¹¹ Diese Feststellung gilt in besonderer Weise für die faschistischen Katholiken, die das gewalttätige totalitäre faschistische Projekt als zeitgemäße Adaption der göttlich-inspirierten katholischen Moral- und Sittenlehre definierten. Manacorda und seinesgleichen führten Gewalttaten nicht selbst aus, aber sie legitimierten sie und sie hatten mit ihren Darlegungen im In- und Ausland, die in hohen Auflagen als Bücher, Druckschriften und als Artikel in den großen Tageszeitungen, darunter den Leitmedien „Frontespizio“ und „Corriere della Sera“ erschienen, eine große Leserschaft. Durch Vorträge in Kulturinstituten, bei der Ausbildung der Miliz und an Universitäten erreichten sie gebildete, durch Radioübertragungen und auf Massenkundgebungen breite Schichten. Wichtig ist auch ihr Anteil an der Kriegspropaganda. Zwar hatte der Einfluss der faschistischen Katholiken im Zweiten Weltkrieg seinen Höhepunkt sicherlich überschritten¹², trotzdem blieben faschistisch-katholische Denkelemente auch über den Zusammenbruch des Regimes im Juli 1943 hinaus aktuell. Selbst als das faschistisch-katholische Denkgebäude mit dem Untergang des Impero als ein geschlossenes Denksystem in sich zusammenfiel, überlebte der zugrundeliegende „Denkstil“ mit einzelnen, isolierten Denkelementen. Beispielsweise wurde die spe-
Giovanni Papini an Guido Manacorda, Brief vom 5. August 1943. In: AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Lettere di Papini. Mann: Der Faschismus und die Faschisten, S. 29. Ebd., S. 28. Für Bottais philokatholischen Kurs gab es Anfang 1942 immer weniger Spielraum, meint Renato Moro, vgl. Renato Moro, Carteggio Bottai-De Luca, S. CLV.
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zifische Kommunismus-Rezeption Manacordas eingekapselt in das neue „Leitideenbündel“ des republikanischen Faschismus transferiert.¹³ Zum einen wurden die faschistisch-katholischen Schriften zum Rassismus weiter rezipiert, zum anderen gab es persönliche Kontinuitäten zur Italienischen Sozialrepubulik von Salò. Maßgeblich verantwortlich für diese Vermittlung waren Auro d’Alba und dessen Sohn Sergio, die nun beide im Dienst der faschistisch-republikanischen Miliz standen. Im Abschlussbericht des rassepolitischen Kurses unter Major Sergio d’Alba an der Scuola Allievi Ufficiali della G.N.R. di Fontanellato hieß es, in sämtlichen Arbeiten des 400 Mann starken Bataillons sei eine spirituelle Aristokratie für nötig befunden worden.¹⁴ Rassenselektion, moralische und intellektuelle Auswahl hätten alle Gardisten gefordert. Diese jungen Leute seien „die Blume der Rasse, in der die wahre Aristokratie keime“, und die die Hoffnungen der Gefallenen erfüllen würden.¹⁵ Das taten sie. Die republikanische Garde beteiligte sich in Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern willig an den Deportationen der Juden.¹⁶ Sergio d’Albas Schulung, Auro d‘Albas Lieder und u. a. die Schriften von Manacorda, Papini, Pennisi etc. hatten sie indoktriniert. Bis Kriegsende verhafteten die RSI-Polizeieinheiten alleine fast 2.000 Juden und weitere 330 zusammen mit den Deutschen.¹⁷ Bezüglich der desaströsen Folgen ihres Engagements für das Gewaltregime Mussolinis blieben die faschistischen Katholiken bezeichnenderweise blind: So charakterisierte Manacorda, indem er die deutschen Rassisten beschrieb, unfreiwillig zugleich sich selbst und seine Strömung: Da gibt es nichts zu belächeln, denn es handelt sich nicht um Dilettanten oder zweitklassige Schriftsteller, sondern um Dichter, Denker, Künstler, Politiker und Wissenschaftler, um keine Komödie oder Farce, sondern um eine Tragödie.¹⁸
Sarfatti: Grundzüge und Ziele der Judengesetzgebung im faschistischen Italien (1938 – 1943), S. 438. Vgl. Auswertung der Kursarbeiten des Corso di Cultura, Politica, Razziale, S. 1– 2. Ebd. Levi: Die Verfolgung der italienischen Juden unter dem Faschismus, S. 170. Berger, Sara: Judenverfolgung und Kollaboration in der Republik von Salò. In: Gudrun Jäger/Liana Novelli-Glaab (Hrsg.): „… denn in Italien haben sich die Dinge anders abgespielt“. S. 175 – 197, hier S. 185. „Sie waren verantwortlich für die rechtliche Diskriminierung, die antijüdische Propaganda, den Raub jüdischen Eigentums, die Verhaftung und Internierung von Tausenden italienischer und ausländischer Juden in Provinzlagern und in Fossoli. Und sie ließen die Deportation Tausender italienischer Staatsbürger in die Vernichtungs- und Konzentrationslager zu.“ Ebd., S. 196. Vgl. Manacorda: La luce del nord, S. 289.
12 Dokumente: Dokument 1 Verzeichnis der Audienzen von Guido Manacorda, Giovanni Papini, Pasquale Pennisi, Paolo Bonatelli, Auro d‘Alba sowie Sergio d’Alba bei Benito Mussolini¹ Guido Manacorda . 28. November 1924 . 12. Dezember 1933 . 20. Mai 1935 . 21. Mai 1935 . 7. Oktober 1935 . 23. November 1935 . 24. November 1935 . 20. Dezember 1935 . 13. Januar 1936 . 30. Januar 1936 . 31. Januar 1936 . 13. März 1936 . 2. Mai 1936 . 1. Juni 1936 . 2. Juni 1936 . 11. Juli 1936 . 13. Juli 1936 . 1. Oktober 1936 . 2. Oktober 1936 . 3. Oktober 1936 . 15. Dezember 1936 . 16. Januar 1937 . 6. April 1937 . 11. Januar 1940 . 3. April 1942 . 9. November 1942 . 14. November 1942 . 5. Februar 1943 . 6. Juli 1943
Die Audienzlisten finden sich im Archivio Storico Diplomatico del Ministero degli Affari Esteri, Gabinetto di S. E. il Ministro e della Segreteria Generale Parte Prima 1923 – 1929, Pacco 41– 43 sowie im Archivio Centrale dello Stato (ACS) Rom, Segreteria particolare del Duce (SPD), Carteggio Ordinario, Udienze bzw. ACS, RSI, SPD. Der Verfasser dankt Lutz Klinkhammer für die Zusendung der obigen Auswertung. https://doi.org/10.1515/9783110538991-012
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. 13. Dezember 1943 . 22. Mai 1944 Giovanni Papini . 22. Dezember 1924 . 25. April 1928 . 15. Februar 1934 . 6. Mai 1936 . 1. Juni 1937 . 3. Dezember 1937 . 26. April1938 . 25. Januar 1939 . 8. April 1942 . 9. April 1942 Auro d’Alba 1. 15. Juli 1936 2. 20. April 1938 Pasquale Pennisi 6. März 1942 Sergio d’Alba 8. Dezember 1944 Paolo Bonatelli 20. Juni 1944²
Es konnte im Rahmen dieser Untersuchung weder geklärt werden, ob es sich hier tatsächlich um Paolo Bonatelli, den Direktor von Segni dei tempi, handelte, noch was Gegenstand der Unterredung gewesen sein könnte. Immerhin wäre es für Letzteren noch möglich gewesen – trotz der angespannten militärischen Lage – von Verona aus Mussolini im relativ nahen Gargnano überhaupt zu erreichen.
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Dokument 2 Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 22. Januar 1936 über sein 2. Gespräch mit Adolf Hitler am gleichen Tag „Eccellenza, Colloquio di circa un’ora col Fuhrer. Caratteristicamente „sachlich“. 1 – Graditissime le espressioni amichevoli dell’E.V. ricambiate con espressioni nette, aperte di amicizia e di ammirazione. L’allontanamento spirituale (die Entfremdung) dei mesi scorsi gli era stato profondamente penoso. 2 – Perfettamente d’accordo nel cammino parallelo che le affinità dei regimi, pur nelle loro imprescindibili differenze, imprimono alla storia politica dei due paesi. Affinità rafforzate e cammino imposto dal carattere „proletario“ delle due nazioni arrivate storicamente in ritardo alla ripartizione dei centri produttivi del mondo (mancanza o povertà di colonie), dall’„esperienza“ in anima vili compiuta con l’applicazione delle sanzioni, dal recente accordo militare franco-inglese. Sdegno verso le nazioni societarie e simpatia decisa per l’Italia, che sarà mantenuta „qualunquecosa avvenga“. Codesta simpatia sembra soprattutto suscitata – secondo l’espressione hitleriana – dal procedere „disonorevole“ di una massa di 52 Stati contro uno solo. Caratteristica – sempre a suo avviso – della mentalità massonico-giudaico-democratico-comunista. 3 – Questione austriaca. Non oppone in principio alcuna difficoltà a un patto austro-germanico di Nichteinmischung, ma lo crede impossibile con l’attuale Governo nettamente anti-nazista (discorso di Starhemberg). Non vede il problema austriaco in questo momento al primo piano. Sua politica è e sarà per lungo tempo una sola:“ich abstiniere“ me ne lavo le mani. 4 – Convinto della nostra decisione e della nostra preparazione tecnica e morale (quest’ultima sopratutto nel Capo e nel popolo) a condurre a fondo l’impresa abissina. 5 – Società delle Nazioni. Non intende in alcun modo farsi dettare dalla S.D.N. regole per il commercio germanico.Venderà e comprerà quanto potrà e vorrà, esistano o no sanzioni contro chi che sia. È uscito deliberatamente, meditatamente dal consesso ginevrino, e non vi rientrerà né ora né mai. („Nie“ ripetuto tre volte). È persuaso che né dal quel consesso, né da alcun stato capitalista riotterrà mai le Colonie. 6 – Dimostra assoluta fiducia nell’armamento germanico ormai vicino alla compiutezza. Le forze russe le ritiene ingenti ma moralmente poco solide. 7 – Fattogli osservare alcuni punti di articoli della stampa tedesca assai poco simpatici verso la nostra impresa e sulla nostra consistenza morale, ha deplorato certe correnti anti-fasciste e, insieme anti-naziste, che tuttora esistono in Germania, e che si propone di eliminare intensificando sorveglianza. Ha fatto e farà scrivere favorevolmente all’Italia nei giornali del Partito o più vicini al Partito.
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8 –Ha dichiarato di gradire molto questi contatti personali aperti, „extra e super diplomatici“ (ausser und uber diplomatische). E li rinnoverà sempre con piacere. 9 – Molto graditi il dono di D’Annunzio e il mio volume sulle Madonne del Quattrocento. Quali abbiano ad essere le deliberazioni che l’E.V. riterrà di prendere nell’interesse supremo del Paese e quali siano le riserve che dal punto di vista religioso ho sempre fatto e faccio al Nazionalsocialismo, debbo dichiarare che le dichiarazioni aperte, decise del Fuhrer di fronte alle ambagi ginevrine e parigine (trattative La Rocque) mi hanno fatto l’effetto di aria di montagna respirata dopo una dimora in padule. Debbo un vivo particolare ringraziamento all’Ambasciatore Attolico per essermi stato nobilmente amichevolmente vicino in questa intensa settimana berlinese. Presi parecchi altri contatti minori, di cui mi onorerò riferire a voce all’E.V. e così di altri particolari del colloquio col Fuhrer. Arriverò a Roma la notte su Mercoledì 29 c., a disposizione dell’E.V. Con profonda devozione.“ AdN della Sapienza, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre, Sottofasc. Colloquio Mussolini, gennaio 1936, Relazione XII. Dokument 3 Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 15. Mai 1936 über sein 3. Gespräch mit Adolf Hitler am gleichen Tag sowie ein weiterer undatierter Bericht darüber Berlino, il 15 maggio 1936 XIV Eccellenza, colloquio con il Fuehrer. Circa un’ora e mezzo. Cordialissimo. Aspetto molto florido. Conversazione quasi esclusivamente rivolta al problema politico-religioso. Avendo io dichiarato, secondo le istruzioni E.V., di non avere alcuna domanda da rivolgergli nel campo politico, ho raccolto seguenti sue notevoli dichiarazioni; 1° – Riconosce nettamente la similarità e la solidarietà dei due regimi. Sa che „piegato il fascismo verrebbe inesorabilmente la rivolta del Nazional Socialismo“. 2° – Conseguentemente: nella ricostruzione Europea prossima o lontana, non farà mai proposta e non prenderà mai risoluzione „né con esclusione né contro“ il fattore Italiano. Questo in relazione con i tentativi inglesi per una triplice Inghilterra-FranciaGermania, da integrare eventualmente con la Russia. 3° – la Russia comunista rimane il suo inesorabile odio. „Bolscevismo vale giudaismo“; impossibile l’intesa. 4°- Sono a conoscenza del Fuehrer giudizi ostilissimi del Ministro Eden tanto sulla sua persona quanto sul Regime nazista. Ritiene tuttavia dovere trattare l’Inghilterra con qualche riguardo, data speciale posizione politica del Reich e complessa gravità attuale crisi Europea. Detta posizione germanica risponderebbe, a suo avviso, a quella
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tenuta dall’Italia verso la Francia fino all’ultima riunione ginevrina. Né intende andare oltre. 5°- Non tarderà molto „il suo pieno riconoscimento dell’annessione etiopica e del nuovo Impero Italiano. I fatti valgono più delle parole“. La finzione societaria, che l’Impero Etiopico esista tutt’ora gli sembra „ridicola“ (lächerlich). 6°- Ringrazia vivamente dei saluti cordiali trasmessi per mio mezzo all’E.V. e li ricambia insieme con la più profonda ammirazione per la nostra meritata vittoria. Essa dimostra veramente che „la fede muove le montagne“. Le frasi tra virgolette sono state da me registrate in presenza del Fuhrer durante il colloquio. Con profonda devozione. P.S. mi onorerò riferire a parte sul problema politico-religioso. Relazione III. Carteggio politico-religioso 1936. 1° semestre Problema religioso-germanico (Colloquio col Fuehrer, 15 maggio ’36) Il Fuehrer dichiara risultargli inequivocabilmente: IV.
che la maggior parte del Clero, Vescovi compresi, ha ancora una mentalità centrista e lavora per la restaurazione dello stesso Centro. V. che molti sacerdoti simpatizzanti per il Nazional Socialismo sono stati impediti di predicare e di esercitare il loro Ministero in accordo con le leggi e con le vedute del Regime. VI. che nella Renania i cattolici hanno stretto un patto con i comunisti VII. che nella compilazione di alcune liste di insegnanti, che, secondo il Concordato, dovevano essere sottoposte alla sua approvazione, è stata inserita una grande maggioranza Centrista. Il che ha recato a Lui dolore e a Rosenberg gioia. Ritiene pertanto che ad una cordiale e durevole intesa con la Santa Sede occorra che l’Episcopato Germanico: 1. Riconosca il Nazionalsocialismo come fatto politico „irrevocabile“ (unwiderruflich) e insieme la dottrina „nazionalista“ come legittima. 2. dichiari nettamente per sé e per i suoi dipendenti la lealtà assoluta verso l’attuale Regime. Su di che il Fuehrer si richiama all’esempio italiano. 3. non combatta più le leggi razziste, le quali, a suo avviso non solo non danneggiano, ma favoriscono il Cattolicesimo. La mistura infatti dei matrimoni ariano-giudaici, se pure a suo avviso, non costituisca come sostiene Rosenberg un vero e proprio „peccato“, porta tuttavia inesorabilmente a un decadimento della razza. Questo dimostrerebbero insieme scienza, esperienza e rigorosa statistica. Il Fuehrer è convinto che nel futuro la Chiesa riconoscerà le leggi razziste, a quel modo che oggi riconosce il sistema copernicano.
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Egli preferirebbe una dichiarazione dell’Episcopato germanico ad una del Vaticano stesso, in quanto giudica i vescovi tedeschi ossequienti alle direttive che loro provengono da Roma, soltanto se corrispondono alle loro vedute personali. A testimonianza della sua avversione contro il fanatismo neopagano, il Fuehrer mi ha comunicato la sua recentissima proibizione della rivista di Ludendorff. E ha dichiarato la sua fede nella vitalità e nel rigoglio delle due Confessioni Cristiane esistenti attualmente in Germania. Quale documento da me raccolto e presentatogli a prova della grave propaganda pagana nelle associazioni e negli accampamenti nazionalsocialisti, specie giovanili, è stato da lui dichiarato non degno di fede e manOVRA provocatoria dei Centristi. Dichiara che la sua ferma intenzione di chiudere con una amnistia generale i penosi processi per le divise è stata frustrata dalla scoperta del complotto renano cattolico-comunista. Rimane tutta via sua intenzione di tagliar corto al più presto. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1° Semestre Mussolini, Colloquio 2 maggio 1936, IVbis Dokument 4 Guido Manacorda an Benito Mussolini, Bericht vom 20. März 1937 über sein 4. Gespräch mit Adolf Hitler sowie Gespräche mit Goebbels, Hans Frank und Rosenberg am 11. März 1937 Colloquio FÜHRER – 50 minuti; cordialissimo. Secondo Suo espresso desiderio, da solo a solo: I – Progetto Oltramare. Esaminerà con interesse e farà conoscere Suo giudizio su memoriale tedesco da me presentato. Disposto ricevere O. in secondo tempo. Führer ritiene degno considerazione e appoggio, ogni sforzo tendente a creare contrappeso (Gleichgewicht) a S. D. N. Opina tuttavia fin da ora non doversi contare su alcun efficace concorso Austria Ungheria. Secondo dichiarazioni Capi Governo detti paesi da Lui espressamente interrogati, essi non oseranno mai staccarsi da Ginevra. Germania invece, in qualunque momento e modo Italia decida abbandonare S.D.N., dichiarerà ufficialmente sua definitiva rottura Società stessa senza più possibilità ritorni. Führer ritiene che Inghilterra non perdonerà mai a Italia fondazione Impero, né a Germania suo contegno durante sanzioni. E che convenga pertanto agire in conseguenza. Nessun cenno né a problema coloniale né a questione austriaca. 2 – Problema religioso. Cancelliere ne appare preoccupato e fortemente desideroso risolverlo. Disposto che concessioni e forte freno propaganda neopagana. Tra l’altro modus vivendi circa problema sterilizzazione, secondo assicurazioni già date a Card. Faulhaber. Essendomi messo Sua disposizione per tentar di chiarire, limiti mio potere, situazione addirittura senza uscita, accoglie offerta con vivissima compiacenza; sottolineando necessità trattative immediate e segrete. Voglia E.V. prendere in particolare considerazione finale questa mia relazione.
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3 – Problemi minori. Mostrasi fortemente disposto appoggiare incremento turistico e studiare modo sempre migliore intensificazione scambio prodotti due paesi, integrando reciproche deficienze ovunque sia possibile. Su di che prega per mio mezzo, nostro Ambasciatore formulare proposte concrete. (Già in corso) Colloquio Goebbels – Cordialissimo. Solo venti minuti, per essere stato immediatamente seguito da udienza Fuhrer. Troncato pertanto nel momento stesso in cui cominciava contatto più interessante. Nuovo colloquio di un’ora cortesemente fissato per tre giorni dopo, non ha potuto essere mantenuto per impegni sopraggiunti al Ministro. Colloquio Frank – Cordialissimo. Oltre due ore. Esclusivamente problema religioso. Mostrasi desiderosissimo portare contributo a sua soluzione, anche con sua visita personale a Card. Pacelli (A mio avviso difficilmente sarebbe ricevuto). Colloquio Rosenberg – Cordialissimo. Mezz’ora. Per quanto meno transigente del Fuhrer, mostrasi anch’egli desideroso soluzione stesso problema. Problema religioso – oggi, indubbiamente, al primo piano politica interna germanica. Suo studio accurato su documenti fornitimi da due parti in causa e su indagini personali sul luogo (oltre i sopraricordati colloqui col Nunzio, coi nostri Rappresentanti diplomatici, con parecchie persone private di ogni grado) portami seguenti conclusioni: 1 – È stato grave errore da parte germanica fissazione concordato (sempre rinviato dallo stesso Brüning!) in momento in cui rivoluzione trovavasi ancora in stato fluido e sotto condizioni inaccettabili da qualsiasi stato moderno (Nei paesi cattolici, solo scuole confessionali). 2 – Errore aggravato da sfrenata propaganda neopagana ad opera di scienziati e pseudo-scienziati – non troppo ben visti dal Fuhrer – e da gravi pressioni e atti offensivi contro il culto, soprattutto da parte di Unterführer. 3 – Doloroso che Vaticano si stringa inesorabilmente a lettera d’un Concordato non felice, ormai non solo violato, ma addirittura annientato. Conseguenza: irrigidimento di pochi in sete di martirio; defezioni da parte di stragrande maggioranza (specie gioventù) famiglie spiritualmente dilaniate. 4 – Dopo lungo periodo, in cui offensiva anticristiana e anticattolica da parte di molti elementi rappresentativi del Regime è stata effettivamente radicale, oggi offensiva stessa, pure tra postumi incresciosi ed evitabili da parte governativa, sembra passata ad autorità cattolica. 5 – Crociata settimanalmente bandita da pergami cattolici, può produrre da istante all’altro, reazione di elementi irresponsabili, e spargimento sangue con conseguenze politiche per Germania incalcolabili, e di riflesso per Italia assai spiacevoli. Di qui, sembrami, urgenza provvedere. Gradirei vivamente sottoporre E.V. mio piano in proposito già sommariamente esposto e caldamente approvato da Führer. Detto piano, con autorizzazione stesso Führer e autorità vaticane sarà da me personalmente presentato a Pontefice.
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Gratamente doveroso ringraziare S. E. Ciano, S. E. Attolico, Consigliere Magistrati e Segretario D’Ajeta per modo alto, cordiale, egualmente dignitoso e fecondo per due Paesi, come fu organizzata mia conferenza presso Hochschule f. Politik e in tutto agevolata mia missione. Secondo direttive E.V. prenderò nuovi accordi con S. E. Ministro per conferenza e missione Svizzera, Belgio, Olanda, disegnata per seconda metà aprile. Sto seguendo massima attenzione situazione detti paesi. Dopo tre mesi silenzio Doriot riprende contatto. Mi onorerò riferire, appena raggiunti risultati concreti. Seguito viaggio africano con profonda, indicibile ammirazione. [Unterstreichungen im Orig] AdN della Sapienza Rom. Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico I, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 6 aprile 1937, XXIV. Dokument 5 Guido Manacorda an Benito Mussolini, Brief vom 11. April 1937, über sein Gespräch mit Papst Pius XI am 9. April und mit Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli am gleichen Tag Firenze 11 aprile 1937 XV. Eccellenza […] II – Colloquio Pontefice. Mezz’ora. Aspetto sofferente; spirito lucidissimo. Egli prende atto con ‛molta considerazione‛ ma con ‛scarsa fiducia‛ di personale messaggio Fuhrer da me riferitoGli. Mostrasi amareggiatissimo incomprensione hitleriana circa apporto decisivo che cattolici soddisfatti porterebbero nella lotta antisovietica. Suo unico atteggiamento dopo l’Enciclica, rimane l’‛attesa‛. Egli è e sarà sempre disposto non solo ad ‛ascoltare‛ ma anche a ‛trattare‛. Mia proposta di Enciclica contro Massoneria – che avrebbe a mio avviso triplice forte effetto su autorità religiose e civili paesi democratici, su animo Führer e su certi nostri settori – è favorevolmente accolta. Pontefice dichiara avere già materiale in proposito. Dubita soltanto che non lo reggano le forze. Amareggiatissima situazione generale europea segnalami frequenti lettere minatorie da parte di comunisti contro Sua stessa Persona. III – Colloquio Card. Pacelli. Un’ora. Schermaglia serrata. Ripetutamente invitato sottoporre Concordato Vaticano-Germania a severa critica esterna e interna. Espongo inoltre minutamente piano ricostruttivo già esposto per sommi capi a E.V. e da E.V. approvato. Sembrami che Card. vada lentamente persuadendosi. Mia netta esclusione che Concordato possa più tornare in vita, è accolta senza reazione. Card. ripete essere vaticano sempre disposto a trattare e richiamo ‛pace‛ trovarsi in radice suo stesso nome. Sembrami impressionato da possibilità, che io gli espongo, di reazioni violente, forse sanguinose, da parte di elementi irresponsabili in caso che continuino violenti attacchi da pergami che d’altronde nessun Stato facilmente tollererebbe.
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Proposta Enciclica antimassonica favorevolmente accolta. IV – Situazione religiosa. Ambienti vaticani non nascondono apprensione circa possibile breve durata miglioramento salute Pontefice. Rimane quindi dolorosamente aperto problema successione. Sicura esperienza confermata ancora una volta da atteggiamento sabotatore di elezione Degrelle da parte di intero episcopato belga con a capo Card. Van Roey permettemi rilevare irriducibile antifascismo, sorretto da mentalità illuministico-massonica, di quasi totalità cardinali stranieri; forse anche di alcuni cardinali italiani di Curia. In vista crisi possibile da momento all’altro, amerei sottoporre E.V. alcune proposte circa raccolta forze Sacro Collegio amiche Fascismo. AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Fasc. Carteggio politico 1937, 1° Semestre, A–H, Sottofasc. Mussolini, Colloquio 16 gennaio 1937, XXIII. Dokument 6 Guido Manacorda an Adolf Hitler, persönlicher Brief vom 14. April 1937 „Exzellenz! Den 9. d. M. habe ich die Ehre gehabt vom Heiligen Vater empfangen zu werden. Von Ew. Exz. in so entgegenkommender Art autorisiert, habe ich mir erlaubt, Ihm über den Inhalt der mir von Ew. Exz. den vergangenen 10. März gewährten Audienz genau zu berichten. Aus der ernsten ersichtlich von wehmütiger Bitterkeit durchdrungenen Rede des Heiligen Vaters scheinen mir, von jeder Einzelheit abgesehen, diese folgenden Äusserungen hauptsächlich wert betont zu werden. Der Heilige Vater bleibt nach seiner Enzyklika in Erwartung irgendeines konkreten Vorschlages von der Seite entweder Ew. Exz. oder der Reichsregierung. Er ist und er wird immer bereit sein, „nicht nur zu hören, sondern auch zu handeln“. Was das Vergangene betrifft, ist Er wohl überzeugt, alle Mittel gebraucht zu haben, um die harte gegenwärtige Krisis zur rechten Zeit zu vermeiden. Von dieser Richtlinie wird Er sich gewiss auch in der Zukunft nicht entfernen. Zuletzt hebt Er nochmals ausdrücklich hervor, das der Katholicismus [sic] als die höchste Kraft zu betrachten ist, die aus inneren unwiderruflichen Gründen gegen den Bolschewismus kämpft und immerfort kämpfen wird. Was Er eben nochmals in seiner letzten Enzyklika vor der ganzen Welt unbestreitbar bewiesen hat. Zwei Tage nachher hatte ich die Ehre gehabt auch, vom Staatssekretär Kard. Pacelli empfangen zu werden. Von ihm nachdrücklich ersucht, habe ich mir erlaubt, das von ihm selbst grossenteils durchgearbeitete und unterzeichnete Konkordat einer scharfen Kritik zu unterziehen. Selbstverständlich hat Er sein eigenes Werk mit ausgezeichneter Gewandtheit verteidigt. Trotzdem hat er sich für bereit erklärt, jeden Ausgang aus der heutigen Lage sorgfältig zu studieren, der die unantastbaren Rechte des christlichen Glaubens respektieren wird. Dazu hat er auch mich darauf aufmerksam gemacht, dass Friede (Pace) sich in Wurzel selbst seines Namens (Pace-lli)
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findet [sic]. Zwar als ich ein paar Mal betont habe [sic], dass jede Verhandlung auf der Basis der strengen Bewahrung des alten Konkordats zwecklos wäre, hat er meine Behauptung bloss mit einem nachdenklichen Stillschweigen unterstrichen. Aber von dem ganzen [Ver]Lauf unseres Gesprächs habe ich den Eindruck davon getragen, dass Er wahrscheinlich kaum eine andere Meinung in seinem Inneren hegt. All dieses zu Kenntnis Ew. Exz. gebührend gebracht, wäre ich der Meinung, dass eben jetzt die hohe Zeit gekommen ist, um mit aller Vorsicht aber ohne Verzögerung zu dem Programm zu greifen, das ich die Ehre hatte Ew. Exz. in Berlin darzulegen, ein Programm, das der Duce recht günstig und Kard. Pacelli selbst, wenn ich seine vorsichtigen Ausdrücke richtig interpretiere, nicht übel betrachten würde. Es würde also sich zunächst um eine persönliche ausserdiplomatische streng geheime Sondierung der beiden Teile handeln, die wenigstens zu einer Art wechselseitigen Waffenstillstandes sofort führen sollte. Nämlich, zu einer wechselseitigen Einstellung der Polemiken, Predigten, Press- bzw. Kanzelangriffe, Prozesse usw. Kaum eine gewisse Ruhe beider Milieus wiederhergestellt [sic], sollten wirkliche, wenn auch immer nur streng geheime Verhandlungen folgen, die in ein neues, geistig gerechtes, praktisch ausführbares, den beiden Teilen vorteilhaftes, streng zu beachtendes Konkordat ausmünden sollte. Wenn Ew. Exz. die Güte haben möchte, an mich darüber nur einen kleinen Wink grundsätzlicher Zustimmung gelangen zu lassen [sic], wäre ich als Katholik und deutschfreundlich nur zu stolz, meinen bescheidenen Beitrag beiden hohen Teilen darzubieten. Wenn Ew. Exz. nichts dagegen hätten, könnte Ew. Exz. durch denselben hohen Vermittler, der die grosse Liebenswürdigkeit hat, diesen meinen Brief Ew.Exz. auszuhändigen, Ihre hochverehrte Antwort zu meinen Händen kommen lassen. In tiefer Ergebenheit G. Manacorda„ AdN della Sapienza Rom, Fondo Manacorda, Carteggio politico 1936, 1˚ Semestre, Sottofasc. Hitler, auf Italienisch abgedruckt in: DDI Ottava Serie 1935 – 1939, Bd. VI, 1. Januar bis 30. Juni 1937, Rom 1997, Dok. 482, S. 603 – 604.
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Archivio Contemporaneo ,Alessandro Bonsanti‘, Gabinetto G. P. Vieusseux„(ACGV), Florenz Fondo Domenico Giuliotti Fondo Clotilde Marghieri Fondo Adolfo Orvieto Fondo Mario Puccini Fondo Viviani della Robbia
Archivio del Novecento presso la Sapienza Università di Roma Fondo Guido Manacorda Fondo Gherardo Marone
Archivio di Stato (AS) di Verona Fondo Archivio della Società letteraria, Busta 137/01 Fondo Prefettura
Archivio Primo Conti (APC), Fiesole Fondo Archivio Primo Conti Fondo Archivio Giovanni Papini Fondo Corrado Pavolini (CP)
https://doi.org/10.1515/9783110538991-013
Gedruckte Quellen
Archivio Segreto Vaticano (ASV), Vatikanstadt Affari Ecclesiastici Straordinari (AES), Francia Prefettura Casa Pontificia Segreteria di stato Stati Ecclesiastici
Biblioteca nazionale centrale, Florenz Archivio Vedovato
Bundesarchiv Abteilungen Berlin und Koblenz BA Berlin, Bestand Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda R55/96 BA Koblenz, Bestand Hauptamtes Wissenschaft NS 8 241; Bestand Europäischer Schriftstellerverband R 56 I
Fondazione Ugo Spirito, Rom Fondo Camillo Pellizzi
Fondazione Istituto Stensen, Florenz Fondo Manacorda
Privatarchiv von Hassell Nachlass Ulrich von Hassell
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin (PAAA) Bestand Rom-Quirinal Bestand Pol. Abt. III, PO 2
Gedruckte Quellen Albrecht, Dieter (Bearb.): Der Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der deutschen Reichsregierung. Bd. 1. Mainz 1965 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP). Serie C: 1933 – 1937. Göttingen 1971 – 1981 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP).Serie D: 1937 – 1941. Baden-Baden 1950 – 1970 Documenti Diplomatici Italiani (DDI). Settima Serie: 1922 – 1935. Roma 1953 – 1990
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13 Quellen- und Literaturverzeichnis
Documenti Diplomatici Italiani (DDI). Ottava Serie: 1935 – 1939. Roma 1953 – 2003 Documenti Diplomatici Italiani (DDI). Nona Serie: 1939 – 1943. Roma 1954 – 1990 Documenti Diplomatici Italiani (DDI). Decima Serie: Roma 1992 – 2000 Il Frontespizio 1929 – 1938. Antologia. Hrsg. von Luigi Fallacara. Rom 1961 Gruber, Hubert: Katholische Kirche und Nationalsozialismus 1930 – 1945. Ein Bericht in Quellen. Paderborn u. a. 2006, Nr. 176, S. 375 – 377 Ludwig Volk (Bearb.): Akten Kardinal Michael von Faulhaber 1917 – 1945, (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, A 26), Bd. 2: 1935 – 1945
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Periodika
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Zeitzeugengespräche Gespräch des Verfassers mit Renato Moro am 16. Oktober 2008 Gespräch des Verfassers mit Gennaro Sasso vom 9. Dezember 2008
Periodika Der Angriff Atesia Augusta Augustea. Rivista Imperiale del nostro tempo Berliner Tageblatt Civiltà cattolica Civiltà fascista Corriere adriatico Corriere della Sera Corriere Padano La Cultura Deutsches Dante-Jahrbuch La Difesa della razza Dottrina fascista Europäische Revue Il Frontespizio Gerarchia Germania Il Giornale d’Italia Illustrazione Italiana Italia e Civiltà Das Kunstblatt Il Marzocco Il Mattino Il Messaggero Il Mondo Europeo La Nazione
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13 Quellen- und Literaturverzeichnis
Neues Wiener Tagblatt Nuova Antologia Il Nuovo Giornale L’Osservatore politico letterario Il Primato Rassegna Romana Residentiebode La Revue des Ambassades Rheinisch-Westfälische Zeitung Rivista di letteratura Rivista di Studi politici internazionali Romanische Forschungen Segni dei tempi Studi Germanici Studi di filologia moderna Le Vie d’Italia La Vita italiana La Voce Völkischer Beobachter Westdeutscher Beobachter
Primärliteratur Akademie der Künste: Ausstellung italienischer Kunst von 1800 bis zur Gegenwart (November– Dezember 1937).Berlin o. J. [1937] Barbera, Mario: Mito razzista anticristiano, in. Civiltà cattolica 1 (1934). S. 238 – 249 Piero Bargellini: Il pastore angelico, Florenz 1948 Ders.: Ritratto virile. 3. Aufl. Brescia 1940 Ders.: Impero. In: Il Frontespizio 5 (1936). S. 1 – 2 Ders.: Bernardino der Rufer von Siena. Ein kulturgeschichtliches Bild aus dem 15. Jahrhundert (Übertragung von Lili Sertorius). Freiburg i. Br. 1937 Ders.: Papini sulla cattedra del Carducci. In: Il Frontespizio 10 (1936). S. 3 – 5 Bayer, Franz Joseph: Dantes Göttliche Komödie. München 1938 Bendiscioli, Mario: Neopaganismo razzista. 3. Aufl. Brescia 1945 Ders.: Nazism versus Christianity. London 1939 Ders.: Germania religiosa del terzo Reich. Conflitti religiosi e culturali nella Germania nazista. Brescia 1936 Benuzzi, Felice: Teutones. In: Il Frontespizio 6 (1933). S. 16 – 17 Bertoni, Renzo: Il trionfo del Fascismo nell’U.R.S.S. Roma 1934 Bloy, Leon: Das Heil durch die Juden. Jeanne D′Arc und Deutschland. Zwei Schriften. Hrsg. von Peter Weiß. Wien 2002 Bonatelli, Paolo: Commemorazione di Arnaldo Mussolini (Discorso alla G.I.L. e al G.U.F. di Verona nel Dicembre 1941 – XX). In: ders.: Orientamenti. Fidenza (Parma) 1942. S. 365 – 374 Ders.: Il Fascismo nell’ora attuale (21 Aprile, Natale di Roma – Inizio dei Corsi di Preperazione Politica degli studenti del G.U.F. a Verona nel 1940). In: Ders.: Orientamenti. Fidenza (Parma) 1942. S. 299 – 310 Ders.: Lineamenti d’educazione e di storia della educazione femminile. Verona 1942 Bonatelli, Paolo: La Questione della Razza (Discorso alle Donne Fasciste di Verona). In: Ders.: Orientamenti, Fidenza (Parma) 1942. S. 347 – 364
Primärliteratur
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Verzeichnis der Abkürzungen AA APC ACGV ACS ADAP AdN AES AS ASV BA CO DDI KJMVD Minculpop OSARN OVRA PAAA PCM PPF PSF QFIAB RSI SPD UCAD
Auswärtiges Amt Archivio Primo Conti Archivio Contemporaneo ,Alessandro Bonsanti‘, Gabinetto G. P. Vieusseux„ Archivio Centrale dello Stato Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik Archivio del Novecento Affari Ecclesiastici Straordinari Archivio di Stato Archivio Segreto Vaticano Bundesarchiv Carteggi ordinari Documenti Diplomatici Italiani Katholische Jungmännervereine Deuschlands Ministero della Cultura Popolare Organisation secrète d’action révolutionnaire nationale Opera Vigilanza Repressione Antifascista Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Presidenza del Consiglio dei Ministri Parti Populaire Français Parti Social Français Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Repubblica Sociale Italiana Segretaria particolare del Duce Union des comités d’action defensive
Namensregister Abetz, Otto 196 Acito, Alfredo 224 Alfieri, Dino 1 f., 166, 168 f., 172, 176, 182, 186 f., 227, 319, 325, 328, 376 Amendola, Giovanni 60, 68 Amicucci, Ermanno 245, 248 f. Anfuso, Filippo 121 f. Angelini, Cesare 69 Angelini, Domenico 202 Antonescu, Ion 223 Attolico, Bernardo 10, 81, 125, 133 – 135, 138, 140, 143, 150, 152, 164, 166, 168 – 170, 173, 176 – 178, 181 f., 188, 195, 202, 218, 265, 271 f., 341, 385, 389
Borsani, Carlo 249 Bottai, Giuseppe 1 f., 4 f., 7, 20, 58, 60, 68, 71, 73, 76, 78 f., 85 – 87, 92, 96, 100, 105 – 107, 109, 154, 160, 167, 185, 187, 204 f., 217 – 224, 228 – 239, 241, 260 – 262, 265, 268 f., 271 f., 278 f., 282, 303, 325, 327, 330, 334 – 336, 340 f., 343, 348 f., 354, 362, 368, 371, 376 f., 380 Brancati, Vitaliano 263, 280 Brignone, Ettore 241 Brüning, Heinrich 155, 197, 321, 388 Buffarini Guidi, Guido 232, 252, 265 f. Buonaiuti, Ernesto 57, 84 Buzzichini, Mario 240
Badoglio, Pietro 135, 241 – 245, 251, 275 Balbo, Cesare 74 Bargellini, Piero 4, 6, 66, 70 – 73, 75, 78, 83 – 88, 98, 103 f., 106, 109, 116, 224, 254, 261, 264, 277, 279, 281, 283, 299 f., 318, 345, 354, 358 Barrera, Antonio 169, 282 Batault, Georges 206 Bemporad, Enrico 240 Bemporad, Gabriela 81 Bendiscioli, Mario 84, 308 f., 314 Benedikt XVI. – , Joseph Ratzinger 110 Benjamin, Walter 19, 50, 262, 282 Benn, Gottfried 166 Benuzzi, Felice 309 Bergen, Diego von 292, 307 Bergmann, Ernst 148 Bergson, Henri 18, 29, 35, 42, 50, 190, 192, 201 Betocchi, Carlo 66, 70 f., 73, 85 Biggini, Carlo Alberto 244, 247 f. Bloy, Léon 83, 346 Blum, Léon 189, 199, 239, 275, 381 Bo, Carlo 58, 71, 76, 309 Bocchini, Arturo 107, 140 Boccioni, Umberto 167 f., 171, 174, 176 Bodrero, Emilio 278 Bonatelli, Paolo 6, 78 f., 95 f., 98, 100 f., 103, 106, 110, 217, 241, 264, 279, 287, 291, 293, 299 f., 302, 354, 358 – 360, 378, 382 f. Borchardt, Rudolf 3, 267 Borelli, Aldo 118, 179, 238, 330, 336, 345 Borgese, Giuseppe Antonio 33, 52, 57, 80, 261
Cajumi, Arrigo 117 – 119, 347 Canaletti Gaudenti, Alberto 97, 110 Cantalupo, Roberto 278 Carbonelli, Riccardo 6, 77 f., 94 f., 98 f., 103, 105 f., 110, 116, 204, 223, 264, 277 – 280, 287, 293, 295, 343, 345, 349, 352, 364, 376, 378 Carducci, Giosuè 89, 276 f., 348 Carli, Guido 237 Carlini, Armando 59 Carossa, Hans 224 f., 227, 229, 309 Carrà, Carlo 57, 73, 168, 175 Casini, Gherardo 60 Caviglia, Enrico 47 Chabod, Federico 237 Chamberlain, Arthur Neville 182, 205, 208 – 210 Ciampini, Raffaele 132 Ciano, Galeazzo 1 f., 4, 7, 123, 136, 152, 158, 161 – 164, 171 f., 176, 178, 180, 183, 186 f., 193 f., 204, 207, 218 – 220, 254, 265, 271, 278, 327, 330, 376, 389 Ciarlantini, Franco 68 f., 261 Cogni, Giulio 229, 345 Cojazzi, Antonio 56 Conti, Primo 6, 10, 277, 392, 418 Coppola, Goffredo 59 f., 249 Corradini, Enrico 52, 88 Costantini, Celso 47, 157 – 159, 317 Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus 3, 8, 15, 132, 197 – 199, 214 Courcy, Kenneth de 3, 188, 205 – 212, 301, 338
https://doi.org/10.1515/9783110538991-014
420
Namensregister
Crispolti, Filippo 69, 166 Croce, Benedetto 3, 5, 19, 28 – 33, 36 – 39, 42, 45, 48, 50, 53 – 55, 57 f., 60 – 65, 68 f., 73, 81 f., 89, 103 f., 114 – 118, 120, 213, 240, 249, 261, 314, 378 D’Alba, Auro – Bottone, Umberto 75, 77, 78, 86, 90 – 94, 99, 103 – 105, 118, 273 – 275, 283, 288, 290, 310, 373, 379, 382, 383 D’Alba, Maria 101, 232, 284 – 285 D’Alba, Sergio 101, 232, 254, 372, 381, 382, 383 D’Ancona, Alessandro 33 D’Annunzio, Gabriele 47 f., 102, 220, 245, 385 De Begnac, Yvon 8, 35, 68, 89, 107, 168 De Blasi, Jolanda 5, 100, 109, 249, 335 De Francisci, Pietro 217 De Gaspari, Alcide 82 De Luca, Giovanni 58 f., 71, 76, 79, 83, 86, 106 f., 279, 380 De‘ Rossi dell’Arno, Giulio 352 De Vecchi di Val Cismon, Cesare Maria 136 Degrelle, Léon 191, 218, 390 Del Vecchio, Giorgio 84 Della Valle, Guido 68 Demartini, Francesca 27 Depero, Fortunato 264, 281 Di Fiori, Roberto 121, 122 Diaz, Armando 47 Dollfuß, Engelbert 1, 122, 124, 134, 197, 200 f. D’Ormesson, Wladimir 217 Dottori, Gerardo 281 Elser, Georg 183 Evola, Julius 287, 296, 299, 302, 344, 350, 356, 361 – 364, 371, 373 Falqui, Enrico 69, 229 Farinacci, Roberto 168, 172, 218, 268, 299, 350 – 352, 355 Farinelli, Arturo 29, 31, 35 f., 45, 64, 113, 115, 117, 224, 229 Faulhaber, Michael Kardinal 144, 147, 150, 152, 157, 165, 387 Federzoni, Luigi 3, 53, 222, 241 Ferri, Cesare 94 Frank, Hans 2, 7 f., 16, 30, 126, 140, 153, 170, 194, 219, 221, 226, 325, 327, 387 f. Fried, Jakob 141, 152, 157, 162, 185, 196, 199, 210, 283, 299 f., 310, 337, 347, 368, 370, 390
Funi, Achille 168, 175 Funk, Walther 129 f., 134 f., 138 f., 143, 170 Gabetti, Giuseppe 7, 32, 113, 241, 266, 270 Galassi Paluzzi, Carlo 241, 329 f. Galen, Clemens August von 147 Garin, Eugenio 237 Gemelli, Agostino 55, 77, 146, 157, 164, 269, 294, 351 f. Gennari, Luciano 56 Gentile, Giovanni 6, 21 f., 30, 50 f., 53 – 55, 57, 59, 61 f., 64, 68 f., 74 f., 78 f., 103 f., 113, 116, 126, 159, 170, 184, 187, 213, 219, 222, 243 f., 246, 252 f., 261 – 263, 268, 281, 286 f., 289 – 291, 297 – 300, 302, 334, 375, 377, 379 Gide, André 35 Gioberti, Vincenzo 74, 311 Giuliotti, Domenico 66 f., 69, 71, 73, 76, 89, 107, 116, 304, 346 f., 358 Goebbels, Joseph 2, 7, 126, 136, 148, 153 f., 162, 166 f., 169 f., 177, 186, 224 f., 229, 265, 321, 325, 387 f. Goma y Tomas, Isidoro Kardinal-Primas 3, 204 f., 337 Gorgerino, Giuseppe 56 Göring, Hermann 167, 170 Gramsci, Antonio 19, 260 Grandi, Dino 20, 144, 184, 237, 272 Gravelli, Asvero 14, 186, 275, 304 Gray, Ezio M. 43, 240 Guardini, Romano 314, 318 f. Guariglia, Raffaele 241 f. Guarnieri, Pino 58 f., 79, 235 f., 238 – 240, 242 f., 245 f., 249 Günther, Hans Friedrich Karl 250, 307, 361 Habicht, Theodor 124, 141 Halifax, Edward 212 Hanke, Karl 169 Hassell, Ulrich von 2, 7, 10, 113 f., 122, 124 – 133, 136 – 139, 151, 156, 170, 266, 306, 323 f., 393 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 42, 53, 68, 304 Hermet, Augusto 58, 60, 69 Hess, Rudolf 151 Hessen, Philipp von 121 Hildebrand, Dietrich von 22, 123, 141, 200 Hindenburg, Paul von 113, 115
Namensregister
Hitler, Adolf 1 f., 7 – 10, 14 f., 23, 80, 82, 92 f., 113, 121 – 126, 128 – 130, 132 – 138, 140 – 144, 146 – 161, 163 – 174, 176 – 183, 186 f., 193 – 198, 200, 202 f., 205 f., 208, 210 – 215, 223 – 225, 241 – 243, 245, 250, 264 – 267, 270, 302, 304 – 312, 314, 317, 322 f., 325 – 328, 330 – 332, 337 f., 340, 348, 365, 376 f., 384 f., 387, 390 f. Hudal, Alois 146 – 148, 164 Hutten, Karl Ulrich von 225 Innitzer, Theodor Kardinal 141, 178, 201 Interlandi,Telesi 350 – 352 Joel, Otto 44 Jünger, Ernst 229, 319 Klemperer, Victor 6, 30 f., 36 f., 39 – 41, 45, 51, 378 Kühnelt-Leddihn, Erik 3, 223 La Rocque, François de 130, 135, 185, 189, 385 Landra, Guido 350 f. Lantermo, Emma 28 Lanza d’Ajeta, Blasco 4, 161, 163 f., 178, 180, 194, 204, 327 Laval, Pierre 131, 189 Lémery, Henry 206, 300 Lisi, Nicola 71, 73 Londonderry, Charles Stewart Henry Vane-Tempest-Stewart, 7. Marquess of 205 f., 212 Lucarda, Antonio 176 Lucatello, Enrico 72 Lüdecke, Kurt 121 Ludendorff, Erich von 143, 231, 313, 387 Lüttke, Georg 267, 324, 324 – 328, 339 Lüttke, Gertrud 324, 325 Maffi, Maffio 240 Magistrati, Massimo 125, 152, 156 f., 163 f., 167, 169 f., 173 f., 176 – 178, 181 f., 265, 271, 389 Malaparte, Curzio 261 Mann, Thomas 4, 7, 63 f., 80, 98 – 100, 102 f., 153, 167 f., 180, 198, 210, 227, 235, 246, 253, 259 f., 276, 282, 284, 298, 329, 366, 373, 376, 379 – 381 Maraini, Antonio 167 – 169, 172 f., 176 f., 326 Marcu, Alexandru 222 – 224, 238, 338
421
Marghieri, Clotilde 62 Marinetti, Filippo Tommaso 6, 50, 57, 67, 167, 170, 175 f., 261, 263 f., 275, 281 f., 368 Maritain, Jacques 4, 84, 190, 296 f., 314, 356 Marone, Gherardo 57, 60, 91 Martire, Egilberto 53, 56, 77, 291, 299, 304 Marussig, Pietro 175 Marx, Karl 42, 68 Massè, Domenico 293, 354 – 357 Mazzini, Giuseppe 45, 68 Mazzoni, Guiliano 241 Meda, Filippo 53 Meier-Benneckenstein, Paul 325 Meissner, Otto 170 f., 265 f. Messina, Francesco 171, 353 Mezzasoma, Fernando 247 f., 251 – 253 Migliarini, Ermanno 374 f. Mignosi, Pietro 56, 69 Mondadori, Alfredo 5, 80 f., 113, 240, 325, 328 Morandi, Giorgio 241 Moro, Aldo 1, 8 f., 22, 52, 55 f., 59, 69, 71, 74, 77 – 79, 95, 97 f., 225, 269, 279, 291, 297 – 300, 304, 308 – 310, 319, 346 – 348, 352, 355, 364, 379 f. Morreales, Eugenio 121 Mosley, Oswald 206 Motta, Giuseppe 192, 223 Murri, Romolo 300 Mussert, Anton 191, 215, 218 Mussolini, Benito 1 – 3, 5, 7 – 9, 12, 18, 20, 22 f., 28, 35, 39, 43, 51, 53 – 55, 59 f., 65, 67 f., 70, 72, 75, 80, 82, 86 – 94, 96, 101 – 104, 107 – 109, 113, 116 – 127, 129 – 144, 146, 149 – 166, 168, 170 f., 175, 177 – 180, 182, 184 – 200, 202, 205 – 213, 215 – 219, 222 – 226, 228, 230, 234, 236 – 239, 241 – 244, 246 f., 249 – 252, 258 f., 261, 263 – 265, 267 – 290, 296, 298 f., 301, 303, 306, 308, 310, 312, 319, 322, 324, 326 – 331, 334, 336 – 338, 341, 343, 345, 348 – 352, 361, 364 – 366, 371, 374, 376 – 379, 381 – 385, 387, 389 f. Neurath, Konstantin von 17, 113, 134, 164, 167, 170, 178 Nicchiarelli, Niccolò 93 Niemöller, Martin 46 Ninchi, Gino 118 Nobili Vitelleschi, Carla 102
422
Namensregister
Occhini, Barna 86, 107, 243 – 245, 289 Ojetti, Ugo 48, 88, 272 Oltramare, Georges 3, 8, 152, 192 – 196, 218, 348, 387 Orano, Paolo 327 f., 333, 351 Orestano, Franceso 231, 240 Orestano, Paolo 240 f. Orsenigo, Cesare 126, 154, 157 Orsini, Luca 197 Orvieto, Adolfo 6, 29, 47, 51 f., 60, 63, 95 Pallotta, Guido 282 Paoli, Rodolfo 105, 222, 309 Papen, Franz von 2, 14, 126, 140 f., 144, 146 f., 157, 164, 200, 202 Papini, Giovanni 5 f., 8, 18, 35 f., 44, 50 – 52, 59, 65 – 67, 69 – 73, 75, 77 f., 83, 85 f., 88 – 91, 93, 98 – 100, 103 – 107, 109 f., 114 – 116, 126 f., 190, 222, 224 – 230, 233, 237, 241, 243 f., 254, 262, 264, 268, 272, 276 f., 279, 283, 288 f., 293 – 295, 299, 301, 305 – 307, 309 – 311, 318, 341 f., 345 – 348, 358, 363, 365, 367, 373, 376 f., 379 – 383 Pariani, Alberto 242 Pascoli, Giovanni 68 Paul VI. – Montini, Battista 58, 108, 190, 218, 314 Pavolini, Alessandro 1 – 3, 7, 85, 102, 113, 181, 219 – 223, 228, 232 f., 235, 246, 252, 265, 271 f., 325, 327, 336, 376 Pellizzi, Camillo 218 f., 234, 236 – 239, 277 f., 344 Pennisi, Pasquale 3, 6, 77 f., 96 – 99, 103 – 106, 109 f., 222, 241, 259, 264, 272, 277 – 279, 286 f., 290, 293, 296, 299, 301, 342 – 344, 352 f., 355 – 359, 364 – 367, 369 – 372, 374, 376 – 378, 381 – 383 Pétain, Philippe 196 Picasso, Pablo 35, 73 Piemont, Maria von 2, 100, 232 f., 266, 268, 334 Pignatti, Bonifacio 163 Pilotti, Massimo 80, 242, 269 Pini, Giorgio 281 Pintor, Giaime 6, 8, 224, 227 – 230, 234, 241, 262, 365 Pio, Padre 8, 54, 146, 149, 157, 160, 284 f., 353 Pirandello, Luigi 50, 261 Pirelli, Alberto 197
Pius IX. – Mastai-Ferretti, Giovanni Maria 52 Pius XI. – Ratti, Achille 145 f., 148 f., 157, 160 f., 163, 182, 311 Pius XII – Pacelli, Eugenio 2, 80, 109, 140, 146 – 149, 153 – 156, 158 – 164, 182, 190 f., 281, 317, 346, 353, 371, 388 – 391 Pizzardo, Giuseppe 80, 140, 145, 149 – 151, 156 – 158, 160, 162, 178, 181 f., 190, 214, 310, 332, 346, 371 Polverelli, Gaetano 1, 104, 117 – 120, 186, 278, 312 Pozzi, Arrigo 241 Pozzo di Borgo, Joseph 190 f., 290 Prampolini, Enrico 168, 281 Preziosi, Giovanni 43 f., 168, 250, 350, 352, 372 f. Prezzolini, Giuseppe 36, 50 – 52, 59, 69, 88, 113 Puccini, Mario 63 Räderscheidt, Anton 324 Räderscheidt,Marta 324 Rahn, Rudolf 242, 247, 253 f. Rautenkrantz, Giovanni von 235 Remarque, Erich Maria 45 Renzetti, Giuseppe 122 f., 125 Reynold, Gonzague de 3, 192 – 194, 215, 321 f. Ribbentrop, Joachim von 2, 126, 139, 143, 164, 183, 233, 271 Ricci, Renato 140 Ridolfi, Roberto 90, 225, 365 Rohan, Karl Anton Prinz von 14 f., 304 Rosenberg, Arthur 2, 121, 126, 142, 148, 154, 167, 197, 231, 237, 305, 307, 313, 345, 373, 386 – 388 Rößler, Rudolf 321 – 323 Rosselli, Carlo 191, 302 Rossi, Carlo 56, 245, 352 Rosso, Mino 168 Rossoni, Edmondo 140 Rothe, Karl 227, 229 Rust, Bernhard 167, 170, 271, 341 Rustignoli, Giglio 373 f. Rutelli, Francesco 20 Salandra, Antonio 38, 42, 118 Salietti, Alberto 175 Salvatorelli, Luigi 58 Sambuci, Alberto Theodoli di 138
Namensregister
Sarfatti, Margherita 44, 170, 281, 349 f., 353 f., 377, 381 Sauckel, Fritz 224, 227 Schacht, Hjalmar 170 Scholz, Robert 8, 117, 121, 167, 174, 184 – 186 Schuschnigg, Kurt 140 f., 196, 199 – 202, 215 Schuster, Alfredo Ildefonso 3, 298, 300 Scorza, Carlo 60 Sebastiani, Osvaldo 91, 94, 130, 166, 182, 188, 217 f., 270, 274 Semprún Gurrea, José María de 105 Sergi, Giuseppe 350 f. Serpieri, Arrigo 241 Sertoli, Mario 229 Sertorius, Lili 85, 317 – 319 Severini, Gino 175 Sforza, Carlo 197 Sibilia, Enrico Kardinal 141, 200 Siebert, Ludwig 219, 233, 266 f., 339 Sironi, Mario 168, 175 Soffici, Ardengo 35, 50 f., 57, 73, 78, 84, 86, 88, 107, 175, 243 f., 261, 302 Solmi, Arrigo 170, 250, 272 Sorel, Georges 18, 35, 43, 50, 201, 286, 288 Spann, Othmar 15 Spengler, Oswald 120 f., 316 Spinetti, Gastone Silvano 94, 116 f. Spirito, Ugo 10, 74, 219, 234, 277 f., 334, 373, 393 Stalin, Josef 140, 211, 280, 282 Starace, Achille 88, 327 Starhemberg, Ernst Rüdiger 134, 200, 202 f., 215, 384 Stein, Edith 148, 323 Stratmann, Franziskus 4, 320 f., 323 Streicher, Julius 357 Sturzo, Luigi 53, 58, 76, 97, 269, 298 Suvich, Fulvio 138 f.
423
Tacchi-Venturi, Pietro 146, 159, 179, 191 Thayat – Michahelles, Ernesto 168 Thomsen, Hans 2, 124 f., 131 f., 153, 194, 239, 241, 247 Tilgher, Adriano 58, 61 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch 42, 84 Tripodi, Nino 84 Trotha, Adolf von 123 f. Ungaretti, Giuseppe
58, 261, 263
Vallecchi, Attilio 72, 78, 85, 110 Vaussard, Maurice 269 Vercesi, Ernesto 308 Veuillot, Louis 83, 346 Vicari, Gian Battista 240 Villari, Luigi 121 Villaroel, Giuseppe 240 Vinciguerra, Mario 58 Viviani della Robbia, Maria Bianca 60, 62 Volpe, Gioacchino 74, 84, 237 Vossler, Karl 29 – 32, 34, 39 f., 45, 48, 63 f., 115 Wagner, Richard 1, 5, 9, 37, 44 f., 57, 61, 63, 81, 122, 126, 165, 175, 266, 304, 326, 328, 362, 376 Wassenaer-Crocini, Luisa 101, 162 Weil, Federico 10, 13, 18, 27, 44, 94, 141, 150, 153, 167, 169, 250, 271, 309, 313, 316, 353, 356, 367, 377 Wildt, Adolfo 171 Willis, Frederick Charles 151 – 156 Zamboni, Giuseppe 113, 270 f. Zanfrognini, Pietro 69 Zavattari, Edoardo 350, 356 Zippel, Vittorio 47 Zucca, Enrico 108