Zur pädagogischen Kritik: Mit besonderer Rücksicht auf Bayern 9783486723519, 9783486723502


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Table of contents :
Vorrede
Einleitung
I
II
III
IV
V
Schluss
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Zur pädagogischen Kritik: Mit besonderer Rücksicht auf Bayern
 9783486723519, 9783486723502

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Jur pädagogischen Antik mit

Besonderer AüUdit auf Bayern

besonderer Rücksicht auf

München. Dr ul und Verlag von R. Oldenbourg.

1876.

Dorrede. Die nachfolgende Skizze ist

aus

dem Bestreben

entstanden, in den Reformbewegungen auf dem Gebiete des bayerischen Schulwesens einem Gedanken Raum zu schaffen, der allein Gesundheit

und

Gedeihen desselben

zu begründen vermag, der selbstständigen Pflege einer wissenschaftlichen Pädagogik.

Den Vorwurf, der moder­

nen pädagogischen Propheten vielstimmigen Chor noch um eine Stimme vermehrt zu haben, werden wir um so weniger abwehren müßen, als es bisher wenig Ruhm

gebracht, ohne Parteischutz pädagogische Sünden beim

Namen zu nennen, oder ererbte Schäden ans Licht zu ziehen, und noch weniger

verlockend ist, sich zu einer

Wissenschaft zu bekennen, die ohne allgemein anerkanntes Bürgerrecht selbst von den Zünftigen sich gefallen lassen

muß, als Aschenbrödel behandelt zu werden. Möchten daher diese Ausführungen wenigstens zum

Nachdenken — als Hilfen und Fingerzeigen bieten sich die Anmerkungen an — anregen über Angelegenheiten,

von denen man schon im Alterthum schreiben konnte: Ov yaQ H>Tl TTEQl OTOV .‘frtlOTEOOU UV UV&QW10Q ßovXtv-

ffauo, r ntoi iraidtiag xal avrov xal rtor uvtov olxeiw.— Im November 1875.

Drr Vrrfalsrr.

WaS unsern Gymnasien zu wünschen ist nicht Beschränkung deS Unterrichts, weder extensiv, noch intensiv, sondern ein Zuwachs von päda­ gogisch gebildeten Lehrern. Mager.

Die Pädagogik muß ein Studium werden, sonst ist nichts von ihr zu hoffen. Der Mechanismus in der Erziehungskunst muß in Wissenschaft verwandelt werden, sonst wird sie nie ein zusammenhängendes Bestreben werden. Kant.

Einleitung. Die Behauptung, daß es in den letzten Jahren auch in Bayern

auf dem

Gebiete des Schulwesens vorwärts

gegangen, wird schwerlich von Kennern einen Widerspruch erfahren.

Allein

wer sich auch nur oberflächlich in der

bayerischen Schulgeschichte umgesehen, z. B. C.L. Rothes Buch über das Gymnasial - Schulwesen in Bayern zwischen

den Jahren 1824 —1843

durchgeblättert hat, der wird

allerdings seine Erwartungen nicht zu hoch spannen.

Denn

Traditionen haften in der Schulverwaltung noch fester als

in den Schulanstalten und wo, wie in Bayern, die von den wechselnden Zeitgedanken geleitete, sprichwörtlich gewor­

dene Geschäftigkeit polizeimäßigen Reformirens eine Schul­

tradition in gutem Sinne nicht aufkommen ließ, während man die Reste gewisser Systeme mit bureaukratischer Pietät thunlichst conservirte, wo die Einseitigkeiten oder auch Ein­

fälle bedeutender Männer nicht selten unbesehen generalisirt wurden, während man dem Erprobten, weil es von außen kam, sorgfältigst den Zugang

wehrte — da ist jedenfalls

der Weg der Reformen mit Schwierigkeiten übersät, und es wird von Seiten derer, die hier zu arbeiten hatten,

schwerlich auf eine Unfehlbarkeit Anspruch erhoben werden,

8

Zur pädagogischen Kritik

die sich nirgends in den Mitteln vergreift.

Ohnehin sind

der Aufgaben, welche die vielgestaltig auseinander gehende

Gesellschaft der Gegenwart der Schule und ihren Leitern stellt, so viele, die Wünsche und Erwartungen, welche von

den Trägern der verschiedensten Interessen und

Bestre­

bungen an die Bildungsanstalten geknüpft werden, sind so widersprechend, die Macht der alten tonangebenden Factoren ist in der allgemeinen Schätzung so sehr gesunken, daß es

auch" dem redlichsten Willen bange werden kann, selbst wenn ihm die gediegenste Einsicht zur Seite stünde.

Fragen der

Erziehung gehören vor Allem zu jenen viel versprechenden Düngen, mit denen sich unsere pädagogisch gestimmte Zeit

mitunter in dringlichster Weise beschäftigt; öffentliche Aufmerksamkeit sich am liebsten

und da die

auf

greifbare

Punkte concentrirt, so sind vorzugsweise die äußern Schul­

verhältnisse Gegenstand der Theilnahme geworden, und in den Grenzstreitigkeiten zwischen Schule und Kirche haben die Parteien Nahrung und die Staaten Aufgaben gefunden, für deren Lösung noch immer die Formel fehlt. Interesse

gesetze.

und

Daher das

der Eifer für die vielbesprochenen Schul­

Niemand kann die Wichtigkeit dieser Frage verken­

nen, und wenn sich gerade in Bayern der Mangel eines Schulgesetzes in einer Weise fühlbar macht, daß fast alle

politischen und kirchlichen Parteien eine Lücke zugestehen, so

kann

das

kaum

auffallen.

Aber

abgesehen

davon

liegt darin doch nur ein Beweis 'für die Art, • wie man

heutzutage Schul-

und

Erziehungszustände schätzt.

kann ja nicht zweifelhaft sein, daß

erwünschter wäre, als für die

Es

es für Niemanden

oberste Schulverwaltung,

wenn eine Alle befriedigende Schulgesetzformel sich aus-

mit besonderer Rücksicht auf Bayern findig ntachen ließe.

Ob aber an dem

9

allerwärts Ver­

mißten das Alles hängt, was Parteiverbtendung und Ge­

dankenlosigkeit damit verknüpft, könnte nur die Erfahrung lehren. So viel steht fest, daß eine Ueberschätzung von orga­

nisatorischen Bestimmungen, ein blinder Glaube an gewisse Einrichtungen gerade in Sachen der Schule den Sinn der

Menge gefangen hält, und es wird das um so weniger befremdlich erscheinen, je mehr man bedenkt, daß das Reden

über Erziehung und Unterricht noch kein Beweis für das Denken, und daß eine so Viele berührende Sache sich nicht

gut der Herrschaft der Mode entziehen kann.

Selbst die

pädagogische Presse theilt dieses allgemeine Geschick, da sie sich großenteils in jenem von Göthe characterisirten Sta­

dium befindet, in welchem „jedes mäßige Talent sich der vorliegenden Ausdrücke als gegebener Phrasen mit Bequem­ lichkeit bedienen kann."

Allein Arbeit und Wirkung der

Erziehung und des Unterrichts sind viel zu feiner Natur,

als daß sie sich in so grobe Kategorien fassen und so be­ quem auf leicht zu handhabende Formeln bringen ließen.

Ueber und hinter den Gesetzen und Verordnungen stehen dje Personen, und wenn irgend eine Specialschulgeschichte diese Lehre vernehmlich predigt, so ist es die bayerische *),

in welcher wir so oft erfahren können, daß

die wohl­

meinendsten Bestimmungen

durch den

illusorisch

werden

Mangel an geeigneten Kräften, und daß es keine so wohlformulirten Vorschriften gibt, welche den Kampf aufnehmen

können mit Unfähigkeit, Gewohnheit und Schlendrian.

T) S. bes. Pragmatische Geschichte der Schulreformation in Bayern aus ächten Quellen. 1783.

Sieht man überhaupt die Bewegungen und Strö­ mungen auf dem Gebiete der praktischen Pädagogik genauer an, so weisen auch sie deutlich nach einer andern Seite. Während allenthalben eine freie Bewegung kleinerer Kreise in Schulangelegenheiten angestrebt, während die innere Ausgestaltnng der Schulanstalten, sowie die genauere Fixirung der Zielpunkte von den nächst Betheiligten als natür­ liches Recht in Anspruch genommen wird, während der so viel beredete Streit zwischen Humanismus und Realis­ mus wohl in erster Linie zu verstehen ist als ein Kampf gegen altprivilegirte Schulanstalten, während so die An­ sichten über die Mitwirkung des Staates bei der öffent­ lichen Erziehung weit auseinander gehen: das hat unseres Wissens noch Niemand dem Staate streitig gemacht, daß die Sorge für einen gediegenen Lehrerstand vor Allem seine Sorge, und daß dafür im umfassendsten Sinne Veranstal­ tungen zu treffen zu seinen höchsten und edelsten Aufgaben gehöre. Hier liegt aber offenbar das Centrum aller moder­ nen Schulverbesserungsvorschläge. Denn es ist ein trivialer Satz, daß die besten Einrichtungen nutzlos sind ohne tüch­ tige Lehrer, während der Einfluß tüchtiger Persönlichkeiten auch noch durch das mangelhafteste Schulgesetz hindurch­ bricht. Wenn daher nicht in die Luft gebaut werden soll, so müssen hier alle Reformen ihren Ausgangspunkt neh­ men, und es dürfte sich wohl der Mühe verlohnen, die Aufmerksamkeit unserer bildungseifrigen Gesellschaft auf ebenso dringliche als lohnende Aufgaben hinzulenken. Daß wir damit nicht etwa nur die viel umschriebene Votksschullehrerbildung meinen, glauben wir ausdrücklich sagen zu müssen, nicht als ob es mit derselben so gut stände,

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

daß man getrost schweigen könnte,

11

sondern weil man die

Bildung der Lehrer für höhere Schulen im Allgemeinen für eine so gesicherte zu halten pflegt, daß höchstens durch eine Abänderung Don Prüfungsnormen zeitweise Maß und

Richtung der Studien zu bestimmen für nöthig erachtet

wird.

Leitender Gesichtspunkt ist dabei in der Regel das

Wissensquantum, Befähigung zum Lehren gilt für selbst-

verständlich und an die Qualität als Erzieher wird gar

nicht gedacht.

Allein ist es denn nicht mit den Erfolgen unseres höhern Unterrichts so trefflich bestellt, Zweifel in sich selbst zerfallen?

daß die ausgesprochenen

Abgesehen davon,

selbst von der allgemeinsten Bejahung

dieser Frage

daß die

Logik noch keinen Schluß erlaubte auf die pädagogische Qua­ lität der Lehrer, fordert der Stand des höhern Unterrichts geradezu zu derartigen Ueberlegungen auf.

Die Klagen

über die Mängel, z. B. des Gymnasialunterrichts, datiren

bereits Jahrzehnte zurück, und Beschwerdeführüngen über

die Resultate der höhern Lehranstalten müßten wir gewiß viel häufiger vernehmen, wenn das Publikum mehr Neigung

und Befähigung hätte, die Schulleistungen zu beurtheilen. Die an Absolvirung solcher Anstalten geknüpften Rechte,

die Legitimationskarte für den Zugang zur academischen Freiheit oder neuerdings der Berechtigungsschein für die

kürzere Militärzeit sind so greifbare, vielerstrebte Dinge, daß der gewissenhafte Familienvater, der lieber jahrelang

schweres

Geld

bezahlt

als

Ueberlegungen anstellt,

vor

Freude über die äußern Errungenschaften nicht dazu kommt,

die Frage nach anderweitigen Besitzthümern zu erheben,

und erst das spätere Leben

illustrirt dann in manchmal

12

Zur pädagogischen Kritik

drastischer Weise den pädagogischen Rückstand der Bildungs-

zeit.

So zeigt es sich mitunter, daß der lange Marsch

durch das classische Alterthum gar wenig Liebe einzuflößen

vermochte zu den Erzeugnissen der alten Cultur, daß die lange und streng gepflegte Sprachtechnik einen höchst hol­

perigen Stil gezeitigt, daß man trotz aller grammatischen

Exercitien mit der Grammatik auf gespanntem Fuße steht, daß der physikalisch und chemisch noch so sehr geschulte

ehemalige

Realschüler von naturwissenschaftlichem Denken

nicht einmal eine Ahnung mitgenommen, daß endlich trotz feierlichster Einreihung unter die approbirten Bildungs­ besitzer sich doch hie und da eine Uncultur, eine gemüth­

liche Rohheit, eine Interesselosigkeit gegenüber den höchsten Angelegenheiten breit macht, als ob man eine Bildungs­

arbeit nie an sich erfahren.

Nimmt man hiezu die Kla­

gen, wie sie nicht selten angesehene Universitätslehrer öffent­

lich vernehmen lassen, über Mangel an tiefer gehendem

philosophischem Interesse, über Abnahme des ernsten Studiunis, über eine bedenkliche Hinneigung zu banausischen

Brodstudien,

über zunehmenden Nihilismus, so sind das

gewiß Dinge, für welche zwar kein Besonnener die Lehrer

an höhern Schulen verantwortlich machen wird, auf deren

Beurtheilung aber doch die Salzmann'sche Regel anwend­ bar ist, daß ein richtiger Schulmeister die Gründe eines Mißerfolgs zuerst bei sich selbst sucht, und es verriethe

einen bedeutenden Grad von Einbildung, wenn man Be­ ziehungen einfach leugnen wollte.

Denn wo irgend Erzie­

hungsmängel zu Tage treten, diejenigen, welche berufs­

mäßig damit zu schaffen haben, dürfen am wenigsten prü­

fender Betrachtung aus dein Wege gehen.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

13

Folgen wir dem Gange unserer Ueberlegung, so werden

wir gleich hier auf den Kern der Frage geführt, auf die

pädagogische Bildung

der Lehrer

an höhern

Schulen.

I.

Wir beginnen mit dem kaum anzuzweifelnden Satze,

daß

unsere

Reget

in

Candidaten des höhern Schulamtes in der

paedagogicis

vollständige

Autodidacten

sind.

Denn Philologie, Naturwissenschaft und Mathematik haben an sich mit dem Unterricht gar nichts zu schaffen, und die

größtmögliche philologische, mathematische oder naturwissen­

schaftliche Tüchtigkeit schließt sowenig irgend welche päda­ gogische Befähigung in sich, daß sich ausgezeichnete Philo­ logen ic. denken lassen, die grundschlechte Schulmeister sind.

Was das aber praktisch bedeuten will, davon weiß die Schule zu

erzählen,

und

wenn

wären, ihre Erfahrungen zur

diejenigen

allgemeinen

im Stande Kenntniß zu

bringen, welchen es vom Geschick beschieden, von solchen

angehenden gelehrten Lehrern in die Geheimnisse der latei­ nischen Grammatik u. dgl. eingeweiht zu werden, wir würden wunderbare. Dinge zu hören bekommen, uns

aber auch

gebührend wundern, daß so viele all' das überwinden ohne

bleibende Spuren geistiger Verkrüppelung. Wenn die Fach­ kenntnisse dem bestehenden Reglement entsprechen, so ist der

approbirte Candidat zu dem Glauben sozusagen gesetzlich berechtigt, Lehren und Erziehen mache sich ganz von selbst, sobald man nur Probire.

Unter Mitwirkung des mitleidi-

gcii Zufalls oder mit Hilfe der wohlwollenden Winke eines

14

Zur pädagogischen Kritik

bereits eingefahrenen Collegen gestalten sich dann allerlei Me­

thoden und Manieren, und während dem einen die Reminis­ cenzen von einem vielleicht glücklich geleiteten Jugendunter­

richt forthelfen, amalgamirt der andere aus frischester Erin­ nerung die Vorbilder des academischen Hörsaales mit den

Resten seiner sonstigen Erfahrung, und welche Rolle nicht selten nach Form und Inhalt Collegienhefte spielen, das

könnte manche naturwissenschaftliche Lehrstunde verrathen. Zum Glück gibt es speculative Buchhändler und noch specutativere Schulmeister, die es trefflich verstehen der Ver­

legenheit unter die Arme zu greifen, und wie eine rettende

Hand bietet sich

so manchem rathlos auf das Meer der

pädagogischen Praxis Hinausgestoßenen ein wohlgeordneter

Leitfaden, welcher die hie und da

orakelhaft kurzen Be-

stimmungen der Schulordnung in brauchbare Recepte um­

schafft und den Tagesbedarf regelt.

In der That machen

die gebilligten Lehrbücher, die vorgeschriebenen Pensa, d. h.

die Schulordnungen, nicht selten die ganze Pädagogik aus, über die der junge Schulmann verfügt, da nichts hindert,

in die Praxis einzutreten,

ohne auch nur

eine einzige

Schrift über das pädagogische Geschäft gelesen zu haben. Rechnet man nun hinzu,

daß der Unterricht noch gewisse

andere Dinge voraussetzt, z. B. feste Disciplin, strenge Klassen­

ordnung, rc. — wie soll da ein Neuling, der zwar Be­ kanntschaft gemacht mit den verschiedenartigsten Objecten

der Gelehrsamkeit, aber nie über Schülernaturen Uebertegungen angestellt, mit unsern modernen Knaben fertig

werden, die sich

meistens verschworen zu haben scheinen,

sich nur unter lebhafter Gegenwehr die Wohlthat begin­

nender Entrohung gefallen zu lassen? Was ist die Folge?

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

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Mißgriffe, scholastische Curiosa, Klassenscandala, über die

selbst der Unbetheiligte sich entsetzt, für den Lehrer selbst aber

häufig beim Beginne seiner

Laufbahn

eine

Ver­

stimmung und ein Aerger, der ihn den Tag verfluchen

läßt, an dem er sich entschloß, der Auffassung Ciceros bei­ zupflichten,

daß

besseren Dienst

man denl Staate keinen größeren

leisten könne,

und

quam si docemus atque

erudimus juventutem. *) Man sage nicht, das heiße übertreiben, carrikiren;

nein, cs ist kein Zug in unserm Bilde, der nicht nach dem

Leben gezeichnet wäre, und die sorgfältigste Beobachtung läßt uns behaupten, daß wir nicht etwa Ausnahmen, son­ Hat der Anfänger im Lehr­

dern die Regel beschreiben.

amte dergestalt eine Zeitlang umher getastet, vielleicht auch in seiner Rathlosigkeit da und dort bei Büchern und Men­ schen nachgefragt, so bildet sich allmählich nach einem psycho­

logischen Gesetz ein gewisser Niederschlag seines Verfahrens, eine feste Form seines Meinens, er spürt nach und nach

ein ausgefahrenes

Geleise

und

erwirbt eine Art

von

Routine, welche sich int bestell Falle an den einen oder

andern renommirten Schulmann anlehnt, um ihn geschickt oder ungeschickt zu copiren.

Schließlich hüllt sich der „von

der allmächtigen Zeit und dem ewigen Schicksal geschmie­ dete" Pädagoge in den Mantel des erfahrenen Practikers,

und bald spricht er als Fachmann über Fragen der Päda­ gogik, zu der er vielleicht in einem ähnlichen Verhältnisse

steht, wi^ der Fleischer zur Anatoniie oder zur Chemie

ein Seifensieder. Die freundliche Gewohnheit seines Lehrer-

’) Cicero de divinat. II, 2.

Zur pädagogischen Kritik.

16

daseins hat ihm allerlei brauchbares Material von päda­

gogischen „Ansichten" zugeführt, „unvermerkte Gewöhnung,

undeutliche Erfahrung und Praxis hat ihn zu gewissen

Mitteln und Kunstgriffen geformt" und wenn auch sein pädagogischer Gedankenkreis nichts enthält, als die Fetzen

gewöhnlichster Gassenweisheit, vermengt mit

den gerade

herrschenden politischen oder kirchlichen Parteimeinungen,

wenn er auch, mit dem alten Din ter zu reden, nichts ist

als ein „pädagogischer Quacksalber", so können wir ihn doch plötzlich zum Leiter eines Schulganzen avanciren sehen, in

dem er unter einem meist zufällig durch die „Beförderungs­ ordnung" zusammengeführten Lehrercollegium die pädago­ gische Einheit repräsentirt.

Thatsächlich sind aber solche

Schulvorstände nichts als Polizeimeister und Briefträger, von denen man es noch lobend anerkennen muß, wenn sie einem tüchtigen Lehrer keine Hindernisse in den Weg legen?)

Wer ist aber der Spiritus rector ?

Der bon sens der

gemeinsten Alltäglichkeit, in welcher die Tradition den Zettel

und die Mode den Einschlag besorgt. Nur durch die Macht der Gewohnheit, die in Erziehungsangelegenheiten meistens die Stelle des Denkens zu vertreten pflegt, ist es begreift lich, daß das, was man in ähnlichen Fällen für eine uner­

hörte Calamität erklären würde, für eine selbstverständliche

Sache gilt, gegen welche nur unruhige Köpfe oder Leute, die nichts Rechtes gelernt haben, etwas einzuwenden haben.

Allein selbst auf die Gefahr hin, der einen oder der andern

dieser Rubriken

einverleibt zu

werden,

wagen wir es,

nufere kritische Betrachtung fortzusetzen, weil wir der Ueber-

wart.

*) Vgl. Schattenbilder aud dem Gymnasialleben der Gegen­ Stoy, Atlgem. Schulzeitnng 1871. Nr. 31.

mit besonderer Rücksicht aus Bayern.

zeugung leben, damit der Schule zu dienen.

17

Denn es ist

für den, welchen der Mechanismus der täglichen Arbeit nach nicht des Blickes über die Zaunpfähle eines Anstalts-

gebietes hinaus beraubt hat, kein Geheimniß, daß ein guter

Theil der methodischen Fortschritte, um deretwillen man die Neuzeit preist,

für gewisse

Schulkategorien

gar Glicht

existirt, daß da und dort grobe Stoffanhäufung neben beut hohlsten Formalismus noch

wacker gepflegt wird,

gewissen Kreisen das Herkommen

daß in

der triftigste didaktische

Grund, daß das Nebeneinander der Unterrichtsfächer häufig umschlägt

in ein beziehungsloses Auseinander, daß nicht

gerade selten statt eines einheitlichen Zusammenwirkens die

einzelnen Fachmeister trotz der friedlichsten Außenseite einen

stillen Krieg führen, indem jeder den besten Theil zu ver­

treten glaubt,

Alles freilich

zum Schaden der

Schüler.

Was kann aber unter solchen Umftänben für die Cultur

eines einheitlichen Gedankenkreises herauskommen, wie soll da die Erziehung gefördert werden?

Oft hat der sonst

wohlunterrichtete Lehrer nicht einmal eine Ahnung davon, daß seine Arbeit nur Werth gewinnt int Dienste

einer

höheren Idee, daß er als Glied eines größeren Ganzen

verantwortlich ist für die Gesammtleistung, und neben der cynischen Rohheit eines ethischen Materialismus findet sich

nicht selten jenes bequeme System doppelter Buchhaltung,

welches gestattet, sobald es sich um Erziehung handelt, eine Anleihe zu machen bei der sonst wenig geschätzten Kirche

und Dinge,

die nun einmal nicht 511 umgehen sind, mit

Sprüchen und Sätzen abzuthun, die

werthlos hält.

Wir

weiter zu verfolgen. Zur pädagogischen Kritik.

verzichten

man eigentlich für

darauf,

diese Gedanken

Welch' eine Summe von Mißgriffen 2

Zur pädagogischen Kritik

18

aber hier ihre Wurzel hat, läßt sich schwer taxiren. Sagt

man dagegen, so schlimm könne es doch nicht sein, andern­ falls müßten sich weit größere Mängel in den Resultaten

bemerkbar

machen, so antworten wir mit F. A. Wolf,

einem Manne, der wohl in Schulsachen mitreden darf: „Es ist erweislich, daß sogar krüppelhafte Führer auf ver­

dorbenen Wegen die den Sachen inwohnenden Vortheile nicht vermögen völlig zu zerstören."') Aber die Wirkungen reichen auch über die Schulen

hinaus.

Anstatt daß letztere Respect einflößen vor der

heiligen Pflicht und dem schwierigen Geschäft der Erzie­ hung, anstatt daß die Lehrer thatsächlich beweisen, daß sich

unter ihren Händen eine Arbeit vollzieht, welche nur bei der umsichtigsten Sorgfalt Aussicht auf Erfolg hat, bekommt

das Publikum nicht nur keinen derartigen Eindruck, son­ dern es findet in dem, was ihm vor Augen steht, die volle Deckung für seine gewöhnliche Auffassung der Erziehungs­

fragen.

Unten kommt es auf diesem Wege zu einer ge­

wissen pädagogischen Kannegießerei, zu jenem berüchtigten

Phrasendrehen an Bier- und Theetischen, wobei jeder aus der großen „uneinigen Gedankencollecte" schöpft und über alle

Fragen Urtheile abgibt, ohne fürchten zu müssen, von denen, die es besser wissen sollten,

weil sie doch dafür bezahlt

werden, etwa der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. Oben entsteht jene Art Schul- und Erziehungsangelegenheiten

zu behandeln, die den edeln Graser zu dem Ausruf trieb: „Die Sorglosigkeit, mit welcher das hochwichtige Amt des Unterrichts nicht blos von dem Publikum sondern in manchen ') S. Wolf, Darstellung der Alterthumsw. pag. 56.

Ländern — von Regierungen selbst — behandelt wird, ist eine äußerst niederschlagende Beobachtung. *)"

II. Was will nun gegen solche nicht wegzuleugnende Erscheinungen der Satz fugen: paedagogus nascitur. Hat derselbe überhaupt einen Sinn, so kann er nur den: ähn­ lich sein, welchen wir ausdrücken mit den Worten, ein Künstler werde geboren. Allein ein so eompetenter Beurtheiter, wie Lessing, meint: „Gott gebe uns die Seele, aber das Genie wüßten wir durch Erziehung bcfoninieii“ und eben derselbe erklärt sich mit Entschiedenheit gegen diejenigen, welche es „überhaupt für Pedanterie erklären, den: Genie vorznschreiben, was es tfpiit und was es nicht thun müsse." Auch hat wohl noch Niemand die Ansicht vertreten, daß ein „geborener Maler" technischer Unter­ weisung entbehret: könne. Allein woran ersönnt man denn die geborenen Pädagogen? Schwerlich wird man je auf den Versuch verfallen, jeden angehenden studiosus der Philologie, Mathematik re. auf ein solches geheimnißvolles Talent zu prüfen und die voraussichtlichen didaktischen Stümper vom Lehramte auszuschließen. Allein nlüßte es denn nicht als Pflicht erkannt werden, da null doch einmal nicht alle als Pädagogen zur Welt kommen, wenigstens für jene von der Mutter Natur vernachläßigten künftiger: Schul­ meister, für jene mediocria ingenia, wie Mela n chtho n fiigt,2) quaenisi excolerentur arte in perpetuis tenebris x) S. Graser Divinität II, 5. 2) S. In der Dedication der Erotemata dialectices. .

2*

manerent, geeignete Bildungsveranstaltungen zu treffen, wenn man sich auch nicht entschließen könnte, die bekann­ ten Worte Cicero's:non ignoro et quae bona sint fieri meliora posse doctrina et quae non optima aliquo modo acui tarnen et corrigi posse, auf die pädagogischen Talente anzuwenden. Gleichwohl pflegt es auf keinem Gebiete be­ stritten zu werden, daß die genialste Begabung ohne rechte Schulung, wenn nicht verkümmert, doch nicht zur vollen Entfaltung kommt. Derselbe Ciceros sagt: Ut ager quamvis fertilis sine cultura fructuosus non esse potest. sic sine doctrina animus. Wer aber an dem Ge­ danken Gefallen findet, daß hier eine Sache vorliege, die sich ohne große Vorbereitungen von selbst mache, schätzt entweder das pädagogische Thun so gering, daß er sich dem Verdacht aussetzt, wenig davon zu wissen, oder er­ läßt eine Selbstüberhebung merken, die selten "gepaart ist mit einem wahrhaften Verständniß. Denn gerade je tiefer man in eine Wissenschaft oder Kunst eingedrungen, um so mehr würdigt man die Schwierigkeiten. Uebrigens liegt der ganzen Anschauung eine ethische Rohheit zu Grunde, welche, die Qualität des Lehrers dem Zufall anheimgebend, sich nicht scheut, die Jugend der Unfähigkeit auszuliefern, wenn dieselbe mir rite einherschreitet und sich in vorgeschriebeuer Weise zu den Schulen den Zugang erworben, und einen Menschen in ein Amt zu weisen ohne andere Ausrüstung, als den frommen Wunsch, sein guter Genius möge ihm die rechten Wege weisen. Vielleicht noch ver1) S. Cicero de orat. I. 25. 2) Tuscul. disput. II a.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

21

breitetet als dieser Glaube au ein ganz apartes Schulmeistergenie ist die Anschauung, welcher der verdienstvolle Wiese in feinem Buche über das höhere Schulwesen in Preußen folgendermaßen Ausdruck gegeben: „Daß der Staat für eine specielle Anleitung §11111 Lehramt an höhern Unterrichtsanstalten nicht in gleichem Grade durch Errich­ tung von Seminarien ilnd anderen Veranstaltungen Sorge trägt, wie für das Lehramt an Elementarschulen, liegt in der wissenschaftlichen Schule, welche die künftigen Lehrer an Gymnasien und Realschulen durchzumachen haben. Es ist die Voraussetzung, daß eine gründliche Betreibung wissenschaftlicher Studien zugleich eine methodisch bildende Kraft habe, daß systematisch erworbene Wissenschaft auch zu einer methodischen Anwendung derselben befähige, wäh­ rend Methode ohne tiefere Erfassung des Stoffs leicht zu einer leeren und äußerlichen Routine wird. *)" Wir können die hier in solcher Allgemeinheit ausgesprochene Voraus­ setzung nur für einen aller Erfahrung Hohn sprechenden groben Irrthum erklären, der um so verderblicher wirken muß, je mehr er durch die Autorität eines hochangesehenen Schulmannes gedeckt erscheint. Denn der gründliche Be­ trieb einer Wissenschaft hat zwar stets eine Mehrung jener -Elasticität und Gewandtheit zur Folge, welche jedem Zweige geistiger Thätigkeit zu Gute kommt, und nur in diesem Sinne erlaubt auch der jetzige Stand der Psychologie noch von formaler Bildung zu reden — allein die Vertiefung in ein wissenschaftliches Gedankengebäude und die Zube­ reitung des wissenschaftlichen Materials für pädagogisch*) Wiese, das höhere Schulw. in Pr. I, pag. 525.

Zur pädagogischen Kritik

22

didaktische

Zwecke

nebst

didaktisch-technischen

der

Dar­

reichung sind so disparate Dinge, daß schon der pädago­

gische Begriff der

Schulwissenschaften*)

vor einer

Verwechslung oder Vermengung schützen sollte.

Aus der

Natur wissenschaftlicher Arbeit folgt an sich kein Antrieb

zu pädagogischem Denken, und

selbst die didaktische Aus­

beute eines Specialgebietes gelingt nicht dem bloßen Spe­

cialisten.

Daher kann Jemand über eine sehr respectable

ohne die

Gelehrsamkeit gebieten,

Qualität zu haben, und ein

geringste pädagogische

grundgelehrter Universitäts­

professor sein, ohne damit die Befähigung zu besitzen, über

eine pädagogische oder didaktische Frage anders mitzureden als jeder gebildete Mensch.

Ein folgenschwerer

Wahn,

hat diese Meinung der Schule und Erziehung doppelt ge­

schadet, einmal, indem die pädagogischen Studier selbst ver­ nachlässigt wurden, zum anderu weil die einseitige Richtung

auf Fachgelehrsanckeit den pädagogischen Siuu empfindlich

schädigte.

Es wird wohl nicht nöthig sein, wenn wir hier

gegen die einäugige Gelehrtheit, gegen jenes.Scheuleder­

system,

welches über der Vertiefung in den Theil das

geistige Band vergißt,

unsere Stimme erheben, den Vor­

wurf abzuwehren, als sei einer Herabsetzung gelehrten Fach­

wissens oder gar einem oberflächlichen Betrieb der Wissen­

schaft das Wort geredet.

Döderlein sagt einmal, wen

l) S. Mager, Moderne Humanitätsstudien (ein Buch, das jeder als Lehrer thätige Philologe studirt haben sollte.) II. Heft pag. 128 und 129. „Keine Wissenschaft ist von Natur Schulwissen­ schaft. Man kann aber aus einer oder mehreren Wissenschaften einen Auszug machen für den Schulbedarf, und diesen Schntbedarf nennen wir Schnlwissenschaft."

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

23

die Mittheilung mehr interessire, als das Object des Wissens, der gehöre der Schule, wer über dem Object die Mitthei­ lung vergesse, gehöre zur Universität.

Dem sei wie ihn:

wolle, jedenfalls gibt es, wie hier angedeutet, eine doppelte

Art wissenschaftlicher Beschäftigung, und davon ist eine der pädagogischen Thätigkeit nicht besonders günstig.

Durch

das streng durchgeführte Princip der Arbeitstheilung ist die

wissenschaftliche Forschung der Gegenwart groß

mit) einseitigster Erfolge.

Beschränkung

So liegt

denn eine

geworden,

verdankt man bedeutende sonderliche

dieser Richtung in dem Zuge der Zeit.

Pflege gerade

Allein je größer

die einseitige Vertiefung in das wissenschaftliche Object, je

mehr die Besinnung auf die Zusammenhänge erschwert ist, um so weniger ist Aussicht auf eine vorurtheitsfreie sach­

liche Schätzung aller der Mittel, deren die Erziehung be­ darf.

Der pädagogische Zweck fordert eine gewisse Viel­

seitigkeit der Bildung, leicht sich erschließendes Verständniß, vorurtheilsfreien Blick und weiten Horizont, und wenn es uns auch

komisch dünkt,

„Versuch

einer Pädagogik von E. Chr. Trapp" J)

in dem historisch merkwürdigen vom

Jahre 1780 zu lesen, wie in der ernsthaftesten Weise der

künftige Erzieher vor

der Gelehrsamkeit

wird,

gewarnt

weil er weder „einen kränklichen oder schwächlichen Körper brauchen könne, noch seinen Grübeleien nachhängen dürfe",

so steckt doch auch in dieser wunderlichen Formulirung ein Stück Wahrheit, und wer einmal von einer gelehrten Arbeit, einer

interessanten

Untersuchung

hinweg

direct

in

den

Schulsaal ging, wird den Hallenser Professor wohl ver-

9 Vgl. a. a. O. den Abschnitt „Von der Erziehung der künftigen Erzieher" § 95 ffg, bes. pag. 471 und 472.

Zur pädagogischen Kritik

24

Ganz besonders aber gilt unsere Warnung jener

stehen.

Fachgetehrtheit, welche,

sich ängstlich im kleinsten Kreise

eiiifpiimeiib, es versteht mit stupender Gelehrsamkeit eine

Ignoranz zu verbinden, die dem dümmsten. Jungen keine Schande machte. Wer aber etwa jene Manier, nach welcher

sich z. B. der Philologe naturwissenschaftlich

alles, was

mathematisch

oder

aussieht, sorgfältigst vom Leibe hält,

mit dein Gespenst der encyklopädischen Bildung rechtfer­ tigen wollte, der wäre daran zn erinnern, daß jedes rich­

tige Verhältniß durch Uebertreibungen leicht in sein Gegen­ theil zu verkehren ist.

Solides Fachwissen erhebt sich nur

auf dem Grunde einer gediegenen allgemeinen Bildung;

mib weirn wir für jedes erfolgreiche wissenschaftliche Stu-

diunl den Unterbau z. B. der Gymnasialbildung fordern,

so verriethe es wenig Consequenz, gerade bei denen, welche einmal an der Herstellung solchen Baues

arbeiten, das

Bewußtsein um die Theile für gleichgültig zu erklären. Woher soll die rechte Würdigung der Bildungselemente, wie soll es zu der rechten Fühlung der Einzelnen unter einander kommen,

weiln nicht dieser Zusammenhang in seiner ganzen Tiefe erfaßt

und verarbeitet ist? Allgemeine Bildung führt uns daher in dieseui Sinne zur Philosophie; sie allein ist im Stande die

rechte Vielseitigkeit herauszubilden, und dabei vor Encyklopädisnius llnd Oberflächlichkeit zu schützen. Daher gibt es auch keine Pädagogik ohne Philosophie und es gibt keine Befä­

higung zum Lehranlte an Hähern Schulen ohne ein gewisses Maß

philosophischer

Bildung.

Nägelsbach^

*) NägelSbach, Gymnasialpädagogik, herausg. v. Autenrieth

pag. 25.

Hieher gehört auch das schöne Wort in Rieck'S päda-

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

25

sagt: „Der Lehrer muß philosophische Bildung besitzen, um die Dinge, die er zu lehren hat, in ihrer organischen Ent­ wicklung zu begreifen."

sophische

(für den Lehrer)

Trendetenburg') nennt philo­

das

Studien

allgemeine

wissenschaftliche

und sein Schüler,

s check in Gießen,

welcher

tesenswerthen Aufsatze in

im

Band

Professor Bratu-

vorigeil Jahre in

entern

den „Philosophischen Monats­

heften" unter dem Titel: „die Philosophie als obligatorischer Gegenstand der Schutamtsprüfung"

Gegenstandes

nachgewiesen,

seiner academischen

die Bedeutung dieses

läßt sich sogar neuerdings in

Antrittsrede also

gogischen Briefen pag. 323.

vernehmen:

„Die

„Ein echter Schulmann, so eng be­

grenzt seine Thätigkeit ist, bedarf einer Universalität für die Tota­

lität der Menschennatur, hat einen humanistischen philosophischen Sinn nöthig, dem: die Schule ist ein dynamisches nav der mensch­ lichen Gesellschaft und der Humanität."

l) Vergl. A. Trendelenburg von E. Bratuscheck, Philoj. Monatshefte von Ascherson, Bergmann und Bratuscheck VIII pag 387, woselbst ein Passus auö einer von Trendelenburg im Jahre 1836 verfaßten Denkschrift mitgetheilt ist. Zutrejsend

sagt Bratuscheck

in dem

erwähnten Aufsatze:

(Monatshefte X

pag. 51) „Daher ist die Beschäftigung mit der Pädagogik zu­ gleich daö beste Mittel, den künftigen Lehrer vor Einseitigkeit zu bewahren. Die Pädagogik gibt ihm den Antrieb, die allgemeine Bildung, die er von der Schule mitbringt, zu erweitern und zu

vertiefen. Rur so methodisch gebildet, ist der Lehrer im Stande, sein Fach in den rechten Einklang mit den übrigen Lehrfächern der Schule zu setzen — nur mit solchen Lehrkräften kann der Director einer höhern Schule dieselbe zu einem wirklichen Orga­ nismus gestalten. Einseitig gebildete Fachlehrer ohne diese metho­ dische Durchbildung zerreißen den Geist deö Schülers, weil keiner

von ihnen die rechte Rücksicht auf die andern zu nehmen versteht."

Zur pädagogischen Kritik.

26

Philosophie mit Einschluß der Pädagogik ist ein so wesent­ licher Gegenstand der Lehrerprüfung, daß man ihre Aus­ schließung nicht anders begründen konnte, als indem man

ihr den Charakter einer Wissenschaft absprach."

Es ist in der That ein schlimmes Zeichen für unsere Verhältnisse, daß die Begründung dieser Sätze auch nur

nöthig ist.

Wer freilich das Geschäft des Unterrichts mit

Dociren und Expliciren, mit Abfragen

und Repetiren

abgethan findet, mit dem ist nicht zu verhandeln.

Wenn

aber der wissenschaftliche Unterricht ein Höheres voraus­

setzt, wenn die Rede von seinen auf die Veredlung der Persönlichkeit gerichteten Zielen mehr sein soll, als eine

bei passender Gelegenheit zu verwendende Phrase, so darf es nicht an Veranstaltungen und

Einrichtungen

fehlen,

solche Ziele vor Allem im Lehrer selbst fest zu begründen,

damit die Zerstreutheit seiner oft höchst elementaren Thätig­

keit unter höhere Gesichtspunkte gebracht wird, damit sein Blick sich

schärft für das Unsichtbare in seinem Beruf,

damit seine ganze Bildung sich zuspitzt zu wahrhaft päda­ gogischem Interesse, eine Sache, die nur die Frucht

sein kann eines planmäßigen Studiums, das seine Wurzeln

hat in dem

Boden der Philosophie.

Ein Lehrer ohne

Ideal ist im besten Falle ein gelehrter Taglöhner. Lehrer-

Ideale haben aber ihren Maßstab in der Ethik und fein

Lehrer kann einer gründlichen ethischen Bildung entbehren. Doch wir schreiben ja keine pädagogische Encyklopädie.

Aber fragen wollen wir noch, ob denn eine wahrhaft bil­ dende, fruchtbare Lehrthätigkeit denkbar ist ohne Kenntniß [) S. Philos. Monatshefte XI, pag. 49.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

27

d. h. ohne freie Bewegung in den Hauptsätzen der Psycho­ logie?

Stellt man etwa gar die Existenz einer solchen

Wissenschaft in Abrede, so fragen wir weiter, ob auch nur Lehren, wie die von der Association der Vorstellungen, die

seit dem Vorgänge des schottischen Arztes Th. Brown

so erfolgreich von den Engländern*) ausgebildet, wie die von der Aufmerksamkeit imb Apperception,?) die besonders von der Herbartischen Schule vorgetragen werden, oder

wie die von den Anlagen und den Temperamenten, welche z. B. von Lotzes in wissenschaftlich

vorsichtigster Weise

gegeben wird, hinreichend bekannt iuib anerkannt, geschweige denn verwerthet und in das pädagogische Bewußtsein des J) Vgl. Ribot, la Psychologie

contemporaine.

auglaise

Paris 1870. 2) S. außer den Werken Herbart'S, bes. Waitz, Lehrbuch der

Psychol. alö Naturwissenschaft bes. $ 55 S. 628 und Volkmann, Lehrbuch der Psychologie vom Standpunkte des Realiönlus II. §§ 110—116.

3) S. Medicinische Psychologie bes. § 40 S. 556 und Mikrokosmus. II. Bd. IV. Buch 2. Cap. pag. 34. Hierher ge-. hört

auch

der

Artikel

„Seelenlehre"

von

F.

A.

Lange in

Schmid's Encyklopädie VIII 573 — 766. „Man kann manchen Band von englischen Werken über Psychologie gelesen tjaben, be­ vor man die Lehre von der Jdeenassociation hinlänglich beherrscht,

um sie in der Behandlung pädagogischer Fragen so zn benützen,

wie es zn wünschen wäre.

Wer

aber nicht gerade beabsichtigt,

die theorelische Wissenschaft selbstständig zn fördern, sondern nur für seine praktische Thätigkeit m ö g l i ch st g e r n st e t und zum möglichst vollkommenen Verständniß des

eigenen p ä d a g o g i s ch e u Thuns befähigt sein möchte,

der sollte doch wenigstens

die wichtigsten Resultate jener

nlaitnigfachen Forschungen (von Qnetelet, Lotze, Helmholtz, Wundt

U. s. w.) kennen zn fernen suchen pag. 593.

Zur pädagogischen Kritik

28

höhern Lehrerstandes übergeleitet sind;

davon ganz zu

wie wenig man im Stande ist,

schweigen,

aus der Ge­

schichte der Pädagogik die Praxis zu befruchten, Methode

und Stellung eines begreifen

und

Unterrichtsgegenstandes historisch zu

ebenso

den

vielen

Schwankungen

durch

Schaffung einer gesunden Tradition entgegenzuarbeiten, wie

Verständniß zu gewinnen für die Bedürfnisse der Gegen­

wart.

So wäre man, um nur ein Beispiel anzuführen,

gewiß nicht in Betreff der philosophischen Propädeutik in Gynnlasien aus einem Extrem ins andere gerathen, wenn

unter den Lehrern ein größeres historisches Verständniß

dieses Gegenstandes verbreitet wäre. *) Freilich, derartige Dinge lernen sich weder beiläufig, noch finden sie sich in einem handlichen Compendium be­

quem beisammen.

Wo aber ist z. B. in Bayern Gelegen­

heit gegeben, sich solche anzueignen. wir wissen, von theologischen

Zwar pflegt, soviel

Professoren ziemlich regel­

mäßig eine Vorlesung über Pädagogik gehalten zu werden; allein die Pädagogik ist keine theologische Wissenschaft, und

wo in der Geschichte der Pädagogik Theologen fördernd aufgetreten,

da

ist es

Theologie geschehen.

weniger mit Hilfe als

trotz der

Daher ist es auch Niemanden zu ver­

argen, wenn er, um mit denl oben erwähnten Chr. Trapps zu reden, „die menschliche Natur nicht durch das Glas des

Kirchensystems ansehen" will, und die Pädagogik als theo­ logische Disciplin auffassen scheint uns fast soviel zu be-

*) Wir erinnern an die Stellung, welche dem philosophischen Unterrichte am Gymnasium in Nürnberg unter Hegel'ö Rectorat zugewiesen war. 2) S. Trapp a. a. O. pag. 472.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

29

deuten, als ihr den Charakter einer Wissenschaft absprechen.

Aber gibt es denn nicht Collegien über Gymnasiatpädagogik? Allerdings, allein jede Speciatpädagogik setzt die allgemeine

voraus, kann dieselbe aber nicht etwa ersetzen. Jean Paul sagt ganz zutreffend: „Die Lehre des Allgemeinen ohne die

des Besondern ist so gut wie die Lehre des Besondern

ohne die

des Allgemeinen ein Abweg von der richtigen

Lehre, die beides verbindet. *)"

Gerade

in solchen allzu

„praetisch" sein wollenden Vorlesungen liegt die Gefähr­

der unwissenschaftlichen Regelsammlung gar nahe,

toenn

nicht ein philosophischer Hintergrund ihre Ableitung sichert.

Dazu konnnt, daß unter

allen Umständen den Lehrern

anderer Schulkategorien gar nichts geboten ist; und wo ein künftiger Lehrer der Gewerbschute etwas von Päda­

gogik oder Didaktik erfahret: soll, vermögen wir nicht an­

zugeben.

Daß demnach hier eine empfindliche Lücke in dein

System der Lehrerbildung vortiegt, kann Niemand leugnen.

III. Noch schlimmer steht es mit der praetischen Anleitung. Während die Volksschullehrer in einer Weise methodischpractisch geübt werden, als ob das ein Elementarspecificum

wäre, leistet dergleichen bei den

Candidaten des höher»

Schulamtes entweder das Genie

oder — die Praxis des

späteren Amtes.

Das Lehrgeld zahlen dann die Schüler

die Lehrmeister sind der Zufall und die Noth, und das

Publikum.

ist es zufrieden.

„9Juui

muß

*) Levaua, Vorrede zur 2. Aufl. pag. XII.

gestehen,

sagt

Zur pädagogischen Kritik

30

Theodor Waitz, daß für das leibliche Wohl der Menschen

besser gesorgt wird.

Die künftigen Aerzte besuchen außer

den theoretischen Vorlesungen, die ihrem Fache und den dafür vorbereitenden Wissenschaften angehören, auch die

Sie bekommen hier nicht bloß Kranke zu sehen,

Kliniken.

sie werden auch in der richtigen Erkennung und Beur­

theilung der vorliegenden Fälle geübt, sie müssen unter Anleitung und Aufsicht des Lehrers ihre ersten Opera­ tionen machen, sie werden mit einem Worte praktisch aus­

Der künftige Gymnasiallehrer dagegen tritt ge­

gebildet.

wöhnlich zum ersten Male in eine Schule,

wenn er an­

fangen soll in ihr als Lehrer thätig zu sein, ja er hat in

vielen Fällen vorher über Erziehung und Unterricht noch

niemals etwas gehört oder gelesen, vielleicht niemals auch nur daran gedacht.

Sein eigentlicher Beruf ist ihm voll­

ständig fremd geblieben, und da geht es nun mit diesen: wie es eben kann.

Besitzt er einige Liebe zu ihm, einigen

Ernst und Energie, so kann immerhin seine Leistung noch recht tüchtig sein oder doch werden, aber daß für seine

Ausbildung zürn Lehrer das Nöthige geschehen sei, wird sich doch schwerlich behaupten lassen.

öffentliche

Meinung sagen,

Was würde die

toemt Aerzte die Erlaubniß

zur Praxis erhielten, die noch nie einen Kranken gesehen hätten.

Beim Lehrer und Erzieher findet man das ganz

analoge Verhältniß fast in der Ordnung."l) — In der That, S. Theodor Waitz, Zur Frage über die Vereinfachung des

Gymnasialunterrichts zunächst in Kurhessen, pag. 25.

Auch der

Verfasser von „Ueber nationale Erziehung" Leipzig bei Teubner 1872, sagt pag. 163: Somit muß von jedem künftigen Gym­ nasiallehrer verlangt werden, daß er zwei Jahre ausschließlich

mit besonderer Rücksicht ans Bayern.

31

was inan auf allen andern Gebieten unbegreiflich fände, gilt hier als Regel. Während man Don einem Verwal­ tungsbeamten, und stünde er auch auf der untersten Stufe der Beamtenleiter, mit Fug und Recht erwartet, daß er nicht nur Staatswissenschaft und Politik als Wissen­ schaften kennen gelernt, sondern auch in jahrelanger Theil­ nahme an den laufenden praktischen Arbeiten sich eine ge­ wisse technische Gewandtheit angeeignet habe, gibt es der Herr den Pädagogen schlafend. Ist denn aber Lehren und Erziehen ein so leichtes Geschäft? Kein Sachverständiger wird diese Frage bejahen. Schon die Nothwendigkeit des raschen Handelns in meist unvorhergesehenen Fällen, die dabei unerläßliche Ruhe, welche auch in den verwickeltsteu Situationen das Ziel nicht vergißt, die Bereitschaft zur Ausnützung aller Zwischenfälle, die Stetigkeit der gemüth­ lichen Betheiligung — alles das setzt einen großen Kreis von practisch- beweglichen, leicht verfügbaren Gedanken voraus, welcher in der Hauptsache nur durch eine beson­ dere Vorbereitung erworben werden kaun; andernfalls ent­ steht nur nach und nach ein zufälliges Gebräu von mehr oder minder glücklichen Gewohnheiten Man sage uns nicht, daß durch den Gang der Hähern Studien, durch die Vertiefung in streng wissenschaftliche Arbeiten ein gewisses Taetorgan erzeugt werde, das im Gegensatze zu dem in der Vorhalle der Wissenschaft festgehaltenen Volksschullehrer dem an­

pädagogische, uub zu deren tieferen Begründung, psychologische Studien treibe, sei es mit, sei es ohne Hilfe eines eigens dafür an den Universitäten zu errichtenden Seminars, in welchem aber dann ausschließlich pädagogische, respective psychologische Fra­ gen behandelt würden.

32

Zur pädagogischen Kritik

gehenden gelehrten Lehrer leicht den Weg zeige und be­

sondere Weisungen und Uebungen ersetze.

Im Gegentheil,

leichter noch steigt der Volksschullehrer aus seiner Bildungs­ sphäre zu seinen

Schülern herunter, als der Academiker

aus der Region der gelehrten Fragen sich zu dem Fassungs­ kreis von Knaben herabläßt.

Denn es ist ein anderes um

die Interpretation eines Classikers im philologischen Semi­

nar und ein anderes um die Lectüre desselben mit einer Gymnasialktasse,

und ein

ein anderes um historische Quellenkritik

anderes um

eine

historische

I. Curse der Gewerbschule oder in

Lection in

eitlem

einer IV. Lateinktasse,

ein anderes, einen platonischen Dialog in das Ganze des

Systems einreihen, und ein anderes, ihn exponiren

vor

Anfängern im philosophischen Denken, ein anderes endlich,

in die Denkmäler des germanischen Alterthums eindringen, und ein anderes, mit Selbstverleugnung und Geschick un­

serer Jugend Liebe und Geschmack für unsere vaterlän­ dische Literatur einflvßen, gar nicht zu reden von jenen

Problemen,

wie sie fast jede Stunde bringt, sei es, daß

es sich um die Anfänge des deutschen Aufsatzes handelt,

oder unl die inductive Gewinnung einer grammatischen Reget odereines naturwissenschaftlichen Gesetzes.

Wer hier ohne

Anleitung und Uebung beginnt, kann nur durch viel Schaden

(activ und passiv) klug werden, es sei denn, daß er vom lieben

Gott besonders begnadigt wäre.

Ganz das Gleiche gilt für

Haltung, für die Technik des Fragens, für Ktassendisciplin und wie alle die „Kleinigkeiten" heißen, die, mögen sie noch so vornehm als adia^u betrachtet werden, entweder in

ihrer Vereinigung den Lehrer stützen und

sein Geschäft

erleichtern oder fehlend ihn zu Schanden machen.

Neben die Forderung ausreichender Gelegenheit für theoretisch - pädagogische Studien stellt sich daher die keines­ wegs weniger dringliche, geeignete Veranstaltungen zu treffen für die practisch-pädagogische Uebung, d. h. die Forderung acadeinisch - pädagogischer Seminare. Es ließe sich ein Haufen von Zeugen aus der Ge­ schichte des Gelehrtenschutwesens für die Nothwendigkeit von solchen Instituten zusammenbringen, und zwar schon von den Zeiten des gestrengen Trotzendorf an, der zuerst eingesehen haben soll, daß „das Unterrichten eine Kunst sei, die inan durch Uebung und Nachdenken erlernen muffe". Sind aber die bisher herausgestellten Punkte im Allgemeinen richtig, so läßt sich eine derartige Forderung nicht mehr ablehnen, und ist das Bedürfniß anerkannt, so müssen auch allmählich Mittel und Wege zu seiner Be­ friedigung gefunden werden. Daß jedoch der hier einzu­ schlagende Weg nicht ganz ungebahnt ist, soll nur in Kürze berührt werden. *) Seit der Philologen Cellarius in Halle und Gesner in Göttingen Zeiten hat sich die Tradition seminaristischer Einrichtungen an den Hochschulen nicht mehr verloren. Des berühmten F. A. Wolf SeminarVeranstaltungen ließen trotz ihres eigentlich philologischen Charakters das Pädagogische nicht außer Acht, und welch' wohlthätiger Einfluß von dem durch den ehrwürdigem Gedike geschaffenen und mit den: Friedrichswerderschen *) Eine quellenmäßige Geschichte der hierher gehörigen Bestrebnngen fehlt bis jetzt; die verdienstvolle Schrift von BrzoSka, „die Nothwendigkeit pädagogischer Seminare aus der Universität"

nimmt aus das Historische keine Rücksicht.

Zur päMgoflifdjen Kritik.

ß

34

Zur pädagogischen Kritik

Gymnasium verbundenen Seminar für gelehrte Schulen

ausging, hat er selber ausführlich erzählt.*) Niemeyer's an die Fränkischen Stiftungen geknüpfte Bestrebungen sind auch in dieser Hinsicht erfolgreich gewesen, und wie sehr

Herbart') den Gedanken

wissenschaftlich

vertieft

und

practisch ausgestaltet, ijt zu bekannt, als daß es noch be­ sonderer Hervorhebung bedürfte.

Männer wie T h i e r s ch,

Dissen und Kohlrausch, die in so rühmlicher Weise

ihre Nanien der deutschen Schul- und Gelehrtengeschichte

eingefügt, haben schon an der Schwelle seiner academischen Laufbahn in Göttingen seinen deßfallsigen Einfluß erfah­

ren, und was bis heute für den Aufbau einer den strengsten wissenschaftlichen Anforderungen

entsprechenden Pädagogik

sowie für die theoretisch-praktische Ausbildung von Lehrern für höhere Schulen von der Herbartischen Schule,

von

Professor Brzoska an bis herab zu noch jetzt wirksamen Män­

nern, wie z. B. Stoyb) in Jena und Zill er4) in Leipzig, geleistet worden, braucht Kennern der Wissenschaft nicht

gesagt zu werden.

Gerade die Herbartische Schule hat das

Verdienst, nicht nur den philosophischen Charakter der Päda­ gogik betont, sondern auch die Nothwendigkeit eigener Veran­

staltungen für die practische Bildung der Lehramtscandidaten

S. Gedike, Ausführliche Nachricht von dem Seminarium für gelehrte Schulen. Gesammelte Schulschriften. II. Bd. Berlin 1795. pagn. 112. 2) S. Werke Bd. XL 411 (Ausgabe von Hartenstein). 3) S. das Pädag. Seminar zu Jena. Historische Bilder aus den Acten desselben. Leipzig 1858. 4) S. Ziller, Grundlegung zur Lehre vom erziehenden Unter­ richt. Bes. § 7. Die Kunst des Unterrichts.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

35

unwiderleglich dargethan zu haben. AusderHegel'schen Schule

ist Thaulow !) in Kiel mit Entschiedenheit für eine gründ­ lichere Pflege der pädagogischen Studien in Wort und

That eingetreten, Beneke?) fordert practisch-pädagogische

Uebungen und was der Krauseaner Ahrens3) gegen die

„Abwege in der neuern Geistesentwicklung," als Abhilfe in Vorschlag gebracht, liegt wesentlich auf der hier beton­ ten Seite.

Privatdoeent Bäbler4) in Bern hat vor zwei

Jahren eine eigene Broschüre über „Errichtung pädagogischer

Seminare" veröffentlicht, und wenn im vorigen Jahre die pädagogische Section der Versammlung deutscher Philologen

und Schulmänner in Innsbruck unter dem Vorsitz des Leipziger Professors Eckstein das Bedürfniß pädagogischer

Seminare einstimmig anerkannte, und in Betreff der Ein­ richtung derselben wenigstens darin einig wurde, daß es

sich nicht um bloße Routine handeln dürfe, daß daher ein

gründlicher Betrieb der pädagogischen Grundwissenschaften, nämlich der Psychologie und Ethik vorauszusetzen sei — so ist das gewiß ein bedeutsames Zeichen, und die W a i tz ’ sche

Klage, daß die Mängel der pädagogischen Bildung von Jedermann gefühlt würden, nur von den Lehrern nicht, *) S. Thaulow, Erhebung der Pädagogik zur philos. Wissen­ schaft oder Einleitung in die Philos. der Pädagogik; Berlin 1845,

dann: Nothwendigkeit und Bedeutung eines Pädagog. Seminars

auf Universitäten und Geschichte meines Seminars. Berlin 1845. 2) Vgl. ErziehungS- und Unterrichtslehre II, 489. 3) S. Ahrens, Abwege in der neuern dentschenGeisiesentwicke-

lung und die nothwendige Reform des UnterrichtSwesenö. — Der­ selbe fordert besonders philosophische Seminare.

4) Die Errichtung pädagogischer Seminare an Universitäten. Zürich 1873.

Zur pädagogischen Kritik

36

hat ihre Allgemeingiltigkeit verloren.J) Auch über Deutsch­

land hinaus ist die Frage practisch geworden.

In Eng­

land macht sich der Mangel an solchen Anstalten empfind­ lich geltend; in Schweden trägt man sich mit Plänen für-

entsprechende Einrichtungen; in der Schweiz steht die Re­ form der höhen: Lehrerbildung auf der Tagesordnung,

und in Oesterreich hatte schon vor einigen Jahren das Unterrichtsnüuisterium eine eigene Enquete ") über päda­ gogische Universitätsseminare veranstaltet, ohne freilich die *) Noch sei Folgendes erwähnt: Im September 1873 faßte

die erste Deutsche Realschulmä'nner- Versammlung in Gera sub. 3 den Beschluß:

„Um eine

gediegene Vorbereitung

Lehrer für das Lehramt 311

der

sichern, sind Seminarien

für höhere Schulen nothwendig, welche, mit den Universi­ täten verbunden, in einem

vierten obligatorischen Studienjahre

nach dein Examen theoretische und praktische Vorbereitung ge­

währen und deren Besuch in jeder Weise zu erleichtern .ist." Auch die diesjährige Naturforscherversamnrlung in Graz beschäftigte sich

mit der Frage der pädagogischen Bildung der Lehrer für Natur­ wissenschaften. — Director Dr. Weck schließt seine Studie über

„daS

deutsche Gymnasium (Ratibor 1875) mit folgenden nach

seiner Annahme keiner Motivirung bedürfenden Sätzen: 1) „Bei jeder Universität ist ein ordentlicher Lehrstuhl ausschließlich für

Pädagogik zu gründen."

2) „Von jeder derartigen Professur ist

ein pädagogisches Seniinar abhängig"; und Professor I. B. Meyer in Bonn nennt es „eine gerechte Zeitforderung, die Pflege der Pädagogik an den Universitäten nicht nur den zufälligen Nei­

gungen der Theologen und Philosophen zu überlassen, sondern dafür eigene Professuren 31t gründen; um dazu beizutragen, daß die Schulmeisterweisheit wahre Wissenschaft werde."

2) S. Vogt,

die Wiener

Enquete über pädagogische Uni­

versitätsseminare, im Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik IV. pag. 316.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern. Frage zur Lösung zu bringen.

37

In Preußen hat

nan

wenigstens ein Surrogat in den unter einigen Gymimsialdirectoren stehenden Seminaren für gelehrte Schulen, und

daß sowohl in Preußen als auch in Sachsen auf die theo­ retische Kenntniß der pädagogischen Hilfswissenschaften Ge­

wicht gelegt und ein gewisses Maß philosophischer Bil­

dung gefordert wird, ist bcfiumt

Nur Bayern macht in

all' diesen Dingen eine wenig rühmliche Ausnahme.

IV. Es ist ui der That nicht leicht zu begreifen, wie in Bayern unter Mitwirkung von wissenschaftlichen Größen ersten Ranges eine Prüfungsordnung für die Candidaten des höhern Schulamtes zu Stande kommen konnte, welche

die Pädagogik neben Literatur re. unter jene Kenntnisse

und Fächer einreiht, die als der allgemeinen Bildung zu­ gehörig durch den deutschen Aufsatz erforscht werden, welche aus einer Probelection, in welcher der Candidat in der Regel zum ersten Mal vor Schülern erscheint, die practisch-

methodische

Befähigung kennen lernt, welche von einer

Prüfung in der Philosophie nichts weiß, obgleich die Lehr­ ordnung sowohl des humanistischen Gymnasiums als des Realgymnasiums in den oberen Klassen philosophische Pro-'

pädeutik vorschreibt, welche keine Sorge dafür trägt, daß

auch die Candidaten

wissenschaften

soweit mit

sich beschäftigt haben, vermögen,

der Mathematik

ohne

den

daß sie

und der Natur­

ethischen

Wissenschaften

jene Garantie zu

die der Staat Niemand

bieten

ein Lehramt

anvertrauen soll, welche die Einreihung unter die Can-

Zur pädagogischen Kritik

38 didaten

des

Gymnasiallehramtes (int

engern

Sinn)

in

der Specialprüfung lediglich von einen: Beweis des wissen­

schaftlichen Fortschritts, von einer gelehrten Arbeit abhängig macht, während es grundgelehrte Leute gibt, welche als Lehrer doch in jene Classe

zählen, die von Döderlein

dahin

daß sie die Verachtung ihrer

charakterisirt wird,

Schüler treffe.

Ist da preußischerseits die Erklärung ver­

wunderlich, „daß, wenn auch kein Bedenken obwalte, die bayerischen Zeugnisse über die bestandene wissenschaftliche

Speciatprüfung als gleichwerthig mit der in Preußen ertheil­

ten facultas docendi für die Prima anzuerkennen, deren völlige Gleichstellung für den preußischen Gebrauch doch

von einer Nachprüfung in der Philosophie und

Pädagogik abhängig gemacht werden müsse." *) Es ist sehr zu beklagen,

daß man in solchem Grade

aus dem Extrem der frühern Prüfungsordnung direct in

das entgegengesetzte gerathen konnte. Philologe

zu

einem

War nach jenem der

Encyktopädismus

verurtheitt,

nach

welchem auch die positiven Religionskenntnisse zu einen: Gegenstand des Examens erhoben waren, so entschloß man sich nun zur Normirung eines ausschließlichen Fachwissens,

das über dem Gelehrten den Lehrer vergißt.

Ist denn die

rein scientifische Bildung allein in: Stande, Jemanden zum Lehrer zu machen?

Oder setzt nicht gerade der durch gründ­

liche Fachstudien erworbene intellectuelle Besitz eine gleich fest begründete Welt- und Lebensanschauung voraus, ja ist es

letztere nicht, die jenem

leiht?

erst Werth und Bedeutung ver­

Pädagogische Studien sind es aber gerade, die dem

’) S. Bratuschek, Philos. Monatshefte X, pag. 23.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

Lehrer zu solchem Fundamente verhelfen.

39

Ethik, Psycho­

logie, Geschichte der Bildung und Cultur liefern das un­ entbehrliche Material, und wenn man bedenkt, daß sich in

unserer Zeit ein immer tiefer gehender Scheidungsprozeß zwischen Staat und Kirche vollzieht, dem kein Einsichtiger

Stillstand wünschen wird, so wird man sich kaum der Er­ wägung

entziehen können, daß die idealen Elemente der

menschlichen Gesellschaft sonderlich bei denen gründlichste

Pflege erfahren müssen, denen die Erziehung und Leitung der Jugend anvertraut, die Heranbildung derer überlassen

wird, welche einmal leitend auftreten sollen.^

Staat nicht

in diesem Sinne

diejenigen

mal seine Beamten werden sollen, mit einem hölzernen Schwerte.

der oben genannte Ahrens

so

aus,

Rüstet der die ein­

kämpft er überall

Mit vollem Rechte sagt

in

der erwähnten Schrift:

„Wohl erscheint ein gründlicheres Studium dieser Wissen­

schaften (Psycholotogie, Logik re.) besonders der Ethik ge­

boten, da die tiefern sittlichen Ueberzeugungen des Lehrers sicherlich nicht

ohne

günstigen Einfluß auf die ganze sitt­

liche persönliche Haltung und auf die richtige Behandlung

vieler Gegenstände sein werden." )

Es wird Niemand leugnen wollen, daß gerade in die­ ser Richtung trotz aller Reformen in Bayern noch so gut

wie gar nichts geschehen. *) Vgl. Rieck, XXII. Brief.

Alle Schulverbesserungen wirken

Pädagogische Briefe, Bielefeld, 1867, des.

„Die Culturverhältnisse der Gegenwart sind der

Art, daß ohne ein durchgebildetes pädagogisches Bewußtsein eine Sicherheit der Praxis und eine ungetheilte Hingebung nicht mög­ lich ist." pag. 315.

-) A. a. O. pag. 92.

Zur pädagogischen Kritik

40

aber nur, soweit der Lehrerstand pädagogisch tüchtiger wird,

und das, was sich am allerwenigsten durch Verordnungen

und Aehntiches regeln läßt, ist nun doch einmal die Haupt­ sache.

Daran scheint man aber wenig zu denken.

Denn

während nach den bestehenden Vorschriften auch an der

polytechnischen Hochschule eine Vorbereitung für verschiedene

Fachexamina möglich ist, einer Anstalt, die durch ihren außerordentlich

raschen Aufschwung ihren Gründern alle

Ehre macht, ist keine Sorge dafür getroffen, daß auch hier

den ethischen Wissenschaften ihr Recht und jene Gelegenheit geschaffen wird, die auch der Studirende der Naturwissen­ schaften, ja er besonders, nicht missen kann?) Ist doch nach

neuer Ordnung auch der Abiturient des Realgymnasiums in philosophischer Propädeutik unterrichtet.

Wie aber soll

er denn nun an der polytechnischen Hochschule, welche doch

der natürliche Aufbau auf dem Fundamente des Real­

gymnasiums, für die Anregungen und

etwa ' gewonnenen

Antriebe

philosophischen

Nahrung mit) Leitung firn

den?

Fordert schon der Hochschnl - Charakter eine Vertre­

tung

der

Geisteswissenschaften,

mehr Art und Form

so

verlangt

der daselbst

eine Verknüpfung mit dem Allgemeinen.

gepflegten

noch

viel

Studien

Wenn Wundt2)

die Aufgabe der Philosophie dahin formntirt hat, sie habe 9 Vgl. AhrenS a. a. O. pag. 101.

„Die große Zahl der

auf diesen (polytechnischen) Anstalten Studirenden, welche später in das so weit verzweigte

tief in das Volksleben eingreifende

wirthschaftliche Berufsleben eintreten, läßt eine solche tiefere psycho­ logische und ethische Bildung als besonders dringend erscheinen." 2) „Ueber die Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart." Rede rc. in Zürich gehalten.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

41

als Wissenschaft der Wissenschaften „den allgemeinen Zu­ sammenhang der Erkenntnisse" herzustellen, so führt gerade

die Verzweigung der Naturwissenschaften, die Besonderung

zur Nöthigung

zusammenfassender

Ueberschau und innerer Verbindungen.

Jeder Vertiefung

ihrer

Detailforschung

ins Einzelne hat zur Seite zu

gehen die Besinnung auf

das Ganze, sonst kommt es eben zu jener oben erwähnten

„cyklopischen"

Gelehrsamkeit, *)

mit der nicht selten auch

eine „vita cyclopica“ gepaart ist.

Gerade die Bildung der

academischen Jugend sollte sich die Beziehungen, welche die

exacte Forschung heutzutage in ihren ersten Vertretern zur Philosophie herstellt,2)

nicht ünverwerthet entgehen lassen.

Allerdings ihrer Natur nach gehört die

Pädagogik

zur Universität, und ob nicht bei einer aufmerksamen Pflege derselben jene von so wendig bezeichnete

vielen Seiten

die Reform des Lehrvortrags,

*) Neben

setzen wir den

als dringend noth­

Umbildung der academischen Didaktik,

dieses Wort

sich allmählich und natur-

Kant's (Anthropologie

schönen Spruch von Göthe:

pag.

160)

„Vor zwei Dingen

kann man sich nicht genug in Acht nehmen; beschränkt

man sich

in seinem Facke, vor Starrsinn; tritt man heraus, vor Un­ zulänglichkeit."

Vgl. dazu die geistvolle Festrede von vr. H.

Vaihinger

als

„Göthe

Ideal

universeller

Bildung."

Stutt­

gart 1875.

2) Wir

verweisen

außer Helmholtz

Rede „über das

Ver­

hältniß der Naturwissenschaften zur Gesammtheit der Wissenschaft" besonders auf die lichtvollen Erörterungen, wie sie F. A. Lange's

Geschichte des Materialismus in

wissenschaften" bietet. allgemeinen

Eap. V.

den

Abschnitten „die Natur­

Auch Dühring,

Principien der Mechanik,

kritische Geschichte der

gehört hierher.

Vgl. bes.

42

Zur pädagogischen Kritik

gemäß vollziehen würde, darauf wollten wir hier nur Hin­

weisen.

Denn soviel steht ja fest, daß auch unsere gelehr­

testen Professoren nicht selten sehr mittelmäßige Docenten sind,, theils weil sie es nicht besser machen wollen, theils

weil sie

nicht können,

und daß die Sorgfalt,

Erkenntniß der Bedürfnisse der Zuhörer, mäßige ,

dem

Lehrzweck entsprechende

welche auf

auf eine zweck­ Gruppirung

des

Stoffes, auf den Vortrag selbst, endlich auf Aneignung und

Verarbeitung verwendet wird, gar nicht in Betracht kommt gegen die

etwaige

schriftstellerische Leistungsfähigkeit des

„berühmten" Docenten, — ist eine

Sache,

deren Unge­

hörigkeit man nach und vuch in immer weitern Kreisen

wenigstens fühlt.

Wir sind weit entfernt, etwa der Tren­

nung von wissenschaftlicher Forscherthätigkeit mischer Lehrthätigkeit das

und acade-

Wort reden zu wollen.

Der

academische Lehrer muß aus der Quelle schöpfen; allein die Mittheilung an die Jugend, ihre Führung und Leitung ist weder etwas Nebensächliches noch Selbstverständliches, und wenn auch geniale Naturen hier wie überall sich leich­ ter einen Weg bahnen, — auch die Universitäten sind nicht

vor dem Schutmeisterschlendrian gesichert, und es scheint dringliche Pflicht zu sein, daß man auch hier auf Mittel

und Wege sinne, wie deutliche Mißstände beseitigt werden können.

Es

wird

angemessen

sein,

die

Kritik hier

einzu­

reihen, welche die besprochenen Verhältnisse bei der letzten Budgetberathung des Landtages im Referate

des Dom-

capitulars Dr. Anton Schmid erfahren haben. Nach einer

Hinweisung darauf, daß bereits

im früheren Landtage

„viel über die Heranbildung tüchtiger Lehrkräfte an den

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

43

Mittelschulen gesprochen und unerkannt worden sei, daß

hier

eine

Lücke

in

Unterrichtswesen

unserm

bestehe,"

wird folgendermassen fortgefahren: „Nothwendig dürfte sein

ein Seniinar für Realienlehrer und zwei für Lehrer der modernen Sprachen überhaupt.

Es bestehen Seminarien

für Theologen, Philologen, Mathematiker, Historiker, für

Musiker, Volksschullehrer; alle diese haben Gelegenheit in Fachinstituten

die

für

ihre

künftige

Stellung

nöthige

Spezialbildung verbunden mit den entsprechenden Uebun­ gen, zu erlangen.

Rur für die Heranbildung von Lehrern

an den so wichtigen technischen Schulen und von Lehrern der modernen Sprachen an den humanistischen und rea­ listischen Unterrichtsanstalten ist bisher kaum Hinreichendes geschehen. Zwar sind Lehrstühle für Geographie, für deutsche

und französische Literatur und für allgemeine Geschichte errichtet, und hiemit ein

gethan.

bedeutender

Schritt vorwärts

Allein es fehlt diesen Lehrkräften an einheitlichem

Zusammenwirken, an bestimmter gleichmäßiger Ein - und

Vertheitung des Lehrstoffes,

an einem fest abgegrenzten

Programm, welches die Candidaten während

ihrer acade-

mischen Laufbahn durchmachen müssen; es fehlt an practischen Uebungen in den verschiedenen Disciplinen, Uebun­ gen, welche allein Sicherheit in der Handhabung und An­

wendung des Gelernten gewähren.

Ein solches Seminar

läßt sich mit Benützung der vorhandenen Lehrkräfte leicht

einrichten, wenn noch zwei Lehrstühle — der eine für die

deutsche,

der

andere für die französische und englische

Sprache — errichtet werden."')

Es ist schwer zu sagen,

l) Bericht des Finanzausschusses rc. Seite 54 und 55.

44

Zur pädagogischen Kritik

in welch' wunderlicher Weise hier zutreffende Kritik, schiefe

Auffassung und bunden sind.

verkehrte

Vorschläge

mit einander ver­

Niemand, der die Verhältnisse unserer Ge-

werbschulen kennt, wird die gerügten Mängel in Abrede

Allein beziehen sie sich etwa ausschließlich auf die

stellen.

namhaft gemachten Lehrerkategorien, sind nicht die Candi-

daten der Matheinatik und Naturwissenschaften in gleicher Ja ist auch nur das richtig, was in demselben

Lage?

Referat weiter unten zu lesen:

„Für die Heranbildung

guter Lehrer an den humanistischen Anstalten ist durch die an

den

Landes-Universitäten

Seminarien

für

die

befindlichen

Vorbildung

philologischen

hinreichend

gesorgt."?

Das was für die Lehrer vermißt wird, Einheit und Zu­ sammenhang des Studienganges, sicheres Wissen, Beweg­

lichkeit und Leichtigkeit in der Beherrschung der erwor­ benen Kenntnisse — gewährt kein Fachseminar, und auch

keine Vereinigung von Fachprofessoren oder Fachseminaren mittelst eines Programmes.

Der Zweck der Fachseminare

ist nach der Natur der Sache tiefere Einführung in die

Lehre

mittelst der Uebung

an einem gegebenen Object.

Der Germanist — und um die Anstellung eines solchen könnte es sich doch nur handeln — wird so gut wie die Vertreter der classischen oder modernen Philologie Uebun­ gen anstellen in Textkritik, Interpretation rc. und der Ge­

winn der Seminaristen besteht in der allmählichen Einsicht

in

die

Art und Weise,

wie wissenschaftlich gelehrte Ar­

beiten aufgefaßt und gelöst werden müssen. Nothwendigkeit und

Nutzen

Niemand kann

solcher Institute

verkennen;

allein Anderes noch verlangt das Bedürfniß der Schule

und des künftigen Lehrers.

Es

lassen sich bedeutende

mit besonderer Rücksicht auf Bayern. Vertreter der verschiedenen Zweige der Philologie,

45 der

Mathematik und der Naturwissenschaften denken, ohne daß dieselben je Veranlassung gehabt haben, an die Bedürfnisse

einer Mittelschule 311 denken, geschweige denn an solchen

Schulen selbst thätig zu sein und Erfahrungen zu sammeln.

Männer, wie z. B. Giesebrecht in München oder Köchly in Heidelberg sind ja selten.

Allein selbst unter der Vor­

aussetzung, daß die einzelnen Fächer in solcher Weise an

den Hochschulen vertreten wären,

läßt sich

das als noth­

wendig Nachgewiesene ohne anderweitige Hilfe nicht erreichen. Einführung in die allgeineine Methodik, Anwendung der so gewonnenen Grundsätze auf die einzelnen Unterrichts­

zweige, Zusammenhang der einzelnen Unterrichtsgegenstände unter einander, Werth derselben in Bezug auf den obersten

auf Beitrag zur allgemeinen Bil­

Unterrichtszweck und

dung, Erörterungen über den Zusammenhang des geistigen

Lebens der Jugend und die Bedingungen seiner Fortent­ wicklung, darauf gegründete Ueberlegungen über die Be­

handlung der Schüler, über Aufgaben, über Wechsel im Gang des Unterrichts, sodann die Menge von Fragen der didaktischen Technik, z. B. über die Frage (eine crux so

vieler Lehrer und

eine Quelle der

Erheiterung für so

manchen denkenden Gymnasiasten) über Repetitionen, über

Correcturen, über Forut der Erklärung re. — das sind

doch wohl lauter Dinge,

die nicht etwa beiläufig sondern

nur auf Gruud eines einheitlichen pädagogischen Systems besprochen werden können, dessen Vertreter die einzelnen

Schulwissenschaften eben so weit beherrschen muß, daß er die

Einführung

in

Sicherheit leiten kann.

die Praxis mit wissenschaftlicher

Nicht um den Erwerb einer mehr

Zur pädagogischen Kritik

46

oder weniger großen Routine handelt es sich, sondern um die Anbahnung pädagogisch-methodischer Ueberlegnngen auf

Grund

einer

Erfahrung.

gewissen

Nicht

soll

derselbe

Germanist sein, aber welche Stellung der deutsche Unter­

richt in

irgend

einem Lehrprogranun

einzunehmen hat,

wie die Aufsatzübungen anzuordnen sind, und welche Ent­

wicklung der deutsche Sprachunterricht durchgemacht, das

sind Fragen, die er theils in der allgemeinen und speciellen Didaktik, theils in der Geschichte der Methodik zu bear­ beiten hat, und in gleicher Weise ist sein Verhältniß zu allen andern Hauptfächern der Schule zu denken.

V. Es kann natürlich einige Andeutungen zu

nur Aufgabe dieser Skizze sein, geben.

Daher sollen denn auch

Beziehungen der Pädagogik nach andern Seiten nur flüch­ tig berührt werden.

Die Geschichte des unterfränkischen

Schulwesens erzählt uns, daß der Bischof Franz Ludwig

eine Professur für Pädagogik errichtet, dainit (nach Niel,

Revision des Würzburgischen Schulwesens)!) „seinen Schulen die jedesmaligen Fortschritte der Pädagogik, eine geprüfte Ausbeute der bessern Grundsätze und der Geist des Nach­

denkens und Forschens hierüber zugesichert wurden", mit) daß „um der Erziehungswissenschaft mehr Interesse und

eine noch ausgedehntere Sphäre zu verschaffen durch Georg

Carl allen Studirenden ohne Unterschied zur Pflicht ge­ macht wurde,

das

Collegium der Pädagogik fleißig zu

frequentiren und sich hierüber durch ein Attestat des Pro-

') S. a. a. O. pag. 55 und 147. (Würzburg 1803.)

mit besonderer Rücksicht auf Bayern. fessors desselben zu legitimiren." radicale Maßregel etwa als

47

Es Ware thöricht, diese

Vorbild aufzustellen.

Daß

aber die practische Bedeutung pädagogischer Studien über die Lehrerkreise hinausreicht, lehrt auch oberflächliche Be­ trachtung.

Leicht nachweisbar ist ihre Beziehung zu den

Staatswissenschaften, und daß die Vorbereitung eines Ver­

waltungsbeamten

gerade diesem so wichtigen Zweige des

öffentlichen Lebens, den die Pädagogik mit behandelt, der

Scholastik, d. h. der Lehre von den Schulen, nicht fremd

bleiben sollte, haben vielleicht die Arbeiten Don Mohl oder Stein wenigstens negativ bewiesen.J)

Gewiß würde seltener

von ©eiten derer, welche mindestens „äußere" Schulange­

legenheiten zu verwalten haben, der Mangel an Gedanken

und

Einsicht durch

willkürlich

schädigende

Verfügungen

ersetzt werden, wenn man dem Gegenstände selbst nicht gar

zu fern geblieben wäre, und um unser gesammtes Schul-

und Erziehungswesen

müßte es

besser stehen, wenn es

möglich wäre, unter den Besten der Nation nnfc sonderlich

unter denen, welche in verschiedenen Kreisen einmal leitend auftreten sollen, tieferes Verständniß und lebendigeres In­

teresse für die Fragen der Erziehung zu wecken und zu pflegen.

Von welchem Werth das aber für das gesammte

Volksleben sein würde, darüber hat die. Socialwissenschaft trotz ihrer Jugend bereits hinlänglich Licht verbreitet. '")

*) Wir erinnern an N. v. Mohl, Politik II (Erziehungs­ politik) und an Lorenz Stein, Verwaltungslehre, die Innere Verwaltung, II. Hauptgebiet, das Bildungswesen. 2) S. Stein, Gesellschaftslehre. (System der Staatswissenchaft II) bes. pag. 196 u. s. w. Auch „Gedanken über die Social Wissenschaft der Zuknnst" v. P. L. pag. 259 ffg.

48

Zur pädagogischen Kritik

Vom Volksleben kommen wir schließlich noch in Kürze

auf das Volksschulwesen.

Denn wir können uns nicht zu

jener bequemen als Arbeitstheilung und weise Beschrän­ kung gerühmten Art der Betrachtung bekennen, welche ge­

flissentlich über irgend eine Schulkategorie nicht hinaus­ blickt.

Die Schulen

hängen mannichfaltig zusammen und

die Bitdungsarbeit bildet ein großes Ganze.

Daher sind

die Uebergänge von besonderer Wichtigkeit und gewiß hätten wir in der Entwicklungsgeschichte unseres Schulwesens we­

niger Einseitigkeiten und Uebereilungen zu beklagen, (man denke z. B. an die neu angefügte I. Lateinktasse) gehörte es nicht bei unsern Schulmännern zum guten Ton, vor­

nehm auf das Elemeutarschulweseu herabzuseheu, anstatt' eine solche Kenntniß desselben anzustreben, welche ebenso­

wohl diesen: als dem höhern Schulwesen zum Heile ge­ reichen könnte.

sundheit

unserer

höherer Schulen

Es ist aber gewiß kein Zeichen von Ge­

Schulverhältnisse, daß sich die

Lehrer

mit Recht den Vorwurf machen lassen

müssen, wenig zu wissen von der Natur, den Schwierig­

keiten und Bedingungen des Elementarunterrichts; und daß gerade aus diesen Kreisen den Plänen und Bewegungen für eine Umgestaltung der Volksschulverhältnisse Sympathie

und

fördernde

Theilnahme

so wenig

entgegengebracht

wird, ist leider eine nicht abzuleugnende Thatsache.

Daher

betrachtet der moderne Liberalismus es vorzugsweise als seine Aufgabe, sich der Volksschule anzunehmen, und wie

weit dabei sachliches Interesse oder Mode und Parteitaktik in Betracht kommt, ist schwer zu entscheiden.

Allein ab­

gesehen davon, daß die Volksschultehrer Don der bewiesenen Sorgfalt neuerdings nicht allzu sehr erbaut sind, ist die

49

mit besonderer Rücksicht auf Bayern-

Vermengung practisch-pädagogischer Fragen mit politischen

und kirchlichen Parteiinteressen noch nie zum Vortheil der Schule ausgeschlagen.

Daher sind auch alle Bestrebungen,

welche auf möglichst reinliche Sonderung der Gebiete ge­

richtet sind, nur mit Freuden zu begrüßen, weil nur dann eine stetige Entwicklung zu erwarten ist. Vorerst ist auch auf dem Gebiete des Volksschulwesens

die Hauptfrage — die Bildung tüchtiger Lehrkräfte. Aller­ dings klingt das Angesichts des allbeklagten Lehrermangels

fast wie Hohn, eines Mangels, der die bescheidensten An­ forderungen herabdrückt und nach den allerwärts zu hören­

den Klagen zur Annahme eines Materials zwingt, dem man, um mit Herder zu reden, keine Kälber, geschweige Menschen, zum Erziehen anvertrauen sollte, der die mit unverantwortlicher Freigebigkeit

vom

Staate

gewährten

Stipendien zu einem Werbegeld macht und die Arbeit der Lehrerbildungsanstalten zu einer Drillthätigkeit und einein

Dressurgeschäft herabsetzt.

lage,

Allein je schlimmer die Sach­

um so größer die Verpflichtung zur Gegenwehr.

Will man aber einem Stande frische Kräfte, leistungs­ fähigere Köpfe zuführen, so muß neben ein gewisses Maß

materieller Vortheile sich die Möglichkeit stellen, auf Grund

der ursprünglich erworbenen Bildung innerlich und äußer­

lich weiter zu arbeiten und weiter zu streben.

War das bis­

her dem Stande der Votksschnllehrer, der wie eine Art

von Kaste betrachtet wurde, versagt, so ist die neuerdings

erfolgte Anerkennung doch nur eine formelle.

Denn das

bloße Gestatten tätigt hier nichts; es müssen positive Mittel lind Wege geboten werden.

Andernfalls vertauscht man

nur eine Verlegenheit mit der andern. Zur päbngoflifdjen Kritik.

4

50

Zur pädagogischen Kritik

So Pflegt man die Stellen an Lehrerbildungsanstalten

mit Volksschullehrern zu besetzen, und man kann das nicht selten als eine Ehre für den Stand bezeichnen hören.

Wir wollen nun hier Niemanden zu nahe treten und all­

erkennen gern Tüchtigkeit mit) Strebsamkeit so vieler Volks­ schultehrer.

Aber wenn man es mit dem Vorwärtskommen

ernst meint, so scheint uns das bisherige Verfahren wenig

Garantie zu bieten, daß der Unterricht in den genannten

Anstalten auf jene Höhe gebracht werde, auf welcher er mit Recht auf das Prädicat der Wissenschaftlichkeit An­ spruch erheben und jene Grundlage gewähren kann, welche

auch für weitere Studien Fähigkeit und Interesse schafft. Soll der Volksschullehrer für derartige Stellen tüchtig

werden — und kein Besonnener wird seine unbedingte

Ausschließung fordern — so bedarf es einer solchen Ergänzung und Vertiefung seiner Bildung, wie sie nur ein plan- und

schulmäßig geordnetes Studium zu Stande bringt.

Dazu

fehlt es aber bis jetzt an allen Veranstaltungen, und es

ist nicht wohl zu begreifen, warum man in Bayern nicht eine Einrichtung trifft, etwa analog derjenigen, welche in Sachsen nicht nur den höhern Schulen schon recht tüchtige

Kräfte zugeführt, sondern auch dadurch, daß sie dem Talent freie Bahn macht, den Geist der Unzufriedenheit dämpft.

Freilich wäre damit vorausgesetzt, daß auch die in den

Lehrerbildungsanstalten zu erwerbende Fundainentalbildung von der Art wäre, daß sie einen Weiterbau tragen könnte. Daß man dies von der gegenwärtigen nicht sagen könne,

wird wohl von Allen zugestandcn werden, die sich einige Erfahrung erworben und nicht etwa der Meinung sind,

der Volksschullehrer müsse um der alten

Schulmeisterei

mit besonderer Rücksicht auf Bayern. willen geistig niedergehalten werden.

51

ES samt hier nicht

als unsere Aufgabe angesehen werden,

die Richtung der

als nöthig bezeichneten Reformen näher auseinander zu

setzen.

Vielleicht liessen sie

Punkte zurückführen.

sich

in Kürze auf folgende

Einmal würde es sich handeln um

Concentration des Stoffes, zum andern um einen wissen­

schaftlicheren Betrieb der sprachlichen (mit Hereinnahme einer fremden Sprache) und mathematisch-naturwissenschaftlichett Fächer,

sodann um Zeit für die practische Bildung,

und

endlich um die Beschaffung von wahrhaft wissenschaftlich

gebildeten Lehrkräften.

Letzteres ist offenbar die Haupt­

sache, auf welche schon vor einigen Jahren der Verfasser der Broschüre „der Kirchenstreit und die bayerische Volks­ schule" aufmerksam gemacht hat.

Allerdings hat er da­

bei übersehen, daß zu ben Lehrerbildungsanstalten auch die Präparaudenschulen gehören, und welch' ein grober päda­

gogischer Irrthum es

ist, die Anfänge der Bildung als

weniger wichtig zu taxiren, kann täglich die Erfahrung lehren.

Ueberhaupt scheint es uns nur zwei Wege zu geben,

auf welche in dieser Beziehung klare Ueberlegung führen

kaun; entweder man setzt allen Strömungen und Strebun­ gen, wie sie jetzt auf dem Gebiete des Volksschulwesens sich geltend machen, beharrliche Unempfindlichkeit entgegen, und

mehrt dann freilich neben Unzufriedenheit und Demorali­ sation die äußere Verwirrung; oder aber man beginnt die

Arbeit da, wo sie beginnen muß, bei der intellektuellen und

moralischen Erhebung des Volksschullehrerstandes und bahnt

') S. a. a. O. pag. 31 u. 32.

52 so

Zur pädagogischen Kritik

allmähliche Besserung an.

eine,

uns

scheinen

die

halben

schlimmsten er­

Ain

Maßregeln, solche,

welche die

Fruchte antieipiren wollen und auf Voraussetzungen ruhen, welche

nicht gegeben sind.

Denn alle sprungweise ausge­

führten Reformen bereiten Verlegenheiten, die oft schnur­

stracks wieder zum Alten zurücktreiben.

Von diesem Ge­

sichtspunkte betrachtet zeigen die bereits erfolgten Reform­

versuche ein unverkennbares

ti^oteqov.

Die Sorge

für Heranbildung geeigneter zur Durchführung neuer Ge­ danken gehörig ausgerüsteter Kräfte mußte das Erste sein; keinesfalls

durfte

sie

vergessen

Man

werden.

Recht die geistliche Schulinspektion

hat mit

widersinnig ver­

als

worfen, weil derselben die Sachkenntniß,

wie sie nur die

Frucht praktischer Bethätigung ist, abgeht;

allein der rohe

Empirismus

bloßer

Schulroutine

ist

um

nichts

besser;

denn jede Erfahrung ist ohne Auslegung werthlos. Bildung ermöglicht dieselbe. *) Bildung

des

Nur

Gerade aber für eine höhere

Volksschullehrerstandes,

für

eine gediegene

Ausrüstung derer, welche im Volksschulwesen leitend auf­ treten sollen, ist bis jetzt nichts geschehen.

daß sich

auch so

Man sage nicht,

schon die richtigen Leute finden.

Denn

gesetzt, daß dem so wäre — der Bildungsweg ist nirgends

9 In

Zeiten

allgemeiner

Reaction

gegen

unberechtigte

Verhältnisse verleitet das Bewußtsein schließlichen Sieges

selten zu unverständigen Uebertreibungen.

nicht

Auch im Kampfe gegen

die geistliche Schulaufsicht fehlt es nicht an solchen und gar manchen

Auslassungen gegenüber muß an das Wort von Theodor Waih erinnert werden: „Der theoretisch Ungebildete hat (deßhalb) über­

haupt kein Recht sich auf seine Erfahrungen zu berufen!" Allgem. Pädagogik pag. 27.

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

53

gleichgiltig und mit bcin Zufall wirthschaften, verräth wenig

Weisheit.

Hat mein aber nicht fetten Klage geführt über

eitles Sichaufblähn,

über dünkelhaftes Schwätzen,

über

vorlautes Räsonniren, was man alles unter dem Namen

des Schulmeisterdünkels zusammengefaßt, so gibt es dafür kein

besseres Heilmittel als

wirkliche Höherbildung der

bessern Kräfte. Allein die Sache hat noch eine andere Seite.

Alle

Reformversuche auf dem Schulgebiete fordern einen ernsten

schweren Kampf.

Soll die

Erziehungsthätigkeit zu der

nothwendigen freien Entfaltung sich hindurchringen, so mnß

eine Macht niedergekämpft werden, welche, wie die neuesten

Vorgänge beweisen, noch keine Position verloren gibt. Die­ selbe ist im vollen Sinne des Wortes eine geistige, und

nur geistige Waffen können gegen sie nützen.

Daß aber

solche Waffen hinreichend bereitet seien, wird schwerlich

Jemand behaupten wollen.

Gerade diejenigen, welche mit

der Elementarbildung betraut sind, scheinen uns nicht mit den Mitteln ausgerüstet zu sein, welche hier allein zum

Siege führen.

Denn die Erziehung derselben war bisher

nicht zu einet Entbindung der nöthigen Kräfte angethan.

Allein nemo ultra posse obligatur, und auf Besitzthümer pochen, die man nicht hat, ist ebenso lächerlich als es thö­

richt ist, auf Hilfe rechnen, die es nicht gibt.

54

Zur pädagogischen Kritik

Schluß. Indem wir hier abbrechen, verhehlen wir uns nicht, wie leicht sich Mißverständnisse und Mißdeutungen an un­ sere

Auseinandersetzungen

knüpfen mögen.

Wer

gegen

traditionelle Einrichtungen unkämpft, muß darauf gefaßt sein.

Allein vielleicht dürfen wir doch die Versicherung aus­

sprechen, daß nur der Wunsch, cs möchten die Errungenschaf­ ten der Neuzeit der Schule zu gute kommen, für unsere Kritik

bestimmend gewesen.

Wir haben atteit Respekt vor den

Fortschritten, welche die Lehrerbildung in der Neuzeit genmcht, und Niemand wird uns die Meinung unterschieben

wollen, daß pädagogisches Wissen oder Können das Fach­ wissen ersetzen könne, oder daß auch nur das letztere weniger gepflegt werden solle;

nein, damit der tüchtige Philologe,

Mathematiker, Chemiker rc. in den Stand gesetzt werde, seine

ganze Tüchtigkeit der Schule nutzbar zu machen, damit er mit Geschick und Erfolg der Erziehung dienen kann —

darum fordern wir besondere Uebung, Vorbereitung und Studium, — damit die Bestrebungen zu Gunsten des Volks­ schulwesens Halt und Richtung gewinnen,

darum fordern

wir für Volksschullehrer die Möglichkeit der Weiterbildung. Hätte man an diese Dinge eher gedacht, gewiß hätte sich

das Geschrei gegen die

classische Bildung

nicht so

laut

erheben können. Die Utilitarier leiten ja ihr Recht meistens von dem ab, was man aus Mangel an pädagogischem Takt

vergessen hat, und in einer Zeit, in welcher die Ansprüche an Erziehung und Schulen

so sehr auseinander

gehen,

mit besonderer Rücksicht auf Bayern.

55

gibt es nur eine Hilfe gegen die drohende Verwirrung,

das ist die pädagogische Idee. Wie unb wo die geforderten Veranstaltungen 311 be­

schaffen, das zu erörtern entzieht sich dem Umfange dieser Skizze.

Es sollte hier nur eine Frage angeregt werden,

welche zum Schaden unseres Schulwesens bisher ignorirt wurde, und die nicht mehr von der Tagesordnung ver­ schwinden darf, bis sie eudgiltig gelöst ist.

wird es freilich nicht fehlen.

An Gegnern

Denn die Wahrheit hat

meistens etwas Unbequemes, und wenn es sich um die Behaglichkeit des Daseins handelt, so sind die Menschen

auch um die Rechtfertigung offenbarer Versäumnisse nicht

verlegen.

Vor Allen: werden es die verschiedene:: Männer

der Kirche und der Kirchen sei::, welche in richtiger Witte­ rung von derartigen Dingen nichts wissen wolle::.

sie sich zu vertheidige:: ist überflüssig.

Gegen

Denn sie haben zu

allen Zeiten die Partei gebildet, welcher es mehr darum zu thun

war, ihre Ziele durchzusetzen als sie vernünftig zu begründe::, mehr darum, ihr Erbtheil zu wahren als auf die Stimme der

Moral und des gen:einen Besten zu hören. Gegen Kirchenlogik

ist ebenso schwer aufzukommen als gegen Kirchenpraktik. Aber auch die Männer des Handwerks, unangenehm berührt von der beleidigenden Klarheit gewisser Mängel, die sich nun

einmal nicht ableugnen lassen, werden nach Formeln suchen, sich das Unangenehme vom Leibe zu halte::.

Vielleicht

wird man von „vereinzelter Stimme" rede::, uneingebenf, daß Kopfzahl und Einsicht sehr disparate Dinge sind und daß die Wahrheit Wahrheit bleibt, ob sie einer oder Viele ausspreche::, vielleicht wird man auch das Ganze mit einer

recht „unpraktischen Idee" abthun, während der Idealismus

5)6

Zur Pädagog. Kritik mit bes. Rücksicht auf Bayern.

der Lehrer das Practischste ist, was sich in einem Schul­

wesen finden kann.

Doch wie dem auch sei, in Bayern,

wo wir eben durch eine wahrhaft königliche That einer bildungsfeindlichen, schulgefährlichen Aera entgangen sind,

ist es jetzt doppelt Pflicht der Staatsregierung, die es bis­

her mit Bildnngs- und Culturfragen so ernst genommen, auf solche Einrichtungen zu sinnen, welche geeignet sind

einen wahrhaft pädagogischen Geist zu schaffen und dadurch dem gesanrmten Schulwesen jene Stetigkeit der Entwick­

lung zu sichern, welche über Majoritäten und System-

wechsel erhaben ist.