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German Pages 56 Year 1876
Jur pädagogischen Antik mit
Besonderer AüUdit auf Bayern
besonderer Rücksicht auf
München. Dr ul und Verlag von R. Oldenbourg.
1876.
Dorrede. Die nachfolgende Skizze ist
aus
dem Bestreben
entstanden, in den Reformbewegungen auf dem Gebiete des bayerischen Schulwesens einem Gedanken Raum zu schaffen, der allein Gesundheit
und
Gedeihen desselben
zu begründen vermag, der selbstständigen Pflege einer wissenschaftlichen Pädagogik.
Den Vorwurf, der moder
nen pädagogischen Propheten vielstimmigen Chor noch um eine Stimme vermehrt zu haben, werden wir um so weniger abwehren müßen, als es bisher wenig Ruhm
gebracht, ohne Parteischutz pädagogische Sünden beim
Namen zu nennen, oder ererbte Schäden ans Licht zu ziehen, und noch weniger
verlockend ist, sich zu einer
Wissenschaft zu bekennen, die ohne allgemein anerkanntes Bürgerrecht selbst von den Zünftigen sich gefallen lassen
muß, als Aschenbrödel behandelt zu werden. Möchten daher diese Ausführungen wenigstens zum
Nachdenken — als Hilfen und Fingerzeigen bieten sich die Anmerkungen an — anregen über Angelegenheiten,
von denen man schon im Alterthum schreiben konnte: Ov yaQ H>Tl TTEQl OTOV .‘frtlOTEOOU UV UV&QW10Q ßovXtv-
ffauo, r ntoi iraidtiag xal avrov xal rtor uvtov olxeiw.— Im November 1875.
Drr Vrrfalsrr.
WaS unsern Gymnasien zu wünschen ist nicht Beschränkung deS Unterrichts, weder extensiv, noch intensiv, sondern ein Zuwachs von päda gogisch gebildeten Lehrern. Mager.
Die Pädagogik muß ein Studium werden, sonst ist nichts von ihr zu hoffen. Der Mechanismus in der Erziehungskunst muß in Wissenschaft verwandelt werden, sonst wird sie nie ein zusammenhängendes Bestreben werden. Kant.
Einleitung. Die Behauptung, daß es in den letzten Jahren auch in Bayern
auf dem
Gebiete des Schulwesens vorwärts
gegangen, wird schwerlich von Kennern einen Widerspruch erfahren.
Allein
wer sich auch nur oberflächlich in der
bayerischen Schulgeschichte umgesehen, z. B. C.L. Rothes Buch über das Gymnasial - Schulwesen in Bayern zwischen
den Jahren 1824 —1843
durchgeblättert hat, der wird
allerdings seine Erwartungen nicht zu hoch spannen.
Denn
Traditionen haften in der Schulverwaltung noch fester als
in den Schulanstalten und wo, wie in Bayern, die von den wechselnden Zeitgedanken geleitete, sprichwörtlich gewor
dene Geschäftigkeit polizeimäßigen Reformirens eine Schul
tradition in gutem Sinne nicht aufkommen ließ, während man die Reste gewisser Systeme mit bureaukratischer Pietät thunlichst conservirte, wo die Einseitigkeiten oder auch Ein
fälle bedeutender Männer nicht selten unbesehen generalisirt wurden, während man dem Erprobten, weil es von außen kam, sorgfältigst den Zugang
wehrte — da ist jedenfalls
der Weg der Reformen mit Schwierigkeiten übersät, und es wird von Seiten derer, die hier zu arbeiten hatten,
schwerlich auf eine Unfehlbarkeit Anspruch erhoben werden,
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Zur pädagogischen Kritik
die sich nirgends in den Mitteln vergreift.
Ohnehin sind
der Aufgaben, welche die vielgestaltig auseinander gehende
Gesellschaft der Gegenwart der Schule und ihren Leitern stellt, so viele, die Wünsche und Erwartungen, welche von
den Trägern der verschiedensten Interessen und
Bestre
bungen an die Bildungsanstalten geknüpft werden, sind so widersprechend, die Macht der alten tonangebenden Factoren ist in der allgemeinen Schätzung so sehr gesunken, daß es
auch" dem redlichsten Willen bange werden kann, selbst wenn ihm die gediegenste Einsicht zur Seite stünde.
Fragen der
Erziehung gehören vor Allem zu jenen viel versprechenden Düngen, mit denen sich unsere pädagogisch gestimmte Zeit
mitunter in dringlichster Weise beschäftigt; öffentliche Aufmerksamkeit sich am liebsten
und da die
auf
greifbare
Punkte concentrirt, so sind vorzugsweise die äußern Schul
verhältnisse Gegenstand der Theilnahme geworden, und in den Grenzstreitigkeiten zwischen Schule und Kirche haben die Parteien Nahrung und die Staaten Aufgaben gefunden, für deren Lösung noch immer die Formel fehlt. Interesse
gesetze.
und
Daher das
der Eifer für die vielbesprochenen Schul
Niemand kann die Wichtigkeit dieser Frage verken
nen, und wenn sich gerade in Bayern der Mangel eines Schulgesetzes in einer Weise fühlbar macht, daß fast alle
politischen und kirchlichen Parteien eine Lücke zugestehen, so
kann
das
kaum
auffallen.
Aber
abgesehen
davon
liegt darin doch nur ein Beweis 'für die Art, • wie man
heutzutage Schul-
und
Erziehungszustände schätzt.
kann ja nicht zweifelhaft sein, daß
erwünschter wäre, als für die
Es
es für Niemanden
oberste Schulverwaltung,
wenn eine Alle befriedigende Schulgesetzformel sich aus-
mit besonderer Rücksicht auf Bayern findig ntachen ließe.
Ob aber an dem
9
allerwärts Ver
mißten das Alles hängt, was Parteiverbtendung und Ge
dankenlosigkeit damit verknüpft, könnte nur die Erfahrung lehren. So viel steht fest, daß eine Ueberschätzung von orga
nisatorischen Bestimmungen, ein blinder Glaube an gewisse Einrichtungen gerade in Sachen der Schule den Sinn der
Menge gefangen hält, und es wird das um so weniger befremdlich erscheinen, je mehr man bedenkt, daß das Reden
über Erziehung und Unterricht noch kein Beweis für das Denken, und daß eine so Viele berührende Sache sich nicht
gut der Herrschaft der Mode entziehen kann.
Selbst die
pädagogische Presse theilt dieses allgemeine Geschick, da sie sich großenteils in jenem von Göthe characterisirten Sta
dium befindet, in welchem „jedes mäßige Talent sich der vorliegenden Ausdrücke als gegebener Phrasen mit Bequem lichkeit bedienen kann."
Allein Arbeit und Wirkung der
Erziehung und des Unterrichts sind viel zu feiner Natur,
als daß sie sich in so grobe Kategorien fassen und so be quem auf leicht zu handhabende Formeln bringen ließen.
Ueber und hinter den Gesetzen und Verordnungen stehen dje Personen, und wenn irgend eine Specialschulgeschichte diese Lehre vernehmlich predigt, so ist es die bayerische *),
in welcher wir so oft erfahren können, daß
die wohl
meinendsten Bestimmungen
durch den
illusorisch
werden
Mangel an geeigneten Kräften, und daß es keine so wohlformulirten Vorschriften gibt, welche den Kampf aufnehmen
können mit Unfähigkeit, Gewohnheit und Schlendrian.
T) S. bes. Pragmatische Geschichte der Schulreformation in Bayern aus ächten Quellen. 1783.
Sieht man überhaupt die Bewegungen und Strö mungen auf dem Gebiete der praktischen Pädagogik genauer an, so weisen auch sie deutlich nach einer andern Seite. Während allenthalben eine freie Bewegung kleinerer Kreise in Schulangelegenheiten angestrebt, während die innere Ausgestaltnng der Schulanstalten, sowie die genauere Fixirung der Zielpunkte von den nächst Betheiligten als natür liches Recht in Anspruch genommen wird, während der so viel beredete Streit zwischen Humanismus und Realis mus wohl in erster Linie zu verstehen ist als ein Kampf gegen altprivilegirte Schulanstalten, während so die An sichten über die Mitwirkung des Staates bei der öffent lichen Erziehung weit auseinander gehen: das hat unseres Wissens noch Niemand dem Staate streitig gemacht, daß die Sorge für einen gediegenen Lehrerstand vor Allem seine Sorge, und daß dafür im umfassendsten Sinne Veranstal tungen zu treffen zu seinen höchsten und edelsten Aufgaben gehöre. Hier liegt aber offenbar das Centrum aller moder nen Schulverbesserungsvorschläge. Denn es ist ein trivialer Satz, daß die besten Einrichtungen nutzlos sind ohne tüch tige Lehrer, während der Einfluß tüchtiger Persönlichkeiten auch noch durch das mangelhafteste Schulgesetz hindurch bricht. Wenn daher nicht in die Luft gebaut werden soll, so müssen hier alle Reformen ihren Ausgangspunkt neh men, und es dürfte sich wohl der Mühe verlohnen, die Aufmerksamkeit unserer bildungseifrigen Gesellschaft auf ebenso dringliche als lohnende Aufgaben hinzulenken. Daß wir damit nicht etwa nur die viel umschriebene Votksschullehrerbildung meinen, glauben wir ausdrücklich sagen zu müssen, nicht als ob es mit derselben so gut stände,
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
daß man getrost schweigen könnte,
11
sondern weil man die
Bildung der Lehrer für höhere Schulen im Allgemeinen für eine so gesicherte zu halten pflegt, daß höchstens durch eine Abänderung Don Prüfungsnormen zeitweise Maß und
Richtung der Studien zu bestimmen für nöthig erachtet
wird.
Leitender Gesichtspunkt ist dabei in der Regel das
Wissensquantum, Befähigung zum Lehren gilt für selbst-
verständlich und an die Qualität als Erzieher wird gar
nicht gedacht.
Allein ist es denn nicht mit den Erfolgen unseres höhern Unterrichts so trefflich bestellt, Zweifel in sich selbst zerfallen?
daß die ausgesprochenen
Abgesehen davon,
selbst von der allgemeinsten Bejahung
dieser Frage
daß die
Logik noch keinen Schluß erlaubte auf die pädagogische Qua lität der Lehrer, fordert der Stand des höhern Unterrichts geradezu zu derartigen Ueberlegungen auf.
Die Klagen
über die Mängel, z. B. des Gymnasialunterrichts, datiren
bereits Jahrzehnte zurück, und Beschwerdeführüngen über
die Resultate der höhern Lehranstalten müßten wir gewiß viel häufiger vernehmen, wenn das Publikum mehr Neigung
und Befähigung hätte, die Schulleistungen zu beurtheilen. Die an Absolvirung solcher Anstalten geknüpften Rechte,
die Legitimationskarte für den Zugang zur academischen Freiheit oder neuerdings der Berechtigungsschein für die
kürzere Militärzeit sind so greifbare, vielerstrebte Dinge, daß der gewissenhafte Familienvater, der lieber jahrelang
schweres
Geld
bezahlt
als
Ueberlegungen anstellt,
vor
Freude über die äußern Errungenschaften nicht dazu kommt,
die Frage nach anderweitigen Besitzthümern zu erheben,
und erst das spätere Leben
illustrirt dann in manchmal
12
Zur pädagogischen Kritik
drastischer Weise den pädagogischen Rückstand der Bildungs-
zeit.
So zeigt es sich mitunter, daß der lange Marsch
durch das classische Alterthum gar wenig Liebe einzuflößen
vermochte zu den Erzeugnissen der alten Cultur, daß die lange und streng gepflegte Sprachtechnik einen höchst hol
perigen Stil gezeitigt, daß man trotz aller grammatischen
Exercitien mit der Grammatik auf gespanntem Fuße steht, daß der physikalisch und chemisch noch so sehr geschulte
ehemalige
Realschüler von naturwissenschaftlichem Denken
nicht einmal eine Ahnung mitgenommen, daß endlich trotz feierlichster Einreihung unter die approbirten Bildungs besitzer sich doch hie und da eine Uncultur, eine gemüth
liche Rohheit, eine Interesselosigkeit gegenüber den höchsten Angelegenheiten breit macht, als ob man eine Bildungs
arbeit nie an sich erfahren.
Nimmt man hiezu die Kla
gen, wie sie nicht selten angesehene Universitätslehrer öffent
lich vernehmen lassen, über Mangel an tiefer gehendem
philosophischem Interesse, über Abnahme des ernsten Studiunis, über eine bedenkliche Hinneigung zu banausischen
Brodstudien,
über zunehmenden Nihilismus, so sind das
gewiß Dinge, für welche zwar kein Besonnener die Lehrer
an höhern Schulen verantwortlich machen wird, auf deren
Beurtheilung aber doch die Salzmann'sche Regel anwend bar ist, daß ein richtiger Schulmeister die Gründe eines Mißerfolgs zuerst bei sich selbst sucht, und es verriethe
einen bedeutenden Grad von Einbildung, wenn man Be ziehungen einfach leugnen wollte.
Denn wo irgend Erzie
hungsmängel zu Tage treten, diejenigen, welche berufs
mäßig damit zu schaffen haben, dürfen am wenigsten prü
fender Betrachtung aus dein Wege gehen.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
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Folgen wir dem Gange unserer Ueberlegung, so werden
wir gleich hier auf den Kern der Frage geführt, auf die
pädagogische Bildung
der Lehrer
an höhern
Schulen.
I.
Wir beginnen mit dem kaum anzuzweifelnden Satze,
daß
unsere
Reget
in
Candidaten des höhern Schulamtes in der
paedagogicis
vollständige
Autodidacten
sind.
Denn Philologie, Naturwissenschaft und Mathematik haben an sich mit dem Unterricht gar nichts zu schaffen, und die
größtmögliche philologische, mathematische oder naturwissen
schaftliche Tüchtigkeit schließt sowenig irgend welche päda gogische Befähigung in sich, daß sich ausgezeichnete Philo logen ic. denken lassen, die grundschlechte Schulmeister sind.
Was das aber praktisch bedeuten will, davon weiß die Schule zu
erzählen,
und
wenn
wären, ihre Erfahrungen zur
diejenigen
allgemeinen
im Stande Kenntniß zu
bringen, welchen es vom Geschick beschieden, von solchen
angehenden gelehrten Lehrern in die Geheimnisse der latei nischen Grammatik u. dgl. eingeweiht zu werden, wir würden wunderbare. Dinge zu hören bekommen, uns
aber auch
gebührend wundern, daß so viele all' das überwinden ohne
bleibende Spuren geistiger Verkrüppelung. Wenn die Fach kenntnisse dem bestehenden Reglement entsprechen, so ist der
approbirte Candidat zu dem Glauben sozusagen gesetzlich berechtigt, Lehren und Erziehen mache sich ganz von selbst, sobald man nur Probire.
Unter Mitwirkung des mitleidi-
gcii Zufalls oder mit Hilfe der wohlwollenden Winke eines
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Zur pädagogischen Kritik
bereits eingefahrenen Collegen gestalten sich dann allerlei Me
thoden und Manieren, und während dem einen die Reminis cenzen von einem vielleicht glücklich geleiteten Jugendunter
richt forthelfen, amalgamirt der andere aus frischester Erin nerung die Vorbilder des academischen Hörsaales mit den
Resten seiner sonstigen Erfahrung, und welche Rolle nicht selten nach Form und Inhalt Collegienhefte spielen, das
könnte manche naturwissenschaftliche Lehrstunde verrathen. Zum Glück gibt es speculative Buchhändler und noch specutativere Schulmeister, die es trefflich verstehen der Ver
legenheit unter die Arme zu greifen, und wie eine rettende
Hand bietet sich
so manchem rathlos auf das Meer der
pädagogischen Praxis Hinausgestoßenen ein wohlgeordneter
Leitfaden, welcher die hie und da
orakelhaft kurzen Be-
stimmungen der Schulordnung in brauchbare Recepte um
schafft und den Tagesbedarf regelt.
In der That machen
die gebilligten Lehrbücher, die vorgeschriebenen Pensa, d. h.
die Schulordnungen, nicht selten die ganze Pädagogik aus, über die der junge Schulmann verfügt, da nichts hindert,
in die Praxis einzutreten,
ohne auch nur
eine einzige
Schrift über das pädagogische Geschäft gelesen zu haben. Rechnet man nun hinzu,
daß der Unterricht noch gewisse
andere Dinge voraussetzt, z. B. feste Disciplin, strenge Klassen
ordnung, rc. — wie soll da ein Neuling, der zwar Be kanntschaft gemacht mit den verschiedenartigsten Objecten
der Gelehrsamkeit, aber nie über Schülernaturen Uebertegungen angestellt, mit unsern modernen Knaben fertig
werden, die sich
meistens verschworen zu haben scheinen,
sich nur unter lebhafter Gegenwehr die Wohlthat begin
nender Entrohung gefallen zu lassen? Was ist die Folge?
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
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Mißgriffe, scholastische Curiosa, Klassenscandala, über die
selbst der Unbetheiligte sich entsetzt, für den Lehrer selbst aber
häufig beim Beginne seiner
Laufbahn
eine
Ver
stimmung und ein Aerger, der ihn den Tag verfluchen
läßt, an dem er sich entschloß, der Auffassung Ciceros bei zupflichten,
daß
besseren Dienst
man denl Staate keinen größeren
leisten könne,
und
quam si docemus atque
erudimus juventutem. *) Man sage nicht, das heiße übertreiben, carrikiren;
nein, cs ist kein Zug in unserm Bilde, der nicht nach dem
Leben gezeichnet wäre, und die sorgfältigste Beobachtung läßt uns behaupten, daß wir nicht etwa Ausnahmen, son Hat der Anfänger im Lehr
dern die Regel beschreiben.
amte dergestalt eine Zeitlang umher getastet, vielleicht auch in seiner Rathlosigkeit da und dort bei Büchern und Men schen nachgefragt, so bildet sich allmählich nach einem psycho
logischen Gesetz ein gewisser Niederschlag seines Verfahrens, eine feste Form seines Meinens, er spürt nach und nach
ein ausgefahrenes
Geleise
und
erwirbt eine Art
von
Routine, welche sich int bestell Falle an den einen oder
andern renommirten Schulmann anlehnt, um ihn geschickt oder ungeschickt zu copiren.
Schließlich hüllt sich der „von
der allmächtigen Zeit und dem ewigen Schicksal geschmie dete" Pädagoge in den Mantel des erfahrenen Practikers,
und bald spricht er als Fachmann über Fragen der Päda gogik, zu der er vielleicht in einem ähnlichen Verhältnisse
steht, wi^ der Fleischer zur Anatoniie oder zur Chemie
ein Seifensieder. Die freundliche Gewohnheit seines Lehrer-
’) Cicero de divinat. II, 2.
Zur pädagogischen Kritik.
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daseins hat ihm allerlei brauchbares Material von päda
gogischen „Ansichten" zugeführt, „unvermerkte Gewöhnung,
undeutliche Erfahrung und Praxis hat ihn zu gewissen
Mitteln und Kunstgriffen geformt" und wenn auch sein pädagogischer Gedankenkreis nichts enthält, als die Fetzen
gewöhnlichster Gassenweisheit, vermengt mit
den gerade
herrschenden politischen oder kirchlichen Parteimeinungen,
wenn er auch, mit dem alten Din ter zu reden, nichts ist
als ein „pädagogischer Quacksalber", so können wir ihn doch plötzlich zum Leiter eines Schulganzen avanciren sehen, in
dem er unter einem meist zufällig durch die „Beförderungs ordnung" zusammengeführten Lehrercollegium die pädago gische Einheit repräsentirt.
Thatsächlich sind aber solche
Schulvorstände nichts als Polizeimeister und Briefträger, von denen man es noch lobend anerkennen muß, wenn sie einem tüchtigen Lehrer keine Hindernisse in den Weg legen?)
Wer ist aber der Spiritus rector ?
Der bon sens der
gemeinsten Alltäglichkeit, in welcher die Tradition den Zettel
und die Mode den Einschlag besorgt. Nur durch die Macht der Gewohnheit, die in Erziehungsangelegenheiten meistens die Stelle des Denkens zu vertreten pflegt, ist es begreift lich, daß das, was man in ähnlichen Fällen für eine uner
hörte Calamität erklären würde, für eine selbstverständliche
Sache gilt, gegen welche nur unruhige Köpfe oder Leute, die nichts Rechtes gelernt haben, etwas einzuwenden haben.
Allein selbst auf die Gefahr hin, der einen oder der andern
dieser Rubriken
einverleibt zu
werden,
wagen wir es,
nufere kritische Betrachtung fortzusetzen, weil wir der Ueber-
wart.
*) Vgl. Schattenbilder aud dem Gymnasialleben der Gegen Stoy, Atlgem. Schulzeitnng 1871. Nr. 31.
mit besonderer Rücksicht aus Bayern.
zeugung leben, damit der Schule zu dienen.
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Denn es ist
für den, welchen der Mechanismus der täglichen Arbeit nach nicht des Blickes über die Zaunpfähle eines Anstalts-
gebietes hinaus beraubt hat, kein Geheimniß, daß ein guter
Theil der methodischen Fortschritte, um deretwillen man die Neuzeit preist,
für gewisse
Schulkategorien
gar Glicht
existirt, daß da und dort grobe Stoffanhäufung neben beut hohlsten Formalismus noch
wacker gepflegt wird,
gewissen Kreisen das Herkommen
daß in
der triftigste didaktische
Grund, daß das Nebeneinander der Unterrichtsfächer häufig umschlägt
in ein beziehungsloses Auseinander, daß nicht
gerade selten statt eines einheitlichen Zusammenwirkens die
einzelnen Fachmeister trotz der friedlichsten Außenseite einen
stillen Krieg führen, indem jeder den besten Theil zu ver
treten glaubt,
Alles freilich
zum Schaden der
Schüler.
Was kann aber unter solchen Umftänben für die Cultur
eines einheitlichen Gedankenkreises herauskommen, wie soll da die Erziehung gefördert werden?
Oft hat der sonst
wohlunterrichtete Lehrer nicht einmal eine Ahnung davon, daß seine Arbeit nur Werth gewinnt int Dienste
einer
höheren Idee, daß er als Glied eines größeren Ganzen
verantwortlich ist für die Gesammtleistung, und neben der cynischen Rohheit eines ethischen Materialismus findet sich
nicht selten jenes bequeme System doppelter Buchhaltung,
welches gestattet, sobald es sich um Erziehung handelt, eine Anleihe zu machen bei der sonst wenig geschätzten Kirche
und Dinge,
die nun einmal nicht 511 umgehen sind, mit
Sprüchen und Sätzen abzuthun, die
werthlos hält.
Wir
weiter zu verfolgen. Zur pädagogischen Kritik.
verzichten
man eigentlich für
darauf,
diese Gedanken
Welch' eine Summe von Mißgriffen 2
Zur pädagogischen Kritik
18
aber hier ihre Wurzel hat, läßt sich schwer taxiren. Sagt
man dagegen, so schlimm könne es doch nicht sein, andern falls müßten sich weit größere Mängel in den Resultaten
bemerkbar
machen, so antworten wir mit F. A. Wolf,
einem Manne, der wohl in Schulsachen mitreden darf: „Es ist erweislich, daß sogar krüppelhafte Führer auf ver
dorbenen Wegen die den Sachen inwohnenden Vortheile nicht vermögen völlig zu zerstören."') Aber die Wirkungen reichen auch über die Schulen
hinaus.
Anstatt daß letztere Respect einflößen vor der
heiligen Pflicht und dem schwierigen Geschäft der Erzie hung, anstatt daß die Lehrer thatsächlich beweisen, daß sich
unter ihren Händen eine Arbeit vollzieht, welche nur bei der umsichtigsten Sorgfalt Aussicht auf Erfolg hat, bekommt
das Publikum nicht nur keinen derartigen Eindruck, son dern es findet in dem, was ihm vor Augen steht, die volle Deckung für seine gewöhnliche Auffassung der Erziehungs
fragen.
Unten kommt es auf diesem Wege zu einer ge
wissen pädagogischen Kannegießerei, zu jenem berüchtigten
Phrasendrehen an Bier- und Theetischen, wobei jeder aus der großen „uneinigen Gedankencollecte" schöpft und über alle
Fragen Urtheile abgibt, ohne fürchten zu müssen, von denen, die es besser wissen sollten,
weil sie doch dafür bezahlt
werden, etwa der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. Oben entsteht jene Art Schul- und Erziehungsangelegenheiten
zu behandeln, die den edeln Graser zu dem Ausruf trieb: „Die Sorglosigkeit, mit welcher das hochwichtige Amt des Unterrichts nicht blos von dem Publikum sondern in manchen ') S. Wolf, Darstellung der Alterthumsw. pag. 56.
Ländern — von Regierungen selbst — behandelt wird, ist eine äußerst niederschlagende Beobachtung. *)"
II. Was will nun gegen solche nicht wegzuleugnende Erscheinungen der Satz fugen: paedagogus nascitur. Hat derselbe überhaupt einen Sinn, so kann er nur den: ähn lich sein, welchen wir ausdrücken mit den Worten, ein Künstler werde geboren. Allein ein so eompetenter Beurtheiter, wie Lessing, meint: „Gott gebe uns die Seele, aber das Genie wüßten wir durch Erziehung bcfoninieii“ und eben derselbe erklärt sich mit Entschiedenheit gegen diejenigen, welche es „überhaupt für Pedanterie erklären, den: Genie vorznschreiben, was es tfpiit und was es nicht thun müsse." Auch hat wohl noch Niemand die Ansicht vertreten, daß ein „geborener Maler" technischer Unter weisung entbehret: könne. Allein woran ersönnt man denn die geborenen Pädagogen? Schwerlich wird man je auf den Versuch verfallen, jeden angehenden studiosus der Philologie, Mathematik re. auf ein solches geheimnißvolles Talent zu prüfen und die voraussichtlichen didaktischen Stümper vom Lehramte auszuschließen. Allein nlüßte es denn nicht als Pflicht erkannt werden, da null doch einmal nicht alle als Pädagogen zur Welt kommen, wenigstens für jene von der Mutter Natur vernachläßigten künftiger: Schul meister, für jene mediocria ingenia, wie Mela n chtho n fiigt,2) quaenisi excolerentur arte in perpetuis tenebris x) S. Graser Divinität II, 5. 2) S. In der Dedication der Erotemata dialectices. .
2*
manerent, geeignete Bildungsveranstaltungen zu treffen, wenn man sich auch nicht entschließen könnte, die bekann ten Worte Cicero's:non ignoro et quae bona sint fieri meliora posse doctrina et quae non optima aliquo modo acui tarnen et corrigi posse, auf die pädagogischen Talente anzuwenden. Gleichwohl pflegt es auf keinem Gebiete be stritten zu werden, daß die genialste Begabung ohne rechte Schulung, wenn nicht verkümmert, doch nicht zur vollen Entfaltung kommt. Derselbe Ciceros sagt: Ut ager quamvis fertilis sine cultura fructuosus non esse potest. sic sine doctrina animus. Wer aber an dem Ge danken Gefallen findet, daß hier eine Sache vorliege, die sich ohne große Vorbereitungen von selbst mache, schätzt entweder das pädagogische Thun so gering, daß er sich dem Verdacht aussetzt, wenig davon zu wissen, oder er läßt eine Selbstüberhebung merken, die selten "gepaart ist mit einem wahrhaften Verständniß. Denn gerade je tiefer man in eine Wissenschaft oder Kunst eingedrungen, um so mehr würdigt man die Schwierigkeiten. Uebrigens liegt der ganzen Anschauung eine ethische Rohheit zu Grunde, welche, die Qualität des Lehrers dem Zufall anheimgebend, sich nicht scheut, die Jugend der Unfähigkeit auszuliefern, wenn dieselbe mir rite einherschreitet und sich in vorgeschriebeuer Weise zu den Schulen den Zugang erworben, und einen Menschen in ein Amt zu weisen ohne andere Ausrüstung, als den frommen Wunsch, sein guter Genius möge ihm die rechten Wege weisen. Vielleicht noch ver1) S. Cicero de orat. I. 25. 2) Tuscul. disput. II a.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
21
breitetet als dieser Glaube au ein ganz apartes Schulmeistergenie ist die Anschauung, welcher der verdienstvolle Wiese in feinem Buche über das höhere Schulwesen in Preußen folgendermaßen Ausdruck gegeben: „Daß der Staat für eine specielle Anleitung §11111 Lehramt an höhern Unterrichtsanstalten nicht in gleichem Grade durch Errich tung von Seminarien ilnd anderen Veranstaltungen Sorge trägt, wie für das Lehramt an Elementarschulen, liegt in der wissenschaftlichen Schule, welche die künftigen Lehrer an Gymnasien und Realschulen durchzumachen haben. Es ist die Voraussetzung, daß eine gründliche Betreibung wissenschaftlicher Studien zugleich eine methodisch bildende Kraft habe, daß systematisch erworbene Wissenschaft auch zu einer methodischen Anwendung derselben befähige, wäh rend Methode ohne tiefere Erfassung des Stoffs leicht zu einer leeren und äußerlichen Routine wird. *)" Wir können die hier in solcher Allgemeinheit ausgesprochene Voraus setzung nur für einen aller Erfahrung Hohn sprechenden groben Irrthum erklären, der um so verderblicher wirken muß, je mehr er durch die Autorität eines hochangesehenen Schulmannes gedeckt erscheint. Denn der gründliche Be trieb einer Wissenschaft hat zwar stets eine Mehrung jener -Elasticität und Gewandtheit zur Folge, welche jedem Zweige geistiger Thätigkeit zu Gute kommt, und nur in diesem Sinne erlaubt auch der jetzige Stand der Psychologie noch von formaler Bildung zu reden — allein die Vertiefung in ein wissenschaftliches Gedankengebäude und die Zube reitung des wissenschaftlichen Materials für pädagogisch*) Wiese, das höhere Schulw. in Pr. I, pag. 525.
Zur pädagogischen Kritik
22
didaktische
Zwecke
nebst
didaktisch-technischen
der
Dar
reichung sind so disparate Dinge, daß schon der pädago
gische Begriff der
Schulwissenschaften*)
vor einer
Verwechslung oder Vermengung schützen sollte.
Aus der
Natur wissenschaftlicher Arbeit folgt an sich kein Antrieb
zu pädagogischem Denken, und
selbst die didaktische Aus
beute eines Specialgebietes gelingt nicht dem bloßen Spe
cialisten.
Daher kann Jemand über eine sehr respectable
ohne die
Gelehrsamkeit gebieten,
Qualität zu haben, und ein
geringste pädagogische
grundgelehrter Universitäts
professor sein, ohne damit die Befähigung zu besitzen, über
eine pädagogische oder didaktische Frage anders mitzureden als jeder gebildete Mensch.
Ein folgenschwerer
Wahn,
hat diese Meinung der Schule und Erziehung doppelt ge
schadet, einmal, indem die pädagogischen Studier selbst ver nachlässigt wurden, zum anderu weil die einseitige Richtung
auf Fachgelehrsanckeit den pädagogischen Siuu empfindlich
schädigte.
Es wird wohl nicht nöthig sein, wenn wir hier
gegen die einäugige Gelehrtheit, gegen jenes.Scheuleder
system,
welches über der Vertiefung in den Theil das
geistige Band vergißt,
unsere Stimme erheben, den Vor
wurf abzuwehren, als sei einer Herabsetzung gelehrten Fach
wissens oder gar einem oberflächlichen Betrieb der Wissen
schaft das Wort geredet.
Döderlein sagt einmal, wen
l) S. Mager, Moderne Humanitätsstudien (ein Buch, das jeder als Lehrer thätige Philologe studirt haben sollte.) II. Heft pag. 128 und 129. „Keine Wissenschaft ist von Natur Schulwissen schaft. Man kann aber aus einer oder mehreren Wissenschaften einen Auszug machen für den Schulbedarf, und diesen Schntbedarf nennen wir Schnlwissenschaft."
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
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die Mittheilung mehr interessire, als das Object des Wissens, der gehöre der Schule, wer über dem Object die Mitthei lung vergesse, gehöre zur Universität.
Dem sei wie ihn:
wolle, jedenfalls gibt es, wie hier angedeutet, eine doppelte
Art wissenschaftlicher Beschäftigung, und davon ist eine der pädagogischen Thätigkeit nicht besonders günstig.
Durch
das streng durchgeführte Princip der Arbeitstheilung ist die
wissenschaftliche Forschung der Gegenwart groß
mit) einseitigster Erfolge.
Beschränkung
So liegt
denn eine
geworden,
verdankt man bedeutende sonderliche
dieser Richtung in dem Zuge der Zeit.
Pflege gerade
Allein je größer
die einseitige Vertiefung in das wissenschaftliche Object, je
mehr die Besinnung auf die Zusammenhänge erschwert ist, um so weniger ist Aussicht auf eine vorurtheitsfreie sach
liche Schätzung aller der Mittel, deren die Erziehung be darf.
Der pädagogische Zweck fordert eine gewisse Viel
seitigkeit der Bildung, leicht sich erschließendes Verständniß, vorurtheilsfreien Blick und weiten Horizont, und wenn es uns auch
komisch dünkt,
„Versuch
einer Pädagogik von E. Chr. Trapp" J)
in dem historisch merkwürdigen vom
Jahre 1780 zu lesen, wie in der ernsthaftesten Weise der
künftige Erzieher vor
der Gelehrsamkeit
wird,
gewarnt
weil er weder „einen kränklichen oder schwächlichen Körper brauchen könne, noch seinen Grübeleien nachhängen dürfe",
so steckt doch auch in dieser wunderlichen Formulirung ein Stück Wahrheit, und wer einmal von einer gelehrten Arbeit, einer
interessanten
Untersuchung
hinweg
direct
in
den
Schulsaal ging, wird den Hallenser Professor wohl ver-
9 Vgl. a. a. O. den Abschnitt „Von der Erziehung der künftigen Erzieher" § 95 ffg, bes. pag. 471 und 472.
Zur pädagogischen Kritik
24
Ganz besonders aber gilt unsere Warnung jener
stehen.
Fachgetehrtheit, welche,
sich ängstlich im kleinsten Kreise
eiiifpiimeiib, es versteht mit stupender Gelehrsamkeit eine
Ignoranz zu verbinden, die dem dümmsten. Jungen keine Schande machte. Wer aber etwa jene Manier, nach welcher
sich z. B. der Philologe naturwissenschaftlich
alles, was
mathematisch
oder
aussieht, sorgfältigst vom Leibe hält,
mit dein Gespenst der encyklopädischen Bildung rechtfer tigen wollte, der wäre daran zn erinnern, daß jedes rich
tige Verhältniß durch Uebertreibungen leicht in sein Gegen theil zu verkehren ist.
Solides Fachwissen erhebt sich nur
auf dem Grunde einer gediegenen allgemeinen Bildung;
mib weirn wir für jedes erfolgreiche wissenschaftliche Stu-
diunl den Unterbau z. B. der Gymnasialbildung fordern,
so verriethe es wenig Consequenz, gerade bei denen, welche einmal an der Herstellung solchen Baues
arbeiten, das
Bewußtsein um die Theile für gleichgültig zu erklären. Woher soll die rechte Würdigung der Bildungselemente, wie soll es zu der rechten Fühlung der Einzelnen unter einander kommen,
weiln nicht dieser Zusammenhang in seiner ganzen Tiefe erfaßt
und verarbeitet ist? Allgemeine Bildung führt uns daher in dieseui Sinne zur Philosophie; sie allein ist im Stande die
rechte Vielseitigkeit herauszubilden, und dabei vor Encyklopädisnius llnd Oberflächlichkeit zu schützen. Daher gibt es auch keine Pädagogik ohne Philosophie und es gibt keine Befä
higung zum Lehranlte an Hähern Schulen ohne ein gewisses Maß
philosophischer
Bildung.
Nägelsbach^
*) NägelSbach, Gymnasialpädagogik, herausg. v. Autenrieth
pag. 25.
Hieher gehört auch das schöne Wort in Rieck'S päda-
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
25
sagt: „Der Lehrer muß philosophische Bildung besitzen, um die Dinge, die er zu lehren hat, in ihrer organischen Ent wicklung zu begreifen."
sophische
(für den Lehrer)
Trendetenburg') nennt philo
das
Studien
allgemeine
wissenschaftliche
und sein Schüler,
s check in Gießen,
welcher
tesenswerthen Aufsatze in
im
Band
Professor Bratu-
vorigeil Jahre in
entern
den „Philosophischen Monats
heften" unter dem Titel: „die Philosophie als obligatorischer Gegenstand der Schutamtsprüfung"
Gegenstandes
nachgewiesen,
seiner academischen
die Bedeutung dieses
läßt sich sogar neuerdings in
Antrittsrede also
gogischen Briefen pag. 323.
vernehmen:
„Die
„Ein echter Schulmann, so eng be
grenzt seine Thätigkeit ist, bedarf einer Universalität für die Tota
lität der Menschennatur, hat einen humanistischen philosophischen Sinn nöthig, dem: die Schule ist ein dynamisches nav der mensch lichen Gesellschaft und der Humanität."
l) Vergl. A. Trendelenburg von E. Bratuscheck, Philoj. Monatshefte von Ascherson, Bergmann und Bratuscheck VIII pag 387, woselbst ein Passus auö einer von Trendelenburg im Jahre 1836 verfaßten Denkschrift mitgetheilt ist. Zutrejsend
sagt Bratuscheck
in dem
erwähnten Aufsatze:
(Monatshefte X
pag. 51) „Daher ist die Beschäftigung mit der Pädagogik zu gleich daö beste Mittel, den künftigen Lehrer vor Einseitigkeit zu bewahren. Die Pädagogik gibt ihm den Antrieb, die allgemeine Bildung, die er von der Schule mitbringt, zu erweitern und zu
vertiefen. Rur so methodisch gebildet, ist der Lehrer im Stande, sein Fach in den rechten Einklang mit den übrigen Lehrfächern der Schule zu setzen — nur mit solchen Lehrkräften kann der Director einer höhern Schule dieselbe zu einem wirklichen Orga nismus gestalten. Einseitig gebildete Fachlehrer ohne diese metho dische Durchbildung zerreißen den Geist deö Schülers, weil keiner
von ihnen die rechte Rücksicht auf die andern zu nehmen versteht."
Zur pädagogischen Kritik.
26
Philosophie mit Einschluß der Pädagogik ist ein so wesent licher Gegenstand der Lehrerprüfung, daß man ihre Aus schließung nicht anders begründen konnte, als indem man
ihr den Charakter einer Wissenschaft absprach."
Es ist in der That ein schlimmes Zeichen für unsere Verhältnisse, daß die Begründung dieser Sätze auch nur
nöthig ist.
Wer freilich das Geschäft des Unterrichts mit
Dociren und Expliciren, mit Abfragen
und Repetiren
abgethan findet, mit dem ist nicht zu verhandeln.
Wenn
aber der wissenschaftliche Unterricht ein Höheres voraus
setzt, wenn die Rede von seinen auf die Veredlung der Persönlichkeit gerichteten Zielen mehr sein soll, als eine
bei passender Gelegenheit zu verwendende Phrase, so darf es nicht an Veranstaltungen und
Einrichtungen
fehlen,
solche Ziele vor Allem im Lehrer selbst fest zu begründen,
damit die Zerstreutheit seiner oft höchst elementaren Thätig
keit unter höhere Gesichtspunkte gebracht wird, damit sein Blick sich
schärft für das Unsichtbare in seinem Beruf,
damit seine ganze Bildung sich zuspitzt zu wahrhaft päda gogischem Interesse, eine Sache, die nur die Frucht
sein kann eines planmäßigen Studiums, das seine Wurzeln
hat in dem
Boden der Philosophie.
Ein Lehrer ohne
Ideal ist im besten Falle ein gelehrter Taglöhner. Lehrer-
Ideale haben aber ihren Maßstab in der Ethik und fein
Lehrer kann einer gründlichen ethischen Bildung entbehren. Doch wir schreiben ja keine pädagogische Encyklopädie.
Aber fragen wollen wir noch, ob denn eine wahrhaft bil dende, fruchtbare Lehrthätigkeit denkbar ist ohne Kenntniß [) S. Philos. Monatshefte XI, pag. 49.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
27
d. h. ohne freie Bewegung in den Hauptsätzen der Psycho logie?
Stellt man etwa gar die Existenz einer solchen
Wissenschaft in Abrede, so fragen wir weiter, ob auch nur Lehren, wie die von der Association der Vorstellungen, die
seit dem Vorgänge des schottischen Arztes Th. Brown
so erfolgreich von den Engländern*) ausgebildet, wie die von der Aufmerksamkeit imb Apperception,?) die besonders von der Herbartischen Schule vorgetragen werden, oder
wie die von den Anlagen und den Temperamenten, welche z. B. von Lotzes in wissenschaftlich
vorsichtigster Weise
gegeben wird, hinreichend bekannt iuib anerkannt, geschweige denn verwerthet und in das pädagogische Bewußtsein des J) Vgl. Ribot, la Psychologie
contemporaine.
auglaise
Paris 1870. 2) S. außer den Werken Herbart'S, bes. Waitz, Lehrbuch der
Psychol. alö Naturwissenschaft bes. $ 55 S. 628 und Volkmann, Lehrbuch der Psychologie vom Standpunkte des Realiönlus II. §§ 110—116.
3) S. Medicinische Psychologie bes. § 40 S. 556 und Mikrokosmus. II. Bd. IV. Buch 2. Cap. pag. 34. Hierher ge-. hört
auch
der
Artikel
„Seelenlehre"
von
F.
A.
Lange in
Schmid's Encyklopädie VIII 573 — 766. „Man kann manchen Band von englischen Werken über Psychologie gelesen tjaben, be vor man die Lehre von der Jdeenassociation hinlänglich beherrscht,
um sie in der Behandlung pädagogischer Fragen so zn benützen,
wie es zn wünschen wäre.
Wer
aber nicht gerade beabsichtigt,
die theorelische Wissenschaft selbstständig zn fördern, sondern nur für seine praktische Thätigkeit m ö g l i ch st g e r n st e t und zum möglichst vollkommenen Verständniß des
eigenen p ä d a g o g i s ch e u Thuns befähigt sein möchte,
der sollte doch wenigstens
die wichtigsten Resultate jener
nlaitnigfachen Forschungen (von Qnetelet, Lotze, Helmholtz, Wundt
U. s. w.) kennen zn fernen suchen pag. 593.
Zur pädagogischen Kritik
28
höhern Lehrerstandes übergeleitet sind;
davon ganz zu
wie wenig man im Stande ist,
schweigen,
aus der Ge
schichte der Pädagogik die Praxis zu befruchten, Methode
und Stellung eines begreifen
und
Unterrichtsgegenstandes historisch zu
ebenso
den
vielen
Schwankungen
durch
Schaffung einer gesunden Tradition entgegenzuarbeiten, wie
Verständniß zu gewinnen für die Bedürfnisse der Gegen
wart.
So wäre man, um nur ein Beispiel anzuführen,
gewiß nicht in Betreff der philosophischen Propädeutik in Gynnlasien aus einem Extrem ins andere gerathen, wenn
unter den Lehrern ein größeres historisches Verständniß
dieses Gegenstandes verbreitet wäre. *) Freilich, derartige Dinge lernen sich weder beiläufig, noch finden sie sich in einem handlichen Compendium be
quem beisammen.
Wo aber ist z. B. in Bayern Gelegen
heit gegeben, sich solche anzueignen. wir wissen, von theologischen
Zwar pflegt, soviel
Professoren ziemlich regel
mäßig eine Vorlesung über Pädagogik gehalten zu werden; allein die Pädagogik ist keine theologische Wissenschaft, und
wo in der Geschichte der Pädagogik Theologen fördernd aufgetreten,
da
ist es
Theologie geschehen.
weniger mit Hilfe als
trotz der
Daher ist es auch Niemanden zu ver
argen, wenn er, um mit denl oben erwähnten Chr. Trapps zu reden, „die menschliche Natur nicht durch das Glas des
Kirchensystems ansehen" will, und die Pädagogik als theo logische Disciplin auffassen scheint uns fast soviel zu be-
*) Wir erinnern an die Stellung, welche dem philosophischen Unterrichte am Gymnasium in Nürnberg unter Hegel'ö Rectorat zugewiesen war. 2) S. Trapp a. a. O. pag. 472.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
29
deuten, als ihr den Charakter einer Wissenschaft absprechen.
Aber gibt es denn nicht Collegien über Gymnasiatpädagogik? Allerdings, allein jede Speciatpädagogik setzt die allgemeine
voraus, kann dieselbe aber nicht etwa ersetzen. Jean Paul sagt ganz zutreffend: „Die Lehre des Allgemeinen ohne die
des Besondern ist so gut wie die Lehre des Besondern
ohne die
des Allgemeinen ein Abweg von der richtigen
Lehre, die beides verbindet. *)"
Gerade
in solchen allzu
„praetisch" sein wollenden Vorlesungen liegt die Gefähr
der unwissenschaftlichen Regelsammlung gar nahe,
toenn
nicht ein philosophischer Hintergrund ihre Ableitung sichert.
Dazu konnnt, daß unter
allen Umständen den Lehrern
anderer Schulkategorien gar nichts geboten ist; und wo ein künftiger Lehrer der Gewerbschute etwas von Päda
gogik oder Didaktik erfahret: soll, vermögen wir nicht an
zugeben.
Daß demnach hier eine empfindliche Lücke in dein
System der Lehrerbildung vortiegt, kann Niemand leugnen.
III. Noch schlimmer steht es mit der praetischen Anleitung. Während die Volksschullehrer in einer Weise methodischpractisch geübt werden, als ob das ein Elementarspecificum
wäre, leistet dergleichen bei den
Candidaten des höher»
Schulamtes entweder das Genie
oder — die Praxis des
späteren Amtes.
Das Lehrgeld zahlen dann die Schüler
die Lehrmeister sind der Zufall und die Noth, und das
Publikum.
ist es zufrieden.
„9Juui
muß
*) Levaua, Vorrede zur 2. Aufl. pag. XII.
gestehen,
sagt
Zur pädagogischen Kritik
30
Theodor Waitz, daß für das leibliche Wohl der Menschen
besser gesorgt wird.
Die künftigen Aerzte besuchen außer
den theoretischen Vorlesungen, die ihrem Fache und den dafür vorbereitenden Wissenschaften angehören, auch die
Sie bekommen hier nicht bloß Kranke zu sehen,
Kliniken.
sie werden auch in der richtigen Erkennung und Beur
theilung der vorliegenden Fälle geübt, sie müssen unter Anleitung und Aufsicht des Lehrers ihre ersten Opera tionen machen, sie werden mit einem Worte praktisch aus
Der künftige Gymnasiallehrer dagegen tritt ge
gebildet.
wöhnlich zum ersten Male in eine Schule,
wenn er an
fangen soll in ihr als Lehrer thätig zu sein, ja er hat in
vielen Fällen vorher über Erziehung und Unterricht noch
niemals etwas gehört oder gelesen, vielleicht niemals auch nur daran gedacht.
Sein eigentlicher Beruf ist ihm voll
ständig fremd geblieben, und da geht es nun mit diesen: wie es eben kann.
Besitzt er einige Liebe zu ihm, einigen
Ernst und Energie, so kann immerhin seine Leistung noch recht tüchtig sein oder doch werden, aber daß für seine
Ausbildung zürn Lehrer das Nöthige geschehen sei, wird sich doch schwerlich behaupten lassen.
öffentliche
Meinung sagen,
Was würde die
toemt Aerzte die Erlaubniß
zur Praxis erhielten, die noch nie einen Kranken gesehen hätten.
Beim Lehrer und Erzieher findet man das ganz
analoge Verhältniß fast in der Ordnung."l) — In der That, S. Theodor Waitz, Zur Frage über die Vereinfachung des
Gymnasialunterrichts zunächst in Kurhessen, pag. 25.
Auch der
Verfasser von „Ueber nationale Erziehung" Leipzig bei Teubner 1872, sagt pag. 163: Somit muß von jedem künftigen Gym nasiallehrer verlangt werden, daß er zwei Jahre ausschließlich
mit besonderer Rücksicht ans Bayern.
31
was inan auf allen andern Gebieten unbegreiflich fände, gilt hier als Regel. Während man Don einem Verwal tungsbeamten, und stünde er auch auf der untersten Stufe der Beamtenleiter, mit Fug und Recht erwartet, daß er nicht nur Staatswissenschaft und Politik als Wissen schaften kennen gelernt, sondern auch in jahrelanger Theil nahme an den laufenden praktischen Arbeiten sich eine ge wisse technische Gewandtheit angeeignet habe, gibt es der Herr den Pädagogen schlafend. Ist denn aber Lehren und Erziehen ein so leichtes Geschäft? Kein Sachverständiger wird diese Frage bejahen. Schon die Nothwendigkeit des raschen Handelns in meist unvorhergesehenen Fällen, die dabei unerläßliche Ruhe, welche auch in den verwickeltsteu Situationen das Ziel nicht vergißt, die Bereitschaft zur Ausnützung aller Zwischenfälle, die Stetigkeit der gemüth lichen Betheiligung — alles das setzt einen großen Kreis von practisch- beweglichen, leicht verfügbaren Gedanken voraus, welcher in der Hauptsache nur durch eine beson dere Vorbereitung erworben werden kaun; andernfalls ent steht nur nach und nach ein zufälliges Gebräu von mehr oder minder glücklichen Gewohnheiten Man sage uns nicht, daß durch den Gang der Hähern Studien, durch die Vertiefung in streng wissenschaftliche Arbeiten ein gewisses Taetorgan erzeugt werde, das im Gegensatze zu dem in der Vorhalle der Wissenschaft festgehaltenen Volksschullehrer dem an
pädagogische, uub zu deren tieferen Begründung, psychologische Studien treibe, sei es mit, sei es ohne Hilfe eines eigens dafür an den Universitäten zu errichtenden Seminars, in welchem aber dann ausschließlich pädagogische, respective psychologische Fra gen behandelt würden.
32
Zur pädagogischen Kritik
gehenden gelehrten Lehrer leicht den Weg zeige und be
sondere Weisungen und Uebungen ersetze.
Im Gegentheil,
leichter noch steigt der Volksschullehrer aus seiner Bildungs sphäre zu seinen
Schülern herunter, als der Academiker
aus der Region der gelehrten Fragen sich zu dem Fassungs kreis von Knaben herabläßt.
Denn es ist ein anderes um
die Interpretation eines Classikers im philologischen Semi
nar und ein anderes um die Lectüre desselben mit einer Gymnasialktasse,
und ein
ein anderes um historische Quellenkritik
anderes um
eine
historische
I. Curse der Gewerbschule oder in
Lection in
eitlem
einer IV. Lateinktasse,
ein anderes, einen platonischen Dialog in das Ganze des
Systems einreihen, und ein anderes, ihn exponiren
vor
Anfängern im philosophischen Denken, ein anderes endlich,
in die Denkmäler des germanischen Alterthums eindringen, und ein anderes, mit Selbstverleugnung und Geschick un
serer Jugend Liebe und Geschmack für unsere vaterlän dische Literatur einflvßen, gar nicht zu reden von jenen
Problemen,
wie sie fast jede Stunde bringt, sei es, daß
es sich um die Anfänge des deutschen Aufsatzes handelt,
oder unl die inductive Gewinnung einer grammatischen Reget odereines naturwissenschaftlichen Gesetzes.
Wer hier ohne
Anleitung und Uebung beginnt, kann nur durch viel Schaden
(activ und passiv) klug werden, es sei denn, daß er vom lieben
Gott besonders begnadigt wäre.
Ganz das Gleiche gilt für
Haltung, für die Technik des Fragens, für Ktassendisciplin und wie alle die „Kleinigkeiten" heißen, die, mögen sie noch so vornehm als adia^u betrachtet werden, entweder in
ihrer Vereinigung den Lehrer stützen und
sein Geschäft
erleichtern oder fehlend ihn zu Schanden machen.
Neben die Forderung ausreichender Gelegenheit für theoretisch - pädagogische Studien stellt sich daher die keines wegs weniger dringliche, geeignete Veranstaltungen zu treffen für die practisch-pädagogische Uebung, d. h. die Forderung acadeinisch - pädagogischer Seminare. Es ließe sich ein Haufen von Zeugen aus der Ge schichte des Gelehrtenschutwesens für die Nothwendigkeit von solchen Instituten zusammenbringen, und zwar schon von den Zeiten des gestrengen Trotzendorf an, der zuerst eingesehen haben soll, daß „das Unterrichten eine Kunst sei, die inan durch Uebung und Nachdenken erlernen muffe". Sind aber die bisher herausgestellten Punkte im Allgemeinen richtig, so läßt sich eine derartige Forderung nicht mehr ablehnen, und ist das Bedürfniß anerkannt, so müssen auch allmählich Mittel und Wege zu seiner Be friedigung gefunden werden. Daß jedoch der hier einzu schlagende Weg nicht ganz ungebahnt ist, soll nur in Kürze berührt werden. *) Seit der Philologen Cellarius in Halle und Gesner in Göttingen Zeiten hat sich die Tradition seminaristischer Einrichtungen an den Hochschulen nicht mehr verloren. Des berühmten F. A. Wolf SeminarVeranstaltungen ließen trotz ihres eigentlich philologischen Charakters das Pädagogische nicht außer Acht, und welch' wohlthätiger Einfluß von dem durch den ehrwürdigem Gedike geschaffenen und mit den: Friedrichswerderschen *) Eine quellenmäßige Geschichte der hierher gehörigen Bestrebnngen fehlt bis jetzt; die verdienstvolle Schrift von BrzoSka, „die Nothwendigkeit pädagogischer Seminare aus der Universität"
nimmt aus das Historische keine Rücksicht.
Zur päMgoflifdjen Kritik.
ß
34
Zur pädagogischen Kritik
Gymnasium verbundenen Seminar für gelehrte Schulen
ausging, hat er selber ausführlich erzählt.*) Niemeyer's an die Fränkischen Stiftungen geknüpfte Bestrebungen sind auch in dieser Hinsicht erfolgreich gewesen, und wie sehr
Herbart') den Gedanken
wissenschaftlich
vertieft
und
practisch ausgestaltet, ijt zu bekannt, als daß es noch be sonderer Hervorhebung bedürfte.
Männer wie T h i e r s ch,
Dissen und Kohlrausch, die in so rühmlicher Weise
ihre Nanien der deutschen Schul- und Gelehrtengeschichte
eingefügt, haben schon an der Schwelle seiner academischen Laufbahn in Göttingen seinen deßfallsigen Einfluß erfah
ren, und was bis heute für den Aufbau einer den strengsten wissenschaftlichen Anforderungen
entsprechenden Pädagogik
sowie für die theoretisch-praktische Ausbildung von Lehrern für höhere Schulen von der Herbartischen Schule,
von
Professor Brzoska an bis herab zu noch jetzt wirksamen Män
nern, wie z. B. Stoyb) in Jena und Zill er4) in Leipzig, geleistet worden, braucht Kennern der Wissenschaft nicht
gesagt zu werden.
Gerade die Herbartische Schule hat das
Verdienst, nicht nur den philosophischen Charakter der Päda gogik betont, sondern auch die Nothwendigkeit eigener Veran
staltungen für die practische Bildung der Lehramtscandidaten
S. Gedike, Ausführliche Nachricht von dem Seminarium für gelehrte Schulen. Gesammelte Schulschriften. II. Bd. Berlin 1795. pagn. 112. 2) S. Werke Bd. XL 411 (Ausgabe von Hartenstein). 3) S. das Pädag. Seminar zu Jena. Historische Bilder aus den Acten desselben. Leipzig 1858. 4) S. Ziller, Grundlegung zur Lehre vom erziehenden Unter richt. Bes. § 7. Die Kunst des Unterrichts.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
35
unwiderleglich dargethan zu haben. AusderHegel'schen Schule
ist Thaulow !) in Kiel mit Entschiedenheit für eine gründ lichere Pflege der pädagogischen Studien in Wort und
That eingetreten, Beneke?) fordert practisch-pädagogische
Uebungen und was der Krauseaner Ahrens3) gegen die
„Abwege in der neuern Geistesentwicklung," als Abhilfe in Vorschlag gebracht, liegt wesentlich auf der hier beton ten Seite.
Privatdoeent Bäbler4) in Bern hat vor zwei
Jahren eine eigene Broschüre über „Errichtung pädagogischer
Seminare" veröffentlicht, und wenn im vorigen Jahre die pädagogische Section der Versammlung deutscher Philologen
und Schulmänner in Innsbruck unter dem Vorsitz des Leipziger Professors Eckstein das Bedürfniß pädagogischer
Seminare einstimmig anerkannte, und in Betreff der Ein richtung derselben wenigstens darin einig wurde, daß es
sich nicht um bloße Routine handeln dürfe, daß daher ein
gründlicher Betrieb der pädagogischen Grundwissenschaften, nämlich der Psychologie und Ethik vorauszusetzen sei — so ist das gewiß ein bedeutsames Zeichen, und die W a i tz ’ sche
Klage, daß die Mängel der pädagogischen Bildung von Jedermann gefühlt würden, nur von den Lehrern nicht, *) S. Thaulow, Erhebung der Pädagogik zur philos. Wissen schaft oder Einleitung in die Philos. der Pädagogik; Berlin 1845,
dann: Nothwendigkeit und Bedeutung eines Pädagog. Seminars
auf Universitäten und Geschichte meines Seminars. Berlin 1845. 2) Vgl. ErziehungS- und Unterrichtslehre II, 489. 3) S. Ahrens, Abwege in der neuern dentschenGeisiesentwicke-
lung und die nothwendige Reform des UnterrichtSwesenö. — Der selbe fordert besonders philosophische Seminare.
4) Die Errichtung pädagogischer Seminare an Universitäten. Zürich 1873.
Zur pädagogischen Kritik
36
hat ihre Allgemeingiltigkeit verloren.J) Auch über Deutsch
land hinaus ist die Frage practisch geworden.
In Eng
land macht sich der Mangel an solchen Anstalten empfind lich geltend; in Schweden trägt man sich mit Plänen für-
entsprechende Einrichtungen; in der Schweiz steht die Re form der höhen: Lehrerbildung auf der Tagesordnung,
und in Oesterreich hatte schon vor einigen Jahren das Unterrichtsnüuisterium eine eigene Enquete ") über päda gogische Universitätsseminare veranstaltet, ohne freilich die *) Noch sei Folgendes erwähnt: Im September 1873 faßte
die erste Deutsche Realschulmä'nner- Versammlung in Gera sub. 3 den Beschluß:
„Um eine
gediegene Vorbereitung
Lehrer für das Lehramt 311
der
sichern, sind Seminarien
für höhere Schulen nothwendig, welche, mit den Universi täten verbunden, in einem
vierten obligatorischen Studienjahre
nach dein Examen theoretische und praktische Vorbereitung ge
währen und deren Besuch in jeder Weise zu erleichtern .ist." Auch die diesjährige Naturforscherversamnrlung in Graz beschäftigte sich
mit der Frage der pädagogischen Bildung der Lehrer für Natur wissenschaften. — Director Dr. Weck schließt seine Studie über
„daS
deutsche Gymnasium (Ratibor 1875) mit folgenden nach
seiner Annahme keiner Motivirung bedürfenden Sätzen: 1) „Bei jeder Universität ist ein ordentlicher Lehrstuhl ausschließlich für
Pädagogik zu gründen."
2) „Von jeder derartigen Professur ist
ein pädagogisches Seniinar abhängig"; und Professor I. B. Meyer in Bonn nennt es „eine gerechte Zeitforderung, die Pflege der Pädagogik an den Universitäten nicht nur den zufälligen Nei
gungen der Theologen und Philosophen zu überlassen, sondern dafür eigene Professuren 31t gründen; um dazu beizutragen, daß die Schulmeisterweisheit wahre Wissenschaft werde."
2) S. Vogt,
die Wiener
Enquete über pädagogische Uni
versitätsseminare, im Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik IV. pag. 316.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern. Frage zur Lösung zu bringen.
37
In Preußen hat
nan
wenigstens ein Surrogat in den unter einigen Gymimsialdirectoren stehenden Seminaren für gelehrte Schulen, und
daß sowohl in Preußen als auch in Sachsen auf die theo retische Kenntniß der pädagogischen Hilfswissenschaften Ge
wicht gelegt und ein gewisses Maß philosophischer Bil
dung gefordert wird, ist bcfiumt
Nur Bayern macht in
all' diesen Dingen eine wenig rühmliche Ausnahme.
IV. Es ist ui der That nicht leicht zu begreifen, wie in Bayern unter Mitwirkung von wissenschaftlichen Größen ersten Ranges eine Prüfungsordnung für die Candidaten des höhern Schulamtes zu Stande kommen konnte, welche
die Pädagogik neben Literatur re. unter jene Kenntnisse
und Fächer einreiht, die als der allgemeinen Bildung zu gehörig durch den deutschen Aufsatz erforscht werden, welche aus einer Probelection, in welcher der Candidat in der Regel zum ersten Mal vor Schülern erscheint, die practisch-
methodische
Befähigung kennen lernt, welche von einer
Prüfung in der Philosophie nichts weiß, obgleich die Lehr ordnung sowohl des humanistischen Gymnasiums als des Realgymnasiums in den oberen Klassen philosophische Pro-'
pädeutik vorschreibt, welche keine Sorge dafür trägt, daß
auch die Candidaten
wissenschaften
soweit mit
sich beschäftigt haben, vermögen,
der Mathematik
ohne
den
daß sie
und der Natur
ethischen
Wissenschaften
jene Garantie zu
die der Staat Niemand
bieten
ein Lehramt
anvertrauen soll, welche die Einreihung unter die Can-
Zur pädagogischen Kritik
38 didaten
des
Gymnasiallehramtes (int
engern
Sinn)
in
der Specialprüfung lediglich von einen: Beweis des wissen
schaftlichen Fortschritts, von einer gelehrten Arbeit abhängig macht, während es grundgelehrte Leute gibt, welche als Lehrer doch in jene Classe
zählen, die von Döderlein
dahin
daß sie die Verachtung ihrer
charakterisirt wird,
Schüler treffe.
Ist da preußischerseits die Erklärung ver
wunderlich, „daß, wenn auch kein Bedenken obwalte, die bayerischen Zeugnisse über die bestandene wissenschaftliche
Speciatprüfung als gleichwerthig mit der in Preußen ertheil
ten facultas docendi für die Prima anzuerkennen, deren völlige Gleichstellung für den preußischen Gebrauch doch
von einer Nachprüfung in der Philosophie und
Pädagogik abhängig gemacht werden müsse." *) Es ist sehr zu beklagen,
daß man in solchem Grade
aus dem Extrem der frühern Prüfungsordnung direct in
das entgegengesetzte gerathen konnte. Philologe
zu
einem
War nach jenem der
Encyktopädismus
verurtheitt,
nach
welchem auch die positiven Religionskenntnisse zu einen: Gegenstand des Examens erhoben waren, so entschloß man sich nun zur Normirung eines ausschließlichen Fachwissens,
das über dem Gelehrten den Lehrer vergißt.
Ist denn die
rein scientifische Bildung allein in: Stande, Jemanden zum Lehrer zu machen?
Oder setzt nicht gerade der durch gründ
liche Fachstudien erworbene intellectuelle Besitz eine gleich fest begründete Welt- und Lebensanschauung voraus, ja ist es
letztere nicht, die jenem
leiht?
erst Werth und Bedeutung ver
Pädagogische Studien sind es aber gerade, die dem
’) S. Bratuschek, Philos. Monatshefte X, pag. 23.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
Lehrer zu solchem Fundamente verhelfen.
39
Ethik, Psycho
logie, Geschichte der Bildung und Cultur liefern das un entbehrliche Material, und wenn man bedenkt, daß sich in
unserer Zeit ein immer tiefer gehender Scheidungsprozeß zwischen Staat und Kirche vollzieht, dem kein Einsichtiger
Stillstand wünschen wird, so wird man sich kaum der Er wägung
entziehen können, daß die idealen Elemente der
menschlichen Gesellschaft sonderlich bei denen gründlichste
Pflege erfahren müssen, denen die Erziehung und Leitung der Jugend anvertraut, die Heranbildung derer überlassen
wird, welche einmal leitend auftreten sollen.^
Staat nicht
in diesem Sinne
diejenigen
mal seine Beamten werden sollen, mit einem hölzernen Schwerte.
der oben genannte Ahrens
so
aus,
Rüstet der die ein
kämpft er überall
Mit vollem Rechte sagt
in
der erwähnten Schrift:
„Wohl erscheint ein gründlicheres Studium dieser Wissen
schaften (Psycholotogie, Logik re.) besonders der Ethik ge
boten, da die tiefern sittlichen Ueberzeugungen des Lehrers sicherlich nicht
ohne
günstigen Einfluß auf die ganze sitt
liche persönliche Haltung und auf die richtige Behandlung
vieler Gegenstände sein werden." )
Es wird Niemand leugnen wollen, daß gerade in die ser Richtung trotz aller Reformen in Bayern noch so gut
wie gar nichts geschehen. *) Vgl. Rieck, XXII. Brief.
Alle Schulverbesserungen wirken
Pädagogische Briefe, Bielefeld, 1867, des.
„Die Culturverhältnisse der Gegenwart sind der
Art, daß ohne ein durchgebildetes pädagogisches Bewußtsein eine Sicherheit der Praxis und eine ungetheilte Hingebung nicht mög lich ist." pag. 315.
-) A. a. O. pag. 92.
Zur pädagogischen Kritik
40
aber nur, soweit der Lehrerstand pädagogisch tüchtiger wird,
und das, was sich am allerwenigsten durch Verordnungen
und Aehntiches regeln läßt, ist nun doch einmal die Haupt sache.
Daran scheint man aber wenig zu denken.
Denn
während nach den bestehenden Vorschriften auch an der
polytechnischen Hochschule eine Vorbereitung für verschiedene
Fachexamina möglich ist, einer Anstalt, die durch ihren außerordentlich
raschen Aufschwung ihren Gründern alle
Ehre macht, ist keine Sorge dafür getroffen, daß auch hier
den ethischen Wissenschaften ihr Recht und jene Gelegenheit geschaffen wird, die auch der Studirende der Naturwissen schaften, ja er besonders, nicht missen kann?) Ist doch nach
neuer Ordnung auch der Abiturient des Realgymnasiums in philosophischer Propädeutik unterrichtet.
Wie aber soll
er denn nun an der polytechnischen Hochschule, welche doch
der natürliche Aufbau auf dem Fundamente des Real
gymnasiums, für die Anregungen und
etwa ' gewonnenen
Antriebe
philosophischen
Nahrung mit) Leitung firn
den?
Fordert schon der Hochschnl - Charakter eine Vertre
tung
der
Geisteswissenschaften,
mehr Art und Form
so
verlangt
der daselbst
eine Verknüpfung mit dem Allgemeinen.
gepflegten
noch
viel
Studien
Wenn Wundt2)
die Aufgabe der Philosophie dahin formntirt hat, sie habe 9 Vgl. AhrenS a. a. O. pag. 101.
„Die große Zahl der
auf diesen (polytechnischen) Anstalten Studirenden, welche später in das so weit verzweigte
tief in das Volksleben eingreifende
wirthschaftliche Berufsleben eintreten, läßt eine solche tiefere psycho logische und ethische Bildung als besonders dringend erscheinen." 2) „Ueber die Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart." Rede rc. in Zürich gehalten.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
41
als Wissenschaft der Wissenschaften „den allgemeinen Zu sammenhang der Erkenntnisse" herzustellen, so führt gerade
die Verzweigung der Naturwissenschaften, die Besonderung
zur Nöthigung
zusammenfassender
Ueberschau und innerer Verbindungen.
Jeder Vertiefung
ihrer
Detailforschung
ins Einzelne hat zur Seite zu
gehen die Besinnung auf
das Ganze, sonst kommt es eben zu jener oben erwähnten
„cyklopischen"
Gelehrsamkeit, *)
mit der nicht selten auch
eine „vita cyclopica“ gepaart ist.
Gerade die Bildung der
academischen Jugend sollte sich die Beziehungen, welche die
exacte Forschung heutzutage in ihren ersten Vertretern zur Philosophie herstellt,2)
nicht ünverwerthet entgehen lassen.
Allerdings ihrer Natur nach gehört die
Pädagogik
zur Universität, und ob nicht bei einer aufmerksamen Pflege derselben jene von so wendig bezeichnete
vielen Seiten
die Reform des Lehrvortrags,
*) Neben
setzen wir den
als dringend noth
Umbildung der academischen Didaktik,
dieses Wort
sich allmählich und natur-
Kant's (Anthropologie
schönen Spruch von Göthe:
pag.
160)
„Vor zwei Dingen
kann man sich nicht genug in Acht nehmen; beschränkt
man sich
in seinem Facke, vor Starrsinn; tritt man heraus, vor Un zulänglichkeit."
Vgl. dazu die geistvolle Festrede von vr. H.
Vaihinger
als
„Göthe
Ideal
universeller
Bildung."
Stutt
gart 1875.
2) Wir
verweisen
außer Helmholtz
Rede „über das
Ver
hältniß der Naturwissenschaften zur Gesammtheit der Wissenschaft" besonders auf die lichtvollen Erörterungen, wie sie F. A. Lange's
Geschichte des Materialismus in
wissenschaften" bietet. allgemeinen
Eap. V.
den
Abschnitten „die Natur
Auch Dühring,
Principien der Mechanik,
kritische Geschichte der
gehört hierher.
Vgl. bes.
42
Zur pädagogischen Kritik
gemäß vollziehen würde, darauf wollten wir hier nur Hin
weisen.
Denn soviel steht ja fest, daß auch unsere gelehr
testen Professoren nicht selten sehr mittelmäßige Docenten sind,, theils weil sie es nicht besser machen wollen, theils
weil sie
nicht können,
und daß die Sorgfalt,
Erkenntniß der Bedürfnisse der Zuhörer, mäßige ,
dem
Lehrzweck entsprechende
welche auf
auf eine zweck Gruppirung
des
Stoffes, auf den Vortrag selbst, endlich auf Aneignung und
Verarbeitung verwendet wird, gar nicht in Betracht kommt gegen die
etwaige
schriftstellerische Leistungsfähigkeit des
„berühmten" Docenten, — ist eine
Sache,
deren Unge
hörigkeit man nach und vuch in immer weitern Kreisen
wenigstens fühlt.
Wir sind weit entfernt, etwa der Tren
nung von wissenschaftlicher Forscherthätigkeit mischer Lehrthätigkeit das
und acade-
Wort reden zu wollen.
Der
academische Lehrer muß aus der Quelle schöpfen; allein die Mittheilung an die Jugend, ihre Führung und Leitung ist weder etwas Nebensächliches noch Selbstverständliches, und wenn auch geniale Naturen hier wie überall sich leich ter einen Weg bahnen, — auch die Universitäten sind nicht
vor dem Schutmeisterschlendrian gesichert, und es scheint dringliche Pflicht zu sein, daß man auch hier auf Mittel
und Wege sinne, wie deutliche Mißstände beseitigt werden können.
Es
wird
angemessen
sein,
die
Kritik hier
einzu
reihen, welche die besprochenen Verhältnisse bei der letzten Budgetberathung des Landtages im Referate
des Dom-
capitulars Dr. Anton Schmid erfahren haben. Nach einer
Hinweisung darauf, daß bereits
im früheren Landtage
„viel über die Heranbildung tüchtiger Lehrkräfte an den
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
43
Mittelschulen gesprochen und unerkannt worden sei, daß
hier
eine
Lücke
in
Unterrichtswesen
unserm
bestehe,"
wird folgendermassen fortgefahren: „Nothwendig dürfte sein
ein Seniinar für Realienlehrer und zwei für Lehrer der modernen Sprachen überhaupt.
Es bestehen Seminarien
für Theologen, Philologen, Mathematiker, Historiker, für
Musiker, Volksschullehrer; alle diese haben Gelegenheit in Fachinstituten
die
für
ihre
künftige
Stellung
nöthige
Spezialbildung verbunden mit den entsprechenden Uebun gen, zu erlangen.
Rur für die Heranbildung von Lehrern
an den so wichtigen technischen Schulen und von Lehrern der modernen Sprachen an den humanistischen und rea listischen Unterrichtsanstalten ist bisher kaum Hinreichendes geschehen. Zwar sind Lehrstühle für Geographie, für deutsche
und französische Literatur und für allgemeine Geschichte errichtet, und hiemit ein
gethan.
bedeutender
Schritt vorwärts
Allein es fehlt diesen Lehrkräften an einheitlichem
Zusammenwirken, an bestimmter gleichmäßiger Ein - und
Vertheitung des Lehrstoffes,
an einem fest abgegrenzten
Programm, welches die Candidaten während
ihrer acade-
mischen Laufbahn durchmachen müssen; es fehlt an practischen Uebungen in den verschiedenen Disciplinen, Uebun gen, welche allein Sicherheit in der Handhabung und An
wendung des Gelernten gewähren.
Ein solches Seminar
läßt sich mit Benützung der vorhandenen Lehrkräfte leicht
einrichten, wenn noch zwei Lehrstühle — der eine für die
deutsche,
der
andere für die französische und englische
Sprache — errichtet werden."')
Es ist schwer zu sagen,
l) Bericht des Finanzausschusses rc. Seite 54 und 55.
44
Zur pädagogischen Kritik
in welch' wunderlicher Weise hier zutreffende Kritik, schiefe
Auffassung und bunden sind.
verkehrte
Vorschläge
mit einander ver
Niemand, der die Verhältnisse unserer Ge-
werbschulen kennt, wird die gerügten Mängel in Abrede
Allein beziehen sie sich etwa ausschließlich auf die
stellen.
namhaft gemachten Lehrerkategorien, sind nicht die Candi-
daten der Matheinatik und Naturwissenschaften in gleicher Ja ist auch nur das richtig, was in demselben
Lage?
Referat weiter unten zu lesen:
„Für die Heranbildung
guter Lehrer an den humanistischen Anstalten ist durch die an
den
Landes-Universitäten
Seminarien
für
die
befindlichen
Vorbildung
philologischen
hinreichend
gesorgt."?
Das was für die Lehrer vermißt wird, Einheit und Zu sammenhang des Studienganges, sicheres Wissen, Beweg
lichkeit und Leichtigkeit in der Beherrschung der erwor benen Kenntnisse — gewährt kein Fachseminar, und auch
keine Vereinigung von Fachprofessoren oder Fachseminaren mittelst eines Programmes.
Der Zweck der Fachseminare
ist nach der Natur der Sache tiefere Einführung in die
Lehre
mittelst der Uebung
an einem gegebenen Object.
Der Germanist — und um die Anstellung eines solchen könnte es sich doch nur handeln — wird so gut wie die Vertreter der classischen oder modernen Philologie Uebun gen anstellen in Textkritik, Interpretation rc. und der Ge
winn der Seminaristen besteht in der allmählichen Einsicht
in
die
Art und Weise,
wie wissenschaftlich gelehrte Ar
beiten aufgefaßt und gelöst werden müssen. Nothwendigkeit und
Nutzen
Niemand kann
solcher Institute
verkennen;
allein Anderes noch verlangt das Bedürfniß der Schule
und des künftigen Lehrers.
Es
lassen sich bedeutende
mit besonderer Rücksicht auf Bayern. Vertreter der verschiedenen Zweige der Philologie,
45 der
Mathematik und der Naturwissenschaften denken, ohne daß dieselben je Veranlassung gehabt haben, an die Bedürfnisse
einer Mittelschule 311 denken, geschweige denn an solchen
Schulen selbst thätig zu sein und Erfahrungen zu sammeln.
Männer, wie z. B. Giesebrecht in München oder Köchly in Heidelberg sind ja selten.
Allein selbst unter der Vor
aussetzung, daß die einzelnen Fächer in solcher Weise an
den Hochschulen vertreten wären,
läßt sich
das als noth
wendig Nachgewiesene ohne anderweitige Hilfe nicht erreichen. Einführung in die allgeineine Methodik, Anwendung der so gewonnenen Grundsätze auf die einzelnen Unterrichts
zweige, Zusammenhang der einzelnen Unterrichtsgegenstände unter einander, Werth derselben in Bezug auf den obersten
auf Beitrag zur allgemeinen Bil
Unterrichtszweck und
dung, Erörterungen über den Zusammenhang des geistigen
Lebens der Jugend und die Bedingungen seiner Fortent wicklung, darauf gegründete Ueberlegungen über die Be
handlung der Schüler, über Aufgaben, über Wechsel im Gang des Unterrichts, sodann die Menge von Fragen der didaktischen Technik, z. B. über die Frage (eine crux so
vieler Lehrer und
eine Quelle der
Erheiterung für so
manchen denkenden Gymnasiasten) über Repetitionen, über
Correcturen, über Forut der Erklärung re. — das sind
doch wohl lauter Dinge,
die nicht etwa beiläufig sondern
nur auf Gruud eines einheitlichen pädagogischen Systems besprochen werden können, dessen Vertreter die einzelnen
Schulwissenschaften eben so weit beherrschen muß, daß er die
Einführung
in
Sicherheit leiten kann.
die Praxis mit wissenschaftlicher
Nicht um den Erwerb einer mehr
Zur pädagogischen Kritik
46
oder weniger großen Routine handelt es sich, sondern um die Anbahnung pädagogisch-methodischer Ueberlegnngen auf
Grund
einer
Erfahrung.
gewissen
Nicht
soll
derselbe
Germanist sein, aber welche Stellung der deutsche Unter
richt in
irgend
einem Lehrprogranun
einzunehmen hat,
wie die Aufsatzübungen anzuordnen sind, und welche Ent
wicklung der deutsche Sprachunterricht durchgemacht, das
sind Fragen, die er theils in der allgemeinen und speciellen Didaktik, theils in der Geschichte der Methodik zu bear beiten hat, und in gleicher Weise ist sein Verhältniß zu allen andern Hauptfächern der Schule zu denken.
V. Es kann natürlich einige Andeutungen zu
nur Aufgabe dieser Skizze sein, geben.
Daher sollen denn auch
Beziehungen der Pädagogik nach andern Seiten nur flüch tig berührt werden.
Die Geschichte des unterfränkischen
Schulwesens erzählt uns, daß der Bischof Franz Ludwig
eine Professur für Pädagogik errichtet, dainit (nach Niel,
Revision des Würzburgischen Schulwesens)!) „seinen Schulen die jedesmaligen Fortschritte der Pädagogik, eine geprüfte Ausbeute der bessern Grundsätze und der Geist des Nach
denkens und Forschens hierüber zugesichert wurden", mit) daß „um der Erziehungswissenschaft mehr Interesse und
eine noch ausgedehntere Sphäre zu verschaffen durch Georg
Carl allen Studirenden ohne Unterschied zur Pflicht ge macht wurde,
das
Collegium der Pädagogik fleißig zu
frequentiren und sich hierüber durch ein Attestat des Pro-
') S. a. a. O. pag. 55 und 147. (Würzburg 1803.)
mit besonderer Rücksicht auf Bayern. fessors desselben zu legitimiren." radicale Maßregel etwa als
47
Es Ware thöricht, diese
Vorbild aufzustellen.
Daß
aber die practische Bedeutung pädagogischer Studien über die Lehrerkreise hinausreicht, lehrt auch oberflächliche Be trachtung.
Leicht nachweisbar ist ihre Beziehung zu den
Staatswissenschaften, und daß die Vorbereitung eines Ver
waltungsbeamten
gerade diesem so wichtigen Zweige des
öffentlichen Lebens, den die Pädagogik mit behandelt, der
Scholastik, d. h. der Lehre von den Schulen, nicht fremd
bleiben sollte, haben vielleicht die Arbeiten Don Mohl oder Stein wenigstens negativ bewiesen.J)
Gewiß würde seltener
von ©eiten derer, welche mindestens „äußere" Schulange
legenheiten zu verwalten haben, der Mangel an Gedanken
und
Einsicht durch
willkürlich
schädigende
Verfügungen
ersetzt werden, wenn man dem Gegenstände selbst nicht gar
zu fern geblieben wäre, und um unser gesammtes Schul-
und Erziehungswesen
müßte es
besser stehen, wenn es
möglich wäre, unter den Besten der Nation nnfc sonderlich
unter denen, welche in verschiedenen Kreisen einmal leitend auftreten sollen, tieferes Verständniß und lebendigeres In
teresse für die Fragen der Erziehung zu wecken und zu pflegen.
Von welchem Werth das aber für das gesammte
Volksleben sein würde, darüber hat die. Socialwissenschaft trotz ihrer Jugend bereits hinlänglich Licht verbreitet. '")
*) Wir erinnern an N. v. Mohl, Politik II (Erziehungs politik) und an Lorenz Stein, Verwaltungslehre, die Innere Verwaltung, II. Hauptgebiet, das Bildungswesen. 2) S. Stein, Gesellschaftslehre. (System der Staatswissenchaft II) bes. pag. 196 u. s. w. Auch „Gedanken über die Social Wissenschaft der Zuknnst" v. P. L. pag. 259 ffg.
48
Zur pädagogischen Kritik
Vom Volksleben kommen wir schließlich noch in Kürze
auf das Volksschulwesen.
Denn wir können uns nicht zu
jener bequemen als Arbeitstheilung und weise Beschrän kung gerühmten Art der Betrachtung bekennen, welche ge
flissentlich über irgend eine Schulkategorie nicht hinaus blickt.
Die Schulen
hängen mannichfaltig zusammen und
die Bitdungsarbeit bildet ein großes Ganze.
Daher sind
die Uebergänge von besonderer Wichtigkeit und gewiß hätten wir in der Entwicklungsgeschichte unseres Schulwesens we
niger Einseitigkeiten und Uebereilungen zu beklagen, (man denke z. B. an die neu angefügte I. Lateinktasse) gehörte es nicht bei unsern Schulmännern zum guten Ton, vor
nehm auf das Elemeutarschulweseu herabzuseheu, anstatt' eine solche Kenntniß desselben anzustreben, welche ebenso
wohl diesen: als dem höhern Schulwesen zum Heile ge reichen könnte.
sundheit
unserer
höherer Schulen
Es ist aber gewiß kein Zeichen von Ge
Schulverhältnisse, daß sich die
Lehrer
mit Recht den Vorwurf machen lassen
müssen, wenig zu wissen von der Natur, den Schwierig
keiten und Bedingungen des Elementarunterrichts; und daß gerade aus diesen Kreisen den Plänen und Bewegungen für eine Umgestaltung der Volksschulverhältnisse Sympathie
und
fördernde
Theilnahme
so wenig
entgegengebracht
wird, ist leider eine nicht abzuleugnende Thatsache.
Daher
betrachtet der moderne Liberalismus es vorzugsweise als seine Aufgabe, sich der Volksschule anzunehmen, und wie
weit dabei sachliches Interesse oder Mode und Parteitaktik in Betracht kommt, ist schwer zu entscheiden.
Allein ab
gesehen davon, daß die Volksschultehrer Don der bewiesenen Sorgfalt neuerdings nicht allzu sehr erbaut sind, ist die
49
mit besonderer Rücksicht auf Bayern-
Vermengung practisch-pädagogischer Fragen mit politischen
und kirchlichen Parteiinteressen noch nie zum Vortheil der Schule ausgeschlagen.
Daher sind auch alle Bestrebungen,
welche auf möglichst reinliche Sonderung der Gebiete ge
richtet sind, nur mit Freuden zu begrüßen, weil nur dann eine stetige Entwicklung zu erwarten ist. Vorerst ist auch auf dem Gebiete des Volksschulwesens
die Hauptfrage — die Bildung tüchtiger Lehrkräfte. Aller dings klingt das Angesichts des allbeklagten Lehrermangels
fast wie Hohn, eines Mangels, der die bescheidensten An forderungen herabdrückt und nach den allerwärts zu hören
den Klagen zur Annahme eines Materials zwingt, dem man, um mit Herder zu reden, keine Kälber, geschweige Menschen, zum Erziehen anvertrauen sollte, der die mit unverantwortlicher Freigebigkeit
vom
Staate
gewährten
Stipendien zu einem Werbegeld macht und die Arbeit der Lehrerbildungsanstalten zu einer Drillthätigkeit und einein
Dressurgeschäft herabsetzt.
lage,
Allein je schlimmer die Sach
um so größer die Verpflichtung zur Gegenwehr.
Will man aber einem Stande frische Kräfte, leistungs fähigere Köpfe zuführen, so muß neben ein gewisses Maß
materieller Vortheile sich die Möglichkeit stellen, auf Grund
der ursprünglich erworbenen Bildung innerlich und äußer
lich weiter zu arbeiten und weiter zu streben.
War das bis
her dem Stande der Votksschnllehrer, der wie eine Art
von Kaste betrachtet wurde, versagt, so ist die neuerdings
erfolgte Anerkennung doch nur eine formelle.
Denn das
bloße Gestatten tätigt hier nichts; es müssen positive Mittel lind Wege geboten werden.
Andernfalls vertauscht man
nur eine Verlegenheit mit der andern. Zur päbngoflifdjen Kritik.
4
50
Zur pädagogischen Kritik
So Pflegt man die Stellen an Lehrerbildungsanstalten
mit Volksschullehrern zu besetzen, und man kann das nicht selten als eine Ehre für den Stand bezeichnen hören.
Wir wollen nun hier Niemanden zu nahe treten und all
erkennen gern Tüchtigkeit mit) Strebsamkeit so vieler Volks schultehrer.
Aber wenn man es mit dem Vorwärtskommen
ernst meint, so scheint uns das bisherige Verfahren wenig
Garantie zu bieten, daß der Unterricht in den genannten
Anstalten auf jene Höhe gebracht werde, auf welcher er mit Recht auf das Prädicat der Wissenschaftlichkeit An spruch erheben und jene Grundlage gewähren kann, welche
auch für weitere Studien Fähigkeit und Interesse schafft. Soll der Volksschullehrer für derartige Stellen tüchtig
werden — und kein Besonnener wird seine unbedingte
Ausschließung fordern — so bedarf es einer solchen Ergänzung und Vertiefung seiner Bildung, wie sie nur ein plan- und
schulmäßig geordnetes Studium zu Stande bringt.
Dazu
fehlt es aber bis jetzt an allen Veranstaltungen, und es
ist nicht wohl zu begreifen, warum man in Bayern nicht eine Einrichtung trifft, etwa analog derjenigen, welche in Sachsen nicht nur den höhern Schulen schon recht tüchtige
Kräfte zugeführt, sondern auch dadurch, daß sie dem Talent freie Bahn macht, den Geist der Unzufriedenheit dämpft.
Freilich wäre damit vorausgesetzt, daß auch die in den
Lehrerbildungsanstalten zu erwerbende Fundainentalbildung von der Art wäre, daß sie einen Weiterbau tragen könnte. Daß man dies von der gegenwärtigen nicht sagen könne,
wird wohl von Allen zugestandcn werden, die sich einige Erfahrung erworben und nicht etwa der Meinung sind,
der Volksschullehrer müsse um der alten
Schulmeisterei
mit besonderer Rücksicht auf Bayern. willen geistig niedergehalten werden.
51
ES samt hier nicht
als unsere Aufgabe angesehen werden,
die Richtung der
als nöthig bezeichneten Reformen näher auseinander zu
setzen.
Vielleicht liessen sie
Punkte zurückführen.
sich
in Kürze auf folgende
Einmal würde es sich handeln um
Concentration des Stoffes, zum andern um einen wissen
schaftlicheren Betrieb der sprachlichen (mit Hereinnahme einer fremden Sprache) und mathematisch-naturwissenschaftlichett Fächer,
sodann um Zeit für die practische Bildung,
und
endlich um die Beschaffung von wahrhaft wissenschaftlich
gebildeten Lehrkräften.
Letzteres ist offenbar die Haupt
sache, auf welche schon vor einigen Jahren der Verfasser der Broschüre „der Kirchenstreit und die bayerische Volks schule" aufmerksam gemacht hat.
Allerdings hat er da
bei übersehen, daß zu ben Lehrerbildungsanstalten auch die Präparaudenschulen gehören, und welch' ein grober päda
gogischer Irrthum es
ist, die Anfänge der Bildung als
weniger wichtig zu taxiren, kann täglich die Erfahrung lehren.
Ueberhaupt scheint es uns nur zwei Wege zu geben,
auf welche in dieser Beziehung klare Ueberlegung führen
kaun; entweder man setzt allen Strömungen und Strebun gen, wie sie jetzt auf dem Gebiete des Volksschulwesens sich geltend machen, beharrliche Unempfindlichkeit entgegen, und
mehrt dann freilich neben Unzufriedenheit und Demorali sation die äußere Verwirrung; oder aber man beginnt die
Arbeit da, wo sie beginnen muß, bei der intellektuellen und
moralischen Erhebung des Volksschullehrerstandes und bahnt
') S. a. a. O. pag. 31 u. 32.
52 so
Zur pädagogischen Kritik
allmähliche Besserung an.
eine,
uns
scheinen
die
halben
schlimmsten er
Ain
Maßregeln, solche,
welche die
Fruchte antieipiren wollen und auf Voraussetzungen ruhen, welche
nicht gegeben sind.
Denn alle sprungweise ausge
führten Reformen bereiten Verlegenheiten, die oft schnur
stracks wieder zum Alten zurücktreiben.
Von diesem Ge
sichtspunkte betrachtet zeigen die bereits erfolgten Reform
versuche ein unverkennbares
ti^oteqov.
Die Sorge
für Heranbildung geeigneter zur Durchführung neuer Ge danken gehörig ausgerüsteter Kräfte mußte das Erste sein; keinesfalls
durfte
sie
vergessen
Man
werden.
Recht die geistliche Schulinspektion
hat mit
widersinnig ver
als
worfen, weil derselben die Sachkenntniß,
wie sie nur die
Frucht praktischer Bethätigung ist, abgeht;
allein der rohe
Empirismus
bloßer
Schulroutine
ist
um
nichts
besser;
denn jede Erfahrung ist ohne Auslegung werthlos. Bildung ermöglicht dieselbe. *) Bildung
des
Nur
Gerade aber für eine höhere
Volksschullehrerstandes,
für
eine gediegene
Ausrüstung derer, welche im Volksschulwesen leitend auf treten sollen, ist bis jetzt nichts geschehen.
daß sich
auch so
Man sage nicht,
schon die richtigen Leute finden.
Denn
gesetzt, daß dem so wäre — der Bildungsweg ist nirgends
9 In
Zeiten
allgemeiner
Reaction
gegen
unberechtigte
Verhältnisse verleitet das Bewußtsein schließlichen Sieges
selten zu unverständigen Uebertreibungen.
nicht
Auch im Kampfe gegen
die geistliche Schulaufsicht fehlt es nicht an solchen und gar manchen
Auslassungen gegenüber muß an das Wort von Theodor Waih erinnert werden: „Der theoretisch Ungebildete hat (deßhalb) über
haupt kein Recht sich auf seine Erfahrungen zu berufen!" Allgem. Pädagogik pag. 27.
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
53
gleichgiltig und mit bcin Zufall wirthschaften, verräth wenig
Weisheit.
Hat mein aber nicht fetten Klage geführt über
eitles Sichaufblähn,
über dünkelhaftes Schwätzen,
über
vorlautes Räsonniren, was man alles unter dem Namen
des Schulmeisterdünkels zusammengefaßt, so gibt es dafür kein
besseres Heilmittel als
wirkliche Höherbildung der
bessern Kräfte. Allein die Sache hat noch eine andere Seite.
Alle
Reformversuche auf dem Schulgebiete fordern einen ernsten
schweren Kampf.
Soll die
Erziehungsthätigkeit zu der
nothwendigen freien Entfaltung sich hindurchringen, so mnß
eine Macht niedergekämpft werden, welche, wie die neuesten
Vorgänge beweisen, noch keine Position verloren gibt. Die selbe ist im vollen Sinne des Wortes eine geistige, und
nur geistige Waffen können gegen sie nützen.
Daß aber
solche Waffen hinreichend bereitet seien, wird schwerlich
Jemand behaupten wollen.
Gerade diejenigen, welche mit
der Elementarbildung betraut sind, scheinen uns nicht mit den Mitteln ausgerüstet zu sein, welche hier allein zum
Siege führen.
Denn die Erziehung derselben war bisher
nicht zu einet Entbindung der nöthigen Kräfte angethan.
Allein nemo ultra posse obligatur, und auf Besitzthümer pochen, die man nicht hat, ist ebenso lächerlich als es thö
richt ist, auf Hilfe rechnen, die es nicht gibt.
54
Zur pädagogischen Kritik
Schluß. Indem wir hier abbrechen, verhehlen wir uns nicht, wie leicht sich Mißverständnisse und Mißdeutungen an un sere
Auseinandersetzungen
knüpfen mögen.
Wer
gegen
traditionelle Einrichtungen unkämpft, muß darauf gefaßt sein.
Allein vielleicht dürfen wir doch die Versicherung aus
sprechen, daß nur der Wunsch, cs möchten die Errungenschaf ten der Neuzeit der Schule zu gute kommen, für unsere Kritik
bestimmend gewesen.
Wir haben atteit Respekt vor den
Fortschritten, welche die Lehrerbildung in der Neuzeit genmcht, und Niemand wird uns die Meinung unterschieben
wollen, daß pädagogisches Wissen oder Können das Fach wissen ersetzen könne, oder daß auch nur das letztere weniger gepflegt werden solle;
nein, damit der tüchtige Philologe,
Mathematiker, Chemiker rc. in den Stand gesetzt werde, seine
ganze Tüchtigkeit der Schule nutzbar zu machen, damit er mit Geschick und Erfolg der Erziehung dienen kann —
darum fordern wir besondere Uebung, Vorbereitung und Studium, — damit die Bestrebungen zu Gunsten des Volks schulwesens Halt und Richtung gewinnen,
darum fordern
wir für Volksschullehrer die Möglichkeit der Weiterbildung. Hätte man an diese Dinge eher gedacht, gewiß hätte sich
das Geschrei gegen die
classische Bildung
nicht so
laut
erheben können. Die Utilitarier leiten ja ihr Recht meistens von dem ab, was man aus Mangel an pädagogischem Takt
vergessen hat, und in einer Zeit, in welcher die Ansprüche an Erziehung und Schulen
so sehr auseinander
gehen,
mit besonderer Rücksicht auf Bayern.
55
gibt es nur eine Hilfe gegen die drohende Verwirrung,
das ist die pädagogische Idee. Wie unb wo die geforderten Veranstaltungen 311 be
schaffen, das zu erörtern entzieht sich dem Umfange dieser Skizze.
Es sollte hier nur eine Frage angeregt werden,
welche zum Schaden unseres Schulwesens bisher ignorirt wurde, und die nicht mehr von der Tagesordnung ver schwinden darf, bis sie eudgiltig gelöst ist.
wird es freilich nicht fehlen.
An Gegnern
Denn die Wahrheit hat
meistens etwas Unbequemes, und wenn es sich um die Behaglichkeit des Daseins handelt, so sind die Menschen
auch um die Rechtfertigung offenbarer Versäumnisse nicht
verlegen.
Vor Allen: werden es die verschiedene:: Männer
der Kirche und der Kirchen sei::, welche in richtiger Witte rung von derartigen Dingen nichts wissen wolle::.
sie sich zu vertheidige:: ist überflüssig.
Gegen
Denn sie haben zu
allen Zeiten die Partei gebildet, welcher es mehr darum zu thun
war, ihre Ziele durchzusetzen als sie vernünftig zu begründe::, mehr darum, ihr Erbtheil zu wahren als auf die Stimme der
Moral und des gen:einen Besten zu hören. Gegen Kirchenlogik
ist ebenso schwer aufzukommen als gegen Kirchenpraktik. Aber auch die Männer des Handwerks, unangenehm berührt von der beleidigenden Klarheit gewisser Mängel, die sich nun
einmal nicht ableugnen lassen, werden nach Formeln suchen, sich das Unangenehme vom Leibe zu halte::.
Vielleicht
wird man von „vereinzelter Stimme" rede::, uneingebenf, daß Kopfzahl und Einsicht sehr disparate Dinge sind und daß die Wahrheit Wahrheit bleibt, ob sie einer oder Viele ausspreche::, vielleicht wird man auch das Ganze mit einer
recht „unpraktischen Idee" abthun, während der Idealismus
5)6
Zur Pädagog. Kritik mit bes. Rücksicht auf Bayern.
der Lehrer das Practischste ist, was sich in einem Schul
wesen finden kann.
Doch wie dem auch sei, in Bayern,
wo wir eben durch eine wahrhaft königliche That einer bildungsfeindlichen, schulgefährlichen Aera entgangen sind,
ist es jetzt doppelt Pflicht der Staatsregierung, die es bis
her mit Bildnngs- und Culturfragen so ernst genommen, auf solche Einrichtungen zu sinnen, welche geeignet sind
einen wahrhaft pädagogischen Geist zu schaffen und dadurch dem gesanrmten Schulwesen jene Stetigkeit der Entwick
lung zu sichern, welche über Majoritäten und System-
wechsel erhaben ist.