Zum Problem der völkerrechtlichen Anerkennung der beiden deutschen Regierungen: Ein Beitrag zur Diskussion über die Rechtslage Deutschlands [1 ed.] 9783428409853, 9783428009855


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Zum Problem der völkerrechtlichen Anerkennung der beiden deutschen Regierungen: Ein Beitrag zur Diskussion über die Rechtslage Deutschlands [1 ed.]
 9783428409853, 9783428009855

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 3

Zum Problem der völkerrechtlichen Anerkennung der beiden deutschen Regierungen Ein Beitrag zur Diskussion über die Rechtslage Deutschlands

Von

Walther Freiherr Marschall von Bieberstein

Duncker & Humblot · Berlin

WALTHER F R E I H E R R MARSCHALL VON BIEBERSTEIN

Zum Problem der völkerrechtlichen Anerkennung der beiden deutschen Regierungen

Schriften

zum

Öffentlichen Band 3

Recht

Zum Problem der völkerrechtlichen Anerkennung der beiden deutschen Regierungen Ein Beitrag zur Diskussion über die Rechtslage Deutschlands

Von

Walther Freiherr Marschall von Bieberstein

D U N C K E R

1 2 . 205 Vgl. oben Anm. 16. 206 D j e Identitätstheorie kann in zweifacher Weise vertreten werden: entweder erscheint die Bundesregierung als de jure Regierung Gesamtdeutschlands, oder diese Funktion wird der Regierung der D D R zugewiesen. Da aber die letztere Ansicht, daß die Regierung der DDR mit der Gesamtstaatsregierung identisch und die Bundesregierung nur eine Quasi — Aufständische Gewalt sei, in der Praxis keine Anhänger gefunden hat, kann i m folgenden davon ausgegangen werden, daß die Identitätstheorie stets die Bundesregierung als de jure Regierimg und die Regierung der D D R als lokale de facto Regierung ansieht. (Vgl. dazu oben § 2). — Die dritte Möglichkeit schließlich, sowohl die Bundesregierung als auch die Regierung der D D R als lokale de facto Regierungen anzusehen, braucht hier ebenfalls nicht in Betracht gezogen werden.

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Zur gegenwärtigen

echtslage Deutschlands

Zunächst k o n n t e n b e i d e Auffassungen theoretisch w o h l begründet u n d durch Zuhilfenahme der Hypothesen einer „quasi-bundesstaatlichen O r d n u n g " ( T e i l o r d n u n g s l e h r e ) oder eines „ Q u a s i - B ü r g e r k r i e g e s " ( I d e n t i t ä t s t h e o r i e ) m i t d e n R e a l i t ä t e n d e r g e g e n w ä r t i g e n Rechtslage D e u t s c h l a n d s i n E i n k l a n g g e b r a c h t w e r d e n 2 0 7 . D e n n s o w e i t m a n d a v o n ausgeht, daß d i e deutsche E i n h e i t n o c h f o r t b e s t e h t , w a r es zunächst ebenso g u t m ö g l i c h , d i e b e i d e n R e p u b l i k e n als z w e i k r a f t i h r e r U n t e r o r d n u n g u n t e r eine gesamtdeutsche Staatsidee u n s e l b s t ä n d i g e , q u a s i - g l i e d s t a a t l i c h e T e i l o r d n u n g e n z u begreifen, w i e auch als z w e i u n v e r s ö h n l i c h e , a n e r s t a r r t e n B ü r g e r k r i e g s f r o n t e n e i n a n d e r gegenüberstehende G e w a l t e n , d e r e n eine l e g i t i m , d e r e n andere „ a u f s t ä n d i s c h " i s t 2 0 8 . 207

Nach Ansicht von Mangoldt-Klein ist allerdings die Lehre von den „Teilordnungen im Reichsrahmen . . . die einzige aller bisher vertretenen Theorien, die unter den Voraussetzungen des Fortbestandes des Deutschen Reiches und der Staatlichkeit von Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik eine klare und saubere Lösung der Frage nach dem rechtlichen Verhältnis dieser drei Staatsgebilde zueinander ermöglicht" (MangoldtKlein, Anm. V I , 5 c zur Uberschrift, S. 35). Der von dieser Basis aus gegen die Identitätstheorie vorgebrachte Einwand, sie verkenne, daß es sich um einen Gegensatz zweier verschiedener Staaten (so Mangoldt-Klein, Anm. V I , 5 a zur Überschrift, S. 32), zweier politischer Ordnungen (so v. d. Heydte a.a.O. F W 50 S. 332), nicht aber zweier Regierungen handle, geht am Wesen der Identitätstheorie vorbei. Denn diese Theorie muß im Lichte ihrer grundlegenden Voraussetzung gesehen werden, daß es sich bei der deutschen Situation um einen „Kalten Bürgerkrieg" handelt; es ist aber das Wesen jeder Bürgerkriegssituation, daß die beiden rivalisierenden Regierungen gerade mehr sind als nur Regierungen, daß sie in Wirklichkeit stets politisch gegensätzliche Ordnungen verkörpern, und daß bei längerer Dauer des Konfliktes die Gebilde beiderseits der Front so etwas wie eine eigene Staatlichkeit erwerben. (Das beste Beispiel in dieser Richtung bietet der chinesische Bürgerkrieg, der dazu geführt hat, daß Rotchina einerseits und Formosa andererseits im Bewußtsein der Weltöffentlichkeit weithin den Charakter zweier verschiedener, selbständiger Staaten angenommen haben.) Der Einwand, daß die Identitätstheorie mit den Realitäten der deutschen Situation nicht in Einklang gebracht werden könne (vgl. z. B. Maunz S. 17 und oben Anm. 15), konnte allerdings nur darum vorgebracht werden, weil die Anhänger der Identitätstheorie es versäumt haben, ihre Auffassung klar und eindeutig als die Theorie einer „Quasi-Bürgerkriegssituation" zu kennzeichnen. Gegen Mangoldt-Klein muß deshalb daran festgehalten werden, daß auch die Identitätstheorie eine „klare und saubere Lösung" der deutschen Frage ermöglicht. 208 Der Auffassung v. d. Heydtes (a.a.O., Veröff. d. Vgg. d. dt. StRL Heft 13 S. 21), daß der Sonderstatus Berlins und damals des Saarlandes vom Boden der Identitätslehre nur schwer gedeutet werden könne, kann nicht beigepflichtet werden. Denn nach dieser Theorie begreift sich die Bundesregierung als die de jure Regierung ganz Deutschlands, deren Macht nur deshalb vorerst auf das westdeutsche Bundesgebiet beschränkt ist, weil im Gebiet der DDR und in Ostberlin eine illegitime Gewalt, gestützt auf sowjetische Bajonette, die faktische Macht ausübt, während im Gebiet von Westberln ein Machtwort der westalliierten Besetzungsmächte die Souveränität der Bundesrepublik beschränkt und ihr die Ausübung der vollen staatlichen Gewalt verwehrt. Es ist deshalb nicht einzusehen, wieso der Sonderstatus Berlins vom Boden der

Die Theorie vom Fortbestehen der staatlichen Einheit Deutschlands

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So h a t auch d i e j a h r e l a n g g e f ü h r t e h e f t i g e A u s e i n a n d e r s e t z u n g z w i schen d e n A n h ä n g e r n d e r T e i l o r d n u n g s l e h r e u n d d e n V e r t r e t e r n d e r I d e n t i t ä t s t h e o r i e ergeben, daß angesichts d e r Rechtslage Deutschlands, w i e sie b i s z u m J a h r e 1955 bestand, b e i d e T h e o r i e n , d i e v o n verschiedenen, m i t e i n a n d e r n i c h t ohne w e i t e r e s v e r g l e i c h b a r e n V o r a u s s e t z u n g e n ausgingen, r e c h t l i c h i n gleicher Weise v e r t r e t b a r w a r e n 2 0 9 . M i t d e r H e r s t e l l u n g d e r S o u v e r ä n i t ä t d e r b e i d e n deutschen R e p u b l i k e n i m J a h r e 1955 i s t j e d o c h eine n e u e L a g e e n t s t a n d e n . D i e A u f h e b u n g des Besatzungsregimes i n d e n b e i d e n T e i l e n D e u t s c h l a n d s h a t d i e l e t z t e n Reste e i n e r d e n b e i d e n R e g i e r u n g e n ü b e r g e o r d n e t e n , u r s p r ü n g l i c h gesamtdeutsch k o n z i p i e r t e n G e w a l t 2 1 0 b e s e i t i g t 2 1 1 . D i e D D R n i m m t f ü r richtig verstandenen Identitätstheorie aus schwerer zu deuten sein soll als vom Boden der Teilordnungslehre aus. Dagegen konnte aber nur die Identitätstheorie eine befriedigende Erklärung für die Tatsache abgeben, daß Frankreich bei den Verhandlungen über die Saar stets die Bundesregierung als seinen zuständigen Verhandlungspartner angesehen hat (vgl. dazu Dürig a.a.O., Veröff. d. Vgg. d. dt. StRL Heft 13 S. 53 Anm. 81). 208 So ausdrücklich v. d. Heydte a.a.O., Veröff. d. Vgg. d. dt. StRL Heft 13 S. 23. — Es erscheint deshalb auch nicht notwendig, die in diesem Streit vorgebrachten Argumente im einzelnen nochmals zu erörtern. Vgl. dazu vor allem: v. d. Heydte — Dürig a.a.O., Veröff. d. Vgg. d. dt. StRL Heft 13 S. 6 ff.; v. d. Heydte a.a.O. F W 50 S. 323 ff.; Mangoldt-Klein a.a.O. Anm. V I , 5 z. Überschrift, S. 32 ff.; Maunz S. 14 ff.; Scheuner a.a.O. DVB1. 1950 S. 481 ff. und S. 514 ff.; sowie Scheuner a.a.O. F W 51 S. 1 ff. 210 D i e gesamtdeutsche Konzeption der Besatzungsgewalt hat indes wohl schon mit der faktischen Auflösung des Kontrollrats am 20. 3. 1948 ihr Ende genommen. 211 Allerdings sieht Art. 2 des revidierten Deutschlandvertrages (in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. 3. 1955, BGBl. I I S. 301) vor, daß „die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes" beibehalten, und ebenso „berücksichtigt" die Präambel des Vertrages über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR vom 20. 9. 1955 (GBl. der DDR I S. 91?) die „Verpflichtungen, die die Deutsche Demokratische Republik und die Sowjetunion gemäß den bestehenden internationalen Abkommen, die Deutschland als Ganzes betreffen, haben"; (ähnlich auch schon Ziffer2 der sowjetischen Souveränitätserklärung vom 25. 3. 1954, vgl. oben Anm. 72). Doch diese Vorbehaltsrechte stellen „kein ,réduit' der Obersten Gewalt" dar (Kutscher-Grewe a.a.O. S. 16), sondern sollen lediglich der Sicherung derjenigen Rechte und Pflichten der ehemaligen Besetzungsmächte dienen, die sich aus den Vereinbarungen von 1945 herleiten und deren Aufrechterhaltung auch im deutschen Interesse liegt, weil sich aus ihnen die völkerrechtliche Verantwortung der alliierten Mächte für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ergibt. Daraus folgt, daß diese Vorbehaltsrechte keine interalliierte Hoheitsgewalt über Gesamtdeutschland begründen (vgl. dazu auch 2. B T Drucks. 1200 S. 5 f.) und daß darum aus ihrer Existenz auch nicht auf das Fortbestehen der völkerrechtlichen Einheit des deutschen Gesamtstaates i m Sinne eines über den beiden Republiken stehenden „Reichsdaches" geschlossen werden kann. — Daß schließlich auch der in diesen völkerrechtlichen Vereinbarungen gebrauchte Begriff „Deutschland als Ganzes" der möglichen Annahme einer Dismembration Deutschlands nicht entgegensteht, sondern ebenso gut als Bezeichnimg für die beiden neuen Staaten in ihrer Eigenschaft als gemeinsame Nachfolgestaaten des ehemaligen Deutschen Reiches gebraucht sein kann, ist schon oben (Anm. 201) dargelegt worden.

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Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

sich die Stellung eines selbständigen, souveränen Staates i n Anspruch und ist nicht bereit, die Existenz eines über ihr stehenden „Reichsdaches" anzuerkennen. Die Bundesregierung hingegen hat der mitteldeutschen Regierung von vornherein jede rechtliche Qualität abgesprochen und ihr allenfalls die Position einer faktischen, illegitimen Gewalt zugebill i g t 2 1 2 . Eine solche Haltung kann aber nur vom Standpunkt einer Identitätstheorie, einer „Bürgerkriegsauffassimg" aus gerechtfertigt werden. Denn die Teilordnungslehre muß ja i n letzter Konsequenz immer dahin führen, daß beiden Teilordnungen ein annähernd gleichberechtigter Status zuerkannt w i r d 2 1 3 und daß deshalb auch keine Teilordnung die andere — mag sie auch der demokratischen Legitimation ermangeln und deshalb „geringwertiger" sein — gänzlich ignorieren kann, da nur sie beide z u s a m m e n den Gesamtstaat darstellen 2 1 4 . Aus allen diesen Tatsachen muß gefolgert werden, daß die politische Entwicklung nunmehr endgültig über die Teilordnungslehre hinweggegangen ist. Keine der beiden deutschen Regierungen erkennt die E x i stenz eines über i h r stehenden „Reichsdaches" an, und seit der Herstellung der Souveränität der beiden Republiken gibt es auch sonst keinen Anhaltspunkt mehr, der eine solche Annahme rechtfertigen könnte. Die Hypothese einer die beiden Republiken überwölbenden Gesamtstaatsordnung muß deshalb aufgegeben werden. Die Teilordnungslehre ist von der Staatenpraxis nicht bestätigt worden und damit zur „bloßen Theorie", zur „reinen Fiktion" herabgesunken 2 1 5 » 2 1 6 . Die Theorie vom 212

Vgl. im einzelnen unten § 11, 5. Siehe auch oben Anm. 13. Es ist erstaunlich, daß bisher noch kein einziger Vertreter der sogenannten „Dachtheorie" diese Konsequenzen, die sich beim Durchdenken der Teilordnungslehre förmlich aufdrängen, in eindeutiger Form gezogen hat; (— auch die kurze, abschließende Bemerkung v. d. Heydtes auf der Tübinger Staatsrechtslehrertagung (Veröff. g. Vgg. d. dt. StRL Heft 13 S. 86) vermag diesen Einwand nicht zu entkräften —). I n der Tat liegt die Schwäche der Teilordnungslehre vor allem darin, daß sie die Tatsache, daß die Bundesrepublik und die mit ihr verbündeten Staaten die DDR rechtlich ignorieren, nicht zufriedenstellend erklären kann. Angesichts der politischen Praxis der Bundesregierung erscheint uns — im Rahmen der Fortbestandslehre — nur noch die Hypothese eines "Quasi-Bürgerkrieges" mit der Wirklichkeit vereinbar zu sein, während sich die Hypothese des „fortbestehenden Reichsdaches" nicht mehr aufrechterhalten läßt. 215 Vgl. Scheuner, Funktionsnachfolge S. 26 f. 216 I n einer kleinen Abhandlung, „Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik" (Hamburg 1956) hat Herbert Krüger den Versuch gemacht, die gegenwärtige Rechtslage Deutschlands als „dualistische Gestaltung eines Staates" zu deuten. Er geht dabei von der Annahme aus, daß es sich bei dem Verhältnis der beiden deutschen Republiken zueinander um eine staatsrechtliche und nicht um eine völkerrechtliche Beziehung handele und das es „gänzlich abwegig" sei, „einem der beiden Gebilde die Intention zuzuschreiben, an die Stelle eines staatsrechtlichen ein völkerrechtliches Verhältnis zu setzen" (S. 9). Demgegenüber hat die Analyse der von der Regierung der D D R vertretenen Auffassung (vgl. oben § 10) ergeben, daß diese das Verhältnis der DDR 213

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F o r t b e s t e h e n d e r s t a a t l i c h e n E i n h e i t Deutschlands k a n n angesichts d e r g e g e n w ä r t i g e n Hechtslage n u r noch als I d e n t i t ä t s l e h r e ( — d. h . als „ B ü r gerkriegstheorie" —) aufrechterhalten werden.

2. „Bundesrepublik Deutschland" D i e wissenschaftliche D i s k u s s i o n ü b e r d i e I d e n t i t ä t s t h e o r i e 2 1 7 i s t d u r c h d e n U m s t a n d b e d e u t e n d e r s c h w e r t w o r d e n , daß sich n i e m a l s eine genaue Terminologie herausgebildet hat u n d die Bezeichnung „ B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d " t e i l s f ü r d e n deutschen G e s a m t s t a a t i n d e n G r e n z e n v o n 1 9 3 7 2 1 9 , t e i l s a b e r auch n u r f ü r d i e s t a a t l i c h e O r g a n i s a t i o n i m G e l t u n g s b e r e i c h des G r u n d g e s e t z e s 2 1 9 g e b r a u c h t w i r d 2 2 0 . zur Bundesrepublik als ein völkerrechtliches und nicht mehr als ein staatsrechtliches Verhältnis ansieht. Auf der anderen Seite ist die Bundesregierung ihrerseits nicht bereit, in ihrem rechtlichen Verhalten gegenüber den Organen der DDR auch nur dasjenige Maß an „Umgänglichkeit", „von der Kommunikation bis zur Courtoisie", einzuhalten, welches das Völkerrecht „von unverbundenen Staaten . . . verlangt", und das „für ein staatsrechtliches Verhältnis lediglich den M i n i mum-Standard darstellen" soll, „den ein dualistischer Staat auf jeden Fall beträchtlich überschreiten muß" (Krüger S. 14). Genau wie die Teilordnungslehre, müßte auch die dualistische Theorie von Krüger letzten Endes dazu führen, daß man der D D R neben der Bundesrepublik einen annähernd gleichberechtigten Status zuerkennt; die Bundesregierung, die sich auf das Prinzip der demokratischen Legitimation beruft, kann solches aber niemals zugestehen. Nach den Auffassungen, die von den beiden deutschen Regierungen vertreten werden, stehen die beiden Republiken entweder in einem völkerrechtlichen Verhältnis zueinander (Zweistaatentheorie; Auffassung der DDR), oder aber die Rechtslage Deutschlands wird mit einer „Bürgerkriegssituation" verglichen, in der für keinerlei staatsrechtliche Beziehungen zwischen den streitenden Parteien Raum ist (Identitätstheorie; Auffassung der Bundesregierung). Gleich der Teilordnungslehre muß die Ansicht von Krüger deshalb als „reine Theorie" angesehen werden, die im luftleeren Raum entwickelt worden ist und in der Staatenpraxis keine Stütze findet. Vgl. zum ganzen auch die kritische Besprechung von Kohl, Mehrstaatlichkeit Deutschlands und Wiedervereinigung, Bemerkungen zu einer Studie Professor Dr. Krügers, Hamburg, (StuR 1957 S. 843 ff.). 217 Besser spricht man von einer Diskussion über die Identitätstheorien: denn die grundsätzliche Auffassung, daß die deutsche Staatlichkeit allein von den Bundesorganen repräsentiert werde, wird in mehreren Spielarten vertreten; (vgl. oben Anm. 17). 218 So vor allem der Abgeordnete Dr. Arndt (vgl. Mangoldt-Klein, Anm. V I , 5 b zur Überschrift, S. 33). Arndt hat seine Auffassung in der 40. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht des 2. Deutschen Bundestages am 19. Januar 1955 noch einmal ausführlich dargelegt und präzisiert (entnommen aus dem unveröffentlichten stenographischen Protokoll dieser Sitzung). Auch die Ausführungen des Vertreters der Bundesregierung, Ministerialrat Dr. Mercker, in der erwähnten Sitzung des Rechtsausschusses am 19. Januar 1955 deuten in diese Richtung. Vgl. schließlich auch die Stellungnahme der Niedersächsischen Landesregierung vom 21. 8. 1952, in: Der Kampf um den Wehrbeitrag. I I . Teilband S. 407 ff.

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V o n dem P r o b l e m einer I d e n t i t ä t zwischen Bundesrepublik Deutschl a n d u n d D e u t s c h e m R e i c h k a n n m a n aber s i n n v o l l n u r d a n n sprechen, w e n n m a n u n t e r „ B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d " n i c h t d e n Gesamtstaat, s o n d e r n n u r d i e staatliche O r g a n i s a t i o n i m G e l t u n g s b e r e i c h des G r u n d gesetzes v e r s t e h t u n d sich ü b e r das V e r h ä l t n i s dieses G e b i l d e s

zum

D e u t s c h e n Reich G e d a n k e n m a c h t . D e n n n a c h d e m m a n d i e K o n t i n u i t ä t des Gesamtstaates b e j a h t h a t , i s t es überflüssig, n o c h w e i t e r e Ü b e r l e g u n g e n d a r ü b e r anzustellen, ob dieser f o r t b e s t e h e n d e G e s a m t s t a a t m i t sich selbst i d e n t i s c h i s t . E i n eigentliches I d e n t i t ä t s p r o b l e m e n t s t e h t dagegen i m m e r erst d a n n , w e n n i n f o l g e einschneidender t e r r i t o r i a l e r V e r ä n d e r u n g e n 2 2 1 d i e F r a g e a u f t a u c h t , ob d e r d e r g e s t a l t v e r w a n d e l t e S t a a t noch m i t seiner f r ü h e r e n E r s c h e i n u n g s f o r m i d e n t i s c h i s t u n d d a h e r als f o r t 219 I n den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über die Rechtslage Deutschlands, die in erster Linie die Erörterung des Verhältnisses der Bundesrepublik zur D D R zum Gegenstand hatten, ist der Begriff „Bundesrepublik Deutschland" vor allem in diesem Sinne gebraucht worden. — So auch Eschenburg: „Die Bundesrepublik ist mit Deutschland nicht identisch. Sie ist die staatliche Organisation eines Teiles Deutschlands" (S. 377). — Vgl. im einzelnen Mangoldt-Klein, Anm. V , 2 zur Überschrift, S. 28, und Anm. V I , 5 b zur Überschrift, S. 35. 220 Auf diese Tatsache hat insbesondere Arndt hingewiesen (vgl. 2. B T Drucks. 1200 S. 32 f.). — Vor allem wird oft nicht mit der notwendigen K l a r heit zwischen den beiden Begriffen unterschieden und bisweilen im selben Zusammenhang die Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" sowohl für den Gesamtstaat wie auch für die — vom Gesamtstaat wohl zu unterscheidende — staatliche Organisation i m Geltungsbereich des Grundgesetzes gebraucht. Dadurch ist viel zur Verwirrung der Meinungen beigetragen und das richtige Verständnis der Identitätstheorie nicht gefördert worden. Grewe hat beispielsweise in einem i m Sommer 1949 nach der Verabschiedung des Grundgesetzes, aber vor der Konstituierung der Bundesorgane veröffentlichten Aufsatz (a.a.O. — Anm. 76 —) die Bundesrepublik als identisch mit dem Deutschen Reich bezeichnet und dabei mit dem Wort „Bundesrepublik Deutschland" offensichtlich den Gesamtstaat gemeint. Aber schon im nächsten Absatz spricht er von den „Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Ländern der sowjetisch besetzten Zone" (S. 315), versteht nunmehr also unter „Bundesrepublik Deutschland" nur noch die staatliche Organisation im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Es mag sein, daß die Tücken einer ungenauen Terminologie i m Jahre 1949 in ihrer vollen Tragweite noch nicht erkannt werden konnten. Aber seitdem sollte die Auseinandersetzung um das richtige Verständnis der Rechtslage Deutschlands, vor allem die Kontroverse zwischen den Vertretern der Identitätstheorie und den Anhängern der Teilordnungslehre gezeigt haben, daß eine klare Scheidimg der Begriffe „Gesamtstaat" und „staatliche Organisation im Geltungsbereich des Grundgesetzes" für das richtige Verständnis der Identitätstheorie unerläßlich ist. (Eine solche, erfreulich klare Unterscheidung hat erst Groß (DVB1. 1957 S. 88) vorgenommen). 221 So stellte sich nach 1918 z. B. die Frage, ob die Republik Österreich und die Türkei als mit der ehemaligen Donau-Monarchie und dem früheren Osmanischen Reich identisch angesehen werden konnten oder nicht. Vgl. dazu Kelsen, Principles S.261; Scheuner, Funktionsnachfolge S. 16; Fenwick S. 148 f.; und Marek S. 199 ff., alle mit ausführlichen Nachweisen. Siehe auch oben § 2 Anm. 11.

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bestehender T r ä g e r a l l e r v ö l k e r r e c h t l i c h e n Rechte u n d P f l i c h t e n angesehen w e r d e n k a n n 2 2 2 . D a es gerade d i e i m G e l t u n g s b e r e i c h des Grundgesetzes bestehende staatliche O r g a n i s a t i o n ist, d e r e n R e c h t s n a t u r u n d d e r e n V e r h ä l t n i s z u m Gesamtstaat i m f o l g e n d e n e r ö r t e r t w e r d e n soll, erscheint es z w e c k m ä ß i g , n u r dieses G e b i l d e , a b e r n i c h t d e n Gesamtstaat, als „ B u n d e s r e p u b l i k Deutschland" zu bezeichnen223.

3. D i e richtig verstandene Identitätstheorie: „Bürgerkriegstheorie" D i e R e a l i t ä t des Bestehens z w e i e r f a k t i s c h e r S t a a t s o r d n u n g e n i n D e u t s c h l a n d l ä ß t sich n u r d a n n i n ü b e r z e u g e n d e r Weise m i t d e r f o r t d a u e r n d e n E x i s t e n z des Gesamtstaates i n E i n k l a n g b r i n g e n , w e n n m a n d i e g e g e n w ä r t i g e Rechtslage m i t d e r S i t u a t i o n eines ( „ K a l t e n " ) B ü r g e r k r i e g e s v e r g l e i c h t . I n d e m u n g e t e i l t e n deutschen G e s a m t s t a a t stehen z w e i R e g i e r u n g e n e i n a n d e r f e i n d l i c h gegenüber. K r a f t d e r i h r z u t e i l gewordenen demokratischen L e g i t i m a t i o n k o m m t der Bundesregierung 222 Die Identität von Staaten ist „etwas ganz anderes als etwa die mathematische Frage nach der Kongruenz zweier Figuren. Denn die juristische Frage geht gerade davon aus, daß die beiden Gebilde an sich nicht identisch sind, um dann trotz der Nicht-Identität eine Identität behaupten zu können". So Krüger (a.a.O. SJZ 1950 Sp. 114; zustimmend Scheuner, Funktionsnachfolge S. 12), im Gegensatz zu der rein mathematischen Identitätsauffassung von Maunz (a.a.O. S. 17), die wohl auch eher als geistreiches Wortspiel (— zur U n terstützung der These, daß die deutsche Frage rechtlich nicht mehr lösbar sei —) gedacht ist, denn als maßgebende Ausdeutung des juristischen Identitätsbegriffes. — Leibholz (Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems, in: Beiträge z. aöRVR, Heft 13, Berlin und Leipzig 1929) schlägt vor, man solle nicht von Identität, sondern von „Identifizierung" oder „Identifikation" sprechen, um „das Gewillkürte in der Sprache" besser zum Ausdruck zu bringen (a.a.O. S. 28 Anm. 2). — Vgl. zum ganzen Marek S. 4 ff. und passim. 223 I m übrigen wird darauf verzichtet, in eine weitere Erörterung des Begriffes „Bundesrepublik Deutschland" einzutreten, zumal es letzten Endes nur ein terminologisches Problem zu sein scheint, ob man unter „Bundesrepublik Deutschland" den deutschen Gesamtstaat oder nur die staatliche Organisation im Geltungsbereich des Grundgesetzes versteht. Es sei allerdings eingeräumt, daß diese letztere Behauptung im Grunde eine unzulässige Vereinfachung darstellt. Zweifellos beruht der Streit um die Bedeutung der Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" auf einer grundsätzlichen sachlichen Kontroverse über die Natur der vom Parlamentarischen Rat ausgeübten verfassunggebenden Gewalt oder über die richtige Auslegung des Grundgesetzes, und die knappen Bemerkungen von Mangoldt-Klein (Anm. V I , 5 b zur Überschrift, S. 33 und S. 35) werden der Tiefe der Argumentation von Arndt (vgl. z. B. 2. B T Drucks. 1200 S. 32 ff.) nicht gerecht. Es herrscht jedoch Übereinstimmung darüber, daß ein Unterschied zwischen dem Gesamtstaat und der staatlichen Organisation im Geltungsbereich des Grundgesetzes besteht. Deshalb scheint es — bei aller Würdigung des zugrunde liegenden sachlichen Gegensatzes — für den Bereich der hier vorzunehmenden Untersuchung doch nur eine terminologische Frage zu sein, ob man dem einen oder dem anderen Gebilde die Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" zuerkennt.

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die Stellung der de jure Regierung des Gesamtstaates zu. Dagegen ist die Regierung der DDR bestrebt, ein Teilgebiet des Gesamtstaates vorübergehend von diesem loszureißen und es zu einem selbständigen Staat zu erklären 2 2 4 ; die Regierung der DDR ist deshalb als eine (quasi-) „aufständische", lokale de facto Regierung anzusehen. Es besteht jedoch Übereinstimmimg darüber, daß der Streit der beiden Regierungen „nicht i m (heißen) Bürgerkriege, sondern i n einem rechtlich geregelten V e r f a h r e n . . . entschieden w e r d e n " 2 2 5 soll. Deshalb kann von der Situation eines „Kalten" Bürgerkriegs gesprochen werden 2 2 6 . Diese Hypothese soll es ermöglichen, die gegenwärtige Rechtslage Deutschlands i n die Systematik des überkommenen Völkerrechts weitgehend einzuordnen und eine Reihe vom Völkerrecht entwickelter und heute allgemein anerkannter Regeln 2 2 7 analog heranzuziehen, u m die juristischen Probleme zu lösen, die sich aus dem Nebeneinanderstehen zweier faktischer Staatsordnungen i n Deutschland ergeben. Gleichzeitig führt diese Hypothese zum richtigen Verständnis der völkerrechtlichen Rechtsstellung der beiden deutschen Regierungen und macht deutlich, daß die Bundesrepublik selbst kein Staat ist, sondern nur dasjenige Teilgebiet Deutschlands, das von der deutschen de jure Regierung beherrscht wird. Denn es ist niemals die Absicht des Grundgesetzes gewesen, einen „westdeutschen Staat" ins Leben zu r u f e n 2 2 8 . Schon die Ministerpräsidenten der elf westdeutschen Länder, die vom 8. bis 10. J u l i 1948 i n Koblenz versammelt waren, erklärten i n der ihre Vorschläge begleitenden Note an die drei Militärgouverneure, daß alles vermieden werden müsse, „was dem zu schaffenden Gebilde den Charakter eines Staates verleihen w ü r d e " 2 2 9 . Ebenso herrschte i m Parlamentarischen Rat volle Übereinstimmung darüber, daß es nicht die Aufgabe dieses Gremiums 224 Der historische Parallelfall eines „heißen" Bürgerkrieges, mit dem sich diese gegenwärtige „Kalte Bürgerkriegssituation" in Deutschland am ehesten vergleichen läßt, ist der nordamerikanische Sezessionskrieg (1861—1865). Auch dort versuchte eine „aufständische" Regierung, einen Teil des Staates vom Gesamtstaat abzuspalten und ein eigenes Staatswesen zu begründen. (Allerdings konnte die Regierung der Südstaaten — im Gegensatz zur Regierung der D D R — sich bei diesem Versuch auf eine demokratische Legitimation stützen und fand dabei die volle Zustimmung der Bevölkerung ihres Gebiets). 225 Abendroth a.a.O., Festschrift für Rudolf Laun S. 160. 226 Vgl. dazu Menzel, Die Diskussion über die gegenwärtige Rechtsstellung des Saarlandes, EA 1954 S. 6599 ff. (S. 6615). 227 Siehe oben § 2, 3 und § 3, 1. 228 Das Grundgesetz „schafft nicht einen Westdeutschen Staat", sondern „bringt lediglich das politische Leben der Deutschen in einem Teil des gesamtdeutschen Staatsgebietes ,in Verfassung 4 " (Carlo Schmid, Die politische und staatsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, D Ö V 1949 S. 201 ff. (S. 202). Ebenso Grewe a.a.O. (Anm. 76) S. 315. 229 Bonner Kommentar, Einleitung S. 44.

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sei, einen neuen Staat zu konstituieren, sondern nur, das Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen zu einer einheitlichen Ordnung zusammenzufassen 230 . Diese Gedankengänge haben i n der Präambel des Grundgesetzes ihren Ausdruck gefunden 2 3 1 . Die richtig verstandene Identitätstheorie kann also i n der durch das Grundgesetz geschaffenen staatlichen Organisation i n Westdeutschland, der „Bundesrepublik Deutschland", keinen eigenen Staat sehen 2 3 2 . Die Bundesrepublik stellt vielmehr nur denjenigen Teil Deutschlands dar, der sich i n der Gewalt der einzigen rechtmäßigen und demokratisch legitimierten deutschen Regierung befindet und der angesichts der besonderen Situation des „ K a l t e n Bürgerkrieges", i n dem eine schnelle Entscheidung nicht zu erwarten ist, eine eigene, vorläufige Verfassung, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, erhalten h a t 2 3 3 . Da dieser Teil Deutschlands kein Staat ist, kann von einer Identität zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutschem Reich nicht gesprochen werden. Identisch m i t dem Deutschen Reich ist nur das fortbestehende gesamtdeutsche Völkerrechtssubjekt, dessen einziges rechtmäßiges Organ die Bundesregierung zu sein beansprucht 2 3 4 . Die Identitätstheorie stellt sich also nicht eine Identität zwischen Bundesrepublik und Deutschem Reich vor, sondern nur eine Identität der organschaftlichen Stellung der Bundesregierung mit der organschaftlichen Stellung der ehemaligen Reichsregierung. Als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Reichsregierung ist die Bundesregierung dann das berufene Organ zur 230 Vgl. v. Doemming-Füsslein-Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JahrböffR, N.F. Bd. 1 (1951), insbesondere S. 14 ff. — Vgl. auch die Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichtes vom 4. 6.1952, N J W 1953 S. 39 f. 231 Vgl. dazu auch Virally a.a.O. (Anm. 166) S. 41. 282 „Die staatliche Einheit Deutschlands im Sinne des Völkerrechts besteht so lange, wie sich das deutsche Volk als einheitliche Nation fühlt und seine politischen Vertretungen den Anspruch erheben, für diese deutsche Nation im Ganzen zu sprechen und zu handeln. Die Bundesrepublik will kein souveräner westdeutscher Neustaat sein. Sie fühlt sich vielmehr als die einzig legitime gegenwärtige Organisationsform des niemals untergegangenen deutschen Gesamtstaates, deren Hoheitsgewalt durch die Macht der Tatsachen vorübergehend auf Westdeutschland beschränkt ist. Sie kann daher auch nach internationalem Recht nicht — entgegen ihrem eigenen Selbstverständnis — als ein neuer souveräner westdeutscher Teilstaat angesehen werden" (Grewe, Der neue Deutschland-Vertrag, Die politischen Voraussetzungen der neuen Lösung, Bulletin vom 10.11.1954, S. 1917 ff. (S. 1919). 238 Das Deutsche Reich, das als gesamtdeutscher Staat fortbesteht, ist unter dem Namen Bundesrepublik Deutschland „im Bereich seiner 11 west- und süddeutschen Länder staatsrechtlich neu verfaßt worden" (Ipsen a.a.O. — Anm. 76 — S. 40). — Und das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 7. 5.1953 die Bundesrepublik als „den berufenen und allein handlungsfähigen Teil Gesamtdeutschlands, der staatlich wieder organisiert werden konnte", bezeichnet (BVerfGE 2, 266 [277]). — Vgl. auch 2. B T Drucks. 1200 S. 31. 234 So insbesondere Holtkotten i m Bonner Kommentar, Anm. I I A2dß zu Art. 134.

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W.V.Marschall

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Vertretung des e i n e n gesamtdeutschen Staates, der m i t dem Deutschen Reich identisch ist. Dabei n i m m t sie — der i n Deutschland herrschenden Situation eines „Kalten Bürgerkrieges" entsprechend — die Stellung der gesamtdeutschen de jure Regierung ein, die ihre Macht allerdings nur innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes ausüben kann, da der andere Teil des deutschen Staatsgebietes sich augenblicklich i n der Gewalt einer „quasi-aufständischen" lokalen de facto Regierung befindet 2 3 5 . I n dieser besonderen Situation des „Kalten Bürgerkrieges", der dazu zwingt, ein längeres Provisorium ins Auge zu fassen, Jäßt es sich natürlich nicht ganz vermeiden, daß dem von der gesamtdeutschen de jure Regierung effektiv beherrschten Teilgebiet Gesamtdeutschlands, d. h. der Bundesrepublik, langsam eine gewisse Eigenstaatlichkeit zuwächst. Z u m Beispiel werden völkerrechtliche Verträge, auch solche, die nur i m Geltungsbereich des Grundgesetzes und nur bis zur Wiedervereinigung wirksam werden sollen, von der Bundesregierung i m Namen der Bundesrepublik, wie i m Namen eines Staates, abgeschlossen 236 ; ebenso findet die Tatsache, daß die Bundesrepublik faktisch (— wenn auch nicht, wenigstens nach Ansicht der Identitätstheorie, i m rechtlichen Sinne —) ein Staat ist, zwangsläufig immer wieder i n einzelnen A k t e n der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis ihren Niederschlag 2 3 7 . 235 Die wesentlichen Elemente dieser richtigen Identitätsauffassung sind von Virally (a.a.O. — Anm. 166 —) trefflich herausgearbeitet worden. Er schreibt: „Tout d'abord, c'est au gouvernement fédéral, et non à la République ellemême qu'est reconnu le droit de représenter le peuple allemand. . . . La République fédérale, organisation étatique particulière, est strictement limitée par les frontières à l'intérieur desquelles s'applique la Loi fondamentale. . . . Ce n'est donc pas en sa qualité d'organe de la République fédérale que le chancelier pourra parler au nom de l'Allemagne (— dies behauptet die „Kernstaatstheorie" —), mais parce que, par son investiture démocratique, il exprime la volonté politique d'une importante partie du peuple allemand." (S. 44.) 238 Vgl. statt aller den Deutschlandvertrag vom 26. 5.1952 in der durch das Protokoll vom 23.10.1954 geänderten Fassung (in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. 3.1955, BGBl. I I S. 301), und auch den Wortlaut der von der Bundesregierung am 3.10.1954 in London abgegebenen Gewaltverzichtserklärung (2. B T Drucks. 1061 S. 67). Vgl. auch oben Anm. 112, und siehe Kaufmann in: Der Kampf u m den Wehrbeitrag, I I . Teilband S. 47, sowie Kaufmann, Die Bundesrepublik Deutschland, Bulletin vom 26.1.1952 S. 104. Andererseits könnte gerade die Tatsache des Vertragsabschlusses im Namen der „Bundesrepublik Deutschland" ein gewichtiges Argument dafür sein, daß unter „Bundesrepublik Deutschland" der Gesamtstaat verstanden werden soll (vgl. oben Anm. 218). (— Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Wortlaut der zahlreichen Bekanntmachungen der Bundesregierung über die Wiederanwendung von Vorkriegsverträgen, z. B. in BGBl. 1954 I I S. 465—468; siehe auch Plischke, Réactivation of Prewar German Treaties, A J I L 48 [1954] S. 245 ff. —.) 237 y g i z u m ganzen den außerordentlich materialreichen Aufsatz von Wengler in der Nawiasky-Festschrift (S. 49 ff.). Vgl. auch oben Anm. 153.

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Solange diese rechtstechnischen Notwendigkeiten als solche erkannt und dementsprechend behandelt werden, stellen sie die Gültigkeit der These vom Fortbestand der völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Einheit Gesamtdeutschlands nicht i n Frage. Gleichwohl sollte man beachten, daß dieser Entwicklung die gefährliche Tendenz innewohnt, nach und nach die Bundesrepublik nicht mehr nur als denjenigen Teil Gesamtdeutschlands zu begreifen, der sich i n der Gewalt der einzigen rechtmäßigen und demokratisch legitimierten deutschen Regierung befindet, sondern statt dessen i n i h r einen richtigen „Staat" sehen zu w o l l e n 2 3 8 . Sobald aber die Identitätstheorie dahin mißverstanden wird, als sei nicht nur die organschaftliche Stellung der Bundesregierung m i t der organschaftlichen Stellung der ehemaligen Reichsregierung identisch, sondern die Bundesrepublik selbst m i t dem Reich, hat man die Zweistaatentheorie (in der Form der Separationstheorie 239 ) i m Ergebnis akzeptiert 2 4 0 . Denn von einer Identität zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutschem Reich kann man nur dann sprechen, wenn man unter „Bundesrepublik Deutschland" einen S t a a t versteht.

4. Die falsch verstandene Identitätstheorie: „Kernstaatstheorie" Ein Mißverstehen der Identitätstheorie i n der Weise, daß i n der Bundesrepublik selbst ein — m i t dem Deutschen Reich identischer — „Staat" gesehen wird, führt, wie die K r i t i k e r aus den Reihen der Teilordnungslehre schon lange erkannt haben 2 4 1 , m i t innerer Konsequenz zu einer „kleinstdeutschen Lösung" 2 4 2 , das heißt zu einer Gleichsetzung der heutigen Bundesrepublik m i t dem Gesamtstaat und damit folgerichtig zum 238 Sehr bedenklich ist z. B. die Formulierung verschiedener vom Deutschen Bundestag verabschiedeter Gesetze, die solchen Personen einen besonderen Status einräumen (bzw. auferlegen), die ihren Wohnsitz usw. in einem Staat haben, „dessen Regierung die Bundesrepublik Deutschland (— nicht —) anerkannt hat". (Hier hätte es richtig heißen müssen: „ . . . dessen Regierung die Bundesregierung [— nicht —] anerkannt hat".) — Vgl. z. B. § 3, d, des U m stellungsergänzungsgesetzes vom 21. 9.1953 (BGBl. I S. 1439); § 1 des Gesetzes zu § 4 Abs. 4 des Altsparergesetzes vom 10.12.1954 (BGBl. I S. 438); und § 2, a, des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen vom 5. 8.1955 (BGBl. I S. 474). Siehe dazu Bernhardt, Der Begriff der „Anerkennung der Bundesrepublik" in deutschen Gesetzen, JZ 1957 S. 561 ff. 239 Vgl. oben Anm. 172. 240 Vgl. dazu auch Virally (a.a.O. — Anm. 166 —), der zutreffend feststellt: „Que la République fédérale acquière intégralement et définitivement le statut d'un Etat indépendant et souverain, et la division de l'Allemagne est désormais juridiquement achevée." (S. 32.) 241 Vgl. vor allem Mangoldt-Klein, Anm. V I , 5 b zur Überschrift, S. 34; zustimmend Vocke S. 10210 f. 242 v. d. Heydte a.a.O., F W 50 S. 335 Anm. 19.

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A u s s c h l u ß des Gebietes u n d d e r B e v ö l k e r u n g d e r h e u t i g e n D D R aus d e m deutschen S t a a t 2 4 3 . D i e S t a a t l i c h k e i t d e r D D R k a n n v o n d e r K o n z e p t i o n eines „ K e r n s t a a tes" h e r n i c h t b e s t r i t t e n w e r d e n , s o n d e r n n u r d a n n , w e n n m a n i h r G e b i e t u n d i h r e B e v ö l k e r u n g als T e i l e des gesamtdeutschen Staatsgebietes u n d S t a a t s v o l k e s a u f f a ß t . D e n n w e n n d i e B u n d e s r e p u b l i k , d. h . d e r G e l t u n g s b e r e i c h des Grundgesetzes, i n d e m d i e B u n d e s r e g i e r u n g e f f e k t i v e M a c h t a u s z u ü b e n v e r m a g , als S t a a t angesehen w i r d , so i s t d i e D D R z w a n g s l ä u f i g e i n Gebiet, das a u ß e r h a l b dieses Staates s t e h t 2 4 4 . D e r G e w a l t , d i e sich i n e i n e m solchen quasi-,,staatenlosen" G e b i e t e t a b l i e r t h a t , k a n n d a n n aber, w e n n sie d i e e f f e k t i v e M a c h t besitzt, d i e Q u a l i t ä t e i n e r S t a a t s g e w a l t auch n i c h t m e h r abgesprochen w e r d e n ; d e n n es g i b t k e i n e andere G e w a l t mehr, die gleichzeitig einen rechtlich begründeten A n s p r u c h 2 4 5 e r h e b t ( — w i e es h e u t e noch d i e B u n d e s r e p u b l i k t u t — ) , i h r e r seits d i e r e c h t m ä ß i g e u n d n u r f a k t i s c h a n d e r M a c h t a u s ü b u n g v e r hinderte Staatsgewalt zu s e i n 2 4 6 » 2 4 7 . 243 Diese Lösung stimmt dann im Ergebnis vollständig mit der Separationstheorie (vgl. oben Anm. 172) überein. 244 Mangoldt-Klein (Anm. V I , 5 b zur Überschrift, S. 34) haben mit treffenden Formulierungen auf diese notwendige Konsequenz der falsch verstandenen Identitätstheorie hingewiesen: „Die Identität zwischen dem Staate Deutsches Reich und dem Staate Bundesrepublik Deutschland würde dazu führen, daß der jedenfalls nicht mit der Bundesrepublik identische Staat Deutsche Demokratische Republik außerhalb des Deutschen Reiches und damit außerhalb eines gesamtstaatlichen Deutschlands läge." Dies „schlösse das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik von der deutschen Staatlichkeit aus". 245 Denn die rechtliche Begründung dieses Anspruches leitet sich ja aus der Hypothese her, daß es nur e i n e n deutschen Staat und folglich nur e i n e deutsche Staatsgewalt gibt und daß diese Staatsgewalt in den Händen der einzigen frei gewählten und dadurch für den Gesamtstaat legitimierten deutschen Regierung liegt, die nur durch die Situation eines „kalten" Bürgerkrieges daran gehindert wird, die ihr rechtmäßig zustehende Gewalt in ganz Deutschland auszuüben. Wird diese Hypothese preisgegeben, indem die Bundesrepublik selbst als „Staat" und nicht mehr nur als Staats t e i l verstanden wird, so entfällt gleichzeitig die rechtliche Begründung, die den A n spruch der Bundesregierung rechtfertigt, grundsätzlich die de jure Regierung ganz Deutschlands und damit auch die einzige völkerrechtlich legitimierte Vertreterin des Gebietes und der Bevölkerung der heutigen D D R zu sein. 248 Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts, daß ein Staatsteil, der sich für unabhängig erklärt und im Kampf gegen die Gesamtstaatsgewalt deren Souveränität abzuwerfen sucht, so lange nicht die Qualität eines selbständigen Völkerrechtssubjektes erwirbt, wie der Altstaat effektive Anstrengungen unternimmt, um die Unabhängigkeitsbewegung zu unterdrücken. Andererseits aber kann das Mutterland die Entstehung des neuen Staates nicht dadurch verhindern, daß es rein formell auf der Beibehaltung seiner Souveränitätsrechte beharrt; wenn es keine e f f e k t i v e n Anstrengungen mehr macht, um die Abspaltung zu verhindern, sondern sich mit leeren Deklamationen begnügt, so steht dem Erstarken der bisherigen lokalen de facto Regierung zu einer echten Staatsgewalt und damit der Entstehung eines neuen Staates nichts mehr entgegen. (Vgl. oben § 3,1.) Solange die Bundesregierung unbeirrbar den Anspruch erhebt, die de jure Regierung Gesamtdeutschlands zu sein und in ihrer gesamten Politik dem

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Umstand Rechnung trägt, daß die Bundesrepublik n i c h t ein S t a a t , sondern nur der in der Gewalt der de jure Regierung befindliche T e i l des gesamtdeutschen Staates ist, solange unternimmt sie auch die — der besonderen Situation des „kalten" Bürgerkrieges angemessenen — effektiven A n strengungen, um den von der „quasi-aufständischen" lokalen de facto Regierung besetzten Teil des Staates wieder mit ihrem Gebiet zu vereinigen und wahrt damit ihren Rechtsanspruch. Wenn die Bundesregierung dagegen die Bundesrepublik als einen „Kernstaat" ansehen sollte, so gäbe sie die ihr — kraft ihrer alleinigen demokratischen Legitimation — de jure zustehenden gesamtdeutschen Souveränitätsrechte preis. Damit stünde dann dem Erstarken der lokalen de facto Regierung in Mitteldeutschland zur de jure Regierung eines neuen S t a a t e s (der DDR) nichts mehr entgegen. (Vgl. auch unten Anm. 249.) Die „Kernstaatstheorie" bestätigt somit die Dismembration (richtiger: separatio) Deutschlands und ist darum in Wirklichkeit eine Zweistaatentheorie. Denn sie nimmt die Abspaltung der DDR vom Gesamtstaat an, den sie mit der westdeutschen Bundesrepublik identifiziert und folglich als ein auf das Gebiet zwischen Elbe und Rhein „zusammengeschrumpftes" Gebilde auffaßt. 247 Eine konsequent durchgeführte Kernstaatstheorie wird in der deutschen Wissenschaft bis heute zwar nicht ausdrücklich vertreten. Doch im politischen Raum machen sich in zunehmendem Maße Tendenzen bemerkbar, die sich mit dem provisorischen Status der Bundesrepublik nicht mehr zufrieden geben wollen und in ihr statt dessen einen in jeder Hinsicht vollständigen Staat sehen möchten. Diese Tendenz, die beispielsweise in den Spalten des „Rheinischen Merkur" in besonders repräsentativer Form zum Ausdruck kommt (vgl. oben § 1 Anm. 3), kann sich an zahlreiche leicht mißzuverstehende Ausführungen von Vertretern der Identitätstheorie anlehnen. So hat Süsterhenn in einem Gutachten die Bundesrepublik ausdrücklich als einen „Staat" bezeichnet und gleich anschließend bemerkt: „Die Bundesrepublik umfaßt zur Zeit lediglich ein Gebietsfragment des Deutschen Reiches" (in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, I. Teilband S. 264). Und Merk (Veröff. d. Vgg. d. dt. StRL Heft 13 S. 75 f. und a.a.O. — Anm. 16 — S. 296 ff.) bezeichnet die Bundesrepublik als „vorläufiges Kleinstdeutschland", obwohl er offensichtlich ein A n hänger der sogenannten Bürgerkriegstheorie ist. Mangoldt-Klein (Anm. V I , 5 b, zur Überschrift, S. 33) und Arndt (in der oben — Anm. 218 — erwähnten Sitzung des Rechtsausschusses am 19.1.1955) haben vor allem Scheuner als Vertreter der Kernstaatstheorie genannt. Aber es scheint, daß sie damit der wirklichen Ansicht von Scheuner nicht gerecht werden. (— Bezeichnenderweise führen Mangoldt-Klein [Anm. V I , 5 a und 5 b zur Überschrift, S. 32 f.] Scheuner sowohl als Vertreter der Bürger kr iegstheorie wie auch als Anhänger der Kernstaatslehre auf! —) Scheuner hat stets hervorgehoben, daß „Bundesrepublik und Volkskammerregime keinen neuen staatlichen Status in Anspruch nehmen" und daß es sich nur „um einen von beiden Seiten erhobenen Anspruch auf Repräsentation des gesamtdeutschen Staatswesens . . . durch eine dieser beiden Regierungen" handle (a.a.O., DVB1. 1950 S. 483). Vielleicht hat Scheuner indes nicht deutlich genug herausgearbeitet, daß das vom Grundgesetz „in Verfassung gebrachte" Teilgebiet Gesamtdeutschlands kein „Staat" ist und daß eine Identität nicht zwischen dem Geltungsbereich des Grundgesetzes und dem Gesamtstaat, sondern nur zwischen dem Gesamstaat und dem Deutschen Reich und folglich nur zwischen der organschaftlichen Stellung der Bundesregierung und der organschaftlichen Stellung der ehemaligen Reichsregierung besteht. Scheuner hat damit für eine Interpretation seiner Auffassung im Sinne der Kernstaatstheorie Raum gelassen, ohne diese Theorie jedoch zu vertreten. (Dasselbe gilt — mutatis mutandis — für Granow, Ausländische Kriegsschädenansprüche und Reparationen, AöR 77 S. 67 ff. [S. 75 f.]). Die Richtigkeit dieser Auslegung wird durch die neuesten Ausführungen von Scheuner (Funktionsnachfolge S. 26 f.) bestätigt, die sich zwar noch ganz i m Rahmen der Bürgerkriegstheorie bewegen, hilfsweise aber auch i m Sinne

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Eine falsch verstandene Identitätstheorie, die i n der Bundesrepublik einen deutschen „ K e r n s t a a t " 2 4 8 sehen möchte, schafft deshalb alle Voraussetzungen für eine eigene Staatlichkeit der D D R 2 4 9 und muß folgerichtig zur Annahme der vollzogenen Dismembration Deutschlands (richtiger: separatio der DDR) führen, „deren innere Konsequenz die künftige Anerkennung auch der DDR als Völkerrechtssubjekt" 2 5 0 sein würde. M i t der Bezeichnung „ K e r n staat" w i r d zwar ausdrücklich der politische Anspruch erhoben, das von einer unrechtmäßigen de facto Gew a l t beherrschte mitteldeutsche Gebiet wieder i n die deutsche Staatlichkeit einzugliedern, doch i n diesem Wort liegt gleichzeitig das Eingeständnis, daß Mitteldeutschland i m Augenblick außerhalb des deutschen Kernstaates steht. Sobald aber die Konzeption des fortbestehenden, ganz Deutschland umfassenden Gesamtstaates preisgegeben ist, muß die Entwicklung m i t logischer Konsequenz zur Bestätigung der These vom Bestehen zweier deutscher Staaten führen, von denen der eine — als „kleinstdeutscher Kernstaat" — m i t dem Deutschen Reich identisch ist, während der andere, die DDR, sich von diesem Reich abgespalten und die Stellung eines neuen Völkerrechtssubjekts erlangt h a t 2 5 1 . Die große Gefahr der Kernstaatslehre, die von ihren Vertretern völlig übersehen wird, liegt m i t h i n darin, daß diese Auffassung i m Ergebnis vollständig der Kernstaatslehre interpretiert werden können, falls sich die Annahme der vollzogenen Teilung des Gesamtstaates nicht mehr abweisen läßt. (Vgl. dazu die von Scheuner vorsorglich angebrachte Verweisung auf den Fall Indien— Pakistan — Identität des größeren Bruchteiles nach der Teilung — für diese Möglichkeit: a.a.O. Funktionsnachfolge S. 27 Anm. 56.) Die Auffassung von Scheuner muß deshalb wohl dahingehend ausgelegt werden, daß er an sich der Bürgerkriegstheorie zuneigt, daß er aber für den Fall, daß die auf dem Effektivitätsprinzip beruhende Zweistaatentheorie endgültig akzeptiert werden muß, sich eine Rückzugslinie zur Kernstaatslehre (d. h. zur Separationstheorie) offengehalten hat, die allein die Bundesrepublik als mit dem Deutschen Reich identisch ansieht und der D D R nur die Stellung eines neuen, nicht in Rechtsnachfolge stehenden Völkerrechtssubjektes zubilligt. 248 Der Abgeordnete Dr. Arndt hat dafür den treffenden Ausdruck „Schrumpfstaat" geprägt. 249 Auch mit dem Einwand, daß die Regierung der DDR vom Volke in keiner Weise demokratisch legitimiert sei, kann die staatliche Qualität des in Mitteldeutschland errichteten Regimes nur so lange in Zweifel gezogen werden, wie dieses Gebiet als Teil des gesamtdeutschen, de jure der Bundesregierung unterstehenden Staatsgebietes betrachtet wird. Wird aber das mitteldeutsche Gebiet nicht mehr als integrierender Bestandteil des deutschen Staates angeshen, sondern nur noch als eine Art „Interessensphäre", die zu gegebener Zeit wieder mit dem jetzt auf einen „Kern" zusammengeschrumpften" deutschen Staat vereinigt werden soll — und das ist ja die logische Konsequenz der Kernstaatstheorie! —, so kann der Einwand der mangelnden Legitimation nicht genügen, um einer Regierung, die sich a u ß e r h a l b der Grenzen des eigenen Staates etabliert hat, die Eigenschaft einer Staatsgewalt begründet abzusprechen. 250 Abendroth a.a.O., A P 1953 S. 653 f. 251 Vgl. zur Begründung i m einzelnen oben Anm. 246.

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d e r S e p a r a t i o n s t h e o r i e 2 5 2 e n t s p r i c h t , d i e sich n u r d a d u r c h v o n d e r D i s m e m b r a t i o n s t h e o r i e 2 5 3 unterscheidet, daß sie n i c h t d i e b e i d e n d e u t schen S t a a t e n als Rechtsnachfolger des D e u t s c h e n Reiches ansieht, sond e r n a l l e i n d i e m i t d e m D e u t s c h e n R e i c h identische B u n d e s r e p u b l i k Deutschland.

5. D i e Auffassung der Bundesregierung D i e A u f f a s s u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g i s t besonders p r ä g n a n t i n d e r Regierungserklärung v o n Bundeskanzler Adenauer v o r d e m Deutschen B u n d e s t a g a m 7. A p r i l 1954 z u m A u s d r u c k gebracht w o r d e n . D a r i n h e i ß t es: „ . . . daß es nur e i n e n deutschen Staat gibt, gegeben hat und geben wird, und daß es einzig und allein die Organe der Bundesrepublik Deutschland sind, die heute diesen niemals untergegangenen deutschen Staat vertreten 2 5 4 ." I n d e r T a t h a t d i e B u n d e s r e g i e r u n g v o n a l l e m A n f a n g a n i n sich d i e einzige rechtmäßige u n d d e m o k r a t i s c h l e g i t i m i e r t e V e r t r e t e r i n g e s a m t deutscher S t a a t l i c h k e i t gesehen u n d d i e R e g i e r u n g d e r D D R r e c h t l i c h immer ignoriert 255. „Sie stützt ihren Anspruch, in internationalen Angelegenheiten das ganze deutsche Volk zu vertreten, auf die Tatsache, daß sie die einzige frei gewählte Regierung Deutschlands ist, während sich das Regime von Pankow nur durch Gewaltmethoden an der Macht zu halten und seine faktische Herrschaftsgewalt nur unter dem Schutz und mit der Unterstützung eines fremden Staates auszuüben vermag. Diesem Regime fehlt daher das für jede stabile und dauerhafte staatliche Herrschaft unerläßliche Mindestmaß an Zustimmung und Rückhalt in der Bevölkerung 2 5 6 ." 252 Anhänger der Separationstheorie ist Beyer (NJ 1952 S. 535 ff.), der in der Bundesrepublik den mit dem Deutschen Reich identischen westdeutschen Staat und in der D D R einen neuen mitteldeutschen Staat sieht: vgl. oben Anm. 179. Genau dieselbe Auffassung — wenn auch mit anderer Begründung — wird von Hans Reuther in seiner Erlanger Dissertation (a.a.O. S. 106 f. und passim) vertreten. 253 Vgl. oben § 10. 254 2. B T StenBer S. 794. 255 Vgl. im einzelnen unten § 18, 1 d. 256 Aus der Regierungserklärung des Bundesaußenministers, Dr. v. Brentano, vor dem Deutschen Bundestag am 28.6.1956 (2. B T StenBer S. 8421). Ähnlich die beiden Regierungserklärungen von Bundeskanzler Adenauer am 21.10.1949 (1. B T StenBer. S. 308) und am 7. 4.1954 (2. B T StenBer S. 794) sowie die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 22. 9. 1955 (2. B T StenBer S. 5643 ff. [S. 56461). Dieser Standpunkt der Bundesregierung wird von der Opposition geteilt (vgl. 2. B T StenBer S. 796 und die Rede des Oppositionsführers Ollenhauer vom 29. 6.1956, 2. B T StenBer S. 8514). Die Westmächte haben seit der Frankfurter Erklärung der drei Hochkommissare vom 11.10.1949 (Keesing 1948/49 S. 2097 C) ständig die Ansicht aufrechterhalten, daß die Regierung der DDR jeder demokratischen Legitimation ermangele und daß deshalb allein die Bundesregierung befugt sei, das deutsche Volk in internationalen Angelegenheiten zu vertreten (vgl. die oben — Anm. 31 und 55 — zitierten Erklärungen aus den Jahren 1950, 1954 und 1955). Auch die

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Zur Unterstützung der Behauptung, daß die Bundesregierung von der überwältigenden Mehrheit des gesamten deutschen Volkes als die legitime Vertreterin der gesamtdeutschen Interessen angesehen werde, kann eine Reihe von Tatsachen angeführt werden, die nicht leicht zu widerlegen sind. I n erster Linie ist hier der Volksaufstand des 17. J u n i 1953 i n M i t t e l deutschland zu nennen, i n dessen Verlauf die Regierung der DDR i h r Verbleiben nicht der Unterstützung durch ihre Bürger, sondern nur der Unterstützung durch sowjetische Panzer zu verdanken hatte 2 5 7 . Sodann läßt sich vor allem die Entwicklung der deutschen Binnenwanderung seit 1950 als Argument heranziehen: hier übertrifft die Zahl der Personen, die aus der DDR i n die Bundesrepublik gekommen sind, die Zahl der von Westdeutschland nach Mitteldeutschland abgewanderten u m ein Vielfaches 258 . Während die Ereignisse des 17. J u n i 1953 zunächst nur ein Indiz dafür sind, daß der Regierung der DDR auch das „Mindestmaß an Zustimmung und Rückhalt i n der Bevölkerung" 2 5 9 fehlt — sie kommen damit einem Mißtrauensvotum gegen diese Regierung gleich —, kann aus der Wanderungsbewegung von der DDR i n die Bundesrepublik ein echter Vertrauensbeweis für die Bundesregierung 2 6 0 herausgelesen werden. Der Umfang und die Richtung der Binnenwanderung deuten darauf hin, daß die Bundesrepublik auch i m Bewußtsein der Bevölkerung der DDR als der wahre Ausdruck deutscher Staatlichkeit und als die Verwirklichung einer den Wünschen des deutschen Volkes entsprechenden freiheitlich-demokratischen Staatsordnung empfunden wird. Diesen Tatsachen kann — als einem prima-facie Beweis — eine gewisse Überzeugungskraft schwerlich abgesprochen werden. Die Regierung der DDR w i r d sie kaum m i t unbeweisbaren Behauptungen — etwa, daß die Bevölkerung der DDR fest hinter ihrer Regierung stehe 2 6 1 Literatur der Bundesrepublik unterstützt diesen Standpunkt mit seltener Einmütigkeit. (Vgl. statt aller Scheuner a.a.O. — Anm. 16 — und Abendroth a.a.O. A P 1953 S. 650.) 257 Vgl. die oben (Anm. 159) angegebene Literatur. 258 y g i j m einzelnen oben Anm. 160. 259 2. B T StenBer S. 8421. 260 Gemeint ist hier selbstverständlich die Bundesregierung als demokratisch gewählte Institution, unabhängig davon, ob sie von den gegenwärtigen Regierungsparteien oder von der jetzigen Opposition getragen wird. 261 Die kommunistischen Machthaber der D D R vertreten die Ansicht, daß „in der DDR die Volkssouveränität verwirklicht (sei), weil hier die Klassen und Schichten, die die sozialistische Revolution durchführen, an der Ausübung der Staatsmacht teilnehmen" (Lucie Haupt S. 306). Soweit in diesen Sätzen der kommunistische Anspruch zum Ausdruck kommt, Vollzieher einer unaufhaltsamen historischen Entwicklung zu sein und, ohne Rücksicht auf das gegenwärtige Maß an Zustimmung und Rückhalt in der Bevölkerung, schon dadurch gerechtfertigt zu sein, daß man dem wahren Glück der Menschheit diene, wird allerdings wiederum einer jener unauflösbaren Gegensätze zwischen demokratischem und kommunistischem Denken offenbar, die nicht miteinander vereinbart noch überhaupt zueinander in Beziehung gesetzt werden können.

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— w i d e r l e g e n k ö n n e n , s o n d e r n n u r d u r c h die Z u l a s s u n g echter f r e i e r W a h l e n i n i h r e m M a c h t b e r e i c h , d i e e i n e n echten W e t t b e w e r b d e r b e i d e n p o l i t i s c h e n O r d n u n g e n u m d i e G u n s t des g a n z e n deutschen V o l k e s e r m ö g l i c h e n . D i e Tatsache, daß b e i d e m l e t z t e n , a m 16. N o v e m b e r 1958 a b g e h a l t e n e n P l e b i s z i t 2 6 2 n u r 0,13 °/o d e r B e v ö l k e r u n g M i t t e l d e u t s c h l a n d s gegen d i e R e g i e r u n g d e r D D R s t i m m t e n 2 6 3 , k a n n n i c h t als Gegenbeweis a n g e f ü h r t w e r d e n 2 6 4 . D e n n abgesehen v o n a l l e n a n d e r e n B e g l e i t u m s t ä n d e n dieses P l e b i s z i t s 2 6 5 , e r g i b t sich aus d e m C h a r a k t e r des V o l k s a u f standes v o m 17. J u n i 1953, d e r n u r als eine M a s s e n b e w e g u n g v e r s t a n d e n w e r d e n k a n n , d i e v o n m e h r als d e m B r u c h t e i l eines Prozents d e r B e v ö l k e r u n g g e t r a g e n w u r d e , u n d aus der Z a h l d e r F l ü c h t l i n g e aus M i t t e l d e u t s c h l a n d m i t z w i n g e n d e r N o t w e n d i g k e i t , daß d e r Prozentsatz d e r G e g e n s t i m m e n k e i n zutreffendes B i l d v e r m i t t e l n k a n n . D i e s e r P r o z e n t satz i s t v i e l m e h r geradezu e i n ü b e r z e u g e n d e r B e w e i s d a f ü r , daß die sog e n a n n t e n „ W a h l e n " i n d e r D D R des E l e m e n t s d e r f r e i e n W i l l e n s b i l dung vollständig ermangelten266. 262 I n Anbetracht der Tatsache, daß der Wählerschaft nur eine einzige Einheitsliste präsentiert wurde, daß es also nur die Möglichkeit gab, diese Liste anzunehmen oder sie abzulehnen, nicht aber, unter mehreren Kandidaten oder Listen auszu,,wählen", kann die sogenannte „Wahl" zur Volkskammer der DDR juristisch korrekt nur als Plebiszit bezeichnet werden. (So auch Schneider, Volksabstimmungen in der rechtsstaatlichen Demokratie, in: Gedächtnisschrift für Walter Jellinek [München 1955] S. 155 ff. [S. 163]). 263 Das endgültige Ergebnis der Wahlen zur Volkskammer der D D R am 16. 11. 1958 wurde folgendermaßen festgestellt: Wahlbeteiligung: 98,90%; gültige Stimmen: 99,88%; Ja-Stimmen: 99,87%. (Vgl. N D vom 21.11.1958.) Die Wahlen vom 17.10.1954 hatten „nur" 99,46 % Ja-Stimmen erbracht (vgl. EA 1954 S. 7099). 264 Peck (a.a.O. S. 13 ff.) legt die Ergebnisse der „Volkswahlen" vom 15.10. 1950 (99,7 % Ja-Stimmen) und vom 17.10.1954 (99,46 % Ja-Stimmen) als einen „überwältigenden Beweis des Vertrauens" und ein „einmütiges Bekenntnis der Bevölkerung der DDR zur Innen- und Außenpolitik ihrer Regierung" aus. Wie w i l l Peck aber diese Hypothese mit der unbestreitbaren Tatsache vereinbaren, daß seit der Konstituierung der Deutschen Demokratischen Republik annähernd 10% der Bevölkerung Mitteldeutschlands in das Bundesgebiet geflüchtet sind und daß dieser Flüchtlingsstrom in unverminderter Stärke anhält? I n diesem Zusammenhang muß vor allem auch daran erinnert werden, daß der Entschluß, Haus und Hof aufzugeben und die Sicherheit einer festen Existenz mit den Ungewißheiten eines Flüchtlingsdaseins zu vertauschen, in der Regel nicht leichtfertig und ohne schwerwiegenden Grund gefaßt werden dürfte. 265 Vgl. dazu: Die Wahlen in der Sowjetzone, Dokumente und Materialien, hrsg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1956. 266 vgl. dazu die Bemerkungen von Abendroth (a.a.O. Festschrift für Rudolf Laun S. 150 f.) hinsichtlich der Habilitationsschrift von Alfons Steiniger (Das Blocksystem, Berlin 1949). Vgl. außerdem den aufschlußreichen Aufsatz von Unger, Die Rolle der Wahlen in der D D R für die weitere Festigung und Entwicklung der sozialistischen Staatsorgane und für die sozialistische Bewußtseinsbildung der Werktätigen, StuR 1958 S. 953 ff., in dem die bezeichnenden Sätze stehen: „Das Wesen und die Funktion der Wahlen können nur auf der Grundlage des Wirkens der objektiven Gesetze der menschlichen Gesellschaft, d. h. in der Dialektik der Entwicklung erkannt und verstanden werden. Wie

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Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

I n d e m d i e B u n d e s r e g i e r u n g der R e g i e r u n g d e r D D R j e d e rechtliche Q u a l i t ä t abspricht, sich selbst als d i e einzige l e g i t i m i e r t e S p r e c h e r i n des g e s a m t e n deutschen V o l k e s b e z e i c h n e t 2 6 7 u n d d a m i t d e n A n s p r u c h e r h e b t , i n i n t e r n a t i o n a l e n A n g e l e g e n h e i t e n auch d i e B e v ö l k e r u n g M i t t e l deutschlands z u v e r t r e t e n , m a c h t sie d e u t l i c h , daß sie sich w e d e r als d i e R e g i e r u n g e i n e r n e b e n d e m G e s a m t s t a a t bestehenden e i g e n e n T e i l o r d n u n g B u n d e s r e p u b l i k 2 6 8 , noch auch als d i e R e g i e r u n g eines a u f die G r e n z e n des h e u t i g e n Bundesgebietes zusammengeschrumpften" „ K e r n s t a a t e s " b e g r e i f t 2 6 9 . Sie h ä l t sich v i e l m e h r f ü r d i e einzige r e c h t m ä ß i g e R e g i e r u n g des gesamtdeutschen V ö l k e r r e c h t s s u b j e k t s , das m i t d e m D e u t s c h e n Reich i d e n t i s c h i s t 2 7 0 . S o m i t k a n n k e i n Z w e i f e l m e h r d a r a n bestehen, daß die B u n d e s r e g i e r u n g die T e i l o r d n u n g s l e h r e a b l e h n t u n d sich z u r I d e n t i t ä t s t h e o r i e ( i n d e r h i e r als „ B ü r g e r k r i e g s t h e o r i e " b e zeichneten F o r m ) b e k e n n t 2 7 1 . D e n n n a c h i h r e r eigenen A u f f a s s u n g i s t i h r e rechtliche S t e l l u n g a n a l o g der P o s i t i o n der de j u r e R e g i e r u n g i n e i n e r B ü r g e r k r i e g s s i t u a t i o n z u b e u r t e i l e n , die sich gegen d e n p o l i t i s c h e n A n s p r u c h e i n e r l o k a l e n de facto R e g i e r u n g z u w e h r e n h a t , i h r e r s e i t s de j u r e R e g i e r u n g eines T e i l g e b i e t e s des Staates z u sein, das sich v o r ü b e r g e h e n d s e l b s t ä n d i g gemacht h a t 2 7 2 . der Staat selbst und seine Äußerungen Ausdruck der Klassenherrschaft sind, so sind auch die Wahlen auf die Erhaltung und Sicherung der bestehenden Machtverhältnisse gerichtet. Wie es keine »Demokratie an sich4 gibt, so gibt es auch keine »Wahlen an sich4." (S. 955.) 267 Dieser Rechtsauffassung haben sich alle mit der Bundesregierung verbündeten Staaten angeschlossen und grundsätzlich wohl auch diejenigen „neutralen" Länder, die die Bundesregierung anerkennen und sich gleichzeitig bisher geweigert haben, von der Existenz der D D R offiziell Kenntnis zu nehmen. (Vgl. oben Anm. 31 und 32.) 268 Dies geht auch aus dem deutsch-alliierten Schriftwechsel vom 6. 3.1951 (BGBl. 1953 I I S. 473) hervor; danach hat die Bundesrepublik die Vorkriegsschulden des Deutschen Reiches nicht etwa ü b e r n o m m e n , sondern sie hat vielmehr „ b e s t ä t i g t . . . , daß sie für die äußeren Vorkriegsschulden des Deutschen Reiches haftet" (Hervorhebungen vom Verf.). Vgl. dazu Scheuner a.a.O. F W 51 S. 5, und Scheuner, Funktionsnachfolge S. 27 f. mit Anm. 57. 269 So auch Bathurst-Simpson S. 205 f. und Grewe (a.a.O. — Anm. 232 —) S.1919. 270 So müssen wohl auch die etwas ungenau formulierten Sätze in der Begründung des Gesetzentwurfes betr. das am 23.10.1954 unterzeichnete A b kommen über das Statut der Saar (2. B T Drucks. 1062, S. 8) verstanden werden. Dort heißt es: „Trotz der territorialen Beschränkung ihres aktuellen Herrschaftsbereiches fühlt sich die Bundesrepublik als identisch mit dem Deutschen Reich in den Grenzen vom 31. Dezember 1937; sie ist daher zur Vertretung und Wahrung der gesamtdeutschen Interessen berufen." 271 Scheuner a.a.O. F W 51 S. 12 f. und Abendroth a.a.O., Festschrift für Rudolf Laun S. 153. 272 Vgl. hierzu vor allem Menzel (a.a.O. — Anm. 226 —) S. 6615. — Aus dem Anspruch der Bundesregierung, allein die deutsche Staatlichkeit zu repräsentieren, darf jedoch nicht gefolgert werden, daß die D D R ihrerseits denselben Anspruch erhebe. Es ist schwer verständlich, wie angesichts der zahlreichen eindeutigen Äußerungen maßgeblicher Organe der D D R (vgl. oben Anm. 22, 176, 186 und 200) in der wissenschaftlichen Diskussion immer noch die M e i -

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Allerdings hat die Bundesregierung niemals eine ausschließliche und unbestrittene Jurisdiktion über ganz Deutschland ausgeübt. Sie ist etwa gleichzeitig m i t der Regierung der DDR gebildet w o r d e n 2 7 3 und w a r wie diese von Anfang an i n ihrer Macht faktisch auf ein Teilgebiet beschränkt. I h r Anspruch auf alleinige Repräsentation des fortbestehenden gesamtdeutschen Staates kann sich deshalb nicht auf den Grundsatz der Verfassungsmäßigkeit der bisherigen de jure Regierung gegenüber der Revolution stützen, wie i n normalen Bürgerkriegssituationen 2 7 4 , sondern allein auf die Tatsache ihrer gesamtdeutschen demokratischen Legitimation 2 7 5 . Die Kennzeichnung dieser Auffassung als einer „Bürgerkriegstheorie" darf indes nicht dahin mißverstanden werden, als ob der Bundesregierung damit unterstellt werden sollte, daß sie das Regime i n der DDR m i t Gewalt zu beseitigen oder die Wiedervereinigung anders als auf friedlichem Wege herbeizuführen wünsche. Der Vergleich der deutschen Rechtslage m i t der Situation eines „Kalten" Bürgerkrieges ist lediglich eine Fiktion, die benutzt wird, u m die Probleme der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands i n die Systematik des überkommenen Völkerrechts einordnen zu können und u m die rechtliche Stellung der Bundesregierung gegenüber der Regierung der DDR m i t Hilfe einer Analogie deutlich zu machen. I n diesem Zusammenhang ist eine Erklärung von Bedeutung, die am 3. Oktober 1954 auf der Londoner Konferenz von der Bundesregierung abgegeben worden ist und i n der es heißt: „ . . . Insbesondere verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland, die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärtigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland niemals mit gewaltsamen Mitteln hernung vertreten werden kann, die DDR erkenne die Bundesrepublik nicht als rechtlich bestehend an, (so Klein a.a.O., Gedächtnisschrift für Walter Jellinek S. 121.f. [vgl. dagegen oben § 10 mit Anm. 197 —]: das von Klein angeführte Beispiel beweist nur die Nicht-Anerkennung der DDR durch den Westen, deutet aber in keiner Weise darauf hin, daß auch die DDR ihrerseits die rechtliche Existenz der Bundesrepublik ignorieren wolle!), oder die DDR prätendiere, „allein das Deutsche Reich fortzusetzen" (so Krüger S. 4 und S. 10; ähnlich auch Merk a.a.O. [Anm. 16] S. 298 f.; — vgl. dagegen oben Anm. 176). Richtig ist vielmehr, daß die DDR sich als neuen, n e b e n der Bundesrepublik aus der Dismembration des Deutschen Reiches hervorgegangenen Staat versteht. Nicht ganz zu Unrecht mokiert sich deshalb auch Kohl (a.a.O. — Anm. 216 — S. 846) über die Behauptung von Krüger (a.a.O. S. 4), daß es „für deutsch-demokratische Augen nur die Deutsche Demokratische Republik als Deutschen Staat" gebe. 278 A m 15. September 1949 wurde Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt, und am 7. Oktober 1949 beauftragte die Volkskammer der D D R Otto Grotewohl mit der Regierungsbildung. 274 Vgl. oben § 2 und § 3. 275 w i e die gesamte Lehre vom Fortbestand der staatlichen Einheit Deutschlands läßt sich natürlich auch diese Beweisführung nur dann aufrechterhalten, wenn man sich grundsätzlich auf den Boden des Legitimationsprinzips stellt.

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beizuführen und alle zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten gegebenenfalls entstehenden Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu lösen" 276 .

Diese Erklärung ist anläßlich der Aufnahme der Bundesrepublik i n den Nordatlantikpakt am 23. Oktober 1954 von der Bundesregierung feierlich bestätigt worden. Der ausdrückliche Gewaltverzicht macht deutlich, daß die von der Bundesregierung vertretene Auffassimg keinen militanten Charakter h a t 2 7 7 , sondern nur dazu dient, den Standort der Bundesregierung innerhalb der herkömmlichen völkerrechtlichen Regeln zu bestimmen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen, etwa für den Fall einer Anerkennung der Regierung der DDR durch dritte Staaten, klarzulegen.

6. Die Bundesrepublik ist kein Staat, sondern nur der unter der effektiven Hoheitsgewalt der deutschen de jure Regierung stehende Teil des Gesamtstaates Die Bundesregierung hat die Aufgabe, ihre gesamtdeutschen Rechte und Pflichten effektiv wahrzunehmen Die bisherigen Überlegungen haben deutlich gemacht, daß angesichts der gegenwärtigen Rechtslage, i n der die Bundesrepublik und die DDR sich als souveräne staatliche Organisationen gegenüberstehen, a l l e Theorien, die i n der Bundesrepublik 2 7 8 selbst einen „Staat" sehen möchten, letzten Endes auch der DDR Staatsqualität zubilligen und damit das Bestehen zweier deutscher Staaten und die Vollendung der Dismembration Deutschlands (bzw. der separatio der DDR) anerkennen müssen. Dies gilt nicht nur für die (modifizierte) Zweistaatentheorie, die von der Regierung der DDR vertreten wird, sondern ebenso für die Teilordnungslehre 2 7 9 und für die i n eine „Kernstaatslehre" umgedeutete Identitätstheorie. Denn die Teilordnungslehre entwickelt sich i n dem Augenblick zur Zweistaatentheorie, i n dem die Hypothese eines noch vorhandenen „Reichsdaches" aufgegeben werden muß. Nachdem sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR die Souveränität erlangt haben und darüber 276

2. B T Drucks. 1061, S. 67. Anderer Meinung ist Brandweiner (a.a.O. — Anm. 46 — S. 11 ff.), jedoch mit Argumenten, die — obgleich in einen völkerrechtlichen Deckmantel gehüllt — nur noch als politische Propaganda aufgefaßt werden können und die deshalb einer juristischen Widerlegung weder bedürfen noch zugänglich sind. 278 d. h. in der staatlichen Organisation im Geltungsbereich des Grundgesetzes. 279 Auch die Teilordnungslehre geht ja von dem Bestehen zweier „Staaten" aus (vgl. Mangoldt-Klein, Anm. V I , 5 a und 5 c zur Überschrift, S. 32 f. und S. 35), die allerdings durch die Unterordnung unter ein „Reichsdach" in ihrer vollen Selbständigkeit beschränkt erscheinen. 277

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hinaus die rechtliche Existenz eines „Reichsdaches" eindeutig verneinen, muß die Teilordnungslehre — w i l l sie konsequent bleiben — anerkennen, daß ihre Hypothese m i t der Staatenpraxis nicht mehr zu vereinbaren ist und daß die beiden Teilordnungen sich i m Laufe der Entwicklung nicht wieder zu einer Einheit zusammengefunden, sondern endgült i g voneinander getrennt und damit die Dismembration des Deutschen Reiches bewirkt haben. Ebenso führt die i n eine „Kernstaatslehre" umgedeutete Identitätstheorie zur Anerkennung des Bestehens zweier Staaten i n Deutschl a n d 2 8 0 . Zwar möchte die Kernstaatslehre nur i n der Bundesrepublik, aber nicht i n der DDR einen Staat sehen. I n demselben Augenblick aber, i n dem sie der Bundesrepublik, d. h. der staatlichen Organisation i m Geltungsbereich des Grundgesetzes, eine eigene Staatsqualität zuweist und damit die deutsche Ostgrenze gewissermaßen an die Elbe zurückverlegt, gibt sie einen Raum frei, i n dem die bisher als „Quasi — Aufständische Gewalt" angesehene Regierung der DDR sich als nunmehr unbestrittene Staatsgewalt zu etablieren vermag 2 8 1 . So schafft die Kernstaatstheorie — sehr gegen den Willen ihrer Vertreter — alle Voraussetzungen für eine eigene Staatlichkeit der DDR und bestätigt damit die Vollendung der staatlichen Teilung Deutschlands. Angesichts der fortdauernden Spaltung geht man immer mehr dazu über, die Bundesrepublik selbst, d. h. die staatliche Organisation i m Geltungsbereich des Grundgesetzes wie einen echten „Staat" zu behandeln und so die Grenzen zwischen der richtigen Identitätsauffassung und der Kernstaatstheorie zu verwischen 2 8 2 . Die Tatsache, daß die Bundesregie280 leicht sich im Blickwinkel des Auslandes der Übergang von einer Kernstaatslehre zu einer Zweistaatentheorie zu vollziehen vermag, geht aus der Studie von Schreiber „L'Allemagne de l'Ouest vue de Budapest" (a.a.O. — Anm. 24 —) hervor: Schreiber zeigt auf, wie zunächst die D D R als deutscher Kernstaat angesehen wurde, und wie die Bundesrepublik in der öffentlichen Meinung Ungarns dann aber nach und nach von der „Zone d'occupation des puissances impérialistes" über den Status des „Etat dissident" zum „Etat de l'Allemagne occidentale" aufrückte. 281 Zwar wird die demokratische Legitimation dieser Gewalt weiterhin bestritten, aber es wird nicht mehr ein eigener, völkerrechtlich relevanter Rechtsanspruch auf das Gebiet der D D R als Teil des gesamtdeutschen Staatsgebietes erhoben, der allein das Erstarken der lokalen de facto Regierung zu einer echten de jure Staatsgewalt verhindern könnte. 282 Der Unterschied zwischen der sogenannten Bürgerkriegstheorie (als der richtigen Identitätsauffassung) und der Kernstaatslehre muß vor allem darin gesehen werden, daß die Bürgerkriegstheorie vom Fortbestand der staatlichen Einheit ausgeht und die tatsächliche Spaltung als den Kampf einer de jure Regierung gegen eine „quasi-aufständische" lokale de facto Regierung deutet, während die Kernstaatslehre den Bürgerkrieg als beendet und die Spaltung als nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich — wenn auch nur vorübergehend — vollzogen ansieht (— denn sonst wäre die Bundesrepublik ja nur ein Staats - T e i l und n i c h t ein S t a a t —), gleichzeitig aber betont, daß die Rechtspersönlichkeit des ehemaligen Gesamtstaates nur in dem einen Teil und nicht in beiden neuen Staaten fortgesetzt werde.

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rung zwar gesamtdeutsche Staatsgewalt ausübt, daß sie i n der Ausübimg dieser Staatsgewalt aber auf einen Teil des Staates beschränkt ist und deshalb auch i n ihrer völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit — als Treuhänderin — gewissen Beschränkungen unterliegt, w i r d als lästig empfunden. Aus dieser Haltung erwächst der Wunsch, die Bundesrepublik als S t a a t , und zwar als „deutschen Kernstaat" ansehen zu können 2 8 3 . Daß die Konsequenzen dieses Kernstaatsdenkens dahin führen, daß Mitteldeutschland „von der deutschen Staatlichkeit ausgeschlossen" 284 und die staatliche Teilung Deutschlands bestätigt wird, w i r d nicht bedacht. Diese Konsequenzen klar und deutlich herauszuarbeiten, soll die Aufgabe der hier gemachten Ausführungen sein: Entweder geht man vom Fortbestehen der staatlichen Einheit und der Existenz eines gesamtdeutschen Völkerrechtssubjektes aus und nimmt alle Beschränkungen der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung i n Kauf, die sich daraus ergeben, daß i h r tatsächlicher Machtbereich auf einen Teil des Gesamtstaates begrenzt ist und sie für den anderen Teil nur treuhänderisch tätig werden kann. Oder man entzieht sich diesen Beschränkungen, indem man die Bundesrepublik als eigenen „Staat" ansieht, erkennt aber damit gleichzeitig auch der DDR eine eigene Staatlichkeit zu und bestätigt die staats- und völkerrechtliche Teilung Deutschlands. Tertium non d a t u r 2 8 5 . Die richtig verstandene Identitätstheorie, wie sie auch von der Bundesregierung vertreten wird, behauptet, daß die rechtliche Einheit Deutsch283 j?ü r diese Tendenz, die sich in den Kreisen der seit 1949 in der Regierungsverantwortung stehenden Parteien von Jahr zu Jahr stärker bemerkbar macht, lassen sich zahlreiche Belege aus politischen Reden und aus Artikeln in den den genannten politischen Gruppen nahestehenden Presseorganen anführen (vgl. z. B. Anton Böhm, Ein Provisorium?, Rheinischer Merkur Nr. 15, Ostern 1955). — Vgl. statt aller einige Sätze des damaligen Fraktionsvorsitzenden der Deutschen Partei (Freie Volkspartei) i m (Zweiten) Deutschen Bundestag, Professor Brühler (Brühler, Politik ohne Illusionen, in: „Der Bürger i m Staat" Jg. 7 Heft 4/5 M a i 1957): „ . . . Dabei hat die D P (FVP) nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, daß für sie die Bundesrepublik kein Provisorium ist, dem zweckmäßigerweise möglichst alle Kennzeichen eines wirklichen Staates vorenthalten werden müssen. Für sie ist i m Gegensatz zu dieser Auffassung die Bundesrepublik der freie deutsche Kernstaat, mit dem sich zu vereinigen 17 Millionen Deutsche in der Sowjetzone durch Gewalt gehindert werden." 284 Mangoldt-Klein, A n m . V I , 5 b zur Überschrift, S. 34. 285 Tatsache, daß es gerade oft die entschiedensten politischen Gegner der Zweistaatentheorie sind, die sich von „Kernstaatsideen" leiten lassen, mutet — wenn man die logischen und juristischen Konsequenzen der Kernstaatstheorie bedenkt — als besondere Ironie an; man wird dadurch an das alte amerikanische Sprichwort erinnert: „You can't have the cake and eat it, too!", d. h. man kann nicht alle Vorteile einer eigenen bundesrepublikanischen Staatlichkeit beanspruchen, ohne auch gleichzeitig die Nachteile der damit verbundenen Auflösung der staatlichen Einheit Deutschlands in Kauf zu nehmen.

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lands fortbestehe und eine Dismembration 2 8 6 noch nicht eingetreten sei. Die Identitätstheorie darf sich deshalb nicht darauf beschränken, nur die staatliche Qualität der DDR zu leugnen, sondern sie muß deutlich darlegen, daß auch die Bundesrepublik kein Staat ist, sondern nur dasjenige T e i l g e b i e t Gesamtdeutschlands, das sich i n der Gewalt der einzigen rechtmäßigen deutschen (de jure) Regierung befindet und vorläufig vom Grundgesetz „ i n Verfassung gebracht worden" i s t 2 8 7 ; und daß die Bundesregierung aus der Tatsache, daß sie als einzige deutsche Regierung demokratisch legitimiert ist, m i t Recht den Anspruch herleitet, über ihren, durch die widerrechtliche und illegitime „Besetzung" eines Teils ihres Territoriums faktisch eingeengten Machtbereich hinaus allein das ganze deutsche Volk völkerrechtlich zu vertreten 2 8 8 . Diesem Recht, das ganze deutsche Volk zu repräsentieren, steht aber die Pflicht der Bundesregierung gegenüber, ihr gesamtes staatsrechtliches und völkerrechtliches Handeln der gesamtdeutschen Aufgabe unterzuordnen und stets zu unterstreichen, daß das westdeutsche Bundesgebiet, das allein ihrer effektiven Gewalt untersteht, nur ein T e i l des deutschen Staates, aber nicht der Gesamtstaat selbst ist. Nur wenn die Wirklichkeit des Gesamtstaates i n der gesamten Tätigkeit der Bundesregierung auch transparent w i r d und sie bereit ist, die sich aus dieser Rechtslage ergebenden Beschränkungen i n Kauf zu nehmen, untern i m m t sie diejenigen effektiven Anstrengungen, die nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts unerläßlich sind, um die Abspaltung M i t t e l deutschlands und das Erstarken der Regierung der DDR zur de jure Regierung eines neuen, selbständigen Staates zu verhindern. I n einem „heißen" Bürgerkrieg gilt der i m Völkerrecht allgemein anerkannte Satz, daß die Gesamtstaatsregierung die Abspaltung eines Staatsteiles und die Entstehung eines neuen Staates nur so lange verhindern kann, wie sie effektive kriegerische Anstrengungen unternimmt, um die Rebellion zu unterdrücken; daß sie aber der Entstehung des neuen Staates nicht mehr entgegenwirken kann, wenn sie nur noch formell auf der Beibehaltung ihrer Souveränitätsrechte beharrt und sich m i t leeren Deklamationen zufrieden g i b t 2 8 9 . 286

bzw. separatio. Vgl. oben Anm. 232. 288 Vom Boden dieser Auffassung aus läßt sich auch die Ansicht von Tunkin (a.a.O., Iswestija vom 9.10.1955) widerlegen, daß der Anspruch der Bundesregierung auf Vertretung ganz Deutschlands „jeder juristischen oder moralisch-politischen Grundlage" entbehre. Denn Tunkin selbst erkennt an, daß die allgemeine völkerrechtliche Regel, nach der „das Territorium eines Staates durch die Grenzen der Ausdehnung seiner Macht bestimmt" werde, in all den Fällen keine Geltung habe, in denen eine „widerrechtliche Besetzung des Territoriums" vorliege. 289 Vgl. oben § 3, 1. 287

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A u f die besondere Situation des „ K a l t e n Bürgerkrieges" analog angewandt, ergibt sich aus dieser Regel des Völkerrechts, daß die Bundesregierung nur so lange ihren gesamtdeutschen Anspruch aufrechtzuerhalten vermag, wie sie i n ihrem gesamten politischen und administrativen Handeln die Wirklichkeit des Gesamtstaates und die Tatsache der widerrechtlichen Verhinderung ihrer Machtausübung i n M i t t e l deutschland sichtbar macht und deutlich hervorhebt 2 9 0 . Wenn die Bundesregierung sich dagegen m i t leeren Deklamationen zufrieden gibt und ihren gesamtdeutschen Rechtsanspruch nicht täglich durch — wenn auch nur symbolische — Taten unterstreicht, dann fehlt diesem Rechtsanspruch auch jenes, selbst i m „Kalten" Bürgerkrieg erforderliche Mindestmaß an Effektivität, das allein der Entstehung eines eigenen mitteldeutschen Staates entgegenzuwirken vermag 2 9 1 . Die Identitätstheorie besagt also nicht, daß die staatliche Organisation i m Geltungsbereich des Grundgesetzes m i t dem i m Jahre 1871 292 gegründeten Deutschen Reich identisch sei. Sie w i l l vielmehr nur feststellen, daß die Rechtslage Deutschlands nicht als das Nebeneinander zweier Teilordnungen verstanden werden könne, sondern nur als eine QuasiBürgerkriegssituation, i n der der Bundesregierung die Rolle der rechtmäßigen, w e i l allein demokratisch legitimierten Regierung innerhalb des fortbestehenden Gesamtstaates zufalle. Daraus folge die Identität der organschaftlichen Stellung der Bundesregierung m i t der organschaftlichen Stellung der ehemaligen Reichsregierung 293 ; kraft dieser Identität sei die Bundesregierung als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Reichsregierung anzusehen. 290 U m deutlich zu machen, in welcher Weise die Wirklichkeit des Gesamtstaates in der gesamten Tätigkeit der Bundesregierung transparent werden sollte (und wie wenig das heute der Fall ist), mag ein geringfügiges, aber doch sehr bezeichnendes Beispiel genügen: Durch eine Verordnung des Bundesverkehrsministers vom 14. 3.1956 (BGBl. I S. 199 und S. 215) wurden für die gesamte Bundesrepublik neue Autonummern eingeführt, deren Unterscheidungszeichen der Einteilung der Verwaltungsbezirke (Städte und Landkreise) angepaßt wurden. Vom Boden einer wirklich gesamtdeutsch verstandenen Regierungstätigkeit aus wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen, bei einer solchen, für einen langen Zeitraum vorausgeplanten Maßnahme bei der Zuteilung der Unterscheidungszeichen die mitteldeutschen Verwaltungsbezirke mit zu berücksichtigen und die mitteldeutschen „Schattennummern" im Bundesgesetzblatt mit zu veröffentlichen. Eine solche Geste hätte zwar nicht mehr als eine rein symbolische Bedeutung gehabt; doch hätte sie den gesamtdeutschen Anspruch der Bundesregierung besser als viele Worte dokumentiert. 291 Vgl. hierzu Charles de Visscher (a.a.O. S. 208), der hervorhebt, daß auch eine effektive Machtposition „n'est juridiquement acquise que le jour où les tentatives de restauration ont cessé de trouver une assistance effective". Siehe auch Wehberg a.a.O. (§ 3, Anm. 126) S. 442 f. 292 bzw. i m Jahre 1867; vgl. oben § 2 Anm. 11. 293 Genau dies haben auch die oben (Anm. 31 und Anm. 55) zitierten alliierten Erklärungen zum Ausdruck gebracht. (Vgl. dazu Virally a.a.O.—Anm. 166 — S. 44). Wenn Scheuner glaubt, daß „die von deutscher Seite eingenommene These der I d e n t i t ä t . . . damit nicht bestätigt" worden sei (a.a.O., E A 1955

Die Theorie vom Fortbestehen der staatlichen Einheit Deutschlands

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D e r N a m e „ I d e n t i t ä t s t h e o r i e " , d e n diese A n s i c h t e r h a l t e n h a t , i s t z w e i fellos i r r e f ü h r e n d u n d g i b t i m m e r w i e d e r A n l a ß z u z a h l r e i c h e n M i ß v e r ständnissen, w e i l m a n u n t e r I d e n t i t ä t g e w ö h n l i c h n u r das V e r h ä l t n i s z w e i e r E r s c h e i n u n g s f o r m e n eines Staates z u e i n a n d e r 2 9 4 , a b e r n i c h t das V e r h ä l t n i s zweier verfassungsmäßiger O r g a n e i n i h r e r f u n k t i o n a l e n S t e l l u n g versteht. A u s diesem Grunde ist der Bezeichnung „ B ü r g e r k r i e g s t h e o r i e " u n b e d i n g t d e r V o r z u g z u geben, o b w o h l n i c h t ü b e r s e h e n w e r d e n k a n n , daß e i n e r solchen W o r t b i l d u n g e i n gefährliches politisches M o m e n t i n n e w o h n t , das propagandistische A n w ü r f e u n d b ö s w i l l i g e A u s l e g u n g e n g e r a d e z u h e r a u s f o r d e r t 2 9 5 . D o c h w ü r d e das V e r s t ä n d n i s d e r s o g e n a n n t e n „ I d e n t i t ä t s l e h r e " als e i n e r „ B ü r g e r k r i e g s t h e o r i e " zahllose F e h l i n t e r p r e t a t i o n e n beseitigen, d i e sich aus d e r B e z e i c h n u n g „ I d e n t i t ä t s t h e o r i e " ergeben h a b e n u n d z u d e n g e f ä h r l i c h e n A u f f a s s u n g e n d e r sogenannten „Kernstaatslehre" f ü h r e n k o n n t e n 2 9 6 . S. 8075), so scheint er von einem anderen als dem hier vertretenen Identitätsbegriff auszugehen. Vgl. allerdings auch Bathurst-Simpson (S. 188), die unter Bezugnahme auf ein geheimes Interpretationsprotokoll (— ebenfalls erwähnt bei Schneider, Die Diskussion über die gegenwärtige Rechtsstellung des Saarlandes, E A 1954 S. 7003 ff. [S. 7008] —) der New Yorker Erklärung (vgl. oben Anm. 55) behaupten, „that it did not therefore constitute recognition of the Government of the Federal Republic as the de jure government of all Germany" (a.a.O. S. 188; vgl. aber auch daselbst S. 192). — Wir glauben indes, mit der Konzeption einer „lokalen de jure Regierung" auch den Formulierungen dieses Interpretationsprotokolls Rechnung tragen zu können (vgl. unten § 11, 7). 294 Eine Identität in d i e s e m Sinne ist nur zwischen dem Gesamtstaat und dem Deutschen Reich gegeben. Diese Erkenntnis trägt indes zum Verständnis der Rechtslage Deutschlands wenig bei. Denn es soll ja nicht die Frage nach dem Verhältnis des Gesamtstaates zum Deutschen Reich beantwortet werden (— dies war das Anliegen der Diskussion der Jahre 1945—1949, vgl. oben § 9,1 —), sondern vielmehr die Frage nach dem Verhältnis von Bundesrepublik und DDR zum Gesamtstaat und zueinander und nach der Funktion der Bundesorgane. Hier kann jedoch die Hypothese irgendeiner Identität nicht weiterhelfen (— es sei denn, man möchte über die Lehre von einem „Kernstaat" zur Anerkennung des Bestehens zweier Staaten und damit der separatio gelangen —), sondern nur der Vergleich mit einer „Bürgerkriegssituation". Eine solche Auffassung kann dann allerdings die heutige Rechtslage Deutschlands theoretisch ebenso gut und folgerichtig erklären wie die allein an den sogenannten „Realitäten" sich orientierende Zweistaatentheorie. 295 Zwar ist bereits ausgeführt worden, daß die Bezeichnung dieser Theorie als einer „Bürgerkriegstheorie" nur dazu dienen solle, um mit Hilfe einer Analogie die Probleme, die sich aus der Rechtslage Deutschlands ergeben, in das Begriffsschema des überkommenen Völkerrechts einordnen zu können, daß damit aber in keiner Weise beabsichtigt sei, einer Gewaltlösimg das Wort zu reden. Gegenüber einer Agitation, die nicht verstehen will, werden solche Erläuterungen indes wenig bewirken, und es bleibt darum die Frage bestehen, ob man lieber der juristisch ungenauen Bezeichnung „Identitätslehre" oder dem politisch gefährlichen Namen „Bürgerkriegstheorie" den Vorzug geben will. 296 Sehr leicht mißzuverstehen sind z.B. die Formulierungen des Großen Zivilsenats des B G H in seinem Beschluß vom 20. 5.1954 (BGHZ 13, 265). Wenn es dort heißt, „daß die Bundesrepublik... mit dem fortbestehenden deutschen Staat identisch ist, die Staatsmacht tatsächlich allerdings vorläufig nur auf 10

W.V.Marschall

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7. Die Bundesregierung als lokale de jure Regierung Nach der Auffassung der Identitätstheorie (Bürgerkriegstheorie), auf der die Politik der Bundesregierung und der m i t i h r verbündeten Regierung aufbaut, kommt der Bundesregierung die völkerrechtliche Stellung der rechtmäßigen, weil allein demokratisch legitimierten Regierung i n der deutschen Quasi-Bürgerkriegssituation zu. Die Annahme einer rechtlichen Identität zwischen Bundesorganen und Reichsorganen begründet den Anspruch der Bundesregierung, grundsätzlich als die de jure Regierung Gesamtdeutschlands aufzutreten 2 9 7 . Die staats- und völkerrechtlichen Befugnisse, die der Bundesregierung als der de jure Regierung Gesamtdeutschlands zustehen, sind jedoch gewissen Beschränkungen unterworfen. (a) Die besondere Situation des „Kalten Bürgerkrieges" und der Verzicht auf jede Politik der Gewalt, den die Bundesregierung ausdrücklich erklärt h a t 2 9 8 , bestimmen die Bundesregierung, den ihr de jure zukommenden Machtanspruch über ganz Deutschland nicht über die Grenzen des Bundesgebietes hinaus geltend zu machen 2 9 9 . Der Bundestag hat den Geltungsbereich der von i h m verabschiedeten Gesetze niemals auf das Gebiet der DDR ausgedehnt 300 . (b) Die Bestimmungen des Grundgesetzes (Präambel, A r t . 23, A r t . 146) weisen der Bundesrepublik nur die Stellung eines zeitlichen und räumlichen Provisoriums z u 3 0 1 » 3 0 2 . dem Gebiet der Bundesrepublik selbst ausüben kann" (S. 294 f.), so deutet der nackte Wortlaut dieser Ausführungen auf die „Kernstaatslehre" hin, obwohl sich aus dem ganzen Zusammenhang ergibt, daß der B G H hier die „Bürgerkriegstheorie" i m Auge hatte. 297 Vgl. die oben (Anm. 270) zitierten Sätze aus der regierungsamtlichen Begründung zum Saarstatut vom 23.10.1954. 298 Vgl. oben Anm. 276. 299 Vgl. dazu Wengler S. 50 f. 300 V g l . wengler S. 51 f. 801 Vgl. Mangoldt-Klein, Anm. I I I , l b zur Überschrift, S.23f.; Anm. V I I , 1 zur Präambel, S.47; und Anm. I I I , 2 zu Art. 23, S. 651. — Vgl. auch die Stellungnahme der Niedersächsischen Landesregierung vom 21. 8.1952, in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, I I . Teilband S. 414 f. 802 Darüber hinaus äußert sich das Grundgesetz nicht, „wie es das Verhältnis des von ihm verfaßten Staates zum Deutschen Reich begreift" (Krüger a.a.O. SJZ 1950 Sp. 116). Die wissenschaftliche Diskussion zwischen den Vertretern der Teilordnungslehre und den Anhängern der Identitätstheorie hat ergeben, daß beide Theorien sich mit dem Grundgesetz vereinbaren ließen. (Vgl. die oben — Anm. 209 — zitierte Literatur sowie Scheuner, Art. 146 G G und das Problem der verfassunggebenden Gewalt, D Ö V 1953 S. 581 ff.). Die weitere Frage, ob das Grundgesetz der Bundesregierung verbiete, sich die Meinung der Zweistaatentheorie zu eigen zu machen und die D D R in irgendeiner Form anzuerkennen, braucht an dieser Stelle nicht erörtert zu werden. Die absolut herrschende Meinung ist der Ansicht, daß die Zweistaatentheorie mit dem Grundgesetz nicht vereinbart werden könne: Vgl. statt aller Kaufmann a.a.O. (Anm. 16) S. 19; Abendroth a.a.O., Festschrift für Rudolf

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(c) Drittens darf nicht übersehen werden, daß die demokratische Legitimation der Bundesregierung nur auf der Stimmabgabe eines Teils, aber nicht des gesamten deutschen Volkes beruht. Wenn auch die weitaus überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Mitteldeutschlands i n der Bundesregierung die einzige legitimierte Regierung i n Deutschland sehen mag, so haben diese 17 Millionen doch keine Möglichkeit, auf die Politik der Bundesregierung immittelbar einzuwirken 3 0 3 . Die Bundesregierung ist deshalb nicht befugt, solche weitreichenden und grundlegenden gesamtdeutschen Entscheidungen zu treffen, für die — nach den fundamentalen Auffassungen einer Demokratie — die Legitimation durch a l l e davon Betroffenen eine unabdingbare Voraussetzung i s t 3 0 4 . Diese Schranken, die sich aus dem Gewaltverzicht des „Kalten" B ü r gerkrieges, aus der Vorläufigkeit der Rechtsordnung des Grundgesetzes und aus dem Fehlen einer unmittelbaren Legitimation durch das g e s a m t e deutsche V o l k ergeben, verwehren es der Bundesregierung, eine m i t der organschaftlichen Stellung der ehemaligen Reichsregierung v o l l identische Position einzunehmen und i n demselben Umfang völkerrechtliche Handlungsfähigkeit zu beanspruchen. Somit ist die Bundesregierung kraft der Tatsache, daß sie allein demokratisch legitimiert ist, zwar die d e j u r e Regierung Gesamtdeutschlands und a l l e i n zur völkerrechtlichen Vertretung des Gesamtstaates berufen 3 0 5 . Gleichzeitig aber muß sie auch dem Umstand Rechnung tragen, daß i h r räumlicher Machtbereich von Anfang an auf einen Teil des deutschen Staatsgebietes beschränkt war und daß ihr eine volle Legitimation n u r von einem Teil des deutschen Staatsvolkes übertragen werden konnte; sie kann darum für den Gesamtstaat nur vorläufig und Laun S. 156; sowie die Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts im „KPDUrteil" vom 17.8.1956, BVerfGE 5, 85 (128): Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts wäre der Bundesregierung eine Hinwendung zur Zweistaatentheorie dann, aber auch nur dann gestattet, wenn dadurch die Wiedervereinigung nicht „gehindert oder faktisch unmöglich gemacht" würde. 808 Der Abgeordnete Dr. Arndt hat in der oben (Anm. 218) erwähnten Sitzung des Rechtsausschusses am 19.1.1955 hierzu ausgeführt: „ . . . Das wird auch für die Frage der Legitimation sehr wichtig sein, weil auch die Bundesregierung keine Legitimation für das deutsche Volk als Ganzes besitzt, sondern nur eine Teillegitimation besitzt. Auch der Bundestag besitzt keine demokratische Legitimation für das deutsche Volk als Ganzes, sondern nur eine Teillegitimation, solange die 18 Millionen in der Zone drüben, solange Berlin und solange die Menschen an der Saar nicht zum Bundestag wählen können." 804 Z u solchen weittragenden Entscheidungen gehört jedenfalls der Abschluß eines Friedensvertrages. Vgl. dazu auch v. d. Heydte (a.a.O. F W 50 S. 335 Anm. 17), der indes übersieht, daß diese Feststellung nicht n u r auf dem Boden der Teilordnungslehre getroffen werden kann, sondern gerade auch auf dem Boden einer richtig verstandenen Identitätstheorie, die sich der ihr gezogenen Grenzen bewußt ist. 805 Vgl. oben § 2, Anm. 73. 10*

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Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

treuhänderisch tätig werden und nimmt i n dieser Hinsicht eher die Stellung einer l o k a l e n Regierung e i n 3 0 6 . U m die völkerrechtliche Stellung der Bundesregierung i n der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands zutreffend zu umschreiben, w i r d deshalb vorgeschlagen, sie als eine lokale de jure Regierung zu definieren. Damit ist eine Regierung gemeint, welcher i n der Situation eines „ K a l ten" Bürgerkrieges allein die rechtmäßige Vertretung des gesamten Staates zusteht und die darum mehr als eine de facto Regierung ist, die aber nicht die Absicht hat, diesen Anspruch, der ihr von einer nicht legitimierten Regierung streitig gemacht wird, m i t Waffengewalt durchzusetzen, und die deshalb die faktische Beschränkung ihrer Hoheitsgewalt auf einen Teilbereich des Gesamtstaates hinnimmt und diesen Umstand i n ihrem staats- und völkerrechtlichen Handeln berücksichtigt 3 0 7 . M i t diesem neuen Begriff soll sowohl der Besonderheit der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands Rechnung getragen werden, wie auch den Problemen, die sich ganz allgemein aus dem Faktum einer solchen bürgerkriegsähnlichen Situation ergeben können 3 0 8 . Als „lokale de jure Regierung" übt die Bundesregierung gesamtdeutsche Staatsgewalt aus und ist allein berechtigt, das gesamtdeutsche Völkerrechtssubjekt nach außen zu vertreten 3 0 9 . Doch i n der Ausübimg der i h r zustehenden gesamtdeutschen Staatsgewalt ist sie auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes beschränkt. Die von i h r abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge werden zunächst nur innerhalb des Bundesgebietes wirksam; denn nur auf diesem Territorium hat die Bundes806

Vgl. oben § 2, Anm. 72. I m Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung, die die Rechtslage Deutschlands als das feindliche Nebeneinander einer lokalen de jure Regierung (Bundesregierung) und einer lokalen de facto Regierung (Regierung der DDR) zu deuten sucht, w i l l Abendroth in beiden deutschen Regierungen nur lokale de facto Regierungen sehen: vgl. Abendroth a.a.O. A P 1953 S. 651 und a.a.O. Festschrift für Rudolf Laun S. 160; grundsätzlich ebenso v. d. Heydte a.a.O. F W 50 S. 334 ff. — Gegen Abendroth: Scheuner a.a.O. (Anm..302) S. 584 f. 808 Die Begriffe des „Kalten Krieges" und des „Kalten Bürgerkrieges" stellen ein Novum der Epoche seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges dar. Doch das Völkerrecht wird es nicht vermeiden können, diese neuesten Erscheinungsformen der politischen Praxis zu registrieren und sie in gewissem U m fange in das System seiner Rechtsnormen einzubeziehen. (Vgl. dazu Jessup, Should international law recognize an intermediate status between peace and war?, A J I L 48 [1954] S. 98 ff.) 309 Virally (a.a.O. — Anm. 166 — S. 43 ff.) w i l l der Bundesregierung nur die „vocation", aber nicht das „droit" „à représenter l'Allemagne dans son ensemble" zugestehen, weil ein solches R e c h t der Bundesregierung zu den Vorbehaltsrechten der Vier Mächte in Widerspruch stehe, die auch nach der Herstellung der Souveränität der Bundesregierung erhalten geblieben seien. Da der gesamte Fragenkreis der alliierten Vorbehaltsrechte aus dieser Untersuchung ausgeklammert worden ist (vgl. oben Anm. 150), bleiben diese Ausführungen darauf beschränkt, das gesamtdeutsche Vertretungsrecht der Bundesregierung allein im Hinblick auf die entgegenstehenden Ansprüche der D D R herauszuarbeiten. 807

Die völkerrechtliche Stellung der beiden deutschen Regierungen

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regierung tatsächlich die Möglichkeit, für die Einhaltung der von ihr übernommenen Verpflichtungen Sorge zu tragen 3 1 0 . Darüber hinaus ist die Bundesregierung i n ihrer völkerrechtlichen Vertretungsmacht für Gesamtdeutschland gewissen Beschränkungen unterworfen, die sich daraus ergeben, daß sie nur auf einem Teil des deutschen Staatsgebietes effektive Gewalt auszuüben vermag und daß sie i n ihrer gegenwärtigen politischen Zusammensetzung nicht vom ganzen deutschen Volk legitimiert werden konnte. I n allen gesamtdeutschen Angelegenheiten gebührt i h r daher nur die Stellung einer „Treuhänderin", die zwar sehr weitgehende, aber nicht völlig umfassende Vollmachten besitzt.

§ 12 Die völkerrechtliche Stellung der beiden deutschen Regierungen I m Verlauf der Diskussion über den Beitritt der Bundesrepublik zur Montan-Union und über die Ratifizierung des (ursprünglichen) Deutschlandvertrages und des EVG-Vertrages ist zum erstenmal die Frage nach der völkerrechtlichen Rechtsstellung der beiden deutschen Regierungen aufgeworfen worden, und zwar insbesondere die Frage nach dem U m fang ihrer völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit und die sich daraus ergebende weitere Frage, inwieweit der Gesamtstaat durch die von den beiden Regierungen abgeschlossenen internationalen Verträge berechtigt und verpflichtet werden k a n n 3 1 1 . Diese Fragen lassen sich indes ebensowenig eindeutig beantworten wie die Frage nach der Rechtslage Deutschlands ganz allgemein. Denn je nachdem, ob man von den A n sichten der Zweistaatentheorie ausgeht oder sich von der Auffassung der Bürgerkriegstheorie leiten läßt, w i r d man entweder die beiden Regierungen als die de jure Regierungen zweier verschiedener Staaten, oder aber als die lokale de jure Regierung und die lokale de facto Regierung innerhalb eines durch eine bürgerkriegsähnliche Situation gespaltenen, aber gleichwohl noch einheitlichen Staates ansehen.

1. Die Auffassung Abendroths Als erster hat Wolfgang Abendroth den Umfang der völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit der beiden deutschen Regierungen eingehend unter310

I m Ergebnis ebenso Bathurst-Simpson S. 194 f. Vgl. Carlo Schmid, Die Außenpolitik des Machtlosen, A P 1952 S. 11 ff.; und Abendroth a.a.O. Festschrift für Rudolf Laim S. 145. 811

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Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

s u c h t 3 1 2 . E r g e h t d a b e i — w i e auch v . d. H e y d t e 3 1 3 — v o n d e r A n n a h m e aus, daß n a c h d e r M e i n u n g a l l e r B e t e i l i g t e n i m m e r n o c h e i n e i n h e i t liches gesamtdeutsches V ö l k e r r e c h t s s u b j e k t e x i s t i e r e 3 1 4 u n d daß dieser fortbestehende Gesamtstaat v o n z w e i auf einen Teilbereich beschränkten Regierungen repräsentiert werde, die jeweils gegenüber einem T e i l d e r S t a a t e n d e r V ö l k e r r e c h t s g e m e i n s c h a f t das gesamtdeutsche V ö l k e r r e c h t s s u b j e k t v e r t r ä t e n . A b e n d r o t h v e r s t e h t die b e i d e n R e g i e r u n g e n als „ l o k a l e de facto R e g i e r u n g e n " ( G o u v e r n e m e n t s de f a i t l o c a u x ) 3 1 5 . N a c h d e n a l l g e m e i n a n e r k a n n t e n G r u n d s ä t z e n des V ö l k e r r e c h t s k ö n n e eine l o k a l e de facto R e g i e r u n g z w a r als „ g e s c h ä f t s f ü h r e n d e " V e r t r e t e r i n des Gesamtstaates i n E r s c h e i n u n g t r e t e n ; sie besitze j e d o c h n u r eine „ b e s c h r ä n k t e H a n d l u n g s f ä h i g k e i t " 3 1 6 u n d sei n u r b e f u g t , die „ l a u f e n d e n Geschäfte" des Gesamtstaates z u f ü h r e n 3 1 7 u n d i h n i n diesem R a h m e n z u v e r p f l i c h t e n 3 1 8 . D a r ü b e r h i n a u s sei es i h r aber n i c h t gestattet, i n A n gelegenheiten, d i e d e n v ö l k e r r e c h t l i c h e n S t a t u s des Gesamtstaates b e rühren, bindende Verpflichtungen 319 einzugehen320. Aus derartigen A b m a c h u n g e n k ö n n t e n k e i n e Rechtsansprüche gegen d e n G e s a m t s t a a t h e r g e l e i t e t w e r d e n , z u m a l da d e r V e r t r a g s p a r t n e r d e n C h a r a k t e r der 312 Vgl. Abendroth a.a.O., Festschrift für Rudolf Laun S. 145 ff., und a.a.O., A P 1953 S 645 ff 313 v. d. Heydte (a.a.O., F W 50 S. 333 ff.) und Mangoldt-Klein (Anm. V I , 6 zur Überschrift, S. 38) kommen im wesentlichen zu denselben Ergebnissen wie Abendroth; ebenso Schneider, Die rechtlichen Probleme einer Saarlösung (Baden-Baden 1954) S. 19 ff. 314 Vgl. die ausführlichen Darlegungen von Abendroth (a.a.O., Festschrift für Rudolf Laun S. 154 ff.), aber siehe auch oben Anm. 82. 315 Vgl. Abendroth a.a.O., Festschrift für Rudolf Laun S. 160, und a.a.O. A P 1953 S. 651; (dagegen Scheuner a.a.O. — Anm. 302 — S. 584 f.). Ebenso Kurt v. Laun: „The governments of both republics may be regarded as de facto governments" (a.a.O. S. 272), und Guggenheim: „Le gouvernement de la République fédérale aussi bien que celui de la République démocratique ont le caractère de gouvernements locaux de f a i t . . . " (Guggenheim, Les principes de droit international public, Ree 80 [1952 I] S. 1 ff. [S. 88]). — (Zum Begriff des „Gouvernement de fait local" siehe Gemma S. 403 ff. sowie oben § 2). — Ähnlich auch Sperduti, Dalla disfatta della Germania agli accordi contrattuali di Bonn, in: La Comunità Internazionale, Vol 7 (1952), S. 568 ff. 316 v. d. Heydte a.a.O. F W 50 S. 334. 317 Vgl. oben § 2, Anm. 72. Siehe auch Alcala-Zamora y Torres, La guerra civil ante el derecho internacional, in: Revista de la Facultad de Derecho de Mexico, Tomo 2 (1952) No. 8 S. 113 ff. (S. 169). 318 So z. B. durch die i m ECA-Abkommen vom 15.12.1949 (BGBl. 1950 S. 9) eingegangenen Schuldverpflichtungen (vgl. Art. I Abs. 3 S. 1 dieses Abkommens). 319 Solche „statusverändernden" Verpflichtungen sind z. B. im Abkommen über die Oder-Neiße-„Friedensgrenze" vom 6.7.1950 (vgl. unten Anm. 325) oder in den sogenannten „Intégrations ver trägen" der Bundesrepublik (vgl. unten Anm. 326) enthalten. 320 Ebenso Schneider a.a.O. (Anm. 293) S. 7003 ff. Er unterscheidet zwischen der „Wahrnehmung gesamtdeutscher Interessen" und der „Ausübung gesamtdeutscher Funktionen". Die „Wahrnehmung gesamtdeutscher Interessen" sei eine wichtige Aufgabe und Pflicht der Bundesregierung, die „Ausübung gesamtdeutscher Funktionen" sei ihr dagegen nicht gestattet.

Die völkerrechtliche Stellung der beiden deutschen Regierungen

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betreifenden Regierung als lokaler de facto Regierung gekannt habe und diese Folge deshalb billigerweise m i t i n Kauf nehmen müsse 3 2 1 . Der gesamtdeutsche Staat, d. h. ein wiedervereinigtes Deutschland wäre nach dieser Lehre, die die Bundesregierung und die Regierung der DDR als lokale de facto Regierungen ansieht, zwar an diejenigen Verträge der beiden Republiken gebunden, „die zur Führung der laufenden Geschäfte . . . eingegangen werden müssen" 3 2 2 , i n keinem Falle aber an die Bündnisverträge, Grenzabkommen oder sonstigen „statusverändernden" Vereinbarungen, die von einer der beiden Regierungen abgeschlossen worden s i n d 3 2 3 » 3 2 4 . Ebenso wie die Teilordnungslehre, von deren Gedankengängen sie stark beeinflußt ist, zeigt die Auffassung Abendroths zwar eine ursprünglich vertretbare theoretische Möglichkeit auf, sie entspricht jedoch nicht dem Selbstverständnis der beiden beteiligten Regierungen und steht damit i m Gegensatz zur Staatenpraxis. Denn keine der beiden Regierungen sieht sich lediglich als eine nur beschränkt handlungsfähige lokale de facto Regierung i n einem Teil Deutschlands an. Vielmehr glaubt die Regierung der DDR, die de jure Regierung eines eigenen m i t teldeutschen Staates zu sein, während die Bundesregierung sich für die, allerdings gewissen „lokalen" Beschränkungen unterworfene, de jure Regierung Gesamtdeutschlands hält. M i t der Anerkennung der sogenannten Oder-Neiße-„Friedensgrenze" durch die D D R 3 2 5 und mit dem Abschluß der „Integrationsverträge" 3 2 6 821 Abendroth a.a.O., Festschrift für Rudolf Laun S. 162; Schneider a.a.O. (Anm. 313) S. 26 f. — Vgl. dazu auch Podestá Costa S. 10 ff.; er schreibt: „Claro está que siempre que los hechos no impongan otra cosa será prudente no concertar tratados de importancia con un gobierno de facto" (a.a.O. S. 16). 822 Abendroth a.a.O., Festschrift für Rudolf Laun S. 161; vgl. dazu im einzelnen Abendroth, daselbst S. 161 f. 828 Abendroth a.a.O., Festschrift für Rudolf Laun S. 162 f. 824 I m wesentlichen zu demselben Ergebnis kommen Krüger a.a.O. S. 21 ff. (— vgl. über seine „dualistische" Theorie oben Anm. 216 —) und Heinrich Schneider (vgl. oben Anm. 320). 825 Vgl. das Abkommen vom 6. 7.1950 (Dokumente der D D R I S. 342 f. und E A 1950 S. 3330 f.). Die Formulierimg dieses Abkommens deutet allerdings darauf hin, daß die Regierung der DDR bei seinem Abschluß als gesamtdeutsche de jure Regierung handeln wollte; denn Art. 1 des Abkommens spricht nicht von der Grenze zwischen der „DDR" und Polen, sondern von der Grenze zwischen „Deutschland" und Polen. Doch kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die Regierung der DDR sich heute nur noch als die de jure Regierung eines eigenen mitteldeutschen Staates versteht und aus dieser völkerrechtlichen Rechtsstellung, die sie beansprucht, die Berechtigung zur definitiven vertraglichen Festlegung ihrer Ostgrenze herleitet. 828 Montan-Union (Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951, BGBl. 1952 I I S.445); — Beitritt zur Westeuropäischen Union und zum Nordatlantikvertrag am 23.10.1954 (BGBl. 1955 I I S. 256); — Gemeinsamer M a r k t und Euratom (Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. 3. 1957, BGBL 1957 I I S. 753).

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Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

seitens der Bundesregierung haben die beiden Regierungen die einer lokalen de facto Gewalt gesetzten Grenzen überschritten; sie haben dam i t deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie als de jure Regierungen gelten und als grundsätzlich unbeschränkt handlungsfähige Partner am völkerrechtlichen Verkehr teilnehmen w o l l e n 3 2 7 . „Keine noch so geistvolle Theorie" darf aber, wie Verdroß bemerkt, „die Überzeugungen der beteiligten Staatsmänner übersehen" 3 2 8 . Die Meinung Abendroths wies zwar ursprünglich einen der denkbaren und theoretisch möglichen Wege zur Lösung des Problems; doch die Staatenpraxis hat diesen Weg nicht beschritten 3 2 9 . Damit ist die Auffassung von den beiden lokalen de facto Regierungen, ebenso wie die Teilordnungslehre, zur „bloßen Theorie" geworden, die sich nicht mehr aufrechterhalten läßt.

2. Die Auffassung der Zweistaatentheorie Nach der Auffassung der Zweistaatentheorie sind aus der Dismembration des Deutschen Reiches zwei souveräne Neustaaten hervorgegangen, die Bundesrepublik und die DDR. I n Übereinstimmung damit versteht sich die Regierung der DDR als die de jure Regierung eines eigenen mitteldeutschen Staates, die i n ihrem Bereich völkerrechtlich unbeschränkt handlungsfähig i s t 3 3 0 . Da indes die besonderen Gegebenheiten der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands die Schlußfolgerung nahelegen, daß die beiden Republiken auf ihre Auflösung und den Zusammenschluß i n einem gesamtdeutschen Staat hin ausgerichtet sind, mag man vom Boden der modifizierten Zweistaatentheorie 3 3 1 aus erwägen, ob nicht jeder der beiden Staaten auch schon vor der Wiedervereinigung ein gewisses Einspruchs- und M i t spracherecht besitzt, wenn der andere deutsche Staat Verträge abschließt, die entweder den territorialen Besitzstand des zu bildenden Gesamtstaates wesentlich verändern oder aber seinen zukünftigen völkerrechtlichen Status erheblich beeinflußen könnten. I n diese Richtung deutet der von der Regierung der DDR erhobene Anspruch, bei der Regelung der Saarfrage m i t z u w i r k e n 3 3 2 . Es wäre je827 Diese Auffassung wird offensichtlich von den Regierungen aller derjenigen Staaten geteilt, die mit der Bundesrepublik oder mit der D D R solche „statusverändernden", der Kompetenz einer lokalen de facto Regierung entzogenen Verträge geschlossen haben. 828 Verdross a.a.O. ArchVR 3 S. 136. 829 Allein die politische Praxis der finnischen Regierung entspricht i m E r gebnis den Ansichten dieser Theorie (vgl. unten § 17,4). 3so v g l Art. 1 Abs. 2 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der D D R und der UdSSR vom 20. 9. 1955 (GBl. der DDR 1955 I S. 917). 881 die wohl die offizielle Auffassung der Regierung der D D R ist (vgl. oben

9 10). 882

Vgl. oben Anm. 191 und Anm. 202.

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doch v e r f r ü h t , h i e r b e r e i t s e i n e n v o n d e r ( m o d i f i z i e r t e n ) Z w e i s t a a t e n theorie k l a r f o r m u l i e r t e n Grundsatz entdecken zu wollen. P r i n z i p i e l l g e h t d i e Z w e i s t a a t e n t h e o r i e v i e l m e h r d a v o n aus, daß d i e b e i d e n R e g i e r u n g e n als die de j u r e R e g i e r u n g e n z w e i e r s o u v e r ä n e r S t a a t e n v ö l k e r r e c h t l i c h u n b e s c h r ä n k t h a n d l u n g s f ä h i g seien u n d daß i m F a l l e d e r W i e d e r v e r e i n i g u n g D e u t s c h l a n d s d i e F r a g e n a c h d e r B i n d u n g des n e u e n Gesamtstaates a n d i e v o n d e n b e i d e n R e g i e r u n g e n abgeschlossenen V e r t r ä g e a l l e i n n a c h d e n a l l g e m e i n e n R e g e l n des V ö l k e r r e c h t s ü b e r S t a a t e n sukzessionen b e u r t e i l t w e r d e n k ö n n e 3 3 3 . D e r Z u s a m m e n s c h l u ß z w e i e r S t a a t e n k a n n sich i n verschiedenen r e c h t lichen F o r m e n vollziehen. F ü r die Frage der W e i t e r g e l t u n g der v o n den b e i d e n S t a a t e n getroffenen v ö l k e r r e c h t l i c h e n V e r e i n b a r u n g e n ergeben sich daraus u n t e r s c h i e d l i c h e K o n s e q u e n z e n : (1) Bundesrepublik und DDR vereinigen sich zu einem neuen gesamtdeutschen Staat. Durch die Verschmelzung gehen beide Staaten unter; gleichzeitig entsteht ein neues Völkerrechtssubjekt. I n diesem Falle würde der wiedervereinigte Gesamtstaat grundsätzlich 384 weder an die Verträge der Bundesrepublik noch an die Abmachungen der D D R gebunden sein 335 . (2) Die DDR wird in die Bundesrepublik inkorporiert. Der Gesamtstaat ist mit der Bundesrepublik identisch, während die DDR als Völkerrechtssubjekt untergeht 338 . Die internationalen Vereinbarungen der Bundesrepublik würden dann weiterhin in Kraft bleiben. Die vertraglichen Rechte und Pflichten der D D R würden dagegen grundsätzlich 337 erlöschen 838 . (3) Die Bundesrepublik geht in der D D R auf. Die Völkerrechtspersönlichkeit der D D R bleibt erhalten, die Bundesrepublik verliert ihre Rechtssubjektivität. Der mit der DDR identische Gesamtstaat würde in diesem Falle an alle Abkommen der DDR gebunden sein, während die Verträge der Bundesrepublik hinfällig würden 8 8 9 . 838 Vgl. dazu im einzelnen Schönborn a.a.O.; Guggenheim, Staatenwechsel; Castren a.a.O.; O'Connell a.a.O.; Verdross S. 216 ff.; Guggenheim I S. 421 ff.; Fenwick S. 151 ff.; Oppenheim-Lauterpacht I S. 156 ff.; Scheuner, Funktionsnachfolge S. 16 f.; und Brandweiner a.a.O. D A P 1956 S. 496 ff. 334 d. h. mit Ausnahme der nur einen Gebietsteil betreffenden Verträge, wie Grenzverträge u. ä. m. (vgl. Verdroß S. 219 mit Anm. 4). 885 Grewe a.a.O., A P 1955 S. 12; Bathurst-Simpson S. 192; vgl. ausführlich Schönborn S. 114 f. mit weiteren Nachweisen. — Soweit der gesamtdeutsche Staat einzelne Verträge der Bundesrepublik oder der DDR — mit Zustimmung des jeweiligen Kontrahenten — dennoch aufrechterhalten und weiter erfüllen würde, läge — streng juristisch — ein neuer Vertrag vor. 338 Z u diesem Ergebnis führen in letzter Konsequenz die sogenannten Kernstaatslehren, die ja nur eine Abart der Zweistaatentheorie sind. Denn i m Unterschied zu der von der Bürgerkriegstheorie vorgestellten Form der Wiedervereinigung würde die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands hier nicht durch den „Sieg über eine Aufständische Partei", sondern durch die „Annexion des abgespaltenen Staates DDR" — der vorübergehend ein eigenes Völkerrechtssubjekt gewesen ist — erfolgen. 337 Vgl. oben Anm. 334. 838 Vgl. im einzelnen Schönborn S. 85 ff. und S. 92 ff. mit weiteren Nachweisen sowie Oppenheim-Lauterpacht I S. 158 f. 330 v g l oben Anm. 338. — Schließlich könnte man sich die Wiedervereinigung auch noch als den Zusammenschluß von Bundesrepublik und D D R innerhalb eines fortbestehenden „Reichsrahmens" vorstellen, dessen niemals unter-

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3. Die Auffassung der Identitätstheorie Die Identitätstheorie n i m m t an, daß die Einheit des deutschen Gesamtstaates bisher erhalten geblieben sei und nur durch die Dismembrationsabsichten 3 4 0 der Regierung der DDR bedroht werde. Diese Regierimg besitze indes keine demokratische Legitimation und könne deshalb i n ihrer völkerrechtlichen Stellung nur m i t einer illegalen Bürgerkriegspartei verglichen werden. Die Bundesregierung erhebt darum den A n spruch, die legitime de jure Regierung Gesamtdeutschlands und somit die alleinige rechtmäßige völkerrechtliche Vertreterin des Gesamtstaates zu sein 3 4 1 . Sie trägt ihrer faktisch begrenzten Machtstellung jedoch dadurch Rechnung, daß sie — als lokale de jure Regierung — gewisse Beschränkungen ihrer staats- und völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit anerkennt. Sollte die Ansicht der Identitätstheorie sich durchsetzen können, so w i r d sich die Wiedervereinigung juristisch als Wegfall der Quasi — A u f ständischen Gewalt i n der sowjetischen Besatzungszone und als Ausdehnung des Machtbereiches der vorerst auf das Gebiet der drei Westzonen beschränkten de jure Staatsgewalt auf ganz Deutschland darstellen. Die auf umfassender räumlicher Grundlage gebildete, nunmehr unmittelbar durch das gesamte deutsche Volk legitimierte neue gesamtdeutsche Regierung w i r d dann als Rechtsnachfolgerin der Bundesregierung i n ihrer organschaftlichen Stellung m i t dieser identisch sein. Damit ist klargestellt, daß nach einer gemäß den Vorstellungen der Identitätstheorie erfolgten Wiedervereinigung der gesamtdeutsche Staat grundsätzlich an die von der Bundesregierung als der (vorläufigen) deutschen de j u r e Regierung i m Namen des gesamtdeutschen Staates abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge gebunden sein wird. Da diese Verträge indes von einer „lokal" beschränkten Regierung nur m i t W i r kung für einen räumlich begrenzten Bereich des deutschen Staates eingegangen worden sind, werden sie nicht automatisch auf den wiedervereinigten Gesamtstaat erstreckt werden können. Vielmehr w i r d das Prinzip der „Clausula rebus sie stantibus" 3 4 2 sehr weitgehend berückbrochene rechtliche Existenz dabei anerkannt und dessen „gegenwärtig schlummernde" (Grewe A P 1955 S. 12) Völkerrechtssubjektivität mit der Wiedervereinigung zu neuem Leben erweckt werden würde. Das Schicksal der von den beiden Regierungen in der Zwischenzeit abgeschlossenen Verträge würde i m einzelnen nach der oben dargestellten Lehre von Abendroth zu beurteilen sein. Daß diese Möglichkeit zur Zeit allerdings von keiner der beteiligten Regierungen ins Auge gefaßt wird, ist oben schon erwähnt worden. 840 bzw. Separationsabsichten. 841 Vgl. oben § 2 mit Anm. 67 und Anm. 73. 842 Vgl. dazu Anzilotti S. 376 ff.; Brierly S. 260 ff.; Guggenheim I S. 110 ff.; Kelsen, Principles S. 358 ff.; Oppenheim-Lauterpacht I S. 938 ff.; Ross S. 211 ff.; Verdroß S. 153 ff.; sowie Codification of International Law, Part I I I : L a w of Treaties, Art. 28: Rebus sie stantibus, A J I L 29 (1935) Supplement S. 1096 ff.

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sichtigt werden müssen, insbesondere deshalb, weil die Bundesregierung zur Zeit des Vertragsabschlusses i n unmittelbarer freier Wahl n u r von einem Teil des deutschen Volkes legitimiert werden konnte und darum nur eine Teillegitimation 3 4 3 besaß. Zumindest hinsichtlich solcher grundlegender, statusbestimmender Verträge, die nach den fundamentalen Auffassungen einer Demokratie stets der Billigung durch die Mehrheit aller von ihren Auswirkungen Betroffenen bedürfen, w i r d die Bundesregierung i n eine Erstreckung auf den Gesamtstaat nur dann einwilligen können, wenn sie der nachträglichen Zustimmung des ganzen deutschen Volkes zu diesen Verträgen sicher ist. Andernfalls muß es ihr gestattet sein, sich unter Berufung auf die Clausula rebus sie stantibus von ihren Verpflichtungen loszusagen 344 . Soweit die Verträge, die auf den Gesamtstaat erstreckt werden sollen, gerade i m Hinblick auf die bürgerkriegsähnliche Situation i n Deutschland und auf die räumliche Beschränkung des Machtbereichs der Bundesregierung abgeschlossen worden sind 3 4 5 , w i r d darüber hinaus der sonst wenig problematische „Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen 3 4 6 nur sehr bedingt Anwendung finden können 3 4 7 . Der gesamtdeutsche Staat w i r d an solche Verträge nur insoweit gebunden sein, als sie „ihrer Natur und ihrem Inhalt nach für eine Erstreckung auf Gesamtdeutschland i n Frage kommen und eine solche Erstreckung nach dem Willen der vertragschließenden Parteien nicht ausgeschlossen sein s o l l t e " 3 4 8 » 3 4 9 . 843

Vgl. im einzelnen oben Anm. 303. Die Beschränkung der gesamtdeutschen Vertretungsmacht der Bundesregierung, durch die ihr die Stellung einer Treuhänderin mit zwar sehr weitgehender, aber doch nicht völlig umfassender Vollmacht zugewiesen wird, ergibt sich einmal aus der durch die Bestimmungen der Präambel und des Art. 146 des Grundgesetzes festgelegten verfassungsrechtlichen Bindung der Bundesregierung, zum andern aber auch aus dem Prinzip der demokratischen Legitimation, aus dem die Bundesregierung ihre gesamtdeutsche Rechtsstellung herleitet und das ihr darum auch die Verpflichtung auferlegt, die Tatsache zu berücksichtigen, daß die 17 Millionen Menschen in Mitteldeutschland weder tatsächlich noch rechtlich irgendeine Möglichkeit hatten, an den Wahlen zum westdeutschen Bundestag teilzunehmen und dadurch auf die Vertragspolitik der Bundesregierung einen Einfluß auszuüben. Bevor der Lebensbereich dieser Menschen von unwiderruflich festgelegten vertraglichen Verpflichtungen betroffen wird, muß ihnen deshalb hinsichtlich der zu erstreckenden Verträge ein gewisses Mitentscheidungsrecht eingeräumt werden. 845 So z. B. die Pariser Vertragswerke vom 23.10.1954 (BGBl. 1955 I I S. 213 und 301, S. 253 und S. 256). 846 Vgl. dazu Anzilotti S. 170; Guggenheim I S. 425 f.; Verdroß S. 218; sowie: Codification of International Law, Part I I I : L a w of Treaties, Art. 26: Effect Of territorial changes, A J I L 29 (1935) Supplement S. 1066if.; und Marek S. 15ff.; weitere Nachweise bei Scheuner, Funktionsnachfolge S. 16 Anm. 18. 847 Vgl. i m einzelnen Grewe a.a.O., A P 1955 S. 12 ff. Der Auffassung Grewes hat sich auch der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages für die Pariser Vertragswerke, Professor Furier, angeschlossen (2. B T Drucks. 1200 S. 9). 348 Grewe a.a.O., A P 1955 S. 12. 849 Nur mit der Maßgabe, daß im Falle der Wiedervereinigung die Clausula rebus sie stantibus die Überprüfimg der statusbestimmenden Verträge der 344

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M i t der Erörterung der Frage, inwieweit der deutsche Gesamtstaat nach der Wiedervereinigung 3 5 0 an die von der Bundesregierung abgeschlossenen Verträge gebunden sein wird, ist bereits auch die Frage beantwortet, i n welchem Umfang eine lokale de jure Regierung nach A u f fassung der Identitätstheorie völkerrechtlich handlungsfähig ist und den Gesamtstaat nach außen vertreten kann. Danach muß die Bundesregierung — als die einzige deutsche de jure Regierung — zwar grundsätzlich „als staats- und völkerrechtlich befugt angesehen werden, völkerrechtliche Verträge einzugehen, die den deutschen Staat auch über die Zeit seiner gegenwärtigen provisorischen Gestalt hinaus verpflichten" 3 5 1 . Da aber die Bundesregierung — als „lokale de jure Regierung" — keine allumfassende, sondern nur eine, allerdings sehr weitreichende, treuhänderische Vertretungsmacht für Gesamtdeutschland innehat, ist sie nicht befugt, Verträge abzuschließen, die später nicht mehr mit Hilfe der Clausula rebus sie stantibus aufgehoben oder mindestens modifiziert und an die veränderten Verhältnisse angepaßt werden können, falls die künftige, vom g e s a m t e n deutschen Volk frei gewählte gesamtdeutsche Regierung eine solche Aufhebung oder Modifizierung wünschen sollte 3 5 2 . Derartige Verträge, die das Gesamtvolk seines Mitbestimmungsrechtes unwiderruflich berauben w ü r den, w e i l sie von vornherein einen endgültigen und unabänderlichen Charakter besitzen, also z. B. ein Friedensvertrag oder ein endgültiger Bundesregierung vor ihrer Erstreckung auf Gesamtdeutschland ermöglichen wird und daß darüber hinaus der „Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen" nicht vorbehaltlos Anwendung finden kann, ist die Auffassung v. d. Heydtes (a.a.O., Veröff. d. Vgg. d. dt. StRL Heft 13 S. 20) zutreffend, daß die von der Bundesregierung abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge nach den Vorstellungen der Identitätstheorie für den Gesamtstaat „notwendig bindende Wirkung" entfalten würden. 850 sofern sie sich in den von der Identitätstheorie vorgestellten Formen vollzieht. 851 Grewe a.a.O., A P 1955, S. 11. 852 I m allgemeinen trägt die Bundesregierung der Beschränkung ihrer völkerrechtlichen Vertretungsmacht und der Vorläufigkeit ihres Handelns für Gesamtdeutschland auch Rechnung. So hat der Leiter der deutschen Delegation bei den Brüsseler Verhandlungen über die Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft am 28. 2. 1957 die folgende Erklärung zu Protokoll gegeben: „Die Bundesregierung geht von der Möglichkeit aus, daß im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands eine Uberprüfung der Verträge über den Gemeinsamen M a r k t und Euratom stattfindet" (2. B T Drucks. 3660 S. 11). — Ebenso hatte die Bundesregierung in dem deutsch-französischen Abkommen vom 23.10.1954 über das Statut der Saar (BGBl. 1955 I I S.295) nicht e n d g ü l t i g auf diesen Teil des gesamtdeutschen Staatsgebietes verzichtet, sondern nur der v o r l ä u f i g e n Errichtung eines europäischen Statuts „bis zum Abschluß eines Friedensvertrages" zugestimmt (vgl. Art. I, V I I I und I X dieses Abkommens). — Vgl. auch Art. 10 des Deutschlandvertrages vom 26.5.1952/23.10.1954 in der Fassung der Bekanntmachung vom 30.3.1955 (BGBl. I I S. 301).

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G e b i e t s v e r z i c h t i m N a m e n G e s a m t d e u t s c h l a n d s 3 5 8 , s i n d infolgedessen der Kompetenz der Bundesregierung entzogen354. Hinsichtlich aller ü b r i g e n V e r e i n b a r u n g e n k o m m t i h r dagegen d i e v o l l e v ö l k e r r e c h t l i c h e Vertretungsmacht f ü r Gesamtdeutschland z u 3 5 5 . D i e Regierung der D D R ist nach Auffassung der Identitätstheorie n i c h t s w e i t e r als e i n e u n r e c h t m ä ß i g e „ Q u a s i — A u f s t ä n d i s c h e G e w a l t " u n d l o k a l e de facto R e g i e r u n g , d i e n a c h der W i e d e r v e r e i n i g u n g ersatzlos w e g f a l l e n w i r d . Sie k a n n deshalb r e c h t m ä ß i g ü b e r h a u p t n i c h t f ü r d e n Gesamtstaat t ä t i g werden u n d i h n vor allem nicht völkerrechtlich vert r e t e n 3 5 6 . So w e r d e n auch d i e v o n d e r R e g i e r u n g d e r D D R abgeschlossenen v ö l k e r r e c h t l i c h e n V e r t r ä g e , w e n n d i e W i e d e r v e r e i n i g u n g sich i n d e n v o n d e r I d e n t i t ä t s t h e o r i e v o r g e s t e l l t e n F o r m e n v o l l z i e h e n sollte, ü b e r h a u p t k e i n e W i r k u n g e n t f a l t e n u n d d e n Gesamtstaat i n k e i n e r Weise b i n d e n 3 5 7 . 853

Vgl. dazu auch Schneider a.a.O. EA 1954 S. 7006. Aus diesem Grunde sind seinerzeit mit vollem Recht sehr ernste Bedenken gegen die Formulierung des Art. 103 des Entwurfes eines Vertrages über die Satzung der Europäischen (Politischen) Gemeinschaft vom 10. 3.1953 (EA 1953 S. 5669 ff.) geltend gemacht worden. 855 I n der oben (Anm. 218) erwähnten Sitzung des Rechtsausschusses am 19.1.1955 hat der Abgeordnete Dr. Arndt ausgeführt: „Daraus (— d. h. aus der fehlenden Gesamtlegitimation der Bundesregierung —) folgt dann eine insoweit nur treuhänderische Stellung (— der Bundesorgane —), daß zwar diese Verfassungsorgane verpflichtet sind, die Interessen des ganzen deutschen Volkes und des Staates Deutschland noch wahrzunehmen, aber nicht berechtigt sind, solche Bindungen einzugehen, zu denen man einer Legitimation durch das Gesamtvolk bedarf. . . . Der Treuhänder hat niemals die gesamten Rechte . . . ; er hat nie die Stellung des Vertretenen; er hat immer die Stellung, daß sich Rechte und Pflichten nicht decken, und daß seine Pflichten weiter gelten als seine Rechte, und das ist auch für die Verfassungsorgane hier i m Geltungsbereich des Grundgesetzes der Fall." Es scheint uns indes, daß Arndt in seiner Argumentation die Stellung der Bundesregierung, die allein demokratisch legitimiert ist und darum beanspruchen kann, die einzige de jure Regierung in Deutschland zu sein, zu eng umschrieben hat. — Als die de jure Regierung Deutschlands, der die gesamtdeutsche Legitimation nur infolge von Umständen fehlt, die sie nicht zu vertreten hat, muß die Bundesregierung grundsätzlich als zum Abschluß aller völkerrechtlichen Verträge befugt angesehen werden. Dieses Recht findet seine Grenze erst dort, wo die besondere Natur der in Betracht kommenden Verpflichtungen eine spätere Anwendung der Clausula rebus sie stantibus gänzlich ausschließt und wo damit das Gesamtvolk seines Mitbestimmungsrechtes unwiderruflich beraubt würde. (Ob ein unter eindeutiger Überschreitung der auch einer lokalen de jure Regierung zustehenden sehr weitgehenden Vertretungsmacht abgeschlossener Vertrag völkerrechtlich gültig und verbindlich sein würde oder nicht, ist eine an dieser Stelle nicht zu erörternde Frage. Vgl. zu diesem Problem Verdroß S. 135 ff. und Oppenheim-Lauterpacht I S. 889 f., beide mit weiteren Literaturnachweisen.) 858 Vgl. dazu im einzelnen oben § 2,3. 857 Vgl. oben § 2, Anm. 77. Eine Ausnahme machen indes die zur Regelung der „laufenden Angelegenheiten" des mitteldeutschen Gebietes getroffenen Abmachungen (vgl. oben § 2, Anm. 72). 354

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Z u s a m m e n f a s s e n d m u ß festgestellt w e r d e n , daß m a n g e g e n w ä r t i g k e i n e a l l g e m e i n g ü l t i g e Aussage d a r ü b e r m a c h e n k a n n , ob u n d i n w e l chem U m f a n g der Gesamtstaat nach der Wiedervereinigung an die v o n d e n b e i d e n deutschen R e g i e r u n g e n i n d e r Z w i s c h e n z e i t abgeschlossenen v ö l k e r r e c h t l i c h e n V e r t r ä g e g e b u n d e n u n d d u r c h sie b e r e c h t i g t oder v e r p f l i c h t e t sein w i r d . D e n n d i e B e a n t w o r t u n g dieser F r a g e h ä n g t ganz u n d g a r „ v o n d e r staats- u n d v ö l k e r r e c h t l i c h e n F o r m ab, i n d e r sich d i e W i e d e r v e r e i n i g u n g v o l l z i e h e n w i r d " 3 5 8 u n d d a v o n , i n w e l c h e m M a ß e die Auffassungen der Identitätstheorie oder der Zweistaatenlehre (— h i n t e r d e n e n d i e p o l i t i s c h e n A n s p r ü c h e der b e i d e n deutschen R e g i e r u n g e n steh e n — ) sich d a b e i durchzusetzen v e r m ö g e n 3 5 9 .

§ 13 Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung A l s Ergebnis der Untersuchung über die gegenwärtige

Rechtslage

Deutschlands m u ß folgendes f e s t g e h a l t e n w e r d e n 3 6 0 : (1) Die Frage, ob das im Jahre 1871 861 gegründete Deutsche Reich fortbestehe oder ob es durch Dismembration untergegangen sei, und die Frage, ob es heute einen oder zwei deutsche Staaten gebe, können beide nicht eindeutig beantwortet werden. Je nachdem, ob man sich in seiner rechtstheoretischen Grundhaltung vom Prinzip der Legitimation oder vom Grundsatz der reinen Effektivität leiten läßt, wird man entweder die Einheit Deutschlands als rechtlich fortbestehend ansehen dürfen oder aber die Existenz zweier deutscher Staaten als gegeben hinnehmen müssen. (2) Die Z w e i s t a a t e n l e h r e (oder D i s m e m b r a t i o n s t h e o r i e ) , die sich allein an den „realen Tatsachen" orientiert, nimmt an, daß die Dismembration Deutschlands vollzogen sei und daß auf dem Boden des untergegangenen Deutschen Reiches zwei neue Staaten entstanden seien. Sofern man den Ausgangspunkt dieser Auffassung — das Effektivitätsprinzip — Aus diesem Grunde wäre auch der Abschluß eines separaten Friedensvertrages zwischen der D D R und den Staaten des Sowjetblocks für die Vertreter der Identitätstheorie unbeachtlich, da sich nach dieser Auffassimg dadurch an der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands nichts ändern würde. 358 Grewe a.a.O., A P 1955 S. 11. 859 Diese Tatsache hat Wilhelm Grewe als erster klar erkannt: vgl. seinen grundlegenden Aufsatz über „Die Wiedervereinigungsfrage in den Pariser Verträgen" (AP 1955 S. 5 ff.). Grewes Betrachtungsweise stellt einen entscheidenden Fortschritt gegenüber den Auffassungen Abendroths und v. d. Heydtes dar (vgl. oben Anm. 312 und Anm. 313), die beide glaubten, schon jetzt eine eindeutige und endgültige Antwort auf die Frage nach der künftigen Bindung des Gesamtstaates an die von den beiden deutschen Regierungen abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge geben zu können. Vgl. zum ganzen auch Rumpf a.a.O., EA1957 S. 9730 f. 880 Vgl. zum folgenden auch die ganz ausgezeichnete übersichtliche Darstellung von Vocke a.a.O. S. 10199 ff. 881 bzw. i m Jahre 1867 (vgl. oben § 2, Anm. 11).

Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung

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als „richtig" unterstellt, ist sie juristisch voll und ganz vertretbar und gibt eine „richtige" Antwort auf die Frage nach der Rechtslage Deutschlands 862 . (3) Die Z w e i s t a a t e n l e h r e kann auch in der Form der S e p a r a t i o n s t h e o r i e vertreten werden. Diese nimmt nicht an, daß das Deutsche Reich durch Dismembration untergegangen sei, sondern glaubt, daß es in der mit ihm identischen Bundesrepublik Deutschland fortbestehe, während die DDR ein durch Abspaltung (separatio) entstandener Neustaat sei. Die Separationstheorie, die theoretisch ebenso vertretbar ist wie die Dismembrationstheorie, hat bisher noch keinen Eingang in die Staatenpraxis gefunden. (4) I n der S t a a t e n p r a x i s wird die Zweistaatenlehre (in der Form der Dismembrationstheorie) von der D D R u n d d e n S t a a t e n d e s O s t b l o c k s vertreten. Diese sehen in D D R und Bundesrepublik zwei souveräne Staaten, die unabhängig nebeneinanderständen und deren gegenseitige Beziehungen völkerrechtlicher (und nicht staatsrechtlicher) Natur seien; allerdings begründe die gemeinsame gesamtdeutsche Zielsetzung, zu der beide Regierungen sich bekennen, zwischen ihnen ein völkerrechtliches Verhältnis besonderer Art. Damit vertritt die DDR eine Auffassung, die als „modifizierte Zweistaatentheorie" bezeichnet werden kann, weil sie zwar die Dismembration des Deutschen Reiches für vollzogen erachtet, aber dennoch das Fortbestehen einer die beiden Staaten in besonderer Weise verbindenden historisch-politischen Einheit Deutschlands anerkennt. (5) Die I d e n t i t ä t s t h e o r i e , die man besser als B ü r g e r k r i e g s t h e o r i e bezeichnen sollte 368 , nimmt an, daß der deutsche Gesamtstaat als rechtlich ungeteilte Einheit fortdauere, weil die Entstehung zweier deutscher Staaten in offenem Widerspruch zum Willen des deutschen Volkes stehe und daher jeder Legitimation entbehre; die tatsächliche Spaltung und die faktische Existenz zweier Regierungen kann von dieser Theorie mit der Hypothese eines „Kalten Bürgerkrieges" zufriedenstellend erklärt werden. Sofern man den Ausgangspunkt dieser Auffassung — das Legitimationsprinzip — als „richtig" unterstellt, ist sie, ebenso wie die Zweistaatentheorie, juristisch voll und ganz vertretbar und gibt eine „richtige" Antwort auf die Frage nach der Rechtslage Deutschlands. Die Bürgerkriegstheorie beruht auf der Überlegung, daß nur eine der beiden deutschen Regierungen, nämlich die Bundesregierung, demokratisch legitimiert ist. Deshalb habe nur die Bundesregierung die Befugnis, den Gesamtstaat als dessen de jure Regierung völkerrechtlich zu vertreten; die Regierung der DDR, die die Bundesregierung an der Ausübung der de jure Staatsgewalt in g a n z Deutschland hindert und ihr den Anspruch auf alleinige Repräsentation des Gesamtstaates streitig macht, könne dagegen nur mit einer „Aufständischen Gewalt" verglichen und deshalb lediglich als lokale de facto Regierung angesehen werden 8 6 4 . 862 Der Zweistaatentheorie steht die Anerkennung einer fortbestehenden historisch-politischen Einheit Deutschlands nicht entgegen, aus der die Verpflichtung der beiden deutschen Staaten hergeleitet werden kann, sich wieder zu einem gesamtdeutschen Staat zusammenzuschließen. 868 um sie deutlich von den zur Zweistaatentheorie hinführenden Kernstaatslehren abzugrenzen. 864 Konsequenterweise müßte die Regierung der DDR, die die Regierung des „rechtmäßigen deutschen Staates" zu sein beansprucht, aus dieser „umgekehrten" Legitimitätsauffassung heraus ebenfalls eine (entgegengesetzte) Bürgerkriegstheorie vertreten und sich selbst als die de jure Regierung Ge-

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Zur gegenwärtigen

echtslage Deutschlands

(6) Die als Ausprägung der Identitätstheorie verstandene K e r n s t a a t s l e h r e sieht in der Bundesrepublik, d. h. in der staatlichen Organisation im Geltungsbereich des Grundgesetzes, einen eigenen Staat, der mit dem Deutschen Reich identisch sei. Diese „kleinstdeutsche Lösung" muß — konsequent durchgedacht — zur Annahme des Bestehens zweier deutscher Staaten führen, nämlich eines mit dem Deutschen Reich identischen westdeutschen Staates und eines als Völkerrechtssubjekt neu entstandenen mitteldeutschen Staates. Damit stimmt die Kernstaatslehre im Ergebnis vollständig mit der Separationstheorie überein. Theoretisch ist die Kernstaatslehre, genau wie die Zweistaatentheorie, juristisch gut vertretbar und gibt ebenfalls eine mögliche Antwort auf die Frage nach der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands. Ihr steht jedoch entgegen, daß sie bisher in der Staatenpraxis keine Anhängerschaft gefunden hat und deshalb bedeutungslos geblieben ist. (7) Die T e i l o r d n u n g s l e h r e , die die Staatlichkeit von Bundesrepublik und DDR anerkennt, entgeht der Konsequenz, auch die vollzogene Dismembration Deutschlands behaupten zu müssen, dadurch, daß sie die Hypothese eines fortbestehenden „Reichsdaches" einführt und die Rechtslage Deutschlands als eine „quasi-bundesstaatliche Ordnung" deutet. Diese Theorie, die in den ersten Jahren nach der Gründung der beiden Republiken noch vertretbar gewesen sein mag, läßt sich heute, nachdem die beiden Staaten souverän geworden sind 365 , nicht mehr aufrechterhalten, zumal sie in der völkerrechtlichen Praxis der beiden Staatsordnungen keine Stütze findet und „dem Selbstverständnis . . . der beiden Hauptteile Deutschlands widerspricht" 366 . (8) I n der S t a a t e n p r a x i s vertreten die B u n d e s r e g i e r u n g , die mit dieser verbündeten Regierungen und darüber hinaus die überwiegende Mehrzahl aller nichtkommunistischen Staaten die in dieser Arbeit als „Bürgerkriegstheorie" bezeichnete Auffassung 367 und nehmen infolgedessamtdeutschlands, die Bundesregierung aber nur als eine lokale de facto Regierung ansehen. Dies ist jedoch nicht der Fall. (Vgl. oben Anm. 28 und Anm. 202). 365 Vgl. oben § 9, 2 (d). 366 Scheuner a.a.O. F W 51 S. 10. — Vgl. auch Scheuner, Funktionsnachfolge S. 26 f. mit Anm. 52. 367 Obwohl manche Äußerungen der Literatur und Praxis neuerdings eine gewisse Neigung erkennen lassen, in der Bundesrepublik nicht mehr nur denjenigen Teil des deutschen Staatsgebietes zu sehen, der sich vorläufig in der Gewalt der deutschen de jure Regierung befindet, sondern die Bundesrepublik selbst als „Staat" zu bezeichnen, glauben wir nicht, darin bereits eine beginnende grundsätzliche Abwendung von der sogenannten Bürgerkriegstheorie und ihre Umdeutung in eine Kernstaatslehre erblicken zu müssen. Denn aus den offiziellen Erklärungen der Bundesregierung geht deutlich hervor, daß diese weder eine „kleinstdeutsche Lösung" anerkennen, noch den grundsätzlichen Anspruch auf Ausdehnung ihrer Jurisdiktion über Gebiet und Bevölkerung Mitteldeutschlands aufgeben möchte. Die verschiedenen Äußerungen, die als Hinwendung zur Kernstaatslehre interpretiert werden müssen, scheinen deshalb weniger von prinzipiellen theoretischen Überlegungen als vielmehr von politischen Augenblicks-Erwägungen bestimmt zu sein, wobei allerdings in der Regel übersehen wird, daß die Konsequenzen, die sich aus solchen Augenblicks-Erwägungen zwangsläufig ergeben müssen, den langfristigen Zielen der Regierungspolitik in jeder Hinsicht widersprechen: denn von der Basis eines westdeutschen Kernstaatsdenkens aus gibt es keine Möglichkeit mehr, die Staatlichkeit der D D R zu bestreiten.

Versuch einer Deutung der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

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sen die fortdauernde Existenz eines einzigen deutschen Völkerrechtssubjektes an, das allein von der Bundesregierung (als der deutschen de jure Regierung) rechtmäßig repräsentiert werde. Die Regierung der D D R besitzt nach dieser Auffassung als lokale de facto Regierung keine echte völkerrechtliche Handlungsfähigkeit.

§ 14 Versuch einer die verschiedenen Faktoren berücksichtigenden Deutung der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands Angesichts der Fülle von gegensätzlichen und doch jeweils vertretbaren Meinungen erscheint die Frage berechtigt, ob es überhaupt möglich sei, eine gültige Aussage über die heutige Rechtslage Deutschlands zu machen, oder ob nur noch die resignierende Feststellung übrig bleibe, daß das deutsche Problem m i t juristischen Begriffen nicht mehr zu erklären und darum „rechtlich unlösbar" geworden sei. W i r glauben, daß die Frage nach der gegenwärtigenSituation Deutschlands klar beantwortet werden kann, sofern man darauf verzichtet, von der ausschließlichen „Richtigkeit" einer einzigen staats- und völkerrechtlichen Auffassung auszugehen und gleichzeitig die Unhaltbarkeit aller entgegenstehenden Ansichten beweisen zu wollen, sondern statt dessen versucht, eine Erklärung zu finden, die den Stand aller beachtlichen und vertretbaren Meinungen sowie die politischen Ansprüche der Staatenpraxis 3 6 8 berücksichtigt und gerade das Miteinander und Gegeneinander der verschiedenen Ansichten zur Grundlage einer Deutung macht. I n diesem Sinne muß Deutschland heute als ein Land angesehen werden, das mitten i n einem Dismembrationsprozeß 369 s t e h t 3 7 0 ; der Gegensatz zwischen den die Dismembration fördernden und den ihr entgegenwirkenden politischen Kräften w i r d allerdings nicht i n einem „heißen", sondern i n einem „kalten" Bürgerkrieg ausgetragen. N u r das Verständnis der Rechtslage Deutschlands als eines „ i n Bewegung befindlichen" Dismembrationsvorganges vermag das verwirrende Nebeneinander von scharf akzentuierter Trennung und noch vorhandener Einheitlichkeit zufriedenstellend zu erklären. Dabei gehen die Meinungen darüber aus888 die vom Völkerrecht niemals ignoriert werden dürfen, sondern in alle Erwägungen stets mit einbezogen werden müssen (vgl. oben Anm. 62). 869 bzw. Separationsprozeß. 870 „Die Deutung der deutschen Gegenwart ist eine Aufgabe der Erkenntnis eines in Bewegung befindlichen Gegenstandes." (Scheuner a.a.O., E A 1955 S. 8076). — „Deutschland befindet sich in einem Ubergangsstadium, in dem verschiedene Kräfte um die endliche Entscheidung ringen. Alles befindet sich noch im Fluß." (Vocke a.a.O. S. 10201).

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W.V.Marschall

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einander, ob die Dismembration bereits vollzogen 3 7 1 oder ob sie noch nicht wirksam geworden sei 3 7 2 . Je nachdem werden die Elemente noch vorhandener Einheitlichkeit 3 7 3 als Beweis für den Fortbestand des Reiches oder aber n u i -vis noch nicht beseitigte Residuen der ehemaligen Gesamtstaatlichkeit bewertet, während die innerdeutschen Grenzen und alle anderen Folgen der Teilung entweder als notwendige Attribute der Zweistaatlichkeit oder nur als vorübergehende Beschränkungen der bestehenden Einheit angesehen werden. Welche Auffassung sich als „richtig" erweisen wird, kann nur die Zukunft lehren; es hängt allein davon ab, ob der augenblickliche Dismembrationsprozeß restlos vollzogen oder ob er rückgängig gemacht werden wird. U n d schließlich ist es auch für den Fall der Wiederherstellung der deutschen Einheit noch ungewiß, ob der wiedervereinigte Gesamtstaat sich dann als Fortsetzimg des niemals untergegangenen Deutschen Reiches verstehen w i l l oder als staatliche Neubildung aus dem Zusammenschluß zweier selbständig gewesener Staaten. Für diese Deutung bietet auch die Gegensätzlichkeit der von den beiden deutschen Regierungen erhobenen politischen Ansprüche keine Schwierigkeit; sie können vielmehr i n das soeben gezeichnete B i l d eines Dismembrationsvorganges eingeordnet werden. Die gegenwärtige Rechtslage Deutschlands ist zwar dadurch gekennzeichnet, daß i n einem faktisch zweigeteilten Land zwei Regierungen effektive Herrschaftsgewalt ausüben. Doch die Tatsache, daß nur die Bundesregierung eine Legitimation i m freiheitlich - demokratischen Sinne besitzt und daraus den Anspruch herleitet, allein das ganze deutsche Volk rechtmäßig zu vertreten und die Einheit des Gesamtstaates aufrechtzuerhalten 374 , und die Tatsache, daß dieser Anspruch von der Mehrzahl der Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft unterstützt wird, die nur die Bundesregierung anerkennen und damit von der fortdauernden Existenz eines gesamtdeutschen Völkerrechtssubjekts ausgehen, machen deutlich, daß eine vollendete Dismembration des Deutschen Reiches noch nicht ohne Einschränkung und ohne jeden Vorbehalt angenommen werden kann. Der augenblicklichen Situation i n Deutsch871

so die Zweistaatentheorie (Dismembrationstheorie, Separationstheorie und Kernstaatslehre). 872 so die Identitätstheorie (— und die Teilordnungslehre —). 878 M a n denke z. B. an die gemeinsame Staatsangehörigkeit aller Deutschen oder an die in beschränktem Umfang noch fortbestehende Rechts- und Verwaltungseinheit. 874 Man mag die politische Berechtigung dieses Anspruches der Bundesregierung zwar bestreiten, aber man muß ihn in jedem Falle als einen auch völkerrechtlich bedeutsamen Faktor in Rechnung stellen und kann ihn bei dem Versuch einer Deutung der Rechtslage Deutschlands nicht unberücksichtigt lassen. Er ist eine „Realität", ebenso wie die „realen Tatsachen", auf die Ministerpräsident Grotewohl sich zu berufen pflegt.

Versuch einer Deutung der gegenwärtigen Hechtslage Deutschlands

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land w i r d vielmehr nur die Konzeption einer bürgerkriegsähnlichen Situation gerecht, die es ermöglicht, die vom Völkerrecht entwickelten Hechtssätze über den völkerrechtlichen Aufstand 3 7 5 analog auf die deutschen Verhältnisse anzuwenden. Danach ist die Rechtslage Deutschlands einer Bürgerkriegssituation vergleichbar, i n der ein Teil des Landes versucht, sich vom Gesamtstaat loszureißen und eine eigene Staatlichkeit zu begründen. Als ein solches Teilgebiet muß die DDR verstanden werden, die angesichts der faktisch vollzogenen Spaltung den Dismembrationsvorgang für abgeschlossen hält und n e b e n der Bundesrepublik als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches anerkannt werden möchte 3 7 6 . Dagegen kann die Rechtsstellung der Bundesregierung m i t der Rechtsstellung der de jure Regierung des Gesamtstaates 377 verglichen werden, die diesem „sezessionalen Vorgang" entgegenzuwirken sucht; die Bundesregierung v e r t r i t t dabei die legitimen Interessen des ganzen deutschen Volkes, dessen lebendiger Einheitswille nicht geleugnet werden kann und dessen i n Mitteldeutschland ansässiger Teil niemals die Regierung der DDR dazu ermächtigt hat, eine eigene Staatlichkeit anzustreben. I n jedem ähnlich gelagerten F a l l eines „heißen" Bürgerkrieges kann eine Situation eintreten, i n der es sehr fraglich ist, ob der Kampf bereits „ v i r t u e l l beendet" und ein neuer Staat entstanden ist oder ob die Einheit des bisherigen Völkerrechtssubjekts zunächst noch gewahrt b l e i b t 3 7 8 . So waren insbesondere während der nord- und südamerikanischen Unabhängigkeitskriege u m die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert die Meinungen zeitweise geteilt, ob i n den betreffenden Gebieten schon neue Staaten entstanden seien oder ob die einzelnen Regierungen nur als lokale de facto Gewalten der Aufständischen an375

Vgl. oben § 2 und § 3. 37« D e r Vergleich der DDR mit einem Teilgebiet, das versucht, sich vom Gesamtstaat loszureißen und ein eigenes Staatswesen zu begründen (so wie z. B. die „Confederate States" während des nordamerikanischen Sezessionskrieges, 1861—1865), ist allerdings nicht in allen Stücken zutreffend, da ja auch die D D R die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands — und nicht die endgültige Spaltung — zum obersten Ziel ihrer Politik erklärt hat. Doch verfolgt die DDR zunächst die Absicht, sich eine eigene, völkerrechtlich allgemein anerkannte Staatlichkeit zu schaffen und die Wiedervereinigung dann auf dem Wege der völkerrechtlichen Verschmelzung mit der Bundesrepublik herbeizuführen. Der hier angestellte Vergleich ist darum nicht gänzlich abwegig, weil er sich nur auf die juristischen Besonderheiten des Dismembrationsvorganges selbst, nicht aber auf die dabei etwa angestrebten weitergehenden Ziele bezieht. Siehe auch oben Anm. 224. 377 Wie schon erwähnt, wird die Rechtsstellung der Bundesregierung als de jure Regierung des Gesamtstaates nicht aus einer ehemals unangefochten innegehabten gesamtstaatlichen Machtposition hergeleitet, sondern nur aus der Tatsache der ihr allein zuteil gewordenen demokratischen Legitimation. 378 Vgl. dazu im einzelnen oben § 3,1.

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Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

erkannt werden dürften 3 7 9 . Auch Deutschland befindet sich heute i n einer Situation, i n der sich sowohl die Auffassung vertreten läßt, daß der Sezessionsvorgang bereits abgeschlossen und ein neuer mitteldeutscher Staat entstanden sei 3 8 0 , wie auch, daß der „Kalte Bürgerkrieg" noch andauere und die staatliche Einheit darum fortbestehe. Aus diesem Grunde kann auch das von beiden Seiten gern gebrauchte Argument, daß die Anerkennung bzw. die Nicht-Anerkennung der DDR eine unzulässige Einmischung i n die inneren Angelegenheiten des deutschen Volkes darstelle 3 8 1 , nicht überzeugen. Die einander entgegengesetzten Ansichten i n der Staatenpraxis entsprechen den gegensätzlichen Standpunkten der beiden streitenden Parteien. Erst die Zukunft w i r d erweisen, welcher politische Anspruch sich durchzusetzen vermag und welche der beiden Auffassungen durch den Verlauf der staats- und völkerrechtlichen Entwicklung i n Deutschland gerechtfertigt werden wird. Die Erkenntnis, daß die gegenwärtige Rechtslage Deutschlands ein „sezessionaler Vorgang" i s t 3 8 2 , auf den die Rechtsnormen des völkerrechtlichen Aufstandes weitgehend analog angewandt werden können, macht es möglich, die Frage nach dem deutschen Problem zufriedenstellend zu beantworten. Diese Frage ist nicht überhaupt „rechtlich unlösbar" geworden; sie kann vielmehr m i t juristischen Begriffen gut erklärt und genau beschrieben werden. Allerdings ist eine Situation eingetreten, i n der sich nicht mehr — oder noch nicht — ein eindeutiges Urteil darüber abgeben läßt, ob der „bürgerkriegsähnliche, sezessionale Vorgang" bereits abgeschlossen und i n Mitteldeutschland ein neuer Staat entstanden ist, oder ob dieser Vorgang noch andauert und die rechtliche Einheit des deutschen Gesamtstaates damit noch fortbesteht. Das Urteil des juristischen Betrachters über die augenblickliche Rechtslage Deutschlands w i r d vor allem davon abhängig sein, ob er sich allein an den faktischen und vordergründig sichtbaren Erscheinungen orientiert (Effektivitätsprinzip), oder ob er darüber hinaus auch dem wirklichen Willen 379 Vgl. im einzelnen Kunz S. 60 ff. mit eingehenden Nachweisen, und Spiropoulos S. 52 f. mit Anm. 60; siehe auch Lauterpacht S. 9 f. mit weiteren Beispielen. 380 wobei dann noch die weitere Frage auftaucht, ob dieser Neustaat n e b e n der Bundesrepublik ein Nachfolgestaat des Deutschen Reiches sei (Dismembrationstheorie), oder ob die Völkerrechtspersönlichkeit des Reiches allein in der mit diesem identischen Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt werde (Separationstheorie und Kernstaatslehre). 381 Vgl. statt aller die Regierungserklärung des Bundesaußenministers, Dr. von Brentano, vor dem Deutschen Bundestag am 28. 6. 1956 (2. B T StenBer. S. 8412 ff. [S. 8421]); sowie Brandweiner a.a.O. (Anm. 46) S. 11; Peck S . 2 7 f t ; Martin a.a.O. S. 840; und Tunkin a.a.O. 882 Dieser „sezessionale Vorgang" hat mit der Errichtung der beiden deutschen Republiken i m Jahre 1949 begonnen.

Das Legitimationsprinzip im gegenwärtigen Völkerrecht

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des deutschen Volkes Rechnung tragen w i l l (Legitimationsprinzip), das der Teilung Deutschlands und der Errichtung zweier Staaten niemals i n demokratischer Form seine Zustimmung erteilt hat.

§ 15 Einige Anmerkungen zur Frage der Gültigkeit des Legitimationsprinzips im gegenwärtigen Völkerrecht Zum Abschluß dieses Kapitels erscheinen einige Bemerkungen zu der Frage angebracht, i n welchem Umfange die Prinzipien der Effektivität und der Legitimation i m gegenwärtigen Völkerrecht Geltung besitzen und anerkannt werden 3 8 3 . (1) Das heutige Völkerrecht ist eine primitive Rechtsordnung 384 , die durch einen relativen Mangel an zentralen Organen charakterisiert i s t 3 8 5 und i n der das Recht auf Selbsthilfe darum grundsätzlich anerkannt w i r d 3 8 6 . Daß diese Rechtsordnung noch ganz überwiegend unter der Herrschaft der Regel „Ex factis jus oritur" steht und daß sie der Tatsache effektiven Besitzes und effektiver Machtausübung i n einem dem innerstaatlichen Recht unbekannten Ausmaß rechtsbegründende W i r kung verleiht, ist unbestreitbar und unbestritten 3 8 7 . Doch ebensowenig kann ein Zweifel daran bestehen, daß das gesamte Völkerrechtsdenken heute i n einem großen Wandlungsprozeß begriffen i s t 3 8 8 , daß gewisse normative Prinzipien zunehmend Eingang i n die völkerrechtliche Praxis finden und dort die alleinige Gültigkeit des Effektivitätsgrundsatzes zurückdrängen und daß die Maxime „Ex factis 383 Vgl. zum folgenden Krüger, Das Prinzip der Effektivität, oder: Über die besondere Wirklichkeitsnähe des Völkerrechts, in: Festschrift für Jean Spiropoulos (Bonn 1957) S. 265 ff.; und besonders die Studie von Carl Bilfinger, Vollendete Tatsache und Völkerrecht, ZaöRVR 15 S. 453 ff. 384 Guggenheim I S. 3 f. 385 verdroß S. 75 f. 38« verdroß S. 344. 387 Hier sei beispielsweise daran erinnert, daß das Völkerrecht, im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht (vgl. § 123 BGB), grundsätzlich auch solche Verträge als gültig behandelt, die durch Drohung oder durch Anwendung von Gewalt zustandegebracht worden sind (so z. B. die meisten Friedensverträge). Vgl. dazu Verdroß S. 144 ff. und Oppenheim-Lauterpacht I S. 891 f. Anknüpfend an den auch in dieser Arbeit dargelegten Gedankengang (vgl. oben Anm. 36) hat sich die Delegation der D D R auf der X I I . Tagung der ECE in Genf (vom 29. 4. bis 15. 5.1957) eindeutig i m Sinne des Effektivitätsprinzips ausgesprochen und erklärt, „daß in der Staatenpraxis das Effektivitätsprinzip allgemein als Grundlage der gleichberechtigten Mitarbeit von Staaten auf internationalem Gebiete anerkannt wird" (DAP 1957 S. 615). 388 v g l . dazu García Amador, E l reconocimiento de gobiernos de facto y la protección internacional de los derechos del hombre, Anuario Jurídico Interamericano 1949 S. 47 ff.

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Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

jus oritur" immer öfter durch die Maxime „ E x injuria jus non oritur" korrigiert w i r d 3 8 9 . Ihren überzeugendsten und zugleich umfassendsten Ausdruck haben diese Bestrebungen i n den Versuchen zur Ächtimg des Krieges gefunden 3 9 0 . Der Briand-Kellogg-Pakt (1928) 391 , die StimsonD o k t r i n (1932) 392 , die i m Zusammenhang m i t den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen (1945/46 und folgende Jahre) niedergelegten Rechtsgrundsätze 393 und die Charta der Vereinten Nationen vom 26. J u n i 194 5 3 9 4 sind Marksteine dieser neuen Entwicklung des Völkerrechts, die nicht übersehen oder i n ihrer Bedeutung abgeschwächt werden dürfen 3 9 5 . M i t dem grundsätzlichen Verzicht auf Krieg und Gewaltanwendung als M i t t e l der Streiterledigung und zur Durchsetzung w i r k licher oder vermeintlicher Rechtsansprüche haben die Staaten zum Ausdruck gebracht, daß sie das Prinzip der reinen Effektivität nicht mehr als allein maßgebliche Rechtsgrundlage i m Völkerrecht ansehen wollen; zugleich haben sie damit ihre Hinwendung zum Grundsatz der Legitimation angedeutet, der seinem Wesen nach nichts anderes besagt, als daß auch effektiver Besitz und Positionen effektiver Herrschaftsgewalt nur dann einen völkerrechtlichen Rechtstitel zu begründen vermögen, wenn sie nicht unter Verletzung gewisser normativer Prinzipien erworben sind oder aufrechterhalten werden, oder wenn sie zumindest nachträglich durch eine höherrangige, über die reine 889

Vgl. hierzu Salvioli (L'„effettività" in diritto internazionale, Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico, Anno 3 [1953] S. 271 ff.), der sich kritisch mit dem Effektivitätsprinzip auseinandersetzt und seine Ausführungen mit der Bemerkung schließt, daß man gegenüber jeder faktisch geschaffenen Situation die Frage stellen müsse: „Tale situazione ha titolo alla tutela giuridica internazionale?" (S. 280). Dahm (a.a.O. S. 611) meint allerdings, daß „eine idealisierende Vorwegnahme zukünftiger Entwicklungen der Wissenschaft des geltenden Rechts nicht gestattet" sei. — Zu dem das heutige Völkerrecht beherrschenden Gegensatz zwischen den Prinzipien „Macht geht vor Recht" und „Ex injuria jus non oritur" siehe auch Langer a.a.O. passim, insbesondere S. V f. und S. 285 ff. — Vgl. ebenfalls Wehberg, Die Stimson-Doktrin, in: Festschrift für Jean Spiropoulos (Bonn 1957) S. 433 ff. (S. 440 ff.). 890 Vgl. dazu Verdroß S. 351 ff.; Oppenheim-Lauterpacht I I S. 177 ff.; Guggenheim I I S. 771 ff.; Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (Köln 1950) S. 232 ff. 891 Vertrag zur Ächtung des Krieges vom 27. 8. 1928 (RGBl. 1929 I I S. 97). 892 Vgl. oben § 3, Anm. 126. 898 Vgl. dazu Finch, The Nuremberg trial and international law, A J I L 41 (1947) S. 20 ff.; Wright, The law of the Nuremberg trial, A J I L 41 (1947) S. 38 ff.; Schick, The Nuremberg trial and the international law of the future, A J I L 41 (1947) S. 770ff.; sowie: —, International Military Tribunal (Nuremberg), Judgment and Sentences, October 1, 1946, A J I L 41 (1947) S. 172 ff. 894 Vgl. Art. 2 der Charta (zit. nach Grewe, Die Satzung der Vereinten Nationen [Textausgabe], Göttingen 1948). 395 Vgl. zum ganzen Descamps, Le droit international nouveau, L'influence de la condamnation de la guerre sur l'évolution juridique internationale, Ree 31 (1930 I) S. 393 ff.; Wehberg, L'interdiction du recours à la force, Le principe et les problèmes qui se posent, Ree 78 (1951 I) S. 1 ff.; und Waldock, The régulation of the use of force by individual states in international law, Ree 81 (1952 I I ) S. 451 ff.

Das Legitimationsprinzip im gegenwärtigen Völkerrecht

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E f f e k t i v i t ä t h i n a u s g e h e n d e N o r m ( — z. B . d u r c h d i e f r e i geäußerte Z u s t i m m u n g der v o n der Ä n d e r u n g betroffenen B e v ö l k e r i m g —) l e g i t i m i e r t w o r d e n sind. Diese seit v i e r J a h r z e h n t e n t r o t z a l l e r Rückschläge s t e t i g f o r t s c h r e i t e n d e T e n d e n z d e r a l l m ä h l i c h e n A b k e h r v o m ausschließlichen E f f e k t i vitätsprinzip u n d der zunehmenden Berücksichtigung n o r m a t i v e r M a ß stäbe i m V ö l k e r r e c h t 3 9 6 r e c h t f e r t i g t d i e K o n z e p t i o n d e r s o g e n a n n t e n B ü r g e r k r i e g s t h e o r i e u n d d i e A u f f a s s i m g d e r B u n d e s r e g i e r u n g , d i e es ablehnen, d e m d u r c h nackte G e w a l t geschaffenen g e g e n w ä r t i g e n Z u s t a n d r e c h t s b e g r ü n d e n d e W i r k u n g z u z u b i l l i g e n u n d s t a t t dessen v e r l a n g e n , daß eine Ä n d e r u n g des i n t e r n a t i o n a l e n S t a t u s — w i e d i e D i s m e m b r a t i o n D e u t s c h l a n d s 3 9 7 u n d d i e E n t s t e h u n g eines n e u e n Staates D D R — erst d a n n als r e c h t s w i r k s a m a n e r k a n n t w e r d e n d ü r f e , w e n n d i e v o n dieser Ä n d e r u n g betroffene B e v ö l k e r u n g i n f r e i e n W a h l e n 3 9 8 i h r e Z u s t i m m u n g d a z u e r t e i l t habe. W e n n diese A n s i c h t sich d u r c h z u setzen v e r m a g , w i r d e i n n e u e r w i c h t i g e r P r ä z e d e n z f a l l f ü r d i e A n e r k e n n u n g des L e g i t i m a t i o n s p r i n z i p s i m V ö l k e r r e c h t geschaffen s e i n 3 9 9 . 898 Die Richtigkeit der Auffassung, daß die alleinige Geltung des Effektivitätsgrundsatzes in zunehmendem Maße von der Herrschaft allgemein anerkannter normativer Prinzipien im Völkerrecht abgelöst werde, wird durch die über Erwarten einheitlidie internationale Reaktion auf die anglo-französische Intervention am Suez-Kanal und die brutale Niederwerfung des ungarischen Freiheitskampfes durch sowjetische Truppen im Herbst 1956 bestätigt. Denn das Echo der Weltöffentlichkeit auf die Ereignisse des Oktober und November 1956 hat gezeigt, daß das völkerrechtliche Gebot, auf die Anwendung von Gewalt als Mittel der Streiterledigung und zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen zu verzichten, in einem Umfange Anerkennung gefunden hat, wie es vor wenigen Jahrzehnten noch völlig undenkbar gewesen wäre. — Zu den im Zusammenhang mit diesen Ereignissen erörterten völkerrechtlichen Rechtsfragen vgl. Wright, Intervention 1956, A J I L 51 (1957) S. 257 ff.; Huang, Some international and legal aspects of the Suez Canal Question, A J I L 51 (1957) S. 277 ff.; Finch, Post-Mortem on the Suez Debacle, A J I L 51 (1957) S. 376 ff.; Scelle, La nationalisation du canal de Suez et le droit international, A F D I I I (1956) S. 3 ff.;Pinto, L'affaire de Suez, Problèmes juridiques, A F D I I I (1956) S. 20 ff.; Rauschning, Rechtsprobleme der Suezkanal-Krise, JahrblntR 7 S. 257 ff.; und Brüel, Die völkerrechtliche Stellung des Suezkanals und die Nationalisierung der Kanalgesellschaft, ArchVR 7 S. 24 ff. und S. 144 ff. (Urkunden). 397 bzw. die separatio der DDR. 308 bzw. durch eine von ihr in freier Wahl demokratisch legitimierte Regierung. 399 Martin (a.a.O. S. 840) hat geltend gemacht, daß das Legitimitätsprinzip (— das wir nunmehr — zutreffender — als Legitimationsprinzip bezeichnen, vgl. oben Anm. 154 —) „mit dem Prinzip der Nichtintervention unvereinbar" und „deshalb völkerrechtswidrig" sei. Demgegenüber sehen wir i m Legitimationsprinzip einen höherrangigen Grundsatz, der in Konfliktsfällen dem Prinzip der Nichtintervention vorgehen muß. Denn die Auffassung Martins von der alleinigen Gültigkeit des Effektivitätsprinzips muß konsequenterweise dahin führen, daß effektiver Besitz und Positionen effektiver Machtausübung auch dann einen völkerrechtlichen Rechtstitel zu begründen vermögen, wenn sie unter Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze, wie z. B. des Selbstbestimmungsrechts der Völker oder des Verbots der Gewaltanwendung, erworben sind oder aufrechterhalten werden.

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Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

(2) A b s c h l i e ß e n d m u ß indes noch a u f e i n besonderes P r o b l e m h i n g e w i e s e n w e r d e n , das sich daraus e r g i b t , daß d i e S c h w i e r i g k e i t e n d e r h e u t i g e n Rechtslage Deutschlands n i c h t einfach n u r als e i n Gegensatz z w i s c h e n „ M a c h t " u n d „ R e c h t " oder z w i s c h e n d e n P r i n z i p i e n d e r E f f e k t i v i t ä t u n d der L e g i t i m a t i o n verstanden w e r d e n können. Dieser Gegensatz i s t v i e l m e h r e i n T e i l s t ü c k d e r g r o ß e n ideologischen A u s e i n a n d e r s e t z u n g zwischen „ O s t " u n d „ W e s t " , z w i s c h e n „ V o l k s d e m o k r a t i e " u n d „ f r e i h e i t l i c h e r D e m o k r a t i e " , d i e n i c h t n u r D e u t s c h l a n d , s o n d e r n fast d i e gesamte V ö l k e r r e c h t s g e m e i n s c h a f t i n zwei feindliche Lager spaltet400. Selbst w e n n beide S e i t e n sich d a r ü b e r e i n i g sein s o l l t e n , daß d i e z u nehmende Berücksichtigung normativer Prinzipien i m Völkerrecht e i n e n F o r t s c h r i t t d a r s t e l l t , so lassen sich doch d i e u n t e r s c h i e d l i c h e n Auffassungen über Bedeutung u n d Sinngehalt der fraglichen Begriffe n i e m a l s m i t e i n a n d e r i n E i n k l a n g b r i n g e n . Stets w i r d m a n sich a u f G r u n d s ä t z e b e r u f e n , die i n Ost u n d W e s t z w a r noch d e n N a m e n g e m e i n s a m haben, d e r e n b e g r i f f l i c h e r I n h a l t aber s t r e i t i g u n d d e r e n A u s l e g u n g i n einer zweigeteilten W e l t nicht mehr einheitlich i s t 4 0 1 . Es b l e i b t d a r u m z u e r w ä g e n , ob es angesichts d e r ideologischen S p a l t u n g d e r W e l t g e g e n w ä r t i g ü b e r h a u p t s i n n v o l l sein k a n n , n o r m a t i v e Die Nichtanerkennung eines solchen effektiven, wenn auch widerrechtlich zustandegekommenen Besitztitels würde nach Martin bereits einer völkerrechtswidrigen Intervention gleichkommen. Ausdrücklich stellt er fest: „Da die Staatsmacht der D D R effektiv existiert, handeln die Westmächte völkerrechtswidrig, wenn sie ihr unter Berufung auf ihre angeblich nichtlegitime Entstehung die Anerkennung verweigern" (a.a.O. S. 840). Wenn man — im Gegensatz zu Martin — der Maxime „Ex factis jus oritur" nicht die beherrschende Stellung in der Völkerrechtsordnung einräumt, sondern sie stets der Maxime „Ex injuria jus non oritur" unterordnet, so wird man gegenüber offensichtlichen Unrechtstatbeständen — mögen sie auch noch so effektiv sein — dem Prinzip der Nichtintervention keine Geltungskraft zuerkennen, sondern i m Gegenteil den Subjekten des Völkerrechts die Pflicht auferlegen, sich gegen solche Unrechtstatbestände zur Wehr zu setzen. Denn eine Rechtsordnung, die bereit ist, einen im Gegensatz zu ihren fundamentalen Prinzipien geschaffenen Zustand hinzunehmen, wenn er nur effektiv ist, zerstört damit die Grundlagen, auf denen sie beruht. (Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, sei abschließend noch bemerkt, daß eine gewaltsame, bewaffnete Intervention in keinem Falle für zulässig gehalten wird, sondern nur eine Intervention, die auf dem Wege des Boykotts oder der Nichtanerkennung oder mit anderen gewaltlosen Mitteln durchgeführt wird. Vgl. zu diesem eingeschränkten Interventionsbegriff die Beispiele bei Jessup S. 172 f.). 400 Vgl. zum folgenden Kunz, The changing law of nations, A J I L 51 (1957) S. 77 ff. 401 Ein solcher, nur noch dem Namen nach einheitlicher Begriff ist das Wort „Demokratie". Stalin definiert die (sozialistische) Demokratie dahingehend, daß der „Staat die ausbeutende Minderheit im Interesse der werktätigen Mehrheit unterdrückt, während . . . (die kapitalistischen Staaten)... die ausgebeutete Mehrheit im Interesse der ausbeutenden Minderheit unterdrücken" (Stalin, Rechenschaftsbericht an den X V I I I . Parteitag, 10. März 1939, in: SValin, Fragen des Leninismus, 7. Auflage, Berlin (Ost) 1955, S. 809 f.).

Das Legitimationsprinzip im gegenwärtigen Völkerrecht

169

P r i n z i p i e n auch i n d i e i n t e r n a t i o n a l e R e c h t s o r d n u n g a u f z u n e h m e n , oder ob m a n sich g e g e n ü b e r e i n e m S t a a t e n s y s t e m , das k e i n e e i n h e i t l i c h e n G r u n d v o r s t e l l u n g e n m e h r besitzt, n i c h t besser a u f eine B e t r a c h t u n g s weise b e s c h r ä n k e n solle, d i e a l l e i n d e n e f f e k t i v e n M a c h t v e r h ä l t n i s s e n u n d f a k t i s c h e n G e g e b e n h e i t e n R e c h n u n g t r ä g t , selbst w e n n sie d a b e i große U n v o l l k o m m e n h e i t e n m i t i n K a u f n e h m e n m u ß . D e n n solange d i e V ö l k e r r e c h t s g e m e i n s c h a f t i n z w e i f e i n d l i c h e ideologische L a g e r ges p a l t e n ist, w i r d i m m e r w i e d e r d i e F r a g e g e s t e l l t w e r d e n , ob das V ö l k e r r e c h t n u r eine Z u s a m m e n f a s s u n g d e r j e n i g e n w e n i g e n R e c h t s g r u n d sätze sein soll, d e n e n beide S e i t e n v o r b e h a l t l o s z u s t i m m e n k ö n n e n 4 0 2 , oder ob es d e n e i n z e l n e n S t a a t e n g e s t a t t e t w e r d e n soll, i h r e e i g e n e n weltanschaulichen Vorstellungen i n die Völkerrechtsnormen hineinzui n t e r p r e t i e r e n . E i n e solche A u f l ö s u n g d e r V ö l k e r r e c h t s o r d n u n g i n v e r schiedene w e l t a n s c h a u l i c h d i f f e r e n z i e r t e Rechtskreise, i n d e n e n die A u s l e g u n g der B e g r i f f e u n d R e g e l n des V ö l k e r r e c h t s v o n ganz b e s t i m m t e n ideologischen V o r s t e l l u n g e n s t a r k b e e i n f l u ß t w i r d , m ü ß t e a l l e r d i n g s d i e E i n h e i t der internationalen Rechtsordnung gefährden, da die n u n nicht m e h r allgemein anerkannten u n d v o r a l l e m nicht m e h r v o n einer einheitlichen Auslegung getragenen völkerrechtlichen Rechtsnormen v o n j e d e r Seite n u r noch d a z u b e n u t z t w ü r d e n , u m i n j e d e r S t r e i t f r a g e d e n eigenen S t a n d p u n k t p s e u d o j u r i s t i s c h z u r e c h t f e r t i g e n 4 0 3 . 402 Damit würde es immerhin eine — wenn auch rudimentäre — Rechtsordnung bleiben, der sich beide Seiten verpflichtet fühlen müßten. 403 I n diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß das heute geltende Völkerrecht aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis hervorgegangen und von dessen Anschauungen geprägt worden ist. (Siehe auch Kunz S. 27 f., und Kunz a.a.O. — Anm. 400 — S. 78). Die christlich-abendländischen Grundsätze in der Form „westlichen", freiheitlich-demokratischen Rechtsdenkens üben auch heute noch den beherrschenden Einfluß in der internationalen Rechtsordnung aus. Dabei wird leicht übersehen, daß ein großer Teil der Staaten der modernen Völkerrechtsgemeinschaft sich den christlichabendländischen Grundsätzen nicht ohne weiteres verpflichtet fühlt und statt dessen ganz andere Rechts- und Staatsbegriffe als Leitbilder anerkennt. Diese Tatsache muß entweder zu einer Neuorientierung der rechtstheoretischen Grundlagen des Völkerrechts oder aber zu einer Auflösung der Völkerrechtsgemeinschaft führen. Für den sogenannten „Westen", dessen Anschauungen das überkommene Völkerrecht geprägt haben, würde es allerdings besonders schwer sein, sich auf ein völkerrechtliches Denken zurückziehen zu müssen, das nur noch denjenigen Prinzipien Geltungskraft zuerkennt, die auch vom Kommunismus sowjetischer Prägung akzeptiert werden können. Begibt man sich aber nicht auf eine solche rudimentäre Basis zurück, so läuft man Gefahr, die Universalität der Völkerrechtsordnung zu zerstören und einen ähnlichen Zustand herbeizuführen, wie er in der Epoche der beginnenden Neuzeit bestand, als das Völkerrecht noch nicht eine universale, sondern die auf die Völker und Staaten des christlich-abendländischen Kulturkreises, auch geographisch, beschränkte Rechtsordnung war. So wurde z. B. in Verträgen des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts vereinbart, „daß der europäsiche Friede und die völkerrechtliche Ordnung südlich des Wendekreises des Krebses und westlich des Meridians von Ferro keine Gültigkeit haben" sollten; diese Linien „trennten den Bereich des europäischen Friedens und Völkerrechts von einem überseeischen Raum der

170

Zur gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands

E i n Festhalten a m Grundsatz der reinen Effektivität u n d ein Verzicht auf die A u f n a h m e n o r m a t i v e r P r i n z i p i e n i n die Völkerrechtsordnimg k ö n n t e d a r u m auch aus d e r E r k e n n t n i s g e r e c h t f e r t i g t w e r d e n , daß das L e g i t i m a t i o n s p r i n z i p solange jedes g e m e i n s a m a n e r k a n n t e n I n h a l t s e n t b e h r t , w i e die V ö l k e r r e c h t s g e m e i n s c h a f t i n z w e i e i n a n d e r e n t g e g e n gesetzte ideologische L a g e r gespalten ist, u n d daß deshalb die u n i v e r s a l e E i n h e i t der Völkerrechtsordnung n u r aufrechterhalten w e r d e n könne, w e n n m a n sie sachlich a u f d i e j e n i g e n G r u n d s ä t z e beschränke, d i e v o n allen beteiligten Staaten akzeptiert u n d einheitlich interpretiert werden404.

Friedlosigkeit und der völkerrechtlichen Anarchie ab. ,No peace beyond the line' — in diese einprägsame Formel hat Sir Francis Drake den Tatbestand gefaßt" (Grewe, Die Epochen der modernen Völkerrechtsgeschichte, ZfgesStW 103 S. 38 ff. [S. 41 f.]). I m Gegensatz zu der damaligen Zeit bildet Europa heute nicht mehr den Mittelpunkt und das einzige Machtzentrum der Welt. Ein Aufgeben der Universalität der Völkerrechtsordnung und ihre räumliche Beschränkung auf diejenigen Staaten, die sich den Grundsätzen der freiheitlichen Demokratie verpflichtet fühlen, müßte deshalb schwerwiegende Folgen haben. 404 Siehe zum ganzen die in den Jahren 1954 und 1955 in den Spalten der Zeitschrift „CoBercKoe rocy^apcTBO h npaBo" („Sowjetstaat und -recht") geführte hochinteressante „Diskussion über einige Fragen der gegenwärtigen Völkerrechtstheorie" mit Beiträgen von Korowin (1954 No. 6 S. 34 ff.), Krylow (1954 No. 7 S. 74 ff.), Lukaschuk (1954 No. 8 S. 87 ff.), Schurschalow (1954 No. 8 S. 89 ff.) u. a., sowie einer redaktionellen Schlußbemerkung (1955 No. 5 S. 45 ff.). I m Verlauf dieser Diskussion fand die These von Korowin fast einhellige Zustimmung, daß es an der Zeit sei, „von einem i m Entstehen begriffenen sozialistischen Völkerrecht als einem Recht der Zukunft zu sprechen" (1955 Nr. 5 S. 48). (Vgl. aber auch Sadoroshny, MexayHapoflHO-npaBOBbie npHHLjuribi MnpHoro cocymecTBOBamin rocy^apcTB [Die völkerrechtlichen Prinzipien der friedlichen Koexistenz der Staaten], CoBrnII 1965 Nr. 8 S. 89 ff. Sadoroshny hebt in diesem Aufsatz die Tatsache des Bestehens allgemein anerkannter Völkerrechtsnormen besonders hervor (vgl. insbesondere S. 93 f.) Eine vorzügliche kurze Analyse des sowjetischen Völkerrechtsdenkens findet sich bei Fiedler, Rapacki-Plan und sowjetisches Völkerrechtsdenken, I R D 1958, H. 4 S. 397 ff. (S. 408 ff.).

Drittes

Kapitel

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der gegenwärtigen Rechtslage Deutschlands für die Beurteilung der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung? § 16 Deutschlands Rechtslage als sezessionaler Vorgang D i e g e g e n w ä r t i g e Rechtslage D e u t s c h l a n d s k a n n als e i n „sezessional e r V o r g a n g " d e f i n i e r t w e r d e n , a u f d e n sich d i e R e c h t s n o r m e n des v ö l k e r r e c h t l i c h e n A u f s t a n d e s w e i t g e h e n d a n a l o g a n w e n d e n lassen. I n d i e ser S i t u a t i o n b e t r a c h t e t d i e R e g i e r u n g d e r D D R d e n D i s m e m b r a t i o n s p r o z e ß 1 als b e r e i t s abgeschlossen u n d g e h t d a v o n aus, daß a u f deutschem B o d e n n u n m e h r z w e i neue S t a a t e n e n t s t a n d e n seien. D a g e g e n e r h ä l t die B u n d e s r e g i e r u n g u n b e i r r t i h r e n A n s p r u c h aufrecht, d i e einzige l e g i t i m i e r t e R e g i e r u n g des r e c h t l i c h n o c h u n g e t e i l t e n gesamtdeutschen S t a a tes z u sein. Die v o n den beiden Regierungen vertretenen Auffassungen i n der Frage der völkerrechtlichen A n e r k e n n u n g spiegeln den zwischen i h n e n b e s t e h e n d e n „ b ü r g e r k r i e g s ä h n l i c h e n " Gegensatz besonders d e u t l i c h wider. 1. Die DDR versucht, die völkerrechtliche Anerkennung ihrer eigenen Staatlichkeit zu erlangen. Da sie sich als neuen Staat n e b e n der Bundesrepublik begreift, hat sie nichts dagegen einzuwenden, daß die Staaten, die sie anerkannt haben, sich gleichzeitig um die Herstellung normaler diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik bemühen. 2. Demgegenüber bestreitet die Bundesregierung die rechtliche Existenz eines zweiten deutschen Staates und muß darum den Bemühungen der D D R um internationale Anerkennung entgegenwirken und alle Kontakte zwischen der D D R und anderen Regierungen zu verhindern suchen, die als die stillschweigende Anerkennung der D D R als eines S t a a t e s ausgelegt werden könnten. Ebenso kann die Bundesregierung schwerlich in normale völkerrechtliche Beziehungen zu einem derjenigen Staaten treten, die die D D R voll anerkannt haben; denn durch ein solches Verhalten würde sie zum Ausdruck bringen, daß sie die Auffassung der Zweistaatentheorie faktisch akzeptiert hat 2 . 1

bzw. Separationsprozeß. Über die im Zusammenhang mit der Errichtung einer zweiten deutschen Botschaft in Moskau entstandenen besonderen Probleme vgl. unten 8 18, 1 c (bb). 2

172

Beurteilung der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

3. Dritte Staaten schließlich müssen sich entscheiden, ob sie die von der D D E propagierte These von der „Realität der beiden deutschen Staaten" übernehmen und die DDR neben der Bundesrepublik als Staat anerkennen wollen oder ob sie weiterhin bereit sind, den Standpunkt der Bundesregierung — wenigstens grundsätzlich — zu teilen, indem sie diese als deutsche de jure Regierung und einzige rechtmäßige Vertreterin Gesamtdeutschlands 8 ansehen und der Regierung der D D R als einer „Quasi — Aufständischen Gewalt" und lokalen de facto Regierung die Anerkennung verweigern. Das V e r s t ä n d n i s d e r g e g e n w ä r t i g e n Rechtslage Deutschlands als eines „ b ü r g e r k r i e g s ä h n l i c h e n " sezessionalen V o r g a n g s m a c h t es m ö g l i c h , gerade auch h i n s i c h t l i c h des A n e r k e n n u n g s r e c h t s eine V i e l z a h l a l l g e m e i n anerkannter völkerrechtlicher Regeln zur Lösung der aufgeworfenen F r a g e n a n a l o g h e r a n z u z i e h e n 4 . D a es indes z w e i M ö g l i c h k e i t e n g i b t , die g e g e n w ä r t i g e Rechtslage Deutschlands z u f r i e d e n s t e l l e n d z u e r k l ä r e n , m u ß das P r o b l e m d e r v ö l k e r r e c h t l i c h e n A n e r k e n n u n g d e r b e i d e n d e u t schen R e g i e r u n g e n f ü r j e d e dieser b e i d e n M ö g l i c h k e i t e n , f ü r d i e Z w e i s t a a t e n l e h r e 5 s o w o h l w i e f ü r die I d e n t i t ä t s t h e o r i e 6 , gesondert g e p r ü f t werden.

§ 17 Die Auffassung der Zweistaatentheorie N a c h A n s i c h t d e r Z w e i s t a a t e n t h e o r i e s o l l t e der Tatsache des B e stehens z w e i e r deutscher S t a a t e n m ö g l i c h s t b a l d d u r c h d i e A n e r k e n n u n g 7 d e r D D R als eines n e u e n S t a a t e s 8 R e c h n u n g g e t r a g e n w e r d e n 9 . I n 3 Wie schon ausgeführt, kann die Bundesregierung ihren Anspruch, die einzige rechtmäßige Vertreterin Gesamtdeutschlands zu sein, nicht auf ihre Anciennität als de jure Regierung des Gesamtstaates vor der faktischen Teilung stützen (dies ist der normale Legitimationsgrund der de jure Regierung in gewöhnlichen, „heißen" Bürgerkriegsfällen; vgl. oben § 2, 3 mit Anm. 54), sondern nur darauf, daß die Dismembration des Deutschen Reiches (bzw. die separatio der DDR) bisher nicht die Zustimmung des deutschen Volkes gefunden habe und daß allein die Bundesregierung, nicht aber die mitteldeutsche Staatsgewalt, eine demokratische Legitimation besitze. 4 Vgl. oben § 2 und § 3. 5 Vgl. oben § 10. 9 Vgl. oben § 11. 7 Eine solche Anerkennung kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen (vgl. oben § 5 und unten § 18, 2 a). 8 Es handelt sich hierbei also um die Anerkennung eines neuen Staates und nicht nur um die Anerkennung einer neuen Regierung. Selbst wenn ausdrücklich nur die Regierung der D D R anerkannt wird, liegt darin doch in erster Linie die Anerkennung dieser Regierung als einer S t a a t s - gewalt und damit die Anerkennung des neuen Staates DDR selbst (Vgl. oben § 2 mit Anm. 22). 9 Soweit die Zweistaatenlehre in der Form der Separationstheorie vertreten wird, wird in der Bundesrepublik kein neuer Staat, sondern die Fortsetzung des Deutschen Reiches auf verkleinertem Gebiet gesehen, die einer nochmaligen Anerkennung als Staat nicht mehr bedarf. (Daß auch territo-

Die Auffassung der Zweistaatentheorie

173

d e r p o l i t i s c h e n P r a x i s w i r d diese A u f f a s s u n g v o n d e r D D R , v o n d e r Sow j e t u n i o n u n d den Ostblockstaaten sowie v o n Jugoslawien v e r t r e t e n 1 0 . Diese L ä n d e r h a b e n die D D R als S t a a t a n e r k a n n t u n d s i n d gleichzeit i g bereit, normale völkerrechtliche Beziehungen zur Bundesrepublik h e r z u s t e l l e n , w e l c h e sie als d e n z w e i t e n deutschen S t a a t a n s e h e n 1 1 .

1. D i e Politik der D D R D i e O s t b e r l i n e r R e g i e r u n g 1 2 sieht D D R u n d B u n d e s r e p u b l i k als z w e i u n a b h ä n g i g n e b e n e i n a n d e r s t e h e n d e souveräne S t a a t e n u n d p a r t i e l l e Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches a n 1 3 . F ü r sie e n t s t e h e n deshalb aus d e r F r a g e d e r v ö l k e r r e c h t l i c h e n A n e r k e n n u n g w e d e r j u r i s t i s c h e noch p o l i t i s c h e P r o b l e m e . D e n n da die D D R sich als n e u e n t s t a n d e n e n S t a a t n e b e n d e r B u n d e s r e p u b l i k b e g r e i f t , b r a u c h t sie selbst k e i n e B e d e n k e n z u t r a g e n , i h r e r s e i t s die B u n d e s r e p u b l i k als S t a a t a n z u e r k e n nen u n d normale völkerrechtliche Beziehungen zu i h r aufzunehmen 14. Ebenso w e n i g b r a u c h t das B e s t e h e n n o r m a l e r B e z i e h u n g e n zwischen d e r B u n d e s r e p u b l i k u n d d r i t t e n S t a a t e n die D D R d a r a n z u h i n d e r n , die H e r s t e l l u n g d i r e k t e r o f f i z i e l l e r K o n t a k t e z u diesen S t a a t e n a n z u s t r e b e n 1 5 , g e n a u so w i e sie i h r e r s e i t s nichts dagegen e i n z u w e n d e n h a t , w e n n riale Veränderungen größeren und größten Umfanges die Rechtspersönlichkeit eines Staates unberührt lassen können, ist allgemein anerkannt; vgl. dazu Scheuner, Funktionsnachfolge S. 15). 10 Darüber, daß einige andere Staaten offensichtlich ebenfalls der Zweistaatentheorie zuneigen und sie für richtig halten, vgl. oben § 8, Anm. 25. Keiner dieser Staaten hat indes bis jetzt die Konsequenz aus einer solchen Auffassung gezogen und die DDR als S t a a t anerkannt. 11 Das gilt auch für die DDR, die jederzeit bereit ist, völkerrechtliche Beziehungen zur Bundesrepublik herzustellen (vgl. im einzelnen oben § 10). 12 Die Rechtsauffassung der Ostberliner Regierung läßt sich als modifizierte Zweistaatentheorie kennzeichnen (vgl. im einzelnen oben § 10). 18 Da an dieser Stelle nur die gegenwärtige Rechtslage Deutschlands zur Erörterung steht, interessiert es nicht, ob die Regierung der D D R schon im Jahre 1949 oder erst später sich die Auffassung der Zweistaatentheorie zu eigen gemacht hat. I n jedem Falle hat die Ostberliner Regierung von Anfang an die Existenz zweier Regierungen in Deutschland auch rechtlich anerkannt und dieser Tatsache in ihrer politischen Praxis Rechnung getragen. 14 Es muß jedoch stets berücksichtigt werden, daß auch die modifizierte Zweistaatentheorie (— wie sie in der D D R vertreten wird —) das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander als ein völkerrechtliches Verhältnis besonderer Art begreift, das unter dem Primat der wieder zu erringenden Einheit Deutschlands steht und sich deshalb wesentlich von dem Verhältnis zwischen anderen souveränen Staaten unterscheidet. 15 Schon in seiner ersten Regierungserklärung vor der Volkskammer der D D R am 12. Oktober 1949 sagte Ministerpräsident Otto Grotewohl: „Die deutsche Regierung ist gewillt, freundschaftliche und friedliche Beziehungen zu allen Staaten herzustellen, die ihrerseits bereit sind, in Frieden und Freundschaft mit Deutschland zu leben und die unsere nationalen Interessen anerkennen" (Dokumente der DDR I S. 30). Der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der D D R gab am 24.10.1949 nochmals eine ausdrückliche Erklä-

174

Beurteilung der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

Staaten, die bisher allein die DDR anerkannt haben, auch ihre Beziehungen zur Bundesrepublik zu normalisieren suchen 16 . Das Bestreben der DDR, ihre eigene Position zu konsolidieren und die allgemeine völkerrechtliche Anerkennung ihrer Staatlichkeit zu erlangen, bestimmt ihre gesamte Außenpolitik. (a) D i e B e z i e h u n g e n d e r D D R z u d e n

Ostblockstaaten

Volle völkerrechtliche Anerkennimg hat die DDR zunächst nur bei den elf europäischen und asiatischen Ländern des kommunistisch beherrschten Ostblocks finden können 1 7 . A m 15. Oktober 1957 ist sie außerdem von Jugoslawien anerkannt worden 1 8 . Z u allen diesen Staaten unterhält die DDR normale völkerrechtliche Beziehungen, u m deren Festigung und weiteren Ausbau sie sich ständig bemüht. Dabei ist sie nicht genötigt, dem Versuch der Anknüpfung diplomatischer Kontakte zur Bundesrepublik i n irgendeiner Weise entgegenzuwirken; denn die Herstellung normaler Beziehungen zwischen diesen Staaten einerseits und Bundesrepublik u n d DDR andererseits kann nur dazu beitragen, die These vom Bestehen zweier deutscher Staaten zu unterstreichen. (b) D i e B e m ü h u n g e n d e r D D R u m A n e r k e n n u n g d u r c h die ü b r i g e n Staaten der V ö l k e r r e c h t s g e m e i n s c h a f t Die B e z i e h u n g e n der D D R zu diesen S t a a t e n M i t Ausnahme der elf genannten Länder des Ostblocks und Jugoslawiens unterhalten die übrigen Glieder der Völkerrechtsgemeinschaft rung ab, in der er „die Herstellung normaler diplomatischer, wirtschaftlicher und sonstiger Beziehungen" zwischen der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und allen übrigen Regierungen vorschlug (Dokumente der D D R I S. 37 ff.). 18 Vgl. dazu das Interview des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, zur Note der Sowjetregierung vom 7. Juni 1955 an die Bundesregierung (Dokumente der D D R I I I S. 19 f.) und auch schon das Kommunique über die Besprechung zwischen Ministerpräsident Grotewohl und dem sowjetischen Ministerpräsidenten Malenkow am 11. Juni 1954 (Dokumente der D D R I I S. 270). Vgl. ebenfalls den zum Jahrestag der Unterzeichnung des deutschchinesischen Freundschaftsvertrages vom 25.12.1955 im „Neuen Deutschland" veröffentlichten Artikel des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, in dem es heißt, er (Grotewohl) werde „die Herstellung normaler Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und China begrüßen" (FAZ vom 27.12.1956). 17 Noch i m Oktober 1949 wurde die D D R von der UdSSR, von der Volksrepublik China, von Polen, der CSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien anerkannt, am 6.11.1949 von der Koreanischen Volksdemokratischen Republik, am 2.12.1949 von Albanien und am 13.4.1950 von der Mongolischen Volksrepublik (vgl. Dokumente der D D R I, passim). Die Demokratische Republik Vietnam (Vietminh) wurde i m Januar 1950 von der Regierung der D D R anerkannt (Dokumente der D D R I I S. 495 f.) und unterhält seit Dezember 1954 normale diplomatische Beziehungen zur D D R (Dokumente der D D R I I S. 494). 18 Vgl. im einzelnen unten § 17,3.

Die Auffassung der Zweistaatentheorie

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diplomatische Beziehungen nur zur Bundesregierung; sie alle haben sich bisher geweigert, die DDR offiziell anzuerkennen. Die Außenpolitik der DDR gegenüber den „westlichen" und „neutralen" Staaten muß sich deshalb darauf beschränken, inoffizielle Kontakte herzustellen und nach und nach auf die volle völkerrechtliche Anerkennung ihrer eigenen Staatlichkeit hinzuwirken. Die Anstrengungen der DDR, einen Einbruch i n die Front der sie nicht anerkennenden Staaten zu erzielen, konzentrieren sich dabei naturgemäß i n erster L i n i e auf die sogenannten „neutralen" Staaten, die sich i n dem politischen Konflikt zwischen Ost und West nicht festgelegt haben und eine unparteiische Stellung bewahren möchten. Da es i h r unmöglich erscheint, sofort die ausdrückliche und uneingeschränkte völkerrechtliche Anerkennung zu erlangen, versucht die Regierung der DDR, ihrem Ziel schrittweise näherzukommen. Diesem Vorhaben dienen vor allem die Entwicklung der Außenhandelsbeziehungen und die ständigen Bemühungen, i n internationalen Organisationen Fuß zu fassen. (aa)

Die Außenhandelsbeziehungen

der DDR

Der Außenhandel zwischen der DDR und den „westlichen" und „neutralen" Staaten w i r d — von wenigen Ausnahmen abgesehen 19 — auf der Grundlage von Bankenabkommen 2 0 , Kammerabkommen 2 1 oder Kompensationsabkommen 22 abgewickelt 2 3 . Da diese Abkommen nicht zwi19

Vgl. unten Anm. 26. Bankenabkommen werden zwischen der Deutschen Notenbank und den Zentralbanken (oder anderen beauftragten Banken) der Partnerländer abgeschlossen. Vgl. dazu Pfuhl, Rechtsformen, Organisation und Technik des sowjetzonalen Außenhandels (Berlin — West — 1954) S. 119 ff.; Förster, Das Außenhandelssystem der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Die Entwicklung der Organisation und Technik des sowjetzonalen Außenhandels (Bonn 1955), S. 51 und S. 56; und Dokumente der DDR, passim. 21 Kammerabkommen werden zwischen der Kammer für Außenhandel der D D R (vgl. unten Anm. 29) und den Außenhandelskammern der Partnerländer abgeschlossen. Die Außenhandelskammern fungieren als Treuhänder der an dem Warenaustausch beteiligten Firmen und Organisationen. Vgl. dazu Pfuhl S. 122 ff.; Förster S. 52 und S. 56; und Dokumente der DDR, passim. 22 Kompensationsabkommen werden auf privatrechtlicher Basis, als Einzelabkommen oder als Globalabkommen, zwischen den volkseigenen D I A - A n stalten (bzw. ihren Rechtsnachfolgern, vgl. unten Anm. 28) und ausländischen Einzelfirmen oder Wirtschaftsgruppen abgeschlossen. Vgl. im einzelnen Pfuhl S. 124 ff.; Förster S. 52 ff. und S. 56; sowie Dokumente der DDR, passim. U r sprünglich wurde der Handel mit den meisten NATO-Staaten auf der Grundlage solcher Kompensationsabkommen abgewickelt. Heute sind an ihre Stelle jedoch meist Kammerabkommen getreten, denen gegenüber die Kompensationsabkommen an Bedeutung verloren haben. 23 Eine ausführliche Übersicht über die internationalen Handelsvereinbarungen der D D R findet sich im Juni-Heft (Heft 6) 1956 der Zeitschrift „Deutscher Export" (S. 4 f.). Vgl. außerdem Koch-Lange, Die Handelspolitik der DDR gegenüber dem kapitalistischen Ausland, D A P 1957 S. 737 ff.; Rau, Wachsende Handelsbeziehungen — steigendes Ansehen der DDR in aller Welt, N D 20

176

Beurteilung der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

sehen den Regierungen der beteiligten Länder, sondern nur zwischen nachgeordneten Behörden oder gar zwischen Organen m i t eigener Rechtspersönlichkeit abgeschlossen werden, kann das Bestehen solcher Abmachungen nicht als Indiz einer stillschweigend erfolgten Anerkennung der DDR gewertet werden 2 4 . Wenn die Regierung der DDR bemüht ist, möglichst viele dieser Vereinbarungen durch sogenannte Regierungsabkommen zu ersetzen, so sind dafür nicht nur wirtschaftliche Gründe 2 5 maßgebend, sondern vor allem politische Absichten. Zwar kann auch den von der DDR m i t einigen Staaten geschlossenen Regierungsabkommen über den Handelsverk e h r 2 6 noch nicht die Bedeutung einer stillschweigenden Anerkennung der S t a a t l i c h k e i t der DDR beigelegt werden 2 7 , doch es liegt auf der Hand, daß der Abschluß einer Handelsvereinbarung auf Regierungsebene den ersten Schritt zu weiteren Kontakten und schließlich zur vollen völkerrechtlichen Anerkennung darstellen mag. Dem Abschluß von Handelsabkommen folgt meist der Wunsch nach Errichtung und Austausch von ständigen Handelsmissionen, denen ein möglichst offizieller Status und schließlich konsularische Befugnisse eingeräumt werden sollen. I n einer Reihe von ausländischen Hauptstädten hat die DDR ständige Vertretungen der DIA-Anstalten (die heute großenteils i n Gesellschaften m i t beschränkter Haftung umgewandelt sind) 2 8 und der Kammer vom 14.11.1958; und Schmäcke, Inhalt, Charakter und Formen der wichtigsten Vertragsarten im Außenhandel der DDR, D A 1959 H. 2 S. 25 f. 24 Vgl. dazu unten § 18, 2 a. Siehe auch Pfuhl S. 115 ff. 25 Langfristige Regierungsabkommen gewährleisten eine größere Plansicherheit. Vgl. Pfuhl S. 115. 26 Handelsabkommen auf Regierungsebene (Regierungsabkommen) hat die D D R abgeschlossen mit Finnland (erstmals 1951), Ägypten (1953), dem Libanon (1953), Indien (1954), Burma (1955), Syrien (1955), dem Jemen (1956), dem Sudan (1956), dem Irak (1958) und Guinea (1958). Der Abschluß eines weiteren Regierungsabkommens mit Ghana scheint bevorzustehen (vgl. N D vom 26.2. 1959). — Siehe zum ganzen Pfuhl S. 115 ff.; Förster S. 50 und S. 55 f.; und Dokumente der DDR, passim. 27 Vgl. dazu im einzelnen unten § 18, 2 d. 28 Die Volkseigenen Handelsunternehmungen „Deutscher Innen- und Außenhandel" (VEH-DIA), die heute großenteils in Gesellschaften mit beschränkter Haftung umgewandelt sind, sind die staatlichen Außenhandelsorgane der DDR. Da der gesamte Großhandel der D D R verstaatlicht ist, entsprechen die DIA-Anstalten, die auch eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, indes durchaus den privaten Außenhandelsfirmen der westlichen Länder und sind darum völkerrechtlich als „Privatpersonen" und jedenfalls nicht als staatliche Organe anzusehen. Die im Laufe des Jahres 1956 vorgenommene Umwandlung vieler DIA-Anstalten in Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterstreicht ihren „privatwirtschaftlichen", d. h. nicht hoheitlichen Charakter. Vgl. dazu Pfuhl S. 32 ff. und Förster S. 28 ff. Zur Umwandlung der D I A Anstalten in Gesellschaften m.b.H. vgl. den Kurzbericht in der Zeitschrift „Aus der Zone des Unrechts", 3. Jahrg. (1957), Heft 2, S. 30; sowie Berger, Erneuter Wandlungsprozeß im sowjetzonalen Außenhandel, in: „Aus der Zone des Unrechts", 3. Jahrg. (1957), Heft 4, S. 58 f.

Die Auffassung der Zweistaatentheorie

177

f ü r A u ß e n h a n d e l 2 9 einrichten k ö n n e n 3 0 . D a sowohl die Ö I Ä - A n s t a l t e n w i e auch d i e K a m m e r f ü r A u ß e n h a n d e l eine eigene Rechtspersönlichk e i t besitzen u n d n i c h t u n m i t t e l b a r als R e g i e r u n g s o r g a n e anzusehen sind, k o m m t d e n a u s w ä r t i g e n V e r t r e t u n g e n dieser O r g a n i s a t i o n e n e i n offizieller Status nicht z u 3 1 ' 3 2 . D a r ü b e r h i n a u s i s t es d e r R e g i e r i m g d e r D D R aber g e l u n g e n , i n e i n i g e n S t a a t e n offizielle „ H a n d e l s v e r t r e t u n g e n d e r R e g i e r u n g d e r D D R " z u eröffnen. Solche V e r t r e t u n g e n bestehen i n Ä g y p t e n , A r g e n t i n i e n , B u r m a , Finnland, Indien, dem I r a k , dem Jemen, K o l u m b i e n , dem L i b a 29 Die am 14.11.1952 gegründete „Kammer für Außenhandel der Deutschen Demokratischen Republik" ist eine gesellschaftliche Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 1 der Satzung), also kein unmittelbares Organ der staatlichen Hoheitsverwaltung. (Vgl. dazu auch unten Anm. 32.) Sie „hat die Aufgabe, die auswärtigen Wirtschaftsbeziehungen der D D R auf der Basis der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils anzubahnen, zu vertiefen, zu entwickeln und zu fördern" (§ 3). Zu diesem Zweck kann sie Zweigstellen i m I n - und Ausland einrichten (§ 5). Mitglieder der Kammer können die V E H „DIA", volkseigene Betriebe, die staatliche Handelsorganisation (HO), Konsumgenossenschaften und andere am Außenhandel beteiligten Wirtschaftsorganisationen und Unternehmen werden (§ 8 der Satzung). — Die Satzung ist abgedruckt bei Mechau-Prawitt, Handbuch für den Außenhandel (Berlin — Ost — 1954), S. 114 ff. — Vgl. auch Pfuhl S. 30 f. und Förster S. 24 ff. sowie Koch. Die Kammer im Dienste der Außenhandelsförderung, D A 1959 H. 1 S. 31 f. 30 Ständige Vertretungen der Kammer für Außenhandel der DDR bestehen zur Zeit in Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Indonesien, Island, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Schweden und der Türkei. I n anderen Ländern sind Vertretungen der DIA-Anstalten errichtet worden. Vgl. dazu die Übersichten in Dt. Export 1956 H. 6 (Juni) S. 101; D A P 1957 S. 253 f.; und D A 1958 S. 185; sowie den oben (Anm. 29) zitierten Aufsatz von Koch. 31 Das Auswärtige A m t in Bonn hat dem Verf. freundlicherweise gestattet, in beschränktem Umfang Einblick in seine Archive zu nehmen. Die in mehreren folgenden Anmerkungen gemachten Angaben stützen sich auf ein sorgfältiges Studium der dem Verf. überlassenen Akten. Eine genauere Spezifizierung der einzelnen Quellen war jedoch aus naheliegenden Gründen nicht immer möglich. 32 Die Vertretung der Kammer für Außenhandel der D D R in Amsterdam wurde in Kreisen des niederländischen Außenministeriums mit dem Außenhandelsbüro verglichen, welches die Sowjetunion, die zwischen den beiden Weltkriegen von der holländischen Regierung nicht anerkannt war, während dieser Zeit in Amsterdam unterhielt. — Die offizielle Einschätzung des Rechtscharakters der Außenhandelskammer der DDR als einer nichtamtlichen Stelle wird besonders deutlich in der vom niederländischen Wirtschaftsministerium herausgegebenen Handelsvertragssammlung zum Ausdruck gebracht. Dort heißt es in einer Bekanntmachung vom 18. 2.1954: „Der am 17. 9.1949 mit der Sowjetischen Militäradministration abgeschlossene Handelsvertrag ist nach Errichtung der D D R verfallen. I n zwischen ist inoffiziell vereinbart worden, daß die Bestimmungen des Vertrages bestehen bleiben..." (Mit der „inoffiziellen" Vereinbarung ist das am 3.7.1953 in Berlin zwischen der Kammer für Außenhandel der DDR und der Nederlandse Kamer van Koophandel voor Duitsland abgeschlossene Warenaustauschabkommen gemeint. Vgl. Dokumente der DDR I S. 502.)

12

W . v. Marschall

1 7 8 B e u r t e i l u n g der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

non, dem Sudan, Syrien und Uruguay 3 3 . Weitere Vertretungen sollen i n Kürze i n Guinea und Ghana eingerichtet w e r d e n 3 3 3 . Doch auch die Zustimmung zur Errichtung regierungsoffizieller Handelsvertretungen der DDR und selbst ihre Ausstattung mit gewissen konsularischen Rechten 34 kann noch nicht als eine stillschweigende Anerkennung der Staatlichkeit der DDR durch die betreffenden Regierungen ausgelegt werden 3 5 . I n Ostberlin haben bisher nur Finnland 3 6 und Ägypten 3 7 ständige Handelsvertretungen eröffnet. Die übrigen Staaten lassen ihre Handels33 Vgl. Dt. Export 1956, Heft 6 (Juni), S. 101; D A P 1957 S. 252 f.; und D A 1958 S. 185. Der Status dieser Handelsvertretungen der Regierung der DDR ist in den einzelnen Ländern allerdings sehr unterschiedlich geregelt. So scheinen die „Misión Comercial de la República Democrática Alemana" in Argentinien und die „Delegación Comercial de la República Democrática Alemana" in Uruguay kaum mehr als einen halbamtlichen Charakter zu tragen und bisher noch nicht in offiziellen Beziehungen zu den Außenministerien der beiden Länder zu stehen. Auch die im Januar 1956 errichtete „Handelsvertretung der Regierung der DDR bei der Regierung der Republik Sudan" (vgl. dazu Dokumente der DDR I I I S. 662) verkehrt nicht direkt mit dem sudanesischen Außenministerium, sondern nur mit dem Wirtschaftsministerium. I n Indien besteht nur eine „Vertretung der Außenhandelsorgane der DDR", der aber offensichtlich der Status einer Regierungsvertretung eingeräumt worden ist (in der Übersicht in D A P 1957 S. 252 ff. wird diese Vertretung jetzt auch als „Trade Representation of the German Démocratie Republic in India" bezeichnet). — Dagegen ist den Handelsvertretungen der DDR in Burma, i m Libanon, im Irak, in der Vereinigten Arabischen Republik, in Guinea und in Ghana ein ganz offizieller Status eingeräumt worden. — Über die besondere Stellung der Handelsvertretung der DDR in Finnland vgl. unten § 17, 4. 383 Vgl. „Berliner Zeitung" (Ostberlin) vom 19.11.1958; „Der Morgen" (Ostberlin) vom 26.11.1958; und N D vom 26. 2.1959. 84 Beschränkte konsularische Befugnisse sind den Handelsvertretungen der D D R in Kairo, Damaskus, Rangún, Bagdad, Conakry und Accra (sowie in Helsinki) eingeräumt worden. I n allen Fällen wurde aber kein Exequatur erteilt, so daß eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR vermieden wurde (vgl. unten Anm. 185). Schon am 16.11.1955 wurde die Handelsvertretung der DDR in Kairo durch einen Beschluß des ägyptischen Ministerrats ermächtigt, „de se livrer aux travaux consulaires ayant rapport aux opérations commerciales". Während des Besuches des Ministerpräsidenten der DDR, Grotewohl, in Kairo vom 4. bis 7. Januar 1959 wurde vereinbart, „die freundschaftlichen Beziehungen durch die Errichtung von Generalkonsulaten zu vertiefen" (vgl. die Erklärung von Ministerpräsident Grotewohl vom 7.1.1959, A P K vom 10.1.1959 S. 2; und das Kommuniqué über die Sitzung des Ministerrats der D D R am 12. 2.1959, A P K vom 23. 2.1959 S. 1). Nach Mitteilung des Präsidenten der VAR, Nasser, soll dem Generalkonsulat der DDR in Kairo jedoch kein Exequatur erteilt werden (FAZ vom 15.1.1959). Gemäß einer am 17. 11. 1958 in Conakry unterzeichneten Vereinbarung zwischen der DDR und Guinea sollen Handelsvertretungen ausgetauscht werden, denen konsularische Rechte eingeräumt werden, sowie das Privileg der Unverletzlichkeit und des freien Verkehrs (vgl. „Der Morgen" — Ostberlin — vom 26.11.1958). 35 Vgl. im einzelnen unten § 18, 2 a. 36 Siehe darüber ausführlich unten § 17, 4. 37 A m 16.11.1955 beschloß der ägyptische Ministerrat (1) die „création d'un bureau de commerce égyptien à Berlin, à l'instar du bureau de commerce relevant de la république d'Allemagne démocratique fonctionnant au Caire"

Die Auffassung der Zweistaatentheorie

179

interessen, s o w e i t es e r f o r d e r l i c h ist, d u r c h B e a u f t r a g t e p r i v a t e r F i r m e n oder p r i v a t e r Außenhandelsorganisationen wahrnehmen, deren Mission keinen amtlichen Charakter trägt 38. (bb)

Sonstige

Kontakte

der DDR zu Staaten, anerkannt haben

die sie bisher

nicht

A u c h a u ß e r h a l b des Bereichs i h r e r A u ß e n h a n d e l s b e z i e h u n g e n h a t d i e D D R engere K o n t a k t e z u d e n Staaten, die i h r die A n e r k e n n u n g v e r sagen, b i s h e r n i c h t h e r z u s t e l l e n v e r m o c h t . E i n Versuch, das schwedische Interesse a m d i r e k t e n D u r c h g a n g s v e r k e h r ü b e r T r e l l e b o r g - S a ß n i t z nach S ü d d e u t s c h l a n d z u b e n u t z e n , u m der v ö l k e r r e c h t l i c h e n A n e r k e n n u n g durch Schweden einen Schritt näherzukommen, ist fehlgeschlagen 39. Ebenso h a b e n d i e o f f i z i e l l e n Besuche des M i n i s t e r s f ü r A u ß e n h a n d e l u n d I n n e r d e u t s c h e n H a n d e l , H e i n r i c h R a u , i n I n d i e n 4 0 u n d i n verschiesowie (2) die „autorisation aux deux bureaux de se livrer aux travaux consulaires ayant rapport aux opérations commerciales". (Vgl. dazu auch Dokumente der D D R I I I S. 624). — Nach langem Zögern wurde die ägyptische Handelsvertretung schließlich i m Herbst 1957 eröffnet; der Leiter der Vertretung, Handelsrat Hamdy, traf Mitte Januar 1958 in Ostberlin ein (vgl. Bad. Z. vom 28.10.1957, F A Z vom 28.10.1957 und F A Z vom 16.1.1958). Aus der Errichtung dieser ägyptischen Handelsvertretung in Ostberlin kann ebensowenig auf die Anerkennung der Staatlichkeit der DDR durch Ägypten geschlossen werden wie aus dem Bestehen einer Handelsvertretung der DDR in Kairo (vgl. unten §18, 2 a). 38 So unterhält z.B. die niederländische Handelskammer für Deutschland ein Büro in Ostberlin, dessen Direktor die inoffizielle Kontaktperson der holländischen Regierung zu den staatlich gelenkten Wirtschaftsorganisationen der DDR ist. Die Regierung von Uruguay veröffentlichte im Oktober 1955 im Staatsanzeiger ein Dekret, daß der Kaufmann Manuel Fariña zum Handelsagenten Üruguays ohne offizielle Befugnisse und ohne diplomatischen Rang in der D D R und in Polen ernannt worden sei; ausdrücklich wurde in dem Dekret darauf hingewiesen, daß die Mission Fariñas privaten Charakter trage und keinerlei Anerkennung der D D R implizieren könne. — Der Wortlaut dieses Dekrets hinderte die Regierung der D D R indes nicht daran, der Mission Fariñas einen hochoffiziellen Anstrich zu geben (vgl. Dokumente der D D R I I I S. 709). 39 Nach der sowjetischen Souveränitätserklärung für die D D R vom 25. März 1954 verlangte die Regierung der D D R von Schweden die Zulassung einer Visastelle in Stockholm mit konsularischen Befugnissen. Die schwedische Regierung erklärte sich daraufhin zwar bereit, einen Beamten der D D R zum Zwecke der Visaerteilung zuzulassen, wollte ihm jedoch keinen Diplomatenpaß, sondern nur eine einfache Aufenthaltsgenehmigung bewilligen. Auf diese Weise sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß eine de facto Anerkennung der D D R nicht zur Diskussion stehe, sondern daß lediglich die Visafrage eine praktische Lösung finden solle. Nach längerem Hin und Her wurde schließlich ein modus vivendi vereinbart: Nach einer Auskunft des schwedischen Außenministeriums vom Januar 1955 vollzieht sich die Visaerteilung ohne die M i t wirkung schwedischer Behörden und ohne die Anwesenheit einer offiziellen oder offiziösen Dienststelle der D D R auf schwedischem Boden. (Vgl. auch Bad. Z. vom 5.4.1956.) 40 Vgl. Dokumente der D D R I I S. 521 f. und I I I S. 650 ff. 12*

1 8 0 B e u r t e i l u n g der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung d e n e n arabischen H a u p t s t ä d t e n 4 1 , d i e Reise des M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n O t t o G r o t e w o h l nach K a i r o , Damaskus, B a g d a d u n d N e w D e l h i i m J a n u a r 1 9 5 9 4 1 a , s o w i e d e r E m p f a n g h o c h g e s t e l l t e r P e r s ö n l i c h k e i t e n aus d e n S t a a t e n des V o r d e r e n O r i e n t s u n d A f r i k a s i n O s t b e r l i n 4 2 die D D R i h r e m Z i e l , eine b r e i t e r e v ö l k e r r e c h t l i c h e A n e r k e n n u n g z u e r l a n g e n , b i s h e r n i c h t n ä h e r g e b r a c h t . A u c h solche o f f i z i e l l e n Besuche k o m m e n noch nicht einer stillschweigenden A n e r k e n n i m g der S t a a t l i c h k e i t d e r D D R d u r c h die b e t r e f f e n d e n R e g i e r u n g e n g l e i c h 4 3 .

(cc)

Die Mitgliedschaft

der DDR in internationalen

Organisationen

M i t b e s o n d e r e m E i f e r h a t die R e g i e r u n g d e r D D R sich u m d i e A u f nahme i n w e l t w e i t e 4 4 internationale Organisationen b e m ü h t 4 5 . D e n n nichts könnte die A n e r k e n n u n g der Staatlichkeit der D D R u n d die T a t sache des Bestehens z w e i e r deutscher S t a a t e n d e u t l i c h e r u n t e r s t r e i chen, als d i e A u f n a h m e d e r D D R , n e b e n d e r B u n d e s r e p u b l i k , i n i n t e r n a t i o n a l e K ö r p e r s c h a f t e n , d i e n u r S t a a t e n als M i t g l i e d e r n offenstehen46. 41 Besuche in Kairo vom 6. bis 12.11.1955 und vom 16. bis 19. 5.1956 (Dokumente der D D R I I I S. 620 ff. und S. 629 ff.). — Besuch in Beirut vom 12. bis 16. 5.1956 (Dokumente der DDR I I I S. 659 f.). — Besuch in Damaskus vom 7. bis 12. 5.1956 (Dokumente der DDR I I I S. 669 f.). 418 Der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, besuchte vom 4. bis 7. Januar Kairo und vom 7. bis 8. Januar Damaskus. A m 8. Januar 1959 traf er zu einem viertägigen Besuch in Bagdad ein, und vom 12. bis 17. Januar weilte er in Indien. Die Ergebnisse dieser Reise waren relativ gering. I n Kairo erreichte Grotewohl lediglich die Umbenennung der Handelsvertretung in „Generalkonsulat", ohne daß sich die ägyptische Seite zur Erteilung eines Exequatur bereit erklärte (FAZ vom 15.1.1959). I n Bagdad ließ sich Ministerpräsident Kassem nur zu der Vereinbarung bewegen, „bei entsprechender Lage" diplomatische Beziehungen zwischen der DDR und der Republik I r a k herzustellen. I n New Delhi wurde Grotewohl zwar zweimal von Ministerpräsident Nehru empfangen, doch hinsichtlich der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR wurden von der indischen Regierung keine Zugeständnisse gemacht. (Die verschiedenen Erklärungen sind abgedruckt in A F K vom 10.1.1959 S. 2; A P K vom 19.1.1959 S. 3; A P K vom 9. 2.1959 S. 9; und A P K vom 23. 2.1959 S. 412 f.). Neben zahlreichen Besuchern im Ministerrang, die während ihres Aufenthalts in der D D R anläßlich der Leipziger Messen offiziell empfangen wurden (vgl. Dokumente der DDR, passim), ist hier vor allem der Besuch des Kronprinzen des Jemen, Emir Seif el-Islam Mohammed el-Badr, zu nennen, der gleichzeitig Außenminister seines Landes ist und vom 25.6. bis 2.7.1956 auf Einladung des Ministerpräsidenten Grotewohl in der D D R weilte (vgl. Dokumente der D D R I I I S. 687 ff.). 43 Vgl. im einzelnen unten § 18, 2 d. 44 das heißt: nicht hur die Staaten des Ostblocks umfassende. 45 Vgl. zum folgenden Gyptner, Die Beziehungen der D D R zu den internationalen Organisationen, D A P 1956 S. 34 ff.; und Peck S. 22 ff. 48 Es liegt auf der Hand, daß in diesem Zusammenhang nur die volle M i t gliedschaft in zwischen s t a a t l i c h e n amtlichen Organisationen (sogenannten intergovernmental organizations) von Bedeutung ist. Denn nur die Auf-

Die Auffassung der Zweistaatentheorie

181

Die Bemühungen der Regierung der DDR sind indes auch i n dieser Hinsicht bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Sämtliche Anträge der DDR auf Aufnahme i n eine der Spezialorganisationen der Vereinten Nationen sind abgelehnt worden 4 7 ; sofern sie an den Arbeiten einer dieser Körperschaften teilnimmt, sind ihre Vertreter n u r inoffiziell (als Sachverständige) zugelassen 48 . Auch i n keine andere weltweite zwischenstaatliche Organisation ist die DDR als Vollmitglied neben der Bundesrepublik aufgenommen worden 4 9 . Sie hat lediglich ihren B e i t r i t t nähme in solche Körperschaften, nicht aber die Mitgliedschaft in nichtamtlichen Organisationen (sogenannten non-governmental organizations), wie z. B. die Liga der Rot-Kreuz-Gesellschaften oder das Internationale Olympische Komitee, vermag die Anerkennung der S t a a t l i c h k e i t der DDR zu implizieren. 47 Vgl. dazu vor allem Dieckmann, Wir und die Vereinten Nationen, D A P 1957 S. 12 ff. (S. 18 f.); Hucke, Die I A O und die Mitarbeit der DDR, D A P 1957 S. 850 ff. (S. 856); sowie die unten (Anm. 48) zitierte Literatur. — Der W i r t schafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen lehnte auf seiner 20. Tagung am 7.12.1955 die Aufnahme der DDR in die UNESCO und am 15.12.1955 die Aufnahme der D D R in die ECE (Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa) ab. (Vgl. EA 1956 S. 8538 und Kiermeier, Die UNESCO ohne China und DDR, D A P 1957 S. 131 ff. (S. 135). Eine Ausnahme macht hier allein der Weltpostverein, der ebenfalls den Status einer Spezialorganisation der Vereinten Nationen besitzt. Da die D D R ihren Beitritt zu dieser Organisation jedoch durch eine einfache Notifikation vollziehen konnte und eine Zustimmung der übrigen Mitgliedstaaten nicht erforderlich war, kann die Mitgliedschaft der DDR im Weltpostverein nicht als eine Anerkennung ihrer Staatlichkeit ausgelegt werden, zumal auch nichtstaatliche Gebilde (unselbständige Gebiete, Kolonien, unter Umständen wohl auch lokale de facto Regierungen) Mitglieder des Weltpostvereins werden können. Siehe auch Zachmann/Haschke, Die Stellung der DDR im Weltpostverein, D A P 1958 S. 578—582, sowie D A P 1958 S. 620. 48 Auf der 44. Tagung des Exekutivrates der UNESCO, die am 2. August 1956 in Paris zu Ende ging, wurde die Einladung einer offiziellen Beobachterdelegation der D D R zur 9. Generalkonferenz der UNESCO (November 1956) abgelehnt (EA 1956 S. 9162; siehe auch Kiermeier a.a.O. — Anm. 47 — S. 136). — Auch die Zulassung einer offiziellen Beobachterdelegation der DDR zu den Plenartagungen der ECE (Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa) wurde auf der X I . Plenarsitzung der ECE (5. bis 21. 4.1956) abgelehnt (EA 1956 S. 8923). Auf der X I I . und X I I I . Plenartagung (1957 und 1958) wurden die Anträge der DDR auf Mitgliedschaft in der ECE ebenfalls abgewiesen. Die DDR kann mithin nur durch Sachverständige an den Arbeiten der einzelnen Spezialkomitees der ECE teilnehmen. — Vgl. dazu Zachmann, Die Mitarbeit der Deutschen Demokratischen Republik in der ECE, D A P 1956 S. 343 ff.; Zemann, Die Mitarbeit der DDR in der Europäischen Wirtschaftskommission der UN, D A P 1957 S. 56 ff.; Meißner, Über die X I I . Tagung der ECE, D A P 1957 S. 551 ff.; Warnitz, Beobachtungen in Genf, D A P 1957 S. 566 ff.; die Erklärung der Delegation der DDR auf der X I I . Tagung der ECE, D A P 1957 S. 615 f.; Dieckmann a.a.O. (Anm. 47) S. 20 f.; Zachmann, Licht und Schatten über der X I I I . Plenartagung der Europäischen Wirtschaftskommission, D A P 1958 S. 677 ff. mit Dokumenten, D A P 1958 S. 709 ff. 49 Vgl. dazu die ausführliche Übersicht über „Internationale Organisationen, in denen die Deutsche Demokratische Republik die Mitgliedschaft besitzt bzw. Mitarbeit leistet", D A P 1956 S. 93 ff.; sowie die kritische Stellungnahme dazu von Grosse, Bundesrepublik oder D D R . . . Wen erkennt das Ausland an?, SBZ-Archiv 1956 S. 2 5 2 1 Siehe auch: W. G., Die internationale Stellung der Bundesrepublik, Bulletin vom 14.5.1958 S. 886 ff.

1 8 2 B e u r t e i l u n g der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung z u e i n i g e n offenen m u l t i l a t e r a l e n K o n v e n t i o n e n 5 0 e r k l ä r t ; da d e r B e i t r i t t z u diesen V e r t r a g s w e r k e n indes j e d e r z e i t d u r c h eine einfache N o t i fikation vollzogen w e r d e n k a n n u n d der Z u s t i m m u n g der ü b r i g e n M i t g l i e d s t a a t e n n i c h t b e d a r f 5 1 , k a n n dieser S c h r i t t d e r m i t t e l d e u t s c h e n R e g i e r u n g keinesfalls die A n e r k e n n u n g der Staatlichkeit der D D R durch die übrigen, der betreffenden m u l t i l a t e r a l e n V e r e i n b a r u n g angehörend e n S t a a t e n h e r b e i f ü h r e n , selbst w e n n k e i n e d e r b e t e i l i g t e n R e g i e r u n gen, w i e es t e i l w e i s e geschehen i s t 5 2 , d e r D e p o s i t a r m a c h t e i n e n ausdrücklichen Rechtsvorbehalt notifiziert h a t 5 3 » 5 4 .

(c)

Die

Beziehungen

der

DDR

zur

Bundesrepublik

Es e n t s p r i c h t d e r v o n d e r R e g i e r u n g d e r D D R k o n s e q u e n t v e r t r e t e n e n (modifizierten) Z w e i s t a a t e n t h e o r i e 5 5 , daß sie n i c h t n u r b e s t r e b t ist, a u f d i e A n e r k e n n u n g d e r S t a a t l i c h k e i t d e r D D R d u r c h die M e h r z a h l der G l i e d e r d e r V ö l k e r r e c h t s g e m e i n s c h a f t h i n z u w i r k e n , s o n d e r n daß sie auch u n a b l ä s s i g versucht, z u r B u n d e s r e g i e r u n g selbst v ö l k e r r e c h t l i c h e K o n t a k t e h e r z u s t e l l e n , d i e die gegenseitige A n e r k e n n u n g d e r b e i d e n deutschen S t a a t e n i m p l i z i e r e n s o l l e n 5 6 . So h a t die R e g i e r u n g d e r 50 Z. B. zur Pariser Verbandsübereinkunft vom 20.3.1883 zum Schutze des gewerblichen Eigentums i. d. F. vom 6.11.1925 (RGBl. 1928 I I S. 175) und zur Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst vom 9. 9. 1886 i. d. F. vom 2. 6. 1928 (RGBl. 1933 I I S. 889). 51 Vgl. Art. 16 der Pariser Verbandsübereinkunft (Anm. 50) und Art. 25 der Berner Übereinkunft (Anm. 50). Siehe auch Verdroß S. 124 und S. 158. 52 Nach der Beitrittserklärung (bzw. Wiederanwendungserklärung) der D D R zur Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst am 11. 5.1955 haben z. B. Großbritannien, Frankreich, Belgien, Holland, Italien, Dänemark, Portugal, die Türkei, Neuseeland, Spanien, Irland, Thailand, Südafrika, Japan und Kanada der Schweiz (als der Depositarmacht) solche Rechtsvorbehalte notifiziert; diese Beispiele lassen sich beliebig vermehren. — Die Bundesregierung selbst hat in allen in Betracht kommenden Fällen gegen die Beitrittserklärungen der D D R eine Rechtsverwahrung eingelegt. I n einigen Fällen haben auch die Depositarmächte selbst die Beitrittserklärungen der D D R nicht in der vorgesehenen Form, sondern nur mündlich und mit Vorbehalt weitergeleitet: so z. B. Belgien als Depositarmacht des internationalen Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Hilfsleistung und Bergung in Seenot vom 23.9.1910 (RGBl. 1913 S. 66) und Großbritannien als Depositarmacht des internationalen Schiffssicherheitsvertrages vom 10. 6.1948 (BGBl. I I S.603). Vgl. hierzu auch Zachmann/Haschke, Die Stellung der DDR i m Weltpostverein, D A P 1958 S. 578 ff. 58 Vgl. unten Anm. 198. 64 Vgl. zum ganzen auch Wengler S. 82 ff. 65 Vgl. oben § 10. 68 Siehe dazu ausführlich unten § 18, l d . — Die unzähligen Versuche der Staatsorgane der DDR, direkte Kontakte zu den verfassungsmäßigen Organen der Bundesrepublik herzustellen, sind besonders übersichtlich und vollständig in den Zeittafeln des Europa-Archivs seit 1949 registriert. Als interessante kleine Episode am Rande verdient in diesem Zusammenhang die Tatsache festgehalten zu werden, daß der Minister für Außenhandel

Die Auffassung der Zweistaatentheorie

183

DDR am 27. J u l i 1957 die ,¿Bildung eines Staatenbundes zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Deutschen Bundesrepub l i k auf der Basis eines völkerrechtlichen Vertrages" vorgeschlagen 57 und damit deutlich zu verstehen gegeben, daß sie die gegenseitige völkerrechtliche Anerkennung der beiden „souveränen und unabhängigen deutschen Staaten" 5 8 erstrebt 5 9 .

2. Die Politik der Sowjetunion und der Ostblockstaaten Auch die Sowjetunion und die Staaten des kommunistisch beherrschten Ostblocks vertreten i n ihrer Politik gegenüber Deutschland die A u f fassungen der Zweistaatentheorie und sind infolgedessen bemüht, zu b e i d e n deutschen Staaten normale völkerrechtliche Beziehungen herzustellen. So hat die Regierung der UdSSR am 13. September 1955 m i t der Bundesregierung die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen vereinbart 6 0 und sich i n einer gegen gewisse Vorbehalte der Bundesregierung 6 1 gerichteten Erklärung am 15. September 1955 62 noch einmal ausdrücklich auf die These vom Bestehen zweier deutscher Staaten festgelegt. Ebenso haben die Staaten des Ostblocks wiederholt ihrer Bereitschaft Ausdruck verliehen, nicht nur m i t der DDR, sondern auch m i t der Bunund Innerdeutschen Handel der DDR, Heinrich Rau, zu den Empfängen, die er anläßlich seiner offiziellen Besuche (vgl. oben Anm. 41) am 9.5.1956 in Damaskus und am 14. 5.1956 in Beirut gab, jeweils auch den Gesandten der Bundesrepublik und den Leiter der Wirtschaftsabteilung der deutschen Gesandtschaft eingeladen hatte. Auch schon während seines Besuches in New Delhi vom 27.10. bis 5.11.1955 (vgl. oben Anm. 40) hatte Rau dem deutschen Botschafter eine Einladung zu seinem Empfang geschickt (DAP 1956 S. 68). 57 Erklärung der Regierung der DDR vom 27.7.1957, EA 1957 S. 1011611. 58 E A 1957 S. 10117. 59 Es ist schwer ersichtlich, wie einige Autoren ihre Behauptung begründen wollen, die DDR erkenne die Bundesrepublik nicht „als rechtlich bestehend" an (so Klein a.a.O., Gedächtnisschrift für Walter Jellinek S. 121) oder „für deutschdemokratische Augen (gebe es) nur die Deutsche Demokratische Republik als Deutschen Staat" (so Krüger S. 4). — I n Wahrheit hat die D D R von allem Anfang an die Bundesrepublik als rechtlich bestehend anerkannt und ständig versucht, staatsrechtliche oder völkerrechtliche Kontakte zu ihr herzustellen (vgl. ausführlich unten § 18, 1 d), und es wäre darum besser, wenn man die Tatsachen zur Kenntnis nehmen würde, anstatt lediglich aus der H a l tung der einen Seite zu schließen, daß die andere Seite genau ebenso denken müsse. 60 Der Notenwechsel zwischen der Sowjetregierung und der Bundesregierung ist abgedruckt in 2. B T Drucks. 1685, Anlage 1 und 2, sowie in E A 1955 S. 8219. 61 Vgl, im einzelnen unten § 18, 1 c (bb). 62 EA 1955 S. 8279.

184

Beurteilung der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

desrepublik normale diplomatische Beziehungen aufzunehmen 68 u n d d a m i t der Existenz zweier souveräner Staaten i n Deutschland Rechnung z u tragen. 3, D i e Politik Jugoslawiens D i e j u g o s l a w i s c h e R e g i e r u n g h a t t e i m J a h r e 1952 n o r m a l e d i p l o m a tische B e z i e h u n g e n z u r B u n d e s r e g i e r u n g a u f g e n o m m e n u n d sich z u nächst g e w e i g e r t , auch z u r R e g i e r u n g d e r D D R v ö l k e r r e c h t l i c h e K o n t a k t e h e r z u s t e l l e n . N a c h d e m j e d o c h i m S o m m e r 1955 d e r Prozeß d e r W i e d e r a n n ä h e r u n g J u g o s l a w i e n s a n d e n Ostblock e i n g e l e i t e t w o r d e n w a r 6 4 , m a c h t e d i e B e l g r a d e r R e g i e r u n g sich d i e A u f f a s s u n g d e r Z w e i s t a a t e n t h e o r i e z u e i g e n 6 5 u n d e r k l ä r t e öffentlich, daß „ s i c h a u f d e m 63 So erklärte der polnische Ministerpräsident Cyrankiewicz am 19.4.1957 ausdrücklich, daß Polen bereit sei, diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik herzustellen (FAZ vom 23.4.1957). Auch der polnische Parteichef Gomulka hat sich wiederholt in diesem Sinne ausgesprochen (vgl. z. B. F A Z vom 22.6.1957); i m Oktober 1957 setzte er sich in einer Rede vor dem Zentralkomitee der Polnischen Kommunistischen Partei erneut für die „Normalisierung der Beziehungen mit dem zweiten deutschen Staat, der Bundesrepublik Deutschland", ein (vgl. Bad. Z. vom 26./27.10.1957 und F A Z vom 28.10.1957). I m Dezember 1957 erklärte der polnische Außenminister Rapacki vor dem Außenpolitischen Ausschuß des Sejm: „Es ist nicht unser Fehler, daß normale Beziehungen zwischen den beiden Ländern (Polen und Bundesrepublik) noch nicht aufgenommen wurden" (FAZ vom 16.12.1957). Der tschechische Staatspräsident Zapotocky sprach sich in seiner Neujahrsbotschaft, die über Radio Prag verbreitet wurde, am 1. Januar 1956 für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik aus (FAZ vom 3.1.1956). A m 30. 7.1956 äußerte der Ministerpräsident der Tschechoslowakei, Siroky, vor dem Parlament den Wunsch nach Herstellung diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik und nach Abschluß eines Nichtangriffspaktes zwischen beiden Staaten (Bad. Z. und F A Z vom 1. 8.1956). A m 15. Juli 1958 richtete Siroky ein Schreiben an Bundeskanzler Adenauer, in dem er die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der CSR und der Bundesrepublik vorschlug (vgl. N D vom 16. 7.1958 und F A Z vom 16. und 17. 7.1958). Auch die ungarische und die rumänische Regierung haben sich für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik eingesetzt (vgl. die in der Ostberliner „Nationalzeitung" vom 18.10.1958 wiedergegebene offizielle Erklärung der rumänischen Nachrichtenagentur Agerpress; sowie Bad. Z. und F A Z vom 1. 8.1956, F A Z vom 19.10.1956, F A Z vom 2. 4.1957, F A Z vom 6. 8. 1957, F A Z vom 4.10.1957 und „Berliner Zeitung" (Ostberlin) vom 11.10.1958). — Ebenso konnte der Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Hermann Schwann, nach seiner Rückkehr von einer Reise nach Peking berichten, daß die Volksrepublik China an der Herstellung normaler Beziehungen zur Bundesrepublik interessiert sei (vgl. F A Z vom 30. 8.1956 und vom 1.10.1956). , 8 4 Besuch des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin und des Parteisekretärs Nikita Chruschtschow in Jugoslawien vom 27.5. bis 2.6.1955 (siehe dazu E A 1955 S. 7970 ff.). 65 Zum erstenmal bekannte sich Jugoslawien öffentlich zu seiner Auffassung vom Bestehen zweier deutscher Staaten, als es im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen am 7.12.1955 für die Aufnahme der DDR in die UNESCO und am 15.12.1955 für die Aufnahme der D D R in die W i r t schaftskommission für Europa (ECE) stimmte. (Vgl. dazu Bad. Z. vom 9.12. 1955; E A 1956 S. 8538).

Die Auffassung der Identitätstheorie

185

Territorium des Nachkriegsdeutschland zwei souveräne Staaten gebildet" hätten 6 6 . Doch nur nach langem Zögern entschloß sich Jugoslawien, die Konsequenzen aus dieser Haltung zu ziehen und die DDR als Staat anzuerkennen: Erst am 15. Oktober 1957 gaben die Regierungen der DDR und Jugoslawiens die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen ihren beiden Staaten bekannt 6 7 .

4. Die Politik Finnlands Finnland n i m m t eine Sonderstellung ein. Seine besondere geographisch-politische Lage erlaubte es diesem Lande nicht, normale diplomatische Beziehungen zur Bundesregierung herzustellen und gleichzeit i g die Anerkennung der DDR zu verweigern. U m indes der Auffassimg der Zweistaatentheorie nicht i n vollem Umfang beitreten zu müssen, hat Finnland einen Ausweg beschritten und weder die Bundesregierung noch die Regierung der DDR offiziell anerkannt. Die finnische Regierung hat m i t den beiden deutschen Regierungen lediglich Handelsvertretungen ausgetauscht, denen de jure jedoch kein offizieller Status zuerkannt worden ist 6 8 . Die beiden deutschen Missionschefs i n Helsinki führen, ebenso wie die Vertreter Finnlands i n Bonn und i n Ostberlin, zwar den persönlichen Titel eines Generalkonsuls, aber sie alle arbeiten ohne ein formelles Exequatur der betreffenden Regierungen 69 ; der Tätigkeit dieser Handelsvertretungen kann deshalb nicht die Bedeutung irgendeiner stillschweigenden Anerkennung beigelegt werden 7 0 . 06 Vgl. die Gemeinsame Erklärung vom 20. 6.1956 über die sowjetisch-jugoslawischen Besprechungen in Moskau (EA 1956 S. 9061 ff.) sowie auch die Gemeinsame Erklärung von Regierungs- und Parteidelegationen Polens und Jugoslawiens in Belgrad vom 16. 9.1957 (EA 1958 S. 10448 ff.), in der ebenfalls ausdrücklich gesagt wird, „daß zwei deutsche Staaten bestehen" und daß „direkte Verhandlungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland" aufgenommen werden müßten. 87 Vgl. F A Z vom 15.10.1957. — Die völkerrechtlichen Beziehungen zwischen der D D R und Jugoslawien sollen zunächst durch Gesandtschaften wahrgenommen werden. A m 7.12.1957 erteilte die jugoslawische Regierung Frau Lore Staimer das Agrément als Gesandte der D D R in Belgrad (FAZ vom 9.12.1957). A m 11.2.1958 überreichte Frau Staimer Staatspräsident Tito ihr Beglaubigungsschreiben (FAZ vom 12.2.1958). Dem jugoslawischen Gesandten in der DDR, Dimitrije Vosnjak, wurde am 22.3.1958 das Agrément erteilt; er überreichte am 21. 5.1958 Präsident Pieck sein Beglaubigungsschreiben (vgl. D A 1958 S. 266, und A P K vom 26. 5.1958 S. 2). 88 U m den inoffiziellen Charakter der Beziehungen zu unterstreichen, hat die finnische Regierung im Jahre 1952 im Einvernehmen mit der Bundesregierung ihr noch von der Alliierten Hohen Kommission zugelassenes Generalkonsulat in Köln in eine Handelsvertretung umgewandelt. 89 Vgl. oben Anm. 31. 70 Vgl. dazu unten Anm. 185.

186

Beurteilung der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

Finnland unterhält also faktisch zu beiden deutschen Regierungen völkerrechtliche Beziehungen; doch die finnische Haltung i n der deutschen Frage ist damit i n keiner Weise präjudiziert worden 7 1 .

§ 18 Die Auffassung der Identitätstheorie Die Identitätstheorie (Bürgerkriegstheorie) sieht i n der heutigen Rechtslage Deutschlands einen sezessionalen Vorgang, der noch nicht abgeschlossen i s t 7 5 und auf den die Normen des völkerrechtlichen Aufstandes und des Bürgerkrieges 7 6 weitgehend analog angewandt werden können. Das Verständnis der DDR als eines Teilgebiets des Gesamtstaates, das unter der tatsächlichen Herrschaft einer lokalen de facto Regierung 7 7 steht, die bemüht ist, dieses Gebiet i n einen eigenen S t a a t zu verwandeln 7 8 , ist der Schlüssel, m i t dessen Hilfe die Identitätstheorie alle wesentlichen Probleme zu lösen vermag, die sich i m Zusammenhang m i t den Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung ergeben haben. I n erster Linie muß eine auf der Identitätstheorie beruhende Politik zu verhindern suchen, daß dem mitteldeutschen Gebiet die völkerrechtliche Anerkennung als S t a a t und der dort effektiv herrschenden Regierung die Anerkennung als einer S t a a t s gewalt zuteil w i r d 7 9 . 71 Die Regierung Finnlands ist sohin wohl die einzige Regierung innerhalb der gesamten Völkerrechtsgemeinschaft, deren politische Praxis den A n sichten der Teilordnungslehre (vgl. oben § 8 Anm. 12) und damit auch der Auffassung Abendroths im Ergebnis entspricht; Abendroth sieht bekanntlich die beiden deutschen Regierungen nur als „lokale de facto Regierungen" an (vgl. Oben § 12). 72 (entfällt). 78 (entfällt). 74 (entfällt). 75 Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich die Zweistaatentheorie von der Identitätslehre, da die Zweistaatentheorie den sezessionalen Vorgang für abgeschlossen hält und die Entstehung zweier deutscher Staaten als vollzogen ansieht. 76 Vgl. oben § 2 und § 3. 77 Vgl. dazu Gemma S. 403 ff.; Kunz S. 118 f. und S. 164ff.; und Rousseau S. 308 f. mit zahlreichen Beispielen. 78 Der historische Parallelfall, mit dem die gegenwärtige Rechtslage Deutschlands am ehesten verglichen werden kann, ist der nordamerikanische Sezessionskrieg (1861—1865). A u d i dort versuchte ein Teil des Staates, sich vom Gesamtstaat loszureißen und ein eigenes Staatswesen zu begründen. 70 Vgl. dazu auch Sibert (a.a.O. I S . 193): „Pour que l'Etat formé par sécession soit l'objet d'une reconnaissance au-dessus de la critique, i l importe que cette sécession soit sincère et spontanée; qu'en d'autres termes elle résulte de la libre détermination des intéressés et non pas de l'action, brutale ou masquée d'Etats t i e r s . . . "

Die Auffassung der Identitätstheorie

187

Dagegen braucht eine solche, auf der Identitätstheorie basierende Politik — juristisch gesehen 80 — keine Einwendungen zu erheben, wenn dritte Staaten der Regierung der DDR einen internationalen Status zuerkennen, der der Tatsache Rechnung trägt, daß diese Regierung auf einem Gebiet von nicht unbeträchtlicher Größe tatsächliche Hoheitsgewalt ausübt und deshalb als lokale de facto Regierung angesehen werden muß 8 1 . Denn durch die Anerkennung einer Regierung als lokaler de facto Gewalt w i r d weder die Rechtsstellung der de jure Regierung präjudiziert, noch auch die rechtliche Einheit des durch den sezessionalen Vorgang zerrissenen Staates i n Frage gestellt 8 2 . I n der politischen Praxis w i r d die Identitätstheorie (Bürgerkriegstheorie) ausdrücklich nur von der Bundesregierung 83 und von den M i t gliedstaaten des Nordatlantikpaktes 8 4 vertreten; darüber hinaus kann aber angenommen werden, daß auch alle diejenigen Staaten grundsätzlich der Identitätstheorie zuneigen, die zur Bundesregierung normale diplomatische Beziehungen unterhalten und sich bisher geweigert haben, gleichzeitig die DDR als Staat anzuerkennen 85 . 1. Die Politik der Bundesregierung I m Gegensatz zur DDR hält die Bundesregierung an dem rechtlichen Fortbestand der staatlichen Einheit Deutschlands fest und beansprucht die Stellung und alle Rechte der einzigen legitimen Regierung und rechtmäßigen völkerrechtlichen Vertreterin Gesamtdeutschlands; sie sieht i n der Regierung der DDR nichts weiter als eine (Quasi-) „Aufständische Gewalt", deren Vorhandensein zwar faktisch i n Rechnimg gestellt werden muß, nicht aber rechtlich anerkannt werden darf 8 6 . Folgerichtig muß die Bundesregierung daher jede Handlung vermeiden, die als eine auch nur stillschweigende Anerkennimg der DDR als Staat und Völkerrechtssubjekt ausgelegt werden könnte 8 7 ; insbesondere 80

Von politischen Gesichtspunkten ausgehend, wird man natürlich meist auch die Anerkennung der Gegenregierung als einer lokalen de facto Regierung zu verhindern suchen. 81 Vgl. dazu auch Scheuner, Art. 146 G G und das Problem der verfassunggebenden Gewalt, D Ö V 1953 S. 581 ff. (hier: S. 585 Anm. 29). 82 Vgl. oben § 2, 3 a mit Anm. 67 und Anm. 73. 83 Vgl. oben § 11, 5. 84 Vgl. oben § 8 Anm. 31. 85 Vgl. aber oben § 8 Anm. 25 und Anm. 32. 86 I m Gegensatz zur Bundesregierung wird hier die Ansicht vertreten, daß auch eine beschränkte rechtliche Anerkennung der Regierung der DDR als einer lokalen de facto Regierung nicht in Widerspruch zu der Auffassung der Identitätstheorie und damit zur Auffassung der Bundesregierung zu stehen braucht. 87 Eine solche Politik schließt die Aufrechterhaltung gewisser technischer Kontakte — analog etwa den Abreden, die zwischen nachgeordneten militärischen Stellen zweier Bürgerkriegsparteien (z. B. über einen lokalen Waffenstillstand oder einen Gefangenenaustausch) getroffen werden können — nicht

188

Beurteilung der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

k a n n sie n i c h t zulassen, daß i r g e n d e i n e a u s w ä r t i g e M a c h t g l e i c h z e i t i g z u b e i d e n deutschen R e g i e r u n g e n n o r m a l e v ö l k e r r e c h t l i c h e B e z i e h u n g e n u n t e r h ä l t : dies v e r b i e t e t d e r B u n d e s r e g i e r u n g d i e A u f n a h m e v o l l e r diplomatischer Beziehungen zu denjenigen Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft, d i e d i e D D R b e r e i t s a n e r k a n n t h a b e n 8 8 , u n d z w i n g t sie, e i n d e u t i g e K o n s e q u e n z e n z u ziehen, w e n n eine m i t i h r b e f r e u n d e t e R e g i e r u n g d i e A n e r k e n n u n g d e r D D R aussprechen s o l l t e 8 9 . (a)

Die Bemühungen der Bundesregierung, A n e r k e n n u n g der D D R zu verhindern

die

D i e Tatsache, daß die B u n d e s r e g i e r u n g sich als d i e einzige l e g i t i m i e r t e S t a a t s g e w a l t i n D e u t s c h l a n d u n d d a m i t als die de j u r e R e g i e r u n g des u n g e t e i l t e n gesamtdeutschen Staates b e g r e i f t u n d daß sie deshalb die r e c h t l i c h e E x i s t e n z e i n e r z w e i t e n deutschen S t a a t s g e w a l t n i c h t a n e r k e n n e n k a n n , i s t auch f ü r i h r e P o l i t i k g e g e n ü b e r d e n j e n i g e n S t a a t e n v o n Bedeutung, die normale diplomatische Beziehungen zu i h r hergestellt haben90. D i e B u n d e s r e g i e r u n g d a r f b e i d e n R e g i e r u n g e n dieser S t a a t e n k e i n e n Z w e i f e l d a r a n a u f k o m m e n lassen, daß sie e i n e A n e r k e n n u n g d e r aus; zu solchen technischen Abreden, die, sofern sie in der gehörigen inoffiziellen Form vorgenommen werden, niemals als eine stillschweigende Anerkennung der Staatlichkeit der D D R ausgelegt werden können (vgl. dazu unten § 18, 2 a, sowie Chen S. 194), gehören z. B. die Interzonenhandelsabkommen oder die Abmachungen zwischen den staatlichen Eisenbahnverwaltungen West- und Mitteldeutschlands. 88 Über die im Zusammenhang mit der Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen zu Moskau im September 1955 aufgetauchten Probleme vgl. unten § 18, 1 c (bb). 89 Vgl. dazu die Regierungserklärung von Bundeskanzler Adenauer vor dem Deutschen Bundestag am 22. 9.1955 (2. B T StenBer. S. 5643 ff. [S. 5647]). Anläßlich einer Botschafterkonferenz in Bonn erklärte der deutsche Außenminister, Dr. von Brentano, am 9.12.1955, die Bundesrepublik werde die diplomatischen Beziehungen zu allen Staaten abbrechen, die die Regierung der Sowjetzone anerkennen sollten (FAZ vom 10.12.1955). — A m 11.12.1955 schwächte der Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Professor Grewe, diese Erklärung etwas ab, indem er in einem Rundfunkinterview die Auffassung vertrat, die Bundesregierung werde jede Intensivierung der Beziehungen eines Landes zu der DDR als unfreundliche Handlung ansehen und in solchen Fällen „sehr ernste Konsequenzen" ziehen müssen; doch brauche man hierbei nicht ausschließlich an den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu denken (EA 1956 S. 8534 f.). Inzwischen hat die jugoslawische Regierung den ersten Präzedenzfall geschaffen, indem sie am 15. Oktober 1957 diplomatische Beziehungen zur Ostberliner Regierung aufgenommen und damit die Staatlichkeit der D D R anerkannt hat. Die Bundesregierung hat diesen jugoslawischen Schritt ihrerseits mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien beantwortet. 90 Abgesehen von den elf Ländern des Ostblocks (vgl. oben Anm. 17) und von Jugoslawien (vgl. oben § 17, 3) haben praktisch sämtliche übrigen Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft allein die Bundesregierung anerkannt. (Über die besondere Situation Finnlands siehe oben § 17, 4). Fast alle diese Staaten unterhalten diplomatische Beziehungen zur Bundesregierung.

Die Auffassung der Identitätstheorie

189

S t a a t l i c h k e i t der D D R u n d d a m i t der V o l l e n d u n g der D i s m e m b r a t i o n 9 1 D e u t s c h l a n d s k e i n e s f a l l s zulassen k a n n . W ä h r e n d d i e v i e r z e h n V e r t r a g s p a r t n e r d e r B u n d e s r e p u b l i k i m N o r d a t l a n t i k p a k t sich ausd r ü c k l i c h v e r p f l i c h t e t haben, d i e D D R n i c h t a n z u e r k e n n e n 9 2 , h a b e n d i e ü b r i g e n S t a a t e n sich i m a l l g e m e i n e n n i c h t v e r b i n d l i c h f e s t g e l e g t 9 3 ; g e g e n ü b e r diesen S t a a t e n i s t d i e P o l i t i k d e r B u n d e s r e g i e r u n g d a r u m ganz wesentlich v o n dem B e m ü h e n bestimmt, den Versuchen der D D R , die völkerrechtliche A n e r k e n n u n g zu erlangen, entgegenzuwirken 94. B i s h e r h a t d i e B u n d e s r e g i e r u n g a u f diesem Gebiet u n b e s t r e i t b a r e p o l i tische E r f o l g e e r z i e l e n k ö n n e n . N u r J u g o s l a w i e n h a t sich d a z u entschlossen, offizielle B e z i e h u n g e n z u r m i t t e l d e u t s c h e n R e g i e r u n g a u f z u n e h m e n u n d d i e D D R als S t a a t a n z u e r k e n n e n 9 5 .

(b)

Der

Abbruch

der

diplomatischen

zu

Jugoslawien

Beziehungen

A m 14. O k t o b e r 1957 t e i l t e d e r j u g o s l a w i s c h e B o t s c h a f t e r i n B o n n d e m S t a a t s s e k r e t ä r des A u s w ä r t i g e n A m t e s m i t , daß die j u g o s l a w i s c h e R e Zu den wenigen Ausnahmen gehört im Augenblick z. B. noch der Staat Israel, der indes lediglich die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, nicht jedoch die Anerkennung der Bundesregierung, mit der er am 10. 9.1952 ein zweiseitiges Wiedergutmachungsabkommen abgeschlossen hat (BGBl. 1953 I I S. 35), verweigert. (Vgl. dazu Honig, The reparations agreement between Israel and the Federal Republic of Germany, A J I L 48 [1954] S. 564 ff.). — Inzwischen hat sich auch die israelische Regierung grundsätzlich bereit erklärt, normale diplomatische Beziehungen zu Bonn aufzunehmen (vgl. F A Z vom 9. 7.1957 und vom 23. 7.1957 sowie N Z Z vom 17. 7.1957). Bekanntlich besteht zwischen der Anerkennung einer neuen Regierung und der Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen zu ihr ein deutlicher Unterschied, und die (stillschweigende) Anerkennung einer neuen Regierung braucht nicht notwendig von der Herstellung diplomatischer Beziehungen gefolgt zu sein. (Vgl. Jessup S. 55 f.; Verdroß S. 186; und Verdroß, Die völkerrechtliche Anerkennung, JurBl. 1948 S. 521 ff. [S. 522]; sowie Dahm S. 122.) 91 bzw. des Separations- oder Sezessionsprozesses. 92 Vgl. unten Anm. 213. 93 Zwar haben verschiedene südamerikanische Regierungen im Anschluß an die Erklärung der Sowjetregierung über die Souveränität der DDR (vgl. oben § 9, Anm. 72) den diplomatischen Vertretern der Bundesrepublik ausdrücklich versichert, daß sie nicht daran dächten, die DDR und deren Regierung anzuerkennen; einer solchen einseitigen Erklärung, selbst wenn sie in schriftlicher Form erfolgt (— die peruanische Regierung überreichte der deutschen Botschaft in Lima ein diesbezügliches Memorandum —), kann jedoch eine für alle Zukunft verbindliche Wirkimg nicht beigemessen werden. 94 Dasselbe gilt — mutatis mutandis — für die Politik der Bundesregierung gegenüber den weltweiten internationalen Organisationen. Während das deutsche Völkerrechtssubjekt in sehr vielen zwischenstaatlichen Organisationen von der als Vollmitglied zugelassenen Bundesregierung vertreten wird (vgl. die Ubersicht bei Grosse a.a.O. — Anm. 49 —), ist es der D D R bisher nicht gelungen, in eine dieser Körperschaften als Vollmitglied, d.h. als S t a a t , aufgenommen zu werden. 95 Vgl. oben § 17, 3.

1 9 0 B e u r t e i l u n g der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung g i e r u n g u n d d i e R e g i e r u n g d e r D D R a m 15. O k t o b e r d i e A u f n a h m e d e r diplomatischen Beziehungen zwischen i h r e n beiden Staaten bekannt^ g e b e n w ü r d e n 9 6 . N a c h r e i f l i c h e r Ü b e r l e g u n g entschloß sich d i e B u n d e s r e g i e r u n g d a r a u f h i n a m 19. O k t o b e r , d i e d i p l o m a t i s c h e n B e z i e h u n g e n z u Jugoslawien abzubrechen97. Angesichts d e r v o n d e r B u n d e s r e g i e r u n g b i s h e r v e r f o l g t e n , a n d e n A u f f a s s u n g e n d e r I d e n t i t ä t s t h e o r i e o r i e n t i e r t e n P o l i t i k i s t diese Ent-> Scheidung die e i n z i g m ö g l i c h e R e a k t i o n a u f d e n j u g o s l a w i s c h e n S c h r i t t gewesen u n d deshalb sehr z u U n r e c h t k r i t i s i e r t w o r d e n 9 8 . D e n n m i t der A n e r k e n n u n g der D D R hat die jugoslawische Regierung u n m i ß v e r s t ä n d l i c h z u m A u s d r u c k gebracht, daß sie d i e B u n d e s r e p u b l i k u n d die D D R als z w e i u n a b h ä n g i g n e b e n e i n a n d e r s t e h e n d e deutsche S t a a t e n a n s i e h t u n d n i c h t l ä n g e r g e w i l l t ist, die These d e r B u n d e s r e g i e r u n g z u a k z e p t i e r e n , daß die E i n h e i t D e u t s c h l a n d s r e c h t l i c h f o r t bestehe u n d d i e B u n d e s r e g i e r u n g k r a f t i h r e r d e m o k r a t i s c h e n L e g i t i m a t i o n a l l e i n d i e r e c h t m ä ß i g e v ö l k e r r e c h t l i c h e V e r t r e t e r i n des deutschen Gesamtstaates s e i 9 9 . D i e B u n d e s r e g i e r u n g k o n n t e diesen S c h r i t t der jugoslawischen R e g i e r u n g n i c h t s t i l l s c h w e i g e n d h i n n e h m e n . E i n e solche 96

Vgl. F A Z vom 15.10.1957. Der entscheidende Satz der deutschen Note an Jugoslawien (abgedruckt in der F A Z vom 21.10.1957) lautet: „ . . . sieht sich die Bundesregierung gezwungen, die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien zu beenden." — Die konsularischen und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und Jugoslawien sind bisher durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen nicht unmittelbar berührt worden (vgl. F A Z vom 7.11.1957 und vom 30. 6.1958). 98 Wenn man die Politik der Bundesregierung einer Kritik unterziehen will, so kann man nur die Frage stellen, ob es überhaupt richtig ist, an dem Gedanken der alleinigen demokratischen Legitimation der Bundesregierung festzuhalten und das Bestehen zweier deutscher Staaten zu verneinen. Wenn man jedoch diese Politik grundsätzlich gutheißt, wie es fast die gesamte öffentliche Meinung in Westdeutschland tut, dann muß man auch bereit sein, die weniger erfreulichen Konsequenzen, die sich aus einer solchen Politik ergeben können, mit in Kauf zu nehmen. Die an der Entscheidung der Bundesregierung geübte Kritik (— wie sie sich in der Presse der Monate Oktober und November 1957 widerspiegelt —) muß schon deshalb zurückgewiesen werden, weil sie überwiegend an der wesentlichen Fragestellung (ob die Grundlagen dieser politischen Haltung, d. h. die Auffassungen der Identitätstheorie, politisch zweckmäßig sind) völlig vorbeigeht und statt dessen nur erkennen läßt, daß es in bedauerlicher Weise an jeder Bereitschaft mangelt, auch die nachteiligen Folgen einer i m Prinzip gebilligten Politik mit in Kauf zu nehmen. 99 Die jugoslawische Regierung hatte diese Rechtsauffassung zwar schon früher öffentlich zum Ausdruck gebracht (vgl. oben § 17, 3). Solange sie indes ihren Worten keine Taten folgen ließ, konnte ein diplomatischer Protest der Bundesregierung (— am 16. 9.1957, unmittelbar nach der Veröffentlichung der Gemeinsamen Erklärung Titos und Gomulkas [vgl. oben Anm. 66], wurde Botschafter Dr. Pfleiderer zur sofortigen Berichterstattung von Belgrad nach Bonn berufen; vgl. F A Z vom 17.9.1957 —) als ausreichende Rechtsverwahrung angesehen werden. Erst nachdem die Anerkennung der D D R ausgesprochen war, sah sich die Bundesregierung gezwungen, ernstere Maßnahmen zu ergreifen. 97

Die Auffassung der Identitätstheorie

191

Hinnahme der Anerkennung der DDR hätte als das Eingeständnis der Bundesregierung aufgefaßt werden müssen, daß sie an ihrem gesamtdeutschen Anspruch nicht mehr unbedingt festhalten wolle. Zwar hätte sich die Bundesregierung auch damit begnügen können, einen formellen Protest einzulegen und der jugoslawischen Regierung einen Rechtsvorbehalt zu notifizieren 1 0 0 . Sie würde ihren Rechtsstandpunkt auch auf diese Weise gewahrt und gleichzeitig verhindert haben, daß die Beibehaltung der Botschaft der Bundesrepublik neben einer Gesandtschaft der DDR i n Belgrad als eine stillschweigende Zustimmung der Bundesregierung zu den Auffassungen der Zweistaatentheorie und zu den politischen Ansprüchen der DDR hätte ausgelegt werden können. Doch wenn sich die Bundesregierung damit zufrieden gegeben hätte, einen rein formellen Protest zu erheben und auf die Anerkennung der S t a a t l i c h k e i t der DDR lediglich m i t der Notifizierung eines Rechtsvorbehaltes zu antworten, so hätte sie damit vor aller Öffentlichkeit deutlich gemacht, daß sie zwar noch f o r m e l l auf der Beibehaltung ihrer gesamtstaatlichen Rechtsstellung beharrt, daß sie aber nicht mehr bereit ist, auch nur diejenigen effektiven Anstrengungen zu unternehmen, die selbst i n der Situation des „Kalten" Bürgerkrieges notwendig sind, u m die rechtliche Einheit des Gesamtstaates zu wahren und die Sezession und Entstehung eines neuen Staates zu verhindern 1 0 1 . Denn auch ein ausdrücklich erklärter Rechtsvorbehalt ändert nichts an der Tatsache, daß eine „Ko-Existenz" zweier deutscher Botschaften i n der Hauptstadt eines dritten Staates das tägliche stillschweigende Einverständnis der Bundesregierung m i t dem Bestehen zweier deutscher Staaten i n sich schließt 1 0 2 und an der Bereitschaft der Bundesregierung zweifeln läßt, ihre gesamtstaatliche Rechtsstellung effektiv zu w a h r e n 1 0 3 . 100 Dieser Weg ist anläßlich der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion im September 1955 beschritten worden (vgl. im einzelnen unten Anm. 131). 101 Vgl. dazu oben § 3,1 und § 11,6. — Siehe auch Grewe (Der neue Deutschland-Vertrag, Die politischen Voraussetzungen der neuen Lösung, Bulletin vom 10.11.1954, S. 1917 ff.): „Die staatliche Einheit Deutschlands im Sinne des Völkerrechts besteht solange, wie sich das deutsche Volk als einheitliche Nation fühlt u n d (vom Verf. hervorgehoben) seine politischen Vertretungen den Anspruch erheben, für diese deutsche Nation im ganzen zu sprechen und zu handeln" (S. 1919). 102 Es ist zwar richtig, wenn Kraus (Bundesrepublik und Sowjetunion, Die völkerrechtliche Bedeutung der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, Bulletin vom 15.10.1955 S. 1626) darlegt, daß die gleichzeitige Anwesenheit von bevollmächtigten diplomatischen Vertretern zweier Staaten in der Hauptstadt eines dritten Landes eine gegenseitige Anerkennung dieser Staaten noch nicht impliziert. Diese Regel kann aber auf das Verhältnis zwischen Bundesrepublik und DDR nicht angewandt werden. Denn hier handelt es sich nicht um zwei beliebige Staaten, die beziehungslos nebeneinanderstehen. Ein Staat, del- einen Botschafter (oder Gesandten) der DDR bei sich akkreditieren läßt, bringt damit der Bundesregierung gegenüber unmißverständlich

1 9 2 B e u r t e i l u n g der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

Wenn die Bundesregierung aber nicht mehr bereit ist, den sich aus der besonderen Rechtslage Deutschlands und aus der faktischen Begrenzung ihrer Jurisdiktion auf das westdeutsche Bundesgebiet ergebenden Beschränkungen ihrer Handlungsfähigkeit Rechnung zu tragen und alle damit verbundenen Unannehmlichkeiten i n Kauf zu nehmen, dann hat sie die separatio der DDR und die Auflösung der staatlichen Einheit Deutschlands bereits stillschweigend akzeptiert. Sie kann dann nur noch als die Regierung eines innerhalb der Grenzen des Bundesgebietes, also westlich der Elbe, bestehenden Staates verstanden werden; denn m i t der Preisgabe ihrer gesamtdeutschen Rechtsstellung 104 hat sie selbst das letzte Hindernis beiseitegeräumt, das der Entstehung eines eigenen mitteldeutschen Staates bisher noch i m Wege stand. Die Anerkennung dieses neuen Staates durch a l l e Glieder der Völkerrechtsgemeinschaft ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Solange die Bundesregierung also an der Konzeption der sogenannten „Bürgerkriegstheorie" festhält und sich als die einzige rechtmäßige Vertreterin des fortbestehenden gesamtdeutschen Völkerrechtssubjekts betrachtet, kann sie die Anerkennung der DDR durch eine m i t i h r befreundete Regierung nicht einfach hinnehmen oder lediglich m i t einem formellen Protest, der nicht von einschneidenden Maßnahmen begleitet ist, beantworten. Wenn eine Regierung die DDR als S t a a t anerkennt und i n d i e s e r F o r m zum Ausdruck bringt, daß der sezessionale Vorgang i n Deutschland ihrer Meinung nach nunmehr beendet und die Auflösung der rechtlichen Einheit des deutschen Gesamtstaates vollzogen sei, dann bleibt der Bundesregierung keine andere Möglichkiet, als die diplomatischen Beziehungen zu dem betreffenden Staat abzubrechen; denn sonst unternimmt sie auch nicht mehr diejenigen effektiven Anstrengungen zur Aufrechterhaltung der Einheit Deutschlands, die allein die Entstehung eines mitteldeutschen Staates noch verhindern können 1 0 5 . zum Ausdruck, daß er der Bundesregierung das Recht, allein den Gesamtstaat zu repräsentieren, in aller Form bestreitet. Die Hinnahme der Akkreditierung eines Botschafters der D D R in einem dritten Staat kommt somit in der Regel einem Verzicht der Bundesregierung auf ihren gesamtdeutschen Repräsentationsanspruch und damit letzten Endes einer Anerkennung der Staatlichkeit der D D R gleich. los über den besonderen Fall des Nebeneinanderstehens zweier deutscher Botschaften in Moskau vgl. unten § 18, 1 c (bb). 104 Eine rein formelle Rechtsverwahrung gegenüber einer Anerkennung der Staatlichkeit der DDR, die nicht von effektiven Maßnahmen begleitet ist, kommt eben einer solchen Preisgabe der gesamtdeutschen Rechtsstellung der Bundesregierung gleich, wenn nicht im Einzelfalle, wie in Moskau, ganz besondere Umstände vorliegen. 105 Dieser Auffassung kann nicht mit dem Argument entgegengetreten werden, daß man der Bundesregierung nicht zumuten könne, zu der Mehrzahl der Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft die Beziehungen abzubrechen, falls so viele Regierungen die D D R als Staat anerkennen sollten. — Denn in diesem Falle würde lediglich klar erwiesen sein, daß die Auffassung der Identitätstheorie in zunehmendem Maße unwirklich geworden ist und nicht mehr auf-

Die Auffassung der Identitätstheorie

(c) D i e B e z i e h u n g e n d e r B u n d e s r e g i e r u n g z u Ostblockstaaten und zur S o w j e t u n i o n

193

den

Die Duldung eines Nebeneinanderstehens zweier deutscher Botschaf ten i n der Hauptstadt eines dritten Staates würde, wie soeben dargelegt, grundsätzlich die Anerkennung der Staatlichkeit der DDR und damit die Anerkennimg der vollzogenen Dismembration Deutschlands 106 durch die Bundesregierung implizieren. Solange die Bundesregierung glaubwürdig an der Konzeption der Identitätstheorie festhalten möchte, kann sie darum nicht i n die Herstellung normaler völkerrechtlicher Beziehungen zu den Regierungen des kommunistisch beherrschten Ostblocks einwilligen, die die DDR als Staat anerkannt haben 1 0 7 u n d die den Botschafter der Bundesrepublik nicht als den Vertreter des deutschen Gesamtstaates, sondern nur als den Vertreter eines eigenen — nach A u f fassung der Identitätstheorie gar nicht existierenden 1 0 8 — westdeutschen Staates Bundesrepublik zu empfangen bereit sind. (aa) Die Beziehungen zu den Ostblockstaaten Gegenüber allen Versuchen der Ostblockstaaten, normale diplomatische Beziehungen m i t Bonn aufzunehmen und damit die These vom Bestehen zweier deutscher Staaten zu unterstreichen 1 0 9 , hat die Bundesregierung bisher eine ablehnende Haltung eingenommen 1 1 0 . Es hat freilich nicht an kritischen Stimmen gefehlt, die der Bundesregierung vorgeworfen haben, daß ihre Ostpolitik zu sehr von rein juristischen Gedankengängen beherrscht werde und deshalb unbeweglich und starr sei 1 1 1 . Gleichwohl muß daran festgehalten werden, daß die Aufnahme rechterhalten werden kann. Der Bundesregierung bliebe dann nichts anderes übrig, als entweder alle Nachteile in Kauf zu nehmen, die mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu sehr vielen Staaten verbunden sind, oder aber ihre gesamte politische Konzeption zu revidieren und den Ansichten der Separationstheorie beizutreten. Keinesfalls aber kann sie an der Identitätstheorie festhalten und trotzdem gleichzeitig in mehreren Hauptstädten neben den Vertretungen der D D R eigene Botschaften beibehalten. 108 bzw. separatio der DDR. 107 Vgl. oben Anm. 17. 108 Vgl. oben § 11, 3 mit Anm. 232. 100 Vgl. oben Anm. 63. 110 Die einzige — begründete — Ausnahme machen die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetregierung, deren Aufnahme im September 1955 in Moskau vereinbart worden ist. 111 Vor allem die Oppositionsparteien im Bonner Bundestag (SPD und FDP) haben wiederholt die Herstellung normaler völkerrechtlicher Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten und zu China gefordert (vgl. statt vieler Meldungen nur F A Z vom 29. 8.1956, vom 26. 9.1956, vom 4.2.1957, vom 26. 8.1957 und vom 30.12.1957; vgl. auch Carlo Schmid, Einige Gedanken zur Außenpolitik der nächsten Zeit, A P 1957 S. 615 ff. [S. 616]). Diese Forderungen haben sich schließlich zu einem formellen Antrag der beiden Oppositionsparteien 13

W.V.Marschall

1 9 4 B e u r t e i l u n g der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung n o r m a l e r d i p l o m a t i s c h e r B e z i e h u n g e n z u e i n e r R e g i e r u n g , die d i e D D R a n e r k a n n t h a t , m i t d e m gesamtdeutschen R e p r ä s e n t a t i o n s a n s p r u c h d e r Bundesregierung unvereinbar ist u n d zwangsläufig der Zweistaatent h e o r i e 1 1 2 Vorschub leisten u n d zur allseitigen A n e r k e n n u n g der D D R f ü h r e n m u ß . D i e s g i l t auch d a n n , w i e o b e n dargelegt, w e n n die B u n d e s r e g i e r u n g g l e i c h z e i t i g m i t d e r A u f n a h m e der B e z i e h u n g e n e i n e n Rechtsvorbehalt notifiziert 113. Es besteht h i e r k e i n e r l e i U n t e r s c h i e d 1 1 4 z u d e r Lage, d i e sich f ü r d i e Bundesregierung nach der A n e r k e n n u n g der D D R durch Jugoslawien ergeben h a t ; g e n a u w i e d o r t s t e h t die B u n d e s r e g i e r u n g auch h i e r R e g i e r u n g e n gegenüber, die d i e B u n d e s r e p u b l i k n i c h t als d e n i n d e r G e w a l t d e r de j u r e R e g i e r u n g b e f i n d l i c h e n T e i l Gesamtdeutschlands betrachten, s o n d e r n i n i h r e i n e n eigenen S t a a t a u f d e m G e b i e t z w i s c h e n E l b e u n d R h e i n sehen u n d die diese Rechtsauffassung d u r c h die A n e r k e n n u n g d e r D D R u n m i ß v e r s t ä n d l i c h z u m A u s d r u c k gebracht haben. D i e B u n d e s r e g i e r u n g s t e h t deshalb n u r v o r der W a h l , e n t w e d e r k e i n e d i p l o m a vom 23.1.1958 verdichtet, in dem die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen verlangt wird; dieser Antrag ist dem Auswärtigen Ausschuß des Dritten Deutschen Bundestages zur weiteren Behandlung überwiesen worden (vgl. F A Z vom 24.1. und vom 25.1.1958). (Vgl. dazu auch unten Anm. 117.) Aber nicht nur die Oppositionsparteien, sondern auch maßgebliche Politiker aus dem Regierungslager haben die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu den Oststaaten, insbesondere zu Polen, gefordert; so z.B. die Abgeordneten Jaeger (CSU) (FAZ vom 15. 6.1956) und Kiesinger (CDU) (FAZ vom 12. 8.1957), der damalige Hamburger Oberbürgermeister Sieveking (FAZ vom 23.1.1957) und Bundesratsminister v. Merkatz (FAZ vom 30. 5. und vom 6. 6.1956). 112 in der Form der Dismembrationstheorie oder in der Form der Separationstheorie. 113 Vgl. ausführlich oben § 18, 1 b. 114 Außenminister von Brentano hat zwar wiederholt erklärt (vgl. z. B. F A Z vom 21.10.1957 und vom 1. 2.1958), daß ein grundsätzlicher Unterschied bestehe, je nachdem, ob ein Staat die DDR n a c h der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesregierung anerkannt habe oder bereits vorher. W i r vermögen indes den einzigen Unterschied darin zu erblicken, daß gegenüber dem einen Staat die diplomatischen Beziehungen abzubrechen sind, während sie gegenüber dem anderen gar nicht erst hergestellt werden dürfen. Darüber hinaus gibt es jedoch keinen Unterschied, weil die allgemeine Regel Platz greift, daß die Bundesregierung, solange sie an der Identitätstheorie festhält, grundsätzlich zu keinem Staat diplomatische Beziehungen unterhalten kann, der die DDR anerkannt hat und den Botschafter der Bundesrepublik nicht als den Vertreter des deutschen Gesamtstaates, sondern nur als den Vertreter eines eigenen — nach Auffassung der Identitätstheorie gar nicht existierenden — westdeutschen Staates Bundesrepublik empfängt. Darum besteht zwischen dem Abbruch bestehender Beziehungen und der Nicht-Aufnahme neuer Beziehungen zu einem solchen Staat keinerlei grundsätzlicher Unterschied. Zur Begründung seiner Ansicht, daß zwischen dem Verhältnis der Bundesrepublik zu Jugoslawien und dem zu Polen ein solcher grundsätzlicher Unterschied bestehe, hat Dr. von Brentano einem Journalisten auf dessen Frage die Antwort gegeben: „Glauben Sie, daß wir bei einer Aufnahme von Beziehungen mit Warschau dieses auffordern könnten, seine Beziehungen zu Pankow abzubrechen?" (FAZ vom 21.10.1957.) Vgl. auch F A Z vom 16. 4.1958.

Die Auffassung der Identitätstheorie

195

tischen B e z i e h u n g e n h e r z u s t e l l e n , oder aber die I d e n t i t ä t s t h e o r i e p r e i s z u g e b e n u n d a u f i h r e n A n s p r u c h , a l l e i n das gesamtdeutsche V ö l k e r r e c h t s s u b j e k t z u r e p r ä s e n t i e r e n , v o r l ä u f i g z u verzichten. T e r t i u m n o n datur115»116. G e n a u w i e es d e r F a l l gewesen w ä r e , w e n n d i e d i p l o m a t i s c h e n B e z i e h u n g e n z u J u g o s l a w i e n i m O k t o b e r 1957 n i c h t abgebrochen w o r d e n w ä r e n , w ü r d e also auch d i e A u f n a h m e n o r m a l e r B e z i e h u n g e n z u d e n Ostblockstaaten, selbst w e n n sie i n j e d e m F a l l e v o n d e r N o t i f i k a t i o n eines f o r m e l l e n R e c h t s v o r b e h a l t s b e g l e i t e t w ä r e , e i n e m E i n g e s t ä n d n i s d e r B u n d e s r e g i e r u n g g l e i c h k o m m e n , daß sie n i c h t m e h r g e w i l l t ist, d i e effektiven Anstrengungen zu unternehmen, die zur Aufrechterhaltung d e r E i n h e i t des Gesamtstaates n o t w e n d i g sind, u n d die O p f e r z u b r i n gen, d i e v o n d e r de j u r e R e g i e r u n g eines d u r c h e i n e n b ü r g e r k r i e g s ä h n l i c h e n V o r g a n g auseinandergerissenen Staates g e f o r d e r t w e r d e n müssen. M i t der Herstellung diplomatischer Beziehungen zu den Ostblockstaaten w ü r d e d i e B u n d e s r e g i e r u n g v i e l m e h r i h r e B e r e i t s c h a f t a n d e u t e n , sich d e n „ R e a l i t ä t e n " des Bestehens z w e i e r deutscher S t a a t e n z u beugen, d i e A u f f a s s u n g der Z w e i s t a a t e n t h e o r i e z u a k z e p t i e r e n , u n d d e n K a m p f u m die Wiedervereinigung Deutschlands nicht m e h r auf der Grundlage der I d e n t i t ä t s t h e o r i e , s o n d e r n v o n d e r Basis d e r S e p a r a t i o n s t h e o r i e aus weiterführen zu w o l l e n 1 1 7 . 115

Vgl. dazu ausführlich oben § 18, 1 b. Die Frage, ob man normale völkerrechtliche Beziehungen zu den Staaten herstellen solle, die die DDR anerkaniit haben (bzw. ob es richtig sei, die Beziehungen zu allen Staaten abzubrechen, die die DDR anerkennen), ist ein Problem der politischen Zweckmäßigkeit, das an dieser Stelle nicht zur E r örterung steht. (Vgl. auch unten Anm. 117.) Allerdings sollte jeder Politiker, der die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einem der Oststaaten fordert, sich darüber Rechenschaft ablegen, daß er dann auch bereit sein muß, den Anspruch der Bundesregierung (und des Bundestages) auf alleinige völkerrechtliche Repräsentation des Gesamtstaates, wie er sich aus den A n schauungen der Identitätstheorie herleitet, aufzugeben. Das politische Ermessen der Bundesregierung ist hinsichtlich aller dieser Fragen jedoch stets durch das verfassungsrechtliche Gebot eingeschränkt, alle Maßnahmen zu unterlassen, „die die Wiedervereinigung rechtlich hindern oder faktisch unmöglich machen", wie das Bundesverfassungsgericht i m „KPD-Urteil" vom 17. 8.1956 ausgeführt hat (BVerfGE 5, 85 [128]). Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Oststaaten muß indes nicht notwendig unter diese Kategorie der vom Grundgesetz verbotenen Entscheidungen fallen. 117 M a n kann mit guten Gründen dafür plädieren, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Ostblockstaaten und die Beibehaltung diplomatischer Beziehungen zu solchen Staaten, die die DDR anerkennen, der Sache der Wiedervereinigung dienlicher sei als die umgekehrte Einstellung. — I n diesem Falle kann man aber nicht mehr an den Auffassungen der Identitätstheorie festhalten, wenn man glaubwürdig bleiben will, sondern muß sich auch grundsätzlich zur Zweistaatenlehre in der Form der Separationstheorie bekennen, da man dann die Ansicht vertritt, daß diese Theorie angesichts der gegenwärtigen Rechtslage eher zur Wiedervereinigung führe als die Identitätstheorie. 116

13 •

1 9 6 B e u r t e i l u n g der Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung

Die Gedankengänge der Identitätstheorie, die die Bundesregierung zur effektiven Wahrnehmung ihres gesamtdeutschen Repräsentationsanspruches verpflichten, zwingen sie jedoch keineswegs, auf jegliche Beziehungen zu den Ländern des Ostblocks zu verzichten. Es ist der Bundesregierung nicht verwehrt, inoffizielle Wirtschaftskontakte und sogar gewisse konsularische Beziehungen zu diesen Staaten herzustellen. Denn inoffizielle Beziehungen i n dem Umfange, wie sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts aufrechterhalten werden können, ohne die gegenseitige Anerkennung zweier Staaten oder zweier Regierungen zu implizieren 1 1 8 , können auch nicht als die stillschweigende Zustimmung der Bundesregierung zu der von der Gegenseite vertretenen Ansicht vom Bestehen zweier deutscher Staaten ausgelegt werden. Es ist infolgedessen möglich, Handelsvertretungen ohne offiziellen Status 1 1 9 m i t den Ostblockstaaten auszutauschen oder m i t diesen Ländern zweiseitige Vereinbarungen über beschränkte wirtschaftliche und technische Fragen zu treffen 1 2 0 . Die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Staaten des kommunistisch beherrschten Ostblocks sind bisher auf einer streng inoffiziellen Basis abgewickelt worden. M i t einigen dieser Länder w i r d der Warenaustausch auf Grund von Handelsverträgen vorgenommen, die noch vor der Konstituierung der Bundesorgane von der alliierten Joint Export / Import Agency (JEIA) vereinbart worden w a r e n 1 2 1 . Z u diesen Abkom118 V g l .