189 24 17MB
German Pages 507 [508] Year 2005
Großkommentare der Praxis
w G DE
RECHT
Wieczorek/Schütze
Zivilprozeßordnung und Nebengesetze Großkommentar
3., völlig neu bearbeitete A u f l a g e begründet von Bernhard Wieczorek herausgegeben von R o l f A . Schütze Dritter B a n d §§ 5 4 2 - 7 0 3 d 1. T e i l b a n d §§ 5 4 2 - 5 9 1 Bearbeiter: §§ 5 4 2 - 5 6 6 Hanns Prütting §§ 5 6 7 - 5 7 7 Volker Michael Jänich §§ 5 7 8 - 5 9 1 Hans-Günther Borck
w DE
_G RECHT
D e Gruyter Recht · Berlin
Stand der Bearbeitung: 1. Juli 2 0 0 5
Zitiervorschlag z . B . : Wieczorek/Schütze/Prütting § 5 4 2 Z P O Rdn. 10
ISBN-13: 9 7 8 - 3 - 8 9 9 4 9 - 1 2 6 - 5 ISBN-10: 3 - 8 9 9 4 9 - 1 2 6 - 2
Bibliografische
Information
Der Deutschen
Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
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Die Bearbeiter der 3. Auflage Professor Dr. Hans-Jürgen Ahrens, Universität Osnabrück, Richter am OLG Celle Professor Dr. Dorothea Assmann, Universität Potsdam Professor Dr. Ekkehard Becker-Eberhard, Universität Leipzig, geschäftsführender Direktor des Instituts für Anwaltsrecht Rechtsanwalt Hans-Günther Borck, Hamburg Richter am BGH Dr. Wolfgang Büscher, Mülheim/Ruhr Rechtsanwalt Dr. Lothar Gamp, Brandenburg Vors. Richter am OLG Uwe Gerken, Oldenburg Professor Dr. Rainer Hausmann, Universität Konstanz Professor Dr. Burkhard Heß, Universität Heidelberg Professor Dr. Volker Michael Jänich, Universität Jena Rechtsanwalt beim BGH Hans-Eike Keller, Karlsruhe Dr. Rainer Kemper, Universität Münster Professor Dr. Thomas Klicka, Universität Münster Professor Dr. Roman Loeser, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Professor Dr. Wolfgang Lüke, LL.M. (Chicago), Universität Dresden, Direktor des Instituts für Ausländische und Internationale Rechtsangleichung, Richter am OLG Dresden Professor Dr. Heinz-Peter Mansel, Universität zu Köln, Direktor des Instituts für internationales und ausländisches Privatrecht Professor Dr. Dirk Olzen, Universität Düsseldorf Professor Dr. Christoph G. Paulus, LL.M. (Berkeley), Humboldt-Universität zu Berlin Professor Dr. Egbert Peters, Universität Tübingen Professor Dr. Hanns Prütting, Universität zu Köln, Direktor des Instituts für Verfahrensrecht Richter am LG Dr. Hartmut Rensen, Aachen Professor Dr. Mathias Rohe, M.A., Universität Erlangen, Richter am OLG Nürnberg Rechtsanwalt Dr. Stephan Salzmann, Dipl.-Kfm., Steuerberater, München Professor Dr. Dr. h.c. Wilfried Schlüter, Universität Münster Professor Dr. Klaus Schreiber, Universität Bochum Rechtsanwalt Dr. Rolf A. Schütze, Stuttgart, Honorarprofessor an der Universität Tübingen Professor Dr. Stefan Smid, Universität Kiel Rechtsanwalt Dr. Anton Franz Steiner, München Professor Dr. Barbara Stickelbrock, FernUniversität Hagen Rechtsanwalt Dr. Karl-Alfred Storz, Stuttgart Rechtsanwalt Dr. Roderich C. Thümmel, LL.M., Stuttgart, Honorarprofessor an der Universität Tübingen Professor Dr. Helmut Weber, LL.B., Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin
Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
XI XXV
Zivilprozeßordnung DRITTES BUCH Rechtsmittel
§§ Zweiter Abschnitt. Revision Dritter Abschnitt. Beschwerde Titel 1. Beschwerde Titel 2. Rechtsbeschwerde
542-566 567-577 567-573 574-577
VIERTES BUCH Wiederaufnahme des Verfahrens Wiederaufnahme des Verfahrens
578-591
Vorwort Die gesetzgeberischen Turbulenzen im Rechtsmittelrecht haben - jedenfalls vorläufig - ihr Ende gefunden. So kann dieser Teilband, der die Kommentierung der Bestimmungen der Revision, Beschwerde und Wiederaufnahme des Verfahrens enthält, endlich erscheinen. Die Autoren haben eine schwere Bürde getragen, mussten sie doch dem Reformeifer des Gesetzgebers immer wieder Tribut zollen und ihre Erläuterungen kontinuierlich und nicht unerheblich „updaten". Die mannigfachen Verzögerungen haben ein Gutes gehabt. Rechtsprechung und Schrifttum zu dem geänderten Recht konnten allenthalben berücksichtigt werden. Die restlichen Bände werden in kurzer Reihenfolge erscheinen. Stuttgart, Berlin, im M a i 2 0 0 5
Rolf A. Schütze
IX
Abkürzungsverzeichnis aA aaO abgedr. Abk. Abi. abl. AbLEG AblEU Abs. abw. A. C. AcP ADSp. aE aF AG
AGB AGBG AGGVG AGS AHK AktG All E. R. allg. allg.M Alt. aM AMB1 BY AMG Am. J. Comp. L. Am. J. Int. L. amtl. ÄndAbk. ÄndG ÄndVO AnfG Anh. Anl. Anm. AnwBl AO
anderer Ansicht am angegebenen Ort abgedruckt Abkommen Amtsblatt ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz abweichend The Law Reports, Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis [Band (Jahr) Seite] Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen am Ende alte Fassung Aktiengesellschaft, auch Amtsgericht, auch Ausführungsgesetz, auch Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen (Jahr, Seite) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes Anwaltsgebühren spezial Alliierte Hohe Kommission Aktiengesetz All England Law Reports allgemein allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge Arzneimittelgesetz American Journal of Comparative Law American Journal for International Law amtlich Änderungsabkürzung Änderungsgesetz (Gesetz zur Änderung) Änderungsverordnung (Verordnung zur Änderung) Anfechtungsgesetz Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung XI
Abkürzungsverzeichnis AöR AP App. ArbG ArbGG Arb. Int. ArbuR arg. Art. art. AUG Aufl. AuR arg. AusfG AusfVO Ausg. ausl. AuslInvestmG AVAG AWD AWG Az BAföG BAG BAGE BAnz. BauR bay. bay EG BayObLG BayObLGZ BayVBl. BayVerfGH
BB BBergG BB1. Bd. Bearb. BEG BegLV begr. Beil. Bek. belg. Bern. Ber. BerDGVR ber. XII
Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Corte di appello (Italien); Cour d'appeal (Belgien, Frankreich) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbitration International Arbeit und Recht argumentum Artikel article Auslandsunterhaltsgesetz Auflage Arbeit und Recht argumentum Ausführungsgesetz Ausführungsverordnung Ausgabe ausländisch Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, Amtliche Sammlung Bundesanzeiger Baurecht bayerisch Bayerisches Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen, Amtliche Sammlung Bayerische Verwaltungsblätter (Jahr, Seite) Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs; ferner ab 04.1951 des Bayerischen Dienststrafhofs und ab 05.1952 des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Der Betriebs-Berater (Jahr, Seite) Bundesberggesetz Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Band Bearbeitung Bundesentschädigungsgesetz Verordnung über die zur amtlichen Beglaubigung befugten Behörden begründet Beilage Bekanntmachung belgisch Bemerkung Bericht Berichte der Deutschen Gesellschaft für Volkerrecht berichtigt
Abkürzungsverzeichnis bes. Beschl. bestr. betr. BeurkG BezG BfA BFH BFHE BFH/NV BFH-PR BG BGB BGBl BGE BGH BGHR BGHST BGHZ BinSchG BinSchVerfG Bl. BLÄH BNotO BORA BörsG BPatG BR BRAGO BRAK BRAK-Mitt BRAO BR(-Drucks.) Breith. brit. BSG BSGE BSHG BStBl. BT(-Drucks.) Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BWNotZ bzw. BYIL
besonders Beschluss bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bezirksgericht Bundesanstalt für Arbeit Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts, Amtliche Sammlung Bundesgerichtshof Systematische Sammlung der Entscheidungen des BGH (wie BGHZ —» statt „Zivilsachen" = Strafsachen) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen. Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Binnenschifffahrtsgesetz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen Blatt Baumbach/Leitebach/Albers/Hartmann - Kommentar zu ZPO Bundesnotarordnung Berufsordnung der Rechtsanwälte Börsengesetz Bundespatentgericht Bundesrat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer BRAK-Mitteilungen Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrat(-sdrucksache) Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht. Begr. v. Breithaupt britisch Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Amtliche Sammlung Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt (Teile I, II und III; Jahr, Seite) Bundestag(-sdrucksache) Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Amtliche Sammlung Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Amtliche Sammlung Mitteilungen aus der Praxis, Zeitschrift für das Notariat in BadenWürttemberg beziehungsweise The British Yearbook of International Law XIII
Abkürzungsverzeichnis C.A. Cahiers dr. europ. Cass. Civ. (com., soc v Cass. (Italien) S.U. Cc (cc) ch. Ch. D. CIM CISG CIV Civ. J. Q . Clunet C.M.L.R. C M L Rev. CMR COTIF Cour sup. CPC, cpc CPO CR DAR das. DAVorm DB ders. DGVZ DGWR d.h. d. i. P. Dir. Comm. Int. Dir. Com. Scambi int. DiskE Diss. DJ DJT DJZ DNotV DNotZ doc. DöV DR DRiZ DRpfl DRZ Drucks.
XIV
Court of Appeal (England) Cahiers de droit europeen Cour de Cassation (Frankreich/Belgien), Chambre civile (commerciale, sociale) Corte di cassazione, Sezioni Unite Code civil (Frankreich/Belgien/Luxemburg); Codice civile (Italien) chapter Chancery Divison Convention internationale concernant le transport des marchandises par chemins des fer; Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr Convention on the International Sale of Goods (Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf) Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (Anlage Α zum COTIF) Civil Justice Quarterly Journal du droit international (Frankreich) Common Market Law Reports Common Market Law Review Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr Cour superieure de justice (Luxemburg) Codice di procedura civile (Italien). Code de procedure civile (Frankreich/Belgien/Luxemburg) Civilprozeßordnung Computer und Recht Deutsches Autorecht daselbst Der Amtsvormund Der Betrieb (Jahr, Seite) derselbe Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) das heißt Droit international prive Diritto del commercio internationale Diritto communitario negli scambi internazionali Diskussionsentwurf Dissertation Deutsche Justiz, Zeitschrift für Rechtspflege und Rechtspolitik Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Zeitschrift des Deutschen Notarvereins Deutsche Notarzeitschrift (früher: Zeitschrift des Deutschen Notarvereins, DNotV) document Die öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Der Deutsche Rechtspfleger Deutsche Richterzeitung Drucksache
Abkürzungsverzeichnis D. S. DStR DStZ dt DtZ DJT DuR DVB1. DVO DZWIR
Recuil Dalloz Sirey Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerzeitung deutsch Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Deutscher Juristentag Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht
Ε € Ε. C. C. EFG EFTA EG EGBGB EGGVG EGMR EGStGB EG-ZustDG EheG Einf. EinfG EingV Einl. EMRK
Entwurf Euro European Commercial Cases Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Association Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch EG-Zustellungsdurchführungsgesetz Ehegesetz Einführung Einführungsgesetz Einigungsvertrag Einleitung (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäisches Niederlassungsabkommen entsprechend Entwurf Verordnung über das Erbbaurecht Ergebnis Erläuterung (Genfer) Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit Europäische Beihilfeverordnung Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Amtliche Sammlung (Europäisches) Ubereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Verwaltungs- und Vollstreckungsverordnung Europarecht European Law Review Europäisches Zivilprozessrecht Europäische Zustellungsverordnung Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag -
ENA entspr. Entw. ErbbauVO Erg. Erl. EÜ EuBVO EuGH EuGHE EuGVÜ
EuGWO
EuVuFVO EuR Europ. L. Rev. EuZPR EuZVO EV
XV
Abkürzungsverzeichnis evtl. EWG EWGV EWiR EWIV EWZ EWS EzA EzFamR aktuell (EzF)
eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaf Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Entscheidungssammlung zum Familienrecht aktuell
f FamG FamR FamRÄndG FamRZ FamS ff FG FGG FGPrax FGO Fn. Foro it. franz. FPR FS Fundst. FuR
folgend Familiengericht Familienrecht Familienrechtsänderungsgesetz Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Familiensenat fortfolgende Finanzgericht; Festgabe; Freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Fußnote Foro italiano französisch Familie, Partnerschaft, Recht Festschrift Fundstelle Familie und Recht
G. Gaz. Pal. GBBerG GBl GBO g. E. geänd. GebrMG gem. GenG GeschMG GesVollO GewO GG ggf· Giur it. GK GKG GmbH GmbHG GmbHR GmS-OBG GöttDiss grds. Gruchot
Gesetz La Gazette du Palais (Frankreich) Grundbuchbereinigungsgesetz Gesetzblatt Grundbuchordnung gegen Ende geändert Gebrauchsmustergesetz gemäß Genossenschaftsgesetz Geschmacksmustergesetz Gesamtvollstreckungsordnung Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Giurisprudenza italiana Großkommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Göttinger Dissertation grundsätzlich Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
GRUR XVI
Abkürzungsverzeichnis GrS GS GSZ GVB1. GVG GVGA GVKostG GWB
Großer Senat Gedächtnisschrift Großer Senat in Zivilsachen Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieherkostengesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Η HaftpflG HausTWG HBÜ
Heft Haftpflichtgesetz Haustürwiderrufsgesetz Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen High Court Handbuch Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte Handelsgesetzbuch Hinterlegungsordnung Haager Landkriegsordnung herrschende Lehre H o u s e of Lords herrschende Meinung H ö g e R a a d (Niederlande) Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber, herausgegeben Halbsatz Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen
H . C. Hdb. HessVGRspr HGB HinterlO HKO hL H. L. hM H. R. HRR Hrsg., hrsg. Hs HZPÜ HZÜ
ICC ICLQ idF idR IGH iE (i.E.) i. Erg. ieS ILM ILR insb. InsO iO IPRax iSd. iSv. i. ü. iVm. IWB IWF iwS IZPR IZVR i. Zw.
International Chamber of Commerce (Internationale Handelskammer) The International and Comparative L a w Quarterly in der Fassung in der Regel Internationaler Gerichtshof im Einzelnen in Ergänzung im engeren Sinne International Legal Materials International L a w Reports insbesondere Insolvenzordnung in Ordnung Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Sinne des im Sinne von im übrigen in Verbindung mit Internationale Wirtschaftsbriefe Internationaler Währungsfond im weiteren Sinne Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht im Zweifel
XVII
Abkürzungsverzeichnis JA JBeitrO JblntR JB1. J. Bus. L. JbRR jdf. JFG J. Int. Arb. JMB1. JMBlNrw JN JPS JR Judicium JURA JurBüro JurTag(s) JuS Justiz JVB1 JVEG JW JZ KAGG Kap KG KGB1. KO KonsulG KostO KrG krit. KSchG KTS KV KWG LAG Lb LG Lit. LJ LJV LM LPartG LS (Ls.) LSG
XVIII
Juristische Arbeitsblätter Justizbeitreibungsordnung Jahrbuch für Internationales Recht Justizblatt; Juristische Blätter (Österreich) The Journal of Business Law (England) Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie jedenfalls Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechtes Journal of International Arbitration Justizministerialblatt Justizministerialblatt von Nordrhein-Westfalen Jurisdiktionsnorm (Österreich) Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Juristische Rundschau Vierteljahresschrift für die gesamte Zivilrechtspflege (1.1928-5.1933; Jahr, Seite) Juristische Ausbildung Das juristische Büro Juristentag(s) Juristische Schulung Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Justizverwaltungsblatt Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Kammergericht; Kommanditgesellschaft Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen Konkursordnung Konsulargesetz Kostenordnung Kreisgericht kritisch Kündigungsschutzgesetz Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (Jahr, Seite) Kostenverzeichnis Gesetz über das Kreditwesen Gesetz über den Lastenausgleich; Landesarbeitsgericht Lehrbuch Landgericht Buchstabe The Law Journal (England) Landesjustizverwaltung Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier und Möhring Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften Leitsatz Landessozialgericht
Abkürzungsverzeichnis
LwVfG LZ
Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Luftverkehrsgesetz Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst (LiteratururheberG) Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen luxemburgisch Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik, Landwirtschaftsanpassungsgesetz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
m. ausf. N . maW raE (m. E.) MHG MDR MittBayNot. MittRhNotK MittRuhrKn Mot. MSA MünchKommZPO MuW mwN
mit ausführlichen Nachweisen mit anderen Worten meines Erachtens Gesetz zur Regelung der Miethöhe Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Mitteilungen der Ruhrknappschaft Bochum Motive Haager Minderjährigenschutzabkommen Münchner Kommentar zur Zivilprozessordnung Markenschutz und Wettbewerb (Jahr, Seite) mit weiteren Nachweisen
Nachw. N. C. p. c. Nds.Rpfl NdsVBl NEhelG nF NJOZ NJW NJW-MietR NJWE WettR NJW-RR Novelle 1898 NTS Nov. Nr. NRW, N W NVwZ NVwZ-RR NZA NZA-RR NZG NZI NZM
Nachweis Nouveau Code de procedure civile Niedersächsische Rechtspflege Niedersächsische Verwaltungsblätter Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder neue Fassung; neue Folge Neue juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Mietrecht NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Zivilrecht Ges. betr. Änderungen der Cicilprozeßordnung NATO-Truppenstatut Novelle Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Mietrecht
öffentl. öGZ öJBl
öffentlich (österr.) Gerichts-Zeitung Österreichische Juristische Blätter
LuftfzRG LuftVG LUG LuGÜ
lux. LwAnpG
XIX
Abkürzungsverzeichnis ÖJZ österr. ÖRiZ OFD OGH OGHZ
OLGZ OrderlagerscheinV OVG
Österreichische Juristen-Zeitung österreichisch Österreichische Richterzeitung Oberfinanzdirektion Oberster Gerichtshof (für die britische Zone, Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-Report: Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Orderlagerscheinverordnung Oberverwaltungsgericht
PA PatAnwO PatG PersV PflVG PKH PostG PrEnteignG ProdHG Prot. PStG PStV
Patentamt Patentanwaltsordnung Patentgesetz Die Personal Vertretung Pflichtversicherungsgesetz Prozesskostenhilfe Postgesetz Preußisches Enteignungsgesetz Produkthaftungsgesetz Protokoll Personenstandsgesetz Personenstandsverordnung
RabelsZ RAG Rb. Rbeistand RBerG RdA RdL Rdn. Recht RefE RegBl RegE ReichsschuldenO RFH RG RGBl RGes. RGRK RGSt RG (VMZ) Ζ RGZ
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Rechtsbank (Niederlande) Der Rechtsbeistand Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Recht der Landwirtschaft (Jahr, Seite) Randnummer Das Recht, Rundschau für den Deutschen Juristenstand Referentenentwurf Regierungsblatt Regierungsentwurf Reichsschuldenordnung Reichsfinanzhof. Amtliche Sammlung der Entscheidungen des RFH Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgesetz Reichsgerichtsrätekommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Reichsgericht Vereinigte Zivilsenate Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. Amtliche Sammlung der Reichsgerichtsentscheidungen in Zivilsachen Rheinland-Pfalz Recht der Internationalen Wirtschaft Recht in Ost und West
OHG OLG OLG-NL OLGR OLGRspr
Rh.-Pf RIW ROW
XX
Abkürzungsverzeichnis Rpfl. RPflG Rs Rspr. RuStAG RzW RuS RVG
Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegegesetz Rechtssache Rechtsprechung Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht Recht und Schaden Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
s. S. s. a. SaBremR Sachg SachenRBerG SAE
siehe Seite siehe auch Sammlung des bremischen Rechts Sachgebiet Sachenrechtsbereinigungsgesetz Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen der Vereinigung der Arbeitgeberverbände Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden Sächsische Verwaltungsblätter Supreme Court Scheckgesetz Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schiffsregisterordnung Schiffsregistergesetz Schiedsmannszeitung Schuldrecht Schweizer Jahrbuch für Internationales Recht Section Session Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Seufferts Blätter für Rechtsanwendung in Bayern Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Süddeutsche Juristenzeitung Sammlung der Rechtsprechung des E u G H (auch Sammlung) siehe oben sogenannte Sozialgericht Spalte Zeitschrift für Standesamtswesen Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung Der Steuerberater strittig Steuerrechtsprechung in Karteiform. Höchstgerichtliche Entscheidungen in Steuersachen ständige Rechtsprechung Steuern und Bilanzen Steuer und Wirtschaft (Jahr, Spalte bzw. Nummer) Straßenverkehrsgesetz Supplement Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten
SächsAnn. SächsVBl S. C. ScheckG SchlHA SchRegO SchRG Sch-Ztg SchuIdR SchwJblntR Sec. Sess. SeuffArch SeuffBl SGB SGG SJZ Slg. s.o. sog. SozG Sp. StAZ StGB StIGH StPO StB str. StRK stRspr. StuB StuW StVG Suppl. StVZO s.u.
XXI
Abkürzungsverzeichnis SZIER teilw. ThürBl Tit. TRG T. P. R. TranspR Trib. Trib. com.
Schweizer Zeitschrift für internationales und europäisches Recht teilweise Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt Titel Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts Tijdschrift voor Privaatrecht (Niederlande) Transportrecht Tribunal; Tribunale Tribunal de commerce (Belgien/Frankreich)
u.a. u.ä. Übers. Übk. UFITA UmweltHG UN unstr. Urt. usw. u.U. UWG
und andere und ähnliche Übersicht Übereinkommen Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Umwelthaftungsgesetz United Nations unstreitig Urteil und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
v. VA VAG Var. VerbrKrG Verf. VerfGH VerglO Verh. VerlG VerlR VermA VersR VerschG VwAnO Vfg VG VGH vgl. VIZ vo VOB1 Voraufl. Vorb. VR WG VwGO VwVG VwVfG VZS
XXII
Versicherungsaufsicht Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmen und Bausparkassen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Variante Verbraucherkreditgesetz Verfassung Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen Gesetz über das Verlagsrecht Verlagsrecht Vermittlungsausschuss Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verschollenheitsgesetz Verwaltungsanordnung Verfügung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Verordnung Verordnungsblatt Vorauflage Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung (Bundes-) Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz Vereinigte Zivilsenate
Abkürzungsverzeichnis WahrnG Warn.
WVRK WZG
Gesetz über die Wahrnahme von Urheberrechten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, als Fortsetzung der von Otto Warneyer hrsg. Rechtsprechung des Reichsgerichts Warneyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des RG abgedruckt ist, herausgegeben von Warneyer Washingtoner Weltbankübereinkommen für Investitionsstreitigkeiten Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) Wertpapierbereinigungsgesetz Wechselgesetz Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen weitere Nachweise Wettbewerb in Recht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum Kartellrecht Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Warenzeichengesetz
Yb. Europ. L.
Yearbook of European Law
ZBIJugR ZAkDR ZAP z.B. ZBB ZB1FG ZBR ZEuP ZfA ZfB ZfG ZfRV ZfS ZfSH ZGB ZGR ZHR Ziff. ZIP ZIR ZLR ZMR ZöffR ZPO ZPO-Ε ZRHO ZPR
Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für die Anwaltspraxis zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zentralblatt für die freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Österreich) Zeitschrift für Schadensrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Sozialhilfe Zivilgesetzbuch (DDR/Schweiz) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zivilprozessordnung Gesetz zur Änderung der Zivilprozessordnung-Entwurf Rechtshilfeordnung in Zivilsachen Zivilprozessrecht
WarnRspr
WBÜ WEG WertpBG WG WiGBl W. L. R. WM w.N. WRP WuB WÜD WÜK WuM WuW WuW/E
XXIII
Abkürzungsverzeichnis ZRP ZS ZSEG ZSR Z.T. zust. ZustErgG ZustRG ZVersWiss ZVG ZVglRWiss ZZP
XXIV
Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zeitschrift für Schweizer Recht zum Teil zustimmend Zuständigkeitsergänzungsgesetz Zustellungsreformgesetz Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur AK/Bearbeiter Arens/Lüke Baumann/Brehm Baumbach/Lauterbach/ßeiJrfoeifer Baur/Grunsky Baur/Stürner Bernhardt Blomeyer Brox/Walker Bruns Bruns/Peters Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Fasching Geimer IZPR Geimer/Schütze Geimer/Schütze EZVR Gerhardt Grunsky Hahn/Stegemann
Jauernig Kropholler Langendorf Linke IZPR MünchKomm-ZPO/Bearbeiter Musielak Grundkurs Musielak/Bearbeiter Nagel/Gottwald IZPR Paulus Rauscher Riezler IZPR Rosenberg/Schwab/Gottwald Rosenberg/Gaul/Schilken Schack IZVR
Alternativkommentar zur ZPO, 1987 Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2003 Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 1982 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. 2005 Zivilprozessrecht, 11. Aufl. 2003 Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 12. Aufl. 1990 Das Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1968 Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. 1985 Zwangsvollstreckungsrecht, 7. Aufl. 2003 Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1979 Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 1987 Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2. Aufl. 1973 ff Lehrbuch des österreichischen Zivilprozessrechts, 2. Aufl. 1990 Internationales Zivilprozeßrecht, 5. Aufl. 2005 Internationale Urteilsanerkennung, Bd. 1,1 1983; Bd. 1,2 1984; Bd. II 1971 Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2004 Vollstreckungsrecht, 2. Aufl. 1982 Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974 Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 2. Band, Die gesammelten Materialien zur Civilprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30.1.1877, 1. und 2. Abt. 1881, Neudruck 1983 unter dem Titel: Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 2 Zivilprozessrecht, 28. Aufl. 2003 Europäisches Zivilprozeßrecht, 7. Aufl. 2002 Prozessführung im Ausland und Mängelrüge im ausländischen Recht, 1956 ff Internationales Zivilprozeßrecht, 3. Aufl. 2001 Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2002 Grundkurs ZPO, 7. Aufl. 2004 Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005 Internationales Zivilprozeßrecht, 5. Aufl. 2002 Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2004 Europäisches Zivilprozeßrecht, 2004 Internationales Zivilprozessrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949 (Nachdruck 1995) Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004 Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 1997 Internationales Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2002 XXV
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Schellhammer Schilken Schlosser Schönke/Kuchinke Schütze DIZPR Stein/Jonas/Pohle 19 Stein/Jonas/Bearbeiter 10 Stein/Jonas/Bearbeiter 11
Stein/Jonas/Bearbeiter 11
Thomas/Putzo/Bearbeiter Wolf Zeiss/Schreiber Zimmermann Zöller/Bearbeiter 1 *
ZäUer/Bearbeiter25
XXVI
Zivilprozess, 11. Aufl. 2005 Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2002 EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2003 Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 1969 Deutsches Internationales Zivilprozeßrecht, 1985 Stein/Jonas/Pohle, ZPO, 19. Aufl. 1964-1975 Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl. 1977-1989 (bearb. von Grunsky, Leipold, Münzberg, Schlosser, Schumann) Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1993-1999 (bearb. von Bork, Brehm, Grunsky, Leipold, Münzberg, Roth, Schlosser, Schumann) Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. (bearb. von Berger, Bork, Brehm, Grunsky, Leipold, Münzberg, Oberhammer, Roth, Schlosser, Wagner), Band 3 ( S S 128-252) Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl. 2004 Gerichtliches Verfahrensrecht, 1978 Zivilprozessrecht, 10. Aufl. 2003 Zimmermann, ZPO, 6. Aufl. 2002 Zöller, ZPO, 24. Aufl. 2004 (bearb. von Geimer, Greger, Gummer, Herget, Heßler, Philippi, Stöber, Vollkommer) Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005 (bearb. von Geimer, Greger, Gummer, Herget, Heßler, Philippi, Stöber, Vollkommer)
ZWEITER ABSCHNITT Revision
§542
Statthaftigkeit der Revision (1) Die Revision findet gegen die in der Berufungsinstanz erlassenen Endurteile nach Maßgabe der folgenden Vorschriften statt. (2) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung entschieden worden ist, findet die Revision nicht statt. Dasselbe gilt für Urteile über die vorzeitige Besitzeinweisung im Enteignungsverfahren oder im Umlegungsverfahren. Schrifttum Gilles R e c h t s m i t t e l i m Z i v i l p r o z e s s , 1 9 7 2 ; Gottwald D i e R e v i s i o n s i n s t a n z als Tatsacheni n s t a n z , 1 9 7 5 ; Henke D i e T a t f r a g e , 1 9 6 6 ; Kuchinke G r e n z e n der N a c h p r ü f b a r k e i t tatrichterl i c h e r W ü r d i g u n g u n d F e s t s t e l l u n g e n in d e r R e v i s i o n s i n s t a n z , 1 9 6 4 ; May D i e R e v i s i o n , 2 . A u f l . 1 9 9 7 ; Prutting D i e Z u l a s s u n g d e r R e v i s i o n , 1 9 7 7 ; ders. P r o z e s s u a l e A s p e k t e r i c h t e r l i c h e r R e c h t s f o r t b i l d u n g , Festschrift der R e c h t s w i s s e n s c h a f t l i c h e n Fakultät zur 600-Jahr-Feier der U n i v e r s i t ä t z u K ö l n , 1 9 8 8 , S. 3 0 5 ; Rödel/Dahmen R e c h t s m i t t e l in d e r a n w a l t l i c h e n P r a x i s , 2 . A u f l . 2 0 0 1 ; Schwinge G r u n d l a g e n d e s R e v i s i o n s r e c h t s , 2 . A u f l . 1 9 6 0 ; Vosskuhle Rechtsschutz gegen den Richter, 1993.
Rdn I. Grundfragen des Revisionsrechts 1. Der A u f b a u der Zivilgerichtsbarkeit . 2. Die Stellung des Bundesgerichtshofs . 3. Rechtsvergleichende Hinweise . . . . Π. Wesen u n d Zweck von Rechtsmitteln 1. Die allgemeinen Prozesszwecke . . . . 2. Wesen und Zweck der Revision . . .
VI. Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . 1 5 7 8 11
HI. Historische Entwicklung
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IV. Aktuelle Situationen
VD. Statthaftigkeit der Revision 1. Grundsatz 2. Endurteile 3. Teilurteile 4. Zwischenurteile 5. Vorbehaltsurteile 6. Versäumnisurteile 7. Erstinstanzliche Urteile
Rdn 34 38 39 41 42 43 44 45
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V. Rechtstatsachen 1. Geschäftsentwicklung am Reichsgericht (Revisionen in Zivilsachen) . . 2. Geschäftsentwicklung am BGH (Revisionen in Zivilsachen) 3. Revisionseingänge aus den neuen Bundesländern in Zivilsachen . . . . 4. Revisionseingänge in Zivilsachen insgesamt
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V n i . Nicht revisionsfähige Urteile (Abs. 2) 1. Urteile des einstweiligen Rechtsschutzes 2. Enteignungs- und Umlegungsverfahren 3. Zwischenurteile 4. Versäumnisurteile 5. Kostenentscheidungen IX. Inkorrekte Entscheidungen X. Weitere Rechtsbehelfe
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I. Grundfragen des Revisionsrechts 1. Der Aufbau der Zivilgerichtsbarkeit 1
Seit Inkrafttreten der Reichscivilprozessordnung im Jahre 1877 ist die Zivilgerichtsbarkeit im Normalfall in drei Instanzen aufgeteilt (1. Instanz, Berufungsinstanz, Revisionsinstanz), während der formale Gerichtsaufbau vierstufig ausgestaltet ist (Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte, Reichsgericht bzw. Bundesgerichtshof). Sowohl der Instanzenzug wie auch der formale Gerichtsaufbau sind umfangmäßig wie inhaltlich in Form einer Pyramide ausgestaltet, an deren Spitze die Revisionsinstanz steht. Erreicht wird dies insbesondere dadurch, dass von unten nach oben die Zahl der Gerichte sowie die Zahl der Richter deutlich abnimmt, während die Zugangsbeschränkungen nach oben stärker werden. Daraus lässt sich entnehmen, dass das von der Verfassung vorgesehene oberste Bundesgericht in Zivilsachen (Art. 95 Abs. 1 GG) neben der Entscheidung von Rechtsmitteln der Parteien zugleich eine besondere Funktion im Hinblick auf die Allgemeinheit aufweisen muss. Ein solches Revisionsgericht an der Spitze der gesamten Zivilgerichtsbarkeit muss notwendigerweise mit Funktionen wie der Wahrung der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts in besonderer Weise betraut sein 1 .
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Der Gedanke eines pyramidenförmigen Aufbaus 2 liegt vor allem deshalb nahe, weil die verfassungsrechtliche Garantie eines primären richterlichen Kontrollanspruchs gem. Art. 19 Abs. 4 GG das Vorhandensein einer generell zugänglichen ersten Instanz erzwingt. Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber darüber eine zweite Instanz stellt, die schon deshalb deutlich schmaler ausfallen wird, weil im Bagatellbereich und bei anderen Bereichsausnahmen der Zugang zur zweiten Instanz verweigert werden kann und weil zusätzlich aus persönlichen, sachlichen oder Kostengründen nicht jede erstinstanzlich unterlegene Partei ein Rechtsmittel einlegen wird. Darüber hinaus steht es zweifellos im Ermessen des Gesetzgebers, zur Sicherung der Funktionsfähigkeit einer zweiten Instanz weitere sinnvolle Zugangsbeschränkungen vorzunehmen, z.B. Zulassungskriterien einzuführen. Sowohl verfassungsrechtlich als auch nach den Rechtsmittelzwecken ist eine generelle Streichung der zweiten Instanz oder eine extreme Beschränkung (wie die generelle Zulassungsberufung in der VwGO oder die 1999 zunächst geplante generelle Annahmeberufung in Zivilsachen) aber abzulehnen 3 .
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Dagegen ist die dritte Instanz sicherlich anders zu beurteilen. Sie ist weder verfassungsrechtlich erforderlich noch dem Parteiinteresse zwingend geschuldet. Vielmehr ist die dritte Instanz als reine Rechtsinstanz mit (in aller Regel) einem einzelnen obersten Bundesgericht vor allem auf das Allgemeininteresse an Rechtseinheit und Fortbildung des Rechts ausgerichtet. Die speziellen Revisionszwecke sind dabei für die Gesamtrechtsordnung derart grundlegend, dass sie es bei Lichte betrachtet erzwingen, dass es eine solche höchste Instanz zur Wahrung von Rechtseinheit und Rechtsfortbildung in jedem Zweig der Gerichtsbarkeit gibt. Der Zugang zu dieser obersten Instanz kann freilich in dem Maße eingeschränkt sein, in dem dies mit den speziellen Revisionszwecken vereinbart ist. Dieser Gedanke eines pyramidenförmigen Aufbaus der Justiz mag nur ein Bild sein. Die dahinter stehenden Überlegungen haben dennoch erhebliche Bedeutung. Stellt man nämlich Überlegungen im Hinblick auf eine große Justizreform an, so
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Prutting, Festschrift der Rechtswissenschaftliehen Fakultät, 1988, 305, 312. Prutting (Fn. 1), S. 305.
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Prutting, Festschrift für N a k a m u r a , Tokyo 1996, S. 4 5 7 f f .
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zeigt sich, dass die erste Instanz aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen kaum abänderbar ist. Dagegen hängt der Zugang zur zweiten und zur dritten Instanz von der Art der Filter ab. Ist die Berufungsinstanz wegen zu strenger Zugangsfilter zu schmal geraten, so werden dort zu wenige und wenig bedeutsame Fälle entschieden. Es droht eine Gefahr von Austrocknung und von Verlust an Lebensvielfalt. Ist die Berufungsinstanz dagegen zu breit geraten, weil keine ausreichende Filterwirkung gegenüber der ersten Instanz besteht, so droht massive Überlastung, es verschlechtert sich die Qualität der Berufungsentscheidungen, die bekanntlich ein wichtiges Fundament für die Revisionsrechtsprechung sind und es eröffnen sich jedenfalls theoretisch zu viele Möglichkeiten, auch noch eine dritte Instanz anzurufen. Besonders einsichtig ist dieser optisch verdeutlichte Gedankengang bei der Revision. Ist der Zugang zur Revisionsinstanz zu schmal geraten, so droht wiederum eine gewisse Versteinerung und Austrocknung der Rechtsprechung. Ist der Zugang zur Revisionsinstanz dagegen zu breit, so droht Überlastung, lange Verfahrensdauer und es ist die konzentrierte Wahrnehmung der entscheidenden Gesichtspunkte einer Wahrung von Rechtsfortbildung und Rechtseinheit gefährdet. 2 . Die Stellung des Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof ist gem. Art. 95 Abs. 1 G G der oberste Gerichtshof für das Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit. In dieser Funktion ist er eine reine Rechtsinstanz 4 , zugleich ist er in Zivilsachen das einzige Revisionsgericht 5 . Die besondere Stellung des B G H als Revisionsgericht in Zivilsachen wird vor allem durch die Sonderregeln beim Zugang zu diesem Gericht deutlich (vgl. §§ 5 4 3 , 5 4 4 , 5 6 6 ) . Diese Zugangsbeschränkungen lösen eine Filterwirkung aus und ermöglichen es dem B G H , trotz der riesigen Zahl von erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Zivilsachen arbeitsfähig zu bleiben und vor allem die rechtsgrundsätzlichen Verfahren zu entscheiden.
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Die gerichtsverfassungsrechtliche Vierstufigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit führt immer wieder zu einer Diskussion darüber, o b nicht künftig ein dreistufiger Gerichtsaufbau geschaffen werden sollte 6 . Dabei gilt es freilich zu bedenken, dass eine Zusammenlegung der Amtsgerichte und der erstinstanzlichen Zuständigkeiten der Landgerichte zu einem einheitlichen Eingangsgericht ohne Veränderung anderer Faktoren jedenfalls langfristig notwendigerweise zu einer grundlegenden Neuorganisation der Justiz und zu einer Kostenlawine (neue Gebäude!) führt.
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3. Rechtsvergleichende Hinweise Der Zugang zum jeweils Obersten Gerichtshofs eines Landes ist in Europa sehr unterschiedlich ausgestaltet. Im Wesentlichen kann man das System der Kassation (Frankreich, Italien, Griechenland, Niederlande, Belgien, Spanien, Portugal), das System der Revision (Deutschland, Österreich) und das Berufungssystem (England, Irland, Skandinavien, jeweils freilich mit sehr großen und unterschiedlichen Einschränkungen) sowie verschiedenartige Mischsysteme (z.B. Schweiz) unterscheiden. 4
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Zu den Ausnahmen und Besonderheiten vgl. Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz, 1975, passim. Auf die landesrechtlichen Besonderheiten, die sich aus § 8 EGGVG ergeben und die in Bayern zur Schaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts geführt haben, ist an dieser Stelle nicht ein-
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zugehen, zumal das BayObLG durch Gesetz mit Ablauf des 3 0 . 0 6 . 2 0 0 6 aufgelöst werden wird. Bereits seit 01.01.2005 ist für Neuzugänge die Zuständigkeit des BayObLG nicht mehr gegeben. Vgl. zuletzt den Bericht des Bundesministeriums der Justiz, Bericht zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen, Bonn 1999, 129 Seiten.
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Grundgedanke der Kassation ist die objektive Justizaufsicht, das Einschreiten von Amts wegen zur Wahrung öffentlicher Interessen selbst gegen den Wunsch beider Parteien des Verfahrens sowie die reine Aufhebungskompetenz das Kassationshofes ohne Selbstentscheidungsrecht. Demgegenüber ist die Berufung das umfassende und reine Parteirechtsmittel in der Tat- und Rechtsfrage. Die Revision als Rechtsmitteltypus kann deshalb als eine Zwischenform zwischen der Berufung und der Kassation verstanden werden. Sie bleibt Parteirechtsmittel, ist aber im Zugang auf das Allgemeininteresse und in der Entscheidung auf die Rechtsfrage beschränkt 7 . II. Wesen und Zweck von Rechtsmitteln 1. Die allgemeinen Prozesszwecke 8
Die allgemeinen Prozesszwecke sind gekennzeichnet von dem Streit zwischen einer subjektiven Sicht, wonach der Prozess den materiellrechtlichen Anspruch des Klägers verwirklichen soll. Aus dieser Sicht hat das Prozessrecht dienende Funktion und das Verfahrensziel ist eine möglichst gerechte Entscheidung des Einzelfalls. Dazu im Gegensatz steht die Auffassung von den objektiven Prozesszwecken, die man oft in dem Schlagwort der Bewährung der Rechtsordnung zusammenfasst. In Wahrheit lassen sich die objektiven Prozesszwecke in verschiedener Weise untergliedern. So ist Teil eines objektiven Prozesszweckes sicherlich auch die Schaffung von Rechtsfrieden und die Förderung der Rechtsfortbildung. Auch die sozialen Zwecke eines Prozesses, die sich vor allem in der Zurückdrängung der Selbsthilfe und der Vermeidung sozial schädlicher Handlungen zeigen, können als Teil eines objektiven Prozesszweckes verstanden werden. In einer übersteigerten Form hat insbesondere Luhmann mit seiner These von der „Legitimation durch Verfahren" letztlich einen Verfahrenszweck unter vollständiger Abstraktion vom materiellen Recht gebildet.
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Die Einzelheiten dieses Streites um die Prozesszwecke mögen hier dahinstehen. Mit der weithin herrschenden Auffassung wird im folgenden davon ausgegangen, dass der normale Prozess erster Instanz in erster Linie von subjektiv-individuellen Prozesszwecken gesteuert ist 8 . Es geht also darum, dem Klageziel der Parteien gerecht zu werden und die materielle Rechtslage im Einzelfall zu einer möglichst gerechten Entscheidung zu führen. Alle anderen Prozesszwecke lassen sich von diesem Hauptzweck nicht trennen, wie man unzweifelhaft am Gedanken des Rechtsfriedens und der Rechtsfortbildung des Rechts zeigen kann. Es handelt sich dabei (jedenfalls für die erste Instanz) immer nur um Nebeneffekte.
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Eine Betrachtung des gesamten Justizaufbaus legt nun die These nahe, dass die jeweils anzuerkennenden Prozesszwecke in erster Instanz, in der Berufung sowie in der Revisionsinstanz nicht identisch sein müssen. Dies mag am deutlichsten die fiktiven Überlegung zeigen, dass ein Land in dritter und letzter Instanz eine reine Kassation einführt. In einem solchen Falle wäre offenkundig für subjektiv-individuelle Prozesszwecke kein Raum mehr. 7
4
Rechtsvergleichend insbesondere Caponi, La decizione della causa nel merito da parte della Corte di cassazione italiana e del Bundesgerichtshof tedesco, Neapel 1996; Ferrand, Cassation francaise et Revision allemande, Paris 1993; Gilles/Röhl/Schuster/Strempel, Rechtsmittel im Zivilprozess, Köln 1985; ]olowiczlvan Rbee, Rechtsmittel in der Europäischen Union, Den H a a g 1999; Leipold, Die Rechtsmittel des Zivil-
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prozesses im europäischen Vergleich, in: Rechtsstaat - Rechtsmittelstaat?, Symposium 1998 in Triberg, Stuttgart 1999; Stiirner, Michael, Die Anfechtung von Zivilurteilen, M ü n c h e n 2002; Tsikrikas, Cassation und Revision im europäischen Vergleich - eine rechtsvergleichende und rechtshistorische Skizze, Z Z P I n t 1999, S. 171. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 1 III.
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2. Wesen und Zweck der Revision Eine deutlich erkennbare Sonderstellung nimmt dabei die Revision zu dem jeweils 11 obersten Gerichtshof des Bundes ein. Einerseits ist sie in allen Verfahrenszweigen als ein echtes Rechtsmittel ausgestaltet, das von den konkreten Parteien des Rechtsstreits eingelegt wird und nur diesen offen steht. Andererseits zeigt der durch ganz bestimmte Kriterien eingeschränkte Zugang zum obersten Gericht, dass mit der Revision zugleich auch ein Allgemeininteresse an der Wahrung der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts verwirklicht wird. Diese beiden Aspekte sind nämlich unzweifelhaft die entscheidenden Parameter zur Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „grundsätzlichen Bedeutung", von der in allen Prozessordnungen die Zulassung der Revision abhängt. Aus diesen wenigen Andeutungen lassen sich bereits die bis heute unterschiedlichen Auffassungen zum Revisionszweck entnehmen. So hat vor allem Mannheim9 im Jahre 1925 die These vom Vorrang der Parteiinteressen betont. Diese Auffassung ist naheliegenderweise bis heute im Strafverfahren verbreitet, aber auch für den Zivilprozess noch immer anzutreffen 10 . Im Jahre 1930 hat Pöble11 die Auffassung begründet, das Allgemeininteresse an der Rechtseinheit und die Parteiinteressen seien gleichrangige Revisionszwecke. Diese Auffassung hat sich nicht durchsetzen können, sie hat jedoch in einer gewissen Pointierung der These von der Gleichsetzung wegen Untrennbarkeit beider Zwecke 12 oder von der Unvergleichbarkeit beider Zwecke 13 eine neue Ausgestaltung erfahren. Weiterhin wurde von Schwinge14 im Jahre 1935 der Vorrang des Allgemeininteresses an der Rechtseinheit herausgestellt. Diese dritte Meinung vom Vorrang des Allgemeininteresses wird heute überwiegend vertreten l s . In Wahrheit greifen alle diese drei Thesen zum Zweck der Revision zu kurz. Es 12 gelingt ihnen nicht, die unterschiedlichen Ansatzpunkte eines Revisionsverfahrens für die Parteien und für die Allgemeinheit richtig zu trennen. Spätestens mit der Einführung der generellen Zulassungsrevision in Zivilsachen am 01.01.2002 zeigt sich nämlich, dass der Gesetzgeber zwischen dem Zugang zur Revisionsinstanz und dem weiteren Revisionsverfahren gewichtige Trennungen vornimmt. In allen Verfahrensordnungen wird das Allgemeininteresse an Rechtseinheit und Fortbildung des Rechts vor allem im Rahmen des Revisionszugangs vom Gesetzgeber herausgestellt. Ist jedoch ein konkreter Rechtsstreit zur Revisionsinstanz zugelassen, so ist sowohl die Einlegung der Revision als auch das konkrete Revisionsverfahren ganz von der Dispositionsfreiheit der Parteien geprägt und das Verfahren orientiert sich letztlich wieder am Parteiinteresse einer gerechten Einzelfallentscheidung 16 . Natürlich kann eine solche Aufspaltung zwischen Zulassung eines Rechtsmittels und Rechtsmittelverfahren nicht davon absehen, dass mit dem Vorrang des einen Rechtsmittelzwecks als Nebeneffekt immer auch andere Rechtsmittelzwecke verbunden sind, eine Akzentverlagerung innerhalb der Revision kann freilich nicht geleugnet werden. 9
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Mannheim, Beiträge zur Lehre von der Revision wegen materiellrechtlicher Verstöße im Strafverfahren, 1925, S. 21 ff. Stein/Jonas/Grwns&y, 21. Aufl., Vor § 545 Rdn. 5; Möhring, N J W 1962, 3; Reuß, D Ö V 1959, 11. Pohle, Revision und neues Strafrecht, 1930, S. 80 ff. Vgl. insbesondere Sarstedt, Die Revision in Strafsachen, 4. Aufl. 1962, S. 2 ff. Kuchinke, Grenzen der N a c h p r ü f b a r k e i t , 1964, S. 47.
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Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 1935, 2. Aufl. 1960. Vgl. insbesondere Henke, Die Tatfrage, 1965, S. 191 ff; Baur, Z Z P 71, 175, 183; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, 15. Aufl., § 134 II 2; zurückhaltender 16. Aufl., § 132 IV 2. Diese Auffassung w u r d e entwickelt bei Prutting, Die Zulassung der Revision, 1977, S. 92 ff.
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Die zuletzt genannte Auffassung liegt auch der vorliegenden Kommentierung zugrunde. Dies bedeutet, dass das Verständnis und die teleologische Auslegung des Revisionsrechts darauf Rücksicht zu nehmen hat, ob es sich um eine Norm des Zugangs zur Revisionsinstanz (§§ 543, 544, 566) oder um eine Norm des Revisionsverfahrens (SS 548ff) handelt. 14 Neben der im Allgemeininteresse stehenden Wahrung der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts hat aber die Revision wie jede Rechtsmittelinstanz noch eine weitere Funktion im Allgemeininteresse. Dies wird häufig übersehen. Die abstrakte Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung übt nämlich einen generellen Kontrolleffekt auf die jeweils unteren Instanzen aus. In der Praxis wird dieser Aspekt besonders deutlich, wenn jemand zum Ausdruck bringt, über ihm befinde sich nur noch der „blaue Himmel der Rechtskraft". Auch in den Prozessgesetzen schlägt sich dieser Aspekt sehr deutlich nieder, wenn etwa § 313 a ZPO vorsieht, dass ein Urteil keines Tatbestandes bedarf, wenn ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist. Unter gewissen Umständen bedarf ein solches Urteil auch keiner Entscheidungsgründe (Verzicht durch die Parteien oder Aufnahme des wesentlichen Inhalts in das Protokoll). 15
Die Revision ist also nach deutscher Tradition unstreitig ein echtes Rechtsmittel. Rechtsmittel sind nach weithin anerkannter Auffassung diejenigen Anfechtungsmöglichkeiten von Entscheidungen, die mit einem Suspensiv-Effekt (das Rechtsmittel hemmt den Eintritt der Rechtskraft) und mit einem Devolutiv-Effekt (über das Rechtsmittel entscheidet die höhere Instanz) ausgestattet sind 17 . Rechtsmittel wollen damit durch eine höhere Instanz die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung überprüfen und den Eintritt der formellen Rechtskraft in diesem Umfang verhindern. Sie dienen also den Parteien des Rechtsstreits, die eine für sie nachteilige Entscheidung durch eine günstigere Entscheidung zu ersetzen versuchen. Die Eröffnung von Rechtsmitteln führt über das reine Parteiinteresse des Einzelnen hinaus aber auch dazu, dass die Chance zu einer größeren Richtigkeit der Entscheidung eröffnet ist und damit letztlich das Vertrauen in die staatliche Gerichtsbarkeit erhöht wird. ΠΙ. Historische Entwicklung
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Die Entstehungsgeschichte der ZPO führt von der von Leonhard geschaffenen Hannoverschen Prozessordnung des Jahres 1850 über die Badische Prozessordnung von 1864 zum sog. Hannoverschen Entwurf von 1866, der noch von der Deutschen Bundesversammlung des Jahres 1862 initiiert worden war. Eng angelehnt an diesen Entwurf folgte sodann der Entwurf einer CPO des Norddeutschen Bundes, der 1870 fertiggestellt wurde und nach der Reichsgründung von Leonhard im Preußischen Justizministerium sogleich zum Justizministerialentwurf des Deutschen Reiches umgeformt wurde. Die schnelle Schaffung einer reichseinheitlichen CPO war damals allgemein als vordringlich angesehen worden, um das stark zersplitterte partikulare Recht abzulösen. Dies zeigt sich auch sehr deutlich an der intensiven Diskussion um die Schaffung eines Obersten Gerichtshofs. Von Juristen und Kaufleuten intensiv gefordert, entstand im Norddeutschen Bund 1869 das Bundesoberhandelsgericht, das 1871 nach der Reichsgründung zum Reichsoberhandelsgericht und mit dem Inkrafttreten der CPO 1879 zum Reichsgericht wurde. 17
6
Z u dieser anerkannten Rechtsmittelkonzeption vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 132 I; abweichend allein Gilles, Rechts-
mittel im Zivilprozess, 1972, S. 2 4 ff, 2 2 6 ff; ders., Z Z P 91, 128, 160ff.
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Dabei ist aus der Sicht des Rechtsmittelrechts besonders wichtig, dass zwar die CPO des Jahres 1877 mehr ein Werk der Rechtsvereinheitlichung als der Rechtserneuerung war, dass aber vor allem die Revision als ein neuartiger Kompromiss zwischen Berufung und preußischer Nichtigkeitsbeschwerde (bzw. französischer Kassation) eine spezifisch deutsche Entwicklung darstellte. Auch die frei zugängliche Berufung hat sich erst 1872 im zweiten Entwurf der CPO durchgesetzt und alle Vorschläge beseitigt, gegen erstinstanzliche Kollegialgerichte allein eine revisio in jure oder ein eigenes Rechtsmittel bei Difformität vorzusehen.
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Die Konzeption des Revisionsrechts, wie wir es heute in Deutschland vorfinden, geht also sehr wesentlich auf die Vorarbeiten zur CPO von 1877 zurück. Noch in einigen Vorentwürfen war geplant gewesen, eine Nichtigkeitsbeschwerde zum künftigen Reichsgericht vorzusehen. Erst im preußischen Ministerialentwurf von 1871 wurde in bewusster Abkehr von früheren Plänen die Revision als ein echtes Rechtsmittel, das in der Hand der Parteien liegt und das durch seine Beschränkung auf die Rechtsfrage einen Mittelweg zwischen einer zweiten Berufung und einer Kassation darstellt, geschaffen. Entwicklungsgeschichtlich ist aber die Verwandtschaft zwischen der preußischen Nichtigkeitsbeschwerde und dem Revisionsrecht der CPO zweifelsfrei nachzuweisen18.
18
Der Zugang zur Revision in Zivilsachen wurde 1877 in der Weise festgelegt, dass 1 9 bei Vorliegen einer Revisionssumme von 1500,- RM die Revision von der beschwerten Partei frei eingelegt werden konnte. Weitere Zugangsschranken wie etwa das Prinzip der Difformität oder eine Zulassung des Rechtsmittels wurden 1877 nicht vorgesehen. Allerdings zeigte sich nach der Eröffnung des Reichsgerichts im Jahre 1879 sehr 2 0 bald, dass das oberste Gericht mit einer ständigen und zunehmenden Überlastung zu kämpfen hatte. So war das Revisionsrecht von Anfang an von den Überlegungen begleitet, wie man dieser Überlastung abhelfen könne. Im Wesentlichen wurde dabei auf zwei Mittel zurückgegriffen, nämlich auf eine Erhöhung der Zahl der Richter und eine kontinuierliche Anhebung der Revisionssumme. In der Kaiserzeit ergab sich eine Entwicklung dieser Revisionssumme von 1 5 0 0 , - RM (1877) über 2 5 0 0 , - RM (1905) bis 4 0 0 0 , - RM (1910). Bei der Eröffnung des Bundesgerichtshofs im Jahre 1950 wurde die Revisionssumme auf 6 0 0 0 , - DM festgelegt. Sie stieg 1964 auf 1 5 0 0 0 , - DM an und wurde 1969 auf 2 5 0 0 0 , - DM sowie 1975 auf 4 0 0 0 0 , - DM erhöht. Die bis 2001 vorhandene Revisionssumme von 6 0 0 0 0 , - DM geht auf die Novellierung der ZPO vom 17.12.1990 (BGBl I 2847) zurück. Allerdings hatte sich seit 1975 die Funktion dieser Revisionssumme verändert, da seither ein freier Zugang zum BGH nicht mehr möglich war. Neben den konventionellen Mitteln einer Erhöhung der Zahl der Richter und 2 1 einer Anhebung der Revisionssumme hat sich im gesamten deutschen Revisionsrecht seit langem eine Tendenz entwickelt, den freien Zugang zum obersten Gericht dadurch zu beschränken, dass Rechtsmittel nur aufgrund einer Zulassung eingelegt werden können. Dieser im deutschen Recht erstmals von Adickes gemachte Vorschlag 19 hat seine Wurzeln im englischen und schottischen Recht. Verwirklicht wurde eine solche Idee der Zulassung von Rechtsmitteln erstmals befristet durch die Verord18
19
Vgl. zu diesen historischen Grundlagen insbesondere Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, S. 14, 19 ff. Adickes, Grundlinien durchgreifender Justizreform, 1906 (es handelt sich um die berühmte
Herrenhaus-Rede des damaligen Frankfurter Oberbürgermeisters, die großen Einfluß auf die Diskussion einer Justizreform in Deutschland hatte).
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nung zur Entlastung des Reichsgerichts vom 15. Ol. 1924 (RGBl I 29), durch die für die Dauer von 2 Jahren die Revision in Ehesachen von der freien Revisibilität ausgenommen wurde und von einer Zulassung durch das Oberlandesgericht abhängig gemacht war. Als kurze Zeit darauf das neu geschaffene Arbeitsgerichtsgesetz vom 2 3 . 1 2 . 1 9 2 6 (RGBl I 507) in Kraft trat, enthielt dies erstmals generell eine Regelung, nach der in Fragen der Arbeitsgerichtsbarkeit die Revision bis zu einem bestimmten Streitwert nur eröffnet war, wenn diese durch das Berufungsgericht zugelassen war. Diese Form der Zugangsbeschränkung hat sich seither in Deutschland weitgehend durchgesetzt 20 . 22
Die ZPO von 1950 hat ein gemischtes Revisionsrecht gebracht (Zulassung der Revision bis 6 0 0 0 , - DM, darüber freier Zugang). Eine grundsätzliche Änderung des Revisionsrechts hat die Novelle des Jahres 1975 herbeigeführt. Durch diese Novelle 21 wurde der Zugang zur Revision in der Weise verändert, dass bis zum Wert der Beschwer von 4 0 0 0 0 , - D M eine Zulassung gem. § 546 aF erforderlich war, darüber hinaus wurde das Institut der Annahme der Revision gem. § 554 b aF geschaffen. Dadurch war bereits ein freier Zugang zur Revisionsinstanz insoweit ausgeschlossen, als der BGH die Annahme von Revisionen in Zivilsachen ablehnen konnte, soweit nicht eine Zulassung die Revision eröffnet hat.
IV. Aktuelle Situationen 23
Trotz der vielfachen Versuche, das Reichsgericht und den BGH zu entlasten, ist auch in jüngster Zeit die Diskussion um weitere Entlastungsmaßnahmen und weitere Beschränkungen des Zugangs zur Revision ein Dauerthema geblieben. Dies ist auch keineswegs überraschend. Denn das oberste Bundesgericht in Zivilsachen ist wie die Spitze eines Eisbergs. Seine Geschäftsentwicklung hängt notwendigerweise von außerordentlich vielfältigen Entwicklungen rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art ab. Insofern ist das oberste Gericht immer zugleich auch ein gewisses Spiegelbild der Rechtsentwicklung des gesamten Landes. Jedes neue Gesetz, jede wirtschaftliche Veränderung, jede Entwicklung in der Mentalität der Bevölkerung muss notwendigerweise Auswirkungen auf den Zugang zu den Gerichten und damit letztlich auch auf die Belastung eines Revisionsgerichts haben. Ein Rechtsmittelrecht, das allen diesen Aspekten gegenüber zu einer langfristigen Stabilität führt, müsste eine außerordentlich weitgehende Flexibilität aufweisen. Eine solche flexible Handhabung der Annahmerevision hat der Gesetzgeber im Jahre 1975 einzuführen versucht, allerdings hat das Bundesverfassungsgericht die Elemente einer Annahme nach Ermessen wieder aus dem Gesetz eliminiert 22 .
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Die neueren Diskussionen über die Grundlagen des deutschen Rechtsmittelrechts haben sich seit längerer Zeit verstärkt auf die Berufungsinstanz konzentriert. Dies gilt sowohl für die auf Initiative des Bundesjustizministeriums durchgeführte Bochumer Tagung zum Thema „Rechtsmittel im Zivilprozess - unter besonderer Berücksichtigung der Berufung" im Dezember 1 9 8 4 2 3 als auch für die Diskussionen auf dem Zu den Einzelheiten dieser Entwicklung und generell zur Zulassung der Revision vgl. Prutting, Die Zulassung der Revision, 1977, S. 22 ff, 30 ff. Gesetz zur Änderung des Recht der Revision in Zivilsachen vom 8.7.1975, BGBl I 1863; die Initiative zu dieser Regelung ging vom Rechtsausschuß des Bundestages aus (vgl. BT-Drucks. 7/3596).
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23
BVerfGE 49, 148 = NJW 1979, 151 = ZZP 92, 268 mit Anm. Prutting·, BVerfGE 50, 115 und 287; BVerfGE 54, 277 = ZZP 95, 67 mit Anm. Prutting-, BVerfGE 55, 205. Vgl. dazu Gilles/Röbl/Schuster/Strempel, Rechtsmittel im Zivilprozess, 1985.
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2. Abschnitt. Revision
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61. Deutschen Juristentag im Jahre 1 9 9 6 , wo in der Abteilung Verfahrensrecht die Frage aufgeworfen wurde, ob sich im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes M a ß nahmen zur Vereinfachung, Vereinheitlichung und Beschränkung der Rechtsmittel des Zivilverfahrens empfehlen 2 4 . Die seitherige Entwicklung ist durch Überlegungen im Bundesjustizministerium geprägt, das Rechtsmittelrecht im Zivilrecht grundlegend zu reformieren. Diese Überlegungen gehen auf einen Auftrag der Justizministerkonferenz vom 0 5 . 1 1 . 1 9 9 8 zurück und haben im August 1 9 9 9 zur Vorlage eines „Bericht zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen" geführt. Auch dieser Vorschlag behandelt in zentraler Weise das Berufungsrecht. Allerdings wurden auch die Probleme des Revisionszugangs diskutiert. Insoweit wurde der Vorschlag gemacht, das Mischsystem aus Zulassungs- und Annahmerevision durch eine einheitliche Regelung zu ersetzen, die ausschließlich von einer Zulassung durch den judex a quo abhängt. Diese Fragen wurden seit 1 9 9 9 bis zur Verabschiedung des ZPO-Reformgesetzes vom 27. 0 7 . 2 0 0 1 (BGBl I 1887) heftig diskutiert 2 5 . Der Umfang der im Rechtsmittelrecht geplanten Änderungen wurde erstmals in voller Schärfe durch den Ende 1 9 9 9 veröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses deutlich 2 6 . Dieser Entwurf enthielt massive Einschnitte in die Struktur der Z P O und wich insofern deutlich von früheren vorsichtigen Novellierungsversuchen ab. Gekennzeichnet war der Entwurf durch eine starke Einschränkung der Berufung (Annahmeverfahren, Beschränkung des Tatsachenstoffes auf die erste Instanz) sowie eine Ausrichtung der Revisionsinstanz auf eine reine Zulassungsrevision. Angesichts dieser massiven Änderungs- und Einschränkungspläne brach ein Sturm der Entrüstung los, wie ihn das Zivilprozessrecht in den vergangenen 5 0 Jahren nicht erlebt hat. Anwaltschaft, Richterschaft und Wissenschaft lehnten derart massive Eingriffe in den Zivilprozess weithin a b 2 7 . Auch das Jahr 2 0 0 0 war von außerordentlich kritischen Stellungnahmen geprägt. Angesichts dieser umfangreichen Kritik war es durchaus erstaunlich, dass zunächst die Regierungsfraktion am 0 4 . 0 7 . 2 0 0 0 einen mit dem Regierungsvorschlag vom Dezember 1 9 9 9 weitgehend übereinstimmenden Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozessrechts einbrachte 2 8 und im Herbst dann die Bundesregierung mit einem ebenfalls sehr ähnlichen Regierungsentwurf 2 9 an die Öffentlichkeit trat. Inzwischen hatte allerdings eine umfangreiche praktische Simulation des geplanten künftigen Zivilprozessrechts vom 10. bis 1 2 . 0 5 . 2 0 0 0 in der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen in Recklinghausen 3 0 und eine breite Diskussion auf dem 63. Deutschen Juristentag vom 2 6 . bis 29. 0 9 . 2 0 0 0 in Leipzig deutlich gemacht, dass eine Reform in der ursprünglich geplanten Art und Weise nicht akzeptabel sein würde.
25
Nach einer äußerst kritischen Stellungnahme des Bundesrates vom 1 0 . 1 1 . 2 0 0 0 3 1 trat in der Reformdiskussion von Ende 2 0 0 0 bis März 2 0 0 1 eine Ruhepause ein.
26
24
25
26
27
Vgl. hierzu das Gutachten von Gottwald und die Referate von Jaeger und Senninger. Vgl. Prutting, Rechtsmittelreform 2000 oder: Der Staat spart und der Rechtsstaat leidet, Köln 2000, insbesondere S. 32 ff. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 23.12.1999, hrsg. vom Bundesjustizministerium. Vgl. Prutting (Fn. 24), S. 19ff; ferner die Stellungnahme der Präsidenten des BGH, des BayObLG und sämtlicher OLG-Präsidenten (NJW
28 29
30
31
2000, Heft, 27, S. X X II) sowie sämtlicher LAGPräsidenten (NZA 2000, 814). BT-Drucks. 14/1370. Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, beschlossen am 0 6 . 0 9 . 2 0 0 0 , veröffentlicht am 1 4 . 1 1 . 2 0 0 0 als BT-Drucks. 14/4722. Vgl. hierzu Dieckmann, J Z 2000, 760; Funke, BRAK-Mitt. 2000, 102. BR-Drucks. 536/00.
H a n n s Prütting
9
§542
Drittes Buch. Rechtsmittel
Ende März 2001 wurde dann (für manche Beteiligte überraschend) ein stark abgeänderter Entwurf des Bundesjustizministeriums bekannt, der vom Rechtsausschuss des Bundestages und vom Parlament im Mai 2001 sehr schnell verabschiedet wurde. Dieser im Juli 2001 Gesetz gewordene Entwurf hat einige grundlegende Eingriffe im Bereich der Berufungsinstanz zurückgenommen. Gestrichen wurde insbesondere die Annahmeberufung und die generelle Verlagerung aller Berufungen in Zivilsachen an die Oberlandesgerichte. Abgeschwächt wurden auch Fragen der Einzelrichterregelung und des Prozessstoffs der Berufungsinstanz. Weitgehend unverändert wurde aber die Reform des Revisionsrechts im neuen Gesetz umgesetzt. 27
Das nunmehr geltende Revisionsrecht wurde als Teil des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses am 17. 0 5 . 2 0 0 1 vom Bundestag verabschiedet und am 22. 0 6 . 2 0 0 1 im Bundesrat gebilligt. Es ist als ZPO-Reformgesetz vom 2 7 . 0 7 . 2 0 0 1 im Bundesgesetzblatt verkündet worden (BGBl I S. 1887) und am 01. 0 1 . 2 0 0 2 in Kraft getreten.
28
Herausragende Neuerungen des geltenden Revisionsrechts sind der Zugang im Rahmen einer allgemeinen Zulassungsrevision, die Einbeziehung der Berufungsurteile der Landgerichte in die Revisionszulassung, der Wegfall der früheren Annahmerevision (§ 5 5 4 b aF), und mit der Beseitigung des Dualismus von Zulassung und Annahme zugleich der Wegfall der Streitwertabhängigkeit. Allerdings ist neben die Zulassung der Revision eine Nichtzulassungsbeschwerde getreten (§ 544). Bei jährlich mehr als 4 0 0 0 0 Berufungsurteilen in Zivilsachen muss deshalb künftig damit gerechnet werden, dass der BGH durch eine riesige Zahl von Nichtzulassungsbeschwerden überschwemmt und vollkommen überlastet wird. Der Gesetzgeber hat deshalb für einen Übergangszeitraum bis Ende 2 0 0 6 die Nichtzulassungsbeschwerde von einer Wertgrenze in Höhe von EUR 2 0 0 0 0 , - abhängig gemacht (§ 26 Nr. 8 EGZPO). Damit hat der Gesetzgeber die Streitwertabhängigkeit der Revision, gegen die im gesamten Gesetzgebungsverfahren durchgehend stark polemisiert worden war, durch die Hintertür wieder eingeführt. Entgegenhalten könnte man dieser Kritik, dass eine Übergangsfrist bis 2 0 0 6 in jedem Falle hinzunehmen sei. Jedoch kann schon heute vermutet werden, dass auch in späteren Jahren eine Begrenzung der Nichtzulassungsbeschwerden für die Arbeitsfähigkeit des BGH zwingend erforderlich sein wird. Es steht also zu erwarten, dass es eine streitwertabhängige Nichtzulassungbeschwerde auf Dauer geben wird.
V. Rechtstatsachen 29
Die Entwicklung der Revisionseingangszahlen pro Jahr zeigt sowohl beim Reichsgericht wie beim BGH über nunmehr 120 Jahre hin eine im Grundsatz steigende Tendenz. Dieser Entwicklung folgen auch die am Jahresende jeweils verbliebenen Rückstände der noch nicht entschiedenen Revisionen. Waren die großen Rückstände der ersten Jahre am Reichsgericht (1879 bis 1883) noch deutlich durch Streitigkeiten aus altem Recht (vor 1877) geprägt, so entwickelte sich nach 1883 eine fortdauernde Tendenz hin zum Anstieg der Eingangszahlen und der Rückstände, die bisher weder durch die Erhöhung der Richterzahlen noch durch Anhebung von Wertgrenzen und anderen Zugangshindernissen ernstlich gestoppt werden konnte.
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Hanns Prütting
§542
2. Abschnitt. Revision
1. Geschäftsentwicklung am Reichsgericht (Revisionen in Zivilsachen) Jahr
Restbestand
Jahr
Restbestand
1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903
1584 1901 1416 838 819 898 1019 843 625 540 620 562 632 773 808 993 1028 1110 1119 1042 851 788 918 1350 1915
1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928
2223 2229 1952 2419 2721 3084 2972 1882 1482 1119 1378 1071 1096 1221 1160 1402 1750 2686 4463 3761 2025 1970 1694 1926 2304
30
2. Geschäftsentwicklung am BGH (Revisionen in Zivilsachen) Jahr
Restbestand
Jahr
Restbestand
1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967
575 973 1136 1426 1574 1696 1626 1550 1580 1668 1781 1886 2186 2482 2871 2924 2914 3069
1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985
3190 3162 2667 2494 2438 2542 2820 3021 2520 2173 2096 2134 2175 2248 2240 2360 2221 2329
Hanns Prütting
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§542
Drittes Buch. Rechtsmittel
Jahr
Restbestand
Jahr
Restbestand
1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995
2258 2311 2405 2541 2552 2405 2355 2582 2834 3230
1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004
3392 3657 3719 4101 4374 4475 4619 4184 3996
32
3. Revisionseingänge aus den neuen Bundesländern in Zivilsachen 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999
33
63 64 85 150 276 414 494 646 706 749
4. Revisionseingänge in Zivilsachen insgesamt Jahr
Revisionen insgesamt
zugelassene Revisionen
Nicht besch
1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995
2180 1832 2028 2117 2182 2249 2421 2408 2564 2528 2805 2892 3075 3127 3329 3418 3159 2889 3166 3490 3883
254 329 315 341 353 415 404 361 328 289 288 249 247 222 214 206 221 213 219 209 198
452 721 930 834 767 780 895 953 991 1110 1113 1316 1305 1406 1461 1602 1525 1412 1409 1522 1631
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Hanns Prütting
2. A b s c h n i t t . R e v i s i o n
§ 542
Jahr
Revisionen insgesamt
zugelassene Revisionen
Nichtannahmebeschlüsse
1996 1997 1998 1999
3888 4198 4255 4408
155 172 163 151
1849 1945 2141 1969
VI. Verfassungsrechtliche Grundlagen Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 0 Abs. 3 G G ) folgt die Pflicht des Staates zur umfassenden Justizgewährung 3 2 . Darüber hinaus ist der mit der Justizgewährung verbundene Schutz subjektiver Rechte ein wesentlicher Prozesszweck, der neben dem Rechtsstaatsprinzip unmittelbar auf den Freiheitsrechten der Verfassung beruht 3 3 . Der Justizgewährungsanspruch ist ein subjektives öffentliches Recht des Einzelnen gegen den Staat. Dem Bürger wird also ein qualifizierter Rechtsschutz, der durch eine unabhängige richterliche Gewalt wahrgenommen wird, zuteil. Somit ist der Staat verpflichtet, in sämtlichen Rechtsbereichen ein qualifiziertes Verfahren zur verbindlichen Streitentscheidung bereitzustellen. Damit erweist sich der Justizgewährungsanspruch als Korrelat zum staatlichen Gewaltmonopol einerseits und zum Selbsthilfeverbot des Bürgers andererseits.
34
Freilich wird dieser Justizgewährungsanspruch regelmäßig so verstanden, dass er verfassungsrechtlich nur den Zugang zum Gericht und damit nur eine Instanz gewährleistet. Nach einem berühmten Satz gewährt das Grundgesetz Rechtsschutz durch den Richter, nicht gegen den Richter. Weder aus Art. 19 Abs. 4 G G noch aus dem Rechtsstaatsprinzip soll sich also ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf einen Instanzenzug ableiten lassen. Dieser Standpunkt der h M wird zwar mehr und mehr zweifelhaft 3 4 . Die Frage der verfassungsrechtlich garantierten Möglichkeit, auch einen Richterspruch noch einmal überprüfen zu lassen, bedarf an dieser Stelle aber keiner Vertiefung. Denn unzweifelhaft kann insoweit allenfalls eine zweite Instanz verfassungsrechtlich legitimiert werden, eine verfassungsrechtliche Garantie auf die Revisionsinstanz kann es aus dieser Betrachtung des einzelnen Rechtssuchenden nicht geben.
35
Von den bisherigen Überlegungen abzutrennen ist die Frage, ob der Gesetzgeber gewissen verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt, wenn er eine zusätzliche Rechtsmittelinstanz einfachrechtlich eingerichtet hat. Diese Frage ist zu bejahen. Nach der überzeugenden Rechtsprechung des BVerfG sind sachlich nicht zu rechtfertigende Erschwerungen des Zugangs verfassungsrechtlich ebensowenig hinnehmbar wie willkürlich ungleiche Behandlung im Rahmen der Gewährung eines Rechtsmittels 3 5 .
36
Im Ergebnis wird man gegen die frühere Ausgestaltung der Revisionsinstanz in Zivilsachen mit Zulassungs- und Annahmerevision verfassungsrechtliche Bedenken
37
32 33 34
BVerfGE 35, 41, 47; BVerfGE 54, 277, 291. BVerfGE 69, 126, 140. Vgl. dazu vor allem Vosskuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 255 ff; ferner ders., NJW 2003, 2193; zurückhaltender Schenke, J Z 2005, 116.
35
Vgl. BVerfGE 49, 329, 340; vgl. ferner zu verfassungsrechtlichen Mindestgarantien des Verfahrens Prutting, Z Z P 99 (1986), 93, 97; ferner Vosskuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 65 ff.
H a n n s Prütting
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§542
Drittes Buch. Rechtsmittel
ebenso wenig vorbringen können wie gegen eine reine Zulassungsrevision, wie sie im Jahre 2002 in Kraft gesetzt worden ist. Dies hat nunmehr das BVerfG im Hinblick auf die Revisionszulassung gem. § 543 ausdrücklich entschieden 36 .
VII. Statthaftigkeit der Revision 1. Grundsatz 38
Das Gesetz unterscheidet die Frage, ob ein Rechtsmittel an sich gegeben ist, ob es also statthaft ist, von der Zulässigkeit des Rechtsmittels im Einzelfall. In diesem Sinne formuliert § 542 Abs. 1, dass die Revision in bestimmten Fällen stattfindet, und § 552 Abs. 1 überträgt dem Revisionsgericht die Pflicht, von Amts wegen zu prüfen, ob „die Revision an sich statthaft" ist. Die Statthaftigkeit ist somit ein besonders hervorgehobener Teil der Zulässigkeit eines Rechtsmittels. Fehlt sie, so ist das Rechtsmittel in jedem Falle gem. § 552 Abs. 1 Satz 2 als unzulässig zu verwerfen. 2. Endurteile
39
Abs. 1 setzt voraus, dass die Revision sich gegen ein in der Berufungsinstanz erlassenes Endurteil wendet. Im Gegensatz zum früheren Recht ist es dabei ohne Bedeutung, ob es sich um ein Berufungsurteil eines Landgerichts oder eines Oberlandesgerichts handelt. Damit ist nunmehr die Abgrenzung zwischen der Berufungszuständigkeit der Landgerichte und der Oberlandesgerichte, wie sie sich aus § 119 Abs. 1 GVG ergibt, ohne Bedeutung für die Revisionsinstanz. Eine Besonderheit stellt die Sprungrevision dar, die sich gegen das Urteil eines Landgerichts in erster Instanz wendet (im einzelnen vgl. unten § 566). Besondere Regelungen gelten auch für die Berufungsurteile in Familiensachen. Bei diesen sind insbesondere die Sondervorschriften der §§ 621 e, 629 a ff zu beachten. Besonderheiten, die sich im Mietrecht aus dem Institut des Rechtsentscheids (vgl. § 541 aF) ergaben, sind mit dem 01.01.2002 ersatzlos entfallen 37 .
40
Abs. 1 verlangt darüber hinaus das Vorliegen eines Endurteils, also eines die Instanz in der Sache beendenden Urteils. Zu den Endurteilen gehören alle Urteile, die entweder die Berufung als unzulässig verwerfen oder sie als unbegründet zurückweisen. Dazu gehören weiter die Urteile, die auf die Berufung hin das erstinstanzliche Urteil aufheben und durch eine eigene Sachentscheidung ersetzen. Ebenso gehören hierher die Endurteile, die mit der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen 38 . Ein Endurteil liegt ebenso vor, wenn das Berufungsgericht die Streitsache an ein anderes Gericht abgibt oder an das zuständige Gericht verweist 39 . 3. Teilurteile
41
Auch Teilurteile sowie Schlussurteile gem. § 301 sind echte Endurteile. Das Teilurteil und das Schlussurteil können daher jeweils isoliert mit der Revision angefochBVerfG, Beschl. v. 0 8 . 0 1 . 2 0 0 4 , N J W 2 0 0 4 , 1371; BVerfG, Beschl. v. 0 9 . 0 3 . 2 0 0 4 , N J W 2 0 0 4 , 1729; dazu Hirsch, Festschrift für Wenzel, S. 39, 4 7 ff; Piekenbrock, AnwBl 2 0 0 4 , 329; zur Nichtzulassungsbeschwerde als Teil der Rechtswegerschöpfung vgl. BVerfG, N J W 2 0 0 4 , 3029. Z u m früheren Rechtsentscheid umfassend Willingmann, Rechtsentscheid - Geschichte, Dog-
14
matik und Rechtspolitik eines zivilprozessualen Vorlagemodells, 2 0 0 0 . B G H Z 97, 2 9 0 = N J W 1986, 1994; B G H , N J W 1984, 495. B G H Z 97, 2 8 7 = N J W 1986, 1994; B G H Z 40, 7 = N J W 1963, 2219; B G H Z 28, 3 4 9 = N J W 1959, 436.
Hanns Prütting
2 . Abschnitt. Revision
§542
ten werden 4 0 . Das gilt auch für Versäumnisurteile eines Berufungsgerichts, die nach Einspruch in dem daraufhin ergehenden Urteil lediglich die Kostenentscheidung des Versäumnisurteils durch einen Kostenausspruch ersetzen 4 1 . 4. Zwischenurteile Obgleich Zwischenurteile schon nach ihrer Definition keine Endurteile sind, hat das Gesetz einige Zwischenurteile für selbständig anfechtbar erklärt. Eine Revision ist daher statthaft, wenn das Berufungsgericht ein Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Klage erlässt (§ 2 8 0 Abs. 2), wenn es ein Zwischenurteil über den Grund erlässt (§ 3 0 4 Abs. 2) oder wenn eine Entscheidung als Zwischenurteil bezeichnet wird, nach ihrem Inhalt aber ein Endurteil darstellt 4 2 . Eine Revision gegen ein als Zwischenurteil bezeichnetes Berufungsurteil ist also auch dann statthaft, wenn über einen gewillkürten Parteiwechsel entschieden wurde und die Entscheidung zur Folge hat, dass eine Partei gegen ihren Willen aus dem Prozess ausscheidet 4 3 . Ebenso liegt der Fall, wenn das Berufungsgericht in einem zunächst nach § 2 4 0 unterbrochenen Verfahren derjenigen Person, die die Aufnahme des Rechtsstreits erklärt, die Befugnis versagt, als Kläger aufzutreten, diese somit von der Prozessführung ferngehalten wird 4 4 .
42
5. Vorbehaltsurteile Ebenfalls keine Endurteile sind die Vorbehaltsurteile, die nach den §§ 3 0 2 , 5 9 9 ergehen können. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung sind aber auch diese Vorbehaltsurteile isoliert mit Rechtsmitteln anfechtbar (vgl. § 3 0 2 Abs. 3, 5 9 9 Abs. 3).
43
6. Versäumnisurteile Bei Versäumnisurteilen ist zu unterscheiden: Liegt ein echtes Versäumnisurteil vor, also ein Urteil, das aufgrund der §§ 3 3 0 , 331 ergeht, so kommt dagegen ausschließlich der Einspruch (§ 3 3 8 ) in Betracht (sog. erste Versäumnisurteile im technischen Sinn; vgl. §§ 5 6 5 , 514 Abs. 1). Stellt ein echtes Versäumnisurteil dagegen ein zweites Versäumnisurteil im technischen Sinn gem. § 3 4 5 dar, so ist es gem. den §§ 5 6 5 , 514 Abs. 2 in eingeschränktem Umfang mit der Revision angreifbar, ohne dass diese der Zulassung bedürfte 4 5 . Demgegenüber sind sog. unechte Versäumnisurteile, also Urteile, die nicht gegen die säumige Partei und nicht aufgrund von Säumnisnormen ergehen 4 6 , der Sache nach echte streitige Endurteile, die nach allgemeinen Regeln mit der Revision angreifbar sind.
44
7. Erstinstanzliche Urteile Gem. § 5 4 2 ist die Revision gegen erstinstanzliche Urteile in keinem Falle statthaft. Davon macht allerdings § 5 6 6 im Falle der Sprungrevision eine Ausnahme (im einzelnen siehe dort). 40
41 42
BGH, NJW 1987, 2997; BGH, NJW 1984, 495; BGH, NJW 1977, 1152; BGH, NJW 1961, 1811; BGHZ 19, 174; BGHZ 20, 253; BGHZ 29, 126. BGH, NJW 1984, 495. BGHZ 102, 234; BGH, NJW 1981, 989; BGHZ 47, 289; BGHZ 38, 335; MüKo-ZPO/Wenze/, 2. Aufl., § 545 Rdn. 5 f.
43 44 45
46
BGH, NJW 1981, 989. BGH, MDR 2 0 0 4 , 1312. AA zu Unrecht BAG, NZA 2 0 0 4 , 871; wie hier zu Recht Gravenhorst, NZA 2 0 0 4 , 1261. Vgl. dazu MüKo-ZPO/Prütting, 2. Aufl., § 330 Rdn. 17 ff.
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15
45
§542
Drittes Buch. Rechtsmittel
Vni. Nicht revisionsfähige Urteile (Abs. 2) 1. Urteile des einstweiligen Rechtsschutzes 46
Gem. § 5 4 2 Abs. 2 Satz 1 kommt eine Revision gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, die Revision in keinem Falle in Betracht. Für diesen generellen Ausschluss der Revision im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes ist es also ohne Bedeutung, welche materiellrechtliche Rechtsposition im Rahmen des Rechtsschutzgesuches verhandelt wird. Der Revisionsausschluss bezieht sich also auf jedes Arrestverfahren und auf jede einstweilige Verfügung oder Anordnung. Selbst im Falle der sog. Leistungs- oder Befriedigungsverfügung ist die Revision generell ausgeschlossen 47 . Der Revisionsausschluss betrifft auch diejenigen Fälle, in denen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Berufung als unzulässig verworfen worden war oder die Revision vom Berufungsgericht irrtümlich zugelassen war 4 8 . Zwar hätte man nach dem früheren Wortlaut von § 5 4 7 aF zweifeln können, ob im Falle der Verwerfung der Berufung als unzulässig nicht doch eine Revision in Betracht kommt („findet stets statt"), eine solche Auffassung war aber schon nach altem Recht abzulehnen.
47
Die Regelung des § 5 4 2 Abs. 2 Satz 1 ist rechtspolitisch insofern problematisch, als sie die Revision im Hinblick darauf ausschließt, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes keine endgültigen Entscheidungen ergehen. Wird dagegen wie insbesondere im Wettbewerbsrecht vielfach ausschließlich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, so führt die gesetzliche Regelung dazu, dass der B G H seine Aufgabe der Wahrung der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts nicht oder nicht vollständig erfüllen kann.
48
Der Revisionsausschluss im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bezieht sich allerdings nicht auf Urteile, durch die über einen Anspruch nach § 9 4 5 oder über die Zulassung eines ausländischen Arrestbefehls zur Vollstreckung entschieden worden ist 4 9 . 2 . Enteignungs- und Umlegungsverfahren
49
Nach § 5 4 2 Abs. 2 Satz 2 ist die Revision auch in allen Urteilen ausgeschlossen, die über die vorzeitige Besitzeinweisung im Enteignungsverfahren oder im Umlegungsverfahren entschieden haben. Mit dieser Regelung ist durch die Revisionsnovelle 1975 eine damals bereits vorhandene Rechtsprechung gesetzlich normiert worden, wonach in den Fällen der §§ 77, 116 BauGB die Revision nicht statthaft ist. Auch hier ist nämlich die jeweilige Entscheidung nicht von endgültiger Bedeutung. Dagegen ist es nicht zulässig, die Regelung des § 5 4 2 Abs. 2 auf andere Fälle entsprechend anzuwenden, die Entscheidungen mit vorläufigem Charakter aufweisen. 3. Zwischenurteile
50
Nicht statthaft ist eine Revision gegen Zwischenurteile gem. § 303. Dies ergibt sich bereits aus dem Merkmal des Endurteils in § 5 4 2 Abs. 1. Soweit der Gesetzgeber 47
48
16
Wie hier Stein/Jonas/Grunsky, Rdn. 6; MüKoZPO/Wenzel, Rdn. 13. Vgl. BGH, NJW 1984, 2368; BAG, NJW 1984, 255; BGH, NJW 1968, 699; Stein/Jonas/Gra«sky, Rdn. 6; MüKo-ZPO Wenzel, Rdn. 13.
49
BGHZ 74, 280; Stein/Jonas/Gnmsfry, Rdn. 7; MüKo-ZPO/Wenzel, Rdn. 14.
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2 . Abschnitt. Revision
§542
besondere Zwischenurteile in Einzelfällen der Revision selbständig eröffnen will, hat er dies im Gesetz ausdrücklich zum Ausdruck gebracht (s. oben VII. 4.). Die Überprüfung von nicht selbständig anfechtbaren Zwischenurteilen erfolgt zusammen mit dem angegriffenen Endurteil (vgl. § 5 5 7 Abs. 2). 4 . Versäumnisurteile Gegen echte Versäumnisurteile, die nach §§ 3 3 0 , 3 3 1 als erste Versäumnisurteile im technischen Sinn erlassen worden sind, findet die Revision nicht statt. Diese Versäumnisurteile unterliegen gem. § 3 3 8 immer nur dem Einspruch, der Berufung und Revision ausschließt (vgl. §§ 5 6 5 , 514 Abs. 1). Eine eng begrenzte Ausnahme gilt im Falle des zweiten Versäumnisurteils im technischen Sinn gem. § 3 4 5 . Hier kommt unter den Voraussetzungen der §§ 5 6 5 , 514 Abs. 2 eine Revision ausnahmsweise in Betracht (s. oben VII. 6.), ohne dass es einer Zulassung des Rechtsmittels bedürfte s o .
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5. Kostenentscheidungen Eine Revision, die sich isoliert gegen den Kostenpunkt einer Entscheidung oder gegen eine Entscheidung, die nur die Kostenfrage enthält, wendet, ist nicht statthaft (§ 99). Kostenentscheidungen können zulässigerweise nur entweder zusammen mit der Hauptsache angegriffen werden (vgl. § 9 9 Abs. 1) oder das Gesetz ermöglicht im Einzelfall die sofortige Beschwerde gegen eine Kostenentscheidung (vgl. §§ 9 1 a Abs. 2 , 9 9 Abs. 2).
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IX. Inkorrekte Entscheidungen Ein Sonderproblem des Rechtsmittelrechts stellt es dar, wenn die Frage des zulässigen Rechtsmittels dadurch erschwert wird, dass ein Gericht eine inkorrekte Entscheidung getroffen hat. So kann im Einzelfall eine Entscheidung ergangen sein, bei der der Inhalt der Entscheidung von der Bezeichnung abweicht. Dies ist der Fall, wenn das Gericht ein streitiges Urteil als Versäumnisurteil bezeichnet und umgekehrt. Ähnlich kann eine inkorrekte Entscheidung zu bejahen sein, wenn das Gericht ein Urteil erlässt, obgleich das Gesetz einen Beschluss vorsieht und umgekehrt. Denkbar ist es ferner, dass eine gerichtliche Entscheidung nach ihrem Wesen unklar ist. In allen diesen Fällen gilt der anerkannte Grundsatz, dass ein Fehler des Gerichts sich nicht zu Lasten der Parteien auswirken darf. Weder darf es möglich sein, dass durch unrichtige gerichtliche Entscheidungen ein an sich bestehendes Rechtsmittel abgeschnitten wird noch kann von einer Partei verlangt werden, dass sie bessere Rechtskenntnisse als das Gericht aufweist. Daher wird allgemein vertreten, dass in solchen Fällen der Grundsatz der Meistbegünstigung gilt 5 1 .
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Der Grundsatz der Meistbegünstigung gegen inkorrekte Entscheidungen setzt allerdings voraus, dass sowohl gegen die formal vorliegende Gerichtsentscheidung als auch gegen die in Wahrheit zu treffende Entscheidung ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf möglich ist. Daher kann der Grundsatz der Meistbegünstigung keine Anwendung finden, wenn gegen eine gerichtliche Entscheidung in Wahrheit ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf nicht mehr vorgesehen ist und nur die fehlerhafte Entscheidung
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AA zu Unrecht BAG, NZA 2004, 871; wie hier Gravenhorst, NZA 2004, 1261. BGH, NJW-RR 1993, 956; BGH, NJW-RR 1990, 1483; BGH, NJW 1987, 442; BGH, NJW
1979, 43; BGH, NJW 1964, 660; Stein/Jonas/ Grunsky, Einl. Zu § 511, Rdn. 37ff; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, § 133 II.
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§543
Drittes Buch. Rechtsmittel
anfechtbar wäre. Denn der Grundsatz der Meistbegünstigung soll der Partei helfen, nicht wegen eines Fehlers des Gerichts ein falsches Rechtsmittel einzulegen. Dagegen soll der Grundsatz der Meistbegünstigung nach allgemeiner Ansicht nicht zu einer Erweiterung des Rechtsmittelzuges führen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich umgekehrt zugleich, dass ein Rechtsmittel dann möglich sein muss, wenn es gegen die richtige gerichtliche Entscheidung gegeben wäre und wenn nur die fehlerhaft erlassene Entscheidung unanfechtbar sein sollte.
X . Weitere Rechtsbehelfe 55
Liegt ein Endurteil eines Berufungsgerichts in Zivilsachen vor, das mit der Revision angreifbar ist, so k o m m t ein anderer Rechtsbehelf daneben nicht in Betracht. W i r d die Revision in diesem Fall innerhalb der gesetzlichen Frist (vgl. § 5 4 8 ) nicht eingelegt, so wird das Urteil des Berufungsgerichts mit dem Fristablauf rechtskräftig. Weder vor Ablauf der Rechtsmittelfrist noch danach kann ein Berufungsurteil mit einer Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit 5 2 oder mit einer Gegenvorstellung angegriffen werden.
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Dagegen stehen nach Eintritt der Rechtskraft gewisse besondere Rechtsbehelfe zur Verfügung, durch die die Rechtskraft ausnahmsweise durchbrochen werden kann: Z u nennen sind die Wiederaufnahme des Verfahrens ( § § 5 7 8 f f ) in der F o r m der Nichtigkeits- und der Restitutionsklage; der Antrag auf Wiedereinsetzung gem. § 2 3 3 ; die Abänderungsklage gem. § 3 2 3 ; die Klage aus § 8 2 6 B G B und schließlich die Verfassungsbeschwerde.
§543 Zulassungsrevision (1) Die Revision findet nur statt, wenn sie 1. das Berufungsgericht in dem Urteil oder 2 . das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung zugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder 2 . die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden. Schrifttum Amberg Divergierende höchstrichterliche Rechtsprechung, 1998; Ball Die Zulassung der Revision wegen offensichtlicher Unrichtigkeit des Berufungsurteils und wegen Verletzung von Verfahrensgrundrechten, Festschrift für Musielak, 2004, S. 27; Hirsch Verfassungsrechtliches Bestimmtheitsgebot und gerichtliche Auslegung am Beispiel der neuen Zugangsvoraussetzungen zur dritten Instanz, Festschrift für Wenzel, 2005, S. 39; Jakobs Die Revisionszulassung wegen Divergenz im arbeitsgerichtlichen Verfahren, 1999; Krämer Die Nichtzulassung der Revision, FamRZ 1980, 971; Lässig Die fehlerhafte Rechtsmittelzulassung und ihre Verbind-
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Vgl. B G H , N J W 1 9 8 9 , 2 7 5 8 ; vgl. jetzt im Rahmen der Rechtsbeschwerde B G H , Z I P 2 0 0 2 , 959.
Hanns Prütting
2. Abschnitt. Revision
§543
lichkeit für das Rechtsmittelgericht, 1976; Linnenbaum Probleme der Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, 1986; de Lousanoff Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im neuen Revisionsrecht, NJW 1977, 1042; May Die Revision, 2. Aufl. 1997; Musielak Der Zugang zur Revisionsistanz im Zivilprozess, Festschrift für Gerhardt, 2 0 0 4 , S. 653; Proske Außerordentliche Rechtsmittel gegen die fehlerhafte Nichtzulassung der Revision, NJW 1997, 352; Prütting Die Zulassung der Revision, 1977; Rimmelspacher Zugangsvoraussetzungen zum Rechtsmittelgericht, Festschrift für Schumann, 2001, S. 327; Rödel/Dahmen Rechtsmittel in der anwaltlichen Praxis, 2. Aufl. 2001; H. Schneider Das neue Revisionsrecht aus der Sicht des Anwalts, NJW 1975, 1537; C. Schumann/Kramer Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl. 2 0 0 2 ; Stackmann Rechtsbehelfe im Zivilprozess, 2 0 0 5 ; Tiedtke Die beschränkte Zulassung der Revision, W M 1977, 666; Vogel Die Revision in Zivilsachen, NJW 1975, 1297; Wenzel Das neue zivilprozessuale Revisionszulassungsrecht in der Bewährung, NJW 2002, 3353; Weyreuther Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971. Zur Aufsatzliteratur über Einzelfragen des neuen Rechts vor 2 0 0 2 vgl. die Nachweise in Fn. 10, zur Literatur nach dem 0 1 . 0 1 . 2 0 0 2 vgl. die Nachweise in Fn. 11.
Übersicht Rdn 1
I. Überblick II. Historische Entwicklung
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ΙΠ. Normzweck
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IV. Die Zulassungsgründe 1. Ausgangspunkte 2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Abs. 2 Nr. 1) a) Rechtsfrage b) Klärungsfähigkeit, Klärungsbedürftigkeit und zu erwartende Klärung c) Abstrakte und konkrete Rechtsfragen d) Streitwert und wirtschaftliche Bedeutung e) Konkrete Prozesssituation 3. Die Fortbildung des Rechts (Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative) a) Grundsatz b) Rechtsprechung c) Literatur d) Eigene M e i n u n g 4. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative) a) G r u n d s a t z b) Gesetzeszweck c) Rechtsprechung d) Literatur e) Fallgruppen 5. Divergenz als Zulassungsgrund . . . .
9 11 12
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28 29 31 34 35 36
Rdn 6. Rechtsanwendungsfehler und Revisionszulassung 7. Verfahrensfehler als Zulassungsgrund . 8. Fehlende Überprüfungsmöglichkeit . .
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9. Zulassung und Richtigkeit im Ergebnis
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V. Die Zulassungsentscheidung 1. Inhalt 2. Form a) Zulassung im Urteil b) Urteilsformel c) Entscheidungsgründe d) Entscheidung durch Schweigen . . . 3. Abänderung, Ergänzung und Berichtigung a) Grundsatz b) Ergänzung c) Berichtigung 4. U m f a n g und beschränkte Zulassung a) G r u n d s a t z b) U m f a n g der teilweisen Zulassung bei Anspruchsmehrheit c) Beschränkung der Zulassung bei einheitlichem Streitgegenstand d) Einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel e) Form und Ausspruch der Beschränkung
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60 62 63 65 68 69 70 71
VI. Die Wirkungen der Zulassungsentscheidung 1. W i r k u n g für die Parteien 73 2. Bindung des Revisionsgerichts 77 3. Konsequenzen der Nichtzulassung . . 80
Hanns Prütting
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§ 543
Drittes Buch. Rechtsmittel
I. Überblick 1
Die Norm regelt den konkreten Zugang zur Revisionsinstanz, sie setzt also die Statthaftigkeit der Revision (siehe oben § 542 VII) voraus, enthält aber selbst entgegen dem missverständlichen Wortlaut keine Regelung der Statthaftigkeit 1 , sondern nur den Zugang im konkreten Fall. 2 Die Vorschrift stellt das Kernstück des neuen Revisionsrechts dar, wie es seit 01.01.2002 gilt 2 . Alle früheren Zugangswege zur Revision außerhalb der Zulassung (Wertrevision, Annahmerevision) sind entfallen. Das Erfordernis der Zulassung für alle zweitinstanzlichen Urteile gilt für Sachurteile ebenso wie für Prozessurteile, die die Berufung als unzulässig verwerfen. Der frühere § 547 aF ist ersatzlos entfallen. Eine Zulassung der Revision setzen auch die Sprungrevision (vgl. § 566) und die Revision in Familiensachen (vgl. §§ 621 e, 629 a ff) voraus. Die frühere Spezialregelung in § 621 d konnte daher ersatzlos entfallen. Besondere Regelungen der Zulassung der Revision gibt es in Entschädigungssachen nach dem BEG (im Einzelnen vgl. §§ 219ff BEG). 3
Einzige Ausnahme vom Erfordernis der Zulassung ist die Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil im technischen Sinn (§ 345), wenn dieses in der Berufungsinstanz ergangen ist. Insoweit ist ein Rechtsmittel gem. §§ 565, 514 Abs. 2 ohne Zulassung und ohne jede Rechtsmittelsumme gegeben (vgl. § 514 Abs. 2 Satz 2) 3 . 4 Die Zulassungsrevision ist verfassungsgemäß. Zwar wird von der Verfassung ein Zugang zur dritten Instanz nicht garantiert, allerdings unterliegt der Gesetzgeber gewissen verfassungsrechtlichen Bindungen, wenn er eine Revisionsinstanz eingerichtet hat. Insbesondere muss der Gesetzgeber nicht zu rechtfertigende Erschwerungen des Zugangs und ebenso willkürlich ungleiche Behandlung im Rahmen der Gewährung eines Rechtsmittels vermeiden 4 . Im Hinblick auf die Ausgestaltung des § 543 hat der Gesetzgeber diese verfassungsrechtlichen Vorgaben eingehalten. Er hat nach der Rechtsprechung des BVerfG insbesondere nicht das Gebot effektiven Rechtsschutzes oder das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verletzt. Auch ist der Zugang zur Revision nicht gleichheitswidrig ausgestaltet worden 5 . Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen s. oben § 542 VI.
II. Historische Entwicklung 5
Die Reichsjustizgesetze von 1877 kannten eine Zulassung von Rechtsmitteln nicht. Der Zugang zur Revisionsinstanz war frei möglich, sofern der Beschwerdewert 1500 Reichsmark überstieg. Erstmals wurde im deutschen Recht durch die Verordnung zur Entlastung des Reichsgerichts vom 15.01.1924 6 eine Zulassung der Revision durch den judex a quo bei Ehesachen eingeführt. Einen gewissen Durchbruch brachte dann das ArbGG von 1926, das mit unterschiedlichen Wertgrenzen für den Zugang 1
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AA Musielak/Ba//, § 5 4 3 R d n . 1, 3; anders wohl auch M ü K o - Z P O / W e n z e l , § 543 R d n . 39, 47; korrekte Terminologie bei Zöller/Gwmmer, § 542 R d n . 1. So auch M ü K o - Z P O / W e n z e l , § 543 R d n . 1. AA zu Unrecht BAG, N Z A 2 0 0 4 , 871; wie hier zu Recht Gravenhorst, N Z A 2 0 0 4 , 1261. Vgl. BVerfGE 49, 329, 340; im Einzelnen s. oben § 542 VI.
5
BVerfG, Beschl. v. 0 8 . 0 1 . 2 0 0 4 , N J W 2 0 0 4 , 1371; BVerfG, Beschl. v. 0 9 . 0 3 . 2 0 0 4 , N J W 2 0 0 4 , 1729; dazu Hirsch, Festschrift für Wenzel, S. 39, 4 7 f f ; Piekenbrock, AnwBl 2 0 0 4 , 329; Gottwald, Festschrift für N e m e t h , 2003, S. 294; Greger, Festschrift für Link, S. 885; Bedenken bei Fischer, AnwBl 2 0 0 2 , 143.
6
Verordnung v. 1 5 . 1 . 1 9 2 4 , RGBl I, 29.
Hanns Prutting
2. Abschnitt. Revision
§543
zur Berufung und vor allem zur Revision eine Zulassung vorsah 7 . In der Folgezeit wurde Schritt für Schritt die Zulassung der Revision in allen Gerichtsbarkeiten und Verfahrensordnungen eingeführt und ausgebaut. In der Zivilgerichtsbarkeit gibt es die Zulassung gem. § 546 aF seit 1950. Die Wertgrenze für den freien Zugang zur Revision ohne Zulassung wurde damals auf 6 0 0 0 , - D M festgesetzt. Später hat § 546 aF wesentliche Änderungen durch die Revisionsnovelle des Jahres 1975 erfahren 8 . Im übrigen wurde die Wertgrenze kontinuierlich angehoben, so im Jahre 1964 auf 1 5 0 0 0 , - D M , im Jahre 1969 auf 2 5 0 0 0 , - DM, im Jahre 1975 auf 4 0 0 0 0 , - D M und durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz von 1990 auf 6 0 0 0 0 , - D M 9 . Das Mischsystem aus Zulassungsrevision (§ 5 4 6 aF) und Annahmerevision (§ 5 5 4 b aF) ist seit 0 1 . 0 1 . 2 0 0 2 entfallen und durch eine reine Zulassungsrevision mit Nichtzulassungsbeschwerde ersetzt worden. Diese Änderung war dem Gesetzgeber von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs selbst vorgeschlagen worden, dennoch war sie in den Einzelheiten sehr umstritten (vgl. oben § 5 4 2 IV) 1 0 . Die Diskussion vor dem 0 1 . 0 1 . 2 0 0 2 hatte allerdings vor allem nicht berücksichtigt, dass der BGH schon seit längerem bei mehr als der Hälfte aller eingelegten Revisionen die Annahme gem. § 5 5 4 b aF abgelehnt hatte und dabei keine bzw. nur eine formelhafte Begründung gab. Eine reine Zulassungsrevision konnte deshalb schwerlich eine grundlegende Entlastung bringen, wenn sie mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gekoppelt war, die ihrerseits eine neue und hohe Arbeitsbelastung für den BGH bringen musste. Andererseits erschien es angesichts der früheren engen Zulassungspraxis der Oberlandesgerichte kaum möglich, bei reiner Zulassungsrevision auf eine Nichtzulassungsbeschwerde zu verzichten.
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So war es nicht erstaunlich, dass die zahlenmäßige Belastung des BGH weiterhin auf sehr hohem Niveau verblieb, allerdings am Ende des Jahres 2 0 0 4 erstmals wieder unter die Grenze von 4 0 0 0 anhängigen Revisionen in Zivilsachen gesunken ist (vgl. oben § 542 V 2). Auch konnte es nicht überraschen, dass die Rechtsprechung der Jahre 2 0 0 2 bis 2 0 0 4 gerade zu § 543 Verwerfungen und Widersprüchlichkeiten von erheblichem Ausmaß enthielt, die sich erst in jüngster Zeit langsam auflösen. Auf dem 65. Deutschen Juristentag 2 0 0 4 in Bonn wurden die großen Schwierigkeiten (selbst zwischen den verschiedenen Senaten) für überwunden erklärt 1 1 .
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Zum Ganzen ausführlich Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 30 ff. Gesetz zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen vom 8.7.1975, BGBl I, 1863. Rechtspflegevereinfachungsgesetz v. 17.12.1990, BGBl I, 2847. Zur Diskussion vor dem 0 1 . 0 1 . 2 0 0 2 vgl. Prutting, Rechtsmittelreform 2000 oder: Der Staat spart und der Rechtsstaat leidet, Köln 2000, S. 32 ff; ferner Musielak, NJW 2000, 2769, 2777; Hahne, ZRP 1999, 356, 358; Wmte, ZRP 1999, 387, 390; Büttner, BRAK-Mitt. 1999, 50; ders., MDR2001, 1201. Zur Diskussion des neuen Rechts seit 01.01. 2002 im Einzelnen vgl. Ball, Festschrift für Musielak, 2004, S. 27; Baukeimann, Festschrift
für Erdmann, 2002, S. 767; Baumert, MDR 2004, 71; ders., MDR 2003, 606; Büttner, NJW 2004, 3524; ders., BRAK-Mitt. 2003, 202; Gehrlein, MDR 2003, 547; ders., MDR 2004, 912; v. Gierke, J Z 2003, 403; v. Gierke/Seiler, NJW 2004, 1497; dies., J Z 2003, 403; Greger, Festschrift für Link, S. 885; Hirsch, Festschrift für Wenzel, 2005, S. 39; Musielak, Festschrift für Gerhardt, 2004, 653; Nassail, NJW 2003, 1345; Piekenbrock, AnwBl 2004, 329; Piekenbrock/ Schulze, J Z 2002, 911; Raeschke-Kessler, AnwBl 2004, 321; Scheuch, NJW 2003, 728; Scheuch/Lindner, NJW 2005, 112; Schulz, MDR 2003, 1392; Seiler, MDR 2003, 785; ders., NJW 2005, 1689; Volland, MDR 2004, 377; Wenzel, NJW 2002, 3353.
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§ 543
Drittes Buch. Rechtsmittel
III. Normzweck 8
Die Revision eröffnet den Zugang zum B G H als dem obersten Gerichtshof in Zivilsachen. Dieser Zugang wird dabei sehr stark von Merkmalen wie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Fortbildung des Rechts sowie der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geprägt. Darüber hinaus ist die Revision eine reine Rechtsinstanz. Dies alles zeigt, dass der allgemeine Zweck der Revision, der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts zu dienen (s. oben § 5 4 2 II 2), in besonders deutlicher Weise in §§ 5 4 3 , 5 4 4 verwirklicht wird. Andererseits ist und bleibt die Revision nach geltendem Recht ein echtes Rechtsmittel der konkreten Prozessparteien. Auch in der Revisionsinstanz gilt die Dispositionsmaxime (vgl. zur Rücknahme der Revision § 5 6 5 iVm § 516), allein die Parteien tragen die Verfahrenskosten. Daher wird man kaum leugnen können, dass eine einmal zugelassene Revision dazu führen muss, dass im Rahmen des konkreten Rechtsmittelverfahrens vorrangig das Parteiinteresse an einer gerechten Einzelfallentscheidung zu berücksichtigen ist (s. oben § 5 4 2 II 2). Im Ergebnis ist also (wie bereits oben § 5 4 2 II 2 näher dargelegt) zwischen dem Zugang zur Revisionsinstanz und dem weiteren Revisionsverfahren eindeutig zu trennen. Im Rahmen des Revisionszugangs hat der Gesetzgeber das Allgemeininteresse an Rechtseinheit und Fortbildung des Rechts eindeutig in den Vordergrund gestellt. Ist jedoch ein konkreter Rechtsstreit zur Revision zugelassen, so ist sowohl die Einlegung des Rechtsmittels als auch das konkrete Revisionsverfahren ganz von der Dispositionsfreiheit der Parteien geprägt und das Verfahren orientiert sich letztlich wieder weithin am Parteiinteresse einer gerechten Einzelfallentscheidung.
IV. Die Zulassungsgründe 1. Ausgangspunkte 9
Die neue Regelung der Zulassungsgründe in Abs. 2 Satz 1 wirft schwerwiegende Fragen und Probleme auf. So ist nach herkömmlicher Auffassung der unbestimmte Rechtsbegriff der „grundsätzlichen Bedeutung" durch den gesetzgeberischen Zweck, dem die Revisionszulassung dient, geprägt und danach auszulegen 1 2 . Zweck des Revisionszugangs sind aber die Fortbildung des Rechts sowie die Wahrung der Rechtseinheit (s. oben III.). Dies scheint es nahezulegen, dass die Zulassungsgründe der Nr. 1 und Nr. 2 des neuen § 5 4 3 Abs. 2 im Wesentlichen identisch sind. Dem hat allerdings der Gesetzgeber dezidiert die Auffassung gegenübergestellt, Nr. 2 sei weiter und flexibler als Nr. 1 ausgestaltet. In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt, dass die Neufassung der Zulassungsgründe verdeutlichen wolle, dass der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung nicht auf die Elemente der Rechtsfortbildung und der Rechtsvereinheitlichung beschränkt sei. Künftig würden daher auch Fallgestaltungen den Zugang zur Revisionsinstanz finden, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer Entscheidung des Revisionsgerichts bestehe. Andererseits macht die Gesetzesbegründung deutlich, dass das Merkmal der grundsätzlichen Bedeutung die Verletzung von Verfahrensgrundrechten und die Fälle der offensichtlichen Unrichtigkeit des Berufungsurteils nicht erfassen könne. Diesem Anliegen solle nun durch die Schaffung der Revisionszulassungsgründe in
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Vgl. Prutting, S. 142 ff.
Die
Zulassung
der
Revision,
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2. Abschnitt. Revision
§543
Nr. 2 Rechnung getragen werden. Die dort genannten Merkmale würden die grundsätzliche Bedeutung konkretisieren, ohne hierauf beschränkt zu sein 1 3 . Immerhin räumt auch der Gesetzgeber ein, dass die einzelnen Zulassungsalternativen des Gesetzes wohl nicht immer scharf voneinander zu trennen sein werden. Es sei jedoch die Gewähr geboten, dass aus den unterschiedlichen Ausgestaltungen der Rechtsmittelzulassungsmerkmale in den verschiedenen Bestimmungen (man vergleiche § 5 4 3 Abs. 2 z.B. mit § 8 0 O W i G ) keine einschränkenden Schlüsse auf die Auslegung der zivilprozessualen Zulassungsgründe gezogen werden könnten 1 4 . Vor diesem Hintergrund der Begründung in dem Gesetzentwurf musste die neue Rechtsprechung des B G H nach Inkrafttreten des ZPO-Reformgesetzes überraschen. Sie hat zunächst sehr viel einschränkender als die Gesetzesmaterialien darauf Wert gelegt, dass jegliche Fehlerhaftigkeit des Berufungsurteils für sich genommen keinesfalls die Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder wegen eines sonstigen Merkmales rechtfertige. Betont wurde weiterhin, dass dafür auch die Art des Fehlers ohne Bedeutung sei, so dass eine Zulassung selbst dann ausscheiden müsse, wenn der Fehler offensichtlich oder von Gewicht sei 1 5 . Auch darüber hinaus haben sich zunächst verschiedene Divergenzen zwischen den einzelnen Senaten des B G H ergeben, die die Fixierung der Zulassungsgründe mit Unsicherheiten belasten 1 6 .
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2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Abs. 2 Nr. 1) Voraussetzung der Zulassung ist nach Abs. 2 Nr. 1 die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Dies ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der einer näheren Konkretisierung offen steht 1 7 . Nach anerkannter Auffassung, die auch von der Begründung des Regierungsentwurfs gestützt wird, ist das Merkmal der Grundsätzlichkeit aus dem bisherigen Recht unverändert in das neue Recht übernommen worden 1 8 . Schließlich hat die Rechtsprechung überraschenderweise auch die Richtigkeit im Ergebnis mit den Fragen der Revisionszulassung verknüpft (s. unten 9.) 1 9 .
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a) Rechtsfrage. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung bezieht sich zunächst ausschließlich auf einzelne Rechtsfragen. Entsprechend der Funktion der Revisionsinstanz ist eine Bejahung grundsätzliche Bedeutung im Zusammenhang mit (möglicherweise auch sehr weitreichenden) Tatfragen ausgeschlossen. Die Auslegung des Begriffs der grundsätzlichen Bedeutung muss vom Zweck der Revision und hier insbesondere von denjenigen Prozesszwecken ausgehen, die speziell mit dem Zugang zur Revision verknüpft sind. Diese sind die Wahrung der Rechtseinheit und die Rechtsfortbildung (s. oben III.). Danach geht es im Kern darum, dass vom Revisionsgericht rechtliche Fragen entschieden werden sollen, die in ihrer Bedeutung und in ihrem Gewicht den Bereich des konkreten Einzelfalles deutlich überschreiten und Auswirkungen auf eine erhebliche Zahl anderer Fälle haben. Es geht also im Kern darum,
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Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722, S. 104. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722, S. 104. BGHZ 151, 221, 227 = NJW 2002, 2473; BGHZ 154, 288, 293, 295 = NJW 2003, 1943; BGH, NJW 2003, 754; BGH, NJW 2003, 831; BGH, NJW 2003, 2319; BGH, NJW 2003, 1167; BGH, NJW 2003, 65; BGH, FamRZ 2004, 265. Die Entwicklung der Rechtsprechung ist im Ein-
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zelnen analysiert bei Musielak, Festschrift für Gerhardt, 2004, S. 653; v. Gierke/Seiler, NJW 2004, 1497. Vgl. hierzu BVerfGE 49, 148, 156; zu Einzelheiten vgl. Prüttmg, Die Zulassung der Revision, S. 101 ff. BGHZ 154, 288, 299 = NJW 2003, 1943; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722, S. 104. BGH, NJW 2004, 72; BGH, NJW 2004, 1167.
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§543
Drittes Buch. Rechtsmittel
für Rechtsfragen von allgemeinem Interesse den Zugang zum höchsten Gericht zu eröffnen. 13
b) Klärungsfähigkeit, Klärungsbedürftigkeit und zu erwartende Klärung. Bereits aus diesen allgemeinen Überlegungen ergibt sich, dass die Bejahung der grundsätzlichen Bedeutung das Feststehen bestimmter vorgelagerter Merkmale zwingend voraussetzt. So muss die vom BGH zu entscheidende Rechtsfrage klärungsfähig und klärungsbedürftig sein und ihre Klärung muss auch zu erwarten sein 20 . 14 Im einzelnen bedeutet Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage, dass die Revision überhaupt statthaft ist (vgl. § 542), dass die Rechtsfrage revisibles Recht betrifft (vgl. §§ 545, 546, 560), dass nicht eine erforderliche Zurückverweisung die Entscheidung des BGH bezüglich dieser Rechtsfrage ausschließt, ferner dass die Rechtsfrage sich nicht aufgrund prozessualer Bindungen einer Entscheidung des Revisionsgerichts entzieht (vgl. §§ 11, 513 Abs. 2, 545 Abs. 2, 556, 557). Auch die mögliche Selbstbindung des Revisionsgerichts im Rahmen von § 563 gehört hierher (s. unten § 563 Rdn. 8 ff.), ferner verfahrensmäßige Bindungen bei Zulassung neuen Tatsachenvortrags 21 . 15
Weiterhin muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig sein. Dies bedeutet im Einzelnen, dass eine grundsätzliche Bedeutung dort zu verneinen ist, wo sich die Beantwortung einer Rechtsfrage unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, wo ihre Entscheidung praktisch unbestritten ist und wo sie als revisionsrechtlich ausreichend geklärt angesehen werden kann. Positiv formuliert setzt eine grundsätzliche Bedeutung also voraus, dass die aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, so dass ein echtes Bedürfnis für eine Befassung des Revisionsgerichts mit der Sache gegeben erscheint. Dies wird man insbesondere bejahen können, wenn die jeweilige Rechtsfrage vom BGH noch nicht entschieden ist oder wenn Divergenzen zwischen verschiedenen Gerichten aufgetreten sind, die nicht im Hinblick auf Abs. 2 Nr. 2 sowieso die Zulassung rechtfertigen. Auch eine intensive und streitige Diskussion in der Literatur legt es nahe, die Klärungsbedürftigkeit zu bejahen. Dies gilt jedenfalls, soweit sich der BGH noch nicht oder noch nicht ausreichend mit den abweichenden Stimmen auseinandergesetzt hat. Aber auch erhebliche Bedenken, die gegen eine bestimmte BGH-Rechtsprechung erhoben werden, können die Frage erneut als klärungsbedürftig erscheinen lassen 22 .
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Über die Klärungsfähigkeit und die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage hinaus erscheint eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung aber auch dann nicht sinnvoll, wenn im konkreten Fall die Klärung der Rechtsfrage nicht zu erwarten ist, insbesondere die Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist. Wichtigstes Beispiel hierfür dürfte es sein, dass das Urteil des Berufungsgerichts von mehreren selbständigen rechtlichen Gesichtspunkten getragen wird, von denen nur einer grundsätzliche Bedeutung aufweist. Gleiches muss aber auch gelten, wenn die zweifelhafte Rechtsfrage im Rahmen des angegriffenen Urteils nur ein obiter dictum darstellt. Schließlich wird man auch im Falle einer Erledigung der Hauptsache in gleicher Weise entscheiden müssen. Nicht hierher gehört der Fall des § 561 (Richtigkeit im Ergebnis); vgl. dazu unten 9.
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Die Herausarbeitung dieser M e r k m a l e hat vor allem Weyreuther, R d n . 52 ff, in das Z e n t r u m der Begriffsklärung gerückt. BGH, N J W 2 0 0 4 , 1458.
22
Vgl. dazu vor allem Weyreuther, R d n . 65; M ü K o - Z P O /Wenzel, § 543 R d n . 8; Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 134 ff.
Hanns Prütting
2. Abschnitt. Revision
§543
c) Abstrakte und konkrete Rechtsfragen. M i t der Bejahung der Klärungsfähigkeit, der Klärungsbedürftigkeit und der zu erwartenden Klärung einer Rechtsfrage ist aber die Problematik des Begriffs der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache noch nicht ausgeschöpft. Eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage kann durchaus zweifelhaft sein, ohne dass ihre Bedeutung über den entschiedenen Fall hinausgeht. Für eine endgültige Bejahung des Merkmals der grundsätzlichen Bedeutung ist also weiter erforderlich, die Bedeutung und das Gewicht der Rechtsfrage im Rahmen der Rechtsordnung einzuschätzen. Grundsätzlich bedeutend sind danach insbesondere diejenigen Rechtsfragen, deren Problematik sich bereits bei der Aufstellung eines rechtlichen Obersatzes ergibt (abstrakte Rechtsfragen). Hat der streitentscheidende Richter insbesondere Zweifel an der europarechtlichen Vereinbarkeit einer Norm (ohne dass es zu einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 2 3 4 E G V kommt), an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm (ohne dass eine Richtervorlage gem. Art. 100 G G erforderlich wäre) oder ist die aktuelle Geltung einer Norm unsicher, so wird man eine grundsätzliche Bedeutung bejahen müssen. Beispiele hierfür sind Streitfragen um das Bestehen und den Inhalt von Gewohnheitsrecht oder um die Frage, o b eine bestimmte Norm wirksam in Kraft getreten ist oder noch in Kraft ist. In ähnlicher Weise wird man die grundsätzliche Bedeutung bejahen können, wenn sich im Zusammenhang mit der streitigen Norm ein allgemeines Konkurrenzproblem stellt, wenn die systematische Stellung der Norm zweifelhaft ist oder wenn der Richter das Fehlen einer normativen Regelung feststellen muss (offene Gesetzeslücke). In allen diesen Fällen ergibt bereits die Formulierung einer abstrakten Rechtsfrage, dass eine grundsätzliche Bedeutung vorliegt.
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Davon abzutrennen sind diejenigen Rechtsfragen, die sich im Rahmen der Anwendung einer in ihrem Bestand und ihrer Geltungskraft unzweifelhaften Norm auf den konkreten Sachverhalt ergeben. Diese konkreten Rechtsfragen, die sich im Rahmen der Subsumtion regelmäßig ergeben können, werfen bei der Zulassung in der Praxis die schwierigsten Fragen auf. Grundsätzliche Bedeutung setzt in diesen Fällen voraus, dass trotz der mit dem konkret zu entscheidenden Einzelfall verknüpften Rechtsfrage eine Problematik vorliegt, die weit über diesen Einzelfall hinausstrahlt. Im Hinblick auf die Revisionszwecke ist hier in besonderer Weise zu beachten, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Vorbildfunktion (Leitbildfunktion) hat. Wichtigster Ansatz für die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung konkreter Rechtsfragen dürfte es daher sein, die streitige Frage in einem Leitsatz zu formulieren. Lässt sich wegen der individuellen Fallabhängigkeit des Problems ein weiterführender allgemeiner Leitsatz nicht oder kaum bilden, so ist dies ein starkes Indiz gegen die grundsätzliche Bedeutung 2 3 . Im einzelnen dürfte es schwerfallen, bei der Beurteilung der konkreten Rechtsfragen den unbestimmten Rechtsbegriff der grundsätzlichen Bedeutung abschließend zu konkretisieren. Möglich erscheint es aber, positive sowie negative Indikatoren zu nennen, die auf eine gegebene oder fehlende grundsätzliche Bedeutung hinweisen. So wird man eine grundsätzliche Bedeutung sicherlich ablehnen müssen, wenn das konkrete Rechtsproblem im wesentlichen auf einer Würdigung der Verhältnisse des konkreten Sachverhalts beruht, wenn es sich um die Anwendung von bereits ausgelaufenem oder demnächst auslaufendem Recht handelt, wenn eine Einzelfallregelung mit eng begrenzter Wirkungsbreite vorliegt oder wenn insgesamt der Eindruck entsteht, dass die konkrete Rechtsfrage über den aktuell zu entscheidenden Fall nicht herausreicht. Umgekehrt spricht es für die Bejahung grundsätzlicher Bedeu-
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Die Leitbildfunktion wird zu Recht betont von M ü K o - Z P O / W W / , § 543 Rdn. 8; zur Bedeu-
tung der Leitsatzbildung vgl. ferner S. 157ff.
H a n n s Prütting
Prutting,
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§543
Drittes Buch. Rechtsmittel
tung, wenn verfassungsrechtliche Positionen im Streit sind, wenn divergierende Entscheidungen von Bedeutung vorliegen, wenn eine Rechtsfortbildung aufgrund einer verdeckten Gesetzeslücke in Betracht kommt, wenn der streitentscheidende Richter in der Angelegenheit ein Handeln des Gesetzgebers für erforderlich hält oder wenn ein Rechtsproblem bisher in Rechtsprechung und Literatur nicht oder ersichtlich noch nicht ausreichend diskutiert und entschieden worden ist 24 . 19
d) Streitwert und wirtschaftliche Bedeutung. Ohne Bedeutung für die Beurteilung der Grundsätzlichkeit ist die Höhe des Streitwerts im Einzelfall. Dagegen kommt der Frage, ob die zu entscheidende Rechtssache im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Bedeutung Auswirkungen für die Allgemeinheit aufweist, Gewicht zu 2 5 . So kann sich die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage auch daraus ergeben, dass diese für die beteiligten Verkehrskreise von besonders hohem Gewicht ist 26 .
20
e) Konkrete Prozesssituation. Keine Verknüpfung weist die Frage der Grundsätzlichkeit mit der konkreten Prozesssituation auf. Die Zulassung der Revision kann also weder positiv mit den guten Erfolgsaussichten des konkreten Falles begründet werden, noch darf die Zulassung umgekehrt versagt werden, weil die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels sehr ungünstig seien. Auch das Bestehen mehrerer in der gleichen Angelegenheit anhängiger Parallelprozesse wird man noch nicht zur Bejahung der Grundsätzlichkeit ausreichen lassen können 2 7 . 3. Die Fortbildung des Rechts (Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative)
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a) Grundsatz. Nach der Auffassung des Gesetzgebers ist die Revision zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen 28 . 22 Dieser Hinweis ist im Hinblick auf eine nähere Konkretisierung und Abgrenzung zur grundsätzlichen Bedeutung wenig ergiebig. 23
b) Rechtsprechung. Auch in der Rechtsprechung findet sich bisher wenig Material, um die Fortbildung des Rechts zu konkretisieren oder sie von der grundsätzlichen Bedeutung klarer abzugrenzen. In aller Regel wird in der Rechtsprechung an die Formel aus der Gesetzesbegründung angeknüpft, wonach die Zulassung voraussetzt, dass Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen seien oder Gesetzeslücken auszufüllen seien. Ein solcher Anlass für die Entwicklung von Leitsätzen bestehe aber nur dort, wo es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehle 29 . Jenseits dieser gängigen Formel hat der XII. Zivilsenat in einer Entscheidung vom 13.08.2003 einer Nichtzulassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts stattgegeben, obgleich die aufgeworfene Rechtsfrage nur eine besondere Fallgestaltung zu dem Problem betraf, wann ein Berufungsurteil einen Tatbe24
25
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Z u dem Versuch, den unbestimmten Rechtsbegriff der grundsätzlichen Bedeutung durch eine Liste positiver und negativer Indikatoren näher einzugrenzen und zu konkretisieren, vgl. Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 159ff. Stein/Jonas/Grans&y, § 546 Rdn. 5; M ü K o - Z P O / Wenzel, § 543 R d n . 11; Weyreuther, R d n . 89; Prütttng, Die Zulassung der Revision, S. 176 ff.
26 27
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29
BGH, M D R 2 0 0 4 , 119. Stein/Jonas/Grunsky, § 546 R d n . 5; M ü K o - Z P O / Wenzel, § 543 R d n . 8. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722, S. 104. B G H Z 154, 288, 2 9 2 , 295 = N J W 2003, 1943; BGH, N J W 2 0 0 2 , 3029; BGH, N J W - R R 2003, 1074.
Hanns Prütting
2. Abschnitt. Revision
§543
stand enthalten oder zumindest die Berufungsanträge wiedergeben muss, nicht aber für die vom Berufungsgericht getroffene Entscheidung in der Sache selbst 30 . Denn im damaligen Berufungsurteil war weder ein Tatbestand enthalten gewesen noch eine Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung, auf Protokolle oder Schriftsätze sowie auf die Berufungsanträge erfolgt. Nicht einmal die spektakuläre Frage, ob künftig dem Lügendetektor im Zivilpro- 2 4 zess eine beweisrechtliche Relevanz zukommt, konnte den BGH zur Zulassung im Hinblick auf eine mögliche Fortbildung des Rechts bestimmen. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde unter Hinweis darauf zurückgewiesen, dass die Rechtsprechung der Strafsenate des BGH diese Frage bereits geklärt habe 31 . Hier wird wohl bereits vom Ergebnis her gedacht. Entgegen der Argumentation der Rechtsprechung ist aber eine Zulassung im Hinblick auf die Fortbildung des Rechts auszusprechen, wenn eine solche Fortbildung zur Diskussion steht. Denn auch eine negative Entscheidung der aufgeworfenen Streitfrage ist ein Beitrag zur Rechtsfortbildung. In der Sache wird dies letztlich auch vom VI. Zivilsenat des BGH anerkannt, wenn er in seinem Nichtzulassungsbeschluss vom 2 4 . 0 6 . 2 0 0 3 eingehende Ausführungen zur Geeignetheit des Lügendetektors als Beweismittel vornimmt, die man in dieser Form im Revisionsurteil hätte erwarten können 3 2 . c) Literatur. Auch in der Literatur werden zur Auslegung des Merkmals der Fort- 2 5 bildung des Rechts keine weitergehenden Vorschläge unterbreitet. So wird etwa bei Wenzel und bei Ball auf die Formulierungen in den Gesetzesmaterialien hingewiesen. In beiden Kommentierungen wird im übrigen ergänzend darauf hingewiesen, dass die Zulassung zur Fortbildung des Rechts geboten sei, wenn eine Vorlage an den EuGH in Betracht komme 3 3 . d) Eigene Meinung. Bei näherer Analyse des Gesetzeswortlauts lässt sich 2 6 zunächst feststellen, dass die ausdrückliche Erwähnung der Fortbildung des Rechts als Aufgabe der Revision und damit als Zulassungsgrund eine besondere Anerkennung von Rechtsfortbildung als richterliche Gestaltungsaufgabe darstellt. Dies mag man begrüßen, es kann aber wohl schwerlich als gesetzliche Neuheit angesehen werden. Als positiv mag es ferner empfunden werden, dass durch die ausdrückliche Erwähnung der Fortbildung des Rechts als Zulassungsgrund ein redaktioneller Gleichklang mit anderen vergleichbaren Bestimmungen hergestellt wird (vgl. § 74 Abs. 2 GWB, § 219 BEG, § 83 MarkenG, § 100 PatG und § 80 OWiG). Dieser redaktionellen Angleichung der ZPO steht allerdings das Bedenken gegenüber, dass die gesonderte Erwähnung der Fortbildung des Rechts im Verhältnis zur grundsätzlichen Bedeutung schon immer funktionslos war. Insofern ist die gesetzliche Anpassung der ZPO an andere Normen in Nebengesetzen ein Schritt in die falsche Richtung. Systematisch besser und richtiger wäre es wohl gewesen, den Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts weiterhin als von der grundsätzlichen Bedeutung erfasst anzusehen und damit in allen genannten Bestimmungen fallen zu lassen. Insgesamt deuten die Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur der vergan- 2 7 genen Jahre seit dem 01.01.2002 wohl eher darauf hin, dass das gesetzliche Merkmal der Fortbildung des Rechts als eigenständiger Zulassungsgrund neben der grundsätzlichen Bedeutung entbehrlich erscheint. Wenn nämlich der konkrete Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Rechtsnormen aufzustellen oder Geset30 31 32
BGHZ 156, 97 = NJW-RR 2003, 1290. BGH, NJW 2003, 2527. BGH, NJW 2003, 2527.
" Vgl. dazu M ü K o - Z P O / W W / , § 543 Rdn. 13; Musielak/Ba», § 543 Rdn. 7.
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Drittes Buch. Rechtsmittel
zeslücken auszufüllen, dann wird man auch künftig mit guten Gründen das Merkmal der grundsätzlichen Bedeutung bejahen können. Denn die Neuentwicklung höchstrichterlicher Leitsätze enthält bei richtigem Verständnis immer auch den Gedanken, dass es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt 34 . Dieser für die Fortbildung des Rechts genannte spezifische Ansatzpunkt des verallgemeinerungsfähigen Lebenssachverhalts mit richtungsweisender Orientierungshilfe ist aber von dem abstrakten Interesse der Allgemeinheit an einer richtigen Handhabung des Rechts nicht mehr abzutrennen. Dieser zuletzt genannte Gesichtspunkt wird heute typischerweise als Merkmal der grundsätzlichen Bedeutung dargestellt 35 . 4. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative) 28
a) Grundsatz. Der Begriff der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung tritt im Rahmen der gesetzlichen Regelung zunächst an die Stelle der früheren Revisionszulassung wegen Divergenz (vgl. § 546 Abs. 1 Nr. 2 aF). Er ist aber im Gesetzgebungsverfahren ersichtlich flexibler und weitergehender verstanden worden. Daher stellt dieser Zulassungsgrund die eigentliche Neuerung im Rahmen des Revisionszugangs dar 3 6 .
29
b) Gesetzeszweck. Nach der Aussage der Gesetzesmaterialien sollte vermieden werden, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommen soll, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen habe. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei deshalb nicht schon dann gegeben, wenn ein Gericht im Einzelfall eine Fehlentscheidung getroffen habe, selbst wenn der Fehler offensichtlich sei. Andererseits sei die Zulassung wegen Sicherung der Einheitlichkeit zu bejahen, wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht berücksichtigt werde und die Gefahr einer Wiederholung bestehe 37 .
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Die Trennung zwischen einer Fehlentscheidung im Einzelfall und einer Nichtbeachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Wiederholungsgefahr wird allerdings in den Gesetzesmaterialien selbst dadurch verwischt, dass in den Materialien weiter ausgeführt wird, sowohl materielle als auch formelle Fehler bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts könnten auch dann über den Einzelfall hinaus allgemeine Interessen nachhaltig berühren, wenn sie von erheblichem Gewicht und geeignet seien, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen 38 . Weiter wird in den Materialien darauf hingewiesen, dass dazu vor allem die Fälle gehörten, in denen Verfahrensgrundrechte, namentlich das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs und auf ein objektiv willkürfreies Verfahren, verletzt seien 39 .
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So ausdrücklich die Formulierung in der neuesten Rechtsprechung, vgl. B G H Z 154, 288, 2 9 2 m.w. Nachw. = N J W 2003, 1943 = J Z 2003, 794 mit A n m . Rimmelspacher = JR 2 0 0 4 , 328 mit A n m . Ahrens. Vgl. insoweit wiederum B G H Z 154, 288, 291 = N J W 2003, 1943 = J Z 2003, 7 9 4 mit Anm. Rimmelspacher = JR 2 0 0 4 , 328 mit Anm. Ahrens mit den d o r t genannten Nachweisen. Wie hier MüKo-ZPO/Weraze/, § 543 R d n . 14. Aus der Formulierung bei Wenzel k a n n m a n im
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übrigen entnehmen, dass in der Sache (Verständnis von grundsätzlicher Bedeutung und Fortbildung des Rechts) zur hier vertreten Auffassung keinerlei echter sachlicher Unterschied besteht. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722, S. 104. Auf diese Diskrepanz weist z.B. auch Musielak, Festschrift f ü r Gerhardt, 2 0 0 4 , 667, hin. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722, S. 104.
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2. A b s c h n i t t . R e v i s i o n
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c) Rechtsprechung. Die Zulassungsspielräume, die der Gesetzgeber der Recht- 31 sprechung durch das Merkmal der Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung zuweisen wollte, sind in den vergangenen Jahren sehr unterschiedlich genutzt worden. Anerkannt hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in jedem Fall, dass die im früheren Recht enthaltenen klassischen Divergenzfälle auch heute unter dem Begriff der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu subsumieren sind 40 . Unsicherheiten sind in der Frage entstanden, ob eine zeitlich nach der Ausgangsentscheidung ergangene divergierende Entscheidung Zulassungsgrund sein kann 4 1 . Auch der Begriff der Divergenz wird nicht immer einheitlich benutzt 42 . Schließlich wird in der Rechtsprechung nicht immer zwischen Divergenz und Rechtsanwendungsfehler sorgfältig getrennt 43 . Die stärksten Unsicherheiten bei der Auslegung des Merkmals der Sicherung einer 3 2 einheitlichen Rechtsprechung sind im Bereich der Rechtsanwendungsfehler entstanden. Hier hat der BGH betont, dass für den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht ausreichend sei, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts fehlerhaft ergangen ist 44 . Vielmehr soll eine fehlerhaft ergangene Berufungsentscheidung nur dann von Bedeutung sein, wenn vermieden werden muss, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen (ständige Fehlerpraxis, Wiederholungsgefahr, ernsthafte Gefahr einer Nachahmung durch andere Gerichte). Weiterhin ist ein fehlerhaftes Berufungsurteil dann für die Zulassung bedeutsam, wenn die Entscheidung geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Diese Überlegungen münden nach der Rechtsprechung des BGH in das Ergebnis, dass eine Zulassung wegen eines Rechtsanwendungsfehlers dann in Betracht kommt, wenn der Rechtsfehler nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil führen würde 4 5 . Noch enger und in deutlicher Abweichung zu den Gesetzesmaterialien hat der XI. Zivilsenat die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung verstanden, wenn Verfahrensfehler oder Divergenzfragen vorliegen 46 . Insgesamt zeigt die Rechtsprechung zum Zulassungsgrund der Sicherung einer 3 3 einheitlichen Rechtsprechung, dass hier zweifellos der Ansatzpunkt für Änderungen gegenüber dem früheren Revisionszugang festzumachen sind. Allerdings hat die Rechtsprechung die gesetzlich vorgegebenen Spielräume bisher bewusst eng ausgestaltet. Darüber hinaus sind mancherlei Fragen offen geblieben und haben bisher noch nicht die für eine praktische Anwendung erforderliche Präzisierung erfahren. d) Literatur. Die Literatur zum Merkmal der Sicherung einer einheitlichen Recht- 3 4 sprechung knüpft relativ häufig an die Darlegungen in den Gesetzesmaterialien an. Regelmäßig wird betont, dass dieser Tatbestand zunächst die frühere Divergenzrevision erfasst, ohne sich darin zu erschöpfen 47 . Über die Fälle der klassischen Divergenz hinaus wird regelmäßig auch darauf hingewiesen, dass die Fallgruppe der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung das Problem der sog. Rechtsanwen40
41 42
43
44
B G H Z 154, 288, 292 f = NJW 2003, 1943; BGH, NJW 2003, 2991. Vgl. BGH, NJW 2005, 154. Vgl. BGH, NJW 2002, 3783; BGH, NJW-RR 2003, 229. Vgl. etwa BGH, NJW 2003, 3781 sowie BGH, NJW 2003, 2319. B G H Z 154, 288, 293 = NJW 2003, 1943 = J Z 2003, 794 mit Anm. Rimmekpacher = J R 2004, 328 mit Anm. Ahrens.
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B G H Z 154, 288, 297 = NJW 2003, 1943 = J Z 2003, 794 mit Anm. Rimmelspacher = J R 2004, 328 mit Anm. Ahrens. BGH, Beschl. v. 0 1 . 1 0 . 2 0 0 2 , NJW 2003, 65; BGH, Beschl. v. 0 8 . 0 4 . 2 0 0 3 , NJW 2003, 2319. Vgl. in diesem Sinne etwa MüKo-ZPO/Wenze/, § 543 Rdn. 14; Musielak/ßa//, § 543 Rdn. 8; Stackmann, Rechtsbehilfe im Zivilprozess, 2005, S. 305 f.
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§543
Drittes Buch. Rechtsmittel
dungsfehler mit erfassen kann. In diesem Zusammenhang spiegelt sich aber regelmäßig die teilweise sehr enge Öffnung der Zulassung bei solchen Rechtsanwendungsfehlern durch die Rechtsprechung wieder. Z u Recht wird teilweise auch darauf hingewiesen, dass gerade diese Fragen in der Rechtsprechung des B G H in den vergangenen Jahren sehr umstritten waren 4 8 . In besonders verdienstvoller Weise haben Büttner und Musielak die Änderung des Revisionszugangs und die neue Rechtsprechung des B G H analysiert und kritisch beleuchtet 4 9 . In den Ausführungen von Büttner wird deutlich, welchen tiefgreifenden Strukturwandel zum Teil der Geschäftsanfall beim B G H gebracht hat. Insbesondere gibt es eine Fülle kleinster Details aus dem Bereich des Mietrechts und anderen erstinstanzlichen amtsgerichtlichen Zuständigkeiten, die den B G H heute beschäftigen. Diesen vom Gesetzgeber freilich bewusst geöffneten Kleinstverfahren und damit der Verlagerung der Funktionen des früheren Rechtsentscheids (vgl. § 542 VII. 2.) an den B G H steht gegenüber, dass der B G H selbst im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde zunächst außerordentlich restriktiv bei der Zulassung verfahren ist und die vom Gesetzgeber vorgesehenen deutlichen Ausweitungen einer Zulassung nicht in die Praxis umgesetzt hat 5 0 . Dazu gehören vor allem die Entscheidungen des B G H , die zunächst ausdrücklich entschieden haben, dass selbst offensichtliche und besonders schwerwiegende Rechtsfehler im Einzelfall die Zulassung zur Revision nicht rechtfertigen. So sind im Ergebnis im Jahre 2 0 0 2 nur 6,9 % und im Jahre 2003 nur 9 % aller streitig durchgeführten Nichtzulassungsbeschwerden erfolgreich gewesen. Allerdings ist diese Erfolgsquote bei den Nichtzulassungsbeschwerden im Jahre 2004 deutlich (auf ca. 16 % ) angestiegen. Dazu haben ersichtlich Grundsatzentscheidungen des B G H beigetragen, die die Anforderungen an die Zulassung bei Rechtsanwendungsfehlern deutlich herabgestuft haben 5 1 . 35
e) Fallgruppen. Angesichts der Entwicklung von Rechtsprechung und herrschender Meinung sind im Rahmen der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung mehrere Fallgruppen zu unterscheiden und gesondert zu behandeln. Zunächst muss der Bereich der früheren klassischen Divergenzrevision dargestellt werden (s. unten 5.) Sodann bedarf es einer Behandlung des Bereichs der Rechtsanwendungsfehler (s. unten 6.). Zusätzlich ist die Einwirkung von Verfahrensfehlern auf die Zulassung der Revision zu erwägen (s. unten 7.). Eine weitere eigenständige Fallgruppe stellt die fehlende Überprüfungsmöglichkeit des Berufungsurteils dar (s. unten 8.). 5. Divergenz als Zulassungsgrund
36
Es war seit langem anerkannt, dass der Fall der Divergenz einen speziellen Unterfall der Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung darstellt 5 2 . Dies ergab sich nach früherem Recht vor allem daraus, dass die damals genannten Divergenzfälle in besonderer Weise Gefahren für die Rechtseinheit signalisierten. In solchen Fällen war 48
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30
Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 140 Rdn. 8 ff; Stackmann, Rechtsbehelfe im Zivilprozess, 2005, S. 307; v. Gierke/Seiler, N J W 2004, 1497, 1499; Musielak, Festschrift für Gerhardt, 2004, S. 657ff. Büttner, Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentages, Bonn 2004, Bd. II/l, Sitzungsberichte, S. Μ 29 ff; ders., M D R 2001, 1201; ders., BRAKMitt. 2001, 263; ders., BRAK-Mitt. 2003, 202; ders., NJW 2004, 3524; Musielak, Festschrift für Gerhardt, 2004, S. 653.
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Vgl. BGH, N J W 2003, 65; BGH, NJW 2003, 2319; BGH, N J W 2004, 1167. Vgl. BGH, NJW 2004, 1960; BGH, NJW 2004, 2222. Stein/Jonas/Grunsky, § 546 Rdn. 11; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, 15. Aufl., § 142 I lb; eingehend Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 222 ff.
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2. Abschnitt. Revision
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deshalb der B G H aufgerufen, durch Ausräumung der Divergenz das Vertrauen in die Rechtsprechung zu festigen und Rechtssicherheit für die Praxis herbeizuführen sowie eventuell rechtsfortbildend tätig zu werden. Aus dieser früheren Einordnung ergibt sich auch heute unmittelbar, dass Divergenzfälle für eine Revisionszulassung von besonderem Gewicht sind. Das drängt sich besonders auf, wenn im Falle der Divergenz die jeweils umstrittene Rechtsfrage klärungsfähig und klärungsbedürftig sowie eine Klärung auch zu erwarten ist. Ist dies zu bejahen, so muss im Falle einer Divergenz der früher im Gesetz vorgesehenen Art eine Zulassung zwingend angenommen werden. Es liegt dann sowohl grundsätzliche Bedeutung als auch der Fall des Erfordernisses der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vor. Letzteres wird man insoweit als lex specialis ansehen können.
37
Bei der Entscheidung, von der abgewichen wird (sog. Divergenzentscheidung), kamen nach der früheren Rechtslage ausschließlich Entscheidungen des BGH oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes in Betracht. Ohne Bedeutung war und ist die Form dieser Entscheidung sowie die Frage nach dem jeweiligen Spruchkörper. Eine Divergenz kann also sowohl in einem Urteil als auch in einem Beschluss auftreten. Hatte nach früherem Recht der BGH die Annahme der Revision durch begründeten Beschluss abgelehnt, so stellt dies auch heute eine divergenzfähige Entscheidung dar 5 3 . Die Divergenz kann zur Entscheidung eines Zivilsenates oder eines Strafsenates des B G H auftreten. Bei der Abweichung von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats muss das Ausgangsverfahren nicht vom BGH stammen. Ohne Bedeutung ist weiterhin die Frage, ob die Divergenzentscheidung veröffentlicht ist. Ebensowenig ist es erforderlich, dass die Entscheidung in derselben Rechtssache ergangen ist 5 4 .
38
Soweit ein Berufungsgericht von der Entscheidung eines anderen Gerichts abweicht, das nicht im früheren Gesetzestext erwähnt war, kam damals eine Revisionszulassung wegen Divergenz nicht in Betracht. Diese Abgrenzung ist heute durch das Erfordernis der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung überholt. Relevant sind nunmehr also auch Divergenzen zu Entscheidungen des BVerfG, anderer oberster Bundesgerichte, des Reichsgerichts oder anderer früher bestehender oberster Gerichtshöfe, ferner Abweichungen zu anderen Oberlandesgerichten, zu landgerichtlichen oder amtsgerichtlichen Entscheidungen. Von Bedeutung können heute schließlich auch Abweichungen von einer Entscheidung des EuGH sein. Soweit die genannten Abweichungen nicht im Einzelfall ein besonderes Vorlageverfahren auslösen (BVerfG, EuGH), ist im Falle dieser Divergenzen also zu prüfen, ob eine Zulassung wegen des Erfordernisses der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder hilfsweise wegen grundsätzlicher Bedeutung in Betracht kommt.
39
Das Gesetz verlangte früher eine Abweichung des zulassenden Oberlandesgerichts von einer früheren Entscheidung des B G H oder des Gemeinsamen Senats. Das abweichende OLG-Urteil musste auf dieser Abweichung beruhen. Damit ist insbesondere die Relevanz der Abweichung angesprochen. Mit ihr ist die frühere Streitfrage verbunden, ob im Rahmen der Zulassungsrevision von einem engen oder einem weiten Divergenzbegriff auszugehen ist (dazu unten e).
40
Grundsätzlich gilt auch heute, dass ein Berufungsgericht im Rahmen seiner EntScheidung einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der die eigene Entscheidung trägt
41
53 54
O L G Köln, N J W - R R 1987, 5 2 9 . Die aufgeführten Grundsätze zur Divergenzent-
Scheidung w u r d e n bis 2 0 0 2 w e i t h i n einhellig vertreten, vgl. Stein/Jonas/GrMnsfey, § 5 4 6 Rdn. 12.
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Drittes Buch. Rechtsmittel
und der von einem in einer früheren Entscheidung vorhandenen abstrakten Rechtssatz tragender Natur abweicht. Anerkannt ist in diesem Zusammenhang, dass der divergierende Rechtssatz für die Entscheidung des zulassenden Berufungsgerichts tragend sein muss. Diese Ursächlichkeit ist zu verneinen, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts nur im Rahmen eines obiter dictum, einer Hilfsbegründung oder einer alternativen oder kumulativen Begründung abweicht und im Falle der kumulativen Begründung auch die nicht abweichende Urteilsbegründung allein das Urteil trägt 55 . Würde man nach neuem Recht auf diese Ursächlichkeit verzichten, so könnte jedes Berufungsgericht jederzeit durch ein obiter dictum eine Revisionszulassung wegen Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeiführen. Dies ist vom Gesetz nicht gewollt. 42
Nicht entscheidend ist weiterhin, ob die Divergenz eine materiellrechtliche oder eine verfahrensrechtliche Frage betrifft. Auch auf dieselbe gesetzliche Norm muss sich die Abweichung nicht beziehen. Es genügt vielmehr, dass bei einer Abweichung den verschiedenen Normen der gleiche Rechtsgrundsatz zugrunde liegt56. Eine Zulassung kommt selbst dann in Betracht, wenn die Entscheidung, von der abgewichen wird, zu einer inzwischen aufgehobenen oder abgeänderten Norm ergangen ist, sofern der in ihr enthaltene rechtliche Grundsatz in eine geänderte oder neu geschaffene Norm übernommen wurde57.
43
Bestehen Unsicherheiten, ob eine solche Abweichung zu bejahen ist, so sollen bereits beachtliche Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Entscheidungen ausreichen58. Das hat man bereits nach früherem Recht so gesehen und es muss heute erst recht gelten. Dies kann allerdings nicht bedeuten, dass das zulassende Berufungsgericht die Frage des Vorliegens einer Divergenz letztlich offen lässt. Da es sich bei der Entscheidung über den jeweiligen Zulassungsgrund seinerseits um eine Rechtsfrage handelt, muss sich das Berufungsgericht auch bei eigenen Zweifeln letztlich entscheiden. Im Rahmen der Zulassung muss das Berufungsgericht also die Voraussetzungen dieser Divergenz als bestehend behaupten und darstellen. Soweit in diesem Rahmen Unsicherheiten dazu führen, dass das Berufungsgericht eine Divergenz nicht festzustellen vermag, kommt allerdings je nach Sachlage eine Prüfung in Betracht, ob die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache anzunehmen ist.
44
Umstritten war nach früherem Recht die Frage, ob und inwieweit auch die Divergenzentscheidung auf der Rechtsfrage beruhen muss, von der abgewichen werden soll. Weithin wurde im Rahmen eines engen Divergenzbegriffs die Auffassung vertreten, auch insoweit müsse die Abweichung tragend sein59. Dagegen wollte eine abweichende Auffassung den Divergenzbegriff schon früher weiter ausdehnen und auch eine Abweichung von Hilfs- oder Alternativbegründungen ausreichen lassen60. Dieser Streit dürfte auf Grund des heute flexibleren Zulassungsgrundes im Sinne der zuletzt genannten Mindermeinung zu lösen sein. Denn es werden in der Praxis auch 55
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Stein/Jonas/Grwns&y, 5 546 Rdn. 16; Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 221. Dazu umfassend Hanack, Der Ausgleich divergierender Entscheidungen in der oberen Gerichtsbarkeit, 1962, S. 154 ff; ferner Stein/Jonas/ Grunsky, § 546 Rdn. 14 mwN. BAGE 1, 232; Stein/Jonas/Grans*)-, § 546 Rdn. 14. BGHZ 36, 56; MüKo-ZPO/Wenzel, 1. Aufl., § 546 Rdn. 44 (im Aktualisierungsband zur 2. Aufl. entfallen).
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Rosenberg/Schwab/Gottwald, 15. Aufl., S 142 I 1 b; ferner die Kommentare zum früheren Recht in den jeweiligen Vorauflagen, vgl. Baumbach/ LauterbachM/fcm, 59. Aufl., § 546 Rdn. 13; Zöller/Gummer, 22. Aufl., § 546 Rdn. 39; MüKo-ZPO/Wenzel, 2. Aufl., § 546 Rdn. 43. Musielak/ßa//, 1. Aufl., § 546 Rdn. 17; Stein/ Jonas/Grunsky, § 546 Rdn. 17.
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2. Abschnitt. Revision
§ 543
nicht tragende Begründungen ernst genommen und wirken als Präjudizien weiter. Andererseits ist der Zwang zur Zulassung bei Vorliegen einer Divergenz nach früherem Recht nunmehr beseitigt. Eine Abwägung nach Inhalt, Gewicht und Bedeutung der divergierenden und nicht tragenden Rechtsfragen ist heute also möglich. Dies spricht dafür, von der früher h M abzuweichen und eine Zulassung im Einzelfall zu ermöglichen. 6. Rechtsanwendungsfehler und Revisionszulassung Besonders schwierige und umstrittene Fragen bei der Revisionszulassung ergeben sich im Bereich der Rechtsanwendungsfehler. Im Ausgangspunkt ist eindeutig, dass der Gesetzgeber die Zulassung der Revision wegen der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keinesfalls auf die bisher geschilderten klassischen Divergenzfälle beschränken wollte, sondern dass er auch Rechtsanwendungsfehler erfasst wissen wollte, wenn diesen eine gewisse symptomatische Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommt. Die Akzentverschiebungen in der bisherigen Praxis der Rechtsprechung haben gezeigt, dass je nach einer weiten oder engen Auslegung dieses Zulassungsgrunds ein gewisses Steuerungsinstrument für den Zugang zur Revision und für die dort anhängigen Rechtsfälle besteht. Dies führt aus der Sicht der Partei vor allem dann zu völlig unverständlichen Ergebnissen, wenn die Zulassung der Revision abgelehnt wird, obgleich dem Berufungsgericht ein offensichtlicher oder besonders schwerwiegender Rechtsfehler bescheinigt wird. Einer solch engen Auslegung der Zulassungsgründe kann nicht zugestimmt werden. Andererseits ist es unzweifelhaft richtig, dass nicht jeder Rechtsfehler im Einzelfall die Zulassung rechtfertigen kann 6 1 . Erforderlich ist vielmehr, dass Unterschiede in der Rechtsprechung vermieden werden, die durch einzelne Rechtsfehler in der Weise ausgelöst sind, dass die Gefahr einer generellen Abweichung besteht. Darüber hinaus muss auch das Vertrauen der Allgemeinheit in die höchstrichterliche Rechtsprechung gewahrt bleiben. Daraus ist zu folgern, dass nicht nur das häufig betonte Erfordernis einer Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr einer fehlerhaften Rechtsprechung vorliegen muss, sondern dass gerade wegen der Bewahrung des Vertrauens vor allem auch dann die Zulassung der Revision erforderlich ist, wenn ein Fehler offensichtlich oder besonders schwerwiegend ist. Solche Rechtsfehler müssen in jedem Falle das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung als solche gefährden. Selbst Richter des Bundesgerichtshofs haben hier eine allzu enge und unterschiedliche Zulassungspraxis kritisiert 6 2 . In die auch hier befürwortete richtige Richtung geht die neue Rechtsprechung des V. und des X I . Zivilsenats, wenn sie eine Zulassung bei Rechtsanwendungsfehlern bejaht und eine konkrete Darlegung der symptomatischen Bedeutung des gerügten Rechtsfehlers für entbehrlich hält, soweit das Berufungsgericht mit verallgemeinerungsfähiger Begründung über einen Standardfall entschieden hat oder wenn der konkreten Entscheidung erkennbar ein unrichtiger Obersatz zu Grunde liegt 6 3 . Manchmal wird hier von einer „strukturellen Wiederholungsgefahr" gesprochen 6 4 . Solche Bezeichnungen mögen dahinstehen. Entscheidend ist jedenfalls, dass schwere Rechtsfehler der Berufungsinstanz in jedem Falle die hohe Gefahr in sich bergen, dass das Ver-
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AA wohl Piekenbrock/Scbulze, J Z 2002, 911; ähnlich auch v. Gierke/Seiler, J Z 2003, 410; eingehend nun Mustelak, Festschrift für Gerhardt, S. 667 ff. Vgl. Ball, Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentages Bonn 2004, Band II 1, S. Μ 23.
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BGH, NJW 2004, 1960; BGH, NJW 2004, 2222. Vgl. BGH, NJW 2005, 154.
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trauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung gefährdet ist. Daher müssen solche schwerwiegenden bzw. offenkundigen Rechtsfehler die Zulassung der Revision rechtfertigen, wenn nicht ausnahmsweise die zu beanstandende Begründung so untypisch und so einzelfallorientiert ist, dass tatsächlich eine Anwendung auf andere Fälle und spätere Entscheidungen als ausgeschlossen erscheint. Soweit in der Rechtsprechung zwar die Bedeutung eines schwerwiegenden bzw. offenkundigen Rechtsfehlers abgelehnt wird, die Zulassung aber bejaht wird, wenn das Berufungsurteil sich als objektiv willkürlich darstellt 6S , dürfte der Unterschied zur hier vertretenen Position eher theoretisch sein. Noch weitergehender wird vertreten, dass sich bei Vorliegen von entscheidungserheblichen Rechtsfehlern das allgemeine Interesse an einer Revisionszulassung und das Individualinteresse so weit decken, dass stets eine Zulassung der Revision zu bejahen ist 66 . 46
Die Bejahung einer strukturellen Wiederholungsgefahr bei schwerwiegenden oder offensichtlichen Rechtsfehlern schließt es auch aus, das Zulassungskriterium der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung mit den Erfordernissen zu vergleichen, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer angenommenen Verfassungsbeschwerde zu Grunde legt. Es geht nicht ausschließlich um Grundrechtsverstöße und es ist im Rahmen der Revision ohne Bedeutung, ob im Einzelfall die Verfassungsbeschwerde anzunehmen wäre, weil dies zur Durchsetzung der verfassungsrechtlichen Rechte des Antragstellers erforderlich erscheint.
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Insgesamt ist eine möglichst einheitliche und nicht allzu restriktive Auslegung und Anwendung der Revisionszulassungsgründe durch den BGH anzumahnen. Justizpolitisch wäre es wesentlich leichter vertretbar, wenn die bisher zeitlich limitierte Streitwertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerden auf Dauer beibehalten würde, als wenn die Zivilsenate des BGH in unterschiedlicher Weise je nach ihrer Belastung die Zulassung der Revision ablehnen würden, obgleich sie dem Berufungsgericht jeweils einen offenkundigen oder schwerwiegenden Rechtsfehler attestieren. 7. Verfahrensfehler als Zulassungsgrund
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Das Vorliegen eines Verfahrensfehlers im Rahmen der Berufungsentscheidung wird rein tatsächlich in aller Regel nicht Ausgangspunkt für die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht sein. Trotz dieses strukturellen Unterschieds von Verfahrensfehlern und materiellrechtlichen Fehlern ist festzustellen, dass der Gesetzgeber der ZPO anders als z.B. im Verwaltungsprozess (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Verfahrensfehler nicht eigenständig normiert hat. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass grundsätzlich Verfahrensfehler und materiellrechtliche Fehler im Rahmen der Bewertung als Zulassungsgrund für die Revision gleich zu behandeln sind. Von Bedeutung ist dies in besonderer Weise im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544).
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Im Einzelnen bedeutet dies, dass auch Verfahrensfehler unter sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 543 Abs. 2 subsumierbar sind. Es ist also zu fragen, ob im Einzelfall auch ein Verfahrensfehler grundsätzliche Bedeutung hat oder ob die Fortbildung des Rechts insoweit erforderlich erscheint. Beides wird wegen des häufig vorliegenden Einzelfallcharakters von Verfahrensfehlern nur sehr selten anzunehmen sein, wie die bisherige Rechtsprechungspraxis zeigt. Es hängt also gerade auch bei Verfahrensfehlern als Ausgangspunkt für eine Revisionszulassung alles davon ab, ob 65
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BGH, N J W 2005, 153; Vgl. auch BGH, ZIP 2005, 502; BGH, N J W 2 0 0 4 , 1960.
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Musielak,
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Festschrift für Gerhardt, 2 0 0 4 , S. 677.
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man den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung deshalb für eröffnet betrachtet, weil es sich um einen offensichtlichen oder schwerwiegenden Verfahrensfehler handelt. Dies wird in der bisherigen Rechtspraxis in aller Regel abgelehnt 6 7 . Ein solcher Rechtsstandpunkt würde freilich Verfahrensfehlern den Zugang zur Revisionsinstanz regelmäßig verwehren. Allein beim Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte wie das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG), das Recht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder das Grundrecht eines effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf ein objektiv willkürfreies Verfahren als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips werden von der herrschenden Meinung und der Praxis als Zulassungsgründe akzeptiert 6 8 . Die Bejahung von Verstößen gegen Verfahrensgrundrechte als Revisionszulassungsgrund rechtfertigt sich daraus, dass nach heute anerkannter Auffassung Verfassungsverstöße bereits im Wege des Instanzenzuges behoben werden müssen. Insoweit kann auch die Wiederholungsgefahr keine Rolle spielen 6 9 . Freilich ist eine solche Beschränkung der Revisionszulassung auf Verletzung von verfassungsrechtlich relevanten Verfahrensgrundrechten zu eng. Nicht berücksichtigt wird von der Praxis, dass auch eine offensichtliche oder schwerwiegende Verletzung von Verfahrensnormen in besonderer Weise das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung erschüttern kann. Insofern liegt auch bei nicht verfassungsrechtlich abgesicherten Verfahrensverstößen ein Fall struktureller Wiederholungsgefahr vor. Die Diskussion um Verfahrensfehler als Zulassungsgrund für die Revision hat bisher nicht ausreichend den Plenarbeschluss des BVerfG vom 3 0 . 0 4 . 2 0 0 3 7 0 beachtet 7 1 . In dieser Entscheidung hat das BVerfG den Rechtsschutz im Falle der Verletzung rechtlichen Gehörs auf jede Instanz und jeden Verfahrensbereich ausgedehnt und ihm Verfassungsrang somit auch im Rechtsmittelverfahren zuerkannt. Dies ergebe sich aus dem Justizgewährungsanspruch. Eine Übertragung dieser verfassungsgerichtlichen Entscheidung auf die Revisionszulassung zeigt, dass somit jedenfalls grundrechtsrelevante Verfahrensmängel stets die Zulassung der Revision rechtfertigen. Es erscheint im Lichte des Verfassungsrechts ausgeschlossen, solche Verfahrensfehler von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen 7 2 .
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8. Fehlende Überprüfungsmöglichkeit Eine besonders zu prüfende Fallgruppe der Revisionszulassung stellt es dar, wenn das Berufungsurteil unter Verstoß gegen § 5 4 0 das Parteivorbringen und den Streitstoff nicht oder nur so unzureichend wiedergibt, so dass eine Überprüfungsmöglichkeit im Hinblick auf die Revisionszulassung bzw. in der Sache selbst nicht möglich ist. In der zivilprozessualen Praxis wird hier in der Regel eine Zulassung der Revision abgelehnt und gefordert, dass der Beschwerdeführer selbst den Sach- und Streitstand vorzutragen habe, um auf dieser Grundlage die nach seiner Meinung die Zulassung begründenden Rechtsprobleme darzulegen 73 . Dagegen wird in der Rechtsprechung zu § 8 0 O W i G das Fehlen von Urteilsgründen als eine Fallgestaltung der Rechtsmit-
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Vgl. hierzu statt Vieler Musielak/Ba//, § 543 Rdn. 9 mwN; vgl. ferner die Analysen bei Nasall, NJW 2003, 1345; Ball, Festschrift für Musielak, 2004, S. 35. Statt aller vgl. MüKo-ZPO/Wenzel, § 543 Rdn. 21; Musielak/ßa//, $ 543 Rdn. 9 a. ff. So zu Recht MüKo-ZPOWenzel, % 543 Rdn. 21. BVerfGE 107, 395 = NJW 2003, 1924.
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So zu Recht Vollkommer, Festschrift für Schlosser, 2005, S. 1009. So zu Recht bereits Vollkommer, Festschrift für Schlosser, 2005, S. 1014. Vgl. BGH, NJW 2003, 3208; BGH, NJW 2003, 3352; BGH, NJW 2004, 293; BGH, MDR 2004, 899; Wenzel, NJW 2002, 3358; Musielak/ßa//, § 543 Rdn. 9.
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telzulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bejaht 7 4 . Letztlich erscheint das Fehlen des Sach- und Streitstandes unter Verstoß gegen verfahrensrechtliche Normen als ein außerordentlich schwerwiegender Verfahrensfehler, der die Kontrollfunktion des übergeordneten Gerichts außer Kraft setzt. Die Zulassung der Revision kann daher nicht mit dem Hinweis abgelehnt werden, es sei nicht Sache des Revisionsgerichts, den Sachverhalt zu ermitteln 7 5 . Die restriktive Auffassung von Praxis und herrschender Meinung führt letztlich dazu, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde ganz wesentlich erschweren kann, wenn es unter Verstoß gegen § 540 den Sach- und Streitstand nicht ausreichend mitteilt. Demgegenüber ist zu betonen, dass eine vom Gesetz geforderte ausreichende tatsächliche und rechtliche Begründung von richterlichen Entscheidungen zum zentralen Grundbestand eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört. Ein Verstoß gegen die Mindesterfordernisse eines berufungsrechtlichen Urteils i. S. von § 540 muss daher regelmäßig zugleich als Verstoß gegen ein Verfahrensgrundrecht im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip angesehen werden. Bereits aus diesem Gesichtspunkt ist die Zulassung der Revision in solchen Fällen zu gewähren. 9. Die Zulassung und Richtigkeit im Ergebnis 52
Z u m früheren Recht (vor 2002) haben Rechtsprechung und h M stets die Auffassung vertreten, dass eine Zulassung bzw. eine Annahme der Revision auszuscheiden hat, wenn die Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich und damit eine Klärung der Rechtsfrage nicht zu erwarten ist. Diese Auffassung hat die Rechtsprechung auch zum neuen Recht unverändert vertreten 7 6 . Dabei ist allerdings nicht berücksichtigt, dass sich durch den Wegfall der Annahmerevision nach § 554 b aF die Rechtslage geändert hat. N a c h früherem Recht lag im Falle der Annahmerevision bereits eine vollständige Revisionsbegründung vor. Dies ist im Falle der Nichtzulassungsbeschwerde heute nicht mehr gegeben (vgl. § 544 Abs. 6 Satz 3). Die Prüfung einer Ergebnisrichtigkeit iSv § 561 ist daher im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde dem Revisionsgericht nicht in gleicher Weise möglich wie früher. Deshalb wird man jedenfalls dann die Zulassung bejahen müssen, wenn mehrere Rechtsfehler des Berufungsgerichts in ihrem Zusammenwirken zu einer im Ergebnis richtigen Entscheidung führen 7 7 . Auszuscheiden hat dagegen eine Zulassung der Revision, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis unzutreffend war und dies alternativ auf verschiedenen Rechtsfehlern beruht, darunter auch solchen, die für sich genommen die Zulassung der Revision nicht begründen 7 8 .
V. Die Zulassungsentscheidung 1. Inhalt 53
Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zulassung der Revision ist Teil der gesamten richterlichen Entscheidung. Liegen die Voraussetzungen für eine Zulassungsentscheidung vor, muss das Berufungsgericht diese Entscheidung zwingend treffen. Dies bedeutet, dass der zur Entscheidung berufene Spruchkörper in jedem 74 75 76
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Vgl. BGHSt. 42, 187, 189 f. Vgl. BGH, N J W 2004, 293 f. Vgl. BGH, N J W 2004, 72; BGH, NJW 2004, 1167.
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So lag der Fall BGH, N J W 2004, 1167. Diese Konstellation ergab sich in BGH, N J W 2004, 72.
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Falle von Amts wegen prüfen muss, ob eine Zulassung in Betracht kommt. Soweit die Parteien hierzu Anträge gestellt haben, werden diese dem Gericht möglicherweise wertvolle Anregungen geben können und das Gericht eventuell zu einem Rechtsgespräch auch in diesem Punkt veranlassen, rechtlich können Parteianträge aber nur den Charakter unverbindlicher Anregungen haben. Daher muss über einen Parteiantrag auch nicht ausdrücklich entschieden werden, im Falle seiner Ablehnung kann er schweigend übergangen werden. Soweit das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ein gesetzlicher Zulassungsgrund gegeben ist, muss es zwingend und von Amts wegen die Zulassung aussprechen. Eine Ermessenseinräumung gibt es im Rahmen der Zulassungsentscheidung nicht. Soweit bis zur Änderung des Revisionsrechts durch die Novelle vom 0 8 . 0 7 . 1 9 7 5 eine abweichende Auffassung vertreten wurde, ist diese schon seit dem Jahre 1975 überholt 7 9 . Seit dem 0 1 . 0 1 . 2 0 0 2 ist die Formulierung des Gesetzes in § 5 4 3 Abs. 2 eindeutig („Die Revision ist zuzulassen, wenn"). 2. Form a) Zulassung im Urteil. Nach Abs. 1 Nr. 1 muss das Berufungsgericht die Revision „in dem Urteil" zulassen. Die Zulassung muss also im Berufungsurteil enthalten sein. Eine Zulassungsentscheidung in einem beigefügten oder später ergangenen Beschluss reicht nicht aus 8 0 . Zur ausnahmsweisen Zulassung im Wege eines Berichtigungsbeschlusses s. unten 3.
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b) Urteilsformel. Die gesetzliche Anweisung einer Zulassung im Urteil bedeutet nicht notwendig die Aufnahme in den Tenor der Entscheidung. Allerdings ist ein Ausspruch der Zulassung in der Urteilsformel sehr wünschenswert und in der Praxis üblich. Die Zulassung wird in der Regel nach dem Ausspruch über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit angefügt. Die Aufnahme der Zulassung in die Urteilsformel dient insbesondere der Rechtsklarheit. Darüber hinaus bewirkt sie, dass die Zulassung von der Verkündung gem. § 311 Abs. 2 Satz 1 erfasst wird. Dies ist insbesondere für die Unterrichtung der Parteien sinnvoll und hilfreich.
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Die Entscheidung über die Zulassung und die Aufnahme in die Urteilsformel löst nach h M keine Begründungspflicht im Rahmen der Entscheidungsgründe aus 81 . Dem ist zuzustimmen, weil die Zulassungsentscheidung keine Beeinträchtigung von Rechten eines Verfahrensbeteiligten darstellen kann und weil diese Entscheidung nicht anfechtbar ist 8 2 . Zu Recht ist in der Praxis aber eine kurze Begründung üblich. Sie erscheint auch sehr zweckmäßig. De lege ferenda ist dem Gesetzgeber zu empfehlen, eine Begründungspflicht zwingend vorzusehen.
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c) Entscheidungsgründe. Soweit das Urteil des Berufungsgerichts eine Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen ausdrücklich niedergelegt hat, liegt nach anerkannter Auffassung eine ausreichende Zulassung vor, selbst wenn der Tenor keinen Hinweis auf diese Zulassung enthält 8 3 . Konsequenz einer Zulassung nur in den Entscheidungsgründen ist es freilich, dass sie in diesem Falle nicht verkündet werden muss und deshalb möglicherweise den Parteien zunächst nicht bekannt wird. Daneben spricht auch die Rechtsklarheit und die Tatsache, dass die Entscheidung über
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Zu den Einzelheiten der früheren Rechtslage vgl. Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 241 ff. MüKo-ZPO/Wenzel, § 543 Rdn. 22. Stein/Jonas/Grwws&y, § 546 Rdn. 18; MüKoZPO/Wenzel, § 543 Rdn. 23; Zöller/Gummer, § 543 Rdn. 17 (aber nobile officium).
Prutting, Die Zulassung zur Revision, 268 ff. BGHZ 20, 188, 189; Stein/Jonas/Grwns&y, § 546 Rdn. 18; MüKo-ZPO/Wenze/, § 543 Rdn. 24; Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 266.
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die Zulassung ähnlich wie Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit zugleich mit der Hauptsache von allen Richtern auszusprechen ist, gegen ein solches Vorgehen. 58
d) Entscheidung durch Schweigen. Eine Zulassung der Revision ist nur durch ausdrückliche Erwähnung in dem Urteil möglich. Soweit sich weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen ein Hinweis auf die Zulassung findet, ist dies ein negatives Votum. Schweigen bedeutet also, dass die Revision nicht zugelassen ist 8 4 .
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D a s Gesetz verlangt keinen ausdrücklichen Ausspruch über die Nichtzulassung und damit erst recht auch keine Begründung der Nichtzulassung 8 5 . Dies gilt auch, wenn eine oder beide Parteien ausdrücklich die Zulassung der Revision beantragt haben. In diesem Falle liegt es allerdings nahe, auf das Parteivorbringen kurz einzugehen und darzulegen, warum eine Zulassung der Revision nicht in Betracht kam. Z u den Fragen der Anfechtung einer Nichtzulassung s. § 544. 3. Abänderung, Ergänzung und Berichtigung
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a) Grundsatz. D a s Berufungsgericht ist nach allgemeinen Regeln an seine eigene Entscheidung gebunden (vgl. § 318). Hat das Berufungsgericht also die Revision ausdrücklich oder konkludent nicht zugelassen, so ist es selbst zu einer Abänderung dieser Entscheidung nicht befugt. Die Abänderung kann allenfalls im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgen (§ 544).
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Ist die Frage der Zulassung der Revision im Berufungsurteil nicht angesprochen, so gilt die Zulassung als verweigert. Dies legt in der Praxis die Frage nahe, ob im Einzelfall noch nachträglich eine Zulassung durch Urteilsberichtigung gem. § 319 oder durch Urteilsergänzung nach § 321 in Betracht kommt.
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b) Ergänzung. Ausgeschlossen ist jedenfalls eine nachträgliche Zulassung durch Ergänzungsurteil gem. § 321. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung, wonach ein von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch oder der Kostenpunkt bei der Endentscheidung ganz oder teilweise übergangen sein muss (§ 321 Abs. 1). Nicht möglich ist aber auch eine analoge Anwendung von § 321. Da das Schweigen im Urteil eine Nichtzulassung darstellt, liegt eine ergänzungsfähige Lücke nicht vor. Eine nachträgliche Zulassung durch Urteilsergänzung würde die bereits getroffene Entscheidung abändern. Unter Umständen würde die nachträgliche Revisionszulassung sogar in die Rechtskraft des Urteils eingreifen. Mit der h M ist daher eine nachträgliche Zulassung durch Urteilsergänzung abzulehnen 8 6 .
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c) Berichtigung. Dagegen ist eine Berichtigung des Urteils durch Beschluss gem. § 319 möglich, wenn die fehlende Mitteilung der Revisionszulassung eine offenbare Unrichtigkeit darstellt. Vorausgesetzt wird dabei freilich, dass die Zulassung vom Gericht beschlossen und verkündet war, lediglich jedoch in der schriftlichen Abfassung des Urteils vergessen wurde. Erforderlich ist also, dass das Gericht eine Zulassung gewollt und beschlossen hat und dass diese Tatsache in irgendeiner Weise nach außen hervorgetreten ist 8 7 . 84
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B G H , N J W 1980, 344; B G H Z 44, 395, 397; Zöller/Gummer, § 543 Rdn. 17; MüKo-ZPO/ Wenzel, § 543 Rdn. 25; Prutting, Die Zulassung zur Revision, S. 265. B G H Z 109, 211, 213; B G H , N J W 1980, 344. B G H , N J W 1981, 2755; B G H Z 44, 395; B G H Z 20, 188; O L G Saarbrücken, NJW-RR 1999, 214; Stein/Jonas/GrHHSjfey, § 546 Rdn. 19; MüKoZ P O /Wenzel, § 543 Rdn. 26; Musielak/Bfltt,
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§ 543 Rdn. 15; Zötter/Gummer, § 543 Rdn. 18; Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 268. AA Baumbach/LauterbachM/fcers, § 543 Rdn. 15; ZöWedVollkommer, § 321 Rdn. 5; Krämer, F a m R Z 1980, 971, 975. B G H Z 20, 188; B G H Z 78, 22; Stein/Jonas/ Grunsky, § 546 Rdn. 20; MüKo-ZPO/WfeKze/, § 543 Rdn. 27 m w N .
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Soweit eine Berichtigung in Betracht k o m m t , wird sie v o m Berufungsgericht von Amts wegen oder auf Antrag durch Beschluss ausgesprochen. W i r d der Antrag einer Partei, die Revision im Wege der Berichtigung zuzulassen, abgelehnt, so ist dagegen ein Rechtsmittel nicht eröffnet (§ 3 1 9 Abs. 3).
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4 . U m f a n g und beschränkte Zulassung a) Grundsatz. In der Regel wird mit der Zulassung das Rechtsmittel in vollem Umfang freigegeben. D a m i t kann der Revisionskläger sein Rechtsmittel auf jegliche Gesetzesverletzung stützen; an den Zulassungsgrund ist er nicht gebunden. D a m i t ist der Regelfall der Zulassung die Vollrevision. Ein v o m Berufungsgericht angegebener Zulassungsgrund löst keine Sperrwirkung aus. Es ist jedoch anerkannt, dass im Einzelfall das Berufungsgericht die Zulassung der Revision auf einen Teil des Rechtsstreits beschränken kann, während die übrigen Teile sogleich in Rechtskraft erwachs e n 8 8 . Eine solche Beschränkung der Zulassung lässt sich wohl vor allem dadurch rechtfertigen, dass sowohl die Parteien (durch beschränkte Anfechtung) als auch das Gericht (durch Prozesstrennung, durch Erlass eines Teilurteils oder durch Aufhebung und Zurückverweisung der Sache) eine vergleichbare Aufspaltung des ursprünglichen Prozessstoffes erreichen könnten. Hintergrund einer Beschränkung der Zulassung ist
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die Entlastung des Revisionsgerichts von Arbeit, die im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung nicht notwendig erscheint. Das Gesetz sieht eine Beschränkung der Zulassung nicht vor. D e r B G H hat sie aber übereinstimmend mit allen anderen obersten Bundesgerichten von Anfang für zulässig erachtet und praktiziert. Heute wird man deshalb die Möglichkeit einer Beschränkung der Zulassung als gewohnheitsrechtlich verfestigt ansehen können. Auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber im R a h m e n des ZPO-Reformgesetzes in voller Kenntnis der Rechtsprechung zur beschränkten Zulassung insoweit keine Regelung getroffen hat, spricht für die richterrechtliche Verfestigung.
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Der Grundsatz der Vollrevision geht so weit, dass die Zulassung der Revision in einem Teilurteil, das die Sachentscheidung enthält, sich auch auf die zugehörige, in einem Schlussurteil enthaltene Kostenentscheidung bezieht 8 9 . In diesem Falle ist die Zulassung im Teilurteil also in der Weise auszulegen, dass sie sich auf das Schlussurteil bezieht, obgleich das Berufungsgericht im Schlussurteil selbst die Revision nicht zugelassen hat.
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b) U m f a n g der teilweisen Zulassung bei Anspruchsmehrheit. Anerkannt ist die Möglichkeit der Beschränkung der Zulassung der Revision, wenn das Berufungsurteil über mehrere selbständige prozessuale Ansprüche entschieden h a t 9 0 . Eine Ausnahme gilt insoweit, als diese Streitgegenstände nicht voneinander präjudiziell abhängig sein dürfen oder sonst einer einheitlichen Entscheidung bedürfen, wie dies bei Haupt- und Hilfsantrag oder bei notwendiger Streitgenossenschaft der Fall ist 9 1 . Ist in dem Berufungsurteil über Klage und Widerklage entschieden worden, so kann das Berufungsgericht die Revision isoliert für die Entscheidung über die Klage oder für die Ent-
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Stein/Jonas/Grwttsjfey, § 5 4 6 Rdn. 25 ff; MüKoZPO/Wenzel, § 543 Rdn. 2 9 ff; Seil, Probleme der Rechtsmittelbegründung im Zivilprozess, 1973, S. 140 ff; Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 2 2 9 ff; teilweise kritisch Tiedtke, WM 1977, 666. So zu Recht BGH, NJW 2004, 3045.
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BGH, NJW 1995, 1955 f; BGH, NJW 1999, 1910; BGH, NJW 1987, 2 5 8 6 ; BGH, NJW 1977, 1639. BGH, NJW 1968, 1476; MüKo-ZPO/Wenzel, § 543 Rdn. 30; Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 230.
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Scheidung über die Widerklage zulassen 92 . Gleiches gilt im Falle der Aufspaltung von Berufung und Anschlussberufung sowie bei der Beschränkung auf einen von mehreren einfachen Streitgenossen auf der Kläger- oder der Beklagtenseite 93 . Ausgeschlossen ist eine beschränkte Zulassung aber bei notwendigen Streitgenossen 94 oder wenn im Falle von Klage und Widerklage das Urteil sich auf denselben rechtlichen Grund bezieht 95 . 69
c) Beschränkung der Zulassung bei einheitlichem Streitgegenstand. Anerkannt ist die Aufspaltung und Beschränkung der Zulassung auch bei einem einzigen Streitgegenstand, soweit ein selbständiges Teilurteil möglich ist 96 . In Betracht kommt dies insbesondere bei summenmäßiger Aufspaltung oder bei streitigem Grund und Betrag. Neben einem teilurteilsfähigen Teil des Rechtsstreites ist eine Beschränkung der Zulassung auch dort anerkannt, wo der Streitgegenstand durch einen zwischenurteilsfähigen Teil aufgespalten werden kann. Im einzelnen ist daher eine Zulassung der Revision möglich, die auf die Zulässigkeit der Klage oder auf einzelne Zulässigkeitsmerkmale beschränkt ist 97 .
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d) Einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel. Umstritten ist dagegen bis heute, ob eine beschränkte Zulassung der Revision auch für einzelne Angriffs- oder Verteidigungsmittel ausgesprochen werden kann. Nach der Rechtsprechung ist dies zu bejahen, sofern es sich bei dem von der Zulassung erfassten Teil um einen abtrennbaren, rechtlich selbständigen Teil des gesamten Streitstoffes handele 98 . Noch weitergehend wollen Grunsky99 und Ball100 eine beschränkte Revisionszulassung bejahen, ohne dass es auf das Kriterium eines abtrennbaren, rechtlich selbständigen Teils des gesamten Streitstoffes ankomme. Mit der Rechtsprechung und hM ist eine so weitgehende Zulassungsbeschränkung abzulehnen 101 . Auszugehen ist vom Grundgedanken der Vollrevision. Eine Beschränkung der Revisionszulassung auf einzelne Rechtsfragen oder Urteilselemente sowie auf einzelne Anspruchsmerkmale birgt die Gefahr, dass eine revisionsrechtliche Uberprüfung allzu sehr eingeengt wird. Das Verfahren nach erfolgter Zulassung wird vorrangig im Parteiinteresse betrieben (s. oben § 542 II) und von den Parteien durchgeführt (Dispositionsmaxime). Wollte man generell eine Zulassungsbeschränkung auf einzelne Rechtsfragen zulassen, so widerspräche dies dem Wesen der Revision als eines echten Rechtmittels. In diesem Falle würde eine Art Rechtsentscheid oder auf die konkrete Rechtsfrage bezogenes Vorlageverfahren entstehen.
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e) Form und Ausspruch der Beschränkung. Will das Berufungsgericht die Zulassung der Revision beschränken, bedarf es ebenso wie bei der Zulassungsentscheidung selbst einer Klarstellung im Tenor oder in den Entscheidungsgründen. Es reicht nicht aus, dass im Berufungsurteil eine Begründung der Zulassung auf bestimmte Entschei92
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Steinßonas/Grunsky, § 546 R d n . 26; M ü K o Z P O / W e n z e l , § 5 4 3 Rdn. 31; Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 230; Weyreutber, Rdn. 47. B G H Z 130, 50, 59; BGH, N J W 1984, 615; BGH, N J W 1979, 567; BGH, N J W 1969, 50, 51; BGH, N J W 1967, 2312; B G H Z 7, 62, 64. BGH, N J W 1952, 786; Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 2 3 0 . BGH, M D R 2003, 1248. Vgl. aber BGH, N J W 2 0 0 4 , 3045 zur vollen Zulassung, wenn das Teilurteil die Sachentscheidung enthält.
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B G H , N J W 1995, 3186; B G H , N J W 1993, 1799; BGH; N J W 1990, 1795 f; BGH, N J W 1987, 3264 f. B G H Z 53, 152, 155 = N J W 1970, 609; BGH, N J W 1984, 615; B G H , N J W 1987, 3264; stRspr., vgl. zuletzt B G H , M D R 2005, 410 m w N . Grunsky, Z Z P 84 (1971), 129; Stein/Jonas/ Grunsky, % 546 R d n . 29. Musielak/Ba//, § 543 R d n . 13. Richtig deshalb BGH, N J W 2 0 0 4 , 766 (unzulässige Beschränkung auf einzelne Anspruchsmerkmale).
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2 . Abschnitt. Revision
§543
dungselemente hindeutet 1 0 2 . Im Interesse der Rechtsklarheit ist zu verlangen, dass sich aus dem Berufungsurteil eindeutig ergibt, ob und in welchem Umfang eine eingeschränkte Zulassung gewollt ist. Jeder Bezug in der Zulassungsentscheidung auf einzelne Rechtsfragen, der nicht klar und eindeutig auf einen von mehreren Streitgegenständen oder auf einen eindeutig abtrennbaren und hinreichend bestimmten Teil des Streitgegenstandes Bezug nimmt, führt nicht zur beschränkten Zulassung. In diesem Fall gilt der Grundsatz, dass die Revision unbeschränkt zugelassen ist 1 0 3 . Eine im Tenor unbeschränkt zugelassene Revision kann nicht in den Entscheidungsgründen eingeschränkt werden 1 0 4 . Dies wird allerdings vom B G H in langjähriger und stRspr. abweichend gesehen 1 0 5 . Die hier vertretene Auffassung ist für die Arbeitsgerichtsbarkeit zwingend, weil dort die Zulassung im Tenor vom Gesetz vorgeschrieben ist. Diese Auffassung muss aber auch in der Zivilgerichtsbarkeit gelten, weil eine generelle Zulassung im Tenor bindende Wirkung hat. Will man an Hand der Entscheidungsgründe den Tenor auslegen, wie dies der B G H tut, müsste hierfür im Tenor zumindest ein Ansatz bestehen. Im übrigen führt die Rechtsprechung des B G H in der Praxis dazu, dass der Grundsatz der vollen Revisionszulassung ausgehöhlt wird. Soweit das Berufungsgericht die Revisionszulassung wirksam beschränkt hat, bezieht sich die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nur auf den von der Zulassung erfassten Prozessstoff. Liegt dagegen eine unbeschränkte Zulassung der Revision vor, ist das Revisionsgericht bei seiner Überprüfung des Berufungsurteils nicht an diejenigen Rechtsfragen gebunden, die in der Zulassungsentscheidung als grundsätzlich bedeutend gekennzeichnet sind. Überprüft werden dann vielmehr alle den Rechtsstreit betreffenden Rechtsfragen u>6 .
72
VI. Die Wirkungen der Zulassungsentscheidung 1. Wirkung für die Parteien Durch die Zulassung der Revision von Seiten des Berufungsgerichts ist die Revisionsinstanz für die Parteien endgültig eröffnet. Jede beschwerte Partei kann und muss nunmehr ihr Rechtsmittel ordnungsgemäß einlegen und begründen. Das Revisionsgericht prüft die Statthaftigkeit und die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Übrigen.
73
Die Zulassungsentscheidung ist unanfechtbar. Sie kann weder selbständig noch im Rahmen des Revisionsverfahrens angegriffen werden. Auch gegen eine nur beschränkt zugelassene Revision ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
74
Soweit das Revisionsgericht durch Beschluss im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung ausgesprochen hat, wird das laufende Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Falle gilt die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zugleich als Einlegung der Revision (vgl. § 5 4 4 Abs. 6 Satz 2).
75
Ausnahmsweise kann die zugelassene Revision den Zugang zur Revisionsinstanz nicht eröffnen, wenn in fehlerhafter Weise eine Revisionszulassung gegen unanfechtbare Urteile iSv § 5 4 2 Abs. 2 ausgesprochen worden ist. Nach wohl allgemeiner Auffassung werden unanfechtbare Urteile durch eine fehlerhafte Zulassung von Rechts-
76
BGH, NJW 1995, 1481 f; BGH, NJW 1992, 1039 f; BGH, NJW 1990, 1795 f. "» BGHZ 102, 293, 295. 104 BAG, MDR 2003, 828; BAG, MDR 2004, 646. 105 BGH, NJW-RR 2005, 715; BGH, MDR 2005, 102
,0i
410; BGH, MDR 2005, 886; BGH, NJW 2004, 3264; BGH, NJW-RR 2004, 1365; BGHZ 48, 134, 136 = NJW 1967, 2312. BGHZ 109, 179, 189; BGH, NJW 1996, 527; BGHZ 9, 357.
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41
§543
Drittes Buch. Rechtsmittel
mittein nicht anfechtbar 1 0 7 . Die generelle Regelung des § 5 4 2 Abs. 2 zur Frage der Statthaftigkeit des Rechtsmittels geht also der Bindung an die Zulassung gem. § 5 4 3 Abs. 2 Satz 2 vor. Wird die Revision dagegen ordnungsgemäß zugelassen, bezieht sich die Zulassung jedoch auf eine nicht revisible Rechtsfrage, dann bleibt der Zugang zur Revisionsinstanz eröffnet. Die ordnungsgemäß eingelegte Revision ist zulässig, jedoch unbegründet 108 . 2. Bindung des Revisionsgerichts 77
Gem. § 5 4 3 Abs. 2 Satz 2 ist das Revisionsgericht an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden. Dies versteht sich von selbst, wenn die Zulassung der Revision inhaltlich zu Recht erfolgt und formell ordnungsgemäß beschlossen und niedergelegt wurde. Eine Bindung besteht aber nach anerkannter Auffassung auch dann, wenn die Zulassung fehlerhaft erfolgt ist 1 0 9 . Dies bedeutet im Einzelnen, dass eine ausgesprochene Zulassung bindet, selbst wenn die Zulassung eine irrevisible Rechtsfrage betrifft oder wenn die Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich oder sonst nicht klärungsfähig oder nicht klärungsbedürftig ist. Auch ein Irrtum des Berufungsgerichts über die Art des Streitgegenstandes oder andere Vorfragen im Rahmen der Zulassung ändert nichts an der Bindungswirkung der einmal zugelassenen Revision. Weiterhin ohne Bedeutung ist es, wenn sich das Berufungsgericht bei der Feststellung der Grundsätzlichkeit oder der anderen Zulassungsgründen geirrt hat. Selbst die Zulassung unter Behauptung einer Divergenz zu einem nach dem Gesetz gar nicht divergenzfähigen Urteil oder die Stützung der Zulassung auf einen Zulassungsgrund, den das Gesetz nicht vorsieht, kann an der Bindung nichts ändern.
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Eine Bindung ist allerdings in den folgenden Fällen nicht gegeben: Die Revision wird in einem Fall zugelassen, in dem gem. § 5 4 2 Abs. 2 das Rechtsmittel nicht statthaft wäre, oder die Revision wird nachträglich in einem Ergänzungsurteil gem. § 321 zugelassen. In diesen Fällen greift die Bindungswirkung nicht, weil die Zulassung der Revision kein Merkmal der abstrakten Statthaftigkeit, sondern der Zulässigkeit im konkreten Fall ist (s. oben Rdn. 76). Daher kann die Zulassung eines Rechtsmittels nicht die fehlende Statthaftigkeit ersetzen. Die dennoch ausgesprochene Zulassung ist unbeachtlich, weil sie eine im Gesetz für diesen Fall unbekannte Rechtsfolge ausspricht. Zusätzlich gilt es zu bedenken, dass anderenfalls in allen diesen Konstellationen die Rechtskraft durchbrochen würde.
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Rechtsfolge der Bindung des Revisionsgerichts an die ausgesprochene Zulassung ist es, dass nunmehr im Rahmen der Zulassungsentscheidung die Revision eröffnet ist. Eine Überprüfung der Zulassung kommt nicht in Betracht. 3. Konsequenzen der Nichtzulassung
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Hat das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen, so steht der Partei die Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 5 4 4 zur Seite. Wird diese Beschwerde nicht eingelegt oder wird auf die Beschwerde hin die Zulassung nicht ausgesprochen, so ist das Verfahren beendet und die Rechtssache formell rechtskräftig. Dies gilt auch dann, 107
108
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BGH, N J W 2 0 0 5 , 7 3 ; BGH, N J W 2 0 0 5 , 1 0 0 9 (Zulassung der Rechtsbeschwerde, die im konkreten Fall nicht statthaft war); ferner BGH, N J W 2 0 0 4 , 2 2 2 4 ; BGH, N J W 2 0 0 3 , 211. BGH, N J W 1 9 5 4 , 7 3 ; BGH, M D R 1 9 8 0 , 2 0 3 ; M ü K o - Z P O / W e n z e l , § 5 4 3 Rdn. 4 2 .
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BGH, M D R 1 9 8 0 , 2 0 3 ; BGH, W M 1 9 7 6 , 1 3 3 9 ; Vogel, N J W 1975, 1301; Prutting, Die Zulassung der Revision, S. 2 6 2 f.
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2 . Abschnitt. Revision
§544
wenn die Nichtzulassung auf Erwägungen beruht, die rechtsfehlerhaft sind 1 1 0 . Das Revisionsgericht ist an die Nichtzulassung auch dann endgültig gebunden, wenn diese nicht form- und fristgerecht durch eine Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen worden ist. §544
Nichtzulassungsbeschwerde (1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). Die Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden. (2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 5 4 3 Abs. 2) dargelegt werden. (3) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme. (4) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen. (5) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 7 1 9 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig. (6) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist. (7) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Abs. 6 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen. Schrifttum Geier Die Nichtzulassungsbeschwerde in der R e c h t s p r e c h u n g des B G H , N J W - S o n d e r h e f t zum 2 . H a n n o v e r a n e r Z P O - S y m p o s i o n , 2 0 0 3 , S. 18 ff; v. Gierke/Seiler D i e Nichtzulassungsbeschwerde nach § 5 4 4 Z P O in der R e c h t s p r e c h u n g des B G H , J Z 2 0 0 3 , 4 0 3 ; Kummer Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1 9 9 0 ; Vorwerk Die Nichtzulassungsbeschwerde im Licht des G e m e i n schaftsrechts, Festschrift für T h o d e , 2 0 0 5 , S. 6 4 5 ff. 110
BGH, NJW 1980, 1626; MüKo-ZPO/Wenzel, § 543 Rdn. 47. H a n n s Prütting
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Drittes Buch. Rechtsmittel
Übersicht Rdn 1
I. Einführung II. Vereinheitlichung des Revisionsrechts ΙΠ. Normzweck IV. Rechtsmittelcharakter V. Die Streitwertbegrenzung 1. Rechtspolitischer Ausgangspunkt 2. Die gesetzliche Regelung 3. Der Übergangscharakter 4. Die Beschwer VI. Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde 1. Nichtzulassung der Revision 2. Beschwer 3. Zuständigkeit 4. Frist 5. Anwaltszwang
7 . .
8 9 11 12
16 17 18 19 20
6. Beschwerdeschrift 7. Anlagen 8. Begründung a) Erfordernis b) Form c) Frist d) Begründungsinhalt e) Fehler der Beschwerdebegründung VII. Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde VIII. Verfahren und Entscheidung 1. Rechtliches Gehör 2. Suspensiveffekt 3. Entscheidung 4. Zustellung und Anfechtung 5. Rechtsfolgen
Rdn 22 23 24 25 26 27 31 33 34 37 38 41 42
I. Einführung 1
Die N e u k o n z e p t i o n des Revisionsrechts durch das Z P O - R e f o r m g e s e t z v o m 2 7 . 0 7 . 2 0 0 1 hat insbesondere den Z u g a n g zur Revision in Zivilsachen in der Weise grundlegend umgestaltet, dass nunmehr eine reine Zulassungsrevision vorgesehen ist. D a die K o m p e t e n z zur Zulassung ausschließlich in der H a n d des Berufungsgerichts liegt, bedurfte es einer zusätzlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeit des Revisionsgerichts über die Auslegung der Zulassungsgründe. Diese revisionsgerichtliche M i t v e r a n t w o r t u n g wird durch die neue Nichtzulassungsbeschwerde ausgeübt.
2
Ersatzlos entfallen ist der frühere freie Zugang zum Bundesgerichtshof in Zivilsachen in Abhängigkeit von einer Wertgrenze (bis 1 9 7 5 ) und ebenso die seither im Gesetz geregelte Annahmerevision des § 5 5 4 b a F (bis 2 0 0 1 ) . An deren Stelle tritt nunmehr die Nichtzulassungsbeschwerde, die durch das Z P O - R e f o r m g e s e t z v o m 2 7 . 0 7 . 2 0 0 1 (BGBl I 1 8 8 7 ) erstmals in Zivilsachen eingeführt wurde und am 0 1 . 0 1 . 2 0 0 2 in Kraft getreten ist. M i t dieser Neuregelung ist einerseits der Zugang zu den Revisionsgerichten in Deutschland vereinheitlicht worden (s. unten II), andererseits ist die in Zivilsachen über 1 2 0 Jahre hinweg bestehende Möglichkeit eines direkten Zugangs zum Revisionsgericht endgültig beseitigt worden.
3
Die Gesetzesmaterialien sprechen zu R e c h t davon, dass es keine zwingenden verfassungsrechtlichen Gründe zur Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde g e b e 1 . Andererseits meinen die Materialien, es erscheine erforderlich, eine solche Nichtzulassungsbeschwerde zu eröffnen. Das Fehlen einer Nichtzulassungsbeschwerde hielt der Gesetzgeber rechtssystematisch nur schwer für vertretbar. Durch diese sehr vorsichtigen Formulierungen wird verschleiert, dass jedenfalls bei gewissen Rechtsfehlern (Verfassungsverstoß, Verfahrensfehler) eine Nichtzulassungsbeschwerde zwingend geboten ist, um nicht diese Bereiche der Kontrolle des Revisionsgerichts völlig abzuschneiden.
1
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Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 67 H a n n s Prutting
2. Abschnitt. Revision
§544
II. Vereinheitlichung des Revisionsrechts Ebenso wie bei der Zulassung der Revision ist durch die Regelung der NichtZulassungsbeschwerde der Rechtsmittelzugang den normativen Regelungen in den übrigen vier Zweigen der rechtsprechenden Gewalt angepasst worden. Im Einzelnen stimmen nun die Nichtzulassungsbeschwerden weithin überein (vgl. § 7 2 a A r b G G , § 133 V w G O , § 1 6 0 a S G G , § 115 Abs. 3 - 6 F G O ) . Diese innerstaatliche Rechtsangleichung wird ebenso für die Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde ins Feld geführt wie die Tatsache, dass sich diese in den anderen Verfahrenszweigen im Wesentlichen bewährt habe. Dabei wird freilich nicht berücksichtigt, dass die Rechtsvereinheitlichung von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten ausging. Während die Neugestaltung des Revisionszugangs in Zivilsachen seit dem 0 1 . 0 1 . 2 0 0 2 faktisch eine deutliche Einschränkung des Revisionszugangs gebracht hat, ist diese Entwicklung in den übrigen Zweigen der Gerichtsbarkeit weithin konträr verlaufen. So hat es z.B. in der Arbeitsgerichtsbarkeit ursprünglich gar keine 3. Instanz gegeben und auch in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten hat es niemals einen freien Zugang zur Revisionsinstanz außerhalb der Revisionszulassung gegeben. Diese Entwicklung bedeutet jedenfalls psychologisch einen großen Unterschied in der Bewertung. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Zahl der erst- und zweitinstanzlichen Zivilsachen weitaus größer ist als alle Verfahren in sämtlichen anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit zusammen genommen. Auch diese rein zahlenmäßig belegbare besondere Bedeutung der Zivilgerichtsbarkeit darf als Grund dafür genannt werden, warum die Einführung einer reinen Zulassungsrevision mit Nichtzulassungsbeschwerde vom Gesetzgeber über lange Zeit hinweg nicht näher erwogen wurde. Darüber hinaus darf darauf hingewiesen werden, dass angesichts der eigenständigen Rechtsanwaltschaft beim B G H in Zivilsachen die formale Rechtsvereinheitlichung in der Praxis sicherlich keine verfahrensmäßigen Effizienzgewinne hervorbringen wird.
4
Im Ergebnis wird man also dem vielfach vorgebrachten Argument der Rechtsvereinheitlichung im Revisionsrecht nur einen außerordentlich bescheidenen Stellenwert zuweisen können.
5
ΙΠ. Normzweck Vor dem Jahr 2 0 0 2 waren allein die Oberlandesgerichte befugt, Revisionszulassungen in Zivilsachen auszusprechen. Zahlenmäßig hat dabei die Revisionszulassung eine interessante Entwicklung durchgemacht. In den Jahren nach 1975 sind nämlich diese Zahlen leicht angestiegen und haben im Jahre 1 9 8 0 einen Spitzenwert erreicht. Danach ist die Zahl der zugelassenen Revisionen tendenziell über 2 0 Jahre hinweg immer kleiner geworden und hat im Jahre 1 9 9 9 den bis dahin zahlenmäßig kleinsten Wert erreicht. Insgesamt hat die Zulassung der Revision in den Jahren vor 2 0 0 2 weniger als 5 % der insgesamt eingelegten Revisionen ausgemacht, war also nach der Bedeutung weitgehend zu vernachlässigen. Angesichts dieser zahlenmäßigen Entwicklung musste der Gesetzgeber schon deshalb eine Nichtzulassungsbeschwerde einführen, um der Gefahr einer Austrocknung und Versteinerung der BGH-Rechtsprechung zu entgehen. Weiterhin muss im Rahmen von Normzwecküberlegungen bedacht werden, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde immer dann zwingend notwendig ist, wenn man auf dem Wege der Zulassung auch Verfahrensfehler sowie Verstöße gegen die Mindestvoraussetzungen, die eine zureichende Hanns Prütting
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Drittes Buch. Rechtsmittel
Urteilsgrundlage gem. § 5 4 0 verlangt, revisionsrechtlicher Prüfung unterziehen will. Schließlich gilt es zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Zugang zur Revision wegen Unzulässigkeit der Berufung (§ 5 4 7 aF) ersatzlos gestrichen hat. Aus allen diesen Gründen war die Schaffung einer Nichtzulassungsbeschwerde zwingend erforderlich. Zusammen mit der Zulassung sichert sie dem Revisionsgericht die M ö g lichkeit, die Rechtseinheit zu wahren und das Recht sinnvoll fortzubilden. Insgesamt setzt die Leitbildfunktion eines Revisionsgerichts eine solche Basis von Zulassung und Nichtzulassungsbeschwerde voraus. Auch den Gefahren einer uneinheitlichen Praxis der Berufungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe wird letztlich allein durch die Nichtzulassungsbeschwerde entgegengewirkt. So fügt sich die Nichtzulassungsbeschwerde in gleicher Weise unter die Revisionszwecke ein, die schon im Rahmen der Zulassung der Revision geltend gemacht wurden (s. oben § 5 4 3 III).
IV. Rechtsmittelcharakter 7
Umstritten ist bis heute, o b die Nichtzulassungsbeschwerde ein echtes Rechtsmittel darstellt oder ob es sich nur um einen Rechtsbehelf im weiteren Sinn handelt. Unstreitig und kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anweisung kommt der Nichtzulassungsbeschwerde ein Suspensiveffekt zu (Abs. 5 Satz 1 und Satz 3). Heftig gestritten wird aber darüber, ob die Nichtzulassungsbeschwerde auch einen Devolutiveffekt hat. Teilweise wird dies abgelehnt 2 . Hingewiesen wird insbesondere darauf, dass der Rechtsstreit im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht insgesamt in der höheren Instanz anfällt. Erst durch einen Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde wird ein Revisionsverfahren und damit der volle Devolutiveffekt ausgelöst. Diese Auffassung übersieht allerdings, dass ein Rechtsmittel nicht stets zu einer vollen sachlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung führen muss. Insoweit ist eine eingeschränkte Wirkung des Devolutiveffektes nichts Ungewöhnliches und jedenfalls kein Hinderungsgrund, die Nichtzulassungsbeschwerde als echtes Rechtsmittel anzusprechen. Praktische Bedeutung hat dieser Streit vor allem in § 9 Abs. 5 A r b G G sowie im Rahmen von Art. 2 3 4 EGV. Soweit vor allem in der Rechtsprechung des BAG der Rechtsmittelcharakter verneint wird, wird diese Auffassung seit jeher von der h M im Arbeitsrecht abgelehnt 3 .
V. Die Streitwertbegrenzung 1. Rechtspolitischer Ausgangspunkt 8
Im Gesetzgebungsverfahren, das dem Erlass des ZPO-Reformgesetzes vorausging, wurde stets und sehr heftig gegen eine Streitwertabhängigkeit von Rechtsmitteln polemisiert 4 . Da allerdings die Berufung weiterhin vom Vorliegen eines bestimmten Beschwerdewerts abhängig ist (vgl. § 511 Abs. 2), musste sich diese gesetzgeberische Tendenz vor allem im Revisionsrecht auswirken und bewähren. Hier sollte es einen ganz besonderen Fortschritt bedeuten, dass mit der ersatzlosen Streichung der früheren Annahmerevision gem. § 5 5 4 b aF eine streitwertmäßige Ungleichbehandlung 1
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MüKo-ZPO/Wenze/, § 544 Rdn. 1; Musielak/ Ball, § 544 Rdn. 2; BAG, NJW 1997, 2002; BAG, AP Nr. 5 zu § 72 a ArbGG 1979. Vgl. dazu Germelmann/Matthes/Prütting/MM/fa·Glöge, ArbGG, 5. Aufl. 2004, Rdn. 26 mwN.
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Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 59 und passim.
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2 . Abschnitt. Revision
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beim Revisionszugang endgültig beseitigt wurde. Angesichts der überaus starken Betonung der Unbrauchbarkeit von Streitwertgrenzen im Rechtsmittelrecht muss es erstaunen, dass die in den § § 5 4 2 ff eliminierten Streitwertabhängigkeiten durch die Hintertür im Rahmen einer Übergangsregelung wieder eingeführt wurden (§ 2 6 Nr. 8, 9 EGZPO). Für die langfristige Bewertung dieser gesetzgeberischen Entscheidung dürfte es von erheblicher Bedeutung sein, ob und in welchem Umfang hier eine echte Übergangsregelung bzw. dauerhaftes Recht vorliegen (s. unten 3.). 2. Die gesetzliche Regelung Die Nichtzulassungsbeschwerde ist bis zum 3 1 . 1 2 . 2 0 0 6 nur dann zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend gemachten Beschwer EUR 2 0 0 0 0 , 0 0 übersteigt (§ 2 6 Nr. 8 EGZPO). Mit dieser zum 0 1 . 0 1 . 2 0 0 2 in Kraft getretenen Übergangsregelung sollte für einen Zeitraum von fünf Jahren die naheliegende Gefahr einer erheblichen Überlastung des BGH durch Nichtzulassungsbeschwerden begrenzt werden. Darüber hinaus hatte der Gesetzgeber die Hoffnung, dass innerhalb der Übergangszeit durch die Rechtsprechung ausreichende Grundlagen zur Zulassung der Revision entwickelt würden, die auf Dauer gesehen zu einem Rückgang der Nichtzulassungsbeschwerden führen würden.
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Die Rechtsprechung hat das Vorliegen einer geltend zu machenden Beschwer von mehr als EUR 2 0 0 0 0 , 0 0 auch in dem Fall verlangt, dass sich die Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil richtet, das die Berufung als unzulässig verworfen hat 5 . Diese Rechtsprechung hatte Unsicherheit erzeugt, weil der BGH zugleich § 2 6 Nr. 8 EGZPO auf Rechtsbeschwerden gegen Beschlüsse, mit denen die Berufung als unzulässig verworfen worden war, nicht angewendet hatte 6 . Diese Frage ist nun mit der Ergänzung von § 2 6 Nr. 8 EGZPO durch einen weiteren Satz gelöst. Dieser Satz 2 idF des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes (vom 2 4 . 0 8 . 2 0 0 4 , in Kraft seit 0 1 . 0 9 . 2 0 0 4 ) regelt nun ausdrücklich, dass ein bestimmter Wert der Beschwer bei Verwerfung der Berufung durch das Berufungsgericht nicht erforderlich ist.
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3. Der Ubergangscharakter Angesichts der erwähnten Kritik des Gesetzgebers an der Streitwertabhängigkeit von Rechtsmitteln und speziell der Revision kommt der Frage erhebliches Gewicht zu, ob es sich bei der Regelung des § 2 6 Nr. 8 E G Z P O um eine Übergangsfrist handelt, die hinzunehmen ist, ohne den Grundgedanken der Revisionszulassung zu gefährden. Dies erscheint bereits im Lichte der Gesetzesmaterialien zweifelhaft. So hat der Gesetzgeber ausgeführt, dass er längerfristig eine rückläufige Zahl von Nichtzulassungsbeschwerden erwarte. Davon werde es letztlich abhängen, „ob und ggf. wann die Beschränkung für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde eingeschränkt oder aufgehoben werden k a n n " 7 . Aus diesem Zitat ergibt sich, dass auch der Gesetzgeber selbst eine weitaus längerfristige Abhängigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde von Streitwertkriterien für möglich hält. Darüber hinaus lassen weder die ersten Erfahrungen in der Zivilgerichtsbarkeit noch die langjährigen Erfahrungen in den anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit die Erwartung gerechtfertigt erscheinen, dass sich auf Grund der Rechtsprechung zu den Zulassungsgründen eine nennens5
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BGH, N J W - R R 2 0 0 3 , 1221; zu Einzelheiten vgl. Gehrlein, M D R 2 0 0 3 , 5 4 7 und M D R 2 0 0 4 , 912. BGH, N J W 2 0 0 2 , 3 7 8 3 ; B G H , N J W - R R 2 0 0 3 , 132.
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Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 68.
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werte Begrenzung der Nichtzulassungsbeschwerden ergeben wird. Insofern steht durchaus zu erwarten, dass es eine streitwertabhängige Nichtzulassungsbeschwerde auf lange Dauer geben wird. 4 . Die Beschwer 12
Das Gesetz stellt darauf ab, dass der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer E U R 2 0 0 0 0 , 0 0 übersteigt. Diese auch im Rechtsmittelrecht durchaus ungewöhnliche Formulierung hat zu verschiedenen Zweifeln Anlass gegeben. Teilweise wird die gesetzliche Formulierung in der Weise ausgelegt, dass auf die Beschwer des Beschwerdeführers im Rahmen des Berufungsurteils abzustellen sei 8 . Für diese Meinung kann angeführt werden, dass nur die sich aus dem Berufungsurteil ergebende Beschwer des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde feststeht. Dagegen sehen die Rechtsprechung und die wohl h M den Wert des Beschwerdegegenstandes für das beabsichtigte Revisionsverfahren auch im Rahmen des § 2 6 Nr. 8 E G Z P O für maßgeblich a n 9 . Für diese Auffassung spricht der Gesetzeswortlaut, der den Begriff der Beschwer mit dem Zusatz versieht, es müsse sich um die mit der Revision geltend zu machende Beschwer handeln. Dieser gesetzliche Zusatz wäre überflüssig, wenn man allein auf die Beschwer des Beschwerdeführers aus dem Berufungsurteil abstellen wollte. Zudem macht der Wortlaut deutlich, dass auf das Revisionsverfahren und die dortigen Anträge abzustellen ist 1 0 .
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Zum Begriff, zur Bestimmung und zur Ermittlung der Beschwer im Einzelnen s. oben vor § 511 Rdn. 2 3 ff. Zum Begriff des Beschwerdegegenstandes und zu seiner Berechnung s. oben § 511 Rdn. 4 3 ff. Auch in der Revisionsinstanz gilt für den Kläger die formelle Beschwer, während beim Beklagten die Beschwer materiell bestimmt werden kann.
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Im Ergebnis setzt eine zulässige Revision neben dem Erfolg im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde voraus, dass der Revisionskläger sein Rechtsschutzbegehren in der Revisionsinstanz in einem Umfang verfolgt, bei dem der Wert seines Beschwerdegegenstandes E U R 2 0 0 0 0 , 0 0 übersteigt. Diese Voraussetzung ist nur gegeben, wenn der Beschwerdeführer und spätere Revisionskläger neben dem genannten Antragserfordernis auch Gründe für die Zulassung der Revision geltend macht, bei deren Vorliegen letztlich die Wertgrenze überschritten werden kann. Ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Beschwerde ist es insoweit, ob die geltend gemachten Zulassungsgründe auch tatsächlich zu bejahen sind 1 1 . Soweit Teile des Prozessstoffs der Berufungsinstanz abgrenzbar und einer beschränkten Revisionszulassung zugänglich sind, muss die Wertgrenze für jeden Teil des Prozessstoffs überschritten sein 1 2 . Eine Wertaddition kommt auch nicht in Betracht, wenn im Rahmen einer Klage von Streitgenossen oder Gegenstreitgenossen die geltend gemachten Ansprüche wirtschaftlich identisch sind. Soweit mehrere Beklagte als Gesamtschuldner zur Zahlung verurteilt sind, darf maximal der Einfachbetrag der Verurteilung angesetzt werden. Dieser Betrag kann nicht mit der Anzahl der verurteilten Beklagten vervielfältigt werden 1 3 .
v. Gierke/Seiler, J Z 2003, 404; Ullmann, WRP 2002, 595; Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 544 Rdn. 4. « BGH, NJW-RR 2003, 159; BGH, NJW 2002, 2720; Piekenbrock/Schulze, J Z 2002, 911; Musielak/Ball, § 544 Rdn. 6. 8
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BGH, BGH, BGH, BGH,
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NJW 2005, 224. NJW 2002, 2720. NJW 2005, 224. MDR 2004, 406.
2. Abschnitt. Revision
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VI. Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde Die Nichtzulassungsbeschwerde ist ein echtes Rechtsmittel (s. oben IV). Sie unter- 1 5 liegt daher den allgemeinen Regeln und Voraussetzungen der Rechtsmittel. Insbesondere ist zwischen der Zulässigkeit und der Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde zu unterscheiden. 1. Nichtzulassung der Revision Selbstverständliche Grundvoraussetzung einer Nichtzulassungsbeschwerde ist es, 1 6 dass das Berufungsgericht die Revision in seinem Urteil nicht zugelassen hat. Dabei sind alle Möglichkeiten und Verfahrensweisen im Rahmen der Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts in die Prüfung einzubeziehen (s. oben § 543 V). Soweit das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat, ist es an diese Nichtzulassungsentscheidung gebunden und nicht zu einer Abänderung befugt (§ 318). 2. Beschwer Eine zulässige Beschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer durch das 17 angegriffene Berufungsurteil beschwert ist. Dies ergibt sich nach allgemeinen Regeln aus dem Rechtsmittelcharakter der Nichtzulassungsbeschwerde 14 . Zum Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer, der bis zum 31.12.2006 den Betrag von 20000 Euro übersteigen muss, s. im Einzelnen oben Rdn. 9 f. 3. Zuständigkeit Die Nichtzulassungsbeschwerde ist in der gesetzlich vorgeschriebenen Form und 1 8 Frist beim Bundesgerichtshof einzulegen. Die vor dem 01.01.2005 aufgetretene Frage, ob im Falle landesrechtlicher Fragen eine Einlegung beim BayObLG in Betracht kommt, ist gegenstandslos. Dieses Oberste Landesgericht ist mit Wirkung zum 3 0 . 0 6 . 2 0 0 6 aufgelöst und besitzt seit dem 01.01.2005 für neue Rechtssachen keine Zuständigkeit mehr. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde statt beim BGH bei einem anderen Gericht eingelegt und ist deshalb die Rechtsmittelfrist versäumt worden, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Eine solche Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn zwischen dem Eingang beim unzuständigen Gericht und dem Fristablauf eine solche Zeitspanne liegt, dass das unzuständige Gericht den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang unter Fristwahrung an das zuständige Gericht hätte weiterleiten können 1 5 . 4. Frist Gem. Abs. 1 Satz 2 ist die Nichtzulassungsbeschwerde binnen einer Notfrist von 1 9 einem Monat ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Berufungsurteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dessen Verkündung einzulegen. Die Frist beginnt mit dem Tage der wirksamen Zustellung einer vollständigen Urteilsausfertigung oder einer beglaubigten Abschrift von Amts wegen, sofern das 14
Wie hier M ü K o - Z P O / W W / , § 544 R d n . 2 aE, der allerdings in R d n . 1 seiner Kommentierung den Rechtsmittelcharakter der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug auf die H a u p t s a c h e verneint.
15
BVerfG, N J W 2005, 2137 (im konkreten Fall handelte es sich u m eine Zeitspanne von 9 Tagen).
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Urteil ordnungsgemäß verkündet war. Jedoch kann die Beschwerde schon vor Fristbeginn eingelegt werden. Soweit Zustellungs- oder Verkündungsmängel vorliegen, ist die Beschwerde spätestens bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung einzulegen. Fehlt es an einer Verkündung gänzlich, so liegt ein wirksames Urteil nicht vor, so dass eine Frist nicht in Gang gesetzt werden kann 1 6 . Der Gesetzgeber hat die Frist als Notfrist ausgestaltet. Damit ist im Falle der Versäumung der Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich. Im Falle einer Berichtigung des Berufungsurteils gem. § 319 ist dies für den Beginn und den Lauf der Beschwerdefrist ohne Bedeutung 17 . 5. Anwaltszwang 20
Die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde durch Einreichung einer Beschwerdeschrift unterliegt dem Anwaltszwang. Dabei muss die Beschwerdeschrift durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein 18 . Dies wird man insbesondere aus Abs. 6 Satz 1 und 2 entnehmen müssen, wonach das Beschwerdeverfahren im Falle eines Erfolgs als Revisionsverfahren fortgesetzt wird und in diesem Falle die Beschwerdeschrift als Einlegung der Revision gilt. Die Revisionsschrift selbst ist aber unzweifelhaft durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zu unterzeichnen und einzureichen. Auch ein Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 719 Abs. 2 muss im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt gestellt werden 19 .
21
Da zwischen der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine Berufungsentscheidung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts keinerlei Unterschied besteht, gilt dies alles auch dann, wenn sich die Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Berufungsurteil des Landgerichts richtet. § 569 Abs. 3 Nr. 1 ist nicht anzuwenden. 6. Beschwerdeschrift
22
Erhoben wird die Nichtzulassungsbeschwerde durch Einreichung einer Beschwerdeschrift (Abs. 1 Satz 2). Für deren notwendigen Inhalt gilt § 549 Abs. 1 Satz 2 entsprechend. Im Einzelnen bedeutet dies, dass das Berufungsurteil genau zu bezeichnen ist, gegen das sich die Nichtzulassungsbeschwerde wendet und dass eine Erklärung enthalten ist, wonach die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werde. Darüber hinaus müssen nach allgemeinen Regeln das Beschwerdegericht und die Beschwerdeparteien genau bezeichnet sein. Die Gleichbehandlung von Revision und Nichtzulassungsbeschwerde ist auch hier dem Rechtsgedanken des Abs. 6 zu entnehmen. 7. Anlagen
23
Gem. Abs. 1 Satz 3 soll mit der Beschwerdeschrift eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden. Die Formulierung „soll" bedeutet, dass die erforderlichen Anlagen zwingend einzureichen sind, dass aber eine Verletzung der Vorschrift nicht zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde führt. Im Falle fehlender Anlagen wird das Revisionsgericht die erforderlichen Unterlagen nachträglich anfordern und bis zu deren Eingang das Beschwerdeverfahren nicht betreiben. 16
MüKo-ZPO/Wenze/, § 544 Rdn. 4. " BGH, MDR 2004, 899.
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"
MüKo-ZPO/WfeHze/, § 544 Rdn. 5. BGH, NJW-RR 2004, 936.
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8. Begründung a) Erfordernis. Die Nichtzulassungsbeschwerde bedarf gem. Abs. 2 Satz 1 zwin- 2 4 gend der Begründung. Die form- und fristgerechte Einreichung einer Begründungsschrift ist Voraussetzung der Zulässigkeit der Beschwerde. Allerdings ist im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung das Begründungserfordernis zunächst ein rein formales Kriterium. Ob die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision inhaltlich überzeugend sind, ist keine Frage der Zulässigkeit der Beschwerde. Unzulässig wäre die Nichtzulassungsbeschwerde lediglich, wenn in der Begründung keinerlei angeblich bestehende Zulassungsgründe dargelegt würden. b) Form. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist im Rahmen eines eigenen Begrün- 2 5 dungsschriftsatzes schriftlich abzufassen und beim Revisionsgericht einzureichen. Auch die Begründungsschrift muss durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Es ist zulässig, dass die Begründung in der Beschwerdeschrift selbst enthalten ist, auch wenn dies in der Praxis die große Ausnahme ist. Die Einreichung der Begründungsschrift erfolgt durch das Original. Allerdings hat die Rechtsprechung bei einem solchen bestimmenden fristwahrenden Schriftsatz vielfältige Ausnahmen zugelassen, die dem technischen Fortschritt Rechnung tragen. So ist die Einreichung durch Telegramm oder Fernschreiben zulässig. Ebenso ist die Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax oder auf elektronischem Wege zulässig 20 . Im Falle der Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax muss das Original ebenfalls von einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben sein. Bei elektronischen Dokumenten bedarf es der (elektronischen) Signatur des Rechtsanwalts. Soweit die Übermittlung per Computerfax erfolgt, muss die Textdatei eine eingescannte Unterschrift enthalten. Soweit in diesem Falle im Rahmen der Übermittlung durch Computerfax die Unterschrift in Computerschrift erfolgt, reicht dies nicht aus 21 . Allerdings hat die Rechsprechung vom Grundsatz der eigenständigen Unterschrift weitergehende Ausnahmen zugelassen. Das Fehlen der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten kann nämlich ausnahmsweise unschädlich sein, wenn sich aus anderen evidenten Umständen die Gewähr dafür ergibt, dass der beim BGH zugelassene Rechtsanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Nichtzulassungsbeschwerde bzw. des Begründungsschriftsatzes übernommen und diese Schriftsätze willentlich in den Rechtsverkehr gebracht hat 2 2 . c) Frist. Gem. Abs. 2 ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach 2 6 Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils zu begründen. Im Falle eventueller Verkündungs- oder Zustellungsmängel ist die Begründung bis spätestens zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils erforderlich. Im Übrigen verweist Abs. 2 Satz 2 auf die Regelung in § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6, wonach auf Antrag die Begründungsfrist ebenso wie bei der Revisionsbegründungsfrist verlängert werden kann. In der Praxis ergeben sich immer wieder Schwierigkeiten, insbesondere wenn dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers die Verfahrensakten nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen 23 . Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß der ausdrücklichen Regelung in § 233 bei unverschuldeter Verhinderung, die Frist einzuhalten, zulässig. Dagegen ist eine zweite Verlängerung der Begründungsfrist ohne Einwilligung des Beschwerdegegners nicht zulässig. Zu weiteren Einzelheiten s. unten
Vgl. hierzu insbesondere die Entscheidung des GemS-OGB v. 0 5 . 0 4 . 2 0 0 0 , in: BGHZ 144, 160 = NJW 2 0 0 0 , 2340.
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BGH, NJW 2005, 2 0 8 6 . BGH, NJW 2005, 2086. Vgl. hierzu MüKo-ZPO/Wenzel, § 5 4 4 Rdn. 7.
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§ 551. Die Berichtigung des Berufungsurteils gem. § 319 ist für Beginn und Lauf der Frist ohne Bedeutung 2 4 . 27
d) Begründungsinhalt. N a c h Abs. 2 Satz 3 der Vorschrift muss die Begründungsschrift die geltend gemachten Zulassungsgründe enthalten. Erforderlich ist also eine Darlegung, ob und inwieweit die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder ob eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Nicht ausreichend ist es danach, die Rechtsfehlerhaftigkeit der Berufungsentscheidung darzulegen. Entscheidend ist, ob und in welcher Hinsicht etwa gerügte Rechtsfehler einen der Zulassungstatbestände ausfüllen.
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Die Rechtsprechung des BGH ist im Rahmen der Darlegung der Zulassungsgründe streng. Deren bloße Behauptung reicht in keinem Falle aus 2 5 . Verlangt wird vielmehr ein substantiierter Vortrag zu den Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes. Soweit die Rechtsprechung entgegen der hier vertretenen Auffassung die mangelnde Entscheidungsgrundlage wegen Verstoßes gegen § 540 nicht als Zulassungsgrund akzeptiert, wird von der Partei verlangt, dass sie den im Berufungsurteil nicht enthaltenen Streitstoff vorträgt und den sich daraus ergebenden Zulassungsgrund darlegt. Auch bei allen anderen Verfahrensfehlern verlangt die Rechtsprechung, dass die Grundlagen der geltend gemachten Verfahrensrüge im Einzelnen dargelegt werden, der Verfahrensfehler selbst bezeichnet wird und zusätzlich dargelegt wird, warum dieser Verfahrensfehler einen Revisionszulassungsgrund ausfüllt.
29
Im Hinblick auf Abs. 6 ist weiterhin erforderlich, dass schon in der Beschwerdebegründung deutlich gemacht wird, in welchem Umfang das Berufungsurteil angefochten werden soll. Davon zu unterscheiden ist die eigentliche Revisionsbegründung, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich ist (vgl. Abs. 6 Satz 3). Daraus ergibt sich, dass ausdrücklich formulierte Anträge und die genauen Revisionsrügen im Einzelnen nicht in der Beschwerdebegründung enthalten sein müssen. In der Praxis werden sich freilich die beabsichtigten Revisionsrügen teilweise mit den Zulassungsgründen überschneiden, so dass eine saubere Trennung wohl k a u m möglich sein wird.
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Obgleich die Revision eine reine Rechtsinstanz ist, wird man zur Substantiierung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe auch neuen Tatsachenvortrag zulassen müssen. Allerdings müssen sich eventuelle neue Tatsachen immer nur auf den jeweils geltend gemachten Zulassungsgrund richten, nicht auf die Ausfüllung späterer Revisionsrügen.
31
e) Fehler der Beschwerdebegründung. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist eine zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung. Die Nichtzulassungsbeschwerde muss deshalb als unzulässig verworfen werden, wenn eine Begründung gänzlich fehlt oder wenn die Begründung fehlerhaft oder unzureichend ist. Dies ist insbesondere dann zu bejahen, wenn in der Begründung nicht deutlich wird, welcher Zulassungsgrund sich aus dem Berufungsurteil ergibt. Z u r Unzulässigkeit würde es weiterhin führen, wenn sich eine Beschwerdebegründung nur mit Fragen auseinandersetzt, die nicht revisibel sind oder die nicht zu den entscheidungserheblichen Erwägungen des Berufungsgerichts gehören. Dagegen ist es unschädlich, wenn der Beschwerdeführer einen Zulassungsgrund inhaltlich genügend darlegt, seine Dar24
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BGH, MDR 2004, 899.
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BGHZ 152, 182, 185 = NJW 2003, 65.
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legung aber unter einen nicht zutreffenden Zulassungsgrund subsumiert. Würde also die Beschwerdebegründung den substantiierten Nachweis enthalten, dass die Berufungssache grundsätzliche Bedeutung aufweist und hätte der Beschwerdeführer geltend gemacht, eine Zulassung sei zur Fortbildung des Rechts erforderlich, so wäre dieser Irrtum unschädlich 26 . Nach der hier vertretenen Auffassung muss dies schon deshalb gelten, weil sich das Erfordernis einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung als ein Unterfall des Begriffs der grundsätzlichen Bedeutung auffassen lässt. Auch wer dem nicht zustimmt, wird schwerlich bestreiten können, dass die im Gesetz genannten Zulassungsgründe erhebliche Überschneidungen aufweisen. Schon deshalb kann der Streit um die Subsumtion unter einen der drei gesetzlich genannten Zulassungsgründe nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde führen. Die Rechtsprechung ist bei der genauen Darlegung der Zulassungsgründe in der 3 2 Beschwerdebegründung streng. So soll es nicht ausreichen, wenn auf eine Beschwerde- oder Revisionsbegründung in einem anderen Verfahren Bezug genommen wird. Ebenfalls nicht ausreichend soll es sein, wenn auf den Schriftsatz eines Instanzanwalts im gleichen Verfahren Bezug genommen wird 2 7 . Dem wird man nur zustimmen können, wenn es sich bei einer solchen Bezugnahme um eine Beschwerdebegründung handelt, die sich mit dem entscheidenden Berufungsurteil selbst in keiner Weise auseinandersetzt. Eine ergänzende Bezugnahme erscheint dagegen zulässig. Zulässig ist es auch, wenn bei mehreren Rechtsmittelklägern ein Beschwerdeführer auf die Beschwerdebegründung eines anderen Beschwerdeführers verweist. Ausreichend ist ferner die Begründung durch den Streithelfer des Beschwerdeführers 28 .
VII. Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde Nach allgemeinen Regeln prüft das Revisionsgericht zunächst, ob die Nichtzulas- 3 3 sungsbeschwerde zulässig ist (s. oben VI.). Im Falle der Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird eine Prüfung der Begründetheit nicht vorgenommen, sondern die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen. Anderenfalls prüft bei zulässiger Beschwerde das Revisionsgericht von Amts wegen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß den gesetzlichen Gründen (§ 543 Abs. 2) erfüllt sind. Ist nach der Auffassung des Revisionsgerichts im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde ein Zulassungsgrund gegeben und hat sich dieser vor der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts in anderer Sache erledigt, so ist nach der Rechtsprechung des BGH die Revision gleichwohl zuzulassen, wenn sie Aussicht auf Erfolg hat 2 9 . Entsprechend dem Zweck des Revisionszugangs, der Rechtsfortbildung bzw. der Rechtseinheit zu dienen, kann es im Rahmen dieser Begründetheitsprüfung weiterhin nicht mehr darauf ankommen, welchen Zulassungsgrund der Beschwerdeführer im Einzelnen vorgetragen hat. Hat er eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, so muss das Revisionsgericht alle in Betracht kommenden Zulassungsgründe prüfen 3 0 . Die deutlich strengere Rechtsprechung des BGH verlangt, dass auch in der Begründetheit nur 26 27 28 29
Vgl. BAG, M D R 2005, 825. Vgl. dazu MüKo-ZPO/Wfenze/, § 544 Rdn. 10. Vgl. BGH, N J W 1999, 2 0 4 6 . BGH, NJW-RR 2005, 438; BGH, N J W 2005, 154; BGH, N J W 2 0 0 4 , 3188. Mit dieser Rechtsprechung hat der BGH seine frühere abwei-
30
chende Auffassung aufgegeben, vgl. BGH, N J W 2003, 1609; kritisch zu dieser früheren Judikatur Scheuch/Lindner, N J W 2005, 112; Seiler, N J W 2003, 2 2 9 0 ; Baumert, MDR 2004, 71. Wie hier Musielak/ßa//, § 544 Rdn. 2 2 a; Büttner, BRAK-Mitt. 2003, 2 0 2 , 206.
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solche Zulassungsgründe geprüft werden, die der Beschwerdeführer schlüssig und substantiiert dargelegt hat und auf die er sich auch berufen hat 3 1 . Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde begründet ist, wird gem. Abs. 6 das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt (s. unten VIII. 5.). Allerdings hält es die Rechtsprechung auch für möglich, einer begründeten Nichtzulassungsbeschwerde dadurch stattzugeben, dass in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das Berufungsurteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird 3 2 . In diesem Falle wird also im Beschluss weder die Zulassung der Revision ausgesprochen noch das Verfahren nach Abs. 6 als Revisionsverfahren fortgeführt.
VIII. Verfahren und Entscheidung 1. Rechtliches Gehör 34
Nach der ausdrücklichen Anordnung von Abs. 3 gibt das Revisionsgericht dem Gegner des Beschwerdeführers die Gelegenheit zur Stellungnahme und gewährt ihm damit nach allgemeinen Regeln rechtliches Gehör. Im Einzelnen bedeutet dies, dass das Revisionsgericht dem Gegner die Beschwerdeschrift und insbesondere die Schrift zur Beschwerdebegründung zustellt. Für die Stellungnahme des Gegners ist im Gesetz eine Frist nicht vorgesehen. Eine solche wird der zuständige Senat aber bereits dadurch setzen können, dass er dem Gegner mitteilt, wann mit einer Entscheidung des Senats zu rechnen ist.
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Eine Anhörung der Gegenpartei ist nicht erforderlich, wenn der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verwirft. Im übrigen ist die Frage, ob die Nichtzulassungsbeschwerde voraussichtlich Erfolg haben wird oder nicht, für die Anhörung der Gegenseite ohne Bedeutung 33 . 36 Zur Frage der Anschlussrevision der Gegenseite s. unten § 554. 2. Suspensiveffekt 37
Nach der ausdrücklichen Anordnung von Abs. 5 Satz 1 hemmt die Nichtzulassungsbeschwerde den Eintritt der formellen Rechtskraft des Berufungsurteils. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat also Suspensiveffekt. Dies ist (anders als die Frage des Devolutiveffektes) unstreitig. Auch die rechtliche Konsequenz einer entsprechenden Anwendung von § 719 Abs. 2 und 3 ist ausdrücklich vorgesehen (Abs. 5 Satz 2). Das Revisionsgericht kann also auf Antrag die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung anordnen 3 4 . Letztlich tritt die formelle Rechtskraft ein, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde durch das Revisionsgericht als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird. 3. Entscheidung
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Das Gericht prüft von Amts wegen, ob die Merkmale für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde vorliegen (s. oben VI.). Im Falle eines Zulässigkeitsmangels wird die Beschwerde vom BGH durch Beschluss als unzulässig verworfen. 31
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BGH, NJW 2003, 754; BGH, NJW 2003, 1125; BGHZ 152, 7 = NJW 2002, 3334; Wenzel, NJW 2002, 3353, 3359. BGH, NJW 2005, 1950. Wie hier MüKo-ZPO/W
BGH NJW-RR 2 0 0 3 , 1075.
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Nr. 2). Die Formulierung entspricht § 543 II. Auf die dortige Kommentierung wird verwiesen. 19 Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, muss vom Rechtsbeschwerdegericht geprüft werden. Werden sie verneint, ist die Rechtsbeschwerde nach § 577 I als unzulässig zu verwerfen. Die Prüfung der Voraussetzungen des § 574 II hat auch dann zu erfolgen, wenn das Rechtsbeschwerdegericht irrig die Rechtsbeschwerde nach § 574 I Nr. 2 zugelassen hat, tatsächlich aber ein Fall des § 574 I Nr. 1 vorliegt. 40 Hinsichtlich des entscheidungserheblichen Zeitpunkts kann eine Parallele zur Nichtzulassungsbeschwerde gezogen werden. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde. 41 Eine zunächst zulässige Rechtsbeschwerde kann daher nach Einlegung unzulässig werden. 4 2 20
Bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe können die Voraussetzungen des § 574 II nur erfüllt sein, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen der Bewilligung geht. 43 Das Prozesskostenhilfeverfahren hat nicht den Zweck, zweifelhafte Rechtsfragen einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen. Ist eine solche erforderlich, hat die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg. 44 Wird stattdessen irrig Prozesskostenhilfe verweigert und die Rechtsbeschwerde zugelassen, ist das Rechtsbeschwerdegericht nach § 574 III 2 zwar an die Zulassung gebunden. Der Beschluss ist jedoch aufgrund des Gebots der Rechtsschutzgleichheit aufzuheben (Art. 3 I iVm. Art. 20 III GG). Im Verfahren der Prozesskostenhilfe kann dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts bewilligt werden. Der Grundsatz, dass für das Prozesskostenhilfeverfahren Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden kann, soll dem nicht entgegenstehen. 45
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Auch bei der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wird, sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 II zu prüfen. 4 6 Für die gegenteilige Ansicht 47 findet sich im Gesetz keine Stütze: Es fehlt an einer § 547 aF vergleichbaren Vorschrift. 22 Diese Zulässigkeitsprüfung ist von der Statthaftigkeitsprüfung nach § 574 I zu trennen. Ist die Rechtsbeschwerde schon nach § 574 I nicht statthaft, kommt es nicht mehr auf die Zulässigkeitsprüfung nach § 574 II an. Daher kann auch die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 II nicht damit begründet werden, die Frage der Statthaftigkeit habe grundsätzliche Bedeutung. 48 23
b) Grundsätzliche Bedeutung, § 574 II Nr. 1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann. 4 9 Dies soll nicht der Fall sein, wenn die Beurteilung von besonderen Umständen des Einzelfalles abhängt. 5 0 Ist dies auch im Ausgangspunkt zutreffend, so erscheint dennoch Zurückhaltung geboten: Im Ergebnis ist jede gerichtliche Entscheidung von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Auf Zweifel trifft es daher, 40 41 42
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BGH, MDR 2004, 1074. BGH NJW 2003, 3781, 3782. Vgl. zur Nichtzulassungsbeschwerde BGH NJW 2003, 1609. BGH NJW 2003,1126, 1127. BGH NJW 2003, 1126, 1127; BGH, NJW 2004, 2022. BGH NJW 2003, 1192. BGH NJW 2003, 2172.
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So anscheinend Piekenbrock/Schulze JZ 2002, 911, 920. BGH NJW 2002, 2473; zweifelnd Seiler/Wunsch NJW 2003, 1840, 1843. BGH NJW 2002, 3029; NJW 2003, 437; BT(-Drucks.) 14/4722, S. 67,104. BGH NJW 2002, 3029, 3030 (Verletzung der Sorgfaltspflicht durch einen Rechtsanwalt).
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3. Abschnitt. Beschwerde
§574
wenn die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde bei der Überlassung der Fristenberechnung an eine Sekretärin in der Übergangszeit geänderter Vorschriften mit der Begründung abgelehnt wird, es werde keine abstrakte, der Verallgemeinerung zugängliche Frage aufgeworfen. 5 1 Wird eine Rechtsbeschwerde mit einheitlichem Verfahrensgegenstand auf mehrere Gesichtspunkte gestützt, so ist sie, falls auch nur einer der Gesichtspunkte eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 5 7 4 II Nr. 1) berührt, insgesamt zulässig. 5 2 Z u m Prüfungsumfang in diesem Fall § 5 7 7 Rdn. 3. c) Rechtsfortbildung/Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, § 5 7 4 Π Nr. 2 . Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Fortbildung des Rechts ist dann erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. 5 3
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Z u r Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in den Fällen der Divergenz geboten. 5 4 Die Rechtsbeschwerde kann in diesem Fall sowohl auf materiell-rechtliche als auch auf verfahrensrechtliche Fehler gestützt werden. 5 5 Sie ist zulässig, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen. Dies ist der Fall, wenn ein Gericht in ständiger Rechtspraxis eine höchstrichterliche Rechtsprechung 5 6 übergeht, nicht aber bei verfehlten Einzelentscheidungen. 5 7 Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn die Entscheidung einen Nachahmungseffekt auslösen könnte 5 8 oder die Gefahr der Wiederholung besteht. 5 9 Erforderlich ist, dass die Entscheidung über eine eventuelle Abweichung hinaus auch einen abweichenden Rechtssatz aufstellt und auf diesem beruht. 6 0
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Z u r Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren. 6 1 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Beschwerdegericht Verfahrensgrundrechte verletzt hat. 6 2 Wird der aus Art. 2 I G G in Verbindung mit dem Rechtsstaatprinzip folgende Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt, ist die Rechtsbeschwerde nach § 5 7 4 II Nr. 2 unabhängig davon zulässig, ob sich der Verstoß im Einzelfall auswirkt. 6 3 Nach einer Entscheidung des B G H vom 1 1 . 0 5 . 2 0 0 4 setzt dieser Zulassungsgrund entgegen der früheren Rechtsprechung 6 4 nicht mehr zusätzlich voraus, dass der Verstoß gegen das Verfahrensgrundrecht oder das Willkürverbot offenkundig ist. 6 5 Verfahrensgrundrechte sind auch dann verletzt, wenn das Beru-
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So BGH NJW-RR 2 0 0 4 , 3 5 0 , 351. BGH ZIP 2 0 0 4 , 518, 519. BGH N J W 2 0 0 2 , 3029, 3 0 3 0 ; BT(-Drucks.) 14/ 4 7 2 2 , S. 104. BGH N J W 2 0 0 2 , 3 0 2 9 , 3 0 3 0 ; NJW 2 0 0 3 , 65, 6 6 ; BT(-Drucks.) 1 4 / 4 7 2 2 , S. 67, 104. BGH N J W 2 0 0 2 , 2 4 7 3 , 2 4 7 4 . Genügend ist auch das Abweichen von einer gefestigten Rechtsprechung der Instanzgerichte: BGH NJW-RR 2 0 0 3 , 229. BGH N J W 2 0 0 2 , 2 4 7 4 ; BGH ZInsO 2 0 0 3 , 216. BGH NJW 2 0 0 2 , 2 4 7 4 . BGH (VIII ZB 134/02) NJW-RR 2 0 0 3 , 1366. BGH (VI Z B 7 6 / 0 2 ) NJW-RR 2 0 0 3 , 1366, 1367. BGH N J W 2 0 0 2 , 3 0 2 9 , 3 0 3 0 ; BT(-Drucks.) 14/ 4 7 2 2 , S. 104, 116.
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BGH N J W 2 0 0 2 , 3 0 2 9 , 3 0 3 0 ; NJW 2 0 0 3 , 65; NJW 2 0 0 3 , 831; NJW-RR 2 0 0 3 , 1366, 1367; BGH (VI ZB 6 3 / 0 3 ) NJW-RR 2 0 0 4 , 1717; BGH ( X Z B 4 5 / 0 3 ) NJW-RR 2 0 0 4 , 1717, 1718. BGH NJW 2 0 0 4 , 367, 3 6 8 ; zur Abgrenzung von Art. 2 I GG iVm. Art. 2 0 III GG einerseits und Art. 19 IV GG andererseits BVerfGE 101, 3 9 7 (404, 4 0 7 ) . So zuletzt B G H Z 152, 182 (189f, 192). BGH, N J W 2 0 0 4 , 2 2 2 2 , 2 2 2 3 unter ausdrücklicher Aufgabe von B G H Z 152, 182 (189 f, 192) = N J W 2 0 0 3 , 65; schon zuvor kritisch zum Kriterium der Offenkundigkeit Ball FS Musielak ( 2 0 0 4 ) S. 27, 4 2 f.
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fungsgericht den Beschluss über die Nichtzulassung der Berufung nicht begründet hat. 6 5 a 27
Wenn eine Rechtsfrage durch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte geklärt ist, dann führt die nun gegebene Rechtsbeschwerde zum B G H nicht dazu, dass eine höchstrichterliche Klärung erforderlich ist. 66 Nicht verwechselt werden darf dies mit der - abzulehnenden - „außerordentlichen Rechtsbeschwerde" wegen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten. 2. Zulässigkeit bei Statthaftigkeit kraft Zulassung, § 574 III
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Wenn die Rechtsbeschwerde kraft Zulassung in Betracht kommt, muss das Beschwerdegericht (bzw. das Berufungsgericht oder das O L G im ersten Rechtszug) nach § 574 I Nr. 2 die Rechtsbeschwerde zulassen, sofern die Voraussetzungen des § 574 II (grundsätzliche Bedeutung/Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung) vorliegen. Es gilt das oben (Rdn. 23 ff) Ausgeführte.
29
Die Entscheidung ergeht von Amts wegen. 6 7 Die Zulässigkeit muss im Beschluss ausgesprochen werden, praktikablerweise bereits im Tenor. 68 In Bayern muss - bindend für das bestimmte Rechtsbeschwerdegericht - mitentschieden werden, ob das BayObLG oder der B G H zuständig ist, § 7 I EGZPO. Unterbleibt die Zulassung zunächst, ist nach der Rechtsprechung des B G H eine Ergänzungsentscheidung entsprechend § 321, mit der die Rechtsbeschwerde zugelassen wird, unzulässig. 6 9 Dies überzeugt dann, wenn man den Beschluss, mit dem über die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde entschieden wird, für bindend hält. Dann wird mit der nachträglichen Zulassung entgegen § 318 eine bereits getroffene Entscheidung revidiert (vgl. zur Bindungswirkung von Beschlüssen ausführlich vor § 567 Rdn. 35ff). Möglich ist es aber, bei der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts analog § 321a möglich, die Rechtsbeschwerde ergänzend zuzulassen. 7 0
30
Im Verfahren vor dem Beschwerdegericht muss das Zusammenspiel von § 568 II Nr. 2 und § 574 II 1 beachtet werden: Hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, muss der Einzelrichter das Verfahren dem Spruchkörper übertragen. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Einzelrichter wegen grundsätzlicher Bedeutung des Verfahrens ist daher fehlerhaft und nicht ohne Konsequenz, wofür eigentlich § 568 S. 3 spricht: Aufgrund des Verstoßes gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG) unterliegt die Entscheidung der Aufhebung von Amts wegen. 71
31
An die Entscheidung über die Zulassung (oder Nichtzulassung) ist das Rechtsbeschwerdegericht gebunden, § 574 III 2. Die Beschwerde kann bei Statthaftigkeit kraft Zulassung nicht mit der Begründung, das Beschwerde- oder Berufungsgericht habe die Beschwerde zu Unrecht zugelassen, als unzulässig verworfen werden. 7 2 Auch gibt es keine Nichtzulassungsbeschwerde. Umgekehrt sind nur in den Fällen des § 574 I 1 (Statthaftigkeit kraft Gesetzes) die Voraussetzungen des § 574 II vom Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen. Bindungswirkung entfaltet auch die verfahrensfehlerhafte Zulassung durch den Einzelrichter. 73 * BGH NJW-RR 2005, 78. BGH NJW 2002, 2945 f; NJW-RR 2003, 1691, 1692. 67 Zö\\et2VGummer § 574 Rdn. 14. 68 Zöller 24 /Gummer § 574 Rdn. 14. 69 BGH NJW-RR 2002, 1621 f; NJW 2004, 779 f. 70 BGH, NJW 2004, 2529.
65
71
66
300
72 73
BGH N J O Z 2003, 1113; BGH NJW 2003, 1254, 1255; BGH NJW-RR 2003, 936; NJW 2003, 3712; BGH WuM 2003, 637; BGH NJW 2004, 223; BGH WuM 2004, 162. BGH N J O Z 2003, 1113. BGH NJW 2003, 3712.
Volker J ä n i c h
3. Abschnitt. Beschwerde
§574
Eine Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts besteht allerdings dann nicht, wenn das Ausgangsgericht in einem Fall des § 5 7 4 I Nr. 1 (Statthaftigkeit kraft Gesetzes) die Rechtsbeschwerde nach § 5 7 4 I Nr. 2 zugelassen hat. § 5 7 4 weist die Entscheidungskompetenz über das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen dem Rechtsbeschwerdegericht zu. 74 Der Eingriff des Ausgangsgerichts in den Kompetenzbereich des Rechtsbeschwerdegerichts kann keine Bindungswirkung entfalten. Hat also das Ausgangsgericht in einem Fall des § 5 7 4 I Nr. 1 irrig die Rechtsbeschwerde zugelassen, kann das Rechtsbeschwerdegericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig verwerfen, wenn die Voraussetzungen des § 5 7 4 II nicht erfüllt sind. 75 Ebenso besteht keine Bindungswirkung, wenn das Gesetz die Anfechtung ausschließt, irrig aber die Rechtsbeschwerde zugelassen worden ist, vgl. oben Rdn. 14.
32
Anders als im Revisionsrecht (§ 5 4 4 ) gibt es im Rechtsbeschwerdeverfahren keine Nichtzulassungsbeschwerde. Bei den in der Regel weniger bedeutsamen Nebenentscheidungen ist es nach Ansicht des Gesetzgebers nicht erforderlich, dass mehrere Gerichte die Voraussetzung für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde prüfen. Dies diene zudem der Entlastung des Bundesgerichtshofes. 76 Auch soll eine Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtlich nicht geboten sein. 76a
33
IV. Anschlussrechtsbeschwerde, § 574 IV Ähnlich wie § 5 6 7 III eröffnet § 5 7 4 IV die Möglichkeit einer unselbständigen Anschlussrechtsbeschwerde. Auf die Möglichkeit einer selbständigen Anschlussrechtsbeschwerde ist vom Gesetzgeber aus den gleichen Gründen wie bei § 5 6 7 verzichtet worden. 7 7 Eine Anschließungsmöglichkeit bedarf der Beschwerdegegner allein in den Fällen, in denen er von einer Einlegung der Beschwerde abgesehen hat, weil er hoffte, auch der Gegner werde keine Beschwerde einlegen. Nur wenn diese Hoffnung enttäuscht wird, besteht ein Bedürfnis für ein Anschlussrechtsmittel. Die Zulässigkeit der Anschlussrechtsbeschwerde ist akzessorisch von der Rechtsbeschwerde. Eine separate Zulässigkeitsprüfung oder Zulassung ist nicht erforderlich.
34
Die Rechtsbeschwerde ist binnen eines Monats (Notfrist) nach Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde einzulegen, § 5 7 4 IV 1. Die Einreichung der Anschlussrechtsbeschwerde erfolgt durch Einreichen einer Rechtsbeschwerdeanschlussschrift. Bereits in dieser Anschlussschrift muss die Begründung, die den Anforderungen des § 5 7 5 III zu genügen hat, erfolgen (§ 5 7 4 IV 2). § 5 7 4 IV 3 bringt die Unselbständigkeit der Anschlussrechtsbeschwerde zum Ausdruck: Wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird, verliert die Anschlussrechtsbeschwerde ihre Wirkung.
35
V. Gebühren Eine allgemeine Regelung zu den Gerichtsgebühren findet sich in Nr. 1820 ff K V GKG nF. Daneben gibt es für eine Reihe von Rechtsbeschwerden spezielle Gebührentatbestände (Beispiele: K V Nr. 1330 ff (Rechtsbeschwerde in Folgesachen); K V Nr. 1628 f: schiedsrichterliches Verfahren).
Begr. Regierungsentwurf, BT(-Drucks.) 14/4722, S. 116. BGH NJW-RR 2003, 784; aA Seiler/Wunsch NJW 2003, 1840, 1842f.
76 76a 77
BT(-Drucks.) 14/4722, S. 116. BGH NJW-RR 2005, 294 f. BT(-Drucks.) 14/4722, S. 116.
Volker Jänich
301
36
§575
Drittes Buch. Rechtsmittel
37
BRAGO: Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist nach der Rechtsprechung des BGH in den Fällen des § 574 I Nr. 2 (Zulässigkeit kraft Gesetzes) nicht eine 5/10Gebühr nach § 61 I Nr. 1 BRAGO, sondern eine 13/10-Gebühr entsprechend §§ 66, 11 I Nr. 4 BRAGO anzusetzen. 78 Noch offen ist, ob in den Fällen des § 574 I Nr. 1 aufgrund des erhöhten Begründungsaufwands entsprechend § 111 4, 5 BRAGO eine 20/10 Gebühr verlangt werden kann. 7 9
38
RVG: Für eine Reihe von Beschwerdeverfahren gelten die Regelungen gemäß Vorbemerkung 3,2,1 und 3.1 II des Vergütungsverzeichnisses. Sind diese Bestimmungen nicht anwendbar, fällt die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3502 an.
§575 Frist, Form und Begründung der Rechtsbeschwerde (1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten: 1. die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und 2. die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden. (2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. (3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten: 1. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge), 2. in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2, 3. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar a) die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; b) soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben. (4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen. (5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.
78
BGH, NJW-RR 2004, 502; BGH, NJW-RR 2004, 1293.
302
79
Vgl. BGH, NJW-RR 2004,1293, 1293 f.
Volker Jänich
3. Abschnitt. Beschwerde
§575
Übersicht Rdn
Rdn
I. Zweck, Funktion II. Frist, Inhalt, Form der Einlegung der Rechtsbeschwerde, § 5 7 5 I 1. Frist, zuständiges Gericht
.
2-
2. Die Rechtsbeschwerdeschrift
5
3-
7 - 8
2. Inhalt der Begründung
9-11
IV. § 5 7 5 IV
12-13
V. § 5 7 5 V
14-15
2
. .
1. Begründungsfrist
5
III. Begründung der Rechtsbeschwerde, § 5 7 5 11, ΙΠ
6-11
I. Zweck, Funktion § 5 7 5 bestimmt die Anforderungen, die an die Einlegung der Rechtsbeschwerde 1 zu stellen sind. Ausgehend von der Funktion des Rechtsbeschwerdeverfahrens orientiert sich § 5 7 5 an den Revisionsvorschriften 1 , also den §§ 5 4 8 - 5 5 1 . Auf die dortige Kommentierung kann ergänzend verwiesen werden.
II. Frist, Inhalt, Form der Einlegung der Rechtsbeschwerde, § 5 7 5 I 1. Frist, zuständiges Gericht Die Rechtsbeschwerde muss innerhalb einer Notfrist (§ 2 2 4 I 2) von einem Monat eingelegt werden, § 575 I 1. Die Frist beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, der angegriffen werden soll. Eingelegt werden muss die Rechtsbeschwerde beim Rechtsbeschwerdegericht. K a m l a die Zuständigkeit des B G H oder des BayObLG in Betracht, war die Rechtsbeschwerde gemäß § 7 II 1 E G Z P O immer beim B G H einzulegen. 2 War die Zuständigkeit des BayObLG gegeben, erklärte sich der B G H durch Beschluss für unzuständig. Immer muss die Rechtsbeschwerde von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt eingelegt werden, § 78 I 3 : Die Prozesshandlung „Einlegung der Rechtsbeschwerde" ist vor dem B G H vorzunehmen. Auch ist die Regelung des § 8 E G Z P O aF aufgehoben worden. Auch eine im Verfahren der Rechtsbeschwerde erhobene Anhörungsrüge gem. § 321a muss durch einen beim B G H zugelassenen Anwalt erhoben werden. 3 3
2
2 . Die Rechtsbeschwerdeschrift Die Einlegung der Rechtsbeschwerde erfolgt durch Einreichung einer Rechtsbeschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht, § 575 I 1. Diese muss nach § 575 I 2 enthalten: -
Die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird (§ 5 7 5 I 2 Nr. 1).
1
,a
2
3
Begründung Regierungsentwurf, BT(-Drucks.) 1 4 / 4 7 2 2 , S. 117. Z u r Auflösung des B a y O b L G vgl. Z ö l l e r 2 5 / G u m mer, § 8 E G G V G Rdn. 1 ff. Zur Entscheidungsbefugnis des B a y O b L G vgl. § 5 7 7 Rdn. 2. BGH N J W 2 0 0 2 , 2181; BGH NJW-RR 2 0 0 2 , 1 7 2 1 ; B G H N J W 2 0 0 3 , 7 0 . Wurde unmittelbar nach In-Kraft-Treten der Zivilprozessreform
Rechtsbeschwerde durch einen nicht am B G H zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt, konnte die Annahme eines entschuldigten Rechtsirrtums erwogen werden. N a c h Beseitigung des Irrtums musste dann aber Wiedereinsetzung (§ 2 3 4 I, II) beantragt werden ( B G H N J W - R R 2 0 0 2 , 1721); etwas unklar ZölleT24/Gummer § 5 7 5 Rdn. 4 . 3a
B G H , Beschluss vom 1 8 . 5 . 2 0 0 5 , VIII Z B 3 / 0 5 .
Volker Jänich
303
3
§575 -
Drittes Buch. Rechtsmittel
Die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt wird (S 575 I 2 Nr. 2).
4
Fehlt es an einer eindeutigen Erklärung, kommt eine Umdeutung analog § 140 BGB in Betracht. Diese ist nach allgemeinen Grundsätzen dann möglich, wenn die Voraussetzungen der zulässigen Prozesshandlung eingehalten sind, die Umdeutung dem maßgeblichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht. 4 Typischerweise wird eine Umdeutung jedoch daran scheitern, dass es an den Voraussetzungen - insbesondere form- und fristgerechte Einlegung der Rechtsbeschwerde beim zuständigen Gericht (Rechtsbeschwerdegericht) - fehlt. 5
5
Der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung beigelegt werden (§ 575 1 3). Die Regelungen zur Einlegung der Rechtsbeschwerde durch Rechtsbeschwerdeschrift entsprechen den Revisionsvorschriften der §§ 544 I 3, 549, 5 5 0 I. Auf die dortige Kommentierung wird ergänzend verwiesen.
III. Begründung der Rechtsbeschwerde, § 575 II, III 6
Die Begründungspflicht ist § 551 nachgebildet, so dass auch diesbezüglich auf die dortige Kommentierung verwiesen werden kann. 1. Begründungsfrist
7
Die Begründung kann sowohl mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde als auch mit einer separaten Begründungsschrift erfolgen (§ 575 II 1). Auf die Dauer der Frist hat dies jedoch keinen Einfluss: Immer muss die Begründung innerhalb eines M o nats ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung erfolgen (§ 575 II 2). Eine Verlängerungsmöglichkeit besteht nach § 575 II 3, der § 551 II 5, 6 für entsprechend anwendbar erklärt: Ohne Zustimmung des Gegners kann die Frist vom Vorsitzenden um bis zu zwei Monate, mit Zustimmung auch für einen längeren Zeitraum verlängert werden.
8
Besonderheiten gelten, wenn Prozesskostenhilfe bewilligt wird: Eine wortlautgetreue Auslegung von § 236 II 2 und § 2 3 4 I, II hätte zur Folge, dass die Begründung regelmäßig innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses, also der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren, eingereicht werden müsste. Die hierin liegende Benachteiligung der mittellosen Partei wurde von der Rechtsprechung durch eine verfassungskonforme Auslegung korrigiert: Erwogen wurde, entweder die volle Rechtsbeschwerdebegründungsfrist erst mit Zustellung der Prozesskostenhilfebewilligung in Lauf zu setzen oder aber mit Zustellung der die Wiedereinsetzung bewilligenden Entscheidung eine einmonatige Begründungsfrist beginnen zu lassen. 6 Der Gesetzgeber hat mit dem Justizmodernisierungsgesetz § 234 I modifiziert, wobei die Regelung allerdings hinter der Rechtsprechungsentwicklung zurückbleibt und die Schlechterstellung der bedürftigen Partei nicht vollständig und nicht so überzeugend beseitigt wie die Rechtsprechung des B G H . 7 4
5
B G H F a m R Z 1987, 154; NJW-RR 2001, 279; zur Umdeutung bei Einlegung der sofortigen Beschwerde § 568 Rdn. 18. So beispielsweise im Fall B G H N J W 2 0 0 2 , 1958 (keine Umdeutung einer am 1 4 . 0 1 . 2 0 0 2 beim LG eingereichten „sofortigen und weiteren Beschwerde" in eine Rechtsbeschwerde).
304
« B G H N J W 2003, 3 7 8 2 f im Anschluss an B G H N J W 2003, 3275 für eine versäumte Berufungsbegründungsfrist. 7 § 2 3 4 I 2, angefügt mit Wirkung vom 1 . 9 . 2 0 0 4 durch Art. 1 1. Justizmodernisierungsgesetz v. 2 4 . 8 . 2 0 0 4 (BGBl. I S. 2198). „Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist,
Volker Jänich
3. Abschnitt. Beschwerde
§575
2. Inhalt der Begründung Nach § 575 III muss die Rechtsbeschwerdebegründung enthalten: 9 - Rechtsbeschwerdeanträge (§ 575 III Nr. 1). - Darlegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen in Fällen des § 574 I I (§ 575 III Nr. 2). - Rechtsbeschwerdegründe (§ 575 III Nr. 3). Die Anforderungen an Antrag und Gründe entsprechen § 551 III. Auf die dortige 1 0 Kommentierung wird verwiesen. Die vom Rechtsbeschwerdeführer zu erhebenden Rügen können grundsätzlich 11 nur auf Tatsachen gestützt werden, die nach § 577 II 4 iVm. § 559 I berücksichtigungsfähig sind. 8 Nicht genügend ist es, wenn abstrakt ein gesetzgeberisches Regelungskonzept auf seine Vereinbarkeit mit der Verfassung hin überprüft werden soll. 8a In den Fällen, in denen die Rechtsbeschwerde kraft Gesetzes statthaft ist (§ 574 I Nr. 1), muss der Rechtsbeschwerdeführer darüber hinaus die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 II darlegen, um seiner Begründungspflicht zu genügen. Macht er dies nicht, ist die Rechtsbeschwerde nach § 577 I 2 als unzulässig zu verwerfen (zur Frage der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Darlegungen in der Begründungsschrift vgl. § 577 Rdn. 3).
IV. § 575 IV Nach § 575 IV 1 sind die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden 1 2 Schriftsätze auch auf die Beschwerdeschrift (hier ist das Gesetz ungenau: gemeint ist die Rechtsbeschwerdeschrift) und die Begründungsschrift anzuwenden. Damit gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 130ff. Auch der Streit um das Erfordernis einer Unterschrift entfaltet hier Bedeutung (vgl. § 569 Rdn. 15). Nach § 575 IV 2 sind die Beschwerdeschrift und - gegebenenfalls - die Begrün- 1 3 dungsschrift dem Gegner zuzustellen. Dies ist erforderlich, damit die Frist für die Anschlussrechtsbeschwerde (§ 574 IV 1) in Gang gesetzt wird.
V. § 575 V § 575 V erklärt § 541 und § 570 I, III für entsprechend anwendbar. § 541 betrifft 1 4 das Zusammenwirken von Rechtsbeschwerdegericht und dem Gericht der Vorinstanz. Das Rechtsbeschwerdegericht muss also unverzüglich nach Eingang der Rechtsbeschwerdeschrift vom Gericht der Vorinstanz die Prozessakten anfordern. Nach Erledigung des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind die Akten mit einer beglaubigten Abschrift der im Rechtsbeschwerdeverfahren ergangenen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzusenden. Der Verweis auf § 570 I hat zur Folge, dass die Einlegung der Rechtsbeschwerde 1 5 nur dann aufschiebende Wirkung hat, wenn die angefochtene Entscheidung die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat. Der Verweis auf § 570 III ermöglicht dem Rechtsbeschwerdegericht, vor Erlass der Entscheidung
8
die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde, der Rechtsbeschwerde oder der Beschwerde nach §§ 621 e, 6 2 9 a II einzuhalten." Z u r Berücksichtigung von neuen Tatsachen, die
die Zulässigkeit der Berufung betreffen, wenn Rechtsbeschwerde gegen einen Verwerfungsbeschluss eingelegt w o r d e n ist, vgl. B G H N J W 2 0 0 4 , 71. 8 » B G H M D R 2004, 1250 f.
Volker Jänich
305
§ 576
Drittes Buch. Rechtsmittel
eine einstweilige Anordnung zu erlassen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist dabei nicht darauf beschränkt, nach § 570 III Hs 2 die Vollziehung der mit der Rechtsbeschwerde angefochten Entscheidung, also der Entscheidung des Beschwerdegerichts über die sofortige Beschwerde, auszusetzen. Ebenso kann es nach § 570 III Hs 1 die Vollziehung der Entscheidung der ersten Instanz aussetzen. 9 Zu den Voraussetzungen vgl. § 570 Rdn. 12 ff.
§576 Gründe der Rechtsbeschwerde (1) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf der Verletzung des Bundesrechts oder einer Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt. (2) Die Rechtsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat. (3) Die §§ 546, 547, 556 und 560 gelten entsprechend. Übersiebt Rdn I. Funktion II. Mögliche und ausgeschlossene Beschwerdegründe, § 576 I, II
Rdn
1
III. Verweis auf Vorschriften des Revisionsrechts, § 576 III
4-8
2-3
I. Funktion 1
Ausgehend vom Ziel des Rechtsbeschwerdeverfahrens, Grundsatzfragen auch in Beschwerdesachen höchstrichterlich klären lassen zu können und gleichzeitig eine in Beschwerdesachen unnötige Tatsacheinstanz zu verhindern, beschränkt § 576 den möglichen Verfahrensgegenstand.
II. Mögliche und ausgeschlossene Beschwerdegründe, § 576 I, II 2
Inhaltlich übereinstimmend mit § 545 (auf dessen Kommentierung verwiesen wird) begrenzt § 576 I, II die Gründe, auf die die Rechtsbeschwerde gestützt werden kann. Es kann allein gerügt werden, dass die Verletzung auf revisiblem Recht, also der Verletzung von Bundesrecht oder einer Vorschrift, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt, beruht. Eine erweiternde Auslegung des § 576 I kommt nach der Rechtsprechung des BGH auch dann nicht in Betracht, wenn bei der Anwendung von Landesrecht eine Rechtsbeschwerde zum OLG nicht eingelegt werden kann. 1
3
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist keine weitere Tatsacheninstanz. 2 Die Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung versagenden Beschluss des Berufungsgerichts kann grundsätzlich nicht auf Tatsachen gestützt werden, die nicht schon im '
B G H N J W 2 0 0 2 , 1658.
1 2
306
BGH W M 2004, 444. Vgl. Begründung Regierungsentwurf (-Drucks.) 14/4722, S. 118.
Volker Jänich
BT-
§577
3. A b s c h n i t t . B e s c h w e r d e 2a
Verfahren der Wiedereinsetzung vorgetragen worden sind . Aus Gründen der Prozessökonomie schließt § 576 II (ebenso wie § 545 II) aus, die Rechtsbeschwerde darauf zu stützen, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat.
III. Verweis auf Vorschriften des Revisionsrechts, § 5 7 6 III § 576 III erklärt eine Reihe von Vorschriften des Revisionsrechts für entspre- 4 chend anwendbar. Es sind dies im Einzelnen: - § 546: Definition des Begriffes der Rechtsverletzung. 5 - § 547: Absolute Revisionsgründe. Durch diesen Verweis werden absolute Rechts- 6 beschwerdegründe aufgestellt. Liegt eine der in § 547 genannten Rechtsverletzungen vor, wird die Kausalität der Rechtsverletzung unwiderlegbar vermutet. Ein absoluter Rechtsbeschwerdegrund liegt beispielsweise dann vor, wenn statt des Einzelrichters (§ 568) die Kammer entschieden hat. 3 Gleiches gilt wenn im angefochtenen Beschluss die Sachverhaltsdarstellung fehlt. Diese ist bei Beschlüssen, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, zwingend erforderlich § 547 Nr. 6. 3a -
§ 556: Der Verweis auf § 556 hat zur Konsequenz, dass die Verletzung einer Ver- 7 fahrensvorschrift in der Vorinstanz im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr gerügt werden kann, wenn die Partei das Rügerecht bereits in der Vorinstanz nach § 295 verloren hat. § 560: Feststellungen der Vorinstanz über das Bestehen und den Inhalt von Ge- 8 setzen, auf die die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, sind für das Rechtsbeschwerdegericht bindend. Es handelt sich hierbei um Feststellungen zu ausländischem Recht oder zu inländischem Recht, das nur in dem Bezirk eines Oberlandesgerichtes gilt.
-
§577 Prüfung und Entscheidung der Rechtsbeschwerde (1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen. (2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend. (3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. 2a
3
B G H N J W 2004, 3490, 3491 im Anschluss an B G H Z 156, 165. BGH N J W 2003, 1875, 1877; BGH W u M 2 0 0 4 , 162.
3
» BGH, Beschluss vom 7 . 4 . 2 0 0 5 , IX ZB 63/03.
Volker Jänich
307
§ 577
Drittes Buch. Rechtsmittel
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend. (6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen. Übersicht Rdn I. Funktion II. Zulässigkeitsprüfung, § 577 I III. Prüfungsumfang in der Rechtsbeschwerdeinstanz, § 5 7 7 II
Rdn 1
. . . .
2
IV. Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, § 577III-VI
6-10
3-5
I. Funktion 1
§ 577 regelt den Ablauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens. Die Vorschrift ähnelt damit von der Funktion her § 572. Inhaltlich werden weitestgehend Vorschriften des Revisionsverfahrens (§§ 552, 557, 559, 561-564) für entsprechend anwendbar erklärt oder übertragen.
II. Zulässigkeitsprüfung, § 577 I 2
Das Rechtsbeschwerdeverfahren beginnt mit der Prüfung der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde. Ein Abhilfeverfahren gibt es nicht, wie schon der Verweis in § 575 V auf § 541 zeigt. 1 Fehlt es an einer Zulässigkeitsvoraussetzung, ist die Rechtsbeschwerde nach § 577 I 2 als unzulässig zu verwerfen. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen noch zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen. Fällt beispielsweise die Beschwer weg, wird das Rechtsmittel unzulässig. 13 Wurde vor dem 31.12.2004 eine Rechtsbeschwerde, die weder von Gesetzes wegen eröffnet noch zugelassen worden ist, dem BayObLG vorgelegt, entschied dieses, da es gemäß § 7 1 EGZPO, § 8 EGGVG, Art. 11 AGGVG grundsätzlich neben dem BGH als Rechtsbeschwerdegericht berufen war. 2 Lockerungen des Vorranges der Zulässigkeitsprüfung, wie sie bei § 572 II, III diskutiert werden 3 , sollten auf Grund der revisionsähnlichen Verfahrensausgestaltung trotz des identischen Wortlautes von § 577 II und § 572 II beim Rechtsbeschwerdeverfahren nicht vorgesehen werden. Hinsichtlich der Einzelheiten der Prüfung wird auf die Kommentierung der inhaltsgleichen Vorschrift des § 552 I verwiesen. 1
Z ö l l e r u I G u m m e r § 575 Rdn. 5. BGH NJW-RR 2004, 1365.
308
2 3
BayObLG N J O Z 2002, 1706. Vgl. § 572 Rdn. 44 ff.
Volker Jänich
3. Abschnitt. Beschwerde
§577
III. Prüfungsumfang in der Rechtsbeschwerdeinstanz, § 577 II § 577 II begrenzt in Anlehnung an § 559 I, III (auf die dortige Kommentierung 3 wird ergänzend verwiesen) den Prüfungsumfang des Rechtsbeschwerdegerichts. § 577 II 1 beschränkt den Prüfungsumfang auf die Anträge von Rechtsbeschwerde und (gegebenenfalls) Anschlussrechtsbeschwerde. Nach § 577 II 2 ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe gebunden. Es kann also das materielle Recht für die Anwendung des zu beurteilenden Sachverhalts umfassend nachprüfen. 4 Die Prüfung ist nicht auf die Grundsatzfragen beschränkt, die nach § 574 II zur Zulässigkeit geführt haben: Ist die Beschwerde aus einem Gesichtspunkt, der rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat, zulässig, so ist die Entscheidung insgesamt zu überprüfen. Es ist dann also auch auf nicht rechtsgrundsätzliche Rügen einzugehen. 5 Nach § 577 II 3 darf die Entscheidung auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts 4 wegen zu berücksichtigen sind, nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 III bzw. § 574 IV 2 gerügt worden sind. Der Verweis in § 577 II 3 bezieht sich pauschal auf § 575 III, nicht nur auf § 575 III Nr. 3, der die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe fordert. Daher dürfte es für die Überprüfung genügen, wenn der Verfahrensmangel in der Rechtsbeschwerdeschrift nur genannt wird, um die Zulässigkeit nach § 575 II Nr. 2 (§ 574 I Nr. 2, II) zu begründen. Prüfen muss das Rechtsbeschwerdegericht allerdings von Amts wegen, ob die sofortige Beschwerde zulässig war. Anderenfalls fehlt es an einem gültigen und rechtswirksamen Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht. 6 § 577 II 4 erklärt § 559 (beschränkte Nachprüfung tatsächlicher Feststellungen) für anwendbar. Damit ist das Rechtsbeschwerdegericht an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden. Grundsätzlich können in der Rechtsbeschwerdeinstanz keine neuen Tatsachen und Beweise vorgebracht werden. 7 § 559 I 1 stellt hierzu auf das Parteivorbringen in „dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll" ab. Aus diesem Verweis resultiert eine Pflicht der Vorinstanz zur Begründung der rechtsbeschwerdefähigen Entscheidung. 8
5
IV. Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, § 577 III-VI Liegt eine Rechtsverletzung vor, erweist sich die angefochtene Entscheidung aber 6 aus anderen Gründen als richtig, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen, § 577 III. Die Vorschrift entspricht § 561. Greift § 577 III nicht ein, hat das Rechtsbeschwerdegericht die gleichen Entschei- 7 dungsmöglichkeiten wie das Revisionsgericht. Nach § 577 IV 1 ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, wenn die Rechtsbeschwerde begründet ist. Das Rechtsbeschwerdegericht, das eine Entscheidung zweiter Instanz aufhebt, kann auch in die erste Instanz zurückverweisen, wenn das Beschwerdegericht ohne den Rechtsfehler vernünftigerweise ebenso verfahren hätte. 8 " Anders als in § 538 II wird in § 577 IV das Gericht, an das zurückzuverweisen ist, nicht näher konkretisiert. Gegebenenfalls kann nach § 577 IV 2 in Verbindung mit § 562 II auch das Verfahren aufgehoben werden. Die Zurückverweisung kann 4
s 6
Begründung Regierungsentwurf, BT(-Drucks.) 14/4722, S. 118. BGH ZIP 2 0 0 4 , 518, 519 f. BGH NJW 2 0 0 4 , 1112, 1113. Ebenso zu § 5 5 7 III 2 BGHZ 102, 37, 38; BGH NJW 2001, 226.
7
Vgl. BGH NJW 2 0 0 4 , 71. Vergleiche hierzu noch § 5 7 2 Rdn. 71. »' BGH NJW 2 0 0 4 , 2976, 2979. 8
Volker Jänich
309
§577
Drittes Buch. Rechtsmittel
nicht muss - an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen (§ 5 7 7 IV 3). Die Vorinstanz, an die zurückverwiesen worden ist, wird durch § 5 7 7 IV 4 an die rechtliche Beurteilung des Rechtsbeschwerdegerichts gebunden. 8
§ 5 7 7 V verpflichtet das Rechtsbeschwerdegericht zur abschließenden Sachentscheidung, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Sachverhalt unstreitig oder in dem Sinne geklärt ist, dass alle erforderlichen Feststellungen von der Vorinstanz getroffen worden sind und eine das Verfahren abschließende Entscheidung möglich ist. 9 Eine Ausnahme von der Entscheidungspflicht besteht, wenn lokales Recht entscheidungserheblich ist (§ 5 7 7 V 2 in Verbindung mit § 5 6 3 IV).
9
N a c h § 5 7 7 VI ergeht die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde immer durch Beschluss, also auch dann, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat (§ 128 IV). Greifen Verfahrensrügen nicht durch, lockert § 5 7 7 VI 2 durch einen Verweis auf § 564 den Begründungszwang: Nur bei ordnungsgemäßen Rügen nach § 576 III in Verbindung mit § 5 4 7 (absolute Rechtsbeschwerdegründe) muss eine Begründung erfolgen. Mit dem Justizmodernisierungsgesetz 2 0 0 4 1 0 ist die Begründungspflicht weiter eingeschränkt worden. Von einer Begründung kann auch dann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 5 7 7 VI 3).
10
9
10
Begründung Regierungsentwurf, BT(-Drucks.) 14/4722, S. 119. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR(-Drucks.) 378/03, S. 6. Der Gesetzentwurf ist
310
in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT(-Drucks.) 15/3482 v. 3 0 . 0 6 . 2 0 0 4 ) vom Bundestag verabschiedet worden.
Volker Jänich
VIERTES BUCH
Wiederaufnahme des Verfahrens
Vorbemerkung Schrifttum Baumgärtel/Scherf Ist die Rechtsprechung zur Durchbrechung der Rechtskraft nach § 826 BGB weiterhin vertretbar?, J Z 70, 316; Borck Wiederaufnahme wegen „greifbarer Gesetzwidrigkeit"?, WRP 99, 478 ff; Braun Rechtskraft und Restitution - Erster Teil - Der Rechtsbehelf gemäß § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile (1979); Büttner Unbegriffliche - unbegreifliche „greifbare Gesetzeswidrigkeit", FamRZ 89, 129; Chlosta Zulässigkeit der außerordentlichen Beschwerde, NJW 1993, 2160; Gaul Bemerkungen zur Wiederaufnahme im geltenden und künftigen Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Festschrift für Walter J. Habscheid 1989, 99; Gilles Rechtsmittel im Zivilprozeß - Berufung, Revision und Beschwerde im Vergleich mit der Wiederaufnahme des Verfahrens, dem Einspruch und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, 1972; Grunsky Grenzen der Rückwirkung bei einer Änderung der Rechtsprechung; Jakoby Das Verhältnis der Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO zur Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO, Berlin 1991; Jauernig/Roxin 40 Jahre Bundesgerichtshof, 1991; Kempter Die außerordentlichen Entscheidungen, NJW 93, 2158; Pawlowski Zum außerordentlichen Rechtsschutz gegen Urteile und Beschlüsse bei Verletzung des Rechts auf Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG durch die Zivilgerichtsbarkeit, Berlin 1994; Pawlowski Zu den „außerordentlichen Beschwerden" wegen „greifbarer Gesetzeswidrigkeit" in Zivilprozeß und Praxis, FS für Egon Schneider, Herne, Berlin 1997, 39ff; Prütting/Weth Rechtskraftdurchbrechung bei unrichtigen Titeln, 2. Aufl.; Reinicke Die Kollision zwischen Rechtsfrieden und Gerechtigkeit, NJW, 52, 5; Rüßmann Zur Wiederaufnahme eines Ehescheidungsstreites nach Wiederverheiratung eines der früheren Ehepartners, AcP 1967, 410 ff; Schneider Problemfälle aus der Prozeßpraxis - Der ungesetzliche Richter, MDR 87, 287; Schumann Menschenrechtskonvention und Wiederaufnahme des Verfahrens, NJW 1964, 753; Wax Von der Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit zur Beschwerde wegen unzumutbarer Härte in Verfahrensrecht am Ausgang des 20. Jahrhunderts, in: FS für Gerhard Lüke zum 70. Geburtstag, München 1997, 941 ff; Würthwein Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und materielle Rechtskraft, ZZP 112 (1999), 447 ff. Übersicht Rdn I. Von der Bedeutung der Rechtskraft
Rdn 2. Die Neuregelung des Schiedsverfahrens
II. Die Aufhebung der Rechtskraft im Wiederaufnahmeverfahren . . . .
V. Die entsprechende Anwendung der §§ 5 7 8 ff außerhalb des Anwendungsbereiches der Z P O
III. Vorschriften mit ähnlicher Zielrichtung 1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung 2. Die Klagen aus §§ 3 2 3 und 7 6 7 . . 3. Die Klagen aus § 8 2 6 B G B 4 . Die „außerordentliche Beschwerde" wegen „greifbarer Gesetzeswidrigkeit" 5. Die Verfassungsbeschwerde . . . . 6. Die Menschenrechtsbeschwerde . .
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IV. Ergänzende Vorschriften 1. Besonderheiten in Vaterschaftssachen
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VI. Die entsprechende Anwendung der §§ 5 7 8 f f innerhalb des Anwendungsbereiches der Z P O 1. Die Wiederaufnahmebeschwerde . . . 2. Z u r Ergänzung der Wiederaufnahmegründe qua Analogie
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VII. Neu: Die Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 321 a)
21
Hans-Günther Borck
18 18
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Vor § 578
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
I. Von der Bedeutung der Rechtskraft 1
Urteile können unrichtig sein. Davon ging auch der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung aus; denn sonst hätte er keine Rechtsmittel vorzusehen brauchen. Diese Skepsis des Gesetzgebers wird tagtäglich durch im Instanzenzug divergierende Urteile als gerechtfertigt bestätigt.
2
Es ist nun keineswegs so, dass das Urteil des Berufungsgerichts immer richtiger sein muss als das erstinstanzliche Urteil, wie sich schon daraus ergibt, dass nicht selten vom Berufungsgericht abgeänderte Urteile eines Landgerichts vom Bundesgerichtshof wiederhergestellt werden, und auch das Urteil des Bundesgerichtshofes muss nicht immer richtiger sein als das hierdurch abgeänderte Urteil des Berufungsgerichts. Bedingt hierdurch erwachsen zuweilen Urteile in Rechtskraft (Zum Begriff „Rechtskraft" im hier gegebenen Zusammenhang vgl. § 578 Rdn. 46), die objektiv unrichtig sind, was nicht an dem letztlich entscheidenden Gericht liegen muss, sondern auch an der mangelnden Vorbereitung der Parteien und ihrer Anwälte liegen kann und nicht selten liegen wird.
3
Hätte nun der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung gegen jedes Urteil, welches von einer der Parteien als unrichtig gescholten wird, ein Rechtsmittel an ein anderes Gericht geben wollen, wäre diese Aufgabe auf einen unendlichen Regress hinausgelaufen. Deshalb ist der Instanzenzug wohlweislich begrenzt worden und nach seiner Erschöpfung gilt - bezogen auf das Gericht, dessen Urteil rechtskräftig wird „ R o m a locuta, causa finita".
II. Die Aufhebung der Rechtskraft im Wiederaufnahmeverfahren 4
Auch die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens gewähren kein weiteres eigentliches Rechtsmittel gegen ein möglicherweise unrichtiges Urteil, die Wiederaufnahme führt nicht zur Abänderung eines Urteils der unteren Instanz durch ein Gericht der höheren Instanz, vielmehr ersetzt das Gericht, welches das zuvor für rechtskräftig gehaltene Urteil erlassen hatte (§ 584), selbst dieses Urteil nach dessen Aufhebung mit ex-tunc-Wirkung durch ein anderes, möglicherweise aber inhaltsgleiches Urteil, gegen welches „Rechtsmittel ... insoweit..., als sie gegen die Entscheidungen der mit den Klagen befassten Gerichte überhaupt stattfinden", zulässig sind (§ 591).
5
Für die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklagen ist ohne Bedeutung, ob das Urteil, gegen welches sich die Nichtigkeits- oder die Restitutionsklage richtet, richtig ist oder nicht. Die Nichtigkeitsklage findet statt, wenn die Voraussetzungen hierfür gegeben sind (§ 579) und die Restitutionsklage, wenn deren Voraussetzungen (§§ 580, 641 i) vorliegen und zwar jeweils gleichviel, ob das Urteil richtig war oder nicht. Und wenn weder die Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage noch die der Restitutionsklage vorliegen, findet eine Wiederaufnahme auch dann nicht statt, wenn sich das rechtskräftig gewordene Urteil nach übereinstimmender Meinung als unrichtig erweist.
III. Vorschriften mit ähnlicher Zielsetzung 1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung 6
Die Wiederaufnahme ähnelt insofern mehr dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233) als einem eigentlichen Rechtsmittel, als jeweils nach Aufdeckung und erfolgreicher Geltendmachung durch die Wiederaufnahme das Verfah312
Hans-Günther Borck
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
Vor § 5 7 8
ren zwar in ein früheres Stadium zurückversetzt wird, dann aber wiederum seinen normalen Gang nimmt, jedoch unter Vermeidung des Fehlers, der zur Wiederaufnahme geführt hatte. 2. Die Klagen aus §§ 3 2 3 und 7 6 7 Die Abänderungsklage des § 3 2 3 und die Zwangsvollstreckungsabwehrklage des § 7 6 7 sind zwar auch auf die Änderung rechtskräftiger Urteile gerichtet, streben diese Änderung aber anders als die Wiederaufnahmeklagen nicht wegen Fehler in der Vergangenheit und mit ex-tunc-Wirkung an, sondern wegen objektiver Veränderungen des relevanten Sachverhaltes nach Schluss der mündlichen Verhandlung und nur für die Zukunft: Sie wenden sich also nicht gegen möglicherweise von Anfang an unrichtig gewesene Urteile, sondern gegen anfangs richtige, infolge von Veränderungen der Umstände aber nachträglich unrichtig gewordene Urteile.
7
3. Die Klage aus § 8 2 6 B G B Auch die auf § 8 2 6 B G B gestützten Klagen auf Herausgabe eines Titels und auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem Titel, die von der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes für zulässig gehalten werden 1 , sind von den Wiederaufnahmeklagen zu unterscheiden: Sie setzen zwar nicht voraus, dass das Urteil unrichtig zustande gekommen ist, wohl aber, dass es von Anfang an objektiv unrichtig war und der Gläubiger gegen die guten Sitten verstößt, wenn er gleichwohl Gebrauch hiervon macht. Solche Klagen sind zwar rein materiellrechtlicher Natur, ihre Zulässigkeit stellt der Sache nach aber doch die Rechtskraft in Frage, da ja zur Schlüssigkeit die Behauptung der Unrichtigkeit des betroffenen Urteils gehört 2 . Nicht anders ist es, wenn eine Klage nach der Behauptung des nunmehr aus § 8 2 6 B G B erneut klagenden Klägers zwar rechtskräftig, aber zu Unrecht abgewiesen worden war und der Kläger dieserhalb der Berufung des Beklagten auf die Rechtskraft den Einwand der Arglist entgegenhält 3 .
8
Da die Anwendung des § 8 2 6 B G B zur faktischen Beseitigung der Rechtskraft führt, wird der unendliche Regress, der durch die Rechtskraft unterbrochen werden soll, wieder möglich; denn auch das dann auf § 8 2 6 B G B gestützte zweite Urteil kann ja - gleichviel, wem zuliebe, wem zuleide es ergeht - wieder mit Hilfe von § 8 2 6 B G B in Frage gestellt werden 4 und so fort. Deshalb ist zwar das Unbehagen der Zivilprozessliteratur 5 an dieser Rechtsprechung zu § 8 2 6 B G B durchaus nachzuvollziehen, andererseits aber doch auch daran zu erinnern, dass schon wegen der Schwierigkeit, die Unrichtigkeit eines rechtskräftigen Urteils zu begründen, nur in relativ seltenen und besonders krassen Fällen von dieser, ja immerhin Kosten verursachenden Möglichkeit Gebrauch gemacht werden wird.
9
'
B G H N J W 51, 7 5 9 ; B G H Z 4 0 , 130; N J W 6 4 , 1 6 7 3 ; B G H Z 5 0 , 115; N J W 7 4 , 5 5 7 ; N J W - R R 97, 1 0 3 2 ; N J W 1987, 3 2 5 6 und 3 2 5 9 ; N J W 8 8 , 971, N J W 98, 2818.
2
Rosenberg/Schwab/GottüxaM Zivilprozeßrecht § 163 II. Braun § 1 II 2 b. So weist Wieczorek in der Vorauflage § 3 2 2 , Anm. C III b s auf das Urteil des B G H vom 2 1 . 6 . 1 9 5 1 in N J W 51, 7 5 9 hin mit der ergänzen-
3 4
den Bemerkung, gabe des Urteils eine Klage aus § Abweisung einer sei. 5
dass es hier - was der Wiedernicht zu entnehmen sei - um 8 2 6 B G B wegen rechtskräftiger Klage aus § 8 2 6 B G B gegangen
Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Harimarm Einf. § 3 2 2 - 3 2 7 Rdn. 3 0 ff; Jauernig/Roxm S. 6 2 ; Reinicke N J W 5 2 , 5 ; so auch Vorauflage § 3 2 2 Anm. C II b n.
Hans-Günther Borck
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Vor § 578
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
4. Die „außerordentliche Beschwerde" wegen „greifbarer Gesetzeswidrigkeit" 10
Faktisch beseitigt wird die Rechtskraft auch in den Fällen der sogenannten außerordentlichen Beschwerde 6 , die von der Rechtssprechung wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit gegen Beschlüsse, gegen welche eine Beschwerde an sich nicht statthaft ist, dennoch zugelassen wird 7 und also - sollte man meinen - mittels „greifbarer Gesetzeswidrigkeit". Als näherliegend möchte eine analoge Anwendung der Vorschriften des § 580 Nr. 5 in Verbindung mit § 581 erscheinen 8 (hierzu vgl. § 581 Rdn. 60ff). 5. Die Verfassungsbeschwerde
11
Die Verfassungsbeschwerde9 ist erst nach Erschöpfung des - etwaigen - Rechtsweges gegeben 10 , so dass sie, wenn sie zum Erfolg führt, ebenso die Rechtskraft des betroffenen Zivilurteils beseitigt, wie eine erfolgreiche Wiederaufnahmeklage. Mehr als dieser ähnelt sie aber insofern einem Rechtsmittel, als sie an das Bundesverfassungsgericht zu richten ist und nicht an das Gericht, welches das betroffene Urteil erlassen hat und zudem binnen Monatsfrist zu erheben ist. Sie ist aber „kein Rechtsmittel im Sinne der Zivilprozessordnung ..., sondern ein besonderer Rechtsbehelf des Verfassungsrechts eigener Art" n . 6. Die Menschenrechtsbeschwerde
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Mit der Menschenrechtsbeschwerde 12 schließlich, die wie die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des sonst gegebenen Rechtsweges zulässig ist, kann zwar „geltend gemacht werden, dass ein Urteil gegen die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 verstößt" 1 3 ; sie führt aber nicht unmittelbar zur Beseitigung der Rechtskraft des betroffenen Urteils 14 , soll aber in analoger Anwendung der Vorschrift des § 580 Nr. 7 b als Wiederaufnahmegrund in Betracht kommen 1 5 .
IV. Ergänzende Vorschriften 1. Besonderheiten in Vaterschaftssachen 13
Die Vorschriften des § 578 finden zwar prinzipiell auch in Vaterschaftssachen Anwendung. Insofern ergeben sich aber aus den Vorschriften des § 641 i Ergänzungen und Abweichungen: Nach Abs. 1 findet die Restitutionsklage „außer in den Fällen des § 580 statt, wenn die Partei ein neues Gutachten über die Vaterschaft vorlegt, das allein oder in Verbindung mit den in dem früheren Verfahren erhobenen Beweisen eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würde"; nach Abs. 2 kann 6
7
8 5
Hierzu vgl. ZöUet/Gummer § 5 6 7 R d n . 18 a sowie insbesondere Büttner FAM R Z 89, 129 ff; Pawlowski Festschrift für Schneider S. 39 ff; Schneider M D R 87, 2 8 7 f f und M D R 97, 991; Wax Festschrift für Gerhard Lüke M ü n c h e n 1997, 941 f. B G H Z Z P 106 (1993) 53 ff mit A n m . von Schlosser a a O S. 5 3 3 ff, 536 ff; B G H N J W 1997, 744; N J W 98, 1715. Borck in W R P 99, 4 7 8 ff. Hierzu vgl. Stein/Jonas/Grwns&y R d n . 3 4 ff Vor § 578.
314
10 11
u
13 14
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§ 90 Abs. 21 S. 1 BVerfG. BVerfG N J W 87, 1194 m w N ; BayVerfGH N J W 94, 228; Stein/JonasIGrunsky R d n . 35 Vor § 578. Hierzu vgl. Stein/Jonas/Grwws&y R d n . 42 ff vor § 578 und MünchKomm/BraH« R d n . 36 f. M ü n c h K o m m / ß r a w n R d n . 36 Vor § 578. Stein/Jonas IGrunsky Rdn. 44 Vor § 578; MünchK o m m / S r a u n R d n . 37 Vor § 578. Stein/Jonas/Gra«sfey R d n . 4 4 Vor § 5 7 8 unter Hinweis u. a. auf Schumann in N J W 64, 753.
Hans-Günther Borck
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
Vor § 5 7 8
„die Klage ... auch von der Partei erhoben werden, die in dem früheren Verfahren obsiegt h a t " ; aus Abs. 3 ergibt sich eine gesonderte Zuständigkeitsregelung, die allerdings im Wesentlichen der des § 5 8 4 entspricht, jedoch mit der Ausnahme, dass das Berufungsgericht ausschließlich zuständig ist, wenn das angefochtene Urteil von dem Berufungs- oder Revisionsgericht erlassen ist, was allerdings nach Abs. 3 S. 2 nicht gilt, wenn „die Klage mit einer Nichtigkeitsklage oder mit einer Restitutionsklage nach § 5 8 0 verbunden" wird; denn dann „bewendet es bei § 5 8 4 " . Schließlich wird in Abs. 4 bestimmt, dass § 5 8 6 nicht angewendet wird. 2. Die Neuregelung des Schiedsverfahrens Durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (SchiedsVfG) vom 2 2 . 1 2 . 1 9 9 7 (BGBl I. S. 3 2 2 4 ) sind die Vorschriften über das schiedsrichterliche Verfahren neu geregelt worden 1 6 . Für Verfahren, die vor dem 1 . 1 . 1 9 9 8 begonnen, aber noch nicht beendet worden waren, gelten die Vorschriften der §§ 1041 Abs. 1 Nr. 6 und 1 0 4 3 aF aber noch fort 1 7 ; nach diesen Vorschriften ist, nachdem der Schiedsspruch rechtskräftig für vollstreckbar erklärt worden ist, die Aufhebung gemäß § 1 0 4 3 Abs. 1 aF „nur aus den im § 1041 Abs. 1 Nr. 6 bezeichneten Gründen" zulässig und also, „wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen in den Fällen der Nr. 1 bis 6 des § 5 8 0 die Restitutionsklage stattfindet" und zwar nach M a ß g a b e der Regelung des § 1 0 4 3 aF.
14
V. Die entsprechende Anwendung der §§ 5 78 ff außerhalb des Anwendungsbereiches der ZPO a) Die Vorschriften der §§ 5 7 8 f f betreffen als Vorschriften der Zivilprozessordnung nur die Wiederaufnahme von Zivilverfahren; auf sie wird jedoch in einer Reihe anderer Vorschriften verwiesen 18 , nämlich für Arbeitsgerichtsverfahren in § 79 Abs. 1 ArbGG, für das Verwaltungsgerichtsverfahren in § 153 V w G O , für das Sozialgerichtsverfahren in § 179 Abs. 1 S G G . Für das Finanzgerichtsverfahren wird in § 134 F G G und für Entschädigungssachen wird in § 2 0 9 B E G ganz allgemein auf die Z P O und damit inzidenter auch auf die §§ 5 7 8 ff verwiesen.
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Andere Gesetze sehen für ihren Anwendungsbereich ähnliche Regelungen wie die der §§ 5 7 8 ff vor. So beispielsweise die StPO in den §§ 3 5 9 f f und die Bundesdisziplinarordnung in den §§ 9 7 ff.
16
b) Aber auch die analoge Anwendung der Vorschriften der §§ 5 7 8 ff auf außerzivilrechtliche Entscheidungen kommt in Betracht, so etwa auf Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit 19 , des Patentamtes 2 0 oder in den Zulassungssachen betreffenden Verfahren nach der B R A O 2 1 .
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"
Hierzu vgl. Schlosser in Festschrift Gaul, S. 679ff. ZöllerIGeimer Vor § 1025 Rdn. 12; Thomas/ Putzo Vor § 1025 Rdn. 6. Hierzu vgl. insbesondere AK-Greulich Rdn. 49 ff Vor § 578. Kammergericht OLGZ 69, 114, 117; BayOBIGZ 59, 178; Stein/Jonas/GrMMsiy Rdn. 27 Vor § 578; MünchKomm/Braun Rdn. 2; Palandt/Lauterbach/Mbers/Hartmann, Grundzüge Vor § 578
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Rdn. 6, Thomas/Putzo/Reichhold Rdn. 2; AKGreulich Rdn. 69 Vor § 578 sowie Gaul in Festschrift für Walther J. Habscheid S. 99 ff. RG Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen 42, 115; BPatGer.Beschl. GRUR 86, 309 f; LG Düsseldorf GRUR 87, 628 ff; 7.ö\\ed Schneider Rdn. 13; Palandt/Lauterbach/Albers/HarimaKn Grundzüge Vor § 578 Rdn. 6. BGH NJW 94, 2751.
H a n s - G ü n t h e r Borck
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Vor § 5 7 8
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
III. Die entsprechende Anwendung der §§ 578ff innerhalb des Anwendungsbereiches der ZPO 1. Die Wiederaufnahmebeschwerde 18
Nimmt man die Vorschrift des § 5 7 8 beim Wort, dann kommt eine Wiederaufnahme nur solcher Verfahren in Betracht, die „durch rechtskräftiges Endurteil geschlossen" sind. Beschlüsse hingegen, die innerhalb eines laufenden Erkenntnisverfahrens ergehen, sind daher prinzipiell nicht wiederaufnahmefähig, aber auch nicht -bedürftig. Dies schließt eine analoge Anwendung auf solche Beschlüsse, die innerhalb des Erkenntnisverfahrens ergehen, nicht aus (hierzu vgl. § 5 7 8 Rdn. 6 3 ff). In solchen Fällen tritt an die Stelle der Wiederaufnahmeklage die sog. „Wiederaufnahmebeschwerde" 2 2 (hierzu vgl. § 5 7 8 Rdn. 6 4 ) .
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In diesem Zusammenhang wird zu Recht daran erinnert 2 3 , dass Entscheidungen, die ehedem durch - als solche ohne weiteres wiederaufnahmefähige - Urteile zu treffen waren, infolge von Vereinfachungsnovellen nunmehr durch Beschluss zu treffen sind, ohne dass die Vorschriften des § 5 7 8 angepasst worden wären: Es kann nicht angenommen werden, dass diese Anpassung absichtlich unterblieben ist. Es muss vielmehr angenommen werden, dass hier jeweils durch ein Versehen des Gesetzgebers eine Lücke entstanden ist, die im Wege der Analogie geschlossen werden muss. 2 . Zur Ergänzung der Wiederaufnahmegründe qua Analogie
20
Die Auflistung der Wiederaufnahmegründe in den Vorschriften der §§ 5 7 9 , 5 8 0 war abschließend gedacht. Gleichwohl kommt prinzipiell eine Ergänzung im Wege der Analogie sowohl für den Katalog der Nichtigkeitsgründe aus § 5 7 9 in Betracht (hierzu vgl. § 5 7 9 Rdn. 38 ff), als auch für den Katalog der Restitutionsgründe des § 5 8 0 (hierzu vgl. § 5 8 0 Rdn. 1 3 4 f f ) .
VII. Neu: Die Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 321 a) 21
Auch die Rüge aus der durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 9 Z P O - R G eingeführten Vorschrift des § 321 a kann zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führen: Rügt eine Partei, die durch ein Urteil erster Instanz beschwert ist, gegen welches die Berufung unzulässig ist - welches also „an sich", nämlich abgesehen von der Vorschrift des § 321 a, rechtskräftig sein würde - , dass „das Gericht des ersten Rechtszuges den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt h a t " , dann prüft der iudex a quo die Statthaftigkeit und Zulässigkeit der Rüge und hilft der Rüge, wenn er sie für begründet befindet, dadurch ab, dass er den Prozess fortführt und zwar wird „der Prozess ... in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand" (§ 321 a Abs. 5 S. 2).
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In den Anwendungsfällen des § 321 a ist diese Vorschrift lex specialis, so dass seit deren Inkrafttreten am 1 . 1 . 2 0 0 2 in einschlägigen Fällen weder R a u m für eine „außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit" besteht, noch für eine Verfassungsbeschwerde, soweit es um die Verletzung des Anspruchs auf 22
BGH MDR 74, 307; BGH NJW 83, 883; BGHZ 62, 18; BArbG NJW 55, 926; Stein/Jonas/Grawsky Vor § 578 Rdn. 38; MünchKomm/Braun Vor § 578 Rdn. 20; Zöller/Greger Rdn. 14, Baum-
316
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bach/Lauterbach/Albers/Hariman« Rdn. 12; Thomas/Putzo/Reichbold Rdn. 2; Zimmermann Rdn. 2; AK-Greulich Rdn. 28. Schneider M D R 87, 287f.
H a n s - G ü n t h e r Borck
Viertes Buch. W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens
§578
r e c h t l i c h e s G e h ö r g e h t ; d e n n die E n t s c h e i d u n g des i u d e x a q u o ü b e r die R ü g e ist u n a n f e c h t b a r (§ 3 2 1 a A b s . 4 S. 4 ) . Unberührt
hiervon
bleibt
jedoch
die
Möglichkeit
der
außerordentlichen
Be-
s c h w e r d e , jedenfalls a b e r der a n a l o g e n A n w e n d u n g der § § 5 7 8 f , w e n n sich aus der Z u r ü c k w e i s u n g der R ü g e eine g r e i f b a r e G e s e t z e s w i d r i g k e i t - e t w a die lassung der V o r s c h r i f t e n des § 3 2 1 a -
Außeracht-
ergibt24.
§578 Arten der (1)
Die Wiederaufnahme
Wiederaufnahme
eines d u r c h
rechtskräftiges
Endurteil
geschlossenen
Verfahrens kann nur durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage erfolgen. (2) Werden beide Klagen von derselben Partei oder von verschiedenen
Parteien
e r h o b e n , s o ist d i e V e r h a n d l u n g u n d E n t s c h e i d u n g ü b e r d i e R e s t i t u t i o n s k l a g e b i s z u r rechtskräftigen E n t s c h e i d u n g über die N i c h t i g k e i t s k l a g e auszusetzen. Schrifttum Behre D e r Streitgegenstand des W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s , 1 9 6 8 ; Berger A n m . zu B G H vom 18. 9 . 2 0 0 3 , in: J Z 2 0 0 4 , S. 1 0 7 5 ff, S. 1 0 7 8 ff; Braun R e c h t s k r a f t und R e s t i t u t i o n - E r s t e r Teil - D e r R e c h t s b e h e l f g e m ä ß § 8 2 6 B G B gegen rechtskräftige Urteile ( 1 9 7 9 ) ; Braun R e c h t s k r a f t und R e s t i t u t i o n - Z w e i t e r Teil - D i e G r u n d l a g e n des geltenden R e s t i t u t i o n s r e c h t s 1 9 8 5 ; Gaul D i e G r u n d l a g e n des W i e d e r a u f n a h m e r e c h t s und die A u s d e h n u n g der W i e d e r a u f n a h m e gründe, 1 9 5 6 ; Gilles R e c h t s m i t t e l im Z i v i l p r o z e ß B e r u f u n g , R e v i s i o n und B e s c h w e r d e im Vergleich mit der W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens, dem E i n s p r u c h und der W i e d e r e i n s e t z u n g in den vorigen S t a n d , 1 9 7 2 ; Gilles Z u r S y s t e m a t i k des W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s (Iudicium rescindes), Z Z P ( 1 9 6 5 ) 4 6 6 ; Gilles Z u r S y s t e m a t i k des W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s (Iudicium rescissorium), Z Z P 8 0 ( 1 9 6 7 ) 3 8 1 ; Jauernig W i r k s a m e Urteile der Friedensgerichte?, N J W 1 9 6 0 , 1 1 8 5 ; Jauernig D a s fehlende Zivilurteil, 1 9 5 8 ; Lüke/Zawar D u r c h b l i c k : D i e Fehlerhaftigkeit von R e c h t s a k t e n , J u S 7 0 , 2 0 5 ff; Jauernig M u ß die Urteilsformel bei V e r k ü n d u n g eines Zivilurteils stets schriftlich vorliegen?, N J W 8 6 , 1 1 7 f . v. Mettenbeim D e r G r u n d s a t z der P r o z e ß ö k o n o m i e im Z i v i l p r o z e ß , Berlin 1 9 7 0 ; Prütting/Weth R e c h t s k r a f t d u r c h b r e c h u n g bei unrichtigen T i t e l n , 2 . Auflage, 1 9 9 4 ; Küßmann Z u r W i e d e r a u f n a h m e eines Ehescheidungsstreites n a c h Wiederverheiratung eines der früheren E h e p a r t n e r , AcP 1 9 6 7 , 4 1 0 ff; Schiedermair Z u m Verhältnis von W i e d e r a u f n a h m e und V o r p r o z e ß „Vom D e u t s c h e n zum E u r o p ä i s c h e n R e c h t " , Festschrift für H a n s D ö l l e , B a n d 1, T ü b i n g e n 1 9 6 3 , 3 2 9 f f ; Schneider D e r ungesetzliche K o s t e n r i c h t e r , M D R 67, 2 8 7 ; Schwab D e r Streitgegenstand im Z i v i l p r o z e ß M ü n c h e n , Berlin 1 9 5 4 ; Wilts V e r f a h r e n s g r u n d s ä t z e für die G e l t e n d m a c h u n g von R e s t i t u t i o n s g r ü n d e n im B e t r a g s v e r f a h r e n , N J W 6 3 , 1 5 3 2 ff; Windel Z u r prozessualen Stellung des e i n f a c h e n Streithelfers, Z Z P 1 0 4 ( 1 9 9 1 ) 3 2 1 ff; Zeuner Ü b e r den E i n f l u ß von W i e d e r e i n s e t z u n g und W i e d e r a u f n a h m e a u f die neue E h e eines geschiedenen E h e g a t t e n , M D R 6 0 , S. 85.
Übersicht Rdn
Rdn
I. Die Vorschriften des § 578
II. Die Wiederaufnahmeklagen
1. Der Ausschließlichkeitsgrundsatz (§ 5 7 8 Abs. 1) 2. Z u r Konkurrenz von Nichtigkeits- und Restitutionsklage (§ 5 7 8 Abs. 2) . . .
24
1 3
1. Die Wiederaufnahme eines Verfahrens 2 . Endurteile im Sinne von § 5 7 8 Abs. 1 3. Z u r Sonderproblematik bloßer „Scheinurteile"
5 7
13
Hierzu vgl. Borck in W R P 99, 4 7 8 ff.
Hans-Günther Borck
317
23
§578
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens Rdn
4. Dem Endurteil gleichstehende Titel . . 5. Dem Endurteil gleichgestellte Q u a s i Endurteile 6. Die Bedeutung von „rechtskräftig" im Sinne von § 578 Abs. 1 7. Besonderheiten in Ehesachen 8. Die Wiederaufnahmebeschwerde . . .
46 58 63
III. Der Vorrang der Nichtigkeitsklage 1. Die Vorschriften des § 578 Abs. 2 als Kollisionsnorm betrachtet . . . . 2. Der Grund der Regelung des Absatz 2 3. Zur Anwendung des § 578 Abs. 2 . .
67 71 77
IV. Der Weg durch das Wiederaufnahmeverfahren 1. Drei Etappen auf dem Weg zum Prozessziel 2. Die Prüfung der Zulässigkeit 3. Die Prüfung der Begründetheit der Wiederaufnahmeklage
Rdn
31 33
81 84
4. Die erneute Verhandlung V. Z u m Streitgegenstand der Wiederaufnahmeklage 1. Der Streitgegenstand als Gegenstand des Streites 2. Die Dialektik der Streitgegenstandsbegriffe 3. Zur Bedeutung des Streitgegenstandes für die Wiederaufnahmeklage . . . . VI. Die Parteien des Wiederaufnahmeverfahrens 1. Der Grundsatz: Die Parteien des Vorprozesses 2. Vom Einfluss der Vorschriften der Η 265 ff 3. Besonderheiten bei Streitgenossen . . 4. Wiederaufnahmeklage auch von Nebenintervenienten?
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90 91 94
99 102 108 111
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I. Die Vorschriften des § 578 1. Der Ausschließlichkeitsgrundsatz (§ 578 Abs. 1) 1
Beim Wort genommen besagt die Vorschrift des Absatz 1 lediglich, dass „die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens ... erfolgen" kann und zwar „durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage". Diese Klagen werden aber nicht etwa nur angeführt als Beispiel möglicher Wiederaufnahmeklagen, die Regelung des Absatz 1 ist vielmehr abschließend: Die Wiederaufnahme eines bereits rechtskräftig durch Endurteil entschiedenen Verfahrens kann überhaupt nur entweder durch Nichtigkeits- oder durch Restitutionsklage erfolgen. Die Aufzählung der Wiederaufnahmegründe in den §§ 579, 5 8 0 war vom Gesetzgeber abschließend gedacht 1 und auch der neue Anfechtungsgrund des § 641 i verweist auf die Restitutionsklage.
2
Alle anderen Möglichkeiten (vgl. Rdn. 7 f f Vor § 578), die Richtigkeit eines rechtskräftigen Endurteils in Zweifel zu ziehen, führen denn auch nicht zu einer Wiederaufnahme des bereits rechtskräftig entschiedenen Verfahrens, sondern zu einem neuen Verfahren. 2. Zur Konkurrenz von Nichtigkeits- und Restitutionsklage (§ 578 Abs. 2)
3
a) Für den Fall, dass zugleich eine Nichtigkeits- und eine Restitutionsklage erhoben wird, sei es auch von verschiedenen Parteien, bestimmt Absatz 2, dass „die Verhandlung und Entscheidung über die Restitutionsklage bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage auszusetzen", zunächst also über die Nichtigkeitsklage zu entscheiden sei (hierzu vgl. Rdn. 77).
4
b) Der Ansicht, dass der Vorrang der Nichtigkeitsklage darauf beruhe, dass „die Restitutionsklage in ihrer Wirkung nicht so weit reicht, wie die Nichtigkeitsklage und durch sie gegenstandslos werden k a n n " 2 , kann nicht gefolgt werden: Es ist in der Tat gleichgültig, welche Klage durchgreift, wenn nur wenigstens eine Erfolg 1
Prütting/Weifo Rdn. 92.
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2
So Stein/Jonas/GrwKsfc)- Rdn. 9 in der 20. Aufl.
Hans-Günther Borck
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
§578
h a t 3 , und wenn eine - gleichviel, welche - Erfolg hat, ist jeweils die andere gegenstandslos. Dessenungeachtet ist auch von diesem Ausgangspunkt aus § 5 7 8 Abs. 2 keineswegs „praktisch gegenstandslos", sondern zu beachten. Der Vorrang der Nichtigkeitsklage ist auch sinnvoll; denn das Vorliegen oder NichtVorliegen der Voraussetzungen des § 5 7 9 wird regelmäßig viel einfacher und sicherer festzustellen sein als das Vorliegen von Restitutionsgründen (hierzu vgl. Rdn. 7 7 ) .
II. Die Wiederaufnahmeklagen 1. Die Wiederaufnahme eines Verfahrens Verfahren sind im Rahmen von § 5 7 8 prinzipiell alle Verfahren, deren Gang durch die Zivilprozessordnung geregelt wird. Solche Verfahren können zum Stillstand kommen, bevor durch Endurteil entschieden ist, etwa wegen Vergleichsverhandlungen, weil das Ergebnis eines Parallelprozesses abgewartet werden soll, weil das Gericht keinen Termin anberaumt etc.
5
Aber nicht um die - verhältnismäßig problemlose - Wiederaufnahme noch anhängiger, nur zum Stillstand gekommener Verfahren geht es in den §§ 5 7 8 ff, sondern ausschließlich um die „Wiederaufnahme von Verfahren", die „an sich" bereits ordnungsgemäß und endgültig abgeschlossen worden waren, nämlich durch ein Endurteil (hierzu vgl. Rdn. 7ff), welches schon rechtskräftig geworden war (hierzu vgl. Rdn. 4 6 f f ) . Eine solche Wiederaufnahme eines bereits rechtskräftig entschiedenen Verfahrens setzt voraus, dass die Nichtigkeitsklage des § 5 7 9 stattfindet oder die Restitutionsklage des § 5 8 0 . Den Weg zur Wiederaufnahme zeigen die Vorschriften der §§ 5 7 8 ff (hierzu vgl. Rdn. 81 ff).
6
2 . Endurteile im Sinne von § 5 7 8 Abs. 1 a) Endurteile im Sinne auch von § 5 7 8 Abs. 1 sind die Urteile, durch deren Erlass das Gericht gemäß § 3 0 0 in einem zur Endentscheidung reifen Rechtsstreit eben diese Endentscheidung trifft. Auch Teilurteile im Sinne von § 3 0 1 sind Endurteile hinsichtlich des Teils des Rechtsstreits, über den sie entscheiden. Ohne Bedeutung ist der Inhalt der Endurteile, ob also der Klage stattgegeben oder ob sie abgewiesen wird oder ob ein Rechtsmittel Erfolg hat oder zurückgewiesen wird und ob es sich um Prozessurteile handelt oder in der Sache entschieden wird. Auch Versäumnisurteile und Anerkenntnisurteile sind Endurteile. Insoweit besteht auch Einigkeit 4 . Das gilt prinzipiell auch für Familiensachen (hierzu vgl. Rdn. 5 8 f f ) .
7
b) Außer Streit steht auch, dass jedenfalls solche Zwischenurteile, die nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung „in betreff der Rechtsmittel als Endurteile anzusehen" sind (§ 2 8 0 Abs. 2 , 3 0 2 Abs. 3, 3 0 4 Abs. 2), auch keine Endurteile im Sinne von § 5 7 8 sind 5 . Bezüglich der hinsichtlich der Rechtsmittel als Endurteile anzusehenden Urteile ist allerdings umstritten, ob sie auch als „rechtskräftiges Endurteil" im Sinne von § 5 7 8 Abs. 1 in Betracht kommen und unter welchen Voraussetzungen (hierzu vgl. Rdn. 3 3 ff).
8
3 4
Hierzu Gilles Rechtsmittel S. 108 f. Kammergericht NJW-RR 87, 1215; OLG Oldenburg MDR 89, 168; Stein/Jonas/GrHHsfcy Rdn. 1; MünchKomm/ßra«« Rdn. 14; Zöller/Greger Vor § 578 Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann Grundzüge § 578 Rdn. 8; Musielak/
5
Musielak Rdn. 10; Thomas/Putzo/Reichhold Rdn. 1; Zimmermann Rdn. 6; Rosenberg/ Schwab/Gottwald § 159 III.l. BGH J Z 63, 450; Zöller/Greger Vor § 578 Rdn. 11; Baumbach/Lauterbach/Albers/Harimann Rdn. 7; Musielak/MHSiWafc Rdn. 11.
H a n s - G ü n t h e r Borck
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§578
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
9
c) Beschlüsse sind keine Urteile, so dass eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift des § 578 gegen Beschlüsse schlechthin nicht in Betracht kommt 6 . Zumeist wird auch gar kein Bedürfnis bestehen, weil die Anfechtungsgründe noch vor Rechtskraft des Endurteils schon im laufenden Verfahren geltend gemacht werden können, sonst aber gemäß § 583 (hierzu vgl. § 583 Rdn. I f f ) qua Wiederaufnahmeklage gegen das rechtskräftige Endurteil 7 .
10
Auch die Vorschrift des § 5 7 7 Abs. 2 S. 2 ermöglicht keine eigentliche Wiederaufnahme nach sonst nicht mehr anfechtbaren Beschlüssen, verlängert vielmehr lediglich - aber auch immerhin - die Notfrist für die sofortige Beschwerde, wenn „die Erfordernisse ... der Nichtigkeits- oder Restitutionsklage" vorliegen, auf die Fristen aus 5 5 8 6 für die Wiederaufnahmeklagen 8 .
11
d) Ein Schiedsspruch hat zwar gemäß § 1040 „unter den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils", ist aber dessenungeachtet kein rechtskräftiges Endurteil im Sinne von § 578. Jedoch enthalten die Vorschriften der §§ 1041, 1043 eine den Vorschriften der §§ 5 7 8 f f vergleichbare Sonderregelung, die für Schiedssprüche anstelle der Wiederaufnahmeklage eine Aufhebungsklage vorsehen. § 1041 sieht in Abs. 1 Nr. 1 bis 5 auf die Besonderheiten des Schiedsgerichtsverfahrens zugeschnittene Aufhebungsgründe vor und verweist in Abs. 1 Nr. 6 auf die Restitutionsgründe der Vorschriften des § 5 8 0 Nr. 1 bis 6.
12
e) Prozessvergleiche sind keine Endurteile 9 . Sind sie nichtig, kann diese Nichtigkeit „innerhalb der (bei Nichtigkeit nur scheinbar) abgeschlossenen Instanz geltend gemacht werden" 1 0 . 3. Zur Sonderproblematik bloßer „Scheinurteile"
13
a) „Ein Urteil ist die in einem Rechtsstreit von einem gerichtsverfassungsmäßig anerkannten Gericht in einer bestimmten Form erlassene Entscheidung" 1 1 . Daher sind solche Entscheidungen, die entweder nicht von einem gerichtsverfassungsmäßig anerkannten Gericht (hierzu vgl. Rdn. 15) oder zwar von einem gerichtsverfassungsmäßig anerkannten Gericht, aber nicht in der erforderlichen Form (hierzu vgl. Rdn. 17 ff) erlassen, nämlich weder verkündet noch zugestellt worden sind, entgegen dem äußeren Anschein gar keine Urteile, sondern sog. 12 Nichturteile; wegen des für sie typischen Scheincharakters werden sie treffender auch als „Scheinurteile" bezeichnet" 13 .
14
Scheinurteile sind als Nichturteile nicht geeignet, die Instanz zu beenden und daher weder wiederaufnahmefähig noch wiederaufnahmebedürftig 14 : Das Verfah-
6 7
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MünchKomm/Braun Rdn. 19; vgl. aber Rdn. 63 ff. Stein/Jonas/GrwMsfcy Rdn. 39 Vor § 578; MünchKomm/Braun Rdn. 19. OLG Köln, VersR 1997, 341; Stein/Jonas/Gransfry Rdn. 40 Vor § 578; MünchKomm/Braan Rdn. 19; Rosenberg/Schwab/GotttwjM § 159 III.3. BGH NJW 68, 2391; Stein/Jonas/Grwnsfcy Vor § 578 Rdn. 37; ZöllerIGreger Vor § 578 Rdn. 13; Thomas/Putzo/Reichhold Rdn. 11. Zöller/Greger Vor § 578 Rdn. 13 unter Hinweis auf BGH NJW 77, 583. Sttin/jonasIGrunsky Vor ξ 578 Rdn. 2; überein
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stimmend MünchKomm/Braun Rdn. 3; Lüke/ Zawar JuS 70, 205, 213. Stein/Jonas/Grcms&y Vor § 578 Rdn. 2 ff; MünchKomm/Braun Rdn. 4; Rosenberg/Schwab/Goiiwald § 62; Lüke/Zawar JuS 70, 30. Rosenberg/Schwab/GottK/aM § 62; Lüke/Zawar JuS 70, 213. RGZ 133, 215, 222 (anders noch RGZ 16, 331 und RGZ 110, 169); Stein/Jonas/Grunsky Vor § 578 Rdn. 6; MünchKomm/ßra«« Rdn. 8; Rosenberg/Schwab/GoiiifaW § 62 III.2.
Hans-Günther Borck
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ren kann in der nur scheinbar abgeschlossenen Instanz fortgesetzt werden 1 5 (vgl. aber Rdn. 21). b) Urteile von Nichtgerichten sind als solche und damit als „Nichturteile" im hier zugrunde gelegten Sinn zumeist ohne weiteres zu erkennen, etwa, weil gar kein entsprechender Rechtsstreit anhängig war, so dass gar kein Gericht befasst gewesen sein kann oder, weil zwar über einen anhängigen Rechtsstreit entschieden worden ist, aber nicht durch das Gericht, sondern vom Rechtspfleger, von einer Verwaltungsbehörde oder von wem auch immer 1 6 . Das gilt auch, wenn ein nur mit der Beweisaufnahme beauftragter Richter entschieden hat 1 7 . Hingegen spielen die Unzuständigkeit des erkennenden Gerichts oder Mängel der Besetzung in diesem Zusammenhang keine Rolle: Urteile unzuständiger oder nicht ordnungsgemäß besetzter Gerichte sind keine Nichturteile 1 8 , sie beenden, soweit sie reichen, die Instanz und erwachsen in Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel eingelegt wird.
15
„ O b ein Nichturteil auch dann vorliegt, wenn die Entscheidung von einem Gremium ergangen ist, das nach dem Willen des Gesetzgebers ein Gericht sein sollte, dem jedoch die von Art. 9 2 f f G G geforderten Merkmale fehlen", ist umstritten 1 9 . Diese Frage wurde zwar vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5 . 4 . I 9 6 0 2 0 verneint. Die im Leitsatz wiedergegebene Ansicht des Bundesverfassungsgerichts „Die Urteile der (verfassungswidrigen) Friedensgerichte im Gebiete des früheren Landes Württemberg-Baden sind keine Nichturteile", hatte sogleich vehementen Widerspruch erfahren 2 1 , dürfte aber heute - zumal in Zivilsachen - ohne praktische Bedeutung bleiben.
16
c) Auch Entscheidungen von Gerichten sind Nichturteile, wenn sie nicht in der für das Urteil bestimmten Form nach außen kund getan, nicht wirksam verlautbart 2 2 worden sind. Als solche Form der Verlautbarung kommen nur zwei in Betracht, die Zustellung und die Verkündung, wobei von Gesetzes wegen (vgl. aber Rdn. 21). die Zustellung gemäß § 310 Abs. 3 notwendige und hinreichende Bedingung nur bei Anerkenntnisurteilen und bei Versäumnisurteilen ist, die „nach § 3 0 7 Abs. 2 , § 331 Abs. 3 ohne mündliche Verhandlung ergehen", aber auch nur bei diesen Urteilen: Alle anderen Urteile sind zu verkünden und zwar Urteile, die nach mündlicher Verhandlung ergehen, gemäß § 310 Abs. 1 und Urteile im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 und Abs. 3.
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d) Wenn § 310 Abs. 1 S. 1 bestimmt, dass „das Urteil" verkündet wird, dann ist dies insofern etwas unscharf, als vorauseilend schon als „Urteil" bezeichnet wird, was doch erst durch die Verkündung zum Urteil wird. Solange das „Urteil" noch nicht verkündet worden ist, ist es recht besehen ein Nichturteil 2 3 , bestenfalls ein Urteilsentwurf 2 4 . Die Verkündung ist gleichsam der „Geburtsakt" des Urteils 2 5 , so dass kein Urteil vorliegt, solange der Entwurf nicht als Urteil verkündet worden ist.
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Stein/Jonas/Grunsky Vor § 578 Rdn. 6; MünchKomm/Braun Rdn. 8. Stein/Jonas/Grunsky Vor § 578 Rdn. 2; MünchKomm/Braun Rdn. 6; unter Hinweis auf Jauernig aaO S. 11, 13, 28; Rosenberg/Schwab/Goiiwald § 62 III. 1 a. Stein/Jonas/GrMMs&y Vor § 578 Rdn. 2; MünchKomm/Braun Rdn. 6; Jauernig S. 30 f. Stein/Jonas/GrHnsfcy Vor $ 578 Rdn. 3; MünchKomm/Braun Rdn. 6; Rosenberg/Schwab/GoWwald § 62 III.l a; Jauernig S. 29. Stein/Jonas/GrMnsiy Vor § 578 Rdn. 3.
NJW 60, 1051. Von Jauernig NJW 6 0 , 1 8 8 4 , zustimmend MünchKomm/Braun Rdn. 6 Fn. 19. MünchKomm/ßri)«« Rdn. 7. Stein/Jonas/GrMHs/!)» Vor § 578 Rdn. 2; MünchKomm/Braun Rdn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 62 III. 1 .b; Lüke/Zauw JuS 70, 205, 213. Stein/Jonas/Grwnsfcy Vor § 578 Rdn. 4; MünchKomm/Braun Rdn. 7. BGH NJW 54, 34 zustimmend zitiert von BGH NJW 85, 1783.
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Entwürfe von Entscheidungen werden auch dadurch nicht zu wirksamen Entscheidungen, dass sie ohne den Willen des Gerichts durch ein Versehen der Geschäftsstelle zugestellt werden 2 6 . Wenn jedoch vom Gericht ein Urteilsentwurf zwar nicht als Urteil verkündet, aber zur Zustellung gegeben wird in der Ansicht, die Zustellung ersetze die Verkündung und in der Absicht, das Urteil als solches wirksam werden zu lassen, soll kein Nichturteil vorliegen, sondern ein Urteil, welches rechtskräftig werden und dann wiederaufnahmefähig sein k a n n 2 7 . Diese Ansicht ist zwar nicht unbedenklich (hierzu vgl. Rdn. 20); man wird aber mit ihr rechnen müssen (hierzu vgl. Rdn. 21).
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Die Ansicht, es seien „grundsätzlich ... alle vom Gesetz (§§ 310ff) vorgesehenen Verlautbarungsformen einander gleichwertig. Es genügt daher, wenn der Verlautbarung durch Zustellung des Urteils statt durch Verlesung der Urteilsformel erf o l g t " 2 8 , ist schon deshalb nicht unbedenklich, weil sie jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht mit dem Gesetz, welches Verkündung fordert, zu vereinbaren ist. Auch ist die in diesem Zusammenhang bemühte Rechtsprechung keineswegs unmittelbar einschlägig: Zwar hat - wie angenommen wird 2 9 - der Große Zivilsenat des B G H 3 0 „in Abkehr von der reichsgerichtlichen Rspr. entschieden, ein in einem nicht ordnungsgemäß anberaumten und bekanntgegebenen Verkündungstermin verkündetes Urteil sei kein bloßes Scheinurteil" 3 1 ; aber der B G H hat sich keineswegs „dieser Auffassung ... für den Fall" angeschlossen, „dass ein fälschlicherweise ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil an Verkündungs statt zugestellt w u r d e " 3 2 : In der hierzu zitierten Entscheidung 3 3 lag insoweit eine ganz besondere Konstellation vor, als beide Parteien damit einverstanden waren, dass - so der Leitsatz 3 4 - „nicht aufgrund der mündlichen Verhandlung, sondern aufgrund des Akteninhalts entschieden und das Urteil an Verkündungs statt zugestellt" würde. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat aus dieser Entscheidung auch keineswegs den verfehlten Schluss auf die prinzipielle Gleichwertigkeit der Verkündung mit der Zustellung gezogen, sondern aufgrund der Besonderheit des konkreten Falles entschieden: „Jedes Urteil bedarf zu seiner Existenz der Verlautbarung. Das ist hier geschehen, und zwar bewusst mit dem Ziel, der Entscheidung zum rechtlichen Dasein zu verhelfen. Auch den Parteien war klar, dass mit der Zustellung an sie - wenn auch in fehlerhafter Anwendung des neuen Rechts - die Verkündung ersetzt werden sollte" 3 5 . Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts 3 6 , auf welches in einschlägigem Zusammenhang hingewiesen wird 3 7 , argumentiert überhaupt nicht aus der Zustellung, hielt vielmehr dafür, dass ein Urteil, welches zwar nicht im Sitzungssaal, aber immerhin verkündet worden ist, „nicht wirkungslos und kein Scheinurteil" sei 3 8 .
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Wird einer Partei ein Urteil zugestellt, von dessen Verkündung ihr nichts bekannt war, sollte sie nicht darauf vertrauen, dass es sich um einen bloß versehentlich zugestellten Urteilsentwurf und also um ein „Nichturteil" handelt: Selbst abgesehen davon, dass die Unkenntnis von der Verkündung von ihr selbst zu vertreten sein kann, muss sie immerhin damit rechnen, dass das Gericht das Urteil mit der ZuBVerfG NJW 85, 788; BayOLG NJW 69, 195; MünchKomm/Brawtt Rdn. 7. BGHZ 14, 39 = NJW 54, 1281; BGHZ 17, 118 = NJW 55, 988; BGHZ 17, 286; OLG Frankfurt MDR 80, 320; MünchKomm/ßra«« Rdn. 7. MünchKomm/Braun Rdn. 7. OLG Frankfurt MDR 80, 320. In NJW 54, 1281 = BGHZ 14, 39.
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OLG Frankfurt MDR 80, 320. OLG Frankfurt MDR 80, 320. BGHZ NJW 55, 988, BGHZ 17, 118. BGHZ NJW 55, 988, BGHZ 17, 118. OLG Frankfurt MDR 80, 320. In MDR 56, 234. MiinchKomm/BraM« Rdn. 7. In MDR 56, 234.
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Stellung erlassen wollte und weiter damit, dass das als solches gar nicht erkannte Urteil in Rechtskraft erwächst. Vernünftigerweise wird die beschwerte Partei sich sogleich um Klärung bemühen und im Zweifel innerhalb der Rechtsmittelfrist das gegebene Rechtsmittel einlegen; denn es ist „auch eine Scheinentscheidung rechtsmittelfähig, wenn sie von der Geschäftsstelle ausgefertigt und zugestellt ist, weil es im Interesse der Parteien geboten ist, eine auf diese Weise in Erscheinung getretene Entscheidung zu beseitigen und zur Einlegung eines Rechtsmittels der äußere Anschein einer Entscheidung g e n ü g t " 3 9 . e) Gegenüber der im Schrifttum - obzwar mehr beiläufig - vertretenen Ansicht, eine Entscheidung könne auch wegen wesentlicher Mängel der Verlautbarung ein Nichturteil sein 4 0 , ist auf die als Beleg für diese Ansicht zitierte Entscheidung des B G H 4 1 zu verweisen. Hierin wird überzeugend dargelegt, „dass ein Verstoß gegen die zwingenden Vorschriften über die Anberaumung und Bekanntgabe des Verkündungstermins nicht dazu führt, dass ein gleichwohl verkündetes Urt. nur ein ScheinUrt. sei" 4 2 . Danach ist praktisch kein Formfehler denkbar, der so gravierend ist, dass seinetwegen eine Verlautbarung mit einem so wesentlichen Mangel behaftet ist, dass die verlautbarte Entscheidung ein Nichturteil bleibt (vgl. aber Rdn. 2 4 ff).
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In den einschlägigen Fällen ist von der Rechtsprechung auch stets dahin erkannt worden, dass es sich bei der jeweils umstrittenen Entscheidung nicht um ein Nichturteil gehandelt hat: Als wesentliche Mängel reichen insbesondere nicht aus, dass die Entscheidung trotz § 310 Abs. 2 bei der Verkündung noch nicht „in vollständiger Form abgefasst" w a r 4 3 , dass die Verkündung durch einen anderen Spruchkörper als den, der die Entscheidung gefällt hat, vorgenommen worden ist 4 4 und dass der Einzelrichter anstelle der Kammer verkündet h a t 4 5 . Ebenso wenig liegt ein bloßes Scheinurteil vor, wenn „die Abschrift der Formel eines nach § 128 Abs. 2 Z P O erlassenen LG-Urteils entgegen den Vorschriften in §§ 170, 2 0 8 , 2 1 0 4 έ , 310 Abs. 2 Z P O den Parteien ohne Beglaubigungsvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übergeben worden" ist, „diese Abschrift aber mit der Urschrift der Urteilsformel überein" stimmt, „ihre Übergabe ausweislich der Akten auf Veranlassung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erfolgt" und „kein Anhalt dafür" besteht, „dass entgegen dem Willen des Gerichts missbräuchlich ein bloßer Entwurf der Urteilsformel den Parteien mitgeteilt worden i s t " 4 7 .
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f) Nicht bloß um einen - obzwar wesentlichen - Mangel handelt es sich, wenn es an jeglicher Verlautbarung schlechthin fehlt, wenn der Inhalt des Urteils überhaupt nicht bekanntgegeben worden ist.
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In diesem Zusammenhang spielt auch die im Schrifttum 4 8 aufgeworfene Frage: „Muss die Urteilsformel bei der Verkündung eines Zivilurteils stets schriftlich vorliegen?" eine Rolle; denn der B G H 4 9 meint auf den ersten Blick überzeugend, dass
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BVerfG NJW 85, 788; so auch schon RG JW 35, 2812 (insoweit zustimmend Jonas in Anm. aaO 2813), unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 90, 236; 107, 42; 133, 215, 135, 118, 140, 348 und J W 36, 1903). Stein/Jonas/GrHMsfcy Vor $ 578 Rdn. 4; MünchKommJBraun Rdn. 7. NJW 54, 1281 ff. AaO 1282 r. Sp. BGH NJW 88, 2046; zustimmend MünchKomm/Braun Rdn. 7; vgl. BGH NJW-RR 98, 1065.
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45
46
47 48 49
BGH NJW 64, 1568; zustimmend MünchKomm/ Braun Rdn. 7. OLG Düsseldorf MDR 77, 144, MünchKomm/ Braun Rdn. 7. § 210 geändert durch Zustellungsreformgesetz (ZustRG) v. 2 5 . 6 . 2 0 0 1 , BGBl I 1206 mit Wirkung v. 0 1 . 0 7 . 2 0 0 2 . BGH NJW 55, 142, erster Leitsatz. Von Jauernig NJW 86, 117. In NJW 85, 1783.
H a n s - G ü n t h e r Borck
323
§578
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
die Verkündung „bei beiden Formen der Verlautbarung voraus" setze, „dass zumindest die Urteilsformel im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt ist. Fehlt es hieran, so kann weder eine Verlesung des Tenors noch eine Bezugnahme auf ihn erfolgen" s 0 . 26
Nach § 311 Abs. 2 S. 1 wird „das Urteil ... durch Verlesung der Urteilsformel verkündet" und verlesen werden kann nur, was schriftlich fixiert ist. Indessen ist das Gebot der Verlesung nur ein Formerfordernis der Verkündung: Verkünden kann man Urteile auch, wenn sie noch nicht schriftlich fixiert sind, wie ein Blick auf § 311 Abs. 2 S. 2 zeigt, wonach die hierin bestimmten „Urteile ... verkündet werden können, auch wenn die Urteilsformel noch nicht schriftlich abgefasst ist". Zwar soll die Verkündung in den nicht unter § 311 Abs. 2 S. 2 fallenden Fällen durch Verlesung erfolgen, so dass das Urteil notwendig fehlerhaft ist, wenn es bei der Verkündung noch nicht schriftlich niedergelegt war. Dessen ungeachtet kann auch ein noch nicht schriftlich festgelegtes Urteil verkündet werden und ist dann als Urteil in der Welt und kein bloßes Scheinurteil. Parteien, die am Schluss der Sitzung das mündlich verkündete Urteil erfahren, werden nicht daran zweifeln, dass es sich bei dem, was verkündet worden ist, um ein Urteil handelt, gleichviel, ob dieses schriftlich vorliegt oder nicht. Im Übrigen werden tagtäglich Urteile verkündet, die zwar schriftlich vorliegen, aber dennoch nicht verlesen werden, weil der Vorsitzende die Urteilsformel etwa: „Die Klage wird abgewiesen" - auswendig kennt. Diese zwar nicht verlesenen, aber doch verkündeten Urteile als „Nichturteile" einzuordnen, wäre abwegig. Aber auch solche Urteile können nicht als „Nichturteile" angesehen werden, die zwar erst - aber immerhin - während der Verkündung „laut niedergeschrieben" werden 5 1 . Zu Recht wird auch auf die Möglichkeit hingewiesen 52 , dass ein „Richter sich als exzellenter Gedächtniskünstler entpuppen" könnte, „der auch noch so komplizierte und noch so lange Urteilsformeln mündlich mitteilen und, zwecks späterer Absetzung, in seinem Gedächtnis speichern kann". Entgegen der herrschenden Meinung ist daher ein zwar noch nicht schriftlich vorliegendes, immerhin aber mündlich mitgeteiltes Urteil verkündet worden und daher kein Nichturteil 5 3 .
27
Soll die Entscheidung nicht am Schluss der mündlichen Verhandlung, sondern in einem besonderen Verkündungstermin verkündet werden, dann kann gemäß § 311 Abs. 4 S. 2 „die Verlesung der Urteilsformel ... durch eine Bezugnahme auf die Urteilsformel ersetzt werden, wenn in dem Verkündungstermin von den Parteien niemand erschienen ist". Durch die Bezugnahme auf die Urteilsformel wird aber nicht nur die Verlesung ersetzt, sondern die Verkündung selbst; denn „eine ,Verkündung' im Wortsinn liegt nicht vor, der Sache nach unterbleibt sie" 5 4 . Zwar ist in solchen Fällen die eigentliche Verkündung des Urteils der Sache nach entbehrlich, weil von den Parteien ohnehin keine zugegen ist; „Hier wäre Verlesung der Urteilsformel sinnlose Förmelei" 5 5 . Dafür ist aber notwendige Bedingung der Ersetzung der Verlesung durch Bezugnahme, dass das, worauf Bezug genommen wird - die Urteilsformel - „im Zeitpunkt dieser Bezugnahme schon schriftlich niedergelegt ist 56 : „Ohne schriftliche Urteilsformel keine Bezugnahme, ohne solche Bezugnahme 50
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52
Übereinstimmend Stein/Jonas/Leipold $ 311 Rdn. 2; MünchKomm/MMS Rdn. 13; Thomas/Putzo/ Reichbold Rdn. 4. Baumbach/Lauterbach/Albers/Harimaraw Rdn. 2; Thomas/Putzo/Reichhold Rdn. 4. Stein/Jonas/Gransfey Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach/Albers /Hartmann Rdn. 2; Thomas/ Putzo/Reichhold Rdn. 4.
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Beschl. vom 3 0 . 3 . 9 3 - X Z R 51/92 - in NJW 93, 1596; Beschl. vom 5 . 5 . 9 4 - VGS 1-4/93 - in NJW 94, 1735 und Beschl. vom 2 2 . 1 1 . 9 4 X Z R 51/92 - in NJW 95, 332. Beschl. vom 1 4 . 3 . 9 4 - AnwZ (B) 27/93 - in NJW 94, 2751.
H a n s - G ü n t h e r Borck
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
§579
2 . D a s R e c h t auf den gesetzlichen Richter im Senat für Anwaltssachen wird weder dadurch verletzt, dass der Vorsitzende aufgrund der v o m Präsidenten des B G H aufgestellten Mitwirkungsgrundsätze zwischen ihm und einem v o m Präsidium bestellten Vorsitzenden R i c h t e r a m B G H wechselt, n o c h dadurch, dass dem Senat fünf Mitglieder des B G H und acht Rechtsanwälte als Beisitzer zugeteilt s i n d . " d) Die Ansicht, „bei allen Nichtigkeitsgründen des § 5 7 9 k a n n das Wiederaufnahmeverfahren nur dann zulässig sein, wenn der behauptete Nichtigkeitsgrund in dem Hauptprozess übersehen worden ist. H a t das Gericht die Frage dagegen geprüft, so k a n n die Entscheidung nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass ihre Unrichtigkeit behauptet w i r d " 1 3 , kann für Nr. 1 schon deshalb nicht geteilt werden, weil sie in sich widerspruchsvoll ist: Hier geht es doch gerade um die Frage, o b ein vorschriftsmäßig besetztes Gericht zu R e c h t davon ausgegangen ist, dass es vorschriftsmäßig besetzt w a r oder o b ein nicht vorschriftsmäßig besetztes Gericht diesen M a n g e l verkannt oder sich gar bewusst hierüber hinweggesetzt hat.
15
Diese Ansicht findet auch sonst keine Stütze im Gesetz (hierzu vgl. R d n . 2 0 ) ; die zu ihrer Begründung aufgezeigte G e f a h r eines unendlichen Regresses muss theoretisch bleiben.
16
2 . Ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter hat mitgewirkt a) N a c h Nr. 2 findet die Nichtigkeitsklage statt, „wenn ein R i c h t e r bei der EntScheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuches oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht i s t " . Dieser Nichtigkeitsgrund entspricht bis a u f die Alternative „oder eines R e c h t s m i t t e l s " auch inhaltlich dem sonst völlig gleichlautenden absoluten Revisionsgrund des § 5 4 7 Abs. 1 Nr. 2 .
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Für die Alternative „oder eines R e c h t s m i t t e l s " besteht in § 5 4 7 Abs. 2 Nr. 2 deshalb keine Veranlassung, weil die Revision ja selbst das relevante Rechtsmittel ist, mit dem die Nichtigkeit geltend gemacht wird.
18
b ) Im R a h m e n der Nr. 2 hat die Wendung „oder eines R e c h t s m i t t e l s " nicht etwa die gleiche Bedeutung, die Absatz 2 für die Nr. 1 und 3 hat, sondern nur die Folge, dass der mit einem Rechtsmittel vergeblich geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht n o c h einmal mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden k a n n .
19
Es liegt aber nicht etwa in der weiteren Konsequenz, dass das Hindernis dann nicht mehr zum Z w e c k e der W i e d e r a u f n a h m e geltend gemacht werden k a n n , wenn das Gericht von sich aus die Frage, o b ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei, aufgeworfen und verneint hat; denn hierzu ist das Gericht nicht befugt: G e m ä ß § 4 8 hat, wenn aus irgendwelcher „Veranlassung Zweifel darüber besteht, o b ein R i c h t e r kraft Gesetzes ausgeschlossen s e i " , „das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuches zuständige Gericht . . . zu entscheiden" und nicht das w o m ö g l i c h betroffene Gericht in eigener Sache.
20
c) Die in R d n . 15 wiedergegebene Ansicht ist auch für Nr. 2 abzulehnen und aus den gleichen Gründen.
21
d) N a c h wohl herrschender Ansicht soll Nr. 2 entsprechend anzuwenden sein, wenn ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Rechtspfleger einen Vollstreckungsbe-
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Stein/Jonas/Gnmsfcy Rdn. 2. Hans-Günther Borck
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§579
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
scheid erlässt 1 4 . Diese Ansicht, die allerdings wohl kaum jemals zu praktischen Konsequenzen geführt haben dürfte, ist abzulehnen: Ein Rechtspfleger ist kein Richter, er entscheidet auch keinen Rechtsstreit, erlässt vielmehr lediglich einen Vollstreckungsbescheid entsprechend dem vorangegangenen Mahnbescheid, wenn hiergegen kein Widerspruch erhoben worden ist und hat hierbei so wenig Entscheidungsspielraum, dass es für den Inhalt des Vollstreckungsbescheides völlig gleichgültig ist, welcher Rechtspfleger ihn erlassen hat. 3. Ein mit Erfolg abgelehnter Richter hat mitgewirkt 23
Nach Absatz 1 Nr. 3 findet die Nichtigkeitsklage statt, „wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt w a r " ; dieser Nichtigkeitsgrund entspricht auch inhaltlich völlig dem gleichlautenden absoluten Revisionsgrund des § 5 4 7 Abs. 1 Nr. 3.
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Auch für § 5 4 7 Abs. 1 Nr. 3 fehlt die sich für § 5 7 9 Abs. 1 Nr. 3 aus § 5 7 9 Abs. 2 ergebende Ausnahme der Natur der Sache entsprechend (hierzu vgl. Rdn. 13).
25
Das zu Nr. 1 in Rdn. 14, 15 und zu Nr. 2 in Rdn. 2 2 Angemerkte gilt sinngemäß auch für Nr. 3. 4. Eine Partei war in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten
26
a) Nach Absatz 1 Nr. 4 findet die Nichtigkeitsklage statt, „wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat"; dieser Nichtigkeitsgrund entspricht inhaltlich völlig dem gleichlautenden absoluten Revisionsgrund des § 5 4 7 Abs. 1 Nr. 4. Der Nichtigkeitsgrund der Ziff. 4 unterscheidet sich von den übrigen Nichtigkeitsgründen insofern, als es hier nicht um Mängel geht, die primär in die richterliche Sphäre fallen 1 5 , sondern allein darum, dass eine Partei im Ergebnis deshalb kein rechtliches Gehör erhalten hat, weil sie - vom Gericht unbemerkt - nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war. Der tragende Grund für die Nichtigkeit gemäß Nr. 4 ist mithin die Versagung des rechtlichen Gehörs infolge einer sich aus Nr. 4 ergebenden und durch eben diese Vorschrift ganz bestimmten Konstellation 1 6 . Hiervon geht auch das Bundesverfassungsgericht aus 1 7 .
27
b) Nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war in dem Verfahren, um dessen Wiederaufnahme es geht, eine Partei dann, „wenn sie den Prozess selbst geführt hat, obwohl sie nicht prozessfähig war oder wenn für sie ein Vertreter gehandelt hat, dem es an der gesetzlichen Vertretungsbefugnis mangelt" 1 8 . Aber auch, wenn der Person, die für die Partei aufgetreten ist, die Prozessvollmacht gefehlt hat 1 9 oder die Prozessführungsbefugnis 20 oder wenn eine juristische Person nicht von einem vertretungsbefugten Organ vertreten war 2 1 , war die Partei nicht nach Vorschrift der 14
15 16
Stein/Jonas/Gransfcy Rdn. 4; Zöller/Greger Rdn. 3; MünchKomm/Bran« Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach/Albers/Huriman« Rdn. 4; Rosenberg/Schwab/GoH!fu/ Rdn. 7.
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589
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
§589 Zulässigkeitsprüfung (1) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben sei. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Klage als unzulässig zu verwerfen. (2) Die Tatsachen, die ergeben, dass die Klage vor Ablauf der Notfrist erhoben ist, sind glaubhaft zu machen. Übersicht Rdn
Rdn
I. Die Bestimmungen des § 5 8 9
1
II. Die Prüfung von Amts wegen
2
III. Die von der Amtsprüfung betroffenen besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen 1. Der Anwendungsbereich von § 5 8 9 Abs. 1 2 . Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 5 8 9 Abs. 1 . 3. Weitere von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzungen
IV. Die Folgen des Fehlens von Zulässigkeitsvoraussetzungen 1. Die Verwerfung als unzulässig . . 2 . Die Wiederholung der Wiederaufnahmeklage in zulässiger Weise . V. Die Glaubhaftmachung der Wahrung der Notfrist 1. Die Bedeutung von Abs. 2 . . . . 2 . Der Beginn der Notfrist 3. Probleme der Glaubhaftmachung
6 11 14
17 19
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I. Die Bestimmungen des § 5 8 9 1
Die Bestimmungen des § 5 8 9 betreffen die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Wiederaufnahmeklage (hierzu vgl. Rdn. 7): Diese sind nach Abs. 1 S. 1 von Amts wegen zu prüfen (hierzu vgl. Rdn. 2 ff) und fehlt es an einer, ist die Klage als unzulässig zu verwerfen (hierzu vgl. Rdn. 17ff) und in Abs. 2 wird bestimmt, dass die Wahrung der Notfrist glaubhaft zu machen ist (hierzu vgl. Rdn. 21 ff).
II. Die Prüfung von Amts wegen 2
Dass die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Wiederaufnahmeklage von Amts wegen zu prüfen sind und bei deren Fehlen die Klage als unzulässig zu verwerfen ist, entspricht - mutatis mutandis - den Regelungen für den Einspruch in § 341 Abs. 1, der Berufung in § 5 2 2 Abs. 1, der Revision in § 5 5 2 Abs. 1 und der Beschwerde in § 5 7 4 . Hier „macht sich die Verwandtschaft des Wiederaufnahmeverfahrens mit dem Rechtsmittel geltend" 1 .
3
Jedoch ist anders als in den Fällen des Einspruches, der Berufung und der Revision stets nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden, wenn die Parteien nicht gemäß § 128 Abs. 2 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben; denn für § 5 8 9 fehlt es an einer den Vorschriften der §§ 341 Abs. 2, 5 2 2 Abs. 2 und § 5 5 2 Abs. 2 entsprechenden Vorschrift, die ausdrücklich die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung freistellt 2 .
4
Ob die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen oder nicht, wird zwar von Amts wegen geprüft, berücksichtigt wird aber nur der Vortrag der Parteien: Eine Amtsermittlung findet nicht statt 3 . 1 2
Stein/Jonas/GrKMsiy Rdn. 1. Vgl. R G Z 82, 2 8 6 ; Baumbach/Lauterbach/Albers/
Hartmann Rdn. 4; AK/Greulich Rdn. 1.
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3
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hariman« Rdn. 3; Zimmermann Rdn. 1.
Hans-Günther Borck
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
§589
Die Entscheidung über die Unzulässigkeit kann in den Gründen des Urteils erfolgen, aber auch durch Zwischenurteil 4 nach der Anordnung gemäß § 5 9 0 Abs. 2 S. 1 (hierzu vgl. § 5 8 0 Rdn. 8 ff), „dass die Verhandlung und Entscheidung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Verhandlung über die Hauptsache erfolge".
5
III. Die von der Amtsprüfung betroffenen besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen 1. Der Anwendungsbereich von § 5 8 9 Abs. 1 a) Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift bezieht sich die in § 5 8 9 Abs. 1 S. 1 vorgesehene Amtsprüfung nur darauf, „ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben sei", und also nur auf die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Wiederaufnahmeklagen, nicht aber auch für die Zulässigkeitsvoraussetzungen, die für Klagen im allgemeinen gelten (hierzu vgl. Rdn. 7 f ) .
6
b) Demgegenüber geht die herrschende Meinung 5 von einem umfassenderen Anwendungsbereich des § 5 8 9 Abs. 2 aus, meint nämlich, dass die in dieser Vorschrift gebotene Prüfung „sich über den Wortlaut von Abs. 1 S. 1 hinaus auf alle Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage" erstrecke 6 .
7
Der herrschenden Ansicht kann nicht gefolgt werden. Ihr steht nicht nur der Wortlaut des Abs. 1 S. 1 entgegen, sondern auch, dass diese Vorschrift den Vorschriften der §§ 341 Abs. 1, 5 2 2 Abs. 1, 5 5 2 Abs. 1 und 2 7 4 entspricht (vgl. Rdn. 2), sowie, dass bei Fehlen der besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen die Klage als unzulässig nicht abzuweisen, sondern zu verwerfen ist.
8
Angesichts der Vorschrift des § 585, die auf die allgemeinen Vorschriften verweist, besteht bezüglich der nicht unter den Wortlaut des Abs. 1 S. 1 fallenden Zulässigkeitsvoraussetzungen auch nicht etwa eine Regelungslücke.
9
Richtig ist allerdings, dass der Unterschied der hier vertretenen Ansicht zur herrsehenden Ansicht ohne praktische Bedeutung ist: O b eine Klage nun als unzulässig verworfen oder aber als unzulässig abgewiesen wird, dieser „Unterschied ist freilich rein terminologischer Art, ohne dass sich daraus konkrete Rechtsfolgen ergäben" 7 .
10
2 . Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 5 8 9 Abs. 1 a) Nach der hier vertretenen Ansicht betrifft die durch § 5 8 9 Abs. 1 S. 1 gebotene Prüfung von Amts wegen nur drei Fragen, nämlich die, ob die Klage 1. „an sich statthaft ist", 2. „ob sie in der gesetzlichen F o r m " und 3. „ob sie in der gesetzlichen Frist" erhoben worden ist.
11
b) An sich statthaft ist eine Wiederaufnahmeklage nur dann, wenn sie sich gegen ein rechtskräftiges Urteil richtet und ein Wiederaufnahmegrund schlüssig behauptet wird. In den Fällen des § 5 8 0 Nr. 1 bis 5 ist die Restitutionsklage darüber hinaus nur dann statthaft, „wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen
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4
5
Zöller/Greger Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach/ Mbers/Hartmann Rdn. 4. Stein/Jonas/Grunsky Rdn. 1; MiinchKomm/ Brautt Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann Rdn. 3; ThomasfPutzo/Reichhold
6 7
Rdn. 1; Zimmermann Rdn. 1; so auch noch Voraufl. Anm. A II. Stein/jonas/Grunsky Rdn. 1. Stein/Jonas/GrH«s&y Rdn. 2.
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§589
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ist oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweises nicht erfolgen k a n n " 8 . 13
c) Die zu beachtende gesetzliche Form ergibt sich aus § 587, die innezuhaltende gesetzliche Frist aus § 5 8 6 . 3. Weitere von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzungen
14
a) Nach herrschender Meinung aufgrund des § 5 8 9 Abs. 1, nach der hier vertretenen, im Ergebnis übereinstimmenden Meinung gemäß § 5 8 5 aufgrund der allgemeinen Vorschriften sind aber auch alle anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen, die nicht der Parteidisposition unterliegen, von Amts wegen zu prüfen.
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b) Bezüglich der Vorschrift des § 5 8 2 ist zwar umstritten (hierzu vgl. § 5 8 2 Rdn. 3 ff), o b deren Voraussetzungen zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen gehören oder aber zur Begründetheit der Wiederaufnahmeklage, wie angenommen wird (hierzu vgl. § 5 8 2 Rdn. 4), dass aber jedenfalls von Amts wegen zu prüfen ist, ob diese Voraussetzungen vorliegen, darüber besteht Einigkeit 9 .
16
c) Auch die Zuständigkeit ist von Amts wegen zu prüfen, weil die Zuständigkeiten des § 5 8 4 ausschließliche sind (hierzu vgl. § 5 8 4 Rdn. 3 f ) .
IV. Die Folgen des Fehlens von Zulässigkeitsvoraussetzungen 1. Die Verwerfung als unzulässig 17
a) Ergibt die Prüfung von Amts wegen, dass es an einer der von § 5 8 9 betroffenen besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen mangelt, dann ist die Klage gemäß § 5 8 9 Abs. 1 S.2 als unzulässig zu verwerfen.
18
b) In den Fällen, in denen die Amtsprüfung ergibt, dass die Klage aus anderen Gründen - etwa wegen § 5 8 2 - unzulässig ist, kommt statt der Verwerfung auch die Abweisung der Klage als unzulässig in Betracht. Indessen ist dieser Unterschied lediglich terminologischer Natur und ohne praktische Auswirkung , 0 . Das gilt auch dann, wenn die Klage, weil der schlüssig vorgetragene Wiederaufnahmegrund nicht bewiesen wird, als unzulässig, statt richtig als unbegründet abgewiesen wird 1 1 . Die weitergehende Ansicht, es bleibe sich „im Ergebnis ... gleich, o b eine Verwerfung als unzulässig oder eine Abweisung als unbegründet erfolge" 12 , ist freilich nur bedingt richtig (hierzu vgl. Rdn. 19). 2 . Die Wiederholung der Wiederaufnahmeklage in zulässiger Weise
19
Wenn eine Wiederaufnahmeklage nicht als unbegründet abgewiesen, sondern als unzulässig verworfen oder abgewiesen wird, kann sie prinzipiell in zulässiger Weise wiederholt werden 1 3 , soweit dieses noch möglich ist.
20
K o m m t eine Wiederholung in zulässiger Weise aber ohnehin nicht mehr in Betracht, - etwa, weil die Notfrist für die neue Klage abgelaufen sein würde - , dann sollen keine Bedenken dagegen bestehen, „die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage offenzulassen und sie als jedenfalls unbegründet' abzuweisen" 1 4 . MünchKommJBraun MünchKomm/ßm«« Stein/Jonas/Gransfcy MünchKomm/ßraxn MünchKomm/Braun
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Rdn. Rdn. Rdn. Rdn. Rdn.
1 Fn 5. 2. 2. 2. 2.
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Zöller/Greger Rdn. 5; Thomas/Putzo/Reicbhold Rdn. 1; AK/Greulich Rdn. 3. Zöller/Greger Rdn. 5 unter Hinw. auf BGH LM § 580 Ziff. 7 b ZPO Nr.4 Bl. 40.
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§589
V. Die Glaubhaftmachung der Wahrung der Notfrist 1. Die Bedeutung von Abs. 2 Nach Abs. 2 hat der Wiederaufnahmekläger „die Tatsachen, die ergeben, dass die Klage vor Ablauf der Notfrist erhoben ist, ... glaubhaft zu machen". Dafür genügt, dass er glaubhaft macht (hierzu Rdn. 2 4 ff), wann die Notfrist begonnen hat (hierzu vgl. Rdn. 22); denn durch den Beginn der Notfrist wird auch bestimmt, wann sie abläuft (hierzu vgl. Rdn. 2ff). Und ob die Klage vor oder nach dem Ablauf erhoben ist, lässt sich dann ohne weiteres der Gerichtsakte entnehmen.
21
2. Der Beginn der Notfrist a) In den Fällen des § 5 7 9 Nr. 4 läuft die Notfrist gemäß § 5 8 6 Abs.3 erst nach Ablauf des Tages (hierzu vgl. § 5 8 6 Rdn. 65 ff), an dem der Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit ihrem gesetzlichen Vertreter das Urteil zugestellt ist, ab und auch nur unter der weiteren Voraussetzung, dass das Urteil vor der Zustellung schon rechtskräftig war (hierzu vgl. § 5 8 6 Rdn. 71 ff).
22
b) In den übrigen Fällen beginnt die Notfrist gemäß § 5 8 6 Abs. 2 S. 1 „mit dem Tage, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat" (hierzu vgl. § 5 8 6 Rdn. 2 0 f f ) , „jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils" (hierzu vgl. § 5 8 6 Rdn. 31 ff).
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3. Probleme der Glaubhaftmachung a) Dass der Wiederaufnahmekläger den Beginn der Notfrist glaubhaft zu machen hat, bedeutet der Sache nach, dass er den Zeitpunkt des Beginns der Notfrist schlüssig vorzutragen und dann glaubhaft zu machen hat, dass die Notfrist nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt zu laufen begonnen hat. Glaubhaft zu machen ist also jeweils eine negative Tatsache.
24
b) Da sich schon aus der Natur der Sache ergibt, dass regelmäßig nur der Wiederaufnahmekläger selbst wissen kann, wann er zuerst Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erlangt hat, war es sachgerecht, in Abs. 2 zu bestimmen, dass diese Tatsache nicht bewiesen werden müsse, sondern glaubhaft zu machen sei; denn zur Glaubhaftmachung kann sich der Wiederaufnahmekläger gem. § 2 9 4 Abs. 2 zwar nur präsenter Beweismittel bedienen, er kann aber gem. § 2 9 4 Abs. 1 „auch zur Versicherung an Eides Statt zugelassen werden".
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c) Weil die Innehaltung der Notfrist von Amts wegen zu prüfen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Wiederaufnahmebeklagte den einschlägigen Vortrag des Wiederaufnahmeklägers überhaupt bestritten hat. Wohl aber kann der Wiederaufnahmebeklagte dem Versuch der Glaubhaftmachung entgegentreten und sich hierbei ebenfalls aller präsenter Beweismittel bedienen 15 .
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B G H N J W 1960, 818; Stein/Jonas/Gr««siy Rdn.
R d n . 8 ; Thomas/Putzo/ReicfcfcoU R d n . 2 ;
3; MünchKomm/ßraHtt
mermann
Rdn.
3 ; Zöller/Greger
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Rdn. 2.
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§590
Viertes Buch. W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens
§590 Neue Verhandlung (1) Die Hauptsache wird, insoweit sie von dem Anfechtungsgrunde betroffen ist, von neuem verhandelt. (2) Das Gericht kann anordnen, dass die Verhandlung und Entscheidung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Verhandlung über die Hauptsache erfolge. In diesem Fall ist die Verhandlung über die Hauptsache als Fortsetzung der Verhandlung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens anzusehen. (3) Das für die Klagen zuständige Revisionsgericht hat die Verhandlung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens zu erledigen, auch wenn diese Erledigung von der Feststellung und Würdigung bestrittener Tatsachen abhängig ist. Schrifttum Bebre D e r S t r e i t g e g e n s t a n d d e s W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s , B e r l i n 1 9 6 8 ; Gilles Der U m f a n g von Aufhebung und Neuverhandlung im zivilprozessualen Wiederaufnahmeverfahr e n , D i s s . F r a n k f u r t 1 9 6 5 ; Gilles R e c h t s m i t t e l i m Z i v i l p r o z e ß , 1 9 9 7 ; Oberndörfer Die Rückw i r k u n g u n d i h r e B e g r e n z u n g bei d e r A u f h e b u n g e i n e s G e s t a l t u n g s u r t e i l s i m z i v i l p r o z e s s u a l e n W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n , D i s s . E r l a n g e n 1 9 6 2 ; Rüßmann Z u r W i e d e r a u f n a h m e eines Ehes c h e i d u n g s s t r e i t e s n a c h W i e d e r v e r h e i r a t u n g eines der früheren Ehepartners, A c P 1 6 7 Bd. ( 1 9 6 7 ) , S. 4 1 0 ff; Wieczorek A n m . z u L A G F r a n k f u r t § 5 0 N r . 2 1 0 ; Zeuner Über den Einfluß v o n Wiedereinsetzung und W i e d e r a u f n a h m e auf die neue Ehe eines geschiedenen Ehegatten M D R 6 0 , 85 ff.
Übersicht Rdn I. Die Bestimmungen des § 5 9 0 1. Das Ziel des W i e d e r a u f n a h m e verfahrens: Die neue Verhandlung . 2. Die Möglichkeit der abgesonderten Verhandlung 3. Eine das Verfahren vor der Revisionsinstanz betreffende Ergänzung II. Die Anordnung abgesonderter Verhandlung 1. Die Regel: Einheitliche Verhandlung 2. Die Ausnahme: Abgesonderte Verhandlung 3. Der „Fortsetzungs"-Zusammenhang III. Die Verhandlung der Hauptsache „von neuem" 1. Die Voraussetzungen der erneuten Verhandlung der H a u p t s a c h e . . . 2. Der Streitgegenstand der erneuten Verhandlung 3. Die Bedeutung von ,„von neuem verhandelt" . .
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Rdn IV. Das Verfahren der erneuten Verhandlung 1. Die allgemeinen Vorschriften . . 2. Das Versäumnisverfahren . . . .
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V. Die Entscheidung nach erneuter Verhandlung der Hauptsache 1. Die Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung 2. Die Entscheidung zugunsten des Wiederaufnahmeklägers 3. Die Entscheidung gegen den Wiederaufnahmekläger 4. Die Kostenentscheidung VI. Die Rückabwicklung der Folgen des Vorprozesses 1. Kein verschuldensunabhängiger Schadensersatz aus § 717 Abs. 2 . . 2. Die analoge A n w e n d u n g von $ 717 Abs. 3 3. Materiellrechtliche Schadensersatzansprüche 4. Probleme nach W i e d e r a u f n a h m e eines Ehescheidungsverfahrens? . .
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§590
I. D i e B e s t i m m u n g e n des § 5 9 0 1. Das Ziel des Wiederaufnahmeverfahrens: Die neue Verhandlung a) Mit der Wiederaufnahmeklage verfolgt der Wiederaufnahmekläger das Ziel, 1 über eine neue Verhandlung zu einer ihm günstigeren Entscheidung über die Hauptsache des Vorprozesses zu gelangen. Dazu, dass gemäß § 590 Abs. 1 die Hauptsache, „insoweit sie von dem Anfechtungsgrund betroffen ist, von neuem verhandelt" wird (hierzu vgl. Rdn. 15 ff), kommt es aber erst, nachdem zuvor der Wiederaufnahmegrund festgestellt ist und dieses wiederum setzt voraus, dass die Amtsprüfung gem. § 589 die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage ergeben hat. b) Mithin sind, bevor es zu einer dem Wiederaufnahmekläger günstigeren EntScheidung kommen kann, drei Etappen, denen drei Verfahrensabschnitte entsprechen (hierzu vgl. § 578 Rdn. 81 ff), erfolgreich zu durchlaufen und zwar in dieser Reihenfolge: Zunächst ist von Amts wegen zu prüfen, ob die Wiederaufnahmeklage zulässig ist. Ist diese Frage zu verneinen, ist die Wiederaufnahmeklage als unzulässig zu verwerfen. Erweist sich die Wiederaufnahmeklage als zulässig, stellt sich die Frage, ob sie auch begründet ist, ob der schlüssig vorgetragene Anfechtungsgrund festgestellt werden kann. Ist dies nicht der Fall, ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Wird hingegen der vorgetragene Anfechtungsgrund festgestellt, dann ist das Wiederaufnahmebegehren als solches begründet und infolgedessen das angefochtene Urteil des Vorprozesses aufzuheben und über die Hauptsache des Vorprozesses erneut zu verhandeln, „insoweit sie von dem Anfechtungsgrund betroffen ist" (hierzu vgl. Rdn. 15 ff).
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2. Die Möglichkeit der abgesonderten Verhandlung Alle drei Entscheidungen, die das Gericht zu treffen hat, wenn die Hauptsache 6 des Vorprozesses von neuem verhandelt wird, erfolgen nach mündlicher Verhandlung 1 , wenn nicht zulässigerweise schriftliche Entscheidung gemäß § 128 Abs. 2 angeordnet worden ist. Es kann in einer mündlichen Verhandlung, sowohl über den Grund und die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeverfahrens als auch über die Hauptsache des Vorprozesses verhandelt und entschieden werden, es kann aber gemäß § 590 Abs. 2 auch angeordnet werden, „dass die Verhandlung und Entscheidung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage des Verfahrens vor der Verhandlung über die Hauptsache erfolge". 3. Eine das Verfahren vor der Revisionsinstanz betreffende Ergänzung In den Fällen, in denen gemäß § 584 Abs. 1 das Revisionsgericht zuständig ist, 7 hat dieses gemäß § 590 Abs. 3 „die Verhandlung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens zu erledigen, auch wenn diese Erledigung von der Feststellung und Würdigung bestimmter Tatsachen abhängig ist".
1
Stein/Jonas/GrHnsfc)' Rdn. 1; MünchKomm/ Braun Rdn. 5; Zimmermann Rdn. 1. Hans-Günther Borck
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§ 590
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
II. Die Anordnung abgesonderter Verhandlung 1. Die Regel: Einheitliche Verhandlung 8
Nach der Regel fällt die Verhandlung über Grund und Zulässigkeit des Verfahrens mit der - neuen - Verhandlung über die Hauptsache zusammen, nämlich immer dann, wenn das Gericht davon absieht, gemäß Abs. 2 die abgesonderte Verhandlung anzuordnen.
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Aber auch, wenn das Gericht aufgrund nur einer Verhandlung entscheidet, muss die richtige Reihenfolge der zu treffenden Entscheidungen - Zulässigkeit vor Grund, Grund vor neuer Entscheidung in der Hauptsache - gewahrt bleiben 2 . Wenn es in diesem Zusammenhang heißt: „Nach Aufhebung des Urteils, die in einem Zwischenurteil oder in den Gründen des Endurteils erfolgen kann ..., wird ,die Hauptsache von neuem verhandelt'" 3 , ist dies zwar missverständlich, weil missverstanden worden 4 , gemeint sein dürfte aber nicht, dass die - frühere - Entscheidung erst in den - späteren - Gründen erfolgen kann, sondern nur - was zutrifft - , dass die vor der neuen Entscheidung über die Hauptsache zu treffende Aufhebung des Urteils inzidenter mit der neuen Entscheidung erfolgen kann und eine Begründung im Endurteil genügt. 2 . Die Ausnahme: Abgesonderte Verhandlung
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a) Gemäß § 5 9 0 Abs. 2 kann das Gericht die abgesonderte Verhandlung anordnen. O b es von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will oder nicht, ist eine Frage, die im Einzelfall nach seinem freien - und also: pflichtgemäßem - Ermessen zu beantworten ist.
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Abgesonderte Verhandlung bietet sich an, wenn die Frage nach dem Grund und der Zulässigkeit des Verfahrens über die Wiederaufnahme eine Beweisaufnahme erforderlich macht oder Rechtsprobleme mit sich bringt, die in den Instanzen unterschiedlich beurteilt werden könnten.
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Liegt die Zulässigkeit und Begründetheit des Wiederaufnahmebegehrens aber klar zu Tage - etwa aufgrund eines Strafurteils - , wird das Gericht davon absehen, die abgesonderte Verhandlung anzuordnen.
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b) Das Gericht soll nicht nur anordnen können, dass über Grund und Zulässigkeit vorab zu verhandeln und zu entscheiden sei, es soll auch zunächst abgesonderte Entscheidung nur über die Zulässigkeit anordnen können und wenn dann die Zulässigkeit festgestellt sei, auch noch die abgesonderte Verhandlung über den Grund 5 , obzwar nur in dieser Reihenfolge und unter der weiteren Voraussetzung, dass diese Unterteilung nach pflichtgemäßem Ermessen sachgerecht ist. 3. Der „Fortsetzungs"-Zusammenhang
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Hatte das Gericht die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit und über den Grund der Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet, dann ist gemäß § 5 9 0 Abs. 2 S. 2 die spätere - neue - Verhandlung über die Hauptsache als „Fortsetzung der Verhandlung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens anzusehen". 2
3
Stein/Jonas/GrKns&y § 578 Rdn. 31; MünchKomm/Braun Rdn. 5. Stein/Jonas/Crunsky § 578 Rdn. 36.
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MünchKomm/Braun Fn. 1. BGH NJW 79, 1271.
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§590
III. D i e V e r h a n d l u n g der H a u p t s a c h e „ v o n n e u e m " 1. Die Voraussetzungen der erneuten Verhandlung der Hauptsache Wenn § 5 9 0 Abs. 1 bestimmt, dass die Hauptsache, „insoweit sie von dem Anfechtungsgrunde betroffen ist, von neuem verhandelt" werde, dann wird hier noch nicht vorausgesetzt, dass über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens schon entschieden sei. Zwar kann gemäß Abs. 2 angeordnet werden, dass vorab über Grund und Zulässigkeit zu entscheiden sei und in solchen Fällen wird nur dann über die Hauptsache von neuem verhandelt, wenn über Grund und Zulässigkeit vorab zugunsten des Wiederaufnahmeklägers entschieden worden ist. Aber gerade, dass die abgesonderte Verhandlung angeordnet werden kann, zeigt, dass auch über Grund und Zulässigkeit und Hauptsache zusammen verhandelt werden kann. Es muss noch nicht einmal in der Verhandlung die „richtige" Reihenfolge innegehalten werden (hierzu vgl. Rdn. 9). Diese ist vielmehr nur wichtig für die Prüfung und die Entscheidung durch das Gericht.
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2 . Der Streitgegenstand der erneuten Verhandlung a) „Von neuem" verhandelt wird die Hauptsache des Vorprozesses nur, „insoweit sie von dem Anfechtungsgrunde betroffen ist". Ist der Streitgegenstand des Vorprozesses unteilbar, dann wird er auch vollen Umfanges vom Anfechtungsgrund betroffen, so dass die Hauptsache des Vorprozesses der Streitgegenstand der erneuten Verhandlung ist. Werden aber in einer Klage mehrere Ansprüche geltend gemacht, dann kann sich ergeben, dass nicht alle Ansprüche vom Anfechtungsgrund betroffen werden. Die nicht betroffenen werden nicht von neuem verhandelt. Insoweit wird das Urteil des Vorprozesses auch nicht aufgehoben.
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b) Eben, weil ein Anfechtungsgrund die Hauptsache des Vorprozesses nicht notwendig vollen Umfanges betreffen muss, soll der Wiederaufnahmekläger gemäß § 5 8 8 Abs. 1 Nr. 3 schon in der Klage als vorbereitenden Schriftsatz erklären, „inwieweit die Beseitigung des angefochtenen Urteils und welche andere Entscheidung in der Hauptsache beantragt werde" (hierzu vgl. § 5 8 8 Rdn. 8).
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Entscheidend ist aber letztlich nicht der Antrag des Wiederaufnahmeklägers, sondem die Entscheidung des Gerichts: Es hebt das Urteil des Vorprozesses nur insoweit auf, wie es vom Anfechtungsgrund betroffen ist, gegebenenfalls unter Abweisung der Wiederaufnahmeklage im Übrigen.
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c) Im hier gegebenen Zusammenhang (vgl. aber Rdn. 21 ff) kommt es nicht darauf an, inwieweit das Verfahren im Vorprozess von dem Anfechtungsgrund betroffen war, sondern nur darauf, inwieweit „sie" - nämlich die Hauptsache des Vorprozesses - „von dem Anfechtungsgrunde betroffen ist". Auch wenn das Verfahren nur zu einem geringen Teil vom Anfechtungsgrund betroffen war, muss doch die Hauptsache insgesamt „von neuem" verhandelt werden, wenn sie vollen Umfanges betroffen ist.
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3. Die Bedeutung von „von neuem verhandelt" a) Beim Wort genommen kann die Wendung „von neuem verhandelt" bedeuten sollen, dass nach Aufhebung des Urteils des Vorprozesses, über dessen Hauptsache in dem Verständnis „von neuem verhandelt" wird, dass die Verhandlung noch einmal von vorne beginnt. Hans-Günther Borck
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b) Indessen geht es hier eindeutig nur um die Wiederaufnahme des Verfahrens, nachdem das Urteil, welches das Verfahren zunächst beendet hatte, aufgehoben worden ist, weil und insoweit, als es von einem Anfechtungsgrund betroffen war. Das Verfahren fängt nicht wieder von vorne an, sondern wird in dem Stand wieder aufgenommen, in dem es sich befand, bevor das Urteil erging, nur, dass jetzt der Anfechtungsgrund zu vermeiden ist (hierzu vgl. 24f). Dass „von neuem verhandelt" wird, bedeutet mithin, „dass die Verhandlung so erfolgt, als wäre das Endurteil nicht ergangen; die frühere Verhandlung ist also fortzusetzen" 6 .
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In der weiteren Konsequenz befinden sich die Parteien nach Aufhebung des angefochtenen Urteils wieder in der nämlichen prozessualen Situation, in der sie vor Verkündung dieses Urteils waren, soweit sich nicht aus dem Anfechtungsgrund oder aus dem Zeitablauf (hierzu vgl. Rdn. 26) Änderungen ergeben. Insbesondere behalten Prozesshandlungen - beispielsweise ein Geständnis oder ein Anerkenntnis - prinzipiell ihre Wirkung 7 .
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c) Der Anfechtungsgrund darf aber nicht wiederholt werden, der Fehler im Vorprozess, der zur Aufhebung des Urteils geführt hat, darf nicht in die erneute Verhandlung hinein fortwirken. Insoweit kommt es auf die Besonderheiten des konkreten Falles und des konkreten Anfechtungsgrundes an. 25 So darf zwar ein Richter, wegen dessen unzulässiger Mitwirkung im Vorprozess das Urteil aufgehoben worden ist, in der neuen Verhandlung nicht mitwirken, die von ihm vertretene Rechtsansicht kann aber auch in der neuen Verhandlung zugrunde gelegt werden, wenn sie für richtig befunden wird. Auch kann eine verfälschte Urkunde oder eine Falschaussage, auf die das Urteil des Vorprozesses gestützt war, nicht wiederum in der neuen Verhandlung zugrundegelegt werden; wohl aber kann die neue Verhandlung durch andere Beweismittel zu dem gleichen Ergebnis führen, wie der Vorprozess. Es kann aber auch die Tatsache der Bestrafung wegen Urkundenfälschung oder Falschaussage dazu führen, dass dem Wiederaufnahmebeklagten nun auch in anderer Hinsicht nicht geglaubt wird. 26
d) Zwischen dem Erlass des später aufgehobenen Urteils des Vorprozesses und dessen Aufhebung im Wiederaufnahmeverfahren pflegt geraume Zeit zu verstreichen: In diese Zeit fallende Änderungen der Sach- und Rechtslage sind bei der erneuten Verhandlung zu berücksichtigen 8 .
IV. Das Verfahren der erneuten Verhandlung 1. Die allgemeinen Vorschriften 27
a) Für das Wiederaufnahmeverfahren gelten gemäß § 585 „die allgemeinen Vorschriften entsprechend, sofern nicht aus den Vorschriften dieses Gesetzes sich eine Abweichung ergibt"; dies gilt auch für das Verfahren in der erneuten Verhandlung. „Allgemeine Vorschriften" in diesem Sinne sind alle Vorschriften, die allgemeiner sind als die, die speziell für das Wiederaufnahmeverfahren gelten (hierzu vgl. § 585 Rdn. 12 ff).
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Stein/JonasIGrunsky Rdn. 6; übereinstimmend MünchKomm/ßra«« Rdn. 4; ZöllerIGreger Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/Harimanw Rdn. 3; Thomas/Putzo/ReicMoM Rdn. 4. Stein/Jonas/GrHMsfey Rdn. 6; MünchKomm/
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Braun Rdn. 4; Zöller IGreger Rdn. 13; Thomas/ VutzolReicbhold Rdn. 4. Stein/Jonas/GrH«s&;y Rdn. 8; Zöller IGreger Rdn. 14.
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b) Welche der mehr oder minder allgemeinen Vorschriften jeweils anzuwenden sind, hängt von den Besonderheiten des konkreten Falles ab: Wurde ein Berufungsurteil angefochten, sind auch die für das Berufungsverfahren geltenden Vorschriften anzuwenden, für die Revisionsinstanz die hierfür geltenden. Entsprechendes gilt für den Urkundenprozess etc. etc. 9 . Kurzum: Es finden jeweils die Vorschriften Anwendung, die auch im Vorprozess anzuwenden waren.
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2 . Das Versäumnis verfahren a) Zu den allgemeinen Vorschriften gehören insbesondere auch die das Versäumnisurteil betreffenden Vorschriften der §§ 3 3 0 ff. Diese sind ohne weiteres anzuwenden, wenn eine Partei im - neuen - Termin über die Hauptsache nicht erscheint oder nicht verhandelt, nachdem schon in einem früheren Termin die Zulässigkeit und der Grund des Wiederaufnahmeverfahrens festgestellt worden waren.
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b) Abweichungen, die gemäß § 5 8 5 zu berücksichtigen sind, ergeben sich jedoch dann, wenn über Grund und Zulässigkeit noch nicht entschieden worden ist, weil diese gemäß § 5 8 9 Abs. 1 von Amts wegen zu prüfen sind. Bedingt hierdurch ergibt sich folgendes Bild:
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Auch im Falle der Säumnis einer Partei - gleichviel, welcher - darf über die Hauptsache des Vorprozesses erst von neuem entschieden werden, nachdem zuvor über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens entschieden worden ist (hierzu vgl. Rdn. 15).
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Wird aufgrund der gemäß § 5 8 9 Abs. 1 gebotenen Prüfung von Amts wegen festgestellt, dass es an einem Erfordernis insoweit mangelt, dann ist die Klage gemäß § 5 8 9 Abs. 1 S. 2 als unzulässig zu verwerfen. Das Urteil, durch welches dieses geschieht, ist auch im Falle der Säumnis des Wiederaufnahmeklägers kein echtes Versäumnisurteil, sondern nur ein „unechtes Versäumnisurteil" genanntes Endurteil 1 0 und zwar gerade auch in Ansehung der Rechtsmittel hiergegen (hierzu vgl. § 5 9 1 Rdn. 5); denn es beruht nicht auf der Säumnis, sondern darauf, dass die Prüfung von Amts wegen die Unzulässigkeit ergeben hat.
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Die A n s i c h t n , es sei die Wiederaufnahmeklage, wenn die Amtsprüfung die Unzulässigkeit ergeben habe, durch ein echtes Versäumnisurteil zu verwerfen, ist abzulehnen; sie wird auch nicht näher begründet. Soweit auf das Urteil des B G H vom 2 8 . 9 . 1 9 6 5 1 2 verwiesen wird, ist zwar richtig, dass der diesem Urteil vorangestellte Leitsatz im Sinne der hier abgelehnten Ansicht verstanden werden könnte, dieser Leitsatz entspricht aber nicht dem Urteil selbst; hierin heißt es vielmehr im einschlägigen Zusammenhang: „Nach der Prüfung der Zulässigkeit der Restitutionsklage wäre an sich weiter zu prüfen, ob der behauptete Restitutionsgrund gegeben ist (§§ 5 8 0 Nr. 7, 5 8 2 Z P O ) . Auch für diese Prüfung sind ausschließlich die Vorschriften der Z P O , mithin im Falle der Säumnis des Restitutionski. auch die Vorschriften der §§ 3 3 0 ff Z P O über das Versäumnisurteil anwendbar. Demgemäß war im vorl. Fall nach § 3 3 0 Z P O gegen die im Termin zur mündl. Verhandlung nicht erschienene Restitutionski. auf Antrag des Bekl. das Versäumnisurteil dahin zu erlassen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird. Für diese durch echtes Versäumnisurteil
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Stein/Jonas/Gruns/fey Rdn. 9; ZöllerICreger Rdn. 14; Thomas/PutzoIReichhold Rdn. 4. BGH in NJW 59, 1780; Stein/Jonas/Grans^ Rdn. 17; Zöller/Greger § 589 Rdn. 4; Thomas/ Putio/Reichhold Rdn. 4; Zimmermann Rdn. 7;
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AK/Greulich Rdn. 8; Rosenberg/Schwab/Gorrwald § 161 V. Baumbach/Lauterbach/Albers/Harimann Rdn. 10; aA BGH NJW 59, 1780. I n M D R 6 6 , 40.
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ergehende Sachabweisung bedarf es keiner Sachprüfung". In diesem Fall scheint mithin die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen unterblieben und als „jedenfalls unbegründet" (hierzu vgl. § 589 Rdn. 20) abgewiesen worden zu sein. 34 Ergibt die Prüfung von Amts wegen die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage, ist der Weg frei für eine neue Entscheidung über die Hauptsache des Vorprozesses. Diese Entscheidung kann nun auch durch ein echtes Versäumnisurteil erfolgen 13 . 35 Bei Anwendung der Vorschriften der §§ 330 ff, in der Berufungsinstanz des § 539 und in der Revisionsinstanz des § 565 kommt es dann aber nicht auf die Parteirolle im Wiederaufnahmeverfahren an, sondern auf die im Vorprozess 14 . Dementsprechend ist bei Säumnis des Klägers des Vorprozesses die Klage ohne weiteres abzuweisen und bei Säumnis des Rechtsmittelklägers des Vorprozesses das Rechtsmittel ohne weiteres zurückzuweisen und bei Säumnis des Beklagten oder des Rechtsmittelbeklagten des Vorprozesses ist das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers oder des Rechtsmittelklägers als zugestanden anzusehen. 36
Bei Säumnis einer oder beider Parteien kann nach Maßgabe der §§ 251a, 331a nach Lage der Akten entschieden werden 15 .
V. Die Entscheidung nach erneuter Verhandlung der Hauptsache 1. Die Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung 37
Kommt es nach Aufhebung des Urteils des Vorprozesses zur erneuten Verhandlung der Hauptsache, dann kann das Verfahren beendet werden, wie es hätte beendet werden können, wäre das angefochtene und aufgehobene Urteil des Vorprozesses gar nicht erst ergangen. Soweit die Beendigung durch Vergleich, Rücknahme der Klage oder des Rechtsmittels oder dadurch eintritt, dass die Hauptsache für erledigt erklärt wird, gelten gemäß § 585 die allgemeinen Vorschriften. Abweichungen aufgrund der § 5 87 ff ergeben sich nicht. 2. Die Entscheidung zugunsten des Wiederaufnahmeklägers
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Wird nach Aufhebung des Urteils des Vorprozesses in der erneuten Verhandlung der Hauptsache zugunsten des Wiederaufnahmeklägers entschieden, dann ergeht diese Entscheidung so, wie sie auch ergehen würde, wäre nicht zunächst das dann angefochtene und aufgehobene Urteil ergangen 16 . 39 Welche Entscheidung zu treffen ist, hängt von der Besonderheit des konkreten Falles ab: Je nach Lage der Dinge kann auch ein Teil- oder ein Zwischenurteil in Betracht kommen 1 7 . 3. Die Entscheidung gegen den Wiederaufnahmekläger 40
a) Die erneute Verhandlung der Hauptsache des Vorprozesses kann ergeben, dass in der Sache abermals gegen den Wiederaufnahmekläger zu entscheiden ist. In
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B G H in M D R 66, 40; Sttml]onz%IGrumky Rdn. 17 f; ZöllerIGreger % 589 Rdn. 4; Thomas/Putzo/ Reichhold R d n . 6; Zimmermann R d n . 7; AK/ Greulich Rdn. 81. Zöller/Greger R d n . 14.
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Baumbach/Lauterbach/Albers/Harimann Rdn. 12; Rosenberg/Schwab/GofitfaW § 161 V 3. Stein/Jonas/G™«s^y R d n . 10; M ü n c h K o m m / Braun Rdn. 6. Stein/Jonas/Grunsky R d n . 10.
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solchen Fällen ergeht unter Aufhebung des angefochtenen Urteils ein - fast - inhaltsgleiches neues Urteil 1 8 . Dieses Urteil kann dem ursprünglichen Urteil Wort für Wort entsprechen, es unterscheidet sich aber von ihm durch das spätere Datum der Verkündung und dem späteren Eintritt der Rechtskraft.
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b) Es wird aber auch die Ansicht vertreten 1 9 , dass „statt der an sich korrekten Aufhebung des alten Urteils unter gleichzeitigem Erlass einer gleichlautenden neuen Entscheidung in Analogie zu § 3 4 3 die Aufrechterhaltung des früheren Urteils ausgesprochen werden" k ö n n e 2 0 .
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Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden: Sie übersieht einmal, dass es schon an der Regelungslücke fehlt, die im Wege der Analogie zu schließen wäre (vgl. Rdn. 4 4 ) , weiter aber auch, dass die Situation im Falle der Entscheidung über die Hauptsache nicht der nach einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil analog ist (hierzu vgl. Rdn. 4 5 ) .
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Dass gar keine Regelungslücke besteht, ergibt sich schon daraus, dass diejenigen Stimmen, die die analoge Anwendung für möglich halten, von einer Ausnahme abgesehen 2 1 , außer der analogen Anwendung von § 3 4 3 auch die „an sich korrekte Aufhebung des alten Urteils" für zulässig halten.
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§ 3 4 3 setzt ein Versäumnisurteil voraus, gegen welches Einspruch erhoben worden ist. Dieser Einspruch als solcher bewirkt nicht die Aufhebung des Versäumnisurteils. Daher bestimmt § 3 4 3 , dass „insoweit die Entscheidung, die aufgrund der neuen Verhandlung zu erlassen ist, mit der in dem Versäumnisurteil enthaltenen Entscheidung ü b e r e i n s t i m m t . . . , auszusprechen" ist, „dass diese Entscheidung aufrechtzuerhalten sei", was eben möglich ist, weil das Versäumnisurteil noch nicht aufgehoben ist. In der weiteren Konsequenz wird im unmittelbar anschließenden Satz 2 der anderen Möglichkeit Rechnung getragen: „Insoweit diese Voraussetzung nicht zutrifft, wird das Versäumnisurteil in dem neuen Urteil aufgehoben". Im Wiederaufnahmeverfahren hingegen ist es gerade umgekehrt so, dass eine neue Verhandlung über die Hauptsache erst stattfindet, nachdem das Urteil des Vorprozesses aufgehoben worden ist (vgl. Rdn. 15). Die analoge Anwendung von § 3 4 3 wird daher zu recht abgelehnt 2 2 .
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4 . Die Kostenentscheidung a) Wird die Wiederaufnahmeklage vor der erneuten Verhandlung der Hauptsache des Vorprozesses verworfen oder abgewiesen, dann trägt der Wiederaufnahmekläger die Kosten der Wiederaufnahmeklage gemäß §§ 91 ff und die Kostenentscheidung des Vorprozesses bleibt unberührt.
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b) Wird aber das angefochtene Urteil aufgehoben und die Hauptsache neu verhandelt, dann ist die neue Verhandlung hinsichtlich der Kosten eine Fortsetzung des
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Stein/Jonas/GrHws&y Rdn. 11; MünchKomm/ Braun Rdn. 7; Zöller/Greger Rdn. 16; Baumbach/LauterbachyAlbers/Harimann Rdn. 7; Thomas/Putzo/Reichhold Rdn. 5; Rosenberg/ Schwab/GoitwaW § 162 IV 3. Stein/Jonas/Grunsky Rdn. 11; Zöller/Greger Rdn. 16; Thomas/Putzo/ReicfcfcoM Rdn. 5; Zimmermann Rdn. 6.
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Stein/Jonas/GrMnsiy Rdn. 11. Zimmermann Rdn. 6. MiinchKomm/BraHw Rdn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hariman« Rdn. 7; Rosenberg/ Schwab/Gottwald § 161 IV 3; Jauernig Zivilprozeßrecht § 76 V; Gilles Rechtsmittel im Zivilprozeß S. 121.
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Vorprozesses und über die Kosten des Vorprozesses und des Wiederaufnahmeverfahrens einheitlich in dem neuen Urteil zu entscheiden gemäß § § 9 1 f f 2 3 . 48
c) „Bei der Nichtigkeitsklage sowie bei der Restitutionsklage gemäß § 5 8 0 Nr. 5 " soll „eine Nichterhebung der Gerichtskosten gemäß § 21 G K G in Betracht" komm e n 2 4 . Das kann aber nur für die Gerichtskosten des Wiederaufnahmeverfahrens gelten, da nur diese „bei richtiger Behandlung der Sache" - nämlich im Vorprozess nicht entstanden wären; denn die Gerichtskosten des Vorprozesses würden ja auch bei richtiger Behandlung entstanden sein.
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d) In den Fällen des § 5 7 9 Nr. 4 können die Kosten, wenn ein vollmachtloser Vertreter aufgetreten war, „allenfalls nach materiellem Recht im besonderen Verfahr e n " geltend gemacht, ihm aber nicht im Wiederaufnahmeverfahren auferlegt werden, weil er hierin gar nicht Partei ist 2 5 .
V. Die Rückabwicklung der Folgen des Vorprozesses 1. Kein verschuldensunabhängiger Schadensersatz aus § 7 1 7 Abs. 2 50
a) Nach der Vorschrift des § 717 Abs. 2 S . l ist der Kläger, „wird ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert . . . , zum Ersatz der Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine Abwendung der Zwangsvollstreckung gemachte Leistung entstanden ist". Es scheint auf den ersten Blick naheliegend, diese Vorschrift analog anzuwenden, wenn aus einem im Wiederaufnahmeverfahren aufgehobenen Urteil vollstreckt worden war oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung Leistungen gemacht worden waren.
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b) Indessen darf der Kläger, der von einem rechtskräftigen Titel Gebrauch macht, in aller Regel auf den Bestand des Titels vertrauen (vgl. Rdn. 5 3 ) , wohingegen jemand, der aus einem nur vorläufig vollstreckbaren Urteil vollstreckt, wissen muss, dass der Titel möglicherweise noch abgeändert wird. Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 717 Abs. 2 S . l wird daher zu recht abgelehnt 2 6 .
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c) Gegen die analoge Anwendung von § 717 Abs. 2 S. 1 spricht insbesondere auch, dass diese Vorschrift gemäß § 717 Abs. 3 S. 1 „auf die im § 7 0 8 Nr. 10 bezeichneten Urteile der Oberlandesgerichte" - und also auf „Urteile der Oberlandesgerichte in vermögensrechtlichen Streitigkeiten" - „mit Ausnahme der Versäumnisurteile, nicht anzuwenden" ist, obschon diese Urteile nicht rechtskräftig sind. In diesen Sachen hat aber immerhin eine Prüfung durch ein Oberlandesgericht stattgefunden. Bezeichnend ist insoweit, dass § 7 1 7 Abs. 3 S. 1 für die Vollstreckung von Versäumnisurteilen der Oberlandesgerichte nicht gilt: In solchen Fällen hat eine Überprüfung eben nicht stattgefunden.
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Stein/Jonas/GrMKs/ty Rdn. 19; MünchKomm/ Braun Rdn. 10; Zöller/Greger Rdn. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/Harimann Rdn. 8; Thomas/Putzo/Reichhold Rdn. 5; AK/Greulich Rdn. 7; vgl. auch OLG Hamburg FamRZ 81, 960, 963. MünchKomm/ßra«« Rdn. 10; Änderung durch
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Kostenrechtsmodernisierungsgesetz KostRModG v. 5 . 5 . 2 0 0 4 , BGBl I 718, § 21 GKG ist wortgleich mit altem § 8 GKG. Stein/Jonas/Gr«Hs£;y Rdn. 20. RGZ 91,195,2021; Stein/JonasIGmnsky Rdn. 15; MünchKomm/Brawn Rdn. 9; Zöller/Greger Rdn. 15; Rosenberg/Schwab/GoffioaM § 161 IV 3.
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2. Die analoge Anwendung von § 717 Abs. 3 a) Auf den Bestand rechtskräftiger Urteile darf der Gläubiger prinzipiell stärker vertrauen als auf den Bestand streitiger Oberlandesgerichtsurteile, weil diese ja immerhin vom Bundesgerichtshof abgeändert werden können. Daher darf das Vollstreckungsrisiko des Gläubigers, der aus einem rechtskräftigen Urteil vollstreckt, nicht größer sein als das des Gläubigers, der aus einem nur vorläufig vollstreckbaren Oberlandesgerichtsurteil vollstreckt. Anderseits darf der bloß vermeintliche Gläubiger nach Aufhebung des Titels im Wiederaufnahmeverfahren nicht behalten dürfen, was er aufgrund der Vollstreckung oder zu deren Abwendung erhalten hat. Daher wird von der überwiegenden Ansicht 2 7 zu recht die Vorschrift des § 717 Abs. 3 analog angewendet.
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b) Nach § 717 Abs. 3 S. 2 „ist der Gläubiger auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des von diesem aufgrund des Urteils Gezahlten oder Geleisteten zu verurteilen", wobei sich die Erstattungspflicht des Gläubigers nach § 717 Abs. 3 S. 3 „nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung" bestimmt.
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Soweit die analoge Anwendung von § 717 Abs. 3 abgelehnt wird 2 8 , wird die Ansieht vertreten, das abgelehnte Urteil gäbe „dem Sieger einen Anspruch auf Erstattung des auf das alte Urteil Geleisteten, aber ohne Z i n s e n " 2 9 . Diese Ansicht ist zwar nicht näher begründet worden, unterscheidet sich aber von der überwiegenden Ansicht im Ergebnis nur marginal.
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c) Der Anspruch auf Erstattung gemäß § 717 Abs. 3 S. 2 kann schon im Wiederaufnahmeverfahren geltend gemacht werden und zwar als Widerklage gegen die Klage des Vorprozesses 3 0 .
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3. Materiellrechtliche Schadensersatzansprüche a) Soweit das Urteil des Vorprozesses auf einer unerlaubten Handlung beruht, kommen materiellrechtliche Schadensersatzansprüche gemäß §§ 8 2 3 ff B G B in Betracht; diese sind zwar durch einen besondere Klage geltend zu machen, die aber mit der Wiederaufnahmeklage verbunden werden kann 3 1 .
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b) Der materiellrechtliche Schadensersatzanspruch kann auch Zinsen 3 2 umfassen und den Ersatz der Kosten des Vorprozesses 3 3 .
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4. Probleme nach Wiederaufnahme eines EhescheidungsVerfahrens? a) Wird ein Scheidungsurteil im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben, wird nicht etwa die geschiedene Ehe wiederhergestellt, erweist sich vielmehr die Ehe, entgegen dem durch das Scheidungsurteil hervorgerufenen Anschein, als gar nicht wirk27
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RGZ 91, 195, 198 ff; 99, 168, 17 f; Stein/ Jonas/Grunsky Rdn. 15; MünchKomm/Bra«n Rdn. 9; Zöller/Greger Rdn. 15; Thomas/Putzo/ Reichbold Rdn. 5; Rosenberg/Schwab/GottwaM § 161 [V 3. Baumbach/Lauterbach/Albers/Harima«« Rdn. 9. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hariman« Rdn. 9. RGZ 91, 195, 198, 99, 168, 171: BGH in MDR 63, 119; Stein/Jonas/Grunsky Rdn. 15; MünchKomm/Braun Rdn. 9; Zöller/Greger Rdn. 15.
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Stein/Jonas/Gru«si)' Rdn. 15; Baumbach/LauterbachMlbers/Harfman» Rdn. 9; Thomas/Putzo/ Reichhold Rdn. 5; Rosenberg/Schwab/GoiiifaW § 161 IV 3. RGZ 99, 168, 171; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann Rdn. 9; Rosenberg/Schwab/Goifwald § 161 IV 3. RGZ 48, 386; Rosenberg/Schwab/GottwaM § 161 IV 3.
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sam geschieden. Dies gilt insbesondere auch, wenn nach Aufhebung des ursprünglichen Urteils die Ehe dann doch noch geschieden wird; denn dann ist die Ehe eben nicht schon durch das Urteil des Vorprozesses geschieden worden, sondern erst deutlich später durch das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren. 60
b) In der weiteren Konsequenz ergaben sich familienrechtliche Probleme für die Fälle, in denen eine Partei nach Rechtskraft des später aufgehobenen Scheidungsurteils eine neue Ehe geschlossen hat: Besteht in solchen Fällen die erste Ehe fort oder aber die zweite Ehe oder gar beide nebeneinander? Diese Frage stellte sich insbesondere auch in den Fällen, in denen zwar im Wiederaufnahmeverfahren die Ehe letztlich doch geschieden, das ursprüngliche Scheidungsurteil aber zunächst aufgehoben worden war. Die mit dieser Frage verbundenen Probleme sind aber keine wiederaufnahmerechtlichen, sondern familienrechtliche und daher auch familienrechtlich zu lösen (hierzu vgl. Rdn. 6 2 )
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c) Indessen wird auch eine Ansicht vertreten, die eine wiederaufnahmerechtliche Lösung jedenfalls für die Fälle für zulässig hält, in denen es auch im Wiederaufnahmeverfahren letztlich bei der Scheidung bleibt: In solchen Fällen sei das Urteil des Vorprozesses im Wiederaufnahmeverfahren gar nicht erst aufzuheben, sondern in analoger Anwendung von § 3 4 3 im Ergebnis zu bestätigen 3 4 . Dieser Weg ist jedoch nicht gangbar, weil die vorgeschlagene analoge Anwendung von § 3 4 3 unzulässig ist (hierzu vgl. Rdn. 4 0 f f ) . Diese Ansicht wird daher zu Recht abgelehnt 3 5 .
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d) Die hier so genannte „wiederaufnahmerechtliche Lösung" beruht noch auf der früheren Rechtslage, nach welcher gemäß § 2 0 Ehegesetz „eine Ehe ... nichtig" ist, „wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung mit einem Dritten in gültiger Ehe l e b t " . Diese Ansicht dürfte dem nachvollziehbaren Unbehagen daran entsprungen sein, dass eine im Vertrauen auf die Rechtskraft eines Scheidungsurteils geschlossene zweite Ehe auch dann eine nichtige Doppelehe sein soll, wenn das Scheidungsurteil im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben worden ist. Diese Aufhebung tritt zwar auch nach der wiederaufnahmerechtlichen Lösung ein, wenn die Wiederaufnahmeklage Erfolg hat, die wiederaufnahmerechtliche Lösung wehrt sich aber dagegen, dass die zweite Ehe auch dann nichtig sein soll, wenn die erste Ehe im Wiederaufnahmeverfahren letztlich doch geschieden wird. Für diese Fälle soll der Bestand der zweiten Ehe gerettet werden 3 6 . Indessen lässt sich dieses Ziel auf diesem Wege auch schon deshalb nicht erreichen, weil die Scheidung der ersten Ehe erst mit der Rechtskraft des Urteils im Wiederaufnahmeverfahren und also deutlich nach Schließung der zweiten Ehe rechtskräftig wird 3 7 .
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e) Auch der familienrechtlichen Lösung geht es um den Fortbestand der zweiten Ehe und zwar dies auch für die Fälle, in denen im Wiederaufnahmeverfahren das Scheidungsurteil rechtskräftig aufgehoben wird und die erste Ehe also bei isolierter Betrachtung - nämlich abgesehen eben von der familienrechtlichen Lösung - bestehen bleibt: Nach dieser Ansicht sollen die Vorschriften des § 38 EheG analog anzuwenden sein 3 8 mit dem Ergebnis, dass es auch nach der Aufhebung des Schei34
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Stein/Jonas/Grwns&y Rdn. 11; ZölleriGreger Rdn. 16; Thomas/Putzo/Reichhold Rdn. 5; Zimmermann Rdn. 6 und insbes. Zeuner MDR 60, 85 ff S. 88 und Behre S. 69ff. MünchKomm/Bra«« Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach/ MbetslHartmann Rdn. 7; Musielak/MHsielak Rdn. 9; AK/Greulich § 578 Rdn. 23; Rosen-
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38
berg/Schwab/GoitoaW § 171 IV 3; Nikisch S. 515; ArensILüke Rdn. 437; Jauernig Zivilprozeßrecht § 76 V; Zeiss Zivilprozeßrecht Rdn. 608. Vgl. insbesondere Zeuner MDR 60, 85, 88. Stein/Jonas/Grwrasfey Rdn. 11; KYJGreultch § 548 Rdn. 23. Rüßmann AcP 1967 S. 427ff.
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dungsurteils bei der Auflösung der ersten Ehe und beim Bestand der zweiten Ehe bleibt. Diese Analogie liegt in der Tat nahe: Nach § 38 Abs. 1 EheG ist, wenn „ein Ehegatte, nachdem der andere Ehegatte für tot erklärt worden ist, eine neue E h e " eingeht, „die neue Ehe nicht deshalb nichtig, weil der für tot erklärte Ehegatte noch lebt, es sei denn, dass beide Ehegatten bei der Eheschließung wissen, dass er die Todeserklärung überlebt h a t " . Es wird also das Vertrauen der Partner der neuen Ehe darauf, dass die alte Ehe die Schließung der neuen Ehe nicht mehr hindert, deshalb geschützt, weil sie auf einer Todeserklärung beruht und bei analoger Anwendung von § 38 Abs. 1 EheG auf den Fall der Ehescheidung wird ganz entsprechend das Vertrauen der Partner der neuen Ehe darauf, dass die frühere Ehe ihrer Eheschließung nicht mehr entgegensteht, deshalb geschützt, weil es auf einem rechtskräftigen Scheidungsurteil beruht. Und in § 38 Abs. 2 S. 1 wird bestimmt, dass „mit der Schließung der neuen Ehe ... die frühere Ehe aufgelöst" wird, eine Bestimmung, die nur für den Fall Bedeutung hat, dass die Todeserklärung sich als unrichtig erweist, was auch durch den folgenden Satz 2 noch einmal unterstrichen wird: „Sie bleibt auch dann aufgelöst, wenn die Todeserklärung aufgehoben w i r d " . Der Gesetzgeber hatte sich also dafür entschieden, dass nicht die erste Ehe, dass aber auch nicht beide Ehen nebeneinander fortbestehen, sondern dafür, dass die zweite Ehe bestehen bleibt. Das muss auch und erst recht dann gelten, wenn das Vertrauen auf der Auflösung der ersten Ehe nicht „ b l o ß " auf einer einseitig zu erlangenden Todeserklärung beruht, sondern auf einem nach streitiger Verhandlung ergangenen rechtskräftig gewordenen Scheidungsurteil.
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f) Die familienrechtliche Lösung hatte sich dennoch nicht durchsetzen können. Inzwischen ist sie durch das Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes 3 9 am 1 . 7 . 1 9 9 8 überholt: Zwar sind die Vorschriften des § 38 EheG bei der Wiedereinfügung in das B G B als § 1319 B G B im Wesentlichen übernommen worden, was für sich betrachtet für die familienrechtliche Lösung sprechen könnte. Indessen gilt jetzt gemäß § 1306 B G B : „Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen und einer dritten Person eine Ehe besteht". Wird eine solche Doppelehe aber dennoch geschlossen, ist sie nicht ohne weiteres nichtig, sondern gemäß §§ 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2 Nr. 1 B G B allenfalls aufhebbar und auch das nur mit Wirkung ex tunc. Bis zur etwaigen Aufhebung der zweiten Ehe bestehen also beide Ehen nebeneinander und zwar auch, wenn das rechtskräftige Scheidungsurteil bezüglich der ersten Ehe, auf welches bei Schließung der zweite Ehe vertraut worden war, im Wege der Wiederaufnahmeklage beseitigt worden ist. Es wäre sicherlich richtiger gewesen, die familienrechtliche Lösung im Gesetz zu verankern. In wiederaufnahmerechtlicher Hinsicht gibt es nun aber vollends keinen Grund mehr, § 3 4 3 analog anzuwenden.
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Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz - EheschlRG vom 4 . 5 . 1 9 9 8 B G B l I 8 3 3 ) .
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§591 Rechtsmittel Rechtsmittel sind insoweit zulässig, als sie gegen die Entscheidungen der mit den Klagen befassten Gerichte überhaupt stattfinden. Übersicht Rdn
Rdn
I. Rechtsmittel im Wiederaufnahmeverfahren 1. Der Grundsatz 2 . Besonderheiten der Berufung . 3. Besonderheiten der Revision .
Mögliche weitere Wiederaufnahmeverfahren 1. Die Wiederaufnahme des Vorprozesses aus anderen Gründen 2. Die Wiederaufnahme des Wiederaufnahmeverfahrens
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I. Rechtsmittel im Wiederaufnahmeverfahren 1. Der Grundsatz 1
a) § 591 betrifft nicht speziell Rechtsmittel gegen „ersetzende Urteile", wie es zuweilen missverständlich heißt 1 , bestimmt vielmehr wesentlich allgemeiner, dass Rechtsmittel insoweit zulässig sind, „als sie gegen die Entscheidungen der mit den Klagen befassten Gerichten überhaupt stattfinden".
2
b) Die „mit den Klagen befassten Gerichte" sind die des Wiederaufnahmeverfahrens. Zwar stimmen diese zumeist mit denen des Vorprozesses überein, aber nicht notwendig, da gemäß § 5 8 4 Abs. 1 das Berufungsgericht auch ausschließlich zuständig ist, „wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil aufgrund des § 5 8 0 Nr. 1 bis 3, 6, 7 angefochten wird".
3
c) Als „Entscheidungen der mit den Klagen befassten Gerichte" kommen nicht nur das Urteil des Vorprozesses nach dessen Aufhebung „ersetzende Urteile" in Betracht, sondern alle Urteile in einem Wiederaufnahmeverfahren 2 , etwa auch Zwischen- und Teilurteile und Versäumnisurteile 3 und darüber hinaus alle Entscheidungen, die überhaupt in einem Wiederaufnahmeverfahren getroffen werden.
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d) Rechtsmittel sind nach § 5 9 1 zwar prinzipiell zulässig - was ohne diese Vorschrift keineswegs selbstverständlich gewesen wäre 4 - , aber nur insoweit, als sie gegen Entscheidungen der befassten Gerichte überhaupt stattfinden, so dass insoweit die allgemeinen Vorschriften anzuwenden sind.
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e) Von besonderer Bedeutung sind zwar die Berufung (hierzu vgl. Rdn 7 f ) und die Revision (hierzu vgl. Rdn 8f), je nach Art der anzufechtenden Entscheidung kann aber auch eine Nichtzulassungsbeschwerde und sofortige Beschwerde in Betracht k o m m e n 5 oder der Einspruch gegen ein echtes Versäumnisurteil 6 . 1
2
Rdn.
1;
Baumbach/Lauterbach/Albers/
Hartmann Rdn. 4.
Reichhold Rdn. 1; MfJGreulich Rdn. 1.
4
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hariman« Rdn. 2.
B G H in M D R 79, 2 9 7 ; Stein/Jonas/GrMKsfcy Rdn. 1; MünchKomm/Brawn Rdn. 1; Zöller/Gre-
5
Zöller/Greger Rdn. 1. Stetnl]onas/Grunsky Rdn.
Stein/Jonas/Gratts&y
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Rdn.
2;
6
Braun Rdn. 1.
ger Rdn. 3; AK/Greulich Rdn. 2. '
Braun
MünchKomm/Bftiwn Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach/Al bers/Htfrima«« Rdn. 1; Thomas/Putzo/
MünchKomm/
Hans-Günther Borck
2;
MünchKomm/
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
§591
Der für die Zulässigkeit des Rechtsmittels in rechtlicher Hinsicht maßgebliche Zeitpunkt ist jeweils der der Einlegung des Rechtsmittels 7 , so dass es also nicht auf die Rechtslage zur Zeit des Vorprozesses ankommt.
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2. Besonderheiten der Berufung a) Eine Berufung gegen das Urteil des im Sinne von § 591 „befassten" Gerichts ist gemäß § 511 nur statthaft, wenn das Urteil im ersten Rechtszug erlassen ist.
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b) Die Berufung ist ferner unzulässig, wenn der erforderliche Wert des Beschwerdegegenständes in Höhe von 6 0 0 , - €, gemäß § 511 Abs. 2, Nr. 1 Z P O nicht erreicht wird, es sei denn, das Gericht des ersten Rechtszuges hat, gemäß § 511 Abs. 2, Nr. 2 Z P O , die Berufung im Urteil zugelassen. 8
8
3. Besonderheiten der Revision Gegen die vom Berufungsgericht erlassenen Endurteile sind die Revision (§ 5 4 2 ZPO) und die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 5 4 4 ZPO) statthaft. Dagegen sind Urteile des vorläufigen Rechtsschutzes nicht revisionsfähig.
9
III. Mögliche weitere Wiederaufnahmeverfahren 1. Die Wiederaufnahme des Vorprozesses aus anderen Gründen a) Zwar können „neue Anfechtungsgründe, die das frühere Urteil betreffen ..., nach Eintritt der Rechtskraft des im Wiederaufnahmeverfahren ergangenen Urteils selbstverständlich gegen dieses nicht geltend gemacht werden" 9 , wohl aber soll die Rechtskraft des Urteils des Wiederaufnahmeverfahrens der Erhebung einer neuen Wiederaufnahmeklage aus anderen Gründen gegen das Urteil des Vorprozesses nicht entgegenstehen 10 .
10
b) Insoweit wird man aber differenzieren müssen: War das Urteil des Vorprozesses im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben und nach erneuter Verhandlung durch ein - sei es auch gleichlautendes - neues Urteil ersetzt worden, kommt ein weiteres Wiederaufnahmeverfahren gegen das Urteil des Vorprozesses nicht mehr in Betracht 1 1 : Es ist ja schon wiederaufgehoben worden; auch betreffen die Wiederaufnahmegründe aus dem Vorprozess nicht die erneute Verhandlung (vgl. aber Rdn. 12).
11
2. Die Wiederaufnahme des Wiederaufnahmeverfahrens Ergeben sich Wiederaufnahmegründe, die das Wiederaufnahmeverfahren betreffen, kann gegen das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren von der durch dieses Urteil beschwerten Partei auf Wiederaufnahme des Wiederaufnahmeverfahrens geklagt werden 12 und so fort.
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Stein/Jonas/Gr««i£y Rdn. 1; Zöller/Greger Rdn. 1; Thomas/Putzo/Reichhold Rdn. 1. Durch Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozeßreformgesetz - ZPO-RG - v. 27.7. 2001 ist mit Wirkung v. 1 . 2 . 2 0 0 2 § 511 a Abs. 1 Satz 1 ZPO (alt, Berufungssumme bisher 1.200 DM) in § 511 Abs. 2 ZPO (neu, 600 €) aufgenommen und um Abs. 2 Nr. 2 ergänzt worden.
9 10
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Stein/Jonas/Grunsfcy Rdn. 2. Stein/Jonas/G>KHS£)> Rdn. 2; Zöller/Greger Rdn. 4; Thomas/Putzo/Reicbhold Rdn. 1; AK/Greulich Rdn. 3. MünchKomm/Braun Rdn. 2. MiinchKomm/ßraH« Rdn. 1; Zöller/Greger Rdn. 5.
H a n s - G ü n t h e r Borck
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