Zivilprozessordnung und Nebengesetze: Band 1/2 §§ 24-49 [4 ed.] 9783110412307, 9783110412154

Die Kommentierung umfasst neben der Zivilprozessordnung auch die relevanten Nebengesetze (wie EGZPO, GVG, KapMuG und Med

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Die Bearbeiter der 4. Auflage
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Zivilprozessordnung
ERSTES BUCH Allgemeine Vorschriften
Erster Abschnitt Gerichte
Titel 2 Gerichtsstand
§ 24 Ausschließlicher dinglicher Gerichtsstand
§ 25 Dinglicher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs
§ 26 Dinglicher Gerichtsstand für persönliche Klagen
§ 27 Besonderer Gerichtsstand der Erbschaft
§ 28 Erweiterter Gerichtsstand der Erbschaft
§ 29 Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts
§ 29a Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen
§ 29b (weggefallen)
§ 29c Besonderer Gerichtsstand für Haustürgeschäfte
§ 30 Gerichtsstand bei Beförderungen
§ 30a Gerichtsstand bei Bergungsansprüchen
§ 31 Besonderer Gerichtsstand der Vermögensverwaltung
§ 32 Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
§ 32a Ausschließlicher Gerichtsstand der Umwelteinwirkung
§ 32b Ausschließlicher Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen
§ 33 Besonderer Gerichtsstand der Widerklage
§ 34 Besonderer Gerichtsstand des Hauptprozesses
§ 35 Wahl unter mehreren Gerichtsständen
§ 35a (weggefallen)
§ 36 Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit
§ 37 Verfahren bei gerichtlicher Bestimmung
Titel 3 Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte
§ 38 Zugelassene Gerichtsstandsvereinbarung
§ 39 Zuständigkeit infolge rügeloser Verhandlung
§ 40 Unwirksame und unzulässige Gerichtsstandsvereinbarung
Titel 4 Ausschließung und Ablehnung
Vorbemerkung §§ 41–49
§ 41 Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes
§ 42 Ablehnung eines Richters
§ 43 Verlust des Ablehnungsrechts
§ 44 Ablehnungsgesuch
§ 45 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch
§ 46 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch
§ 47 Unaufschiebbare Amtshandlungen
§ 48 Selbstablehnung; Ablehnung von Amts wegen
§ 49 Urkundsbeamte
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Zivilprozessordnung und Nebengesetze: Band 1/2 §§ 24-49 [4 ed.]
 9783110412307, 9783110412154

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Großkommentare der Praxis

I

II

Wieczorek/Schütze

Zivilprozessordnung und Nebengesetze Großkommentar 4., neu bearbeitete Auflage begründet von Dr. Bernhard Wieczorek weiland Rechtsanwalt am BGH herausgegeben von Professor Dr. Dr. h.c. Rolf A. Schütze Rechtsanwalt in Stuttgart Erster Band Teilband 2 §§ 24–49 Bearbeiter: §§ 24–40 (ohne § 32b): Stefan Smid/Sabine Hartmann § 32b: Fabian Reuschle/Ferdinand Kruis §§ 41–49: Uwe Gerken

III

Stand der Bearbeitung: Dezember 2014 Zitiervorschlag: z.B.: Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann § 24 ZPO Rdn. 2

ISBN 978-3-11-041215-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041230-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041234-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston Datenkonvertierung und Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen  Gedruckt auf säurefreiem Papier ♾ Printed in Germany www.degruyter.com

IV

Bearbeiterverzeichnis

Die Bearbeiter der 4. Auflage Bearbeiterverzeichnis Bearbeiterverzeichnis

Professor Dr. Hans-Jürgen Ahrens, Universität Osnabrück, Richter am OLG Celle a.D. Professor Dr. Dorothea Assmann, Universität Potsdam Dr. David-Christoph Bittmann, Richter am LG Kaiserslautern Professor Dr. Wolfgang Büscher, Vorsitzender Richter am BGH, Honorarprofessor Universität Osnabrück Professor Dr. Martin Gebauer, Universität Tübingen Uwe Gerken, Vors. Richter am OLG Oldenburg Dr. Helge Großerichter, Rechtsanwalt, München Professor Dr. Burkhard Hess, Universitäten Heidelberg und Luxemburg, Direktor des Max Planck Institute for International, European and Regulatory Procedural Law, Luxemburg Sabine Hufschmidt, Rechtsanwältin/Mediatorin (zertifiziert), Universität Potsdam Professor Dr. Volker Michael Jänich, Universität Jena, Richter am OLG Jena Dr. Ferdinand Kruis, Rechtsanwalt, München Professor Dr. Wolfgang Lüke, LL.M. (Chicago), Universität Dresden, Direktor des Instituts für Ausländische und Internationale Rechtsangleichung, Richter am OLG Dresden a.D. Professor Dr. Heinz-Peter Mansel, Universität Köln, Direktor des Instituts für internationales und ausländisches Privatrecht Professor Dr. Dirk Olzen, Universität Düsseldorf Professor Dr. Christoph G. Paulus, LL.M. (Berkeley), Humboldt-Universität zu Berlin Professor Dr. Hanns Prütting, Universität zu Köln, Direktor des Instituts für Verfahrensrecht Dr. Hartmut Rensen, Richter am OLG Köln Dr. Fabian Reuschle, Richter am LG Stuttgart Professor Dr. Mathias Rohe, M.A., Universität Erlangen, Richter am OLG Nürnberg a.D. Dr. Stephan Salzmann, Dipl.-Kfm., Rechtsanwalt, Steuerberater, München Dr. Christoph Schreiber, Universität Erlangen-Nürnberg Professor Dr. Klaus Schreiber, Universität Bochum Professor Dr. Götz Schulze, Universität Potsdam Professor Dr. Dr. h.c. Rolf A. Schütze, Rechtsanwalt, Stuttgart, Honorarprofessor Universität Tübingen Professor Dr. Stefan Smid, Universität Kiel Dr. Frank Spohnheimer, Akademischer Rat, Fernuniversität Hagen Professor Dr. Christoph Thole, Universität Tübingen Professor Dr. Roderich C. Thümmel, LL.M. (Harvard), Rechtsanwalt, Stuttgart, Honorarprofessor Universität Tübingen Dr. Eyk Ueberschär, Rechtsanwalt/Mediator (BAFM), Lehrbeauftragter, Universität Potsdam Professor Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock, FernUniversität Hagen Dr. Andreas Wax, Maître en Droit, Rechtsanwalt, Stuttgart Professor Dr. Matthias Weller, Mag. rer. publ., EBS Law School Wiesbaden Professor Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes Dr. Wolfgang Winter, Rechtsanwalt, München

V

Bearbeiterverzeichnis

VI

Inhaltsübersicht

Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht

Abkürzungsverzeichnis ______ IX Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur ______ XXIII

Zivilprozessordnung ERSTES BUCH Allgemeine Vorschriften Erster Abschnitt Gerichte Titel 2 Gerichtsstand § 24 Ausschließlicher dinglicher Gerichtsstand ______ 1 § 25 Dinglicher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs ______ 16 § 26 Dinglicher Gerichtsstand für persönliche Klagen ______ 20 § 27 Besonderer Gerichtsstand der Erbschaft ______ 26 § 28 Erweiterter Gerichtsstand der Erbschaft ______ 33 § 29 Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts ______ 37 § 29a Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen ______ 75 § 29b (weggefallen) ______ 86 § 29c Besonderer Gerichtsstand für Haustürgeschäfte ______ 86 § 30 Gerichtsstand bei Beförderungen ______ 99 § 30a Gerichtsstand bei Bergungsansprüchen ______ 102 § 31 Besonderer Gerichtsstand der Vermögensverwaltung ______ 107 § 32 Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ______ 110 § 32a Ausschließlicher Gerichtsstand der Umwelteinwirkung ______ 145 § 32b Ausschließlicher Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen ______ 151 § 33 Besonderer Gerichtsstand der Widerklage ______ 189 § 34 Besonderer Gerichtsstand des Hauptprozesses ______ 230 § 35 Wahl unter mehreren Gerichtsständen ______ 237 § 35a (weggefallen) ______ 247 § 36 Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit ______ 247 § 37 Verfahren bei gerichtlicher Bestimmung ______ 296 Titel 3 Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte § 38 Zugelassene Gerichtsstandsvereinbarung ______ 303 § 39 Zuständigkeit infolge rügeloser Verhandlung ______ 345 § 40 Unwirksame und unzulässige Gerichtsstandsvereinbarung ______ 352 Titel 4 Ausschließung und Ablehnung Vorbemerkung §§ 41–49 ______ 355 § 41 Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes ______ 359 § 42 Ablehnung eines Richters ______ 368 VII

Inhaltsübersicht

§ 43 Verlust des Ablehnungsrechts ______ 392 § 44 Ablehnungsgesuch ______ 398 § 45 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ______ 407 § 46 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ______ 414 § 47 Unaufschiebbare Amtshandlungen ______ 423 § 48 Selbstablehnung; Ablehnung von Amts wegen ______ 428 § 49 Urkundsbeamte ______ 432

VIII

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

€ a.A. A.C. a.E. a.F. a.M. aaO Abk. ABl. abl. Abs. Abschn. Abt. abw. AbzG AcP ADSp. AEUV AG AGB AGBG AGS AHK ähnl. AktG AktO All E.R. Allg. Allg.M. Alt. Am. J. Comp. L. Am. J. Int. L. AMBl BY AMG amtl. ÄndVO AnfG Anh. Anl. Anm. AnwBl AO AöR AP App. Arb. Int. ArbG ArbGG ArbR ArbuR Art. art.

IX

Euro anderer Ansicht The Law Reports, Appeal Cases am Ende alter Fassung anderer Meinung am angegebenen Ort Abkommen Amtsblatt ablehnend(e/er) Absatz Abschnitt Abteilung abweichend Abzahlungsgesetz Archiv für die civilistische Praxis [Band (Jahr) Seite] Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft, auch Amtsgericht, auch Ausführungsgesetz, auch Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen (Jahr, Seite) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Anwaltsgebühren spezial Alliierte Hohe Kommission ähnlich Aktiengesetz Aktenordnung All England Law Reports Allgemein (e/er/es) allgemeine Meinung Alternative American Journal of Comparative Law American Journal for International Law Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge Arzneimittelgesetz amtlich Änderungsverordnung Anfechtungsgesetz Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts „Corte d’appello (Italien); Cour d’appel (Belgien, Frankreich)“ Arbitration International Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeit und Recht Arbeit und Recht Artikel Article

Abkürzungsverzeichnis

Aufl. AUG ausf. AusfG AusfVO Ausg. ausl. AuslInvestmG AVAG AWD AWG Az. BAföG BAG BAGE BAnz. BauR bay. BayObLG BayObLGZ BayVBl. BB BBergG BBl. Bd. Bearb. BeckOK BeckRS BEG begr. Beil. Bek. belg. Bem. Ber. ber. BerDGVR bes. Beschl. bestr. betr. BeurkG BezG BfA BFH BFH/NV BFHE BFH-PR BG BGB BGBl BGE

Auflage Auslandsunterhaltsgesetz ausführlich Ausführungsgesetz Ausführungsverordnung Ausgabe ausländisch Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, Amtliche Sammlung Bundesanzeiger Baurecht bayerisch Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen, Amtliche Sammlung Bayerische Verwaltungsblätter Betriebs-Berater Bundesberggesetz Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Band Bearbeitung Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Bundesentschädigungsgesetz begründet Beilage Bekanntmachung belgisch Bemerkung(en) Bericht berichtigt Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht besonders Beschluss bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bezirksgericht Bundesanstalt für Arbeit Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts, Amtliche Sammlung

X

Abkürzungsverzeichnis

BGH BGHR BGHZ BinSchG BinSchVerfG Bl. BKR BMF BNotO BörsG BPatG BR(-Drucks.) BRAGO BRAK-Mitt. BRAO Breith. brit. BSG BSGE BSHG bspw. BStBl. BT(-Drucks.) Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BW BWNotZ BYIL bzw.

Bundesgerichtshof Systematische Sammlung der Entscheidungen des BGH „Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen; Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs“ Binnenschifffahrtsgesetz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen Blatt Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesnotarordnung Börsengesetz Bundespatentgericht Bundesrat(-sdrucksache) Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen Bundesrechtsanwaltsordnung Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht. Begr. v. Breithaupt britisch Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Amtliche Sammlung Bundessozialhilfegesetz beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestag(-sdrucksache) Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Amtliche Sammlung Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Amtliche Sammlung Baden-Württemberg Mitteilungen aus der Praxis, Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg The British Yearbook of International Law beziehungsweise

C.A. Court of Appeal (England) C.M.L.R. Common Market Law Reports Cahiers dr. europ. Cahiers de droit européen Cass. (Italien) S.U. Corte di cassazione, Sezioni Unite Cass. Civ. (com., soc.) „Cour de Cassation (Frankreich/Belgien); Chambre civile (commerciale, sociale)“ Cc (cc) „Code civil (Frankreich/Belgien/Luxemburg); Codice civile (Italien)“ ch. Chapter Ch. D. Chancery Divison CIM „Convention internationale concernant le transport des marchandises par chemins de fer; Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr“ CISG Convention on the International Sale of Goods (Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf) CIV Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahn­beförderung von Personen und Gepäck (Anlage A zum COTIF) Civ. J. Q. Civil Justice Quarterly Clunet Journal du droit international (Frankreich) CML Rev. Common Market Law Review CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr COTIF Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr Cour sup. Cour supérieure de justice (Luxemburg)

XI

Abkürzungsverzeichnis

CPC, cpc CPO CPR CR

„Codice di procedura civile (Italien); Code de procédure civile (Frankreich/Belgien/Luxemburg)“ Civilprozeßordnung Civil Procedure Rules Computer und Recht

d. i. p. Droit international privé D. S. Receuil Dalloz Sirey d.h. das heißt DAR Deutsches Autorecht das. daselbst DAVorm Der Amtsvormund DB Der Betrieb (Jahr, Seite) Dem. Rep. Demokratische Republik ders./dies./dass. der-, die-, dasselbe DGVZ Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung DGWR Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht diff. differenzierend Dir. Com. Scambi int. Diritto communitario negli scambi internazionali Dir. Comm. Int. Diritto del commercio internationale DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit DiskE Diskussionsentwurf Diss. Dissertation DJ Deutsche Justiz, Zeitschrift für Rechtspflege und Rechtspolitik DJT Deutscher Juristentag DJZ Deutsche Juristenzeitung DNotV Zeitschrift des Deutschen Notarvereins DNotZ Deutsche Notarzeitschrift (früher: Zeitschrift des Deutschen Notarvereins, DNotV) doc. Document DöV Die öffentliche Verwaltung DR Deutsches Recht DRiZ Deutsche Richterzeitung DRpfl Der Deutsche Rechtspfleger Drucks. Drucksache DRZ Deutsche Rechts-Zeitschrift DStR Deutsches Steuerrecht DStZ Deutsche Steuerzeitung dt. deutsch DTA Datenträgeraustausch DtZ Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift DuR Demokratie und Recht DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt DVO Durchführungsverordnung DZWIR Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht E E. C. C. ecolex EDV EFG EFTA EG EG-BewVO EGBGB EGGVG

Entwurf European Commercial Cases ecolex – Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Association „Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaft“ Europäische Beweisaufnahmeverordnung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz

XII

Abkürzungsverzeichnis

EGMR EG-PKHVV EGStGB EGV EGZPO EheG Einf. EinfG EingV Einl. EMRK ENA entspr. Entw. EO ErbbauVO Erg. Erl. ESA EStG EU EÜ

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EG-Prozesskostenvordrucksverordnung Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Vertrag zur Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Ehegesetz Einführung Einführungsgesetz Einigungsvertrag Einleitung (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäisches Niederlassungsabkommen entsprechend Entwurf Österreichische Exekutionsordnung Verordnung über das Erbbaurecht Ergebnis Erläuterungen Europäisches Übereinkommen über die Staatenimmunität Einkommenssteuergesetz Europäische Union (Genfer) Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschieds­gerichtsbarkeit EuAÜ Europäisches Rechtsauskunftsübereinkommen EuBagatellVO/ Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom EuBagVO 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen EuBVO Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen EuGH Europäischer Gerichtshof EuGHE Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Amtliche Sammlung EuGVÜ Brüsseler EWG-Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGVVO Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen EuInsVO Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren EuMahnVO Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens EuR Europarecht EuroEG Euro-Einführungsgesetz Europ. L. Rev. European Law Review EuÜHS Europäisches Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit 1961 EuUhVO Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen EuVTVO Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen EuZPR Europäisches Zivilprozessrecht EuZustVO/EuZuVO Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schrift-

XIII

Abkürzungsverzeichnis

EuZVR EuZW EV evtl. EVÜ EWG EWGV EWiR EWIV EWR EWS EzA EzFamR aktuell f. FamFG

stücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates Europäisches Zivilverfahrensrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – eventuell Europäisches Schuldvertragsübereinkommen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Entscheidungssammlung zum Familienrecht aktuell

FamG FamR FamRÄndG FamRZ FamS ff. FG FGG FGO FGPrax FLF Fn. Foro it. FoVo franz. FS Fundst. FuR

folgend(e) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Familiengericht Familienrecht Familienrechtsänderungsgesetz Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Familiensenat folgende „Finanzgericht; Festgabe; Freiwillige Gerichtsbarkeit“ Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzierung, Leasing, Factoring Fußnote Foro italiano Forderung & Vollstreckung französisch Festschrift Fundstelle(n) Familie und Recht

G. g.E. Gaz. Pal. GBBerG GBl GBO GbR geänd. GebrMG gem. GenfA GenfP GenG GeschMG GewO GG

Gesetz gegen Ende La Gazette du Palais (Frankreich) Grundbuchbereinigungsgesetz Gesetzblatt Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts geändert Gebrauchsmustergesetz gemäß Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche 1927 Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln 1923 Genossenschaftsgesetz Geschmacksmustergesetz Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

XIV

Abkürzungsverzeichnis

ggf. ggü. Giur it. GK GKG GmbH GmbHG GmbHR GmS-OGB gr. GrS Gruchot GRUR GS GSZ GVBl. GVBl. RhPf. GVG GVGA GVKostG GVO GWB

gegebenenfalls gegenüber Giurisprudenza italiana Großkommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes griechisch Großer Senat Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet v. Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Großer Senat in Zivilsachen Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz- und Verordnungsblatt Rheinland-Pfalz Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisungen für Gerichtsvollzieher Gesetz über die Kosten der Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieherordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

H H. C. H. L. H. R. h.M. HaftpflG HausTWG HBÜ

Heft High Court House of Lords Hoge Raad (Niederlande) herrschende Meinung Haftpflichtgesetz Haustürwiderrufsgesetz Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen Handbuch Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte Handelsgesetzbuch Hinterlegungsordnung Hinweis Haager Landkriegsordnung herrschende Lehre Hamburger Gesetz- und Verordnungsblatt Hinterlegungsordnung Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber, herausgegeben Halbsatz Haager Zivilprozessabkommen 1905 Haager Übereinkommen über den Zivilprozess Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen

Hdb. HessVGRspr HGB HinterlO Hinw. HKO hL HmbGVBl. HO HRR Hrsg./hrsg. Hs HZPA HZPÜ HZÜ

i. Zw. i.A. i.d.F. i.d.R. i.d.S. i.E.

XV

im Zweifel im Auftrag in der Fassung in der Regel in dem/diesem Sinne im Ergebnis

Abkürzungsverzeichnis

i.e.S. i.H.v. i.R.v. i.S.d. i.S.v. i.Ü. i.V.m. i.w.S. ICC ICLQ IGH ILM ILR insb. int. InsO IPRax IWB IWF IZPR IZVR

im engeren Sinne in Höhe von im Rahmen von im Sinne des im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne International Chamber of Commerce (Internationale Handelskammer) The International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof International Legal Materials International Law Reports insbesondere international Insolvenzordnung Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationale Wirtschaftsbriefe Internationaler Währungsfonds Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht

J. Bus. L. J. Int. Arb. JA JbIntR JBl. JbRR JFG

The Journal of Business Law (England) Journal of International Arbitration Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für internationales Recht „Justizblatt; Juristische Blätter (Österreich)“ Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechtes Justizministerialblatt Justizministerialblatt von Nordrhein-Westfalen Jurisdiktionsnorm (Österreich) Jahrbuch für Ostrecht Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Juristische Rundschau Vierteljahresschrift für die gesamte Zivilrechtspflege Juristische Ausbildung Das juristische Büro Juristentag(es) Juristische Schulung Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Justizverwaltungsblatt Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

JMBl. JMBlNrw JN JOR JPS JR Judicium JURA JurBüro JurTag(s) JuS Justiz JVBl JVEG JW JZ KAGG Kap. KapMuG KG KGaA KGBl. KO

Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen Konkursordnung

XVI

Abkürzungsverzeichnis

KonsulG KostO KostRÄndG KrG krit. KTS KV KWG

Konsulargesetz Kostenordnung Kostenrechtsänderungsgesetz Kreisgericht kritisch Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (Jahr, Seite) Kostenverzeichnis Gesetz über das Kreditwesen

LAG Lb LG lit. LJ LJV LM LMK LS LSG LuftfzRG LuftVG LUG

LwVfG LZ

„Gesetz über den Lastenausgleich; auch Landesarbeitsgericht“ Lehrbuch Landgericht Buchstabe The Law Journal (England) Landesjustizverwaltung Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier und Möhring Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGH-Rechtsprechung, hrsg. v. Pfeiffer Leitsatz Landessozialgericht Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Luftverkehrsgesetz Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst (LiteratururheberG) Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 luxemburgisch Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik (Landwirtschaftsanpassungsgesetz) Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

m. m. ausf. N. m.w.N. maW MDR MittBayNot. MittRhNotK MittRuhrKn Mot. MSA MünchKomm MünchKomm-BGB MünchKomm-InsO MuW

mit mit ausführlichen Nachweisen mit weiteren Nachweisen mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Mitteilungen der Ruhrknappschaft Bochum Motive Haager Minderjährigenschutzabkommen Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung Münchener Kommentar zum BGB Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung Markenschutz und Wettbewerb (Jahr, Seite)

N. C. p. c. n.F. Nachw. Nds.Rpfl NdsVBl NEhelG

Nouveau Code de procédure civile „neue Fassung; neue Folge“ Nachweis(e/n) Niedersächsische Rechtspflege Niedersächsische Verwaltungsblätter Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder

LugÜ I LugÜ II lux. LwAnpG

XVII

Abkürzungsverzeichnis

NJOZ NJW NJW-CoR NJWE WettR NJW-RR NotBZ Nov. Nr. NRW NTS NVwZ NZA NZA-RR NZG NZI NZM

Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport der Neuen Juristischen Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Zivilrecht Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Novelle Nummer NW Nordrhein-Westfalen NATO-Truppenstatut Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht – Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Mietrecht

o. OFD öffentl. OGH OGHZ öGZ OHG öJBl ÖJZ OLG OLG-NL OLGR OLGRspr OLGZ OrderlagerscheinV ÖRiZ österr. OVG

oben Oberfinanzdirektion öffentlich Oberster Gerichtshof (für die britische Zone, Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone in Zivilsachen (österr.) Gerichts-Zeitung Offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristische Blätter Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-Report: Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Orderlagerscheinverordnung Österreichische Richterzeitung österreichisch Oberverwaltungsgericht

PA PAngV PatAnwO PatG PersV PflVG PKH PKHRL ProdHG Prot. ProzRB PStG PStV

Patentamt Preisangabenverordnung Patentanwaltsordnung Patentgesetz Die Personalvertretung Pflichtversicherungsgesetz Prozesskostenhilfe Prozesskostenhilfe-Richtlinie Produkthaftungsgesetz Protokoll Der Prozess-Rechts-Berater Personenstandsgesetz Personenstandsverordnung

RabelsZ RAG Rb. Rbeistand RBerG

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Rechtsbank (Niederlande) Der Rechtsbeistand Rechtsberatungsgesetz

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

RdA RdL Rdn. Recht RefE RegBl RegE ReichsschuldenO RFH RG RGBl RGes. RGRK RGSt RGZ Rh.-Pf RIDC RIW RL ROW Rpfl. RpflG Rs Rspr. RuS RuStAG RVG RzW s. S. S. C. s.a. s.o. s.u. SaBremR SachenRBerG Sachg SächsVBl SAE ScheckG SchiedsVZ SchlHA SchRegO SchRG SchuldR schw. SchwJbIntR Sch-Ztg Sec. Sess. SeuffArch SeuffBl

XIX

Recht der Arbeit Recht der Landwirtschaft (Jahr, Seite) Randnummer Das Recht, Rundschau für den Deutschen Juristenstand Referentenentwurf Regierungsblatt Regierungsentwurf Reichsschuldenordnung „Reichsfinanzhof; amtliche Sammlung der Entscheidungen des RFH“ Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgesetz Reichsgerichtsrätekommentar „Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (1.1880–77.1944; Band, Seite)“ „Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen; amtliche Sammlung der Reichs­gerichtsentscheidungen in Zivilsachen“ Rheinland-Pfalz Revue internationale de droit comparé Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Recht in Ost und West Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegegesetz Rechtssache Rechtsprechung Recht und Schaden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht siehe Seite/Satz Supreme Court siehe auch siehe oben siehe unten Sammlung des bremischen Rechts Sachenrechtsbereinigungsgesetz Sachgebiet Sächsische Verwaltungsblätter Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen der Vereinigung der Arbeitgeberverbände Scheckgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schiffsregisterordnung Schiffsregistergesetz Schuldrecht schweizerisch Schweizer Jahrbuch für Internationales Recht Schiedsmannszeitung Section Session Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Seufferts Blätter für Rechtsanwendung in Bayern

Abkürzungsverzeichnis

SGB SGG SJZ sog. SozG Sp. StAZ StB StGB StIGH StPO str. StRK stRspr. StuB StuW StVG StVZO Suppl. SZIER

Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Süddeutsche Juristenzeitung sogenannte Sozialgericht Spalte Zeitschrift für Standesamtswesen Der Steuerberater Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung strittig Steuerrechtsprechung in Karteiform. Höchstgerichtliche Entscheidungen in Steuersachen ständige Rechtsprechung Steuern und Bilanzen Steuer und Wirtschaft Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung Supplement Schweizer Zeitschrift für internationales und europäisches Recht

T.P.R. teilw. ThürBl Tit. TranspR TRG Trib. Trib. com.

Tijdschrift voor Privaatrecht (Niederlande) teilweise Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt Titel Transportrecht Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts „Tribunal; Tribunale“ Tribunal de commerce (Belgien/Frankreich)

u.a. u.Ä. u.U. Übers. Übk. UFITA UmweltHG UN unstr. UNÜ

und andere(m) und Ähnliche(s) unter Umständen Übersicht Übereinkommen Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Umwelthaftungsgesetz United Nations unstreitig New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20. Juni 1956 Urteil und so weiter Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

UNUVÜ Urt. usw. UWG v. VA VAG Var. verb. VerbrKrG

versus Versicherungsaufsicht Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmen und Bausparkassen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Variante verbunden(e) Verbraucherkreditgesetz

XX

Abkürzungsverzeichnis

Verf. VerfGH VerglO Verh. VerkProspG VerlG VerlR VermA VermAnlG VerschG VersR VerwAO Vfg VG VGH vgl. VIZ VO VOB/B VOBl Voraufl. Vorb. vorl. VR VV VVaG VVG VwGO VwVfG VwVG VZS

Verfassung Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen Verkaufsprospektgesetz (Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz) Gesetz über das Verlagsrecht Verlagsrecht Vermittlungsausschuss Vermögensanlagengesetz Verschollenheitsgesetz Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsanordnung Verfügung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil B Verordnungsblatt Vorauflage Vorbemerkung vorläufige(r) Verwaltungsrundschau Vergütungsverzeichnis Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz (Bundes-)Verwaltungsvollstreckungsgesetz Vereinigte Zivilsenate

W. L. R. w.N. WahrnG

Weekly Law Reports weitere Nachweise Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (Urheberrechtswahrnehmungsgesetz) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, als Fortsetzung der von Otto Warneyer hrsg. Rechtsprechung des Reichsgerichts Warneyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des RG abgedruckt ist, hrsg. v. Warneyer Washingtoner Weltbankübereinkommen für Investitionsstreitigkeiten Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) Wertpapierbereinigungsgesetz Wechselgesetz Wiener Übereinkommen 1961 (Diplomaten) Wiener Übereinkommen 1963 (Konsuln) Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets Wertpapier-Mitteilungen Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen

Warn. WarnRspr WBÜ WEG WertpBG WG WieDÜ WieKÜ WiGBl WM WpPG WpÜG WRP WuB WÜD WÜK

XXI

Abkürzungsverzeichnis

WuM WuW WVRK WZG

Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Warenzeichengesetz

Yb. Eurp. L. z.B. z.T. ZAkDR ZAP ZBB ZBinnSch ZBlFG ZBlJugR ZBR ZEuP ZfA ZfB ZfG ZfRV ZfS ZfSH ZGB ZGR ZHR Ziff. ZIP ZIR ZLR ZMR ZnotP ZöffR ZPO ZPOuaÄndG ZPR ZRHO ZRP ZS ZSEG ZSR zust. ZustDG ZustErgG ZustRG zutr. ZVersWiss ZVG

Yearbook of European Law zum Beispiel zum Teil Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Binnenschifffahrt Zentralblatt für die freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Österreich) Zeitschrift für Schadensrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Sozialhilfe Zivilgesetzbuch (DDR/Schweiz) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für die Notarpraxis Zeitschrift für öffentliches Recht Zivilprozessordnung Gesetz zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze Zivilprozessrecht Rechtshilfeordnung in Zivilsachen Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zeitschrift für Schweizer Recht zustimmend EG-Zustellungsdurchführungsgesetz Zuständigkeitsergänzungsgesetz Zustellreformgesetz zutreffend Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft zuzüglich Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

ZVglRWiss zzgl. ZZP ZZPInt

XXII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Abel Aden Anders/Gehle AK/Bearbeiter Bachmann Fremdwährungsschulden Bamberger/Roth/Bearbeiter Baumann/Brehm Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann Baur Studien Baur/Stürner/Bruns BeckOK ZPO/Bearbeiter Bernhardt Blomeyer ZPR Böhm Brox/Walker Bruns ZPR Bruns/Peters ZVR Bunge Fasching Furtner Urteil im Zivilprozess Furtner Vorläufige Vollstreckbarkeit Gaul/Schilken/ Becker-Eberhard ZVR Gaupp/Stein Gebauer/Wiedmann Geimer Anerkennung Geimer IZPR Geimer/Schütze Internationale Urteilsanerkennung Geimer/Schütze IRV

Geimer/Schütze EZVR Gerhardt Gerlach Ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung Glossner/Bredow/Bühler Gloy/Loschelder/Spätgens Gottwald Gutachten 61. DJT

Götz Zivilrechtliche Ersatzansprüche Grunsky/Jacoby Grunsky Grundlagen

XXIII

Zur Nichtigkeitsklage wegen Mängeln der Vertretung im Zivilprozeß, 1995 Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2002 Das Assessorexamen im Zivilrecht, 12. Aufl. 2015 Alternativkommentar zur Zivilprozeßordnung, hrsg. v. Ankermann/ Wassermann, 1987 Fremdwährungsschulden in der Zwangsvollstreckung, 1994 Beck’scher Online-Kommentar zum BGB, Stand: 1.2.2015, Edition: 34 Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 1982 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 73. Aufl. 2015 Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, 1967 Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Aufl. 2006 Beck’scher Online-Kommentar ZPO, Stand: 1.1.2015, Edition: 15 Das Zivilprozeßrecht, 3. Aufl. 1968 Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. 1985 Ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung und materiellrechtliche Ausgleichsansprüche, 1971 Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl. 2014 Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1979 Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 1987 Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland, 2. Aufl. 2005 Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. 1990 Das Urteil im Zivilprozeß, 5. Aufl. 1985 Die vorläufige Vollstreckbarkeit, 1953 Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. 2010 Die Zivilprozeßordnung für das deutsche Reich, 5. Aufl. 1902 Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010 Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995 Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2009 Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I/1 1983, Bd. I/2 1984, Bd. II 1982 Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Loseblattsammlung, hrsg. v. Geimer/Schütze, 48. Ergänzungslieferung, Stand: 06/ 2014 Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010 Vollstreckungsrecht, 2. Aufl. 1982 Ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung und ungerechtfertigte Bereicherung, 1986 Das Schiedsgericht in der Praxis, 3. Aufl. 1990 Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010 Empfehlen sich im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes Maßnahmen zur Vereinfachung, Vereinheitlichung und Beschränkung der Rechtsmittel und Rechtsbehelfe des Zivilverfahrensrechts?: Gutachten A für den 61. Deutschen Juristentag/erstattet von Peter Gottwald. – München, 1996 Zivilrechtliche Ersatzansprüche bei schädigender Rechtsverfolgung, 1989 Zivilprozessrecht, 14. Aufl. 2014 Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Häsemeyer Schadenshaftung Hahn/Mugdan

Hahn/Stegemann

Hellhake Hellwig Lehrbuch Hellwig System Henn Hertel Urkundenprozess Hess EuZPR HK-ZPO/Bearbeiter Jaeckel lex fori Jauernig/Bearbeiter Jauernig/Hess ZPR Jauernig/Berger ZVR Kallmann Kegel/Schurig IPR Kerwer Erfüllung Keßler Vollstreckbarkeit Kindl/Meller-Hannich/ Wolf/Bearbeiter Knöringer Assessorklausur Koch Kondring Kreindler/Schäfer/Wolff Kropholler/von Hein EuZPR Lachmann Langendorf Linke/Hau IZVR Lionnet/Lionnet Lörcher/Lörcher Lüke ZPR Maier Martiny

Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit, 1979 Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Neudruck 1983 unter: Hahn/Mugdan Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen; Band 2 Materialien zur Zivilprozeßordnung Abt. 1, Hrsg. Stegemann, 2. Aufl. 1881; Band 2 Materialien zur Zivilprozeßordnung Abt. 2, Hrsg. Stegemann, 2. Aufl. 1881; Band 8 Materialien zum Gesetz betr. Änderungen der Zivilprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz und Strafprozeßordnung, fortgesetzt von Mugdan, 1898 Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 2. Band, Die gesammelten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30.1.1877, 1. und 2. Abt. 1881, Neudruck 1983 unter dem Titel: Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den ReichsJustizgesetzen, Bd. 2 Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 707, 719 Abs. 1 ZPO in direkter und analoger Anwendung, 1998 Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, Band 1 (1903), Band 2 (1907), Band 3 (1909) System des deutschen Zivilprozeßrechts, 2 Bände, 1912 Schiedsverfahrensrecht, 3. Aufl., 2000 Der Urkundenprozeß unter besonderer Berücksichtigung von Verfassung (rechtliches Gehör) und Vollstreckungsschutz, 1992 Europäisches Zivilprozessrecht, 2010 Zivilprozessordnung, Handkommentar, hrsg. v. Saenger, 6. Aufl. 2015 Die Reichweite der lex fori im internationalen Zivilprozeßrecht, 1995 Bürgerliches Gesetzbuch, 15. Aufl. 2014 Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011 Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht, 23. Aufl. 2010 Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und Vergleiche, 1946 Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004 Die Erfüllung in der Zwangsvollstreckung, 1996 Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ, 1998 Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, Handkommentar, 2. Aufl. 2013 Die Assessorklausur im Zivilprozess, 15. Aufl. 2014 Unvereinbare Entscheidungen i.S.d. Art. 27 Nr. 3 und 5 EuGVÜ und ihre Vermeidung, 1993 Die Heilung von Zustellungsmängeln im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995 Schiedsgerichtsbarkeit. Kompendium für die Praxis, 2006 Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011 Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008 Prozessführung im Ausland und Mängelrüge im ausländischen Recht, 1956 ff. Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. 2015 Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005 Das Schiedsverfahren – national und international – nach neuem Recht, 2. Aufl. 2001 Zivilprozessrecht, 10. Aufl. 2011 Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, 1979 Handbuch Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach autonomem Recht, in: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. III/1, 1984

XXIV

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Mayr/Czernich Maurer Einstweilige Anordnungen MünchKomm/Bearbeiter MünchKomm-BGB/Bearbeiter MünchKomm-InsO/Bearbeiter Musielak/Voit Grundkurs Musielak/Voit/Bearbeiter Nagel/Gottwald IZPR Niederelz Rechtswidrigkeit

Nikisch ZPR Oberhammer/Bearbeiter Paulus ZPR Pecher Schadensersatzansprüche Prütting/Gehrlein/Bearbeiter Pukall/Kießling ZPR Rauscher/Bearbeiter EuZPR

Raeschke-Kessler/Berger Reithmann/Martiny/ Bearbeiter Riezler IZPR Rosenberg/Schwab/ Gottwald ZPR Saenger/Bearbeiter Saenger Einstweiliger Rechtsschutz Schack Schack IZVR Schellhammer ZPR Schilken ZPR Schlosser

Europäisches Zivilprozessrecht, 2006 Einstweilige Anordnungen in der Zwangsvollstreckung nach Einlegung zivilprozessualer Rechtsbehelfe, 1981 Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2012 Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012 ff. Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2015 Grundkurs ZPO, 12. Aufl. 2014 Kommentar zur Zivilprozessordnung, 12. Aufl. 2015 Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2013 Die Rechtswidrigkeit des Gläubiger- und Gerichtsvollzieherverhaltens in der Zwangsvollstreckung unter besonderer Berücksichtigung der Verhaltensunrechtslehre, 1974 Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1952 Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013 Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2013 Die Schadensersatzansprüche aus ungerechtfertigter Vollstreckung, 1967 ZPO, 7. Aufl. 2015 Der Zivilprozess in der Praxis, 7. Aufl. 2013 Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht (EGVollstrTitelVO, EG-MahnVO, EG-BagatellVO, EG-ZustVO 2007, EG-BewVO, EG-InsVO), 3. Aufl. 2011 Recht und Praxis des Schiedsverfahrens, 4. Aufl. 2007 Internationales Vertragsrecht, 7. Aufl. 2010 Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949 (Nachdruck 1995) Zivilprozessrecht, 17. Aufl. 2010 Zivilprozessordnung, Handkommentar, hrsg. v. Saenger, 6. Aufl. 2015 Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung, 1998

Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011 Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. 2014 Zivilprozess, 14. Aufl. 2013 Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2014 Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1989 Schlosser ZPR I Zivilprozeßrecht I, Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. 1991 Schlosser ZPR II Zivilprozeßrecht II, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 1984 Schlosser EuZPR EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009 Schmidt Europäisches Zivilprozessrecht in der Praxis, 2004 Schönke/Kuchinke ZPR Zivilprozeßrecht, 9. Aufl. 1969 Scholz Das Problem der autonomen Auslegung des EuGVÜ, 1998 Schuschke/Walker/Bearbeiter Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz – Kommentar, 6. Aufl. 2015 Schütze Schiedsverfahren Ausgewählte Probleme des deutschen und internationalen Schiedsverfahrensrechts, 2006 Schütze Schiedsgericht und Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 5. Aufl. 2012 Schiedsverfahren Schütze DIZPR Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts, 2. Aufl. 2005 Schütze RV Rechtsverfolgung im Ausland, 4. Aufl. 2009 Schütze/Tscherning/Wais Handbuch des Schiedsverfahrens, 2. Aufl. 1990 Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005 Stein/Jonas/Bearbeiter ZPO, 22. Aufl. 2002 ff./23. Aufl. 2014 ff.

XXV

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Stickelbrock Stolz Einstweiliger Rechtsschutz Thomas/Putzo/Bearbeiter Vogg Einstweiliger Rechtsschutz Vorwerk/Wolf/Bearbeiter Waldner Walker Einstweiliger Rechtsschutz Werner Rechtskraft Wolf Zeiss/Schreiber ZPR Zimmermann Zöller/Bearbeiter

Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozeß, 2002 Einstweiliger Rechtsschutz und Schadensersatzpflicht, 1948 ZPO, 35. Aufl. 2014 Einstweiliger Rechtsschutz und vorläufige Vollstreckbarkeit, 1991 Beck’scher Online-Kommentar zur ZPO; siehe oben BeckOK ZPO/Bearbeiter Der Anspruch auf rechtliches Gehör, 2. Aufl. 2000 Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozeß und im arbeitsgerichtlichen Verfahren, 1993 Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse im Erkenntnis- und summarischen Verfahren, 1983 Gerichtliches Verfahrensrecht, 1978 Zivilprozessrecht, 12. Aufl. 2014 Zivilprozessordnung, 9. Aufl. 2011 Kommentar zur ZPO, 30. Aufl. 2014

XXVI

Abschnitt 1. Gerichte

§ 24

ERSTES BUCH Allgemeine Vorschriften Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

ERSTER ABSCHNITT Gerichte Abschnitt 1. Gerichte

TITEL 2 Gerichtsstand § 24 Ausschließlicher dinglicher Gerichtsstand § 24 Smid/Hartmann (1) Für Klagen, durch die das Eigentum, eine dingliche Belastung oder die Freiheit von einer solchen geltend gemacht wird, für Grenzscheidungs-, Teilungsund Besitzklagen ist, sofern es sich um unbewegliche Sachen handelt, das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die Sache belegen ist. (2) Bei den eine Grunddienstbarkeit, eine Reallast oder ein Vorkaufsrecht betreffenden Klagen ist die Lage des dienenden oder belasteten Grundstücks entscheidend. Schrifttum Münzberg Abschied von der Pfändung der Auflassungsanwartschaft? FS Schiedermair (1976) S. 439.

I.

II. III.

IV.

1

Übersicht Normzweck ____ 1 1. Erleichterung der Tatsachenfeststellungen und Kalkulierbarkeit des Gerichtsstandes ____ 1 2. Verhältnis zum Zweck der Gerichtsstände der §§ 25, 26 ____ 2 3. Ausschließlicher Gerichtsstand ____ 3 4. Wirkung gegenüber Gerichtsfreien ____ 4 Entsprechende Regelungen ____ 5 Dingliche Rechte, die bei Klagen vor dem Gerichtsstand des § 24 gegenständlich sind, Abs. 1 ____ 6 1. Unbewegliche Sachen ____ 6 2. Bruchteile von Grundstücken ____ 7 3. Klagen wegen Bestandteilen und Zubehör ____ 9 4. Anwartschaftsrechte an einem Grundstück ____ 10 5. Stockwerkseigentum ____ 12 6. Bergwerkseigentum ____ 13 Grundstücksgleiche Rechte, Abs. 2 ____ 14 1. Grunddienstbarkeit ____ 14 2. Klage aus dinglichen Vorkaufsrechten ____ 15 3. Grenzscheidungsklagen ____ 16 4. Teilungsklagen ____ 17 5. Abgrenzung ____ 18

V.

VI.

VII.

VIII.

IX. X. XI. XII. XIII.

Abgrenzung: Fahrnis ____ 20 1. Begriff ____ 20 2. Sonstige dingliche Rechte ____ 21 3. Surrogate ____ 22 Lage des Grundstücks ____ 23 1. Störungen ____ 23 2. Lage in mehreren Gerichtsbezirken ____ 24 3. Ausländische Grundstücke ____ 25 Klage- und Prozessart ____ 26 1. Klagegrund ____ 26 2. Aussonderungsklagen nach § 47 InsO ____ 29 3. Grundbuchberichtigung ____ 30 4. Negatorische Klagen ____ 31 5. Insolvenz- und Gläubigeranfechtungsklagen ____ 33 6. Dingliche Belastungen ____ 34 7. Vormerkung und Widerspruch ____ 40 Besitz ____ 42 1. Possessorische Klagen ____ 42 2. Charakter des dinglichen Rechts ____ 44 Persönliche Ansprüche ____ 45 Verschaffungsansprüche ____ 47 Nacherbrecht ____ 49 Besitzeinräumung ____ 50 Andere registrierte Gegenstände ____ 51

Smid/Hartmann

§ 24

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

XIV. Inländische Zuständigkeit ____ 54 XV. Prozessuales ____ 56 1. Folgen der Zuständigkeitsverletzung ____ 56 2. Behauptung und Beweislast ____ 57

Klagebehauptung ____ 58 Überbrückung der Ausschlussfristen ____ 59 XVI. Schiedsverfahren und Gerichtsstandsabrede im internationalen Recht ____ 60 3. 4.

I. Normzweck 1

1. Erleichterung der Tatsachenfeststellungen und Kalkulierbarkeit des Gerichtsstandes. Die §§ 24–26 geben den sogenannten dinglichen Gerichtsstand (forum rei sitae); § 24 gewährt dabei einen ausschließlichen Gerichtsstand,1 die §§ 25, 26 wahlweise (§ 35) den Zusammenhangsgerichtsstand. Mit dem dinglichen Hintergrund dieser Regelung bezweckte der Gesetzgeber in der Vergangenheit im wesentlichen Beweiserleichterungen. In diesem Zusammenhang sollte den im dinglichen Gerichtsstand zuständigen Gerichten der Einblick in die Grundbücher erleichtert werden.2 Zu Zeiten von zum Teil bereits elektronisch geführten Grundbüchern3 und der Möglichkeit einer Abfrage über das Datennetz, vermag dieser Gesichtspunkt nur noch bedingt zu überzeugen. Die örtliche Nähe des registerführenden Grundbuchgerichts war und ist freilich nur ein Gesichtspunkt, unter dem sich der dingliche Gerichtsstand als sinnvoll erweist. Für die Grenzscheidungs-, Teilungs- und Besitzklagen erscheint die örtliche Nähe des zur Entscheidung berufenen Gerichts sinnvoll. Mag im Übrigen die „Zweckmäßigkeit“ der gesetzgeberischen Entscheidung nunmehr nicht mehr vollständig zu überzeugen, stellt sich die Frage nach dem Gerechtigkeitswert eines dinglichen Gerichtsstandes, der immerhin im Falle des § 24 als ausschließlicher gestaltet ist.

2

2. Verhältnis zum Zweck der Gerichtsstände der §§ 25, 26. Aber auch in den Fällen der Wahlgerichtsstände der §§ 25, 26 muss beantwortet werden, warum es richtig ist, dass sich der Beklagte nicht an seinem allgemeinen, sondern an dem dinglichen Gerichtsstand einlassen muss. Diese Frage ist für die Tatbestände der §§ 24 bis 26 differenzierend zu beantworten. Der ausschließliche Gerichtsstand des § 24 lässt für die Eigentums- und Besitzklagen den Gerichtsstand für die Beteiligten berechenbar, weil zweifelsfrei werden. Der Zusammenhangsgerichtsstand des § 25 (dort Rdn. 1 ff.) erlaubt es insbesondere für die Parteien eines zur Finanzierung von Immobilientransaktionen eingegangenen Schuldrechtsverhältnisses, dieses nicht vor dem insofern eher zufälligen allgemeinen Gerichtsstand einer Vertragspartei, sondern eben im Zusammenhang mit dem dinglichen Anspruch zu prozessieren. Und dies gilt auch für den isolierten besonderen Gerichtsstand des § 26. All diese Gerichtsstände, und darauf kommt es an, sind dabei aus der Sicht des Beklagten wegen ihrer Berechenbarkeit nicht in einer, die Waffengleichheit im Prozess in Frage stellenden Weise, belastend.

3

3. Ausschließlicher Gerichtsstand. § 24 ordnet einen ausschließlichen Gerichtsstand an, der jeden anderen (allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand) ausschließt.4 Die Regel des § 24 ist als Ausnahmeregel ebenso wie Art. 24 EuGVVO deshalb eng auszu-

_____

1 Vgl. auch zu Exterritorialität: MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 1; Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 1. 2 BGHZ 54, 201, 202 ff.; RGZ 15, 386, 387. 3 Vgl. § 133 GBO; vgl. Pressemitteilung des Landes Baden-Württemberg vom 1.7.2013, „Zentrales Grundbuchamt Maulbronn offiziell eröffnet – Grundbücher und Grundakten werden ausschließlich elektronisch geführt“. 4 Statt aller: Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 1, 14; Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 9.

Smid/Hartmann

2

Abschnitt 1. Gerichte

§ 24

legen. Die Ausschließlichkeit des dinglichen Gerichtsstandes gilt nach §§ 33 Abs. 2, 40 Abs. 2 auch für die Widerklage und die Inzidentfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2.5 4. Wirkung gegenüber Gerichtsfreien. Der Gerichtsstand des § 24 wirkt auch ge- 4 genüber sonst Gerichtsfreien/Diplomaten gemäß § 20 GVG.6 II. Entsprechende Regelungen Dem § 24 entsprechende Fälle regeln §§ 800 Abs. 3, 797 Abs. 5. Bei der vollstreckba- 5 ren Urkunde7 gegen den jeweiligen Eigentümer ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück liegt, in das vollstreckt werden soll,8 auch wenn zugleich der persönliche Gerichtsstand gegeben ist,9 § 848, 855, 857. Gleiches gilt gemäß § 1 ZVG bei der Zwangsversteigerung und Verwaltung von Grundstücken und gemäß § 43 WEG bei Wohnungseigentumsklagen vor den ordentlichen Gerichten.10 Ein Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung ist von dem ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand von § 24 nur erfasst, wenn er aus einer bereits bestehenden dinglichen Belastung gerechtfertigt werden kann.11 Vgl. hierzu auch die entsprechenden Regeln für registrierte Schiffe in §§ 800a Abs. 2, 847a, 855a, 858 Abs. 2 sowie §§ 162 ff. ZVG. Auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit knüpft das Grundbuchrecht an die Lage des Grundstücks an (§ 1 GBO).12 III. Dingliche Rechte, die bei Klagen vor dem Gerichtsstand des § 24 gegenständlich sind, Abs. 1 1. Unbewegliche Sachen. Der Gerichtsstand des § 24 greift ein, sofern die Klage we- 6 gen einer unbeweglichen Sache erhoben wird. Dieser Begriff ist nicht aus den Regelungen der ZPO zu interpretieren,13 namentlich kommt nicht etwa § 864 bei der Auslegung des § 24 zum Zuge, der die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen auch im Falle von eingetragenen Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen greifen lässt. Vielmehr kommt es auf die Definition unbeweglicher Sachen durch das bürgerliche Recht an. Unbewegliche Sachen im bürgerlich-rechtlichen Sinne sind Grundstücke.14 Das Grundstück ist dabei ein (von Menschen gekennzeichneter) Teil der Erdoberfläche in verkehrsmäßiger Begrenzung nach oben und unten (§ 905 BGB) und ein räumlich begrenzter Teil der Erdoberfläche,15 also beispielsweise auch der örtlich begrenzte Teil eines Flusslaufs16 oder eines anderen umgrenzten Gewässers, wenn auch die fließende Welle herrenlos ist.17 Die in dem (umgrenzten) Raum befindlichen körperlichen Gegenstände, wie Dinge, Sachen i.S.d. § 90 BGB, welche nach der Verkehrsauffassung mechanisch

_____

5 Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 30. 6 RGZ 103, 274, 277, RGZ 62, 165, 167. 7 BayObLG NJW-RR 2001, 1295; OLG Hamburg MDR 2003, 1072; OLG Köln OLGR 2004, 235. 8 Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 6; LG Waldshut-Tiengen, Urt. v. 27.8.1992 – 1 T 48/92; VG Augsburg, Beschl. v. 21.3.2005 – Au 7 K 05.25, Au 7 K 05.263. 9 BayObLG: Beschl. v. 18.4.2002 – 1 Z AR 36/02. 10 Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 6. 11 OLG Brandenburg IPRspr 2009, Nr. 195, 504. 12 BeckOK-GBO/Holzer § 1 GBO Rdn. 7 ff. 13 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 2. 14 BeckOK-BGB/Fritzsche § 90 BGB Rdn. 12; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 3. 15 RGZ 68, 24, 25; OLG Oldenburg Rpfleger 1977, 22; Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 3. 16 RGZ 53, 98. 17 RGZ 32, 414.

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Smid/Hartmann

§ 24

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

zerlegt oder räumlich abgegrenzt werden können, gehören zu den körperlichen Bestandteilen des Grundstücks.18 2. Bruchteile von Grundstücken. Erfasst von der Vorschrift des § 24 sind auch Bruchteile von Grundstücken.19 Damit ist der Gerichtsstand des § 24 für den Streit maßgeblich, mit dem Miteigentumsanteile, dingliche Belastungen oder Freiheit von ihnen geltend gemacht werden.20 Gleiches gilt für das Wohnungseigentum gemäß §§ 1, 2 WEG.21 Nach Landesrecht sind gleichgestellt das Stockwerkeigentum (Art. 182 EGBGB22) und das Bergwerkseigentum (Art. 67 EGBGB, § 9 Abs. 1 BBergG).23 Zu grundstücksgleichen Rechten nach § 295 Abs. 2 ZGB vgl. Voraufl. Auch das Dauerwohnrecht nach §§ 31 ff. WEG ist eine Grundstückslast (es entspricht 8 dem Wohnungseigentum als Grundstücksbelastung, vgl. § 31 Abs. 1 WEG), während das Dauernutzungsrecht nach § 31 Abs. 2 WEG dem Teileigentum i.S.d. WEG entspricht und wie das Dauerwohnrecht behandelt wird, § 31 Abs. 2 WEG.24 Eine entsprechende Last gibt es beim Wohnungserbbaurecht (§ 42 WEG).25 7

9

3. Klagen wegen Bestandteilen und Zubehör. Die Bestandteile des Erbbaurechts sind nicht zugleich die des Grundstücks (§ 12 Abs. 2 ErbbauRG); gleiches gilt für die dem Bergrecht unterliegenden. Andererseits kann bei Bahneinheiten (Art. 112 EGBGB) der Begriff des Grundstücks weiter sein. Nicht zu den Bestandteilen gehört das Zubehör (§§ 97, 98 BGB).26 Röhrenleitungen und Drähte auf Grundstücken, die nicht Werkgrundstücke sind, sind Zubehör des Werkes. Die Klage wegen Zubehörs fällt also nicht unter § 24.

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4. Anwartschaftsrecht an einem Grundstück. Wie Eigentumsklagen sind Klagen des Anwartschaftsberechtigen, der sein Anwartschaftsrecht an einem Grundstück geltend macht, vor dem Gerichtsstand des § 24 zu erheben. Allein aufgrund der Stellung des Umschreibungsantrages durch den Veräußerer erwirbt der Schuldner nach der Rechtsprechung des BGH27 noch kein deliktsrechtlich schutzfähiges Anwartschaftsrecht.28 Ist dagegen die Auflassung des Grundstücks vom Eigentümer als Veräußerer bereits erklärt und ist Antrag auf Umschreibung durch den Erwerber beim Grundbuchamt gestellt, so steht dem Schuldner nach heute hM ein Anwartschaftsrecht am Grundstück zu.29 Denn das Grundbuchamt muss diesen Antrag vor zeitlich nachfolgenden Anträgen erledigen.30 Daraus wird der Schluss gezogen, dass dieser Fall der Eintragung einer Vormerkung zum Schutze des Erwerbers vor einseitigen vereitelnden Verfügungen des Veräußerers gleich-

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18 Wieczorek 2. Auflage § 24 Rdn. B I a a.E. unter Bezugnahme auf RG Urt. v. 12.7.1933 – V WarnR 141 und RG Urt. v. 20.2.1919 – IV WarnR 45. 19 Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 2. 20 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 3 m.w.N. 21 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 3. 22 Vgl. weitere landesrechtliche Rechte BeckOK-ZPO/Toussaint § 24 Rdn. 2 f.; Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 4 a.E. 23 Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 4. 24 BeckOK-BGB/Hügel § 31 WEG Rdn. 2 f. 25 Vgl. BeckOK-BGB/Hügel § 42 WEG Rdn. 2. 26 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 5. 27 BGHZ 45, 186 = NJW 1966, 1019. 28 Münzberg FS Schiedermair, 1976, S. 443. 29 Vgl. allgemein dazu BeckOK-BGB/Grün § 925 BGB Rdn. 41 ff. 30 BeckOK-BGB/Grün § 925 BGB Rdn. 42.

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zuachten sei.31 Daraus wird geschlossen, dass das Anwartschaftsrecht nicht durch Abtretung nach §§ 398, 413 BGB, sondern durch Auflassung nach § 925 BGB zu übertragen sei.32 Weiter fallen unter die im Gerichtsstand des § 24 zu erhebenden Klage diejenigen 11 wegen dinglicher Ansprüche aus dem Nachbarrecht (also Überbau- und Notwegrecht33), sowie die dazu gehörigen Anwartschaften auf Eintragung dieser Belastungen.34 In all diesen Fällen entscheidet die Lage des dienenden (belasteten) Grundstücks (nicht die des herrschenden).35 Ebenfalls darunter zu fassen ist das Jagdrecht nach § 1 BJagdG.36 Nach Landesrecht gehören unter die Rechtsbestandteile die Fischereiberechtigungen (Art. 69 EGBGB), die Deich- und Sielrechte (Art. 66 EGBGB); jedoch ist in diesen Fällen regelmäßig der Rechtsweg zu den Zivilgerichten verschlossen (§ 13 GVG). § 24 Abs. 2 regelt diese Fälle. 5. Stockwerkseigentum. Das – vor 1900 begründete – Stockwerkeigentum gibt es 12 noch in Hessen und Baden-Württemberg. Nach dem § 63 WEG können diese in Wohnungseigentum übergeleitet werden. 6. Bergwerkseigentum.37 Nach Landesrecht gehört das Bergwerk zu den unbeweg- 13 lichen Sachen (Art. 67 EGBGB38). Zu seinen Bestandteilen gehören die Förderanlagen, die Aufbereitungsanlagen und die Hilfsbauten, die für das Bergwerk angelegt wurden. Nicht dazu gehören das bloße Zubehör (§§ 97, 98 BGB in entsprechender Anwendung). IV. Grundstücksgleiche Rechte, Abs. 2 1. Grunddienstbarkeit. Rechtsstreitigkeiten, deren Gegenstand grundstücksgleiche 14 Rechte sind, fallen ebenfalls unter § 24, wie Abs. 2 zeigt. Nach Abs. 2 fallen hierunter Klagen, die eine Grunddienstbarkeit betreffen.39 Nach § 1018 BGB kann ein Grundstück zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines anderen Grundstücks in der Weise belastet werden, dass dieser das Grundstück in einzelnen Beziehungen benutzen darf oder dass auf dem Grundstück gewisse Handlungen nicht vorgenommen werden dürfen oder dass die Ausübung eines Rechts ausgeschlossen ist, das sich aus dem Eigentum an dem belasteten Grundstück dem anderen Grundstück gegenüber ergibt.40 2. Klage aus dinglichen Vorkaufsrechten. Weiter erstreckt Abs. 2 den Anwen- 15 dungsbereich des Gerichtsstandes des § 24 auch auf Klagen aus dinglichen Vorkaufsrechten nach § 1094 BGB,41 wonach ein Grundstück in der Weise belastet werden kann, dass derjenige, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, dem Eigentümer gegenüber zum Vorkauf berechtigt ist. Schließlich erstreckt Abs. 2 den dinglichen Gerichtsstand auf Klagen bezüglich subjektiv-dinglicher Reallasten nach § 1105 Abs. 2 BGB, also der Belas-

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31 Vgl. BeckOK-BGB/Grün § 925 BGB Rdn. 43. 32 BeckOK-BGB/Grün § 925 BGB Rdn. 45, 46. 33 RGZ 30, 233, 237 für die Ansprüche gegen eine Wassergenossenschaft. 34 OLG Köln OLGZ 1968, 353, 455. 35 Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 9; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 20. 36 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 4. 37 Vgl. Wieczorek 2. Auflage § 24 Rn. B Ib 4; BR-Drucks. 75/51 vom 15. Dezember 1950/26. Januar 1951, S. 3, 4 (Anhang Gesetzesmaterialien, Bärmann-WEG). 38 BeckOK-ZPO/Toussaint § 24 Rdn. 2; vgl. auch Weller/Kullmann § 9 BBergG Rdn. 1 ff. 39 Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 2. 40 Vgl. BeckOK-BGB/Wegmann § 1018 BGB Rdn. 1 ff.; Jauernig-BGB/Berger § 1018 BGB Rdn. 1 ff. 41 Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 2.

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tung eines Grundstücks in der Weise, dass an den jeweiligen Eigentümer eines anderen Grundstücks wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück zu entrichten sind. 16

3. Grenzscheidungsklagen. Von den genannten Ansprüchen werden in § 24 ausdrücklich die Grenzscheidungsklagen (vgl. dazu §§ 919, 920 BGB) erfasst. Hierunter fallen zum einen die sog. Abmarkungsklagen nach § 919 BGB. Mit ihnen verlangt nach § 919 Abs. 1 BGB der Eigentümer eines Grundstücks von dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks, dass dieser zur Errichtung fester Grenzzeichen und, wenn ein Grenzzeichen verrückt oder unkenntlich geworden ist, zur Wiederherstellung mitwirkt.42 Nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe soll dies auch bei einer nur auf Zahlung der Abmarkungskosten gemäß § 919 Abs. 3 gerichteten Klage gelten.43 Die eigentliche Grenzscheidungsklage nach § 920 Abs. 1 BGB ist darauf gerichtet, dass, wenn sich im Falle einer Grenzverwirrung die richtige Grenze nicht ermitteln lässt und der Besitzstand nicht festgestellt werden kann, der für die Abgrenzung der Besitzstand maßgebend ist, jedem der Grundstücke ein gleich großes Stück der streitigen Fläche zuzuteilen ist.44 Die Grenzscheidungsklage nach § 920 Abs. 2 BGB betrifft den Fall, in dem eine nach §§ 919, § 920 Abs. 1 BGB entsprechende Bestimmung der Grenze zu einem Ergebnis führt, das mit den ermittelten Umständen, insbesondere mit der feststehenden Größe der Grundstücke, nicht übereinstimmt.45 In diesem Fall begehrt der Kläger die Grenze so zu ziehen, wie es unter Berücksichtigung dieser Umstände der Billigkeit entspricht.

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4. Teilungsklagen. Abs. 2 nennt schließlich die Teilungsklagen gemäß § 749 BGB, für die damit der dingliche Gerichtsstand des § 24 angeordnet wird. Nach § 749 Abs. 1 BGB kann jeder Teilhaber einer Bruchteilsgemeinschaft an einer unbeweglichen Sache grundsätzlich jederzeit die Aufhebung beantragen. Gleiches gilt für die Klage des Miteigentümers einer unbeweglichen Sache auf Teilung.46

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5. Abgrenzung. Die Klage auf Aufhebung von Gesamthandsgemeinschaften fällt dagegen nicht unter § 24 ungeachtet des Umstandes, dass ggf. der einzige Gegenstand des Gesamthandsvermögens das Grundstück ist;47 ebenfalls nicht von § 24 ist die Klage auf Teilung der Erträge eines Grundstücks erfasst.48 Bei Klagen wegen Miete und Pacht wegen unbeweglicher Gegenstände handelt es 19 sich um schuldrechtliche Ansprüche, für die der Gerichtsstand des § 24 nicht begründet ist. Zu beachten ist aber, dass insoweit § 29a einen ausschließlichen besonderen Gerichtsstand begründet. Auch für Klagen gegen Wohnungseigentümer z.B. wegen der Erbringung von Instandhaltungsrücklagen udglm ist der Gerichtsstand des § 24 nicht begründet. V. Abgrenzung: Fahrnis

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1. Begriff. Alles, was nicht unter den Begriff des unbeweglichen Gutes fällt (Fahrnis), gehört nicht unter §§ 24–26; eine entsprechende Anwendung ist nicht möglich.

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42 BeckOK-BGB/Fritzsche § 919 BGB Rdn. 2 f. 43 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.3.1995 – 11 AR 6/95. 44 Vgl. BeckOK-BGB/Fritzsche § 920 BGB Rdn. 1 ff. 45 Vgl. BeckOK-BGB/Fritzsche § 920 BGB Rdn. 13. 46 Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 7; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 16. 47 BeckOK-ZPO/Toussaint § 24 Rdn. 14; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 14; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 16. 48 Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 16.

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Hierzu zählt auch das Zubehör gemäß §§ 97 f. BGB (oben Rdn. 9, 13). Der Begriff schließt auch sonstige registrierte Gegenstände wie Schiffe49 oder Kabel oder sonst bewegliche Sachen nicht ein.50 Jede körperliche Sache (§ 90 BGB), die nicht zum unbeweglichen Gut gehört, ist rechtlich beweglich (Fahrnis).51 2. Sonstige dingliche Rechte. Auch sonstige dingliche Rechte, die nicht zu den Be- 21 standteilen des unbeweglichen Guts gehören, fallen nicht unter § 24.52 3. Surrogate. Ist die an sich unter § 24 fallende Grundstückslast erloschen (etwa 22 durch Versteigerung) und besteht das Recht nur noch am Erlös (oder nur noch an beweglichen Sachen, die von der Versteigerung ausgenommen wurden) fort, so entfällt § 24.53 VI. Lage des Grundstücks 1. Störungen. Nach § 24 entscheidet die Lage des Grundstücks auch bei Störungen,54 23 etwa wenn bei einem widerrechtlichen Rückstau das Grundstück beeinträchtigt wird, bei dem der schädigende Zustand eingetreten oder die schädigende Wirkung ausgelöst worden ist.55 Im Bergrecht bei Bergschädenansprüchen ist ebenfalls danach zu entscheiden, wo das geschädigte Grundstück liegt.56 Dass nur das dienende, nicht das herrschende Grundstück nach § 24 zu berücksichtigen ist, normiert § 24 Abs. 2.57 2. Lage in mehreren Gerichtsbezirken. Erfasst ist dabei stets das ganze Grund- 24 stück, so dass, wenn es in mehreren Bezirken liegt, § 36 Abs. 1 Nr. 4 anzuwenden ist.58 Dies gilt auch dann, wenn schädigend nur in einem Bezirk in das Grundeigentum eingegriffen wurde.59 3. Ausländische Grundstücke. Ob die Vorschrift die Zuständigkeit inländischer Ge- 25 richte für die im Ausland belegenen Grundstücke und an ihnen bestehende dingliche Rechte ausschließt, ist streitig.60 Jedenfalls sind die inländischen Gerichte dort nicht zuständig, wo das ausländische Recht eine dem § 24 entsprechende Regel enthält. Eingehend unten Rdn. 60 ff. VII. Klage- und Prozessart 1. Klagegrund. § 24 knüpft an den Klagegrund aus dinglichem Recht an unbewegli- 26 chem Gut61 an. Die Klage muss daher aus der dinglichen Belastung resultieren, da zum unbeweglichen Gut nach inländischem Recht die Grundstücke und die ihnen gleichge-

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49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

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RGZ 103, 274, 278, 279. Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 6. RGZ 103, 253. Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 12. RGZ 45, 388, 389. RGZ 86, 272, 280. RGZ 122, 196, 200. RG ZfB 1936, 360. Vgl. Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 20. RGZ 137, 278, 280; Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 13; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 19. RGZ 86, 272, 278. Bejahend RGZ 32, 414, 416. BGH NJW 1998, 1321.

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stellten Rechte des Inlands gehören.62 Die in Bezug auf unbewegliches Gut (§ 24) erhobene Klage muss einen in § 24 genannten Klagegrund für den geltend gemachten (außerprozessualen) Anspruch unmittelbar betreffen, so dass der geltend gemachte Anspruch, über den mit Rechtskraftwirkung zu entscheiden ist (§ 322), aus dem nach § 24 erheblichen unmittelbar hervorgeht.63 Eine bloß mittelbare Verbindung, wenn für sie als Vorfrage über einen nach § 24 maßgebenden Klagegrund zu entscheiden ist, genügt nicht. Werden die Vorfragen dann aber durch einen Antrag – etwa eine Zwischenfeststellungsklage (§ 280) – unmittelbar zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, so gilt für sie § 24. Bei nach § 24 gegebenem Klagegrund und aus ihm unmittelbar hergeleitetem An27 spruch kommt es aber nicht auf seine Art an. Es ist also gleichgültig, ob die Klage Hauptoder Nebenansprüche (Zinsen64) betrifft.65 Auch entscheidet die Klageart nichts (Leistung einschließlich der Gestaltung, Duldung, vgl. §§ 737, 743,66 745, 748 oder Feststellungsklagen, egal ob positive67 oder negative68). Gleiches gilt für die Prozessart (gewöhnliche, Urkundenprozess usw.). Unerheblich ist dabei ebenfalls, ob die Klage schlüssig ist. Es reicht vielmehr aus, 28 dass der Kläger Umstände vorträgt, die die Zuständigkeit zu begründen vermögen.69 Obwohl es sich nicht um Klagen handelt, sind von § 24 durch die Verweisung der §§ 919, 937, 943 auch der Arrest und die einstweilige Anordnung erfasst.70 Entgegen des ersten Anscheins sind jedoch die Klagen nach dem SachenRBerG nicht erfasst, da § 109 Abs. 1 S. 2 SachenRBerG bestimmt, dass ausschließlich das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk sich das Grundstück befindet.71 29

2. Aussonderungsklagen nach § 47 InsO. Der Klagegrund aus § 24 ist dinglicher Art. Bei Aussonderungsklagen gemäß § 47 InsO kommt ein Gerichtsstand der Belegenheit der Sache nach § 24 grundsätzlich in Betracht, wenn es sich um eine Aussonderungsberechtigung aufgrund eines dinglichen Rechts handelt.72

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3. Grundbuchberichtigung. In Betracht kommen alle Klagen, die um das dingliche Recht als solches gehen, also bei der Hypothek die auf Duldung der Vollstreckung gerichtete Klage,73 die auf ihre Feststellung und die Grundbuchberichtigung, die auf Wiedereintragung eines zu Unrecht gelöschten Rechts und die auf Löschung eine solchen Rechts.74 Namentlich betroffen ist dadurch der Klageantrag auf Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens des Eigentums, wie der auf Grundbuchberichtigung § 894 BGB.75 Bei der Klage auf Löschungsbewilligung einer Hypothek allerdings mit der Einschränkung, dass nicht im Gerichtsstand des § 24 geklagt werden muss, so dass diese Klage unter § 26 fällt.

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62 BGH NJW 1998, 1321. 63 RG PrJMBl. 1890, 8. 64 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 10. 65 OLG Breslau 20/288; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 7. 66 Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 11; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 10. 67 RGZ 13, 386, 388; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 6. 68 RGZ 102, 102, 104; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 6. 69 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 6; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 7; Thomas/Putzo-ZPO/Hüßtege § 24 Rdn. 2. 70 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 6; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 7. 71 Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 8; OLG Celle VersR 1978, 570. 72 OLG Brandenburg IPRspr 2009, Nr. 195, 504. 73 RGZ 51, 231, 233 f. 74 LG Itzehoe, Urt. v. 24.3.1982 – 6 O 581/81. 75 OLG Celle, NJW 1954, 961; Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 8, 11; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 10.

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4. Negatorische Klagen. Vor dem Gerichtsstand des § 24 sind weiter diejenigen 31 Klagen zu erheben, deren Grundlage zwar das Eigentum bildet, ohne dass über das Eigentum selbst entschieden wird. Dies gilt zunächst für die negatorischen Abwehrklagen aus §§ 905, 1004 BGB.76 Klagegrund ist das Eigentum des Klägers, bzw. §§ 906 ff., 1004 BGB77 oder die Herausgabe nach § 985 BGB.78 Die Klage kann vom Eigentümer oder vom Dritten ausgehen oder umgekehrt sich gegen einen Eigentümer oder Dritten richten (vgl. BGB § 1006);79 doch muss stets ein Eigentümer oder ein vermeintlicher Eigentümer beteiligt sein.80 Selbst die Klage des Nacherben nach § 2113 BGB gegen den vom Vorerben Erwerben- 32 den ist dinglicher Art und fällt unter § 24,81 es sei denn, sie ist auf Feststellung der Unwirksamkeit der Verfügung des Vorerben gerichtet: Die Verfügung des Vorerben ist aber unwirksam, wenn die Nacherbfolge eintritt, da das vormalige Anwartschaftsrecht dann zum Vollrecht erstarkt.82 Daher kann die Klage des Nacherben aus § 2113 BGB gegen den Erwerber eines Grundstücks, die auf Feststellung der Verpflichtung gerichtet ist, das Grundstück im Falle des Eintritts der Nacherbfolge herauszugeben, nicht vor dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden, weil der Nacherbe kein Eigentum geltend macht, sondern in der Klage das Anwartschaftsrecht des Nacherben zu Grunde liegt.83 Dagegen macht der Nacherbe nach dem Eintritt des Nachlassfalles sein Eigentum geltend, was vor dem Gerichtsstand des § 24 geschieht. Betroffen ist also nur das dingliche Recht. Dabei braucht der Anspruch nicht unmittelbar das Eigentum als solches zum Gegenstande haben. Es genügt vielmehr, dass dingliche Ansprüche aus dem Eigentum geltend gemacht werden, also der auf Herausgabe (§ 985 BGB), der auf Beseitigung und Unterlassung von Störungen (§ 1004 BGB), auch der, die Zuleitung schädlicher Stoffe [in fließendes Wasser] zu unterlassen, worunter die Ansprüche aus §§ 903, 905 BGB fallen. Auch die Ansprüche des Miteigentümers nach §§ 1008, 1011 BGB,84 wie die dingliche Klage des Eigentümers nach § 1053 BGB auf Unterlassung des Gebrauchs gegen den Nießbraucher gehören hierher,85 soweit sie sich auf unbewegliche Sachen beziehen. 5. Insolvenz- und Gläubigeranfechtungsklagen. Die Gläubigeranfechtungsklage, 33 die auf Rückverschaffung des gläubigerbenachteiligend verschobenen Grundstücks gerichtet ist, ist ebenfalls keine aus dem Eigentum begründete Klage. Denn ihr liegt der Anspruch des Gläubigers zugrunde, dass er die Zwangsvollstreckung in den unbeweglichen Gegenstand betreiben kann. Gleiches gilt für die Insolvenzanfechtungsklage des Insolvenzverwalters (§§ 129 ff. InsO). Wird daher vom Kläger ein anfechtungsrechtlicher Rückgewähranspruch nach dem AnfG, gerichtet auf Duldung der Zwangsvollstreckung, geltend gemacht, so wird damit weder das Eigentum an dem Grundstück noch eine dingliche Belastung oder die Freiheit von einer solchen geltend gemacht. Der Rückgewähranspruch ist ein schuldrechtlicher Anspruch. Mit Anfechtungsklagen nach dem AnfG will

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76 BayObLGZ 96, 14, 15; OLG Celle VersR 1987, 570; BayObLG (1. ZS), Beschl. v. 31.1.1996 – 1Z AR 5/96; Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 8. 77 RGZ 122, 199 f. 78 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 7; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 8. 79 Vgl. dazu Wieczorek 2. Aufl., § 24 Rdn. B IIb 1. 80 RG Gruch. 37, 1063. 81 A.A. RGZ 102, 103. 82 RGZ 102, 104; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 9; Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 16; Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 9. 83 RGZ 102, 104; Stein/Jonas/Roth § 24 Rn. 16. 84 Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 1 f. 85 Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 10.

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der Kläger die Verurteilung des Beklagten erreichen, um ihm z.B. an ihn übertragene Grundstückseigentum für die Zwangsvollstreckung zur Verfügung zu stellen, soweit es die Befriedigung des Klägers erfordert (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AnfG). Bei einer solchen Anfechtungsklage liegen die Voraussetzungen des ausschließlichen dinglichen Gerichtsstands jedenfalls dann nicht vor, wenn der Klageantrag auf Duldung der Zwangsvollstreckung lautet.86 Dem kann nicht entgegengehalten werden, vor allem im Bereich anfechtbarer Rechtshandlungen lasse sich Vermögensverschiebungen ins Ausland nicht hinreichend wirksam begegnen, wenn man nicht bei hierauf beruhenden Klagen auf Duldung der Zwangsvollstreckung den Gerichtsstand des § 24 bejahe. Die Klage bei dem Gericht, in dessen Bezirk sich das Grundstück befinde, erleichtere auch die ggf. notwendige Beiziehung der Grundakten und im Fall des Erlasses einer einstweiligen Verfügung die Durchführung eines Eintragungsersuchens nach § 941. Dem steht aber entgegen, dass bei Schwierigkeiten einer Klageerhebung im allgemeinen Gerichtsstand der Kläger den Anfechtungsgegner gegebenenfalls im Gerichtsstand des Aufenthaltsorts (§ 20), der Niederlassung (§ 21), oder, wenn der Gegner im Inland keinen Wohnsitz hat, im Gerichtsstand des Vermögens oder des Gegenstands (§ 23) verklagen kann. Das OLG Celle87 weist in diesem Zusammenhang überzeugend darauf hin, dass jedes im allgemeinen oder im besonderen Gerichtsstand zuständige Gericht heute so kurzfristig Grundakten beiziehen oder Eintragungen beim zuständigen Grundbuchamt veranlassen kann, dass sich daraus keine praktischen Hindernisse ergeben. 6. Dingliche Belastungen. Weiter sind unter § 24 die sich aus den dinglichen Belastungen von Grundstücken und grundstücksähnlichen Rechten ergebenden positiven und negativen (im Besonderen die auf Befreiung von Lasten gerichteten) Klagen zu rechnen. Während die Klage aus dem Eigentum und die Klage aus dinglichen Belastungen das Bestehen der entsprechenden dinglichen Rechte geltend macht, klärt die Klage auf Freiheit von einer dinglichen Belastung dieses Rechtsschutzziel um. Auch hierfür ist der Gerichtsstand des § 24 begründet.88 Hier kommen die folgenden dinglichen Lasten, sofern über ihren Bestand89 und 35 nicht über die Last oder Freiheit90 von ihnen gestritten wird,91 in Betracht: das Erbbaurecht (§ 1 ErbbauRG) mit den Ansprüchen aus § 11 ErbbauRG i.V.m. den Eigentumsansprüchen bei Grundeigentum, die Grunddienstbarkeit (§ 1018 BGB) mit den Ansprüchen nach §§ 1004, 1027 BGB, der Nießbrauch an Grundstücken (§§ 1030 ff. BGB)92 mit denen nach §§ 985, 1004, 1065 BGB; die beschränkt persönliche Dienstbarkeit (§§ 1090 ff. BGB) mit denen nach §§ 1004, 1027, 1090 Abs. 1 S. 1 BGB; das subjektiv persönliche (§ 1094 Abs. 1 BGB) und das subjektiv dingliche Vorkaufsrecht (§ 1094 Abs. 1 BGB, auch das gesetzliche93), die subjektiv persönliche (§ 1105 Abs. 1 BGB) und die subjektiv dingliche Reallast (§ 1105 Abs. 2 BGB); die Hypothek (§ 1113 BGB); die Grund- (§ 1191 BGB) und die

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86 OLGR Celle 2008, 265; OLG Celle MDR 1986, 1031; MünchKomm-InsO/Kirchhof § 146 Rdn. 33; Kübler/ Prütting/Paulus § 13 AnfG, Rdn. 10; Uhlenbruck-InsO/Hirte § 143 Rdn. 75; Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 14; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 8; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, § 24 Rdn. 4 „Anfechtung“; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 36 Rdn. 37. 87 OLGR Celle 2008, 265 88 Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 23. 89 Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 6, 7, 10 f. 90 Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 23; LG Itzehoe, Urt. v. 24.3.1983 – 6 O 581/81 (dieser Gerichtsstand gilt auch für den Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter. 91 BGHZ 54, 201. 92 Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 10. 93 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 9; BGHZ 58, 78, 82 = NJW 1972, 488; BGHZ 60, 275, 293 = NJW 1973, 1278.

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Rentenschuld (§ 1199 BGB); das Höferecht (doch sind hier regelmäßig die Landwirtschaftsgerichte zuständig, vgl. § 13 GVG), Wasser-, Deich- und Siellasten;94 doch ist hier regelmäßig der Rechtsweg ausgeschlossen, vgl. § 13 GVG. Auf den Rechtsgrund, weshalb gegen das dingliche Recht vorgegangen wird, kommt es nicht an.95 Es ist belanglos, ob der Rechtsgrund dinglicher oder persönlicher Art ist. Hierher gehören die Löschung einer nur sicherungshalber bestellten Hypothek, nachdem der Sicherungszweck entfallen ist,96 die Klage gegen den Prätendenten des Rechts,97 wenn die Last unstreitig, das Recht des Prätendenten auf sie aber streitig ist und auch wenn ein Pfandgläubiger gegen den Eigentümer um den Bestand einer Hypothek streitet. Auch die Klage des eine Eigentümergrundschuld pfändenden Gläubigers gegen den Scheinhypothekengläubiger trifft die Grundstückslast. Ferner fällt unter § 24 die Klage, durch die eine Löschungsbewilligung abgegeben werden soll, allerdings nur, wenn das dingliche Recht unmittelbar betroffen ist. Daher ist nach § 24 Abs. 1 für Klagen, durch die die Freiheit von einer dinglichen Belastung geltend gemacht wird, sofern es sich um unbewegliche Sachen handelt, das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die Sache belegen ist. Der dingliche Gerichtsstand ist gegeben, wenn die unbewegliche Sache Gegenstand einer solchen Klage ist. Dies ist der Fall wenn der Kläger als Grundstückseigentümer in erster Linie die Bewilligung der Löschung der Grundschulden durch den Beklagten als Inhaber dieser Rechte begehrt. Gleichgültig ist dabei, ob die Befreiung von der Belastung lediglich aufgrund eines schuldrechtlichen Anspruches verlangt wird, wie z.B. in den Fällen der Anfechtung der Hypothek nach der Insolvenzordnung (§ 143 InsO), nach dem Anfechtungsgesetz (§ 11 AnfG) oder dem Anspruch aus § 1169 BGB.98 Wesentlich ist nur, dass der Klageantrag auf Bewilligung der Löschung gerichtet und der Beklagte Inhaber der dinglichen Belastung ist. Dies ist auch nicht (mehr) streitig, entspricht jedenfalls der ganz überwiegenden Auffassung in der Kommentarliteratur und der Rechtsprechung.99 Es muss stets ein (zumindest vermeintlicher) Inhaber des dinglichen Rechts (als Kläger oder Beklagter) beteiligt sein. Ob auch Teilklagen um die abgeleiteten dinglichen Rechte den Gerichtsstand nach § 24 begründen, ist umstritten. Es ist zweifelhaft, ob die Beschlagnahme nach § 20 ZVG als dingliche Belastung eines Grundstückes im Sinne des § 24 in Betracht kommt. Die Beschlagnahme begründet kein dingliches, gegenüber jedermann geltendes Recht, sondern nur ein relatives Veräußerungsverbot mit Wirkung nur gegenüber dem Gläubiger (§ 23 Abs. 1 S. 1 ZVG). Insbesondere für den wegen eines persönlichen Anspruchs vollstreckenden Gläubiger begründet sie nur das Recht auf Befriedigung an dem Grundstück als prozessualen Anspruch, nicht aber ein Pfandrecht oder ein sonstiges dingliches Recht.100 Ein Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung ist nach alledem von § 24 nur erfasst, wenn er aus einer bereits bestehenden dinglichen Belastung gerechtfertigt werden kann.101

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94 Bis 2010 galt hier Art. 65, 66 EGBGB; RGZ 21, 225. 95 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 9. 96 RGZ 35, 365, 366; RGZ 25, 384, 385; RGZ 20, 403, 405; RGZ 15, 386; BGHZ 54, 201, 203 = NJW 1970, 1789; Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 5. 97 OLG Hamburg 13/75. 98 Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 24 m.w.N.; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, § 24, Rdn. 9; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 11; so schon RGZ 15, 386; 20, 403; 36, 12; 52, 3. 99 OLG Naumburg OLGR 2004, 336. 100 Stöber ZVG-Kommentar19, § 20 Anm. 2.2 m.N. 101 OLG Brandenburg IPRspr 2009, Nr 195, 504; Zöller/Vollkommer § 24 Rdn. 10; Musielak/Heinrich § 24 Rdn. 10.

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7. Vormerkung und Widerspruch. Ob eine Vormerkung (§§ 883 ff. BGB) bereits eine dingliche Belastung ist oder nicht, ist streitig.102 In dem Falle, in dem die Vormerkung auf Grund eines gesetzlichen Titels (§ 648 BGB) eingetragen wurde, erscheint sie als eine Belastung im weiteren Sinne.103 Im Rahmen des § 24 wird man sie dazu zu rechnen haben, soweit sie sich auf Rechte bezieht, die sonst unter die Bestimmung fallen. Im Besonderen bei einem Löschungsanspruch nach § 1169 BGB.104 Das entsprechende gilt für den Widerspruch (§ 399 BGB), der eine bloße Sicherungseintragung ist und jedenfalls das Recht, bei dem oder gegen das er eingetragen ist, nicht belastet. Auch diejenigen, die eine örtliche Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs als 41 Grundprinzip des zivilprozessualen Zuständigkeitsrechts ansehen105 vertreten die Ansicht, dass im Rahmen von Vormerkungsstreitigkeiten zwar § 24 dann nicht eingreift, wenn mit der Klage der vormerkungsgesicherte schuldrechtliche Anspruch auf Eigentumsverschaffung, – also die Eintragung des Erwerbers ins Grundbuch –, verfolgt wird, der ausschließliche dingliche Gerichtsstand aber bei einer auf §§ 883 Abs. 2, 888 BGB gestützten Klage auf Zustimmung zur Eintragung oder zur Löschung gegeben ist.106 VIII. Besitz

1. Possessorische Klagen. Schließlich nennt § 24 Abs. 1 die „Besitzklagen“. Da petitorische Klagen aus dem Eigentum bereits von der Formulierung „Klagen durch die das Eigentum […] geltend gemacht wird“, erfasst sind, fallen unter die Besitzklagen die possessorischen Klage aus den §§ 861 ff., 869. Nach Meinung Roths107 kommt der Anspruch auf Abholung nach § 867 BGB und die Klage aus dem früheren Besitz nach § 1007 Abs. 1 und Abs. 2 BGB für die Besitzklagen, die vor dem Gerichtsstand des § 24 erhoben werden, nicht in Betracht. Das ist überzeugend, da diese Ansprüche auf bewegliche Sachen zugeschnitten sind. Im Falle des § 1007 BGB kommt eine entsprechende Klage wegen der Publizität des Grundbuchs nicht in Betracht. Vor dem dinglichen Gerichtsstand des § 24 ist daher nach § 861 Abs. 1 BGB auf die Wiedereinräumung des Besitzes gegen denjenigen zu klagen, der dem Besitzer gegenüber fehlerhaft besitzt, wenn der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen worden ist. Gleiches gilt für die Klage nach § 862 Abs. 1 S. 1 BGB, mit der der Besitzer von dem Störer, der ihn durch verbotene Eigenmacht im Besitz stört, die Beseitigung der Störung verlangt bzw. die Unterlassungsklage im Falle des S. 2 der Vorschrift, wenn weitere Störungen zu besorgen sind. Gleiches gilt für die entsprechenden vom mittelbaren Besitzer gemäß § 869 BGB erhobenen Besitzschutzklagen. Erfasst sind demnach die Besitzentziehung oder -störung, Wiedereinräumung, oder 43 Beseitigung der Störung. Nicht umfasst sind hingegen petitorische Klagen auf obligatorischer Basis (Miete, Kauf).108 Vor dem dinglichen Gerichtsstand des § 24 ist die Besitzschutzklage der Grunddienstbarkeiten gemäß § 1029 BGB zu erheben. Sie stützt sich auf den Besitz des Grundstücks.109 42

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KG OLG 20/289, a.A. RGZ 129, 184. RGZ 134, 182. LG Itzehoe MDR 1983, 674; Saenger/Bendtsen § 24 Rdn. 5. Stein/Jonas/Roth § 1 Rdn. 6 ff. Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 19; Prütting/Gehrlein/Lange § 24 Rdn. 5. Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 26. LG Bonn NJW 1958, 1685. Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 26.

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2. Charakter des dinglichen Rechts. Im Gegensatz zum persönlichen Anspruch 44 wird der dingliche im Allgemeinen dadurch charakterisiert, dass er durch Rechtsverletzung entsteht und dass das dingliche Recht gegen jedermann wirkt. Doch wirkt auch das persönliche Recht in mancher Beziehung absolut. Hier kommt es auf die Verhältnismäßigkeit an. Die Rechtsgrundlage des dinglichen Rechts ist das geltende Recht. IX. Persönliche Ansprüche Aus persönlichem (nicht dinglichem) Recht stammen die Klagen auf Erteilung der 45 Auflassung, auf Verschaffung des Eigentums. Persönlich ist auch der Bereicherungsanspruchs nach § 812 BGB. Allerdings wird in diesen Fällen regelmäßig auch die dingliche Einigung angefochten werden können, so dass es sich letztlich doch um einen dinglichen Anspruch handelt, vgl. § 894 BGB.110 Persönliche Klagen gegen den Eigentümer ergeben auch die Ansprüche aus §§ 809, 867, 908, 915, 994, 995, 1005. Um eine persönliche (nicht dingliche) Klage handelt es sich ferner bei der Klage des 46 Erben gegen den Erbschaftsbesitzer (§§ 2018 ff. BGB),111 möge auch der gesamte Nachlass in einem Grundstück bestehen.112 Daher ist der Anspruch des Erben gegen den Erbschaftsbesitzers nach § 2018 BGB nicht vor dem Gerichtsstand des § 24 zu erheben. Anders verhält es sich, wenn der Erbe als Eigentümer (also dinglich) klagt, was zulässig ist, vgl. § 1922 BGB. Persönlich ist auch die Klage, die sich gegen den noch nicht als Eigentümer eingetragenen Käufer richtet. Auch Klagen wegen eines untergegangenen Rechts, im Besonderen die auf Schadensersatz, gehören nicht unter § 24, sondern unter § 26. Persönlich sind auch Klagen aus Gläubigeranfechtung, die auf Duldung der Vollstreckung in das Eigentum (und in ihm gleichgestellte Rechte) gehen.113 X. Verschaffungsansprüche Nicht unter § 24 fallen ferner die persönlichen Klagen auf Einräumung (Eintragung, 47 Abtretung) des dinglichen Rechts oder Begründung des Rechts durch Eintragung oder, wenn auf Grund eines gesetzlichen Titels die Vormerkung für ein Pfandrecht eingetragen werden soll.114 Nicht unter § 24 fallen daher insbesondere Klagen, mit denen Verschaffungsansprüche an dinglichen Rechten, an solchen Rechten geltend gemacht werden und die zu ihnen gehörenden Vormerkungen und Widersprüche. Denn insoweit macht der Kläger kein eigenes Eigentum an dem Grundstück geltend; vielmehr ist seine Klage erst darauf gerichtet, Eigentum zu erlangen. Der ausschließliche Gerichtsstand des § 24 ist hier nicht gegeben, wohl aber der Wahlgerichtsstand des § 26. Dies gilt auch dann, wenn der Anspruch auf Übertragung des Eigentums am Grundstück durch eine Vormerkung (dinglich) gesichert ist. Denn aus der dinglichen Vormerkung folgt der – schuldrechtlich aus dem Kausalgeschäft begründete – Klagegrund. Die Registrierungsmöglichkeit entscheidet also nicht.115

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110 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 24 Rdn. B IIc 1. 111 RG JW 1888, 217; Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 26. 112 BGHZ 24, 352, 354 ff. = NJW 1957, 1316; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 8; RG JW 1988, 217 ff.; OLG Celle MDR 1962, 992. 113 KG JW 1926, 1595; OLG Celle MDR 1986, 1031; bestätigend OLG Hamm, Beschl. v. 28.3.2002 – 27 W 7/02; a.A. LG Hamburg MDR 1972, 55; OLG Hamm OLGR 2002, 262. 114 BGH MDR 1970, 932 = NJW 1970, 1789. 115 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 24 Rdn. B IIc 2.

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§ 24

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

Dahin gehört die Klage auf Löschung eines eingetragenen Pfandrechts an einer Hypothek.116 Anders ist dies jedoch für die unter § 24 gehörende Klage des Pfandgläubigers gegen den Eigentümer um den Bestand der Hypothek. XI. Nacherbrecht

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Das Nacherbenrecht als solches ist weder ein Grundstücksrecht noch eine Grundstückslast, obwohl es im Grundbuch eingetragen wird (§ 51 GBO). Es fällt nicht unter § 24. XII. Besitzeinräumung

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Nicht unter § 24 fallen die Klagen auf Einräumung des Besitzes auf Grund eines persönlichen oder dinglichen Rechtes, im Besonderen nicht die nach § 2018 BGB.117 XIII. Andere registrierte Gegenstände

Bei den registrierten Gegenständen, die nicht unter § 24 fallen, gibt es ebenfalls bestimmte Gerichtstände. Das gilt im Besonderen für Schiffe und Schiffbauwerke. Anknüpfungspunkt für Seeschiffe ist der Heimathafen, der für Binnenschiffe der Heimatort (§ 6 BinnenschifffahrtG). An ihm wird vom AG das Schiffsregister geführt (SchRegO). Bei fehlendem Anknüpfungspunkt hat der Eigentümer die Wahl, wo er eintragen lässt. Die Eintragung entscheidet, ob ein Schiff als Binnen- oder als Seeschiff zu behandeln ist (§ 6 SchRegO); entsprechendes gilt für die Schiffsbauwerke mit Anknüpfungspunkt des Schiffsbauorts (§§ 65, 67 SchRegO). Insoweit es sich um solche dingliche Rechte handelt, fallen sie bei Seeschiffen unter den Begriff der unbeweglichen Gegenstände. Für Binnenschiffe befindet sich der Gerichtstand des Schiffers am Heimatort des Schiffes (§ 6 BinnenschifffahrtsG) der bei mehreren in Betracht kommenden Orten nach der Niederlassung bzw. ersatzweise dem Wohnsitz des Schiffers, äußerstenfalls auch am Ort, wo er zur Gewerbe- und Einkommensteuer herangezogen wird, bestimmt wird. 52 Für Seeschilfe gilt das internationale Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen.118 Aus dem Arrestabkommen119 ergibt sich eine Beschränkung des Vollstreckungszu53 griffs für Seeforderungen. 51

XIV. Inländische Zuständigkeit 54

Die inländischen Gerichte sind auch dann als Hauptsachengerichte zuständig, wenn sie es nach inländischem Recht wären. Das ist der Fall, soweit ein Sitz der Reederei im Gerichtsinland besteht, wobei nach internationalem Privatrecht auch der einer Agentur genügt und, falls unter den Vertragsstaaten nicht § 23 abbedungen ist, die Arrestierung genügt, mag sie auch nicht vollzogen, sondern nur die Ablösungssicherheit geleistet worden sein.

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116 RGZ 51, 231; RGZ 149, 191, 191; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 9. 117 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 8. 118 BGBl. 1972, Teil II, S. 672. 119 Internationales Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über den Arrest in Seeschiffe vom 10.5.1952, BGBl. II 1972, 653, 655.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 24

Ferner wird der inländische Hauptsachengerichtstand in den Fällen des Art. 7 55 Abs. 1a–f begründet, wenn der Gläubiger seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Arreststaat hat, wenn die Seeforderung im Arreststaat oder im Verlauf der Reise zu ihm oder als Seeforderung durch Zusammenstoß, Bergung- oder Hilfeleistung entstanden oder als dingliches Recht am Schiff (vor dem Arrest) gesichert ist. Hat der Kläger den gewöhnlichen Aufenthalt oder (Haupt-)Sitz im Staat, dessen Flagge das Schiff führt, so kann unbeschränkt im Inland vorgegangen werden (Art. 8 Abs. 4), wobei allerdings bei Forderungsübergang es auf den ursprünglichen Gläubiger der Forderung ankommt (Art. 8 Abs. 5). Ein Schiff, das zu keinem Vertragsstaat gehört, unterliegt schlechthin den inländischen Gerichtsständen in Bezug auf Seeforderungen. XV. Prozessuales 1. Folgen der Zuständigkeitsverletzung. Da es sich in Fällen des § 24 stets um 56 vermögensrechtliche Streitigkeiten handelt, darf die von der ersten Instanz angenommene Zuständigkeit nach §§ 512, 549 in der Berufungs- und in der Revisionsinstanz nicht mehr beachtet werden. Dies gilt auch, wenn die Vereinbarung eines Gerichtsstandes in Abweichung von § 24 unwirksam ist (§§ 40 Abs. 2, 33 Abs. 2, 280). Eine Schiedsabrede (§ 1025) wird durch den Gerichtsstand jedoch nicht ausgeschlossen. Im Falle einer Klage, eine Kündigung betreffend, ist die Anwendung des § 24 aber verneint worden.120 2. Behauptung und Beweislast. Die Behauptungs- und Beweislast für die Prozess- 57 voraussetzungen des § 24 hat der Kläger. Fallen sie aber mit der über das Bestehen des verfolgten Anspruchs zusammen, so bedarf es keines besonderen Beweises.121 3. Klagebehauptung. Kommt es auf die Behauptung des Klägers an, so ist das Ver- 58 halten des Beklagten ohne Bedeutung, also im Besonderen seine Zugeständnisse, weil der Gerichtsstand auch nicht mittelbar entgegen § 24 vereinbart werden darf. Praktisch von Bedeutung wird die Frage nur, wenn beide Parteien sich über die Lage des Grundstücks irren, denn bewusst falsche Erklärungen wären nach § 138 Abs. 1 nicht zu beachten. Ist das Gericht unzuständig, so wird es auf einen solchen Irrtum der Parteien gemäß § 139 hinzuweisen haben. Auch wenn der Beklagte säumig ist, muss die Zuständigkeit von Gerichts wegen geprüft werden. Dies gilt auch in den anderen Fällen der fehlenden Prozessbedingung, selbst wenn ein positives Verhalten sie geben könnte. Ein Säumnisverfahren gibt es insoweit regelmäßig nicht. 4. Überbrückung der Ausschlussfristen. Wird eine Klage, die innerhalb des Aus- 59 schlussfrist zu erheben ist, bei einem unzuständigen Gericht erhoben, so wird, wenn später an ein anderes Gericht nach § 281 verwiesen wird, die Ausschlussfrist durch die Klageeinreichung bei dem unzuständigen Gericht gewahrt. XVI. Schiedsverfahren und Gerichtsstandabrede im internationalen Recht Bei der internationalen Zuständigkeit sind trotz ausschließlicher Zuständigkeit 60 Schiedsgerichtsverfahren und Gerichtsstandsabreden zulässig.122

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OLG Breslau 20/288. RGZ 29, 371. Stein/Jonas/Roth § 24 Rdn. 1, 30; MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 21.

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§ 25

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Art. 24 Nr. 1 EuGVVO regelt die ausschließliche internationale und örtliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates der Union, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Im Kernbereich deckt sich der sachliche Anwendungsbereich des Art. 24 Nr. 1 EuGVVO mit § 24 wobei der Art. 24 Nr. 1 EuGVVO insoweit weiter reicht, als er auch die Streitigkeiten aus der Vermietung bzw. Verpachtung von Grundstücken einschließt. Die internationale Zuständigkeit am Belegenheitsort des Grundstücks wird nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 24 Nr. 1 EuGVVO ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien begründet. Der Vorbehalt des Art. 6 Abs. 1 EuGVVO stellt klar, dass die ausschließliche Zuständigkeit, die Art. 24 Nr. 1 EuGVVO für die Gerichte der Mitgliedstaaten der Belegenheit der unbeweglichen Sache begründet, auch in den Fällen zu respektieren ist, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat. Deutsche Gerichte sind international zuständig für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, unabhängig davon, ob ein Berührungspunkt zu einem weiteren Mitgliedstaat der Union gegeben ist. Damit verdrängt Art. 24 EuGVVO für die Begründung der internationalen Zuständigkeit § 24 vollständig. 62 Fraglich ist, welche Funktion § 24 einnimmt, wenn das streitgegenständliche Grundstück im Ausland belegen ist. Das Reichsgericht hatte zunächst die Ansicht vertreten, nach § 24 sei eine ausschließliche Zuständigkeit nur für deutsche Grundstücke begründet. Diese Ansicht ist durch eine Auffassung von der Doppelfunktionalität des § 24 verdrängt worden. Daraus folgt, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auch für dingliche Klagen ausgeschlossen ist, die ausländische Grundstücke betreffen. Diese Auffassung verdient deshalb Zustimmung, weil nicht nur im Rahmen des Art. 24 Nr. 1 EuGVVO sondern auch im Lugano-Übereinkommen der ausschließliche dingliche Gerichtsstand anerkannt wird. Eine Durchbrechung der Doppelfunktionalität liegt demgegenüber in solchen Fällen nahe, wenn Rechtsverweigerung droht, weil die Gegenseitigkeit von Entscheidungen zum Belegenheitsstaat nicht verwirkt ist.

§ 25 Dinglicher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs § 25 Smid/Hartmann In dem dinglichen Gerichtsstand kann mit der Klage aus einer Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld die Schuldklage, mit der Klage auf Umschreibung oder Löschung einer Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld die Klage auf Befreiung von der persönlichen Verbindlichkeit, mit der Klage auf Anerkennung einer Reallast die Klage auf rückständige Leistungen erhoben werden, wenn die verbundenen Klagen gegen denselben Beklagten gerichtet sind. Schrifttum Kropholler/v. Hein Europ. ZivilprR9; Schellhammer Zivilprozess14.

I.

II. III.

Übersicht Zusammenhangsgerichtsstand ____ 1 1. Regelungsgehalt ____ 1 2. Kein ausschließlicher Gerichtsstand ____ 3 Keine Umkehr der Verbindung ____ 4 Verbindung dinglicher mit schuldrechtlicher Klage ____ 5 1. Allgemeines ____ 5 2. Löschungsklagen ____ 6

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3.

IV.

Rückständige Leistungen aus Reallasten ____ 7 4. Zwangsvollstreckungsfälle ____ 8 5. Entsprechende Anwendbarkeit des § 25 in weiteren Fällen ____ 9 Internationale Zuständigkeit ____ 10 1. EuGVVO ____ 10 2. Autonomes Recht ____ 12

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 25

I. Zusammenhangsgerichtsstand 1. Regelungsgehalt. § 25 normiert zugunsten von Schuldklagen und weiteren Kla- 1 gen, die nicht als dingliche Klagen unter § 24 fallen, einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs.1 Mit der dinglichen Klage der Hauptsache können demnach einzelne mit dieser in Zusammenhang stehende Klagen in deren Gerichtsstand (§ 24) erhoben werden.2 Die Unbegründetheit der Hauptklage führt nicht zur Unzuständigkeit des Gerichts im Hinblick auf die Zusammenhangsklagen.3 § 25 entbindet das Gericht von der ansonsten bei Klagehäufung anzustellenden amtswegigen Prüfung seiner örtlichen Zuständigkeit (§ 260),4 da die örtliche Zuständigkeit für die in § 25 genannten Klagen der dinglichen Zuständigkeit der Hauptklage nach § 24 folgt.5 Die Klage aus dem dinglichen Recht (§ 24) kann daher vor dem Gericht des Gerichtsstandes des § 24 mit der persönlichen verbunden werden. Die Verbindung des Gerichtsstands des § 25 mit dem dinglichen des § 24 setzt jedoch voraus, das der dinglich in Anspruch Genommene zugleich der persönlich Verpflichtete ist. Handelt es sich daher bei dem Beklagten der Klage nach § 25 nicht um den mit der dinglichen Klage in Anspruch genommenen Beklagten ist ein gemeinsamer Gerichtsstand nach Maßgabe der §§ 60, 36 Nr. 3 zu bestimmen.6 Das Gericht muss ungeachtet des § 25 jedoch sachlich zuständig sein.7 Der Tatbestand des §§ 25 führt bestimmte Anspruchshäufungen auf, in denen die 2 persönliche Klage aufgrund Sachzusammenhangs vor dem dinglichen Gerichtsstand des § 24 erhoben werden kann. Nicht vorausgesetzt ist, dass die persönliche Klage gleichzeitig mit der dinglichen Klage erhoben wird. Es ist auch möglich, dass die persönliche Klage nach der dinglichen erhoben wird.8 Ist umgekehrt für die persönliche Klage der Gerichtsstand des Gerichts, vor dem nach § 24 die dingliche Klage zu erheben wäre, nicht begründet, ist sie, solange nicht die dingliche Klage nachträglich erhoben wird, unzulässig; die Erhebung der dinglichen Klage kann nachträglich erfolgen, wenn das Gericht den Kläger auf diesen Umstand hinweist (§ 139 Abs. 1). Erweist sich die dingliche Klage als unbegründet, hat dies nicht die Unzuständigkeit des Gerichts für die persönliche Klage zur Folge.9 2. Kein ausschließlicher Gerichtsstand. Der Gerichtsstand des § 25 ist nicht aus- 3 schließlich,10 so dass Ansprüche auch in anderen Gerichtsständen geltend gemacht werden können.11 Prozessual besteht daher kein Zwang zur Prozessverbindung. In Betracht kommt hierbei neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten insbesondere der Vertragsgerichtsstand des § 29.

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1 Musielak/Heinrich § 25 Rdn. 1. 2 MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 1. 3 Zöller/Vollkommer § 25 Rdn. 2; MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 6; Stein/Jonas/Roth § 25 Rdn. 5; Musielak/Heinrich § 25 Rdn. 3 m.w.N. 4 Musielak/Heinrich § 25 Rdn. 1; Stein/Jonas/Roth § 25 Rdn. 1. 5 MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 2. 6 Zöller/Vollkommer § 25 Rdn. 1; MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 2; a.A. Alternativkommentar-BGB/Röhl §§ 24–26 Rdn. 7. 7 Zöller/Vollkommer § 25 Rdn. 1. 8 Stein/Jonas/Roth § 25 Rdn. 1, 2. Absatz. 9 Stein/Jonas/Roth § 25 Rdn. 1, 1. Absatz. 10 Schellhammer ZPR, Rdn. 1442. 11 MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 6; Musielak/Heinrich § 25 Rdn. 3; LAG Köln, Beschl. v. 28.7.2005 – 6 Ta 192/05.

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§ 25

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II. Keine Umkehr der Verbindung 4

Die Norm ist nicht in dem Sinne „umkehrbar“, dass die örtliche Zuständigkeit für die Schuldklage iSv § 25 etwa die für die dingliche Klage nach sich zieht.12 Ist das angerufene Gericht daher für die dingliche Klage nicht örtlich zuständig, wohl aber für die Schuldklage, so darf es nur über die Schuldklage, nicht dagegen über die Klage aus dem Eigentum bzw. die anderen § 24 unterfallenden Gegenstände entscheiden.13 Auf die Klage- und Prozessart kommt es dabei nicht an.14 III. Verbindung dinglicher mit schuldrechtlicher Klage

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1. Allgemeines. Die dingliche Klage aus der Hypothek (§ 1113 BGB), namentlich die Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung gemäß § 1147 BGB, darf mit der persönlichen aus der Forderung (Darlehen, Restkaufgeld u.dgl. mehr) verbunden werden. Bei der Hypothek ergibt sich die Verbindung zwischen in Anspruch Genommenem und persönlich Verpflichtetem zwangsläufig aus deren Akzessorietät gemäß §§ 1113, 1153 BGB. Gleiches gilt für die Klage aus der Rentenschuld gemäß § 1199 Abs. 1 BGB. Dies gilt obwohl die persönliche Forderung rechtlich als solche losgelöst ist (§ 1192 Abs. 1 BGB) und die Rentenschuld nur bezüglich der Einzelleistungen wie eine Hypothek behandelt wird (§ 1200 BGB). Die wirtschaftliche Verbindung der persönlichen Forderung mit den Ansprüchen aus dem abstrakten Recht lässt § 25 zu. § 25 greift auch für die Verbindung der Schuldklage mit der Klage aus der Grundschuld gemäß § 1191 BGB. Nach § 1192 Abs. 1 BGB kann wegen des Fehlens der Akzessorietät der Grundschuld ein Fall eintreten, in dem dingliche und Schuldklage gegen unterschiedliche Beklagte gerichtet sind, was den oben (Rdn. 1) behandelten Fall auslöst, in dem § 25 keine der dinglichen Zuständigkeit des § 24 folgende Zuständigkeit des Sachzusammenhangs auszulösen geeignet ist, sondern nach § 36 Nr. 3 verfahren werden muss. Neben der Verbindung der Schuldklage mit Duldungsklagen kann sie auch mit Feststellungsklagen verbunden werden, die positiv auf Feststellung des Bestehens des Grundpfandrecht gerichtet sind oder, im Falle negativer Feststellungsklagen auf Nichtbestehen der Schuld entsprechend mit leugnenden Feststellungsklagen.

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2. Löschungsklagen. Auch ist die Verbindung mit der Klage auf Löschung der Hypothek möglich; während sich aber die Klage nach § 24 ausschließlich auf das dingliche Recht bezieht, kann nach § 25 mit ihr neben der auf Feststellung, dass die persönliche Schuld nicht mehr besteht15 (negative Feststellungsklage) auch die Anfechtungs- und Aufhebungsklage und die auf Befreiung von der (wirtschaftlichen verbundenen) persönlichen Schuld (Löschung) bzw. Änderung der Belastungen gerichtete Klage vor dem Gerichtsstand des Sachzusammenhanges gemäß § 24 verfolgt werden.16

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3. Rückständige Leistungen aus Reallasten. Die persönliche Klage auf rückständige Einzelleistungen gegen den jeweiligen Eigentümer nach § 1108 BGB kann aufgrund Sachzusammenhangs nach § 25 vor dem dinglichen Gerichtstand der Klage auf Anerken-

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12 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 25 Rdn. A. 13 RG LZ 1929, 779. 14 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 25 Rdn. A. 15 Vgl. im Erg. auch Musielak/Heinrich 25 Rdn. 2; MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 3; Zöller/Vollkommer § 25 Rdn. 5; Stein/Jonas/Roth § 25 Rdn. 3. 16 RGZ 149, 192.

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Abschnitt 1. Gerichte

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nung einer Reallast gemäß § 1105 BGB erhoben werden,17 sofern nicht wegen der persönlichen Haftung abweichendes vereinbart ist.18 Entsprechendes gilt, wenn das persönliche Recht, das der Bestellung der Reallast zugrunde liegt, geltend gemacht wird,19 denn insoweit entspricht die Rechtslage der Verbindung der Grundschuld mit dem dazugehörigen persönlichen Recht. 4. Zwangsvollstreckungsfälle. Gleiches gilt, wenn sich ein Schuldner wegen einer 8 Grundschuld in notariellem Vertrag sowohl der sofortigen Zwangsvollstreckung in Grundstück, als auch in sein persönliches Vermögen unterworfen hat.20 Das Gericht urteilte in diesem Fall, dass für eine Vollstreckungsgegenklage auch dann das Gericht der Belegenheit des Grundstücks örtlich ausschließlich zuständig ist, wenn sich die Klage nur gegen die Vollstreckung wegen des persönlichen Anspruchs richtet.21 Auf welchen Rechtsgrund der Anspruch im Einzelnen gestützt wird, ist gleichgültig (vgl. §§ 1163, 1168 BGB, doch liegt in dem Verzicht auf das dingliche Recht noch nicht der auf das persönliche, §§ 1169 f. BGB). 5. Entsprechende Anwendbarkeit des § 25 in weiteren Fällen. Für sonstige ding- 9 liche Rechte, insbesondere die, die nach § 24 zu behandeln sind, ist § 25 entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch, soweit für die Vormerkung und den Widerspruch § 24 anzuwenden ist, sofern das persönliche Recht aus der Vormerkung geltend gemacht wird. Sofern § 24 für die Vormerkung schlechthin keine Anwendung findet, kann auch § 25 nicht angewendet werden.22 Die Klage auf Bestellung eines dinglichen Rechts ist nur schuldrechtlicher Art und fällt nicht unter § 25.23 Zur Verbindung von (vorbereitenden) Hilfsklagen gilt dasselbe wie im Fall des § 24. Soweit dort § 24 zur Anwendung kommt, ist auch § 25 anwendbar, es sei denn, § 26 ist unmittelbar einschlägig. IV. Internationale Zuständigkeit 1. EuGVVO. 24 International ist die EuGVVO vorrangig. 25 Gemäß Art. 24 Nr. 1 S. 1 10 EuGVVO sind für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, zuständig.26 In Verbindung mit Art. 8 Nr. 4 EuGVVO ergibt sich eine Zuständigkeit der in der EuGVVO vorgesehenen Gerichtsstände.27 Die Klage kann daher auch bei dem Gericht in dem Vertragsstaat im dinglichen Gerichtsstand gemäß Art. 24 Nr. 1 EuGVVO erhoben werden und das selbst dann, wenn der allg. Beklagtengerichtsstand nicht in dem Staat ist, in dem sich der streitgegenständliche Gegenstand befindet.28

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17 MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 5. 18 MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 5. 19 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 25 Rdn. A IIc. 20 Zöller/Vollkommer § 25 Rdn. 4. 21 OLG Zweibrücken Beschl. v. 11.4.2003 – 2 AR 16/03. 22 So schon RG v. 22.1.1894 VI Gruch. 38/1195, vgl. auch Wieczorek 2. Auflage § 25 Rdn. B. 23 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 25 Rdn. B. 24 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012. 25 MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 7; Stein/Jonas/Roth § 25 Rdn. 5. 26 Saenger/Dörner Art. 22 EuGVVO Rdn. 6; Dauses/Kreuzer/Wagner EU-Wirtschaftsrecht, 34. ErgL. 2013, Rdn. 298 ff. 27 Kropholler/v. Hein Europ. ZivilprR, Art. 6 EuGVVO Rdn. 46 f. 28 Kropholler/v. Hein Europ. ZivilprR, Art. 6 EuGVVO Rdn. 43 ff.

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§ 26

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

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§ 25 begründet außerhalb der EuGVVO auch die deutsche internationale Zuständigkeit. Dies ist auf die doppelte Funktion der Gerichtsstandsnormen zurückzuführen.29 Art. 8 Nr. 4 EuGVVO enthält einen dem § 25 nachgebildeten Gerichtsstand des Sachzusammenhangs.30 Diese Vorschrift sieht vor, dass eine Klage aus einem Vertrag, die nach dem Recht des angerufenen Gerichts mit einer Klage wegen dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen gegen denselben Beklagten verbunden werden kann, vor den Gericht des Staates erhoben werden kann, in dem die unbewegliche Sache belegen ist.31 § 25 wird daher im Geltungsbereich der EuGVVO vollständig verdrängt.32 Denn Art. 8 Nr. 4 EuGVVO regelt neben der internationalen Zuständigkeit auch die örtliche Zuständigkeit für die persönlichen Klagen, die mit einer dinglichen Klage verbunden sind abschließend.

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2. Autonomes Recht. Hat der Beklagte seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Union bleibt es bei der Anwendbarkeit des § 25 als autonomes Recht zur Begründung internationaler Zuständigkeit des Sachzusammenhangs deutscher Gerichte.33

§ 26 Dinglicher Gerichtsstand für persönliche Klagen § 26 Smid/Hartmann In dem dinglichen Gerichtsstand können persönliche Klagen, die gegen den Eigentümer oder Besitzer einer unbeweglichen Sache als solche gerichtet werden, sowie Klagen wegen Beschädigung eines Grundstücks oder hinsichtlich der Entschädigung wegen Enteignung eines Grundstücks erhoben werden. Schrifttum Braun Gesetz ist Gesetz, JZ 2013, 245; Schäfer Gilt § 26 ZPO auch für vertragliche Ansprüche gegen den Grundstückseigentümer? NJOZ 2011, 1753.

I.

II. III.

Übersicht Normzweck ____ 1 1. Zuständigkeit für isolierte persönliche Klagen ____ 1 2. Keine Ausschließlichkeit ____ 5 3. Sprachliche Fassung der Vorschrift ____ 6 Gegen Eigentümer ____ 7 Klagen von Eigentümern oder Besitzern wegen Beschädigung oder Enteignung des Grundstücks ____ 8 1. Bürgerlichrechtliche Anspruchsgrundlagen ____ 8

Weitere Anspruchsgrundlagen ____ 9 Ausgleich in Miteigentumskonstellationen ____ 10 IV. Vertragliche Ansprüche ____ 11 1. Grenzen des Gerichtsstands aufgrund des Wortlauts des § 26 ____ 11 2. Vormerkung ____ 12 3. Weitere Fallgruppen ____ 14 V. Enteignungsentschädigung ____ 16 VI. Gerichtsstandsbestimmung ____ 18 VII. Internationale Zuständigkeit ____ 19 2. 3.

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29 30 31 32 33

Stein/Jonas/Roth § 25 Rdn. 5; Musielak/Heinrich § 25 Rdn. 4; MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 7. Musielak/Heinrich § 25 Rdn. 4. MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 7. Stein/Jonas/Roth § 25 Rdn. 5. MünchKomm/Patzina § 25 Rdn. 7.

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I. Normzweck 1. Zuständigkeit für isolierte persönliche Klagen. Die Regelung des § 26 bezweckt mit der Schaffung eines dinglichen Gerichtsstandes für persönliche Klagen, die gegen den Eigentümer oder Besitzer einer unbeweglichen Sache gerichtet sind, dass die Rechtsverfolgung durch Ausweitung des dinglichen Gerichtsstandes des § 24 auch auf bestimmte persönliche Klagen, an denen Grundstückseigentümer oder -besitzer beteiligt sind, erleichtert wird. Auch diese persönlichen Klagen sollen durch die Gerichte, in deren Bezirk die unbewegliche Sache belegen ist, entschieden werden können, namentlich um eine Erleichterung von Beweisaufnahmen zu ermöglichen.1 Im Unterschied zu § 25 statuiert § 26 einen besonderen Gerichtsstand und nicht einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs.2 Daher kann auch eine isolierte persönliche Klage im Gerichtsstand des § 26 erhoben werden, also in solchen Fällen, in denen eine dingliche Hauptklage iSv § 24 nicht anhängig gemacht wird. Die Vorschrift greift also dort ein, wo § 24 nicht gilt und im Gegensatz zu § 25 gilt sie gerade dort, wo ein persönlicher Anspruch und nicht daneben ein dinglicher Anspruch nach § 24 erhoben wird. Der Gerichtsstand des § 24 geht allerdings bei Konkurrenz dem aus § 26 vor, der nicht ausschließlich ist.3 Der Kläger hat nach alledem nach § 35 ein Wahlrecht zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten und dem aus § 26.4 Der Gerichtsstand des § 26 besteht für persönliche (nicht dingliche) Klagen gegen Eigentümer oder Besitzer unbeweglicher Sachen als solche.5 Gemeint ist damit, dass solche Klagen vor dem Gerichtsstand des § 26 erhoben werden können, bei denen nur der Eigentümer oder der Besitzer der richtige Beklagte (passiv legitimiert) ist. Den Begriff der unbeweglichen Sache ist im Zusammenhang des § 26 wie in § 24 fassen.6 Er ist daher nicht allein auf Grundstücke zu beziehen. Vielmehr greift der Gerichtsstand des § 26 auch für Klagen, die wegen den Grundstücken gleichgestellten Rechten erhoben werden.7 Dies ist insbesondere bei den sog. grundgebundenen Rechten (etwa § 1 Abs. 2, 3 WEG, § 9 Abs. 1 S. 1 BBergG, § 11 Abs. 1 S. 1 ErbbauRG) der Fall, wie für die wegen Beschädigung eines Grundstücks oder Entschädigung für ein Grundstück. Hintergrund dieser Regelung ist der Gedanke, dass der Richter vor Ort das Verfahren im Hinblick auf eine ggf. erforderliche Beweisaufnahme usf. aufgrund der räumlichen Nähe effizienter durchführen kann8

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2. Keine Ausschließlichkeit. Der Gerichtsstand des § 26 ist nicht ausschließlich. 5 Für Exterritoriale gilt er nicht.9 3. Sprachliche Fassung der Vorschrift. Die sprachliche Fassung des § 26 ist unkor- 6 rekt. Gemeint ist nicht „die unbewegliche Sache als solche“, sondern Klagen gegen „den Eigentümer oder Besitzer einer unbeweglichen Sache als solchen“.10

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1 Vgl. MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 8; Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 1; Stein/Jonas/Roth § 26, Rdn. 1. 2 MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 1. 3 Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 8. 4 BeckOK-ZPO/Toussaint § 26 Rdn. 8. 5 OLG Stuttgart, NJW-RR 1999, 744; OLG Braunschweig, Beschl. v. 19.3.1974 – 2 W 13/74; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.7.2013 – 11 AR 51/13. 6 MünchKomm/Patzina § 24 Rdn. 2, § 26 Rdn. 2. 7 RGZ 86, 272, 277. 8 MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 8; Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 1; Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 1. 9 BGH, NJW 1998, 1321; Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 1. 10 Braun JZ 2013, 245.

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II. Gegen Eigentümer 7

Die Klage kann erhoben werden gegen Eigentümer oder (mittelbare oder unmittelbare, Eigen- oder Fremd-)Besitzer11 (§§ 854, 868, 872 BGB) von beweglichen Sachen, die wegen ihrer Beschädigung oder Enteignung gerade einen dinglichen Bezug aufweisen und daher gegen den Eigentümer oder Besitzer eines Grundstücks an sich zu richten sind. Erfasst sind auch die auf die Bestellung oder Eintragung einer Vormerkung oder eines Widerspruchs gerichteten Klagen (auch aufgrund eines gesetzlichen Titels, im Besonderen für den Fall des § 648 BGB, die sich gegen den bestellenden Grundeigentümer richten). Soweit eine Klage des Berechtigten aus der Vormerkung gegen den Grundstückseigentümer nicht unter § 24 fällt, ist sie unter § 25 zu subsumieren. Die Klage aus der Vormerkung trifft sonst nur den schuldrechtlichen Anspruch, der weder unter § 24 noch unter § 26 fällt.12 Weiter gehören unter § 26 die Klagen aus §§ 809, 867, 915, 946, 951, 987, 1005 BGB; aber auch die aus § 571 und die aus §§ 836, 837, soweit sie sich gegen den Eigentümer oder Besitzer einer unbeweglichen Sache richten; im Gegensatz dazu ist § 26 also nicht anwendbar, wenn das Bauwerk unter § 95 fällt und nicht Bestandteil eines zu den unbeweglichen Sachen zählenden Rechts ist. Ebenso von § 26 umfasst sind Hilfsklagen, soweit sie gegen den Eigentümer oder Besitzer unbeweglicher Sachen gerichtet sind.13 III. Klagen von Eigentümern oder Besitzern wegen Beschädigung oder Enteignung des Grundstücks

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1. Bürgerlichrechtliche Anspruchsgrundlagen. Den zweiten Tatbestand des § 26 betreffen die persönlichen Klagen des Eigentümers wegen (erlaubter oder unerlaubter14) Beschädigung einer unbeweglichen Sache aus §§ 904, 905, 987 BGB. Ebenfalls gegeben ist § 26 bei Klagen wegen eines Anspruchs auf Schadensersatz gegen den Eigentümer des Nachbargrundstücks bei Beeinträchtigungen des Klägergrundstücks; dies gilt selbst dann, wenn der Nachbar bei Klageerhebung nicht mehr Eigentümer ist.15 Auch die Klage aus § 823 Abs. 1 BGB ist hierzu zu rechnen, wenn das Eigentum oder der Besitz verletzt worden sind16 (und wenn ein Fall des § 992 BGB nicht gegeben ist). Dazu gehören auch die auf Entschädigung wegen Verunreinigung des Wassers gerichteten Ansprüche, sowie Ansprüche aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB.17 Da § 26 die Erleichterung der Rechtsverfolgung durch Ausweitung des dinglichen Gerichtsstandes des § 24 auch auf bestimmte persönliche Klagen bezweckt, an denen Grundstückseigentümer oder -besitzer beteiligt sind,18 ergibt sich für Duldungs-, Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche, die nach den §§ 906 ff., 1004 BGB geltend gemacht werden, bereits aus der Natur der Sache, dass das Eigentum des Beklagten nach dem Klägervortrag gerade zum Zeitpunkt der Klageerhebung bestehen muss. Soweit die geltend gemachten Ansprüche, wie hier, an einen in der Vergangenheit liegenden Zustand des betreffenden Grundstücks anknüpfen und die Passivlegitimation nach dem Klägervortrag auf die damalige Stellung des Beklagten als Grundstückseigentümer gestützt wird, besteht für diese – sich nicht aus dem Gesetzes-

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11 12 13 14 15 16 17 18

MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 2; Stein/Jonas/Roth § 26, Rdn. 4. Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 26 Rdn. B I. Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 26 Rdn. B I. MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 4. OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.7.2013 – 11 AR 51/13. Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 1; Saenger/Bendtsen § 26 Rdn. 3. RG JW 1895, 144. Vgl. MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 8; Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 1; Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 1.

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wortlaut ergebende – Einschränkung keine Veranlassung. Anknüpfungspunkt für die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ist auch kein persönliches Verhalten des Beklagten, sondern allein ein Tun oder Unterlassen in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Grundstückseigentümer, so dass der Normzweck des § 26 erfüllt ist. Für eine Klage auf Schadensersatz wegen in der Vergangenheit vom Nachbargrundstück aus erfolgter Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers ist nach alledem der dingliche Gerichtsstand des § 26 auch dann gegeben, wenn der beklagte frühere Eigentümer des Nachbargrundstückes zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr Eigentümer ist.19 2. Weitere Anspruchsgrundlagen. Der Gerichtsstand des § 26 greift nach den vor- 9 stehend entwickelten Kriterien nach richtiger Ansicht20 auch für Klagen auf Ersatz des Wild- oder Jagdschadens gemäß §§ 29 ff. BundesjagdG. 3. Ausgleich in Miteigentumskonstellationen. § 26 erfasst die Klage auf Ausgleich 10 wegen verauslagte Grundsteuer und Gebäudeversicherung gegen Grundstücksmiteigentümer.21 Erfasst ist auch ein Anspruch eines Grundstücksmiteigentümers gegen den anderen Miteigentümer auf Beteiligung an Sanierungskosten gemäß § 748 BGB für einen im Miteigentum stehenden Grundstücksweg.22 Kommt als Anspruchsgrundlage der von dem Kläger geltend gemachten Forderung § 748 BGB in Betracht und ist Grundlage für diesen Anspruch die Miteigentümerstellung der Partei, leitet sich der Anspruch allein aus deren Eigentümerstellung her. Für solche Fälle hat das OLG Stuttgart23 einen besonderen Gerichtsstand des § 26 auch über dessen unmittelbaren Wortlaut hinaus bejaht.24 IV. Vertragliche Ansprüche25 1. Grenzen des Gerichtsstands aufgrund des Wortlauts des § 26. Die Vorschrift 11 des § 26 setzt ausdrücklich voraus, dass sich die Klage gegen den Eigentümer „als solchen“ richtet. Der Beklagte muss also gerade in seiner Eigenschaft als dinglich berechtigter Eigentümer in Anspruch genommen werden.26 Unstreitig erfasst werden von § 26 somit alle Ansprüche, bei denen sich die Passivlegitimation des Beklagten von Gesetzes wegen aus seinem Eigentum ergibt, weil das materielle Recht den Anspruch ausdrücklich in Anknüpfung an das Eigentum als dingliche Berechtigung gegen den Eigentümer statuiert. Der Gerichtsstand des § 26 greift somit aber auch für Klagen, mit denen der Beklagte aufgrund vertraglicher Ansprüche auf Verschaffung des Eigentums an einem Grundstück oder auf die Eintragung von Liegenschaftsrechten in Anspruch genommen wird,27 sofern der Beklagte als Eigentümer rechtlich dazu in der Lage ist, die Bewilligung

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19 OLG Frankfurt/M. NZM 2014, 448. 20 MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 4; Zöller/Vollkommer § 26 Rdn. 3. 21 OLG Rostock OLGR 2009, 753. 22 OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.12.1998 – 2 AR 6/98. 23 OLG Stuttgart NJW-RR 1999, 744. 24 Zöller/Vollkommer § 26 Rdn. 2; so auch OLGR Rostock 2009, 753. 25 Die Anwendbarkeit des § 26 auch auf vertragliche Ansprüche ist umstritten: hierfür sind u.a. Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 3, 5 (zweifelhaft, ob Klage auf Auflassung von § 26 erfasst ist); vgl. auch Vorauflage/Hausmann § 26 Rdn. 5; Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 6; a.A. OLG Braunschweig, OLGZ 1974, 211; Prütting/Gehrlein-ZPO/Lange5 § 26 Rdn. 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 36 Rdn. 44; Zöller/Vollkommer § 26 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 26 Rdn. 4; vgl. auch Thomas/Putzo/Hüßtege § 26 Rdn. 1; Schäfer NJOZ 2011, 1753 f. (hier auch Übersicht zum Meinungsstand). 26 Thomas/Putzo-ZPO/Hüßtege § 26 Rdn. 1. 27 Vgl. hierzu Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 3, 5 (zweifelhaft, ob Klage auf Auflassung von § 26 erfasst ist); vgl. auch Vorauflage/Hausmann § 26 Rdn. 5; Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 6.

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§ 26

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

der Eintragung des begehrten dinglichen Rechts zu erklären. Dies gilt auch für die Klage des Werkunternehmers auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek gemäß § 648 BGB gegen den Bauherrn als Besteller, da sich dieser Anspruch gegen den Besteller in seiner Eigenschaft als Grundeigentümer richtet.28 Ist der Anspruch also unmittelbar gegen den Eigentümer gerichtet, kann vor dem Gerichtsstand des § 26 prozessiert werden. Anders ist das nur dann, wenn aus der Vormerkung gegen den Dritterwerber auf Eintragung des vorgemerkten Rechts gemäß § 888 BGB geklagt wird. Hier ist der Gerichtsstand des § 24 begründet. 12

2. Vormerkung. So verhält es sich bei vertraglichen Ansprüchen der hier in Rede stehenden Art nicht. Zwar kann, was für die Gegenauffassung spricht, regelmäßig nur der Eigentümer die vertragliche Verpflichtung zur Bestellung beschränkt dinglicher Rechte am Grundstück wirksam erfüllen, weil nur er über die erforderliche Berechtigung verfügt. Allerdings ändert dieser Umstand nichts daran, dass die Pflicht zur Lastenbestellung sich nicht aus dem Eigentum ergibt, sondern aus der vertraglich begründeten Schuldnerschaft des Eigentümers.29 Die Eigentümerstellung ist nicht Grundlage des Anspruchs auf Bestellung der Dienstbarkeit, wie es § 26 voraussetzt, sondern lediglich Voraussetzung der Erfüllbarkeit dieses Anspruchs durch den – bzw. hier die – Beklagten.30 Der Eigentümer schuldet die Dienstbarkeitenbestellung nicht, weil er Eigentümer ist, sondern weil er sich zur Bestellung vertraglich verpflichtet hat. Unabhängig davon sind Fälle denkbar, in denen auch der Nichtberechtigte wirksam verfügen kann. Das gilt namentlich für die Kettengeschäfte, in denen der Zwischenerwerber kraft Ermächtigung (§ 185 Abs. 1 BGB) wirksam im eigenen Namen verfügen kann, aber auch für alle Formen des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten (§§ 892 f. BGB). Ein Antrag im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren, § 26 um einen ausdrücklichen Passus des Inhalts zu ergänzen, dass die Vorschrift auch schuldrechtliche Ansprüche gegen den Eigentümer auf Bestellung beschränkt dinglicher Rechte am Grundstück einschließe, hat im Reichstag keine Mehrheit gefunden und ist abgelehnt worden (vgl., wenngleich hieraus nicht den gebotenen Schluss ziehend, dass § 26 unanwendbar sei,31 unter Verweis auf die Dokumentation bei Hahn, Materialien zur CPO, 2. Aufl. 1881, S. 532, 538). Insoweit spricht neben Wortlaut und Zweck der Vorschrift auch die parlamentarische Entstehungsgeschichte gegen eine Einbeziehung von Vertragsansprüchen der hier in Rede stehenden Art in den Anwendungsbereich des § 26. 13 Roth32 vertritt die Auffassung, dass § 26 weit auszulegen sei, so dass ganz allgemein für die Klage auf Auflassung als Klage zur Durchsetzung des Eigentumsverschaffungsanspruchs der Gerichtsstand des § 24 nach § 26 begründet sei. Dies widerstreitet dem Wortlaut des § 26 („gegen den Eigentümer der Sache als solchen“). Roth meint (insoweit durchaus überzeugend), dass für eine enge Interpretation des § 26 kein Anlass bestünde. Er begründet dies damit, dass der Kläger zwar vor dem Gerichtsstand des § 24 auf Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB klagen kann und muss, er aber dieser Klage einen Hilfsantrag, es sei Auflassung an ihn geschuldet, nicht anfügen könne, wenn nicht allgemein für die Auflassungsklage § 26 zur Anwendung kommen könne. Denn liegt ein

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28 OLG Braunschweig OLGZ 1974, 210, 211; MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 2 a.E.; Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 3; Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 6; Thomas/Putzo-ZPO/Hüßtege § 26 Rdn. 1; Zöller/Vollkommer § 26 Rdn. 2; a.A. LG Leipzig ZAP-EN Nr. 671/2001 (LS); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 26 Rdn. 4. 29 So zutreffend insbesondere Prütting/Gehrlein/Lange § 26 Rdn. 3. 30 OLG Rostock OLGR 2009, 753; OLG Stuttgart NJW-RR 1999, 744. 31 Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 6 [FN 15]. 32 Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 6.

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Kettenvertrag vor, wäre bei einer einschränkenden Auslegung der Hilfsantrag vor dem unzuständigen Gericht erhoben und damit unzulässig. 3. Weitere Fallgruppen a) Streitig ist, ob § 26 auf Klagen auf Einräumung einer Bauhandwerkersicherungs- 14 hypothek nach § 648 BGB anzuwenden ist.33 Ähnliches gilt beispw. bei Architektenhonoraren gemäß § 15 HOAI. Hierbei handelt es sich um eine Geldforderung, deren Erfüllung grundsätzlich nur am Wohnsitz des Schuldners zu verlangen ist. Ein gemeinsamer Erfüllungsort am Ort des Bauwerkes wird hierfür ohne besondere Regelung nicht begründet. Etwas anderes gilt nur bei Forderungen aus dem Bauvertrag direkt, da hier der Schwerpunkt des Vertrages wegen der baubezogenen Leistung am Ort des Bauwerks liegt.34 b) Nicht unter § 26 fallen Ansprüche, welche aus persönlichen Rechten (Miet-, Pacht 15 und sonstigen Verträgen und Rechtsgründen, §§ 292, 850 BGB) abgeleitet werden, die sich nicht gegen den Eigentümer (Inhaber) oder Besitzer einer unbeweglichen Sache richten.35 Ausgeschlossen sind daher des weiteren Klagen aus den persönlichen Ansprüchen gegen den Eigentümer aus der Reallast gemäß § 1108 BGB, denn nicht der Eigentümer im Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern derjenige, der Eigentümer zum Zeitpunkt der Fälligkeit war, ist der richtige Beklagte,36 so dass an die Eigentümerstellung nicht angeknüpft wird. Weiter fallen unter § 26 nicht Insolvenzanfechtungsklagen nach §§ 129 ff. InsO, die sich nicht gegen den Eigentümer als solchen richten;37 gleiches gilt für Klagen nach dem AnfG.38 Nicht unter § 26 fallen weiter Klagen wegen Einsturzes eines Gebäudes. Dies ist im Falle des § 836 Abs. 2 BGB besonders deutlich, der bestimmt, dass ein früherer Besitzer des Grundstücks bei Vorliegen der geforderten Sorgfaltspflichtverletzung für den Schaden verantwortlich ist, wenn der Einsturz oder die Ablösung innerhalb eines Jahres nach der Beendigung seines Besitzes eintritt;39 auf die Eigentümerstellung kommt es hier nicht an. Dies gilt aber auch für die Klage aus § 836 Abs. 1 BGB, nach dem derjenige, der Besitzer des Grundstücks zu dem Zeitpunkt war, zu dem durch den Einsturz eines Gebäudes oder eines anderen mit einem Grundstück verbundenen Werkes oder durch die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder des Werkes ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, bei Vorliegen der entsprechenden Sorgfaltspflichtverletzung verpflichtet ist, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Auch hier knüpft die Schadenersatzpflicht nicht an die Eigentümerstellung zum Zeitpunkt der Klageerhebung an. V. Enteignungsentschädigung Fernen wird noch die Enteignungsentschädigung normiert; ausschließliche (örtliche 16 oder sachliche) Gerichtsstände sind dabei gemäß § 15 Nr. 2 EGZPO durch besonderer Landesgesetze angeordnet. Bei Anfechtung von Verwaltungsakten nach dem § 223

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33 So OLG Braunschweig OLGZ 1974, 211; vgl. auch Zöller/Vollkommer § 26 Rdn. 2; Thomas/Putzo-ZPO/ Hüßtege § 26 Rdn. 1; Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 6 a.E.; a.A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 26 Rdn. 4 unter „Bauhandwerkersicherungshypothek“. 34 LG Leipzig, Beschl. v. 26.6.2001 – 2 O 10408/0. 35 MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 3. 36 MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 3. 37 Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 5. 38 Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 5. 39 Zöller/Vollkommer § 26 Rdn. 2.

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§ 27

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

BauGB ist das LG zuständig, in dessen Bereich die Verwaltungsstelle liegt, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat.40 Nach § 58 Abs. 2 S. 2 BLG ist örtlich ausschließlich zuständig das LG am Sitz der Anordnungsbehörde (wenn sie sich im Ausland befindet, am Sitz der Bundesregierung). Soweit Landesrecht zum Zuge kommt, hat die Landesgesetzgebung eine ausschließ17 liche Zuständigkeit, die dem § 24 entspricht, angeordnet, so dass § 26 nicht zum Zuge kommt. Die Landesgesetzgebung ist im Enteignungsrecht entweder mittelbar oder unmittelbar (nämlich durch Verweisung, vgl. § 19 Abs. 5 FStrG), anzuwenden. VI. Gerichtsstandsbestimmung 18

Im Verhältnis § 25 und § 26 geht § 24 als ausschließlicher Gerichtsstand vor. Sind weitere ausschließliche Gerichtsstände möglich, kann der Kläger gemäß § 25 wählen.41 Das höhere Gericht darf keinen Gerichtsstand gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmen; dies gilt insbesondere dann, wenn kein allg. Gerichtsstand vereinbart wurde, die Parteien aber durch einen besonderen verbunden sind.42 VII. Internationale Zuständigkeit

Für Verfahren, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, folgt die internationale Gerichtszuständigkeit im räumlichen und sachlichen Geltungsbereich der EuGVVO ausschließlich aus deren Art. 24 Nr. 1.43 Wenn das Grundstück im Inland belegen ist und es sich um dingliche Ansprüche handelt, die zugleich unter § 26 fallen, bleibt § 26 für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts maßgebend.44 20 Hat der Beklagte seinen Wohnsitz nicht im Gebiet eines Staates der Union, kann § 26 die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für isolierte persönliche Klagen gegen den Grundstückseigentümer indizieren.45 Sind diese Voraussetzungen gegeben ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte unabhängig davon begründet, welche Staatsangehörigkeit die Parteien haben. Dies ist auch dann der Fall, wenn beide Parteien die ausländische Staatsangehörigkeit besitzen. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist weiter auch gegeben, wenn der Kläger im Ausland wohnt.46 Abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen sind zulässig, da § 26 keinen aus21 schließlichen Gerichtsstand begründet.47 19

§ 27 Besonderer Gerichtsstand der Erbschaft § 27 Smid/Hartmann (1) Klagen, welche die Feststellung des Erbrechts, Ansprüche des Erben gegen einen Erbschaftsbesitzer, Ansprüche aus Vermächtnissen oder sonstigen Verfügungen von Todes wegen, Pflichtteilsansprüche oder die Teilung der Erbschaft zum

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40 Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Kalb BauGB, 109. Ergl. 2013, § 223 Rdn. 9. 41 MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 6; Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 9. 42 OLG Rostock, Beschl. v. 19.5.2009 – 3 UH 3/09. 43 Vgl. zur Ausschließlichkeit der Zuständigkeit MünchKomm/Gottwald, Art. 22 EGVVO Rdn. 1. 44 MünchKomm/Patzina § 26 Rdn. 7; MünchKomm/Gottwald Art. 22 EGVVO Rdn. 2; Musielak/Heinrich § 26 Rdn. 8; Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 11. 45 Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 12. 46 Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 11. 47 Stein/Jonas/Roth § 26 Rdn. 12; Thomas/Putzo-ZPO/Hüßtege § 26 Rdn. 2.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 27

Gegenstand haben, können vor dem Gericht erhoben werden, bei dem der Erblasser zur Zeit seines Todes den allgemeinen Gerichtsstand gehabt hat. (2) Ist der Erblasser ein Deutscher und hatte er zur Zeit seines Todes im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, so können die im Absatz 1 bezeichneten Klagen vor dem Gericht erhoben werden, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten inländischen Wohnsitz hatte; wenn er einen solchen Wohnsitz nicht hatte, so gilt die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 2 entsprechend.

I. II. III.

Übersicht Normzweck ____ 1 Anknüpfung an den Gerichtsstand des Erblassers ____ 3 Voraussetzungen ____ 4 1. Materielle Ziele der Klage ____ 4 2. Einzelne Klagegründe ____ 6 3. Klage gegen den Erbschaftsbesitzer ____ 7 4. Klagen wegen Ansprüchen aus Vermächtnissen ____ 10

5.

IV. V.

Ansprüche aus sonstigen Verfügungen von Todes wegen ____ 11 Weitere Fragen ____ 13 Internationale Zuständigkeit ____ 14 1. EUGVVO, LugÜ ____ 14 2. EU-Erbrechtsverordnung ____ 15 3. Staatsvertragliche Regelungen ____ 16 4. Autonomes Recht ____ 17

I. Normzweck Die Vorschrift des Abs. 1 gewährleistet, dass alle die Erbschaft betreffenden Rechts- 1 streitigkeiten vor einem örtlich nahen, leicht feststellbaren1 Gericht ausgetragen werden können – es ist also eine Konzentration der Prozesse über einen bestimmten Erbfall bei dem sachnahen Amts- oder Landgericht bezweckt.2 Abs. 2 stellt einen inländischen Gerichtsstand zur Verfügung, besonders auch um die Anwendung deutschen Rechts zu gewährleisten.3 Im Unterschied zu § 28, der den Gerichtsstand für Klagen der Nachlassgläubiger regelt, bestimmt daher § 27 den Gerichtsstand für Ansprüche und Rechtsverhältnisse, die durch den Erbfall als solchen zur Entstehung gelangt sind.4 Mit Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung hat § 27 Abs. 2 keinen Anwendungs- 2 bereich mehr. Die Vorschrift greift dann nur noch für solche Fälle, die sich vor dem 17.8.2015 ereignet haben. II. Anknüpfung an den Gerichtsstand des Erblassers Der Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 knüpft an den allgemeinen Gerichtsstand an, den 3 der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes nach den §§ 12 bis 16 innehatte. Handelte es sich dabei um mehrere Gerichtsstände, setzen diese sich über die Regelung des Abs. 1 fort; zwischen ihnen hat der Kläger gemäß § 35 die Wahl. Abs. 2 regelt den Gerichtsstand wegen der den Nachlass betreffenden Rechtsstreitigkeiten bei solchen deutschen Erblassern, die ihren Wohnsitz im Ausland hatten. Er trägt der materiell-rechtlichen Regelung des Art. 25 EGBGB Rechnung, derzufolge Deutsche auch dann nach deutschem Recht beerbt werden, wenn sie ihren Wohnsitz im Ausland hatten. Als Hilfsgerichtsstand gelangt nach Abs. 2 in diesen Fällen § 15 Abs. 1 S. 2 (Berlin) zur Anwendung. Die Reichweite des Abs. 2 richtet sich nach der des Erbstatuts des Art. 25 Abs. 1 EGBGB. Der Hilfsge-

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Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 1. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 1. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 1. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 2.

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richtsstand des Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 2 kommt daher in allen Fällen zur Anwendung, die den Erwerb der Erbschaft5 das Pflichtteilsrecht,6 Fragen der Verfügungen von Todes wegen,7 insbesondere ihrer Auslegung (§ 2084 BGB)8 betreffen. Dabei brauchen sich Nachlassgegenstände nicht im Gerichtsbezirk zu befinden oder befunden zu haben.9 III. Voraussetzungen 1. Materielle Ziele der Klage. Voraussetzung der Zulässigkeit der Klage im Gerichtsstand des § 27 ist, dass eine der in dieser Vorschrift genannten Klagen erhoben wird, gleich ob der Kläger gegen Erben, Nachlassverwalter10 oder Testamentsvollstrecker klagt oder Erbe oder Testamentsvollstrecker als Kläger auftreten. Die Klage kann auch gegen einen Dritten gerichtet sein, etwa gegen den Erben eines durch ein Vermächtnis Beschwerten11 bzw. gegen den Nachlasspfleger oder Nachlassinsolvenzverwalter. Auf die Parteirolle kommt es beim Prozess nach § 27 Abs. 1 nicht an. Sowohl derjeni5 ge, der aus einer Verfügung berechtigt als auch der aus ihr Verpflichtete kann vor dem Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 klagen,12 sofern dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen.

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2. Einzelne Klagegründe. Nach Eintritt des Erbfalls kann vor dem Gerichtsstand gemäß § 27 auf Feststellung des Erbrechts geklagt werden. Hierzu zählen Feststellungsklagen, die der Kläger auf ein (vermeintliches) Erbrecht aufgrund gesetzlicher Erbfolge gemäß §§ 1922, 2032 BGB, im Falle des Fiskus auf § 1936 BGB, aufgrund Testaments gemäß § 2087 BGB, Erbvertrags gemäß § 2278 BGB oder auf das Recht des Nacherben gemäß §§ 2100, 2108, 2142 BGB gründet; ferner die Geltendmachung der Testamentsanfechtung nach §§ 2078 ff. BGB oder des Erbverzichts nach § 2346 BGB. Der schuldrechtliche Anspruch des Erbschaftskäufers gemäß § 2374 BGB begründet den Gerichtsstand des § 27 dagegen ebenso wenig wie die Klage wegen Rechten an einzelnen Nachlassgegenständen.13 Demgegenüber ist eine Klage wegen des Rechts auf Widerruf einer erbvertraglichen Einsetzung vor dem Gerichtsstand des § 27 zulässig,14 da es insoweit um die erbrechtliche Stellung der Parteien überhaupt geht.

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3. Klage gegen den Erbschaftsbesitzer. § 2018 BGB sieht vor, dass der Erbe von jedem, der auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat (Erbschaftsbesitzer), die Herausgabe des Erlangten verlangen kann. Für die nach den §§ 2018 bis 2029, 2030, 2037 BGB vom Erben gegen den Erbschaftsbesitzer oder gegen dessen Erben15 erhobene Herausgabeklage wegen des aus der Erbschaft Erlangten16 ist Gerichtsstand des § 27 begründet, sofern die Klage das Gesamt-

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LG Hamburg RIW 1985, 172. BGHZ 9, 151, 154 = NJW 1953, 860. BayObLGZ 1974, 223, 224 f. BGH WM 1976, 811, 812 f. BayObLG NJW 1950, 310. RGZ 26, 380, 381. RGZ 3, 380 f. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 4. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 5 a.E. A.A. OLG Celle MDR 1962, 992; MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 5. OLG Nürnberg OLGZ 1981, 115, 116. BayObLG OLGRspr. 15, 57.

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erbe, nicht nur einzelne Rechte an einzelnen Nachlassgegenständen betrifft.17 Wegen des insoweit bestehenden rechtlichen Stufenverhältnisses ist nach zutreffender Ansicht dieser Gerichtsstand auch für die darauf bezogenen Auskunftsklagen gemäß §§ 2027,18 2028 BGB begründet;19 Gleiches gilt für die darauf bezogene Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.20 „Einzelklagen“ etwa gegen einen Beauftragten des Erblassers21 begründen mangels Bezug auf das Gesamterbe den Gerichtsstand des § 27 nicht; ebenso wenig kann auf Herausgabe des zu Unrecht ausgestellten Erbscheins oder eines solchen Testamentvollstreckerzeugnisses vor dem Gerichtsstand des § 27 geklagt werden, da sich diese Klagen nicht gegen einen Erbschaftsbesitzer als solchen richten.22 Wird die Herausgabe- oder Auskunftsklage nach dem Tode des Erbschaftsbesitzers gegen dessen Erben gerichtet, gilt dasselbe. Denn in diesem Fall rücken seine Erben in die Rechtsstellung des verstorbenen Erbschaftsbesitzers nach.23 Der Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 greift nach richtiger Ansicht24 auch im Streit über 8 die Ansprüche nach den §§ 2018 ff. BGB gegen den vertraglichen Erbschaftserwerber, der gemäß § 2030 BGB im Verhältnis zu den Erben einem Erbschaftsbesitzer gleichsteht.25 Dagegen ist der Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 für Einzelklagen gegen den Erbschafts- 9 besitzer, die aus § 985, §§ 989 f., § 2029 BGB erhoben werden können, nicht begründet. Roth26 weist zutreffend darauf hin, dass § 27 einer analogen Anwendung auf Einzelklagen gegen den Nichterbschaftsbesitzer gemäß § 2027 Abs. 2 BGB deshalb nicht zugänglich ist, weil eine strukturelle Vergleichbarkeit mit Fällen der Geltendmachung des Gesamtanspruchs gegen den Erbschaftsbesitzer nach § 2018 BGB nicht gegeben sei. Denn § 2027 Abs. 2 BGB stellt nicht auf den Erbschaftsbesitzer ab. Daher kann auch die Klage auf Herausgabe eines zu Unrecht ausgestellten Erbscheins an das Nachlassgericht gemäß § 2362 Abs. 1 und der Auskunftsanspruch nach Abs. 2 der Vorschrift oder der Anspruch wegen eines Zeugnisses über die Ernennung des Testaments, das nach § 2368 BGB nicht vor dem Gerichtsstand des § 27 erhoben werden, da sich diese Ansprüche nicht gegen den Erbschaftsbesitzer als solchen wenden. Auch die vom Nacherben erhobene Klage nach § 2013 Abs. 1 BGB, die sich gegen den Dritten wendet, der vom Vorerben unwirksam ein nachlasszugehöriges Grundstück erworben hat, ist nicht vor dem Gerichtsstand nach § 27 zu erheben.27 Dies gilt auch, soweit nicht gegen den Erbschaftsbesitzer, sondern gegen einen Dritten geklagt wird: Klagen, die gegen einen Beauftragten des Erblassers28 oder gegen einen Vermächtnisnehmer gerichtet werden, können nicht vor dem Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 erhoben werden.29 Der Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 ist weiterhin nicht für die Geltendmachung von Ansprüchen begründet, die nach den §§ 2362 Abs. 1, 2363 Abs. 2, 2364 Abs. 2 BGB aus Ansprüchen erhoben werden, die auf Herausgabe eines zu Unrecht ausgestellten Erbscheins oder eines Zeugnisses über die Ernennung eines Testamentsvollstreckers gegründet sind. Denn diese Ansprüche richten

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MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 7. OLG Nürnberg OLGZ 1981, 115, 116. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 12; MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 7; a.A. Zöller/Vollkommer § 27 Rdn. 5. OLG Nürnberg OLGZ 1981, 115, 116. OLG Köln OLGZ 1986, 210, 212. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 13. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 8. Vgl. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 7; Musielak/Heinrich § 27 Rdn. 5. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 7. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 13. Anders RGZ 102, 2,105 in einem obiter dictum. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 8; Musielak/Heinrich § 27 Rdn. 5; Zöller/Vollkommer § 27 Rdn. 5. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 8 m.w.N.

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sich nicht gegen den Erbschaftsbesitzer als solchen.30 Ebenfalls nicht um eine gegen den Erbschaftsbesitzer gerichtete Klage handelt es sich in dem Fall, in dem der Nacherbe gegen einen Dritten auf Herausgabe für den Fall des Eintritts der Nacherbfolge klage, wenn der Dritte vom Vorerben ein Grundstück nach § 2113 Abs. 1 BGB unwirksam erworben hat.31 10

4. Klagen wegen Ansprüchen aus Vermächtnissen. Bei Vermächtnissen handelt es sich gemäß §§ 1939, 1941, 2147 ff. BGB um Zuwendungen von Vermögensvorteilen durch Testament an eine Person, die nicht Erbe ist oder sein soll32 oder an den Erben im Falle des Vorausvermächtnisses33 gemäß § 2150 BGB. Klagen wegen Ansprüchen aufgrund Anordnungen des Erblassers, die dem Vermächtnisnehmer einen Vermögensvorteil zuwenden, ohne ihn als Erben einzusetzen (§§ 1932, 1939, 1941, 1969, 2150, 2174, 2279, 2299 BGB) oder wegen gesetzlicher Vermächtnisse wie im Falle des § 1969, können vor dem Gerichtsstand des § 27 erhoben werden; dies gilt auch für Klagen auf Feststellung des Nichtbestehens oder wegen einer Anfechtung des Vermächtnisses.34 Gleiches gilt für Klagen auf Feststellung der Vermächtnisunwürdigkeit gemäß §§ 2078, 2345 BGB.35

5. Ansprüche aus sonstigen Verfügungen von Todes wegen. Ansprüche aus sonstigen Verfügungen von Todes wegen sind solche aus Auflagen gemäß § 2192 BGB oder Schenkungen auf den Todesfall gemäß § 2301 BGB; für diesbezügliche Klagen ist ebenfalls der Gerichtsstand des § 27 begründet. Das Pflichtteilsrecht ist zwar kein Erbrecht sondern ein (schuldrechtlicher) Anspruch gegen den Erben. § 27 begründet aber ausdrücklich auch für diesen Anspruch den Gerichtsstand. Klagen wegen Pflichtteilansprüchen gemäß §§ 2303 ff. BGB auf Zahlung, wegen Pflichtteilsergänzungsansprüchen gemäß § 2329 BGB sowie die gegen den unwürdigen Pflichtteilsberechtigten aus § 2345 Abs. 2 BGB können daher vor dem Gerichtsstand des § 27 erhoben werden. Dies gilt auch für Klagen aus dem Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB.36 Mit „Teilung der Erbschaft“ bezeichnet § 27 die im Wege der Auseinanderset12 zungsklage erfolgende Auseinandersetzung des Nachlasses unter Miterben.37 Die Erbschaftsteilung wird – sofern keine Anordnung der Testamentsvollstreckung sich hierauf bezieht, § 2204 BGB – durch Vertrag zwischen den Miterben gemäß §§ 2042 ff. BGB oder in einem Verfahren nach den §§ 363 ff. FamFG durchgeführt.38 Die Zuständigkeit des Amtsgerichts-Nachlassgerichts für Verfahren in Teilungssachen nach § 23a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG, §§ 363 ff. FamFG wird aber von § 27 nicht erfasst.39 Für die Klage auf Erbschaftsteilung ist der Gerichtsstand des § 27 begründet: Hierzu zählt die auf dem Klagewege betriebene Auseinandersetzung gemäß §§ 2042 ff. BGB und Ausgleichung (§§ 2050 ff. BGB) sowie in den Fällen des § 1482 BGB40 und des § 1483 Abs. 2 11

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Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 14. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 14; a.A. RGZ 102, 102, 105 in einem obiter dictum. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 15. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 15. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 9. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 7. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 11. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 18. Zöller/Vollkommer § 27 Rdn. 9. Stein/Jonas/Roth § 27 [Fn. 19]. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 12.

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BGB41 und der Anfechtung einer erfolgten Teilung. 42 Ferner ist der Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 für Klagen auf Zustimmung zu einem vom Kläger vorgelegten Teilungs- oder Auseinandersetzungsplan begründet.43 Ferner trifft dies auf solche Klagen zu, mit denen der Kläger die Feststellung begehrt, dass eine Erbauseinandersetzung wegen entgegenstehender letztwilliger Verfügungen unzulässig sei.44 Weiter begründen den Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 Klagen auf Berechnung der Anteile, ggf. unter Berücksichtigung einer in letztwilliger Verfügung angeordneten Ausgleichung gemäß § 2050 BGB.45 Weitere Fälle sind die der Übernahme eines Landgutes nach § 2049 BGB,46 über ein Vorausvermächtnis gemäß § 2150 BGB47 oder die Klage der Erfüllung eines über die Höhe des Erbteils geschlossenen Vergleichs.48 IV. Weitere Fragen Neben anderen Gerichtsständen des Beklagten steht dem Kläger gemäß § 35 die 13 Wahl des Gerichtsstandes nach § 27 offen. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a EuGVVO hat das Erbund Testamentsrecht vom Anwendungsbereich der EuGVVO ausdrücklich ausgenommen. Daher begründet § 27 auch im Geltungsbereich der EuGVVO neben der örtlichen die deutsche internationale Zuständigkeit.49 Im Gerichtsstand der Erbschaft können auch Klagen wegen nicht in § 27 BGB genannter Nachlassverbindlichkeiten erhoben werden (§ 28). Dazu gehören auch die Ansprüche eines Lebenspartners wegen zugunsten des Eigentums des anderen erbrachter Leistungen, die mit dessen Tod ihren Zweck verfehlen (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB).50 Solche Verbindlichkeiten sind Erblasserschulden, da ihr Verpflichtungsgrund schon vom Erblasser gesetzt war, mag die Herausgabepflicht selbst auch erst mit dem Erbfall eintreten.51 Einzelheiten vgl. § 28. V. Internationale Zuständigkeit 1. EuGVVO. LugÜ. Die EuGVVO hat keinen Einfluss auf die internationale Zustän- 14 digkeit der deutschen Gerichte in den erbrechtlichen Streitigkeiten iSv § 27. Die EuGVVO entfaltet nämlich nach ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. a keine Wirkungen für Streitigkeiten auf dem Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts. Sind dagegen erbrechtliche Fragen nur von präjudizieller Bedeutung, haben die Zuständigkeitsregeln der EuGVVO Vorrang vor den §§ 12 ff. und mithin auch vor § 27. Dies ist der Fall, wenn erbrechtliche Fragen nicht den eigentlichen Streitgegenstand bilden. Die in § 40 Abs. 1 erwähnten Klagen sind aber solche, in denen typischerweise erbrechtliche Fragen streitgegenständlich sind, so dass die bei EuGVVO nicht zum Zuge kommt. Art. 1 Nr. 2 lit. a LugÜ 2007 trifft eine dem Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVVO entsprechende Regelung. Unter den Ausnahmetatbestand fallen alle Ansprüche des Erben auf und an den Nachlass, nicht jedoch

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41 Str.; MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 12; a.A. Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 18. 42 MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 12 a.E. m.w.N. 43 Musielak/Heinrich § 27 Rdn. 9 m.w.N. 44 Vgl. hierzu Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 18. 45 BGH NJW 1992, 364. 46 Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 18. 47 Vgl. MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 9; Musielak/Heinrich § 27 Rdn. 6; Zöller/Vollkommer § 27 Rdn. 6. 48 KG OLG Rsp. 23, 81; Stein/Jonas/Roth § 27 Rdn. 18. 49 MünchKomm/Patzina § 27 Rdn. 14. 50 Zöller/Vollkommer § 28 Rdn. 2 m.w.N. 51 Staudinger/Marotzke Neubearb. 2010, § 1967 Rdn. 19; MünchKomm-BGB/Küpper Bd. 9, § 1967 Rdn. 13.

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Klagen, mit denen Verbindlichkeiten des Erblassers bzw. des Nachlasses geltend gemacht werden, die keine erbrechtliche Anspruchsgrundlage haben.52 Um solche vertraglichen Ansprüche, die ursprünglich gegen den Erblasser begründet waren und im Wege der Universalsukzession auf die Alleinerbin übergingen, handelt es sich vorliegend. Nimmt aber z.B. eine Klägerin, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in München, die Erbin eines Aktionärs mit Sitz in der Schweiz aufgrund einer vom Erblasser eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zur Zahlung in die Kapitalrücklage der Gesellschaft in Anspruch, handelt es sich um einen vertraglichen Anspruch, nicht um einen auf dem Gebiet des Erbrechts i.S.d. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 LugÜ. Bilden Ansprüche aus Vertrag den Gegenstand des Verfahrens, ist international gemäß Art. 5 Nr. 1 LugÜ das Gericht zuständig, in dessen Bezirk eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen ist.53 15

2. EU-Erbrechtsverordnung.54 Zu berücksichtigen ist aber die am 16.8.2012 in Kraft getretene EU-Erbrechtsverordnung. Die meisten der Normen in dieser Verordnung gelten ab dem 17.8.2015 gemäß deren Art. 84 Abs. 2. Von dem ihnen eingeräumten Vorbehalt haben die Republik Irland, das Königreich Dänemark und das Vereinigte Königreich Gebrauch gemacht, so dass die EU-Erb Rechtsverordnung in diesen Staaten nicht in Kraft tritt. Nach Maßgabe des Art. 83 Abs. 1 der Verordnung finden deren Regelungen auf die Rechtsnachfolge derjenigen Personen Anwendung, die am 17.8.2015 oder später verstorben sind. Mit dem 17.8.2015 verlieren §§ 27, 28 die Doppelfunktionalität. Diese Vorschriften regeln dann nunmehr die örtliche Zuständigkeit. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte wird dann nicht mehr indiziert. Nach Art. 1 Abs. 1 EU-Erbrechtsverordnung erstreckt sich deren Anwendungsbereich auch auf Drittstaaten,55 so dass die örtliche Zuständigkeit auch in derartigen Fällen die internationale nicht mehr indiziert. Art. 4 EU-Erbrechtsverordnung bestimmt, dass für Entscheidungen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes befunden hatte. Art. 10 EU-Erbschaftsverordnung trifft eine Regelung subsidiärer internationaler Zuständigkeit für den Fall, dass der Erblasser im Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat hatte. In diesem Fall sind die Gerichte des Mitgliedstaates in dem sich Nachlassvermögen befindet zuständig, wenn der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besaß oder – wenn dies nicht der Fall ist – der Erblasser seinen vorübergehenden gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat hatte, sofern die Änderung dieses gewöhnlichen Aufenthalts nicht länger als 5 Jahre zurückliegt (zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts). Der Erblasser kann eine Rechtswahl treffen, wie Art. 6 EU-Erbrechtsverordnung vorsieht. Dann ist eine Unzuständigkeitserklärung möglich. Art. 11 EU-Erbrechtsverordnung sieht für den Fall, dass die Sache einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaates des angerufenen Gerichts aufweist, eine Notzuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaates vor.56 Ist nach alledem die zuständige nationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nach der EU-Erbrechtsverordnung begründet, folgt die örtliche Zuständigkeit aus § 27 bzw. wie § 28.

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52 Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht, Kommentar, 3. Auflage, Art. 1 EuGVVO Rdn. 116; Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht, Kommentar, 9. Auflage 2011, Art. 1 EuGVVO Rdn. 28; Schlosser EU-Zivilprozessrecht, Kommentar, 3. Auflage, Art. 1 EuGVVO Rdn. 18. 53 OLG München AG 2012, 220 m. Anm. Hartmann ErbStB 2012, 274 und van de Loo GWR 2012, 39. 54 Kurzüberblick zur Europäischen Erbrechtsverordnung bei: Beck’sches Formularbuch Erbrecht/ Schwab A VI. 55 VO/EU Nr. 650/2012 v. 4.7.2012 – EuErbVO, Amtsblatt der EU L 201/107, Erwägungsgrund 30. 56 VO/EU Nr. 650/2012 v. 4.7.2012 – EuErbVO, Amtsblatt der EU L 201/107, Erwägungsgrund 31.

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3. Staatsvertragliche Regelungen. Vorrang vor der autonomen Regelung des § 27 16 hat für die internationale Zuständigkeit bei erbrechtlichen Streitigkeiten die Regelung des § 15 des deutsch-türkischen Nachlassabkommens. Dieses deutsch-türkischen Nachlassabkommen ist als Anlage zu Art. 20 des deutsch-türkischen Konsularvertrages vom 28.5.192957 am 18.9.1931 in Kraft getreten. Nachdem seine Anwendung durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen worden ist, wird es vom 1.3.1952 wieder zur Anwendung gebracht. Abweichend von § 27 sieht § 15 für erbrechtliche Streitigkeiten, die sich auf unbewegliche Nachlassgegenstände beziehen, die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Belegenheit Staates vor. § 15 Klagen welche die Feststellung des Erbrechts Erbschaftsansprüche Ansprüche aus Vermächtnissen sowie Pflichtteilsansprüche zum Gegenstande haben sind soweit es sich um beweglichen Nachlass handelt bei den Gerichten des Staates anhängig zu machen dem der Erblasser zurzeit seines Todes angehörte soweit es sich um unbeweglichen Nachlass handelt bei den Gerichten des Staates in dessen Gebiet sich der unbewegliche Nachlass befindet. Ihre Entscheidungen sind von dem anderen Staate anzuerkennen.

4. Autonomes Recht. § 27 begründet aufgrund der Doppelfunktionalität als Ge- 17 richtsstands-Vorschrift zugleich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die seinem sachlichen Geltungsbereich unterworfenen Streitigkeiten. Demzufolge ist nach § 27 Abs. 1 die internationale Zuständigkeit desjenigen Gerichts begründet, in dessen Bezirk der Erblasser zur Zeit seines Todes seinen Wohnsitz hatte. Ob sich die Nachlassgegenstände im Innen-oder Ausland befinden ist unerheblich; § 27 Abs. 1 kommt in beiden Fällen zur Anwendung. Auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers als Inländer oder Ausländer kommt es 18 nicht an. Weiter ist es für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß § 27 Abs. 1 unerheblich, ob deutsches oder ausländisches Erbrecht zur Anwendung zu bringen ist. Daher ist nach § 27 Abs. 1 die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auch in Fällen erbrechtlicher Streitigkeiten begründet, die im deutschen Erb-Sachrecht unbekannt sind. Ausschlaggebend ist allein, dass sie ohne Schwierigkeiten als erbrechtliche Angelegenheiten eingeordnet werden können. Dies ist der Fall bei besonderen Teilungsklagen zwischen Miterben, die in vielen Rechten bekannt sind. Weiter sind Herabsetzungsklagen gegen den Noterben zu nennen. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist in diesen Fällen nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil die mit diesen Klagen verbundenen Tätigkeiten und Verrichtungen der Gerichte für die deutschen Gerichte „wesensfremd“ wären.

§ 28 Erweiterter Gerichtsstand der Erbschaft § 28 Smid/Hartmann In dem Gerichtsstand der Erbschaft können auch Klagen wegen anderer Nachlassverbindlichkeiten erhoben werden, solange sich der Nachlass noch ganz oder teilweise im Bezirk des Gerichts befindet oder die vorhandenen mehreren Erben noch als Gesamtschuldner haften.

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57 RGBl. 1930 II S. 748; RGBl. 1931 II S. 538; sowie Bekanntmachung vom 26.2.1952 über die Wiederanwendung deutsch-türkischer Vorkriegsverträge: BGBl. II S. 608.

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§ 28

I. II.

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

Übersicht Normzweck ____ 1 Voraussetzungen ____ 2 1. Nachlassverbindlichkeiten ____ 2 2. Befindlichkeit eines Nachlassgegenstandes i m Gerichtsbezirk ____ 7

III. IV.

a) Allgemeines ____ 7 b) Mehrheit von Erben ____ 9 Darlegungs- und Beweislast ____ 13 Weitere Fragen ____ 14

I. Normzweck 1

Diese Vorschrift erweitert den Gerichtsstand der Erbschaft des § 27 um die Zuständigkeit des insoweit berufenen Gerichts aufgrund Klagen wegen weiterer hier aufgezählter Nachlassverbindlichkeiten. Nach § 28 können im Gerichtsstand der Erbschaft, d.h. dort, wo der Erblasser zur Zeit seines Todes den allgemeinen Gerichtsstand hatte (§ 27 Abs. 1), Nachlassverbindlichkeiten gegen die Erben eingeklagt werden, solange die Erben noch als Gesamtschuldner haften.1 Diese Voraussetzungen sind z.B. in solchen Fällen gegeben, in denen der Kläger eine Forderung aus einer Krankenbehandlung, die sich ursprünglich gegen die Erblasserin richtete (§ 1967 Abs. 2 BGB), gegen die Miterben als Gesamtschuldner geltend macht. II. Voraussetzungen

1. Nachlassverbindlichkeiten. Die in § 28 bezeichneten Nachlassverbindlichkeiten sind die Erblasserschulden, die nach § 1967 BGB vom Erblasser herrührend von den Erben zu tragen sind. Hierzu sind die dinglichen Ansprüche zu zählen, was sich aus § 171 BGB ergibt. Weiter fallen unter die Nachlassverbindlichkeiten die Erbfallschulden und Nachlasserbenschulden, die den Erben als solchen als Verbindlichkeiten treffen.2 Hierzu zählen die Verbindlichkeiten aus einer Nachlassverwaltung oder die Kosten des Nachlassinsolvenzverfahrens gemäß § 315 InsO.3 Im Falle der Ausschlagung der Erbschaft gehören darüber hinaus diejenigen Verbindlichkeiten zu den Nachlassverbindlichkeiten, die aus Verwaltungshandlungen des Erben herrühren.4 Dies gilt auch für Handlungen eines vermeintlichen Erben, des Nachlasspfleger oder Testamentsvollstreckers nach den §§ 1960 f., 2197 ff. BGB. Sofern mit der Klage Verbindlichkeiten geltend gemacht werden, die zwar nicht un3 ter den Katalog der in § 27 aufgezählten Klagen fallen, aber nach § 1967 BGB vom Erblasser herrühren und den Nachlass daher belasten, greift § 28 ein. Gleiches gilt für dingliche und diesen gleichgestellte Ansprüche gemäß § 1971 BGB. Es kann sich im Einzelnen bei den Erblasserschulden um zum Zeitpunkt des Erbfalls begründete vertragliche Verbindlichkeiten handeln, 5 um Schulden aus unerlaubten Handlungen, 6 auch wenn deren Rechtsfolgen erst nach dem Erbfall eingetreten sein sollten.7 Erlasserverbindlichkeiten können weiter aus familienrechtlichen Tatbeständen wie Unterhalt, Zugewinnausgleich oder Versorgungsausgleich herrühren.8 2

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BayObLG NJW-RR 2006, 15. BGH NJW-RR 2008, 1516. Musielak/Heinrich § 28 Rdn. 3; vgl. auch Vorauflage/Hausmann § 28 Rdn. 6. RGZ 62, 38; 90, 91. OLGR Rostock 2009, 216 f. BGH NJW 1987, 1013. BGH NJW 1987, 1013; Musielak/Heinrich § 28 Rdn. 3. Vgl. MünchKomm/Patzina § 28 Rdn. 2.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 28

Das OLG Schleswig9 hat darauf erkannt, dass die Regelung des § 28, nach der Nach- 4 lasserbenschulden dem erweiterten Gerichtsstand der Erbschaft unterfallen, auch dann gilt, wenn ein Miterbe Nachlassgläubiger ist. Zu den von § 28 erfassten Klagen gehören auch solche aus Ansprüchen eines Lebenspartners wegen zugunsten des Eigentums des anderen erbrachter Leistungen, die mit dessen Tod ihren Zweck verfehlen, § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB.10 Solche Verbindlichkeiten sind Erblasserschulden, da ihr Verpflichtungsgrund schon vom Erblasser gesetzt war, mag die Herausgabepflicht selbst auch erst mit dem Erbfall eintreten.11 Darüber hinaus greift der Gerichtsstand des § 28 weiterhin ein im Falle von Klagen 5 wegen Nachlasserbenschulden, also des Unterhaltsanspruchs der Schwangeren nach 1963 BGB, und Klagen wegen der Erbfall- und Erblasserschulden gemäß § 1967 BGB, der Beerdigungskosten gemäß § 1968 BGB, des aus § 1967 BGB abgeleiteten Zahlungsanspruchs des Lebensgefährten des Erblassers gegen die Erben,12 des Dreißigsten nach § 1969 BGB, der Verbindlichkeiten aus der Verwaltung des Nachlasses (Nachlasspflegschaft oder Testamentsvollstreckung, §§ 2206, 1985 BGB) einschließlich der Durchführung eines Nachlassinsolvenzverfahrens, § 1978 BGB. Nicht aus der Verwaltung des Nachlasses resultieren die Ansprüche des Nachlasskäufers gemäß §§ 2371 ff. BGB, da sie ihren Grund im Kaufvertrag haben.13 Keine Nachlassverbindlichkeiten sind die Kosten des Erbscheins,14 die Erbschafts- 6 steuer,15 die Kosten der Veräußerung der Erbschaftsgegenstände oder der Erbschaft,16 Ansprüche des Erbschaftskäufers gegen den Erben nach den § 2371 BGB entspringen dem Kaufvertrag und nicht dem Erbrecht, so dass sie nicht vor dem Gerichtsstand des § 28 erhoben werden können.17 2. Befindlichkeit eines Nachlassgegenstandes im Gerichtsbezirk a) Allgemeines. Wenigstens ein Nachlassgegenstand muss sich im Bezirk des nach 7 § 28 angerufenen Gerichts befinden, damit dessen örtliche Zuständigkeit begründet wird, wobei es auf den Wert des Nachlassgegenstandes nicht ankommt. Handelt es sich bei dem Nachlassgegenstand um eine Forderung, kommt § 23 S. 2 zu entsprechender Anwendung, so dass es auf den Wohnsitz des Schuldners, gegen den die Forderung gerichtet ist, ankommt (vgl. die Ausführungen hierzu unter § 23). Liegt Alleinerbschaft vor, kommt es für die zeitliche Dauer der Begründung des Ge- 8 richtsstandes des § 28 ausschließlich darauf an, ob sich auch nur ein Nachlassgegenstand noch im Gerichtsbezirk befindet.18

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9 OLG Schleswig NJW-RR 2008, 96 f.; BayObLG NJW-RR 2004, 944; OLG Naumburg ZEV 2006, 33; OLG Karlsruhe BeckRS 2004, 1. 10 Musielak/Heinrich § 28 Rdn. 3; Zöller/Vollkommer § 28 Rdn. 2 m.w.N. 11 Staudinger/Marotzke Neubearb. 2010, § 1967 Rdn. 19; MünchKomm.-BGB/Küpper Bd. 9, § 1967 Rdn. 13. 12 OLG Saarbrücken FamRZ 1979, 796. 13 Zutr. MünchKomm/Patzina § 28 Rdn. 2 a.E. 14 Staudinger/Herzog Neub. 2010, § 2359 BGB Rdn. 91. 15 Vgl. OLG Hamm MDR 1990, 1014; Staudinger/Marotzke Neubearb. 2010, § 1967 Rdn. 33 m.w.N.; a.A. BFH NJW 1993, 350. 16 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 28 Rdn. 3 „Erbschaftskauf“. 17 Stein/Jonas/Roth § 28 Rdn. 2. 18 Zöller/Vollkommer § 28 Rdn. 3; MünchKomm/Patzina § 28 Rdn. 3; Stein/Jonas/Roth § 28 Rdn. 4.

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Smid/Hartmann

§ 28

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

9

b) Mehrheit von Erben. Nach § 2058 BGB haften die Erben für die gemeinschaftlichen Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldner. 19 Im Falle einer noch nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft kommt es nicht darauf an, ob sich ein Nachlassgegenstand im Gerichtsbezirk befindet, solange die Erbengemeinschaft noch der gesamtschuldnerischen Haftung gemäß §§ 2058 ff., 421 BGB in Bezug gerade auf die eingeklagte Nachlassverbindlichkeit unterworfen ist. 10 Unerheblich ist, ob der Kläger die Beklagten als Teilschuldner in Anspruch nimmt. Entscheidend ist nach § 28, dass die vorhandenen mehreren Erben noch als Gesamtschuldner haften. Wenn dies §§ 2058, 421 BGB gegeben ist begründet dies den Gerichtsstand nach § 28.20 Der Gerichtsstand des § 28 ist bei Vorliegen seiner sonstigen Voraussetzungen auch grundsätzlich für den Fall begründet, dass die Erbengemeinschaft auseinandergesetzt worden wäre,21 sofern die Voraussetzungen der §§ 2060, 2061 BGB nicht vorliegen. Nach §§ 2060, 2061 BGB entfällt die Gesamthaftung der Erben erst nach der Teilung 11 des Nachlasses. Die Teilung des Nachlasses liegt im Falle einer Gesamtauseinandersetzung vor. Diese liegt auch dann vor, wenn nur in Bezug auf einen oder einige nicht aber alle Erben die Teilung des Nachlasses durchgeführt worden ist. Nach der Teilung tritt die anteilsmäßige Haftung des Erben für den seiner Erbquote entsprechenden Teil der Nachlassverbindlichkeiten unabhängig von der Frage seiner beschränkten oder unbeschränkten Haftung ein. Nach der Teilung des Nachlasses haftet jeder Miterbe nach § 2060 Nr. 1 BGB nur für 12 den seinem Erbteil entsprechenden Teil einer Nachlassverbindlichkeit, wenn der Gläubiger im Aufgebotsverfahren ausgeschlossen ist; das Aufgebot erstreckt sich insoweit auch auf die in § 1972 BGB bezeichneten Gläubiger sowie auf die Gläubiger, denen der Miterbe unbeschränkt haftet. Nach § 2060 Nr. 2 BGB greift die Haftung des Miterben allein mit dem seinem Erbteil entsprechenden Teil ein, wenn der Gläubiger seine Forderung später als fünf Jahre nach dem in § 1974 Abs. 1 BGB bestimmten Zeitpunkt geltend macht, es sei denn, dass die Forderung vor dem Ablauf der fünf Jahre dem Miterben bekannt geworden oder im Aufgebotsverfahren angemeldet worden ist; die Vorschrift findet keine Anwendung, soweit der Gläubiger nach § 1971 BGB von dem Aufgebot nicht betroffen wird. Schließlich haftet nach der Teilung des Nachlasses jeder Miterbe nach § 2060 Nr. 3 BGB nur für den seinem Erbteil entsprechenden Teil einer Nachlassverbindlichkeit wenn das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet und durch Verteilung der Masse oder durch einen Insolvenzplan beendigt worden ist.22 III. Darlegungs- und Beweislast 13

Die Darlegungs- und Beweislast wegen der den Gerichtsstand gemäß § 28 begründenden Umstände trifft den Kläger. Dabei ist aber auf folgendes hinzuweisen. Das angerufene Gericht hat seine Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen. Dabei hat es davon auszugehen, dass der Gerichtsstand aus § 28 vorliegt, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erben nur noch anteilig in Anspruch genommen werden könnten (vgl. §§ 2060, 2061 BGB). Die Erben sich als Beklagte insoweit darlegungspflichtig.23

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19 BGH NJW-RR 2008, 1516, 1517; BayObLG FamRZ 1999, 1175, 1176; NJW-RR 2004, 944; MDR 2005, 1397; OLG Rostock OLGR 2009, 216; Zöller/Vollkommer § 28 Rdn. 4 m.w.N. 20 OLG Schleswig NJW-RR 2008, 96 f. 21 BayObLG NJWE-FER 1999, 124, 125. 22 MünchKomm-BGB/Ann § 2060 BGB Rdn. 14. 23 Zöller/Vollkommer § 28 Rdn. 4.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 29

IV. Weitere Fragen Neben anderen gegen den Beklagten begründeten Gerichtsständen hat der Kläger 14 gemäß § 35 die Wahl, vor dem Gerichtsstand des § 28 zu klagen. Zur internationalen Zuständigkeit vgl. bereits § 27 Rdn. 14 ff.

§ 29 Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts § 29 Smid/Hartmann (1) Für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. (2) Eine Vereinbarung über den Erfüllungsort begründet die Zuständigkeit nur, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind. Schrifttum Balthasar Der besondere Gerichtsstand am Erfüllungsort gem. § 29 I ZPO, JuS 2004, 571; Baumgärtel Wert und Unwert der Prorogationsnovelle, FS Weber (1975) S. 23; Bernhardt Holschuld, Schickschuld, Bringschuld – Auswirkungen auf Gerichtsstand, Konkretisierung und Gefahrübergang, JuS 2011, 9; Bernstein Kollisionsrechtliche Fragen der culpa in contrahendo, RabelsZ 41 (1977) 281; Diederichsen Die neuen Grenzen für Gerichtsstandsvereinbarungen, BB 1974, 377; Döhmel Der Leistungsort bei der Rückabwicklung von Verträgen (1997); Dubiel Der Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstandes im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht (2010); Einsiedler Der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO: Ein Klägergerichtsstand? NJW 2001, 1549; Geimer Zur Bestimmung des Erfüllungsorts im Sinne des VollstrZustÜbk Art. 5 Nr. 1 in Fällen von Einheitsrecht, das nationales Kollisionsrecht ausschalte, EuZW 1992, 518; Gregor Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes beim Luftbeförderungsvertrag IPrax 2008, 403; Hackenberg Der Erfüllungsort von Leistungspflichten unter Berücksichtigung des Wirkungsortes von Erklärungen im UN-Kaufrecht (2000); Hahn Der einheitliche Erfüllungsort beim Bauvertrag – ein Trugbild, NZBau 2006, 555; Hauser Der besondere Gerichtsstand bei Zahlungsklagen des Krankenhauses, MedR 2006, 332; Kleinknecht Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im dt. u. europ. Zivilprozessrecht (2007); Köhler Der Leistungsort bei Rückgewährschuldverhältnissen, FS Heinrichs (1998) S. 367; Kornblum Der Kaufmann und die Gerichtsstandsnovelle, ZHR 138 (1974) 478; Krügermeyer-Kalthoff/Reutershan Honorarklagen – Örtliche Zuständigkeit der Gerichte bei der Geltendmachung von Ansprüchen freiberuflich Tätiger, MDR 2001, 1216; Küpper Das Scheitern von Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo 1988; ders. Der Gerichtsstand bei Klagen aus culpa in contrahendo, DRiZ 1990, 445; M. Lehmann Wo verklagt man Billigflieger wegen Annullierung, Umbuchung oder Verspätung von Flügen? NJW 2007, 1500; Mugdan Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich (1899); Nettesheim Rückgängigmachung der Bestellung von Hotelzimmern oder FerienwohnungenBB 1986, 547; Roth Probleme um die internationale Zuständigkeit nach § 29 ZPO, FS Schlosser (2005) S. 773– 784; Ruzik Der Erfüllungsgerichtsstand nach § 29 ZPO bei internationalen Flugreisen, NJW 2011, 2019; Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozeßrecht 1985; ders. Internationales Zivilverfahrensrecht6; Schinnenburg Zulässigkeit der Honorarklag eines Arztes am Praxisort, MedR 2001, 402; Schneidenbach Zum Erfüllungsort des Architektenvertrages, ZfBR 2007, 634; M. Schmid Zahlungsklage im Verbraucherprozeß: Besonderer Gerichtsstand der Erfüllungsklage, MDR 1993, 410; E. Schumann Die materiellrechtsfreundliche Auslegung des Prozeßgesetzes, FS für Karl Larenz zum 80. Geburtstag (1983) S. 571; Sonnentag Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes für zahnärztliche Honoraransprüche, MedR 2005, 702; Staudinger/Arzt Nacherfüllung im Kaufrecht und Gerichtsstand des Erfüllungsorts, NJW 2011, 3121; M. Stöber Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag, NJW 2006, 2661; Tiedemann/Neumann Zessionen von prozessualen und materiellen „Verbraucherrechten“, NJ 2013, 17; Wolf Das Willensmoment beim Gerichtsstand des Erfüllungsorts, FS Lindacher (2007) S. 435.

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Smid/Hartmann

§ 29

I.

II.

III.

IV.

V.

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

Übersicht Normzweck ____ 1 1. Abs. 1 ____ 1 2. Abs. 2 ____ 2 3. Waffengleichheit der Parteien ____ 3 4. Konkurrierende Gerichtsstände ____ 4 Gegenstand der § 29 unterfallenden Streitigkeiten ____ 6 1. Streitige Verpflichtung ____ 6 2. Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang bei Anspruchsmehrheit ____ 8 Schuldrechtlicher Vertrag als Klagegrund ____ 10 1. Nicht vorausgesetzt Wirksamkeit des Vertrages ____ 10 2. Maßgeblichkeit des Vorbringens des Klägers ____ 11 3. Verhältnis des Klägers zum zugrundeliegenden Vertragsverhältnis ____ 12 Anwendungsbereich ____ 14 1. Anwendbarkeit ohne Rücksicht auf gestellte Klageanträge ____ 14 2. Einseitige, Erfüllungsansprüche auslösende Rechtsgeschäfte ____ 15 3. Gestaltungsklagen ____ 16 4. Leistungsansprüche auf Grund der Aufhebung eines Vertrages ____ 18 5. Schadenersatzklagen ____ 21 6. Nebenansprüche ____ 23 7. Klagen aus der Haftung gesellschaftsrechtlicher Organe gegenüber ihren Verbänden ____ 24 8. Gesetzliche Schuldverhältnisse ____ 25 9. Anfechtungsklagen ____ 27 10. Aussonderungsklagen ____ 28 11. Familienrechtlich begründete besondere Bereicherungsansprüche ____ 29 12. Verfügungsverträge ____ 31 Bestimmung des Erfüllungsort i.S.v. § 29 Abs. 1 ____ 32 1. Ort der Vornahme der Leistungshandlung ____ 32

2.

Maßgeblichkeit der Parteivereinbarungen ____ 34 3. Gesetzlicher Erfüllungsort ____ 35 4. Kritik materiell-rechtlicher Begründung des Erfüllungsortes ____ 36 5. Natur des Schuldverhältnisses ____ 38 6. Auslegungsregel des § 269 Abs. 1 BGB ____ 41 VI. Einzelfälle ____ 42 1. Kaufverträge ____ 42 2. Rückabwicklung namentlich von Kaufverträgen ____ 46 3. Mitverpflichtungen, § 426 BGB ____ 53 4. Dienstverträge ____ 55 5. Beherbergungsverträge ____ 63 6. Bürgschaft ____ 64 7. Werkverträge ____ 65 8. Dauerverträge ____ 72 VII. Verträge im Handelsrecht ____ 76 VIII. Gerichtsstand aufgrund Vereinbarungen über den Erfüllungsort, Abs. 2 ____ 81 1. Wirksamkeit von Abreden über den Erfüllungsort ____ 81 a) Persönlicher Geltungskreis ____ 81 aa) Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen § 269 BGB und § 29 Abs. 2 ____ 83 bb) § 29 Abs. 2 dient dem Ausschluss isolierter Erfüllungsortsabreden ____ 84 cc) Ausschluss der Umgehung von § 38 Abs. 1 ____ 85 dd) Berücksichtigung die Vertragswirklichkeit gestaltender Erfüllungsortsvereinbarungen nach § 29 Abs. 1 ____ 86 ee) Folgen für das Vorgehen des Gerichts ____ 88 b) Form ____ 89 2. Anwendungsbereich der EuGVVO ____ 98 IX. Der Geltungsbereich der EuGVVO ____ 101

I. Normzweck 1

1. Abs. 1. § 29 regelt einen besonderen, nicht ausschließlichen Gerichtsstand, der sich am Streitgegenstand orientiert;1 die Abweichung vom Grundsatz actor sequitur forum rei folgt allerdings nicht allein den zu schützenden Interessen des Klägers2 – wenn man es nicht genügen lässt, dass den Interessen des Klägers überhaupt durch die mit

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1 OLG Frankfurt/M MDR 2004, 832; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 1. 2 Missverständlich, weil in der Sache zutr. anders Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 1; vgl. auch Einsiedler NJW 2001, 1549.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 29

dem Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29 dem Kläger überhaupt eröffneten Wahlmöglichkeit (§ 35) Genüge getan wird. Dies zeigt eine nähere Betrachtung der Funktion der Vorschrift. § 29 bringt, wie Roth3 ausgeführt hat, nicht den Grundsatz actor sequitur forum rei zum Ausdruck. Denn § 29 verweist im Gegensatz zu den §§ 12, 13, 17 nicht primär auf die Wohnsitz bzw. Sitzzuständigkeit Beklagten. Da § 29 für die Bestimmung des Gerichtsstandes auf den Ort verweist, an dem das Vertragsverhältnis, über dessen Bestehen oder dessen Folgen gestritten wird, zu erfüllen ist (Leistungsort, unten Rdn. 2, 33 ff.), hängt die Beantwortung der Frage, zu wessen Gunsten hier von dem allgemeinen Gerichtsstand abgewichen werden kann, im Wesentlichen davon ab, wo der Ort der Leistungserbringung sich befindet. Daher wird davon gesprochen, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Falle von Kaufpreisklagen des Verkäufers gegen den Käufer, der eine qualifizierte Schickschuld gemäß §§ 433 Abs. 2, 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB zu erfüllen hat, zu einem Beklagtengerichtsstand führt,4 während im Falle von Bringschulden des Verkäufers die Klage des Käufers einen Klägergerichtsstand begründet. Damit wird der Wahlgerichtsstand von einem Wohnsitz- oder Sitzwechsel des Beklagten unabhängig gemacht und durch die vertragliche Regelung, aus der sich von Gesetzes wegen der Erfüllungs-(Leistungsort) ergibt, festgeschrieben. 2. Abs. 2. Knüpft § 29 Abs. 1 an die gesetzlichen Regelungen des Leistungsortes für 2 die verschiedenen Formen der Leistungserbringung an, normiert § 29 Abs. 2 die gerichtsstandsrechtlichen Wirkungen abweichender (im Übrigen wirksam getroffener) vertraglicher Regelungen über den Erfüllungsort. Nach § 38 Abs. 1 setzt die wirksame Begründung des Gerichtsstandes durch eine Vereinbarung des Erfüllungsortes voraus, dass es sich bei den Parteien um Kaufleute (§§ 1–3 HGB) handelt.5 § 29 Abs. 2 sorgt damit für einen Gleichlauf des § 29 Abs. 1 mit den Regelungen über die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen; Umgehungen des Prorogationsverbots des § 38 sollen durch den Verweis auf die Kaufmannseigenschaft der Vertragsparteien verhindert werden.6 Die Vorschrift schließt aber für Rechtsstreitigkeiten, an denen Nichtkaufleute beteiligt sind, die Begründung eines Gerichtsstandes durch materiell-rechtlich die Vertragswirklichkeit gestaltende Vereinbarungen des Erfüllungsortes nicht aus (unten Rdn. 35 ff.). Das hat zur Folge, dass wegen vertraglich vereinbarter Erfüllungsorte hinsichtlich des Gerichtsstandes zT andere Regelungen zu berücksichtigen sind als bei gesetzlichen Erfüllungsorten.7 3. Waffengleichheit der Parteien. Der besondere Wahl-(§ 35) Gerichtsstand des § 29 3 betrifft Klagen aus schuldrechtlichen Verpflichtungen, also aus persönlichen (im Gegensatz zu den dinglichen, absoluten) Ansprüchen, und auch nur soweit sie auf einen Vertrag (§§ 145 ff. BGB) ausgerichtet sind, d.h. auf eine Verpflichtung der Parteien, welche die Rechtsordnung dem Prinzip nach gelten lässt, weil die Beteiligten sie übereinstimmend wollen. Die Vorschrift dient der Gewährleistung der Waffengleichheit der Parteien.8 Das KG will in ihr einen durch „richterliche Rechtsfortbildung“ auszufüllenden Auffangtatbestand sehen.9 Wäre der Kläger auch bei Klagen aus einem Vertragsverhältnis stets darauf verwiesen, vor den Gerichten am Sitz des Beklagten zu klagen, würde

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Roth FS Schlosser (2005) S. 777. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 1. LG Hamburg NJW 1976, 199. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 98. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 1. Auch Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 1. KG IPrax 2001, 44.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

dieser unverdiente Vorteile in all jenen Fällen erfahren, in denen der Vertrag nur geringe räumliche Beziehungen zum allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten aufweist.10 Daher wird dem Kläger die Befugnis eingeräumt, aus einem Vertrage am Gericht des Erfüllungsortes zu klagen. Richtig ist diese Regelung gegenüber dem beklagten Schuldner auch deshalb, weil er sich dort gegen Klagen aus dem Vertrage zu verteidigen hat, in denen er zur Erbringung der Leistung verpflichtet ist.11 Dadurch wird über die Gewährleistung prozessualer Chancengleichheit zwischen Kläger und Beklagten hinaus durch die Vorschrift gewährleistet, dass eine Entscheidung vom örtlich näheren Gericht gefällt wird und die Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren örtlich konzentriert werden.12 4. Konkurrierende Gerichtsstände 4

a) Ausschließliche Gerichtsstände.13 Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes wird verdrängt durch ausschließliche Gerichtsstände für Pachtverhältnisse im Gerichtsstand des § 29a, bei Klagen aus Verbraucher- und Haustürgeschäften nach § 29c Abs. 1 S. 2 und im Mahnverfahren nach § 689 Abs. 1 S. 1. Außerhalb der ZPO verdrängt den § 29, wegen Streitigkeiten aus einem Fernunterrichtsvertrag oder über das Bestehen eines solchen Vertrags, § 26 FernUSG, der bestimmt, dass das Gericht ausschließlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Teilnehmer seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. In den Fällen des § 2 Abs. 1 lit. f BinnenSchiffVerfG der Geltendmachung von Ansprüchen wegen Zahlung der Lotsen-, Kran-, Waage-, Hafen- und Bohlwerksgebühren oder -vergütungen und ihres Betrages ist nach der § 29 als Spezialgesetz verdrängenden Regelung des § 3 Abs. 1 BinnenSchiffVerfG14 ausschließlich zuständig nur das Gericht des Erfüllungsortes. Für Klagen dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung gegen den Versicherungsnehmer ist nach § 215 Abs. 1 S. 1 VVG das Gericht, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ausschließlich zuständig.

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b) Neben dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes können weitere Gerichtsstände treten; der Kläger übt in diesen Fällen das Wahlrecht nach § 35 aus: Neben dem Erfüllungsgerichtsstand begründet § 48 Abs. 1a ArbGG für Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis oder Arbeitnehmern und ihren Hinterbliebenen aus Rechtsstreitigkeiten, die mit dem Arbeitsverhältnis in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, sowie vergleichbare Fälle die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, oder, wenn ein gewöhnlicher Arbeitsort nicht feststellbar ist, des Arbeitsgerichts, von dessen Bezirk aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.15 Dies deckt sich im Wesentlichen mit den Ergebnissen, zu denen die Rechtsprechung zu § 29 in auf das Arbeitsverhältnis bezogenen Streitigkeiten gelangt ist (unten Rdn. 56). Nach § 56 Abs. 2 LuftVG ist für Klagen, die auf Grund der §§ 45 bis 47 LuftVG erhoben wegen Vertragsverletzungen des Flugunternehmens werden, neben dem nach § 29 örtlich zuständigen Gericht auch das Gericht

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10 Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 1. 11 Geimer EuZW 1992, 518; Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 1. 12 Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 1. 13 M. Schmid MDR 1993, 410. 14 IdF Art. 7 des Dritten SeerechtsänderungsG v. 16.5.2001, BGBl. I 898, geändert durch Art. 7 Abs. 6 Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwälte v. 26.3.2007, BGBl. I 358. 15 Zum besonderen Gerichtsstand des Arbeitsortes: Hohmann-ArbGG, § 48 ArbGG Rdn. 4 ff.; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Koch § 48 ArbGG Rdn. 19 ff.

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des Bestimmungsorts zuständig.16 Im Falle des § 48b LuftVG – der Beförderung durch mehrere Unternehmen – kann die Klage gegen den ausführenden Luftfrachtführer auch in dem Gerichtsstand des vertraglichen Luftfrachtführers und die Klage gegen den vertraglichen Luftfrachtführer auch in dem Gerichtsstand des ausführenden Luftfrachtführers erhoben werden.17 Für Klagen aus dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung ist nach § 215 Abs. 1 S. 1 VVG auch das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. II. Gegenstand der § 29 unterfallenden Streitigkeiten 1. Streitige Verpflichtung a) § 29 stellt nicht auf den Erfüllungsort des Vertrages ab. Der Wortlaut der Vorschrift 6 handelt von der Erfüllung der „streitigen Verpflichtung“. Insbesondere kommt es daher nicht auf den Ort an dem der Schuldner der „vertragscharakteristischen Leistung“ des Vertrages zu erfüllen hat. Liegt ein Kaufvertrag vor, ist daher nicht auf die Pflichten des Verkäufers, liegt ein Werkvertrag vor, nicht auf die Pflichten des Werkunternehmers abzustellen, auch wenn die mangelfreie Übereignung der Sache (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB) und die mangelfreie Erbringung des Werkes (§ 633 Abs. 1 BGB) für die jeweiligen Verträge vertragstypisch sind – nicht dagegen die Zahlungspflicht des Käufers (§ 433 Abs. 2 BGB) oder des Bestellers (§ 631 Abs. 1 BGB). Der Erfüllungsort für die Pflichten einer jeder der beiden Vertragsparteien ist nämlich nicht zwingend einheitlich zu bestimmen. Bei der Begründung des Gerichtsstands nach § 29 kommt es daher nicht darauf an, dass eine der aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Verpflichtungen an dem Ort des angerufenen Gerichts zu erfüllen ist. Maßgeblich ist für die Bestimmung des Erfüllungsgerichtsstandes vielmehr, dass gerade die einzelne streitige Vertragspflicht an diesem Orte erfüllt werden muss.18 So kann es beim Kauf-oder Werkvertrag auf den Ort ankommen, an dem die Geldschuld des Käufers oder Bestellers zu erfüllen ist, der sich nicht selten von dem Ort der Leistungserbringung des Verkäufers oder Werkunternehmers unterscheiden wird.19 b) Maßgeblich ist für die Begründung des Gerichtsstandes des § 29, welche Ver- 7 pflichtung des Beklagten in der Klage behauptet wird. Bei der Leistungsklage und der positiven Feststellungsklage geht es um die Leistungspflicht des Beklagten, die tituliert oder festgestellt werden soll. Erhebt dagegen der Kläger die negative Feststellungsklage, wird damit der Ort für die Gerichtsstandsbegründung nach § 29 maßgeblich, an dem die Pflicht zu erfüllen wäre, von deren Befreiung der Kläger anstrebt.20 2. Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang bei Anspruchsmehrheit a) Erhebt der Kläger mehrere (vertragliche) Ansprüche, dann ist der Gerichtsstand 8 nach dem jeweiligen Erfüllungsanspruch des einzelnen Anspruchs für sich gesondert zu prüfen.21 Haben mehrere Ansprüche einen gleichen Erfüllungsort, begründet dies einen

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Gregor IPrax 2008, 403; M. Lehmann NJW 2007, 1500. Kleinknecht Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im dt. u. europ. Zivilprozessrecht, S. 21. Zum Begriff des gesetzlichen Erfüllungsortes MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 19 ff. Zum Bauvertrag Hahn NZBau 2006, 555. RGZ 10, 350, 352; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 20. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 22.

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einheitlichen Gerichtsstand nach § 29 unabhängig davon, ob mit den geltend gemachten Ansprüchen eine Mehrheit von Streitgegenständen eingeklagt wird.22 Liegt indes kein einheitlicher Erfüllungsort für alle geltend gemachten Ansprüche vor, muss wegen derjenigen Ansprüche, die vor dem Gerichtsstand des angerufenen Gerichts nicht verfolgt werden können, Verweisungsantrag gestellt werden, da andernfalls Klageabweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit des Gerichts droht. Eine örtliche Zuständigkeit aufgrund des Sachzusammenhangs der Klage greift demgegenüber nicht.23 9

b) Demgegenüber lässt man den Gedanken des Sachzusammenhangs gelten, soweit neben der Hauptverpflichtung des Beklagten auch streitige Nebenpflichten eingeklagt werden.24 Daraus wird der Schluss gezogen, dass die Klage auf Auskunftserteilung oder Rechnungslegung vor dem gleichen Gericht wie die vertraglichen Hauptpflichten geltend gemacht werden kann, da Erfüllungsort der Auskunftserteilung oder Rechnungslegung im Regelfall am gleichen Ort wie die vertraglicher Pflichten sei. Wird dagegen die Nebenpflicht nicht zusammen mit der Hauptpflicht, sondern isoliert eingeklagt, kommt es allein auf den Erfüllungsort der Nebenpflicht an, um das örtlich zuständige Gericht zu ermitteln. III. Schuldrechtlicher Vertrag als Klagegrund

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1. Nicht vorausgesetzt Wirksamkeit des Vertrages. Die Klage muss auf einen schuldrechtlichen Vertrag als Klagegrund verweisen, gleichviel ob dieser Vertrag rechtsbeständig ist, wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 ergibt, der neben Pflichten aus dem Vertragsverhältnis, Streitigkeiten über dessen Bestehen in den Gerichtsstand des Erfüllungsortes mit einbezieht.25 Denn auch wenn dies mit dem Vorbringen der Klageschrift noch nicht notwendig in Frage gestellt worden sein muss, wird die Wirksamkeit des Vertrages vielfach erst im Prozess zu entscheiden sein – soweit nicht die Parteien die Wirksamkeit des Vertrages selbst verbindlich unstreitig stellen können. Daher kommt es für die Begründung des Gerichtsstandes des § 29 nicht darauf an, ob nach dem Klageantrag das Bestehen oder das Nichtbestehen des Vertrages zu begründen ist.26

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2. Maßgeblichkeit des Vorbringens des Klägers. Die mit der Klage anhängig gemachte Streitigkeit muss daher aus einem Vertragsverhältnis herrühren. Der Begriff des Vertragsverhältnisses ist nach zutreffender Ansicht weit auszulegen. Auch aus vertragsähnlichen gesetzlichen Sonderbeziehungen kann daher vor dem Vertragsgerichtsstand des § 29 geklagt werden; in all diesen Fällen ist aber zu beachten, dass die Behauptung, nicht das Vorliegen des Vertragsverhältnisses die Voraussetzungen der örtliche Zuständigkeit nach § 29 begründet. Insofern genügt der vermeintliche Vertrag, dessen Bestand oder – je nach dem Klageantrag – dessen Nichtbestand behauptet wird und damit die schlüssige Behauptung der besonderen Abrede bzw. die, dass nichts verabredet wurde. Ist das Vorliegen eines Vertrages oder im Falle leugnender Klagen die Unwirksamkeit des Vertrages nicht vom Beklagen gestritten, kann der Kläger aber den ihm obliegenden Beweis nicht führen, so wird die Klage daher nicht durch Prozessurteil als unzulässig,

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Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 22. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 22 m.w.N. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 23. Vgl. BeckOK-ZPO/Toussaint § 29 Rdn. 18, 21. Hierzu Wieczorek 2. Auflage, § 29 Rdn. A II.

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sondern durch Sachurteil als unbegründet abgewiesen. Denn über die auf den Vertrag bezogenen streitigen Tatsachen, aus denen sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 29 ergibt, wird kein besonderer Beweis zur Zulässigkeit der Klage erhoben.27 Damit die Klage vor dem örtlich zuständigen Gericht zulässig erhoben wird, kommt es daher auf die Begründetheit des Anspruchs insoweit nicht an.28 3. Verhältnis des Klägers zum zugrundeliegenden Vertragsverhältnis a) Der Kläger muss schon deshalb nicht zwingend an dem Vertragsverhältnis, um 12 das es im Rechtsstreit geht, beteiligt sein, weil auch für seine leugnende Feststellungsklage der Gerichtsstand des Erfüllungsortes begründet ist; es ist insofern davon die Rede, es käme auf das Feststellungsinteresse, nicht auf das materielle Rechtsverhältnis an.29 Unstreitig30 kann daher (a maiore ad minus) vor dem nach § 29 Abs. 1 örtlich zuständigen Gericht der am Vertragsverhältnis Beteiligte wegen der genannten Streitigkeiten Klage auch unabhängig davon erheben, ob er ursprünglich Vertragspartner war; der Erfüllungsgerichtsstand ist daher sowohl für den Gesamt-31 als auch den Sonderrechtsnachfolger32 eröffnet. b) Ausreichend ist, wenn die Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis herrührt, 13 was auch bei Verträgen zu Gunsten Dritter nach § 328 BGB dann der Fall ist, wenn der Dritte die Klage erhebt.33 Gleiches gilt, wenn aufgrund von Vertragsanbahnungen (§ 311 Abs. 2 BGB) ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zu Personen entstanden ist, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen, aber in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nehmen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst haben, und aus culpa in contrahendo klagt (zur Schadenersatzklage wegen Nebenpflichtsverletzungen unten Rdn. 23, 53, 84). Ob der Innenausgleich von Gesamtschuldnern gemäß § 426 Abs. 2 BGB noch unter § 29 Abs. 1 fällt, wie zum Teil vertreten wird,34 lässt sich nicht pauschal beantworten, da sich das Innenverhältnis der Gesamtschuldner nicht zwingend aus dem Vertrag ergibt. Ist dies so, besteht allerdings kein Zweifel an der Anwendbarkeit des § 29. Ergibt sich der Gesamtschuldnerausgleich nicht aus dem Vertragsverhältnis, wäre es eine Überdehnung des Erfüllungsgerichtsstandes, ihn auf diese Fälle zu erstrecken. IV. Anwendungsbereich 1. Anwendbarkeit ohne Rücksicht auf gestellte Klageanträge. Der Anwendungs- 14 bereich des § 29 erfasst positive sowie negative Ansprüche. Grundsätzlich ist er deshalb sowohl bei Leistung (Gestaltung, Duldung, vgl. §§ 737, 743, 745 Abs. 2, 748 Abs. 2) wie bei positiven und negativen Feststellungklagen anzuwenden. Die Vorschrift kommt m.a.W. ohne Rücksicht auf die gestellten Klageanträge zur Anwendung. Gestaltende Leistungsklagen sind hier im Besonderen nach §§ 315, 319, 343, 655 BGB, §§ 133, 142 HGB, wie bei

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RG WarnR 1919, 201. So Wieczorek 2. Auflage, § 19 Rdn. A II a.E. unter Verweis auf RG v. 20.4.1906 II 409/05 N § 29/26. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 12 a.E. Nachw. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 12. BayObLG NJW-RR 2006, 15, 16. BH NJW 2009, 2606. AG Bremen NJW-RR 2011, 823; AG Düsseldorf NJW-RR 2012, 188; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 5. LG Heilbronn BauR 1997, 1073; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 5.

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der ergänzenden Vertragsauslegung nach § 157 BGB denkbar.35 Hierunter fallen auch die Klagen auf Ausschließung eines Gesellschafters aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Gleichgültig ist es dabei, ob die Aufhebung des Vertrags sich auf eine Hauptoder Nebenverpflichtung im weiten Sinne bezieht, ob sie den gesamten Vertrag oder nur einen Teil betrifft (wie die der Herabsetzung der Vertragsstrafe: § 343 BGB oder des Mäklerlohns: § 655 BGB. Unter § 29 fallen auch die Ansprüche, wonach eine Schuld erlassen worden ist (§ 397 BGB), die Gesellschaft (§ 738 BGB) gekündigt, dass ein vertraglich vereinbarter (§ 346 BGB) oder ein vom Gesetz als Vertragsanhalt behandelter Rücktritt ausgeübt worden ist. Soweit Duldungsansprüche für die Gestaltung zu verwirklichen sind, fallen auch die Klagen auf Duldung unter § 29.36 Es ist also gleichgültig, ob die Klage auf Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Vertrages als Rechtsverhältnis37 insgesamt38 oder einzelner Ansprüche,39 einzelner Vertragsverpflichtungen40 gerichtet ist. Dahin gehören auch die (positiven wie die negativen) Feststellungsklagen, dass ein Vertragsverhältnis aufgehoben bzw. nicht aufgehoben ist. Insoweit muss bei jeder Vertragsklage über den Bestand des Vertrags entschieden werden; dann darf es aber auch auf die Parteirolle nicht abgestellt werden. Für den Klage- oder Verteidigungsgrund reicht also das vermeintliche Vertragsverhältnis aus.41 15

2. Einseitige, Erfüllungsansprüche auslösende Rechtsgeschäfte. Das Schuldverhältnis, aus dem sich die Ansprüche herleiten, die der Kläger mit seiner Klage verfolgt, müssen nicht notwendig aus einem gegenseitigen Vertrag herrühren, damit der Erfüllungsgerichtsstand begründet ist. Dies ist zu Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher entschieden worden, aus denen nach § 661a BGB ein Anspruch des Verbrauchers gegen den Unternehmer auf Preiszahlung begründet wird, wenn durch die Gestaltung dieser Zusendungen der Eindruck erweckt wird, dass der Verbraucher einen Preis gewonnen hat. Wenn auch, wie bisweilen vertreten wird,42 der Vorschrift des § 661a BGB deliktsähnliche und wettbewerbsrechtliche Elemente zukommen mögen, greift § 29 nach richtiger Ansicht ebenfalls bei einer Klage auf Barauszahlung einer Gewinnzusage im Versandhandel gemäß § 661a BGB.43 Zwar ist die dogmatische Einordnung des § 661a BGB noch nicht eindeutig,44 doch wird überwiegend vertreten, dass § 661a BGB ein gesetzliches Schuldverhältnis regelt.45 Es handelt sich unzweifelhaft um eine Anspruchsnorm.46 Somit begründet die Gewinn-

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35 So Wieczorek 2. Auflage § 29 Rdn. B II unter Verweis auf RG v. 20.6.1923 I Recht 1216; RArbG v. 10.11.1928 – HRR 29/409. 36 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 6. 37 LG Saarbrücken WM 1985, 939, 940. 38 RGZ 23, 424, 426. 39 RG JW 1895, 504. 40 RGZ 83, 81, 86 bei der Schadensersatzpflicht wegen angeblicher Vertragsverletzung. 41 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 5. 42 BGH, Urt. v. 1.12.2005 – III ZR 191/03 = BGH NJW 2006, 230, 233. 43 OLGR Düsseldorf 2005, 348 im Anschluss an OLG Dresden, 7.9.2004 – 8 W 670/04; entgegen OLG Karlsruhe, 28.11.2003 – 15 AR 49/03. 44 So wird die Gewinnzusage i.S.d. § 661a BGB nicht mehr als einseitiges Rechtsgeschäft betrachtet: Lorenz JuS 2000, 883, 842; ders. NJW 2000, 3305, 3307; Jauernig-BGB/Mansel § 661a BGB Rdn. 1; a.A. Staudinger/Bergmann § 661a BGB Rdn. 16 f.; BGH NJW 2003, 426, 427. Sie wird nunmehr überwiegend als rechtsgeschäftsähnliche Handlung verstanden: BGH NJW 2006, 230, 232; BGH NJW 2004, 1652, 1653; Lorenz NJW 2006, 472; Palandt/Sprau § 661a BGB Rdn. 2. 45 BGH NJW 2006, 230, 232; Jauernig-BGB/Mansel § 661a BGB Rdn. 1 m.w.N. auch zur Gegenansicht; kritisch auch MünchKomm-BGB/Seiler § 661a BGB Rdn. 4. 46 BGH ZIP 2004, 38; Jauernig-BGB/Mansel § 661a BGB Rdn. 1; MünchKomm-BGB/Seiler § 661a BGB Rdn. 4.

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zusage i.S.d. § 661a BGB keine Schadensersatz-, sondern Erfüllungsansprüche begründet.47 3. Gestaltungsklagen. Gestaltungsklagen werden vom Gerichtsstand des § 29 so- 16 weit erfasst, wie sie die Anpassung des Vertrages etwa wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zum Gegenstand haben oder auf Bestimmung der vertragsgemäßen Leistung gerichtet sind.48 Wie bereits unter Rdn. 7, 14 ausgeführt, sind gestaltende Leistungsklagen im Beson- 17 deren nach §§ 315, 319, 343, 655 BGB, §§ 133, 142 HGB, wie bei der ergänzenden Vertragsauslegung nach § 157 BGB denkbar.49 4. Leistungsansprüche auf Grund der Aufhebung eines Vertrages a) Auch bei Leistungsansprüchen auf Grund der Aufhebung eines Vertrages geht es 18 um Erfüllungsansprüche.50 So können zudem auch Erfüllungsansprüche auf Aufhebung gerichtet sein, wie der Befreiungsanspruch bei der Bürgschaft (§ 775 BGB).51 Das entsprechende gilt für Klagen auf Erteilung der Löschungsbewilligung eines Rechts, wenn sie auf Grund des Vertrags begehrt wird.52 Ein Vertrag kann aber auch unabhängig vom Partei- und Gerichtswillen aufgehoben werden, wie etwa im Fall des Todes eines Vertragsteils nach §§ 727 ff. BGB oder kraft auflösender Bedingung nach §§ 159, 160 Abs. 2 BGB (die unter aufschiebender gehören entweder in die Reihe der zu erfüllenden oder der nicht erfüllten Ansprüche, §§ 159, 160 Abs. 1 BGB) und (in beiden Fällen) nach §§ 161, 162 und 163 BGB. b) Klagen aus vertraglichen Rückabwicklungsverhältnissen53 werden demzufol- 19 ge ebenfalls vom Bereich der Streitigkeiten gemäß § 29 erfasst, so wenn Leistungen wegen der Ausübung vertraglicher Rücktrittsrechte gemäß § 346 BGB geltend gemacht werden,54 aber auch – nach dem bis zum 31.12.2001 geltenden Recht – bei Klagen aufgrund der Ausübung gesetzlicher Rücktrittsrechte wegen Leistungsstörungen gemäß §§ 323 ff. BGB,55 wegen Streitigkeiten aufgrund Wandelung oder Minderung gemäß §§ 461 ff. BGB oder der Erfüllung von Werkverträgen.56 Die Vorschrift erfasst Streitigkeiten aus Vertriebsvereinbarungen, die einem Makler Provisionsansprüche einräumen.57 Zudem ist für Klagen der Gerichtsstand des § 29 eröffnet, die darauf gerichtet sind, 20 das Schuldverhältnis durch gerichtliches Urteil aufzuheben. Dies ist bei Klagen der Fall, mit denen der Kläger bei Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB die Anpassung oder Aufhebung des Vertrags verlangt.58

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BGH NJW 2003, 426 ff., sowie BGH NJW 2003, 3620 f. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 7. So Wieczorek 2. Auflage § 29 Rdn. B II m.w.N. Wieczorek 2. Auflage, § 29 Rdn. B IIb 2. Näher hierzu MünchKomm-BGB/Habersack § 775 BGB Rdn. 6 ff. RG JW 1886, 410. Döhmel Der Leistungsort bei der Rückabwicklung von Verträgen (1997). RGZ 32, 430, 431 f. LG Köln DAR 2000, 270. BayObLGR 2000, 56. KGR 2000, 232. Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 11.

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5. Schadenersatzklagen 21

a) Schadensersatzklagen gehören zu den vom Begriff der Streitigkeiten gemäß § 29 umfassten Angelegenheiten, wenn sie wegen der Verletzung vertraglicher Haupt- oder Nebenleistungspflichten seitens des Beklagten gegen diesen erhoben werden.59 Dabei folgt er Gerichtsstand der Nebenansprüche dem der Hauptsache.60 Folglich umfasst § 29 die Ansprüche auf Entschädigung wegen Nichterfüllung oder nicht gehöriger Erfüllung, d.h. die Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung (§ 280 BGB) wie die aus Verzug (286 BGB) wie die aus Nebenfolgen. Hierzu sind Vertragsstrafen u.dgl.m. zu zählen, deren Herabsetzung zur teilweisen Aufhebung des Vertrages gehört; den Anspruch aus der Nebenfolge darf man zugleich als Erfüllungsanspruch ansehen. Es ist also hierbei unerheblich, ob der Erfüllungsanspruch neben dem Entschädigungsanspruch bestehen geblieben61 oder erloschen ist; zumindest gehören hierher der auf das negative Interesse nach § 122 BGB wie der nach § 179 BGB, wenn man sie nicht schon unter den Begriff des Erfüllungsanspruchs bringt. Wird Entschädigungsanspruch neben dem Erfüllungsanspruch geltend gemacht, so kommt es nur auf den Erfüllungsort des Hauptanspruchs an.62 Abgesehen davon tritt der Entschädigungsanspruch als Ersatz oder als Ergänzung für nicht gehörige Erfüllung63 auf und ist deshalb regelmäßig am selben Ort wie der Hauptanspruch zu erfüllen.64 Es kommt auch in dem Fall des § 487 Abs. 2 BGB auf den Ort des Hauptanspruchs an, auch wenn der Klageantrag dahin geht, dass festgestellt werden soll, dass der Kläger nicht verpflichtet sei, den Kaufpreis zu zahlen.65 Dies gilt also auch, wenn der Anspruch auf Erfüllung durch den Entschädigungsanspruch entfallen ist.66 Abweichend hat das RG,67 entschieden wenn die Vertragserfüllung unmöglich ist: dann sei der Erfüllungsort dort, wo die Geldverpflichtung zu erfüllen sei, und auch, wenn das Bestehen oder Nichtbestehen einer Schadensersatzpflicht festgestellt werden soll.68 Eine örtliche Zuständigkeit für die auf Zahlung einer Vertragsstrafe gerichtete Klage lässt sich aus § 32 nicht herleiten. Dass Anlass für die Abgabe des Vertragsstrafenversprechens der Vorwurf unerlaubter Handlungen (hier Schutzrechtsverletzungen) gewesen ist, ändert nichts daran, dass in der Forderung der Vertragsstrafe die Geltendmachung eines vertraglichen Anspruchs und nicht die Erhebung von Ansprüchen wegen unerlaubter Handlung liegt.69

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b) Zu den Schadenersatzansprüchen, die vor dem Gerichtsstand des § 29 verfolgt werden können, zählen insbesondere auch die Ansprüche nach den §§ 280, 283 BGB wegen Verletzung vertraglicher Pflichten, sei es die wegen Nichterfüllung des Vertrages,70 sei es wegen der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten71 wie im Falle von durch Sorg-

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59 OLGR Karlsruhe 2000, 403 (Vertragsstrafe gegen BGB-Gesellschaft). 60 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 18, 23. 61 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 5. 62 KG OLG 19/132, 133; § 29 B IIId 2. 63 RGZ 40, 408, 410. 64 So Wieczorek 2. Auflage § 29 Rdn. B IIb 4 unter Verweis auf RG JW 1910, 23, RG v. 26.2.1907 II 354/06 N § 29/27. 65 RG JW 1905, 137, RGZ 55, 423, 425. 66 RGZ 40, 408, 409. 67 RG JW 1899, 255. 68 So Wieczorek 2. Auflage § 29 Rdn. B IIb 4 a.E. unter Verweis auf BArbG AP § 36/4, RGZ 83, 81, 86. 69 LG Mannheim BB 2010, 2382. 70 Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 10; MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 8; Vorauflage/Hausmann § 29 Rdn. 19, 23. 71 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 8.

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faltspflichtverstöße bewirkten Schädigungen des Klägers. Auch für Schadenersatzklagen wegen culpa in contrahendo (vgl. § 311 Abs. 2 BGB) ist der Erfüllungsgerichtsstand begründet. Ob die überkommene Qualifikation dieser Ansprüche als Erscheinungsformen einer nicht rechtsgeschäftlich begründeten Haftung72 überzeugen konnte, mag hier dahinstehen. Für den Umgang mit der Bestimmung des Erfüllungsgerichtsstandes kann aber zwanglos auf die materiell-rechtliche Ausgestaltung der culpa in contrahendo im geltenden Recht zurückgegriffen werden. Denn die Anbahnung von Vertragsverhandlungen begründet, wie das Gesetz ausdrücklich bestimmt, bereits ein Schuldverhältnis, kraft dessen der Gläubiger vom Schuldner ein Tun oder Unterlassen fordern kann, § 241 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB; die Klage auf Erfüllung der in dem Schuldverhältnis aus § 311b BGB geschuldeten Leistung begründet den Erfüllungsgerichtsstand des § 29.73 Fälle des culpa in contrahendo sind daher auch als „vertragsähnliche“ Schuldverhältnisse dem Anwendungsbereich des § 29 unterworfen worden74 – wofür durchaus viel spricht. Problematisch ist indes, dass mit der Regelung des Art. 12 der Rom-II-Verordnung Fälle des Verschuldens bei Vertragsschluss in den gesetzessystematischen Zusammenhang gesetzlicher Schuldverhältnisse eingeordnet worden sind, was es schwerer fallen lässt, sie begrifflich über strukturelle Ähnlichkeitserscheinungen dem Vertrag zuzuordnen.75 Stellt man sich freilich auf den Standpunkt, dass auch insofern kein vertragliches, sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis vorliegt, würde es an der Voraussetzung fehlen, dass vor dem Gerichtsstand des § 29 vertragliche Ansprüche geltend zu machen sind. Zutreffend wird aber darauf hingewiesen,76 dass eine Orientierung am Wortlaut des § 29 insoweit nicht wirklich weiterhilft. Denn vor der Gerichtsstandsnovelle von 1974 erfasste der § 29 seinem Wortlaut nach unproblematisch auch Klagen auf Schadenersatz wegen culpa in contrahendo. Dass der Gesetzgeber mit der geltenden Formulierung des § 29 seine bis dahin unstreitige Reichweite beschränken wollte, ist nicht feststellbar, so dass auch eine „materiell-rechtsfreundliche“ Auslegung des Prozessrechts77 an der Einbeziehung der culpa in contrahendo in den Anwendungsbereich des § 29 festzuhalten vermag. Hierfür spricht im Übrigen weiter, dass für die Verletzung der aus §§ 311b Abs. 2, 241 Abs. 1 BGB hervorgehenden Pflichten ebenso wie für andere Pflichtverletzungen § 280 Abs. 1 BGB greift; auch dies legt den Gleichlauf auch in prozessrechtlicher Hinsicht in der Auslegung des § 29 nahe.78 6. Nebenansprüche. Aus dem Gedanken des Sachzusammenhangs folgen Neben- 23 ansprüche dem Gerichtsstand der Hauptsache.79 Hierzu zählen der Anspruch auf Verzugszinsen ebenso wie der Anspruch auf Auskunftserteilung oder der auf Rechnungslegung. Der Anspruch auf Erteilung des Buchauszuges an den Handelsvertreter folgt dem Gerichtsstand des Provisionsanspruchs.80 Ferner kann der Anspruch auf Abnahme der Ware am Gerichtsstand der Klage auf Kaufpreiszahlung geltend gemacht werden.81

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72 Näher hierzu: BeckOK/Toussaint § 29 Rdn. 13, 13.1; Vorauflage/Hausmann § 29 Rdn. 5. 73 BeckOK/Toussaint § 29 Rdn. 13, 13.1; Vorauflage/Hausmann § 29 Rdn. 5. 74 Vorauflage/Hausmann § 29 Rdn. 76; vgl. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 11. 75 Wenn auch Art. 12 Rom-II-VO akzessorisch zum Vertrag ist, MünchKomm-BGB/Spellenberg Art. 12 VO (EG) 864/2007 Rdn. 2. 76 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 18. 77 Stein/Jonas/Brehm22 Vor § 1 Rdn. 92 ff. 78 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 18. 79 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 3; Vorauflage/Hausmann § 29 Rdn. 30 m.w.N.; Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25 „Nebenpflichten“. 80 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25 „Handelsvertretervertrag“. 81 RGZ 56, 138.

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7. Klagen aus der Haftung gesellschaftsrechtlicher Organe gegenüber ihren Verbänden. Die Klagen aus der Haftung gesellschaftsrechtlicher Organe gegenüber ihren Verbänden aus §§ 92 f., 116 AktG, § 43 GmbHG, §§ 34, 41 GenG werden unter § 29 gefasst. Denn diese Klagen haben keine Ansprüche mit deliktsrechtlichem Charakter zum Gegenstand, sondern sind in den quasivertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten angelegt. Aus diesen Gründen greift § 29 auch für Klagen aus Verträgen zwischen den Parteien aus Lebenspartnerschaften,82 sowie für Klagen auf Zustimmung zur Auszahlung von Auseinandersetzungsguthaben nach Beendigung einer GbR.83 Unter § 29 fallen weiter die Klagen gegen den Gesellschafter aus § 128 HGB,84 die auf §§ 161, 171 HGB gestützte Klage gegen den Kommanditisten auf Haftung für Vertragsverbindlichkeiten der KG,85 die Klage wegen Haftung des Handelnden gemäß § 11 Abs. 2 GmbHG, § 41 Abs. 1 S. 2 AktG,86 Klagen gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 BGB87 sowie Ansprüche aus dem Verhältnis der Wohnungseigentümer gegeneinander.88 Ferner ist der Gerichtsstand des § 29 auch unabhängig davon begründet, ob sie gegen den Rechtsnachfolger des Vertragspartners des Klägers gerichtet wird.89 8. Gesetzliche Schuldverhältnisse

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a) Nicht unter § 29 gehören alle Ansprüche, die auf keinem schuldrechtlichen Vertrage beruhen. Klagen wegen Ansprüchen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen, also solche aus Delikt nach §§ 823 ff. BGB (s. § 32) oder Geschäftsführung ohne Auftrag können nicht vor dem Gerichtsstand des § 29 erhoben werden. In Fällen kondiktionsrechtlicher Klagen ist zu unterscheiden: Im Allgemeinen gilt, dass für diese Klagen der Gerichtsstand des § 29 nicht eröffnet ist90 – es handelt sich schließlich ex definitione nicht um vertragliche Ansprüche. Dagegen wird die Ansicht vertreten, der Kläger sei im Hinblick auf den Gerichtsstand des § 29 besonders deshalb und dann schutzbedürftig, wenn die Nichtigkeit des Vertrages, auf den hin zu kondizierende Leistung erbracht worden sind, auf einem Verhalten des Beklagten beruhe.91 Gewiss ist die Überlegung, die dieser Ansicht zugrunde liegt, nachvollziehbar: So zeitigt das Gegenseitigkeitsverhältnis nach der Saldotheorie Wirkungen auch auf das Rückabwicklungsverhältnis, weshalb die Anwendung des § 29 gerechtfertigt erscheint.92 Dem Kläger soll angesichts des Verhaltens des Beklagten wenigstens durch die Gewährung des Erfüllungsgerichtsstandes geholfen werden. Damit wird aber verkannt, dass diese Ansicht die Begründung des Gerichtsstandes gemäß § 29 von einem entsprechenden Vortrag des Klägers abhängig macht.

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b) Solche Ansprüche haben auch ihren Erfüllungsort, etwa im Falle des Anspruchs aus § 812 Abs. 1 BGB nach wirksamer Kaufanfechtung wegen der Rückzahlung des Kaufentgelts, am Wohnsitz des Verkäufers, auch wenn gleichzeitig gegen ihn auf Rücknahme

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Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 8; a.A. Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 10. OLG Zweibrücken EWiR 1/98, 911 m. Anm. Schneider. RGZ 32, 44 f. RGZ 46, 352 f. OLG München OLGZ 1966, 424, 425 f. OLG Hamburg MDR 1975, 227. OLG Stuttgart Justiz 200, 85. Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 7. BGH LM Nr. 1; BayObLG BB 1990, 2442; RGZ 2, 410; 26, 388. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 6 a.E. Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 14.

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der Ware geklagt wird;93 aber nicht den Gerichtsstand aus § 29.94 Dazu gehören die auf Gesetz (ohne vertragliche Grundlage) gestützten Ansprüche, wie die aus Geschäftsführung ohne Auftrag;95 die aus Bereicherung (§§ 812 ff. BGB), selbst wenn sie aus einem nichtigen Vertrage stammen.96 9. Anfechtungsklagen. Insolvenzanfechtungsklagen gemäß §§ 129 ff. InsO oder 27 Gläubigeranfechtungsklagen nach §§ 3 ff. AnfG97 können die Rückabwicklung von Erfüllungshandlungen des Schuldners gegenüber seinem Gläubiger als späterem Anfechtungsgegner zum Gegenstand haben. Gleichwohl ergeben sie sich nicht aus dem Vertragsverhältnis zwischen dem Schuldner und seinem Gläubiger/Anfechtungsgegner, sondern aus dem Vollstreckungs- bzw. Gesamtvollstreckungsverhältnis zum klagenden Zwangsvollstreckungsgläubiger bzw. dem Insolvenzverwalter. Anfechtungsklagen können daher nicht vor dem Vertragsgerichtsstand erhoben werden. 10. Aussonderungsklagen. Dagegen ist die örtliche Zuständigkeit nach § 29 für Aus- 28 sonderungsklagen gegen den Insolvenzverwalter begründet,98 vorausgesetzt, dass mit der Klage Ansprüche des Aussonderungsberechtigten aus der Rückabwicklung eines Schuldverhältnis zwischen Aussonderungsberechtigtem und Insolvenzschuldner betrieben werden soll, also nicht bei dinglichen Herausgabeansprüchen; Wegen Klagen von Massegläubigern aufgrund der Erfüllungswahl des Verwalters gemäß § 103 InsO kommt demgegenüber § 29 zum Zuge. 11. Familienrechtlich begründete besondere Bereicherungsansprüche a) Als selbstständige Bereicherungstatbestände fallen Ansprüche aus §§ 1301, 812 ff. 29 bzw. §§ 531 Abs. 2, 812 ff. BGB nicht in den sachlichen Geltungsbereich des § 29. Wegen seiner besonderen Rechtsnatur kann das Verlöbnis als Vertragsverhältnis im weiteren Sinn anderen schuldrechtlichen Vereinbarungen nicht gleichgesetzt werden.99 Die Unklagbarkeit der Einlösung des Eheversprechens sowie die Rechtsnatur der Ansprüche aus §§ 130 Abs. 1,100 531 Abs. 2 BGB als selbstständige Bereicherungsansprüche schleißen eine Anwendung des § 29 aus.101 Im Interesse des Einklangs internationaler Rechtsanwendung und der Einheitlichkeit der Auslegung von Staatsverträgen ist eine internationale Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs, die die Entscheidungskompetenz eines für deliktische Ansprüche zuständigen Gerichts auf alle konkurrierenden, auch nicht-deliktischen Ansprüche ausdehnt, nach der ablehnenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für den Geltungsbereich des EuGVÜ (EuGVVO)102 auch in Fällen mit Auslandsbezug zu verneinen. Eine akzessorische Anknüpfung des Delikts- an das Verlöbnisstatut lehnt der erkennende Senat wegen der besonderen, mit anderen Vertragsverhältnissen nicht vergleichbaren Rechtsnatur des – in anderen Ländern als selbstständiges Rechts-

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RGZ 49, 421, 423. BGH NJW 1962, 739 = MDR 1962, 399. Wieczorek 2. Auflage § 29 Rdn. B IIa 2 unter Verweis auf RG Gruch. 50/423, RG JW 1905, 293. Wieczorek 2. Auflage § 29 Rdn. B IIa 2 m.w.N. BayObLG BB 1990, 2442. RGZ 31, 392, 393; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 5. Vgl. BGHZ 20, 195 und BGHZ 28, 375, 377. RGZ 23, 172; entgegen OLG Celle MDR 1949, 368. BGH LM Nr. 8 (7/1996) m. Anm. Geimer = NJW 1996, 1411, 1412. Vgl. EuGH NJW 1988, 3088 m. Anm. Geimer auf entsprechende Vorlagefrage des BGH WM 1987,

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institut nicht bestehenden – Verlöbnisses und wegen grundlegender Unterschiede von Voraussetzungen und Inhalt der im Wesentlichen schuldunabhängigen Ansprüche aus Rücktritt vom Verlöbnis und damit zusammenhängender unerlaubter Handlungen ab. 30

b) Eine Inanspruchnahme des Ehegatten wegen der Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung103 auf der Grundlage der in § 1357 BGB enthaltenen gesetzlichen Verpflichtungsermächtigung ist nicht in dem einheitlichen Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes gemäß § 29 Abs. 1 am Sitz der Klinik möglich.104 Zwar führt § 1357 Abs. 1 BGB auf Rechtsfolgenseite regelmäßig zu einer Gesamtschuldner- und -gläubigerschaft gemäß §§ 421, 428 BGB. Kann aber die dem anderen Ehegatten geschuldete Hauptleistung, wie im vorliegenden Fall einer medizinischen Heilbehandlung, bereits ihrer Natur nach alleine von diesem in Anspruch und Empfang genommen werden, erschöpft sich die Mitberechtigung gemäß § 1357 Abs. 1 BGB letztlich in einer einseitigen gesetzlichen Solidarhaftung des Ehegatten. In einer derartigen Konstellation wird es von der Judikatur als „mit der prozessualen Gerechtigkeit“ nicht mehr zu vereinbaren angesehen, den anderen Ehegatten nach Maßgabe von § 29 Abs. 1 für gerichtspflichtig zu halten, zumal dieser in Fällen einer stationären klinischen Versorgung bereits im Verhältnis der Hauptparteien zu einem systemfremden Klägergerichtsstand führt. Dies gilt umso mehr, als der BGH105 den in eben diesem Hauptverhältnis am Sitz der Klinik lokalisierten Gerichtsstand einzig auf in dem Patientenverhältnis wurzelnde Umstände stützt, namentlich auf den am Ort der Klinik belegenen Schwerpunkt der dem Patienten zu erbringenden Leistung, der dort erforderlichen Mitwirkung des Patienten und die Bindung der gesamten Vertragsdurchführung an dessen persönliche Anwesenheit im Krankenhaus.106 Diese Erwägungen können aber selbst bei Annahme eines „Vertragsverhältnisses“ i.S.v. § 29 Abs. 1 auch im Verhältnis zu dem bloß mithaftenden Ehegatten diesem gegenüber nicht durchschlagen, da nach einhelliger Auffassung auch bei Gesamtschuldnern der Erfüllungsortsgerichtsstand anhand der im jeweiligen Einzelverhältnis vorliegenden Gegebenheiten nach eigenständigen Kriterien festzustellen ist.107

31

12. Verfügungsverträge. Verfügungsverträge fallen nicht unter § 29.108 Nicht unter § 29 fallen daher dingliche Verträge, mögen sie sich auf sachrechtliches Gebiet, wie bei der dinglichen Einigung (vgl. §§ 873, 877, 925, 929 ff., 1032, 1205 BGB), der beim Besitz (§§ 8154 ff. BGB) beziehen oder unmittelbar auf die Abgabe der Willenserklärung einer Partei gerichtet sein (§ 894 BGB), mögen sie dem reinen Schuldrecht (§ 398 BGB), dem Sachenrecht (§§ 1069–1274 BGB), dem Familienrecht (§§ 1711, 1750 BGB) oder dem Erbrecht (§ 2033 BGB) angehören. Auch Erbverträge sind keine obligatorischen Verträge, weil der Erblasser nicht zu einer Leistung verpflichtet wird;109 Ansprüche aus § 47 InsO auf Aussonderung beruhen auf dinglichem Recht und fallen insoweit nicht unter § 29,110 denn der bloß schuldrechtliche Vertrag führt nicht zur Aussonderung nach § 47 InsO.

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103 104 105 106 107 108 109 110

Zur Übersicht: Hauser MedR 2006, 332; Schinnenburg MedR 2001, 402. LG Heidelberg FamRZ 2014, 956. BGH NJW 2012, 860. BGH NJW 2012, 860. BayObLG, Beschl. v. 28.10.1997 – 1 Z AR 74/97. OLG Celle MDR 1962, 992. OLG Celle MDR 62/992 bei Streit um den Widerruf eines Erbvertrages. RGZ 31, 392, 393.

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V. Bestimmung des Erfüllungsort i.S.v. § 29 Abs. 1 1. Ort der Vornahme der Leistungshandlung. Der Erfüllungsort bestimmt sich 32 nach materiellem Recht, §§ 269, 270 BGB. Danach ist der Erfüllungsort derjenige Ort, an dem nach den gesetzlich bestehenden Vorschriften die im Streit befindlichen vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen sind.111 Gemeint ist damit entgegen dem missverständlichen Wortlaut112 des § 29 Abs. 1 nicht der Ort des Eintritts des Leistungserfolges. Vielmehr kommt es auf den Leistungsort an, den das materielle Recht als den Ort bezeichnet, an dem die Leistungshandlung vorzunehmen ist.113 Daher ist für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts bei einer Zahlungs- 33 klage grundsätzlich vom Sitz des Schuldners als Erfüllungsort auszugehen. Das gilt auch dann, wenn sich der Anspruch aus der Verpflichtung des Schuldners ableitet, einen Zahlungsbeitrag zur Errichtung oder Anschaffung einer bestimmten Sache zu leisten wie z.B. ein Lärmschutzwall, denn der Vertrag über die Bezahlung der Errichtung selbst verpflichtet gerade keinen der Beteiligten, diese Leistung eigenhändig vor Ort zu erbringen. 2. Maßgeblichkeit der Parteivereinbarungen. Nach § 269 Abs. 1 1. Var. BGB ent- 34 scheidet über den tatsächlich möglichen Erfüllungsort die Parteivereinbarung, sofern keine Sonderregelungen zum Zuge kommen. was zunächst nicht über eine abweichende Vereinbarung des Leistungsortes nach § 29 Abs. 2, sondern auf die „Natur“ des vereinbarten Vertragsverhältnisses verweist. Grundsätzlich ergibt sich daher aus der vertraglichen Regelung, wo zu erfüllen ist. Bei dem Kauf einer beweglichen Sache, die zu versenden ist, kann sowohl der Ort, wohin zu versenden ist, als Erfüllungsort bestimmt werden, wie aber auch der, von dem aus versandt wird (vgl. § 447 BGB). Insoweit bestimmt allein die Vertragsabrede den ,,tatsächlichen“ Erfüllungsort. Dies kann ausdrücklich in vertraglichen Regelungen vorgesehen sein; ob dann § 29 Abs. 1 zur Anwendung gelangt, hängt davon ab, ob ein Fall vorliegt, der § 29 Abs. 2 unterfällt (unten Rdn. 82). Ist dies nicht der Fall, ergibt sich der Erfüllungsort nach dem Gesetz aus den „Umständen“ (§ 269 Abs. 1 BGB). In diesem Zusammenhang kann vom „tatsächlichen Erfüllungsort“ gehandelt werden. Im Gegensatz dazu steht der fingierte Erfüllungsort, wo die Parteien vereinbarten, dass unabhängig davon, wo tatsächlich zu erfüllen ist, der „Sitz“ des Vertrages angenommen werden soll. Im Übrigen begründet sie auch keinen Erfüllungsort; wenn auch die Parteien (möglicherweise) dann sich so behandelt wissen wollten, wie wenn sie in Bezug auf sonstige Rechtsfolgen dort erfüllen könnten (etwa in Bezug auf das Rechtsverhältnis anzuwendende Recht oder in Bezug auf den Gerichtstand). Insoweit wäre dann der Parteiwille zu beachten, sofern nicht zwingendes Recht dagegen steht; also unter den durch das Verfahrensrecht mit § 38 gesetzten Rahmenbedingungen.114 Danach begründet die Vereinbarung eines fiktiven Erfüllungsortes keinen solchen, aber einen Gerichtstand entsprechend der Fiktion nur, wenn die Formen des § 38 gewahrt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Begründung eines Erfüllungsorts nach den Umständen des Falles regelmäßig dem mutmaßlichen Willen beider Parteien entspricht.115 3. Gesetzlicher Erfüllungsort. Ein gesetzlicher Erfüllungsort ergibt sich neben den 35 zitierten Vorschriften weiterhin aus den §§ 374 (Hinterlegung bei der Hinterlegungsstelle

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MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 20. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 3. Statt aller: MünchKomm-BGB/Krüger § 269 BGB Rdn. 2. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 21. Mugdan Materialien für das Bürgerliche Gesetzbuch Bd. 2 1899, S. 524; Balthasar Jus 2004, 571 ff.

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des Leistungsortes), 604 (den Entleiher trifft wegen der Rückgabepflicht die Bringschuld), 697, 700 (Verwahrungsort als Rückgabeort), 811 (Vorlegung von Sachen am Ort, an dem sie sich befinden), 1194 BGB (Sitz des Grundbuchamtes als Ort der Zahlung von Kapital und Zinsen), § 36 VVG Wohnsitz des Versicherungsnehmers als Ort der Prämienzahlung), Art. 1 Nr. 5 und Art. 75 Nr. 4 WG (Angabe des Zahlungsortes), 2 Abs. 3 und § 76 Nr. 3 WG (Ortsangabe beim Namen des Bezogenen), Art. 1 Nr. 4, 2 Abs. 2, 3 ScheckG. Handelt es sich um synallagmatisch verknüpfte Leistungspflichten, ist nicht zwingend ein einheitlicher Erfüllungsort gegeben; vielmehr ist der Erfüllungsort für jeden Vertragspartner gesondert festzustellen.116 Dies gilt auch für die Geltendmachung mehrerer Ansprüche.117 36

4. Kritik materiell-rechtlicher Begründung des Erfüllungsortes. Über den Erfüllungsort, der mit dem Leistungsort im Sinne von § 269 BGB gleichbedeutend ist, entscheidet sowohl in rein nationalen als auch in internationalen Fällen das materielle Recht, das auf den betreffenden Vertrag anzuwenden ist.118 Das deutsche Kollisionsrecht entscheidet, ob deutsches oder ausländisches materielles Recht Anwendung findet, so dass in der Erfüllungsort lex causae qualifiziert wird.119 Die materiell-rechtliche Begründung des Erfüllungsortes wird von einem prozessrechtlichen Standpunkt aus kritisiert.120 Die materiell-rechtliche Anknüpfung führt besonders bei Unterlassungsklagen nicht zu einer Bestimmbarkeit des Gerichtsstandes nach § 29, da es an einem materiellen Erfüllungsort fehlt, sofern sich nicht aus den Beziehungen der Parteien ergibt, dass die verbotene Handlung an einem bestimmten Orte zu unterlassen ist.121 Wenn daher entschieden wird, Unterlassungsklagen hätten den Gerichtsstand an dem Ort, an dem der Schuldner bei Begründung der Unterlassungspflicht seinen Sitz hatte,122 zeigt dies eher die Probleme der Zuständigkeitsbestimmung in diesen Fallgestaltungen, als dass es die aufgeworfenen Fragen klärt.123 Dies gilt auch in solchen Fällen, in denen sich die Unterlassungspflicht über ein ausgedehnteres Gebiet erstreckt; dadurch werden also nicht alle in dem betreffenden Gebiet sitzende Gerichte zuständig.124 Kommt eine Unterlassungspflicht nur an einem bestimmten Ort in Betracht, ist dort die Zuständigkeit begründet.125 Es wird daher nicht bezweifelt, dass die Bestimmung des Erfüllungsortes vom materiellen Recht her mit einem Verlust an Vorhersehbarkeit des schließlich örtlich zuständigen Gerichts bei der Auslegung des § 29 einhergeht. Dies wird von Schack126 kritisiert. Er schlägt vor, an die Stelle der materiell-rechtlich begründeten Auslegung einen prozessualen Begriff des Erfüllungsortes zu setzen. Ein prozessual zu definierender Erfüllungsort soll danach neben der Parteivereinbarung auf den Standort des Vertragsgegenstandes, den Arbeitsort und den Sitz der Parteien zurückgreifen.127 Damit ist eine Anlehnung an den interna-

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116 BayObLG BB 1983, 1696. 117 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 22. 118 Roth FS Schlosser (2005) S. 773. 119 Roth FS Schlosser (2005) S. 774. 120 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 30, vgl. dort aber auch Rdn. 21a, 23a; ferner Martiny JZ 1986, 1000; Dubiel Der Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstandes im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht, 2010. 121 OLG Karlsruhe OLG Rspr. 11, 382; MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 86. 122 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 86; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 81. 123 RGZ 51, 311. 124 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25. 125 BGH NJW 1986, 935. 126 Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rdn. 199. 127 So Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rdn. 201.

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tionalen Gerichtsstand nach Maßgabe der tatsächlichen Leistungserbringung nach Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO verbunden. Diese Vorschrift definiert den Erfüllungsort für den Verkauf beweglicher Sachen als den Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen bzw. für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Schacks Ansatz ist daher geeignet, den Gleichlauf des deutschen autonomen internationalen Zuständigkeitsrechts des § 29 (unten Rdn. 102 ff.) mit der EuGVVO sicherzustellen, stellt sich doch aber die Frage, ob sein Ansatz für innerdeutsche Sachverhalte hilfreich ist. Denn er zwingt das Gericht dazu, einen prozessualen Erfüllungsort im Rahmen der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit zu prüfen, während zur Beurteilung der Begründetheit der Klage auf die materiell-rechtlichen Kriterien des § 269 BGB zurückzugreifen ist.128 Schack129 hat darauf hingewiesen, dass § 29 Abs. 2 den Erfüllungsort, der durch die 37 in der Vorschrift genannten Personen eine wirksame Vereinbarung über den Erfüllungsort getroffen haben, den prozessual maßgeblichen gesetzlichen Erfüllungsort von dem Erfüllungsort abgekoppelt, der materiell-rechtlich gegeben ist. Damit wird, wie Schack ausführt, die Identität von Leistung- und Erfüllungsort durchbrochen. Eine solche Durchbrechung von der Identität von Leistungs- und Erfüllungsort greift insbesondere auch, wie Schack130 überzeugend ausführt, dort, wo es wie im Falle von Unterlassungspflichten an einem materiellen Leistungsort fehlt. Dies greift weiter bei Zug-um-ZugLeistungen. Auch hier kommt es nicht selten aus prozessualen Erwägungen zu Regelungen, die zu einer Menge Manipulation des Erfüllungsortes führen.131 Die von Schack beschriebene Abkoppelung des prozessual maßgeblichen Erfüllungsortes legt es nahe, zwischen der Funktion des Erfüllungsorts im materiellen Recht und dem Prozessrecht zu unterscheiden – was bei einer näheren Analyse der Judikatur eine Bestätigung findet. Im Rahmen von Arbeitsverträgen legt dies eine Anknüpfung an den Arbeitsort nahe. Geht es um Zahlungspflichten des Schuldners, bleibt es bei der allgemeinen Orientierung am Wohnsitz oder Sitz des Schuldners und im Übrigen beim Standort des Vertragsgegenstandes im Allgemeinen. Die hieran geübte Kritik132 fällt hinter die von Schack gewonnene Differenzierung zurück. So argumentiert Hausmann damit, es sei im „Regelfall“ durchaus angemessen, dass der Gläubiger die Durchsetzung der vertraglich ausbedungenen Leistung an dem Orte gerichtlich betreiben könne an der er sie einzufordern berechtigt sei. Und es wird weiter die Behauptung aufgestellt, die Gerichte seien überfordert, wenn sie einen prozessualen Vertrags-Erfüllungsort von dem materiell-rechtlichen heraus zu bilden aufgefordert wären. Dies übergehe die den Gerichten zumutbare Rechtsfortbildung. Daran nun kann man aber deshalb zweifeln, weil sich die Aufgabe einer solchen Ausdifferenzierung aus dem positiv gesetzlichen Rechts selbst ergibt, der Anlass für die Unterscheidung zwischen materiell-rechtlichen und prozessualen Erfüllungsort unter anderem die Regelung des § 29 Abs. 2 ist. Und in der Tat setzen die Gerichte an dieser Stelle mit ihrer Judikatur an, und betreiben an dieser Stelle nicht etwa eine contra legem vorzunehmende Rechtsfortbildung, sondern differenzieren die Reichweite des zitierten Tatbestandes aus. Es ist auch kein überzeugendes Gegenargument, dass der

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128 Insoweit überzeugend die Kritik Roths, Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 28. 129 Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rdn. 195. 130 Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rdn. 199. 131 So Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rdn. 201. 132 Vorauflage Hausmann Rdn. 34.

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von Schack vorgeschlagenen Art der Unterscheidung entgegengehalten werden könnte, dass der Gesetzgeber mit Sondergerichtsständen – wie dem des § 29c im Falle von Haustürgeschäften – den Streitigkeiten für die Entscheidung von Gütertransportfällen nach § 30 und Frachtführer Haftungsfälle nach § 30a Sondergerichtsstände getroffen habe und damit die Grenzen richterlicher Rechtsausfortbildung beschrieben habe. 5. Natur des Schuldverhältnisses 38

a) Soweit keine gesetzlichen Sonderregelungen eingreifen, ist der Erfüllungsort den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zu entnehmen, die gegebenenfalls ergänzend auszulegen sind. Dabei ist gemäß § 269 BGB auf die Natur des Schuldverhältnisses abzustellen bzw. sind gemäß § 346 HGB etwa bestehende Handelsbräuche zu berücksichtigen.133

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b) Haupt- und Nebenleistungspflichten. Im Hinblick auf den Gerichtsstand wegen vertraglicher Nebenleistungspflichten normiert § 269 Abs. 3 BGB eine negative Auslegungsregel. Der zufolge kann aus der Vertragspflicht des Schuldners, die Versendungskosten zu tragen, nicht darauf geschlossen werden, dass der Bestimmungsort auch Leistungsort sei.134 Im Übrigen ist zu beachten: Auskunfts- und Rechnungslegung sind im Allgemeinen am Ort der Erfüllung der vertraglichen Hauptleistungspflicht zu erbringen.135 Der Übergabeort der verkauften Sache bestimmt den Ort, an dem die vertraglichen geschuldeten Beratungen zu erbringen sind.136

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c) Erfüllungsort für Leistung und Gegenleistung. Bei ortsbezogenen Verpflichtungen folgt der Erfüllungsort der Gegenleistung dem der Leistung.137 Freilich wird zu Recht kritisch darauf aufmerksam gemacht,138 dass damit der Schutz des Gläubigers der Gegenleistung zugunsten der Entscheidung durch ein orts- und damit sachnahes Gericht vernachlässigt wird.139

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6. Auslegungsregel des § 269 Abs. 1 BGB. Nur sofern die Auslegung des Vertrages nicht zu einer anderen Feststellung eines Erfüllungsortes führt, liegt er nach der Hilfsregelung des § 269 Abs. 1 BGB am Sitz des Schuldners. Damit wird auf die allgemeinen Regeln der §§ 13 ff. verwiesen. VI. Einzelfälle 1. Kaufverträge

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a) Erfüllungsort für Gewährleistungsansprüche des Käufers aus einem Kaufvertrag ist der Ort, an dem sich die Sache nach ihrer Zweckbestimmung befindet,140 im Falle eines Antrags auf selbstständiges Beweisverfahren der Wohnort des Antragstellers.141 Bei

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BGH NJW 1981, 2042, 2043; LG Waldshut-Tiengen AWD 1979, 784, 785. Zöller/Roth § 29 Rdn. 42. LG Offenburg ZIP 1988, 1562, 1563. OLG Celle RIW 1985, 571, 575. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 24. AG Frankfurt a.M., Urt. v. 29.10.1998 – 30 C 1635/98-25; BGH, Urt. v. 11.11.2003 – X ARZ 93/03. Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 17. Palandt/Putzo § 439 Nr. 3a; Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25 „Kaufvertrag“. OLG Schleswig SchlHA 2007, 191.

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Spezieskaufverträgen gilt für Leistungsklagen, dass bewegliche Sachen dort zu übergeben sind, wo sie sich mit dem Willen der vertragsschließenden Parteien zur Zeit des Vertragsschlusses befanden.142 b) Der Laden des Verkäufers ist bei Ladenkäufen des täglichen Lebens Erfüllungs- 43 ort für dessen Übergabepflicht und für die Zahlungspflicht des Käufers. c) Für die Umstände des Falles gilt bei Gattungskaufverträgen, dass im nichtkauf- 44 männischen Bereich regelmäßig auf das Fehlen von Transportmöglichkeiten des Käufers Rücksicht zu nehmen ist, was zum Erfüllungsort an der Wohnung des Käufers143 z.B. bei Kohleanlieferungen führt – wo dies freilich besonders plausibel ist.144 Im Rahmen des Handelsverkehrs gilt dagegen in Ermangelung entgegenstehender Abreden, dass Warenlieferungen sich gemäß § 447 BGB als Schickschulden darstellen mit der Folge, dass Erfüllungsort Sitz des Verkäufers ist.145 d) Geldschulden sind gemäß § 270 Abs. 1 BGB grundsätzlich Schickschulden.146 Er- 45 füllungsort für Geldschulden ist regelmäßig der Wohnsitz des Geldschuldners, §§ 270 Abs. 1, Abs. 4, 269 BGB.147 Damit wird aber der Gläubigerwohnsitz nicht zwingend zum Gerichtsstand von auf Zahlung von Geld gerichteten Klagen. Vielmehr greift § 270 Abs. 4 BGB ein. Der Zahlungsanspruch ist daher am Schuldnersitz geltend zu machen.148 Dies gilt auch für die Klage auf Zahlung des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB.149 Für die Zahlungspflicht ist das Ladengeschäft (vgl. auch Rdn. 60 ff.) oder, bei Überweisungsabreden, der Sitz des Verkäufers150 maßgeblicher Erfüllungsort. Wird der Kaufpreis kreditiert, ist Erfüllungsort nach der allgemeinen Regel des § 269 BGB der Sitz des Schuldners,151 und zwar auch bei zahlungshalber Hingabe eines garantierten Schecks. 2. Rückabwicklung namentlich von Kaufverträgen. Im Allgemeinen gilt das oben 46 ausgeführte, wonach für die Kaufpreisklage der Wohnort des Käufers maßgeblich ist.152 Auf den Wohnort des Verkäufers kommt es bei der Kaufpreisklage beim Ladenkauf oder einer Auktion an sowie in Fällen der Klage auf Rückgewähr des Kaufpreises wegen Nichtigkeit des Vertrages. Die Wandlungsklage ist bei bereits erbrachten Leistungen an dem Ort zu erheben, wo sich die Kaufsache befindet, soweit sie dort zurückzugeben ist.153 Hat der Käufer noch nicht erfüllt und klagt er auf Rückgängigmachung des Vertrages, begründet sein Wohnsitz den Gerichtsstand, da dort die Rückabwicklung durchzuführen ist (§§ 269, 270 BGB).154

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142 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 24. 143 KG OLGRspr. 8, 34. 144 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 24. 145 BGHZ 113, 106, 111; Bernhardt JuS 2011, 9 ff. 146 OLG Hamm OLGZ 1991, 79, 80; LG Bonn MDR 1985, 588. 147 OLG Brandenburg RuS 2011, 44 m. Anm. Seibel IBR 2010, 544; Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 20 „Geldschulden“ m.w.N. 148 BGHZ 120, 334, 347 f. = NJW 1993, 1073, 1076. 149 BGH NJW 1993, 1073, 1076. 150 RG SeuffA 80 Nr. 76. 151 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 24. 152 BGH NJW 1993, 1073, 1076; zum Überblick Köhler FS Heinrichs (1998) S. 367; M. Stöber NJW 2006, 2661. 153 BGHZ 87, 109 = NJW 1993, 1480. 154 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25.

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Dies gilt grundsätzlich auch, soweit Rückgewähransprüche bei Teilzahlung und Widerruf nach §§ 508, 355 BGB geltend gemacht werden. Die Klage des vom Kaufvertrag zurückgetretenen Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises ist – unabhängig von der synallagmatischen Rückgewähr der Kaufsache – regelmäßig am (Wohn-)Sitz des Verkäufers zu erheben. Dies wird in der Judikatur aus § 29 Abs. 1 i.V.m. §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB geschlossen.155 Die Details sind dagegen komplex und bedürfen gegenüber einer oberflächlichen Betrachtung genauerer Prüfung. So ist streitig, wo der Käufer klagen muss, der die Kaufsache bereits zurückgegeben hat und nunmehr Rückzahlung des Kaufpreises verlangt: Gegen die allgemeinen Regelungen (13 ff.) spricht vordergründig für den Gerichtsstand am Wohnort des Käufers, dass er nicht schlechter gestellt werden soll als für den Fall, dass er die Sache noch nicht zurückgegeben hat.156 Leistungsort nach § 269 Abs. 1 BGB, der auch die örtliche Zuständigkeit nach § 29 Abs. 1 bestimmt, ist für einen Rückzahlungsanspruch des Käufers infolge Rücktritts vom Kaufvertrag der Ort, an dem sich zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung die zurück zu gewährende Kaufsache vertragsgemäß befindet (sog. Austauschort).157 In der Rechtsprechung und in der Literatur hat sich hierzu eine herrschende Meinung herausgebildet, nach der einheitlicher Erfüllungsort für die bei einem Rücktritt (wie auch bei einer Wandelung) bestehenden wechselseitigen Pflichten der Ort ist, an dem sich die zurück zu gewährende Sache zur Zeit des Rücktritts vertragsgemäß befindet (sog. Austauschort).158 Ist also der Kaufvertrag beiderseits erfüllt und klagt der Käufer auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgewähr der Kaufsache, so ist einheitlicher Erfüllungsort für alle Rückgewähransprüche der „Austauschort“.159 Haben die Vertragsparteien keine Vereinbarung darüber getroffen, wohin der Käufer die Kaufsache verbringen darf oder soll, so ist Austauschort grundsätzlich der Ort, an welchen der Käufer die Sache verbracht hat. Der vertragsgemäße Belegenheitsort ist bei einem Zug um Zug gegen die Rückgewähr des Kaufpreises herauszugebende Pkw nach dem Wohnsitz des Käufers zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu bestimmen. Der Erfüllungsort bestimmt sich nach dem Leistungsort, der sich aus § 269 Abs. 1 und 2 BGB ergibt. Dabei ist der Leistungsort bei gegenseitigen Verträgen grundsätzlich für jede einzelne Verpflichtung gesondert festzustellen.160 (Ist Gegenstand des Rechtsstreits und damit streitige Verpflichtung i.S.v. § 29 Abs. 1 nicht der vertragliche Erfüllungsanspruch, sondern – nach dem vom Kläger erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag – der Rückzahlungsanspruch des Klägers verbunden mit der Rückgewähr der erhaltenen Sache wurde der ursprüngliche Vertrag durch den Rücktritt des Klägers in ein Abwicklungsschuldverhältnis umgewandelt (§ 346 BGB), woraus dann für die Bestimmung des Erfüllungsortes folgt, dass deshalb auf die beidseits bestehenden Rückerstattungspflichten abzustellen ist, die nach § 348 BGB Zug um Zug zu erfüllen sind.161 Diese Anknüpfung an den Austauschort rechtfertigt sich daraus, dass der vom Vertragspartner zu vertretende Mangel zu dem Rücktritt geführt hat und der Zurücktre-

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155 LG Stralsund BB 2011, 2690 im Anschluss u.a. an LG Krefeld MDR 1977, 1018; Stöber NJW 2006, 2661; gegen OLG Köln DAR 2011, 260. 156 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 29 Rn.14; a.A. Stein/ Jonas/Roth § 29 Rdn. 45. 157 OLG Bamberg ZfSch 2013, 568. 158 RGZ 55, 105, 112; BGHZ 87, 104, 109 ff.; BayObLG MDR 2004, 646 f.; Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25, Stichwort: „Kaufvertrag“; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 21; MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 62. 159 BGH, 9. März 1983, VIII ZR 11/82, NJW 1983, 1479, 1480 f. = BGHZ 87, 104, 109 zur Wandelung. 160 BGH NJW 1966, 935; NJW 2004, 54, 55. 161 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 21; MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 62; OLG Bamberg, ZGS 2011, 140 ff.

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tende nach § 346 Abs. 1 BGB nur das Zurückgewähren der Leistung schuldet und damit den Vertragspartner nur in die Lage zu versetzen hat, über die Ware zu verfügen.162 Eine später erfolgte Wohnsitzverlegung des Käufers ist für die Bestimmung des 48 Austauschortes ohne Bedeutung: Maßgebend ist bei alledem der vertragsgemäße Belegenheitsort der zurück zu gewährenden Sache zum Zeitpunkt des Rücktritts. Im Hinblick auf den vertragsgemäßen Belegenheitsort ist auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Sache und auf den objektiven Verwendungszweck abzustellen. So ist z.B. bei einem Pkw demnach davon auszugehen, dass sich der bestimmungsgemäße Gebrauch nach dem Wohnsitz des Käufers richtet.163 Daraus folgt, dass für den Erfüllungsort auf den Wohnsitz des Klägers zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen ist. Denn maßgeblich ist der Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses. Eine nachträgliche Veränderung des Wohnsitzes ist grundsätzlich ohne Einfluss auf den einmal gegebenen Leistungsort.164 Etwas anderes könnte nur ausnahmsweise dann gelten, wenn die Interessen des Gläubigers mit Rücksicht auf Treu und Glauben einen anderen Erfüllungsort rechtfertigen.165 Unter den Anspruch auf Aufhebung des Vertrages gehört nicht bloß der aus einem 49 nach dem ursprünglich geschlossenen Vertrag geschlossene neue (vgl. § 397 BGB), sondern auch der aus dem ursprünglichen Vertrag, gleichviel ob er gegenseitig oder nur einseitig verpflichtend ist (möge dies vertraglich besonders ausbedungen worden sein, wie bei dem vertraglich vereinbarten Rücktritt, § 346 BGB). Hierher gehören ferner die Feststellung des ausgeübten Rückforderungsrechts des Schenkers (§§ 527 ff. BGB), seines Widerrufs (§§ 530 ff. BGB), des Rückforderungsrechts bei der Leihe (§ 604 BGB), bei der Verwahrung (§§ 695 ff. BGB), nach der Kündigung des Mieters oder Pächters und des Vermieters oder Verpächters (§§ 542, 584 BGB), soweit nicht § 29a durchgreift; bei Dienstverträgen (§§ 620 ff. BGB mit zahlreichen Sonderregeln), bei Werkverträgen (§§ 643, 649 BGB), bei Werklieferungsverträgen (§ 651 BGB), bei entgeltlichen Geschäftsbesorgungen (§ 675 BGB), bei der Gesellschaft (§§ 723 ff. BGB, wobei aber § 22 zu beachten ist), bei der Gemeinschaft (§ 749 BGB). Bei Leasingverträgen ist, wenn keine Vereinbarung des Erfüllungsortes vertraglich getroffen wurde, zu unterscheiden: Wegen der Pflicht des Leasinggebers auf Gebrauchsüberlassung ist dessen Sitz entscheidend, wegen der Zahlungspflicht des Leasingnehmers dessen Sitz.166 Bei einem Leasingvertrag ist der Erfüllungsort daher hinsichtlich der Leasingratenzahlung der Wohnsitz des Schuldners bei Vertragsschluss.167 Beschränkt sich die Herstellergarantie einer juristischen Person auf Zahlungspflichten, so ist der Garant ohne Hinzutreten besonderer Umstände an seinem Sitz zu verklagen, § 29.168 Lagerverträge begründen wegen der Leistungspflichten des Lagerhalters am Lagerort den Gerichtsstand des § 29 (§ 467 HGB); wegen seiner Gegenleistungspflicht ist Gerichtsstand der Sitz des Auftraggebers.169 Befand sich die Sache auf dem Transportweg, kommt es darauf an, an welchem Bestimmungsort der Käufer sie erhalten sollte;170 bei Konnossement oder Ladeschein kommt es darauf an, an welchem Ort die Urkunde ausgehändigt werden soll.171

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162 163 164 165 166 167 168 169 170 171

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BGHZ 87, 104, 110. Staudinger-BGB/Bittner Neub. 2014, § 269 BGB Rdn. 28. Staudinger-BGB/Bittner Neub. 2014, § 269 BGB Rdn. 8 m.w.N. OLG Bamberg ZfSch 2013, 568. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 67. OLG Dresden NZV 2011, 287 f. OLG Brandenburg RuS 2011, 44 m. Anm. Seibel IBR 2010, 544. OLG Karlsruhe OLGRspr. 3, 43 f. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 62. RGZ 16, 3, 5.

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Hierzu zählen die Klage gegen den Gesellschafter aus § 128 HGB,172 die auf §§ 161, 171 HGB gestützte Klage gegen den Kommanditisten auf Haftung für Vertragsverbindlichkeiten der KG,173 die Klage wegen Haftung des Handelnden gemäß § 11 Abs. 2 GmbHG, § 41 Abs. 1 S. 2 AktG,174 Klagen gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 BGB175 sowie Ansprüche aus dem Verhältnis der Wohnungseigentümer gegeneinander.176 Ferner ist der Gerichtsstand des § 29 auch unabhängig davon begründet, ob sie gegen den Rechtsnachfolger des Vertragspartners des Klägers gerichtet wird.177 Die herrschende Auffassung178 geht dahin, dass die Schadensersatzpflicht (stets) 51 dort zu erfüllen sei, wo die (vermeintlich) verletzte vertragliche Primärpflicht zu erfüllen gewesen wäre. Demgegenüber ist anerkannt, dass der Erfüllungsort und damit auch Gerichtsstand für jede einzelne – primäre oder sekundäre – Vertragspflicht gesondert festzustellen ist. Die Schadensersatzpflicht aber, soweit sie – wie hier – nach abgeschlossener und in natura (§ 249 Abs. 1 BGB) nicht beheb- bzw. ausgleichbarer Pflichtverletzung auf Geldzahlung gerichtet ist, muss somit von dem Schädiger grundsätzlich an dessen (Wohn-)Sitz erfüllt werden. Dies folgt aus §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4. Ob sich aus „den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses“ (§ 269 Abs. 1 BGB), etwas Gegenteiliges ergibt, ist demgegenüber eine quaestio facti. Das sich stets aus den „Umständen“ oder in der „Natur des Schuldverhältnisses“ – regelmäßig also in der Natur einer auf Geldzahlung gerichteten Schadensersatzpflicht läge, dass die Schadlosstellung am Ort der Primärpflichtverletzung zu erfolgen hätte, ist nicht zwingend. Macht der Kläger im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage gegen mehrere Beklag52 te Schadenersatzansprüche ausschließlich unter dem Gesichtspunkt eines fehlerhaften Beratungsgespräches geltend, so besteht am Ort des Gespräches für alle Beklagten der Gerichtsstand des Erfüllungsortes.179 Macht ein Anleger nach einer Kapitalanlageberatung Schadensersatzansprüche sowohl gegen den selbstständigen Anlageberater als auch die Anlagegesellschaft geltend, so kommt für sämtliche Anspruchsgegner als Streitgenossen daher ein gemeinsamer Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß § 29 Abs. 1 in Betracht, wenn die Beratung ausschließlich in der Wohnung des Anlegers stattgefunden hat.180 Schon das RG181 hat entschieden, dass bei einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht der Erfüllungsort i.S. von § 29 am Erfüllungsort der Primärverpflichtung zu sehen ist.182 Dem entspricht die Judikatur des BGH.183 Dieser höchstrichterlichen Judikatur folgend wird ganz überwiegend vertreten, dass der Leistungsort für die Nebenpflicht durch den für die Hauptverpflichtung maßgeblichen Leistungsort bestimmt werde.184 Von anderen wird danach unterschieden, ob es später zum Vertragsschluss gekommen ist. Besteht – wie hier – ein Vertrag, wird der Gerichts-

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172 RGZ 32, 44 f. 173 RGZ 46, 352 f. 174 OLG München OLGZ 1966, 424, 425 f. 175 OLG Hamburg MDR 1975, 227. 176 OLG Stuttgart Justiz 200, 85. 177 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 8. 178 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 23 m.w.N. 179 OLG Zweibrücken NJW-RR 2012, 831 f. 180 OLG Karlsruhe MDR 2013, 1108 f. 181 RG JW 1896, 202. 182 Küpper Das Scheitern von Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo 1988, S. 349 ff.; Bernstein RabelsZ 41 (1977), 281, 289 ff., insb. 292 ff. 183 BGH WM 1976, 1230. 184 RGZ 55, 105, 111; 57, 12, 15; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 25; MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 70; Musielak/Heinrich ZPO 7. Aufl. § 29 Rdn. 16, 28, 33; Thomas/Putzo/Hüßtege § 29 Rdn. 5; BayObLG VersR 1985, 741.

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stand nach dem vertraglich vereinbarten Erfüllungsort der Primärverpflichtung bestimmt.185Dagegen hat das BayObLG einen selbständigen Gerichtsstand am Ort der Verhandlungen angenommen.186 Der BGH187 hält an der Judikatur des RG und seinen vorangegangenen Entscheidungen fest, da es Sinn und Zweck des § 29 sei, das sachnähere Gericht über die Erfüllung der vertraglich vorausgesetzten Leistungspflichten entscheiden zu lassen, die regelmäßig an einem bestimmten Ort zu erbringen sind. Durch die Nähe zum Ort der Leistungserbringung können die in tatsächlicher Hinsicht zu treffenden Feststellungen vereinfacht und die Beweismöglichkeiten verbessert werden.188 Dies betrifft nicht nur den eigentlichen Erfüllungsanspruch, sondern auch andere im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss stehende Ansprüche. Erfüllungsort von Auskunftsund Aufklärungspflichten ist regelmäßig der Ort, an dem vereinbarungsgemäß die vertragstypischen Hauptleistungen vorzunehmen sind.189 Bei Verletzung von Beratungsund Aufklärungspflichten besteht der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 am Ort des Beratungsgesprächs auch dann, wenn es sich dabei lediglich um Nebenpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB handelt.190 Die dagegen vertretene Auffassung, Erfüllungsort i.S.d. Gerichtsstandes des § 29 sei bei Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten der vertragliche Leistungsort, nicht der Ort der Vertragsverhandlungen,191 ist systemwidrig. Auch bei Klagen auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung, die sich gegen einen Treuhandkommanditisten als eigentlichen Prospektverantwortlichen zw. Prospektgarant und Fondsaufleger richtet, kommt der ausschließliche Gerichtsstand gemäß § 32b zur Anwendung, der insoweit den besonderen Gerichtsstand nach § 29 ausschließt. Insoweit ist der Gerichtsstand für derartige Schadensersatzansprüche der Sitz des Prospektverantwortlichen.192 3. Mitverpflichtungen, § 426 BGB. Die Vertragsklage wird in ihrem Charakter nicht 53 durch eine Mehrheit der Ansprüche oder durch den Übergang auf Dritte geändert.193 Sollen Gesamtschuldner (der frühere Prozessbevollmächtigte und der frühere Korrespondenzanwalt) auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, ist nicht der Gerichtsstand des § 29 Abs. 1 begründet.194 Der Wohnsitz der Beklagten bei Unterzeichnung eines Darlehensvertrags begründet 54 eine Zuständigkeit nach § 29 eine Klage des damaligen Mitdarlehensnehmers aus § 426 BGB. Zwar ergibt sich eine Zuständigkeit aus § 29 wegen eines Anspruchs aus dem Gesamtschuldverhältnis gemäß § 426 BGB nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift. Denn § 29 stellt zunächst auf Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis ab; zwischen den Parteien im Streit gemäß § 426 BGB besteht allerdings kein Vertragsverhältnis, sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis. Soweit sich die Zuständigkeit aus § 29 Abs. 1 auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse bezieht, betrifft dies in erster Linie Streitigkeiten zwischen sich gegenüber stehenden Parteien. Dies ist bei (Mit-)Darlehensnehmern auf den ersten Blick nicht der Fall. In der oberlandesgerichtlichen Judikatur wird aber zur

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185 Wolf Festschrift Lindacher 2007 S. 201, 208 f.; Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozeßrecht (1985) Rdn. 93. 186 BayObLG NJW 2002, 2888. 187 BGH VersR 2010, 645; vgl. auch Tiedemann NJ 2013, 17 ff. 188 Küpper DRiZ 1990, 445, 446; Wolf FS Lindacher (2007) S. 202. 189 OLG München IPRspr 2009, Nr. 15, 35. 190 OLG Zweibrücken NJW-RR 2012, 831; entgegen OLG München VersR 2009, 1382. 191 OLG München VersR 2009, 1382 f. 192 OLG Düsseldorf NZG 2013, 1234. 193 LG Nürnberg-Fürth NJW 64/1138. 194 BayObLG NJW-RR 1996, 52.

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Regelung der Zuständigkeit die Bestimmung des § 29 Abs. 1 herangezogen, weil die Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses darauf beruht, dass die Parteien ein Vertragsverhältnis mit der das Darlehen gewährenden Bank eingegangen sind.195 4. Dienstverträge. § 46 Abs. 2 ArbGG verweist auch auf § 29 wegen arbeitsgerichtlicher Streitigkeiten. Danach gilt für alle aus einem Arbeitsfeld entspringenden Pflichten des Arbeitgebers wie des Arbeitnehmers als einheitlicher Erfüllungsort der der wirtschaftlichen und technischen Mitwirkung des Arbeitsverhältnisses. Regelmäßig ist dies der Ort des Betriebes als der tatsächliche Beschäftigungsort des Arbeitnehmers. Anders ist dies bei Beschäftigung in einem Zweigbetrieb oder einer Zweigniederlassung. Bei weisungsgebundener Sendung eines Arbeitnehmers, der für den Betrieb eingestellt und immer wieder an verschiedene auswärtige Orte zur Ausführung von Arbeiten entsandt wird, ist der Ort des einzelnen Betriebes maßgeblich. Arbeitet dagegen der Arbeitnehmer nicht vom Sitz des Betriebes, sondern von seinem Wohnsitz aus in einem ihm räumlich zugewiesenen Bezirk, ist sein Wohnsitz als Erfüllungsort gemäß § 29 für die Gerichtsstandsbegründung maßgeblich. Mit diesen Regelungen soll erreicht werden, dass der Arbeitnehmer vor der Führung eines Prozesses geschützt wird, der an einem weit entfernten Unternehmenssitz anzustrengen wäre. Wegen des personenrechtlichen Charakters des Arbeitsverhältnisses soll die Arbeitsleistung dabei im Vordergrund stehen um den Schutzzweck des einheitlichen Erfüllungsorts für Arbeitsverträge zu erreichen. Dieser wird auch für Arbeitstage mit leitenden Angestellten und Beschäftigten im öffentlichen Dienst gesehen. Er greift für Lohnunterhaltsansprüche ebenso wie für sonstige vertragliche Ansprüche des Arbeitnehmers wie Ruhegehalt, Arbeitnehmererfindung und Vergütungen, Rechnungslegung, Herausgabe der Arbeitspapiere und Rückzahlung geleisteter Vorschüsse. 56 Regelmäßig ist bei Freiberuflern der Wohnsitz des Schuldners maßgeblich, ansonsten der Leistungsort der Dienste. Für Dienstverträge von Angehörigen freier Berufe ist der Ort der Erbringung der vereinbarten Dienstleitung maßgeblich, also für Rechtsanwälte196 wegen ihrer Betreuungspflichten und den Pflichten des Mandanten, für Notare197 und Steuerberater198 der Kanzleiort bzw. der Amtssitz, für den Arzt der Ort seiner Praxis,199 für den Geschäftsführer der GmbH der Betriebssitz.200 Nach der Entscheidung des BGH201 zu § 29 Abs. 1 müssen aber Anwälte wohl von dem Zuständigkeitsprivileg dieser Vorschrift Abschied nehmen.202 Die Klage des Reiseveranstalters aus dem Reisevertrag hat den Gerichtsstand des 57 Wohnsitzes des Kunden; im Falle der Klage des Kunden ist der Gerichtsstand des Erfüllungsortes oftmals unpraktikabel, so dass sinnvoll ist, nach § 21 auf den Ort der Buchung (Reisebüro) abzustellen.203 58 Soll ein Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung der Europäischen Union gegen das Luftverkehrsunternehmen geltend gemacht werden, mit dem der Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, ist nach der Rechtsprechung des BGH unabhängig vom Vertragsstatut Erfüllungsort i.S.d. § 29 sowohl der Ort des vertragsge55

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195 OLG Hamm FamRZ 2003, 315 und OLG München OLGR München 1994, 38. 196 BGH WM 1991, 1009, 1010; OLG Celle OLGZ 1967, 309; OLG Köln NJW 1960, 1301; OLG Stuttgart AnwBl. 1976, 439; OLG Frankfurt/M RIW 1977, 432. 197 KG JW 1927, 1324. 198 LG Darmstadt AnwBl. 1984, 503. 199 BGH NJW 1990, 777; OLG Düsseldorf NJW 1974, 2187. 200 BGH ZIP 1985, 157. 201 BGH NJW 2004, 54. 202 Balthasar JuS 2004, 571, 573. 203 Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 32; Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25.

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mäßen Abflugs als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs.204 Bei der Beförderung von Personen im Luftverkehr sind daher sowohl der Ort des vertragsgemäßen Abflugs als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs gleichermaßen als Erfüllungsorte i.S.v. § 29 anzusehen.205 Diese Sicht gilt auch für Fälle, in denen sich die Störung (Annullierung/große Verspätung) nicht am originären vertragsgemäßen Abflugort ereignet, sondern im Rahmen eines Anschlussfluges an einem anderen Ort, insbesondere in einem Drittstaat. Auch in einem solchen Fall, wie eben dem vorliegenden, ist es gerechtfertigt, zur Bestimmung des Erfüllungsorts nach § 29 auf den originären vertragsgemäßen Abflugort abzustellen. Denn an diesem Ort beginnt die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung der Beförderung.206 Ein Erfüllungsort kann angenommen werden, wenn weitere Umstände festgestellt 59 werden können, wie sie beispielsweise beim klassischen Ladengeschäft des täglichen Lebens bestehen,207 bei dem üblicherweise die beiderseitigen Leistungspflichten sogleich an Ort und Stelle erledigt werden, oder regelmäßig bei einem Bauwerksvertrag vorliegen, weil auch der Besteller am Ort des Bauwerks mit dessen Abnahme eine seiner Hauptpflichten erfüllen muss (unten Rdn. 68) und es interessengerecht ist, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung dort durchgeführt werden kann, wo aufgrund der räumlichen Nähe zum Bauwerk eine Beweisaufnahme (z.B. über das Ausmaß oder über behauptete Mängel) regelmäßig wesentlich einfacher und kostengünstiger geschehen kann als an dem auswärtigen Wohnsitz des Auftraggebers.208 Dem klassischen Ladengeschäft des täglichen Lebens ist der Krankenhausaufnahmevertrag nicht vergleichbar, weil regelmäßig der Abschluss des Vertrags nicht zur gleichzeitigen Erfüllung der gegenseitigen Leistungen führt. Gerade bei geplanten Eingriffen erledigen die Krankenhausangestellten ihre Pflichten nicht sofort, sondern zum geplanten (späteren) Zeitpunkt; auch der Patient erledigt das hierzu Erforderliche regelmäßig erst später, da die Entstehung des Zahlungsanspruchs bei Krankenhausbehandlung durch nicht gesetzlich versicherte Patienten die Rechnungslegung zwingend voraussetzt – ohne Rechnungslegung kann der Patient schon mangels entsprechender Einsicht in das medizinische Behandlungsgeschehen nicht wissen, was er bezahlen muss. Daher ist es völlig unüblich, dass ein Patient (anders als beim Ladengeschäft) die erbrachten ärztlichen und pflegerischen Leistungen sofort bezahlt. Angesichts dessen kann auch die Tatsache, dass geplante Eingriffe bei Selbstzahlern bzw. Privatversicherten oft von einer Vorschusszahlung (§ 8 Abs. 7 KHEG) abhängig gemacht werden, einem Krankenhausaufnahmevertrag nicht das Gepräge eines in bar abzuwickelnden Vertrags verleihen.209 Im Rahmen der Vertragsfreiheit kann letztlich jede Vertragsdurchführung von der Zahlung eines Vorschusses abhängig gemacht werden, so dass eine etwaige Vorschusspflicht nicht gerade den Krankenhausaufnahmevertrag seiner Natur nach kennzeichnet. Die Honorarforderung210 eines Zahnarztes211 ist am Wohnort des Patienten zu er- 60 füllen. Ein besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß § 29 am Praxissitz des Zahnarztes besteht für den Honoraranspruch nicht. Es besteht keine tatsächliche Übung,

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204 BGHZ 188, 85 ff.; m. Anm. Staudinger JR 2012, 47 ff.; EuGH- C-204/08, RRa 2009, 234 – Rehder/Air Baltic; vgl. weiter Ruzik NJW 2011, 2019; Staudinger NJW 2011, 3121 ff. 205 BGH NJW 2011, 2056; LG Frankfurt/M. RRa 2012, 87. 206 LG Frankfurt/M. RRa 2012, 87. 207 BGH MDR 2003, 402. 208 BGH NJW 1986, 935. 209 Anders OLG Celle MDR 2007, 604. 210 Übersicht über Honorarklagen freiberuflich Tätiger: Krügermeyer-Kalthoff/Reutershan MDR 2001, 1216. 211 Sonnentag MedR 2005, 702.

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ärztliche Honoraransprüche am Sitz der Praxis zu erfüllen. Beim ärztlichen Behandlungsvertrag werden die Zahlungspflichten üblicherweise nicht wie beim klassischen Ladengeschäft des täglichen Lebens oder beim Beherbergungsvertrag in einem Hotel sogleich an Ort und Stelle erledigt. Vielmehr zahlen die gesetzlichen Krankenkassen und die Patienten typischerweise das Entgelt erst nach Rechnungsstellung bargeldlos von ihrem Sitz bzw. Wohnsitz aus.212 61 Es kann daran gezweifelt werden, ob, wie in der Rechtsprechung entschieden, Behandlungsverträge mit einem Heilpraktiker den Ort der Dienstleistung als gemeinsamen Erfüllungsort für die beiderseitigen Ansprüche haben.213 Eine Ungleichbehandlung mit der ärztlichen Behandlung ist nicht recht plausibel. Erfüllungsort der Pflichten des Handelsvertreters ist dessen Geschäftssitz,214 für die 62 Zahlungspflichten des Unternehmens dessen Sitz.215 63

5. Beherbergungsverträge. Beherbergungsverträge haben den Gerichtsstand des Beherbergungsortes wegen der beiderseitigen ortsbezogenen Verpflichtungen, und zwar auch dann, wenn der Gast das Hotel nicht aufgesucht hat.216

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6. Bürgschaft. Wegen der Bürgschaft ist der Sitz des Bürgen maßgeblich.217 Verpflichtet sich der Gläubiger dem Bürgen gegenüber, eine zur Sicherung der Hauptschuld bestellte Grundschuld an diesen abzutreten, so ist nach der Judikatur des BGH218 diese Verpflichtung am Sitz des Gläubigers zu erfüllen, weil der Wohnsitz des Gläubigers als Schuldner der auf die Zession gerichteten Forderung des Bürgen für die Bestimmung des Leistungsortes maßgeblich ist.

7. Werkverträge. Erfüllungsort der Verpflichtung des Unternehmers ist grundsätzlich dessen Wohnort/-sitz.219 Bei Streitigkeiten wegen Verträgen über Reparaturen (z.B. Kfz) ist der Erfüllungsort für die Durchführung der Reparatur und die Zahlung des Werklohns am Ort der Werkstatt.220 Bei Herstellung oder Herausgabe unbeweglicher Sachen, etwa im Werkvertragsrecht, ist nach § 646 BGB der tatsächliche Erfüllungsort bestimmt (eine dagegen stehende Abrede begründete von jeher nicht den Gerichtstand des § 29). Dies gilt auch für Streitigkeiten aus § 648 BGB.221 Ist ein Wirtschaftsprüfer mit der Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts 66 einer Kapitalgesellschaft beauftragt worden, ist der Leistungsort i.S.d. § 269 BGB der Sitz der Gesellschaft, da hier der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt. Der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes i.S.d. § 29 richtet sich somit nach dem Sitz der Gesellschaft.222 Provisionsansprüche aus Maklerverträgen sind am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten geltend zu machen.223 65

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212 LG Mannheim AZR 2009, 64 f. 213 AG Rottenweil NJW-RR 1999, 866. 214 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25. 215 BGH NJW 1988, 966, 967; OLG Frankfurt/M RIW 1980, 585. 216 OLG Nürnberg NJW 1985, 1296, 1297; LG Kempten BB 1987, 929; Nettesheim BB 1986, 547, 548; a.A. LG Bonn MDR 1985, 588; Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25. 217 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 37; OLG Düsseldorf NJW 1969, 380: Wechselbürgschaft. 218 NJW 1995, 1546. 219 Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 36. 220 OLG Düsseldorf MDR 1976, 496; OLG Frankfurt DB 1978, 2217; Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 36. 221 OLG Köln RIW 1985, 571. 222 LG Bonn BB 2005, 994 m. Anm. Ditges. 223 BayObLG NJW-RR 1998, 1291.

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Beim Bauwerkvertrag ist nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ge- 67 meinsamer Erfüllungsort der beiderseitigen Verpflichtungen in der Regel der Ort, wo das Bauwerk errichtet wird.224 Dagegen wird in der landgerichtlichen Judikatur gehalten, Gerichtsstand der Werklohnklage des Bauunternehmers sei gemäß § 29 Abs. 1 i.V.m. §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB der (Wohn-)Sitz des Bestellers/Auftraggebers, nicht der Ort des Bauwerks.225 Das ist nicht überzeugend und vor dem Hintergrund in derartigen Fällen regelmäßig erforderlicher Beweisaufnahme unzweckmäßig. Bei Architektenverträgen226 besteht nach herrschender Ansicht grundsätzlich kein gemeinsamer Erfüllungsort für die beiderseitigen Leistungspflichten.227 Hier kommt es darauf an, wo im Einzelfall der Schwerpunkt der von dem Architekten geschuldeten einheitlichen Werkleistung liegt.228 Verpflichtet sich der Architekt, die Planung und die vollständige Bauaufsicht für ein Bauvorhaben zu erbringen, liegt der Schwerpunkt seiner Leistung am Ort des Bauwerkes. Dies ist bei einem Architektenvertrag auch dann der Fall, wenn sich der Architekt verpflichtet hat, für das Bauvorhaben neben der Objektüberwachung und -betreuung die Baudokumentation zu erbringen. Aus diesem Grund können Vergütungsklagen gemäß § 29 vor dem Gericht eingeklagt werden, in dessen Bezirk sich das Bauvorhaben befindet.229 Wird jedoch neben der Planung lediglich ein eher untergeordneter Teil der Bauüberwachung übernommen, so liegt der Schwerpunkt der Leistung im Büro des Architekten230– künstlerische Oberleitung gemäß § 15 Abs. 3 HOAI a.F., d.h. Überwachen der Herstellung des Bauobjektes hinsichtlich der Einzelheiten der Gestaltung. Besteht ein Werkvertrag über Erd- und Abbrucharbeiten, so muss der Leistungsort für jede Verpflichtung gesondert bestimmt werden; er ist nicht notwendig einheitlich. Erfüllungsort und Gerichtsstand für den Werklohnanspruch des Auftragnehmers ist der Wohnsitz des Auftraggebers.231 Ein Projektcontrollingvertrag kann von der Architektenleistung nach dem Leis- 68 tungskatalog der HOAI schon im Ausgangspunkt deutlich unterschieden werden. Insbesondere schuldet der Projektsteuerer oder -controller normalerweise keine Bauüberwachung, wie sie dem Leistungsbild der HOAI entspricht. Die HOAI gilt für derartige Leistungen auch grundsätzlich nicht.232 Sind im Rahmen eines Projektsteuerungs- und Baubetreuungsvertrages im Wesentlichen Beratungs- und Kontrollleistungen zu erbringen, so werden diese, auch wenn sie durchaus einen Bezug zum Ort der Baustelle haben, schwerpunktmäßig im Büro des Auftragnehmers erbracht.233 Die Erwägungen, die für die Annahme eines gemeinsamen Erfüllungsortes beim 69 Bauwerkvertrag angestellt werden, gelten auch für Werkleistungen, die wie die Reparatur eines Ölkessels notwendig ortsgebunden sind, ohne Bauleistungen zu sein. Insofern ist es, wie das OLG Schleswig zutreffend ausführt, nicht angemessen, zwischen Bauleistungen und sonstigen ortsgebundenen Werkleistungen zu differenzieren.234

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224 BGH NJW 1986, 935; OLG Nürnberg NZBau 2007, 792; Zöller/Vollkommer § 29 ZPO Rdn. 25 Stichwort „Bauwerkvertrag“ m.w.N. 225 LG Stralsund BauR 2012, 302 entgegen BGH NJW 1986, 935. 226 Übersicht: Schneidenbach ZfBR 2007, 634. 227 Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 25 Stichwort „Architektenvertrag“ m.w.N.; vgl. auch: Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 20 „Architektenverträge“. 228 BGH NJW 2001, 1936. 229 LG Kaiserslautern IBR 2006, 369 m. Anm. Fuchs. 230 LG Heidelberg NJW-RR 2007, 1030. 231 LG Rostock BauR 2010, 1810. 232 Für den Projektsteuerungsvertrag BGH BauR 2007, 724. 233 OLG Köln BauR 2010, 1112. 234 OLG Schleswig NJW-RR 2010, 1111 f.

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Nach § 18 Nr. 1 VOB/B richtet sich die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten aus dem Vertrag nach dem Sitz der für die Prozessvertretung des öffentlichen Auftraggebers zuständigen Stelle. Durch diese Regelung ist der Gerichtsstand des Erfüllungsortes ausgeschlossen.235 Frachtverträge haben den Erfüllungsort am Bestimmungs- oder Ablieferungsort der 71 Sache,236 während bei Erfüllungsansprüchen wegen Zahlung der Fracht der Wohnsitz des Schuldners entscheidend ist.237 Für Frachtverträge, die dem HGB unterfallen (§ 407 Abs. 3 HGB), gilt der Gerichtsstand des § 30 Abs. 1 (dort Rdn. 4). Besonderheiten gelten nach dem CMR für Straßenbeförderungsverträge. Art. 31 Abs. 1b CMR bestimmt die örtliche und internationale Zuständigkeit der Gerichte des Ortes der Übernahme bzw. der Ablieferung des Gutes.238

8. Dauerverträge. Gesetzlicher Leistungsort und damit Erfüllungsort, der den besonderen Gerichtsstand des § 29 begründet, ist bei einem Girovertrag der Schuldnerwohnsitz zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses und nicht zur Zeit der Entstehung der einzelnen aus diesem Schuldverhältnis erwachsenen Leistungsverpflichtungen.239 Denn bei einer dauerhaften vertraglichen Bindung wie bei einem Girovertrag verbleibt es bei der Anknüpfung an den Schuldnerwohnsitz zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses an sich und nicht zur Zeit der Entstehung der einzelnen aus diesem Schuldverhältnis erwachsenen Leistungsverpflichtungen.240 Für Klagen eines Energieversorgungsunternehmens aus einem Energielieferungsver73 trag ist das Gericht am Ort der Energieabnahme zuständig.241 Macht daher ein Energieversorgungsunternehmen vor dem Hintergrund von Zahlungsrückständen eines Kunden einen Anspruch auf Duldung des Zutritts zu von ihm genutzten Räumlichkeiten zum Zwecke der Einstellung der Energieversorgung sowie des Ausbaus der Stromzähler geltend, folgt die sachliche Zuständigkeit aus § 23 Nr. 1 GVG, die örtliche aus § 22 StromGVV und § 29.242 Bei einer getilgten Verbindlichkeit kommt es darauf an, wo sie zu tilgen war; bei 74 Aufhebung des Vertrages, auf den Erfüllungsort des Klägers.243 Soweit ausschließlich Zuständigkeiten gegeben sind, scheidet die Anwendung des 75 § 29 aus. Auch im Fall des § 1046, wenn auf Feststellung des Bestehens der Schiedsabrede geklagt wird,244 scheidet die Anwendung des § 29 aus. Die Vorschrift greift weiterhin nicht ein, soweit ausschließliche Gerichtsstände zu berücksichtigen sind. Das ist der Fall bei wirksam vereinbarten Gerichtsständen gemäß § 38, Wohnraumstreitigkeiten gemäß § 29a, Haustürgeschäften gemäß § 29c (früher: § 7 HaustürWG) und bei der Zuständigkeit für das Mahnverfahren gemäß § 689 Abs. 2. Sofern der familiengerichtliche Gerichtsstand gemäß §§ 111 ff. FamFG begründet ist, kommt § 29 auch nicht über § 113 FamFG zur Anwendung.245 72

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235 LG Dessau-Roßlau BauR 2008, 567. 236 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 47. 237 OLG Hamburg RIW 1991, 61, 62. 238 OLG Hamm RIW 1987, 470, 471. 239 OLGR Rostock 2009, 178 f. 240 OLG Frankfurt, NJW 2001, 2792; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 29 Rdn. 23, Stichwort „Girovertrag“; MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 55. 241 LG Jena, MDR 1998, 828; a.A. LG Leipzig MDR 1999, 1086. 242 OLG Köln NJW-RR 2009, 987 f. 243 RGZ 56, 138, 139. 244 BGH v. NJW 1952, 1336. 245 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 2.

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VII. Verträge im Handelsrecht Für den Fall, dass bei einem internationalen Warenkauf als Lieferklausel der Inco- 76 term DDP (geliefert verzollt) ein benannter Bestimmungsort vereinbart worden ist, hat der BGH entschieden,246 dass für die Bedeutung der Klausel in der Regel auf die Anwendungshinweise der Internationalen Handelskammer (ICC) zurückzugreifen ist. Der Verkäufer hat danach die geschuldete Lieferleistung am benannten Bestimmungsort als Bringschuld zu erfüllen.247 Für eine an diesen Bestimmungsort anknüpfende gerichtliche Zuständigkeit des Erfüllungsorts nach § 29 ist es unerheblich, ob sich die Vertragsparteien der Wirkungen bei Vereinbarung der Lieferklausel bewusst waren.248 Dabei ist es im Gegensatz zu Stellungnahmen im Schrifttum249 ohne Bedeutung, ob den Parteien bei Vereinbarung des Incoterms DDP die prozessuale Folge des § 29 Abs. 1 bewusst war. Denn auf eine Kenntnis der Parteien von der zuständigkeitsbegründenden Wirkung einer Erfüllungsortsvereinbarung kommt es grundsätzlich nicht an. Diese Wirkung folgt vielmehr unmittelbar aus der in § 29 als der lex fori vorgenommenen Anknüpfung an den sich nach der lex causae ergebenden Leistungsort, gleich ob dieser unmittelbar nach dem Gesetz, nach einer gesetzlichen Regel oder rechtsgeschäftlich bestimmt worden ist. Auf die vom jeweiligen Prozessrecht autonom zu bestimmenden und ex lege eintretenden prozessualen Wirkungen und Folgen solcher Anknüpfungen braucht sich der Parteiwille dabei nicht zu erstrecken, so dass es bei Erfüllungsortsvereinbarungen auch nicht erforderlich ist, dass die Vertragsschließenden sich dieser zusätzlichen Wirkungen und Folgen bewusst sind.250 Davon ist auch der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 29 im Rahmen der Gerichtsstandsnovelle des Jahres 1974 ausgegangen, als er Vereinbarungen über den Erfüllungsort nur für den in § 29 Abs. 2 genannten Personenkreis noch zuständigkeitsbegründende Wirkungen hatte beimessen wollen, um zu verhindern, dass anderen Verkehrskreisen ein für sie ungünstiger, vom gesetzlichen beziehungsweise wirklichen Leistungsort abweichender Gerichtsstand aufgedrängt werden kann, ohne dass ihnen dies bewusst wird.251 Vertragsgerichtsstände, insbesondere Gerichtsstandsanknüpfungen an einen nach dem Vertrag bestehenden Erfüllungsort252 oder an den Ort der Vertragswidrigkeit (Kropholler, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. 1, 1982, Rdn. 346), sind international gebräuchlich, so dass eine Bezugnahme darauf für die ausländische Partei nicht überraschend ist.253 Der Saldoanspruch aus einem Kontokorrent gemäß § 355 HGB hat seinen Erfüllungs- 77 ort und damit den Gerichtsstand wegen diesbezüglicher Streitigkeiten regelmäßig an dem Ort, an dem alle eingestellten Forderungen den gleichen Erfüllungsort haben. Ist dies nicht der Fall, ist Erfüllungsort am Wohnsitz des Schuldners. Die Vereinbarung des Erfüllungsorts ist nach Abs. 2 nur unter der Voraussetzung 78 wirksam, dass sie zwischen Kaufleuten, juristischen Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtlichen Sondervermögen getroffen werden. Abs. 2 hat insoweit die gleiche Reichweite wie § 38 Abs. 1. Die Kaufmannseigenschaft muss zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgelegen haben. Eine spätere Erlangung dieses Status genügt nicht,

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246 BGH NJW-RR 2003, 442. 247 BGH ZIP 2013, 44 ff. 248 BGH ZIP 2013, 44 ff.; ZIP 2012, A 97. 249 So z.B. Schlechtriem/Schwenzer/Widmer Lüchinger Art. 31 Rdn. 92. 250 RG Gruchot 54, 676, 679; Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rdn. 174. 251 BT-Drucks. 7/268 S. 5 f. 252 Schack Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 290 ff. 253 BGH ZIP 2013, 44 ff.

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damit die Vereinbarung Wirksamkeit erlangt. Verliert eine Partei die Kaufmannseigenschaft nachträglich, ist dies dagegen unschädlich. Der Erfüllungsort kann mit der Wirkung des Abs. 2 auch noch nachträglich abgeän79 dert werden. Vorausgesetzt ist, dass die Parteien eine hierauf bezogene vertragliche Einigung erzielen. Dies kann auch stillschweigend erfolgen. Eine Vereinbarung nach Abs. 2 kann darin gesehen werden, dass der Schuldner seine Leistungshandlung an einem anderen als dem vereinbarten Ort erbracht hat und sich der Gläubiger hiermit einverstanden erklärt. Allein die Wohnsitzverlegung des Schuldners ohne weitere vertragliche Übereinkünfte mit dem Gläubiger genügt indessen nicht. Die Erbringung der Erfüllung an demselben Ort durch beide Parteien ist demgegenüber vom Reichsgericht als stillschweigende Vereinbarung dieses Ortes als Erfüllungsort qualifiziert worden. Wird in einem gegenseitigen Vertrag ein Leistungsort vereinbart, ist dies dahin gehend auszulegen dass ein gemeinsamer Leistungsort gewollt ist., Es sei denn es wird ausdrücklich nur ein Erfüllungsort für eine bestimmte Pflicht, wie z.B. die Lieferpflicht des Verkäufers vereinbart. Hieraus lässt sich auf den Erfüllungsort an dem der Käufer zu erfüllen hat, nicht rückschließen. Zu der Klausel „fib“ und „cif“ im Seehandelsgeschäft vgl. die Erläuterungen zu § 30 80 Rdn. 5. Werden dagegen bloße Kosten in Klauseln vereinbart die auf „frei“ und dergleichen lauten, werden diese regelmäßig als reine Transportkostenklausel auszulegen sein. Auch hier kommt es aber auf die konkreten Umstände des Falles für die Auslegung an. VIII. Gerichtsstand aufgrund Vereinbarungen über den Erfüllungsort, Abs. 2 1. Wirksamkeit von Abreden über den Erfüllungsort a) Persönlicher Geltungskreis. Zur Funktion der Vorschrift vgl. Rdn. 1. Die in Abs. 2 genannten Rechtssubjekte, nämlich die Kaufleute, die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie die öffentlich-rechtlichen Sondervermögen, können bzgl. des Gerichtsstandes ohne weitere Voraussetzungen wirksam den Erfüllungsort vereinbaren.254 Die von § 29 Abs. 2 vorausgesetzte Eigenschaft muss im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung vorliegen.255 Wenn sie später entfällt, schadet dies nicht.256 Dies gilt auch für Rechtsnachfolger der Parteien sowie ihre Insolvenzverwalter.257 Nach hL entfaltet außerhalb des Bereichs des kaufmännischen Verkehrs eine mate82 riell-rechtliche Vereinbarung über den Leistungsort nach Maßgabe des § 29 Abs. 2 keine prozessuale Wirkung.258 Der BGH, der diesem Ansatz folgt, geht damit davon aus, dass der einheitliche Erfüllungsort eine Ausnahme darstelle.259 Die überkommene Lehre begründet dies mit dem Zweck des § 29 Abs. 2. Dieser habe, in Ergänzung des § 38 generell Gerichtsstandsvereinbarungen unter Nichtkaufleuten zu vermeiden. Intention des Gesetzgebers sei es nämlich, einen rechtlich Unkundigen bzw. geschäftlich ungewandten Schuldner davor zu schützen, dass ihm ein für ihn ungünstiger Gerichtsstand aufgedrängt wird.260 Der durch die Einführung der Vorschrift bezweckte Schutz könnte aber 81

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254 Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 39. 255 Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 39 m.w.N. bzgl. des Hinweises, dass eine Heilung durch nachträglichen Erwerb hier nicht in Betracht kommt. 256 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 40; Saenger/Bendtsen § 29 Rdn. 9. 257 Saenger/Bendtsen § 29 Rdn. 9. 258 OLG München NJW-RR 2010, 139 f. 259 Balthasar JuS 2004, 571, 572. 260 Statt aller: Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 2 m.w.N.

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unterlaufen werden, sofern materiell-rechtlichen Erfüllungsortvereinbarungen eine prozessuale Wirkung beigemessen wird.261 Nur dadurch, dass der ansonsten materiell-rechtlich wirksamen Leistungsortvereinbarung in prozessualer Hinsicht eine gerichtsstandsbegründende Funktion abgesprochen wird, könne der in §§ 29 Abs. 2, 38 angestrebte Gesetzeszweck in vollem Umfang erreicht werden und zugleich verhindert werden, dass zur Umgehung der §§ 29 Abs. 2, 38 bewusst materielle Vereinbarungen über den Leistungsort gemäß § 269 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB abgeschlossen werden. aa) Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen § 269 BGB und § 29 83 Abs. 2. Für die überkommene Lehre spricht allenfalls der Wortlaut des § 29 Abs. 2, entgegen ihren Behauptungen aber nicht die Funktion der Vorschrift. Sie ist abzulehnen. Nach § 269 Abs. 1 BGB stellt der von den Parteien bestimmte vereinbarte Erfüllungsort, an dem die Leistung zu erbringen ist, den vorrangigen Erfüllungsort dar, der für die Ermittlung des Vertragsgerichtsstandes gemäß § 29 vorrangig ist. Allerdings ordnet § 29 Abs. 2 an, dass der Erfüllungsort, der von den Parteien vereinbart wird, dann unbeachtlich ist, wenn die Vereinbarung nicht von Kaufleuten getroffen wird (§ 38 Abs. 1). In der Tat geht die überkommene Lehre262 davon aus, dass insoweit ein Gleichlauf zwischen § 29 Abs. 2 und § 38 Abs. 1 darin bestehe, dass Vereinbarungen nach § 269 BGB über den Erfüllungsort unbeachtlich seien, wenn nicht beide Parteien Kaufleute sind: Sie hält damit Vereinbarungen über den Erfüllungsort nach § 269 BGB gemäß § 29 Abs. 2 dann für prozessual unbeachtlich, wenn nicht auf beiden Seiten Kaufleute beteiligt sind.263 Roth264 weist dagegen zutreffend darauf hin, dass damit der Käufer, der nicht Kaufmann im Sinne der handelsrechtlichen Vorschriften ist, zwar materiell-rechtlich nach § 269 BGB mit dem Verkäufer vereinbaren kann, dass z.B. der Verkäufer am Wohnort des Käufers zu erfüllen habe, also eine Bringschuld zu erbringen ist. Da aber von Gesetzes wegen der Verkäufer grundsätzlich in seinem Ladenlokal auf Erfüllung haftet, also grundsätzlich ohne eine solche (abweichende) Vereinbarung des Erfüllungsortes eine Holschuld vorliegen würde, könnte die Bringschuld zwar, folgte man der überkommenen am Wortlaut orientierten Auslegung des § 29 Abs. 2, materiell-rechtlich wirksam eine Bringschuld vereinbart werden. Das Gericht an seinem Wohnsitz, bei dem der Käufer z.B. aufgrund einer Nebenpflichtverletzung des Verkäufers eine Schadenersatzklage erheben wollte, dürfte die Vereinbarung über den Erfüllungsort prozessual aber nicht beachten und müsste sich gegebenenfalls für unzuständig erklären. Roth265 ist darin zu folgen, dass damit ein Auseinanderfallen zwischen materiell-rechtlicher Befugnis der Parteien, den Erfüllungsort zu definieren, und prozessrechtlicher Gerichtsstandsnorm des § 29 Abs. 2 zu systemwidrigen Ergebnissen führen muss, wollte man der überkommenen Lehre folgen.266 Roth ist weiter darin zu folgen, dass er für eine einschränkende Auslegung des § 29 Abs. 2 eintritt.267 Dafür führt er neben dem zitierten Beispiel folgende Argumente an: Bei der Gerichtsstandsnovelle, mit der § 29 Abs. 2 in die geltende Fassung ins Gesetz eingeführt worden ist, handele es sich um ein „unausgereiftes prozessuales Änderungsgesetz“.268 Daher sei eine am Wortlaut der Vorschrift klebende Auslegung nicht angebracht.

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261 Kornblum ZHR 1974, 478 ff.; Diederichsen BB 1974, 377 ff. 262 Vgl. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 101. 263 Vgl. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 101. 264 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 33 m.w.N. 265 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 33 ff. 266 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 33. 267 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 33 ff. 268 Dies ist eine Kritik, die in der Literatur auch von anderen angeführt worden ist: vgl. Baumgärtel FS Weber (1975) S. 23; E. Schumann FS Larenz (1983) S. 571, 600 ff.

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Zudem sei die Änderung des § 29 Abs. 2 vom Gesetzgeber vorgenommen worden, ohne die Regelung des § 269 BGB dem geänderten Wortlaut der Vorschrift über den Erfüllungsgerichtsstand anzupassen; dies verweise darauf, dass die mit § 29 Abs. 2 auftretenden Probleme vom Gesetzgeber nicht erkannt worden seien, zumal auch im Rahmen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes269 an § 269 BGB in der bisherigen Fassung festgehalten worden ist. Es sei daher, so Roth,270 nicht angemessen, wenn durch die am Wortlaut der Vorschrift strikt orientierte Handhabung des § 29 Abs. 2 die materiell-rechtliche Regelung des § 269 BGB ausgehebelt werde. Denn dies würde dazu führen, dass der Erfüllungsort des materiellen Rechts nach § 269 BGB und der des Prozessrechts nach § 29 Abs. 1 auseinanderfielen, was jedenfalls vom Prozessrechtsgesetzgeber in dieser Weise nicht gewollt sei.271 Schließlich zieht Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO einen internationalen vereinbarten Standort der Sache in Betracht, was zu weiteren Wertungswiderspruch führen müsste.272 Roths Kritik an der von der herrschenden Lehre verfolgten Orientierung am Wortlaut des § 29 Abs. 2 verdient nach alledem Zustimmung. 84

bb) § 29 Abs. 2 dient dem Ausschluss isolierter Erfüllungsortsabreden. Dies wirft aber die Frage auf, welchen Geltungsbereich dann die Vorschrift des § 29 Abs. 2, erstreckt man sie auch auf Nichtkaufleute, überhaupt noch hat. Dies ist in einem Abgleich zwischen der Funktion der Vorschriften des § 38 Abs. 1 und Abs. 2 auf der einen Seite und § 29 Abs. 2 auf der anderen Seite zu ermitteln. § 29 Abs. 2 soll dabei dazu dienen, dass von den Parteien nicht anstelle der Vereinbarung über den Gerichtsstand, die nach § 38 Abs. 1, Abs. 2 und 3 nur unter den dort normierten Voraussetzungen Wirkungen entfaltet, einfach ein – im Übrigen von den Parteien nicht in der Abwicklung ihrer Vertragsbeziehung zugrunde gelegter – (Schein-)Erfüllungsort vereinbart wird.273 § 29 Abs. 2 soll damit – negativ formuliert – solche Vereinbarungen über den Erfüllungsort ausschließen, die allein dadurch die Wirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung haben, dass sie Auswirkungen auf die Ermittlung des Erfüllungsortsgerichtsstands haben. Die Vereinbarung eines Erfüllungsortes steht demgegenüber aber einer Gerichtsstandsvereinbarung i.S.v. § 38 Abs. 1 dann nicht gleich, wenn die Vereinbarung des Erfüllungsortes „ernsthaft“ in dem Sinne ist, dass der vereinbarte Erfüllungsort von den Parteien derartig beachtet wird, dass sie an dem vereinbarten Erfüllungsort in der Tat die vertraglich geschuldeten Leistungen erbringen. Damit wird deutlich, dass § 29 Abs. 2 nur solche Vereinbarungen des Erfüllungsorts als prozessual unbeachtlich ansieht, die allein auf den Gerichtsstand bezogen sind: Solche „isolierten“ oder „abstrakten“ Vereinbarungen des Erfüllungsorts sind daher nach § 29 Abs. 2 prozessual unbeachtlich, weil sie nach der aus der Wirklichkeit des Vertrages zu ermittelnden Willensäußerung der Parteien auch materiell keine Wirkungen entfalten sollen.274

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cc) Ausschluss der Umgehung von § 38 Abs. 1. Diese einschränkende Auslegung des § 29 Abs. 2 vermag die Vorschrift als prozessuale Norm zu fassen, die dazu dient, eine Umgehung des § 38 Abs. 1 auszuschließen.275 In § 29 Abs. 2 ist daher gemeint, dass auf dem Gebiet des materiellen Rechts vorgenommene Abreden über den Erfüllungsort, die

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269 270 271 272 273 274 275

Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138). Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 33. Musielak § 29 Rdn. 39, insb. 42; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 33. Vgl. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 41. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 34 u. 35; vgl.auch Musielak § 29 Rdn. 42. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 35. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 35.

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rein (isoliert bzw. abstrakt) gerichtsstandsbezogen sind, die Anwendbarkeit der Regelung des § 38 nicht auszuschließen vermögen. Roth formuliert dies so, dass anstelle von § 29 Abs. 2 auch ein § 38 Abs. 4 hätte formuliert werden können mit dem Inhalt, dass die Vorschriften des § 38 auch dann Anwendung fänden, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.276 dd) Berücksichtigung die Vertragswirklichkeit gestaltender Erfüllungsortsver- 86 einbarungen nach § 29 Abs. 1. Ist daher die von den Parteien getroffene Vereinbarung über den Erfüllungsort in Übereinstimmung mit der Vertragswirklichkeit,277 ist sie nach § 29 Abs. 2 nicht unbeachtlich. Dies deckt sich mit der Auslegung des Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO. Vereinbarungen, die der Vertragswirklichkeit entsprechen, sind auch nach § 29 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 2 prozessual beachtlich.278 Der BGH279 geht in einem obiter dictum davon aus, dass der Anwalt mit ausländischen Mandanten eine wirksame Erfüllungsortvereinbarung wegen § 29 Abs. 2 nicht abschließen könne und daher Klage im Ausland erheben müsse. Roth280 weist zu Recht darauf hin, dass hier eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Beklagten mit Wohnsitz außerhalb des Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der EuGVVO gegenüber denjenigen vorliegt, die einen Wohnsitz innerhalb des Mitgliedstaates haben und für die daher Art. 7 Nr. 1 EuGVVO zur Anwendung gelangt. Die Orientierung an der Vertragswirklichkeit als Maßstab dafür, ob eine Vereinba- 87 rung des Erfüllungsorts unter den Geltungsbereich des § 29 Abs. 2 fällt, lässt sich auf solche Fälle zwanglos anwenden, in denen die Vereinbarung des Erfüllungsorts selber Störungen unterworfen ist. Die Vereinbarung eines Erfüllungsortes, an dem die Erfüllung der Leistung unmöglich ist, ist nach § 29 Abs. 2 prozessual unbeachtlich, denn sie stellt sich deshalb als abstrakte Erfüllungsortsvereinbarung dar, da sie materiell-rechtlich keine Wirkungen entfalten kann und daher einer isolierte Gerichtsstandsvereinbarung funktional gleichzustellen ist.281 Haben sich nach der Vereinbarung über den Erfüllungsort die Verhältnisse in einer solchen Weise verändert, dass die Leistung nicht mehr an dem Ort erbracht werden kann, den die Parteien als Erfüllungsort vereinbart haben, bedarf es einer entsprechenden Anpassung. In der Anwendung durch das angerufene Gericht ist dies nicht so kompliziert, wie es zunächst erscheinen mag. Denn beruft sich der Kläger auf die Vereinbarung des Erfüllungsorts als den für die Bestimmung des besonderen Vertragsgerichtsstands maßgeblichen Ort, muss der Beklagte Umstände darlegen und gegebenenfalls beweisen, aufgrund derer sich ergibt, dass die Leistungserbringung an den vereinbarten Ort unmöglich oder wegen veränderter Umstände nicht mehr dem Vertrage und seiner Verwirklichung entspricht (Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 311 BGB). ee) Folgen für das Vorgehen des Gerichts. Wird daher ein Erfüllungsort als ver- 88 einbart behauptet, der sich aus besonderen, von den übrigen Vereinbarungen gelösten Vereinbarungen ergeben soll, Wieczorek282 sprach in diesem Zusammenhang von einer „gelösten Erfüllungsabrede“, ist gesondert Beweis darüber zu erheben, wie der Vertrag

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Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 35. BGH NJW 2009, 2606; Stein/Jonas/Roth § 29, Rdn. 35. Roth FS Schlosser (2005) S. 778. BGH DStRE 2004, 363, 365. Roth FS Schlosser (2005) 780. Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 35. Wieczorek 2. Auflage § 29 Rdn. A IIa.

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von den Parteien abgewickelt wird. Dies entspricht der Judikatur283 in der vertreten worden ist, in solchen Fällen sei der Beweis über die Zuständigkeit zu erheben. Das Begehren des Klägers allein, dass er also die Leistung an einem bestimmten Ort erfüllt haben will, entscheidet nicht über den Erfüllungsort. Der Erfüllungsort muss sich vielmehr entweder aus dem Rechtsgeschäft selbst – nämlich seinen Umständen – oder aus einer besonders auf den Erfüllungsort gerichteten Vereinbarung ergeben, deren Erfüllung selbst möglich ist.284 Trifft die Behauptung des Klägers über den Erfüllungsort nicht zu, so ist die Klage, wenn Leistung an dem behaupteten bestimmten Erfüllungsort gefordert werden sollte, unbegründet. In diesem Fall erstreckt sich die Rechtskraftwirkung (§ 322) aber nur auf den besonderen Antrag, so dass auf Erfüllung am anderen Ort immer noch geklagt werden darf. War dagegen der Antrag schlechthin auf Erfüllung gerichtet, so ist die Klage als unzulässig abzuweisen, auch wenn nur die besondere Abrede über den Erfüllungsort nicht erwiesen ist. b) Form. Wirkungen der Vereinbarungen des Erfüllungsortes beurteilen sich nach materiellem Recht. Sie sind formlos möglich.285 Wegen des erfassten Personenkreises greifen insofern besonders die Regelungen über das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben.286 Oder die widerspruchslose Entgegennahme einer Schlussnote gemäß § 94 HGB.287 Daher kann der Erfüllungsort auch aufgrund der Verwendung von AGB vereinbart werden, wobei die Grenzen zum einen in der Inhaltskontrolle,288 andererseits beim Vorliegen einer überraschenden Erfüllungsortsbestimmung (etwa ohne Bezug zum Vertrag im Übrigen) zu ziehen sind. Wird der Erfüllungsort durch einseitige Verrechnungsklausel (Fakturenklausel) vor90 gesehen, kommt damit eine wirksame Vereinbarung des Erfüllungsortes nicht zu Stande,289 und zwar auch dann nicht, wenn dies in dauerndem Geschäftsverkehr fortlaufend wiederholt wird.290 Wird eine Klausel über die Vereinbarung des Erfüllungsorts in ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben aufgenommen, kommt dagegen eine entsprechende Vereinbarung des Erfüllungsortes zu Stande.291 Erfüllungsortsvereinbarungen können weiter durch Aufnahme einer entsprechenden Formulierung in Schlussnoten gemäß § 94 HGB zustandekommen.292 Werden allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, in denen der Erfüllungsort 91 geregelt wird, kann damit eine wirksame Vereinbarung im Sinne von § 269 BGB getroffen werden, sofern nach den §§ 305 ff. BGB keine Unwirksamkeitsgründe vorliegen, namentlich kein Verstoß gegen § 307 BGB gegeben ist.293 Ein Verstoß gegen die §§ 308 und § 309 BGB, in denen Erfüllungsortsvereinbarungen nicht als typisch benachteiligende Abweichungen vom Vertragstypus genannt werden, liegt in der Regel allerdings vor, wenn eine materiell-rechtliche Erfüllungsortvereinbarung sachlich unbegründet ist.294 Liegt 89

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Wieczorek 2. Auflage § 29 Rdn. A IIa unter Verweis auf RG v. 28.6.1901 VII 166/01 N § 29/7. RGZ 49, 72, 73. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 99. RGH 57, 408, 410; 58, 66, 68 f. RGZ 59, 350. OLG Koblenz WM 1989, 892, 894. RGZ 5,493; 52, 133 RGZ 52,133; 65, 331. RGZ 58, 66. RG JW 1905, 147. Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 40 m.w.N. OLG Koblenz NJW-RR 1989, 1460.

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ein Verbrauchervertrag vor, ist für die Wirksamkeit einer Erfüllungsortvereinbarung § 310 Abs. 3 BGB maßgeblich. c) Schranken. Über die beschriebenen Schranken hinaus ist in der älteren Judika- 92 tur295 anerkannt gewesen, dass ein zwischen den Parteien vereinbarter Erfüllungsort, an dem die Erfüllung ersichtlich nicht erbracht werden kann oder soll, den Gerichtsstand nicht begründen kann. Heute folgt dies aus dem Vorrang der Individualabrede vor AGBmäßigen Abreden.296 Erfüllungsortabreden sind aber gleichwohl mit der Maßgabe materiell-rechtlich wirksam, dass von ihnen eine gerichtsstandsbegründende Wirkung nicht ausgeht. 297 Man spricht insofern von wirkungsgeminderten Erfüllungsortsabreden. 298 Auch im kaufmännischen Verkehr sind sog. fiktive („abstrakte“) Erfüllungsortvereinbarungen unwirksam, durch die ein materiell rechtlicher Leistungsort nicht begründet werden könnte; sie können aber in Gerichtsstandsvereinbarungen umgedeutet werden.299 d) Zeitpunkt. Die Vereinbarung des Erfüllungsortes kann nachträglich erfolgen und auch noch – übereinstimmend, gegebenenfalls auch stillschweigend300 – später von den Parteien abgeändert werden.301 Auslegung der Vereinbarung. Grundsätzlich bedeutet die Vereinbarung des Leistungsortes, dass damit ein gemeinsamer Erfüllungsort für beide Vertragsparteien gewollt ist.302 Wird nur ein Erfüllungsort für die Leistungspflicht vertraglich geregelt, wird damit die Gegenleistungspflicht des Schuldners nicht berührt.303 Eine Vermutung dafür, dass der Abladehafen der Erfüllungsort sei, begründen die Klauseln „fob“ (free on board) und „cif“ (cost, insurance, freight).304 Prozessuales. Die überkommene Meinung geht denn davon aus, § 29 Abs. 2 betreffe nur die Frage der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts; aus der etwaigen Unzuständigkeit könne nicht auf den materiell-rechtlichen Erfüllungsort zurückgeschlossen werden.305 Eine Vereinbarung des Erfüllungsorts kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Parteien sich der Möglichkeit der Klage vor anderen Gerichtsständen begehen wollen; daher kann von der Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes des Abs. 2 nicht ausgegangen werden.306 Zwischen mehreren durch mehrere vertraglich vereinbarte Erfüllungsorte begründeten Gerichtsständen hat der Kläger die Wahl. Zur Begründung der Zuständigkeit des nach Abs. 2 angerufenen Gerichts ist erforderlich, aber auch genügend die schlüssige Darstellung der Voraussetzungen des Gerichtsstandes, besonders die der persönlichen Eigenschaften der Parteien.307

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295 RG JW 1887, 301, 302; RGZ 41, 358, 361. 296 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 38. 297 BayObLG NJW-RR 1990, 1020. 298 Vgl. Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 26, 30. 299 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 36; vgl. Zöller/Vollkommer § 29 Rdn. 30; abl. Schack Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rdn. 174. 300 RGZ 106, 210 f. 301 OLG Schleswig IPRax 1993, 95 m. Anm. Vollkommer. 302 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 21; Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 43. 303 RGZ 30, 411, 412. 304 RGZ 87, 134; RGZ 90, 1, 2; RGZ 96, 2230, 2231; Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 43. 305 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 102. 306 Musielak/Heinrich § 29 Rdn. 44. 307 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 103.

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Schack (Der Erfüllungsort) hat darauf hingewiesen, dass § 29 Abs. 2 den Erfüllungsort, der durch die in der Vorschrift genannten Personen eine wirksame Vereinbarung über den Erfüllungsort getroffen haben, den prozessual maßgeblichen gesetzlichen Erfüllungsort von dem Erfüllungsort abgekoppelt, der materiell-rechtlich gegeben ist. Damit wird, wie Schack ausführt, die Identität von Leistung-und Erfüllungsort durchbrochen. Eine solche Durchbrechung von der Identität von Leistung und Erfüllungsort greift insbesondere auch, wie Schack (RN 199) überzeugend ausführt, dort, wo es wie im Falle von Unterlassungspflichten an einem materiellen Leistungsort fehlt. Dies greift weiter bei Zug-um-Zug-Leistungen. Auch hier kommt es nicht selten aus prozessualen Erwägungen zu Regelungen, die zu einer Manipulation des Erfüllungsortes führen (Schack Rdn. 201). Die von Schack beschriebene Abkoppelung des prozessual maßgeblichen Erfüllungsortes legt es nahe, zwischen der Funktion des Erfüllungsorts im materiellen Recht und dem Prozessrecht zu unterscheiden – was bei einer näheren Analyse der Judikatur eine Bestätigung findet. Im Rahmen von Arbeitsverträgen legt dies eine Anknüpfung an den Arbeitsort nahe. Geht es um Zahlungspflichten des Schuldners, bleibt es bei der allgemeinen Orientierung am Wohnsitz oder Sitz des Schuldners und im Übrigen beim Standort des Vertragsgegenstandes im Allgemeinen. Die hieran geübte Kritik (Vorauflage Hausmann Rdn. 34) fällt hinter die von Schack gewonnene Differenzierungsdichte zurück. So argumentiert Hausmann damit, es sei im „Regelfall“ durchaus angemessen, dass der Gläubiger die Durchsetzung der vertraglich ausbedungenen Leistung an dem Orte gerichtlich betreiben könne, an der er sie einzufordern berechtigt sei. Und es wird weiter die Behauptung aufgestellt, die Gerichte seien überfordert, wenn sie einen prozessualen Vertragserfüllungsort von dem materiell-rechtlichen herauszubilden aufgefordert wären. Dies übergehe die den Gerichten zumutbare Rechtsfortbildung. Daran nun kann man aber deshalb zweifeln, weil sich die Aufgabe einer solchen Ausdifferenzierung aus dem positiv gesetzlichen Rechts selbst ergibt, der Anlass für die Unterscheidung zwischen materiell-rechtlichen und prozessualen Erfüllungsort bilden unter anderem die Regelung des § 29 Abs. 2 ist. Und in der Tat setzen die Gerichte an dieser Stelle mit ihrer Judikatur an, und betreiben an dieser Stelle nicht etwa eine contra legem vorzunehmende Rechtsfortbildung, sondern differenzieren die Reichweite des zitierten Tatbestandes aus. Es ist auch kein überzeugendes Gegenargument, dass der von Schack vorgeschlagenen Art der Unterscheidung entgegengehalten werden könnte, dass der Gesetzgeber mit Sondergerichtsständen wie dem des § 29c im Falle von Haustürgeschäften, den Streitigkeiten für die Entscheidung von Gütertransportfällen nach § 30 und Frachtführer, Haftungsfälle nach § 30a Sondergerichtsstände getroffen habe und damit die Grenzen richterlicher Rechtsausfortbildung beschrieben habe.

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2. Anwendungsbereich der EuGVVO. Nach deutschen oder ausländischen materiell-rechtlichen Normen über den Erfüllungsort regelt § 29 auch die deutsche internationale Zuständigkeit308 unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Parteien. Nach der von der überwiegenden Ansicht geteilten Rechtsprechung des BGH309 ist der Erfüllungsort i.S.d. § 29 bei Fällen mit Auslandsberührung auf der Grundlage des in der Sache selbst anwendbaren materiellen Rechts zu bestimmen. Für die Prüfung, ob eine internationale Zuständigkeit gemäß § 29 Abs. 1 am Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes begründet ist, ist der Erfüllungsort daher nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht zu ermitteln.310 Der Erfüllungsort ist nach weit überwiegender Auf-

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MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 105. BGHZ 120, 347. OLG Karlsruhe TranspR 2008, 471 f.

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fassung nach der lex causae zu bestimmen, das heißt dem auf den Vertrag anwendbaren Recht zu entnehmen.311 Für die Bestimmung des vertraglichen Erfüllungsorts wird der Grundsatz der lex fori Anknüpfung also durchbrochen.312 Innerhalb des Geltungsbereichs der EuGVVO verdrängt deren Art. 7 Nr. 1 die Regelung des § 29. Auch nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist das internationale Privatrecht des Staates des angerufenen Gerichts maßgeblich für die Bestimmung des Erfüllungsortes. Arbeitsrechtliche Streitigkeiten können vor dem Gerichtstand des § 29 anhängig gemacht werden, auf den § 46 Abs. 2 ArbGG verweist.313 Der Anwendungsbereich der EuGVVO ist für die Auskunftsklage eines deutschen 99 Anlegers gegen ein Finanzinstitut mit Sitz in den USA wegen behaupteter Abrechnungsmängel nicht eröffnet, wenn zum Zeitpunkt der Klageeinreichung die deutsche Zweigniederlassung der englischen Konzerntochter des Unternehmens, bei der der Anleger die Dispositionen über das Anlagekonto und die Anlagegeschäfte getätigt hatte, nicht mehr bestand und bereits aus dem Handelsregister gelöscht war. Auch folgt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte weder aus Art. 6 EuGVVO i.V.m. § 21 (Gerichtsstand der Niederlassung) noch aus § 29 Abs. 1 (Gerichtsstand des Erfüllungsorts), wenn die mit der Klage begehrte Auskunftserteilung ebenso wie die Kontoführung am Sitz des Finanzinstituts in den USA zu erfolgen hat.314 Für eine Honorarklage eines deutschen Patentanwaltes gegen einen Mandanten mit 100 Wohnsitz im Ausland (hier: Asien) sind die deutschen Gerichte nicht nach § 29 international zuständig. Gebührenansprüche von Rechtsanwälten können im Regelfall nicht schon deshalb gemäß § 29 am Gericht des Kanzleisitzes geltend gemacht werden, weil dort unabhängig vom Sitz des jeweiligen Mandanten auch der Erfüllungsort für die Vergütungspflicht des Mandanten liegen soll. Maßgeblich ist vielmehr der Wohnsitz des Mandanten.315 IX. Der Geltungsbereich der EuGVVO § 29 wird im räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich des der EuGVVO durch 101 deren Art. 7 Nr. 1 verdrängt. Vertragsklagen können nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Die Vorschrift beschränkt sich mit anderen Worten nicht auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit, sondern es wird zugleich der örtliche Gerichtsstand geregelt. Damit bleibt für die Anwendung nationalen Prozessrechts der Vertragsstaaten keinerlei Raum. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO verdrängt neben dem Gerichtsstand des § 29 auch noch den Gerichtsstand des Zahlungsort nach § 604 im Urkundenprozess. Voraussetzung für die Verdrängung der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach dem Gerichtsstand des § 29 ist, dass der Beklagte in einem anderen Staat der EU verklagt wird. Handelt es sich dagegen um einen Beklagten, der seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, bleibt es bei der internationalen Zuständigkeit nach Art. 4 EuGVVO und § 29 ist dann für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit maßgebend. Sofern nicht Verbrauchersachen i.S.v. Art. 18 EuGVVO vorliegen, in deren Bereich Vereinbarungen über den Erfüllungsort ausgeschlossen sind, ist die Schutzvorschrift des § 29 Abs. 2 im

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311 Thomas/Putzo/Hüßtege § 29 Rdn. 2; Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 52; BGH NJW 1981, 2642; offen gelassen von BGHZ 120, 334. 312 Stein/Jonas/Roth § 29 Rdn. 52. 313 MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 111. 314 OLG München IPRspr 2007, Nr. 128, 354 ff. 315 OLG Düsseldorf IPRspr 2005, Nr. 99, 247 ff.

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Geltungsbereich der EuGVVO ausgeschaltet. Gleiches gilt für Versicherungssachen wegen derer die abschließende Zuständigkeitsregelung nach Art. 7 ff. EuGVVO greift. Klagen aus Miet- oder Pachtverträgen über unbewegliche Sachen unterliegen der Regelung des Art. 24 Abs. 1 EuGVVO. Nach Unterabsatz 1 der Vorschrift sind für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Unterabschnitt 2 der Vorschrift bestimmt, dass für Klagen betreffend die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden privaten Gebrauch für höchstens sechs aufeinander folgende Monate auch die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, sofern es sich bei dem Mieter oder Pächter um eine natürliche Person handelt und der Eigentümer sowie der Mieter oder Pächter ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben. Die Regelung in Unterabsatz 2 greift insbesondere im Zusammenhang des Streits über die Ferienhausmiete ein. Alternativ zu den Gerichten des Vertragsstaats sind daher international zuständig auch diejenigen Gerichte in deren Bezirk sowohl der Eigentümer als auch der Mieter bzw. Pächter ihren Wohnsitz haben. Insofern wird freilich § 29 durch die Spezialregelung des § 29a verdrängt. § 29 regelt zugleich mit der örtlichen Zuständigkeit auch die internationale Zustän102 digkeit. Liegt daher der Erfüllungsort der streitigen vertraglichen Verpflichtung in der Bundesrepublik Deutschland, sind die deutschen Gerichte zur Entscheidung des Rechtsstreits unabhängig davon örtlich und international zuständig, dass die Parteien Wohnsitz in Deutschland hätten oder die deutsche Staatsangehörigkeit hätten. Insoweit gilt, dass wie oben ausgeführt, der Erfüllungsort für jede vertragliche Pflicht selbstständig zu bestimmen ist. Bei der Bestimmung zuständigkeitsbegründender Merkmale ist das Recht des Gerichts anzuwenden. Die Qualifikation erfolgt mit anderen Worten lege fori. Nach deutschem Recht ist daher insbesondere die Frage zu beantworten, ob ein Vertragsverhältnis vorliegt. Demgegenüber ist lege causae, also nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht, die Frage zu beurteilen, welches der Erfüllungsort der streitigen Verbindlichkeit ist. Wenn Internationales Einheitsrecht wie Art. 57 Abs. 1 lit. a des Wiener UN-Kauf103 rechts den Erfüllungsort abweichend vom deutschen materiellen Recht in § 270 Abs. 4 BGB festlegen, dann wird damit ein aus deutscher Sicht rechtspolitisch unerwünschter Klägergerichtsstand eröffnet, der aber gleichwohl zugrunde zu legen ist.316 Im deutschen autonomen internationalen Recht entfaltet eine Erfüllungsortverein104 barung nach § 29 Abs. 2. Dies gilt auch dann, wenn nach der maßgeblichen ausländischen lex causae einer Erfüllungsortvereinbarung gerichtsstandsbegründende Wirkung zukäme. Denn die Wirkungen einer Erfüllungsortvereinbarung werden nur in materiellrechtlicher Hinsicht nach der lex causae beurteilt. Welche prozessualen Wirkung diese Vereinbarung im Inland hat, entscheidet sich demgegenüber alleine unter Zugrundelegung der deutschen lex fori. Im Übrigen ist die Kaufmannseigenschaft des ausländischen Vertragspartners nicht nach der lex causae, sondern wegen des prozessualen Schutzzwecks nach der lex fori zu beurteilen.

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316 Hackenberg Der Erfüllungsort von Leistungspflichten unter Berücksichtigung des Wirkungsortes von Erklärungen im UN-Kaufrecht und der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht (2000).

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§ 29a Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen § 29a Smid/Hartmann (1) Für Streitigkeiten über Ansprüche aus Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume oder über das Bestehen solcher Verhältnisse ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Räume befinden. (2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, wenn es sich um Wohnraum der in § 549 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs genannten Art handelt. Schrifttum Fehl Finanzierungsleasing und Bauherrenmodell: eine Strukturanalyse der AGB-Problematik im Bereich unbenannter Verträge; zugleich ein Betrag zur Lehre vom Typus (1986); ders. Rechtsdogmatische Betrachtungen zur Mietanhebungsklage nach dem Gesetz über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum, NJW 1974, 924; Ghassemi-Tabar Zuständigkeit des Belegenheitsgerichts für Ansprüche aus einem Vorvertrag über Räume? NZM 2012, 375; Kinne Die ordentliche Kündigung nach dem Mietrechtsreformgesetz (Teil II), ZMR 2001, 599; Kniep Ausschließlicher Gerichtsstand bei Mobilfunkmietverträgen, WuM 2006, 182; Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998).

I.

II.

Übersicht Normzweck ____ 1 1. Schutzfunktion ____ 1 2. Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes ____ 4 Anwendungsbereich der Vorschrift ____ 5 1. Allgemeines ____ 5 2. Räume i.S.d. §29a ____ 6 3. Ausnahme gemäß Abs. 2 ____ 8 4. Mietverträge ____ 11 5. Ansprüche aus drittbezogenen Pflichtverletzungen von Mietverträgen ____ 15 6. Ansprüche aus Mietgarantieverträgen ____ 16 7. Typengemischte Verträge. Leasingverträge ____ 17

8.

III.

Werkmiet- und Werkdienstverträge ____ 20 9. Unternehmenspachtverträge ____ 22 10. Untermietverhältnisse ____ 23 11. Klage- und Verfahrensarten ____ 24 a) Positive oder negative Feststellungsklagen ____ 24 b) Leistungsklagen wegen Erfüllungsansprüchen ____ 26 c) Schadensersatzansprüche ____ 27 d) Räumung ____ 28 Internationale Zuständigkeit ____ 29 1. EuGVVO ____ 29 2. Autonomes Recht ____ 34

I. Normzweck 1. Schutzfunktionen. Die vorliegende Vorschrift, die 1967 mit dem 3. MietRÄndG 1 eingefügt wurde, dient primär dem Schutz von als sozial schwächer situierten und daher in ihrer Rechtsverfolgung nicht die gleichen Chancen wie der Vermieter genießenden Mietern von Wohnraum. Dieser rechtliche Schutz wird durch Anordnung eines ausschließlichen Gerichtsstandes (unten Rdn. 4) verwirklicht, womit verbunden ist, dass im Übrigen nach § 40 Abs. 2 S. 1, 2. Var. Gerichtsstandsvereinbarungen 1 ausgeschlossen werden. Mieter von Wohnraum können nur am Ort ihrer Wohnung verklagt werden, sind aber im Übrigen auch dort zur Prozessführung berechtigt. Das gewährleistet neben der Waffengleichheit von Mieter und Vermieter im Prozess die Sach- und Ortsnähe der Entscheidung des Gerichts in Wohnraumsachen. Auf diese Sach- und Ortsnähe kommt es insbesondere im Zusammenhang der Feststellung ortsüblicher Vergleichsmieten (§ 558

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Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998) 83.

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Abs. 2 BGB) an. Ist im Verfahren der Sachverhalt festzustellen, wird es aber auch nicht selten darauf ankommen, Inaugenscheinnahmen vorzunehmen, was erschwert wird oder doch wenigstens zu Verzögerungen und höheren Kosten führen würde, wäre der Gerichtsstand des § 29a nicht gegeben. Bis zum RpflEntlG (Art. 1 Nr. 2) hat die Vorschrift – systemwidrig – auch die Zuständigkeit des Amtsgerichts normiert, vor dem der sozial schwächere ohne Anwaltszwang streiten kann. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts regelt, systematisch korrekt, seitdem § 23 Nr. 2a GVG. Darüber hinaus hat die Gesetzesänderung den Gerichtsstand des § 29a über den Be2 reich der Streitigkeiten über Wohnraum hinaus auf Streitigkeiten wegen jedweder Mietund Pachtverhältnisse über Räume jeder Art, also auch wegen gewerblicher Zwecke ausgedehnt, wobei insofern allerdings § 23 Nr. 2a GVG nicht greift. Handelt es sich daher nicht um Rechtsstreitigkeiten wegen zur Wohnung dienenden, angemieteten oder gepachteten Räumen, kann streitwertabhängig die Zuständigkeit des Landgerichts gegeben sein. Damit ist § 29a an Art. 16 Nr. 1b EuGVÜ – nunmehr geregelt in Art. 24 Nr. 1 EuGVVO – angepasst worden.2 Durch diese Regelung hat der Gesetzgeber darauf reagiert, dass auch im Hinblick auf Gewerberäume soziale Schutzzwecke greifen – was im übrigen Recht ebenfalls anerkannt wird (vgl. z.B. § 112 InsO). Dabei wird auf den Schutz kleiner selbstständig tätiger Gewerbetreibender gezielt, aber auch der Schutz von Arbeitsplätzen im Bereich mittelständischer Unternehmen bezweckt.3 Schließen die Parteien einen Mietvertrag über Wohnraum mit der Maßgabe ab, dass dort (auch) eine psychologische Praxis betrieben werden soll, so handelt es sich gleichwohl nicht um einen Mietvertrag über Geschäftsräume. An einer etwaigen bewussten Falschbezeichnung müssen sich die Parteien nach richtiger Ansicht auch in Ansehung der sachlichen Zuständigkeit mit der Folge festhalten lassen, dass für Ansprüche aus dem Vertrag ausschließlich das AG zuständig ist.4 Die sachliche Zuständigkeit des AG bewirkt mit der Überordnung des LG als Beru3 fungsinstanz einen zweistufigen Prozess – was eine kürzere Verfahrensdauer als in anderen Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen sollte.5 4

2. Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes. Zur Erreichung dieser Schutzfunktionen ist der Gerichtsstand des § 29a als ausschließlicher ausgestaltet.6 Ausgeschlossen wird durch diese Regelung zunächst, dass der Gerichtsstand prorogiert wird. Zudem kann die Zuständigkeit eines anderen Gerichts als desjenigen, in dessen Bezirk die Räume belegen sind, nicht durch rügeloses Einlassen gemäß §§ 39,7 40 Abs. 2 S. 1, 2 (s.a. § 33 Abs. 2) hergestellt werden. II. Anwendungsbereich der Vorschrift

5

1. Allgemeines. Auf die Unterscheidung zwischen gewerblicher Raummiete und Wohnraummiete, die in der Vergangenheit zu einer Reihe von kaum überzeugend lösbaren Problemen geführt und eine umfangreiche Kasuistik hervorgebracht hat, kommt es nach der Reform im Zusammenhang des § 29a nicht mehr wesentlich an; vgl. im Übrigen § 23 Nr. 2a GVG.

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2 3 4 5 6 7

Vgl. Zöller/Vollkommer § 29a Rdn. 2. BR-Drucks. 314/91 (v. 5.7.1991), S. 67. OLG München ZMR 2007, 119 f.; Vorinst. LG München II, ZMR 2007, 119. MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 2. Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998) 82, 93 f. OLG Frankfurt/M OLGZ 1979, 451, 452; OLG Düsseldorf WuM 1992, 548.

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2. Als Räume i.S.d. § 29a zu verstehen sind alle Innenräume von Bauwerken, also 6 mit Grundstücken verbundene Räumlichkeiten, aber auch Überbauten gemäß Art. 231 § 5, 233 § 8 EGBGB, vgl. §§ 3 ff. SachenRBerG.8 Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Räume dem Aufenthalt von Menschen, der Lagerung von Waren oder anderen Zwecken dienen.9 Auch Stallungen, die der Unterbringung von Tieren dienen, fallen unter die Vorschrift des § 29a Abs. 1.10 Geschäftsräume können Ladenräume, Werkstätten, Fabrikgebäude, Lagerräume, Garagen, Gaststätten, Vortragssäle, Kinos, Sporthallen sein, um nur einige Beispiele zu nennen. Dabei muss es sich nicht um Gebäude handeln die im Boden verankert sind. Es reicht, dass ein Gebäude allein durch sein Gewicht auf dem Erdboden ruht. Es kann sich dabei also auch um Container handeln, die auf lose verlegten Unterlagen aufgestellt sind. Entscheidend ist, ob es sich um Räume handelt, die nach einer ihnen zugedachten Ortsfestigkeit und Beständigkeit auf dauernde Nutzung angelegt sind. Zu den Räumen i.S.d. Vorschrift zählen daher auch Räume in transportablen Behelfsheimen,11 Baracken, Wohnschiffen u.dgl. mehr, sofern diese nicht nur vorübergehend mit dem Grundstück verbunden sind.12 Entscheidend ist, dass deren Bewohner den gleichen Schutz verdienen wie die fester Gebäude.13 Dies gilt auch für Büro- oder Verkaufscontainer. 14 Provisorisch aufgestellte Büro- oder Verkaufscontainer genügen diesen Anforderungen dagegen nicht. Bloß eingefriedete oder umschlossene Grundstücksflächen stellen im Übrigen ebenfalls keine Räume im Sinne der Vorschrift dar. Raum i.S.d. § 29a ist folglich auch nicht eine markierte Fläche eines Gebäudes, so dass der Parkplatz im Parkhaus nicht unter die Vorschrift fällt. Nicht dem Schutz des § 29a unterfällt daher der Mietvertrag über einen Dauerparkplatz in einem Parkhaus.15 Automaten, die an der Hauswand angebracht sind, oder Schaukästen, die für Reklamezwecke errichtet worden sind, fallen grundsätzlich nicht unter § 29a; anders kann dies aber sein, wenn Streitigkeiten um Parkplatzflächen, Schaukästen, Automaten u.dgl.m. geführt werden, sofern sie mit der Überlassung von Räumen in Zusammenhängen stehen – also z.B. die offenen Geräteschuppen im Garten bei der Vermietung eines Hauses, PKWStellplätze, die dem Wohnungsmieter vermietet sind oder bei einem sowohl als Wohnraum als auch Geschäftsraum genutzten Raum, wenn mit diesem ein Schaukasten vermietet worden ist.16 Ausschlaggebend ist dann, ob die Wohnraummiete für das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien bestimmt ist. Unter den Begriff „Räume“ i.S.d. § 29a sind alle mit einem Grundstück fest verbun- 7 denen Gebäudeteile gefasst, sodass der ausschließliche Gerichtsstand auch auf Mobilfunksendeanlagen anwendbar ist, die auf dem Dach von fest mit dem Erdboden verbundenen Gebäuden angebracht sind.17

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8 Vgl. Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 4. 9 Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998) 97 f.; Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 4. 10 Vgl. Zöller/Vollkommer § 29a Rdn. 5; Stein/Jonas/Roth § 29a Rdn. 7; so für Pferdeboxen AG Menden MDR 2007, 648. 11 OLG München MDR 1977, 497. 12 Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 4; Vgl. aber Zöller/Vollkommer § 29a Rdn. 5. 13 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 29a Rdn. 8; Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998) 101. 14 MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 4. 15 OLGR Frankfurt/M 1998, 214. 16 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 29a Rdn. 7 ff. 17 OLG München NJW-RR 2014, 266 f.; vgl. hierzu auch Kniep WuM 2006, 182.

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3. Ausnahme gemäß Abs. 2. Übersicht. Der Gerichtsstand des Abs. 1 ist gemäß Abs. 2 dann ausgeschlossen, wenn es im Streit um Wohnraum i.S.v. § 549 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB geht. Für den Begriff des Wohnraums, der in § 29a Abs. 2 gebraucht wird, ist das materielle Wohnungsmietrecht maßgeblich. 18 Die Vorschrift nimmt ausdrücklich auf Bestimmungen des BGB Bezug. Die Regelung des § 29a Abs. 2 erfasst folglich Mietverhältnisse über solche Räume, die materiell-rechtlich in den Schutzbereich des sozialen Wohnungsmietrechts fallen. Dies setzt voraus, dass diese Räume der Nutzung zu privaten Wohnzwecken dienen. Zu Wohnzwecken dienen die Räume, wenn sie vom Mieter vertragsgemäß dazu genutzt werden, in ihnen zu kochen, zu essen, und zu schlafen.19 Ausschlaggebend ist hier der von den Parteien vereinbarte vertragsgemäße Gebrauch. Unerheblich ist, ob die Wohnung ständig oder nur zeitweise als Zweitwohnung genutzt wird.20 Insoweit sie der privaten Haushaltsführung dienen, zählen zur Wohnung im Übrigen auch Flure, Abstellkammern, insbesondere aber auch außerhalb der abgeschlossenen Wohnräume liegende Keller oder Speicher.21 Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Fälle: Der Wohnraum ist nur zum 9 vorübergehenden Gebrauch vermietet (Nr. 1), wie im Falle von im Inland belegenen Ferienwohnungen,22 sofern nicht vereinbart ist, dass die Ferienwohnung dem Zweitwohnsitz des Mieters dienen soll, da in einem solchen Fall die Dauerhaftigkeit der Anmietung den Zweck des § 29a Abs. 1 in den Vordergrund treten lässt. Weiter greift Nr. 1 bei der Vermietung einer Wohnung für einen festgelegten Zeitraum an einen vorübergehend ein Projekt betreuenden auswärtigen Arbeitnehmer, einen Stipendiaten, der für einen bestimmten Zeitraum am Ort studiert u.dgl.m.23 Der unter Nr. 1 fallende Wohnraum muss nicht notwendig möbliert sein, wenn nur die Verträge über eine kürzere, absehbare Zeit abgeschlossen werden. Fälle der Vermietung an Studenten, die ihr allgemeines Studium absolvieren, fallen hierunter nicht, da die Dauer des Aufenthaltes und damit der Nutzung der Wohnung nicht von vornherein feststeht.24 Weiteres Beispiel ist die Wohnungsanmietung durch Messegäste. Weiter fällt nach Abs. 2 nicht unter § 29a Wohnraum, der Teil der vom Vermieter selbst bewohnten Wohnung ist und den der Vermieter überwiegend mit Einrichtungsgegenständen auszustatten hat. Hierbei handelt es sich um möblierte Teilwohnungen, deren Wohnflächen sich regelmäßig mit denen des Vermieters überschneiden25 und wobei regelmäßig eine Mitbenutzung von Gemeinschaftseinrichtungen wie Küche und Bad vorgesehen ist;26 in diesen Fällen geht die Verpflichtung des Vermieters darauf hinaus, den überwiegenden Teil der vom Mieter genutzten Einrichtungsgegenstände diesem zu stellen.27 Wird der Wohnraum dem Mieter dagegen zum dauernden Gebrauch mit seiner Familie oder mit Personen überlassen, mit denen er einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führt (Nr. 2), überwiegt der Schutzzweck des § 29a Abs. 1. Schließlich greift § 29a Abs. 1 nicht ein, wenn es sich um Wohnraum handelt, den eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein anerkannter

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18 Stein/Jonas/Roth § 29a Rdn. 9; vgl. auch BGH NJW 1981, 1377; OLG Hamm ZMR 1986, 11; Kinne ZMR 2001, 599. 19 MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 5. 20 OLG Hamburg, Urt. v. 30.9.1992 – 4 U 94/92 = NJW-RR 1993, 84. 21 Vgl. MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 5. 22 OLGR Celle 2000, 244; Vgl. auch insgesamt zu § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB: BeckOK-BGB/Ehlert § 549 BGB Rdn. 12. 23 Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 5. 24 OLG Hamm NJW-RR 1987, 810; Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 5. 25 MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 6. 26 Vgl. hierzu: BeckOK-BGB/Ehlert § 549 BGB Rdn. 13 f. 27 BeckOK-BGB/Ehlert § 549 BGB. 14.

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privater Träger der Wohlfahrtspflege angemietet hat, um ihn Personen mit dringendem Wohnungsbedarf zu überlassen, wenn sie den Mieter bei Vertragsschluss auf die Zweckbestimmung des Wohnraums und die Ausnahme von den genannten Vorschriften hingewiesen hat (Nr. 3). Ausgenommen sind Wohnräume in Studentenwohnheimen, § 549 Abs. 3 BGB. 10 4. Mietverträge. Abs. 1 greift für alle Arten von Mietverträgen.28 Er erfasst daher so- 11 wohl Haupt-, Zwischen- und Untermietverträge29 (§§ 535 ff., 580 ff. BGB) als auch echte Mietverträge zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB,30 ferner Werkmietverträge.31 Beruft sich der auf Räumung und Zahlung einer Nutzungsentschädigung verklagte Mieter auf einen (mündlich geschlossenen) Wohnraummietvertrag, so ist für diese Rechtsstreitigkeit ausschließlich das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Wohnraum belegen ist.32 Anders verhält es sich dagegen, wenn der Vermieter zunächst unter Berufung auf einen (mündlich geschlossenen) Wohnraummietvertrag Klage auf Räumung und Zahlung einer Nutzungsentschädigung erhoben und sich später im Einspruchsverfahren gegen den Mahnbescheid des Mieters über die Zahlung von Instandsetzungskosten für das Gebäude nicht mehr auf ein Mietverhältnis berufen hat, sondern eine Gebrauchsüberlassung im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses geltend macht. Dann ist für diesen Rechtsstreit nach Verbindung des Räumungs- mit dem Einspruchsverfahren das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk sich das Gebäude befindet. Das Vorbringen des beklagten Mieters bezüglich der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses ist insoweit unerheblich.33 Denn bei einer solchen Streitigkeit handelt es sich nicht um eine Streitigkeit über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum. Maßgeblich für die Beurteilung der Zuständigkeit ist insoweit stets der Sachvortrag des Klägers, da nur er den Streitgegenstand bestimmt. Macht ein Partner einer beendeten nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Wege 12 des Gesamtschuldnerausgleichs gegen den anderen Partner einen Anteil an der Wohnraummiete geltend, handelt es sich selbst dann nicht um einen Streit aus einem Mietverhältnis i.S.v. § 23 Nr. 2 Buchst. a GVG, wenn für eine ordentliche Kündigung des Mietvertrags die Mitwirkung des Lebensgefährten erforderlich ist.34 Der Streit hat nicht das zwischen beiden Parteien als Mieter und einer Dritten als Vermieterin bestehende Wohnraummietverhältnis (vgl. § 23 Nr. 2a GVG) zum Gegenstand, sondern die davon zu trennende Rechtsbeziehung der Parteien untereinander als Mieter. Diese Beziehung als – beendigte – nichteheliche Lebensgemeinschaft in Bezug auf die gemeinsame Nutzung einer Wohnung und das Aufbringen der Miete wird in der Rechtsprechung häufig als gesellschaftsrechtliches Verhältnis qualifiziert.35 Nach der jüngeren Rechtsprechung des BGH36 ergibt sich bereits mit Abschluss des Mietvertrags bzw. mit Beitritt zu demselben unter anderem ein Mitwirkungsanspruch gegen den ehemaligen Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft aus § 426 Abs. 1 BGB. Aber selbst wenn man als An-

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28 Bzgl. Ansprüchen aus einem Vorvertrag zu einem Mietvertrag ist nach Auffassung von GhassemiTabar NZM 2012, 375 die Geltendmachung in jedem Einzelfall anhand einer Auslegung des § 29a zu prüfen, ob der Anwendungsbereich eröffnet ist. 29 BeckOK/Toussaint § 29a Rdn. 1 ff. m.w.N. 30 Im Ergebnis ebenso OLG München Rpfleger 1972, 31, 32. 31 LAG Mannheim LAGE § 2 ArbGG 1979 Nr. 26; Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 121 f. 32 OLG Düsseldorf WuM 2007, 712. 33 KG NJW-RR 2008, 1465 f. 34 OLG München NJW-RR 2014, 80. 35 OLG München FamRZ 1993, 216; LG Berlin ZMR 2002, 751, 752. 36 BGH NJW 2010, 60; 2010, 868, 869.

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spruchsgrundlage für die erforderliche Mitwirkung bei der ordentlichen Kündigung eine Nebenpflicht aus dem abgeschlossenen Mietvertrag annimmt,37 so ist der persönliche Anwendungsbereich des § 23 Nr. 2a GVG, insoweit nicht anders als § 29a nicht eröffnet. Denn hierunter fallen nur die sich im Mietverhältnis gegenüberstehenden Parteien; Streitigkeiten von auf einer (Mieter- oder Vermieter-)Seite stehenden Parteien untereinander werden schon vom Sinn und Zweck der Regelung nicht erfasst.38 Denn nicht zwangsläufig erfordern die hier zu beurteilenden Fragen dieselbe Sach- und Ortsnähe, wie sie bei Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Mietverhältnis selbst üblicherweise geboten erscheint. 13 § 29a findet auf Ansprüche aus einem Sicherungsgeschäft betreffend ein Mietverhältnis keine Anwendung. Ein Verweisungsbeschluss, der sich in seiner Begründung hiermit nicht auseinandersetzt und daher nicht erkennen lässt, ob sich das verweisende Gericht mit den Voraussetzungen des § 29a überhaupt befasst hat, ist nicht bindend.39 § 29a ist dagegen auf die durch Unentgeltlichkeit geprägte Leihe gemäß § 598 BGB 14 nicht anwendbar. Auch eine analoge Anwendung begegnet Zweifeln. Denn der Leihvertrag vermittelt wegen seiner Unentgeltlichkeit dem Leihnehmer nicht den Schutz, dessen der Mieter von Wohnraum oder der Pächter von Gewerberaum bedürftig ist. 15

5. Ansprüche aus drittbezogenen Pflichtverletzungen von Mietverträgen. Der Wortlaut der Vorschrift wird dabei als zu eng gefasst angesehen. Der Gerichtsstand des § 29a ist auch wegen Schadensersatzansprüchen Dritter begründet, die wegen drittbezogener Schutzpflichten aus dem Mietvertrag herrühren. Weiter greift der ausschließliche Gerichtsstand im Bezirk der Belegenheit der Mietsache wegen Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche gegen Dritte, die dem Vermieter für die Verbindlichkeiten wegen der Miete (des Mietzinses) aus einem Schuldbeitritt gemäß § 414 BGB haften; sie müssen und dürfen nicht an ihrem allgemeinen Gerichtsstand, sondern an dem des § 29a Abs. 1 verklagt werden. Es ist nicht erforderlich, dass die streitenden Parteien des Prozesses zugleich Parteien des Vertrages über den Wohnraum sind. Der ausschließliche Gerichtsstand des Abs. 1 ist vielmehr auch dann begründet, wenn z.B. eine Zwischenvermietung vorliegt.40 Dies gilt auch in Fällen eines Eintritts des Hauptvermieters nach § 565 Abs. 1; auch hier greift § 29a ein. So ist auch für Rechtsstreitigkeiten wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten aus Wohnraum-Mietverhältnissen ausschließlich das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Wohnraum belegen ist.41 In all diesen Fällen gilt, dass nach dem Wortlaut des § 29a und des § 23 Nr. 2a GVG ein solcher Schadensersatzanspruch zwar von den Vorschriften nicht erfasst zu sein scheint. Kommentarliteratur 42 und höchstrichterliche Judikatur43 argumentieren dabei zutreffend mit dem Schutzzweck der Norm (vgl. Rdn. 1), der es gebietet, dass über den Wortlaut der Vorschrift hinaus diese extensiv ausgelegt wird. Entscheidend ist bei der gebotenen Auslegung des § 29a, dass diese Vorschrift dem Schutzgedanken des sozialen Mietrechts entspricht, das Verfahren möglichst am Wohnort des Mieters zu führen. Damit wird zudem durch die gerichtsverfassungsrechtliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts erreicht, dass, durch einen zweistufigen Prozess eine kürzere Verfahrensdauer bewirkt und eine größere Sach- und

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37 So wohl OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 575, 576. 38 BGH NJW 2004, 1239. 39 OLG Zweibrücken B. v. 22. 2. 2010 – 2 AR 30/09 –, juris. 40 BGHZ 114, 96 = NJW 1991, 1815. 41 OLG Düsseldorf MDR 2006, 327. 42 MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 1 f.; Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 1 m.w.N.; Zöller/Vollkommer § 29a ZPO, Rdn. 2. 43 BGHZ 85, 275, 282 f. = NJW 1984, 1615 für Bereicherungsansprüche.

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Ortsnähe des zuständigen Gerichts hergestellt wird. Verallgemeinernd lässt sich daher sagen, dass § 29a nach alledem in allen Fällen anzuwenden ist, in denen es im Kern um eine typische Mietstreitigkeit geht. Aussagekräftig ist es, wenn in der Rechtsprechung44 darauf verwiesen wird, dass es unerheblich ist, in welcher „rechtlichen Gestalt“ die Mietrechtsstreitigkeit auftritt.45 Der BGH46 hat dies so ausgedrückt, § 29a erfasse folglich alle Streitigkeiten über Ansprüche aus Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume oder über das Bestehen solcher Verhältnisse, also Rechtsstreitigkeiten, an denen die Prozessbeteiligten als Parteien des Vertrages, seiner Anbahnung oder Abwicklung beteiligt sind. 6. Ansprüche aus Mietgarantieverträgen. Auch Prozesse, in denen Streitigkeiten 16 aus Mietgarantieverträgen ausgetragen werden, fallen unter Abs. 1. Dabei geht es darum, dass der Garantiegeber dem Vermieter gegenüber beim Erwerb des Wohnraums die Verpflichtung zur Vermietung der Wohnung an Endvermieter übernommen hat.47 In diesen Fällen kommt es für den ausschließlichen Gerichtsstand auf eine Unterscheidung zwischen gewerblicher und nichtgewerblicher Zwischenvermietung nicht an. 48 Dagegen fallen Streitigkeiten über Ansprüche auf Zahlung des in einem Grundstückskaufvertrag vereinbarten garantierten Mietzinses nicht unter den ausschließenden Gerichtsstand des § 29a.49 7. Typengemischte Verträge. Leasingverträge. Mietkaufverträge, insbesondere 17 Leasingverträge fallen unter § 29a, wenn das mietvertragliche Element überwiegt.50 In der Literatur wird empfohlen, nach dem Verhältnis zwischen Kaufpreis und Leasingraten zu fragen.51 Damit ist freilich auf eine Abwägung im Einzelfall verwiesen, die zufällig ist. Demgegenüber empfiehlt es sich, an rechtlich nachvollziehbare Kategorien anzuknüpfen. Hier tritt, wie früh Fehl52 gezeigt hat, die steuerrechtliche Beurteilung der Zuordnung von (Finanzierungs-)Leasingverträgen in den Blick. Das verweist auf die steuerrechtliche Kategorie des „wirtschaftlichen Eigentums“ bei der Zuordnung des Leasinggutes.53 Die Komponente einer Raumpacht kann ebenfalls einen Franchise-Vertrag prägen. 18 Regelmäßig wird diese Komponente aber in dem Franchise-Vertrag von untergeordneter Bedeutung sein, da in ihm die Überlassung von Lizenzen, Patenten, Warenzeichen unter Verbindung mit Kauf-, Dienste- und werkvertraglichen Elementen dem Vertrag die Prägung verleihen. Auf den Schwerpunkt der vertragsmäßigen Pflichtenlagen kommt es auch bei Ver- 19 wahrungsverträgen an. So handelt es sich bei einem sog. Pferdeeinstellvertrag um einen gemischten Vertrag, der sowohl mietvertragliche als auch verwahrungsvertragliche Elemente enthält. Nur wenn ein solcher Vertrag aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung schwerpunktmäßig dem Mietrecht zuzurechnen ist, weil die Verwahrung (Pflege etc.)

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44 Z.B. OLG Düsseldorf WuM 2007, 712. 45 Vgl. BGH NJW 2004, 1239. 46 BGH NJW 2004, 1239. 47 LG Köln NJW-RR 1999, 1171. 48 BayObLG MDR 1996, 40, 42. 49 BayObLGR 2000, 72 (L.). 50 Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 7. 51 Vgl. MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 10 sowie Habersack § 515 Rdn. 4 „Leasing“; Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 111 f., 113. 52 Fehl Finanzierungsleasing und Bauherrenmodell: eine Strukturanalyse der AGB-Problematik im Bereich unbenannter Verträge; zugleich ein Betrag zur Lehre vom Typus (1986). 53 Vgl. hierzu eingehend Fehl Finanzierungsleasing und Bauherrenmodell, 71 ff., 74 ff.; aber auch Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 7.

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des Pferdes in den Hintergrund tritt, richtet sich die Bestimmung des Gerichtsstands nach § 29a.54 8. Werkmiet- und Werkdienstverträge. Werkmietverträge i.S.d. § 576 BGB beruhen auf einem selbstständigen Mietvertrag, bei dem der Mieterschutz Einschränkungen wegen der Verbindung zum Dienstverhältnis zwischen dem als Arbeitnehmer beim Vermieter abhängig beschäftigten Mieter und dem Vermieter als Arbeitgeber erfährt. Zuständig ist die ordentliche Gerichtsbarkeit, nicht die Arbeitsgerichtsbarkeit; 55 Abs. 1 kommt zum Zuge. Auf die Unterscheidung zwischen allgemeinen Werkmietwohnungen und funktionalen Werkmietwohnungen kommt es im Zusammenhang der Gerichtsstandbestimmung nicht an. Bei Werkdienstwohnungen ist § 576b BGB zu beachten: Auch der zeitlich an den Ab21 lauf eines Dienstverhältnisses geknüpfte Mietvertrag unterfällt, wenn die Wohnung vom Dienstverpflichteten mit Einrichtungsgegenständen ausgestattet oder er dort mit seiner Familie wohnt (vgl. § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB) den allgemeinen Mietvorschriften; für eine Anwendung des Abs. 2 besteht daher in solchen Fällen kein Anlass.

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9. Unternehmenspachtverträge stellen sich auch als typengemischte Verträge dar; dabei ist ausschlaggebend, ob die Unternehmenspacht überwiegend die Gebrauchsüberlassung der Räume zum Gegenstand hat.56 Dann kommt Abs. 1 zur Anwendung. Üblicherweise geht es bei der Unternehmenspacht aber darum, dem Pächter die Nutzungsbefugnis hinsichtlich der Gesamtheit der Rechte des Unternehmens einzuräumen. Dann greift Abs. 1 nicht. So besteht beispielsweise bei einem Betriebspachtvertrag über den eingerichteten Gewerbebetrieb einer Tankstelle der Schwerpunkt des Pachtvertrags nicht in einer Raumüberlassung, auch wenn Tankstellengebäude bestehend aus den Räumen Shop, Lager, Partner-, Geräte-, Personalraum und WCs, sowie Pflegediensthallen und Tankbehälter mitverpachtet sind. Denn für die Existenz und Funktion einer Tankstelle sind nicht die vorgenannten Räumlichkeiten, sondern an erster Stelle die sonstigen Grundstücksflächen, wie Zu- und Ausfahrten, Abstell- und Parkplatzflächen bei den Zapfsäulen und Servicestationen (Reifendruck, Wasser, Staubsauger etc.) von grundlegender Bedeutung. Deshalb ist für einen Rechtsstreit ein ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- bzw. Pachträumen i.S.d § 29a nicht begründet.57

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10. Untermietverhältnisse. Seit der Erstreckung des sozialen Mietschutzes auch auf Untermietverhältnisse58 ist nach richtiger Ansicht59 auch der verfahrensrechtliche Schutz, der die Einräumung des Gerichtsstandes des § 29a gewährt, auf diese Verhältnisse zu erstrecken. Dabei ist aber der Verweis auf § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Abs. 2 zu beachten, wonach Fälle der möblierten Teilwohnraumvermietung aus dem Bereich des ausschließlichen Gerichtsstandes des Abs. 1 ausgenommen sind.

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LG Krefeld AUR 2010, 352. Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 8. Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 9. OLG Hamburg GuT 2006, 147 f. BVerfGE 84, 197 = NJW 1991, 2272. Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998) 108 f.

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11. Klage- und Verfahrensarten a) Abs. 1 spricht allgemein von „Streitigkeiten“. Gründe dafür, diese allgemeine Be- 24 stimmung einzuschränken sind nicht ersichtlich. Daher fallen hierunter neben Leistungsklagen auch positive oder negative60 Feststellungsklagen (§ 256 Abs. 1); sie alle fallen unter den Geltungsbereich der von Abs. 1 bezeichneten „Streitigkeit“.61 Gegenstand eines Prozesses, für den der ausschließliche Gerichtsstand des Abs. 1 begründet ist, kann daher auch das Bestehen oder Nichtbestehen einer einzelnen mietrechtlichen Pflicht oder einzelner Rechte sein.62 Insbesondere sind hierzu Klagen aus dem mietrechtlichen Gewährleistungsrecht zu rechnen.63 Weiter stellt die Formulierung der Vorschrift klar, dass auch Arreste, einstweilige Verfügungen umfasst werden.64 Dagegen ist die Vorschrift in Mahnverfahren wegen der ausschließlichen Zuständigkeit nach § 689 Abs. 2 S. 3 nicht anwendbar.65 Die Anspruchsgrundlage kann sich auch außerhalb des Miet- und Pachtrechts erge- 25 ben.66 Hierbei ist aber zu beachten, dass dies nur eingeschränkt zutreffend ist: Die Rückforderung geleisteter Mietzinszahlungen wegen insolvenzrechtlicher Anfechtbarkeit betrifft keine (miet-)vertraglichen Ansprüche, sondern Ansprüche aus einem gesetzlichen (nämlich dem Bereicherungsrecht angehörenden) Rechtsverhältnis, auf das § 29a keine Anwendung findet.67 b) Leistungsklagen wegen Erfüllungsansprüchen.68 Die Aufzählung in Abs. 1 ist 26 nicht abschließend.69 Daher unterfallen dem ausschließlichen Gerichtsstand nach Abs. 1 auch Klagen, die auf Erfüllung der vertraglichen Hauptpflichten (§ 535 S. 1 BGB, § 581 Abs. 1 S. 1 BGB, 535 S. 2 BGB70) gerichtet sind bzw. mit denen die Erfüllung vertraglicher Nebenpflichten71 begehrt wird. Weiter unterfällt Abs. 1 die Klage wegen der Rückerstattung von Mietkautionen unter § 29a.72 Auch bei einer Klage auf Zustimmung zu einem Mieterhöhungsverlangen (vgl. §§ 557 ff. BGB) handelt es sich um eine § 29a unterfallende Streitigkeit.73 c) Schadensersatzansprüche. Weiterhin ist für alle aus dem Mietverhältnis fließen- 27 den Schadensersatzansprüche der Gerichtsstand des § 29a eröffnet, gleich ob sie aus den §§ 536, 581 Abs. 1 S. 1, 536a BGB,74 Pflichtverletzung – früher: positive Vertragsverletzung75

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60 MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 20; Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998) 134 f. 61 BT-Drucks. 314/91 S. 67; zum früheren Recht OLG Kiel SchlHA 1975, 94. 62 OLG Karlsruhe ZMR 1984, 18, 19; LG Essen ZMR 1970, 31; Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 11. 63 BGH WM 1985, 1213 f. 64 Stein/Jonas/Roth § 29a Rdn. 14. 65 Stein/Jonas/Roth § 29a Rdn. 14. 66 jurisPK-BGB/Backmann § 232 BGB [FN 23]. 67 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2013, 824. 68 Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998) 137 f. 69 BGH NJW 1984, 1615 (Rückzahlung überzahlten Mietzinses); Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 12. 70 LG Mannheim NJW 1969, 1071, 1072. 71 OLG Düsseldorf ZMR 1985, 383. 72 Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 12; Zöller/Vollkommer § 29a Rdn. 9. 73 LG Köln WoM 1992, 256; Fehl NJW 1974, 928 (zu § 2 MHG). 74 Zöller/Vollkommer § 29a Rdn. 9. 75 BayObLGZ 1992, 100, 103 = NJW-RR 1992, 1040.

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(u.a. Schadensersatz wegen vorgeschobener Eigenbedarfskündigung des Vermieters76) oder culpa in contrahendo77 – erhoben werden.78 28

d) Räumung. § 29a kommt in allen aus dem Mietvertrag herrührenden Streitigkeiten zur Anwendung.79 Auch dann, wenn das Räumungsbegehren neben den §§ 546, 581 Abs. 2 BGB auf § 985 BGB gestützt wird.80 Folgt der Herausgabeanspruch dagegen in keiner Weise aus einem Miet- oder Pachtverhältnis, so kommt § 29a nicht zur Anwendung.81 Das ist aber nicht bereits dann der Fall, wenn sich der Mietvertrag als nichtig erweist. Denn im Zusammenhang einer auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützten Räumungs- bzw. Herausgabeklage wäre der Herausgabeanspruch nur dann in keiner Weise auf ein Miet- oder Pachtverhältnis gestützt, wenn der Klage nicht ein fehlgeschlagener Abschluss eines Miet- oder Pachtvertrages zugrundeliegt.82 Klagen auf Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß §§ 574 bis 574c BGB können ebenfalls vor dem Gerichtsstand des § 29a erhoben werden.83 III. Internationale Zuständigkeit

1. EuGVVO.84 Für die vorgenannten Klagen bestimmt § 29a den ausschließlichen Gerichtsstand (oben Rdn. 4). § 29a begründet die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Belegenheit des Raumes im Bezirk eines deutschen Gerichts,85 so dass Urteile ausländischer Gerichte insoweit nicht anzuerkennen sind.86 Dagegen greift § 29a wegen im Ausland belegenen Wohnraums nicht ein.87 Die internationale Zuständigkeit richtet sich im Geltungsbereich der EuGVVO nach Art. 24 EuGVVO, der bestimmt, dass ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaates international zuständig sind, in denen die unbewegliche Sache belegen ist.88 Für den Streit zwischen Mieter und Vermieter, der in mehreren Gerichtsbezirken be30 legene Geschäftsräume betrifft, ist eine Gerichtsstandsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 4 möglich, wenn ein einheitliches Vertragsverhältnis zugrunde liegt, nicht aber dann, wenn für jedes Objekt ein eigener Mietvertrag abgeschlossen wurde.89 Es ist zweckmäßig, dass der Rechtsstreit beim Landgericht Lübeck geführt wird. Ist ein Gericht für einen Streitgenossen ausschließlich zuständig, so kann es auch dann als gemeinsam zuständiges Gericht bestimmt werden, wenn keiner der Streitgenossen dort seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.90 Auf diese Weise wird dem Zweck des § 29a Rechnung ge29

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76 AG Heidelberg WoM 1975, 67, 68. 77 Zöller/Vollkommer § 29a Rdn. 9. 78 Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 13. 79 Vgl. MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 9. 80 Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 14; Stein/Jonas/Roth § 29a Rdn. 23; a.A. Röwe MDR 1991, 183. 81 Zöller/Vollkommer § 29a Rdn. 13 m.w.N. 82 Vgl. Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 14. 83 Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 14. 84 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012. 85 OLG Düsseldorf IPRax 2000, 547 (L.). 86 Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 16 m.w.N., auch für die Gegenauffassung. 87 LG Bonn NJW 1974, 427 ff. 88 Auch Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 17. 89 OLG Dresden NZM 2011, 885. 90 BGH NJW 1987, 439; BGH NJW-RR 2008, 1514.

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tragen, Mietstreitigkeiten über Räume bei einem ortsnahen Gericht zu konzentrieren, das mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist.91 Im Geltungsbereich der EuGVVO wird § 29a durch die vorrangigen Regeln des eu- 31 ropäischen Rechts verdrängt. § 24 Abs. 1 Unterabs. 1 EuGVVO bestimmt, dass für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Unterabs. 2 der Vorschrift ordnet an, dass für Klagen betreffend die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden privaten Gebrauch für höchstens sechs aufeinander folgende Monate auch die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat,92 sofern es sich bei dem Mieter oder Pächter um eine natürliche Person handelt und der Eigentümer sowie der Mieter oder Pächter ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben. Dies ist im Wesentlichen der Fall bei der Miete von Ferienwohnungen; § 24 Abs. 1 Unterabs. 2 EuGVVO eröffnet hier alternativ die Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaates, so dass ein Wahlgerichtsstand in Betracht kommt, an dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Die internationale Zuständigkeit der Gerichte am Belegenheitsort des Raums ist im Übrigen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 1 EuGVVO ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien begründet. Die in ihrem Geltungsbereich § 29a verdrängende Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 Unter- 32 abs. 1 EuGVVO erfasst über den Bereich der von § 29a gemeinten Rechtsstreitigkeiten betreffend Miet- oder Pachtverträgen über Räume, also bebaute Flächen, auch Rechtsstreitigkeiten über Verträge über unbebaute Grundstücke. Art. 24 Abs. 1 EuGVVO erfasst demgegenüber solche Rechtsstreitigkeiten, die wegen 33 Verträgen über Wohnraum in beweglichen Sachen, der vermietet oder verpachtet wird, nicht. Insoweit kommt allein nach Art. 4 EuGVVO als Gerichtsstand der Wohnsitz des Beklagten oder nach Art. 7 Abs. 1 EuGVVO der Erfüllungsort als Gerichtsstand in Betracht. 2. Autonomes Recht. Für im Inland belegene Räume ist die internationale Zustän- 34 digkeit nach Art. 24 Abs. 1 EuGVVO ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien begründet. Daher kann sich aus § 29a aber nur außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des Art. 24 Abs. 1 EuGVVO eine Regelung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte ergeben. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Wohnraum in beweglichen Sachen vermietet wird. Weiter kommt dies in Betracht, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat. § 29a Abs. 1 wirkt doppelfunktional. Die Vorschrift ist im autonomen deutschen 35 Recht daher dahingehend zu verstehen, dass ein nach den §§ 12 ff. an sich zuständiges deutsches Gericht sich zu Gunsten des ausländischen Gerichts der Belegenheit der Räume für unzuständig erklären muss. Daher haben deutsche Gerichte auch wegen Streitigkeiten über Miet- oder Pachtverhältnisse an Räumen, die im Ausland belegen sind, die internationale Zuständigkeit, wenn diese nach den §§ 13 ff. begründet ist. Die herrschende Meinung begründet dies mit der besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Wohnungsmieters und der Sachnähe des Gerichts. Von einem ausländischen Richter könnte die Kompliziertheit mietrechtlicher Schutzvorschriften nur mit erheblichen Schwierigkeiten ermittelt und angewandt werden. Dies gilt nach einer verbreiteten Auffassung nicht

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OLG Düsseldorf MDR 2012, 1119. Vgl. Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 17.

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minder wenn die Räume im Ausland belegen sind. Der herrschenden Meinung ist der Vorzug zu geben.

§ 29b (weggefallen) Aufgehoben durch das Gesetz zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze vom 26.3.2007 (BGBl. I S. 370) mWv. 1.7.2007.

§ 29c Besonderer Gerichtsstand für Haustürgeschäfte § 29c Smid/Hartmann (1) Für Klagen aus außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§ 312b des Bürgerlichen Gesetzbuchs) ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Verbraucher zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für Klagen gegen den Verbraucher ist dieses Gericht ausschließlich zuständig. (2) § 33 Abs. 2 findet auf Widerklagen der anderen Vertragspartei keine Anwendung. (3) Eine von Absatz 1 abweichende Vereinbarung ist zulässig für den Fall, dass der Verbraucher nach Vertragsschluss seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt oder sein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist. Schrifttum Barta Der Gerichtsstand für Klagen gegen Anleger als Gesellschafter von Fondsgesellschaften, NJOZ 2011, 1033; De Bra Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen (1992); Hofmann Das Gesetz tzr Umsetzung der Verbaucherrechterichtlinie (BGBl. I 2013, 3642) – Teil 1: Allgemeine Änderungen sowie Modifizierungen der Verbraucherverträge und besonderen Vertriebsformen, – Teil 2: Allgemeine Pflichten und Grundsätze bei Verbraucherverträgen sowie die Ausweitung des Verbraucherschutzes durch den außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag, – Teil 3: Die Novellierung des Widerrufsrechts, jurisPR-ITR 3/2014, Anm. 2, 13/2014 Anm. 2, 23/2014 Anm. 2; Kleinknecht Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutsche und europäischen Zivilprozeßrecht (2007); Klug Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998); Kumm Notwendigkeit und Ausgestaltung eines Verbrauchergerichtsstandes im deutschen Zivilprozeßrecht (2007); Looschelders/Heinig Der Gerichtsstand am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers nach § 215 VVG, JR 2008, 265; H. Roth Wer ist im Europäischen Prozessrecht ein Verbraucher? FS von Hoffmann (2011) S. 715; Scherer Gerichtsstände zum Schutze des Verbrauchers in Sondergesetzen (1991).

I. II.

III.

Übersicht Entwicklung der Norm ____ 1 Normzweck ____ 2 1. Schutzfunktion ____ 2 2. Ausschließlichkeit ____ 3 Sachlicher Anwendungsbereich ____ 7 1. Allgemeines ____ 7 2. Abgrenzung zu § 32b ____ 15 3. Verbraucherkreditverträge ____ 16 4. Unerlaubte Handlung ____ 18

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5.

IV.

V.

Verträge gemäß § 312g Abs. 2 und Abs. 3 BGB ____ 19 Persönlicher Anwendungsbereich ____ 21 1. Anknüpfung an die Legaldefinition des § 312b BGB ____ 21 2. Situativ geprägter Verbraucherbegriff ____ 22 3. Unternehmerbegriff ____ 24 Prozessarten ____ 25

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Abschnitt 1. Gerichte

VI.

1. Übersicht ____ 25 2. Wechsel und Scheck ____ 26 3. Mahnverfahren ____ 27 Rechtsfolgen ____ 28

§ 29c

1. § 29c Abs. 1 ____ 28 2. Bestreiten des Beklagten ____ 32 VII. Gerichtsstandvereinbarungen nach § 29 Abs. 3 ____ 36

I. Entwicklung der Norm Die Vorschrift ist mit der Wiedereinfügung vertragsrechtlicher Vorschriften in das 1 BGB geschaffen worden. Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 1.1.20021 wurde das Haustürwiderrufsgesetz in der Fassung vom 16.1.19862 aufgehoben und in das Bürgerliche Gesetzbuch eingegliedert.3 Die bisherige Gerichtsstandsregelung in § 7 HaustürWG ist damit in die ZPO eingegliedert worden und bildet die Grundlage für § 29c. Die Vorschrift, die in Konstellationen von sog. „Haustürgeschäften“ den Verbraucher schützen soll (sogleich Rdn. 2),4 tritt neben Vorschriften, die in anderen Fallgestaltungen den im materiellen Recht angelegten sozialen Schutz einer Vertragspartei auch im Prozessrecht umsetzen, wie nicht zuletzt in § 29a im Streit zwischen Mietern und Vermietern oder außerhalb der ZPO bei Fernunterrichtsverträgen nach § 26 Abs. 1 FernUSG oder für Versicherungsvertragsverhältnisse in § 215 VVG (dazu unten Rdn. 6). All diese Regelungen weichen von dem für das deutsche Recht der zivilprozessualen örtlichen Zuständigkeit prägenden Grundsatz des actor sequitur forum rei ab. Von der Schaffung eines Sonderzivilprozessrechts für Verbraucher mit Schaffung eines allgemeinen Verbrauchergerichtsstandes5 hat der Gesetzgeber allerdings mit guten Gründen abgesehen; die zitierten Schutzvorschriften sind daher auf besondere Lagen zugeschnitten und nicht etwa Erscheinungsformen eines verbraucherprozessualen Grundgedankens.6 Zu Recht wird es daher abgelehnt, sie entsprechend auf andere Prozesse anzuwenden, in denen Verbraucher Partei sind.7 II. Normzweck 1. Schutzfunktion. § 312b BGB, mit dem die vertragsrechtlichen Regelungen des 2 früheren Haustürwiderrufsgesetzes in das BGB eingegliedert worden sind, dient dazu, die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Kunden wiederherzustellen, die in der typischen Verhandlungssituation eines „Haustürgeschäftes“ eingeschränkt ist.8 Mit der Neufassung des § 312b BGB9 (seit dem 13.6.2014 in Kraft getreten) unterfallen die in § 312b BGB a.F. erfassten „Haustürgeschäfte“ nunmehr der Fallgruppe der „außerhalb von Ge-

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1 Vgl. BT-Drucks. 15/6040. 2 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO (1998) 74. 3 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 1. Das Verbraucherrecht hat seine letzte große Reformierung mit Umsetzung der EU-Richtlinie über die Rechte der Verbraucher (RL 2011/83/EU oder VRRL) per Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie (BGBl. I 2013, 3642) erfahren (seit dem 13.6.2014 in Kragt getreten). Dabei wurden die §§ 312 ff. BGB in vier Kapitel untergliedert und vollständig neu gefasst (zu einem Überblick hierzu: Hofmann jurisPK-ITR 3/2014 Anm. 2, 13/2014 Anm. 2, 23/2014 Anm. 2). 4 De Bra Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen (1992); Kleinknecht Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutsche und europäischen Zivilprozeßrecht (2007); Scherer Gerichtsstände zum Schutze des Verbrauchers in Sondergesetzen (1991). 5 Kumm Notwendigkeit und Ausgestaltung eines Verbrauchergerichtsstandes im deutschen Zivilprozeßrecht (2007) 49 ff., 153 ff. 6 Vgl. auch G. Vollkommer/M Vollkommer FS Geimer (2002) 1367. 7 Zutr. Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 1. 8 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 2. 9 Durch Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie (BGBl. I 2013, 3642). Zu § 312b BGB auch näher: Hofmann jurisPR-ITR 13/2014 Anm. 2.

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schäftsräumen geschlossenen Verträge“; Fernabsatzverträge sind nunmehr in § 312c BGB n.F. geregelt. Der Drucksituation, der der Kunde ausgesetzt ist, entspricht eine prozessuale Asymmetrie, da er es regelmäßig mit einem Vertragspartner zu tun hat, der an einem anderen Ort seinen Sitz hat. Für die Prozessführungsbereitschaft der Partei ist aber der jeweilige Gerichtsstand von entscheidender Bedeutung,10 so dass die Notwendigkeit, den Vertragspartner an dessen allgemeinen Gerichtsstand zu verklagen, das aufgrund der wirtschaftlichen Übermacht des Vertragspartners ohnedies bestehende Ungleichgewicht zwischen dem Kunden und dem Vertragspartner verstärken würde. Um dieses Ungleichgewicht zu mildern räumt § 29c daher dem Verbraucher einen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz ein. Die Vorschrift vermeidet damit die Unannehmlichkeiten, die bei der Prozessführung an einem fremden Gerichtsstand entstehen und den Verbraucher möglicherweise von einer Klageerhebung abhalten.11 2. Ausschließlichkeit. Die beschriebene Schutzfunktion für den Verbraucher hat zur Folge, dass Klagen des Unternehmers gegen den Verbraucher ausschließlich am Gerichtsstand des § 29c zu erheben sind, wie Abs. 1 S. 2 ausdrücklich bestimmt.12 Die Wirkungen sind insofern freilich nicht weitreichend, weil sich der Gerichtsstand des § 29c und der allgemeine Gerichtsstand des Verbrauchers nach §§ 12, 13 in den allermeisten Fällen decken werden. Die Vorschrift bezweckt somit eine wohnsitzferne Inanspruchnahme des Verbrauchers zu verhindern. Dieses System wird dadurch flankiert, dass der Verbraucher nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 vor benachteiligenden Gerichtsstandsvereinbarungen durch § 38 geschützt wird; vgl. zu zulässigen Gerichtsstandsvereinbarungen im Übrigen § 29c Abs. 3 (Rdn. 35 f.). Der Gerichtsstand des § 29c bei Klagen von Seiten des Verbrauchers ist im Unter4 schied zu der früheren Vorschrift des § 7 HaustürwiderrufsG nicht ausschließlich, Abs. 1 S. 1. Vielmehr gibt § 29c dem Verbraucher einen zusätzlichen Gerichtsstand, vor dem er den Vertragspartner verklagen kann.13 Es ist dem Verbraucher somit unbenommen, auch an einem anderen Gerichtsstand zu klagen. Hier ist insbesondere an den Gerichtsstand der Niederlassung, § 21, zu denken.14 Schon bei Entstehung des § 7 HaustürWG hat sich der Gesetzgeber mit dieser Änderung15 den vorgebrachten Bedenken angeschlossen, nachdem es für den Schutz des klagenden Verbrauchers nicht notwendig sei, ihm die Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen zu versagen.16 3

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3. Widerklage des beklagten Unternehmers, § 29c Abs. 2. Dieser Absatz ist durch das SchuldRMG neu gefasst worden und hatte keine Entsprechung in § 7 HaustürWG. Da § 29c Abs. 1 dem Verbraucher einen ausschließlichen Wahlgerichtsstand einräumt, der nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 nicht abbedungen werden kann, käme § 33 Abs. 2 zum Zuge, der dem vor diesem Gerichtsstand Verklagten den Gerichtsstand der Widerklage verwehrt. Erhebt der Verbraucher gegen den Unternehmer Klage an einem Gerichtsstand, der nicht dem des § 29c entspricht und erhebt daraufhin der Unternehmer Widerklage, so müsste diese daher an sich nach § 145 abgetrennt und an das nach § 29c Abs. 1 S. 2 zuständige Gericht verwiesen werden. Der Gerichtsstand der Widerklage, § 33 Abs. 1,

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10 Vgl. Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 2. 11 Vgl. die Begründung zu § 7 HaustürWG, vgl. BT-Drucks. 10/2876, S. 15; vgl. auch Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 2 a.E. m.w.N. 12 Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 1. 13 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 4. 14 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 4. 15 Vgl. Stellungnahme der Bundesregierung BT-Drucks. 7/4078, S. 17. 16 Vgl. Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 4.

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wäre aufgrund des ausschließlichen Gerichtsstandes des § 29c Abs. 1 S. 2 nicht gegeben, §§ 33 Abs. 2, 40 Abs. 2. Durch § 29c Abs. 2 ist es jedoch möglich, die Widerklage am besonderen Gerichtsstand des § 33 Abs. 1 zu verhandeln, obwohl mit § 29c Abs. 1 S. 2 ein ausschließlicher Gerichtsstand besteht. § 29c Abs. 2 erklärt § 33 Abs. 2 für unanwendbar: Sofern der Unternehmer als Vertragspartner von Verbraucher am ausschließlichen Gesichtsgerichtsstand des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes des Verbrauchers verklagt werden kann stellt sich die Frage, wo der Unternehmer Widerklage erheben kann. Nimmt der Verbraucher die Möglichkeit wahr, am allgemeinen Gerichtsstand des Unternehmers als Vertragspartner oder am Erfüllungsort zu klagen, würde die Regelung des § 29c Abs. 1 S. 1 auf die Widerklage des Unternehmers erstreckt und dieser gezwungen werden, die Widerklage nur im ausschließlichen Gerichtsstand des Wohnsitzes des Verbrauchers zu erheben. Der Gewährleistung der Waffengleichheit des beklagten Unternehmers trägt daher § 29c Abs. 2 Rechnung. Das aber würde zu weit gehen, da die Widerklage dem Beklagten, der mit dem Angriff des Klägers überzogen wird, die Möglichkeit einräumen soll, sich vor dem vom Kläger angerufenen Gericht gegen die Klage zu wehren. Richtigerweise ist daher dem vom Verbraucher vor dem Gerichtsstand nach § 29c verklagten Unternehmer die Möglichkeit einzuräumen, im Fall der an seinem allgemeinen Sitz in Deutschland erhobenen Klage auch dort Widerklage zu erheben. Diese Vorschrift dient damit aber auch zugleich dem Schutz des Verbrauchers, dem es ermöglicht wird den gesamten Prozess konzentriert an einem Gerichtsstand zu Ende zu bringen. Eine entsprechende Regelung trifft § 215 Abs. 2 VVG, der die Anwendung des § 33 Abs. 2 auf Widerklagen des vom Versicherungsnehmer verklagten Versicherungsunternehmens ausschließt. 4. Verdrängung durch leges speciales. Die Gerichtsstandsregelung des § 215 VVG 6 verdrängt als lex specialis § 29c; in der Sache verwirklicht § 215 VVG den gleichen Schutz, den zu gewähren Aufgabe des § 29c ist. Denn § 215 Abs. 1 S. 1 VVG bestimmt, dass für Klagen des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung auch das Gericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Und § 215 Abs. 1 S. 2 VVG bestimmt für derartige Klagen gegen den Versicherungsnehmer den Gerichtsstand des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG als ausschließlich. Nach §§ 6, 7 HWiG bestand nach altem Recht kein besonderer Verbrauchergerichtsstand für Klagen aus Versicherungsverträgen.17 § 215 VVG hat nunmehr aber die sich mit § 29c stellende Frage erledigt, ob der besondere Gerichtsstand des § 29c für Haustürgeschäfte für Versicherungsverträge auch dann nicht bestehe, wenn sie „Haustürgeschäfte“ sind.18 Das OLG Jena19 vertrat diese Auffassung jedenfalls für Fälle, in denen der Versicherungsvertrag durch einen Makler vermittelt worden ist, da es in solchen Fällen schon an einer „Haustürsituation“ i.S.d. § 312b Abs. 1 BGB fehle, weil der Makler nicht wie der Versicherungsagent im Lager des Versicherers steht.

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So auch OLG Jena NJW-RR 2009, 719. OLG München VersR 2006, 1517 f. OLG Jena NJW-RR 2009, 719.

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III. Sachlicher Anwendungsbereich 1. Allgemeines a) § 29c erfasst Klagen aus außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (früher: Haustürgeschäften; im Folgenden wird an diesem eingeführten Begriff festgehalten) i.S.d. § 312b BGB.20 Demnach ist es erforderlich, dass die Klage sowohl in persönlicher wie in sachlicher Hinsicht unter § 312b BGB fällt.21 Im Gerichtsstand des § 29c können alle Ansprüche geltend gemacht werden, die im 8 Zusammenhang mit einem Haustürgeschäft stehen. Daher kann der Unternehmer mit der gegen den Verbraucher erhobenen Klage Erfüllungsansprüche, Herausgabeansprüche aus Eigentum, Pflichtverletzung – namentlich Verzug – geltend machen. Mit seiner Klage kann der Verbraucher vom Unternehmer ebenfalls Erfüllungsansprüche, Ansprüche auf Lieferung oder Leistung, aber auch Gewährleistungsansprüche, vertragliche Schadensersatzansprüche und Ansprüche wegen Pflichtverletzung geltend machen. Weiter kann vor dem Gerichtsstand des § 29c die Feststellung prozessual betrieben werden, dass es sich um ein „Haustürgeschäft“ i.S.v. § 312b BGB handele. Wird geltend gemacht, das abgeschlossene Geschäft sei unwirksam, weil der Verbraucher wegen Geistesschwäche oder Geisteskrankheit nicht wirksam habe abschließen können, hebt dies den Gerichtsstand des § 29c nicht auf, da der wesentliche Anknüpfungspunkt nicht die Nichtigkeit des Geschäfts, sondern seine Qualifikation als Haustürgeschäft ist. 7

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b) Bei „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge“ handelt es sich nach der Legaldefinition des § 312b BGB um solche Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist (Nr. 1). Nach § 312b Abs. 2 BGB handelt es sich um Geschäftsräume i.S.d. § 312b Abs. 1 S. 1 BGB bei unbeweglichen Gewerberäumen, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und beweglichen Gewerberäumen, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. § 312b Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt, dass Gewerberäume, in denen die Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, ihre Tätigkeit dauerhaft oder für gewöhnlich ausübt, Räumen des Unternehmers gleichstehen. Weiter fallen nach § 312b Abs. 1 Nr. 2 BGB unter § 29c solche Verträge, für die der Verbraucher unter den in § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB genannten Umständen ein Angebot abgegeben hat oder nach § 312b Abs. 1 Nr. 3 BGB solche Verträge, die in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder durch Fernkommunikationsmittel geschlossen werden, bei denen der Verbraucher jedoch unmittelbar zuvor außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers persönlich und individuell angesprochen wurde, oder nach § 312b Abs. 1 Nr. 4 BGB Verträge auf „Kaffeefahrten“, die also auf einem Ausflug geschlossen werden, der von dem Unternehmer oder mit seiner Hilfe organisiert wurde, um beim Verbraucher für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu werben und mit ihm entsprechende Verträge abzuschließen.

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c) Bei einem Verbundgeschäft besteht eine Indizwirkung dahin, dass die ursprüngliche Haustürsituation für die spätere Unterzeichnung des Darlehensvertrages, der zu-

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20 Die Haustürgeschäfte nach § 312 BGB a.F. unterfallen der Fallgruppe der „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge“ in § 312b BGB n.F. 21 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 5.

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sammen mit einer Kapitalanlage angeboten wird, ursächlich geworden ist. Das Gesetz verlangt keinen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Vertragsverhandlungen und der Vertragsunterzeichnung. Gleiches gilt für eine alleinige Ursächlichkeit der Verhandlungssituation für die letztlich abgegebene Willenserklärung.22 Für die Anwendung des besonderen Gerichtsstands für Haustürgeschäfte ist es ohne Bedeutung, ob dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zusteht, insbesondere ob es nach § 312g Abs. 2 BGB23 ausgeschlossen ist.24 d) Grundsätzlich ist Erfüllungsort bei einem Beratungsvertrag, der auf Kapitalan- 11 lagegeschäfte gerichtet ist,25 der Geschäftssitz des Beraters.26 Eine Klage, mit der ein Verbraucher Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Verletzung vertraglicher Pflichten aus einem Haustürgeschäft, wegen Verschuldens bei Vertragsschluss oder wegen einer mit dem Haustürgeschäft begangenen unerlaubten Handlung geltend macht, ist dagegen eine Klage aus einem Haustürgeschäft, für die das Wohnsitzgericht des Verbrauchers zuständig ist.27 Entscheidend kommt es daher darauf an, ob der Kläger die Voraussetzungen eines „Haustürgeschäftes“ bzw. eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages i.S.v. § 312b BGB schlüssig vorgetragen hat.28 Für einen Rechtsstreit um die Rückgewähr von Einzahlungen im Zusammenhang mit einem kreditfinanzierten Erwerb von Immobilienfondsanteilen ist das Gericht am Wohnsitz des Verbrauchers gemäß § 29c ohne Rücksicht auf die Anspruchsgrundlage zuständig, wenn sich die Klage auf ein Haustürgeschäft gründet. Dies gilt auch für Ansprüche, die sich aus der Schlechterfüllung solcher Geschäfte oder aus Verschulden bei Vertragsschluss ergeben.29 e) Die ausschließliche Zuständigkeit nach § 29c Abs. 1 Satz 2 kann im Falle eines 12 Beitritts zu einem Immobilienfonds vorliegen, wenn die Verhandlungen im Wesentlichen unter den tatsächlichen Voraussetzungen eines Haustürgeschäfts geführt worden sind.30 Kommt es daher durch ein „Haustürgeschäft“ bzw. einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag i.S.v. § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB zur Fondsbeteiligung des Klägers, ist für alle sich daraus ergebenden Klagen das Gericht am Wohnsitz des Klägers zuständig. Das gilt auch für (Folge-)Ansprüche aus Kapitalanlagen und deren Vermittler.31 Der X. Zivilsenat des BGH hat allerdings darauf erkannt, eine Klage gegen ein Wirt- 13 schaftsprüfungsunternehmen, das vom Anleger wegen Verletzung von Pflichten aus einem mit der Kommanditgesellschaft geschlossenen Vertrag über die Kontrolle der Mittelverwendung in Anspruch genommen wird, könne, auch wenn ein Vertrag über die Beteiligung an einem in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft organisierten Vermögensfonds im Rahmen eines Haustürgeschäfts zustande gekommen ist, nicht im be-

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22 OLG Dresden VuR 2006, 496. 23 Das Widerrufsrecht nach Maßgabe des § 355 BGB ist für Fernabsatzverträge sowie für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge in § 312g Abs. 1 BGB n.F. zu finden (vorher §§ 312 Abs. 1 S. 1, 312d Abs. 1 S. 1 BGB a.F.); die Ausnahmetatbestände sind in § 312g Abs. 2 BGB n.F. geregelt. Vgl. hierzu ausführlich: Hofmann jurisPR-ITR 23/2014 Anm. 2. 24 OLGR Köln 2005, 553 bzgl. § 312 Abs. 3 BGB a.F. bzw. § 1 Abs. 3 HWiG a.F. 25 Barta NJOZ 2011, 1033. 26 BGH NJW 2002, 2703; BayObLG NJW 2002, 2888. 27 BGH NJW 2003, 1190 f. 28 OLGR Köln 2005, 553. 29 OLG Dresden VuR 2006, 496. 30 KG WM 2008, 1571; KGR Berlin 2008, 749. 31 OLG Naumburg, Beschl. v. 31.1.2014 – 1 AR 30/13 = NJW-RR 2014, 957.

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sonderen Gerichtsstand des Haustürgeschäfts gemäß § 29c erhoben werden.32 Nun erfasst § 29c zwar ohne Rücksicht auf die Anspruchsgrundlage alle Klagen, mit denen Ansprüche geltend gemacht werden, die sich auf ein „Haustürgeschäft“ i.S.v. § 312b BGB gründen. Und zu den damit erfassten Ansprüchen gehören auch alle Folgeansprüche aus „Haustürgeschäften“ (aus außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen) sowie Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluss oder wegen einer in Zusammenhang mit dem „Haustürgeschäft“ begangenen unerlaubten Handlung gegen den Vertragspartner oder gegen Dritte, die in die Vertragsanbahnung eingeschaltet waren.33 Ist ein Streitgenosse nicht in die Anbahnung, den Abschluss oder die Abwicklung des als „Haustürgeschäft“ zu qualifizierenden Anlagevertrages einbezogen gewesen und stellen die gegen den Streitgenossen erhobenen Ansprüche auch keine Folgeansprüche aus diesem Vertrag dar, reicht es für die Anwendung des § 29c nicht aus, dass der geltend gemachte Schaden auch durch den Abschluss des „Haustürgeschäfts“ verursacht worden ist. 14

f) Ein Haustürgeschäft und damit der Gerichtsstand des § 29c sind zu verneinen, wenn lediglich die Vollmachtserteilung, nicht aber die maßgebliche, durch den bevollmächtigten Vertreter für den Verbraucher abgegebene Vertragserklärung auf einer Haustürsituation beruhte.34 Der X. Zivilsenat des BGH hat daher den besonderen Gerichtsstand des § 7 HWiG a.F., § 29c Abs. 1 für Klagen des Verbrauchers gegen eine Beteiligungsgesellschaft nicht für eröffnet gehalten, wenn der Verbraucher dieser Gesellschaft über einen von ihm in einer Haustürsituation bevollmächtigten Vertreter beigetreten, dieser bei der Beitrittserklärung jedoch nicht selbst in einer in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG a.F., § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB umschriebenen Situation betroffen war.35 Diese Rechtsprechung lässt sich aber, anders als die Beklagte anscheinend gemeint hat und im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren auf Fälle einer über eine Treuhänderin nur wirtschaftlich bewirkte Beteiligung an einer Publikums-BGB-Gesellschaft nicht übertragen. Hierzu hat der II. Zivilsenat des BGH ausdrücklich entschieden, dass die haustürwiderrufsrechtlichen Vorschriften auf ein Geschäft, durch welches sich ein Anleger in einer Haustürsituation über einen Treuhänder mittelbar an einer Publikumsgesellschaft beteiligt, Anwendung finden und dass sich ein etwaiger Rückgewähranspruch aus § 3 HWiG a.F. ungeachtet des Fehlens unmittelbar vertraglicher Beziehungen zwischen Anleger und Fondsgesellschaft gegen letztere richtet.36 Dann ist eine Klage des in einer Haustürsituation geworbenen Anlegers gegen die Gesellschaft, bei der u.a. über die „Wirksamkeit“ des mittelbaren Beitritts und ein Rückzahlungsverlangen des Verbrauchers gestritten wird, auch im besonderen Gerichtsstand des § 29c Abs. 1 S. 1 möglich.

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2. Abgrenzung zu § 32b. Gemäß § 32b Abs. 1 besteht ein gemeinschaftlicher ausschließlicher Gerichtsstand am Sitz der Prospektherausgeberin, der den möglicherweise bestehenden besonderen Gerichtsstand des § 29c verdrängt.37 Der im Zuge der Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes geänderte § 32b in der Fassung vom 19.10.2012, der seit dem 1.11.2012 gilt, sieht nun auch dann einen ausschließlichen Gerichtsstand für Klagen gegen den Anlagevermittler vor, wenn daneben zumindest auch der Emittent, der

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BGH ZIP 2011, 1074. BGH NJW 2003, 1190 f. BGHZ 144, 223, 226 ff.; 146, 262, 266; OLG Dresden JurBüro 2010, 154. BGH NJW 2002, 1425; 2003, 1190. BGHZ 148, 201. OLG Düsseldorf NZG 2013, 1234.

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Anbieter von Vermögensanlagen oder die Zielgesellschaft in Anspruch genommen wird. 38 Ein ausschließlicher Gerichtsstand, insbesondere bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen nach § 32b existiert dagegen nicht, wenn der Kläger keine der in § 32b Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 genannten Ansprüche verfolgt. Wirft daher der Kläger den Beklagten die individuelle Verletzung vertraglicher und vorvertraglicher Pflichten vor, ohne dies mit öffentlichen Kapitalmarktinformationen in Verbindung zu bringen, kann er sich dabei, wenn die Voraussetzungen eines Haustürgeschäfts im Übrigen vorliegen, für den besonderen Gerichtsstand des § 29c entscheiden.39 3. Verbraucherkreditverträge a) Aufgrund der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG v. 24.5.1999, Art. 11 16 Absatz 1 ist § 312a BGB richtlinienkonform dahin auszulegen, dass im Falle von Verbraucherkreditverträgen die Haustürgeschäftsrichtlinie dem Verbraucherkreditgesetz vorgeht. Infolgedessen ist § 29c auf Verbraucherkreditgeschäfte auch unter der Voraussetzung anzuwenden, dass einer der Ausschlussgründe der Subsidiaritätsregel des § 312a BGB vorliegen. Dies führt dazu, dass alle Haustürgeschäfte in Ansehung gerichtlicher Zuständigkeiten gleichbehandelt werden. b) Ist zur Absicherung von Forderungen aus einem § 29c unterfallenden Rechts- 17 geschäft ein Sicherungsgeschäft abgeschlossen worden, hat sich beispielsweise ein Dritter für eine Forderung aus einem Haustürgeschäft verbürgt, dann unterfällt die Bürgschaft der Regelung des § 29c nur unter der Voraussetzung, dass sie selbst als Haustürgeschäft eingegangen worden ist. Handelt es sich bei dem zu Grunde liegenden Kreditgeschäft um ein Haustürgeschäft, nicht jedoch um das Sicherungsgeschäft, dann fällt nur das Kredit-, nicht aber das Sicherungsgeschäft unter die Regelung des § 29c. 4. Unerlaubte Handlung. Der Gerichtsstand des Haustürgeschäfts kann auch auf 18 unerlaubte Handlungen Anwendung finden. Voraussetzung dafür ist, dass die unerlaubte Handlung die Modalität war, unter der das Haustürgeschäft betrieben worden ist. Wird vom Unternehmer oder seinem Personal eine unerlaubte Handlung ausgeübt, um den Verbraucher zum Abschluss eines Haustürgeschäftes unter Täuschung, Drohung zu bestimmen, begründet die auf §§ 823 ff. BGB, § 826 BGB gestützte Klage des Verbrauchers den Gerichtsstand des § 29c. Dieses unabhängig davon, ob die durch Täuschung oder Drohung herbeigeführte Willenserklärung des Verbrauchers zum wirksamen Abschluss eines Rechtsgeschäfts geführt hat oder ob Täuschung oder Drohung die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge haben. Ist die Intensität der unerlaubten Handlung des Unternehmers oder seines Personals nämlich so hoch, dass das abgeschlossene Rechtsgeschäft nichtig oder unwirksam ist, privilegiert dies im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit den Unternehmer gerade nicht. Vielmehr greift in diesem Fall ebenfalls § 29c. Es bedarf, wie im Schrifttum zutreffend ausgeführt wird, daher nicht einer Konstruktion eines Gerichtsstands des Sachzusammenhangs, um einen Deliktsgerichtsstand des § 32 in derartigen Fällen zu bemühen.40

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BT-Drucks. 17/8799, S. 27. OLG Naumburg, Beschl. v. 31.1.2014 – 1 AR 30/13 = NJW-RR 2014, 957. Statt aller: MünchKomm/Patzina § 29c Rdn. 15.

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5. Verträge gemäß § 312g Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Nach richtiger Ansicht41 können Klagen wegen aller Haustürgeschäfte vor dem Gerichtsstand des § 29c erhoben werden. Allerdings ist umstritten, ob der Gerichtsstand des Haustürgeschäfts auch dann begründet ist, wenn die Voraussetzungen des § 312g Abs. 2 BGB vorliegen. Die Gegenansicht42 stellte darauf ab, dass bereits nach dem Vortrag des Klägers in derartigen Fällen ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 2 BGB nicht bestehe. Eine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers ergebe sich daher schon nach materiellem Recht nicht und sei auch prozessrechtlich nicht gegeben.43 Demgegenüber wird vertreten, dass damit die Zulässigkeitsprüfung unnötig mit materiell-rechtlichen Fragen belastet würde.44 In der Tat ist letzterer Meinung zuzustimmen. Dafür sprechen sowohl Praktikabilitätserwägungen, aber vor allem strukturelle Gründe: Bereits nach dem Wortlaut des § 29c geht es um das Vorliegen eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages, das Vorliegen bestimmter Wirkungen eines solchen Vertrages ist dagegen nicht gefordert. Und betrachtet man die gesetzgeberische Technik der Regel-Ausnahme Formulierungen des § 312g Abs. 2 BGB, wird deutlich, dass die nähere Qualifikation der Art des Vertrages erst die Frage der Begründetheit der Klage betrifft. Auch in den Fällen, in denen nach die Subsidiaritätsregel45 § 312g Abs. 3 BGB das 20 Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Haustürgeschäften nicht bei Verträgen besteht, bei denen dem Verbraucher bereits auf Grund der §§ 495, 506 bis 512 BGB ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zusteht oder bei denen dem Verbraucher nach § 305 Abs. 1 bis 6 KAGB ein Widerrufsrecht zusteht, ist der Gerichtsstand des § 29c begründet. 19

IV. Persönlicher Anwendungsbereich 21

1. Anknüpfung an die Legaldefinition des § 312b BGB. Unter den Begriff des „Haustürgeschäftes“ bzw. des außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages können nach der Legaldefinition des § 312b BGB nur Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern fallen. Der Begriff des Verbrauchers sowie des Unternehmers ist in den §§ 13, 14 BGB beschrieben.46 Verbraucher ist nach § 13 BGB47 jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Personengemeinschaften, die nicht juristische Personen sind, können in den Schutzbereich des § 29c fallen, wenn sie außerhalb einer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handeln. Dies kann insbesondere bei Wohnungseigentümergemeinschaften, Bruchteilsgemeinschaften, Gesamthandsgemeinschaften, Gesellschaften bürgerlichen Rechts, ehelichen Gütergemeinschaft oder Erbengemeinschaften der Fall sein. Anders ist dies, wenn eine planmäßige und auf Dauer angelegte wirtschaftliche selbständige Tätigkeit vorliegt.

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41 Saenger/Bendtsen § 29c Rdn. 3; Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 7; vor allem BeckOK/Touissant § 29c Rdn. 2. 42 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 5. 43 Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 5. 44 Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 5. 45 Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 6. 46 Einzelheiten H. Roth FS von Hoffmann (2011) 715. 47 Der Wortlaut des § 13 BGB wurde im Zuge der Reform des Verbraucherrechts per Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013 (BGBl. I S. 3642) mWv. 13.6.2014 ohne Auswirkungen neugefasst. Vgl. hierzu auch: Hofmann jurisPR-ITR 13/2014 Anm. 2.

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2. Situativ geprägter Verbraucherbegriff a) Zwar knüpft § 29c nicht an die Person des Verbrauchers, sondern an situative Um- 22 stände an. Nach dem Zweck der Bestimmung, den Verbraucher vor einer ortsfernen Inanspruchnahme zu schützen, ist jedoch auf die Person des Verbrauchers abzustellen. Der Gerichtsstand gilt nur für den Verbraucher selbst, nicht für den Zessionar. Dafür spricht auch § 29c Abs. 1 S. 2, wonach für Klagen gegen den Verbraucher das nach § 29c Abs. 1 S. 1 zuständige Gericht, in dessen Bezirk der Verbraucher zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ausschließlich zuständig ist. Hat der Verbraucher seinen Anspruch abgetreten und klagt jetzt der Zessionar, so steht diesem der Gerichtsstand des § 29c Abs. 1 S. 1 nicht zur Verfügung.48 b) Bürgen unterfallen § 29c nur dann, wenn sie selber Verbraucher sind und unter 23 Bedingungen eines Haustürgeschäfts die Bürgschaftsverbindlichkeit eingegangen sind.49 Ob auch der Bürge darüber hinaus vom Schutz des § 29c erfasst ist, wurde in der Vergangenheit vor dem Hintergrund bejaht, dass seine Schutzbedürftigkeit materiell-rechtlich dem des Verbrauchers als Hauptschuldner als gleichgelagert angesehen wurde;50 dies ist abzulehnen, da für den Gerichtsstand des § 29c weder die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben noch Gründe für eine auch im Übrigen abzulehnende analoge Anwendung der Vorschrift (dagegen oben Rdn. 1) zu finden sind. 3. Unternehmerbegriff. Zu beachten ist dabei, dass der Begriff des Unternehmers 24 nicht im Sinne des Handelsrechtes zu verstehen ist, sondern vielmehr in einer funktionellen Bedeutung. Denn nach § 14 Abs. 1 BGB ist Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft (vgl. im Übrigen § 14 Abs. 2 BGB), die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Anknüpfungspunkt für den Unternehmerbegriff ist die Entgeltlichkeit der Tätigkeit. Nicht unter den Unternehmerbegriff können solche Personen fallen, die nichtselbstständig tätig sind. Arbeitnehmer, Angestellte oder Beamte sind daher nie Unternehmer i.S.v. § 14 BGB. Damit reicht § 29c weiter als die Ausnahmen vom Prorogationsverbot des § 38 Abs. 1, der lediglich Kaufleute i.S.d. §§ 1–3 HGB erfasst (vgl. die Ausführungen in § 38 unter Rdn. 81 f.). Nach § 312b Abs. 1 S. 2 BGB stehen dem Unternehmer im haustürwiderrufsrechtlichen Sinne die Personen gleich, die für ihn tätig sind. V. Prozessarten 1. Übersicht. Nach ihrem Zweck ist die Vorschrift des § 29c weit auszulegen. An- 25 wendbar ist der Gerichtsstand damit auf alle Prozesse, die wegen einer Vereinbarung geführt werden, die unter den besonderen Bedingungen der §§ 312, 312b Abs. 1 BGB geschlossen wurde und bei denen kein Ausschlussgrund besteht.51 Erfasst werden dann sowohl vertragliche Ansprüche, insbesondere Erfüllungsansprüche sowie Rückgewähransprüche nach §§ 312, 355 BGB, aber auch solche aus einem Rückgewährschuldverhältnis, das nicht auf § 312 BGB beruht,52 Sekundäransprüche sowie gesetzliche Ansprüche.

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48 49 50 51 52

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OLG München VersR 2009, 1382; vgl. auch den Nichtzulassungsbeschluss BGH VersR 2010, 645. Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 3. EuGH NJW 1998, 1295; BGH NJW 1998, 2356; aufgegeben von BGH NJW 2006, 845. Vgl. Musielak/Heinrich § 29a Rdn. 7 a.E. Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 7 m.w.N.; Zöller/Vollkommer § 29c Rdn. 4.

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§ 29c

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

Auch deliktische Ansprüche, die mit dem Haustürgeschäft in Zusammenhang stehen und vom Verbraucher gegen den Unternehmer geltend gemacht werden, fallen unter § 29c.53 Der umfassende Verbraucherschutz gebietet hier eine Bündelung aller Ansprüche an einem Gericht.54 Im umgekehrten Fall verbleibt es dagegen aufgrund des fehlenden Schutzbedürfnisses des Verbrauchers bei dem Gerichtsstand des § 32.55 26

2. Wechsel und Scheck. Der auf der Abstraktheit beruhende Gerichtsstand des § 603 Abs. 1 hat bei Klagen des Unternehmers aus einem Wechsel oder Scheck hinter den Schutzzweck des § 29c zurückzutreten.56 Jedoch muss sich bei der von Amts wegen durchzuführenden Zulässigkeitsprüfung für das Gericht ein tatsächlicher Anhaltspunkt für eine wirtschaftliche Einheit zwischen Scheck oder Wechsel und Haustürgeschäft ergeben.57 Aufgrund der Neufassung des § 29c hat der Verbraucher nunmehr die Wahl zwischen § 603 und § 29c, wenn er gegen den Unternehmer aus einem Scheck oder Wechsel, klagt.58

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3. Mahnverfahren. Es gelten alleine die §§ 688 ff. mit der Zuständigkeitsregelung des § 689 Abs. 2 S. 1 für das Mahnverfahren. § 29c findet erst dann Anwendung, wenn eine Überleitung in das streitige Verfahren erfolgt.59 VI. Rechtsfolgen 1. § 29c Abs. 1

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a) Bestimmung des Gerichtsstandes. § 29c beschränkt sich auf die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit; die sachliche Zuständigkeit wird von § 29c nicht erfasst. Der Wohnsitz des Kunden richtet sich nach den §§ 7 bis 11 BGB. Fehlt ein inländischer Wohnsitz, so bestimmt sich der Gerichtsstand nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort, welcher der Ort ist, an dem sich jemand nicht nur vorübergehend, sondern ständig oder für längere Zeit aufhält. 60 Sollen mehrere Verbraucher mit unterschiedlichem Wohnort als Streitgenossen verklagt werden, greift § 36 Abs. 1 Nr. 3 ein;61 der Gerichtsstand wird vom nächsthöheren Gericht bestimmt (vgl. die Ausführungen bei § 36). Im umgekehrten Fall hat der Verbraucher, wenn er mehrere Unternehmer verklagt, gemäß § 35 ein Wahlrecht, da ihm § 29c lediglich einen besonderen Gerichtsstand gewährt.62

29

b) Maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige der Klageerhebung, § 253 Abs. 1. Daher kommt es auf die Zustellung der Klageschrift an. Ein späterer Wohnortswechsel lässt die Zuständigkeit unberührt, § 261 Abs. 3 Nr. 2.

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53 BGH NJW 2003, 1190; Celle NJW 2004, 2602; Zöller/Vollkommer § 29c Rdn. 4. 54 MünchKomm/Patzina § 29a Rdn. 16; Zöller/Vollkommer § 29c Rdn. 4; a.A. Erman/Saenger § 7 HaustürWG Rdn. 4. 55 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 7; MünchKomm-BGB/Ulmer § 7 HaustürWG Rdn. 5; Staudinger/Werner 13. Aufl. (1993 ff.) § 7 HaustürWG Rdn. 6; a.A. Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 7 a.E. 56 MünchKomm/Patzina § 29c Rdn. 14; Stein/Jonas/Roth § 29c Rdn. 8. 57 Musielak/Heinrich § 29c Rn.8; MünchKomm/Patzina § 29c Rdn. 14. 58 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 8 a.E. 59 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 9. 60 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 10. 61 Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 10. 62 Dies war einst im Hinblick auf § 7 HaustürWG streitig, vgl. Staudinger/Werner 13. Aufl. (1993 ff.) § 7 HaustürWG Rdn. 21; Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 10.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 29c

c) Anknüpfungspunkt des § 29c ist der Wohnsitz des Verbrauchers. Dies muss, wie 30 die Fälle des § 312b, § 312c BGB zeigen, nicht zwingend der Ort sein, an dem das fragliche Rechtsgeschäft vorgenommen worden ist. Hat der Verbraucher mehrere Wohnsitze, was nach § 7 Abs. 2 BGB möglich ist, würde sich daraus ergeben, dass mehrere an den Wohnsitz anknüpfende Gerichtsstände in Betracht zu ziehen wären. Der Schutzzweck der Vorschrift gebietet es aber, eine sich hieraus ergebende Wahlmöglichkeit des Unternehmers, vor einem sich aus den Wohnsitzen des Verbrauchers ergebenden Gerichtsstand die Klage zu erheben, zu beschränken. In derartigen Fallgestaltungen folgt aus dem Schutzzweck der Norm, dass Gerichtsstand der Ort der Vertragsanbahnung ist. In Ermangelung eines Wohnsitzes des Verbrauchers ist auf den gewöhnlichen Auf- 31 enthalt, also den Ort abzustellen, an dem sich die Person für einen längeren Zeitpunkt aufzuhalten pflegt, auch wenn dieser Aufenthalt nicht frei von Unterbrechungen war. Es kommt mithin auf den tatsächlichen Mittelpunkt des Daseins des Beklagten an. Dieser Ort mag selbst einen vorübergehenden Charakter haben und der Aufenthalt muss nicht freiwillig sein wie z.B. das Verweilen in einem Krankenhaus oder der Aufenthalt in einer Strafanstalt. Abs. 3 der Vorschrift schützt den Unternehmer davor, dass der Verbraucher seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt. 2. Bestreiten des Beklagten a) Der Beklagte muss die tatsächlichen Umstände, aus denen sich ein Haustürge- 32 schäft ergibt, bestreiten. Es genügt nicht, dass er abstrakt bestreitet, dass ein „Haustürgeschäft“ vorliege, denn ein solches Bestreiten ist unsubstantiiert, da es sich hierbei um einen Rechtsbegriff handelt.63 Im Übrigen ist auch irrelevant, ob das Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 2 BGB n.F. ausgeschlossen war, denn § 29c stellt nur auf das Vorliegen eines Haustürgeschäfts ab. b) Unzuständigkeit. Wird die Klage des Unternehmers gegen den Verbraucher beim 33 örtlich unzuständigen Gericht erhoben, so hat sich aufgrund des ausschließlichen Charakters des § 29c Abs. 1 S. 2 das Gericht für örtlich unzuständig zu erklären und die Klage abzuweisen, wenn nicht der Kläger einen Antrag nach § 281 stellt.64 Hierauf ist der Kläger nach § 139 Abs. 3 hinzuweisen, im Verfahren vor dem Amtsgericht der Beklagte nach § 504.65 Die Berufung bzw. Revision kann nach §§ 513 Abs. 2, 557 Abs. 3 nicht darauf gestützt werden, dass sich das Gericht entgegen § 29c nicht für unzuständig erklärt. § 29c Abs. 1 S. 1 stellt bei Klagen des Verbrauchers gegen den Unternehmer lediglich einen besonderen Gerichtsstand dar.66 Ist das angerufene Gericht unzuständig, so kommt eine Zuständigkeit über § 39 in Betracht. Ob es sich bei einem Geschäft um ein Haustürgeschäft handelt ist in Fällen der Klage 34 des Verbrauchers von diesem zu beweisen. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung stellt sich die Frage, wie dies prozessual umzusetzen ist. Denn bei den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Haustürgeschäftes handelt es sich um sogenannte doppelrelevante Tatsachen, die neben der materiell-rechtlichen Bedeutung eine prozessuale Rolle spielen. Für den Fall sog. doppeltrelevanter Tatsachen ist im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung das Vorliegen der einseitigen Behauptungen des Klägers hinsichtlich aller erforderlichen

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LG Traunstein RuS 2006, 88. Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 11. Frische/Machunsky § 7 HaustürWG Rdn. 15. Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 11.

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§ 29c

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

Tatsachen ohne weitere Feststellungen zu unterstellen. 67 Trägt der vom Unternehmer klagweise in Anspruch genommene Verbraucher vor, es handele sich um ein Haustürgeschäft und erhebt hieraus materiell-rechtliche Einwendungen, dann besteht gegebenenfalls aus der Sicht des Gerichts Anlass, ihn zu fragen, welche prozessualen Folgerungen der Beklagte hieraus zu ziehen gedenkt. Grundsätzlich hat der Verbraucher die Möglichkeit, die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit zu erheben. Unterlässt er dies, stellt sich die Frage, ob durch rügeloses Einlassen mit der Folge des § 35 begründet werden kann. Für den „Passivprozess“, in dem der Verbraucher also Beklagter ist, ist dies zu verneinen, was sich unmittelbar aus Abs. 1 S. 2 ergibt. Klagt der Verbraucher dagegen seinerseits („Prozess“) gegen den Unternehmer, besteht für ein rügeloses Einlassen des Verbrauchers kein Raum. Es kommt dann nur darauf an, ob er zutreffend vor dem allgemeinen Gerichtsstand des Unternehmers oder dem Vertragsschlussgerichtsstands gemäß § 29 die Klage erhoben hat. Macht der Verbraucher im Anfang zu Unrecht geltend, es liege ein Haustürgeschäft vor, um die Zuständigkeit seines Wohnsitzgerichts für die gegen den Unternehmer erhobene Klage herzustellen, hat das Gericht zunächst den schlüssigen Vortrag des klagenden Verbrauchers für die Bestimmung seiner Zuständigkeit im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung als richtig zu unterstellen. Rügt der Beklagte Unternehmer dagegen die Unzuständigkeit des Gerichts ausdrücklich, ist gegebenenfalls im Wege eines Zwischenurteils darüber zu entscheiden, ob ein Haustürgeschäft und damit der Gerichtsstand des § 29c vorliegt oder nicht. In diesem Zwischenstreit sind die streitigen Tatsachen dann nach allgemeinen Grundsätzen zu beweisen. 35 Bei zunehmendem zeitlichem Abstand zwischen den Vertragsverhandlungen (in der Privatwohnung des Verbrauchers) und der Vertragsunterzeichnung (in den Geschäftsräumen der Kapitalanlagegesellschaft bzw. der kreditgebenden Bank bzw. bei einem Notartermin) kann die Indizwirkung entfallen. Wie das OLG Dresden68 überzeugend ausgeführt hat, reicht es für die Bejahung der Kausalität in solchen Fällen aber aus, dass die besonderen Umstände der Kontaktaufnahme einen unter mehreren Beweggründen darstellen. Hierfür spricht etwa folgende Fallgestaltung: Wenn von einem Vermittler bei den Verhandlungen in einer Haustürsituation neben den Beitrittsunterlagen zu einem Immobilienfonds auch ein Formular zur Selbstauskunft für eine angebotene Finanzierung vorgelegt wird, spricht dies für ein Gesamtpaket und eine einheitliche Entscheidung des Anlegers. Hat sich der Anleger auf Grundlage seiner vorherigen Anlageentscheidung zur Unterzeichnung einer notariellen Urkunde verpflichtet gesehen und wurde der Notartermin vom Vermittler vorbereitet, wird die psychologische Drucksituation durch den Beurkundungstermin nicht beseitigt. Allein die Möglichkeit, eine zunächst einseitig erteilte notarielle Vollmacht bis zur Annahme zu widerrufen, kann nicht zu einer neuen Entscheidung des Anlegers führen, sofern er über die Widerrufsmöglichkeit nicht ausdrücklich belehrt worden ist.69 § 29c gewährt ein Forum für eine bestimmte Person (nämlich den Verbraucher) und nicht für den Anspruch selbst.70

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OLG Dresden VuR 2006, 496. OLG Dresden VuR 2006, 496. OLG Dresden VuR 2006, 496. BGH VersR 2010, 645; Stein/Jonas/Roth22, § 29c Rdn. 1; vgl. ferner Looschelders/Heinig JR 2008, 265,

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 30

VII. Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 29c Abs. 3 Für solche Fälle, in denen der Verbraucher seinen Gerichtsstand nach Vertrags- 36 schluss ins Ausland verlegt oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Klageerhebung unbekannt ist, kann in Abweichung von § 29c Abs. 1 S. 2 eine hilfsweise Gerichtsstandsvereinbarung getroffen werden (vgl. § 29c Abs. 3).71 Diese muss den Anforderungen der §§ 38 Abs. 3, 40 Abs. 1 entsprechen. Sie ist daher schriftlich und ausdrücklich zu treffen und hat sich auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis und die sich daraus ergebenden Streitigkeiten zu beziehen.72 Im Übrigen entspricht die Vorschrift § 38 Abs. 3 Nr. 2. Eine entsprechende Regelung trifft § 215 Abs. 3 VVG, wonach eine von dem Gerichtsstand nach § 215 Abs. 1 VVG abweichende Vereinbarung für den Fall zulässig ist, dass der Versicherungsnehmer nach Vertragsschluss seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt oder sein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist. Dagegen ist nach zutr. Rechtsprechung des KG eine (auch) für Haustürgeschäfte mit 37 Verbrauchern in allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmte Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstandes, die lediglich dem Unternehmer freistellt, seine Rechte auch am inländischen Wohnsitz des Verbrauchers oder jedem anderen zuständigen Gericht geltend zu machen, – auch bei Vereinbarung ausländischen Rechts – jedenfalls gemäß Art. 29 Abs. 1 EGBGB a.F. i.V.m. §§ 305 ff. BGB als insgesamt unwirksam zu behandeln.73

§ 30 Gerichtsstand bei Beförderungen § 30 Smid/Hartmann (1) Für Rechtsstreitigkeiten aus einer Güterbeförderung ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Ort der Übernahme des Gutes oder der für die Ablieferung des Gutes vorgesehene Ort liegt. Eine Klage gegen den ausführenden Frachtführer oder ausführenden Verfrachter kann auch in dem Gerichtsstand des Frachtführers oder Verfrachters erhoben werden. Eine Klage gegen den Frachtführer oder Verfrachter kann auch in dem Gerichtsstand des ausführenden Frachtführers oder ausführenden Verfrachters erhoben werden. (2) Für Rechtsstreitigkeiten wegen einer Beförderung von Fahrgästen und ihrem Gepäck auf Schiffen ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der im Beförderungsvertrag bestimmte Abgangs- oder Bestimmungsort befindet. Eine von Satz 1 abweichende Vereinbarung ist unwirksam, wenn sie vor Eintritt des Ereignisses getroffen wird, das den Tod oder die Körperverletzung des Fahrgasts oder den Verlust, die Beschädigung oder die verspätete Aushändigung des Gepäcks verursacht hat.

I. II.

Übersicht Normzweck ____ 1 Konkurrenz ____ 2 1. Wahlgerichtsstand ____ 2 2. Verdrängung durch Spezialgerichtsstände ____ 3

III.

Rechtsstreitigkeiten aus Güterbeförderungen, Abs. 1 ____ 4 1. § 30 Abs. 1 S. 1 ____ 4 2. § 30 Abs. 1 S. 2 ____ 6

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Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 13. Musielak/Heinrich § 29c Rdn. 13. KG Berlin, Urt. v. 5.6.2014 – 22 U 90/13 = openjur 2014, 11297 = BKR 2014, 390.

Smid/Hartmann

§ 30

IV.

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

Rechtsstreitigkeiten aus Personenbeförderungen, Abs. 2 ____ 7 1. Regelungsgehalt ____ 7

V.

2. Schiff i.S.v. § 30 Abs. 2 S. 1 ____ 8 Rechtsstreitigkeiten aus Personenbeförderungen, Abs. 2 ____ 9

I. Normzweck 1

§ 30 hat sein Vorbild in dem bisherigen § 440 HGB, der durch die Reform des Seehandelsrechts1 aufgehoben und dessen Regelungsgegenstände durch die Neufassung des § 30 in die ZPO inkorporiert worden sind. Die Vorschrift sieht den Sonderfall eines Gerichtsstandes des Erfüllungsortes vor:2 § 30 Abs. 1 S. 1 begründet nach dem Vorbild des früheren § 440 Abs. 1 HGB für Rechtsstreitigkeiten aus einer Beförderung eine örtliche Zuständigkeit des Gerichts am Übernahme- oder Ablieferungsort. Erfasst sind dabei nicht nur, wie nach dem früheren § 440 Absatz 1 HGB, Beförderungen, die den §§ 407 bis 450 HGB unterliegen. Vielmehr werden alle Güterbeförderungen erfasst und damit insbesondere auch Beförderungen über See. Aus systematischen Gründen soll insoweit eine einheitliche Regelung getroffen werden und für diese als Standort die Zivilprozessordnung gewählt werden. Denn die Zivilprozessordnung enthielt mit dem bisherigen § 30 bereits eine Regelung für das Seehandelsrecht. § 30 Abs. 2 gewährt einen einheitlichen Gerichtstand sowohl für Klagen gegen den Verfrachter als Vertragspartner des Klägers als auch den ausführenden Verfrachter (unten Rdn. 4 ff.). Dadurch wird der Kläger davon entlastet, einen Antrag auf Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Nr. 3 stellen zu müssen.3 II. Konkurrenz

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1. Wahlgerichtsstand. Der Beförderungsgerichtsstand ist nicht ausschließlich. Der Kläger hat die Wahl, den Beklagten vor seinem allgemeinen Gerichtsstand oder gegebenenfalls einem besonderen Gerichtsstand, wie dem der inländischen Belegenheit von Vermögen (§ 23), zu verklagen.

3

2. Verdrängung durch Spezialgerichtsstände. Von Abs. 1 S. 1 unberührt bleiben Sonderregelungen in Spezialgesetzen wie § 3 Abs. 1 S. 2 BinnenSchiffVerfG,4 der – vorbehaltlich abweichender Vereinbarung – für Rechtsstreitigkeiten, die mit der Benutzung von Binnengewässern zusammenhängen und vertragliche Schadensersatzansprüche aus einem beim Betrieb eines Schiffes entstandenen Unfall zum Gegenstand haben, eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Gerichts begründet, in dessen Bezirk sich der Unfall ereignet hat. III. Rechtsstreitigkeiten aus Güterbeförderungen, Abs. 1 1. § 30 Abs. 1 S. 1

4

a) § 30 Abs. 1 S. 1 gewährt den besonderen Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten aus Güterbeförderungen. Voraussetzung ist, dass die geltend gemachten Ansprüche ein Vertragsverhältnis des Klägers mit dem Frachtführer (zum ausführenden Frachtführer so-

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Art. 7 Nr. 2 Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts v. 20.4.2013, BGBl. I 831. Zöller/Vollkommer § 30 Rdn. 1. Zöller/Vollkommer § 30 Rdn. 5. BT-Drucks. 17/10309 S. 142; BeckOK/Toussaint § 30 Rdn. 4; Musielak/Heinrich § 30 Rdn. 2.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 30

gleich Rdn. 6) betreffen.5 Nach § 481 Abs. 1 HGB wird durch den (Stückgut)Frachtvertrag der Verfrachter verpflichtet, das Gut mit einem Schiff über See zum Bestimmungsort zu befördern und dort dem Empfänger abzuliefern; nach § 481 Abs. 2 HGB wird der Befrachter verpflichtet, die vereinbarte Fracht zu zahlen. Den Verfrachter trifft nach § 485 HGB weiter die Pflicht, für die Seetüchtigkeit und Ladungstüchtigkeit des Schiffes zu sorgen, namentlich dessen gehörige Einrichtung, Ausrüstung, Bemannung und Verproviantierung sowie, dass sich die Laderäume einschließlich der Kühl- und Gefrierräume sowie alle anderen Teile des Schiffs, in oder auf denen Güter verladen werden, in dem für die Aufnahme, Beförderung und Erhaltung der Güter erforderlichen Zustand befinden; Verletzungen dieser Pflicht können Ansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB nach sich ziehen, die nach den zu § 29 entwickelten Kriterien (vgl. die Ausführungen dort) ebenfalls vor dem Gerichtsstand des § 30 geltend gemacht werden können. b) Örtlich zuständig ist das Gericht der Übernahme des Gutes durch den Verfrachter 5 vom Befrachter; im Einzelnen ist hier auf die Abreden der Beteiligten abzustellen. Die Klausel „fib“ verlegt den Leistungsort auf das Schiff. Daraus folgt, dass der Abladerhafen, also der Verschiffungshafen, Erfüllungsort i.S.v. § 29 Abs. 2 ist. Ebenfalls gilt die Vermutung, dass im Überseegeschäft der Abladerhafen und nicht der Wohnsitz des Verkäufers Erfüllungsort ist, wenn die Klausel „cif“ vereinbart worden ist, da danach Kosten, Versicherung und Fracht bis zum Bestimmungshafen im Preis inbegriffen sind. Diese Auslegung greift freilich nur vorbehaltlich abweichender Umstände. 2. § 30 Abs. 1 S. 2. § 30 Abs. 1 S. 2 entspricht im Wesentlichen dem früheren § 440 6 Abs. 2 HGB, der besagte, dass eine Klage gegen den ausführenden Frachtführer auch in dem Gerichtsstand des Frachtführers, eine Klage gegen den Frachtführer auch in dem Gerichtsstand des ausführenden Frachtführers erhoben werden konnte. Da § 30 Abs. 1 S. 2 auch für Rechtsstreitigkeiten aus anderen Beförderungen gelten soll, erstreckt die Vorschrift die bisher in § 440 Abs. 2 HGB enthaltene Regelung auch auf solche Klagen, die sich gegen den ausführenden Verfrachter i.S.d. § 509 HGB6 richten oder von dem ausführenden Verfrachter erhoben werden. IV. Rechtsstreitigkeiten aus Personenbeförderungen, Abs. 2 1. Regelungsgehalt. Die Vorschrift begründet für Rechtsstreitigkeiten wegen einer 7 Beförderung von Fahrgästen und ihrem Gepäck auf Schiffen einen weiteren örtlichen Gerichtsstand; die Funktionsweise des § 30 Abs. 2 S. 1 ist dabei an die Regelung ähnlich wie der Abs. 1 S. 1 angelehnt. § 30 Abs. 2 S. 1 hat sein Vorbild in Art. 17 des Athener Übereinkommens 20027 sowie dem bisherigen Art. 14 und 15 der Anlage zu § 664 HGB.8 Durch diese Regelung soll sichergestellt werden, dass in den Fällen, in denen eine internationale Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk sich der im Beförderungsvertrag bestimmte Abgangs- oder Bestimmungsort befindet, nicht wegen mangelnder örtlicher Zuständigkeit abgewiesen wird. 2. Schiff i.S.v. § 30 Abs. 2 S. 1. Unter dem Begriff „Schiff“ i.S.v. S. 1 sind sowohl See- 8 schiffe als auch Binnenschiffe zu verstehen. Damit soll berücksichtigt werden, dass die

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Zöller/Vollkommer § 30 Rdn. 1. Zöller/Vollkommer § 30 Rdn. 3. BT-Drucks. 17/10309 S. 142; BeckOK/Toussaint § 30 Rdn. 1.1. BT-Drucks. 17/10309 S. 142; BeckOK/Toussaint § 30 Rdn. 1.1.

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§ 30a

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

im HGB aufgenommenen Vorschriften über die Personenbeförderung (§§ 536 ff. HGB) auf Grund der Verweisungsvorschrift in § 77 BinSchG auch in der Binnenschifffahrt angewendet werden sollen. V. Rechtsstreitigkeiten aus Personenbeförderungen, Abs. 2 9

§ 30 Abs. 2 S. 2 beschränkt nach dem Vorbild des Art. 18 des Athener Übereinkommens 20029 sowie des bisherigen Art. 15 der Anlage zu § 664 HGB die Befugnis, eine Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen. So bestimmt er, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung nur nach Eintritt des Schadensereignisses wirksam getroffen werden kann. Die Regelung stellt den Gleichlauf mit der zwingenden – nicht abdingbaren – materiellrechtlichen Regelung des § 551 HGB10 sicher. Dieser sieht vor, dass jede Vereinbarung unwirksam ist, die vor Eintritt des Ereignisses getroffen wird, das den Tod oder die Körperverletzung des Fahrgasts oder den Verlust, die Beschädigung oder die verspätete Aushändigung seines Gepäcks verursacht hat, und durch die die Haftung wegen Tod oder Körperverletzung des Fahrgasts oder wegen Verlust, Beschädigung oder verspäteter Aushändigung seines Gepäcks ausgeschlossen oder eingeschränkt wird.

§ 30a Gerichtsstand bei Bergungsansprüchen § 30a Smid/Hartmann Für Klagen wegen Ansprüchen aus Bergung von Schiffen oder sonstigen Vermögensgegenständen in einem Gewässer gegen eine Person, die im Inland keinen Gerichtsstand hat, ist das Gericht zuständig, bei dem der Kläger im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

I. II.

III. IV. V.

Übersicht Normzweck ____ 1 Gerichtsstand ____ 2 1. Fehlen eines inländischen Gerichtsstandes des Beklagten ____ 3 2. Inländischer Gerichtsstand des Klägers ____ 4 § 3 Abs. 1 BinnenSchiffVerfG ____ 5 Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 6 Ansprüche aus Bergung ____ 7 1. Allgemeines ____ 7

2.

Weitere Ansprüche des Bergers ____ 10 VI. Verfahren ____ 11 1. Parteien ____ 11 2. Schadensersatzansprüche des Schiffeigentümers gegen den Berger ____ 12 3. Rechtsschutzformen ____ 13 4. Prüfung der Voraussetzungen des § 30a ____ 15 VII. Internationale Zuständigkeit ____ 16

I. Normzweck 1

Die Vorschrift ist zunächst durch Art. 4 des 3. Seerechtsänderungsgesetzes1 eingefügt worden. An die Stelle der allgemeinen Gerichtsstände tritt für den Fall des Fehlens eines Gerichtsstandes des Beklagten im Inland der allgemeine Gerichtsstand des Klägers. Erschwernisse, die der Rechtsverfolgung durch den Inhaber von Ansprüchen der in § 30

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9 Zöller/Vollkommer § 30 Rdn. 6. 10 Zöller/Vollkommer § 30 Rdn. 6. 1

BGBl. I 2001, S. 898.

Smid/Hartmann

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 30a

bezeichneten Art (unten Rdn. 2) entgegenstanden, soll dadurch Rechnung getragen werden. Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 30. Gestrichen wurde jedoch die Bezug- 2 nahme auf das HGB. Denn es erscheint nicht sachgerecht, die örtliche Zuständigkeit davon abhängig zu machen, dass auf den Anspruch deutsches Recht anzuwenden ist. Ebenso wie § 30 n.F. lässt § 30a Sonderregelungen in Spezialgesetzen wie § 3 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen2 unberührt (vgl. auch § 30 Rdn. 3). Für Rechtsstreitigkeiten, die mit der Benutzung von Binnengewässern zusammenhängen und Ansprüche aus Bergung, namentlich auf Bergelohn oder Sondervergütung einschließlich Bergungskosten zum Gegenstand haben, besteht mithin – vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung – eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk die Bergung bewirkt worden ist. II. Gerichtsstand 1. Fehlen eines inländischen Gerichtsstandes des Beklagten. § 30a kommt zur 3 Anwendung, wenn der Beklagte im Inland keinen Gerichtsstand hat. § 30a scheidet daher aus, wenn die Klage gegen den Beklagten vor einem inländischen Gerichtsstand erhoben werden könnte (zu § 3 BinnSchiffVerfG Rdn. 5). Der Beklagte darf daher keinen inländischen allgemeinen Gerichtsstand gemäß §§ 12, 13, 17 haben und es darf gegen ihn auch kein besonderer Gerichtsstand begründet sein, der sich insbesondere bei inländischem Vermögen des Beklagten aus § 23 ergeben kann. Liegt nach Maßgabe des Bergungsvertrages ein inländischer Erfüllungsort vor, kann sich der Gerichtsstand aus § 29 ergeben. Maßgeblich sind die Verhältnisse des konkreten Beklagten: Ist dieser Rechtsnachfolger einer Person, die einen allgemeinen oder besonderen inländischen Gerichtsstand gehabt hätte, kommt es nicht auf den Rechtsvorgänger an, sondern auf das Fehlen des inländischen Gerichtsstandes des mit der Klage in Anspruch genommenen Beklagten.3 2. Inländischer Gerichtsstand des Klägers. Der Inhaber des mit der Klage geltend 4 gemachten Anspruchs muss einen allgemeinen inländischen Gerichtsstand nach den §§ 12, 13 oder 17 haben, damit der Kläger den Beklagten vor dem Gerichtsstand des § 30a verklagen kann. Ein zugleich im Ausland bestehender Gerichtsstand ist unschädlich.4 Dagegen genügt ein besonderer Gerichtsstand des Klägers im Inland nicht; denn es geht ja nicht darum, dass er vor Gericht gezogen werden kann, sondern dass die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegenüber dem Beklagten begründet ist, der keinen inländischen Gerichtsstand hat. Der Wortlaut der Vorschrift, die davon spricht, dass das Gericht zuständig ist, bei dem der Kläger im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, ist insofern ungenau oder doch missverständlich: Klagt der Rechtsnachfolger des Bergers, dem die Ansprüche gegen den Beklagten aus Bergung zunächst zustanden, ist dies für den Gerichtsstand unerheblich. Die örtliche Zuständigkeit ist bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk derjenige seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, der (ursprünglich) an der Bergungsbeziehung beteiligt war. Die Zession der Ansprüche aus der Bergung, die nach § 30a vor dem Bergungsgerichtsstand geltend gemacht werden können, ist daher auf die örtliche Zuständigkeit ohne Bedeutung. Gesetzgebungshistorisch folgt dies allein schon daraus, dass der Gesetzgeber keinen Gerichts-

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BeckOK/Toussaint § 30a Rdn. 4. Stein/Jonas/Roth § 30a Rdn. 10. Stein/Jonas/Roth § 30a Rdn. 6.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

stand geschaffen hat, auf den durch Rechtsgeschäft (also Abtretung, Pfändung oder Verpfändung5 der Bergungsansprüche) Einfluss genommen werden kann.6 III. § 3 Abs. 1 BinnenSchiffVerfG 5

§ 30a wird durch die Regelung der ausschließlichen sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des § 3 Abs. 1 BinnenSchiffVerfG7 verdrängt, wonach örtlich zuständig in den Fällen des § 2 Abs. 1 Buchstaben a bis d BinnenSchiffVerfG (wegen geltend gemachter Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen [§ 2 Abs. 1 lit. a BinnenSchiffVerfG], anderer Ansprüche wegen der Beschädigungen, welche Schiffer während ihrer Fahrt oder beim Anlanden anderen verursacht haben [§ 2 Abs. 1 lit. b BinnenSchiffVerfG], vertraglicher Schadensersatzansprüche aus einem Unfall, der durch ein Schiff oder bei dem Betrieb eines Schiffes entstanden ist [§ 2 Abs. 1 lit. c BinnenSchiffVerfG] sowie bei Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung einer Amtspflicht zur Sicherung des Verkehrs [§ 2 Abs. 1 lit. d BinnenSchiffVerfG]) nur das Gericht ist, in dessen Bezirk sich die den Anspruch begründende Tat ereignet hat. In den Fällen des § 2 Abs. 1 lit. e BinnenSchiffVerfG (wegen der Geltendmachung von Ansprüchen aus Bergung, namentlich auf Bergelohn oder Sondervergütung einschließlich Bergungskosten) ist nur das Gericht, in dessen Bezirk die Bergung bewirkt worden ist, örtlich zuständig; in den Fällen des § 2 Abs. 1 lit. f BinnenSchiffVerfG (der Geltendmachung von Ansprüchen wegen Zahlung der Lotsen-, Kran-, Waage-, Hafen- und Bohlwerksgebühren oder -vergütungen und ihres Betrages) nur das Gericht des Erfüllungsortes. IV. Gerichtsstandsvereinbarungen

6

Die Zuständigkeit nach § 30a kann durch Gerichtsstandsvereinbarungen ausgeschlossen werden. Zum einen kommt dies (gewissermaßen mittelbar) durch die wirksame (hierzu § 38) Prorogation eines inländischen Gerichtsstandes zustande, da es dann an einem inländischen Gerichtsstand des Beklagten nicht mehr fehlt; weiter kann § 30a international derogiert werden. Dadurch wird die inländische internationale Zuständigkeit beseitigt, da ansonsten die Derogation keinen Gegenstand hätte, da beim Vorliegen weiterer Beklagtengerichtsstände § 30a ohnedies nicht eingriffe. Regelmäßig wird die Derogation des § 30a mit der Vereinbarung der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts einhergehen.8 V. Ansprüche aus Bergung

7

1. Allgemeines. Der Gerichtsstand des § 30a kommt zunächst dem klagenden Berger zugute. Berger ist nach § 574 Abs. 1 HGB, wer einem in Seegewässern in Gefahr befindlichen See- oder Binnenschiff, einem in Binnengewässern in Gefahr befindlichen Seeschiff oder einem in Binnengewässern in Gefahr befindlichen Binnenschiff oder sonstigen Vermögensgegenstand, wenn ihm von einem Seeschiff aus Hilfe geleistet wird, Hilfe leistet.9

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5 Stein/Jonas/Roth § 30a Rdn. 10. 6 Überzeugend Stein/Jonas/Roth § 30a Rdn. 7 a.E. 7 I.d.F. Art. 7 des Dritten SeerechtsänderungsG v. 16.5.2001, BGBl. I 898, geändert durch Art. 7 Abs. 6 Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwälte v. 26.3.2007, BGBl. I 358. 8 Stein/Jonas/Roth § 30a Rdn. 4. 9 Vgl. Musielak/Heinrich § 30a Rdn. 3.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 30a

Der Kläger kann nach § 30a an seinem allgemeinen Gerichtsstand gemäß §§ 12, 13 8 Bergelohnansprüche einklagen. Dabei handelt es sich nach § 576 Abs. 1 S. 1 HGB um den Anspruch des Bergers auf Zahlung eines Bergelohns, wenn Bergungsmaßnahmen erfolgreich sind oder nach § 576 Abs. 1 S. 2 HGB, wenn sowohl das geborgene Schiff als auch das Schiff, von dem aus die Bergungsmaßnahmen durchgeführt wurden, demselben Eigentümer gehören. Nach § 576 Abs. 2 S. 1 HGB umfasst der Bergelohn zugleich den Ersatz der Aufwendungen, die zum Zweck des Bergens gemacht wurden. § 576 Abs. 2 S. 2 HGB bestimmt, dass im Bergelohn Kosten und Gebühren der Behörden, zu entrichtende Zölle und sonstige Abgaben, Kosten der Aufbewahrung, Erhaltung, Abschätzung und Veräußerung der geborgenen Gegenstände (Bergungskosten) nicht enthalten sind. Der Gerichtsstand des § 30a kommt weiter wegen Ansprüchen des Klägers als Berger 9 wegen Sondervergütung gemäß § 578 HGB in Betracht. Hat der Berger Bergungsmaßnahmen für ein Schiff durchgeführt, das als solches oder durch seine Ladung eine Gefahr für die Umwelt darstellte, so kann er von dem Eigentümer des Schiffes die Zahlung einer Sondervergütung verlangen, soweit diese den Bergelohn übersteigt, der dem Berger zusteht. Der Anspruch auf Sondervergütung besteht auch dann, wenn das geborgene Schiff und das Schiff, von dem aus die Bergungsmaßnahmen durchgeführt wurden, demselben Eigentümer gehören. 2. Weitere Ansprüche des Bergers. Für Ansprüche des Bergers gegen den Schiffs- 10 eigentümer oder den Eigentümer der sonstigen in Gefahr befindlichen Vermögensgegenstände aus anderen Rechtsgründen als denen der Bergung steht der Gerichtsstand des § 30a nicht offen. Die Gegenmeinung10 sieht jedenfalls für weitergehende Schadenersatzansprüche des Bergers in § 30a einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs. Die damit zu erreichende Konzentration bei dem mit der Sache befassten und daher für die Beweiserhebung geeigneten Gericht erscheint besonders aus prozessökonomischen Zweckmäßigkeitsgründen naheliegend, begegnet aber in der Sache wegen der Besonderheiten des Gerichtsstandes Bedenken. Ob daher z.B. Ansprüche aus Vertragsanbahnungsschäden (i.S.d. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 1 BGB; der Schadenersatzanspruch wegen des in der Garage des Schiffeigentümers angelegentlich des Vorgesprächs über die Bergung beschädigten Pkw des Bergers) vor dem Gerichtsstand des § 30a geltend gemacht werden können, ist abzulehnen. Anders verhält es sich mit Ansprüchen aus (Neben-)Pflichtverletzungen des Eigentümers, z.B. der allgemeinen Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Berger gemäß § 574 Abs. 4 HGB oder der Pflicht aus § 575 Abs. 1 S. 2 HGB, den Berger über Gefahrgut zu unterrichten. VI. Verfahren 1. Parteien. Geeigneter Beklagter (passivlegitimiert) ist nach § 576 Abs. 3 HGB der 11 zur Zahlung des Bergelohns und der Bergungskosten verpflichtete Schiffseigentümer sowie der oder die Eigentümer der sonstigen geborgenen Vermögensgegenstände. Kläger ist der Berger oder sein Rechtsnachfolger, gleich, ob dieser in die Rechtsposition des Klägers durch Sonderrechtsnachfolge oder im Wege der Gesamtrechtsnachfolge besonders als Erbe (§ 1922 Abs. 1 BGB) nachrückt. 2. Schadensersatzansprüche des Schiffeigentümers gegen den Berger. Schadens- 12 ersatzansprüche gegen den Berger, die der Schiffseigentümer oder der Eigentümer der

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Stein/Jonas/Roth § 30a Rdn. 9 a.E.

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sonstigen in Gefahr befindlichen Vermögensgegenstände11 aus einer Verletzung der den Berger gegen diese Personen gemäß § 575 Abs. 1 S. 1 HGB treffenden Sorgfaltspflichten zur Verhütung von Umweltschäden zustehen, fallen daher nicht in den Geltungsbereich des § 30a. Der Schiffseigentümer oder Eigentümer der betreffenden Gegenstände kann aber vor dem Gerichtsstand des § 30a eine entsprechende konnexe Widerklage (§ 33) erheben. 3. Rechtsschutzformen 13

a) Nach dem Wortlaut des § 30a greift der Bergungsgerichtsstand für Klagen. Der Gerichtsstand des § 30a greift aber über den Wortlaut der Norm hinaus auch für den nach § 618 HGB zulässigen Antrag eines Bergers i.S.v. § 574 Abs. 1 HGB auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des Gerichts der Hauptsache gegen Schuldners auf Leistung eines als billig und gerecht zu erachtenden Betrages als Abschlagszahlung auf Bergelohn oder Sondervergütung.12

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b) Fraglich ist, ob am Gerichtsstand des § 30a auch leugnende Feststellungsklagen mit dem Inhalt erhoben werden können, dass der Kläger dem Berger nicht zur Zahlung von Bergelohn und der Bergekosten verpflichtet sei. Dies wird im Schrifttum13 mit der Überlegung bejaht, dass der Gesetzgeber14 zwar an die aktive Verfolgung von Bergungsansprüchen gedacht habe, der Wortlaut des § 30a, der von „Klagen wegen Ansprüchen aus Bergung“ laute, nicht gegen eine Anwendung des § 30a auf negative Feststellungsklagen spreche. Bedenkt man, dass auch im Falle negativer Feststellungsklagen die Voraussetzungen des § 30a im Übrigen vorliegen müssten, käme man zu dem Ergebnis, dass der Gerichtsstand des § 30a dann gegen den Berger ohne Inlandsgerichtsstand als Beklagten vom Schuldner des Anspruchs auf Bergelohn und der Bergungskosten mit allgemeinem Gerichtsstand im Inland zu erheben wäre. Umgekehrt wäre die Anwendung des § 30a nicht nur von dessen Voraussetzungen her ausgeschlossen, sondern auch deshalb sinnlos, weil der Berger entweder vor seinem allgemeinen Gerichtsstand oder dem Erfüllungsgerichtsstand des § 29 verklagt werden könnte.

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4. Prüfung der Voraussetzungen des § 30a. Der Kläger muss mit seiner Klage das Vorliegen eines Anspruchs auf Bergelohn schlüssig vortragen. Da es sich dabei um doppelrelevante Tatsachen handelt, aus denen sich sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit der Klage ergibt, wird zur Prüfung der örtlichen Zuständigkeit kein besonderer Beweis erhoben. Bestreitet der Beklagte den Vortrag des Klägers, dass der beklagte Bergelohnschuldner weder einen allgemeinen noch einen besonderen inländischen Gerichtsstand unterhält, obliegt dem Beklagten die Führung eines entsprechenden Nachweises (vgl. die Ausführungen bei § 13 und bei § 17). VII. Internationale Zuständigkeit

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In seinem Geltungsbereich verdrängt Art. 7 Nr. 7 EuGVVO15 die Vorschrift des § 30a. Die Vorschrift greift ein, wenn es sich um eine Streitigkeit wegen der Zahlung von Berge-

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11 Vgl. Musielak/Heinrich § 30a Rdn. 3. 12 Musielak/Heinrich § 30a Rdn. 2 a.E. u. 3. 13 Stein/Jonas/Roth § 30a Rdn. 9; BeckOK/Touissant, § 30a Rdn. 2. 14 BT-Drucks. 14/4672, 27. 15 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012.

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und Hilfslohn handelt, der für Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten gefordert wird, die zugunsten einer Ladung oder einer Frachtforderung erbracht worden sind, vor dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich diese Ladung oder die entsprechende Frachtforderung mit Arrest belegt worden ist, um die Zahlung zu gewährleisten (Art. 7 Nr. 7a EuGVVO) oder mit Arrest hätte belegt werden können, jedoch dafür eine Bürgschaft oder eine andere Sicherheit geleistet worden ist (Art. 7 Nr. 7b EuGVVO).16 Voraussetzung für die Anwendung des Art. 7 Nr. 7 EuGVVO ist nach dem 2. Halbs. der Vorschrift, wenn behauptet wird, dass der Beklagte Rechte an der Ladung oder an der Frachtforderung hat oder zur Zeit der Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten hatte.

§ 31 Besonderer Gerichtsstand der Vermögensverwaltung § 31 Smid/Hartmann Für Klagen, die aus einer Vermögensverwaltung von dem Geschäftsherrn gegen den Verwalter oder von dem Verwalter gegen den Geschäftsherrn erhoben werden, ist das Gericht des Ortes zuständig, wo die Verwaltung geführt ist. Schrifttum K. Schmid Kommentar zum Rechtspflegergesetz (2012).

I. II.

Übersicht Normzweck ____ 1 Anwendungsbereich ____ 3 1. Rechtliche Grundlage ____ 3 a) Allgemeines ____ 3 b) Ansprüche ____ 5 c) Vermögensverwaltung ____ 6 III.

d) Vorläufige Insolvenzverwaltung ____ 7 e) Zwangsverwalter, Insolvenzverwalter ____ 8 2. Parteirollen ____ 9 3. Gerichtsstand ____ 10 Internationale Zuständigkeit ____ 13

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I. Normzweck Die Vorschrift knüpft einen fakultativen1 Gerichtsstand wegen Streitigkeiten zwi- 1 schen Vermögensverwalter und Geschäftsherrn an den Ort der faktischen Vermögensverwaltung an. Die Maßgeblichkeit des Mittelpunkts der Vermögensverwaltung hat nach weithin vertretener Meinung2 ihren Grund in der Zweckmäßigkeit, Rechtsstreitigkeiten aus der Vermögensverwaltung in räumlicher Nähe zum verwalteten Vermögen zu führen, weil dort auch Beweisaufnahmen leichter und weniger aufwendig durchzuführen sind.3 Das ist insoweit richtig, als dadurch die Rechtsverfolgung in diesen Angelegenheiten für die Parteien erleichtert und die Entscheidung in diesen Sachen dem aufgrund Ortsnähe kundigen Gericht zugewiesen wird. Die Abweichung vom Grundsatz, dass der Kläger am Wohnsitz oder Sitz des Beklagten sein Recht zu suchen habe durch den Gerichtsstand des § 31 rechtfertigt sich indes nicht allein durch diese Zweckmäßigkeitserwägung. Vielmehr muss der Beklagte erwarten, dass er mit Klagen, die aus einer Vermö-

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Vgl. Musielak/Stadler Art. 5 EuGVVO Rdn. 31; MünchKomm/Gottwald Art. 5 EuGVVO Rdn. 97 f. Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 1 m.w.N. Stein/Jonas/Roth § 31 Rdn. 1; vgl. auch Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 1. BAG, AP Nr. 1 zu § 31 ZPO.

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gensverwaltung von dem Geschäftsherrn gegen den Verwalter oder von dem Verwalter gegen den Geschäftsherrn erhoben werden, vor dem Gericht an dem Ort klagweise in Anspruch genommen wird, wo das Vermögen verwaltet (die Verwaltung geführt) wird. 2 Dies gilt aus den genannten Gründen allein für das Prozessrechtsverhältnis, das zwischen dem Geschäftsherrn und dem Verwalter oder umgekehrt zwischen dem Verwalter und dem Geschäftsherrn begründet wird. Die nach § 31 normierte Abkehr vom Grundsatz actor sequitur forum rei rechtfertigt sich schon nach dem Wortlaut der Norm, aber eben auch ihrer Funktion nach nicht, wenn Ansprüche Dritter wegen der Vermögensverwaltung verfolgt werden; dergleichen Konstellationen fallen nicht unter § 31.4 II. Anwendungsbereich 1. Rechtliche Grundlage a) Allgemeines. Der Gerichtsstand der Vermögensverwaltung kann auf sehr unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen beruhen. Er wird eröffnet, sofern Ansprüche aus der Vermögensverwaltung geltend gemacht werden, wofür es freilich nicht genügt, dass einzelne vermögensrechtliche Angelegenheiten vom Geschäftsbesorgenden für den anderen als Geschäftsherrn wahrgenommen werden.5 Der Grund, auf dem die Befugnis oder Pflicht bzw. Aufgabe der Vermögensverwaltung beruht, kann freilich aus sehr verschiedenartigen Zusammenhängen herrühren. In Betracht kommen gesetzliche Gründe wie z.B. die elterliche Vermögenssorge für das Kind gemäß § 1626 Abs. 1 BGB oder der Gütergemeinschaft gemäß § 1421 BGB, eine gerichtliche Einsetzung im Falle der Vormundschaft gemäß §§ 1774, 1802 ff. BGB, eine Pflegschaft gemäß §§ 1909 ff. BGB, die Nachlassverwaltung (§ 1985 BGB) und die Testamentsvollstreckung6 (§§ 2197 ff. BGB) in den Fällen des § 2216 BGB, oder Vermögensverwaltung aufgrund Vertrages, wobei Dienstverträge gemäß § 611 BGB, besonders aber Geschäftsbesorgungsverträge gemäß § 675 BGB und Aufträge gemäß § 662 BGB erfasst sind.7 Vermögensverwaltung im Sinne dieser Vorschrift ist jede Verwaltung, gleich ob 4 gesetzlich, vertraglich oder ohne Rechtsgrund, die sich auch auf einen einzelnen Vermögensgegenstand beziehen kann, sofern sie nur eine Mehrheit von zu besorgenden Angelegenheiten beinhaltet.8 Fall eines Rechtsverhältnisses nach § 31 ist die Geschäftsführung ohne Auftrag.9 3

5

b) Ansprüche. Es kommen im Einzelnen Ansprüche des Geschäftsherrn auf Rechnungslegung, Auskunftserteilung und Herausgabe des Erlangten oder des Verwalters auf Aufwendungsersatz oder Vergütung in Betracht.10 Erhält ein Vermögensverwalter die Vergütung gerichtlich festgesetzt, z.B. nach § 63 InsO und § 153 Abs. 1 ZVG, sind seine Ansprüche in dem damit verbundenen Verfahren geltend zu machen.11 Der ordentliche Zivilrechtsweg ist damit ausgeschlossen und für die Regelung des § 31 kein Raum.12

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Stein/Jonas/Roth § 31 Rdn. 6, 7. Stein/Jonas/Roth § 31 Rdn. 4 f.; Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 4. OLG München OLGRspr. 23, 83, 84. Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 2. BeckOK/Toussaint § 31 Rdn. 1 f.; Thomas/Putzo/Hüßtege § 31 Rdn. 1. OLG Rostock OLGR 1998, 169, 170. Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 3. Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 3. Saenger/Bendtsen § 31 Rdn. 2.

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c) Vermögensverwaltung. Es muss dem Verwalter die Befugnis zustehen, über ein- 6 zelne Angelegenheiten hinaus vielgestaltige Rechtshandlungen vornehmen zu dürfen, die zur Verwaltung eines konkreten Vermögens erforderlich sind.13 Es genügt hierfür nicht allein die Befugnis und Rechtspflicht, ein Warenlager zu halten oder als Frachtführer oder Spediteur mit fremden Waren umzugehen.14 d) Vorläufige Insolvenzverwaltung. Einen Sonderfall stellt die vorläufige Insol- 7 venzverwaltung gemäß §§ 21, 22 InsO für den Fall dar, dass es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragsgegners (des Schuldners, gegen den Antrag nach § 14 InsO gestellt worden ist oder der Eigenantrag gestellt hat) nicht kommt. Mit dem Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur Stärkung der Gläubigerrechte15 ist der erst durch das ESUG in die Insolvenzordnung eingefügte § 26a grundlegend geändert und damit eine Vorschrift geschaffen worden, mit der die Haftung von Schuldner (als Antragsgegner oder Eigenantragsteller) und Gläubiger (als Antragsteller) für die Vergütung des vorläufigen Verwalters in solchen Eröffnungsverfahren geregelt wird, auf die hin das Insolvenzverfahren nicht zur Eröffnung gelangt. Zuständig ist für die Entscheidung das Insolvenzgericht, dessen örtliche Zuständigkeit §§ 3, 4 InsO i.V.m. §§ 12, 13 ff. folgt; § 31 kommt hier nicht zum Zuge. Dass eine Kostengrundentscheidung vom Insolvenzgericht getroffen wird, ruft keine Probleme mit Art. 92 GG hervor. Denn jedenfalls ist der Insolvenzrichter i.S.d. DRiG für diese Entscheidung zuständig, § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG.16 e) Zwangsverwalter, Insolvenzverwalter. Sonderregelungen, durch die § 31 ver- 8 drängt wird, sind für weitere Fälle von Vermögensverwaltungen zu beachten, bei denen die Verwalter durch Gerichte bestellt werden: Vergütungen des Zwangsverwalter gemäß § 153 Abs. 1 ZVG werden durch das Vollstreckungsgericht festgesetzt.17 Die Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters erfolgt gemäß § 64 Abs. 1 InsO durch das Insolvenzgericht.18 Die Vergütungsfestsetzung erfasst auch angelegentlich der Vermögensverwaltung entstehende Ansprüche wie Auslagenerstattungsansprüche (vgl. etwa § 8 Abs. 1 InsVV).19 2. Parteirollen. Der Vermögensverwaltungsgerichtsstand des § 31 greift unabhängig 9 von den Parteirollen ein, die Geschäftsherr und Verwalter einnehmen20: Er greift daher bei Klagen des Verwalters auf Aufwendungsersatz, Vergütung seiner Tätigkeit, Schadenersatz usf. gegen den Geschäftsherrn ebenso wie bei solchen Klagen, die der Geschäftsherr gegen den Verwalter erhebt. 3. Gerichtsstand a) Der tatsächliche geschäftliche Mittelpunkt der Vermögensverwaltung ist maßgeb- 10 lich. Geführt wird die Vermögensverwaltung, wo der Verwalter regelmäßig tätig wird. Es

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Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 4; MünchKomm/Patzina § 31 Rdn. 2. RG JW 1899, 2. Vom 15. Juli 2013 BGBl. I Seite 2379 ff. Schmid Kommentar zum Rechtspflegergesetz (2012) § 18 Rdn. 1. Stein/Jonas/Roth § 31 Rdn. 6. Stein/Jonas/Roth § 31 Rdn. 6. HK-InsO/Büttner § 8 InsVV Rdn. 6 f., insb. 16; FK-InsO/Lorenz § 8 InsVV Rdn. 5 f., insb. 12. Stein/Jonas/Roth § 31 Rdn. 6; BeckOK/Toussaint § 31 Rdn. 4.

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handelt sich dabei um den Ort, an dem Kassen und Bücher geführt werden.21 Es kommt nicht auf den Ort des Gerichts an, das außerhalb der genannten Fälle die Einsetzung des Vermögensverwalters verfügt hat.22 Solange noch Ansprüche des Geschäftsherrn oder des Verwalters (vgl. Rdn. 5) aus 11 der Verwaltung herrühren, begründet dies den Gerichtsstand des § 31 auch nach der Beendigung der Verwaltung,23 unabhängig davon, wo die Verwaltung nach den Abreden zwischen den Parteien von Rechts wegen zu führen wäre.24 b) Dagegen kommt es nach h.M. nicht darauf an, wo die Verwaltung nach den Abreden zwischen den Parteien von Rechts wegen zu führen wäre.25 Dem ist wegen der Faktizität der Vermögensverwaltung grundsätzlich zu folgen. Es sollte aber im Blick behalten werden, dass die Abweichung des Verwalters von Abreden mit dem Geschäftsherrn – in Ausnahmefällen – die Berufung auf den Gerichtsstand des § 31 als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen können. Hat eine Behörde die unter § 31 fallende Vermögensverwaltung angeordnet (das Familiengericht in materiell vormundschaftsrechtlichen Sachen oder das Nachlassgericht), ist deren Sitz folglich ebenfalls unbeachtlich.26 12

c) Der Sinn und Zweck des besonderen Gerichtsstands nach § 31 wird durch eine Abtretung des Kostenersatzanspruchs an den klagenden Zessionar nicht berührt. Ein Gläubigerwechsel ist für den Gerichtsstand nur dann von Belang, wenn die Bereitstellung des Gerichtsstands von der Schutzbedürftigkeit der betreffenden Person abhängt.27 III. Internationale Zuständigkeit

Die deutsch internationale Zuständigkeit wird durch die Vorschrift außerhalb des Geltungsbereichs der EuGVVO begründet.28 Innerhalb des Geltungsbereichs der EUGVVO gilt keine dem § 31 entsprechende Vorschrift. Für das autonome internationale Zivilprozessrecht begründet § 31 neben der örtli14 chen zugleich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Voraussetzung dafür ist, dass die Vermögensverwaltung in Deutschland geführt wird. 13

§ 32 Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung § 32 Smid/Hartmann Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Schrifttum Altmeppen Abschied vom „Durchgriff” im Kapitalgesellschaftsrecht, NJW 2007, 2657; Baur Die Eigenhaftung des Konkursverwalters bei Fortführung des gemeinschuldnerischen Betriebs, Gedächtnisschr.

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Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 5 m.w.N.; Thomas/Putzo/Hüßtege § 31 Rdn. 2. RG JW 1894, 278; OLG Bamberg OLGRspr. 1, 160 f. MünchKomm/Patzina § 31 Rdn. 3; Musielak/Heinrich § 31 Rdn. 5. Stein/Jonas/Roth22 § 31 Rdn. 1. Stein/Jonas/Roth22 § 31 Rdn. 1. Stein/Jonas/Roth § 31 Rdn. 7. OLG Köln VersR 1992, 1152 f. MünchKomm/Patzina § 31 Rdn. 7.

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Bruns (1980) S. 241; Bepler „Fliegende Gerichtsstände“, FS Michael Loschelder zum sechzigsten Geburtstag (2010) S. 15; Damm Sind deutsche Gerichte zur weltweiten Internetregulierung befugt? Anmerkung zur BGH-Entscheidung „New York Times“ GRUR 2010, S. 891; Danckwerts Kein „fliegender“ Gerichtsstand wegen Bericht im Internet, Anmerkung zu AG Hamburg, Urteil vom 30.1.2014 – 22a C 100/13 GRURPrax 2014, 95; Deister/Degen Darf der Gerichtsstand noch fliegen? ZPO und das Internet, NJOZ 2010, S. 1; Foerste Zum Gerichtsstand für negative Feststellungsklagen, in: Festschrift für Helmut Kollhosser Recht und Risiko, Band 2 Zivilrecht (2004) S. 141–156; Frey Anmerkung zu BGH, Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 23/09, ZUM 2010, 527; Geibel Zur Durchgriffshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung einer GmbH – Anm. BGH Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, ZJS 2008, 90; Handorn Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kraft Sachzusammenhangs, Zugleich Besprechung des Beschlusses des OLG Stuttgart vom 7.12.2005 – 5 U 71/05, IHR 2007, 25; Hoeren/Prinz Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes? ZRP 2009, 239; Jürgens Abgestürzte Gerichtsstände – Der fliegende Gerichtsstand im Presserecht, NJW 2014, 3061; Kiethe Internationale Tatortzuständigkeit bei unerlaubter Handlung – die Problematik des Vermögensschadens, NJW 1994, 223; Kleindiek Deliktshaftung und juristische Person, zugleich zur Eigenhaftung von Unternehmensleitern (1997); Köhler Der fliegende Gerichtsstand, WRP 2013, 1130; Laucken/Oehler Fliegender Gerichtsstand mit gestutzten Flügeln? ZUM 2009, 824; Link Indizien für rechtsmissbräuchliche Wahl des Gerichtsstandes, Anmerkung zu LG Aurich Beschl. v. 22.1.2013 – 6 O 38/13 (5), GRURPrax 2013, 168; Livonius Untreue wegen existenzgefährdenden Eingriffs – Rechtsgeschichte? wistra 2009, 91; Löwenheim Handbuch des Urheberrechts, 2. Auflage (2010); Lorenz Im BGB viel Neues: Die Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie, JuS 2000, 833; ders. Gewinnmitteilungen aus dem Ausland: Kollisionsrechtliche und international-zivilprozessuale Aspekte von § 661a BGB, NJW 2000, 3305; Lüke Anmerkung zu 3-jährige Verjährungsfrist für Ersatzansprüche gegen Konkursverwalter, NJW 1985, 1164; Merz Die Haftung des Konkursverwalters, des Vergleichsverwalters und des Sequesters aus der Sicht des BGH, KTS 1989, 277; Musielak Grundkurs ZPO, 12. Auflage (2014); Mühlberger Die Beschränkbarkeit des fliegenden Gerichtsstandes bei Immaterialgüterrechtsverletzungen Internet, WRP 2008, 1419; Picht Von eDate zu Wintersteiger – Die Ausformung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO für Internetdelikte durch die Rechtsprechung des EuGH, GRUR Int 2013, 19; Reichling Anmerkung zu Prüfungsbefugnis des Gerichts bei Zuständigkeit nach § 32 ZPO, NJW 2003, 828; Schlüter Zum „fliegenden Gerichtsstand“ bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Medienveröffentlichungen, AfP 2010, 340; ders. § 32 und das Internet: Flugverbot für den fliegenden Gerichtsstand? GRUR-Prax 2014, 272; Schmidhuber/Haberer Rücknahme und Widerruf eines Verfügungsantrags – Ein rechtsmissbräuchliches Auslaufmodell? WRP 2013, 436; K. Schmidt „Amtshaftung“ und „interne Verantwortlichkeit“ des Konkursverwalters – Eine Analyse des § 82 KO, KTS 1976, 191; Schröder Internationale Zuständigkeit (1971); Schulz Einstweiliger Rechtsschutz gegen Markenanmeldungen, WRP 2000, 258; Schumann Internationale Zuständigkeit. Besonderheiten, Wahlfeststellung, doppelrelevante Tatsachen, FS Nagel (1987) S. 402; Staudinger Existenzvernichtender Eingriff und Haftung des Gesellschafters – Aktuelle sach- und kollisionsrechtliche Zweifeldfragen, AnwBl 2008, 316; Staudinger A. Internationale Zuständigkeit für Klage gegen Internetveröffentlichung NewYorkTimes, NJW 2010, 1752; Teplitzky Rücknahme und Neueinreichung des Verfügungsantrags- Eine Erwiderung, WRP 2013 839; ders. Zur Verwirklichung des Verfügungsgrundes in Verfahren der einstweiligen Verfügung nach dem UWG und im Markenrecht, FS Michael Loschelder zum sechzigsten Geburtstag, (2010) S. 391; Thole Aktuelle Entwicklungen bei der negativen Feststellungsklage, NJW 2013, 1192; Vallender Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Konkursverwalterhaftung, ZIP 1997, 345; Wandtke/Bullinger Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Auflage (2014); Weber Zur persönlichen Verantwortlichkeit des Konkursverwalters, FS Lent (1957) S. 301; Weller Die Neuausrichtung der Existenzvernichtungshaftung durch den BGH und ihre Implikationen für die Praxis, ZIP 2007, 1681; Zuck Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess, NJW 2013, 1132.

I.

II.

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Übersicht Normzweck ____ 1 1. Legitimität des forum delicti commissi ____ 1 2. Verwandte Regelungen ____ 2 Unerlaubte Handlungen ____ 3 1. Tatbestände des bürgerlichen Rechts ____ 3 2. Tatbestände außerhalb des BGB ____ 13

3.

4. 5.

Materiell-rechtliche Schadenersatzansprüche wegen unrechtmäßiger Zwangsvollstreckung ____ 17 Wettbewerbs- und kartellrechtliche Tatbestände ____ 18 Haftung von Insolvenzverwalter und Gläubigerausschussmitglied ____ 23

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§ 32

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

6.

Verletzung von Pflichten familienrechtlicher Amtsträger ____ 26 7. Verschuldensunabhängige Tatbestände ____ 27 III. Zusammentreffen von deliktischen und vertraglichen Schadensersatzansprüchen ____ 28 IV. Begehungsort als Anknüpfungspunkt der örtlichen Zuständigkeit nach § 32 ____ 29 1. Übersicht ____ 29 2. Handlungsort ____ 31 3. Erfolgsort ____ 36 4. „Fliegende“ Gerichtsstände bei Delikten mit räumlicher Verbreitung ____ 42 V. Negative Feststellungsklage ____ 57 VI. Grenzen ____ 60 VII. Klagen ____ 61 VIII. Parteien ____ 64 1. Kläger ____ 64

2. Beklagte ____ 65 Prozessuale Voraussetzungen des Gerichtsstandes ____ 66 X. Konkurrierende Gerichtsstände ____ 67 1. Fakultative Zuständigkeit des Gerichts am Tatort ____ 67 2. Weitere konkurrierende Gerichtsstände ____ 68 XI. Wahlgerichtsstand ____ 69 1. Übersicht ____ 69 2. Schiedsvereinbarung ____ 70 XII. Internationale Zuständigkeit ____ 72 1. Deutsche internationale Zuständigkeit ____ 72 2. EuGVVO ____ 73 3. Gerichtsstände aufgrund von Staatsverträgen ____ 89 4. Vorläufiger Rechtsschutz ____ 96 IX.

I. Normzweck 1

1. Legitimität des forum delicti commissi. Die Funktion des besonderen Deliktsgerichtsstandes liegt einerseits in der Erleichterung der Prozessführung durch den Deliktsgläubiger, um dessen Waffengleichheit gegenüber dem weniger schutzwürdigen Deliktsschuldner zu gewährleisten,1 andererseits in der Zuweisung der betreffenden Angelegenheiten an ortsnahe und damit sachkundigere Gerichte,2 die im Rahmen regelmäßig durchzuführender Beweiserhebungen namentlich durch in Augenscheinnahme und Ortskenntnis den Sachverhalt am Ort der unerlaubten Handlung leichter ermitteln können. Der Deliktsgerichtsstand wird auch durch Art. 7 Nr. 2 EuGVVO anerkannt. Der forum delictum commissi ist über diese prozessualen Zweckmäßigkeitserwägungen hinaus als Abweichung von dem Grundsatz, dass der Kläger den Beklagten an dessen Wohnsitz oder Sitz aufzusuchen habe, dadurch gerechtfertigt, dass im Falle des § 32 der Verletzte nicht am gegebenenfalls an dem tatortfernen Gerichtsstand des §§ 12, 13 bzw. § 17 soll sein Recht verfolgen müssen.3 Der beklagte Täter bedarf in diesen Fällen des Schutzes durch actor sequitur forum rei nicht; den Interessen beider Parteien wird dadurch Rechnung getragen, dass er am streitgegenstandsbezogenen Gericht verklagt wird, dem Kläger im Übrigen (nicht zwingend) ein Klägergerichtsstand zur Verfügung gestellt wird, da der Begehungsort nicht notwendig am Wohnsitz des Geschädigten liegt.

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2. Verwandte Regelungen. § 20 StVG, sieht vor, dass für Klagen, die auf Grund des StVG erhoben werden, auch das Tatortgericht zuständig ist, in dessen Bezirk das schädigende Ereignis stattgefunden hat. Gleiches sieht für aus dem LuftVG erhobene Klagen dessen § 56 Abs. 1 vor. Für die dort genannten Haftungslagen eines Schiffseigentümers sieht § 6 Abs. 2 ÖlschadenG den Tatortgerichtsstand vor. Dagegen sieht § 94a AMG einen Wahlklägergerichtsstand bei dem Gericht vor, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. Zu § 14 UWG unten Rdn. 18 ff.

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Schröder Internationale Zuständigkeit (1971) 265 ff.; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 1. BGH NJW 1977, 1590; OLG Hamm NJW 1987, 138; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 1. Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 1.

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II. Unerlaubte Handlungen 1. Tatbestände des bürgerlichen Rechts. Unter die von § 32 erfassten unerlaubten Handlungen fallen alle vom BGB in dessen §§ 823 bis 826,4 829, 831, 833 bis 838, Art. 34 GG i.V.m. § 8395 und §§ 858 ff., § 992 erfassten deliktischen Tatbestände, und zwar unabhängig davon, ob sie die Haftung des Schadensersatzverpflichteten an ein Verschulden anknüpfen oder als Gefährdungstatbestände6 ausgestaltet sind.7 Ausschlaggebend ist, dass die Begründung der Haftung nicht an die Verletzung eines Vertrages anknüpft.8 Soweit vertragliche Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden, greift § 29 ein. § 32 erfasst alle Schadensersatzklagen, die mit der Verletzung eines absoluten Rechtes gemäß § 823 Abs. 1 BGB begründet werden. Das gilt auch für den Fall fehlerhafter ärztlicher Behandlung, unabhängig davon, ob das Verschulden in einem positiven Tun oder in dem Unterlassen gebotener Handlungen liegt.9 Eine örtliche Zuständigkeit für die auf Zahlung einer Vertragsstrafe gerichtete Klage lässt sich aus § 32 nicht herleiten. Dass Anlass für die Abgabe des Vertragsstrafenversprechens der Vorwurf unerlaubter Handlungen (hier Schutzrechtsverletzungen) gewesen ist, ändert nichts daran, dass in der Forderung der Vertragsstrafe die Geltendmachung eines vertraglichen Anspruchs und nicht die Erhebung von Ansprüchen wegen unerlaubter Handlung liegt.10 Im Einzelnen kommt § 32 zur Anwendung in Fällen von Streitigkeiten, die auf Eingriffen beruhen durch die nach § 823 Abs. 1 BGB gestützte absolute Rechte verletzt worden sind. § 823 Abs. 1 schützt ausdrücklich Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum. Darüber hinaus wird nach dem Wortlaut dieser Vorschrift auch der Eingriff in sonstige Rechte geschützt, sofern sie nach dem Schutzzweck der Norm unter deren Anwendungsbereich fallen. Hierzu gehören auch Klagen, mit denen die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geltend gemacht werden. Nach § 823 Abs. 2 haftet der Schädiger auf Schadenersatz wegen der Verletzung von Vermögen des Geschädigten, wenn er gegen Schutzgesetze verstoßen hat, wobei neben dem Verstoß gegen strafrechtliche Verbotsgesetze, die den Schutz des Vermögens zum Gegenstand haben, auch außerstrafrechtliche Verbots-Vorschriften in Betracht kommen, die den unterschiedlichsten Bereichen entstammen können. Weiter sieht das materielle Deliktsrecht einen Schadensersatzanspruch bei Vermögensschädigung durch Kreditgefährdung nach § 834 BGB und im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB vor (im Folgenden zu dessen Ausprägung im Zusammenhang des existenzvernichtenden Eingriffs vgl. die Ausführungen unter § 826 BGB). Weiter unten zur Amtshaftung gemäß Art 34 GG i.V.m. § 839 BGB (Rdn. 12, 41). Bei einer behaupteten Körperverletzung besteht ein Gerichtsstand nach § 32 nicht generell am Wohnort des Verletzten. Eine solche generelle Anknüpfung lässt sich nicht der Entscheidung des BGH11 entnehmen. Dort wurde entschieden zu einer Aids-Erkrankung. Bei einer solchen besteht gerade die Sondersituation, dass die Infektion an einem Ort stattfindet, der Ausbruch der Krankheit aber erst wesentlich später und möglicherweise an einem anderen Ort, nämlich dem in diesem Moment bestehenden Wohnsitz des

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BGH WM 1989, 1047, 1049 = EWiR 1989, 765 (Wach). MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 5; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 2 m.w.N. RGZ 60, 300, 302 f. Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 2. BGH NJW 1956, 911; NJW 19974, 410, 411. OLG Düsseldorf MedR 2011, 40 f. LG Mannheim BB 2010, 2382. BGH NJW 1990, 1533.

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Patienten, eintritt. Wollte der BGH in der Entscheidung vertreten, dass bei einer Körperverletzung der Ort i.S.d. § 32 immer auch der jeweilige Wohnsitz des Verletzten sei, so wäre dies zu weitgehend und würde eine im Gesetz nicht verankerte Bevorzugung desjenigen darstellen, der über § 32 klagt. Man könnte dann letztendlich durch Umzüge innerhalb der Bundesrepublik gerade den Gerichtsstand nachträglich schaffen, an dem man die Klage in besonderem Maße für erfolgsaussichtsreich hält. In diesem Sinne differenzierter scheint auch das OLG Karlsruhe12 § 32 zu interpretieren. In seiner Entscheidung stellt es bei der Prüfung des § 32 ausdrücklich auf den Wohnort ab, weil dort eine gebotene Nachbehandlung nicht erfolgt sei und macht damit deutlich, dass es nicht generell den Wohnsitz des Verletzten als Anknüpfungspunkt für ausreichend hält.13 Dagegen hat das KG darauf erkannt, für Schadensersatzklagen wegen ärztlicher Kunstfehler sind gemäß § 32 – unabhängig vom Behandlungsort – grundsätzlich auch die Gerichte am Wohnort des Verletzten zuständig.14 Ort der unerlaubten Handlung i.S.v. § 32 ist nicht nur dort, wo die Verletzungshandlung vorgenommen worden ist, sondern – nach allgemeiner und unbestrittener Auffassung – auch der Ort, an dem der Verletzungserfolg eingetreten ist.15 Soweit dem beklagten Arzt eine unzureichende Diagnostik im Vorfeld eines Heileingriffs vorgeworfen wird, wird der Verletzungserfolg der Pflichtwidrigkeit dort – am Ort der Diagnose, z.B. in einer Klinik – eintreten. Soweit dem Arzt hingegen Versäumnisse bei der nachoperativen Diagnostik zur Last gelegt werden, hat diese zur Folge, dass der Verletzungserfolg (z.B. vermeidbare Schmerzen) in diesem Fall dort eingetreten wäre, wo der Patient als Verletzter seinen Lebensmittelpunkt und Wohnsitz hatte. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ist bei einer vorwerfbaren ärztlichen Fehlbehandlung auch dort begründet, wo die Primärverletzung eintritt.16 Bloße Schadensfolgen sind für die Bestimmung des Gerichtsstands nach § 32 unbeachtlich. Der Ort, an dem (weitere) Schadensfolgen eintreten, ist damit für die Gerichtsstandsbestimmung nach § 32 ohne Folgen.17 Daher: Da auch der Ort, an dem ihr Verletzungserfolg eingetreten ist, als Ort der unerlaubten Handlung i.S.v. § 32 ZPO zu qualifizieren ist, handelt es sich bei der Haftung wegen ärztlicher Behandlungsfehler dabei um den Ort, an dem die Rechtsgutsverletzung durch Körperverletzung oder Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten und damit die unerlaubte Handlung vollendet ist. Auf etwaige lediglich an anderen Orten eintretende Schadensfolgen aus der vollendeten Rechtsgutverletzung kommt es für die Zuständigkeitsbegründung nicht an.18 Tritt das schädliche Ergebnis einer in mehreren Schritten und an verschiedenen Orten erfolgten Heilbehandlung erst nach der Krankenhausentlassung am Wohnort des Patienten zutage, kann aber dort für alle Anspruchsgegner der Gerichtsstand des § 32 begründet sein.19 Bei einer Klage auf Barauszahlung einer Gewinnzusage im Versandhandel gemäß 9 § 661a BGB kommt eine örtliche Zuständigkeit aus dem besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 nicht in Betracht. Einst war die Gewinnzusage im Sinne des § 661a BGB als einseitiges Rechtsgeschäft oder geschäftsähnliche Handlung anzusehen, die keine Schadensersatz- sondern Erfüllungsansprüche begründet.20 Zwar ist die

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OLG Karlsruhe OLGReport 2003, 438. OLG Karlsruhe OLGReport 2003, 438; vgl. auch LG Rottweil BeckRS 2005, 14293 (LS). KG NJW 2006, 2336 f. Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 16; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 15 ff. jeweils m.w.N. Ausschließlich dort, meint OLG München MedR 2011, 281. OLG Köln NJW-RR 2009, 569 f. OLG Hamm GesR 2009, 665 f. OLG Koblenz VersR 2011, 647. BGH, NJW 2003, 426 ff., sowie NJW 2003, 3620 f.

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dogmatische Einordnung des § 661a BGB noch nicht eindeutig,21 doch wird überwiegend vertreten, dass § 661a BGB ein gesetzliches Schuldverhältnis regelt.22 Es handelt sich unzweifelhaft um eine Anspruchsnorm.23 Wenn auch der Vorschrift des § 661a BGB deliktsähnliche und wettbewerbsrechtliche Elemente zukommen mögen, kommt es daher nicht in Betracht, sie als „unerlaubte Handlung“ i.S.d. § 32 zu verstehen. Hierfür spricht nicht zuletzt auch ihre Einordnung in den 11. Titel des 8. Abschnitts des 2. Buches des BGB (Auslobung) und nicht etwa in den 27. Titel (unerlaubte Handlungen). Vgl. hierzu auch § 29 Rdn. 15. Eingriffskondiktion. Klagen wegen Ansprüchen aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB be- 10 ruhen auf einem Eingriff in Rechte, die nach ihrem Zuweisungsgehalt dem Bereicherungsschuldner nicht zustehen; die Eingriffskondiktion stellt sich daher in dem weiten, von § 32 intendierten Sinne als eine Form unerlaubter – weil der Rechtsordnung zuwiderlaufender Handlung – dar, so dass der Gerichtsstand des § 32 eröffnet ist.24 Klagen aus ungerechtfertigter Bereicherung, mit Ausnahme der angesprochenen Fälle einer Eingriffskondiktion, fallen nicht unter § 32. Dies gilt insbesondere auch, wo Ansprüche aus anderen gesetzlichen Ausgleichsverhältnissen in Betracht kommen, wobei insbesondere die §§ 677 ff. BGB der Geschäftsführung ohne Auftrag oder die Gesamtschuld nach §§ 421 ff. BGB zu nennen sind. Gesamtschuldnerausgleich. Auch in Fällen von Klagen wegen Ausgleichsansprü- 11 chen zwischen mehreren Schädigern (§§ 840, 421 BGB) ist die Zuständigkeit gemäß § 32 begründet.25 Neben Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB fallen weiter auch Ansprüche 12 wegen enteignungsgleichem Eingriff und durch rechtswidriges Verwaltungshandeln herbeigeführtem Aufopferungsanspruch unter § 32 und können vor dem Deliktsgerichtsstand verfolgt werden.26 Der enteignungsgleiche Eingriff liegt vor, wenn durch die Verwaltung ein formell verfassungsgemäßes Gesetz rechtswidrig vollzogen und somit beim Geschädigten eine Eigentumsbeeinträchtigung verursacht wird. Soweit ein Aufopferungsanspruch aufgrund rechtswidrigem Verwaltungshandelns verwirklicht wird, ist er dem enteignungsgleichen Eingriff gleichzustellen.27 2. Tatbestände außerhalb des BGB. Daher greift der Gerichtsstand neben den zi- 13 tierten Vorschriften des BGB auch dann ein, wenn sich eine Klage auf außerhalb des BGB geregelte Delikts- oder Gefährdungshaftungstatbestände stützt.28 Hierzu sind zu zählen: § 1 ProdHaftG, § 1 HPflG, §§ 7, 20 StVG, §§ 56 ff. LuftVG, § 22 Abs. 2 WHG,29 §§ 25 ff. AtomG, § 84 AMG, § 32 ist ferner wegen der Ansprüche aufgrund der Durchführung unberechtig-

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21 So wird die Gewinnzusage i.S.d. § 661a BGB nicht mehr als einseitiges Rechtsgeschäft betrachtet: Lorenz JuS 2000, 883, 842; ders. NJW 2000, 3305, 3307; Jauernig-BGB/Mansel § 661a BGB Rdn. 1; a.A. Staudinger/Bergmann § 661a BGB Rdn. 16 f.; BGH NJW 2003, 426, 427. Sie wird nunmehr überwiegend als rechtsgeschäftsähnliche Handlung verstanden: BGH NJW 2006, 230, 232; BGH NJW 2004, 1652, 1653; Lorenz NJW 2006, 472; Palandt/Sprau § 661a BGB Rdn. 2. 22 BGH NJW 2006, 230, 232; Jauernig-BGB/Mansel § 661a BGB Rdn. 1 m.w.N. auch zur Gegenansicht; kritisch auch MünchKomm-BGB/Seiler § 661a BGB Rdn. 4. 23 BGH ZIP 2004, 38; Jauernig-BGB/Mansel § 661a BGB Rdn. 1; MünchKomm-BGB/Seiler § 661a BGB Rdn. 4. 24 Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 7; Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 8. 25 OLG Celle VersR 1991, 234 f.; Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 5, 12; a.A. MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 17; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 9. 26 Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 17, insb. 19 f.; MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 2 f., insb. 5. 27 Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 20. 28 Vgl. Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 3. 29 BGHZ 80, 1, 3 = NJW 1981, 1516.

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ter Zwangsvollstreckung gemäß §§ 302 Abs. 4, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2, 945 anwendbar.30 § 32 greift auch bei Klagen aus Ansprüchen wegen enteignungsgleichen oder aufopferungsgleichen Eingriffen (Staatshaftungsrecht) ein.31 Den deliktischen Tatbeständen i.e.S. sind vergleichbare Handlungen gleichzustellen, wie bspw. die missbräuchliche Ausnutzung konzernrechtlich beherrschender Stellungen gemäß § 302 AktG.32 Der Rückgriffsanspruch des Unfallversicherers gegen den Schädiger gemäß § 110 14 SGB VII unterfällt nicht dem besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32.33 Ansprüche aus Durchgriffshaftung. Derartige Ansprüche beruhen nicht auf einer 15 Verletzung vertraglicher Verpflichtungen, sondern auf missbräuchlicher Ausnutzung der das Unternehmen beherrschenden Stellung, die derartige Ansprüche strukturell in die Nähe deliktischer Haftung rückt. Daher ist auch insoweit der Gerichtsstand des § 32 eröffnet.34 Der II. Zivilsenat findet den rechtssystematischen Ort der Existenzvernichtungshaf16 tung nach der TRIHOTEL-Entscheidung35 in § 826 BGB.36 In der Diskussion37 ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass eine Haftung des Gesellschafters aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB in diesen Fallgruppen regelmäßig daran scheitert, dass eine Vermögensbetreuungspflicht der Gesellschafter für die Gesellschaft jedenfalls in der vom strafrechtlichen Untreuetatbestand geforderten Intensität entweder nicht vorliegen oder sich die Verwirklichung der Untreue nicht darstellen lassen wird. Die „Sittenwidrigkeit“ der Schädigung als Tatbestandsmerkmal des § 826 BGB verweist aber darauf, dass – zivilrechtlich – das Verhalten des Gesellschafters „analog“ der strafrechtlichen Untreue in deren Nähe gerückt und als verboten angesehen wird.38 Nicht zuletzt ist darauf aufmerksam gemacht worden,39 dass die „kalte Liquidation“ der Gesellschaft durch existenzvernichtende Eingriffe zwar vom GmbHG nicht geregelt wird, aber der unordentlichen, beschlossenen Liquidation strukturell gleichzustellen ist; § 73 Abs. 1 GmbHG ist Schutzgesetz. 17

3. Materiell-rechtliche Schadenersatzansprüche wegen unrechtmäßiger Zwangsvollstreckung. Der Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 kann im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32) geltend gemacht werden.40 Das ist nicht selbstverständlich: Nach einhelliger Ansicht in der Kommentarliteratur unterfällt der (verschuldensunabhängige) Rückgewähranspruch aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ebenfalls § 32.41 Nach § 717

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30 Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 3; MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 6. 31 BeckOK/Toussaint § 32 Rdn. 2.2 f.; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 3; Stein/Jonas/Roth22 § 32 Rdn. 20; Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 5; a.A. OLG Karlsruhe BeckRS 2003, 30327461 gegen eine Anwendung auf Ausgleichsansprüche, die auf dem Aufopferungsgedanken beruhen. 32 OLG Köln ZIP 1998, 74; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 3 a.E. 33 OLG Hamm MDR 2013, 1187 f. 34 KrG Erfurt ZIP 1991, 1233, 1238 f.; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 6. 35 BGHZ 173, 246 = BGH NJW 2007, 2689 = BGH ZIP 2007, 1552 „Trihotel“; Anm. Geibel ZJS 2008, 90 f. 36 So auch Weller ZIP 2007, 1681, 1683. 37 Weller ZIP 2007, 1681, 1688; Livonius wistra 2009, 91, 93 f.; vgl. auch: Staudinger Existenzvernichtender Eingriff und Haftung des Gesellschafters – Aktuelle sach- und kollisionsrechtliche Zweifeldfragen, AnwBl 2008, 316 ff. 38 Vgl. auch Altmeppen NJW 2007, 2657, 2659. 39 Vgl. bereits Kleindiek Deliktshaftung und juristische Person, zugleich zur Eigenhaftung von Unternehmensleitern, 1997 S. 298, 301 ff. 40 BGH NJW 2011, 2518. 41 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 717 Rdn. 19; BeckOK/Ulrici § 717 Rdn. 28; MünchKomm/ Götz § 717 Rdn. 22; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 3 m.w.N.; Musielak/Lackmann § 717 Rdn. 14; Saenger/Kindl

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Abs. 2 Satz 1 ist der Kläger zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, welcher dem Beklagten durch die Vollstreckung eines Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist, wenn ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Die Regelung beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil auf Gefahr des Gläubigers erfolgt. Hat der Beklagte aufgrund gerichtlicher Anordnung einen Eingriff in seinen Handlungs- und Vermögensbereich dulden müssen, der sich nach weiterer Überprüfung als unbegründet herausstellt, entspricht es gebotener Risikoverteilung, dass den Schaden aus solcher erlaubter, aber gefahrbeladener Ausübung derjenige trägt, der seine Interessen auf Kosten des anderen verfolgt. Es handelt sich um einen Fall der Gefährdungshaftung, weil die Rechtsfolge an ein ausdrücklich von dem Gesetz erlaubtes Verhalten anknüpft.42 Nach § 717 Abs. 3 Satz 2 ist der Kläger auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des aufgrund eines aufgehobenen oder abgeänderten Berufungsurteils Gezahlten oder Geleisteten zu verurteilen. Bei diesem Anspruch handelt sich nicht um einen Anspruch aus unerlaubter Handlung i.S.d. §§ 823 ff. BGB oder aus der widerrechtlichen Verletzung eines fremden Rechts. Der Kläger, der von einem gemäß § 708 Nr. 10 für vorläufig vollstreckbar erklärten Berufungsurteil Gebrauch macht, handelt in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung, auch dann, wenn dieses Urteil im weiteren Verfahren keinen Bestand hat. Auf der anderen Seite stellt nach Ansicht des BGH der Anspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 aber auch keinen Bereicherungsanspruch dar, für den der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nicht eröffnet ist.43 Gemäß § 717 Abs. 3 Satz 3 bestimmt sich die Erstattungspflicht zwar nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Rechtsfolgenverweisung. Das folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, sondern auch aus ihrem Regelungszusammenhang. Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs sind in § 717 Abs. 3 Satz 2 abschließend geregelt. Der folgende Satz drei betrifft die Frage, wie weit die einmal entstandene Erstattungspflicht reicht.44 Der Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 lässt sich vielmehr ebenso wie derjenige aus § 717 Abs. 2 Satz 1 auf den Grundsatz zurückführen, dass der Gläubiger, der von einem noch nicht endgültig rechtsbeständigen Vollstreckungstitel Gebrauch macht, dies auf eigene Gefahr unternimmt und die Folgen zu tragen hat, falls der Titel letztlich keinen Bestand hat.45 Es handelt sich nach Ansicht des BGH um einen nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung begründeten, bereicherungsrechtlich ausgestalteten Erstattungsanspruch. 4. Wettbewerbs- und kartellrechtliche Tatbestände. Im Bereich des UWG stellt 18 § 14 Abs. 2 S. 1 UWG einen besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zur Verfügung,46 der im Rahmen des § 14 Abs. 2 S. 2 UWG eingeschränkt wird. Verwirklicht ein Kartellrechtsverstoß gemäß §§ 20, 33 GWB (Boykottmaßnahmen) zugleich einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, ist § 32 anwendbar.47 Daher ist für Unterlassungsansprüche nach UWG wegen Handelsaktivitäten im Internet gemäß

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§ 717 Rdn. 10; Stein/Jonas/Münzberg § 717 Rdn. 46; Thomas/Putzo/Seiler § 717 Rdn. 15; Zöller/Herget § 717 Rdn. 13; Wieczorek/Schütze/Hess § 717 Rdn. 33. 42 MünchKomm/Götz § 717 Rdn. 7. 43 Vgl. auch BGH NJW 2011, 2518. 44 RGZ 139, 17, 21 f.; BAGE 11, 202, 206; 12, 158, 167. 45 BGH NJW 1978, 163, 164; BGHZ 69, 373, 378 = NJW 1997, 2601, 2602 f.; BGHZ 136, 199, 205; BAGE 11, 202, 206; BAGE 12, 158, 167 f. 46 LG Hamburg GRUR-RR 2001, 95. 47 BGH NJW 1980, 1224, 1225.

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§§ 2, 8 UWG i.V.m. § 32 die Zuständigkeit eines jeden deutschen Gerichtes als Gericht des Begehungsortes eröffnet.48 § 14 UWG hat den nach § 13 UWG klageberechtigten Verbänden den Gerichtsstand des Begehungsortes zur Verfügung gestellt. Andere Verbandsklagen die auf Ansprüche aus anderen Gesetzen gestützt werden (wie einst nach § 12 Abs. 1 RabattG)49 fallen hierunter aber nicht, sondern es greift der Gerichtsstand des § 32. Während der deliktische Gerichtsstand nach § 32 für Unterlassungsklagen zur Abwehr von unerlaubten Handlungen greift, ist dies bei nachbarrechtlichen Abwehrklagen nicht der Fall. Dort greift der ausschließliche dingliche Gerichtsstand des § 24 wonach die Belegenheit des beeinträchtigten Grundstücks maßgeblich ist. Damit wird aber eine Aufspaltung von Zuständigkeiten für Unterlassung- und Beseitigungsansprüchen aus der Sache auf der einen und auf der anderen Seite für Entschädigungsansprüchen aus Delikt bewirkt. Die Gründe, die für den dinglichen Gerichtsstand nach § 24 für nicht deliktische Abwehrklagen sprechen genießen den Vorrang. Die Anmeldung einer Marke stellt an sich selbst noch keine Rechtsverletzung dar50 und löst deshalb keinen deliktischen Anspruch aus. Doch auch soweit in der Literatur für die Löschungsklage eine (entsprechende) Anwendung des § 32 befürwortet wird,51 wird daraus eine Zuständigkeitsbegründung nur für den Handlungsort, also den Ort der Einreichung der Markenanmeldung, hergeleitet, nicht auch für einen vermeintlichen Erfolgsort.52 In diesen Fällen kann aber auch § 826 BGB eingreifen. Siehe auch § 33 GWB.53 5. Haftung von Insolvenzverwalter und Gläubigerausschussmitglied. Die Rechtsnatur der Verwalterhaftung war lange Zeit umstritten. Uneinigkeit herrschte darüber, ob sie rein schuldrechtlicher oder rein deliktischer Natur ist oder ob sowohl Elemente deliktischer als auch schuldrechtlicher Natur enthalten sind.54 Die Entscheidung dieser grds. Frage hat konkrete Folgen sowohl hinsichtlich der Haftung für Gehilfen (Rdn. 55 f., 65), für die Bestimmung der Frist, innerhalb derer Schadenersatzansprüche verjähren, als auch im Hinblick auf die Frage, ob wegen einer gegen den Verwalter gerichteten Klage der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32) in Betracht kommt. 55 Ein Teil der Lehre und die Rspr. ging bislang davon aus, dass § 82 KO ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Konkursverwalter und den Beteiligten begründet. 56 Dabei hat sich der BGH im Ansatz auf die deliktische Natur des § 82 KO – heute: § 60

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48 LG Aurich MMR 2013, 249. 49 Seit dem 25.7.2001 per Gesetz BGBl. I S. 1663 außer Kraft getreten. 50 Zum Streitstand Ingerl/Rohnke Markengesetz2, § 14 Rdn. 142 m.w.N. 51 Vgl. Ingerl/Rohnke Markengesetz2, § 55 Rdn. 42; Schulz WRP 2000, 258, 263. 52 OLG Frankfurt/M. WM 2007, 1534. 53 KGR 2000, 181 (für §§ 19 Abs. 4 Nr. 4, 33 GWB a.F.). 54 In diesem Sinne wohl K. Schmidt KTS 1976, 191, 197 ff., 203 ff., der zwischen interner und externer Verantwortlichkeit differenziert, vgl. auch Kilger/K. Schmidt KO16, § 82 Anm. 1; krit. Häsemeyer Insolvenzrecht4, Rdn. 6.35; Uhlenbruck-InsO/Sinz § 60 InsO Rdn. 1; MünchKomm-InsO/Brandes/ Schoppmeyer § 60 InsO Rdn. 4 ff.; Jaeger-InsO/Gerhardt § 60 InsO Rdn. 13 f. 55 So im Ergebnis zutr. OLG Celle, Urt. v. 24.11.1987 – 6 U 99/87, Anm. Lüke EWiR § 82 KO 5/88, 601; Braun-InsO/Baumert § 60 InsO Rdn. 3; MünchKomm-InsO/Brandes/Schoppmeyer § 60 InsO Rdn. 119 ff.; Uhlenbruck-InsO/Sinz § 60 InsO Rdn. 1, 137. 56 BGH, Urt. v. 17.1.1985 – IX ZR 59/84 – BGHZ 93, 278, 283 = ZIP 1985, 359 = NJW 1985, 1161; BGH, Urt. v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93 – ZIP 1993, 1886 = NJW 1994, 323; Weber FS Lent (1957) 301, 310 ff.; Baur GS Bruns (1980) 241, 246 ff.; Kuhn/Uhlenbruck KO11, § 82 Rdn. 1.

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InsO – festgelegt, wie seine Entscheidung57 zum Problem der Verjährung zeigt, in der einheitlich für die Haftung für Einzel- und Gesamtschäden die deliktsrechtliche Verjährungsfrist des § 852 BGB angenommen wird. In der sehr vielschichtigen Entscheidungsbegründung bejaht der BGH das Vorliegen von Merkmalen deliktsähnlicher Haftung. So sei die Haftung aus § 60 InsO an einen rechtswidrigen schuldhaften Verstoß gegen die dem Konkursverwalter obliegenden Pflichten geknüpft. Weiterhin strebt der BGH eine Vereinheitlichung der haftungsrechtlichen Verjährung in Hinblick darauf an, dass eine sachgerechte Verteidigung nur innerhalb einer kurzen Frist möglich ist. Die kurze Verjährungsfrist des § 852 BGB bedeutet außerdem eine Annäherung an die Verjährungsfrist der Haftung des Konkursverwalters bei Verletzung seiner steuerlichen Pflichten nach §§ 69, 191 AO.58 Insgesamt ging der BGH bislang unter Zustimmung der Literatur59 von der partiell deliktsrechtlichen Natur des § 82 KO bzw. heute des § 60 InsO aus, die somit auch für § 60 zugrunde zu legen ist. Gegenstimmen begrüßen zwar die durch die Entscheidung des BGH erfolgte Haftungsbegrenzung, können jedoch der Argumentation des Gerichts nicht zustimmen: Sie sehen ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten und dem Konkursverwalter als Grundlage der Konkursverwalterhaftung, aber gerade keine teilweise deliktische Natur des § 60 InsO.60 Neben diese insolvenzspezifische Haftung traten bislang weitere Haftungsgrundlagen,61 die durch die InsO nicht angetastet werden: So ist eine Haftung des Konkursverwalters auch aus Delikt,62 aus der Übernahme eigener vertraglicher Verpflichtungen63 und aus c.i.c. bei Begründung eines eigenen Vertrauenstatbestands64 – heute: vertraglichen Pflichtverletzungen – sowie aus § 69 AO denkbar. Im Verhältnis zwischen § 60 InsO und § 69 AO kam es bisher darauf an, ob eine spezifisch insolvenzrechtliche Pflicht – wie die rechtzeitige Zahlung von zur Tabelle festgestellter Insolvenzforderungen – oder eine dem Abgabenrecht angehörende Pflicht verletzt worden ist.65 Wegen der deliktsrechtlichen Struktur (vgl. die § 853 BGB angelehnte Verjährungs- 24 frist gemäß § 62 InsO) ist daher auch für die Streitigkeiten wegen der Haftung von Insolvenzverwaltern (§ 60 InsO) und Gläubigerausschuss- bzw. -beiratsmitgliedern (§ 71 InsO) wegen Verletzung der ihnen obliegenden insolvenzspezifischen Pflichten der Gerichtsstand des § 32 gegeben.66

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57 BGHZ 93, 278, 280 ff.; vgl. auch OLG Hamm Urt. v. 2.7.1987 – 27 U 25/86 – ZIP 1987, 1402 m. Anm. Lüke EWiR § 82 KO 7/87, 1225. 58 BGHZ 93, 278, 280 ff. 59 Häsemeyer Insolvenzrecht4, Rdn. 6.36, der die Verletzung drittschützender Pflichten als Anknüpfungspunkt betont; Gottwald/Heilmann/Klopp Insolvenzrechts-Handbuch3, § 24 Rdn. 13. 60 Vgl. allein Lüke NJW 1985, 1164. 61 Dazu Kuhn/Uhlenbruck KO11, § 82 Rdn. 4 ff., 14; Kilger/K. Schmidt KO16, § 82 Anm. 1c; Vallender ZIP 1997, 345, 352 f.; einschränkend Häsemeyer Insolvenzrecht4, Rdn. 6.44. 62 BGHZ 93, 278, 283; Jaeger-InsO/Gerhardt § 60 InsO Rdn. 150; Uhlenbruck-InsO/Sinz § 60 InsO Rdn. 1, 58; Hess § 60 InsO Rdn. 128. 63 BGH, Urt. v. 12.11.1987 – IX ZR 259/86 – ZIP 1987, 1586 = KTS 1988, 138 = NJW 1988, 209; Anm. Pape EWiR § 82 KO 1/88, 91; Jaeger-InsO/Gerhardt § 60 InsO Rdn. 156; Uhlenbruck-InsO/Sinz § 60 InsO Rdn. 1, 54 f.; Hess § 60 InsO Rdn. 119 f. 64 BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86 – BGHZ 100, 346, 350 = ZIP 1987, 650 m. Anm. Baur EWiR § 82 KO 3/87, 609; BGH, Urt. v. 25.2.1988 – IX ZR 139/87 – BGHZ 103, 310, 314 = ZIP 1988, 526 f.; Jaeger-InsO/ Gerhardt § 60 InsO Rdn. 156; Uhlenbruck-InsO/Sinz § 60 InsO Rdn. 1, 54 ff.; Hess § 60 InsO Rdn. 111; Heidelberger Kommentar-InsO (Kreft)/Lohmann § 60 Rdn. 42. 65 BGH, Urt. 1.12.1988 – IX ZR 61/88 – BGHZ 106, 134, 136 = ZIP 1989, 50 m. Anm. Wellensiek EWiR § 82 KO 1/89, 389; Kuhn/Uhlenbruck KO11, § 82 Rdn. 4a; Kilger/K. Schmidt KO16, § 82 Anm. 8: § 69 AO ist lex specialis gegenüber § 82 KO; vgl. auch Merz KTS 1989, 277, 281. 66 OLG Celle WM 1988, 131, 133.

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Bei alledem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Schadenersatzprozess nach § 60 InsO gegen den Insolvenzverwalter nicht um einen Passivprozess i.S.v. § 19a handelt, für den die örtliche Zuständigkeit in dem Gerichtsbezirk des Insolvenzgerichts begründet wäre. Diese Passivprozesse (§ 86 InsO) richten sich gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes, der für die Insolvenzmasse (§§ 35 Abs. 1, 36 InsO) als das haftende Vermögen handelt. Der Schadenersatzprozess nach § 60 InsO richtet sich dagegen ex definitione gegen den Insolvenzverwalter als mit seinem eigenen Vermögen haftende Person.67

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6. Verletzung von Pflichten familienrechtlicher Amtsträger. Im Unterschied zur Begründung des Gerichtsstandes des § 32 für Klagen gegen den Insolvenzverwalter aus §§ 60, 61 greift § 32 nicht für Klagen, die auf die Verletzung der Pflichten als Vormund gemäß § 1833 BGB, als Pfleger oder Betreuer oder als Testamentsvollstrecker gemäß § 2219 BGB gestützt werden, es sei denn, es ist zugleich eine unerlaubte Handlung verwirklicht.68

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7. Verschuldensunabhängige Tatbestände. Auf ein Verschulden des Täters kommt es für die Begründung des Deliktsgerichtsstandes nicht an. Daher werden von § 32 auch Klagen erfasst, die auf § 829 BGB bei der Haftung Deliktsunfähiger gestützt werden; Klagen aus Tierhalterhaftung gemäß § 833 BGB,69 § 1 ProduktHG, § 89 Abs. 1 WHG. III. Zusammentreffen von deliktischen und vertraglichen Schadensersatzansprüchen

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An dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung kann nach der neueren Rechtsprechung auch über konkurrierende vertragliche Ansprüche entschieden werden.70 Eine dadurch begründete örtliche Zuständigkeit erstreckt sich nach dem Wortlaut der Bestimmung auf die „Klage“. Der Gesetzeswortlaut knüpft damit nicht an materiellrechtliche Kategorien an, sondern an den mit der Klage geltend gemachten prozessualen Streitgegenstand. Wird bei Darlegung einer unerlaubten Handlung mit der hierauf gestützten Klage ein einheitlicher prozessualer Anspruch geltend gemacht, hat das insoweit örtlich zuständige Gericht deshalb den Rechtsstreit nicht nur unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung, sondern unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu entscheiden. Soweit in der Rechtsprechung des BGH aus § 32 entnommen wurde, im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung dürfe trotz Geltendmachung eines einheitlichen prozessualen Anspruchs nur über die deliktsrechtlichen materiellen Anspruchsgrundlagen entschieden werden, kann hieran seit Inkrafttreten des § 17 Abs. 2 GVG in der seit dem 1.1.1991 geltenden Fassung nicht mehr als sachgerecht festgehalten werden.71 Damit hat sich der BGH von der früheren Ansicht abgekehrt, wonach, wenn deliktische und vertragliche Schadensersatzansprüche zusammenfallen, das Gericht des Gerichtsstandes des § 32 nach bislang vorherrschender Auffassung nur zur Entscheidung über den deliktischen Anspruch zuständig sei.72 Damit wurde der Streitgegenstand, über den das gemäß § 32 zuständige Gericht zu entscheiden

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Vgl. Nerlich/Römermann-InsO/Rein § 60 InsO Rdn. 1 ff. Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 21. RGZ 53, 120; 60, 300, 304; 60, 313, 315. BGH, NJW 2003, 828; KG, NJW-RR 2001, 62. BGHZ 153, 173. BGH NJW 1986, 2436, 2437 = LM Nr. 12; OLG Frankfurt/M MDR 1982, 1466 f.

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hat, durch diese Vorschrift eingeschränkt,73 mit der Folge, dass bei einer Abweisung der deliktischen Klage vor dem zuständigen Gericht mit einem unveränderten Tatsachenvortrag eine auf vertragliche Schadensersatzansprüche gestützte erneute Klage erhoben werden kann.74 Nach der nunmehr in der höchstrichterlichen Judikatur vorgedrungenen Ansicht hat dagegen das nach § 32 angegangene Gericht den Rechtsstreit aufgrund von § 17 Abs. 2 S. 1 GVG „kraft Sachzusammenhangs“ umfassend zu entscheiden,75 diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Ist ein Gericht nach § 32 zuständig, hat es neben den deliktischen Ansprüchen auch alle weiteren, aus dem Lebenssachverhalt sich ergebenden Anspruchsgrundlagen einschließlich solcher aus Vertrag zu prüfen.76 Anders dagegen im Falle der Begründung der deliktsrechtlichen internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte, unten Rdn. 72 ff. IV. Begehungsort als Anknüpfungspunkt der örtlichen Zuständigkeit nach § 32 1. Übersicht. Für die Bestimmung des maßgeblichen Begehungsortes ist zwischen 29 drei Orten zu unterscheiden,77 und zwar zwischen dem Handlungsort, an dem der Täter gehandelt hat, dem Erfolgsort, an dem die Schädigung des Rechtsguts eingetreten ist und dem Schadensort, sofern an anderem Ort ein über den Verletzungserfolg hinausgehender Schaden eingetreten ist; der letztere ist für § 32 unerheblich.78 Die gerichtliche Zuständigkeit kann danach wahlweise dort gegeben sein, wo eine der Verletzungshandlungen begangen wurde oder dort, wo in ein deliktsrechtlich geschütztes Rechtsgut des Klägers eingegriffen worden ist.79 Lässt sich der Begehungsort nicht feststellen, kommt eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 in Betracht.80 Ein Beispiel mag dies vor der näheren Auseinandersetzung mit den Einzelheiten 30 deutlich machen: Für den Eingriff in den Gewerbebetrieb liegt der Begehungsort dort, wo der Handelnde seine Tat verwirklicht hat (Handlungsort). Erfolgsort liegt am Sitz des beeinträchtigten Unternehmens und im Falle des Eingriffs in einen isolierten Teilbereich, wie einer Niederlassung, liegt er dort. 2. Handlungsort. Handlungsort ist jeder Ort, an dem tatbestandsmäßige Ausfüh- 31 rungshandlungen, auch Teilakte,81 vorgenommen worden sind.82 Dabei ist es entscheidend, dass die Handlung Außenwirkungen gezeitigt und ein über das Stadium bloßer Vorbereitungshandlungen hinausgehender Schaden eingetreten ist;83 der letztere ist für § 32 unerheblich.84 Der Ort der Herstellung des fehlerhaften Produkts,85 das Verfassen des inkriminierten Berichts oder seine drucktechnische Herstellung stellen Vorbereitungshandlungen dar, das Delikt wird begangen durch den Vertrieb des Produkts oder

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73 BGH NJW 1988, 1466 f. 74 BGH VersR 1978, 59, 60; RGZ 27, 285, 389. 75 BayOblG NJW-RR 1996, 508; OLG Frankfurt/M OLGR 1996, 118; OLG Hamburg MDR 1997, 884; OLG Köln NJW-RR 1999, 1081; zustimmend Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 20. 76 BGH MDR 2003, 345 mit Anmerkung Reichling = NJW 2003, 828; OLG Brandenburg MDR 2008, 1094. 77 Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 15. 78 BGH NJW 1977, 1590; BGHZ 98, 263, 275 = NJW 1987, 592 = EWiR 1987, 93 (Geimer). 79 BGHZ 132, 105, 110 f.; BGH NJW 1996, 1411, 1413; KG NJW 2006, 2336, 2337. 80 BayObLG DB 1999, 523; KGR 1999, 154. 81 BGHZ 40, 391, 395 = NJW 1964, 969; RGZ 72, 41, 44. 82 BayObLG NJW-RR 1996, 508, 509. 83 Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 16. 84 BGH MDR 1957, 29, 31 m. Anm. Pohle. 85 Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 16.

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der Druckschrift.86 Die ernsthafte Drohung mit einer unerlaubten Handlung stellt bereits selbst einen Eingriff in die Freiheit des Bedrohten dar und begründet damit an ihrem Orte einen eigenen Gerichtsstand gemäß § 32.87 Wird das Delikt (z.B. bei Ehrdelikten) durch Absenden eines Briefes verwirklicht, ist Handlungsort der Absendeort;88 bei Boykottaufrufen der Ort der Verlautbarung89 ebenso wie derjenige, an dem der Aufruf die Adressaten erreicht hat.90 Bei Verletzung von Immaterialgüterrechten ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Verletzungshandlung begangen wurde.91 Für Immissionsdelikte ist der Ort der Anlage maßgeblich.92 Die sittenwidrige Ausnutzung von Vollstreckungstiteln gemäß § 826 BGB hat kumulativ93 als Begehungsort den Ort der Erwirkung des Titels,94 den Sitz des klagenden Vollstreckungsschuldners95 und den Ort der erfolgten oder drohenden Vollstreckungsmaßnahmen.96 Der Begehungsort von Unterlassungen liegt dort, wo die pflichtwidrig unterlassene Handlung hätte verwirklicht werden müssen.97 Es kommt auf den Begehungsort an, wenn der Beklagte gegen ein Unterlassungsurteil verstoßen hat.98 Handlungsort i.S.v. § 32 ist bei der Produktherstellung, die arbeitsteilig und unter 32 Benutzung von Zulieferteilen erfolgt, (auch) der Ort, an dem das die Produkthaftung auslösende schadhafte Teil in das Endprodukt eingebaut wird.99 Bei der Versendung unerlaubter Werbeemails ist zuständigkeitsbegründender Hand33 lungsort zumindest jeder Ort, an dem die Verletzungshandlung sich bestimmungsgemäß auswirken sollte.100 Dies begründet die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk der Arbeitsplatz liegt, an dem der bestimmungsgemäße Abruf der Mail erfolgt ist. Auf den Gerichtsbezirk, aus dem Heraus die Absendung erfolgte, kommt es daher nicht an. Bei einer – behaupteten – Persönlichkeitsrechtsverletzung ist es für die Annahme 34 der örtlichen Zuständigkeit aufgrund des besonderen Gerichtsstands der unerlaubten Handlung zumindest erforderlich, dass sich der behauptete Verstoß an dem Ort, der gemäß § 32 zuständigkeitsbegründend sein soll, auch tatsächlich ausgewirkt hat. Wurde das Persönlichkeitsrecht angeblich durch die Veröffentlichung auf einer Internet-Seite verletzt, ist der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nicht schon deshalb gegeben, weil die betreffende Internet-Seite auch im Bezirk des angerufenen Gerichts bestimmungsgemäß aufgerufen werden kann.101 Zur internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsverletzungen durch Internetpublikationen in der Judikatur des BGH unten Rdn. 47 ff.

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86 87 88 89 90 91 92 93 941. 94 95 96 97 98 99 100 101

BGHZ 40, 391, 394. OLG Hamburg GRUR 1987, 403 f. RGZ 27, 418, 419; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 16. Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 17. OLG Frankfurt/M OLGZ 1986, 495, 496 = NJW-RR 1986, 3189. BGHZ 52, 108, 11 =NJW 1969, 1532. OLG Köln BB 1993, 1387, 1388. Str.: OLG Koblenz NJW-RR 1989, 1013; Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 17; abl. OLG Köln NJW-RR 1987, OLG Köln BB 1993, 1387, 1388. OLG München NJW-RR 1993, 703; OLG Schleswig NJW-RR 1992, 2390. OLG Koblenz NJW-RR 1989, 1013; OLG Hamm NJW-RR 1989, 305; LG Lübeck 1990, 2892. OLG Karlsruhe MDR 1960, 56; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 17. OLG Hamm NJW 1958, 1831. OLG Stuttgart NJW-RR 2006, 1362 ff. m. Anm. Boris Handorn IHR 2007, 25 ff. OLG Hamburg CR 2003, 286, OLG Bremen CR 2000, 770. LG Mosbach K&R 2007, 486.

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Bei Ansprüchen auf Schadensersatz wegen Kursmanipulation durch fehlerhafte ad- 35 hoc-Mitteilungen kommen als besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung der Unternehmenssitz der Aktiengesellschaft als Handlungsort und der Wohnsitz des Geschädigten als Erfolgsort in Betracht.102 Der Gerichtstand des § 32 knüpft an den Ort an, an dem die Handlung begangen worden ist, wobei Begehungsort jeder Ort ist, an dem auch nur eines der Tatbestandsmerkmale einer unerlaubten Handlung verwirklicht wurde. Werden die Tatbestandsmerkmale einer unerlaubten Handlung an verschiedenen Orten verwirklicht, ist Begehungsort sowohl der Handlungsort als auch der Erfolgsort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingriffen wurde.103 Handlungsort ist der Ort, an dem das schadensbegründende Ereignis veranlasst wurde,104 an dem der Täter die haftungsrechtlich relevanten Handlungen vornahm. Werden der Unternehmensbericht und die ad-hoc-Mitteilungen der Beklagten an deren Sitz verfasst und die Ad-hoc-Mitteilungen von dort aus übermittelt, ist der Handlungsort an dem Sitz der Beklagten anzunehmen. 3. Erfolgsort. Erfolgsort ist nicht jeder Ort, an dem Schäden eingetreten sind; der Er- 36 folgsort ist nur dann für § 32 entscheidend, wenn durch den Erfolgseintritt Tatbestandsmerkmale verwirklicht werden, ohne die der Tatbestand der unerlaubten Handlung nicht verwirklicht würde,105 etwa im Fall des § 826 BGB.106 „Tatort“ i.S.v. § 32 ist jeder Ort, an dem auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht wurde; das ist bei Begehungsdelikten sowohl der Ort, an dem der Täter gehandelt hat, als auch der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen worden ist.107 Wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung gehört, ist der Ort des Schadenseintritts Verletzungs- und damit Begehensort.108 Nach diesen Maßstäben ist sowohl wegen des Handlungsortes als auch des Erfolgsortes die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts zu bejahen. Hat ein Teilnehmer einer Nordic-Walking-Gruppe infolge des Verschuldens eines 37 anderen Teilnehmers einen Sturzunfall erlitten (mit der Folge einer Humerus-Fraktur), ist der Gerichtsstand für Ansprüche aus unerlaubter Handlung der Unfallort und nicht der Wohnort des Verletzten.109 Im Fall der sittenwidrigen zwangsvollstreckungsweisen Ausnutzung von Titeln ist 38 der Gerichtsstand also auch dort begründet, wo die Pfändungen vorgenommen wurden.110 Schadensersatzansprüche wegen Gesundheitsverletzungen können nach § 32 am Wohnort des Verletzten eingeklagt werden.111 Bei Ehrverletzungen bzw. Persönlichkeitsdelikten geht die Judikatur112 davon aus, dass in den am Wohnsitz lokalisierten Achtungsanspruch des Verletzten mit der Folge eingegriffen wird, dass dort der Gerichtsstand des § 32 begründet sei.113 Bei grenzüberschreitenden Presse- und Rundfunkdelikten

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102 OLG Frankfurt 22.9.2005 1 U 55/05. 103 Stein/Jonas/Roth22 § 32 Rdn. 26. 104 MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 20. 105 BGHZ 52, 108, 111 = NJW 1969, 1532; BGH NJW 1977, 1590; BGH NJW 1990, 1533; OLG München GRUR 1990, 677; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 939, 940; OLG Frankfurt/M OLGZ 1986, 495, 496. 106 BGH LM Nr. 5; BGHZ 40, 391, 395 = NJW 1964, 969. 107 BGHZ 124, 245. 108 BGHZ 40, 395. 109 LG Nürnberg-Fürth MDR 2009, 348. 110 OLG Frankfurt/M WM 1986, 287; OLG Koblenz NJW-RR 1989, 1013; OLG Hamm MDR 1987, 1029; MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 36. 111 BGH NJW 1990, 1533. 112 BGH NJW 1977, 1590. 113 BGH NJW 1977, 1590; vgl. BGHZ 89, 201; LG München BeckRS 2013, 01663; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 17.

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ist indes zu berücksichtigen, dass verantwortliche Redakteure nur nach den im Verbreitungs- oder Sendegebiet geltenden Regeln haften.114 Da bei der unerlaubten Handlung für die örtliche Zuständigkeit des Gerichts gemäß 39 § 32 nicht nur der Begehungsort, sondern auch der Erfolgsort maßgeblich ist, begründet jeder Ort, an dem urheberrechtlich geschützte Musikaufnahmen widerrechtlich öffentlich zugänglich gemacht werden, die örtliche Zuständigkeit des dort angerufenen Gerichts.115 Die widerrechtliche Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks im Internet stellt eine unerlaubte Handlung dar, die dem Verletzten für die Geltendmachung von Ansprüchen neben dem allgemeinen Gerichtsstand auch den besonderen Gerichtsstand nach § 32 eröffnet, so dass jedes Gericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk das Werk im Internet abrufbar ist.116 Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit ist im Rahmen des § 32 zu beachten, dass Begehungsort von im Internet begangenen Urheberrechtsverletzungen nicht nur der Ort ist, an dem der (angebliche) Verletzer tätig wird oder der Server aufgestellt ist, von dem aus die urheberrechtsverletzenden Inhalte in das Internet eingestellt werden. Im Falle einer unerlaubten Handlung in Form des Betrugstatbestandes ist der Scha40 densort für die Zuständigkeit nach § 32 maßgeblich, weil für die Vollendung des Betrugstatbestandes der Eintritt eines Vermögensschadens bei dem Getäuschten erforderlich ist, der Ort des Schadenseintritts deshalb den Verletzungs- und den Begehungsort dieses Delikts festlegt.117 Der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde, im Fall des § 826 BGB also der Ort der Vermögensbeeinträchtigung, kann im Rahmen des § 32 relevant sein.118 Denn das Gericht, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist, bestimmt sich also nicht nur durch Ermittlung des Ortes, an dem der Täter gehandelt hat, sondern auch des Ortes, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde. Im Falle des § 826 BGB handelt es sich dabei um den Ort, an dem die Vermögensbeeinträchtigung eingetreten ist.119 Für einen Amtshaftungsanspruch (Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB) ist ein deliktischer 41 Gerichtsstand gemäß § 32 auch dort gegeben, wo es – aufgrund positiven Tuns oder Unterlassens – zu einer Vermögensbeeinträchtigung des Anspruchstellers gekommen ist; das ist regelmäßig dort der Fall, wo der Anspruchsteller seinen (Wohn-)Sitz hat, nicht dort, wo die Teile seines Vermögens zufällig belegen sind.120 Es stellt sich nämlich die Frage, wo der Verletzungserfolg bei einer Amtspflichtverletzung im Sinne des § 839 BGB liegt. Allein aus der Amtspflichtverletzung als solcher folgt noch kein Verletzungserfolg; dieser kann fehlen, wenn die Amtspflichtverletzung nicht zu einem Schaden geführt hat. Daraus folgt, dass – ungeachtet gewisser Unterschiede in der Fassung des Tatbestands des § 826 BGB und des § 839 BGB – für den „Verletzungserfolg“ beim Amtshaftungsanspruch auf das Vorhandensein eines Schadens abzustellen ist. Auch bei einer Amtspflichtverletzung in Form eines Unterlassens ist ein Erfolgsort denkbar, etwa bei Fällen einer unterlassenen Warnung vor bestimmten Gefahren. Übertragen auf § 839 BGB heißt das bei einem reinen Vermögensschaden, dass der Erfolg der Unterlassung dort eintritt, wo das Vermögen beeinträchtigt wird. Diese Vermögensbeeinträchtigung hat man am

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114 BGH NJW 1987, 1323, 1324; OLG München ZUM 1990, 255, 257. 115 LG Hamburg 21.5.2007 – 308 O 326/07, openJur 2009, 848. 116 LG Hamburg ZUM-RD 2008, 202 f. 117 BGH NJW 1994, 1414 f.; OLG Nürnberg OLG-Report 2006, 487, 488; BayObLG Rpfleger 2004, 365, 366; BayObLG ZIP 2003, 1864, 1864 = MDR 2003, 893 – Ort der Bank des Geschädigten bei Anweisung zum Geldtransfer; Zöller/Vollkommer § 32 Rn. 16; Kiethe NJW 1994, 223, 226 f. – auch zu § 826 BGB und jeweils m.w.N. 118 OLG Düsseldorf GWR 2009, 252. 119 Vgl. Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 16. 120 OLGR Frankfurt 2008, 4.

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Sitz des Gläubigers zu sehen, nicht dort, wo das Vermögen als solches zufällig belegen ist, etwa wo der Gläubiger ein Bankkonto unterhält. Unter Berücksichtigung des oben erwähnten Zwecks des § 32 ist daher bei Eingriffen einschließlich solchen durch Unterlassen in das Vermögen ein deliktischer Gerichtsstand am „Ort des Vermögens“ und damit am Sitz des Gläubigers zu bejahen. 4. „Fliegende“ Gerichtsstände bei Delikten mit räumlicher Verbreitung. Im 42 Rahmen des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung sind Konstellationen denkbar, in denen sich Handlungs- und Erfolgsort unterscheiden. So werden namentlich sogenannte Streudelikte erfasst:121 Darunter sind Fälle zu verstehen, in denen sich der Erfolg einer Handlung an mehreren Orten niederschlägt.122 Der Extremfall des Streudelikts führt zu einem Problem, dass unter den Begriff des „fliegenden Gerichtsstands“ gefasst wird. Als fliegenden Gerichtsstand bezeichnet man eine Lage, in der es dem Kläger möglich ist, aus einer Vielzahl an Gerichten dasjenige auszuwählen, an dem er Klage erheben bzw. das er um einstweiligen Rechtsschutz ersuchen will.123 Denn § 35 eröffnet dem Kläger immer dann ein Wahlrecht, wenn mehrere Gerichte als Gerichtsstand für die Klage, mit der er den Beklagten in Anspruch nehmen will, in Betracht kommen.124 Insbesondere Pressedelikte oder Delikte durch Film oder Fernsehen können in ver- 43 schiedenen Gerichtsbezirken verwirklicht werden. So verletzt ein in einer Zeitschrift veröffentlichter Artikel nicht nur am Ort der Veröffentlichung das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten, sondern auch überall dort, wo das Pressezeugnis verbreitet wurde.125 Es genügt jedoch nicht, wenn die Zeitschrift lediglich zufällig in einen Gerichtsbezirk gelangt.126 In Falle von deutschlandweit agierenden Presseorganen könnte somit grundsätzlich an jedem Gericht der ersten Instanz prozessiert werden. Im Folgenden werden die Probleme genannt und anschließend diskutiert, die sich aus der Rechtsfigur des „fliegenden Gerichtsstandes“ ergeben. Gleiches gilt, wenn Teilakte einer unerlaubten Handlung in verschiedenen Gerichtsbezirken verwirklicht worden sind.127 Bei mehreren unerlaubten Handlungen war wegen der jeweiligen Handlung der Gerichtsstand nach § 32 einst gesondert zu bestimmen.128 Nach der Neufassung des § 17 Abs. 2 GVG entscheidet nunmehr das zulässigerweise im Gerichtsstand gemäß § 32 angegangene Gericht den Rechtsstreit umfassend.129 Handlungsort der Verletzung von Firmen- und Namensrechten durch Verwendung von „domain names“ im Internet ist dort, wo der „domain name“ bestimmungsgemäß abrufbar ist.130 § 32 begründet einen „fliegenden Gerichtsstand” bei persönlichkeitsrechtsverletzen- 44 den Äußerungen in Presseerzeugnissen oder in Fernsehsendungen überall dort, wo die Druckschrift bestimmungsgemäß verbreitet wird bzw. die Sendung ausgestrahlt wird oder werden soll.131

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121 Zur Diskussion um den fliegenden Gerichtsstand aus § 32 hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bei Internet-Sachverhalten (statt aller): Schlüter GRUR-Prax 2014, 272. 122 BGH GRUR 1978, 194, 195. 123 Loewenheim/Rojahn Handbuch des Urheberrechts § 92 Rdn. 20. 124 Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 1. 125 Schlüter GRUR-Prax 2014, 272. 126 BGH GRUR 1978, 194, 195. 127 OLG Hamburg NJW-RR 1993, 173; RGZ 72, 41, 44. 128 Vgl. Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 20. 129 Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 10 f.; Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 20. 130 KG Berlin NJW 1997, 3321. 131 LG Berlin ZUM-RD 2011, 412 ff.; vgl. hierzu auch Jürgens NJW 2014, 3061, 3066 der sich für eine Beschränkung der Klagemöglichkeit auf den Sitz der beiden Parteien ausspricht, was die Diskussion um den fliegenden Gerichtsstand ohne Einbußen der Rechtsqualität leicht und ohne jeden Kostenaufwand

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Diese Auslegung des § 32 steht dem „Zweckgedanken“ der Zuständigkeitsregelungen im Allgemeinen und des § 32 im Besonderen nicht entgegen. Die Möglichkeit der Wahl des Gerichtsstands an sich ist in § 35 angelegt, wenn verschiedene Gerichtsstände einschlägig sind. Der Kläger hat in diesen Fällen grundsätzlich ein Wahlrecht, das lediglich die Grenze des Rechtsmissbrauchs nicht überschreiten darf (§ 35).132 Der Gesetzgeber hat die mit der Möglichkeit mehrerer einschlägiger Gerichtsstände einhergehende Gefahr des forum shopping nicht für so gravierend angesehen, dass er ein entsprechendes Wahlrecht ausgeschlossen hätte. Auch innerhalb des deliktischen Gerichtsstandes sind Wahlmöglichkeiten weder neu noch sachlich ungerechtfertigt. So war schon bei Pressedelikten im Vor-Internet-Zeitalter ein Gerichtsstand i.S.v. § 32 an jedem Ort begründet, an dem eine Zeitung zu kaufen war,133 ohne dass hieran grundlegende Kritik geübt wurde. Gleiches galt und gilt für die Verletzung von Markenrechten und technischen Schutzrechten durch Produkte, die bundesweit angeboten werden. Die Tatsache, dass nunmehr durch neue technische Möglichkeiten die Verletzung gerade von Urheberrechten jedermann auf technisch einfache Weise mit einer großen räumlichen Streuung möglich wird, vermag an der grundsätzlichen rechtlichen Würdigung nicht zu ändern, sondern kann allenfalls rechtspolitische Forderungen begründen. Problematisch ist die Anwendung des § 32 namentlich im Hinblick auf die ubiquitäre 46 Struktur des Internets. Denn man kann sich sicher sein, dass kein Gerichtsbezirk zu finden ist, in dem es keinen Internetzugang gibt. So hatte in einem Verfahren bezüglich eines Wettbewerbsverstoßes das OLG Hamm entschieden, dass das Verfahren in allen Landgerichtsbezirken eröffnet werden könne, da der Begehungsort nicht nur der Ort des Erscheinens, sondern auch jeder Ort sei, an dem die Internetangebote und Werbemaßnahmen des Unternehmens verbreitet wurden. Bei Unternehmen die im ganzen Bundesgebiet tätig sind, könne demnach an jedem deutschen Gericht der ersten Instanz Klage erhoben bzw. der Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt werden.134 Es liegt auf der Hand, dass vor dem Hintergrund einer unterschiedslosen Ausdehnung eines fliegenden Gerichtsstandes in derartigen Fällen der Anwendungsbereich des § 32 in Bezug auf die globale Zugänglichkeit von Informationsinhalten eingeschränkt werden muss. Das OLG Celle hat daher gefordert, dass bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die 47 im Internet begangen worden sein sollen, nur der Ort in Betracht komme, an dem sich die mögliche Verletzung im konkreten Parteiverhältnis ausgewirkt haben könne. Diese enge Auslegung begründet das Gericht mit Verweis auf das Willkürverbot; dieses verbiete es, Gerichte willkürlich auszuwählen.135 Das Amtsgericht Krefeld forderte, dass Dritte die Veröffentlichung zur Kenntnis genommen haben und dadurch veranlasst wurden in einer sich auf den Geschädigten auswirkenden Weise zu reagieren. Ein Erfolgsort sei nur dann anzunehmen, wenn der Geschädigte selbst im konkreten Gerichtsbezirk von der Veröffentlichung getroffen wurde. Das Gericht begründete dies damit, dass bei Rechtsverletzungen im Internet der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung mit Blick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und des Willkürverbotes eng auszulegen sei.136 Dieser Auffassung lässt sich wohl auch das AG Hamburg zurechnen, dieses verneinte mit Verweis darauf, dass die §§ 12 ff. so auszulegen seien, dass das zuständige Gericht nicht

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abstellen solle. Empirische Befunde im Presserecht stützen eine besondere Kompetenz der bekannten Pressekammern nicht. 132 Zöller/Vollkommer § 35 Rdn. 4. 133 BGH NJW 1977, 1590 = GRUR 1978, 194 – Profil; BGHZ 131, 335; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1989, 491. 134 OLG Hamm MMR 2008; so auch OLG Karlsruhe MMR 2002, 814, 815. 135 OLG Celle, Beschluss v. 17.10.2002 – AR 8 1/02 –, juris; Schlüter AfP 2010, 340, 343. 136 AG Krefeld MMR 2007, 471, 472.

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durch den Kläger bestimmt werden dürfe, da das Gericht dann gesetzlich unbestimmt sei.137 Das OLG Düsseldorf hat die Auffassung vertreten, dass sich die Internetveröffentlichung bestimmungsgemäß ausgewirkt haben müsse.138 Es schließt sich dabei den Entscheidungen des OLG Bremen, des OLG Köln und dem Landgericht Hamburg an.139 Mit der „New York Times“ Entscheidung hat der BGH diesen Streit weitgehend ge- 48 klärt und die Sachfragen konturiert.140 Gegenstand des Rechtsstreits war ein im Lokalteil des Online-Auftritts der New York Times erschienener Artikel über einen in Deutschland wohnhaften Geschäftsmann. Gegen diesen wurde in New York ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen ihm vorgeworfen wurde, Kontakte zur russischen Mafia zu unterhalten. Der Kläger empfand diese Berichterstattung als Verletzung seines Persönlichkeitsrechts.141 Der Rechtsgedanke, den der BGH in seiner „New York Times-Entscheidung“142 ent- 49 wickelt hat und wonach eine Veröffentlichung einen hinreichenden Bezug zum Inland aufweisen muss, was bejaht werden könne, wenn die Kenntnisnahme im Inland nach den Umständen des konkreten Einzelfalls erheblich näher liege als dies aufgrund einer bloßen Abrufbarkeit der Fall wäre, lässt sich nach Ansicht des LG Köln auf die örtliche Zuständigkeit im Inland übertragen. Dann ist bei der Frage nach der örtlichen Zuständigkeit eines Gerichts nach § 32 bezüglich des Erfolgsortes zu beachten, dass eine veröffentlichte Online-Berichterstattung einen hinreichenden örtlichen Bezug aufweisen muss, was bejaht werden kann, wenn die Kenntnisnahme im überregionalen Sinne nach den Umständen des konkreten Einzelfalls erheblich näher liegt als dies aufgrund einer bloßen Abrufbarkeit der Fall wäre.143 Nach der Judikatur des BGH144 ist der Gerichtsstand des § 32 nicht an jedem Ort er- 50 öffnet, an dem eine vom Kläger mit seiner Deliktsklage beanstandete Internetveröffentlichung abrufbar ist und deshalb die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht. Dies allein reicht, wie der BGH überzeugend begründet hat, nach Sinn und Zweck des § 32 nicht aus. Denn § 32 eröffnet einen vom (allgemeinen) Gerichtsstand des Beklagten abweichenden Wahlgerichtsstand wegen der durch den Handlungsort oder den Erfolgsort begründeten besonderen Beziehung der Streitigkeit gerade zu dem insoweit zuständigen Gericht. Die Vorschrift setzt daher eine besondere Beziehung voraus. Es genügt daher nicht, an jedem Ort der Abrufbarkeit einer inkriminierten Internetveröffentlichung einen Begehungsort im Sinne des § 32 zu bejahen. Hinzukommen zu der Abrufbarkeit muss nach der Judikatur des BGH,145 dass die als rechtsverletzend beanstandete Internetveröffentlichung einen deutlichen Bezug zu dem Ort des angerufenen Gerichts in dem Sinne aufweist, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf der einen Seite, Recht der Freiheit der Berichterstattung auf der anderen Seite – nach den Umständen des konkreten Falles tatsächlich bereits eingetreten sein kann oder noch eintreten kann. Dies ist dann anzunehmen, wenn eine Kenntnisnahme von der bean-

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137 AG Hamburg BeckRS 2014, 03550. 138 OLG Düsseldorf AfP 2009, 159; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 18; siehe auch Deister/Degen NJOZ 2010, 1, 5. 139 OLG Bremen BeckRS 2000, 31153001, 770; OLG Köln NJW-RR 2008, 359; LG Hamburg GRUR-Prax 2002, 267, 268. 140 BGH MMR 2010, 441. 141 BGH MMR 2010, 441, 442. 142 BGH NJW 2010, 1752. 143 LG Köln ZUM-RD 2013, 143 ff. 144 BGH NJW 2006, S. 2630 ff.; BGHZ 184, 313; NJW 2011, S. 2059 ff. jeweils für die internationale Zuständigkeit. 145 Vgl. hierzu: Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 18 m.w.N.

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standeten Veröffentlichung nach den Umständen des konkreten Falles an dem betreffenden Gerichtsort erheblich näher liegt als dies aufgrund der bloßen Abrufbarkeit des Angebots der Fall wäre, und die vom Betroffenen behauptete Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts durch Kenntnisnahme von der Meldung auch an diesen Ort eintreten würde. Für die vom BGH in der „New York Times-Entscheidung“ vertretene Auffassung 51 spricht nach alledem, dass ein wirksamer Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zumindest dahingehend realisiert wird, als dass der mutmaßlich Geschädigte ein Verfahren vor einem deutschen Gericht erreichen kann. Das ist vor dem Hintergrund, dass das deutsche Recht dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine vergleichsweise hohe Bedeutung einräumt, für den Kläger zumindest kein Nachteil. Dieser Auslegung stehen jedoch einige Bedenken gegenüber. Zunächst ist zu bedenken, dass der BGH es schon in seiner Profil-Entscheidung als kritisch ansah, einen der Sache nach „ausländischen Tatbestand“ deutschem Recht zu unterziehen.146 Überdies wird gegen die Entscheidung vorgebracht, dass das Kriterium der Interessenkollision nicht besonders trennscharf sei.147 Auch wenn die von Damm geäußerten Bedenken, dass es nunmehr zu erwarten sei, dass deutsche Gerichte in Zukunft immer dann ihre Zuständigkeit annehmen werden, wenn ein mutmaßlich Geschädigter seinen Wohnsitz in Deutschland hat, als entkräftet angesehen werden können.148 Im Profil-Fall sah ein in Deutschland lebender Russe sein Persönlichkeitsrecht wegen eines in kyrillischen Zeichen abgefassten Reiseberichts über ein Klassentreffen in Moskau verletzt, welcher im Internet erschien. In Reaktion auf das „New York Times-Urteil“ des BGH erscheint es jedoch nicht ganz unwahrscheinlich zu sein, dass ausländische Presseorgane ihre Internetpräsenz so gestalten, dass deutsche Nutzer keinen Zugriff mehr haben.149 Es ist darüber hinaus zumindest kritikwürdig, wenn Berichterstattung, nur weil sie im Internet erschien, gegenüber der herkömmlichen Berichterstattung benachteiligt wird.150 Der BGH begründet diese Differenzierung damit, dass Artikel im Internet nicht verbreitet würden.151 Dem ist jedoch mit Damm zu widersprechen, dass man in den neuen Informationsverbreitungstechnologien durchaus Verbreitungsinstrumente sehen kann, etwa „Push-Dienste“ und Newsletter.152 Die Grundsätze, die mit der Judikatur des BGH in die Rechtsprechung Eingang ge52 funden haben, greifen indes nicht in allen Fallgestaltungen. Bei einem filesharingModell befindet sich jedenfalls auch nach der engeren Auffassung der Erfolgsort der unerlaubten Handlung bei allen Gerichten in Deutschland. So begründet das Einstellen von urheberrechtlich geschützten Werken in ein Filesharing-System einen deliktischen Gerichtsstand an allen Orten, an denen das Werk abrufbar ist.153 Beim Einstellen urheberrechtlich geschützter Werke in ein Filesharing-System kommt es nicht auf den Standort des Servers an. Das OLG Schleswig und das LG Frankfurt haben insofern überzeugend ausgeführt, es gäbe – jedenfalls in derartigen Fällen – keinen Anlass, vom Grundsatz des „fliegenden Gerichtsstandes“ insoweit abzuweichen.154 Der damit von vielen befürchteten Ausuferung des „fliegenden Gerichtsstandes“ bei im Internet begangenen unerlaubten Handlungen ist nach einer Ansicht dadurch Einhalt zu geben, dass darauf abgestellt

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BGH GRUR 1978, 194, 196. Frey ZUM 2010, 527, 529. BGH GRUR 2011, 558. Damm GRUR 2010, 891, 892. Staudinger NJW 2010, 1752, 1755. BGH GRUR 2010, 461, 462. Damm GRUR 2010, 891, 893. OLG Schleswig NJW-RR 2014, 442. LG Frankfurt CR 2012, 682.

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wird, ob sich die Verletzungshandlung, dass heißt die Internetseite mit dem rechtsverletzenden Inhalt, im Bezirk des angerufenen Gerichts im konkreten Fall bestimmungsgemäß habe auswirken sollen.155 Der Auffassung, dass die Zuständigkeit schon dann gegeben sei, wenn auf den In- 53 halt zugegriffen werden kann, geht zu weit. Das würde im Endeffekt dazu führen, dass jede Verletzung eines Persönlichkeitsrechts zu einer deutschlandweiten Zuständigkeit fuhren würde. Dieses Ergebnis mag akzeptabel sein, wenn sich die Verletzung aus einem Artikel ergibt, der auf der Internetseite einer bekannten Zeitung veröffentlicht wurde. Das Ergebnis ist jedoch nicht überzeugend, wenn A dem B eine E-Mail mit beleidigendem Inhalt zusendet. Diese wäre nämlich ebenfalls vom Empfänger der E-Mail grundsätzlich in allen deutschen Gerichtsbezirken abrufbar und würde daher überall eine Zuständigkeit begründen; anders als der klassische Briefkasten ist der „Briefkasten“, in dem E-Mails empfangen werden (abgerufen werden können), virtuell und nicht ortsgebunden. Zudem lässt sich eine solche Auslegung auch nicht mit dem Gebot der Zuständigkeit von sachnahen Gerichten vereinbaren. Denn dieses Kriterium ist nicht geeignet ein Gericht zu ermitteln, das sich in besonderer Nähe zum vorgetragenen Lebenssachverhalt befindet.156 Dieser Auslegung ist allenfalls zu Gute zu halten, dass sich letztlich kein Abgrenzungsproblem mehr stellt und die Zuständigkeit einfach bejaht werden kann. Dem ist jedoch schon zu entgegnen, dass sich diese weite Auslegung nicht widerspruchsfrei in die zivilprozessuale Zuständigkeitssystematik einfügen lässt. Diese Regelungen haben elementaren Gerechtigkeitsgehalt und können nicht beliebig ausgestaltet sein, ohne gegen althergebrachte Rechtstraditionen zu verstoßen.157 In Folge dessen sind diejenigen Regelungen, die den allgemeinen Gerichtsstand durchbrechen, eng auszulegen.158 Damit lässt es sich nicht vereinbaren, die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts aufgrund der bloßen Abrufbarkeit einer Email oder eines Internet-Auftritts zu bestimmen. Das LG München I159 hat in diesem Zusammenhang entschieden, eine Verletzungs- 54 handlung im Internet erfolge nicht schon überall dort, wo der Internet-Auftritt abrufbar ist, sondern nur dort, wo er „bestimmungsgemäß“ abrufbar ist, und keine bloß zufällige Kenntnisnahme vorliegt. Bei einer Markenverletzung im Internet ist der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 nicht schon deswegen bundesweit gegeben, weil die Marke bundesweit Schutz genießt; denn es kommt nicht auf den Wirkungsbereich der Marke an, sondern auf den Wirkungsbereich der Verletzungshandlung; nur wo beide sich überschneiden, kann eine Kollision stattfinden und damit eine unerlaubte Handlung begangen worden sein.160 Das OLG Hamburg161 hat ebenfalls darauf erkannt, dass der Gerichtsstand des § 32 nur gegeben sei, wenn sich die Verletzungshandlung im Gerichtsbezirk bestimmungsgemäß auswirken sollte. Das OLG Hamburg hat weiter entschieden, dass, wenn eine Werbung für ein Warenangebot im Internet und damit auch in Hamburg verbreitet werde, nur dann eine örtliche Zuständigkeit in Hamburg begründet werde, wenn sich die Internetwerbung auf potentielle Kunden in Hamburg auswirken könne. Beim Angebot von Waren, wie im dort konkreten Fall, treffe dies zwar regelmäßig zu, anders sei es jedoch bei rein örtlichen, im Internet beworbenen Dienstleistungen, wie

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LG Krefeld MMR 2007, 798 f. BGH MMR 2010 441, 443. Köhler WRP 2013, 1130, 1131. BGH MMR 2010, 441, 442. LG München I InstGE 9, 252 ff. LG München I InstGE 9, 252 ff. OLG Hamburg CR 2000, 770, 771.

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etwa der Reparatur von Waschmaschinen (CR 2003, 286). In einem Aufsatz von Danckwerts162 wird ebenfalls ausgeführt, dass insbesondere bei lokalen Dienstleistern, auch wenn sie im Internet werben, alles für einen lokal begrenzten Wirkungskreis spreche. Dieser Auffassung ist beizutreten. Insbesondere bei im Internet beworbenen Dienstleistungen, die nur vor Ort angeboten werden und nicht auf überregionale Resonanz stoßen können, weil sie anderswo ebenfalls vor Ort erbracht werden, ist Tatort der unerlaubten Handlung nach § 32 nur der Ort, wo die Dienstleistung erbracht wird, und dessen unmittelbarer Einzugsbereich.163 Zu bemerken ist aber: Die Vorschrift des § 104a Abs. 1 S. 1 UrhG bestimmt eine aus55 schließliche Zuständigkeit am Wohnsitz des Verletzers. Sie schließt die örtliche Zuständigkeit im sog. „fliegenden Gerichtsstand“ nach § 32 (besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung) aus.164 Zwar gilt die Vorschrift des § 104a Abs. 1 S. 1 UrhG nach ihrem Wortlaut „für Klagen“, jedoch richtet sich nach dieser Hauptsachezuständigkeit auch die Zuständigkeit für den Erlass der einstweiligen Verfügung, § 937 Abs. 1. Nach dem Wortlaut des § 104a Abs. 1 S. 1 UrhG ist nur danach zu fragen, ob der geschützte Gegenstand für eine gewerbliche oder eine selbstständige berufliche Tätigkeit des Verletzers verwendet worden ist, die Verletzungshandlung also in einem Zusammenhang mit einer solchen Tätigkeit steht. Erfasst sind nicht nur täterschaftliche Verletzungen, sondern auch Begehungsformen als Gehilfe und Störer. Für § 104a Abs. 1 UrhG kommt es darauf an, das der geschützte Gegenstand nicht in einem Zusammenhang mit einer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit des Verletzers verwendet worden ist.165 Die Regelung des § 104a UrhG, wonach eine Klage in Urheberrechtssachen gegen eine nicht gewerblich handelnde natürliche Person nur am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort der Person zulässig ist, ist aber erst seit dem 9.10.2013 in Kraft getreten und auf zuvor eingeleitete Verfahren nicht anwendbar.166 Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm selbst. Dieser sieht als gesetzlichen Regelfall vor: Für Klagen wegen Urheberrechtsstreitigkeiten gegen eine natürliche Person […] ist das Gericht ausschließlich zuständig in dessen Bezirk diese Person zur Zeit der Klageerhebung ihren Wohnsitz […] hat. Danach besteht nunmehr – anders als nach bisheriger Rechtslage – bei Klagen dieser Art gegen jede natürliche Person grundsätzlich ein ausschließlicher Gerichtsstand an deren Wohnsitz. Lediglich dann, wenn der Antragsteller den – durch einen Relativsatz als Negativabgrenzung näher umschriebenen – Sonderfall z.B. einer „gewerblichen Tätigkeit“ geltend machen will, soll diese Zuweisung eines ausschließlichen Gerichtsstandes ausnahmsweise nicht gelten. Bei diesem sich schon aus dem Gesetzeswortlaut ergebenden Regel-/Ausnahme-Verhältnis obliegt es danach zunächst dem Antragsteller, in eigener Verantwortung durch ausreichend tragfähige Indizien darzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass der verfolgte Sachverhalt – anders als der gesetzgeberische Regelfall – ausnahmsweise weiterhin die Wahl eines abweichenden Gerichtsstandes eröffnet, die ansonsten nach dem Willen des Gesetzgebers bei Klagen gegen Privatpersonen nunmehr gerade verschlossen sein soll, um diesen eine angemessene Verteidigung gegen den erhobenen Vorwurf zu ermöglichen, ohne z.B. an einem wohnsitzfernen Ort einen Rechtsanwalt beauftragen zu müssen.167

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Danckwert GRUR 2007, 104, 107. BGH GRUR 2005, 262. OLG Hamburg GRUR-RR 2014, 109; LG Hamburg GRUR-RR 2014, 110. LG Hamburg GRUR-RR 2014, 112 ff. LG Hamburg ZUM-RD 2014, 213. OLG Hamburg GRUR-RR 2014, 109.

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Kein fliegender Gerichtsstand ist eröffnet, wenn die Rechte des Klägers durch meh- 56 rere unerlaubte Handlungen verletzt worden sind, die an verschiedenen Tatorten verwirklicht worden sind. Die aus der jeweiligen unerlaubten Handlung entstandene Schaden kann daher nur an dem konkreten Begehungsort im Gerichtsstand des § 30 klagweise geltend gemacht werden. Dieser Grundsatz greift auch dort, wo eine Mehrzahl von Personen gleichwertige Tatbeiträge (arg. § 830 BGB) zum Delikt an verschiedenen Tatorten erbracht haben. Sollen Täter, Anstifter oder Gehilfen als Beteiligte eines Delikts daher klageweise in Anspruch genommen werden, ist der Tatort nach § 32 daher für jeden Täter, Anstifter oder Gehilfe selbständig zu ermitteln. Da es sich in diesem Fall um die Konstellation einfacher Streitgenossenschaft handelt, kommt aber eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 in Betracht (vgl. die Ausführungen dort). V. Negative Feststellungsklage Umstritten ist, ob es auch zulässig sein soll, eine negative Feststellungsklage im 57 fliegenden Gerichtsstand zu erheben. Es geht also um die Frage, ob auch dem mutmaßlichen Schädiger die Privilegierung des § 32 zu Gute kommen soll. Einschränkende Auslegung. Foerste argumentiert damit, dass es zumindest keine 58 Selbstverständlichkeit sei, dass das Opfer eines Delikts am Tatort und nicht am Wohnsitz verklagt werden dürfe.168 Einer solchen Zulässigkeit sei in Fällen von Streudelikten daher noch ablehnender gegenüber zu stehen. Er begründet dies mit der „zuständigkeitsrechtlichen“ Sympathie mit dem Geschädigten.169 Es werde viel zu oft übersehen, dass die Begünstigung des Geschädigten gerade eine Garantie dafür sei, dass sachnahe Gerichte ausgewählt werden. Das ergebe sich daraus, dass § 32 es in die Hand des Gläubigers lege, zu entscheiden, wo im Einzelfall ein sachnahes Forum anzutreffen sei.170 Wenn die Möglichkeit einer sachnahen Verhandlung von der sachgerechten Auswahl eines Forums anhängt, so muss berücksichtigt werden, dass eine solche Auswahl mit höherer Wahrscheinlichkeit vom möglicherweise Geschädigten zu erwarten sei.171 Denn es darf nicht vergessen werden, dass der Geschädigte einer negativen Feststellungsklage weiterhin das Risiko der Nichtbeweisbarkeit seines Anspruchs trägt.172 Deshalb sei eine Gerichtswahl durch den mutmaßlichen Schädiger eine Gefährdung von Ziel und Funktion des § 32.173 Dieser Meinung hat sich das AG Mannheim in einer Entscheidung angeschlossen und stellt ebenfalls fest, dass der § 32 teleologisch dahingehen zu reduzieren ist, dass ein Wahlrecht für den möglichen Schädiger nicht in Betracht kommt.174 Auch in der übrigen Literatur finden sich Stimmen, die den Schädiger ausschließen 59 wollen.175 Nach einer anderen Meinung wird die negative Feststellungsklage im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung als zulässig angesehen.176 Diese beruft sich darauf, dass eine negative Feststellungsklage an jedem Gericht zulässig sei, wenn dieses auch für eine Leistungsklage umgekehrten Rubrums zuständig wäre. Gemeinhin wird diese Auffassung als Spiegelbildtheorie bezeichnet.177 Nach Ansicht von Thole kann diese Theorie

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Foerste FS Kollhosser (2004, Bd. 2) 141, 149. Ebenda. Foerste FS Kollhosser (2004, Bd. 2) 141, 150. Ebenda. MünchKomm/Prütting § 286 Rdn. 120; BGH NJW 2001, 2096, 2098. Foerste FS Kollhosser (2004, Bd. 2) 141, 150. AG Mannheim GRUR 2009, 78. Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 14. Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 14; Saenger/Bendtsen § 32 Rdn. 13. Thole NJW 2013, 1192, 1193.

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jedoch nur auf die besonderen und die ausschließlichen Gerichtsstände angewandt werden, da sie im Falle des allgemeinen Gerichtsstandes zu einer Gerichtsverhandlung am Gerichtsstand des Schädigers führen würde, was mit dem Grundsatz des „actor sequitur forum rei“ nicht zu vereinbaren sei.178 Daher vertritt er die Ansicht, dass die negative Feststellungsklage am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung erhoben werden könne.179 Auch in der Rechtsprechung findet diese Auffassung ihre Anhänger, so erließ das OLG Celle im Jahre 2012 ein Teilurteil, in dem es die Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage bejahte. Tragende Erwägung nach Ansicht des Gerichts war dabei, dass auch bei einer negativen Feststellungsklage regelmäßig eine enge Verbindung zwischen dem Streitgegenstand und den Gerichten im Wohnsitzstaat des Klägers bestehen würden.180 Denn auch im Rahmen von § 32 sprechen Sach- und Beweisnähe sowie die im Zivilprozess fundamentale Waffengleichheit dafür, das Wahlrecht nicht auf den Geschädigten zu begrenzen.181 Diesem Lager lässt sich nach einer Entscheidung in Bezug auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nun auch der EuGH zurechnen. In einer Entscheidung führte das Gericht aus, dass die Rollenumkehrung der negativen Feststellungsklage diese nicht vom Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ausschließe.182 Eine am Wortlaut der Norm orientierte Auslegung bietet keinen Anhaltspunkt für eine einschränkende Interpretation, denn auch eine negative Feststellungsklage, ist offenkundig vom Wortsinn des Begriffs der Klage erfasst. Auch wenn man die Vorschrift europarechtskonform auslegt, spricht einiges dafür, die negative Feststellungsklage auch im Rahmen des § 32 zuzulassen, da man somit einen Gleichlauf mit Art. 7 Nr. 2 EuGVVO erreichen kann.183 Das wichtigste Argument der Vertreter der einschränkenden Auslegung liegt aber darin, dass der § 32 eine Privilegierung des Geschädigten bezwecke.184 Dem kann auch nicht das Prinzip prozessualer Waffengleichheit entgegengehalten werden.185 Wollte man einen Beklagtengerichtsstand dadurch schaffen, dass man dem Schädiger den Gerichtsstand des § 32 für eine negative Feststellungsklage einräumte, würde dies zu seiner systemwidrigen Privilegierung führen. VI. Grenzen 60

Klagen wegen aller Formen von Vertragsverletzungen, Bereicherungsansprüchen186 (vgl. aber oben), aber auch wegen der Verletzung familienrechtlicher Pflichten gemäß §§ 1298 ff. BGB187 sowie der Gläubiger-bzw. Insolvenzanfechtung188 fallen nicht unter § 32. In diesen Fällen kommen für die Geltendmachung vertraglicher Ansprüche § 29, im Übrigen die allgemeinen Regelungen in Betracht.

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Thole NJW 2013, 1192, 1193. Thole NJW 2013, 1192, 1193. OLG Celle BeckRS 2012, 19781. Thole NJW 2013, 1192, 1193. BGH NJW 2013, 288, 289. Thole NJW 2013, 1192, 1193. Foerste FS Kollhosser (2004, Bd. 2) 141, 149. Thole NJW 2013, 1192, 1194. OLG Karlsruhe NJW-RR 1988, 1389, 1390. Vgl. allgemein: MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 15 ff. BGH NJW 1990, 990, 991.

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VII. Klagen Vor dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung kann im Wege der Leistungskla- 61 gen ebenso wie der positiven oder negativen Feststellungklage geklagt werden.189 Der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ist auch im Fall einer negativen Feststellungsklage eröffnet, und zwar auch dann, wenn der Kläger behauptet, er habe keine unerlaubte Handlung begangen.190 Daran ändert nichts. Dies gilt auch in solchen Fällen, in denen der Kläger gerade behauptet, keine unerlaubte Handlung begangen zu haben. Denn es liegt in der Natur einer negativen Feststellungsklage, dass der Kläger einer negativen Feststellungsklage behauptet, er habe keine unerlaubte Handlung begangen. Dennoch ist Streitgegenstand die Frage der unerlaubten Handlung.191 Das Gleiche gilt auch für Klagen, die auf Widerruf192 oder Klagen, die auf das Verbot 62 einer Handlung gerichtet sind.193 Obwohl der Wortlaut des § 32 an den Ort anknüpft, an dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist, kann vor dem Deliktsgerichtsstand auch eine vorbeugende Unterlassungsklage erhoben werden.194 Die Geltendmachung negatorischer Ansprüche analog § 1004 BGB (auch Namensrechtsklagen195) kann den Wahlgerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 begründen.196 Für eine auf § 826 BGB gestützte Unterlassungsklage gegen die Zwangsvollstreckung aus einem Schiedsspruch des Internationalen Schiedsgerichts bei der Handelskammer in Stockholm wegen Titelerschleichung ist das angerufene deutsche Gericht gemäß § 32 international zuständig, wenn die Zwangsvollstreckung in ein im Gerichtsbezirk liegendes Grundstück droht.197 Denn die Ausnutzung eines (hier angeblich) erschlichenen Titels im Wege der Zwangsvollstreckung stellt selbst eine unerlaubte Handlung dar und ist nicht lediglich Schadensfolge der Erlangung des Titels, so dass für die Klage auf Unterlassung der Vollstreckung aus einem erschlichenen Titel der Gerichtsstand des § 32 gegeben ist.198 Nach der Rechtsprechung ist für eine solche Klage aus § 826 BGB (auch) das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk künftige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen drohen.199 Macht der Insolvenzverwalter eine Klage unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzan- 63 fechtung sowie der unerlaubten Handlung geltend, ist der Wahlgerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 gegeben und das Gericht des Begehungsortes örtlich zuständig.200 Voraussetzung dafür ist, dass die Klage des Insolvenzverwalters ausdrücklich neben der Insolvenzanfechtung auch auf unerlaubte Handlung (etwa § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 283c, 26, 27 StGB, § 826 BGB) gestützt worden ist.

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189 MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 13; Musielak/Heinrich § 32 Rdn. 14. 190 OLG Köln GRUR 1978, 658; OLG Hamburg NJW-RR 1995, 1509; LG Köln ZUM 2007, 219. 191 Überzeugend LG Köln ZUM 2007, 219. 192 BGHZ 37, 187, 189 f.; BGH NJW 1966, 647, 649. 193 Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 22. 194 BGH NJW 1956, 911 f.; OLG Hamburg, GRUR 1987, 403 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1389; OLG Koblenz NJW-RR 1989, 1013; Behr GRUR Int. 1992, 604. 195 LG Hamburg MMR 2011, 594 f. 196 OLG Brandenburg IPRspr 2009, Nr. 195, 504. 197 LG Köln IPRspr 2006, Nr 201, 451. 198 OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 939. 199 OLG Hamm NJW-RR 1987, 1337; OLG Köln OLGR Köln 2001, 226. 200 LG Detmold ZInsO 2006, 445.

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VIII. Parteien 64

1. Kläger. Kläger können auch Rechtsnachfolger des Verletzten sein oder solche Personen die aufgrund cessio legis der Ansprüche aus Delikt gegen den Schädiger geltend machen können, so dass Fälle des § 116 Abs. 1 SGB X201 mit der Klage des Sozialversicherungsträgers, des §§ 158 ff. VVG202 mit der Klage des Versicherers hier in Betracht kommen können.

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2. Beklagte. Selbstverständlich kann vor dem Gerichtsstand des § 32 gegen den Täter einer unerlaubten Handlung geklagt werden, gegen Mittäter, aber auch gegen Gehilfen oder Anstifter gemäß § 830 BGB. Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist gemäß § 32 das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen wird. Die Zuständigkeit nach § 32 gilt auch für Mittäter oder Helfer, da auch diese sich die Beteiligung eines anderen entsprechend § 830 Abs. 1 BGB für die Frage der Beurteilung des Tatortes zuzurechnen lassen müssen.203 Denn bei mehreren Haftenden bestimmt sich zwar der Gerichtsstand für jeden selbständig, jedoch muss sich jeder Beteiligte (Mittäter, Gehilfe) auch zuständigkeitsrechtlich (§ 32) die Tatbeiträge der anderen gemäß § 830 BGB zurechnen lassen.204 Dem Einwand der Beklagten, dass die Vorschriften der §§ 830, 840 BGB nur die Rechtsfolgenseite beträfen und daher im Rahmen des § 32 unerheblich seien, ist nicht zu folgen.205 Ferner gilt der Gerichtsstand des § 32 für die Klagen gegen die Personen, die für die unerlaubten Handlungen anderer haftungsrechtlich einzutreten haben. Namentlich handelt es sich dabei um verfassungsmäßig berufene Vertreter (Organe, § 31 BGB), Geschäftsherrn gemäß § 831 BGB,206 Gesellschafter, die gemäß §§ 161 Abs. 2, 128 HGB für Delikte der OHG oder KG einzutreten haben207 sowie Aufsichtspersonen gemäß §§ 832, 834 BGB und Gastwirte gemäß § 701 BGB.208 Schließlich greift der Gerichtsstand des § 32 für die Klage, die gegen den Versicherer gemäß § 3 Nr. 1 PflVG unmittelbar erhoben wird.209 IX. Prozessuale Voraussetzungen des Gerichtsstandes

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Der Gerichtsstand des § 32 wird dadurch begründet, dass der Kläger schlüssig Tatsachen behauptet, aus denen sich ergibt, dass im Gerichtsbezirk eine unerlaubte Handlung begangen worden ist.210 Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist die Richtigkeit des Klägervorbringens zu unterstellen;211 erweist sich dieser Tatsachenvorgang im Verlauf des Prozesses nicht als wahr, so macht dies die Klage nicht unzulässig. Sie ist als unbegründet abzuweisen.212 Bei der Provokation einer unerlaubten Handlung durch den Kläger kommt eine Berufung auf den Gerichtsstand des § 32 nicht in Frage.213 Die internatio-

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201 BGH NJW 1990, 1522, 2316. 202 OLG Celle VersR 1991, 234; OLG München OLGZ 1967, 174, 175. 203 BGH WM 1995, 100. 204 BGHZ 184, 365. 205 OLG Hamburg ZfWG 2013, 151. 206 BGH ZIP 1989, 830, 831 f. 207 BayObLGZ 1980, 13, 14 f. 208 BGHZ 15, 149; Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 24; a.A. Zöller/Vollkommer § 32 Rdn. 12. 209 MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 14 m.w.N. 210 BGH GRUR 1980, 227, 230; BGHZ 98, 263, 273 = NJW 1987, 592; RGZ 95, 268, 270; 129, 175, 179; OLG München NJW 1990, 3097, 3098. 211 BGH NJW 1987, 1323, 1324. 212 Schumann FS Nagel (1987) 402, 422. 213 OLG München NJW 1990, 3097, 3098.

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nale Anerkennungszuständigkeit gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 ist demgegenüber selbständig zu prüfen, da der Beklagte andernfalls mittelbar zur Verteidigung vor einem ausländischen Gericht gezwungen wäre.214 X. Konkurrierende Gerichtsstände 1. Fakultative Zuständigkeit des Gerichts am Tatort. Sie ist begründet in einer 67 Reihe von Tatbeständen der Gefährdungshaftung, namentlich §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 20 StVG,215 § 14 HPflG, § 56 Abs. 1 LuftVG, § 6 ÖlschadenG,216 § 94a AMG.217 2. Weitere konkurrierende Gerichtsstände. U.a. bei Prospekthaftungsansprüchen 68 normiert § 32b einen besonderen ausschließlichen Gerichtsstand (früher geregelt im BörsG), bei Ansprüchen einer Verwertungsgesellschaft wegen Verletzung eines von ihr wahrgenommenen Rechts bestimmt § 17 Abs. 1 WahrnG die Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk die Verletzungshandlung vorgenommen wurde. XI. Wahlgerichtsstand 1. Übersicht. § 32 normiert einen nicht ausschließlichen Wahlgerichtsstand, der 69 nach Wahl des Klägers (§ 35)218 neben dem Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten (§§ 12, 13 und § 17) eingreift.219 Die Wahl des Gerichts, an dem der Kläger meint, mit der Klage am ehesten Erfolg haben zu können, wird bisweilen als rechtsmissbräuchlich angesehen, so wenn gegen einen Streik vor einem bestimmten Arbeitsgericht Unterlassungsklage erhoben wird, obwohl der Streik auch in anderen Gerichtsbezirken in der Bundesrepublik verwirklicht würde.220 Abgesehen davon, dass eine solche Judikatur auf Rechtsverweigerung hinauslaufen kann, da ihre Argumente auch gegen die örtliche Zuständigkeit anderer als des angerufenen Gerichts sprechen könnten, geht sie an der Funktionsweise des § 32 vorbei.221 Zur Problematik der fliegenden Gerichtsstände aber Rdn. 42 ff. 2. Schiedsvereinbarungen. Auf einen Ausschluss des Gerichtsstandes des § 32 auf- 70 grund einer vertragliche Ansprüche betreffenden Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 kann im Wege der Auslegung geschlossen werden.222 Da aus § 32 nicht nur die gerichtliche Zuständigkeit unter deliktsrechtlichen Gesichtspunkten nach örtlichen Gesichtspunkten hervorgeht, sondern die Norm auch den Umfang der internationalen Zuständigkeit festlegt,223 ist eine Abbedingung des Gerichtsstands nach § 32 aufgrund einer Schiedsvereinbarung in Verbindung mit der Rechtswahlklausel in Deutschland nicht möglich, wenn Börsentermingeschäfte von Inländern betroffen sind. Der Gerichtsstand

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214 BGHZ 124, 241 = NJW 1995, 1413. 215 BayObLG NJW 1988, 2184. 216 Art. IX des internationalen Übereinkommens über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden v. 29. IX. 1969 (BGBl. 1975 II S. 305), in Kraft für die BRD seit 18.8.1975 (BGBl. 1975 II S. 1106). 217 BGH NJW 1990, 1533 und 2316. 218 BayObLG VersR 1981, 626; 1986, 299; NJW-RR 1990, 893. 219 OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 939, 940. 220 ArbG Nürnberg NZA-RR 2008, 203. 221 OLG Hamburg ZUM 2009, 232. 222 Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 2; a.A. OLG Hamburg MDR 1949, 368; OLG Stuttgart BB 1974, 1270. 223 BGH NJW 1999, 1395.

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nach § 32 kann daher im Rahmen einer Schiedsvereinbarung dann nicht wirksam abbedungen werden, wenn, wie das OLG Düsseldorf für eine Schiedsabrede in Verbindung mit der Rechtswahlklausel entschieden hat, sie Börsentermingeschäfte von Inländern betrifft und daher in Deutschland nicht anzuerkennen war.224 Der Gerichtsstand nach § 32 kann durch Schiedsvereinbarung nur abbedungen werden, wenn beide Parteien Kaufleute oder juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, § 37h WpHG. Dies gilt auch in Fällen mit Auslandsberührung, es sei denn, die Leistung mit ihren Nebenleistungen wird ausschließlich im Ausland erbracht.225 Insoweit ist davon auszugehen, dass eine sich aus § 32 ergebende internationale Zuständigkeit jedenfalls für zukünftige unerlaubte Handlungen – auch durch Kaufleute – überhaupt nicht wirksam derogiert werden kann. Ansonsten wäre entgegen dem Sinn und Zweck von Art. 42 EGBGB nicht mehr gewährleistet, dass der Streit über die unerlaubte Handlung nach dem hier maßgeblichen deutschen Recht entschieden wird. Deutsche Gerichte sind danach international zuständig für Klagen gegen ausländische Broker, die Beihilfe zu einer im Inland begangenen unerlaubten Handlung leisten.226 71 So bedarf es einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 im Rahmen eines Ausgleichsanspruchs nach § 24 Abs. 2 BBodSchG gegen zwei Verursacher nicht, wenn zugleich Ansprüche nach § 89 Abs. 2 WHG geltend gemacht werden. Dann gilt gemäß § 32 der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung des Begehungsorts.227 Wird der Antragsgegner zumindest auch unter dem Gesichtspunkt wasserrechtlicher Gefährdungshaftung (§ 89 Abs. 2 WHG) in Anspruch genommen, besteht für diese Gefährdungshaftung der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung am Begehungsort.228 In diesem Fall hat daher ein nach § 32 zuständiges Gericht den Rechtsstreit umfassend unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu entscheiden.229 Daraus folgt, dass ein umfassender gemeinschaftlicher Gerichtsstand am Deliktsgerichtsstand gegeben ist. Ein Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist dann wegen des Vorliegens eines besonderen Gerichtsstandes unzulässig.230 Das OLG Nürnberg-Fürth231 hat demgegenüber die Ansicht vertreten, zwar sei eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 in der Regel nicht möglich, wenn für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtstand besteht, wie im Falle einer unerlaubten Handlung gemäß § 32 bei ärztlichem Behandlungsfehler. Es hat sich aber dem BayObLG232 angeschlossen und gemeint, aus prozessökonomischen Gründen sei aber eine Bestimmung dann geboten, wenn das mit der Sache befasste Gericht bereits erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat.233 Diese Meinung verdient Kritik, denn es läge damit bei dem „erhebliche Zweifel“ äußernden Gericht, durch seine Zweifel die Bestimmung des gesetzlichen Richters zu beeinflussen. Die Anwendung von § 32 führt aber nicht zwangsläufig zu einem gemeinschaftlichen besonderen Gerichtsstand, wenn mehrere Beklagte an verschiedenen Begehungsorten einen ärztlichen Behandlungsfehler durch positives Tun oder Unterlassen begangen haben. An einer Gemeinschaftlichkeit fehlt es dann, wenn

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OLG Düsseldorf IPRspr 2006, Nr 217, 487; LG Düsseldorf 24.10.2006 – 10 O 126/06. OLG Düsseldorf IPRax 2009, 158; OLG Düssledorf 20.12.2007 – I-6 U 242/06. BGHZ 184, 365 ff. OLG Frankfurt/M. NuR 2007, 370. BGHZ 80, 1, 3. BGH MDR 2003, 345. OLGR Saarbrücken 2008, 164. OLG Nürnberg-Fürth VersR 2010, 411. BayObLG NJW-RR 2004, 944. OLG Nürnberg-Fürth VersR 2010, 411.

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eine unerlaubte Handlung bereits vollständig seitens eines Beklagten verwirklicht worden ist.234 XII. Internationale Zuständigkeit 1. Deutsche internationale Zuständigkeit. Auf die internationale Zuständigkeit 72 sind die Vorschriften der ZPO über die örtliche Zuständigkeit gemäß § 32, der an den Ort anknüpft, an dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist, entsprechend anzuwenden.235 Demnach können deliktsrechtliche Ansprüche gemäß §§ 826, 830 Abs. 2 BGB vor einem deutschen Gericht geltend gemacht werden, wenn die in Rede stehenden unerlaubten Handlungen in Deutschland begangen worden sind. Die internationale Zuständigkeit nach § 32 hat aber zur Folge, dass die Entscheidungsbefugnis deutscher Gerichte auf deliktsrechtliche Ansprüche beschränkt ist.236 Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 begründet auch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte.237 Im Einzelnen ist dies der Fall, wenn die deliktische Handlung oder der Erfolg in Deutschland eingetreten ist,238 wobei es genügt, wenn ein Teil des Erfolges im Inland eingetreten ist239 oder wenn im Falle einer vorbeugenden Unterlassungsklage im Inland mit der zu verbietenden Handlung ernsthaft gedroht wird.240 Im Einzelnen gilt im Unfallrecht das Tatortrecht,241 wegen Produkthaftpflichtansprüchen sind international die Gerichte am Handlungs- und Erfolgsort zuständig,242 wegen Persönlichkeitsverletzungen durch die Presse oder den Rundfunk der Ort der Veröffentlichung, nicht der Wohnsitz des Verletzten (oben Rdn. 47 ff.),243 im Falle der Klage wegen Immaterialgüterrechtsverletzungen kann aufgrund des Territorialprinzips ein inländisches Immaterialgüterrecht nur im Inland verletzt werden und die Zuständigkeit gemäß § 32 begründen,244 wegen internationalen Wettbewerbsverstößen ist die Zuständigkeit dort begründet, wo die Interessen der Wettbewerber konkurrieren, s.a. Rdn. 86 ff.245 Nach dem kartellrechtlichen Auswirkungsprinzip gemäß § 130 Abs. 2 GWB richtet sich der Gerichtsstand nach dem Tatortprinzip.246 2. EuGVVO. Soweit die EuGVVO zur Anwendung gelangt, verdrängt Art. 7 Nr. 2 73 EuGVVO247 § 32. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bestimmt, dass Klagen aus unerlaubter Handlung vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem anderen Staat im Geltungsbereich der EuGVVO hat, regelt Art. 7 Nr. 2 damit nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts am inländischen Tatort. Ausgeschlossen wird durch

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234 OLG Düsseldorf MedR 2011, 40 f. im Anschluss an OLG Köln MDR 2009, 222. 235 OLG Frankfurt/M. IPRspr 2006, Nr. 139, 309. 236 BGH NJW 2003, 828; 1996, 1411, 1413; Thomas/Putzo-ZPO/Hüßtege § 32 Rdn. 5; abl. Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 4; OLG Stuttgart NJW-RR 2006, 1362. 237 MünchKomm/Patzina § 32 Rdn. 41. 238 EuGH NJW 1977, 493; OLG Karlsruhe RIW 1977, 719; zum Internet Schack JZ 1998, 573 f. 239 OLG Celle IPRspr. 1977 Nr. 119; OLG Frankfurt/M ZUM 1991, 563. 240 OLG Hamburg GRUR 1987, 403 f. 241 Vgl. Vorauflage Rdn. 66. 242 Stein/Jonas/Roth § 32 Rdn. 35. 243 BGH NJW 1977, 1590. 244 OLG München NJW 1990, 3097, 3098. 245 BGHZ 35, 329, 333 = NJW 1962, 37; BGHZ 40, 391, 395 = NJW 1964, 969, BGHZ 113, 11, 15 = NJW 1991, 1054; KG NJW-RR 1991, 301. 246 Vgl. Vorauflage/Hausmann Rdn. 71. 247 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012.

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diese Regelung damit auch ein anderer Tatortgerichtsstand als der des § 32 des autonomen deutschen Rechts, so dass die §§ 20 StVG, 56 Abs. 1 LuftVG, 14 HaftPflG, § 14 UWG keine Anwendung finden. Beim Wohnsitz des Beklagten in Deutschland behalten § 32 und die sondergesetzlichen Vorschriften Bedeutung für die Bestimmung des örtlichen Gerichtsstandes. Denn Art. 4 EuGVVO beschränkt sich dann auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit. Im Übrigen decken sich § 32 und Art. 7 Nr. 2 EuGVVO in einem in der Literatur so genannten Kernbereich. Allerdings qualifiziert der EuGH dem Begriff der unerlaubten Handlungen Art. 7 Nr. 2 EuGVVO europäisch-autonom. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO greift auch für Unterlassungsklagen, da er auch auf den Ort abstellt, an dem ein schädigendes Ereignis einzutreten droht. Nach Art. 7 Nr. 3 EuGVVO hat für Fälle in denen der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat, die Gerichtszuständigkeit für Ansprüche im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens zu folgen. Voraussetzung ist, dass es sich um eine Klage auf Schadensersatz oder auf Wiederherstellung des früheren Zustands handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt wird, vor dem Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem Recht über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann. Versicherungssachen richten sich ausschließlich nach den Sonderregeln der Art. 10 ff. EuGVVO. Nach § 9 EuGVVO entscheidet das Gericht eines Mitgliedsstaates oder ein anderes an seiner Stelle durch das Recht dieses Mitgliedstaats bestimmtes Gericht auch über Klagen auf Beschränkung dieser Haftung, wenn es nach der EuGVVO zur Entscheidung in Verfahren wegen einer Haftpflicht aufgrund der Verwendung oder des Betriebs eines Schiffes zuständig ist. Ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann nach Art. 11 Abs. 1 lit. a EuGVVO vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, verklagt werden. Nach Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO kann bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten gegen den Versicherer vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, geklagt werden oder nach Art. 11 Abs. 1 lit. c EuGVVO, falls es sich um einen Mitversicherer handelt, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem der federführende Versicherer verklagt wird. Art. 11 Abs. 2 EuGVVO bestimmt, dass für den Fall, dass der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz hat, er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung führt, er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt wird, wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte. Im autonomen Internationalen Recht bestimmt § 32 mit der örtlichen zugleich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Als „Sammelbegriff“ in der Zuständigkeitsnorm des § 32 ist der Begriff der unerlaubten Handlung grundsätzlich nach der deutschen lex fori auszulegen. Das ist richtig, weil sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte und damit die Anwendbarkeit deutschen Rechts regelmäßig daraus ergeben wird, dass der Kläger einen inländischen Begehungsort behaupten wird. Allerdings ist dies nicht zwingend. Nach dem Ubiquitätsprinzip ist die deutsche internationale Zuständigkeit für unerlaubte Handlungen gegeben, wenn im Inland entweder der Handlungs- oder der Erfolgsort liegt. Dies gilt auch dann, wenn am Erfolgsort ein reiner Vermögensschaden eintritt, wie es nach §§ 826, 263 Abs. 2, 839 BGB der Fall ist. Es ist ausreichend, dass nur ein Teilakt einer unerlaubten Handlung im Inland vorgenommen worden ist. Gleiches gilt, wenn nur ein Teil des Erfolgs im Inland eingetreten ist. Schließlich genügt es, um die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte herzustellen, dass einer von mehreren Mittätern im Inland gehandelt hat. Nicht ausreichend Smid/Hartmann

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sind dagegen reine Vorbereitungshandlungen, die im Ausland vorgenommen worden sind. Demzufolge wird die Zuständigkeit der inländischen deutschen Gerichte für die gesamte unerlaubter Handlung auch dann begründet, wenn die unerlaubte Handlung teils im Ausland, teils im Inland begangen worden ist. Andernfalls wäre der Geschädigte dazu genötigt, wegen eines einheitlichen Schadens mehrere Prozesse in verschiedenen Ländern anhängig zu machen, was ihn zur Aufteilung des Schadens zwingen und er sich dem Risiko gesteigerter Einwendungen aussetzen würde. Die internationale Zuständigkeit ist nach alledem außer am Handlungsort an dem Erfolgsort als dem Ort begründet, an dem der primäre Verletzungserfolg der unerlaubten Handlung eingetreten ist. Über den tatbestandsmäßigen Erfolg hinausgehende Schadensfolgen sind demgegenüber für die internationale Zuständigkeit unbeachtlich. Der Ort an dem der unmittelbar Betroffene direkt geschädigt worden ist, begründet damit die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts, nicht aber der Ort, an dem nur mittelbar Geschädigte die schädigenden Folgen für ihr eigenes Vermögen festzustellen haben. So ist beispielsweise der Unfallort und nicht der Wohnort der Hinterbliebenen des Unfallopfers maßgebend, auch wenn der Vermögensschaden erst am Wohnort dadurch eintritt, dass die Unterhaltsleistungen des Unfallopfers ausbleiben. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Zuständigkeit nach § 32 die günstigere und effizientere Sachaufklärung und Beweiserhebung am Ort der unerlaubten Handlung gewährleisten soll. Das IPR erkennt Durchbrechungen der Tatortanknüpfung an. Diese sind für die internationale Zuständigkeit nach § 32 nicht maßgeblich. Allerdings sollen die Grundentscheidung des Internationalen Privatrechts bei der Zuständigkeitsbegründung mitberücksichtigt werden. Liegt ein Tatort international-privatrechtlich rechtlich im Inland, so folgt dem die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte. Da Verkehrsunfälle typischerweise Platzdelikte in dem Sinne sind, dass der Erfolgsort der Unfallort als Handlungsort ist, ist der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ausschließlichem am Unfallort begründet. Dies wird auch nicht dadurch anders, dass durch eine vorrangige Berücksichtigung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Unfall-Parteien die Tatortregel im Kollisionsrecht aufgelockert wird. Daher wird die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht dadurch berührt, dass unbeteiligte Ausländer mit gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland sind. Der deutsche internationale Gerichtsstand wird weiter für den Direktanspruch gegen den Pflichtversicherer nach § 115 PflVG begründet. Demgegenüber sind Produkthaftungstatbestände Distanzdelikte. International sind daher die Gerichte am Handlungsort und Erfolgsort zuständig. Bei Streudelikten wie einer Persönlichkeitsverletzung durch die Presse mit weltweiter Verbreitung ist die internationale Zuständigkeit nicht nur sowohl am Erscheinungsort als Begehungsort, sondern auch überall dort gegeben, wo die Bundesdruckerei Druckerzeugnisse bestimmungsgemäß verbreiten wird. Die Gerichte des Schutzlandes sind durchweg international zuständig für Klagen aus der Verletzung von Immaterialgüterrechten. Denn für diese gilt das Territorialitätsprinzip wonach sich Stand und Schutz von Immaterialgüterrechten nach dem Recht des Schutzlandes bestimmt, für das dieses Recht allein existiert. Deutsche Gerichte haben die internationale Zuständigkeit daher nur im Falle der Verletzung ausländischer Schutzrechte, wenn das Recht des Schutzlandes die Verwertungshandlungen im deutschen Inland und somit das deutsche Inland als Tatort der unerlaubten Handlungen ansieht. Der Wohnsitz des Verletzten als Ort des Schadenseintritts oder als Ort an dem die zur Benutzung des geschützten Immaterialgüterrechts erforderliche Zustimmung hätte eingeholt werden müssen, begründet daher die internationale Zuständigkeit nach § 32 nicht. 139

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Unabhängig davon, ob es sich um einen Wettbewerb zwischen Ausländern und Inländern im Ausland oder einen Auslandswettbewerb inländischer Unternehmen untereinander handelt, ist eine Zuständigkeit inländischer Gerichte nicht gegeben, wenn die wettbewerblichen Interessen nur im Ausland aufeinanderstoßen. Dies ist auch dann der Fall, wenn wettbewerbsbeeinträchtigende Handlungen vom Inland aus vorbereitet, eingeleitet oder gesteuert worden. Auch in diesem Fall ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht allein dadurch begründet, dass ein inländischer Tatort gegeben wäre. Es kommt also darauf an, ob die Interessen von Wettbewerbern auf dem deutschen Markt berührt sind. Zu beachten ist aber, dass für eine vorbeugende Unterlassungsklage nach § 14 Abs. 5 MarkenG die deutschen Gerichte international zuständig sein können, auch dann, wenn eine im Ausland begangene Wettbewerbshandlung für das Inland eine Erstbegehungsgefahr begründet. 87 Dem Wettbewerbsrecht ist das Kartellrecht in Ansehung der internationalen Zuständigkeit parallel gelagert. Es kommt insoweit darauf an ob eine Inlandsauswirkung nach § 130 Abs. 2 GWB für kartellrechtliche Interessen vorliegt. Nur dann sind deutsche Gerichte nach § 32 international zuständig. Darauf, ob im Inland oder Ausland gehandelt worden ist, kommt es daher nicht an. Bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, die durch herkömmliche Presseerzeug88 nisse erzeugt wurden, eröffnet der EuGH gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Gerichtsstände an folgenden Orten: Zum einen sind die Gerichte des Staates zuständig, in denen der Herausgeber der Zeitschrift niedergelassen ist. Zusätzlich dazu sind auch die Gerichte zuständig, in denen das Presseerzeugnis verbreitet wurde. Diese Gerichtsstände sind prinzipiell gleichwertig, jedoch sind nur die Gerichte des Staates der Niederlassung dazu befugt, über den gesamten Schaden zu entscheiden. Im Gegensatz dazu dürfen die Gerichte, die ihre Zuständigkeit aus der Veröffentlichung beziehen, nur über die Schäden entscheiden, die im zugehörigen Staat entstanden sind.248 In einer neueren Entscheidung kam das Gericht zum Ergebnis, dass die Grundsätze der Shevill-Entscheidung grundsätzlich auch auf Internetsachverhalte anwendbar sind, jedoch müssten sie modifiziert werden. Zusätzlich zu den anderen Gerichtsständen sei auch die Erhebung am Gericht des Ortes zulässig, an dem der Geschädigte den Mittelpunkt seiner Interessen habe.249 An diesem Gericht kann dann der gesamte Schaden geltend gemacht werden.250 Die Entscheidung trifft dahingehend auf Kritik, dass der Grundsatz der Waffengleichheit kaum noch beachtet werde.251 Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass die besonderen Zuständigkeiten des Art. 7 EuGVVO auch auf dem Gedanken beruhen, dass die Streitigkeit durch ein Gericht entschieden werden soll, das für die Entscheidung des Sachverhalts eine besondere Kompetenz aufweist.252 Diese Lösungskompetenz lässt sich jedenfalls dann überzeugend annehmen, wenn der gewöhnliche Aufenthaltsort des Geschädigten als Mittelpunkt der Interessen angesehen wird.253 Diese Auslegung hat zudem den Vorteil, dass es für den Schädiger vorhersehbar ist, wo er gerichtspflichtig werden könnte.254 Zudem ist den Ausführungen des EuGH zu Art. 3 der E-Commerce-Richtlinie besondere Beachtung zu schenken. Demnach muss sich der Verletze zwar auf einen für ihn potentiell nachteiligen Gerichtsstand am Interessenmittelpunkt des Geschädigten

_____ 248 249 250 251 252 253 254

EuGH GRUR Int 1998, 298. EuGH NJW 2012, 137, 139. EuGH NJW 2012, 137, 139. Köhler WRP 2013, 1131, 1133. Picht GRUR Int 2013, 19, 22. Ebenda. Picht GRUR Int 2013, 19, 21.

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einlassen. Jedoch muss er als Dienstanbieter nach Auffassung des EuGH nur den Anforderungen seines Heimatlandes genügen.255 Somit sind auch die Belange des mutmaßlichen Schädigers gewahrt, falls dieser am Mittelpunkt der Interessen des Geschädigten in Anspruch genommen werden sollte. Mit dieser Auslegung kann die Mosaiktheorie auf dem Gebiet der Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet als entschärft angesehen werden. Diese stellte den Geschädigten vor die Wahl den gesamten Schaden auf dem Gebiet des Staates einzuklagen an dem sich der mutmaßliche Schädiger niedergelassen hatte. Wenn er diesem nicht den Heimvorteil belassen wollte, war er gezwungen, die jeweiligen Teilschäden in den einzelnen Vertragsstaaten einzuklagen.256 Der durch die eDate-Entscheidung gewährte Gerichtsstand am Mittelpunkt der Interessen hat demgegenüber eine ausgewogene und für den Kläger wirtschaftlich vernünftige Alternative geschaffen. Mithin ist die Auffassung des EuGH zu begrüßen. 3. Gerichtsstände aufgrund von Staatsverträgen. Die revidierte Mannheimer Bin- 89 nenschifffahrtsakte vom 7.10.1868257 enthält für das Binnenschifffahrtsrecht Gerichtsstandsregeln, das Brüsseler Internationale Übereinkommen vom 10.5.1952258 für die Seeschifffahrt und Art. 31 CMR für Ansprüche, die sich aus dem CMR ergeben ebenso wie für deliktische Ansprüche aus dem Zusammenhang der Beförderungsverträge nach dem CMR.259 Es ist anerkannt, dass das nach § 32 örtlich zuständige Gericht den Rechtsstreit unter 90 allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat, wenn im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung im Rahmen der Darlegung eines Anspruchs unerlaubter Handlung ein einheitlicher prozessualer Anspruch geltend gemacht wird.260 Diese Auslegung des § 32 gilt jedoch gerade nicht für die internationale Zuständigkeit.261 Denn danach ist die Entscheidungsbefugnis deutscher Gerichte auf deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen beschränkt, soweit § 32 zur Begründung der internationalen Zuständigkeit herangezogen wird.262 Das folgt daraus, dass die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit mit besonders weitreichenden Konsequenzen verknüpft ist. Von ihr hängt ab, welche nationalen Vorschriften für das Verfahren und das Kollisionsrecht anwendbar sind. Auch unabhängig davon ist es für die Beteiligten in aller Regel von besonderer Bedeutung, ob sie in ihrem Heimatstaat oder im Ausland vor Gericht stehen. Unter diesen Umständen ist die Folge, dass die Entscheidungsbefugnis des Gerichts weniger weiter reicht, wenn § 32 nicht für die örtliche, sondern für die internationale Zuständigkeit maßgeblich ist, hinzunehmen.263 Die deutschen Gerichte sind nach § 32 zur Entscheidung über Klagen wegen Per- 91 sönlichkeitsbeeinträchtigungen durch im Internet abrufbare Veröffentlichungen international zuständig, wenn die als rechtsverletzend beanstandeten Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts einerseits, Interesse des Beklagten an der Gestaltung seines Internetauftritts und an ei-

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255 EuGH NJW 2012, 137, 141. 256 Musielak/Stadler Art. 5 Nr. 3 EuGVVO Rdn. 24a. 257 Mannheimer Akte idF v. 11.3.1969 (BGBl. 1969 II S. 597). 258 BGBl. 1972 II S. 663. 259 Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr v. 19.5.1956 (BGBl. 1961 II S. 1120), zuletzt geändert am 11.4.1980 (BGBl. 1989 II S. 586). 260 BGH MDR 2003, 345. 261 KG GRUR-RR 2006, 252. 262 BGHZ 132, 105, 112 f. 263 BGHZ 132, 105, 112 f.

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ner Berichterstattung andererseits – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Meldung, im Inland tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann.264 Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH265 dann anzunehmen, wenn eine Kenntnisnahme von der beanstandeten Meldung nach den Umständen des konkreten Falls im Inland erheblich näher liegt als es aufgrund der bloßen Abrufbarkeit des Angebots der Fall wäre und die vom Kläger behauptete Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts durch Kenntnisnahme von der Meldung (auch) im Inland eintreten würde.266 Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Entscheidung über Klagen wegen Persönlichkeitsbeeinträchtigungen durch im Internet abrufbare Veröffentlichungen wird nicht schon dadurch begründet, dass der Betroffene an seinem Wohnsitz im Inland die Äußerungen abgerufen hat und diese vereinzelt Geschäftspartnern bekannt geworden sind. Richten sich die in fremder Sprache und Schrift gehaltenen Berichte über Vorkommnisse im Ausland ganz überwiegend an Adressaten im Ausland, ist der für die internationale gerichtliche Zuständigkeit maßgebliche deutliche Inlandsbezug nicht gegeben.267 Diese Voraussetzungen sind im Falle von Suchwortergänzungsmaschinen gegeben, da eine Kenntnisnahme der beanstandeten Suchergänzungsvorschläge im Inland erheblich näher liegt als es aufgrund der bloßen Abrufbarkeit der Meldung der Fall wäre und die von den Klägern geltend gemachte Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts durch Kenntnisnahme der Suchergänzungsvorschläge auch im Inland eintreten würde.268 Die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts ist nach alledem nicht ge92 geben, wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich der im Internet veröffentlichte Artikel an das deutsche Publikum und insbesondere auch an das Publikum im Bezirk des angerufenen Gerichts richtet und der Artikel zudem nicht bestimmungsgemäß an den deutschen Leser ausgerichtet ist. Insofern ist es auch irrelevant, ob der durch den Artikel Betroffene seinen Wohnsitz im Inland hat, sondern maßgeblich ist vielmehr, ob die durch den Artikel angesprochenen Leser eine Beziehung zum Lebenskreis des Betroffenen an dessen Wohnsitz haben. Entscheidend ist weiter, dass der Artikel in niederländischer Sprache abgefasst ist und über eine niederländische Domain verbreitet wird und es sich zudem nicht um eine bekannte Webseite handelt, bei der davon ausgegangen werden kann, dass diese auch den deutschen Internetnutzer erreicht.269 Bei der Geltendmachung von Abmahnkosten aufgrund einer Urheberrechtsverlet93 zung im Internet wird nach Ansicht des OLG Schleswig der Gerichtsstand eines deutschen Gerichts dadurch begründet, dass sich die Internetseite an das gesamte deutsche Publikum richtet, was sich daraus ergibt, dass die eingesetzte Internetdomain einen deutschen Titel hat und die ganze Internetseite deutschsprachig ist.270 In grenzüberschreitenden Patentverletzungsfällen ist auch ein im Ausland ansässi94 ger Lieferant für die Verletzung inländischer Patentrechte mitverantwortlich, wenn er die patentverletzenden Vorrichtungen in Kenntnis des Klagepatents und in Kenntnis des Bestimmungslandes liefert und damit den inländischen Vertrieb bewusst und willentlich mitverursacht. Für die internationale und örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts reicht es aus, wenn behauptet patentverletzende Vorrichtungen (hier: Konden-

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264 265 266 267 268 269 270

BGHZ 184, 313 entgegen KG Berlin und OLG München MMR 2002, 166. BGHZ 184, 313. BGHZ 191, 219 ff.; OLG Jena AfP 2014, 75. BGH NJW 2011, 2059 im Anschluss an BGHZ 184, 313. BGHZ 197, 213. LG Düsseldorf jurisPR extra 2013, 224 m. Anm. Frank Braun jurisPR-ITR 17/2013 Anm. 5. OLG Schleswig K&R 2013, 748.

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satoren für Klimaanlagen von Kraftfahrzeugen) seitens der belieferten (Automobil-)Hersteller auch in der Bundesrepublik Deutschland vertrieben werden. Für hieraus resultierende Ansprüche des Patentinhabers ist die inländische Deliktszuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gegeben; dies gilt auch, wenn Angebots- und Lieferhandlungen ausschließlich im Ausland stattfinden.271 Nach § 32 ist die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben, wenn der angebli- 95 che Kartellverstoß im Inland begangen, d.h. wenn ein inländischer Handlungs- oder Erfolgsort gegeben ist. Der Erfolgsort liegt hierbei dort, wo der tatbestandsmäßige Verletzungserfolg als Schlusspunkt des Handlungsgeschehens eingetreten ist. Nach diesen Grundsätzen wird regelmäßig die deutsche internationale Zuständigkeit zu bejahen sein, wenn die Handlung auf dem deutschen Markt durchgeführt wird oder hätte durchgeführt werden müssen oder sich jedenfalls unmittelbar auf diesen Markt bezieht.272 4. Vorläufiger Rechtsschutz. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung muss mindestens den Streitgegenstand und das begehrte Rechtsschutzziel erkennen lassen. Bei einem Antrag, Erstinbetriebnahmebescheinigungen für in konkret benannten deutschen Krankenhäusern stehende Geräte auszustellen und Serviceleistungen zu erbringen, müssen die jeweiligen Geräte identifizierbar sein. Für die Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach § 32 reicht es aus, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, aus denen sich bei rechtlich zutreffender Würdigung das Vorliegen einer unerlaubten Handlung ergibt.273 Ob eine unerlaubte Handlung schlüssig vorgetragen ist, ist nach deutschem Deliktsrecht zu beurteilen, wenn sich aus dem Prozessverhalten der Parteien ergibt, dass sie stillschweigend die Anwendung deutschen Deliktsrechts vereinbart haben.274 Eine solche stillschweigende Vereinbarung der Anwendung deutschen Deliktsrechts liegt auch vorliegend vor, da die Parteien die Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung übereinstimmend ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der §§ 823 Abs. 2, 826 BGB, 263, 266 StGB erörtert und damit zu erkennen gegeben haben, dass sie eine Entscheidung auf der Grundlage des deutschen Deliktsrechts erstreben. Eine solche Rechtswahl ist zulässig und macht die Ermittlungen des sonst nach dem Tatort anzuwendenden Deliktsstatuts entbehrlich.275 Im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit entsprechend § 32 genügt es daher, dass der Kläger die nach dem insoweit maßgeblichen deutschen Recht deliktischen Ansprüche schlüssig behauptet. Ihr tatsächliches Vorliegen wird erst im Zusammenhang mit der Begründetheit der klägerischen Ansprüche geprüft.276 Ersatzansprüche für Aufwendungen, die ein Unternehmer im Rahmen einer Rückrufaktion zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen wegen Produkthaftung getätigt hat, kann er gegen den Lieferanten eines Zulieferteils, das er für den Mangel verantwortlich macht, im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 verfolgen.277 Die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts für die Klage eines ProfiSportlers gegen den internationalen Leichtathletikverband wegen Verhängung einer Sperre infolge eines Doping-Verstoßes ist nach § 32 gegeben, wenn die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung in Form einer unbilligen Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 1 GWB

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271 LG Mannheim InstGE 6, 9. 272 OLG Düsseldorf IPRspr 2010, Nr. 238, 592 ff.; vgl. auch Hanseatisches OLG Hamburg, Urteil vom 19.4.2007, 1 Kart U 5/06, zitiert nach juris Tz. 31. 273 OLG München IPRspr 2005, Nr. 92b, 225. 274 BGHZ 98, 263, 274. 275 BGHZ 98, 263, 274. 276 BGH ZIP 2010, 1752. 277 OLG Stuttgart NJW-RR 2006, 1362 ff. m. Anm. Boris Handorn IHR 2007, 25 ff.

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schlüssig dargelegt sind, und die Sperre bei einer Tagung des Verbandes an einem Ort im Bezirk des angerufenen Gerichts beschlossen wurde. Zur schlüssigen Darlegung eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 GWB reicht es aus, wenn das Fehlen einer ausreichenden Rechtsgrundlage für die verhängte Sperre und deren unangemessene Dauer geltend gemacht werden.278 Demnach ist hier eine unerlaubte Handlung in Form eines Verstoßes gegen § 26 Abs. 2 GWB schlüssig dargetan, wenn der Handlungsort in dem Bezirk des Gerichts lag, vor dem die Klage erhoben wird. Dass der als unerlaubte Handlung angegriffene Beschluss des Beklagten über die die Sperre des Klägers dort, im Bezirk des angerufenen Gerichts, beschlossen wurde, weil die entsprechenden Gremien des Beklagten lediglich zufällig dort tagten, ist dagegen für die Zuständigkeit nach § 32 unerheblich, sofern die Voraussetzungen des § 32 im Übrigen vorliegen. Auch im Zusammenhang der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte bezüglich Timesharing-Verträgen über eine in Spanien belegene Ferienwohnung ist es für die Zuständigkeitsbegründung nach § 32 ausreichend, dass der jeweilige Kläger Tatsachen, aus denen sich ein deliktischer Anspruch ergeben kann, schlüssig behauptet. Die Frage, ob hierfür ausreichend Beweis angetreten und der erforderliche Beweis erbracht ist, ist hingegen eine Frage der Begründetheit der Klage.279 Bei einem urheberrechtsverletzenden ausländischen Internet-Auftritt genügt der 100 tatsächliche Erfolgseintritt in Deutschland nicht, um die internationale Zuständigkeit analog § 32 auszulösen. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Internet-Auftritt bestimmungsgemäß in Deutschland abrufbar ist, sich der Verletzer also gezielt jedenfalls auch an ein deutsches Publikum wendet.280 Daher ist für ein Verfügungsverfahren, in dem der Verfügungskläger den Verfügungsbeklagten, der auf seinem Server im Ausland (hier: den Vereinigten Staaten) die technische Plattform für ein Internet-Blog bereitstellt, auf Unterlassung in Anspruch nimmt, weil in dem Blog ohne seine Einwilligung ein Foto veröffentlicht wurde, welches ihn zeigt, die Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß § 32 gegeben, wenn sich die Inhalte des Blogs erkennbar an Adressaten im gesamten Gebiet der Bundesrepublik richten.281 Wird ein in englischer Sprache verfasster Werbeprospekt (Gesamtkatalog) eines aus101 ländischen Herstellers, in dem patentverletzende Gegenstände gezeigt und auf mehreren Seiten separat beworben werden, Messebesuchern auf einer internationalen Fachmesse (hier: „Automechanika“ in Frankfurt/M) ausgehändigt, so stellt dies ein „Anbieten“ im patentrechtlichen Sinne dar (§ 9 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 PatG), das unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr einer mittelbaren Patentverletzung die örtliche Zuständigkeit nicht nur des für den Messestandort zuständigen Patentgerichts sondern auch die Zuständigkeit der Patentgerichte in anderen Bundesländern begründet (§ 32, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO). Denn es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Verletzer, der aktiv werbend auf einer Messe in Erscheinung getreten ist, von einer Vertriebshandlung in anderen Bundesländern als dem Bundesland des Messestandorts absehen wird, wenn sich die Möglichkeit ergibt, das Produkt auch dorthin anzubieten bzw. zu vertreiben.282 Gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegen Ansprüche aus unerlaubter Hand102 lung grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. Der Verletzte kann jedoch verlangen, dass anstelle dieses Rechts das Recht des Staates angewandt wird, in dem der Erfolg eingetreten ist (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). Als Erfolgs-

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LG Stuttgart CaS 2006, 391 ff. OLG Karlsruhe Justiz 2006, 387. LG Berlin MMR 2007, 608. LG Köln IPRspr 2010, Nr. 239, 596. LG Düsseldorf InstGE 9, 18 ff.

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ort i.S.d. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB ist dabei der Ort anzusehen, an dem die Rechtsgutsverletzung, d.h. die tatbestandsmäßige Deliktsvollendung, eingetreten ist. Dies ist beim Tatbestand des § 826 BGB der Ort, an dem der Vermögensschaden eingetreten ist, d.h. der Lageort des Vermögens.283 Bei einer Beteiligung Mehrerer an einer unerlaubten Handlung muss sich jeder Be- 103 teiligte die von einem anderen Beteiligten erbrachten Tatbeiträge im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit gemäß § 32 zurechnen lassen. Entsprechendes gilt für als Dritte im Sinne des § 101 Abs. 2 UrhG bzw. als Störer in Anspruch Genommene im Verhältnis zum Verletzer; sie müssen sich den Tatbeitrag des Verletzers zurechnen lassen.284

§ 32a Ausschließlicher Gerichtsstand der Umwelteinwirkung § 32a Smid/Hartmann Für Klagen gegen den Inhaber einer im Anhang 1 des Umwelthaftungsgesetzes genannten Anlage, mit denen der Ersatz eines durch eine Umwelteinwirkung verursachten Schadens geltend gemacht wird, ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die Umwelteinwirkung von der Anlage ausgegangen ist. Dies gilt nicht, wenn die Anlage im Ausland belegen ist. Übersicht Allgemeines ____ 1 1. Regelungsgehalt ____ 1 2. Verfahrenskonzentration ____ 2 Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes ____ 3 1. Ausschluss der Deliktszuständigkeit des Erfolgsortes ____ 3 2. Sachliche Zuständigkeit ____ 4 3. Verdrängung besonderer Gerichtsstände ____ 5 4. Ausschluss von Gerichtsstandvereinbarungen; Kein rügeloses Einlassen ____ 6 5. Kritik der Regelung ____ 8 Subjektiver Geltungsbereich ____ 9

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III.

1. Kläger ____ 9 2. Beklagter ____ 10 IV. Klagen ____ 12 1. Umwelthaftungs- und andere Gefährdungshaftungstatbestände ____ 12 2. Deliktische Tatbestände ____ 13 3. Vertragliche Schadenersatzansprüche ____ 14 4. Atomrechtliche Ansprüche ____ 15 V. Schaden aufgrund Umwelteinwirkung ____ 16 VI. Anlagenbegriff ____ 18 VII. Erscheinungsformen begehrten Schadensersatzes ____ 20 VIII. Geltungsbereich der EuGVVO ____ 21

I. Allgemeines 1. Regelungsgehalt. § 32a ist durch Art. 2 des Umwelthaftungsgesetzes (UmweltHG) 1 vom 10.12.19901 eingeführt worden. Rühren Umweltschäden von einer schadenstiftenden Anlage her, betreffen diese nicht selten eine Vielzahl von Geschädigten an verschiedenen Orten (so genannte Massenschäden2), die regelmäßig in großer Instanz von der schadenstiftenden Anlage auftreten. Die Schadensfaktoren sind in derartigen Fällen regelmäßig hochkomplex. Der Verursachungsnachweis ist ohne die Einholung von Sach-

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OLG Düsseldorf GWR 2009, 252; vgl. BeckOK-BGB/Spickhoff Art. 40 EGBGB Rdn. 23. OLG München CR 2012, 119 ff.

BGB. 1990 I S. 2643. Zöller/Vollkommer § 32a Rdn. 2.

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verständigengutachten fast nie zu führen. Doch sieht das Umwelthaftungsrecht in § 6 UmweltHG Beweiserleichterungen vor. 2

2. Verfahrenskonzentration. Der ausschließliche Gerichtsstand, den § 32a normiert, wirkt einer Zersplitterung der örtlichen Zuständigkeiten entgegen.3 Andernfalls kämen Gerichtsstände in Betracht, die sich nach der Belegenheit der Sache, nämlich der gefahrstiftenden Anlage, dem Sitz des Anlagenbetreibers aber auch dem Erfolgsort an den verschiedenen entfernt von der Anlage eingetretenen Schäden ergeben würden. § 32a bewirkt somit eine Konzentration der Verhandlung und Entscheidung über die Ansprüche aller Geschädigten vor einem einzigen Gericht. Damit werden sich widersprechende Entscheidungen vermieden und im Übrigen prozessökonomische Zwecke verfolgt. Zugleich wird damit bei der Einholung von Sachverständigengutachten eine Kostenersparnis und eine Beschleunigung des Verfahrens erreicht.4 II. Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes

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1. Ausschluss der Deliktszuständigkeit des Erfolgsortes. Der Gerichtsstand § 32a ist ausschließlich.5 Nur das Gericht ist örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Anlage liegt, von der die schadensstiftende Umwelteinwirkung ausgegangen ist. Eine Beurteilung der örtlichen Zustände nach dem Erfolgsort, an dem der Kläger die Rechtsgutverletzung erlitten hat, wird damit nach § 30a entgegen § 32 bei der Beurteilung der Zuständigkeit ausgeschlossen.

4

2. Sachliche Zuständigkeit. Für die sachliche Zuständigkeit bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen.

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3. Verdrängung besonderer Gerichtsstände. Neben dem Tatortgerichtsstand des § 32 werden auch die Gerichtsstände des Erfüllungsorts nach § 29 verdrängt, soweit es sich um Vertragsansprüche handelt, was z.B. bei Schäden der Fall sein kann, die der Kunde eines Kraftwerkbetreibers wegen Immissionen des Kraftwerkes erleidet, die sich im Vertragsverhältnis als Pflichtverletzung darstellen können. Ausgeschlossen werden im Übrigen spezialgesetzliche Sondergerichtsstände wie der nach § 6 Abs. 2 ÖlschadenG.

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4. Ausschluss von Gerichtsstandvereinbarungen; Kein rügeloses Einlassen. Besondere Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 2. HS sind wegen der Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes nach § 32a stets unwirksam.6 Durch rügelose Einlassung des beklagten Anlagenbetreibers kann ebenfalls ein an7 derer Gerichtsstand nicht begründet werden, § 40 Abs. 2 S. 2.7 Nichts anderes gilt, wenn der Schadensersatzanspruch im Wege der Widerklage oder der Zwischenfeststellungsklage geltend gemacht wird.8

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5. Kritik der Regelung. Die Konzentration der örtlichen Zuständigkeit nach § 32a schließt nach alledem eine Verhandlung am Erfolgsort, an dem der Schaden eingetreten

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Vgl. BT-Drucks. 11/7881, S. 38; MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 1. Vgl. Musielak/Heinrich § 32a Rdn. 1. BeckOK/Toussaint § 32a Rdn. 8; Saenger-ZPO/Bendtsen § 32a Rdn. 6. MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 10. MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 10. Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 15.

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ist, wegen der Vielzahl möglicher Erfolgsorte aus (oben). Wird durch eine Mehrheit von Anlagen, die sich im Bezirk verschiedener Gerichte befinden, ein Schaden an einem Ort durch denselben Beklagten als Anlagenbetreiber verwirklicht, kann der Gesamtschaden nicht in einem einheitlichen Prozess vor dem Gericht des Erfolgsortes gemäß § 32 geltend gemacht werden,9 da § 32a einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet. In diesem Fall werden die örtlichen Zuständigkeiten aufgespalten. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur10 kritisiert, dies sei im Falle „summierter Immissionen“, in denen aus den schadenstiftenden Verursachungsbeiträgen verschiedener in unterschiedlichen Gerichtsbezirken belegener Anlagen problematisch. Die Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes führt dabei dazu, dass der beklagte Anlagenbetreiber sich auch nicht rügelos zu einer einheitlichen Behandlung des Gesamtschadens vor einem Gericht einlassen kann. Auch scheidet eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. Nr. 4 aus. Denn bei einer Mehrzahl von Anlagen handelt es sich gerade nicht um ein und dieselbe Anlage, die sich über mehrere Gerichtsbezirke erstreckt. Und ein Wahlrecht des Klägers nach § 35 ist ausgeschlossen, da eine Zuständigkeit des gewählten Gerichts für den Gesamtschaden vom Gesetz nicht vorgesehen wird.11 Ob dies in der Tat so problematisch ist, wie in der Literatur angenommen, kann aber dahingestellt bleiben. Denn in jedem der „bei summierten Immissionen“ als Schadensverursachung zu führenden Prozessen ist zunächst die schadensstiftende Handlung selbst, nämlich die konkrete Einzelimmission darzulegen und unter Beweis zu stellen. Nicht anders wäre dies vor dem einheitlichen Gerichtsstand des Erfolgsortes gemäß § 32. Abweichende Beurteilungen kommen dann aber erst in Betracht, wenn vor jedem Gericht nach § 32a über die Immission durch die Anlage im Bezirk des anderen Gerichts Beweis zu erheben ist. Schließlich besteht die Gefahr sich widersprechender Bewertungen bei der Beurteilung der Kausalitätsfrage, nämlich der Beurteilung des Zusammenwirkens der verschiedenen Emissionen bei der Verursachung des eingetretenen Schadens. Die ZPO sieht nun zwar keine Court-zu-Court-communication vor, wie sie in manchen Bereichen des grenzüberschreitenden Verfahrensrechts bekannt sind. Es ist aber daran zu denken, dass das Verfahren am Gericht B unterbrochen wird, bis die Beweisaufnahme im Verfahren des Gerichts A abgeschlossen und den Parteien Gelegenheit gegeben wird, dessen Ergebnis in das Verfahren B einzuführen. Es ist auch daran zu denken, dass in beiden Verfahren ein Sachverständiger bestellt wird. III. Subjektiver Geltungsbereich 1. Kläger. Jeder durch Umwelteinwirkungen beim Betrieb der Anlage Geschädigte 9 kann Kläger einer Klage i.S.v. § 32a sein.12 Erfasst werden auch Arbeitnehmer, die Schäden aufgrund ihrer Arbeitsleistungen in der Anlage für den Inhaber (Betreiber) erlitten haben.13 Auch wenn die Mehrzahl von Geschädigten, die Massenschäden geltend machen würden, in einem konkreten Fall nicht vorliegt, greift die Vorschrift dennoch ein. Der ausschließliche Gerichtsstand des § 32a kommt daher auch dann zum Zuge, wenn nur ein einzelner Geschädigter gegen den Inhaber Klage erhebt.14

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9 Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 19. 10 Statt aller: Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 19. 11 Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 19. 12 BeckOK/Toussaint § 32a Rdn. 1. 13 Vgl. MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 4. 14 Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 3.

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2. Beklagter. Der Gerichtsstandes § 32a kommt aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts nur bei Klagen zum Zuge, die „gegen den Inhaber“ einer Anlage erhoben werden, die in Anhang 1 zum UmweltHG genannt sind. Als zulässigkeitsbegründende Frage der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit ist daher die Inhaberschaft im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu klären. Überzeugend wird in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass der Inhaberbegriff, der durch das UmweltHG nicht legaldefiniert wird, durch Auslegung des materiellen Umwelthaftungsrecht näher zu bestimmen ist.15 Die Orientierung an den Kriterien des Umwelthaftungsrechtes zur Auslegung des Inhabers einer Anlage hat freilich damit zu tun, dass es beim ausschließlichen Gerichtsstand des § 32a gerade darum geht, durch die Gerichtskonzentration die Ansprüche wegen der aus dem Betrieb der Anlage herrührenden Schäden und ihre prozessuale Geltendmachung zu bündeln (vgl. Rdn. 2). Dies wird wie im öffentlich-rechtlichen Umwelthaftungsrecht16 durch einen weiten Inhaberbegriff erreicht, der nicht allein an der Eigentümerstellung, sondern am Betreiben der Anlage orientiert ist. Im Zusammenhang des § 32a werden daher zu Recht Inhaberschaft und Betreiberschaft gleichlautend verstanden. Der Inhaberbegriff ist in diesem Zusammenhang aber weiter als der des Betreibers.17 Dies ist insoweit deshalb erforderlich, weil der Inhaberbegriff die Haftung für Anlagen i.S.d. UmweltHG auch für solche Fälle erfasst, in denen die Anlage noch nicht in Betrieb genommen ist oder der Betrieb eingestellt worden ist, die Anlage aber bereits vor ihrer Inbetriebnahme18 oder noch nach ihrer Stilllegung19 schadensstiftend ist. Jeder rechtliche oder wirtschaftliche Inhaber der Anlage kann daher vor Aufnahme des Betriebes, während des Betriebes oder nach Beendigung des Betriebes in Anspruch genommen werden. Er kann auch dann in Anspruch genommen werden wenn er den Betrieb einem Dritten überlassen hat. Und der Dritte kann als Betreiber in Anspruch genommen werden. All diese Fälle werden von § 32a erfasst. Im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung bedarf es der abschließenden Klärung der 11 Inhaberschaft nicht. Denn bei den Tatsachen, aus denen auf die Inhaberschaft des Beklagten zu schließen ist, handelt es sich um doppelrelevanter Tatsachen. Daher darf und muss das Gericht die Inhaberschaft des Beklagten unterstellen, wenn der geltend gemachte Schadensersatzanspruch von diesem Tatbestandsmerkmal abhängt. Die Klage ist dann als unbegründet abzuweisen, wenn sich im Verlauf des Prozesses ergibt, dass der in Anspruch genommene Beklagte nicht Inhaber der Anlage ist. Das Gesetz nennt die Rolle des Inhabers als Beklagter des Prozesses i.S.v. § 32a ausdrücklich. Daraus ist zu schließen, dass allein im Falle einer Klage gegen den Inhaber, also in dem Falle, in dem der Inhaber eine Beklagtenstellung einnimmt, im § 32a gegeben ist. Klagt der Inhaber dagegen im Wege der negativen Feststellungsklage gegen Geschädigte, bekommt der Gerichtsstandes § 32a nicht in Betracht, sondern der Prozess muss vor dem allgemeinen Gerichtsstand des Geschädigten geführt werden. In Betracht kommt dann auch der Gerichtsstand des Erfolgsortes nach § 32, was wiederum auf Sitz oder Wohnsitz des Geschädigten verweist.

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15 Vgl. BeckOK/Toussaint § 32a Rdn. 5; MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 5; Musielak/Heinrich § 32a Rdn. 6 jeweils m.w.N. 16 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 4. 17 Saenger-ZPO/Bendtsen § 32a Rdn. 4; vgl. auch: MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 5. 18 MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 5. 19 MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 5.

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IV. Klagen 1. Umwelthaftungs- und andere Gefährdungshaftungstatbestände. Im Gerichts- 12 stand des § 32a sind Schadensersatzklagen zu erheben, die auf §§ 1 ff. UmweltHG20 gestützt werden. § 18 Abs. 1 UmweltHG stellt aber fest, dass das Gesetz die Haftung aufgrund anderer Vorschriften unberührt lässt. Es kommt insoweit und für den Gerichtsstand § 32a nur darauf an, dass der geltend gemachte Schaden durch eine Umwelteinwirkung verursacht worden ist. Die Klage kann dabei auch auf andere Anspruchsgrundlagen als die nach dem UmweltHG gestützt werden. Dies wird unter anderem darauf gestützt, dass im Unterschied zu anderen Spezialgerichtsständen der Gefährdungshaftung wie § 14 BImSchG21, § 20 StVG22 der § 32a in die ZPO eingefügt worden ist. 2. Deliktische Tatbestände. Daher kann die Klage, die vor dem Gerichtsstand nach 13 § 32a erhoben wird, auch auf unerlaubte Handlung nach §§ 823, 826 BGB gestützt werden.23 Es kommen auch sonstige Gefährdungshaftungstatbestände in Betracht, so dass § 32a auch für § 7 StVG, § 89 WHG, § 14 S. 2 BImSchG, § 84 AMG, § 30 GenTG in Betracht kommen. Diese Tatbestände erlauben insbesondere die Geltendmachung von Schadenersatz, der über den Haftungsrahmen des UmweltHG hinausgeht. Dieses setzt nämlich in seinem § 15 Haftungshöchstbeträge voraus. Außerdem wird die Liquidation von so genannten Bagatellsachschäden in § 5 UmweltHG ausgeschlossen. Weiter kommen sachenrechtliche Anspruchsgrundlagen insbesondere aus nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüchen gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB in Betracht.24 3. Vertragliche Schadenersatzansprüche. Werden Schadensersatzansprüche auf 14 Vertrag, insbesondere Pflichtverletzungen nach §§ 280, 283 BGB gestützt, verdrängt der ausschließliche Gerichtsstand des § 32a den des Erfüllungsorts nach § 29. 4. Atomrechtliche Ansprüche. § 18 Abs. 2 UmweltHG sieht ausdrücklich vor, dass 15 Schäden, die auf ein nukleares Ereignis zurückgehen, nach dem UmweltHG nicht geltend gemacht werden können. Hier greifen bei der Haftung für Atomanlagen die Spezialregelungen des Art. 25 AtomG i.V.m. dem Pariser Atomhaftungsübereinkommen.25 Kernanlagen fallen danach nicht unter die Anlagen I des UmweltHG. § 32a kommt nicht zur Anwendung, weil Art. 13 des Pariser Atomhaftungsübereinkommens eine eigenständige und ausschließliche Gerichtsstandsregelung trifft. Wird dagegen ein Umweltschaden durch Verwendung radioaktiven Materials beim Betrieb einer unter die Anl. 1 zum UmweltHG fallenden Anlage verursacht, kommt § 26 AtomG zum Tragen, so dass eine Zuständigkeit nach § 32a in Betracht kommt.26 V. Schaden aufgrund Umwelteinwirkung Der Schaden, der vom Kläger behauptet wird, muss durch eine Umwelteinwirkung 16 verursacht sein, um den Gerichtsstand nach § 32a zu begründen. Ob dies der Fall ist, be-

_____ 20 21 22 23 24 25 26

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Musielak/Heinrich § 32a Rdn. 7. Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 7; Zöller/Vollkommer § 32a Rdn. 1, 7. Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 7. Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 7. Musielak/Heinrich § 32a Rdn. 7. Stein/Jonas/Roth § 32a Rdn. 9. Musielak/Heinrich § 32a Rdn. 8.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

urteilt sich nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 UmweltHG.27 Danach beruht ein Schaden auf Verursachung durch eine Umwelteinwirkung, wenn er auf Immissionen einer Anlage beruht, die sich auf „Boden, Luft oder Wasser“ (auf einem so genannten „Umweltpfad“), ausgebreitet haben. Unter die hier in Betracht kommenden Immissionen nach § 3 Abs. 1 UmweltHG fallen „Stoffe, Erschütterungen, Geräusche, Druck, Strahlen, Gas, Dämpfe, Wärme oder sonstige Erscheinungen“. Nur ideelle Immissionen fallen nicht hierunter: Der ästhetisch abstoßende Eindruck, den eine Anlage vermitteln mag, rechtfertigt daher die Inanspruchnahme des Inhabers/Betreibers vor dem ausschließlichen Gerichtsstand des § 32a nicht. 17 § 6 Abs. 1 UmweltHG normiert insoweit eine Erleichterung der Darlegungslast des Klägers als dieser lediglich dazutun hat, dass nach den Gegebenheiten des Einzelfalles die Anlage geeignet ist, den entstandenen Schaden zu verursachen.28 Weist dagegen der Inhaber nach, dass die Anlage im Normalbetrieb gearbeitet hat und bestimmungsgemäß betrieben wurde und, findet die Ursachenvermutung nach § 6 Abs. 2 S. 1 UmweltHG keine Anwendung. Legt der in Anspruch genommene Inhaber dar und stellt unter Beweis, dass nach den Umständen des Einzelfalles eine Alternativursache für den eingetretenen Schaden in Betracht kommt, ist die Ursachenvermutung nach § 7 UmweltHG ebenfalls ausgeschlossen.29 VI. Anlagenbegriff 18

„Anlage“ i.S.v. § 32a ist eine ortsfeste Einrichtung, wie eine Betriebsstätte oder ein Lager, Maschinen, Gerätefahrzeuge und sonstiger ortsveränderliche technische Einrichtungen sowie neben Einrichtungen die mit der Anlage oder einem Anlageteil in einem räumlichen- oder betriebstechnischen Zusammenhang stehen (§ 3 Abs. 2, Abs. 3 UmweltHG).30 § 32a greift auch für eine noch nicht fertig gestellt oder nicht mehr betriebene Anlage. Auch insoweit kommt es allein darauf an, dass sie unter den Definitionsbereich des § 3 Abs. 2 und Abs. 3 Umwelthaftung UmweltHG fällt. Um welche Anlagen es sich in concreto handelt, ergibt sich aus dem Anhang zu § 1 19 UmweltHG. Dort sind 96 Anlagetypen abschließend aufgeführt. Ebenso wie beim Begriff des Inhabers handelte sich beim Anlagenbegriff um eine doppelrelevante Tatsache.31 VII. Erscheinungsformen begehrten Schadensersatzes

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Welche Art von Schaden und welche Art von Schadenersatz geltend gemacht wird, ist für den Gerichtsstand nach § 32a unerheblich. Daher kann vor dem ausschließlichen Gerichtsstand des § 32a eine Klage auf Naturalrestitution, Geldersatz, aber auch auf Auskunft gerichtet sein.32 Ferner ist der Gerichtsstand des § 32a für Unterlassungsklagen zur Abwehr aus der Anlage drohender Schadensereignisse einschlägig, was folgerichtig ist, da gerade auch für diese Fälle die Gerichtskonzentration sinnvoll ist. Nach Maßgabe des § 1 Umwelt HG können Personen oder Sachschäden geltend gemacht werden. Auch kann immaterieller Schaden, namentlich Schmerzensgeld nach § 253 BGB, verlangt werden.33

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BeckOK/Toussaint § 32a Rdn. 2; Musielak/Heinrich § 32a Rdn. 3. Vgl. MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 7 m.w.N. MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 7. MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 3; Zöller/Vollkommer § 32a Rdn. 4. Vgl. MünchKomm/Patzina § 32a Rdn. 9. BeckOK/Toussaint § 32a Rdn. 2 a.E. BeckOK/Toussaint § 32a Rdn. 2 a.E.; Zöller/Vollkommer § 32a Rdn. 7.

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VIII. Geltungsbereich der EuGVVO34 § 32a wird durch die Art. 4, 7 Nr. 2 EuGVVO verdrängt. Hat der beklagte Inhaber der 21 Anlage seinen Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Vertragsstaat, kann er vor dessen Gerichten auch dann verklagt werden, wenn er die schadenstiftenden Anlagen im Inland betreibt. Folglich lässt sich im Geltungsbereich der EuGVVO die von Art. 4 EuGVVO gewollte Verfahrenskonzentration nicht verwirklichen, denn Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stellt die Haftung nach § 1 UmweltHG einer Haftung gleich, die einer Haftung aus unerlaubter Handlung entspricht. Das eröffnet dem Kläger die Möglichkeit, die Klage entweder am Ort der Schadensverursachung als Handlungsort oder am Ort der Rechtsgutsverletzung als Erfolgsort zu erheben. Im Übrigen begründet § 32a S. 1 als autonomes internationales Recht die ausschließliche örtliche Zuständigkeit und die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.

§ 32b Ausschließlicher Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften Abschnitt 1. Gerichte § 32b Reuschle/Kruis (1) Für Klagen, in denen 1. ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation, 2. ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, oder 3. ein Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht, geltend gemacht wird, ist das Gericht ausschließlich am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft zuständig, wenn sich dieser Sitz im Inland befindet und die Klage zumindest auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft gerichtet wird. (2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung die in Absatz 1 genannten Klagen einem Landgericht für die Bezirke mehrerer Landgerichte zuzuweisen, sofern dies der sachlichen Förderung oder schnelleren Erledigung der Verfahren dienlich ist. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

I.

Übersicht Gegenstand und Zweck der Norm ____ 1 1. Normzweck ____ 1 2. Gegenstand der Norm ____ 3 3. Schwächen des Gerichtsstands ____ 8 a) Anknüpfungspunkt ____ 8 b) Einschränkung letzter Halbsatz – teleologische Reduktion ____ 17 4. Übergangsregelung ____ 18

_____

II.

Anwendungsbereich ____ 19 1. Vorbemerkung: Systematik und Prüfungsabfolge ____ 19 2. Gemeinsame Prüfungspunkte im Rahmen von § 32b Abs. 1 Nr. 1 und 2 ____ 22 a) Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ____ 23

34 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012.

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3. 4.

5.

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b) Bezug zu einer falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformation ____ 31 c) Klage richtet sich zumindest auch gegen Emittenten oder Anbieter der sonstigen Vermögensanlage ____ 43 Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ____ 48 Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO ____ 51 a) Normzweck; Übersicht ____ 51 b) Einzelfälle ____ 56 aa) Anlageberatung ____ 56 bb) Anlagevermittler ____ 58 cc) Prospekthaftung im weiteren Sinne ____ 59 dd) Auskunftserteilung ____ 60 ee) Schadensersatzklagen gegen finanzierende Banken ____ 61 ff) Übergeleitete Haftung ____ 64 c) Weiteres Erfordernis: Klage richtet sich zumindest auch gegen Emittent oder Anbieter der sonstigen Kapitalanlage ____ 65 Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 ZPO ____ 70 a) Erfüllungsansprüche unmittelbar aus dem Erwerbsvertrag ____ 72 b) Ansprüche auf angemessene Gegenleistung, § 31 Abs. 1 WpÜG ____ 74

c) Ansprüche auf Nacherfüllung ____ 76 d) Ansprüche bei Nichtabgabe eines Pflichtangebots ____ 77 e) Zinsansprüche ____ 78 f) Ansprüche aus § 12 WpÜG ____ 80 g) Rückabwicklungsansprüche ____ 81 III. Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ____ 82 1. Gerichtsstand am Sitz des Emittenten ____ 83 2. Gerichtsstand am Sitz des Anbieters sonstiger Vermögensanlagen ____ 85 3. Gerichtsstand am Sitz der Zielgesellschaft ____ 90 IV. § 32b Abs. 1 als Wertungskriterium im Rahmen von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ____ 91 V. Abgrenzung zu anderen Zuständigkeitsvorschriften ____ 92 VI. Zuständigkeitskonzentration gemäß Absatz 2 ____ 96 VII. Bedeutung für internationale Streitigkeiten ____ 97 1. Einführung ____ 97 2. Anknüpfung an den Sitz ____ 100 3. Entscheidungszuständigkeit ____ 101 4. Auswirkung auf Anerkennungszuständigkeit ____ 106

Schrifttum Assmann Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, FG Vollkommer (2006) 119; Bachmann Die internationale Zuständigkeit für Klagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation, IPRax 2007, 77; Eichholtz Die US-amerikanische Class action und deutsche Funktionsäquivalente (2002); Cuypers Gerichtliche Zuständigkeit bei fehlgeschlagener Kapitalanlage, WM 2007, 1446, 1450; Gundermann/Härle Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – eine Momentaufnahme zum Jahresende 2006, VuR 2006, 457; Hanisch Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2011); Haß/Zerr Forum Shopping in den USA nach Erlass des KapMuG, RIW 2005, 721; Hecker Der Regierungsentwurf zum Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) aus übernahmerechtlicher Sicht, ZBB 2004, 503; von Hein Der ausschließliche Gerichtsstand für Kapitalanleger-Musterverfahren – eine Lex Anti Americana? RIW 2004, 602; Hess/Michailidou Das Gesetz über Musterverfahren zu Schadensersatzklagen von Kapitalanlegern, ZIP 2004, 1381; Holzborn/Foelsch Schadensersatzpflichten von Aktiengesellschaften und deren Management bei Anlegerverlusten – Ein Überblick, NJW 2003, 932; Hustedt Prozessuale Probleme bei Kapitalanlageprozessen aus der zivilrichterlichen Praxis, NZG 2011, 972; Keller/Kolling Das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren – Ein Überblick, BKR 2005, 399; Kern Anerkennungsrechtliches Spiegelbildprinzip und europäische Zuständigkeit, ZZP 120, 31; Kilian Ausgewählte Probleme im Musterverfahren nach dem KapMuG (2007); Kirchentellinsfurt Zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, VuR 2012, 282; Maier-Reimer/Wilsing Das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten, ZGR 2006, 79; Meyer Haftung für Research und Wohlverhaltensregeln für Analysten, AG 2003, 610; Möllers/Weichert Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, NJW 2005, 2737; Möllers/Seidenschwann Der erweiterte Anwendungsbereich des KapMuG, NZG 2012, 1401; Mormann Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA: Schutzbedürftigkeit und Schutz deutscher Unternehmen im transatlantischen Justizkonflikt am Beispiel des § 32b ZPO (2010); ders. Die Gerichtsstand-Dreifaltigkeit der

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ausschließlichen Zuständigkeit für Kapitalanlegerklagen nach § 32b ZPO, ZIP 2011, 1182; ders. Satzungsmäßige Gerichtsstandsklauseln für informationsbedingte Kapitalanlegerklagen im europäischen Zuständigkeitsregime, AG 2011, 10; Plaßmeier Brauchen wir ein Kapitalanleger-Musterverfahren? – Eine Inventur des KapMuG, NZG 2005, 609; Pohlmann Rechtsschutz der Aktionäre der Zielgesellschaft im Wertpapiererwerbs- und Übernahmeverfahren, ZGR 2007, 1; Reuschle Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, NZG 2004, 590; ders. Ein neuer Weg zur Bündelung und Durchsetzung gleichgerichteter Ansprüche – Zum Entwurf eines Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG), WM 2004, 2334; ders. Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2006); ders. Der Gerichtsstand nach § 32b ZPO – Anwendungsfälle aus der Praxis, FS Simotta (2012) 471; Schärtl Bezieht sich das Spiegelbildprinzip des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch auf die Zuständigkeisvorschriften der EugVO? IPRax 2006, 438; Schmitt Die Haftung wegen fehlerhafter oder pflichtwidrig unterlassener Kapitalmarktinformationen: Unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Zuständigkeit für Anlegerklagen (2010); Schmitz/Rudolf Entwicklung der Rechtsprechung zum KapMuG, NZG 2011, 1201; B. Schneider Auf dem Weg zu Securities Class Actions in Deutschland? – Auswirkungen des KapMuG auf die Praxis kapitalmarktrechtlicher Streitigkeiten, BB 2005, 2249; Simon Rechtsschutz im Hinblick auf ein Pflichtangebot nach § 35 WpÜG (2005); Söhner Das neue KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz, ZIP 2013, 7; Stackmann Kein Kindergeburtstag – Fünf Jahre KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz, NJW 2010, 3185; Sustmann/Schmidt-Bendun Der Referentenentwurf zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG), NZG 2011, 1207; Thole Der Kampf um den Gerichtsstand bei internationalen Anlegerklagen am Beispiel der Porsche SE, AG 2013, 73; ders. Aktuelle Entwicklungen bei der negativen Feststellungsklage, NJW 2013, 1192; G. Vollkommer Neue Wege zum Recht bei kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten, NJW 2007, 3094. – Ferner mehrere Kommentare zum KapMuG; Wolf/Lange Wie neu ist das neue Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzß, NJW 2012, 3751.

I. Gegenstand und Zweck der Norm 1. Normzweck. § 32b normiert einen ausschließlichen Gerichtsstand bei fal- 1 schen, irreführenden oder unterlassenen Kapitalmarktinformationen. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren vom 16.10.20051 eingeführt und durch das Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vom 19.10.20122 in sachlicher Hinsicht erweitert. Der Norm liegt die Erkenntnis zugrunde, dass falsche Darstellungen gegenüber dem Kapitalmarkt in der Regel Streuschäden mit vielen Geschädigten und vergleichsweise geringen Schadensersatzsummen verursachen3 und die Durchsetzung der materiellen Haftungsansprüche sich wegen des hohen forensischen Aufwands daher in einem rationalen Desinteresse verliert.4 Um die Durchsetzung von Streuschäden der Kapitalanleger zu erleichtern, sieht die Vorschrift die Bündelung paralleler Verfahren bei möglichst einem zuständigen Gericht vor.5 Die Konzentration muss dabei an den allgemeinen Gerichtsstand eines Beklagten (§§ 12, 17 ZPO, Art. 60 EuGVVO) anknüpfen, um die Gefahr zu bannen, dass die Geschädigten an den zersplitterten besonderen Gerichtsständen des vertraglichen Erfüllungsorts und des deliktischen Erfolgsortes prozessieren.6 In Anlehnung an den ausschließlichen Gerichtsstand der Umwelteinwirkung (§ 32a ZPO) hat der Gesetzgeber den ausschließlichen Gerichtsstands im Bereich des Kapitalmarkts geschaffen,7 dessen sachliche Reichweite im Wesentlichen mit dem Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Muster-

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1 Vgl. BGBl. I S. 2437. 2 Vgl. BGBl. I S. 2182. 3 Vgl. Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, BT-Drucks. 14/7515, Rdn. 188. 4 Vgl. Eichholtz Die US-amerikanische Class action und deutsche Funktionsäquivalente, S. 11; Reuschle NZG 2004, 590. 5 KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 1. 6 Vgl. BT-Drucks. 15/5091 S. 33. 7 Kritisch dazu v. Hein RIW 2004, 602, 605 ff.

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verfahrensgesetz übereinstimmt.8 Die Vorschrift bezweckt damit die Verbesserung des Kapitalanlegerschutzes im Bereich kollektiver Rechtsschutzformen.9 Sie bewirkt indes auch jenseits des mit dem KapMuG geschaffenen Musterverfahrens eine Verfahrenskanalisation der Ansprüche geschädigter Kapitalanleger.10 Selbst wenn das Musterverfahren mangels Erreichen des gesetzlichen Quorums von mindestens zehn Musterverfahrensanträgen nicht erreicht wird oder von vornherein keine Musterverfahrensanträge gestellt werden sollen, führt der ausschließliche Gerichtsstand zu einer Anspruchskonzentration beim zuständigen Gericht. Korrespondierende Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit finden sich in § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG und § 66 Abs. 1 S. 1 WpÜG. Mit der Einführung des ausschließlichen Gerichtsstands wurden die Gerichtsstände nach § 48 BörsG a.F. sowie § 13 Abs. 2 VerkProspG a.F. aufgehoben. Die Rechtfertigung des ausschließlichen Gerichtsstands folgt primär aus der Struk2 tur des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes: Durch die Kanalisierung paralleler Rechtsstreite vor einem Ausgangsgericht wird gewährleistet, dass im Fall des Erreichens des notwendigen Quorums von zehn Parallelrechtsstreiten die entscheidungserheblichen Tatsachen- und Rechtsfragen dem übergeordneten Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt werden können.11 Der ausschließliche Gerichtsstand fördert dabei die Einheitlichkeit der Beweisaufnahme, vermindert die Kosten und beschleunigt das Verfahren.12 Die in der Praxis häufig schwierige Gewinnung von geeigneten Sachverständigen wird erleichtert, da entweder im Rahmen der Verfahrensverbindung oder im Rahmen eines Musterverfahrens nur noch ein einziger Sachverständiger eingeschaltet werden muss,13 während ohne die vorgesehene Konzentration möglicherweise in mehreren Verfahren bei verschiedenen Gerichten eine Vielzahl von Sachverständigen Gutachten zu erstellen hätte. Die Konzentration ermöglicht zudem eine Verwertung der Ergebnisse laufender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren.14 3

2. Gegenstand der Norm. Der Gerichtsstand erfasst entgegen der amtlichen Überschrift nicht nur an öffentliche Kapitalmarktinformationen anknüpfende Schadensersatzansprüche (Nummer 1 und 2), sondern auch Erfüllungsansprüche aus Verträgen, die auf einem Angebot nach dem WpÜG beruhen (Nummer 3). Anlass für den Gesetzgeber zur Einbeziehung der Erfüllungsansprüche war, dass bei Klagen auf Erfüllung eines nach dem WpÜG zustande gekommenen Vertrages in der Regel die Höhe der geschuldeten Gegenleistung streitig sein dürfte. Diese hängt in vielen Fällen von schwierigen Fragen der Unternehmensbewertung ab, die sich nur durch teure Sachverständigengutachten klären lassen. Die Hemmschwelle des einzelnen Anlegers für die gerichtliche Geltendmachung ist deshalb in diesen Fällen nicht geringer zu veranschlagen als in Fällen der Feststellung der Fehlerhaftigkeit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation.15 Es handelt sich somit um die Problematik sog. „Streuschäden“ bzw. – hier – von „Streuansprüchen“. Der Gerichtsstand dient daher einer Kanalisierung sämtlicher Erfüllungsansprü-

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8 Vgl. BGH Beschl. v. 30.1.2007 – X AZR 381/06, NJW 2007, 1384. 9 MünchKomm/Patzina § 32b Rdn. 1; ausführlich Mormann Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, Diss. 2010, S. 217 ff.; Reuschle FS Simotta (2012), S. 471. 10 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 33; Mormann (Fn. 9), S. 220. 11 Vgl. § 4 KapMuG. 12 Vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 15/5091, S. 33; Mormann (Fn. 9), S. 220. 13 Vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 15/5091, S. 33; KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 3. 14 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 33, S. 52. 15 Sehr kritisch gleichwohl Kilian Ausgewählte Probleme im Musterverfahren nach dem KapMuG, 2007, S. 173 f., der eine besondere Schutzbedürftigkeit verneint.

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che am Sitz der Zielgesellschaft. Nummer 3 begründet sowohl für den Bieter i.S.v. § 2 Abs. 4 WpÜG als auch die Aktionäre der Zielgesellschaft einen ausschließlichen Gerichtsstand. Dadurch werden die Aktionäre der favor defensionis des Grundsatzes actor sequitur forum rei beraubt.16 Die Anknüpfung der Zuständigkeit am Sitz der Zielgesellschaft rechtfertigt sich indes aus der besonderen Sachnähe.17 Für Schadensersatz- und Erfüllungsansprüche gilt gleichermaßen, dass die gerichts- 4 standbegründenden Voraussetzungen sog. „doppelrelevante Tatsachen“ darstellen. 18 Zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ist daher die schlüssige Behauptung der gerichtsstandbegründenden Tatbestandsmerkmale, hier der falschen, irreführenden oder unterlassenen Kapitalmarktinformation, durch den Kläger erforderlich, aber auch ausreichend.19 Nach Nummer 1 gilt der Gerichtsstand für „Klagen, in denen ein Schadensersatz- 5 anspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation geltend gemacht wird.“ Nummer 2 eröffnet den Gerichtsstand für Schadensersatzansprüche „wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist“. Nummer 3 normiert den sachlichen Anwendungsbereich „für Klagen, in denen ein Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- oder Übernahmegesetz beruht, geltend gemacht wird.“ Allen drei Anwendungsfällen ist ein zweidimensionaler Regelungsansatz gemein:20 Der ausschließliche Gerichtsstand wird über den zugrunde liegenden Sachverhalt und die begehrte Rechtsfolge definiert. In den Fällen der Nummern 1 und 2 muss der eingeklagte Anspruch sachverhaltsmäßig an eine öffentliche Kapitalmarktinformation anknüpfen, die falsch, irreführend oder entgegen einer Informationspflicht unterlassen oder im Rahmen der Anlageberatung oder -vermittlung falsch oder irreführend verwendet worden ist. Hinsichtlich seiner Rechtsfolge muss der Anspruch jeweils auf Schadensersatz gerichtet sein. Im Gegensatz zu den Schadensersatzansprüchen grenzt Nummer 3 den geltend gemachten Erfüllungsanspruch noch genauer ein. Der Anspruch muss sich sachverhaltsmäßig aus einem Vertrag ergeben, der auf ein Angebot nach dem WpÜG zurückgeht. Hinsichtlich der Rechtsfolge muss der Kläger mit dem verfolgten Anspruch die Erfüllung der vertraglichen Pflichten des Bieters begehren. Die ausschließliche Zuständigkeit knüpft an den Sitz des betroffenen Emittenten, 6 des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen21 respektive der Zielgesellschaft an.22 Das Gericht, in dessen Bezirk der betroffene Emittent, der betroffene Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen oder die Zielgesellschaft ihren Sitz haben, ist örtlich ausschließlich zuständig. Die Vorschrift normiert insgesamt drei ausschließliche Gerichtsstände, die in Abhängigkeit des geltend gemachten Anspruchs voneinander abzugrenzen sind. Das Gericht am Sitz des betroffenen Emittenten ist ausschließlich für Kla-

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16 Zutreffend Mormann (Fn. 9), S. 298. 17 BT-Drucks. 15/5091, S. 16 f. Vgl. auch die Gesetzesmaterialien zum besonderen Gerichtsstand des § 66 Abs. 1 S. 3 WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 69. 18 KK-KapMuG/Kruis 2. Auflage, § 1 Rdn. 21 a.E.; KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 10; Mormann (Fn. 9), S. 236. 19 Zöller/Vollkommer30 § 12 Rdn. 14; MünchKomm/Patzina § 12 Rdn. 56. 20 Mormann (Fn. 9), S. 244, 291. 21 Dieser Begriff wurde auf Vorschlag des Rechtsausschusses (vgl. BT-Drucks. 15/5695, S. 5, 15) eingefügt, um klarzustellen, dass auch der sog. Graue Kapitalmarkt dem ausschließlichen Gerichtsstand des § 32b unterfällt. 22 Kritisch zu der Gerichtsstandtrias Mormann (Fn. 9), S. 320 ff.

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gen auf Schadensersatz nach Nummer 1 und 2 zuständig, die sich auf eine Anlage in Wertpapieren i.S.v. § 2 Nr. 1 WpPG beziehen. Ausgenommen sind dagegen Klagen von Gesellschaftern der Zielgesellschaft, denen ein Haftungsanspruch für eine Angebotsunterlage i.S.v. § 11 WpÜG zugrunde liegt.23 Derartige Ansprüche sind am Sitz der Zielgesellschaft geltend zu machen. Darüber hinaus ist das Gericht am Sitz der Zielgesellschaft ausschließlich für Klagen auf Erfüllung nach Nummer 3 zuständig. Das Gericht am Sitz des betroffenen Anbieters sonstiger Vermögensanlagen ist für alle verbleibenden Schadensersatzklagen nach Nummer 1 und 2 zuständig. Die Prorogation sowie eine Zuständigkeitsbegründung durch rügeloses Verhan7 deln scheiden nach § 40 Abs. 2 aus.24 Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt auch bei gesetzlichen Änderungen der Zuständigkeit. 25 Insofern erfolgt keine Verweisung von Rechtsstreitigkeiten nach § 281 Abs. 1, die vor Inkrafttreten des § 32b Abs. 1 eingeleitet wurden.26 3. Schwächen des Gerichtsstands a) Anknüpfungspunkt. Die in § 32b normierte Gerichtsstandtrias verursacht verschiedene Schwierigkeiten, wenn ein Sachverhalt scheinbar Bezüge zu zwei seiner Gerichtsstände aufweist. Darüber hinaus führt die Einfügung des Begriffs des „Anbieters sonstiger Vermögensanlagen“ neben dem Begriff des Emittenten dazu, dass scheinbar eine Zersplitterung der Gerichtsstände droht. 9 Nach der Zielsetzung der Regierungsbegründung zum KapMuG 2005 sollen sämtliche Klagen i.S.v. § 32b am Sitz desjenigen Unternehmens gebündelt werden, dessen Unternehmensdaten zur Überprüfung der streitgegenständlichen Kapitalmarktinformation erforderlich sind.27 Der Regierungsentwurf sah für § 32b a.F. deshalb ursprünglich eine Parallelkon10 struktion zwischen dem Schadensersatz- und dem Erfüllungsanspruch einerseits und den – damals noch zwei – Gerichtsständen am Sitz des Emittenten respektive der Zielgesellschaft vor.28 Der Gesetzgeber verfolgte dabei das Ziel, dass der Gerichtsstand am Sitz des Emittenten für Schadensersatzansprüche, der Gerichtsstand am Sitz der Zielgesellschaft für Erfüllungsansprüche nach dem WpÜG gelten sollte.29 Dieser Parallelismus der Regelungssystematik wurde durch die Aufnahme des Gerichtsstands am Sitz des Anbieters sonstiger Vermögensanlagen durch den Rechtsausschuss des Bundestages aufgehoben.30 Was unter dem „Anbieter sonstiger Vermögensanlagen“ zu verstehen ist, ist aller11 dings umstritten. In Rechtsprechung und Literatur wird teilweise unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zum AnSVG31 als Anbieter derjenige angesehen, der „für das öffentliche Angebot der Vermögensanlage verantwortlich ist, den Anlegern gegenüber nach außen erkennbar als Anbieter auftritt“.32 8

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23 Ebenso Mormann (Fn. 9), S. 336. 24 Vgl. dazu auch dazu Mormann (Fn. 9), S. 320. 25 BGH Beschluss vom 15.3.1978, IV ARZ 17/78, NJW 1978, 1163, 1164. 26 Vgl. BT-Drucks. 15/5091 S. 33. 27 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 33. 28 Vgl. Mormann (Fn. 9), S. 334. 29 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 33. KK-KapMuG/Hess § 32b ZPO Rdn. 13. 30 Vgl. BT-Drucks. 15/5695, S. 23. 31 BT-Drucks. 15/3174, S. 42. 32 So BGH WM 2013, 1643; BGH NJW 2007, 1364 Tz. 11; BGH NJW 2009, 513 Tz. 15; zustimmend Mormann ZIP 2011, 1190; ebenso Zöller/Vollkommer, 30. Auflage, § 32b Rdn. 7; ähnlich Cuypers WM 2007, 1446, 1451.

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Dieses Verständnis ist jedoch unzutreffend. Wie aus den Gesetzgebungsmaterialien 12 zur ersten Fassung des KapMuG bzw. § 32b a.F. hervorgeht, wurde der Begriff des „Anbieters sonstiger Vermögensanlagen“ als Anknüpfungspunkt auf Vorschlag des Rechtsausschusses eingefügt, um auch geschlossene Fonds in der Form der Unternehmensbeteiligung zu berücksichtigen. Wörtlich heißt es hierzu in der Begründung des Rechtsausschusses für die von ihm vorgeschlagene Änderung: „Eine sachliche Änderung ist die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des KapMuG auch auf alle „Anbieter sonstiger Vermögensanlagen“, also etwa geschlossene Fonds in der Form der Unternehmensbeteiligung (z.B. Immobilien-, Solar-, Windenergie-Fonds)“. 33 Ganz offensichtlich hatte der Rechtsausschuss übersehen, dass das Gesetz nicht nur den Emittenten von Wertpapieren i.S.v. § 2 Nr. 9 WpPG, sondern auch den Emittenten von Vermögensanlagen, §§ 1 Abs. 3, 20 Abs. 5 VermAnlG, kennt.34 Bereits aus der Aussage, bei einem geschlossenen Fonds handele es sich um einen Anbieter einer sonstigen Vermögensanlage, ergibt sich, dass als Anbieter i.S.v. § 1 KapMuG a.F. bzw. § 32b a.F. nicht derjenige anzusehen ist, der nach außen als Verantwortlicher für das Angebot aufgetreten ist (z.B. der Initiator), sondern die Fondsgesellschaft selbst als Anbieter in diesem Sinne anzusehen ist.35 Anbieter sonstiger Vermögensanlagen ist damit der Emittent außerhalb des Wertpapierbereichs. Dieses Ergebnis wird durch weitere Bestimmungen in der ursprünglichen Fassung 13 des KapMuG bestätigt, die ebenfalls auf Initiative des Rechtsausschusses36 angepasst wurden. In § 1 Abs. 1 S. 2 KapMuG a.F. (= § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG n.F.) wurden als öffentliche Kapitalmarktinformationen solche für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmte Informationen definiert, die „einen Emittenten von Wertpapieren oder Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen“ betreffen. Und gemäß § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 KapMuG a.F. war im Klageregister u.a. die Bezeichnung des „betroffenen Emittenten von Wertpapieren oder Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen“ bekannt zu machen. Diese Stellen belegen, dass unter dem Anbieter sonstiger Vermögensanlagen das jeweilige Unternehmen, insbesondere im Bereich des grauen Kapitalmarktes die jeweilige Fondsgesellschaft, zu verstehen ist, nicht andere Personen, die nach außen (zusätzlich) die Verantwortung für die Anlage übernehmen. Nur dieses Ergebnis lässt sich auch mit der Zielsetzung in Übereinstimmung bringen, durch § 32b Verfahren „am Sitz des [betroffenen] Unternehmens“ zu konzentrieren.37 Nur bei einem derartigen Verständnis lässt sich auch das gesetzgeberische Ziel der 14 Verfahrensbündelung zumindest ansatzweise erreichen. Da das Kapitalmarktrecht neben dem Anbieter von Vermögensanlagen auch den Anbieter von Wertpapieren, § 2 Nr. 10 WpPG, regelt, drohte mit der Einfügung des Begriffs „Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen“ im Falle eines anderen Verständnisses eine Zersplitterung des Gerichtsstands. Denn Anbieter und Emittent sind nur bei sog. Eigenemissionen identisch. Regelmäßig werden Wertpapiere und andere Vermögensanlagen über sog. Fremdemissionen durch einen Emissionsbegleiter am Markt platziert. In diesen Fällen ist der Anbieter nicht mit dem Emittenten identisch.38 Bei geschlossenen Fonds, die in der Rechtform einer GbR oder Kommanditgesellschaft angeboten werden, ist dies sogar typischerweise nicht der Fall. Auch eine an der ratio legis der Verfahrenskonzentration ausgerichtete

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33 Vgl. BT-Drucks. 15/5695, S. 23, siehe auch S. 5, 15. 34 Die Vorschriften entsprechen den aufgehobenen Vorschriften der §§ 8f Abs. 1, 13a Abs. 3 VerkProspG. 35 So i.E. auch LG Dortmund 16.7.2013, Az. 1 O 203/10, Rdn. 107 zitiert nach juris. 36 BT-Drucks. 15/5695, S. 5 f. 37 BT-Drucks. 15/5695, S. 25. 38 Vgl. BGH Beschl. v. 30.7.2013, X ARZ 320/13, Rdn. 12.

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Auslegung hat daher die unglückliche Begriffswahl des Gesetzgebers39 dahingehend klarzustellen, dass unter dem Begriff „Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen“ der Emittent von sonstigen, nicht in Wertpapieren i.S.v. § 2 Abs. 1 WpPG bestehenden Vermögensanlagen gemeint ist. Diesem Gesetzverständnis zufolge sind daher die Anbieter von Wertpapieren oder Vermögensanlagen stets am Sitz des Emittenten des Wertpapiers oder der Fondsgesellschaft zu verklagen. Soll eine Zersplitterung der Gerichtsstände vermieden werden, folgt daraus allerdings auch, dass am Sitz der vom Emittenten verschiedenen „Anbieter“ i.S.v. § 2 Nr. 10 WpPG kein Gerichtsstand i.S.v. § 32b ZPO begründet wird. Gleiches gilt für sonstige Vermögensanlagen. Bezogen auf eine Kapitalanlage kann es also immer nur ein örtlich zuständiges Gericht i.S.v. § 32b geben. Ein Problem tritt ferner bei Schadensersatzklagen nach § 12 Abs. 1, Abs. 6 WpÜG auf, 15 die von einem Gesellschafter der Zielgesellschaft aufgrund einer unrichtigen oder unvollständigen Angebotsunterlage i.S.v. § 11 WpÜG erhoben werden. Eine Angebotsunterlage i.S.v. § 11 WpÜG ist bereits aufgrund der ausdrücklichen Aussage in § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 6 KapMuG eine „öffentliche Kapitalmarktinformation“,40 so dass die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach § 12 WpÜG zweifelsfrei ein Anwendungsfall von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ist. Dies wirft die Folgefrage auf, ob derartige Schadensersatzansprüche am Sitz des „Emittenten“ oder am Sitz der „Zielgesellschaft“ geltend zu machen sind. Für die Zuständigkeit des Gerichts am Sitz des Emittenten lässt sich vor allem die Regelungssystematik anführen. Für eine Zuständigkeit des Gerichts am Sitz der Zielgesellschaft spricht dagegen folgende Überlegung: Die Begriffe des Emittenten i.S.v. § 2 Nr. 9 WpPG und dem Begriff des Bieters i.S.v. § 2 WpÜG sind nicht deckungsgleich.41 Unter den Bieterbegriff des § 2 Abs. 4 WpÜG fallen „natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften“. Der Bieter muss daher nicht zugleich Emittent von Wertpapieren nach § 2 Nr. 9 WpPG oder auch nur Anbieter irgendeiner Kapitalanlage sein. Regelmäßig wird zwar in der kapitalmarktrechtlichen Praxis bei strategisch motivierten WpÜG-Angeboten die Emittenteneigenschaft zu bejahen sein.42 Dagegen ist bei sog. Private Equity Fonds ist ein wertpapierrechtlicher Emittentenstatus zu verneinen. In diesen Fällen würde der Gerichtsstand bei Abstellen auf den Sitz des Emittenten leerlaufen. Erst recht gilt dies bei Privatpersonen, die als Bieter auftreten. Stellt man dagegen auf den Sitz der Zielgesellschaft ab, wird dem in § 32b zugrundeliegenden Regelungsansatz Rechnung getragen, dass der Anleger seinen Anspruch auf Schadensersatz dort verfolgen soll, wo für ihn erkennbar sein Geld investiert worden ist.43 Dies spricht dafür, dass eine derartige Schadensersatzklage am Sitz der Zielgesellschaft zu erheben ist. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Bieter auch ein Emittent von Wertpapieren ist und nicht ein Gesellschafter der Zielgesellschaft, sondern ein Gesellschafter des Bieters wegen einer Unrichtigkeit der Angebotsunterlage einen Schadensersatzanspruch geltend machen will. In diesem Fall gilt § 32b Abs. 1 Nr. 1 ohne Besonderheiten, die Schadensersatzklage ist am Sitz des Bieters (freilich in seiner Eigenschaft als Emittent) zu erheben. In diesen Fällen stellt sich die weitere Frage, ob § 32b Abs. 1 in einem solchen Fall 16 nur anwendbar ist, wenn die Klage auch gegen die Zielgesellschaft gerichtet wird, was

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39 A.A. aber im Ergebnis widersprüchlich Mormann (Fn. 9), S. 327, 332, der zwar einerseits die Einfügung des Begriffs „Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen“ als erforderliche Konkretisierung des Emittentenbegriffs deutet, aber von keinem redaktionellen Versehen ausgeht. 40 Zu diesem Begriff unten Rdn. 31 ff. 41 Vgl. ausführlich Mormann (Fn. 9), S. 335. 42 So etwa bei dem Pflichtangebot i.S.v. § 35 der Porsche AG aus dem Jahre 2007 nach dem Erwerb von knapp 31 % der Stimmrechte an der Volkswagen AG. 43 Zutreffend Mormann (Fn. 9), S. 335.

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der Wortlaut zu verlangen scheint. Richtigerweise ist aber für diese Konstellation davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine schon unter Geltung von § 32b a.F. gegebene Zuständigkeit nicht beschränken wollte,44 so dass auf diese weitere Voraussetzung verzichtet werden kann. b) Einschränkung letzter Halbsatz – teleologische Reduktion. Mit der Reform 17 des KapMuG 201245 ist in § 32b Abs. 1 Halbsatz 2 die zusätzliche Voraussetzung aufgenommen worden, dass sich die Klage auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft richten muss. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich der Sitz des Beklagten, etwa eines Anlageberaters oder Anlagevermittlers oder einer finanzierenden Bank im Rahmen einer obligatorischen Anteilsfinanzierung,46 in vielen Fällen in örtlicher Nähe zum Kläger befindet, so dass es nicht ohne Weiteres angemessen wäre, einen ausschließlichen Gerichtsstand an einem möglicherweise weit entfernten Ort zu begründen.47 Entsprechend dieser Zielsetzung ist eine Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 zu verneinen, wenn mit der Klage ausschließlich Anlageberater, Anlagevermittler oder sonstige Personen wegen der in § 32b Abs. 1 Nr. 2 aufgeführten Handlungen in Anspruch genommen werden. Eine weitergehende Einschränkung dahin, dass die Zuständigkeit auch bei einer Klage in einer der in § 32b Abs. 1 Nr. 1 aufgeführten Konstellationen nur noch dann zu bejahen ist, wenn der Emittent, der Anbieter oder die Zielgesellschaft zu den Beklagten gehören, stünde hingegen in Widerspruch zum Ziel der Neuregelung.48 Für die in § 32b Abs. 1 Nr. 1 aufgeführten Tatbestände war der ausschließliche Gerichtsstand nach der bis zum 30.11.2012 geltenden Fassung auch dann begründet, wenn ausschließlich sonstige Prospektverantwortliche in Anspruch genommen wurden.49 Dass der Anwendungsbereich der Vorschrift insoweit eingeschränkt werden sollte, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen und erscheint trotz des Wortlauts von § 32b Abs. 1 Halbsatz 2 ausgeschlossen. 4. Übergangsregelung. Der zeitliche Anwendungsbereich der Norm erfasst grund- 18 sätzlich alle nach dem 31.10.2005 rechtshängig werdenden Klagen.50 Für den Fall, dass bei dem nach altem Recht zuständigen Gericht bereits zehn oder mehr Klagen anhängig sind, welche die Voraussetzungen für ein Musterverfahren nach dem KapMuG ebenso wie die spätere Klage erfüllen, durchbricht § 31 EGZPO diesen Grundsatz und ordnet die ausnahmsweise Behandlung der späteren Klage nach altem Zuständigkeitsrecht an. Für die Frage, ob die alte oder neue Fassung von § 32b zur Anwendung kommt, soll der Zeitpunkt der Anhängigkeit, nicht der Rechtshängigkeit entscheidend sein.51

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44 BGH WM 2013, 1643; näher unten Rdn. 17, 43 ff. 45 Vgl. BGBl. 2012 I S. 2182. 46 Siehe dazu unten Rdn. 61 ff. 47 Vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 27. 48 Zutreffend BGH Beschluss v. 30.7.2013, X ARZ 320/13, Rdn. 22 ff. 49 Vgl. LG Stuttgart Beschluss v. 3.5.2011, WM 2011, 1511 ff. 50 Zum Inkrafttreten von § 32b, vgl. Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung von KapitalanlegerMusterverfahren, BGBl. I 2005, S. 2437 ff. Anders (Anhängigkeit entscheidet) OLG München, 24.7.2008, Az. 23 U 4746/07. 51 OLG Frankfurt/M. NJW 2914, 129; OLG Frankfurt/M. WM 2014, 701; differenzierend OLG München NZG 2013, 995.

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II. Anwendungsbereich 1. Vorbemerkung: Systematik und Prüfungsabfolge. § 32b regelt die örtliche Zuständigkeit für zwei Grundkonstellationen. Zum einen geht es in § 32b Abs. 1 Nr. 1 und 2 um Schadensersatzansprüche in Zusammenhang mit Kapitalanlagen, Gegenstand von § 32b Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind zum anderen Erfüllungsansprüche aus einem Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht. Während der dritte Anwendungsfall verschiedene Besonderheiten aufweist, gibt es bei den ersten beiden Anwendungsfällen Gemeinsamkeiten, denn in beiden Fällen geht es um die – vermeintlichen oder tatsächlichen52 – Ansprüche geschädigter Kapitalanleger. Folgende Punkte sind deshalb sowohl für eine Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 20 als auch gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 zu prüfen: 1. Die Klage muss die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zum Gegenstand haben. 2. Der Erfolg der Klage hängt nach den Behauptungen des potentiellen Anspruchsinhabers von der Falschheit, dem irreführenden Charakter oder dem Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation ab. 3. Die Anwendbarkeit von § 32b Abs. 1 hängt dem Wortlaut nach in beiden Fällen ferner davon ab, dass sich die Klage zumindest auch gegen den Emittenten oder den Anbieter einer sonstigen Vermögensanlage richtet. 4. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich schließlich durch den (inländischen) Sitz des betroffenen Emittenten bzw. des betroffenen Anbieters der sonstigen Kapitalanlage, der dementsprechend für die konkrete Bestimmung des zuständigen Gerichts festzustellen ist. 21 Die Zuständigkeit nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 folgt dagegen gänzlichen anderen Grundgedanken und Erfordernissen. Sie betrifft eine andere Art von Ansprüchen und knüpft mit dem Sitz der Zielgesellschaft auch an einen anderen Umstand an.53 19

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2. Gemeinsame Prüfungspunkte im Rahmen von § 32b Abs. 1 Nr. 1 und 2. Folgende Fragen sind stets sowohl für eine Zuständigkeitsbegründung nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 wie auch nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 zu prüfen.

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a) Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. § 32b Abs. 1 Nr. 1 und 2 begründet seinem klaren Wortlaut nach eine Zuständigkeit nur für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Insofern besteht ein Gleichlauf mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KapMuG, weshalb auf die Erkenntnisse zu dieser Vorschrift zurückgegriffen werden kann.54 Bei einem klageweise geltend gemachten Anspruch handelt es sich zunächst dann um einen Schadensersatzanspruch i.S.v. § 32b Abs. 1 Nr. 1 und 2, wenn der Inhalt des geltend gemachten Anspruchs den §§ 249 ff. BGB entspricht. Als Anspruchsgrundlagen kommen daher zum einen alle Haftungsnormen in Betracht, die als Rechtsfolge die Verpflichtung zum Schadensersatz vorsehen (z.B. § 826 BGB, §§ 37b, 37c WpHG, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263 StGB, 264a StGB, § 331 HGB oder § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG55). Auf die konkrete Form oder die Berechnungsweise des begehrten Schadensersatzes – z.B. in Form der „Rückabwicklung“ der Anlage oder als Ausgleich des „Kursdifferenzschadens“ – kommt es nicht an. Vor dem Hintergrund der spezifisch kapitalmarktrechtlichen Zielsetzung von § 32b ZPO sind als Schadensersatzansprüche i.S.d. Vorschrift aber auch solche Ansprüche einzuordnen, deren Inhalt sich nicht aus den §§ 249 ff. BGB ableitet,

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52 Ob die geltend gemachten Ansprüche bestehen, ist im Rahmen der Zuständigkeit nicht zu prüfen; zu solchen doppelt-relevanten Tatsachen im Rahmen von § 32b siehe Rdn. 31, 57. 53 Hierzu ausführlich Rdn. 70 ff. 54 Ausführlich zu § 1 Abs. 2 KapMuG KK-KapMuG/Kruis 2. Auflage, § 1 Rdn. 18 ff. 55 LG Stuttgart WM 2011, 1511; für § 1 Abs. 1 KapMuG auch BT-Drucks. 15/5091, S. 20, 33 f.

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sondern, wie z.B. in §§ 21, 22 WpPG bzw. früher in § 44 BörsG a.F. vorgesehen, die Erstattung des Erwerbspreises und der Erwerbskosten gegen Übernahme der Wertpapiere o.ä. zum Inhalt haben. Mit anderen Worten: Insofern genügt es für die Einordnung als Schadensersatzanspruch i.S.v. § 32b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, dass ganz oder teilweise die Lage hergestellt werden soll, die bestünde, wenn die öffentliche Kapitalmarktinformation in richtiger und vollständiger Weise veröffentlicht oder nicht unterlassen worden wäre (Nr. 1) oder keine unrichtige öffentliche Kapitalmarktinformation verwendet oder auf deren Unrichtigkeit hingewiesen worden wäre (Nr. 2).56 Ohne Bedeutung ist es, aus welcher konkreten Anspruchsgrundlage der Schadens- 24 ersatzanspruch abgeleitet wird und ob es sich dabei um einen vertraglichen oder einen gesetzlichen Anspruch handelt. Zwar könnte es auf den ersten Blick naheliegen, gesetzliche Ansprüche (z.B. gemäß § 37b WpHG) dem ersten Anwendungsfall zuzuordnen, vertragliche oder vorvertragliche Ansprüche dagegen § 32b Abs. 1 Nr. 2. Bei genauerer Betrachtung lässt sich eine solche Abgrenzung dem Gesetz jedoch nicht entnehmen. So entspricht es z.B. der allgemeinen Ansicht, dass eine Haftung gemäß § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sowohl einen Anlageberater bzw. -vermittler treffen kann wie auch den Veranlasser einer unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung oder den Herausgeber eines unvollständigen Prospekts. Die Unterscheidung zwischen gesetzlichen und (vor-)vertraglichen Ansprüchen lässt somit keine zuverlässige Zuweisung zu den beiden Anwendungsalternativen zu. In den Anwendungsbereich von Nr. 1 und Nr. 2 fallen damit Schadensersatzansprüche im oben beschriebenen Sinne unabhängig von ihrer Rechtsnatur.57 Nach richtiger Ansicht kommt es ferner nicht darauf an, ob der Anspruch deutschem Recht unterliegt.58 Die Prüfung kann dementsprechend auf die Frage beschränkt werden, ob es sich um die Geltendmachung eines „Schadensersatzanspruches“ handelt. Fraglich ist, ob unter Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches noch Klagen 25 zu verstehen sind, in denen das Bestehen eines solchen Anspruchs nur eine Vorfrage darstellt, so z.B. bei Geltendmachung eines Freistellungs- oder Ausgleichsanspruchs i.S.v. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB zwischen mehreren Schuldnern oder im Falle eines vertraglich geregelten Rückgriffs eines Anlageberaters gegen den Emittenten wegen eines Prospektfehlers. Gleiches gilt für die Fälle, in denen die Schadensersatzpflicht auf einen Dritten (z.B. einen Versicherer oder eine Einlagensicherungseinrichtung) übergeleitet wird. In all diesen Fällen wird man, da eine Abweichung vom Grundsatz des forum rei einer besonderen, klaren und rechtfertigenden Grundlage bedarf, von einer vergleichsweise formalen Betrachtung ausgehen müssen. Ist das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs nur eine Vorfrage, genügt dies für die Anwendung von § 32b Abs. 1 nicht, da der streitgegenständliche Anspruch ein anderer ist. Handelt sich dagegen beim streitgegenständlichen Anspruch um einen Schadensersatzanspruch, ändert sich daran auch dann nichts, wenn sich – aufgrund einer Abtretung oder eines gesetzlichen Haftungsübergangs – die Aktiv- oder Passivlegitimation ändert. Selbstverständlich ist es deshalb, dass auch im Falle abgetretener Schadensersatzansprüche § 32b Abs. 1 Geltung beansprucht. Ein Freistellungsanspruch ist dagegen nicht als Schadensersatzanspruch i.S.v. § 32b Abs. 1 zu behandeln. Schließlich ist erforderlich, dass mit der Klage ein Schadensersatzanspruch im oben 26 beschriebenen Sinne geltend gemacht wird. Während dieses Merkmal im Fall einer Leistungsklage unproblematisch ist, ist insbesondere umstritten, ob hiervon auch positive

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Mormann (Fn. 9), S. 263 ff.; Cuypers WM 2007, 1446, 1452. BGH WM 2007, 1364; BGH NJW 2007, 1365; OLG Koblenz NJW 2006, 3723. Mormann (Fn. 9), S. 282 f.; Bachmann IPRax 2007, 77, 85.

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wie negative Feststellungsklagen erfasst werden. Ausgangspunkt dieser Kontroverse ist eine Parallelproblematik im Rahmen von § 1 Abs. 1 KapMuG. Diesbezüglich wird – allein aufgrund missverständlicher Ausführungen in der Gesetzesbegründung – angenommen, dass eine positive Feststellungsklage nicht ausreiche, um die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen anzunehmen. Dies ist bereits für § 1 Abs. 1 KapMuG unzutreffend,59 erst recht gilt dies für § 32b Abs. 1. Wie im Rahmen von § 1 Abs. 1 KapMuG ist vor allem daran zu denken, dass der Kläger wegen drohender Verjährung gehalten sein kann, eine Klage zu erheben, obwohl sich der Schaden noch nicht konkret benennen lässt. Dass mittels einer dann zu erhebenden positiven Feststellungsklage ein Schadensersatzanspruch „geltend“ gemacht wird, kann aber nicht zweifelhaft sein. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb die sachlichen Überlegungen, die nach der Ansicht des Gesetzgebers für den in § 32b Abs. 1 normierten Gerichtsstand sprechen,60 im Fall einer Feststellungsklage keine Geltung beanspruchen sollten. Hinzu kommt schließlich, dass die Gründe, die in der Gesetzesbegründung zu § 1 KapMuG für den Ausschluss von Feststellungsklagen genannt wurden, auf Regelungszusammenhängen innerhalb des KapMuG beruhen61 und auf § 32b Abs. 1 von vornherein nicht übertragbar sind. § 32b Abs. 1 ist aus diesen Gründen auch auf eine positive Feststellungsklage anwendbar und begründet für diese eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit.62 27 Ungeachtet ihrer Qualifikation als positive Feststellungsklagen fallen Klagen auf Feststellung zur Insolvenztabelle nicht in den Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1.63 Kein Anwendungsfall i.S.v. § 32b Abs. 1 ist schließlich gegeben, wenn mit einem An28 spruch i.S.v. § 32b Abs. 1 Nr. 1–2 in einem Verfahren die Aufrechnung erklärt wird. Zwar könnte auch hierin eine „Geltendmachung“ des Anspruchs gesehen werden. Jedoch kommt es für die Möglichkeit einer Prozessaufrechnung nach allgemeiner Ansicht auf Fragen der örtlichen Zuständigkeit nicht an.64 Nichts spricht dafür, dass der Gesetzgeber abweichend von diesem allgemeinen Grundsatz für den Fall einer Prozessaufrechnung eine Regelung treffen wollte. 29 Höchst umstritten ist schließlich, ob § 32b Abs. 1 den Fall einer negativen Feststellungsklage erfasst. Für eine Anwendung von § 32b Abs. 1 spricht zunächst, dass auch in einem solchen Fall alle Gründe, die den Gesetzgeber zur Schaffung des Gerichtsstandes bewogen haben, Geltung beanspruchen. Dies gilt zunächst für die Vermeidung einer Zersplitterung einer Vielzahl von Verfahren (Verfahrenskanalisation65), aber ebenso für die räumliche Nähe zum Sitz des Unternehmens, um dessen Verhältnisse es geht. Es entspricht ferner dem bzgl. anderer Zuständigkeitsnormen anerkannten Grundsatz, dass diese zugleich die Zuständigkeit für negative Feststellungsklagen begründen.66 Aus diesen Gründen wird die Anwendung von § 32b Abs. 1 auf negative Feststellungsklagen teilweise und mit beachtlichen Gründen befürwortet.67

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59 Siehe KK-KapMuG/Kruis 2. Auflage, § 1 Rdn. 7 ff. 60 Siehe dazu oben Rdn. 1 f. 61 Näher dazu KK-KapMuG/Kruis 2. Auflage, § 1 Rdn. 9 ff. 62 Ebenso Stein/Jonas/Roth 23. Auflage, § 32b Rdn. 6; Mormann ZIP 2011, 1182, 1183, a.A. Musielak/ Heinrich 11. Auflage, § 32b Rdn. 5a (nur Leistungsklage). 63 Unten Rdn. 94. 64 Zöller/Greger (Fn. 19), § 145 Rdn. 19 m.w.N. 65 Dazu oben Rdn. 1, 3. 66 Zöller/Vollkommer (Fn. 19), § 12 ZPO Rdn. 3 m.w.N. 67 LG Göttingen 26.7.2011, Az. 2 O 1096/11; Thole AG 2013, 73, 77; ders. NJW 2013, 1192, 1194; KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 11.

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Die besseren Gründe sprechen jedoch gegen die Anwendung von § 32b Abs. 1 auf 30 negative Feststellungsklagen.68 Zum einen schließt nach richtiger Ansicht bereits der Wortlaut von § 32b Abs. 1 eine Anwendung in diesen Fällen aus, da im Falle einer negativen Feststellungsklage nicht das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs, sondern das Fehlen eines solchen Anspruchs geltend gemacht wird. Für § 32a, an den sich der Gesetzgeber bei der Formulierung von § 32b Abs. 1 angelehnt hatte, wird aus demselben Grund angenommen, dass dieser keinen Gerichtsstand für negative Feststellungsklagen begründet.69 Gegen die Anwendung auf negative Feststellungsklagen spricht ferner die Struktur von § 32b Abs. 1. So ist bei einer Vielzahl von Fällen, z.B. bei der Inanspruchnahme von Anlageberatern oder Anlagevermittlern, Voraussetzung, dass die Klage auch gegen den Emittenten bzw. den Anbieter der Vermögensanlage gerichtet wird. Diese Voraussetzung lässt sich bei negativen Feststellungsklagen von vornherein kaum je einhalten. Übrig blieben somit allein solche (seltenen) Fälle, in denen der Emittent bzw. Anbieter gegen einen Anleger eine negative Feststellungsklage erhebt. In einem solchen Fall erschiene es aber unbillig, dem klagenden Emittenten auch noch ein forum actoris zu verschaffen, weshalb auch Wertungsgesichtspunkte gegen die Anwendung von § 32b Abs. 1 auf negative Feststellungsklagen sprechen. Angesichts der Seltenheit derartiger Fälle fällt der Verzicht auf die mit § 32b Abs. 1 verbundene Kanalisierungswirkung nicht ins Gewicht. Folge der Nichtanwendbarkeit von § 32b Abs. 1 auf negative Feststellungsklagen ist allerdings, dass für eine etwaige Widerklage des Anlegers eine örtliche Zuständigkeit nicht aus § 33 abgeleitet werden kann (§ 33 Abs. 2 i.V.m. § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2). b) Bezug zu einer falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Ka- 31 pitalmarktinformation. In den beiden ersten Anwendungsfällen ist erforderlich, dass das Bestehen des Schadensersatzanspruchs zumindest auch von einer falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformation abhängt. Auch hierbei handelt es sich um eine doppeltrelevante Tatsache, so dass schlüssiger Vortrag des Klägers ausreichend, aber auch erforderlich für die Bejahung der örtlichen Zuständigkeit ist.70 Für den Begriff der öffentlichen Kapitalmarktinformation kann auf die Legaldefini- 32 tion in § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG zurückgegriffen werden sowie auf die in § 1 Abs. 2 S. 2 KapMuG genannten Beispielsfälle.71 Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG sind öffentliche Kapitalmarktinformationen Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Tatsächlich hat der Gesetzgeber den Begriff auch in § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG aber nur 33 in Umrissen bestimmt, auch wenn die Frage des Vorliegens einer öffentlichen Kapitalmarktinformation – soweit ersichtlich – in der Praxis bisher keine Probleme bereitet. Nach der gesetzlichen Definition weisen öffentliche Kapitalmarktinformationen drei Merkmale auf: Es handelt es sich (i) um Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die (ii) einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter sonstiger Vermögensanlagen betreffen und (iii) für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind.

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Stein/Jonas/Roth 23. Auflage, § 32b Rdn. 6; Mormann ZIP 2011, 1182, 1183 f. Stein/Jonas/Roth ZPO § 32b Rdn. 6. LG Dortmund 31.10.2012, Az. 21 O 219/11. BT-Drucks. 15/5091, S. 33; zu diesen ausführlich KK-KapMuG/Kruis 2. Auflage, § 1 KapMuG Rdn. 51 ff.

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Kapitalmarktinformationen sind Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen oder sonstige Unternehmensdaten, wobei der Oberbegriff der sonstigen Unternehmensdaten die anderen Beispiele mit umfasst. Hieraus lässt sich ableiten, dass nicht die Ad-hoc-Mitteilung oder der Börsenzulassungsprospekt als solche jeweils als Kapitalmarktinformation anzusehen sind, sondern die darin enthaltenen einzelnen Unternehmensdaten.72 Unternehmensdaten sind Umstände, die in dem Unternehmen oder in der sonstigen Vermögensanlage selbst begründet sind und zur Information von Anlegern dienen können. Diese Grenze ist nicht eng zu ziehen. Als Kapitalmarktinformationen sind daher jedenfalls alle die Umstände anzusehen, die von Gesetzes wegen bekannt gegeben werden müssen (z.B. die gesetzlichen Mindestangaben in einem Börsenzulassungsprospekt) oder tatsächlich aufgrund ihrer äußeren Gestaltung als Information in dieser Weise bekannt gemacht worden sind. Letzteres ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 S. 2 KapMuG alle Informationen als Kapitalmarktinformationen qualifiziert hat, die in den dort genannten Regelbeispielen enthalten sind. Auf eine gesetzliche Pflicht zur Offenbarung kommt es nur im Falle einer unterlassenen Veröffentlichung, nicht dagegen im Falle tatsächlich erfolgter Veröffentlichung an. Die Anknüpfung an den Begriff der Unternehmensdaten schließt es richtigerweise 35 aus, auch Informationen, die zur Veräußerung angebotene Sachwerte betreffen (z.B. einzelne Immobilien), als Kapitalmarktinformationen zu qualifizieren.73 Einschätzungen oder Beurteilungen Dritter zu einer Kapitalanlagemöglichkeit (z.B. 36 Analyse einer Investmentbank, Beurteilungen durch Ratingagenturen) sind keine öffentliche Kapitalmarktinformationen i.S.v. § 32b Abs. 1,74 da diese nicht in dem Unternehmen bzw. der Anlagemöglichkeit selbst ihren Ausgangspunkt haben.75 Bezieht sich ein Analyst oder eine Ratingagentur allerdings auf Anknüpfungstatsachen wie z.B. den erzielten Umsatz oder Gewinn eines Unternehmens, die Liquiditätsausstattung oder die Eigenkapitalquote, so handelt es sich bei diesen einzelnen Angaben um Unternehmensdaten und damit Kapitalmarktinformationen i.S.v. § 32b Abs. 1, die diesen Charakter nicht dadurch verlieren, dass sie nicht vom Anbieter der Kapitalanlage, sondern von einem Dritten veröffentlicht werden.76 Einschätzungen durch die Geschäftsleitung eines Unternehmens sind dagegen stets Umstände, die im Unternehmen selbst begründet sind und deshalb als Kapitalmarktinformationen in Betracht kommen. Legt man die Definition aus § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG auch der Anwendung von § 32b 37 Abs. 1 zugrunde, müssen die Unternehmensdaten ferner einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Dies deckt sich mit dem Erfordernis in § 32b Abs. 1, wonach (außerhalb der Erfüllungsansprüche nach dem WpÜG) die Klage zumindest auch gegen einen Emittenten (von Wertpapieren) oder den Anbieter einer sonstigen Vermögensanlage zu richten ist. Hinsichtlich dieser Begriffe kann auf die obigen Erläuterungen verwiesen werden.77 Eine relevante Beschränkung des Anwendungsbereichs ergibt sich hieraus nicht, vielmehr ist das Gesetz bei allen Formen der Kapital- bzw. Vermögensanlage mit Ausnahme der direkten Investition in einzelne Sachwerte anwendbar. Insbesondere Anlagemöglichkeiten des sog. Grauen

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72 Wie hier Mormann (Fn. 9), S. 245. 73 A.A. BGH WM 2014, 329, wonach auch ein Exposé für den Verkauf von Eigentumswohnungen für die Eröffnung des Anwendungsbereichs genügen soll. 74 Zum Parallelproblematik in § 1 KapMuG siehe KK-KapMuG/Kruis 2. Auflage § 1 Rdn. 48. 75 Vgl. Meyer AG 2003, 610, 612, wonach die persönliche Einschätzung des Analysten im Vordergrund steht. 76 OLG München ZIP 2007, 1141. 77 Rdn. 43 ff.

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Kapitalmarkts sind davon erfasst.78 Richtigerweise kommt es auch nicht darauf an, ob die Anlagemöglichkeit in anderem Zusammenhang dem Geld- oder der Kapitalmarkt zuzuordnen wäre. Eine solche umfassende Anwendbarkeit ohne Rücksicht auf die konkrete Form der Kapitalanlage ist auch sachlich geboten. Die Gefahr von Streuschäden und das Bedürfnis, mögliche Klagen zu kanalisieren, besteht unabhängig davon, in welche Anlagemöglichkeit investiert wurde. Weiteres notwendiges Merkmal ist die „Öffentlichkeit“ der Kapitalmarktinformation. 38 Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG ist dies zu bejahen, wenn die Kapitalmarktinformation für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt ist. Der klare Wortlaut verlangt also, dass vom Urheber die Zugänglichkeit der Information für eine Vielzahl von Anlegern gewollt ist, das tatsächliche Bekanntwerden ist dagegen nicht ausreichend. Allerdings genügt im Rahmen von § 32b Abs. 1 die schlüssige Behauptung dieser Voraussetzung. Von einer entsprechenden Bestimmung ist stets auszugehen, wenn es sich um eine Pflichtveröffentlichung handelt, die schon von Gesetzes wegen an eine Vielzahl von Anlegern zu richten ist. Bezieht sich die Klage auf eine angeblich unterlassene Kapitalmarktinformation, ist entscheidend, ob diese nach den gesetzlichen Vorgaben einer Vielzahl von Anlegern hätte zugänglich gemacht werden müssen. Von einer „Vielzahl von Anlegern“ kann schließlich dann gesprochen werden, wenn 39 die Information jedermann zugänglich sein soll, der Kreis der Informationsempfänger nicht ex ante individualisiert werden kann oder sich die Information zwar an einen definierten Personenkreis richtet, die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis aber nicht durch individuelle Merkmale, sondern durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bestimmt wird (z.B. die Stellung als Aktionär). In diesen Fällen ist stets damit zu rechnen, dass jedenfalls eine größere Anzahl von Personen von der Information Kenntnis nimmt. Fraglich sind dagegen die Fälle, in denen die Information nur an einen ex ante individualisierten Personenkreis gerichtet wird. Ab wann in solchen Fällen von einer Vielzahl von Anlegern gesprochen werden kann, hat der Gesetzgeber nicht bestimmt. Erforderlich ist allerdings eine Anknüpfung, die dem Gericht eine eindeutige und möglichst unkomplizierte Prüfung erlaubt. Am überzeugendsten erscheint es, hierfür an die zum Zeitpunkt der Schaffung von § 1 KapMuG a.F. bzw. § 32b Abs. 1 a.F. geltende Fassung von § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WpPG a.F. anzuknüpfen, wonach keine Prospektpflicht bestand, wenn sich ein Angebot von Wertpapieren an weniger als 100 Anleger richtete.79 Wenn der Gesetzgeber bei einer Betroffenheit von weniger als 100 Anlegern einen Verzicht auf einen verpflichtenden Prospekt und damit eine Verminderung des Schutzniveaus für vertretbar hält, kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Fall keine „Vielzahl“ von Anlegern betroffen ist. Ist der Adressatenkreis der Information vorab festgelegt, liegt eine öffentliche Kapitalmarktinformation i.S.v. § 1 Abs. 2 erst dann vor, wenn sich die Information an 100 Empfänger oder mehr richtet. Keine weitere Bedeutung hat, wer die betreffende Kapitalmarktinformation bekannt 40 gegeben bzw. veröffentlicht hat80 und wie diese verbreitet wird.81 Bewirbt z.B. ein Anla-

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78 Allg. Ansicht, vgl. BGH Beschl. vom 30.1.2007, Az. X AZR 381/06, sowie – teilweise zu § 1 KapMuG – BGH WM 2007, 587; BGH NJW 2007, 1365; BGH WM 2008, 588; OLG Koblenz NJW 2006, 3723; Gundermann/Härle VuR 2006, 457 f., Mormann (Fn. 9), S. 283 ff.; Schmitz/Rudolf NZG 2011, 1201. 79 So Mormann (Fn. 9), S. 248 ff., sowie KK-KapMuG/Kruis 2. Auflage, § 1 KapMuG Rdn. 45 ff., jeweils mit ausführlicher Begründung. § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WpPG n.F. lässt die Prospektpflicht zwar bis zu einer Zahl von weniger als 150 Anlegern entfallen. Für die Auslegung des Begriffs der Vielzahl von Anlegern erscheint es aber richtig, auf die gesetzliche Regelung zum Zeitpunkt des erstmaligen Inkrafttretens von § 32b Abs. 1 abzustellen. 80 LG Stuttgart WM 2011, 1511. 81 OLG München ZIP 2007, 1141.

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geberater eine Kapitalanlage mit von ihm frei erfundenen Kennzahlen eines Unternehmens, so handelt es sich dabei um Kapitalmarktinformationen. Bezugspunkt ist stets die jeweilige Anlage des von der Kapitalmarktinformation betroffenen Emittenten, auf die Urheberschaft der Information kommt es nicht an.82 Da nicht die Ad-hoc-Meldung oder der Verkaufsprospekt selbst als Kapitalmarkt41 information anzusehen sind, sondern die darin enthaltenen einzelnen Aussagen, kommt es weiter nicht darauf an, wie die Übermittlung der Information an den Anleger erfolgt. Angesichts der Schnelllebigkeit des Kapitalmarkts und des Fortschritts der Informationsund Kommunikationstechnologie könnte der Versuch einer Eingrenzung der Verbreitungswege ohnehin nicht erfolgreich sein.83 Es ist auch nicht einsichtig, weshalb die örtliche Zuständigkeit davon abhängen sollte, ob der Kläger eine Information dem schriftlichen Jahresabschluss, einem Verkaufsprospekt oder z.B. mündlichen Aussagen anlässlich einer Präsentationsveranstaltung („Roadshow“) entnommen hat. Für die örtliche Zuständigkeit kommt es somit nicht darauf an, wie die Kapitalmarktinformation verbreitet worden ist.84 42 In § 1 Abs. 2 S. 2 KapMuG finden sich schließlich Regelbeispiele für öffentliche Kapitalmarktinformationen,85 die auch im Rahmen von § 32b Abs. 1 herangezogen werden können. Die im Gesetz genannten Beispiele haben keinen abschließenden Charakter. Als öffentliche Kapitalmarktinformationen kommen u.a. noch Quartalsberichte gemäß § 37x WpHG, Mitteilungen nach §§ 30b ff. WpHG, Auskünfte nach § 41 Abs. 2 BörsG, Bezugsangebote i.S.v. § 186 Abs. 5 S. 2 AktG, gemäß §§ 25, 26 WpHG zu veröffentlichende Angaben i.S.v. § 21 WpHG86 sowie jährliche Dokumente i.S.v. § 10 WpPG in Betracht, soweit letztere noch nach § 36 Abs. 3 WpPG zu erstellen waren. 43

c) Klage richtet sich zumindest auch gegen Emittenten oder Anbieter der sonstigen Vermögensanlage. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist ferner erforderlich, dass sich die Klage zumindest auch gegen den Emittenten, den Anbieter der sonstigen Kapitalanlage oder die Zielgesellschaft richtet. Dieser weiteren Voraussetzung ist zunächst zu entnehmen, dass auch eine „isolier44 te“ Klage gegen den Emittenten, den Anbieter der Vermögensanlage sowie gegen die Zielgesellschaft in den Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 fallen soll. Allerdings wirft bereits diese Feststellung Fragen nach der Sinnhaftigkeit bzw. dem Verständnis des Gesetzgebers auf, das dieser Norm zugrunde liegen muss. Soweit im Gesetz von der „Zielgesellschaft“ die Rede ist, geht es um durch das WpÜG geregelte Übernahmesituationen. Eine Klage gegen die Zielgesellschaft wegen eines Anspruchs auf Erfüllung eines Anspruchs aus einem Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht, ist aber schlechterdings nicht denkbar. Eine „isolierte“ Klage gegen die Zielgesellschaft kann es also nicht geben, so dass hierin kein Anwendungsfall von § 32b Abs. 1 liegen kann. Soll klageweise ein Erfüllungsanspruch geltend gemacht werden, müsste die Klage des bisherigen Gesellschafters gegen den Bieter gerichtet wer-

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82 LG Stuttgart WM 2011, 1511; zust. Siol WuB VII A § 32b ZPO 1.11. 83 So die Gesetzesbegründung zu § 1 KapMuG, vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 21. 84 OLG Koblenz NJW 2006, 3823, 3724; LG Hildesheim WM 2006, 2133; Stein/Jonas/Roth 23. Auflage, § 32b Rdn. 7; vgl. für mündliche Aussagen im Rahmen einer Schulung für Vermittler LG Bremen 7.10.2009, – Az. 2 O 2354/08. 85 Ausführlich dazu KK-KapMuG/Kruis 2. Auflage, § 1 Rdn. 51 ff. 86 Dazu LG Stuttgart WM 2011, 1511; diese Einordnung als öffentliche Kapitalmarktinformation ist unabhängig davon, ob sich aus einem Verstoß gegen die genannte Vorschrift ein Schadensersatzanspruch ergeben kann. Wie hier Holzborn/Foelsch NJW 2003, 932, 936 f. A.A. Assmann/Schneider WpHG, 6. Auflage, § 25 Rdn. 78.

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den, und zwar ausschließlich gegen diesen. Nach dem Wortlaut wäre allerdings auch in diesem Fall § 32b Abs. 1 nicht anwendbar, da es an der weiteren Voraussetzung fehlen würde, dass die Klage „zumindest auch“ gegen die Zielgesellschaft gerichtet ist. Dem Wortlaut nach hätte § 32b Abs. 1 Nr. 3 somit faktisch keinen realen Anwendungsbereich. Etwas anders, im Ergebnis aber nicht viel besser, sieht es für den ersten und zweiten 45 Anwendungsfall aus. So mag es zwar regelmäßig so sein, dass z.B. im Rahmen der Börsenprospekthaftung eine Schadensersatzklage nicht nur gegen den Emissionsbegleiter (z.B. eine Investmentbank), sondern auch gegen die emittierende Gesellschaft erhoben wird. Zwingend ist dies jedoch nicht, insbesondere wenn z.B. über das Vermögen des Emittenten das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Eine isolierte Klage gegen einen Emissionsbegleiter würde aber dem Wortlaut nach wiederum nicht in den Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 fallen. Ein solches Ergebnis wäre nicht nur nicht sachgerecht, es würde auch eine erhebliche Einschränkung gegenüber der früheren Fassung von § 32b Abs. 1 Nr. 1 bedeuten, die nach allgemeiner Ansicht alle Schadensersatzansprüche erfasste, die unmittelbar aus der Unrichtigkeit oder dem Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation abgeleitet wurden.87 Der Wortlaut von § 32b Abs. 1 erweist sich damit als gesetzgeberische Fehlleistung ersten Ranges. Dieses Ergebnis wäre zu vermeiden, sollte das Erfordernis einer zumindest auch 46 gegen Emittenten oder Anbieter gerichteten Klage so zu verstehen sein, dass diese Voraussetzung nur im Fall von § 32b Abs. 1 Nr. 2, d.h. bei Geltendmachung eines Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer unrichtigen oder irreführenden Kapitalmarktinformation erfüllt sein muss. Die Abgrenzung der neuen Nummer 2 gegenüber der in Nummer 1 enthaltenen alten Fassung ist allerdings weniger klar als es zunächst den Anschein hat. Bzgl. der bisherigen Gesetzesfassung war unbestritten, dass beispielsweise im Falle einer (angeblich) falschen Ad-hoc-Meldung § 32b Abs. 1 die örtliche Zuständigkeit nicht nur für den Fall regelte, dass gemäß § 37c WpHG der betroffene Emittent in Anspruch genommen wurde, sondern auch für die Fälle, in denen nach § 826 BGB gegen ein Vorstandsmitglied Schadensersatzansprüche geltend gemacht wurden. Zur Begründung der Klage gegen das Vorstandsmitglied – anders als für § 37c WpHG – genügte allerdings nicht allein der Nachweis der Unrichtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung, vielmehr musste eine (nachgewiesene) Verwendung durch das Vorstandsmitglied hinzukommen, aus der sich die Merkmale eines sittenwidrigen Handelns mit Schädigungsvorsatz ableiten ließen. Auch wenn sich aus dem Merkmal der Verwendung als solches keine brauchbare 47 Abgrenzung ableiten lässt, dürfte vorstehende Überlegung in die richtige Richtung weisen. Durch die Einführung von § 32b Abs. 1 Nr. 2 sollte der Anwendungsbereich der Vorschrift erweitert werden, das Erfordernis einer zumindest auch gegen den Emittenten oder Anbieter der Vermögensanlage gerichteten Klage diente dagegen alleine dazu, die Erweiterung wiederum auf ein verhältnismäßiges Maß beschränken. Zweifelsfrei war nicht beabsichtigt, den ursprünglichen Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 Nr. 1 einzuschränken. Richtigerweise ist deshalb davon auszugehen, dass alle von der früheren Fassung erfassten Konstellationen nunmehr in den Anwendungsbereich der Nr. 1 fallen und für diese Fälle das Erfordernis einer auch gegen den Emittenten bzw. Anbieter gerichteten Klage nicht gilt.88

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Vgl. nur BGH ZIP 2007, 602. So auch BGH WM 2013, 1643.

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3. Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO. § 32b Abs. 1 Nr. 1 entspricht dem ursprünglichen Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 Nr. 1 a.F. Erfasst werden alle Fälle der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation. Dieser Gesetzeswortlaut wurde von der höchstrichterlichen Rechtsprechung dahingehend ausgelegt, dass die falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation „unmittelbar“ den Anspruch begründen muss und daher insbesondere vertragliche Ansprüche gegen Anlageberater, Anlagevermittler und finanzierende Banken nicht vom Anwendungsbereich erfasst werden.89 § 32b Abs. 1 Nr. 1 erfasst somit (nach wie vor) Schadensersatzklagen gegen solche Beklagte, die für die Veröffentlichung und damit für die Richtigkeit, Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation verantwortlich sind.90 Als mögliche Beklagte kommen dementsprechend insbesondere Emittent und Emissionsbegleiter,91 Mitglieder der jeweiligen Organe, Gründer, Initiatoren und Gestalter einer Gesellschaft/Vermögensanlage, Anbieter i.S.v. § 6 VermAnlG bzw. § 2 Nr. 10 WpPG, Prospektherausgeber, „Garanten“ (RA, StB oder WP92), soweit sie als Fachkundige nach außen erkennbar an der Gestaltung eines Prospekts oder einer anderen Kapitalmarktinformation mitgewirkt haben, oder die jeweiligen Hintermänner eines Prospekts in Betracht.93 Ansprüche aus einer Prospekthaftung im weiteren Sinne unterfallen dagegen nach h.M. § 32b Abs. 1 Nr. 2.94 Da mit der Neufassung der Norm keine Beschränkung der nach der alten Fassung 49 gegebenen Zuständigkeiten beabsichtigt war, ist für die Begründung der Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 nicht erforderlich, dass sich die Klage auch gegen den Emittenten oder den Anbieter der sonstigen Vermögensanlage richtet.95 Werden von einem Gesellschafter der Zielgesellschaft Schadenersatzansprüche ge50 gen einen Bieter aus § 12 Abs. 1, Abs. 6 WpÜG geltend gemacht, ist die Klage am Sitz der Zielgesellschaft zu erheben. 4. Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO 51

a) Normzweck; Übersicht. Gemäß Nummer 2 ist der Anwendungsbereich der Norm nunmehr auch eröffnet, wenn ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, geltend gemacht wird. Anlass für diese Neuerung war die Rechtsprechung des BGH, wonach die alte Fassung der Vorschrift, die inhaltlich der heutigen Nr. 1 entspricht, nur auf die Fälle anwendbar sein sollte, in denen die behauptete Haftung unmittelbar aus der Verantwortlichkeit für die öffentliche Kapitalmarktinformation abgeleitet wurde. Nicht erfasst sein sollten dagegen insbesondere Ansprüche aus Anlagevermittlungs- und Anlageberatungsverträgen, auch wenn die Unrichtigkeit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation für die Anspruchsbegründung im Einzelfall eine

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89 BGHZ 177, 88; BGH NJW 2009, 513. 90 BGH WM 2013, 1643; BGH NJW 2009, 513 Tz. 12 f.: Schadensersatzpflicht knüpft an Publikation oder Veranlassung dieser an. 91 BT-Drucks. 15/5091, S. 17. 92 LG Leipzig ZIP 2008, 1733. 93 Zöller/Vollkommer 30. Auflage § 32b Rdn. 6; zu den Voraussetzungen einer derartigen Garantenstellung siehe BGHZ 191, 319 Tz. 19 ff.; sowie BGH NJW 2009, 513 Tz. 15; s.a. BGH WM 2013, 1643 sowie OLG Brandenburg 27.11.2012 – Az. 1 (Z) Sa 38/12. 94 Dazu Rdn. 59. 95 Siehe Rdn. 45 f. sowie BGH WM 2013, 1643.

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Rolle gespielt haben konnte.96 Denn in diesen Fällen, so der BGH, sei die Unrichtigkeit der öffentlichen Kapitalmarktinformation bzw. ihr irreführender Charakter per se weder notwendige noch ausreichende Haftungsvoraussetzung. 97 Ob diese Ansicht zutraf, 98 kann hier dahinstehen. Da in der täglichen Praxis der Anlageberatung die Aufklärung über eine Kapitalanlage zumindest auch durch die Aushändigung eines Prospekts und damit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation an den Anleger erfolgt, führte das geschilderte Verständnis der bisherigen Gesetzesfassung dazu, dass für einen großen Teil der Fälle, in denen es um die Richtigkeit eines Prospektes ging, die von § 32b Abs. 1 intendierte Verfahrensbündelung nicht erreicht werden konnte. Dies sollte durch die Neufassung behoben werden. Gleichzeitig sollte der Grundsatz des forum rei gegenüber Anlageberatern und Anla- 53 gevermittlern nicht in übermäßiger Weise eingeschränkt werden. Als weitere Voraussetzung muss deshalb hinzutreten, dass sich die Klage auch gegen den Emittenten oder Anbieter der sonstigen Vermögensanlage richtet. Unerheblich ist, ob der Anspruch deutschem Recht unterliegt,99 was sich schon 54 daraus ergibt, dass in Nr. 2 anders als in Nr. 3 nicht auf Vorschriften deutschen Rechts Bezug genommen wird. Es kommt ferner nicht darauf an, ob es sich um vorvertragliche, vertragliche oder gesetzliche Ansprüche handelt, sowie ob es um die Verletzung von Haupt- oder Nebenpflichten i.S.v. § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 und 3 BGB geht.100 Stets erforderlich ist allerdings, dass nach dem Vortrag des Klägers eine Verwendung der öffentlichen Kapitalmarktinformation erfolgt ist oder eine Aufklärung über Unrichtigkeiten einer Kapitalmarktinformation, die für die Anlageentscheidung ursächlich war, unterlassen worden ist. Daran fehlt es mit der Folge der Unanwendbarkeit von § 32b Abs. 1 Nr. 2, wenn vorgetragen wird, der Berater habe pflichtwidrig die Übergabe eines Prospektes unterlassen oder über einen Fehler einer öffentlichen Kapitalmarktinformation, die dem Anleger gar nicht vorlag, nicht aufgeklärt.101 Auch sonst begründet § 32b Abs. 1 Nr. 2 keinen Gerichtsstand für allgemeine Beratungsfehler.102 Ist eine Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 gegeben, hat das Gericht den Fall unter 55 allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden.103 b) Einzelfälle aa) Anlageberatung. Durch § 32 Abs. 1 Nr. 2 wird – korrespondierend mit der Erwei- 56 terung in § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG – die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus einem Anlageberatungsvertrag in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbezogen, was eines der Hauptanliegen des Gesetzgebers war.104 Insofern kann für die Be-

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96 BGH Beschl. vom 30.1.2007 – Az. X AZR 381/06; BGH Beschl. vom 7.2.2007 – Az. X AZR 423/06; OLG München NJW 2007, 163; weitere Nachweise bei Mormann (Fn. 9), S. 270; in diesem Sinne auch Stöber NJW 2006, 3724. 97 BGH NJW 2009, 513. 98 Gegen die früher h.M. etwa OLG Koblenz NJW 2006, 3723; OLG Nürnberg BB 2006, 2212; kritisch zur übereinstimmenden Rechtsprechung zum Anwendungsbereich von § 1 KapMuG a.F. KK-KapMuG/Kruis 1. Auflage, § 1 KapMuG Rdn. 20 ff.; ebenso Hanisch Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2011), S. 57 ff. 99 Wie hier Mormann ZIP 2011, 1182, 1186. 100 Stein/Jonas/Roth 23. Auflage, § 32b Rdn. 11. 101 BGH WM 2013, 1643. 102 BT-Drucks. 17/8799, S. 17; Prütting/Lange 5. Auflage, § 32b Rdn. 2. 103 OLG München NJW-RR 2007, 1644, 1645. 104 BT-Drucks. 17/8799, S. 17, 27; zu § 1 KapMuG siehe BT-Drucks. 17/8799, S. 16; Sustmann/SchmidtBendun NZG 2011, 1207; Möllers/Seidenschwann NZG 2012, 1401.

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stimmung des Anwendungsbereichs von § 32b Abs. 1 Nr. 2 auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG zurückgegriffen werden.105 Ein Anlageberatungsvertrag liegt vor, wenn der Kapitalanleger, der selbst nicht über ausreichende wirtschaftliche Kenntnisse verfügt und keinen genügenden Überblick über die wirtschaftlichen Zusammenhänge hat, einen unabhängigen individuellen Berater einschaltet.106 Den Anlageberater treffen zwei Hauptpflichten: Zum einen ist er zur umfassenden Information über die tatsächlichen Umstände der Anlage verpflichtet, zum anderen wird eine fachkundige Bewertung und Beurteilung der zur Auswahl stehenden Anlagen unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Anlegers geschuldet.107 Verwendet der Berater zur Aufklärung des Anlegers über Funktionsweise, Chancen und Risiken der Anlage einen möglicherweise fehlerhaften Prospekt, kann sich die Frage der Haftung auf die Richtigkeit des Prospekts verengen, so dass in einem solchen Fall der Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 Nr. 2 eröffnet ist. Gleiches gilt, wenn der Berater es unterlässt, auf einen Fehler in einer öffentlichen Kapitalmarktinformation hinzuweisen. Materiell steht dem Anlageberater zwar selbstverständlich die Berufung darauf 57 offen, er habe abweichend vom Prospektinhalt beraten oder über eine Unrichtigkeit aufgeklärt, für die Anwendung von § 32b Abs. 1 Nr. 2 bzw. die Begründung des ausschließlichen Gerichtsstandes ist dies jedoch unerheblich, da es sich um doppeltrelevante Tatsachen handelt. 58

bb) Anlagevermittler. Von § 32b Abs. 1 Nr. 2 werden ferner Fälle der Anlagevermittlung erfasst.108 Von der Anlageberatung unterscheidet sich die Anlagevermittlung dadurch, dass der Anlagevermittler erkennbar auf Seiten des Kapitalsuchenden tätig wird und deshalb die werbende Zielsetzung seiner Aussagen hervortritt.109 Diese Positionierung ändert jedoch nichts daran, dass – zumindest stillschweigend – ein Vertrag zustande kommt, der den Vermittler zu einer sorgfältigen, wahrheitsgemäßen und vollständigen Information über die für den Anlageentschluss wesentlichen tatsächlichen Umstände verpflichtet.110 Verwendet der Vermittler hierfür fehlerhafte oder irreführende Unterlagen oder unterlässt er den Hinweis darauf, dass eine bereits vom Anleger herangezogene öffentliche Kapitalmarktinformation unrichtig ist, ist der Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 Nr. 2 wiederum eröffnet.

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cc) Prospekthaftung im weiteren Sinne. Folgt man den Ausführungen des Gesetzgebers zur Paralleländerung in § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG, so kann ein weiterer Anwendungsfall vorliegen, wenn im Rahmen von Beitrittsverhandlungen zu einer Anlagegesellschaft vom Gründungsgesellschafter, Komplementär, Treuhandkommanditisten oder einem anderen Beteiligten besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen wird („Prospekthaftung im weiteren Sinne“).111 Denn in diesen Fällen besteht eine vorvertragliche Aufklärungspflicht, bei deren Erfüllung öffentliche Kapitalmarktinformatio-

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105 BT-Drucks. 17/8799, S. 27. 106 v. Heymann/Edelmann in: Assmann/Schütze, HdB Kapitalanlagerecht, 3. Auflage 2007, § 4 Rdn. 3. 107 BGH NJW-RR 1993, 1114. 108 BT-Drucks. 17/8799, S. 15; für die Parallelvorschrift in § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG siehe BT-Drucks. 17/ 8799, S. 16; Sustmann/Schmidt-Bendun NZG 2011, 1207; Wolf/Lange NJW 2012, 3751 f. 109 BGH NJW-RR 1993, 111; v. Heymann/Edelmann in: Assmann/Schütze, HdB Kapitalanlagerecht, 3. Auflage 2007, § 4 Rdn. 4. 110 BGH NJW 1982, 1095; BGH NJW-RR 1993, 1114. 111 Zu § 1 KapMuG Söhner ZIP 2013, 7 f.; Wolf/Lange NJW 2012, 3751 f. Für eine solche Einordnung auch BGH NJW 2009, 513 Tz. 18.

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nen Verwendung finden können.112 Nach anderer Ansicht ist für die Prospekthaftung im weiteren Sinne § 32b Abs. 1 bereits nach Nr. 1 anwendbar.113 dd) Auskunftserteilung. Denkbar ist des Weiteren, dass § 32b Abs. 1 Nr. 2 auch in 60 Fällen der bloßen Auskunftserteilung Anwendung findet, sofern bei der Erteilung der Auskunft mutmaßlich eine unrichtige oder irreführende öffentliche Kapitalmarktinformation Verwendung gefunden hat. Eine solche Auskunftserteilung erfolgt regelmäßig im Rahmen einer laufenden Geschäftsverbindung, wie dies bei Kreditinstituten allgemein üblich ist, auf Anfrage des Kunden. Die Pflicht zu fehlerfreier Auskunftserteilung wird dann meist als Nebenpflicht aus dieser Geschäftsverbindung abgeleitet. ee) Schadensersatzklagen gegen finanzierende Banken. Die Anwendbarkeit von 61 § 32b Abs. 1 Nr. 2 ist ferner zumindest im Grundsatz für Schadensersatzklagen gegen Banken zu bejahen, die eine Kapitalanlage finanziert haben, wenn der klagende Kreditnehmer geltend macht, die Bank hätte ihn auf ein besonderes Risiko hinweisen müssen, welches mit der finanzierten Kapitalanlage verbunden war. Nach der Rechtsprechung des BGH treffen eine Bank im Zusammenhang mit dem 62 Abschluss eines Kreditvertrages allerdings generell keine Aufklärungs- und Beratungspflichten bezüglich der Risiken der beabsichtigen Verwendung der Darlehensvaluta, und dies auch dann nicht, wenn durch das Darlehen der Erwerb einer Kapitalanlage finanziert werden soll. Etwas anderes kann sich nur aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, wenn die Bank im Zusammenhang mit der Planung, der Durchführung oder dem Vertrieb der Anlage über ihre Rolle als Kreditgeberin hinausgeht, wenn sie einen zu den allgemeinen wirtschaftlichen Risiken hinzutretenden besonderen Gefährdungstatbestand für den Kunden schafft oder dessen Entstehung begünstigt, wenn sie sich im Zusammenhang mit Kreditgewährungen in schwerwiegende Interessenkonflikte verwickelt oder wenn sie in Bezug auf spezielle Risiken des Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer hat und dies auch erkennen kann.114 Da § 32b Abs. 1 Nr. 2 unabhängig davon anzuwenden ist, ob es um die behauptete Verletzung vertraglicher Haupt- oder Nebenpflichten geht,115 muss jedenfalls im Grundsatz die Geltung von § 32b Abs. 1 Nr. 2 bejaht werden, wenn der Kreditnehmer geltend macht, anders als ihm selbst sei der Bank bekannt gewesen, dass ein spezielles und konkretes Risiko116 der Anlage in der öffentlichen Kapitalmarktinformation, mit der er für die Anlage geworben wurde, unrichtig dargestellt gewesen sei, worauf ihn die Bank habe hinweisen müssen. Dass auch diese Fälle von § 32b Abs. 1 Nr. 2 erfasst sein können, mag auf den ersten 63 Blick zwar zweifelhaft erscheinen, da der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien diese Fälle nicht im Blick hatte. Zudem waren derartige Ansprüche nach alter Rechtslage nicht als musterverfahrensfähig angesehen worden,117 was ebenfalls tendenziell gegen eine Einbeziehung in den Anwendungsbereich von § 32b a.F. sprach. Dass aber nach dem Wortlaut von § 32b Abs. 1 Nr. 2 alle Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind, kann nicht ernsthaft zweifelhaft sein. Aus diesem Grund hat die Rechtsprechung

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112 Zu § 1 KapMuG BT-Drucks. 17/8799, S. 16; zur fehlenden Anwendbarkeit von § 1 KapMuG a.F. und damit auch von § 32b a.F. auf die Prospekthaftung im weiteren Sinne siehe BGH WM 2009, 110, 112; BGH WM 2012, 115. 113 So mit beachtlichen Gründen OLG Karlsruhe 25.2.2014 – Az. 17 U 242/12. 114 BGH NZG 2010, 1347; BGHZ 159, 294; BGHZ 168, 1. 115 So ausdrücklich für die Parallelvorschrift § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG BT-Drucks. 17/8799, S. 16. 116 BGH WM 1978, 869, 897. 117 BGH ZIP 2011, 493.

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nunmehr auch solche Ansprüche auf der Grundlage des weitgehend identisch formulierten § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG als musterverfahrensfähig angesehen.118 Dieses Ergebnis bedarf allerdings wie im Bereich von § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG einer gewissen Korrektur. Die Anordnung eines vom allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten abweichenden Gerichtstandes ist dann gerechtfertigt, wenn der Beklagte damit rechnen muss, sich hierauf auch einstellen kann und die Möglichkeit in seine Entscheidung, ob er sich in eine derartige Konstellation begeben will, einbeziehen kann. Dies ist zu verneinen, wenn die Bank tatsächlich alleine wegen einer Finanzierung mit dem Anleger in Kontakt kommt, ihrerseits keine weitere Verbindung zur Anlagemöglichkeit bzw. zu den Anbietern derselben besteht und das Entstehen einer Hinweispflicht letztendlich eine reine Zufälligkeit ist. Anderes gilt insbesondere dann mit der Folge der Anwendbarkeit von § 32b Abs. 1 Nr. 2, wenn die (teilweise) Fremdfinanzierung von vornherein ein (obligatorischer) Teil des Anlagekonzepts ist, die finanzierende Bank vom Anbieter der Anlage vorgegeben wird und die Bank in die Erstellung des Anlagekonzepts einbezogen wird. Zwar können sich Aufklärungspflichten der Bank auch in diesem Fall nur als Nebenpflichten aus dem Darlehensvertrag ergeben, allerdings tritt in dieser Konstellation der Kunde auch der Bank von Anfang an als Kapitalanleger gegenüber. Die Bank muss deshalb von vornherein mit einer Inanspruchnahme am Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 Nr. 2 rechnen. 64

ff) Übergeleitete Haftung. Aus dem Gesetz wie auch aus den Materialien lässt sich schließlich nicht entnehmen, ob § 32b Abs. 1 auch bei einer Anspruchsüberleitung, z.B. auf einen Versicherer, gelten soll. Entsprechend den allgemeinen Regeln dürfte dies zu bejahen sein.119 Gleiches dürfte für Ansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gelten (z.B. Prospektersteller).

c) Weiteres Erfordernis: Klage richtet sich zumindest auch gegen Emittent oder Anbieter der sonstigen Kapitalanlage. Im Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 Nr. 2120 ist schließlich stets erforderlich, dass die Klage zumindest auch gegen den Emittenten oder den Anbieter der sonstigen Kapitalanlage gerichtet wird. Damit wird eindeutig klargestellt, dass insbesondere für isolierte Klagen gegen Anlageberater oder -vermittler kein gesonderter ausschließlicher Gerichtstand durch § 32b Abs. 1 Nr. 2 eröffnet wird.121 Derartige Klage sind am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten oder an den Gerichtsständen der §§ 29, 32 zu erheben.122 Hintergrund dieser Beschränkung ist die Überlegung, dass in solchen Fällen die in Anspruch genommenen Anlageberater oder Anlagevermittler sich häufig in örtlicher Nähe zum Kläger befinden dürften, weshalb eine Verlagerung des Rechtsstreits an einen anderen, unter Umständen weit entfernten Gerichtsort unverhältnismäßig und für alle Beteiligten unzweckmäßig wäre.123 Die Begriffe des Emittenten bzw. des Anbieters der sonstigen Vermögensanlage sind 66 eindeutig bestimmt.124 Emittent ist das Unternehmen, das Wertpapiere im eigenen Namen zur Kapitalbeschaffung ausgegeben hat. Da nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch der Bereich des Grauen Kapitalmarktes vom KapMuG bzw. § 32b erfasst werden sollte, wurde ergänzend in die betreffenden Vorschriften der „Anbieter einer sonstigen 65

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118 OLG München ZIP 2013, 2077; OLG München Beschluss vom 18.9.2013 – Az. 19 W 1442/13; LG München I Beschluss vom 23.7.2013 – Az. 22 O 23843/12. 119 Zu § 32 vgl. Zöller/Vollkommer (Fn. 19), § 32 Rdn. 13 m.w.N. 120 Anderes gilt im Anwendungsbereich der Nr. 1, vgl. oben Rdn. 45 f., 49. 121 BT-Drucks. 17/8799, S. 21. 122 Stein/Jonas/Roth 23. Auflage, § 32b Rdn. 1. 123 BT-Drucks. 17/8799, S. 27. 124 Dazu oben Rdn. 8 ff.

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Vermögensanlage“ aufgenommen. Anbieter in diesem Sinne ist dementsprechend – anders als u.U. in anderen Zusammenhängen – nicht etwa der Initiator oder ein anderer Dritter, der nach außen die Verantwortung für das Angebot einer Vermögensanlage übernimmt, sondern wiederum das Unternehmen, das die Anteile an der Vermögensanlage ausgibt (z.B. eine Fondsgesellschaft). Der Anbieter ist, soweit es nicht um die Anlage in Wertpapieren geht, damit funktionsgleich mit dem Emittenten. Da der Wortlaut von § 32b Abs. 1 die Anwendbarkeit eindeutig und in nicht ausleg- 67 barer Weise auf die Fälle beschränkt, in denen die Klage auch gegen den Emittenten oder den Anbieter einer sonstigen Kapitalanlage gerichtet wird, genügt es nicht, wenn es sich bei einem weiteren Beklagten um den Initiator, einen Prospektverantwortlichen oder einen anderen Dritten, der für die Richtigkeit der öffentlichen Kapitalmarktinformation verantwortlich ist, handelt.125 Anders als im Rahmen von § 32b Abs. 1 Nr. 1 kann der eindeutige Wortlaut auch nicht mit der Begründung beiseitegelassen werden, der Gesetzgeber habe gegenüber der früheren Fassung keine Einschränkung beabsichtigt.126 Denn zum einen ist der Wortlaut eindeutig, eine Umdeutung der Begriffe „Emittent“ bzw. „Anbieter“ in „jeder Prospektverantwortliche“ ist nicht möglich. Zum anderen verbleibt auch bei einer wortgetreuen Auslegung insgesamt ein größerer Anwendungsbereich als für § 32b Abs. 1 a.F., so dass von einer „Einschränkung gegenüber der früheren Rechtslage“ keine Rede sein kann.127 Dies hat zur Folge, dass außerhalb der Börsenprospekthaftung und damit insbesondere im Bereich des „Grauen Kapitalmarkts“ § 32b Abs. 1 Nr. 2 bei richtiger Anwendung weitgehend leerlaufen muss, da sich Klagen in diesem Bereich nur in den seltensten Fällen gegen die Fondsgesellschaft selbst richten. Beispiel: Eine Bank mit Sitz in Aschaffenburg vermittelt einem Kunden einen Anteil 68 an einem geschlossenen Schiffsfonds in der Rechtsform einer GbR („Fondsgesellschaft“). Sitz der Fondsgesellschaft ist Hamburg. Initiator und „Anbieter“ i.S.d. VermAnlG und damit Prospektverantwortlicher ist ein Emissionshaus mit Sitz in München. Zwei Jahre nach Zeichnung der Anlage muss der Fonds Insolvenz anmelden. Der Kunde der Bank ist der Meinung, die wirtschaftliche Ausgangslage sowie die vom Fonds abgeschlossenen wesentlichen Verträge seien im Prospekt falsch dargestellt worden, worauf ihn die Bank bei der Beratung hätte hinweisen müssen. Der Kunde erwägt, wegen dieses Beratungsfehlers sowie wegen des unrichtigen Prospekts nunmehr Klage zu erheben. – Variante a) Die Klage richtet sich nur gegen die Bank. § 32b Abs. 1 Nr. 2 erfasst eine solche „isolierte“ Klage nicht. Ein ausschließlicher Gerichtsstand ist nicht begründet. Die Klage ist am Sitz der Bank und daher zum LG Aschaffenburg zu erheben (§§ 12, 17); möglicherweise ergeben sich besondere Gerichtsstände nach den §§ 29 und 32. – Variante b) Die Klage richtet sich nur gegen das Emissionshaus. Da dieses für den Prospekt verantwortlich ist, ist der Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 Nr. 1 eröffnet. Die Klage ist am Sitz des Anbieters der sonstigen Vermögensanlage zu erheben. Anbieter dieser Anlagemöglichkeit ist aber nicht das Emissionshaus, sondern, wie oben dargelegt wurde, die Fondsgesellschaft.128 Ausschließlich zuständig ist somit das LG Hamburg. Folgende Kontrollüberlegung bestätigt die Richtigkeit dieses Ergebnisses: Würde man das Emissionshaus und nicht die Fondsgesellschaft als An-

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125 Wie hier wohl auch Thole AG 2013, 913, 919. 126 Zur Richtigkeit dieser Argumentation für § 32b Abs. 1 Nr. 1 siehe oben Rdn. 45 f., 49. A.A. aber wohl BGH WM 2013, 1643. 127 A.A. BGH WM 2013, 1643; OLG Düsseldorf NZG 2013, 1234; wie hier OLG München 27.6.2013 – Az. 34 AR 205/13; OLG Hamm NJW-RR 2013, 1451. 128 Siehe oben Rdn. 8 ff.

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bieter i.S.v. § 32b Abs. 1 ansehen, würde das zulasten des Anleger (!) einen Gerichtsstand am Sitz des Initiators begründen, was gerade im Bereich des „Grauen Kapitalmarkts“ schwerlich als gerechtfertigt angesehen werden kann. Zudem befinden sich dort auch nicht die Geschäftsunterlagen des betroffenen Unternehmens, an dem die Beteiligung eingegangen wurde. – Variante c) Bank und Emissionshaus sollen gemeinsam verklagt werden. Hinsichtlich des Emissionshauses bleibt es der Zuständigkeit des LG Hamburg. Und auch in Bezug auf die Bank ändert sich nichts. Da sich die Klage nicht auch gegen den Anbieter der sonstigen Vermögensanlage, d.h. die Fondsgesellschaft, richtet, verbleibt es in diesem Fall zunächst bei der Zuständigkeit des LG Aschaffenburg für die gegen die Bank gerichtete Klage. Sollen beide Beklagte gleichwohl als Streitgenossen verklagt werden, muss der Kläger eine gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 beantragen. Der Umstand, dass für einen Beklagten eine ausschließliche Zuständigkeit gegeben ist, steht dem nicht entgegen.129 Bei der Auswahl des Gerichts ist das Oberlandesgericht weder auf das nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 für einen der Beklagten zuständige Gericht beschränkt, noch ist es an dessen Bestimmung gehindert.130 Allerdings sind die in die neue Fassung von § 32b Abs. 1 eingeflossenen gesetzgeberischen Wertungen maßgeblich zu berücksichtigen.131 69 Ist über das Vermögen des Emittenten bzw. Anbieters das Insolvenzverfahren eröffnet worden, können Ansprüche gegen diesen nur noch nach §§ 179, 180 InsO am Sitz des Insolvenzgerichts geltend gemacht werden, sofern noch keine Klage erhoben wurde.132 Für § 32b Abs. 1 Nr. 2 bleibt dann kein Anwendungsbereich mehr. Gleiches gilt, wenn der Emittent bzw. Anbieter nach abgeschlossenem Insolvenzverfahren oder nach Beendigung der Liquidation nicht mehr existiert. Auch in diesem Fall kann die Voraussetzung einer auch gegen ihn gerichteten Klage nicht erfüllt werden, eine Klage ist an den sonst durch die §§ 12 ff. eröffneten Gerichtsständen zu erheben.133 70

5. Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Nummer 3 erfasst seinem Wortlaut nach „Klagen, mit denen ein Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht, geltend gemacht wird.“ Der sachliche Anwendungsbereich des ausschließlichen Gerichtsstands ist zweidimensional über den zugrunde liegenden Sachverhalt und die begehrte Rechtsfolge definiert. Anders als in den Fällen des Schadensersatzanspruchs nach Nummer 1 und 2 grenzt Nummer 3 den geltend gemachten Erfüllungsanspruch noch genauer ein. Der Anspruch muss sich sachverhaltsmäßig aus einem Vertrag ergeben, der auf ein Angebot nach dem WpÜG zurückgeht. Hinsichtlich der Rechtsfolge muss der Kläger mit dem verfolgten Anspruch die Erfüllung der vertraglichen Pflichten des Bieters begehren. Für die Geltendmachung dieser Erfüllungsansprüche wird der Gerichtsstand am Sitz der Zielgesellschaft fixiert. Systematisch handelt es sich bei Nummer 3 um einen Spezialfall des § 29.134 Nach § 2 Abs. 3 WpÜG sind Zielgesellschaften die von einem Übernahmeangebot betroffenen Unternehmen, nämlich Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Europäische Aktiengesellschaften mit Sitz im Inland.

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129 BGH NJW-RR 2008, 1514; BGH NJW 2007, 1365; OLG Brandenburg 14.4.2011 – Az. 1 AR 14/11; Zöller/ Vollkommer 30. Auflage, § 32b Rdn. 14 ff. 130 OLG Brandenburg 13.9.2010 – Az. 1 AR 22/10. 131 Näher unten Rdn. 91. 132 Siehe Rdn. 94. 133 A.A. Thole AG 2013, 913, 920: Wahlgerichtsstand am früheren Sitz des Emittenten bzw. Anbieters. 134 KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 13.

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Anders als bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Nummer 1 71 und 2 nimmt Nummer 3 ausdrücklich Bezug auf Vorschriften des deutschen Rechts. Ob der Gerichtsstand auch für Erfüllungsansprüche aus Verträgen gelten soll, die ausländischem Sachrecht unterworfen sind, ist von der Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden. Im Schrifttum wird die Frage uneinheitlich beantwortet. Teilweise wird aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf das WpÜG der Ausschluss der Anwendbarkeit von § 32b Abs. 1 Nr. 3 abgeleitet.135 Für eine solche Einschränkung besteht, insbesondere vor dem Hintergrund der europarechtlichen Vorprägung des Übernahmerechts und der gesetzlichen Zielsetzung, indes kein sachlicher Grund. Der Gesetzgeber wollte mit der namentlichen Erwähnung des WpÜG keine Beschränkung auf die Fälle, in denen deutsches Recht zur Anwendung kommt, zum Ausdruck bringen. Denn der Anwendungsbereich des WpÜG erfasst in internationaler Hinsicht nicht nur in Deutschland, sondern auch in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraum zum Handel zugelassene Wertpapiere (§§ 1 Abs. 1, Abs. 2, 2 Abs. 7 WpÜG).136 Dieser internationalen Reichweite steht der in § 32b geforderte Inlandsbezug nicht entgegen, da das WpÜG nicht an den Sitz der Zielgesellschaft, sondern an den Ort der Handelszulassung der Wertpapiere anknüpft.137 Schließlich macht das WpÜG keine Vorgaben in Bezug auf die lex causae für den durch Annahme des WpÜG-Angebots zustande gekommenen Vertrags.138 a) Erfüllungsansprüche unmittelbar aus dem Erwerbsvertrag. Seinem Wortlaut 72 nach erfasst der ausschließliche Gerichtsstand nach Nummer 3 Erfüllungsansprüche, die sich unmittelbar aus dem durch Annahme eines Angebots nach dem WpÜG zustande gekommenen Erwerbsvertrag ergeben.139 Das WpÜG unterscheidet zwischen den einfachen Erwerbsangeboten (§§ 10 ff.) sowie den Übernahme- (§§ 29 ff.) bzw. den Pflichtangeboten (§§ 35 ff.).140 Die einfachen Erwerbsangebote sowie die Übernahmeangebote unterscheiden sich von den Pflichtangeboten durch ihre Freiwilligkeit. Das „einfache“ Erwerbsangebot ist vom Übernahmeangebot wiederum dadurch abzugrenzen, dass bei letzterem mindestens der Erwerb von 30 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft angestrebt wird (§ 29 Abs. 2 WpÜG). Ist dies der Fall, sind Angebote, die nur auf einen Teil der Anteile gerichtet sind, unzulässig (§ 32 WpÜG). Unabhängig davon, ob dem Vertrag ein einfaches Erwerbsangebot, ein Übernahmeangebot oder ein Pflichtangebot zu Grunde liegt, ergibt sich der Anspruch auf dessen Erfüllung zunächst direkt aus dem zwischen Aktionär und Bieter geschlossenen Vertrag.141 Unklar ist, ob die freiwillige Einhaltung der Vorgaben des WpÜG im Rahmen eines 73 nicht in dessen Geltungsbereich fallenden Angebots als „Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- Übernahmegesetz“ gerichtsstandsbegründend wirkt. Für eine derartig weite Auslegung lässt sich neben der ratio legis umfassender Verfahrenskonzentration anführen, dass die Schadensersatzansprüche im Sinne der Nummer 1 und 2 neben dem geregelten auch den ungeregelten „Grauen Kapitalmarkt“ betreffen. Gegen ein derartiges Verständnis sprechen die Motive der Regierungsbegründung: Danach sollen nur Erfül-

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135 So Bachmann IPRax 2007, 77, 85. 136 Wie hier Mormann (Fn.9 ), S. 307 f. 137 Steinmeyer/Häger/Santelmann WpÜG, § 1 Rdn. 57; Haarmann/Schüppen FrankfurtKommWpÜG, § 1 Rdn. 11 f. 138 Vgl. hierzu auch § 2 Nr. 12 WpÜG-AngebotsVO, welcher die Möglichkeit eines vom deutschen Recht abweichenden Vertragsstatuts ausdrücklich vorsieht. 139 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 20. 140 Näher Mormann (Fn. 9), S. 295 ff. 141 Reuschle KapMuG, S. 27; Maier-Reimer/Wilsing ZGR 2006, 79, 86; Pohlmann ZGR 2007, 1, 12; Schneider BB 2005, 2249, 2250.

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lungsansprüche aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem WpÜG beruht, nicht aber Ansprüche auf deren Abschluss vom sachlichen Anwendungsbereich erfasst sein, „da das WpÜG entsprechende Individualansprüche von Anlegern auf den Abschluss solcher Verträge nicht vorsieht.“142 b) Ansprüche auf angemessene Gegenleistung, § 31 Abs. 1 WpÜG. Ansprüche auf die angemessene Gegenleistung sind nach herrschender Auffassung als vertragliche Ansprüche i.S.v. § 32b Abs. 1 Nr. 3 zu qualifizieren.143 Handelt es sich um ein einfaches Erwerbsangebot, kommt die Bestimmung der Gegenleistung nur in den seltensten Fällen in Betracht, da sich diese aus dem Angebot ergibt und keiner normativen Korrektur unterliegt. Handelt es sich dagegen um ein Übernahme- oder ein Pflichtangebot, regelt § 31 WpÜG i.V.m. §§ 3–7 WpÜG-AngebotsVO144 (gegebenenfalls i.V.m. § 39 WpÜG) Art und Höhe der tatsächlich geschuldeten Gegenleistung. Ist die im Angebot vorgesehene Gegenleistung unzureichend, gilt kraft Gesetzes die angemessene Gegenleistung als geschuldet. Der entsprechende Anspruch ergibt sich dann gleichwohl aus dem durch die Annahme zustande gekommenen Vertrag, nicht aus Gesetz.145 Nach Abgabe, aber vor Annahme des Angebots soll § 31 WpÜG nach überwiegender 75 Auffassung lediglich einen gesetzlichen Anspruch auf die gesetzliche Gegenleistung begründen.146 Demzufolge unterfiele ein derartiger Anspruch nicht dem Gerichtsstand nach Nummer 3. Richtigerweise wird man § 31 Abs. 1 WpÜG privatrechtsgestaltenden Charakter beimessen mit der Folge, dass das Angebot des Bieters kraft Gesetzes modifiziert wird, um eine angemessene Gegenleistung zu gewähren.147 Mit der Annahme des Angebots durch den Aktionär der Zielgesellschaft kommt ein Vertrag zustande, der den Anspruch auf die angemessen Gegenleistung begründet148 und den Gerichtsstand nach Nummer 3 eröffnet.

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c) Ansprüche auf Nacherfüllung. Nach den Gesetzesmaterialien zum KapMuG149 sind auch Ansprüche aus § 31 Abs. 4 bis 6 WpÜG auf die erhöhte Gegenleistung im Rahmen eines Nach- oder Parallelerwerbs am Sitz der Zielgesellschaft geltend zu machen.

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d) Ansprüche bei Nichtabgabe eines Pflichtangebots. Die Verletzung von Vorschriften des WpÜG, insbesondere bei Nichtabgabe eines Pflichtangebots, begründen keine zivilrechtlichen Individualansprüche.150 § 35 Abs. 2 WpÜG normiert lediglich eine öffentlich-rechtliche Verhaltenspflicht des Bieters. Daraus ergeben sich gerade keine zivilrechtlichen Ansprüche der Aktionäre gegen den Bieter wie auch die Gesetzesbegründung zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren zeigt: Danach fallen Ansprüche auf Abschluss eines Vertrages i.S.v. § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a.F. [= § 32b Abs. 1

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142 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 20. 143 Reuschle KapMuG, S. 27; Simon Rechtsschutz im Hinblick auf ein Pflichtangebot nach § 35 WpÜG, S. 329; Hecker ZBB 2004, 503, 506; Plaßmeier NZG 2005, 609, 610; Pohlmann ZGR 2007, 1, 17; Maier-Reimer/ Wilsing ZGR 2006 79, 86. 144 Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots (WpÜG-Angebotsverordnung) vom 27.12.2001 (BGBl. I, S. 4263) in der Fassung des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2481). 145 H.M., vgl. KK-KapMuG/Veil 1. Auflage, § 31 WpÜG Rdn. 10; Hecker ZBB 2004, 503, 506 m.w.N. 146 Vgl. ausführlich zum Streitstand Pohlmann ZGR 2007, 1, 15 f. 147 Simon (Fn. 53), S. 226 ff. 148 Mormann (Fn. 9), S. 299; Hecker ZBB 2004, 503, 506; s.a. BGH WM 2014, 1627. 149 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 16. 150 Steinmeyer/Häger § 35 Rdn. 107 ff.; Simon (Fn. 53), S. 206 ff.; Pohlmann ZGR 2007, 1, 9 ff.

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Nr. 3] nicht in den Anwendungsbereich der §§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KapMuG a.F., § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a.F., „da das WpÜG entsprechende Individualansprüche von Anlegern auf den Abschluss solcher Verträge nicht vorsieht.“151 Mangels Bestehen eines einklagbaren Anspruchs aus § 35 Abs. 2 WpÜG ist der ausschließliche Gerichtsstand nach Nummer 3 nicht eröffnet.152 e) Zinsansprüche. Streitig und bisher nicht geklärt ist, ob im Gerichtsstand des 78 § 32b Abs. 1 Nummer 3 auch eine etwaige Zinsverpflichtung des Bieters mit dem Anspruch auf die Gegenleistung geltend gemacht werden kann. Gemäß § 38 WpÜG ist der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft zur Verzinsung der (hypothetischen) Gegenleistung verpflichtet, wenn er entgegen § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG keine Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 WpÜG vornimmt, entgegen § 35 Abs. 2 S. 1 WpÜG kein Angebot gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 WpÜG abgibt oder ihm nach § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 WpÜG untersagt worden ist, ein Angebot im Sinne des § 35 Abs. 2 S. 1 WpÜG abzugeben. Ob der Gerichtsstand nach Nummer 3 im Fall des Zinsanspruchs eröffnet ist, hängt dabei letztlich von dessen dogmatischer Einordnung ab. Eine im Schrifttum weit verbreitete, vom OLG München übernommene Auffassung153 sieht in § 38 WpÜG einen unabhängig von der Einklagbarkeit der Gegenleistung bestehenden, selbständig durchsetzbaren Zinsanspruch aller Aktionäre der Zielgesellschaft gegen den Bieter.154 Aufgrund des Sanktionscharakters des § 38 WpÜG wäre der Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 Nr. 3 nicht eröffnet. Nach zutreffender Auffassung handelt es sich bei § 38 WpÜG um eine unselbständige Nebenforderung zu dem nach Angebotsannahme bestehenden Anspruch auf die Gegenleistung. Hierfür sprechen die Gesetzesmaterialien zu § 38 WpÜG, wonach der Gesetzgeber gerade keine selbständige Zinsforderung im Sinn hatte: „Nach § 38 erhöht sich die von einem Bieter im Rahmen des Pflichtangebots zu erbringende Gegenleistung, sofern der Bieter bestimmten im Zusammenhang mit dem Pflichtangebot stehenden besonders bedeutsamen Pflichten nicht nachkommt.“155 Hieraus folgt, dass die Zinsen als Teil des um sie erhöhten vertraglichen Erfüllungsanspruchs im Gerichtsstand nach § 32b Abs. 1 Nummer 3 eingeklagt werden können. Problematisch sind Klagen, in denen der Zinsanspruch isoliert geltend gemacht 79 wird. Dies ist möglich, da der Zinsanspruch nicht erst mit der Beendigung des Verstoßes gegen die genannten WpÜG-Vorschriften, sondern nach § 271 BGB sofort fällig wird.156 Allerdings ist zu beachten, dass die Vorschriften des WpÜG an den Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Vertrages nichts ändern, so dass die Geltendmachung eines „Erfüllungsanspruchs“ i.S.v. § 32b Abs. 1 Nummer 3 erst in Betracht kommt, wenn der Bieter ein Angebot abgegeben und der Aktionär dieses angenommen hat.157 Solange ein in § 38 WpÜG sanktionierter Tatbestand vorliegt, fehlt es aber gerade an diesen Voraussetzungen und somit an einem Erfüllungsanspruch aus einem Vertrag. Eine isolierte Geltendmachung des Zinsanspruchs ist daher nicht im Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 Nummer 3 möglich.

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Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 20. Mormann (Fn. 9), S. 302. OLG München BB 2005, 1411, 1412. Vgl. die Nachweise bei Pohlmann ZGR 2007, 1, 18 Fn. 84. Vgl. BT-Drucks. 14/7034, S. 61. KK-WpÜG/Kremer/Oesterhaus § 38 Rdn. 40. KK-WpÜG/Hirte § 10 Rdn. 2 und 20.

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f) Ansprüche aus § 12 WpÜG. § 12 WpÜG regelt die Haftung des Bieters für eine unrichtige oder unvollständige Angebotsunterlage. Derartige Haftungsansprüche fallen nicht in den Anwendungsbereich der Nummer 3. Dagegen kommt eine Anwendung von § 32b Abs. 1 Nr. 1 (oder in Ausnahmefällen Nr. 2) in Betracht.

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g) Rückabwicklungsansprüche. Zu verneinen ist die Anwendbarkeit des ausschließlichen Gerichtsstands, wenn nicht die Erfüllung eines Vertrages nach dem WpÜG, sondern dessen Rückabwicklung (z.B. nach einer Anfechtung) geltend gemacht wird. Ein Anspruch nach §§ 812 ff. BGB kann weder als „vertraglicher Erfüllungsanspruch“ noch als „Schadensersatzanspruch“ qualifiziert werden. III. Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts

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Die Vorschrift normiert entgegen ihrer amtlichen Überschrift nicht nur einen, sondern januskopfartig insgesamt drei ausschließliche Gerichtsstände, am Sitz des Emittenten, am Sitz des Anbieters sonstiger Vermögensanlagen sowie am Sitz der Zielgesellschaft. Das Verhältnis dieser Dreifaltigkeit der Gerichtsstände ist entsprechend der ratio legis der Verfahrenskonzentration entsprechend abzugrenzen. Der Wortlaut des ausschließlichen Gerichtsstands bezeichnet die aufgezählten Emittenten, Anbieter und Zielgesellschaft bewusst als „betroffen“, nicht aber als „beklagt“ oder „verklagt“.158 Damit soll es bei der Bestimmung der Betroffenheit nicht auf die Urheberschaft der jeweiligen Kapitalmarktinformation und auch nicht auf eine Beteiligung als Prozesspartei ankommen, sondern vielmehr auf die Auswirkung der Information auf das jeweilige Papier oder die sonstige Vermögensanlage. Das Tatbestandsmerkmal der Betroffenheit dient daher der Zuordnung der erhobenen Klage zum richtigen Sitz einer der drei in der Vorschrift genannten juristischen Bezugspersonen.159 Für diese Auffassung spricht insbesondere, dass die Zielgesellschaft weder Inhaber noch Gegner von Erfüllungsansprüchen aus Vertrag nach einem WpÜG-Angebot sein kann.160 Parteien dieses Vertrages sind grundsätzlich der Bieter i.S.v. § 2 Abs. 4 WpÜG und der dessen Angebot annehmende Aktionär der Zielgesellschaft. Für beide Personen normiert die Vorschrift einen Gerichtsstand am Sitz der von der Kapitalmarktinformation betroffenen Gesellschaft, der Zielgesellschaft.

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1. Gerichtsstand am Sitz des Emittenten. Der erste Gerichtsstand der Vorschrift knüpft an den Sitz des Emittenten an. Nach § 2 Nr. 9 WpPG ist Emittent jede Person oder Gesellschaft, die Wertpapiere i.S.v. § 2 Nr. 1 WpPG begibt oder zu begeben beabsichtigt. Die Person des Emittenten lässt sich im Regelfall aus dem Papier selbst ermitteln.161 In diesem Gerichtsstand können neben dem Emittenten der Anlageberater und Anlagevermittler,162 ein emissionsbegleitendes Kreditinstitut, die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder mitverklagt werden.163 Die Vorschrift schafft einen Gerichtsstand der passiven

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158 A.A. KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 10; Cuypers WM 2007, 1446, 1452, welche fälschlicherweise annehmen, dass mit dem Tatbestandsmerkmal der „Betroffenheit“ die nach den einschlägigen Haftungsvorschriften verklagte Partei bezeichnet werden soll. 159 Zutreffend Mormann (Fn. 9), S. 310, 312; Reuschle FS Simotta, S. 482; Siol WuB VII A § 32b ZPO 1.11. 160 Zutreffend Mormann (Fn. 9), S. 311. 161 Vgl. § 5 Abs. 2 WpPG, dazu auch OLG München NZG 2013, 995. 162 Für diesen Personenkreis ist Voraussetzung, dass die Klage auch gegen den Emittenten erhoben wird. 163 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 33; KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 8; Zöller/Vollkommer30 § 32b Rdn. 6. Näher dazu oben Rdn. 48 ff.

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Streitgenossenschaft.164 Die Veranlasser der Kapitalmarktinformation sind daher unabhängig ihres allgemeinen Gerichtsstands am Sitz des betroffenen Emittenten in Anspruch zu nehmen. Entscheidend ist damit der Sitz des Emittenten, auch wenn die fragliche, auf das Unternehmen bezogene öffentliche Kapitalmarktinformation von einem Dritten stammte.165 Als Sitz des Emittenten166 gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird (§ 17 Abs. 1 S. 2).167 Wie im Rahmen der allgemeinen Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit folgt somit aus § 17 Abs. 1 S. 2, dass es in erster Linie auf den Satzungssitz ankommt.168 Fehlt es solcher, entscheidet der Ort, an dem tatsächlich die Geschäfte geführt werden. Verfügt der Emittent ausnahmsweise über einen Doppelsitz, ist an jedem Sitz die Zuständigkeit begründet.169 Gibt es keinen Sitz mehr oder ist dieser gelöscht, kommt es auf den früheren Sitz an.170 Wie oben dargelegt wurde,171 kann es in Bezug auf ein- und dieselbe Kapitalanlage 84 neben dem Emittenten nicht auch noch einen „Anbieter“ i.S.v. § 32b Abs. 1 geben, so dass § 32b Abs. 1 im Zusammenhang mit einer Anlage in Wertpapieren nicht zu zwei (oder mehr) Gerichtsständen führen kann, unter denen dann auszuwählen wäre. Folgt man dagegen der wohl herrschenden Ansicht, dass wegen einer unterschiedlichen Begriffsbestimmung in einem Fall sowohl ein Emittent wie auch ein Anbieter vorhanden sein können, würden sich aus § 32b Abs. 1 zwei Gerichtsstände ableiten lassen (ein mit dem Charakter als ausschließlicher Gerichtsstand schwerlich vereinbares Ergebnis), unter denen dann der Kläger entsprechend § 35 auswählen könnte.172 2. Gerichtsstand am Sitz des Anbieters sonstiger Vermögensanlagen. Der Sitz 85 des Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen ist erst auf Betreiben des Rechtsausschusses des Bundestages in den Wortlauft der Norm aufgenommen worden.173 Nach den Gesetzesmaterialien sollten dadurch „etwa geschlossene Fonds in Form der Unternehmensbeteiligung (z.B. Immobilien-, Solar, Windenergie-Fonds)“ erfasst werden, „nachdem durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz vom 28. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2630) auch solche Anlagen prospektpflichtig geworden sind.“ 174 Die Ausdehnung begründet der Rechtsausschuss mit der Schutzbedürftigkeit von Anlegern, denen im Rahmen von sonstigen Vermögensanlagen dieselben Streuschäden drohten wie Anlegern, die in Wertpapiere investieren. Wie oben175 dargelegt wurde, ist unter einem Anbieter im Allgemeinen derjenige zu 86 verstehen, der die Struktur der Vermögensanlage maßgeblich entwickelt und umgesetzt hat und nach außen hin auch erkennbar als Anbieter derartiger Anlagen auftritt und diese für eigene oder fremde Rechnung andient. Sonstige Vermögensanlagen bezeichnen nicht börsennotierte Anlageformen des sog. „Grauen Kapitalmarkts“. Ginge man davon aus, wäre nach dem Wortlaut der Norm eine Bündelung der Scha- 87 densersatzklagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen in Bezug auf nicht in

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164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175

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Vgl. KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 8. LG Stuttgart WM 2011, 1511. Zu grenzüberschreitenden Fällen siehe unten Rdn. 100 ff. BT-Drucks. 15/5091, S. 33. Zöller/Vollkommer 30. Auflage, § 17 Rdn. 9 m.w.N.; MünchKomm/Patzina § 17 Rdn. 5. Zöller/Vollkommer 30. Auflage, § 32b Rdn. 7. OLG Brandenburg NZG 2013, 1152; OLG München NJW-RR 2007, 1644, 1645. Siehe Rdn. 8 ff., 65 ff. So KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 9; Mormann ZIP 2011, 1181, 1189 ff. Vgl. BT-Drucks. 15/5695, S. 23. Vgl. vorstehende Fn. Vgl. Rdn. 9.

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Wertpapieren bestehenden Vermögensanlagen am Sitz des Unternehmens nur dann gewährleistet, wenn der Emittent zugleich auch Anbieter der Vermögensanlage ist.176 Aus diesem Grund ist fraglich, ob der Begriff des Anbieters im Sinne von § 32b synonym mit dem Begriff des Emittenten zu deuten ist177 oder ob zur Bestimmung des Begriffs die Vorschriften über das Vermögensanlagengesetz heranzuziehen sind.178 Diese Frage ist entsprechend der ratio legis der Verfahrenskonzentration zu beantworten. § 32b regelt ebenso wenig wie die inhaltsgleiche Begriffsverwendung in § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG, der die öffentliche Kapitalmarktinformation definiert, welche Person mit der jeweiligen Klage konkret auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann. Nach dem Grundgedanken des Regierungsentwurfs zum KapMuG 2005 sollen sämtliche Klagen i.S.v. § 32b am Sitz desjenigen Unternehmens gebündelt werden, dessen Unternehmensdaten zur Überprüfung der streitgegenständlichen Kapitalmarktinformation erforderlich sind.179 Die nachträgliche Einfügung des Begriffs des „Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen“ diente allein dem Ziel, klarzustellen, dass auch Streuschäden bei sonstigen Vermögensanlagen musterverfahrensfähig sind und in dem neu geschaffenen Forum geltend gemacht werden können. Dabei verwendeten die Gesetzesverfasser den Begriff des Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen synonym zum Begriff des Emittenten. Denn Diskussions- und Regierungsentwurf hatten sämtliche falsche Darstellungen gegenüber dem Kapitalmarkt im Auge. Auch beschränkte sich die beispielhafte Aufzählung der öffentlichen Kapitalmarktinformationen nicht auf den geregelten Markt, sondern erfasst auch den sog. ungeregelten Markt. Um eine effektive Bündelung der Schadensersatzklagen an einem Fixpunkt zu gewährleisten, ist unter dem Anbieter i.S.v. § 32b letztlich diejenige Person zu verstehen, deren Unternehmensanteile den Gegenstand der Kapitalanlage bilden.180 Denn nur dadurch werden am Sitz der Fondsgesellschaft die Verfahren kanalisiert, um die Unternehmensdaten einheitlich einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Nicht dagegen ist Anbieter i.S.v. § 32b die Person, welche die Anteile verkauft hat, selbst dann nicht, wenn sie Beklagte ist. Ein Prospektverantwortlicher einer Vermögensanlage ist daher am Sitz der Gesellschaft oder Unternehmung der Vermögensanlage in Anspruch zu nehmen. Die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung lässt sich mit einer Kontrollüberle88 gung zum Anknüpfungspunkt des Emittenten untermauern: Soweit Vorstände nach § 826 BGB wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen eines Wertpapieremittenten in Anspruch genommen werden, ist die Klage am Sitz des Unternehmens einzureichen, selbst wenn das Unternehmen nicht mitverklagt wurde und die Vorstände nicht ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Sitzes des Unternehmens haben. Noch eindeutiger fällt das Ergebnis aus, wenn ein börsennotierter Emissionsbegleiter, ein Kreditinstitut eine Fremdemission im Rahmen eines going public begibt. Auch hier knüpft § 32b nicht an den Sitz des die Fremdemission begleitenden Kreditinstituts an, sondern an den betroffenen Emittenten, dessen Wertpapiere begeben werden sollen. Gleiche Überlegungen haben daher für den Anbieterbegriff im Falle sonstiger Vermögensanlagen zu gelten. Wäre das anders, hätte dies zudem auch zur Folge, dass am Sitz einer Fondsgesellschaft, obwohl dort die das „Unternehmen“ betreffenden Unterlagen konzentriert sind, eine

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176 Vgl. OLG Koblenz Beschluss vom 12.10.2006 NJW 2006, 3723. 177 In diesem Sinne Vorwerk/Wolf/Parriger § 32b Rdn. 24, wohl auch OLG Koblenz NJW 2006, 3723; OLG Nürnberg BB 2006, 2212; Hans. OLG Hamburg OLGR 2007, 33. 178 BGH Beschluss vom 30.7.2013 – Az. X ARZ 320/13, juris Rdn. 12; OLG Frankfurt OLGR 2007, 917; Mormann (Fn. 9), S. 328. 179 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 33. 180 Zutreffend erkannt Vorwerk/Wolf/Parriger § 32b Rdn. 24; ebenso LG Dortmund 16.7.2013 – Az. 1 O 203/10, Rdn. 107. Siehe auch oben Rdn. 8 ff.

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Klage nur dann erhoben werden könnte, wenn sich dort zufällig auch der Sitz des Anbieters befindet. Mit den gesetzlichen Zielsetzungen ist das unvereinbar. Auch insoweit gilt deshalb, dass es für ein- und dieselbe Kapitalanlage nur einen 89 Anbieter (oder einen Emittenten) i.S.v. § 32b Abs. 1 geben kann, so dass § 32b – abgesehen von einem Fall des Doppelsitzes – immer nur zu einem Gerichtsstand führt. Folgt man dagegen der Ansicht, dass in einem Fall sowohl ein Emittent wie auch ein Anbieter vorhanden sein kann, würden sich aus § 32b Abs. 1 zwei Gerichtsstände ableiten lassen, unter denen dann der Kläger entsprechend § 35 auswählen könnte.181 3. Gerichtsstand am Sitz der Zielgesellschaft. Der Begriff der Zielgesellschaft um- 90 fasst nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 3 WpÜG die von einem Übernahmeangebot betroffenen Unternehmen, nämlich Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Europäische Aktiengesellschaften mit Sitz im Inland. In diesem Gerichtsstand können sowohl der Bieter i.S.v. § 2 Abs. 4 sowie der dessen Angebot annehmende Aktionär der Zielgesellschaft ihre Ansprüche geltend machen. Die Zielgesellschaft kann hingegen nicht im ausschließlichen Gerichtsstand klagen oder verklagt werden,182 weil sie weder Inhaber noch Gegner eines Erfüllungsanspruchs aus Vertrag nach einem WpÜG-Angebot ist.183 IV. § 32b Abs. 1 als Wertungskriterium im Rahmen von § 36 Abs. 1 Nr. 3 Fehlt es bei der Inanspruchnahme von Streitgenossen an einer Zuständigkeit nach 91 § 32b Abs. 1 und ist auch sonst kein gemeinsamer Gerichtsstand begründet, kann das zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt werden.184 Die Auswahl kann auf das Gericht am Sitz des Emittenten bzw. Anbieters der sonstigen Vermögensanlage fallen, muss dies aber nicht.185 Einigkeit besteht ferner dahingehend, dass bei der Auswahl des Gerichts den Wertungen des § 32b Abs. 1 besonders Gewicht zukommt. Nach der Neufassung von § 32b Abs. 1 bedeutet dies allerdings, dass dem Gericht am Sitz des Emittenten bzw. Anbieters nach dem Willen des Gesetzgebers im Regelfall nur dann Vorrang zukommen soll, wenn Emittent oder Anbieter ebenfalls verklagt werden.186 Ist dies nicht der Fall, ist ausweislich der Gesetzesbegründung187 für die Neufassung insbesondere das Gewicht des Sitzes einer beratenden Bank grundsätzlich höher zu bewerten als die Verknüpfung des Sachverhalts mit dem Emittenten oder Anbieter. Die Bestimmung des Gerichts am Sitz des Emittenten ist demnach im Rahmen der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zwar nicht ausgeschlossen. Befinden sich aber insbesondere die Wohnorte der Klagepartei und der in Frage kommenden Zeugen in Nähe des Sitzes des beklagten Anlageberaters, ist regelmäßig das Gericht am Sitz des Anlageberaters als zuständiges Gericht zu bestimmen.188

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181 So KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 9; Mormann ZIP 2011, 1181, 1189 ff. 182 Dies übersehen etwa KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b Rdn. 13; Musielak/Heinrich 11. Auflage, § 32b Rdn. 5b; MünchKomm/Patzina § 32b Rdn. 4; Cuypers WM 2007, 1446, 1451. 183 Zutreffend Mormann (Fn. 9), S. 315; Zöller/Vollkommer30 § 32b ZPO Rdn. 9. 184 BGH NJW-RR 2008, 1514. 185 BGH NJW-RR 2008, 1514. 186 Anders unter Geltung von § 32b a.F. OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2014, 120: Konzentration am Sitz des Emittenten bzw. Anbieters (Regelfall); ebenso OLG Frankfurt/M. 7.11.2012 – Az. 11 AR 190/12. 187 BT-Drucks. 17/8799, S. 27. 188 OLG Frankfurt/M. WM 2014, 701 unter Verweis auf BT-Drucks. 17/8799, S. 27.

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V. Abgrenzung zu anderen Zuständigkeitsvorschriften Ungeachtet des Charakters als ausschließlicher Gerichtsstand können sich Abgrenzungsfragen zu anderen Zuständigkeitsvorschriften ergeben, insbesondere im Rahmen eines Insolvenzverfahrens für eine Klage auf Feststellung zur Insolvenztabelle sowie in Verbraucherfällen. Allgemein gilt jedoch, dass aufgrund des ausschließlichen Charakters bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 32b eine Zuständigkeit nach den §§ 12, 13, 17, 22, 29 und 32 ausgeschlossen ist. Ebenso ist eine Prorogation oder ein rügeloses Einlassen unmöglich (§ 40 Abs. 2). 93 Nicht so eindeutig ist zumindest auf den ersten Blick das Verhältnis zu § 29c, da auch in dieser Vorschrift eine ausschließliche Zuständigkeit vorgesehen ist. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass sich auch in Verbrauchersachen § 32b gegen § 29c durchsetzt, da anderenfalls die von § 32b beabsichtigte Konzentrationswirkung nicht erreicht werden könnte.189 Einen ausschließlichen Gerichtsstand sieht § 29c Abs. 1 S. 2 zudem nur für Klagen gegen den Verbraucher vor, die ohnehin nur in den seltensten Fällen in den Anwendungsbereich von § 32b fallen. Die Rechtsstellung des Verbrauchers wird zudem nicht unzumutbar eingeschränkt, da dieser es in der praktisch wichtigsten Konstellation in der Hand hat, allein gegen seinen Anlageberater im Gerichtsstand des § 29c vorzugehen. Auf Klagen zur Feststellung eines Anspruchs zur Insolvenztabelle ist § 32b nicht an94 zuwenden. Zwar fällt eine positive Feststellungsklage an sich in den Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1.190 Eine solche Klage ist jedoch gemäß § 180 Abs. 1 S. 2 und 3 InsO am Sitz des zuständigen Insolvenzgerichts zu erheben. § 180 Abs. 1 S. 2 und 3 InsO gebührt als speziellerer Regelung der Vorrang gegenüber § 32b Abs. 1.191 Ob § 32b schließlich auch gegenüber §§ 87, 89 GWB der Vorrang gebührt, ist noch 95 nicht abschließend geklärt, wohl aber zu bezweifeln.192 92

VI. Zuständigkeitskonzentration gemäß Absatz 2 96

Absatz 2 bezweckt eine weitere Konzentration des Gerichtsstands. Danach wird es den Landesregierungen durch Rechtsverordnung ermöglicht, einen einheitlichen Gerichtsstand zu schaffen. Da der ausschließliche Gerichtsstand nach Absatz 1 nicht mehr wie die aufgehobenen Vorschriften des § 48 BörsG und § 13 Abs. 2 VerkProspG an den Sitz der Börse, sondern an den Sitz des jeweils betroffenen Unternehmens anknüpft, sollen über Absatz 2 innerhalb eines Bundeslandes zur Entscheidung der maßgebenden Materie kompetente Spruchkörper gebildet werden können. Von dieser Konzentrationsermächtigung haben bislang folgende Bundesländer Gebrauch gemacht: In Bayern ist das Landgericht Augsburg für die Landgerichtsbezirke Augsburg, Kempten und Memmingen, das Landgericht Landshut für die Landgerichtsbezirke Deggendorf, Landshut und Passau, das Landgericht München I für die Landgerichtsbezirke Ingolstadt, München I, München II und Traunstein sowie das Landgericht Nürnberg-Fürth für die Land-

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189 Wie hier Thole AG 2013, 913, 920; a.A. Cuypers WM 2007, 1446, 1450; Stein/Jonas/Roth 23. Auflage, § 32b Rdn. 10 (Wahlrecht entsprechend § 35). 190 Siehe oben Rdn. 26. 191 Zur Möglichkeit der Annahme speziellerer Zuständigkeitsbestimmungen OLG Hamburg ZInsO 2006, 1059; a.A. Mormann (Fn. 9), S. 314 f., 319, sowie ders. ZIP 2011, 1182 f., der für die Anwendung von § 35 in Bezug auf die beiden ausschließlichen Gerichtsstände plädiert. Wieder anders Zöller/Vollkommer 30. Auflage § 32b Rdn. 5 f., der einen Anwendungsfall von § 32b bejaht. 192 Eingehend dazu OLG Braunschweig 29.10.2013 – Az. 1 W 42/13 sowie Thole AG 2013, 913, 920 f.

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gerichtsbezirke der Oberlandesgerichte Nürnberg und Bamberg zuständig.193 In Hessen ist die Zuständigkeit dem Landgericht Frankfurt am Main für die Landgerichtsbezirke in Hessen zugewiesen.194 In Nordrhein-Westfalen ist zuständig für Streitigkeiten im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf das Landgericht Düsseldorf, im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm das Landgericht Dortmund und im Oberlandesgerichtsbezirk Köln das Landgericht Köln.195 In Thüringen ist das Landgericht Gera für den Bezirk des Oberlandesgerichts zuständig.196 VII. Bedeutung für internationale Streitigkeiten 1. Einführung. Es stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang 97 § 32b auch Bedeutung für grenzüberschreitende Sachverhalte gewinnen kann. Eine solche Bedeutung ist unter zwei Gesichtspunkten nicht von vornherein ausgeschlossen. Zum einen kann – vorbehaltlich vorrangiger Regelungen – aus einer Bestimmung zur örtlichen Zuständigkeit nach der ganz h.M. grundsätzlich auch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte abgeleitet werden.197 Zum anderen ist es denkbar, dass im Rahmen der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit eines ausländischen Urteils gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 eine implizite Regelung der internationalen Zuständigkeit durch § 32b ZPO zu berücksichtigen ist. Dass staatsvertragliche Regelungen198 und insbesondere die EuGVVO in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich allerdings Vorrang haben, auch soweit sie zugleich die örtliche Zuständigkeit betreffen (z.B. nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO), ist unstreitig und bedarf keiner weiteren Erläuterung.199 Die wohl h.M. geht davon aus, dass der Gesetzgeber mit Schaffung des ausschließli- 98 chen Gerichtsstandes in § 32b auch auf internationaler Ebene einer Zersplitterung der Zuständigkeiten entgegen wirken wollte, „die sich aus den ansonsten in Betracht kommenden Gerichtsständen des Sitzes des Beklagten, der unerlaubten Handlungen oder des Vermögens nach internationalem Zivilprozessrecht ergeben könnte.“200 Mit § 32b soll deshalb neben der Regelung der örtlichen Zuständigkeit zumindest partiell auch die Vereinheitlichung der internationalen Zuständigkeit beabsichtigt gewesen sein, und zwar für inländische Unternehmen, die im Ausland an Börsen gelistet sind.201 Zwar besteht Einigkeit darüber, dass § 32b ZPO nicht verhindern kann, dass inländische Emittenten im Anwendungsbereich der EuGVVO sowie des LugÜ II im Ausland verklagt werden können, denn im Anwendungsbereich dieser Vorschriften bestimme § 32b allenfalls die örtliche Zuständigkeit,202 soweit die Regelungen von EuGVVO oder LugÜ II nicht auch diese beträfen.203 Außerhalb dieses Bereichs regele § 32b nach dem Grundsatz der Dop-

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193 Vgl. § 37 GZVJu vom 11.6.2012, GVB. 2012, 295. 194 Vgl. § 46 JuZuV vom 3.6.2013, GVBl. 2013, 386. 195 Vgl. § 1 der VO über die Konzentration der Verfahren nach § 32b ZPO und nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten vom 16.11.2012, GV NRW 2012, 617. 196 Vgl. § 5 Abs. 3 ThürGerzustVO vom 17.11.2011, GVBl. 2011, 511. 197 Statt vieler siehe Zöller/Geimer (Fn. 19), IZPR Rdn. 37 ff. 198 Zur Bedeutung des LugÜ in Anlagehaftungsfällen siehe z.B. BGH WM 2010, 2163. 199 BT-Drucks. 15/5091, S. 17, 23; BT-Drucks. 15/5695, S. 25. 200 Vgl. BT-Drucks. 15/5091, S. 33. 201 von Hein RIW 2004, 602, 608; Reuschle WM 2004, 2334, 2443; Schneider BB 2005, 2249, 2250; Haß/ Zerr RIW 2005, 721, 726 f.; Keller/Kolling BKR 2005, 399, 403, Bachmann IPRax 2007, 77, 84; Musielak/ Heinrich 11. Auflage, § 32b Rdn. 7; MünchKomm/Patzina3 § 32b Rdn. 8; Vorwerk/Wolf/Parriger KapMuG, § 32b ZPO Rdn. 9 ff.; KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 31. 202 Siehe OLG Frankfurt/M. ZIP 2010, 2217; von Hein RIW 2004, 602, 608. 203 Vgl. BT-Drucks. 15/5091 S. 17; Hess RIW 2004, 2329, 2332; Möllers/Weichert NJW 2005, 2737, 2739; Reuschle WM 2004, 2334, 2343; Schneider BB 2005, 2249, 2250.

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pelfunktionalität aber neben der örtlichen auch die bewusst als ausschließliche Zuständigkeit ausgestaltete internationale Zuständigkeit.204 Die Vorschrift bezwecke in den Fällen, in denen deutsche Aktiengesellschaften in Drittstaaten an der Börse notiert seien, ein Forum-Shopping zu verhindern.205 Eine Anerkennung eines ausländischen Urteils eines Drittstaats sei daher wegen § 328 Abs. 1 Nr. 1 zu versagen, da für inländische Emittenten gemäß § 32b Abs. 1 immer nur deutsche Gerichte zuständig seien. 99 Entgegen dieser weitverbreiteten Ansicht206 enthält § 32b aber fast keine tatsächlich in dieser Weise wirkenden Regelungen. § 32b kommt für Fragen der internationalen Entscheidungszuständigkeit nur eine minimale, für die Anerkennungszuständigkeit sogar gar keine Bedeutung zu, wie nachfolgend zu zeigen ist.207 100

2. Anknüpfung an der Sitz. Nach allgemeiner Ansicht ist in allen Fällen zunächst zu klären, ob sich der Sitz des Emittenten, des Anbieters der sonstigen Vermögensanlage oder der Zielgesellschaft im Inland befindet; eine in Deutschland befindliche Niederlassung reicht nicht aus. Maßgeblich ist wie bei reinen Inlandssachverhalten zunächst der Satzungssitz. Dieser ist für einen klagenden Anleger leicht festzustellen, zudem begründet er den allgemeinen Gerichtsstand der Gesellschaft, was dafür spricht, diesen in auch im Rahmen von § 32b Abs. 1 zu berücksichtigen. Fehlt ein Satzungssitz in Deutschland, genügt nach dem Rechtsgedanken von § 17 Abs. 1 S. 2 bzw. Art. 63 Abs. 1 lit. b EuGVVO auch der Ort, an dem tatsächlich die Geschäfte geführt werden („Verwaltungssitz“).208 § 32b Abs. 1 liegt nach der Vorstellung die besondere Nähe des Gerichtsstandes zu den Unterlagen des betroffenen Unternehmens zugrunde.209 Dies rechtfertigt es, im Rahmen von § 32b Abs. 1 alternativ an den tatsächlichen Verwaltungssitz anzuknüpfen.210

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3. Entscheidungszuständigkeit. Keine Rolle für die Entscheidungszuständigkeit spielt § 32b zunächst in den Fällen, in denen sich der Sitz des Emittenten, des Anbieters der sonstigen Vermögensanlage oder der Zielgesellschaft nicht in Deutschland befindet. Denn ist diesem Fall ist § 32b nach der klaren Bestimmung in Absatz 1 von vornherein nicht anwendbar. In diesen Fällen ist für die Frage der Zuständigkeit die EuGVVO heranzuziehen, sofern ihre Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind. Fehlt es daran und sind auch keine anderen Übereinkommen211 oder Staatsverträge anwendbar, sind aufgrund ihrer Doppelfunktionalität die §§ 12 ff. (mit Ausnahme von § 32b) für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit entsprechend heranzuziehen.212 Besondere Bedeutung kommt § 32 ZPO213 zu.

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204 MünchKomm/Patzina § 32b Rdn. 8; Vgl. auch die Stellungnahme des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 15/5695 S. 25. 205 Vgl. MünchKomm/Patzina § 32b Rdn. 1; Vorwerk/Wolf/Parriger KapMuG, § 32b ZPO Rdn. 16; Reuschle KapMuG (2006), S. 28; Haß/Zerr RIW 2005, 721, 726f; Hess/Michailidou ZIP 2004, 1381; Mormann (Fn. 9), S. 220; Reuschle WM 2004, 966, 973; a.A. Musielak/Heinrich 11. Auflage, Rdn. 7. 206 Mormann (Fn. 9), S. 219; Bachmann IPRax 2007, 77 ff. 207 Kritisch gegenüber den angeblichen Zielen des Gesetzgebers, aber unentschieden in der Sache Zöller/Vollkommer 30. Auflage, § 32b Rdn. 8. 208 In diesem Sinne OLG Frankfurt/M. ZIP 2010, 2217. 209 BT-Drucks. 15/5091, S. 33. 210 Ebenso Art. 63 Abs. 1 lit. b) EuGVVO. 211 Zu prüfen ist diesbezüglich vor allem das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (LugÜ II). 212 Bachmann IPRax 2007, 77, 83 ff.; Cuypers WM 2007, 1446 ff. 213 BT-Drucks. 15/5091, S. 23; Bachmann IPRax 2007, 77, 84.

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§ 32b spielt für die Entscheidungszuständigkeit aber auch dann nur eine sehr begrenzte Rolle, wenn der Sitz des Emittenten, des Anbieters der sonstigen Vermögensanlage oder der Zielgesellschaft in Deutschland liegt. Keine Bedeutung hat § 32b insbesondere in den Fällen, in denen der Beklagte, der mit Emittent, Anbieter oder Zielgesellschaft nicht identisch sein muss, seinen allgemeinen Gerichtsstand i.S.v. Artt. 2 Abs. 1, 63 EuGVVO ebenfalls in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat der EuGVVO hat. Denn es entspricht der langjährigen und gefestigten Rechtsprechung des EuGH wie auch des BGH, dass die EuGVVO214 bereits dann anzuwenden ist, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz bzw., wenn es sich nicht um eine natürliche Person handelt, seinen Satzungsoder tatsächlichen Verwaltungssitz oder seine Hauptniederlassung (vgl. Art. 63 Abs. 1 EuGVVO) in einem Mitgliedsstaat hat.215 Ist die EuGVVO in einem solchen Fall anwendbar, kann sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte vor allem aus den Art. 4 Abs. 1 und 7 Nr. 2 EuGVVO ergeben.216 Auf die autonomen Vorschriften des deutschen Rechts kommt es dagegen in einem solchen Fall nicht an. Sofern sich aus der EuGVVO allerdings nur die internationale, nicht auch zugleich die örtliche Zuständigkeit entnehmen lässt, kann sich aus § 32b Abs. 1 die ausschließliche örtliche Zuständigkeit ergeben.217 Nach alledem könnte § 32b Abs. 1 nur dann für die internationale (Entscheidungs-) Zuständigkeit deutscher Gerichte Bedeutung erlangen, wenn (i) sich der Sitz des Emittenten, des Anbieters der sonstigen Vermögensanlage oder der Zielgesellschaft in Deutschland befindet, (ii) der Beklagte seinen Sitz außerhalb eines Mitgliedsstaats der EuGVVO hat, (iii) die EuGVVO nicht schon aus anderen Gründen anwendbar ist und (iv) es sich bei dem Beklagten um eine Person handelt, für deren Inanspruchnahme § 32b Abs. 1 auch dann gilt, wenn nicht zugleich Emittent, Anbieter oder Zielgesellschaft in Anspruch genommen werden.218 Beispiel 1: Der alleinige Aktionär einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt/M. wohnt in Buenos Aires. Im Wege eines going public bringt der Alleingesellschafter seine Aktien an die Börse in Frankfurt/M. Einige Zeit nach der Einführung der Aktien nehmen ihn verschiedene Aktionäre am Sitz der Gesellschaft wegen angeblicher Mängel des Börsenzulassungsprospekts in Anspruch (§ 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpPG). In diesem Fall ist die EuGVVO nicht anwendbar, § 32b Abs. 1 dagegen schon, da sich der Sitz des Emittenten in Deutschland befindet. Nach allgemeiner Ansicht ist es bei der Inanspruchnahme eines Prospektverantwortlichen entgegen dem Wortlaut von § 32b Abs. 1 auch nicht erforderlich, dass zugleich der Emittent in Anspruch genommen wird.219 Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt in diesem Fall somit aus § 32b Abs. 1 Nr. 1. Beispiel 2: Ein in Buenos Aires ansässiger Anlageberater rät seinem dort wohnenden Kunden zu dem Erwerb von Aktien aus einem Börsengang einer deutschen Gesellschaft in Deutschland. Bei der Beratung verwendet er den – fehlerhaften – Börsenzulassungsprospekt. Einige Zeit später erhebt der Kunde eine Schadensersatzklage gegen der Berater am Sitz der Aktiengesellschaft in Deutschland, die Gesellschaft selbst verklagt er jedoch nicht. § 32b Abs. 1 ist in diesem Fall zwar grundsätzlich anwendbar, da die EuGV-

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214 Entsprechendes gilt im jeweiligen Anwendungsbereich für das LugÜ II. 215 EuGH NJW 2000, 3121 = IPRax 2000, 520 („Group Josi“); BGH GRUR-RR 2013, 228; KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 17 m.w.N. 216 Ausführlich dazu Bachmann IPRax 2007, 77, 80 ff.; KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 16 ff.; sowie Thole AG 2013, 913 ff.; s.a. OLG Frankfurt/M. ZIP 2010, 2217; sowie OLG München ZIP 2013, 435. 217 Stein/Jonas/Roth 23. Auflage, § 32b Rdn. 3. 218 Dazu oben Rdn. 49; siehe auch LG Dortmund 31.10.2012 – Az. 21 O 219/11. 219 Siehe oben Rdn. 49.

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VO nicht anzuwenden ist und der maßgebliche Emittent seinen Sitz auch im Inland hat. Ein Anlageberater ist allerdings nur dann gemäß § 32b Abs. 1 gerichtspflichtig, wenn sich die Klage zumindest auch gegen den Emittenten richtet. Dies ist hier nicht der Fall. Aus § 32b Abs. 1 Nr. 2 lässt sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in einem solchen Fall also nicht ableiten. 106

4. Auswirkung auf Anerkennungszuständigkeit. Welche Auswirkungen § 32b Abs. 1 auf die Anerkennungsfähigkeit ausländischer Entscheidungen hat, ist umstritten und bisher auch durch die Rechtsprechung nicht geklärt. Unabhängig von den nachfolgend dargestellten Fragen besteht allerdings zunächst Einigkeit, dass § 32b Abs. 1 für die Frage der Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung bedeutungslos ist, soweit es um die Anerkennung einer Entscheidung aus einem Mitgliedsstaat der EuGVVO geht, denn diese Frage wird in der EuGVVO abschließend geregelt.220 Ausgangspunkt der Überlegungen in Bezug auf Entscheidungen aus anderen Staa107 ten hierzu ist die weit verbreitete Annahme,221 mit der Festlegung eines ausschließlichen Gerichtsstandes in § 32b habe der Gesetzgeber zumindest auch den Zweck verfolgt, inländische Emittenten vor der Vollstreckung ausländischer Urteile (insbesondere aus den USA) in Deutschland zu schützen. Denn wenn nach den deutschen Zuständigkeitsvorschriften das Gericht am inländischen Sitz des Beklagten ausschließlich zuständig gewesen sei, scheide gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 eine Anerkennung des ausländischen Urteils aus.222 Diese Annahme ist jedoch unzutreffend.223 Diesbezüglich erscheint bereits eine ein108 deutige Zielsetzung des Gesetzgebers in diesem Sinne zumindest nicht zweifelsfrei, denn den Gesetzesmaterialien lässt sich hierzu lediglich entnehmen, dass der Rechtsausschuss des Bundestages die Frage erörtert hat, wie deutsche Unternehmen vor übergriffigen Urteilen aus dem Ausland geschützt werden können. Dabei wurde auch auf § 328 Abs. 1 Nr. 1 verwiesen, weshalb weitere Maßnahmen nicht für erforderlich gehalten wurden.224 Lediglich an einer anderen Stelle wird ausgeführt, durch § 32b sollten „Anleger veranlasst werden, vor deutschen Gerichten zu klagen und nicht im Wege eines Forum Shopping auf andere Staaten auszuweichen“.225 Zudem solle dem berechtigten Interesse Rechnung getragen werden, „deutsche Kapitalmärkte durch die inländische Justiz zu kontrollieren und eine extraterritorial ausgreifende Gesetzgebung anderer Staaten zu verhindern“.226 Auch wenn damit eindeutig belegt wird, dass sich der Gesetzgeber einer möglichen kanalisierenden Wirkung von § 32b Abs. 1 auch in grenzüberschreitenden Fällen bewusst war, lässt sich zum konkreten Regelungsinhalt nichts ableiten. Und auch das grundsätzlich berechtigte Interesse, den deutschen Kapitalmarkt durch deutsche Gerichte zu kontrollieren, lässt nicht den Rückschluss zu, dass ausländischen Entscheidungen auch dann die Anerkennung in Deutschland versagt werden soll, wenn sie in einem Staat ergangen sind, in dem z.B. das beklagte deutsche Unternehmen an der Börse notiert ist. Bei einer unvoreingenommenen Betrachtung kommt man um das Ergebnis

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220 Entsprechendes gilt im Anwendungsbereich des LugÜ II. 221 Siehe z.B. Bachmann IPRax 2007, 77, 80, 83. 222 Mormann AG 2011, 10 f.; von Hein RIW 2004, 602, 608; Prütting/Lange 5. Auflage, § 32b Rdn. 4; Bachmann IPRax 2007, 77, 83; Haß/Zerr RIW 2005, 721, 726 f.; Mormann (Fn. 9), S. 439 ff.; KK-KapMuG/Hess 2. Auflage, § 32b ZPO Rdn. 31; Zöller/Geimer (Fn. 19), IZPR Rdn. 40a; zweifelnd Zöller/Vollkommer (Fn. 19), § 32b Rdn. 8. A.A. Stein/Jonas/Roth 23. Auflage, § 32b Rdn. 5 (allerdings ohne Begründung). 223 Zweifelnd an der angeblichen Zielsetzung auch Zöller/Vollkommer 30. Auflage, § 32b Rdn. 8. 224 BT-Drucks. 15/5695, S. 25. 225 BT-Drucks. 15/5091, S. 17. 226 BT-Drucks. 15/5091, S. 17.

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nicht herum, dass es sachlich nicht gerechtfertigt wäre, ausländischen Urteilen gegen inländische Emittenten oder Anbieter von Vermögensanlagen grundsätzlich die Anerkennung zu versagen.227 Hinzu kommt, dass ein vollständiger Schutz deutscher Unternehmen durch § 32b tatsächlich gar nicht erreicht werden kann. Wurde die gegebenenfalls anzuerkennende Entscheidung nicht von dem Gericht eines Mitgliedsstaates der EuGVVO oder des LugÜ erlassen, sind die Voraussetzungen einer Anerkennung § 328 Abs. 1 zu entnehmen. Nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ist die Anerkennung ausgeschlossen, wenn die Gerichte des Staates, dem das ausländische Gericht angehört, nach den deutschen Gesetzen nicht zuständig waren. Die ganz h.M. geht davon aus, dass unter den „deutschen Gesetzen“ i.S.v. § 328 Abs. 1 Nr. 1 nur die Vorschriften der §§ 12 ff. zu verstehen sind, aus denen in einem solchen Fall über die örtliche Zuständigkeit hinaus auch die internationale Zuständigkeit abgeleitet werden soll. Befindet sich in einem solchen Fall der Sitz des Emittenten in Deutschland, soll § 32b Abs. 1 für die Frage der Anerkennungszuständigkeit im Rahmen von § 328 Abs. 1 Nr. 1 herangezogen werden. Beispielsfall: Die Aktien der A-AG mit Sitz in Frankfurt/M. werden an einer Börse in den USA gehandelt. Um den Börsenkurs zu stützen, veranlasst der Vorstand vorsätzlich und in vollem Bewusstsein der daraus aller Voraussicht nach folgenden Schäden für die Anleger die Veröffentlichung einer inhaltlich unzutreffenden Ad-hoc-Meldung in den USA. Etliche Anleger in den USA, die dadurch zu Schaden kommen, nehmen die A-AG in den USA erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch. Anschließend möchten sie das Urteil in Deutschland anerkennen und vollstrecken lassen. Die wohl herrschende Meinung kommt in diesem Fall zu dem Ergebnis, dass die Anerkennung zu versagen sei:228 Im Rahmen der entsprechenden Prüfung nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 seien die Vorschriften der ZPO heranzuziehen. Da Gegenstand der Entscheidung ein „Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation“ i.S.v. § 32b Abs. 1 Nr. 1 sei und sich der Sitz des Emittenten im Inland befinde, sei § 32b Abs. 1 für die Frage der Anerkennungszuständigkeit maßgeblich. Da sich aus § 32b Abs. 1 aber ein ausschließlicher Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft in Deutschland ergebe, sei in solchen Fällen die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung stets ausgeschlossen. Nach anderer Ansicht soll § 32b dagegen die internationale Anerkennungszuständigkeit überhaupt nicht regeln, was dann regelmäßig zur Anerkennungsfähigkeit ausländischer Urteile führe.229 Diese h.M. ist hinsichtlich der in dem Beispielsfall genannten Konstellation nicht nur unzutreffend, sie propagiert auch ein sachlich nicht gerechtfertigtes Ergebnis.230 Denn es kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass derjenige, der (wie im obigen Beispielsfall) auf einem ausländischen Kapitalmarkt aktiv wird, um Gelder von Anlegern einzuwerben, zumindest in einem gewissen Umfang auch eine Gerichtspflicht in diesem Staat akzeptieren muss. Das autonome deutsche Recht sieht dies in Bezug auf ausländische Emittenten, die den deutschen Kapitalmarkt nutzen, bekanntlich nicht anders. Gegen das Ergebnis der h.M. spricht ferner, dass in den meisten Fällen ein effektiver Schutz gegen eine Vollstreckung auf diese Weise nicht einmal erreicht werden dürfte. Nutzt ein Emittenten einen ausländischen Kapitalmarkt, wird er häufig auch andere geschäftliche Interessen in diesem Staat verfolgen und dort über Vermögen verfügen,

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227 Wie hier („Diskriminierung“) Zöller/Vollkommer 30. Auflage, § 32b Rdn. 8. 228 Nachweise oben Fn. 222. 229 Musielak/Heinrich 11. Auflage, § 32b Rdn. 7; unklar MünchKomm/Patzina § 32b Rdn. 11, der in § 32b auch eine Regelung der internationalen Zuständigkeit sieht, andererseits für eine Anerkennung der ausländischen Urteile plädiert. 230 Kritisch auch von Hein RIW 2004, 602, 608 f.

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das ohnehin einer Vollstreckung ausgesetzt ist. Sollte dies im Einzelfall anders sein, könnte das Verständnis der h.M. von § 32b Abs. 1 auf andere Weise ebenfalls negativ für den Emittenten sein, weil sich ein Ausschluss jeglicher Vollstreckungsmöglichkeiten aller Voraussicht nach sogar negativ auf die Chancen des Emittenten auswirken würde, im Ausland Kapital einzuwerben. Denn wenn Schadensersatzansprüche nur am Sitz des Emittenten geltend gemacht werden können, muss diese Anlagemöglichkeit für ausländische Kapitalgeber weniger attraktiv erscheinen. Letztendlich ist die Versagung einer Anerkennung unter einer Berufung auf eine fehlende Zuständigkeit in derartigen Konstellationen von vornherein der falsche Ansatz. Geht man unter Berücksichtigung der Aussagen des Rechtsausschusses231 davon aus, dass durch § 32b Abs. 1 vor allem die Anerkennung von Urteilen aus den USA ausgeschlossen werden sollte, speisen sich die diesbezüglichen Vorbehalte nicht aus dem Gerichtsort per se, sondern sind durch andere Besonderheiten des US-amerikanischen Rechts begründet, die dem deutschen Recht fremd erscheinen (insbesondere die sog. „pre-trial discovery“ sowie „punitive damages“). Ist man der Ansicht, dass deutsche Emittenten vor diesen Rechtsinstituten bzw. darauf beruhenden Entscheidungen zu schützen sind, ist § 328 Abs. 1 Nr. 4 der richtig Ansatzpunkt, nicht die Verneinung der Anerkennungszuständigkeit. Unabhängig von den vorstehenden Bedenken ist die h.A. auch sachlich unzutref113 fend, da entgegen der h.M.232 im Rahmen von § 328 Abs. 1 Nr. 1 auch die Zuständigkeitsnormen der EuGVVO zu beachten sind. § 328 Abs. 1 Nr. 1 ist seit Inkrafttreten der Vorschrift am 1.1.1900 unverändert geblieben. Da sich damals die Frage einer Bezugnahme auf vereinheitlichte europäische Zuständigkeitsvorschriften nicht stellte, kann aus dem Verweis auf die „deutschen Gesetze“ nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, der Gesetzgeber habe insoweit ausschließlich auf die Vorschriften der ZPO verweisen wollen.233 Auch in anderem Zusammenhang wird zudem zu Recht davon ausgegangen, dass ein Verweis auf „deutsches Recht“ internationale Übereinkommen einschließt.234 Weshalb dies nicht auch für die EuGVVO gelten sollte, die in Deutschland und für die deutschen Gerichte die internationale Zuständigkeit regelt, erschließt sich nicht.235 Ferner spricht auch der Gedanke der Kongruenz236 dafür, Entscheidungs- und Anerkennungszuständigkeit anhand der gleichen Normen zu bestimmen, also anhand der EuGVVO, wenn der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand i.S.v. Art. 4 Abs. 1, 63 EuGVVO in Deutschland hat. Nach richtiger Ansicht sind somit für die Prüfung der Anerkennungszuständigkeit 114 i.S.v. § 328 Abs. 1 Nr. 1, d.h. für die Frage, ob das ausländische Gericht bei hypothetischer Geltung der deutschen Zuständigkeitsvorschriften im Urteilsstaat seine Kompetenz zu Recht bejaht hat, auch die Vorschriften der EuGVVO zu beachten.237 Unterstellt man die Geltung der EuGVVO im Urteilsstaat, d.h. ist der Urteilsstaat zum Zwecke dieser Prüfung als ein Mitgliedstaat der EuGVVO anzusehen, so führt im Rahmen dieser hypothetischen Betrachtung der Umstand, dass die beklagte Partei ihren Sitz in Deutschland und damit ebenfalls in einem Mitgliedstaat der EuGVVO hat, dazu, dass allein die Vorschriften der

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231 BT-Drucks. 15/5695, S. 25. 232 Zu dieser statt vieler Schärtl IPRax 2006, 438 ff. m.w.N.; so auch die – nicht bindende – Meinung des Rechtsausschusses, vgl. BT-Drucks. 15/5695, S. 25. 233 So zutreffend mit ausführlicher Begründung Kern ZZP 120 (2007), 31, 45 ff. 234 Vgl. BGH NJW-RR 2010, 1217: Vereinbaren die Parteien eines grenzüberschreitenden Kaufvertrages die Geltung „deutsche Rechts“, so führt dies grundsätzlich zur Anwendung des UN-Kaufrechts. 235 Ausführlich Kern ZZP 120 (2007), 31, 40 ff., 53 ff.; a.A. Schärtl IPRax 2006, 438 ff. 236 Kern ZZP 120 (2007), 31, 54. 237 Kern ZZP 120 (2007), 31, 45 ff.; ebenso Rauscher/Andrae EuZPR/EuIPR (2010), Vorbem Artt. 3 ff. EGUntVO Rdn. 14 ff.

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EuGVVO über die Anerkennungszuständigkeit entscheiden. § 328 Abs. 1 Nr. 1 steht somit einer Anerkennung dann nicht entgegen, wenn sich aus der entsprechenden spiegelbildlichen Anwendung von Art. 7 ff. EuGVVO eine Zuständigkeit des Urteilsstaates ergibt.238 Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist eine Frage des Einzelfalles. Die Ansicht, § 32b ZPO schließe die Anerkennung von Urteilen aus Drittstaaten von vornherein aus, ist aber unzutreffend.

§ 33 Besonderer Gerichtsstand der Widerklage § 33 Smid/Hartmann (1) Bei dem Gericht der Klage kann eine Widerklage erhoben werden, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln in Zusammenhang steht. (2) Dies gilt nicht, wenn für eine Klage wegen des Gegenanspruchs die Vereinbarung der Zuständigkeit des Gerichts nach § 40 Abs. 2 unzulässig ist. Schrifttum Ackermann Die Drittwiderklage: eine prozessökonomische Untersuchung, Diss. Berlin 2005; AhrensBähr Der Wettbewerbsprozess, 6. Auflage (2009); Beck Besonderer Gerichtsstand bei Drittwiderklagen – Kehrtwende des BGH, WRP 2011, 414; Bork Die Widerklage, JA 1981, 385; Bornkamm Die Gerichtsstandsbestimmung nach §§ 36, 37 ZPO, NJW 1989, 2713; Dräger Isolierte Drittwiderklage: Sinn und Unsinn von prozesstaktischen Abtretungen, MDR 2008, 1373; Eickhoff Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, Diss. Berlin 1985; Eisner Gerichtsstandsvereinharungen und Widerklage im inländischen Wirtschaftsrecht NJW 1970, 2141; v. Falkenhausen Ausschluß von Aufrechnung und Widerklage durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen RIW 1982, 386; Fellner Zulässigkeit der Drittwiderklage und die örtliche Zuständigkeit des Gerichts der Klage für den Drittwiderbeklagten MDR 2011, 146; Fenn Die fristgebundene Widerklage – ein Anschluß „rechtsmittel“ erster Instanz? AcP 163 (1963) 152; Gaul Das Zuständigkeitsverhältnis der Zivilkammer zur Kammer für Handelssachen bei gemischter Klagenhäufung und (handelsrechtlicher) Widerklage, JZ 1984, 57; Heinsheimer Klage und Widerklage ZZP 38 (1909), 1; Hofmann Zur Widerklage, die gegen den Kläger der Hauptklage und zugleich gegen eine bisher am Rechtsstreit nicht beteiligte Person erhoben wird, NJW 1964, 1026; Huber Grundwissen – Zivilprozessrecht: Die Widerklage, JuS 2007, 12; Kirchstein-Freund Voraussetzungen und Grenzen der isolierten Drittwiderklage, KTS 2004, 41; Kähler Widerklage und Erweiterungsklage unter Streitgenossen, ZZP 123 (2010) 473; Koller Aufrechnung und Widerklage im Schiedsverfahren. Unter besonderer Berücksichtigung des Schiedsorts Österreich, Diss. Wien 2009; Luckey Probleme der parteierweiternden Widerklage – BGH, NJW 1996, 196, JuS 1998, 499; Lücke Die Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, Habil. Tübingen 1993; Nieder Die Widerklage mit Drittbeteiligung ZZP 85 (1972) 437; Ott Die Parteiwiderklage (1999); Pfaff Widerklagezuständigkeit bei prorogationswidriger Klageerhebung ZZP 96 (1983), 334; Riehm/Bucher Die Drittwiderklage, ZZP 123 (2010) 347; Rimmelspacher Zur Bedeutung des § 33 ZPO, FSLüke (1997) S. 655 ff.; Roth Parteierweiternde Widerklage und gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit, Beys-FS. (2003) S. 1353–1369; Schneider Die Zulässigkeit der Zwischenfeststellungs(wider)klage, MDR 1973, 270; ders. Prozeßtaktischer Einsatz der Widerklage, MDR 1998, 21; Schlosser Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Auflage (1989); Schöler Die isolierte Drittwiderklage als legitimes Instrument der Prozesstaktik, MDR 2011, 522; Schröder Widerklage gegen Dritte? AcP 164 (1964), 517; Skusa Die isolierte Drittwiderklage gegen Zedenten – Zulässigkeit und anwaltliche Hinweispflichten NJW 2011, 2697; Spiess Die Auswirkungen der petitorischen Widerklage auf die Besitzklage, JZ 1979, 717; M. Stürner

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238 Teilweise abweichend Kern ZZP 120 (2007), 31 ff., der für die Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit die EuGVVO nur bei Sitz des Beklagten in einem anderen Mitgliedstaat, bei Sitz des Beklagten in Deutschland aber die §§ 12 ff. ZPO heranziehen will. Dies erscheint wenig überzeugend.

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§ 33

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Zur Reichweite des Gerichtsstandes der Widerklage nach Art. 6 Nr. 3 EuGVVO, IPrax 2007, 21; Vollkommer/G. Vollkommer Abschied von der parteierweiternden Widerklage? WRP 2000, 1062; Vossler Die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung für Streitgenossen NJW 2006, 117; Weber Gegenverfügungen im Eilverfahren, WRP 1985, 527. Übersicht Normzweck ____ 1 1. Regelung des Abs. 1 ____ 1 2. Regelung des Abs. 2 ____ 4 II. Widerklage als selbständige Klage ____ 7 1. Eigener Streitgegenstand der Widerklage ____ 7 2. Mehrheit von Ansprüchen ____ 10 3. Wider-Widerklage ____ 11 III. Abgrenzung von anderen Anträgen ____ 14 1. Auslegung der Widerklage als Klageabweisungsantrag ____ 14 2. Widerwiderklage des Klägers als nachträgliche Klagehäufung ____ 17 3. Abgrenzung zu Einreden, Repliken usf. ____ 18 4. Auslegung der Widerklage als Prozessantrag ____ 19 5. Auslegung von Sach- oder Prozessanträgen als Widerklageerhebung ____ 20 IV. Kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel ____ 21 1. Prozessuale Privilegierung des Widerbeklagten ____ 21 2. Geteilte Prozesse in der 1. und 2. Instanz ____ 22 V. Form der Widerklage ____ 25 1. Verzichtbare Anforderungen ____ 25 2. Unverzichtbare Anforderungen ____ 27 3. Mündliche Widerklageerhebung ____ 28 VI. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen der Widerklage als „echte“ Klage ____ 29 1. Rechtsweg; Gerichtsbarkeit ____ 30 2. Prozessvoraussetzungen in der Person der Partei ____ 31 3. Prozessvoraussetzungen in der Sphäre des Prozesses ____ 32 4. Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen ____ 35 5. Zuständigkeit von Sondergerichten ____ 36 6. Prozesshindernde Einreden ____ 37 VII. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Widerklage als solche ____ 38 1. Rechtshängigkeit ____ 38 2. Nichtigkeit der Anhängigkeit ____ 43 3. Ruhen des Verfahrens ____ 45 4. Sog. „Verselbständigung“ der Widerklage ____ 46 I.

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VIII. Widerklageerhebung im Instanzenzug ____ 50 1. Vor Beendigung der 1. Instanz ____ 50 2. Berufungsinstanz ____ 51 3. Revision und Wiederaufnahme ____ 52 IX. Widerklage und Parteirollen ____ 54 1. Grundsatz ____ 54 2. Widerkläger gegen einen oder mehrere Kläger als Widerbeklagte ____ 55 3. Widerklage im Falle der Hauptintervention ____ 56 4. Widerklage bei selbständigen und unselbständigen Streitgehilfen des Klägers ____ 57 5. Widerklage nur eines Beklagten ____ 58 6. Beklagter im Falle des Prätendentenstreits ____ 59 7. Keine Widerklage gegen gesetzliche Vertreter des Klägers und Parteien kraft Amtes ____ 60 8. Wechsel des gesetzlichen Vertretung ____ 62 X. Prozessarten ____ 63 1. Übersicht ____ 63 2. Urkundsverfahren ____ 64 3. Widerklage im arbeitsgerichtlichen Verfahren vor der Güteverhandlung ____ 66 4. Mahnverfahren ____ 67 5. Schiedsverfahren und Vollstreckbarerklärungsverfahren ____ 69 6. Arrest und einstweilige Verfügung ____ 73 7. Vollstreckungs- und Aufgebotsverfahren ____ 74 8. Gesetzliche Ausschlusstatbestände, namentlich besitzrechtliche Fälle ____ 75 XI. Konnexität ____ 78 1. Funktion ____ 78 2. Übersicht ____ 79 3. Entwicklung der Rechtsprechung zum rechtlichen Zusammenhang ____ 80 4. Voraussetzungen rechtlichen Zusammenhangs, § 33 Abs. 1, 1. Var. ____ 82 5. Konnexität aufgrund Zusammenhangs von Verteidigungsmitteln und Klageanspruch, § 3 Abs. 1, 2. Var. ____ 85

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Abschnitt 1. Gerichte

6.

Ausschluss des Widerklagsgerichtsstandes trotz Konnexität ____ 89 XII. Eventualwiderklage ____ 90 1. Eventualwiderklage als innerprozessual bedingte Prozesshandlung ____ 90 2. Auswirkung des Eventualverhältnisses ____ 93 3. Kein Eventualrechtsweg ____ 95 4. Kein Eventualrechtsweg ____ 97 XIII. Weitere Sonderfälle ____ 98 1. Anschlusswiderklage bei befristeten Klagen ____ 98 2. Zwischenfeststellungsklagen ____ 99 3. Schadensersatz bei Vorbehaltsurteilen ____ 100 XIV. Drittwiderklage als parteierweiternde Widerklage ____ 101 1. Keine Widerklage durch Dritte ____ 101 2. Zulässigkeit parteierweiternder Widerklagen gegen Dritte ____ 102

§ 33

3.

Frühere Rechtsprechung: Unzulässigkeit gegen Dritte erhobener Widerklagen ____ 103 4. Entwicklung der Rechtsprechung des BGH ____ 104 5. Parteierweiternde Widerklage gegen Kläger und einen Dritten ____ 107 6. Widerklage nur gegen Dritte ____ 109 7. Zulässigkeit von Widerklagen gegen Dritte ____ 111 8. Einzelfälle ____ 112 9. Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ____ 113 10. Weitere Wirkungen der parteierweiternden Widerklage ____ 115 XV. Aufrechnung ____ 117 XVI. Gebührenrechtliche Fragen ____ 120 XVII. Internationale Zuständigkeit ____ 121 1. EuGVVO ____ 121 2. Weitere besondere internationale Widerklagegerichtsstände ____ 123 3. Autonomes Recht ____ 124

I. Normzweck 1. Regelung des Abs. 1 a) § 33 Abs. 1 ist zunächst einmal eine gerichtsstandsrechtliche Regelung, mit der 1 das örtlich zuständige Gericht für Widerklagen bestimmt wird. Eine eigene Regelung der Widerklage als zivilprozessualer Institution trifft die ZPO freilich nicht; ihre Funktionsweise ist aus einzelnen Regelungen zu erschließen. Hier sind zu nennen: § 145 Abs. 2 über die Prozesstrennung, § 256 Abs. 2 zur Feststellungsklage wegen eines im Verlauf des Prozesses streitig gewordenen Rechtsverhältnisses, § 301 Abs. 1 zum Teilurteil bei Endentscheidungsreife der Widerklage, § 347 Abs. 1 zum Einspruchsverfahren gegen das Säumnisurteil und § 506 Abs. 1, der regelt, dass, wenn für den Gegenstand der Widerklage die Landgerichte sachlich zuständig sind, das Amtsgericht im Falle eines entsprechenden Antrages einer Partei sich durch Beschluss für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht zu verweisen hat.1 Aus all diesen Einzelregelungen lässt sich jedenfalls schleißen, dass in Rechtsstreitigkeiten, die sich aufeinander derart beziehen, dass das Obsiegen in einem Rechtsstreit über Obsiegen oder Unterliegen im anderen Rechtsstreit entscheidet, eine Widerklage erhoben werden kann. Und § 33 regelt, dass diese Widerklage vor dem Gericht der Klage erhoben werden kann. Dadurch soll eine Zersplitterung von Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.2 Schon nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 wird deutlich, dass „zusammenhängende“ Rechtsstreitigkeiten vor einem Gericht verhandelt werden sollen. Über prozessuale Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte der Gewährleistung einer einheitlichen Entscheidung zusammenhängender Streitigkeiten hinaus dient § 33 der Gewährleistung prozessualer Waffengleichheit. 3

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1 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 1. 2 BGH NJW 1981, 2642, 2643. 3 Rimmelspacher FS-Lüke, S. 660; M. Huber JuS 2007, 21 ff.; Pfaff ZZP 96 (1983), 334, 352; Nieder ZZP 85 (1972) 437 ff.

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§ 33

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Denn der besondere Gerichtsstand der Widerklage ermöglicht es dem Beklagten, mit der Erhebung der Widerklage am Ort des prozessualen Angriffs des Klägers diesem einen Gegenangriff entgegenzusetzen.4 2

b) Der Gerichtsstand der Widerklage ist also ein Gerichtsstand des Sachzusammenhangs.5 Entgegen der vom RG6 vertretenen und zunächst auch vom BGH7 verfolgten Ansicht, § 33 normiere mit dem Erfordernis des Sachzusammenhangs eine besondere Prozessvoraussetzung der Widerklage8 ist mit der h.M.9 aufgrund der systematischen Stellung des § 33 im 1. Titel der Regelungen über die örtliche Zuständigkeit davon auszugehen, dass allein der Gerichtsstand geregelt wird.10 Nach überzeugender heutiger Ansicht gilt: Liegt daher keine Konnexität des mit der Widerklage geltend gemachten Gegenstandes vor, ist damit die Widerklage nicht unzulässig, wenn die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für den Gegenstand im Übrigen aufgrund allgemeinen oder besonderen Gerichtsstandes des widerbeklagten Klägers begründet ist.11 Die inkonnexe Widerklage ist folglich nur dann unzulässig, wenn sie am örtlich unzuständigen Gericht erhoben wird; für sie ist also der Gerichtsstand gesondert zu prüfen.12 Ist die inkonnexe Widerklage unzulässig ist sie auf einen Verweisungsantrag (§ 281) abzutrennen(§ 145 Abs. 2) und der Rechtsstreit insoweit zu verweisen.

3

c) Der Gerichtsstand der Widerklage ist nicht ausschließlich.13 Der Beklagte kann vorbehaltlich des § 33 Abs. 2 nach § 35 wählen, ob er die im Wege der Widerklage vor dem Gerichtsstand des § 33 Abs. 1 vorgeht oder seinen Anspruch gegen den Kläger im Wege der Klage vor dessen allgemeinen Gerichtsstand oder einem in Betracht kommenden besonderen Gerichtsstand verfolgt.14 Durch Gerichtsstandsvereinbarung kann § 33 wirksam mit der Folge ausgeschlossen werden, dass die am Gericht der Klage erhobene Widerklage dann unzulässig wird, wenn für sie nicht im Übrigen der Gerichtsstand am Gericht der Klage aus anderen Gründen eröffnet ist.15 2. Regelung des Abs. 2

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a) Ist für den Widerklageanspruch ein (anderer) ausschließlicher Gerichtstand (als der Klagegerichtstand) begründet, so entfällt der Klagegerichtstand des Zusammenhangs (§ 33 Abs. 1) für die Widerklage. Eine Widerklage kann weiter dann nicht im Gerichtsstand gemäß Abs. 1 erhoben werden, wenn eine Prorogation für die Erhebung einer selbständigen Klage gemäß § 40 Abs. 2 unzulässig wäre.16 Daher greift Abs. 1 nur wegen vermögensrechtlicher Ansprüche. Im Übrigen ist der Gerichtsstand des Abs. 1 auch für konnexe Widerklagen dann nicht begründet, wenn für den damit geltend gemachten

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MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 1; Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 2; Bork JA 1981, 385. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 1 m.w.N. RGZ 23, 397, 398; 110, 97, 98. BGHZ 40, 185, 187. Nicht mehr: BGHZ 53, 166, 168. Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 1 m.w.N. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 2. Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 30. Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 1. BeckOK-ZPO/Toussaint § 33 Rdn. 14. BeckOK-ZPO/Toussaint § 33 Rdn. 14. Saenger-ZPO/Bendtsen § 33 Rdn. 5 f. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 3; Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 4.

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Anspruch besondere ausschließliche Zuständigkeiten (§§ 34, 29a, 32a) begründet sind.17 Erhebt der Beklagte gleichwohl vor dem Gerichtsstand nach § 33 Abs. 1 die Widerklage, muss diese nach § 145 abgetrennt werden. Sie ist dann, wenn nicht die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts aus dem ausschließlichen besonderen Gerichtsstand begründet ist, wegen örtlicher Unzuständigkeit unzulässig und abzuweisen, wenn nicht vom Beklagten/Widerkläger Verweisungsantrag nach § 281 gestellt wird.18 b) Ein Beklagter kann daher unter den Voraussetzungen des § 33 – also bei Vorlie- 5 gen der Konnexität der Gegenstände – Widerklage vor einem Gericht erheben, das nach den sonstigen Gerichtsstandsvorschriften an sich örtlich nicht zuständig wäre und vor dem er denselben Anspruch als eigenständige isolierte Hauptklage nicht anhängig machen könnte.19 Dadurch wird allein der Beklagte privilegiert.20 Ein Grund, in entsprechender Anwendung des § 33 auch den bei einem unzuständigen Gericht klagenden Kläger allein aufgrund einer zufällig erhobenen Widerklage zu begünstigen, ist nicht ersichtlich. Ein ursprünglich für das Klagebegehren unzuständiges Gericht wird daher nicht dadurch zuständig, dass der Beklagte seinerseits Widerklage erhebt. Eine entsprechende Anwendung des § 33 ist insoweit nicht möglich.21 c) Durchbrechung der Regelung des Abs. 2. Da § 29c Abs. 1 dem Verbraucher ei- 6 nen ausschließlichen Wahlgerichtsstand einräumt, der nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 nicht abbedungen werden kann, käme § 33 Abs. 2 zum Zuge, der dem vor diesem Gerichtsstand Verklagten den Gerichsstand der Widerklage verwehrt. Erhebt der Verbraucher gegen den Unternehmer Klage an einem Gerichtsstand, der nicht dem des § 29c entspricht und erhebt daraufhin der Unternehmer Widerklage, so müsste diese daher an sich nach § 145 abgetrennt und an das nach § 29c Abs. 1 S. 2 zuständige Gericht verwiesen werden. Der Gerichtsstand der Widerklage, § 33 Abs. 1, wäre aufgrund des ausschließlichen Gerichtsstandes des § 29c Abs. 1 S. 2 nicht gegeben, §§ 33 Abs. 2, 40 Abs. 2. Durch § 29c Abs. 2 ist es jedoch möglich, die Widerklage am besonderen Gerichtsstand des § 33 Abs. 1 zu verhandeln, obwohl mit § 29c Abs. 1 S. 2 ein ausschließlicher Gerichtsstand besteht. § 29c Abs. 2 erklärt § 33 Abs. 2 für unanwendbar: Sofern der Unternehmer als Vertragspartner von Verbraucher am ausschließlichen Gerichtsstand des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes des Verbrauchers verklagt werden kann stellt sich die Frage, wo der Unternehmer Widerklage erheben kann. Nimmt der Verbraucher die Möglichkeit wahr, am allgemeinen Gerichtsstand des Unternehmers als Vertragspartner oder am Erfüllungsort zu klagen, würde die Regelung des § 29c Abs. 1 S. 1 auf die Widerklage des Unternehmers erstreckt und dieser gezwungen werden, die Widerklage nur im ausschließlichen Gerichtsstand des Wohnsitzes des Verbrauchers zu erheben. Der Gewährleistung der Waffengleichheit des beklagten Unternehmer trägt daher § 29c Abs. 2 Rechnung. Das aber würde zu weit gehen, da die Widerklage dem Beklagten, der mit dem Angriff des Klägers überzogen wird, die Möglichkeit einräumen soll, sich vor dem vom Kläger angerufenen Gericht gegen die Klage zu wehren. Richtigerweise ist daher dem vom Verbraucher vor dem Gerichtsstand nach § 29c verklagten Unternehmer die Möglichkeit einzuräumen, im Fall der an seinem allgemeinen Sitz in Deutschland erhobenen Klage auch dort Widerklage zu erheben. Diese Vorschrift dient damit aber auch zugleich

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Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 4. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 23. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 2. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 1. OLGR Hamburg 2006, 416 f.

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dem Schutz des Verbrauchers, dem es ermöglicht wird den gesamten Prozess konzentriert an einem Gerichtsstand zu Ende zu bringen. Eine entsprechende Regelung trifft § 215 Abs. 2 VVG, der die Anwendung des § 33 Abs. 2 auf Widerklagen des vom Versicherungsnehmer verklagten Versicherungsunternehmens ausschließt. II. Widerklage als selbständige Klage 7

1. Eigener Streitgegenstand der Widerklage. Der Beklagte hat (regelmäßig) die Wahl, ob er eine selbständige Klage gegen den Kläger vor einem für diese Klage eröffneten Gerichtsstand oder im anhängigen Prozess eine Widerklage erheben will,22 wenn nur die Widerklage (als Klage) zulässig ist. Wie oben (Rdn. 1) ausgeführt handelt es sich bei einer Widerklage dabei nicht um einen Klagetypus vergleichbar einer Leistungs- oder Feststellungsklage; die im Gesetz nur erwähnte, aber nicht gesondert geregelte Widerklage kann Leistungs- oder Feststellungsklage sein. Das Fehlen einer eingehenderen Regelung im Gesetz erklärt sich eben daraus: Denn eine Widerklage ist prozessual als selbständige Klage anzusehen.23 Das hat zunächst zur Folge, dass ihr ein gegenüber der Klage eigenständiger Streitgegenstand zugrunde liegt.24 Daher stellt sich die Widerklage nicht als das bloße Entgegentreten gegen den Klageantrag dar. Sondern sie durchbricht den Grundsatz des ne bis in idem nicht, der bei Rechtshängigkeit der Klage zum Ausschluss weiterer Klagen führt, § 261 Abs. 3 Nr. 1. Denn über den Gegenstand der Widerklage wird, wie § 322 Abs. 1 zeigt, neben dem der Klage rechtskräftig entschieden.25 Dies macht eine Betrachtung der Anträge deutlich, die mit der Widerklage verfolgt werden: So genügt es für eine Widerklage beispielsweise nicht etwa, dass ein negativer Feststellungsantrag gegen eine positive Feststellungsklage erhoben wird.26 Beharrt der Beklagte vorliegend trotz richterlichen Hinweises jedoch darauf, eine Widerklage zu erheben, ist diese wegen Rechtshängigkeit des Streitgegenstandes als unzulässig abzuweisen.27 Gleiches gilt aber auch in Fällen, in denen differierende Streitgegenstände vorliegen:28 So ist eine Widerklage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abzuweisen, wenn die Unterlassung klagebegründender Behauptungen widerklagend begehrt wird.29 Die Widerklage begründet daher zwischen den Parteien ein eigenes, von dem durch die Klage begründeten unterschiedenes Prozessrechtsverhältnis. 30 Diese strukturelle Qualität der Widerklage als Klage zeigt sich in der Form, in der sich der Kläger als Widerbeklagter zur Widerklage verhalten kann: Eine Widerklage kann nach der Rechtsprechung des BGH auch dann noch mit der Kostenfolge des § 93 „sofort“ anerkannt werden, wenn der Widerbeklagte zwar im schriftlichen Vorverfahren bereits einen Klageabweisungsantrag angekündigt hat und er der Widerklage auch in der Sache entgegengetreten ist, der Widerbeklagte aber zugleich die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt hat und die örtliche Zuständigkeit erst im Verlauf des Verfahrens infolge einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eintritt.31

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22 RG JW 1930, 1059. 23 BAG NZA 1990, 987, 988. 24 BGH WM 1991, 1154; BAG NZA 1990, 987, 988. 25 MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 8. 26 BAG NZA 1990, 987, 988; RGZ 71, 68, 75; RG JW 1918, 309. 27 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 2 f.; MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 8; Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 9. 28 BGH WM 1991, 1154. 29 BGH NJW 1987, 3188, 3189. 30 Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 7. 31 BGH BauR 2013, 512: gemeint die Änderung der Rechtsprechung zur isolierten Drittwiderspruchsklage, BGHZ 187, 112.

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Es ist der Widerklage daher auch nicht etwa struktureigen (Konnexität, unten 8 Rdn. 79 ff.), dass der mit ihr geltend gemachte Anspruch aus dem gleichen Rechtsverhältnis herrührt, das dem Klageanspruch zugrunde liegt.32 Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Abänderungsklage nach § 323 mit einer Widerklage auf Herabsetzung der titulierten Leistungspflicht entgegengetreten wird oder wenn gegen die negative Feststellungsklage widerklagend Leistung begehrt wird.33 Im letzteren Fall erledigt sich dadurch die negative Feststellungsklage. Zulässig ist die wegen eines eigenen Streitgegenstandes widerklagend erhobene Feststellungsklage gegen den Bestand der behaupteten Gesamtforderung, wenn der Kläger nur einen Teil dieser Forderung mit seiner Leistungsklage eingeklagt hat.34 Klagt z.B. der Bauträger die Zahlung des Restkaufpreises ein und erhebt der Erwerber Widerklage mit dem Antrag, festzustellen, dass der Kaufpreis vollständig gezahlt sei, ist der Streitwert der Feststellungs-Widerklage nicht mit dem vollen Erwerbspreis zu bemessen, sondern nur auf den Wert der tatsächlich noch in Streit stehenden restlichen Forderung, deren sich der Bauträger berühmt, festzusetzen.35 Wie noch näher auszuführen sein wird kommt es dabei auf die Bezeichnung der Klage als „Widerklage“ nicht an.36 Ist die Widerklage konnex ergibt sich ohne weiteres der Gerichtsstand des § 33; eine 9 nicht konnexe Widerklage ist dagegen nicht deshalb unzulässig. Eine nicht konnexe Widerklage kann am Gericht der Klage erhoben werden, wenn dort für sie ein Gerichtsstand gegeben ist. Ist dies nicht der Fall kann sich die Zuständigkeit des Gerichts der Klage aber durch rügelose Verhandlung des Klägers zur Widerklage gem. § 39 ergeben.37 2. Mehrheit von Ansprüchen. Die Widerklage kann ebenso wie die Klage eine 10 Mehrheit von Ansprüchen verfolgen.38 Durch ihre Erhebung per Widerklageschrift oder in einer mündlichen Verhandlung wird ihre Einheit begründet; § 260. Die Widerklage darf auch nachträglich gehäuft werden. Deren Zulässigkeit ist unter dem Gesichtspunkt der Klageänderung zu beurteilen. 3. Wider-Widerklage a) Gegen die Widerklage gibt es eine Wider-Widerklage.39 Wurde durch die eigentli- 11 che Widerklage eine Wider-Widerklage veranlasst und steht sie mit dieser im Zusammenhang i.S.d. § 33, so ist sie nicht nach den Vorschriften über die Klageänderung (s. die Ausführungen bei § 263) sondern nach den Vorschriften über die Widerklage zu behandeln.40 Die Zuständigkeit folgt insoweit aus § 33, weil die Leistungsklage nach den gegebenen, besonders gelagerten Umständen als Wider-Widerklage erhoben worden war.41 b) In der Rechtsmittelinstanz kann der Widerbeklagte als Rechtsmittelführer mit der 12 Berufung grundsätzlich nur seinen erstinstanzlichen Antrag – Abweisung der gegen ihn

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Vgl. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 3. BGH NJW 2002, 751, 752; Ott Die Parteiwiderklage, 1999 S. 48 ff.; Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 9. BGHZ 53, 92 ff. OLG Düsseldorf BauR 2003, 1760. RGZ 51, 318, 321. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 32. Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIb 1. BGH NJW 1959, 1183. BGH NJW-RR 1996, 65; Stein/Jonas/Roth Rdn. 35; Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 15. Zur Zulässigkeit BGH MDR 1959, 571.

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gerichteten Widerklage – verfolgen.42 Ein eigener Sachantrag gegen den Widerkläger ist zwar im Sinne einer „Wider-Widerklage“ auch dem Widerbeklagten grundsätzlich möglich,43 in zweiter Instanz muss dieser sich indes an den Voraussetzungen des § 533 messen lassen: Ein Berufungsantrag, mit dem der Widerbeklagte nicht Beseitigung der im angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt, sondern eine positive Feststellung, ist unzulässig. 13

c) Eine Wider-Widerklage kann daher in einem Rechtsstreit, in dem über eine Widerklage bereits rechtskräftig entschieden worden ist, nicht mehr erhoben werden. Auch zum Zwecke der Korrektur eines Verfahrensfehlers kann durch eine Verfahrensweise nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 eine Verfahrenssituation, die bestanden hat, solange über die Widerklage noch nicht rechtskräftig entschieden worden war, nicht wiederhergestellt werden.44 Erhebt eine Prozesspartei hilfsweise eine Wider-Widerklage für den Fall, dass die von ihr erhobene Klage unzulässig ist, hat dies zur Folge, dass über denselben Streitgegenstand einerseits die Klage, andererseits aber auch die Wider-Widerklage anhängig ist. Die Bedingung der Unzulässigkeit der Klage kann daran nichts ändern, weil diese Klage bis zu ihrer rechtskräftigen Abweisung oder wirksamen Rücknahme rechtshängig bleibt. In der Rechtsprechung wird deshalb nur eine solche hilfsweise erhobene WiderWiderklage als zulässig angesehen, die von einer mit der Verteidigung gegen die Widerklage zusammenhängenden Bedingung abhängig gemacht wird.45 Dagegen kann nicht etwa der Berufungsbeklagte Widerklage unter der Bedingung der Abweisung seiner eigenen Klage erheben, da diese Wider-Widerklage einen identischen Streitgegenstand hätte, so dass es sich letztlich um eine Eventualklage gehandelt hätte. Die Zulassung einer derartigen Vorgehensweise lehnt der BGH mit der Begründung ab, sie widerspräche Sinn und Zweck einer Wider-Widerklage, da sich die Widerklage als Reaktion auf die Klage darstellt, die Wider-Widerklage eine Reaktion auf eine Widerklage ist.46 Eine nur die eigene Klage betreffende Bedingung ist danach nicht möglich.47 III. Abgrenzung von anderen Anträgen 1. Auslegung der Widerklage als Klageabweisungsantrag

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a) Der Gegenstand der Widerklage ist der geltend gemachte Anspruch (vgl. § 253 Rdn. 53 ff.) und entspricht damit strukturell, nicht aber seinem Inhalt nach (oben Rdn. 8), dem der Klage. Für die Rechtskraftwirkung besagt dies ausdrücklich § 322 Abs. 148. D.h., dass die Widerklage einen gerichtlichen Ausspruch über einen außerprozessualen Anspruch (von den Urkundenechtheitsfeststellungsklagen abgesehen, vgl. § 256) fordert, der sich von dem der Klage bzw. der Widerklage-Abweisung dadurch unterscheidet, dass er eine weiterreichende rechtskraftwirkende Entscheidung als die bloße Abweisung der Klage fordert.49 Auch der Vorbehalt der beschränkten Haftung gehört nur zu den modifi-

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42 BGH NJW 2003, 2172; BGH BauR 2006, 1784. 43 BGH NJW-RR 1996, 65. 44 BGH NJW 2009, 148. 45 BGH LM § 164 BGB Nr. 15; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 35, 37, 39; Thomas/Putzo/Hüßtege § 33 Rdn. 14; Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 15. 46 BGH NJW-RR 1996, 65. 47 BGH NJW 2009, 148. 48 MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 8. 49 AG Oberhausen WM 1973, 191 (Widerklage auf Feststellung der Wirksamkeit der bisherigen Miete); vgl. auch Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C I.

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zierten Klageabweisungsanträgen. Deshalb kann auch nicht der Vollstreckungsgegenklage, die sich auf eine im Urteil vorbehaltene Haftungsbeschränkung gründet, die „Widerklage“ entgegengesetzt werden, dass der Kläger unbeschränkt hafte,50 sondern dies ist nur Klageabweisung.51 Wird nach alledem mit dem Antrag der Widerklage nur die rechtskraftwirkende Ent- 15 scheidung gefordert, welche auch schon die Klage begehrt, so liegt daher ein bloßer Klageabweisungsantrag vor, auch wenn dieser äußerlich in die Form einer Widerklage gekleidet ist.52 b) Auch eine negative Feststellungklage gegen eine positive Feststellungsklage oder 16 eine Leistungsklage53 wie der umgekehrte Fall der positiven Feststellungsklage, die widerklagend gegen die negative Leistungsklage erhoben wird, ist daher bei sich deckendem Streitgegenstand als bloßer Klageabweisungsantrag zu behandeln.54 Dagegen führt die positive Leistungsklage zur Umkehr der Parteirollen. Der widerklagend vom Beklagten und Widerkläger mit der positiven Leistungsklage als Widerbeklagter in Anspruch genommene Kläger der negativen Feststellungklage ist zur Vermeidung des Prozessverlusts gehalten, den Streit für erledigt zu erklären und Antrag auf Widerklageabweisung zu stellen. Das RG55 hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, die Leistungsklage räume die negative Feststellungsklage aus und mache sie unzulässig. Der Kläger der negativen Feststellungsklage ist damit faktisch zum Beklagten geworden, weil der Leistungstitel stärker ist, sofern er alle festzustellenden Rechtsverhältnisse umfasst, deren Leugnung der Kläger und Widerbeklagte begehrt hat, vgl. § 256. Entsprechendes hat das RG für die Widerklage auf Anfechtbarkeit der Gläubigerbenachteiligungshandlung gegenüber der Klage auf Feststellung, dass sie nicht besteht, zugelassen mit der Begründung, dass die Gläubigeranfechtung durch Klage betrieben werden muss.56 Entsprechendes gilt im Insolvenzfall für die Insolvenzfeststellungklage, die eine besondere Form der Leistungsklage darstellt. 2. Widerwiderklage des Klägers als nachträgliche Klagehäufung. Erweitert der 17 Kläger in Form einer Wider-Widerklage seine Klage, stellt sich dies nicht als Widerklage dar, sondern als Fall der nachträglichen Klagehäufung.57 Soweit der Kläger der Widerklage des Beklagten eine Widerwiderklage entgegensetzt, wird dies regelmäßig eine Klageerweiterung sein;58 daneben gehört auch die auf eine Widerklage erhobene Inzidentfeststellungsklage des Klägers zur Klage (§ 280). Dies kann als eine Verselbständigung der Widerklage (zur Klage) gesehen werden. An diese schließt sich dann die Wider(wider-)klage (des ursprünglichen Klägers, dessen Parteibezeichnung bloß beibehalten wurde) an.59 Gleiches gilt für eine weitere Widerklage durch den Beklagten. Diese wird

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50 RArbGE 17, 102, 106. 51 RArbGE 17, 102, 106 hat diese Widerklage als unzulässig verworfen. 52 Bei eigenem Interesse wollte sie BBSG MDR 1973, 884 zulassen; hingegen haben RGZ 71, 68, 75 und RG JW 1918, 309 sie als unzulässig abgewiesen; vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C Ia. 53 Sie hat RG JW 1918, 309 für unzulässig erklärt. 54 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C Ia. 55 RGZ 71, 68, 74. 56 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C Ia mit Verweis auf RG VII 551/30 N § 33/23. 57 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C Ia aE. 58 RG v. 5.7.1924 IV WarnR 190, BGH v. 2.3.1955 IV ZZP 68/192, OLG Celle NJW 1953, 1797 für Ehesachen nach altem Recht vor Inkrafttreten des ESUG haben dies ausdrücklich für zulässig erklärt; von KG OLG 25/59 wird die Widerwiderklage als unzulässig bezeichnet. 59 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B Ia 2.

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notwendigerweise zu einer Widerklagenhäufung. So bleibt es demnach regelmäßig bei Klage und Widerklage, wenn der Kläger gegenüber der Widerklage einen Eventualanspruch erhebt und der Beklagte sodann eine neue (eventuelle) Widerklage entgegensetzt. Die Widerwiderklage muss dann unbedingt erhoben sein, wenn gegen die Widerwiderklage die Widerklage eventuell gestellt wird; dies gilt auch für weitere Gegenklagen.60 18

3. Abgrenzung zu Einreden, Repliken usf. Eine Widerklage wird auch dann nicht erhoben, wenn eine Partei eine Einrede oder Replik erhebt, ohne auf das Gegenrecht, aus dem sie vorgeht, zu klagen. Denn mit der bloßen Geltendmachung wird eine solche Einrede nicht zur rechtskraftwirkenden Entscheidung gestellt (vgl. die Ausführungen unter § 322), vielmehr wird dann der Klage nur ein beschränkter Abweisungsantrag (hauptoder hilfsweise) entgegengesetzt. Dies lässt sich an dem einredeweise geltend zu machenden Zurückbehaltungsrecht verdeutlichen. Wenn der Klagabweisungsantrag für begründet gehalten wird, führt dies, hat der Beklagte die Einrede des Zurückbehaltungsrechts erhoben, zur Verurteilung Zug um Zug (§§ 274 Abs. 1, 322 Abs. 1 BGB).

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4. Auslegung der Widerklage als Prozessantrag. Weiter kann in einem als Widerklage bezeichneten Antrag auch ein reiner Prozessantrag zu sehen sein. Dies kann der Fall sein bei dem Antrag, den Kläger auf Vorlegung von Urkunden nach §§ 420 ff.61 „zu verurteilen“. Zu solchen prozessualen Anträgen gehören auch solche, die eine prozessuale Sicherheitsleistung zum Gegenstand haben und solche, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit einer zu fällenden oder gefällten Entscheidung wie deren Begegnung lauten aber auch die reinen Prozesskostenanträge.

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5. Auslegung von Sach- oder Prozessanträgen als Widerklageerhebung. Ebenso, wie in der Erhebung einer Widerklage ein Sachantrag (auf Klageabweisung, auf Klagehäufung, die Erhebung von Einreden etc.) gesehen werden kann, besteht gleichsam im umgekehrten Fall die Möglichkeit, in einem nur als Klageabweisung formulierten Antrag die Widerklageerhebung zu sehen, wie dies das RG 62 im Verteilungsstreit angenommen hat. IV. Kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel

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1. Prozessuale Privilegierung des Widerbeklagten. Das oben (Rdn. 14 ff.) Ausgeführte erlaubt es, positiv zu bestimmen, dass jede Widerklage eine Klage enthält (für das Versäumnisverfahren lässt sich dies aus § 347 Abs. 1 folgern63). Aus ihrer Erhebung als Widerklage folgt für diese Klage allein, dass nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG kein Gerichtskostenvorschuss zu zahlen64 und vom Widerkläger nach § 110 Abs. 2 Nr. 4 Sicherheit nicht zu leisten ist. Wie sich bereits bei der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Widerklage gezeigt hat, handelt es sich bei ihr daher nicht bloß um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel. Deshalb greifen die Vorschriften der §§ 282, 296, 528 und des § 531 Abs. 2 nicht ein, die die Berücksichtigung verspätet vorgebrachter Angriffs- und Verteidigungs-

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Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B Ia 3. RG Gruch. 54, 43·7; Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C I a 2. Vgl. RGZ 29, 144. MünchKomm/Prütting § 347 Rdn. 2. Vgl. Binz/Dörndorfer-GKG/Zimmermann § 12 Rdn. 15.

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mittel beschränken oder ausschließen.65 Somit ist in einem Verfahren mit Klage und Widerklage eine Lage gegeben, in der nach der Rechtsprechung des BGH verspätetes Vorbringen nicht durch ein die Klage oder die Widerklage betreffendes Teilurteil (§ 301) präkludiert werden darf.66 Wird die Widerklage zugelassen, so darf daher der mit ihr vorgebrachte Vortrag des Beklagten und Widerklägers wegen ihrer späten Erhebung nicht zurückgewiesen werden.67 2. Geteilte Prozesse in der 1. und 2. Instanz. Da die Widerklagen (Gegen-)Angriff, 22 nicht Angriffsmittel, also durch Übergang in den Angriff durchgeführte Verteidigung und nicht Verteidigungsmittel sind, gilt im Einzelnen folgendes: Der Beklagte hat dann die Wahl, wo er Widerklage erheben will, wenn sich ein Streit geteilt (z.B. nach § 301 oder nach §§ 275, 302, 304) in der ersten und in der zweiten Instanz befindet. Er darf in der unteren Instanz an die Klage die Widerklage anschließen, wenn er in der höheren Instanz zurückgewiesen wird.68 Die Erweiterung der Widerklage ist auch nach rechtskräftiger Entscheidung zur 23 Hauptklage zulässig.69 Da die ZPO den Parteien die Möglichkeit eröffnet, während eines laufenden Verfahrens die Klage oder Widerklage zu erweitern oder eine Widerklage zu erheben, würde eine Beschränkung dieser Dispositionsfreiheit als rechtsmissbräuchlich mittelbar die Präklusion des Angriffs selbst zur Folge haben, die nach dem Gesetz ausgeschlossen ist. Eine im Laufe des Verfahrens erhobene Widerklage, die eine drohende Präklusion der Klageerwiderung und der Begründung einer aufgerechneten Gegenforderung verhindert, ist jedenfalls auch dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Beklagte mit der Widerklage den Differenzbetrag zwischen der Klageforderung und der Gegenforderung geltend macht. In der Berufungsinstanz ist die Erhebung der Widerklage aber nur bei rügeloser Ein- 24 lassung des Klägers zulässig. Weiter kann die Widerklage dadurch zulässig werden, dass das Berufungsgericht die Widerklage nach § 533 Nr. 1 für sachdienlich hält. Dies setzt voraus, dass die Widerklage auf Tatsachen gestützt werden kann die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin deshalb nach § 529 Abs. 1 zugrunde legen kann, weil es sich dabei um vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellte Tatsachen handelt, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit keine Zweifel bestehen oder die als neue Tatsachen berücksichtigt werden dürfen (§ 533 Nr. 2 iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 und 2). Widerklagen aus §§ 302 Abs. 4, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2, 3 sind stets zuzulassen. Daher ist die Widerklage im selben Umfange zuzulassen, wie dem Kläger die Klagehäufung trotz Rüge der Klageänderung zu gestatten wäre. V. Form der Widerklage 1. Verzichtbare Anforderungen. Für die Form der Widerklageerhebung gilt dassel- 25 be wie bei der nachträglichen Klageänderung (§ 263). Damit sind die Formanforderungen an die Widerklage gegenüber denen, die an die Klage gerichtet sind, herabgesetzt: Es muss keine namentliche Bezeichnung der Parteien (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 130 Nr. 1) erfolgen, da die Widerklage sich auf die Klage bezieht, die diese Formerfordernisse auf-

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65 66 67 68 69

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Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 8. BGH NJW 1995, 1223 = LM Nr. 22; Ott Die Parteiwiderklage, 1999 S. 193 f. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIb 2. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIb 2. OLG München MDR 1959, 667.

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weist. Es erübrigen sich naturgemäß in der Widerklagschrift die Angaben, die mit der Klage nach § 253 Abs. 3 gemacht werden sollen. Weiter bedarf es regelmäßig für die Erhebung der Widerklage keiner besonderen 26 Vollmacht (vgl. § 81). Für die Widerklage gilt nicht die Kostenvorschusspflicht, die § 12 Abs. 1 GKG für die Klage anordnet, doch ist der Widerkläger als Antragsteller für die entstehenden Kosten haftbar (§ 22 Abs. 1 GKG70). Für die Erhebung der Widerklage ist keine Prozesskostensicherheit zu leisten (§§ 110 Abs. 2 Nr. 4, 112 Abs. 2 S. 2). 27

2. Unverzichtbare Anforderungen. Dagegen muss die Widerklage dem § 253 Abs. 2 Nr. 2 entsprechen, wenn auch keine notwendige Schriftform vorgeschrieben ist. Sie kann daher wie die Klage durch Zustellung eines Schriftsatzes, welcher der Form des § 253 Abs. 2 Nr. 2 zu entsprechen hat, erhoben werden.71 Die Widerklage kann aber auch in der mündlichen Verhandlung dadurch erhoben werden (§ 279).72 Dabei ist dann ihr Sachverhalt im Tatbestand des Urteils zu beurkunden, wenn sie nicht, was nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 zu erfolgen hat, in das Protokoll aufgenommen wird.73 Aber auch in den Fällen der mündlichen Widerklageerhebung ist der Widerklageantrag von der Partei schriftlich festzulegen. Denn der Antrag ist aus vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen und dem Protokoll beizufügen (§ 297 Abs. 1 S. 1 und 2).

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3. Mündliche Widerklageerhebung. Die Anwesenheit des Gegners im Termin ist bei mündlicher Erhebung der Widerklage nicht erforderlich.74 Ist dem nicht erschienenen Gegner die Erhebung vor der mündlichen Verhandlung nicht rechtzeitig (§ 132) schriftlich angekündigt worden, so kann jedoch kein Versäumnisurteil über die neu erhobene Widerklage ergehen, § 335 Abs. 1 Nr. 3.75 Der Widerkläger ist somit gezwungen trotz mündlicher Erhebung der Widerklage, sie schriftsätzlich zu formulieren und diesen Schriftsatz dann dem Gegner (von Gerichts wegen) zustellen zu lassen, sofern dieser in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten ist. Nicht zu verkennen ist aber, dass die mündliche Widerklageerhebung in der Praxis selten ist und vor den Amtsgerichten, vor denen dies nach § 496 zulässig ist, oftmals in eine schriftliche Widerklage umgewandelt wird.76 VI. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen der Widerklage als „echte“ Klage

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Für die Erhebung der Widerklage müssen die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen, denn sie ist als eine echte Klage zu qualifizieren.77 Ein höheres Gericht kann zudem zu einer Abweisung des Prozesses aus anderen Gründen als das untere Gericht kommen. So wird z.B. die Klageabweisung aufrecht erhalten (wenn auch mit anderer Begründung), wenn die untere Instanz einen fehlenden Zusammenhang (§ 33 Abs. 1) bemängelt, während das höhere Gericht dies anders sieht, aber dafür das Feststellungs-

_____ 70 71 72 73 74 75 76 77

Binz/Dörndorfer-GKG/Dörndorfer § 22 Rdn. 5. RGZ 40, 331. Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 9. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIb. RGZ 28, 407, 409. RGZ 28, 407, 409. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIb. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 18.

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interesse nach § 256 Abs. 1 verneint.78 Dies gilt auch noch in der Revisionsinstanz, da auch dort die Prozessbedingungen unmittelbar nachzuprüfen sind.79 1. Rechtsweg; Gerichtsbarkeit. Da für die Widerklage als eigenständige Klage die 30 allgemeinen Voraussetzungen für Klagen zu beachten sind müssen insbesondere für sie der Zivilrechtsweg und die deutsche Gerichtsbarkeit80 eröffnet sein.81 Bei der Frage nach der deutschen Gerichtsbarkeit für die Widerklage ist zu berücksichtigen, dass, wenn es sich bei dem Kläger und Widerbeklagten um einen Exterritorialen handelt, es diesem nach Art. 32 Abs. 3 WÜD82 und Art. 45 Abs. 3 WÜK83 verwehrt ist, sich auf seine Extraterritorialität zu berufen, wenn die Widerklage „mit der Hauptklage in unmittelbarem Zusammenhang steht“.84 Das europäische Übereinkommen über Staatenimmunität85 trifft eine vergleichbare Regelung für einen Vertragsstaat, der, in einem anderen Vertragsstaat klagend von diesem widerklagend in Anspruch genommen wird, wenn sich „die Widerklage aus dem Rechtsverhältnis oder aus dem Sachverhalt herleitet, auf die sich die Hauptklage stützt“.86 2. Prozessvoraussetzungen in der Person der Partei. Partei- und Prozessfähigkeit 31 müssen auch im Falle der Widerklage vorliegen.87 Die damit verbundenen Probleme haben sich entschärft, da nach heutigem Rechtszustand die aktive mit der passiven Parteifähigkeit einhergeht. Es kann aber nach wie vor sein, dass die in der Person der Parteien liegenden Prozessvoraussetzungen für die Klage vorliegen, für die Widerklage nicht, wie umgekehrt. Dies gilt namentlich für die relative Prozessfähigkeit der beschränkt Geschäftsfähigen iVm. §§ 110, 112 BGB.88 Ist der Beklagte wegen der Klage prozessführungsbefugt kann dies sich im Falle der von ihm erhobenen Widerklage daher anders darstellen. 3. Prozessvoraussetzungen in der Sphäre des Prozesses a) Durch Erhebung der Widerklage begehrt der Beklagte und Widerkläger, dass die 32 Verhandlung über seine als Widerklage erhobene Klage mit der Hauptklage verbunden verhandelt wird. Für die vom Gericht verfügte Verbindung mehrerer bei ihm anhängiger Prozesse derselben Parteien bestimmt § 147, dass dies zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung angeordnet werden kann, wenn die Ansprüche, die den Gegenstand dieser Prozesse bilden, in rechtlichem Zusammenhang stehen oder in einer Klage hätten geltend gemacht werden können. Die allgemeine Prozessbedingung für die Widerklage ist daher im Regelfall die vom Widerkläger gewillkürte Verbindung mit der Klage, im Ausnahmefall die vom Gericht gewillkürte (im Falle des § 147). Zur Zulässigkeit der Widerklage muss nach alledem die sachliche Zuständigkeit des Gerichts gegeben sein, vor dem sie erhoben wird. Für die Widerklage muss also ein Eingangsgericht derje-

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78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88

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Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E IIIb 2. RG v. 24.4.1908 II WarnR 550. RGZ 111, 149 f. RG Gruchot 38, 475; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 10. Wiener UN-Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (BGBl. 1964 II S. 958). Wiener UN-Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4. 1965 (BGBl. 1969 II S. 1587). Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 11. Baseler Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16.5.1972 (BGBl. 1990 II S. 35). Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 11. Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 5; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 12. Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. A IIIb 1, 2.

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nigen Ordnung sachlich zuständig sein, vor dem die Klage erhoben worden ist. Die Eingangszuständigkeit wird dabei im Allgemeinen gemäß § 5 Halbs. 2 vom Wert der Klage bestimmt. Ist die Hauptklage beim Amtsgericht anhängig, ist die Widerklage selbstständig zu beurteilen. Überschreitet der Wert ihres Streitgegenstandes die Grenze von 5.000 Euro nach § 23 Nr. 1 GVG ist das Amtsgericht sachlich unzuständig und die Widerklage unzulässig. Anders stellt sich dies nur unter der Voraussetzung dar, dass die Parteien die Zuständigkeit des Amtsgerichts wirksam nach § 38 vereinbart haben oder der Widerbeklagte sich nach Belehrung über die sachliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts § 39 i.V.m. § 504 (§ 39 Rdn. 1, insbes. 3 f.) rügelos zur Hauptsache der Widerklage eingelassen hat.89 Nach § 506 Abs. 1 hat das Amtsgericht, sofern dies eine Partei vor weiterer Verhandlung zur Hauptsache beantragt, sich durch Beschluss für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das Landgericht zu verweisen, wenn durch Widerklage ein Anspruch erhoben, der zur Zuständigkeit der Landgerichte gehört. Die Verweisung betrifft dann nicht nur die Widerklage, sondern den gesamten Rechtsstreit, also Haupt- und Widerklage. b) Ist im umgekehrten Fall die Hauptklage vor dem Landgericht anhängig und erhebt der Beklagte Widerklage mit einer die Streitwertgrenze des § 23 Nr. 1 GVG unterschreitenden Streitwert wird von der h.M.90 aus § 10 a.F. gefolgert, dass die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts für die Widerklage begründet ist. Anders verhält es sich, wenn die ausschließliche sachliche Zuständigkeit für den mit der Widerklage erhobenen Antrag begründet ist wie im Falle von Wohnraummietsachen nach § 23 Nr. 2a GVG. Das Landgericht muss auf Antrag die Sache abtrennen und nach § 281 an das Amtsgericht verweisen, in Ermangelung entsprechender Anträge die Widerklage als unzulässig abweisen. Bei Zuständigkeit des Arbeitsgerichts für die Widerklage hat das ordentliche Gericht deren Verweisung nach § 17a Abs. 2 S. 1 GVG von Amts wegen auszusprechen.91 Ihr Fehlen schadet in den Fällen des § 506 nicht bei der sachlichen Zuständigkeit 34 ieS., da diese Bestimmung den Prozess zusammenhält und nicht auseinanderreißt.92 Sie bleibt bei der Streitwertberechnung von der Klage getrennt, wenn auch nur in der Instanz, wo sie erhoben worden ist, was im Falle des § 506 – Verweisung des Rechtsstreites an das Landgericht – bedeutsam ist. Sie ist im Übrigen aber zu beachten, also besonders, wenn das AG oder das LG ausschließlich zuständig ist und nun die Sache vom AG an das LG oder umgekehrt verwiesen werden soll. Dann ist zu trennen und sodann der abgetrennte Teil zu verweisen. Für die Eventualwiderklagen (unten Rdn. 91 ff.) der §§ 302 Abs. 1, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2 gilt indes hier eine Besonderheit. Auch wenn ihr Streitwert die amtsgerichtliche Zuständigkeit übersteigt, darf nicht nach § 506 verwiesen werden. Die besonderen ordentlichen Gerichte (§ 14 GVG; einschließlich der Binnenschifffahrtgerichte) gehören unter die sachliche Zuständigkeit. 33

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4. Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen. Die Geschäftsverteilung kann die Erhebung der Widerklage nicht hindern. Sie kann aber möglicherweise das Gericht veranlassen, zu trennen (§ 145 Abs. 2). Die Zivilkammer ist auch für Widerklagen zuständig, die vor die Kammer für Handelssachen gehören würden.93 Wird im umgekehrten

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89 Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 12. 90 Thomas/Putzo/Hüßtege § 33 Rdn. 18; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 14; Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 12; OLG Frankfurt NJW 2010, 3173, 3175. 91 BGH NJW 1996, 1532; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 14. 92 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. A IIIb 6. 93 Gaul JZ 1984, 57, 62; Ott Die Parteiwiderklage (1999) S. 167 f.

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Fall einer Klage vor der Kammer für Handelssachen eine nicht handelsrechtliche Widerklage erhoben, so sind beide Klagen auf Antrag des Widerklägers an die Zivilkammer zu verweisen, § 99 GVG.94 Gehört die im Falle des § 506 erhobene Widerklage als Klage nicht vor die Kammer für Handelssachen, so ist diese auch von Amts wegen befugt, den Rechtsstreit an die Zivilkammer zu verweisen, solange nicht eine Verhandlung zur Hauptsache erfolgt und darauf ein Beschluss verkündet ist. Daher müssen sich die Parteien die Verweisung von Gerichts wegen gefallen lassen, wenn die Widerklage nicht vor die Kammer für Handelssachen gehört (§ 97 Abs. 2 GVG). Dasselbe gilt für die vor dem Amtsgericht erhobene Widerklage, die nicht vor die Kammer für Handelssachen gehört (§§ 99 Abs. 2 S. 1, 97 Abs. 2 GVG), sofern der Streit nach § 506 auf Antrag verweisen darf, während wieder die Zivilkammer auch auf Antrag nicht an die Kammer für Handelssachen verweisen darf, wenn eine Widerklage, die nicht Handelssache ist, vor ihr schwebt (§ 98 GVG).95 Die Verweisung von Amts wegen kann nicht aus dem Grund erfolgen, dass der Beklagte nicht Kaufmann ist. Die Verweisung kann auch im Falle des § 99 Abs. 2 GVG von Amts wegen erfolgen.96 5. Zuständigkeit von Sondergerichten. Für den Fall, dass Sondergerichte zustän- 36 dig sind, sind Widerklagen nur insoweit zulässig, wie sie dieselbe Gerichtsbarkeit betreffen oder in diese einbezogen werden dürfen. Besonders gilt dies für Rhein- und Moselschifffahrtsachen.97 6. Prozesshindernde Einreden. Prozesshindernde Einreden, die gegen die Wider- 37 klage erhoben werden, sind gesondert zu prüfen.98 Daher stehen der Erhebung der Widerklage entgegen die anderweitige Rechtshängigkeit ihres Gegenstandes (§ 261 Abs. 3) bzw. die Rechtskraft eines über ihn ergangenen Urteils (§ 322), des der nicht erfolgten Kostenerstattung (§ 269 Abs. 3) und die der mangelnden Schiedsvertrages oder Ausländersicherheit gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 3. VII. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Widerklage als solcher 1. Rechtshängigkeit a) Die Widerklagen unterliegen den allgemeinen Prozessbedingungen der Klagen 38 wie der Widerklagen aus ihrem Abhängigkeitsverhältnis zu der Hauptklage. Nur wenn die Hauptklage zum Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage (bereits und noch) rechtshängig ist, kann gegen sie die Widerklage erhoben werden.99 Die Rechtshängigkeit setzt nach § 261 Abs. 1 die Erhebung der Klage voraus. Anhängig ist die Klage mit der Einreichung der Klageschrift bei Gericht, wie sich aus § 261 Abs. 1 ergibt. Die ordnungsgemäße, den gesetzlichen Anforderungen genügende Erhebung der Klage (§ 253 Abs. 1) oder die Zahlung des Gerichtskostenvorschusses durch den Kläger ist nicht gefordert.100 Denn die Klage ist schon existent mit ihrer Einreichung bei Gericht,101 auch wenn der Klage sonsti-

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94 95 96 97 98 99 100 101

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Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 15. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. A IIIb 9. Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 5; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 15. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. A IIIb 5. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. A IIIb 11. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 12; BGH NJW-RR 2001, 60. A.M. OLG Celle NJW 1963, 1555. RG JW 1917, 295 bei fehlender Prozessfähigkeit.

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ge Prozessvoraussetzungen fehlen.102 Die Zustellung der Widerklageschrift kann folglich nach überzeugender Ansicht nicht mit der Begründung verweigert werden, die Klage sei nicht rechtshängig, wenn die Zustellung der Klageschrift verfahrensfehlerhaft unterblieben ist.103 Die Zustellung der Widerklageschrift kann folglich nach überzeugender Ansicht nicht mit der Begründung verweigert werden, die Klage sei nicht rechtshängig, wenn die Zustellung der Klageschrift verfahrensfehlerhaft unterblieben ist.104 Im Mahnverfahren kann daher keine Widerklage erhoben werden, da der Mahnbescheid, wie sich aus §§ 693 Abs. 2, 696 Abs. 3 ergibt, die Sache nicht rechtshängig werden lässt.105 39

b) Auf die Zulässigkeit der Klage kommt es nicht an, was sich bereits daraus ergibt, dass darüber erst nach Rechtshängigkeit entschieden werden kann. Fehlt es an Prozessvoraussetzungen der Klage kann der Beklagte ihr mit der Widerklage entgegentreten, und zwar unabhängig davon, ob er die Unzulässigkeit der Klage rügt oder nicht.106 Umgekehrt wird aber ein ursprünglich für das Klagebegehren unzuständiges Gericht 40 nicht dadurch zuständig, dass der Beklagte seinerseits Widerklage erhebt. Eine entsprechende Anwendung des § 33 ist insoweit nicht möglich.107 Aber: Wenn der Gerichtsstand der Klage nicht gegeben ist, hingegen wohl aber der für die Widerklage und besteht zwischen diesen beiden der zwischen ihnen nach § 33 zu fordernde Zusammenhang, dann ist über die Widerklage und über die Klage zu entscheiden. In derartigen Fallkonstellationen darf nicht über die Widerklage sachlich entschieden werden, die Klage aber trotz bestehenden Zusammenhangs als unzulässig abgewiesen werden.108 Ist die Klage daher mangels Zuständigkeit unzulässig, so darf die Klage auch nicht etwa wegen fehlenden Gerichtsstandes abgewiesen werden, wenn die Widerklage insoweit selbständig ist, weil für sie der Gerichtsstand am Gericht der Klage begründet ist und die Klage als abhängige (konnexe) Widerklage nach § 33 dort zulässigerweise erhoben werden könnte.109 Dies gilt aber auch, wenn überhaupt die Widerklage zulässig ist, weil die unzulässige Klage rechtshängig gemacht worden ist. Eine Klage auf Zahlung einer restlichen Handelsvertreterprovision, welche vor einem örtlich unzuständigen Gericht erhoben wurde, kann nicht von der Widerklage auf Rückzahlung überzahlter Handelsvertreterprovisionen gemäß § 145 Abs. 2 abgetrennt werden.110 Ist die Widerklage aber abhängig, so liegt in ihrer Erhebung die Zustimmung zur Klageerhebung, was in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn kein ausschließlicher Gerichtstand entgegensteht und es sich nicht um eine arbeitsgerichtliche Sache handelt, unter den Voraussetzungen des § 39 praktisch wird. Besteht indes weder für die Klage noch die Widerklage der Gerichtsstand, so begründet ihn auch die Verbindung nicht; allerdings kann die örtliche Zuständigkeit aus rügelosem mündlichen Verhandeln von Beklagten und Kläger als Widerbeklagtem gemäß § 39 folgen.111

_____ 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111

OLG Hamburg 40/348, KG OLG 19/132 [Fehlen der örtlichen Zuständigkeit]. OLGR Frankfurt 2007, 512. OLGR Frankfurt 2007, 512. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 16; AG Lübeck NJW-RR 1990, 1152. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 12. OLGR Hamburg 2006, 416. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B Ia 1. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 16. OLGR Hamburg 2006, 416. Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B Ib.

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c) Sobald die rechtskräftige Ausurteilung erfolgt ist, enden Anhängig- sowie Rechts- 41 hängigkeit. Die Anhängigkeit endet zudem mit Erledigung der Sache.112 Eine gleichwohl eingelegte Widerklage kann aber als Hauptklage behandelt werden.113 Für deren örtliche Zuständigkeit gelten dann die allgemeinen Regelungen.114 Aus der Abweisung einer Klage als unzulässig folgt nicht die Unzulässigkeit der Widerklage.115 Die Rechtsanhängigkeit muss aber zur Zeit der Erhebung der Widerklage noch andauern, wobei es ausreicht, dass ein Nachverfahren nach Vorbehaltsurteil rechtshängig ist.116 Für den Fall, dass der Kläger die Klage nicht zustellen lässt, sei es durch die Rücknahme seines Antrages auf Zustellung oder durch Nichtweiterverfolgung eines noch nicht rechtshängigen Verfahrens, so endet die Anhängigkeit.117 Ist die Klage vor Erhebung der Widerklage vom Kläger wirksam, d.h. nach mündlicher Verhandlung des Beklagten zur Sache mit dessen Zustimmung, § 269 Abs. 1, zurückgenommen worden,118 begründet § 33 keinen Gerichtsstand für die Klage des Beklagten, die keine Widerklage mehr ist – und zwar auch, wenn dies erst kurzfristig nach Widerklagerhebung erfolgt. Gleiches gilt, wenn die Parteien den Rechtsstreit beiderseits für erledigt erklärt haben. Nach § 91 Abs. 1 ist dann zwar noch über die Kosten zu entscheiden). Denn die Widerklage ist Gegenangriff gegen die Hauptklage und nicht gegen die Anträge wegen Nebenentscheidungen. Dagegen wird im sog. Erledigungsstreit der ursprüngliche Antrag des Klägers auf den Antrag umgestellt, die anfängliche Begründetheit der Klage festzustellen (vgl. die Ausführungen zu § 91). Da es in diesen Fällen also noch einen Hauptsacheantrag (eine Hauptklage) gibt bleibt die Widerklage zulässig. In der ersten Instanz sind daher die Widerklagen bis zum Verhandlungsschluss (d.h. dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung bzw. im schriftlichen Verfahren der Absendung des Entscheidungstenors, §§ 128 Abs. 2, 310 Abs. 2) zulässig. d) In der „Zwischeninstanz“ (nach Verhandlungsschluss bzw. im schriftlichen Ver- 42 fahren nach Erlass der Endentscheidung) darf keine Widerklage erhoben werden,119 so lange es nicht in ihr zu einem weiteren (wenn auch Zwischenverfahren) auf die Klage kommt, das nicht bloß in der Aussetzung des Verfahrens besteht). 2. Nichtigkeit der Anhängigkeit. Ist die Anhängigkeit nichtig (was möglich sein 43 kann), hat dies keine Auswirkung auf die selbstständige Widerklage. Sie wird dann zur Klage. Eine abhängige Widerklage wird allerdings von der Nichtigkeit berührt, da für sie die örtliche Zuständigkeit am Gericht der Klageerhebung nicht aufgrund des allgemeinen oder eines besonderen Gerichtsstandes begründet ist.120 Es ist nur die Widerklage erhoben, wenn die Klage z.B. von einem Nichtprozessfähi- 44 gen eingereicht worden ist, die Widerklage aber gegen ihn – vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter – erhoben wird. Reicht der Insolvenzschuldner, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, die Klage über einen gemäß §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO der Insolvenzbeschlagnahme unterliegenden Gegenstand ein und wird gegen ihn eine Widerklage wegen eines beschlagnahmefreien Gegenstandes erhoben, so

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112 113 114 115 116 117 118 119 120

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Offen gelassen von BGH WM 1971, 278; a.M. ObLG München Z 65/15 m.N. RGZ 22, 419, 420; OLG Celle FamRZ 1981, 790, 791; vgl. aber auch OLG Celle NJW 1963, 1555, 1556. Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 7. OLG Celle MDR 2009, 989. BGHZ 40, 185, 189; überholt die a.A. des KG OLGRspr. 23, 84, 85. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIa 2. Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 17. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 15. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIa.

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ist die Widerklageerhebung wirksam. Die Widerklage ist dann unzulässig, wenn auch sie durch den Mangel berührt ist, z.B. wenn sie gegen den Prozessunfähigen erhoben wird. Dagegen führt die Nichtigkeit der Klageeinreichung bzw. der Klageerhebung bei der abhängigen Widerklage (entweder gewillkürt oder durch § 33 vermittelt) zur Unzulässigkeit der Widerklage.121 45

3. Ruhen des Verfahrens. Ruht das Klageverfahren, so hindert dies die Erhebung der Widerklage nicht, wenn die Verfahrensruhe damit behoben wird, also bei unterbrochenen oder ausgesetzten Verfahren nur, sofern damit zugleich das Verfahren zur Klage wieder aufgenommen wird; bei der Verfahrensruhe, sofern sie beseitigt wird und werden kann, was regelmäßig bei Abschluss eines Prozessvergleichs nicht der Fall ist. Greift indes hier eine Partei die Wirksamkeit des Vergleichs an, so ist die Widerklage zulässig. selbst wenn der Angriff erfolglos bleibt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so wird das Verfahren auf die „Widerklage“ notwendigerweise getrennt durchgeführt, was nur bei der selbständigen Widerklage in erster Instanz zulässig ist. 4. Sog. „Verselbständigung“ der Widerklage

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a) Wird die Klage nach Erhebung der Widerklage vom Kläger zurückgenommen berührt dies das mit Erhebung der Widerklage begründete Prozessrechtsverhältnis nicht. Die Widerklage „verselbständigt“ sich m.a.W. Diese „Selbständigkeit“ der Widerklage bewirkt den Umstand, dass sie, einmal zulässig erhoben, in ihrem Fortbestand nicht mehr von der andauernden Rechtshängigkeit der Hauptklage abhängt.122 Dies zeigt weiterhin § 301 Abs. 1 S. 1, nach dem ein Teilurteil zu erlassen ist, wenn bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif ist.123 Ist die Klage von Kläger und Beklagten, also beiderseits gemäß § 91 Abs. 1, für erledigt erklärt worden, berührt dies grundsätzlich den Fortbestand des durch Erhebung der Widerklage begründeten Prozessrechtsverhältnisses ebenfalls nicht. Hier kommt es freilich darauf an, wie die beiderseitige Erledigungserklärung auszulegen ist, was zu richterlichen Fragen (§ 139 Abs. 1, dort Rdn. 82 ff.) Anlass geben kann.

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b) Gemeinsame Verhandlung oder Trennung von Klage und Widerklage. Die selbständigen Widerklagen dürfen gemeinsam mit der Klage verhandelt werden (§ 147). Doch darf sie das Gericht auch nach § 145 trennen, soweit sie nicht im rechtlichen Zusammenhang mit der Klage stehen.124 Auch darf das Gericht Teilurteile derart erlassen, dass nur über die Klage oder nur über die Widerklage entschieden wird, sofern die Ansprüche teilbar sind (§ 301); anders wenn sie denselben Streitgegenstand haben oder wenn ihre Selbständigkeit durch die Zulässigkeit eines Rechtsmittels des Gegners bedingt ist, vgl. § 524. Kommt es in solchen Fällen aber zu Teilurteilen, so darf doch nicht die Kostenentscheidung nur auf die Klage bzw. Widerklage bezogen werden,125 im Besonderen darf nicht mit dem Teilurteil zur Klage bzw. Widerklage eine Teilkostenentscheidung erlassen werden.126

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Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIa. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 17. Vgl. auch MünchKomm/Musielak § 301 Rdn. 15. Smid Zivilgerichtliche Verfahren, § 16 Rdn. 43. RG JW 1913, 696. RG JW 1897, 106.

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c) Das Gericht darf die Widerklage anstelle der Trennung dann nicht als unzulässig 48 abweisen, wenn es sie als selbständige Klage gelten lassen muss.127 Selbständig bleibt eine Widerklage dann, wenn sie gegen eine nichtige Klage gerichtet ist. Sie wird ohne weiteres dann selbst zur Klage, falls die Klage nicht wirksam erhoben worden ist. Sie darf dann nicht deshalb etwa abgewiesen werden, weil die Klage als unzulässig abgewiesen werden muss. Bei Erhebung einer ansonsten selbständigen Widerklage ist es empfehlenswert, bei 49 gegebenem Zusammenhang in erster Instanz auf Antrag des Widerklägers den Streit insgesamt an das für die Widerklage (örtlich) zuständige Gericht zu verweisen, sofern dort ein besonderer Gerichtstand des Zusammenhangs mit dem Klageanspruch begründet ist. Da es nicht auf die Zufälligkeit der Parteirolle ankommen kann, sollte auch nicht auf die frühere Erhebung der Klage abgestellt werden.128 VIII. Widerklageerhebung im Instanzenzug 1. Vor Beendigung der 1. Instanz. Wie der Zustand des Verfahrens im ersten 50 Rechtszug ist (z.B. ob noch ein Hauptanspruch oder nur noch ein Nebenanspruch anhängig ist), ist für die Widerklageerhebung vor Beendigung dieser Instanz irrelevant.129 Das noch anhängige Nachverfahren genügt zudem (§ 302 oder § 599). Die Widerklage kann daher zulässig auch dann noch erhoben werden, wenn nach einem Zwischen-, Grund- oder Vorbehaltsurteil noch im Nachverfahren weiter verhandelt wird. Die Widerklage muss also, wenn die Hauptklage in 1. Instanz anhängig ist, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (§§ 256 Abs. 2, 261 Abs. 2) erhoben werden, nach deren Schluss ist die Widerklage unzulässig,130 soweit die Verhandlung nicht nach § 156 wieder eröffnet wird. Im schriftlichen Verfahren ist dies der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, § 128 Abs. 2 S. 2. 2. Berufungsinstanz. In der Berufungsinstanz kann die Widerklage erhoben wer- 51 den, wenn die Voraussetzungen nach § 533 Nr. 2 erfüllt sind und der Kläger einwilligt oder das Gericht die Geltendmachung des Anspruchs für sachdienlich hält (§ 533 Nr. 1),131 was insbesondere dann zu geschehen hat, wenn der Kläger die Zustimmung rechtsmissbräuchlich verweigert132 oder wenn das Gericht nach seinem nicht nachprüfbaren Ermessen133 die Zulassung der Widerklage für sachdienlich hält, weil damit zu erwartenden weiteren Rechtsstreitigkeiten vorgebeugt und der gegenwärtige Prozessstoff voraussichtlich schneller erledigt werden kann.134 Eine in zweiter Instanz erhobene Hilfswiderklage ist nicht zuzulassen, wenn ihr Gegenstand nur äußerlich in Beziehung zu dem Streitstoff der Klage steht, die materielle Rechtslage aber durchweg von anderen Aspekten als denen abhängt, die die Beurteilung der Klage tragen.135

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127 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. A IIIa. 128 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E IIb 1. 129 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIb 1 mit Verweis auf RG v. 15.4.1920 IV WarnR 122. 130 BGH NJW 1981, 1217 f.; 1982, 1533 f.; NJW-RR 1992, 1085; zu den Folgen eines Verstoßes s. Ott Die Parteiwiderklage (1999) S. 192 f. 131 RG JW 1930, 142. 132 BGH NJW-RR 1990, 1265, 1267. 133 BGH NJW 1985, 3079. 134 BGHZ 33, 398, 400 = NJW 1961, 702; OLG Düsseldorf NJW-RR 1991, 367, 369; Ott Die Parteiwiderklage (1999) S. 209 f. 135 OLG Frankfurt BauR 2006, 419.

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3. Revision und Wiederaufnahme 52

a) In der Revisionsinstanz sind weder Klageerweiterungen noch Widerklageerhebungen zulässig;136 abgesehen von der Widerklage in den Fällen der §§ 302 Abs. 4, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2 und 3.

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b) Im Wiederaufnahmeverfahren sind Widerklagen soweit zulässig, wie sie in der Instanz, in der es durchgeführt wird, zulässig wären; auch hier sind sie aber von der Zulässigkeit des Wiederaufnahmeverfahrens abhängig (anders nur, wenn es vor dem Gericht der ersten Instanz bei selbständiger Widerklage durchgeführt werden soll). IX. Widerklage und Parteirollen

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1. Grundsatz. Die echte Widerklage knüpft an die vorhandenen Parteien an, und zwar an ihre gleiche Prozessfähigkeit oder gleiche gesetzliche Vertretung in der umgekehrten Parteirolle, z.B. als Widerbeklagter bzw. Widerkläger.137 Widerkläger ist grundsätzlich der Beklagte der Hauptsache, wobei jeder Streitgenosse für sich Widerklage erheben kann.138 Widerbeklagter ist umgekehrt grundsätzlich der Kläger der Hauptklage. Insoweit darf grundsätzlich keine neue Partei durch die echte Widerklageerhebung in den Streit gezogen werden; bei ihr stehen die Klage eines oder mehrerer Beklagter gegen einen oder mehrere Kläger gegenüber (siehe aber unten Rdn. 98). Ob ein Gesuch um gerichtliche Entscheidung Klage (über den Begriff vgl. § 253) oder Widerklage ist, bestimmt daher im Allgemeinen die Parteirolle, d.h. die Kennzeichnung als Kläger oder Beklagter, wobei allerdings wie oben (vgl. im einzelnen Fn. 130) gezeigt die Prozessfähigkeit bzw. die gesetzliche Vertretung einer Partei als Kläger bzw. als Beklagter nicht anders sein darf als die als Widerbeklagter bzw. Widerkläger. Grundsätzlich erhebt daher der Kläger die Klage, der Beklagte die Widerklage.139 Regelmäßig ist derjenige Kläger, welcher zuerst eine Klage erhoben hat (§§ 253 Abs. 1, 263), wenn der Beklagte ihr durch Erhebung der Widerklage entgegentritt. Gleichwohl ist aber die Befugnis, eine Widerklage zu erheben, nicht an die äußerlichen sich aus der Chronologie des konkreten Prozessverlaufs abzulesenden Parteibezeichnungen geknüpft. Vielmehr kann auch der Kläger als Widerbeklagter die Widerwiderklage erheben usw.140 Unerheblich ist daher die Bezeichnung der Klage als Klage und der Widerklage als Widerklage.141 Demnach schadet die Bezeichnung als Klage anstelle als Widerklage wie umgekehrt nicht. Werden mehrere Klagen von Gerichts wegen (oder auf Antrag, soweit dieser vorgeschrieben ist) verbunden (§ 147), so wird das Gericht regelmäßig die Parteirolle bestimmen, soweit die Parteien nicht die Wahl übereinstimmend treffen.

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2. Widerkläger gegen einen oder mehrere Kläger als Widerbeklagte. Die echte Widerklage muss notwendigerweise gegen einen einzigen Kläger gerichtet sein, wenn nur einer vorhanden ist. Für den Fall, dass aber mehrere Kläger vorhanden sind, kann die Widerklage gegen einen, mehrere oder alle Kläger gehen. Eine Klage braucht sich ja auch nicht mit jedem Klageanspruch gegen alle bei einer Mehrheit von Beklagten rich-

_____ 136 137 138 139 140 141

RGZ 126, 18, 20. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 23 f. Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 18; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 23. Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 18. BayObLG Z 7, 324. RGZ 124, 182, 185.

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ten.142 Wie die Klage so kann auch die Widerklage allein aus der Sammlung verschiedener Ansprüche gegen verschiedene Kläger als Widerbeklagte in einer Schrift (oder in der mündlichen Erhebung der Widerklage, vgl. oben Rdn. 26) bestehen. Es kann aber auch der Fall sein, dass verschiedene Kläger derart getrennt gegen verschiedene Beklagte klagen, so dass sie nur durch die Schrift bzw. das Verfahren zusammengehalten werden (vgl. § 59). Die Widerklage muss bei Vorliegen derartiger Fallgestaltungen stets gegen einen Kläger gerichtet sein. 3. Widerklage im Falle der Hauptintervention. Zwischen dem Hauptintervenien- 56 ten und den Parteien des laufenden Rechtsstreits entsteht im Falle der Hauptintervention (§ 64) ein neues Prozessverhältnis. In diesem nimmt der Hauptintervenient die Prozessstellung des Klägers und die betroffenen Parteien (Kläger und Beklagte des ersten Prozesses) die der Beklagten ein. Liegt eine Hauptintervention vor, dürfen sowohl Kläger als auch Beklagte als auch einer von ihnen auch dem/den Hauptintervenienten eine Widerklage entgegensetzen.143 Im alten Prozessverhältnis bleibt daneben auch nach der Hauptintervention die Widerklageerhebung durch den Beklagten zulässig.144 Das folgt zwanglos daraus, dass das alte Verfahren nur (allenfalls) bis zur Entscheidung über das neue ruht (zur Auswirkung des Ruhens des Verfahrens auf die Zulässigkeit der Widerklage Rdn. 42). Dieser Fall zeigt aber auch, dass eine Widerklage unter den Parteien derselben Parteistellung ein neues Prozessverhältnis begründet und deshalb, selbst wenn sie als „Widerklage“ bezeichnet wird, eine selbständige Klage ist. Es ergibt sich aus § 147, dass über sie im selben Verfahren entschieden werden darf. 4. Widerklage bei selbständigen und unselbständigen Streitgehilfen des Klä- 57 gers. Aber auch der selbständige (§ 69) und der unselbständige Streitgehilfe des Klägers (§§ 66 ff.) wird nicht zum Mitkläger,145 es sein denn, es kann die echte Widerklage gegen den Streithelfer eines Beklagten oder gegen einen sonstigen dritten erhoben werden.146 Andererseits kann sich ein Streithelfer nur der Widerklage anschließen.147 5. Widerklage nur eines Beklagten. Für den Fall, dass nur ein Beklagter vorhan- 58 den ist, ist er der mögliche Widerkläger. Existieren aber mehrere Beklagte, so ist jeder autonom befugt, eine Widerklage zu erheben. Zudem ist es möglich, dass mehrere oder alle gemeinsam die Widerklage erheben. Ausreichend dafür ist dann eine Einheit der Widerklageschrift oder die Erhebung der Widerklage in der mündlichen Verhandlung.148 Das alles ist auch Nacheinander möglich. 6. Beklagter im Falle des Prätendentenstreits. Der Streitverkündete ist vom Zeit- 59 punkt seines Eintritts an (§ 75) Beklagter im Prätendentenstreit, während die alte Partei es bis zu ihrem Ausscheiden bleibt. Bei der Urheberbenennung (§§ 76 Abs. 3 und 4, 77) und beim Eintritt eines Rechtsnachfolgers (§§ 265, 266) sowie beim Ein- oder Austritt von Parteien durch Klageänderung (vgl. § 264) gilt dies entsprechend. Bis zu diesem Zeitpunkt sind sie aber lediglich Streitgehilfen nach §§ 66 ff. und dürfen keine echte Wider-

_____ 142 143 144 145 146 147 148

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Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B IIa 1. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 23. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B IIa 2. RG JW 1892, 309. Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B IIIa 3. OLG München AnwBl. 1973, 359. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B IIb.

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klage erheben, da sie keine Beklagtenstellung besitzen. Dies gilt genauso für sonstige Dritte, die sich in den Streit mischen und nicht Partei sind. Im Falle des § 69 gilt dies entsprechend.149 7. Keine Widerklage gegen gesetzliche Vertreter des Klägers und Parteien kraft Amtes. Dagegen darf grundsätzlich nicht gegen den gesetzlichen Vertreter des Klägers als Partei Widerklage erhoben werden. Gleiches gilt für Insolvenzverwalter und Testamentsvollstrecker als Parteien kraft Amtes (§ 116 Nr. 1);150 daher ist z.B. die gegen den für die Masse auf Leistung (§ 103 Abs. 1 InsO) klagenden Insolvenzverwalter erhobene, auf Schadenersatz nach § 60 Abs. 1 InsO gerichtete Widerklage unzulässig, da sie sich gegen den Insolvenzverwalter als Person richtet, nicht dagegen die Widerklage, die sich auf Feststellung des Schadenersatzanspruchs nach § 103 Abs. 2 InsO richtet. 61 In den Fällen der §§ 265, 266 kann jedoch gerade die alte Prozessvertretung beibehalten werden. Die Parteistellung bleibt somit erhalten. Die Widerklage gegen einen Kläger, der durch Rechtsnachfolge sein außerprozessuales Recht verloren hat, bleibt zulässig, während eine solche gegen einen nicht in den Streit eingetretenen Rechtsnachfolger unzulässig ist. Handeln voll Parteifähige treuhänderisch und haben in dieser Eigenschaft als Treuhänder das Vollrecht erhalten, können sie widerklagen und widerbeklagt werden. Zu differenzieren sind davon aber die Fälle, in denen bei einem Vollmachtindossament (Art. 18, 19 WG, Art. 23 ScheckG) der Bevollmächtigte im Namen des Vollmachtgebers klagt (vgl. § 50). Hierbei darf er nicht selbst mit einer echten Widerklage überzogen werden.151

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8. Wechsel der gesetzlichen Vertretung. Auf die Voraussetzungen der Erhebung der Widerklage hat ein Wechsel der gesetzlichen Vertretung oder ihr Erlöschen dadurch, dass die Partei prozessfähig wird, keine Auswirkungen, da regelmäßig die Rechtslage nicht verändert wird. Nach § 51 Abs. 1 ist die Widerklage aber dann unzulässig, sobald ein gesetzlicher Vertreter eintritt, der nur für die Klage aber nicht für die Widerklage Vertretungsmacht hat. Dies kann besonders in Betreuungsverhältnissen der Fall sein (vgl. §§ 1901, 1902 BGB). Die Verbindung wird nicht gesprengt, wenn die Widerklage schon erhoben ist. Ist dies aber nicht der Fall, bedeutet die Erhebung das Hineinziehen eines neuen Prozessfähigen, was dem einer neuen Partei entspricht. Ein solcher Wechsel in der Prozessfähigkeit kann dazu führen, dass eine Widerklage nicht mehr erhoben werden darf. Der umgekehrte Fall ist dagegen selten.152 X. Prozessarten

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1. Übersicht. Das Widerklageverfahren muss zusammen mit dem Klageverfahren durchführbar sein; deshalb muss grundsätzlich die Prozessart dieselbe sein.153

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2. Urkundsverfahren. Erhebt der Kläger im Urkundenprozess Klage ist die Urkundenwiderklage unzulässig, vgl. §§ 595 Abs. 1, 602, 605a.154 Für den umgekehrten Fall ist in der Vergangenheit die Meinung vertreten worden, im ordentlichen Verfahren verfolg-

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Vgl. insgesamt Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B IIb. Vgl. hierzu zum Konkursverwalter Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B IIIb. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B IIIb. Vgl. hierzu insgesamt: Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. B IIIb a.E. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIc. Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 19.

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bare Ansprüche dürften vom Beklagten und Widerkläger, der mit ordentlichen Verfahren klagweise in Anspruch genommen worden ist, nicht mit der Widerklage im Urkundenverfahren begegnet werden.155 Diese Ansicht ist zu Recht aufgegeben worden. So hat der BGH darauf erkannt, dass 65 eine Urkundenwiderklage im ordentlichen Verfahren zulässig sei, da sie zum einen nicht nach § 595 Abs. 1, der eine Widerklage nur gegenüber einer im Urkundenprozess erhobenen Klage untersagt, ausgeschlossen ist. Zum anderen steht die Statthaftigkeit auch dem Grundgedanken von § 260 nicht entgegen, da gravierende Unterschiede zwischen dem ordentlichen Erkenntnisverfahren und dem Urkundenverfahren nicht bestehen. Zudem ist eine Zulassung einer Urkundenwiderklage im ordentlichen Verfahren auch prozessökonomisch und trägt dem praktischen, schutzwürdigen Interesse des Widerklagenden Rechnung, schneller als im ordentlichen Verfahren zu einem vorläufigen Vollstreckungstitel zu gelangen.156 3. Widerklage im arbeitsgerichtlichen Verfahren vor der Güteverhandlung. 66 Wird die Widerklage im arbeitsgerichtlichen Verfahren vor der Güteverhandlung erhoben, so wird sie in diese mit einbezogen (§§ 54 ff. ArbGG).157 4. Mahnverfahren. Hat der Kläger das Mahnverfahren gewählt, so beginnt die Mög- 67 lichkeit, Widerklage zu erheben, erst mit dem Widerspruch, da dieses Verfahren als solches keine Widerklagemöglichkeit gibt.158 Der Beklagte kann daher nicht zulässigerweise im Mahnverfahren eine Widerklage erheben für den Fall, dass dieses in das ordentliche Verfahren übergeht. Wird die Widerklage vor Eröffnung der Instanz gegen einen Mahnbescheid erho- 68 ben, so gilt sie als Widerklage, wenn zugleich Widerspruch (§ 696) eingelegt wird (nach dem Erlass des Vollstreckungsbescheids, wenn zugleich Einspruch eingelegt wird); andernfalls als selbständige Klage. 5. Schiedsverfahren und Vollstreckbarerklärungsverfahren. Zur Widerklage 69 kann es bereits in der schiedsgerichtlichen Instanz des Schiedsverfahrens kommen.159 Gehen die Schiedsrichter auf die Widerklage ein, so ist dieser Spruch wie die übrigen Schiedssprüche auch zu bekämpfen. Der Anspruch muss aber dann durch den Widerbeklagten auf dem Gerichtsweg (vgl. § 13 GVG) verfolgt werden, wenn die Entscheidung offen oder stillschweigend abgelehnt wird.160 Im Unterschied zum früheren Recht wird auch durch die Aufhebung des Schieds- 70 spruchs nach § 1059 Abs. 2 nicht ohne weiteres die Zuständigkeit der staatlichen Justiz begründet; vielmehr ist „im Zweifel“ nach § 1059 Abs. 5 die Sache an das Schiedsgericht zurückzuverweisen, sofern nicht die Unzuständigkeit der Schiedsgerichte gemäß § 1059 Abs. 1 Nr. 1 lit. c erkannt wird. Daher kommt die Erhebung der Widerklage im Beschlussverfahren nach den §§ 1062, 1063 im Unterschied zum früheren Recht nicht in Betracht.161

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155 Vgl. allg. Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 20 m.w.N. 156 BGH BB 2002, 274. 157 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIc 1. 158 MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 5. 159 Koller, Aufrechnung und Widerklage im Schiedsverfahren. Unter besonderer Berücksichtigung des Schiedsorts Österreich, 2009 S. 239 ff. 160 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIc 6. 161 Schlosser Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit2, Rn 890; zur neuen Rechtslage: Musielak/Voit § 1063 Rdn. 7; MünchKomm/Münch § 1064 Rdn. 7 m.w.N.; Zöller/Geimer § 1064 Rdn. 3; vgl. aber auch wohlwollender: Stein/Jonas/Schlosser22 § 1063 Rdn. 3.

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Der Beklagte kann die Widerklage nicht im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs für den Fall erheben, dass es zur mündlichen Verhandlung kommt, selbst wenn er es im weiteren in der Hand hat, diesen Fall durch eine (weitere) Prozesshandlung herbeizuführen. Dahin gehören auch die Fälle der §§ 722, 723, sofern mit der Widerklage unzu72 lässiger Weise der Rechtskraftwirkung des ausländischen Erkenntnisses vorgegriffen werden soll.162 Soweit es allerdings zu Klagen anlässlich solcher Verfahren kommt, so ist die Widerklage zulässig, also im Besonderen in den Klageverfahren der §§ 722, 723. Auf von ausländischen Gerichten unangreifbar Entschiedenes kann aber mit der Widerklage nicht zurückgegriffen werden. Hier ist nämlich die Widerklage unzulässig, was auch für das Schiedsverfahren gilt, wenn dieses in ein vor den ordentlichen Gerichten schwebendes übergegangen ist.163 73

6. Arrest und einstweilige Verfügung. Im Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren sind Gegenverfügungen denkbar (beiden Parteien wird verboten, einen Grenzbaum zu fällen); damit wäre aber logischerweise verbunden, dieses Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes auszuschalten, was erkennbar nicht angeht. Daher wird in der Rechtsprechung ein im Rahmen eines anhängigen Verfügungsverfahrens durch den Antragsgegner gestellter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Antragsteller dieses Verfahrens (sog. Gegenverfügungsantrag) als prozessual unstatthaft qualifiziert.164 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Vorschriften der ZPO über Arrest und einstweilige Verfügung einen Gegenverfügungsantrag des Antragsgegners nicht vorsehen. Und es liegt nahe, davon auszugehen, dass sich die Regelung des § 33 und sonstigen Grundsätze über die Widerklage im Hauptsacheverfahren auf das Eilverfahren wegen des besonderen Charakters dieser Verfahrensart nicht übertragen lassen.165 Das Eilverfahren ist auf eine schnelle Entscheidung angelegt; insbesondere ist eine Vertagung der mündlichen Verhandlung regelmäßig ausgeschlossen. Hiermit lässt sich die Zulassung eines wie die Widerklage zu behandelnden Gegenverfügungsantrages nicht vereinbaren, da die Widerklage auch noch im Termin zur mündlichen Verhandlung erhoben werden kann mit der Folge, dass die mündliche Verhandlung vertagt werden muss; insbesondere sieht das Gesetz keine Möglichkeit vor, eine Widerklage als verspätet zurückzuweisen. Die Zulassung eines Gegenverfügungsantrages könnte daher nur dann zu sachgerechten Ergebnissen führen, wenn man seine Zulässigkeit im Unterschied zur Widerklage von weiteren Voraussetzungen wie etwa – entsprechend § 263 – der Sachdienlichkeit abhängig machen würde.166 Dafür bieten die Vorschriften der ZPO jedoch keine Grundlage.

74

7. Vollstreckungs- und Aufgebotsverfahren. Vollstreckungs- und Aufgebotsverfahren kennen keine Widerverfahren und lassen auch keine der Widerklage ähnliche Form der Geltendmachung zu.

_____ 162 163 164 165 166

RGZ 114, 171, 173. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIIc 4. OLG Frankfurt/M GRUR-RR 2012, 88 f. Weber WRP 1985, 527. So Ahrens-Bähr Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Rdn. 16 zu Kap. 52.

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8. Gesetzliche Ausschlusstatbestände, namentlich besitzrechtliche Fälle a) Petitorische Widerklagen, also auf das Recht zum Besitz oder zur Vornahme der 75 störenden Handlung gestützte Widerklagen, sind gegenüber einer Besitzschutzklage (§§ 861, 862 BGB) entgegen der hier im folgenden (Rdn. 74) vertretenen Meinung nach der Judikatur des BGH nicht nur innerhalb der in § 863 BGB bezeichneten Grenzen zulässig.167 b) Um sich mit dieser, mittlerweile ständigen, Rechtsprechung des BGH auseinander 76 setzen zu können, bedarf es einer näheren Befassung mit der Funktion der Beschränkung gesetzlicher Tatbestände, aus denen sich auf den Ausschluss bestimmter Einwendungen zu schließen ist. Im Allgemeinen gilt, dass Ansprüche im Wege der Widerklage dann nicht geltend gemacht werden können, soweit diese den vom Kläger verfolgten Klageansprüchen kraft gesetzlicher Regelung nicht entgegengehalten werden dürfen. Gesetzlich ausgeschlossen werden aber nicht das Bestreiten des Klageanspruchs selbst – also seiner tatbestandsmäßigen Voraussetzungen, sondern nur Einwendungen und Einreden derart, dass sie bestimmten Ansprüchen nicht entgegengesetzt werden dürfen (sofern der Gegner nicht einwilligt). Damit wird ihre selbständige Geltendmachung dadurch nicht gehindert. Werden sie im Prozess gleichwohl unzulässigerweise vorgebracht, dürfen sie dort nicht beachtet werden. Stützt sich aber auf diese Einwendungen eine Widerklage, so wird diese abgetrennt, wenn sie auch ohne die Verbindung am selben Gericht verfolgbar ist (also bei der selbständigen Widerklage) oder falls Verweisungsantrag an das zuständige Gericht nach § 281 gestellt ist. Hierher gehören aber die Fälle der possessorischen Klage aus § 863 BGB.168 Gegenüber Besitzansprüchen lässt diese Norm Einwendungen nur aus dem Besitz zu.169 Einwendungen und Einreden, die aus dem Recht zum Besitz stammen, also nicht aus dem Besitz selbst, werden ausgeschlossen.170 Widerklagen sind dementsprechend auch zwingend unzulässig. Diese Judikatur begegnet erheblichen Bedenken, da sie die Funktion des Possessoriums in Frage stellen. Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz: Im Arrest- oder Verfügungsverfahren können Widerklagen in Ermangelung der Rechtshängigkeit der Hauptsache nicht erhoben werden. Es kann aber der Erlass einer im Sachzusammenhang stehenden Gegenverfügung begehrt werden.171 c) Klagt ein Kläger aus dem Besitz, so darf er gleichzeitig auch aus dem Recht zum 77 Besitz klagen. Dann muss er sich aber auch eine Widerklage aus dem Recht zum Besitz entgegenhalten lassen.172 Die reine Besitzklage wird davon nicht betroffen. XI. Konnexität 1. Funktion. Die Forderung des Zusammenhangs (der Konnexität) der Widerklage 78 hat allein für die Begründung des Gerichtsstandes Bedeutung; es wird damit keine besondere Prozessvoraussetzung der Widerklage normiert (oben Rdn. 2 f., vgl. auch 38). Ist für die Widerklage der Gerichtsstand am Gericht der Klage aus anderem Grunde begrün-

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167 168 169 170 171 172

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BGHZ 53, 166, 168 ff. = NJW 1970, 707; s. auch Ott Die Parteiwiderklage (1999) S. 108 f. Zu den Auswirkungen der petitorischen Widerklage auf die Besitzschutzklage Spiess JZ 1979, 717 ff. Vgl. hierzu allgem. BeckOK-BGB/Fritzsche § 863 BGB Rdn. 1 ff.; Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIId 1. RG JW 1939, 366, RArbGE 17, 102, 106. LG Köln MDR 1959, 40; KGR 1998, 421. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIId 1 aE.

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det kommt es auf das Konnexitätserfordernis nur für die Frage an, ob die Verhandlung über die Widerklage nach § 145 Abs. 1 abgetrennt werden kann (vgl. § 145 Rdn. 14 f.). 79

2. Übersicht. Gefordert wird von § 33 Abs. 1 zunächst ein rechtlicher Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage173 oder mit den gegen die Klage vorgebrachten selbständigen Verteidigungsmitteln des Beklagten (vgl. insbes. Rdn. 84). § 33 lässt aber einen sachlichen Zusammenhang genügen. Die Vorschrift bestimmt damit einen besonderen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs. Die Vorschrift betrifft nach richtiger Auffassung174 die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, regelt aber entgegen einer älteren Ansicht175 nicht die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Widerklage. Eine nichtkonnexe Widerklage kann vor dem Gericht der Klage erhoben werden, wenn dieses örtlich zuständig ist. Liegt kein sachlicher Zusammenhang vor, kann der Zuständigkeitsmangel durch rügelose Einlassung gemäß § 39 geheilt werden. Anstelle des rechtlichen Zusammenhangs genügt ein wirtschaftlicher Zusammenhang aufgrund eines innerlich zusammengehörigen, einheitlichen Lebensverhältnisses.176 Darunter fallen daher Widerklagen, die sich gegen die erhobene Kaufpreisklage mit Gewährleistungsansprüchen richten177 oder die sich auf Ansprüche aus gegenseitigen Geschäftsverbindungen beziehen, wobei neben der Judikatur178 auch die Vertreter der Gegenmeinung179 es genügen lassen, dass die jeweiligen Ansprüche sich aufgrund ihres zeitlichen oder sachlichen Zusammenhangs als natürliche Einheit darstellen.

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3. Entwicklung der Rechtsprechung zum rechtlichen Zusammenhang. Der rechtliche Zusammenhang wird von der Rechtsprechung weit gefasst, ähnlich wie bei § 273 Abs. 1 BGB.180 Auch wenn einzelne Ansprüche rechtlich gleichartig oder entgegengesetzt oder verschiedenartig sind,181 muss der Streit dasselbe (wirtschaftlich erfasste) Rechtsverhältnis betreffen.182 Dasselbe gilt, wenn die Ansprüche auf verschiedenen tatsächlichen Vorgängen beruhen.183 Es reicht dagegen nicht aus, wenn lediglich dieselben Parteien (sei es in derselben gesetzlichen Vertretung) einander gegenüberstehen.184 Die Rechtsprechung ist jedoch insofern überholt, als dass sie früher den weiten Zu81 sammenhang verneint hat. Dies war z.B. der Fall bei mehreren selbstständigen Kaufverträgen, die keine Dauerschuld- oder Wiederkehrschuldverhältnisse begründeten, über verschiedene Gegenstände zwischen Vertragsschuld und der Erfüllung begangener unerlaubter Handlung des Gegners (Hundebiss). Der rechtliche Zusammenhang wurde vom

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173 RGZ 11, 423. 174 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 2, 3; Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 3; MünchKomm/Patzina Rdn. 2. 175 RGZ 23, 396, 397 f.; 110, 97, 98; Fischer ZZP 43 (1913), 96 ff.; Heinsheimer ZZP 38 (1909), 1 ff.; differenzierend Rimmelspacher Festschrift für G. Lüke, 1997, 655, 664; Ott Die Parteiwiderklage, 1999, S. 87 f. 176 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 96 Rdn. 17 f.; offen gelassen in BGHZ 53, 166, 168 = NJW 1970, 707; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 28; MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 20; Zöller/Vollkommer Rdn. 15; Musielak/ Heinrich § 33 Rdn. 2; vgl. ausführlich Ott Die Parteiwiderklage, 1999 S. 61. 177 BGHZ 52, 30, 34 = NJW 1969, 1563. 178 BGHZ 54, 244, 250 = NJW 1970, 2019; RGZ 68, 32, 34; OLG Düsseldorf NJW 1978, 703. 179 Statt aller: Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 2; vgl. auch Prütting/Gehrlein-ZPO/Wern § 33 Rdn. 1. 180 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ia mit Verweis auf RG v. 25.10.1927 V 561/26 N § 33/22. 181 RGZ 25, 396 f. 182 RGZ 68, 32, 34. 183 RG JW 1895, 223. 184 RG v. 10.10.1913 VII WarnR 454, jedoch ist die Entscheidung nach Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ia insoweit überholt, wie sie fordert, dass Antrag und Widerantrag sich auf denselben Klagegegenstand beziehen müssten.

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Kammergericht185 auch dann verneint, wenn eine Ehefrau auf Unzulässigkeit der Vollstreckung in ihr gehörende Gegenstände klagt und ihr dabei vom Gläubiger eine Widerklage entgegengehalten wird, die mit der Begründung geschieht, dass sie sich für die gegen ihren Mann bestehende Forderung verbürgt hatte. Dies ist jedoch nur insoweit zu billigen, als dass die Frau die Einrede der Vorausklage noch nicht verloren hat. Das gleich gilt bei Enteignungsentschädigungen und ihren Rückforderungen sowie bei Klagen im Bereich des Nachbarrechts, sofern jeder Nachbar den anderen in Anspruch nimmt, weil verschiedene Grundstücke gestört wurden.186 Das RG187 hat einen rechtlichen Zusammenhang auch dann verneint, wenn die Darlehensklage des Klägers einer schriftstellerischen Honorarforderung des Beklagten gegenübersteht. Dies ist heute nur noch zu billigen, wenn das Darlehen in keinem (tatsächlichen) Zusammenhang mit dieser schriftstellerischen Leistung des Beklagten steht. 4. Voraussetzungen rechtlichen Zusammenhangs, § 33 Abs. 1, 1. Var. Der Wi- 82 derklageanspruch steht mit dem Klageanspruch in Zusammenhang. Von Konnexität ist folglich auszugehen, wenn der(selbe) Sachverhalt Klage und Widerklage betrifft, also z.B. dasselbe (Unfall-)Ereignis.188 Dasselbe Ereignis liegt vor, wenn die Klage z.B. auf Vertrag und die Widerklage auf unerlaubte Handlung – sofern im Vertragsschluss eine solche zu erblicken ist – gestützt wird und dies erst durch den Sachvortrag des Beklagten in der Widerklage erkennbar wird. Dabei genügt es, wenn der Widerklagevortrag an die Klage anknüpft. Von dem durch § 33 geforderten rechtlichen Zusammenhang des mit der Widerklage 83 verfolgten Anspruchs mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch kann nach Ansicht des LG Aurich nicht ausgegangen werden, wenn eine vom Kläger geltend gemachte Provisionsforderung in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der angeblich ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung steht. In dem vom LG Aurich entschiedenen Fall war gegenständlich die Zahlung abgetretenen Maklerlohns, wogegen der Beklagte Widerklage erhob, die den Makler als Drittwiderbeklagten einbezog, um ihn, wie das LG Aurich zudem meinte, als benannten Zeugen auszuschließen. Diese Widerklage war auf Erstattung von 10 Euro dem Makler ersetzter Kosten für einen Grundbuchauszug gerichtet. Dies hielt das LG Aurich mit der Begründung für unzulässig, die geltend gemachte Provisionsforderung der Klage stehe in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Anspruch der angeblich ohne Rechtsgrund gezahlten 10 Euro.189 Diese Entscheidung scheint eher darauf zu verweisen, dass die Widerklage hier rechtsmissbräuchlich erhoben worden ist. Bei einer Klage und Widerklage aus unlauterem Wettbewerb, bei der es in der Wi- 84 derklage gerade auch um die Verneinung der Frage ging, deren Bejahung Klagegrund war, wurde derselbe Gegenstand getroffen (§ 1 UWG bzw. § 6 UWG190). Es ist möglich, dass mehrere Rechtsgeschäfte ein untrennbares, einheitliches Rechtsverhältnis darstellen (insbesondere bei Dauerschuld- oder Wiederkehrschuldverhältnissen).191 In der Tatsache, dass lediglich mehrere gegenseitige Kaufverträge für verschiedene Gegenstände vorliegen, kann aber ohne weiteres noch kein einheitliches Rechtsverhältnis gesehen

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185 KG OLG 19/59; Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ib 1. 186 So aber RG JW 1899, 768. 187 RG JW 1910, 238; Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ib 2. 188 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ib. 189 LG Aurich NJW-RR 2007, 1713. 190 RG JW 1907, 317 (obwohl hier der ausschließliche Gerichtsstand des § 24 UWG gilt); vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ia. 191 RG JW 1903, 65.

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werden.192 Ausreichend sind dagegen mögliche Ausflüsse desselben Rechtsverhältnisses oder auch sich gegenseitig bedingende Ansprüche.193 5. Konnexität aufgrund Zusammenhangs von Verteidigungsmitteln und Klageanspruch, § 33 Abs. 1, 2. Var. 85

a) Werden negative und positive Ansprüche gleich behandelt oder bedingen sie einander bzw. schließen sie sich gegenseitig aus (sofern sie wechselseitig die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit des Vertrages voraussetzen194), so ergibt sich ein Zusammenhang aus prozessualen Gründen. Dasselbe gilt, wenn der Anspruch auf Erfüllung und der Gegenanspruch auf Nichterfüllung oder Rücktritt gerichtet ist. Selbiges gilt auch für den Prätendentenstreit.195

b) Auch aus der Verteidigung kann sich ein rechtlicher Zusammenhang ergeben. So ist es z.B. bei Ansprüchen des Eigentümers auf Herausgabe nach § 985 BGB und Ansprüchen des Besitzers nach §§ 994 ff. BGB. Wurde in der Zwangsversteigerung Miteigentum verloren und wird mit der Widerklage dessen Wiedereinräumung begehrt, so ist dies laut RG196 zulässig. Dieser Widerklage wurde dann eine Räumungsklage entgegengesetzt, die auf das Eigentum gestützt war. Bei einem Anspruch aus § 1004 BGB darf zudem mit der Widerklage ein sonstiges, auch persönliches Recht, entgegengesetzt werden, § 986 BGB.197 Bei der Aufrechnung wird der Zusammenhang erweitert. Ob diese dann mit dem 87 Klageanspruch selbst in Zusammenhang steht oder nicht, ist irrelevant: Verteidigt sich der Beklage mit Aufrechnung, macht dies seine bis dahin inkonnexe Widerklage konnex.198 Nach § 387 BGB ist nämlich nicht erforderlich, dass die aufzurechnende Forderung ein besonderes Rechtsband zur Klageforderung hat.199 Liegt dies aber vor, darf keine Trennung erfolgen (vgl. § 302). Ob nun zuerst die Widerklage erhoben und dann eventuell aufgerechnet wurde oder umgekehrt ist dafür unbeachtlich. Der Zusammenhang fehlt jedoch immer dann, wenn gar nicht aufgerechnet wird (auch nicht eventuell). Dies gilt auch dann, wenn aufgerechnet werden könnte.200 Hat der Gegner dies in seinem Vorbringen dadurch berücksichtigt, dass er den Ge88 genanspruch schon von der Klageforderung abgesetzt hat, so soll dies laut RG201 ausreichen. Die Verteidigung muss aber vorgebracht worden sein. 86

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6. Ausschluss des Widerklagsgerichtsstandes trotz Konnexität. Trotz gegebenen Zusammenhangs i.S. des § 33 Abs. 1 ist der Widerklagegerichtstand nach §§ 33 Abs. 2, 40 Abs. 2 ausgeschlossen bei Verbindung von nichtvermögensrechtlichen Streiten mit vermögensrechtlichen.

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192 193 194 195 196 197 198 199 200 201

OLG Hamburg 19/59. RG Gruch. 58, 477. RGZ 61, 409, 413, RG Gruch. 58, 477. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ia. RG JW 1903, 45. Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ia 1. RG JW 1888, 305; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 29. RG v. 5.6.1915 V WarnR 304. Wieczorek 2. Auf., § 33 Rdn. E Ia 2. RG JW 1893, 266; Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E Ia 2.

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XII. Eventualwiderklage 1. Eventualwiderklage als innerprozessual bedingte Prozesshandlung a) Eventualwiderklagen sind zulässig; dies entspricht heute allg. hM.202 Es ist bereits 90 ausgeführt worden, dass über die örtliche Zuständigkeit hinaus für alle Widerklagen allgemeine Prozessvoraussetzungen anderer Art, die für jede Klage so gegeben sein müssen, vorliegen müssen. Soweit in all diesen Fällen selbständige wie unselbständige Widerklagen getrennt werden dürfen, gilt dies nicht bei der Eventualwiderklage. So ist eine Eventualwiderklage unzulässig, wenn sie getrennt werden müsste.203 Obwohl die Widerklage Prozesshandlung und damit grundsätzlich bedingungsfeindlich ist, kann sie hilfsweise erhoben werden, wenn es sich – wie bei einem Hilfsantrag (vgl. § 260 Rdn. 35 u. 41 f.) – um eine innerprozessuale Bedingung handelt.204 Damit wird die Waffengleichheit von Beklagtem und Kläger hergestellt, der seinerseits Prozesshandlungen von innerprozessualen Bedingungen abhängig machen kann.205 Betrifft der Gegenstand der eventuell gestellten Widerklage einen ausschließlichen Gerichtstand, so ist anders als bei der schlechthin erhobenen die Eventualwiderklage als unzulässig abzuweisen. Soweit das Verhältnis der Eventualwiderklage zu der Klage indes nicht betroffen wird, ist sie gelöst von den Prozessbedingungen der Klage, so dass eine Klage unzulässig, die Widerklage aber zulässig sein kann wie umgekehrt.206 Auch als Eventualwiderklagen erhobene Wider-Widerklagen sind zulässig. Da der 91 Kläger dem Beklagten die Gewissheit geben muss, dass nicht lediglich ein eventuell erhobener Anspruch vorliegt, sind reine Eventualklagen zwar unzulässig (vgl. § 253 Abs. 2). Gestattet ist es aber, dass der Kläger für den Fall, dass er mit dem Hauptantrag unterliegt, Hilfsanträge stellt. Durch das Klagebegehren wird die Gewissheit, die der Beklagte verlangen darf, nicht notwendig zur Entscheidung gestellt. Ein reiner Eventualantrag darf somit mit der Widerklage verfolgt werden, während ihre Erhebung selbst nicht eventuell gestellt werden darf.207 b) Wenn beide Klagen nur eventuell erhoben waren, sind auch Fälle denkbar, wo 92 die Klage von vornherein unwirksam ist (wenn eine Nichtklage vorliegt) und die Widerklage tatsächlich erhoben wurde; hier bleibt die Widerklage als Klage bestehen, sofern ihre allgemeinen Prozessvoraussetzungen und vor dem angerufenen Gericht die örtliche Zuständigkeit vorliegt; ansonsten wäre die Eventualwiderklage wegen örtlicher Unzuständigkeit unzulässig. 2. Echte und unechte Eventualwiderklagen a) Wird eine Widerklage eventualiter für den Fall erhoben, dass die Klage sich als 93 begründet erweist, spricht man von einer echten Eventualwiderklage, da es in diesem Fall für das Obsiegen oder Unterliegen der Parteien auf die Zulässigkeit und Begründet-

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202 MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 24; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 36; Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 26; BGHZ 132, 390, 398; BGH NJW 2002, 2182, 2183. 203 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. A IIIb. 204 BGHZ 132, 390, 397 f. = NJW 1996, 2306; BGH NJW 1996, 320; 1996, 2166 m. Bespr. v. Luckey JuS 1998, 499; Ott Die Parteiwiderklage, 1999 S. 29 f.; dadurch wurden die Beschränkungen von BGHZ 21, 13, 16 ff. = NJW 1956, 1478 aufgegeben. 205 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 36. 206 RGZ 58, 258 f. 207 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. D Ia.

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heit der Widerklage ankommt – die Bedingung, unter die die (Wider)Klageerhebung des Beklagten gestellt ist, tritt dann ein. Ist die negative Feststellungsklage, mit der der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages verfolgt, begründet, erfolgt auf Widerklage des Beklagten die Verurteilung des Klägers zur Herausgabe des aufgrund des nichtigen Vertrages Geleisteten.208 Ergeht Klageabweisung tritt damit die Bedingung ein, mit der auflösend die Rechtshängigkeit der Widerklage beseitigt wird. Eine gleiche Fallkonstellation liegt vor, wenn der Beklagte gegen den mit der Klage geltend gemachten Anspruch aufrechnet und für den Fall, dass das Gericht die Aufrechnung für unzulässig hält, Widerklage aus dem Gegenanspruch erhebt.209 94

b) Von einer unechten Eventualwiderklage spricht man, wenn die Widerklage unter die Bedingung gestellt wird, dass die Klage unzulässig oder unbegründet ist. Ein derartiger Fall liegt in der unter die Bedingung der Abweisung der gegen den Beklagten gerichteten Klage auf Feststellung des Vertrages von diesem erhobenen Eventualwiderklage auf Rückleistung des aufgrund des Vertrages Geleisteten.210 Gleiches gilt für den Fall der unter der Bedingung der Abweisung der Teilklage auf Leistung erhobenen negativen Eventualfeststellungswiderklage, die auf Leugnung der Pflicht auf Zahlung des nicht eingeklagten Restbetrages gerichtet ist.211 3. Auswirkung des Eventualverhältnisses

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a) Die Eventualwiderklage hat immer dann keinen Bestand und wird hinfällig, wenn die Klage als unzulässig abgewiesen wird.212 Auch in dem Fall, dass Entscheidungen durch Teilurteil nach § 301 oder Voraburteil nach § 302 nicht ausgeschlossen sind, darf sie nicht nach § 145 vom Gericht abgetrennt werden. Bevor der Klage entsprochen wird oder entsprochen werden sollte wie bei der Eventualaufrechnung, darf über sie nicht entschieden werden. Die Eventualwiderklage kann immer dann nur als unzulässig abgewiesen werden, wenn ein erforderlicher Gerichtsstand des Zusammenhangs nach § 33 fehlt. Denn dieser Mangel kann auch nicht durch einen (hilfsweise) gestellten Verweisungsantrag geheilt werden.213

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b) Werden Widerklagen verfahrensrechtlich unbedingt erhoben, wenn auch der außerprozessuale Anspruch nur bedingt (also eventuell) geltend gemacht wird, so folgt daraus nicht ihre Unzulässigkeit.214

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4. Kein Eventualrechtsweg. Neben der Eröffnung des Gerichtsstandes des Zusammenhangs nach § 33 hat der Widerkläger die Wahl, seine Widerklage durch Eventualstellung von der Klage abhängig zu machen. Diese Eventualwiderklage darf aber nicht schon deshalb, weil der Beklagte durch seine Eventualstellung die Widerklage von der Klage abhängig macht, im Gerichtsstand der Klage verfolgt werden, sondern nur, wenn

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208 BGHZ 21, 13 ff.; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 37. 209 BGH, Urt. v. 10.7.1961 – VIII ZR 64/60 = BGH NJW 1961, 1862. 210 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 38. 211 BGH, Urt. v. 13.5.1996 – II ZR 275/94 = BGHZ 132, 390, 397 ff. = BGH NJW 1996, 2306, 2308. 212 RG v. 27.3.1920 I WarnR 122 hat die Widerklage als unzulässig abgewiesen, wenn vorweg der Kläger die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit erhoben hatte, sofern diese durchgriff; doch ging es zu weit, sie als Eventualwiderklage als unzulässig abzuweisen. 213 Vgl. insgesamt Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. D IIa, b. 214 BGH v. 22.5.1953 V ZR 72/52 – Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor Eventualstellung der Widerklage.

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sie allgemein (selbständig) in diesem Gerichtsstand oder nach § 33 in dem des Zusammenhangs (als abhängige) ohne Eventualstellung erhoben werden dürfte.215 Eine Eventualwiderklage für den Fall, dass die Arbeitsgerichte für die Klage unzuständig seien, hat das BAG216 nicht zugelassen. XIII. Weitere Sonderfälle 1. Anschlusswiderklage bei befristeten Klagen. In bestimmten Fällen wird eine 98 sog. Anschlusswiderklage zugelassen, wenn für die Erhebung einer Klage und damit für die Widerklage eine mittlerweile abgelaufene Frist gesetzt war. Solche Fristen normiert § 586 für die Wiederaufnahmeklage und § 926 für die Anordnung der Klageerhebung im Arrestverfahren.217 Die Anschlusswiderklage hängt von der Hauptklage ab; ist diese unzulässig oder wird sie zurückgenommen wird die Anschlusswiderklage als verfristet unzulässig. Vergleichbar der Anschlussberufung wird damit die Anschlusswiderklage von der Einhaltung der Klagefrist unter der Voraussetzung suspendiert, dass über die Hauptklage eine Sachentscheidung gefällt wird.218 2. Zwischenfeststellungswiderklagen. Dem Beklagten wird mit einer Zwischen- 99 oder Inzidentfeststellungswiderklage gemäß § 256 Abs. 2 ermöglicht, solche Rechtsverhältnisse durch rechtskräftiges (Zwischen-)Urteil zu klären, die für die Hauptsache vorgreiflich sind.219 Die Vorgreiflichkeit eines zwischen den Parteien festzustellenden Rechtsverhältnisses ist daher besondere Voraussetzung der Zwischenfeststellungswiderklage gemäß § 256 Abs. 2, die im Übrigen ohne Schranken in der Berufungsinstanz zulässig ist.220 3. Schadensersatz bei Vorbehaltsurteilen. Die Geltendmachung von Schadens- 100 ersatz bei aufgehobenem Vorbehaltsurteil gemäß §§ 302 Abs. 4, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2 und 3 sowie 1065 Abs. 2 ist privilegiert, da sie unter den Voraussetzungen der zitierten Vorschriften durch einfachen Inzidenzantrag oder im Wege der Klage erfolgen kann und es im ersten Fall der allgemeinen Voraussetzungen einer Widerklage nicht bedarf.221 Besonderheiten gelten im Übrigen auch insoweit, als die Rechtshängigkeit dieser Anträge rückwirkend auf den Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses fingiert wird.222 Die Widerklage, die gegen die nach § 717 Abs. 2 und 3 erhobene Klagen anhängig gemacht werden, sind auch dann am Gerichtsstand der Schadenersatzklage zulässig,223 wenn sie im Hauptverfahren wegen der Regelungen der §§ 595 Abs. 1, 602, 605a nicht zulässig gewesen wären, aber das Vorbringen des Beklagten/Widerklägers dem Nachverfahren gemäß § 600 vorbehalten gewesen wäre.

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215 BGH NJW 1958, 1188; für die Eventualwiderwiderklage: BGH NJW 1959, 1183; im Verhältnis zur Aufrechnung, um einem Aufrechnungsverbot zu entgehen: BGH NJW 1961, 1862, BGH NJW 1965, 440. 216 BAG AP § 281/1. 217 Fenn AcP 163 (1963) 152 ff. 218 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 46. 219 BGHZ 69, 37, 41 = NJW 1977, 1637; Schneider MDR 1973, 270; Ott Die Parteiwiderklage (1999) S. 43 f. 220 BGHZ 53, 92, 94 = NJW 1970, 425. 221 Heute h.M.; vgl. allein Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 34, Anders dagegen die Judikatur des RG: RGZ 63, 367, 368; 124, 182, 184. 222 Bork JA 1981, 390. 223 OLG Hamburg HIRR 33/346.

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XIV. Drittwiderklage als parteierweiternde Widerklage224 101

1. Problematik einer Widerklage durch Dritte. Eine durch am Rechtsstreit bislang nicht beteiligte Dritte oder durch den Streithelfer erhobene Widerklage ist lange als grundsätzlich unzulässig angesehen worden;225 die Rechtsprechung hat allerdings diesen Grundsatz aufgelockert, so dass heute davon auszugehen ist, dass der Gerichtsstand des § 33 auf Drittwiderklagen Anwendung finden kann.226 § 33 findet auf Drittwiderklagen entsprechende Anwendung, wenn die Ansprüche auf Kläger- und Beklagtenseite sowohl sachlich als auch personell auf das Engste miteinander verknüpft sind. Der als persönlich haftender Gesellschafter der Klägerin in Anspruch genommene Drittwiderbeklagte hat einen Schadensersatzanspruch des Widerklägers gegen die Gesellschaft wie diese grundsätzlich am Erfüllungsort der primären Leistungspflicht zu erfüllen.227

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2. Zulässigkeit parteierweiternder Widerklagen gegen Dritte. Voraussetzung auch der parteierweiternden Widerklage ist, dass sie mit der Klage in rechtlichem Zusammenhang steht (oben Rdn. 76 f.).228 Der Eintritt einer neuen Person als Partei wird nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung als Klageänderung (§ 263) angesehen, und zwar ohne Unterschied, ob die neue verklagte Person an die Stelle des bisherigen Beklagten oder neben diesen tritt.229 Für die Zulässigkeit einer mit der Klage in rechtlichem Zusammenhang stehenden Widerklage, die gegen den Kläger der Hauptklage und zugleich gegen eine bisher am Rechtsstreit nicht beteiligte Person erhoben wird, genügt es, dass der Widerkläger in dem Augenblick, in dem sich die Zulässigkeit der Parteiänderung entscheidet, die Stellung eines selbständigen Klägers auf Grund einer zulässigen Widerklage erlangt hat und damit in der Lage ist, auch eine ihm nicht als Kläger gegenüberstehende Person gemäß § 264 zu verklagen.

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3. Frühere Rechtsprechung: Unzulässigkeit gegen Dritte erhobener Widerklagen. Nach früher gefestigter Rechtsprechung des BGH war davon auszugehen, dass § 33 für den bisher am Verfahren nicht beteiligten Drittwiderbeklagten grundsätzlich keinen Gerichtsstand am Gericht der Klage begründet.230 Das Gericht der Klage war danach für eine Widerklage, die gegen den Drittwiderbeklagten erhoben wird, örtlich nur zuständig, wenn ein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand bei dem Gericht der Drittwiderklage besteht, durch rügelose Einlassung begründet wird oder das übergeordnete Gericht den Gerichtsstand nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt.231 Zöller/Vollkommer wollen die Zuständigkeit des Prozessgerichts für den Drittwiderbeklagten mit einer erweiterten Anwendung des § 33 über die formelle Parteistellung hinaus auf materiell am Streitgegenstand Beteiligte begründen.232 Eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 33 lehnte der BGH ab, weil § 36 Abs. 1 Nr. 3 die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts-

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224 Ackermann Die Drittwiderklage (2005); Kähler ZZP 123 (2010) 473; M. Vollkommer/G. Vollkommer WRP 2000, 1062; W. Lücke Die Beteiligung Dritter im Zivilprozeß (1993) 280 ff. 225 Vgl. MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 27 ff. 226 Riehm/Bucher ZZP 123 (2010) 347 ff. 227 OLG Dresden JurBüro 2011, 544. 228 BGH NJW 1966, 1028. 229 RGZ 108, 350, 351, BGH LM § 264 Nr. 8. 230 BGH NJW-RR 2008, 1516 ff.; BGH NJW 1991, 2838; BGH NJW 1992, 982; BGH NJW 1993, 2120; BGH NJW 2000, 1871, 1872; Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 41; Musielak/Heinrich § 33 Rdn. 22 ff.; Vossler NJW 2006, 117, 121. 231 BGH NJW 1993, 2120. 232 Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 24.

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standes für Widerbeklagten und Drittwiderbeklagten erlaube, wenn keiner der Widerbeklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand vor dem Gericht der Klage hat. Im Fall der parteierweiternden Widerklage konnte nach der Judikatur des BGH die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts über § 36 Abs. 1 Nr. 3 begründet werden, soweit ein Gerichtsstand für die bislang am Verfahren Nichtbeteiligten bei ihm nicht besteht.233 Der BGH schränkte dabei den dem Schutz des Beklagten dienenden allgemeinen Grundsatz der §§ 12 f., nach dem die Klage grundsätzlich am Sitz des Beklagten zu erheben ist, aus Gründen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie ein, indem der nicht ausschließliche besondere Gerichtsstand des § 33 bestimmt werden kann, bei dem keiner der widerbeklagten Streitgenossen234 seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. 4. Entwicklung der Rechtsprechung des BGH. Der BGH hat aus diesen Gründen 104 seine strikte Ablehnung der Drittwiderspruchsklage relativiert. Sowohl die streitgenössische als auch die isolierte Drittwiderklage235 setzt einen Zusammenhang zwischen dem klageweise geltend gemachten Anspruch oder den hiergegen vorgebrachten Verteidigungsmitteln bzw. die Sachdienlichkeit der Prozessverbindung voraus. Umstritten sind die Grenzen der Sachdienlichkeit und die Frage, ob und in welchem Umfang der besondere Gerichtsstand nach § 33 Abs. 1 auch für die parteierweiternde Widerklage gilt, oder ob bei Abweichungen zwischen dem Gerichtsstand der Klage und dem der Widerklage eine Gerichtsstandsbestimmung erfolgen kann. 236 Die Einbeziehung in den Prozess und die Annahme oder Bestimmung eines ihm fremden Gerichtsstandes ist dem Dritten nur zumutbar, wenn der gegen ihn erhobene Anspruch in engem Zusammenhang mit den zwischen den Hauptparteien streitigen Ansprüchen steht oder die Ansprüche auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen. Hieran fehlt es, wenn durch die Widerklage ein neuer Streitstoff in den Prozess eingeführt wird (z.B. Drittwiderklage gegen Mitgesellschafter auf Vorlage von als Verteidigungsmittel gegen die Darlehensrückzahlungsklage benötigten Dokumenten). 237 Nach § 33 Abs. 1 kann nach diesen vom BGH herausgestellten Grundsätzen bei dem Gericht der Klage eine Widerklage erhoben werden, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den vorgebrachten Verteidigungsmitteln in Zusammenhang steht. Ist Streitgegenstand einer Drittwiderklage allein der Anspruch auf Auskunft und Einsicht in Geschäftsunterlagen, der sich aus der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der ehemaligen Mitgesellschafter ergibt, ist diese Widerklage auch dann zulässig, wenn das Ergebnis dieser Auskunft dem Beklagten die Verteidigung gegen die Klageforderung erleichtern kann.238 Denn durch das Rechtsinstitut der Widerklage soll die Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen vermieden werden; zusammengehörende Ansprüche sollen einheitlich verhandelt und entschieden werden können.239 Dieses Ziel kann mit der Widerklage gegen einen bisher am Rechtsstreit nicht Beteiligten jedenfalls dann erreicht werden, wenn die Dinge tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind240 und keine schutzwürdigen Interessen des Widerbeklagten verletzt werden.241

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233 BGH NJW 1991, 2838. 234 Kähler ZZP 123 (2010) 473 ff. 235 Kirchstein-Freund KTS 2004, 41. Hierzu als prozesstaktischem Instrument Schöler MDR 2011, 522; krit. Dräger MDR 2008, 1373; vgl. auch E. Schneider MDR 1998, 21. 236 BGH NJW 2005, 85. 237 BGH NJW 2005, 85. 238 BGH NJW 2005, 85. 239 BGHZ 40, 185, 188; 147, 220, 222. 240 BGHZ 91, 132, 135. 241 BGHZ 40, 185, 190.

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Auch wenn nach der überkommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Drittwiderklage grundsätzlich unzulässig war, wenn sie sich ausschließlich gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten richtet,242 hat der BGH doch die Ansicht vertreten, dass in besonders gelagerten Fällen eine Ausnahme von diesem Grundsatz geboten sei. Schon in seinem Urteil vom 17. Oktober 1963243 hat der BGH die Zulässigkeit einer auf Schadensersatz gerichteten Widerklage gegen mehrere an einer arglistigen Täuschung Beteiligte, von denen nur einer (der Verkäufer) Kläger war, bejaht. Weiterhin hat er eine isolierte Drittwiderklage gegen Gesellschafter einer klagenden Gesellschaft für zulässig gehalten, wenn das auf die Drittwiderklage ergehende Urteil für die Gesellschaft verbindlich ist und damit für die Zahlungsklage vorgreiflich sein kann.244 Ferner hat der Bundesgerichtshof die Zulässigkeit einer isoliert gegen den am Prozess bisher nicht beteiligten Zedenten245 (dort: Architekt) bei seinem Gerichtsstand erhobenen Drittwiderklage bejaht, wenn deren Gegenstand sich mit dem Gegenstand einer hilfsweise gegenüber der Klage des Zessionars zur Aufrechnung gestellten Forderung deckt.246 Auch in der Literatur wird die Zulässigkeit einer isolierten Drittwiderklage für besondere Sachverhaltsgestaltungen für möglich gehalten.247 Für eine weitere Fallkonstellation hatte der BGH darauf erkannt, dass eine Drittwi106 derklage, die der beklagte Unfallgegner wegen seiner aus dem Unfall resultierenden Schadensersatzforderung gegen den am Prozess bisher nicht beteiligten Zedenten bei seinem Gerichtsstand erhebt, regelmäßig dann zulässig ist, wenn der von einem Verkehrsunfall Betroffene seine Schadensersatzforderung an einen Dritten abtritt und die Forderung im Haftpflichtprozess von dem Zessionar geltend gemacht wird.248 Weiter wurde eine isolierte Drittwiderklage gegen den Zedenten der Klageforderung, mit der die Feststellung beantragt wird, dass ihm keine Ansprüche zustehen, als zulässig angesehen.249 An einer zugleich gegenüber dem Kläger erhobenen Widerklage fehlt es, wenn eine negative Feststellungswiderklage gegenüber der Klägerin nicht zulässig gewesen wäre, weil das Rechtsverhältnis zwischen diesen Vertragsparteien bereits durch die mit der Klage verfolgten Anträge auf Zahlung und auf Feststellung einer Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden vollständig geklärt wird. Drittwiderklagen gegen den Zedenten hat der BGH unter Berücksichtigung des prozessökonomischen Zwecks der Widerklage, eine Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen über einen einheitlichen Lebenssachverhalt zu vermeiden und eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung über zusammengehörende Ansprüche zu ermöglichen als zulässig angesehen. Dabei ging es um Sachverhalte, in denen die Forderung an eine Verrechnungsstelle zum Inkasso abgetreten war250 oder um gegenseitige Ansprüche aus einem Unfallereignis, bei denen einer der Unfallbeteiligten seine Forderung an den Kläger abgetreten hatte.251 Entscheidend kommt es in derartigen Fallgestaltungen darauf an, dass unabhängig von der Parteistellung des Zessionars eine nur gegen den Zedenten erhobene isolierte Widerklage zulässig ist, wenn die zu erörternden Gegenstände der Klage und der Wider-

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242 BGHZ 40, 185, 187 f.; 147, 220, 221 f. m.w.N. 243 BGHZ 40, 185 ff. 244 BGHZ 91, 132, 134 f. 245 Vgl. zu den damit verbundenen anwaltlichen Hinweispflichten Skusa NJW 2011, 2697. 246 BGHZ 147, 220, 222 ff. 247 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 44; Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 24 m.w.N.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 96 Rdn. 27 ff. 248 BGH VersR 2007, 1291. 249 BGH MDR 2008, 1296 f. 250 BGHZ 147, 220, 223. 251 BGH NJW 2007, 1753.

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klage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind und keine schutzwürdigen Interessen des Widerbeklagten durch dessen Einbeziehung in den Rechtsstreit der Parteien verletzt werden.252 Beruhen die geltend gemachten Ansprüche auf einem Vertragsverhältnis, an dem die Klägerin und der Widerbeklagte auf einer Seite in der gleichen Weise beteiligt waren bejaht der BGH die Zulässigkeit der Drittwiderklage gegen den Zedenten. Denn die bei der Sachentscheidung zu berücksichtigenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse sind in Bezug auf die geltend gemachten Ansprüche dieselben. Daher hält der BGH in derartigen Fällen die Aufspaltung in zwei Prozesse, nämlich der Klägerin gegen die Beklagte auf Schadensersatz, und der Beklagten gegen den Widerbeklagten auf negative Feststellung, dass diesem keine Ansprüche zustehen, für prozessökonomisch unvorteilhaft, da sie nur Mehrbelastungen und das Risiko einander widersprechender gerichtlicher Entscheidungen hervorrufen würde.253 5. Parteierweiternde Widerklage gegen Kläger und einen Dritten a) Die Rechtsprechung hielt eine parteierweiternde Widerklage für zulässig, wenn 107 sie neben dem beklagten Dritten auch gegen den Kläger gerichtet wird.254 Im Einzelnen gilt Folgendes: Jedenfalls bei fehlender Rüge der örtlichen Zuständigkeit stellt sich das Zuständigkeitsproblem, wonach eine Widerklage gegen eine bisher am Rechtsstreit nicht beteiligte Partei für diese keinen Gerichtsstand nach § 33 begründet, nicht.255 b) Eine mit einer Klage in rechtlichem Zusammenhang stehende Widerklage, die ge- 108 gen den Kläger der Hauptklage und zugleich eine bisher am Rechtsstreit noch nicht beteiligte Person erhoben wird, kann daher gegen letztere unter dem Gesichtspunkt der nachträglichen Parteiänderung dann zugelassen werden, wenn das Gericht die Parteierweiterung als sachdienlich erachtet. Dies gilt vor allem dann, wenn die Parteiänderung die endgültige Erledigung des gesamten Streitstoffes der Parteien in dem anhängigen Verfahren fördert, eine Beschränkung der Widerklage auf einen von mehreren in Anspruch genommenen Gesamtschuldnern hingegen zu einem neuen Rechtsstreit gegen die anderen Gesamtschuldner führen würde.256 6. Widerklage nur gegen Dritte. Nach der bis 2010 ständigen Rechtsprechung des 109 Bundesgerichtshofs war eine Widerklage des Beklagten in der Regel dann unzulässig, wenn sie nicht vorher oder zugleich gegen den Kläger des Verfahrens erhoben wird.257 Daher wurde vertreten, § 33 begründe keinen Gerichtsstand für den Widerbeklagten, der nicht zugleich als Kläger an dem Verfahren beteiligt ist.258 Der BGH259 ließ hiervon eine Ausnahme zu, wenn sich der Gegenstand einer gegen einen bisher am Prozess nicht be-

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252 BGH NJW 2007, 1753. 253 BGH MDR 2008, 1296 f. 254 BGHZ 40, 195, 189 = NJW 1964, 44; BGHZ 56, 73, 75; 69, 37, 44 = NJW 1977, 1637; BGHZ 91, 132, 134; vgl. auch Anm. Johannsen zu BGHZ 40, 185 in LM Nr. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 96 Rdn. 27; Stein/Jonas/Schumann21 § 33 Rdn. 29 ff. sowie Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 40; Zöller/ Vollkommer § 33 Rdn. 22 f.; Thomas/Putzo/Hüßtege § 33 Rdn. 10 ff.; Schröder AcP 164 (1964), 517, 531, 532; a.A. Bornkamm NJW 1989, 2713, 2717. 255 OLGR Koblenz 2001, 300. 256 BGHZ 40, 185 = NJW 1964, 44 m. Anm. Putzo NJW 1964, 500; Hofmann NJW 1964, 1026; Schröder AcP 164 (1964), 517. 257 BGHZ 40, 195, 190; NJW 1971, 466 f.; NJW 1975, 1228; BGHZ 69, 37, 43; NJW 1993, 2120; OLG Dresden NJW-RR 2000, 901. 258 BGH NJW 1991, 2838 = EWiR 1992, 925 (Müller). 259 BGH NJW 2001, 2094.

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teiligten Zedenten erhobenen Drittwiderklage mit dem Gegenstand der hilfsweise gegen die Klage des Zessionars zur Aufrechnung gestellten Forderung deckt. In der Tat hat sich der BGH260 aber im Jahr 2010 der Argumentation für eine weite 110 Auslegung des § 33 geöffnet: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis zum Jahr 2010 begründet die den besonderen Gerichtsstand für die Widerklage regelnde Vorschrift des § 33 für den bisher am Verfahren nicht beteiligten Drittwiderbeklagten keinen Gerichtsstand am Gericht der Klage; das Gericht der Klage ist danach für eine Drittwiderklage örtlich nur zuständig, wenn ein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand bei dem Gericht der Drittwiderklage besteht, durch rügelose Einlassung begründet wird oder das übergeordnete Gericht den Gerichtsstand nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt.261 Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung wurde aber die mit der Anerkennung der Drittwiderklage angestrebte Verfahrenskonzentration in den Fällen nicht erreicht, bei denen ein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand des Drittwiderbeklagten bei dem Gericht der Klage weder besteht noch durch rügelose Einlassung begründet wird und eine Gerichtsstandsbestimmung durch das übergeordnete Gericht nicht möglich ist. Bei einer streitgenössischen Drittwiderklage kommt eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht in Betracht, sofern die widerbeklagten Streitgenossen einen anderweitigen gemeinsamen Gerichtsstand haben.262 Der Beklagte hat dann nur die Wahl, auf die Widerklage zu verzichten, um beide Streitgenossen in einem weiteren Rechtsstreit gemeinsam in Anspruch zu nehmen, oder von der gemeinsamen Klage gegen beide Streitgenossen Abstand zu nehmen, um gegen den Kläger mit der Widerklage und in einem weiteren Verfahren gegen den Dritten vorzugehen. Bei einer isolierten Drittwiderklage ist dem übergeordneten Gericht nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 eine Gerichtsstandsbestimmung versagt, weil es an einer gegen mehrere Streitgenossen gerichteten Widerklage fehlt.263 Die Rechtsprechung, nach der eine isolierte Drittwiderklage ausnahmsweise zulässig ist, liefe daher in einer Vielzahl von Fällen leer. Daraus ergibt sich, dass die Vorschrift des § 33 auf Drittwiderklagen zwar keine unmittelbare Anwendung findet, da sich diese nicht gegen den Kläger richten, denn eine Widerklage setzt begrifflich eine anhängige Klage voraus, ein Widerkläger muss ein Beklagter und ein Widerbeklagter ein Kläger sein. Nach der Judikatur des BGH ist die Vorschrift des § 33 nunmehr aber entsprechend auf eine Drittwiderklage anzuwenden, die sich gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung richtet, um bei Bestehen eines Sachzusammenhangs die Verfahrenskonzentration zu fördern und zugleich ein prozessuales Gleichgewicht herzustellen. 111

7. Zulässigkeit von Widerklagen gegen Dritte. Unter Aufgabe dieser Rechtsprechung hat der BGH dann darauf erkannt, das Gericht der Klage sei auch für die Widerklage zuständig. § 33 ist auf Drittwiderklagen gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung entsprechend anzuwenden.264 Literatur und Rechtsprechung lassen danach nunmehr eine Drittwiderklage als parteierweiternde Widerklage und als konnexe streitgenössische Drittwiderklage unter den Voraussetzungen einer als Klageänderung behandelten Parteierweiterung zu. Voraussetzung für die Zulässigkeit dieser Widerklagen ist daher die Einwilligung des Dritten oder die Sachdienlich-

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BGH Beschl. v. 30.9.2010 – Xa ARZ 129/10; hierzu Beck WRP 2011, 414; Fellner MDR 2011, 146. BGH NJW-RR 2008, 1516, 1517 m.N. BGH NJW 2000, 1871, 1872. BGH NJW 2000, 1871; BGH NJW 1993, 2120. BGH SVR 2010, 430.

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keit der subjektiven Klagehäufung i.S.d. § 263 ZPO.265 Daneben ist für bestimmte Fallgruppen die isolierte Drittwiderklage eröffnet.266 Mit der – über eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 33 bewirkten – Konzentration von Klage und Widerklage vor dem Prozessgericht unter gleichzeitiger Einbeziehung aller materiell Beteiligten gelingt es, den Rechtsstreit umfassend und endgültig beizulegen; es wird zum einen eine sinnvolle Verfahrenskonzentration vor einem zuständigen Gericht ermöglicht, zum anderen werden Mehrfachentscheidungen über einen Streitgegenstand oder gegenüber mehreren Beteiligten vermieden.267 8. Einzelfälle. Die Widerklage eines von seinem Auftraggeber auf Schadensersatz 112 wegen Mängeln der Objektüberwachung in Anspruch genommenen Architekten gegen den ebenfalls wegen des Baumangels verklagten Unternehmer auf Innenausgleich nach § 426 Abs. 1 BGB (Freistellung und/oder Zahlung) ist unzulässig.268 In einem Rechtsstreit auf Zahlung abgetretenen Maklerlohn ist eine Widerklage, die den Makler als Drittwiderbeklagten einbezieht (um ihn als benannten Zeugen auszuschließen) und auf Erstattung von 10 Euro dem Makler ersetzter Kosten für einen Grundbuchauszug gerichtet ist, unzulässig. Die geltend gemachte Provisionsforderung der Klage steht in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Anspruch der angeblich ohne Rechtsgrund gezahlten 10 Euro.269 Wenn die Widerklage allein das Ziel verfolgt, dass der Drittwiderbeklagte nicht als Zeuge gehört werden kann, ist ihre Rechtsmissbräuchlichkeit zu prüfen.270 Tritt der von einem Verkehrsunfall Betroffene seine Schadensersatzforderung an einen Dritten ab und wird die Forderung im Haftpflichtprozess von dem Zessionar geltend gemacht, so ist eine Drittwiderklage, die der beklagte Unfallgegner wegen seiner aus dem Unfall resultierenden Schadensersatzforderung gegen den am Prozess bisher nicht beteiligten Zedenten bei seinem Gerichtsstand erhebt, regelmäßig zulässig.271 Eine isolierte Drittwiderklage des Planers und Generalunternehmers gegen den Bauherrn ist nach oberlandesgerichtlicher Judikatur unzulässig, wenn der Generalunternehmer von dem von ihm beauftragten Bauunternehmer auf Zahlung von Restwerklohn verklagt wird und der Bauherr im Hinblick auf Baumängel die Zahlung von Werklohn an den Generalunternehmer verweigert.272 Eine werkvertragliche Leistungskette führt, weil unterschiedliche Verträge mit unterschiedlichen Pflichten vorliegen, nicht zu einem deckungsgleichen Streitgegenstand.273 Dies gilt umso mehr, als der Beklagte im Unterschied zur Klägerin nicht nur Bauleistungen, sondern auch umfassende Planungsleistungen übernommen hat. Aufgrund der dadurch erlangten Sachwalterstellung sind seine Pflichten anderer und umfassenderer Art, als die der Klägerin. Der Prozessstoff der Widerklage weicht so erheblich von dem der Klage ab, dass keine Sachdienlichkeit angenommen werden kann.274 Dies hat der BGH bestätigt, als er darauf erkannt hat, dass eine isolierte Drittwiderklage des vom Bauherrn auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Generalpla-

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Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 41. BGH NJW 2005, 85. OLG Dresden OLG-NL 2003, 65. OLG Köln NZBau 2013, 375. LG Aurich NJW-RR 2007, 1713. Im konkreten Fall dahingestellt durch LG Aurich NJW-RR 2007, 1713. BGH JZ 2007, 1000 f. OLG München NJW-RR 2013, 84. Zu diesem Zulässigkeitserfordernis BGHZ 147, 220. BGH NJW 2007, 1753.

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ners gegen die von ihm beauftragten Fachplaner auf Freistellung von den geltend gemachten Schadensersatzansprüchen des Bauherrn unzulässig ist.275 9. Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Nr. 3 113

a) Die frühere Rechtsprechung des BGH276 meinte, das Gericht der Klage sei nach § 33 für alle Widerbeklagten örtlich zuständig, wenn eine mit der Klage in rechtlichem Zusammenhang stehende Widerklage zugleich gegen den Kläger und gegen bisher nicht am Rechtsstreit beteiligte Personen erhoben wird und das Gericht die Parteierweiterung für sachdienlich erachtet.277 Das Gericht der Klage ist für eine Widerklage, die gegen den so genannten Drittwiderbeklagten erhoben wird, örtlich nur zuständig, wenn ein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand bei dem Gericht der Drittwiderklage besteht oder der Drittwiderbeklagte die mangelnde örtliche Zuständigkeit nicht rügt und keine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts besteht oder das übergeordnete Gericht den Gerichtsstand nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 (dort ab Rdn. 47 ff.) bestimmt. Die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands hat der BGH vor seiner Wendejudikatur aus dem Jahr 2010 allerdings dann für ausgeschlossen gehalten, wenn durch die Widerklage ausschließlich ein bislang am Verfahren nicht beteiligter Dritter in Anspruch genommen wird (isolierte Drittwiderklage).278 Nunmehr vertritt der BGH denn auch nach seiner Wendejudikatur aus dem Jahr 2010 die Ansicht, dass die Bestimmung über den besonderen Gerichtsstand der Widerklage auf Drittwiderklagen gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung entsprechend anzuwenden ist.279 Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts für die Widerklage analog § 36 Abs. 1 Nr. 3 kommt in Betracht, wenn der Beklagte die Möglichkeit gehabt hätte, die Ansprüche gegen den Kläger und den Drittwiderbeklagten als Streitgenossen im Wege der Klage bei einem Amtsgericht geltend zu machen, das für beide Streitgenossen örtlich zuständig ist.280 Soweit der Gerichtsstand für die am Verfahren bislang nicht Beteiligten nicht aufgrund allgemeiner Bestimmungen gegeben ist, bedarf es für die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3, die unter dem Vorbehalt erfolgt, dass das mit der Widerklage befasste Gericht über die Sachdienlichkeit der Widerklage gemäß § 263 selbst281 zu befinden hat.282 Wird im Wege der Widerklage ausschließlich ein bislang am Verfahren nicht beteiligter Dritter in Anspruch genommen, kann für die Widerklage der Gerichtsstand der Klage dann nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt werden, wenn zwischen beiden Klagen eine sachliche Verbindung nicht auszuschließen ist. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Aufgrund eines Vertrages mit dem Kläger des Ausgangsverfahrens sind in der Gaststätte des Antragstellers verschiedene Automaten aufgestellt worden. Nachdem der Antragsteller diese entfernt hatte, wurde er durch den Aufsteller auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Mit der Behauptung, dessen Vertreter habe ihn durch das Versprechen, den Vertrag jederzeit kündigen zu können, zu dem Abschluss veranlasst, will der Antragsteller Widerklage (nur) gegen den Vertreter erheben und beantragt, das Prozessgericht der Klage nach § 36

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BGH NJW 2014, 1670. BGH NJW 1966, 1028; zur Entwicklung der Judikatur H. Roth Beys-F. (2003) 1353. BGHZ 40, 185. BGH NJW 1992, 982. BGHZ 187, 112 unter Abweichung von BGHZ 147, 220, 223. OLGR Karlsruhe 2005, 173. BGH NJW 1981, 2642, 2644. Anders dagegen die frühere Judikatur des BGH: NJW 1966, 1028.

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Abs. 1 Nr. 3 auch als das für die Widerklage zuständige Gericht zu bestimmen.283 Wenn die Klageansprüche im Wege der Widerklage verfolgt werden sollen, eine der Parteien jedoch weder an dem Primärprozess beteiligt ist noch einen eigenen Gerichtsstand am Ort der Widerklage hat, scheidet die Bestimmung eines abweichenden weiteren Gerichtsstands bei einem an sich gegebenen gemeinschaftlichen Gerichtsstand aus.284 Nach Zuständigkeitsrüge des Drittwiderbeklagten darf das befasste Hauptsachegericht, fehlt ein entsprechender Antrag des Widerklägers, aber nicht von sich aus zum Zwecke der Bestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 vorlegen.285 b) Bei einer isolierten Drittwiderklage gegen den Zedenten der Klageforderung, mit 114 der die Feststellung begehrt wird, dass ihm keine Ansprüche zustehen, kommt dagegen die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 3 in Betracht.286 Soweit nach der Rechtsprechung des BGH eine isolierte Drittwiderklage zulässig ist, hierfür aber beim Gericht der Klage keine Zuständigkeit begründet ist, kann vom übergeordneten Gericht in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ein gemeinsam zuständiges Gericht bestimmt werden.287 10. Weitere Wirkungen der parteierweiternden Widerklage. Lässt man mit der 115 jüngeren Judikatur des BGH (oben Rdn. 100, insb. 103 f.) die parteierweiternde Drittwiderklage mit der Wirkung der Verbindung mit der Verhandlung über die Klage zu, stellt sich die Frage, ob die Privilegierung des Widerklägers im Regelfall der gegen den Kläger erhobenen Widerklage sich auch auf diese Erweiterungsfälle erstreckt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei zugunsten des beklagten Widerklägers sich aus dem Gedanken rechtfertigt, dass er vom Kläger mit der Klage überzogen – „angegriffen“ – worden ist (vgl. zu den Einschränkungen Rdn. 1 f.); dies aber ist nicht er Fall, wenn sich die Widerklage gegen einen Dritten richtet, gleich, ob sie zugleich gegen den Kläger oder allein gegen den Dritten gerichtet wird. Daher sind die §§ 110 Abs. 2 Nr. 4 und § 533 auf die parteierweiternde Widerklage anzuwenden.288 Dem Dritten gegenüber ist es nicht gerechtfertigt, ihn vor das Gericht der Klage zu 116 ziehen, wenn dies nicht sein allgemeiner Gerichtsstand oder das Vorliegen besondere Gerichtsstände erlaubt. Denn eine Widerklage, die gegen eine bisher nicht am Rechtsstreit beteiligte Person erhoben wird, begründet für sie keinen Gerichtsstand nach § 33.289 XV. Aufrechnung Ist der Klageanspruch nach Grund und Betrag an sich unstreitig und macht der Klä- 117 ger gegenüber dem Aufrechnungseinwand des Beklagten geltend, die Aufrechnung gegen die Klageforderung sei vertraglich ausgeschlossen, so kann der Beklagte die in erster Reihe zur Aufrechnung gestellte Forderung hilfsweise mit einer Widerklage verfolgen, was in der Praxis regelmäßig in Form der Eventualwiderklage (oben Rdn. 88 f.) ge-

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283 BGH NJW 1992, 982. 284 BGH NJW 2000, 1871. 285 OLG Dresden JurBüro 2011, 544. 286 OLG München BauR 2010, 1644; OLG München NJW 2009, 2609; Vorlagebeschluss wegen Abweichung von BGH NJW 1992, 982. 287 BGH Urt. v. 18.6.2008 – V ZR 114/07 = BGH BeckRS 2008, 15043; BGH Beschl. v. 24.6.2008 – X ARZ 69/08; vgl. auch OLG München NJW 2009, 2609 (LS). 288 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 43; Zöller/Vollkommer § 33 Rdn. 23. 289 BGH NJW 1991, 2838; BAG NZA 1997, 1071; LG Koblenz MDR 1999, 1020.

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§ 33

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schieht. Macht der Beklagte gegenüber einer an sich unstreitigen Klageforderung eine Gegenforderung in erster Reihe aufrechnungsweise und wegen Streits über die Zulässigkeit der Aufrechnung in zweiter Reihe mit einer Hilfswiderklage geltend, so darf nicht unentschieden bleiben, ob die Aufrechnung zulässig ist.290 Ein Widerklageerhebungsverbot existiert nicht, auch wenn es ein Aufrechnungsver118 bot gibt. Es gibt vielmehr nur die Vereinbarung eines Gerichtsstandes, die nach den Voraussetzungen der §§ 38–40 abläuft.291 § 393 BGB verbietet die Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich be119 gangenen unerlaubten Handlung. Eine Widerklage, in welcher die Gegenforderung selbständig geltend gemacht wird, ist unzulässig.292 Gleiches gilt für Gegenansprüche bei vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung in den Fällen von §§ 273 Abs. 2, 1000 S. 2 BGB,293 aber auch dann, wenn in anderen Fällen ein Zurückbehaltungsrecht nicht geltend gemacht werden darf (vgl. §§ 556b Abs. 2, 579 Abs. 2, 581 Abs. 2 BGB), oder bei vertraglichem Ausschluss von Aufrechnung294 oder Zurückbehaltungsrecht.295 Der Fall des § 390 BGB gehört dagegen nicht hierher. XVI. Gebührenrechtliche Fragen 120

Die Anwaltsgebühren bestimmen sich nach § 2 Abs. 1 RVG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 45 Abs. 1 GKG (§ 23 Abs. 1 RVG). Bei einer als isolierte Drittwiderklage gegen den Zedenten der Klageforderung erhobenen negativen Feststellungsklage bemisst sich der Streitwert gemäß dem GKG. Klage und Drittwiderklage betreffen denselben Gegenstand, so dass nur der höhere Wert der Klage maßgebend ist.296 XVII. Internationale Zuständigkeit 1. EuGVVO297

121

a) Im räumlichen und sachlichen Geltungsbereich der EuGVVO wird der autonome Widerklagegerichtsstand des § 33 Abs. 1 vollständig verdrängt.298 Dies beruht darauf, dass der Kläger, der seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat im Geltungsbereich der EuGVVO hat, grundsätzlich nicht vor den deutschen Gerichten als Widerbeklagter verklagt werden darf, Art. 4 Abs. 1 EuGVVO. Es greift aber Art. 8 Nr. 3 EuGVVO,299 der vorsieht, dass eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates hat, vor dem inländischen Gericht, bei dem seine Klage anhängig ist, Widerklage erheben kann.300 Voraussetzung dafür ist, dass die Widerklage auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird.301

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290 BGH NJW 1961, 1862; zur Alternative des Zusammenhangs mit Verteidigungsmitteln vgl. Ott Die Parteiwiderklage (1999) S. 99 ff. 291 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. E IV. 292 RG Gruch. 42, 1187. 293 RG WarnR 1908, 550. 294 A.M. LG Mosbach MDR 1972, 514. 295 Wieczorek 2. Aufl., § 33 Rdn. C IIId 2. 296 OLGR Celle 2009, 1025. 297 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012. 298 MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 36. 299 M. Stürner IPrax 2007, 21. 300 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 51. 301 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 50.

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b) Der Wortlaut des Art. 8 Nr. 3 EuGVVO legt es nahe, von einem engen Verständnis 122 der geforderten Konnexität auszugehen, da, anders als in Art. 30 Abs. 3 EuGVVO und in § 33, nicht auf einen bloßen Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage abgestellt wird, sondern verlangt wird, dass sie demselben Sachverhalt entspringen. Dies spricht dafür, den Begriff „derselbe Sachverhalt“ enger als den Begriff „Sachzusammenhang“ in Art. 30 EuGVVO auszulegen und eine Widerklage nicht in gleichem Umfang wie nach § 33 als zulässig zu erachten. Dies legt es nahe, davon auszugehen, dass die für Art. 8 Nr. 3 EuGVVO erforderliche Konnexität auch nicht zwischen den Zahlungsansprüchen einer Vermieterin als Klägerin aus § 546a BGB und dem beklagten Insolvenzverwalter des Mieters besteht, der einen Erstattungsanspruch wegen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleisteter Mietzinszahlungen geltend macht. Denn die wechselseitigen Ansprüche gehen nicht aus demselben Rechtsverhältnis hervor, da sie zum einen auf dem Mietvertragsverhältnis, zum anderen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage beruhen. Überdies beziehen sie sich auf unterschiedliche Zeiträume, sodass auch unter diesem Aspekt nicht von einem Ausschließlichkeitsverhältnis ausgegangen werden kann. Die für Art. 8 Nr. 3 EuGVVO erforderliche Konnexität besteht auch nicht zwischen den Zahlungsansprüchen einer Vermieterin als Klägerin aus § 546a BGB und dem beklagten Insolvenzverwalter des Mieters, der einen Erstattungsanspruch wegen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleisteter Mietzinszahlungen. Denn die wechselseitigen Ansprüche gehen nicht aus demselben Rechtsverhältnis hervor, da sie zum einen auf dem Mietvertragsverhältnis, zum anderen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage beruhen. Dass zwischen den gegenseitig eingeklagten Ansprüchen ein tatsächlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang besteht, genügt für sich noch nicht zur Bejahung der erforderlichen Konnexität.302 2. Weitere besondere internationale Widerklagegerichtsstände. Weitere beson- 123 dere Widerklagegerichtsstände sind für Versicherungssachen in Art. 11 Abs. 2 und Verbrauchersachen in Art. 14 Abs. 3 bei Gefolge geregelt. Diese besonderen Widerklagegerichtsstände greifen nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nur unter der Voraussetzung ein, dass das angerufene Gericht seine internationale Zuständigkeit auf eine Vorschrift des Übereinkommens stützt. 3. Autonomes Recht a) § 33 Abs. 1 wirkt im autonomen Recht doppelfunktional, so dass bei örtlicher Zu- 124 ständigkeit des deutschen Gerichts kraft Sachzusammenhangs für die Widerklage damit zugleich die internationale Zuständigkeit begründet ist.303 Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte wird durch § 33 nur für konnexe Widerklagen des Beklagten gegen den Kläger, nicht aber für parteierweiternde Widerklagen gegen Dritte begründet.304 Fehlen die Voraussetzungen des Gerichtsstands der Widerklage, kann das Gericht 125 der Hauptklage auch durch rügeloses Verhandeln oder Gerichtsstandsvereinbarung305 zuständig werden (s. dazu die Ausführungen unter § 38 Rdn. 133 f.). Ist etwa durch Ver-

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302 LG Flensburg IPRspr 2009, Nr. 313, 805 ff. 303 Eingehend: Eickhoff Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage (1985) S. 102 f. 304 Stein/Jonas/Roth § 33 Rdn. 51. 305 Vgl. Eisner NJW 1970, 2141 ff.; vgl. auch v. Falkenhausen RIW 1982, 386 zum Ausschluss von Widerklagen durch internationale Gerichtsstandvereinbarungen.

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einbarung eines alleinigen Gerichtsstands im Ausland auch der Gerichtsstand der Widerklage abbedungen worden,306 so wird er nicht ohne weiteres dadurch wieder hergestellt, dass der ausländische Vertragspartner vor einem deutschen Gericht klagt und der Beklagte sich rügelos auf die Klage einlässt.307 An den Ausschluss der Widerklagezuständigkeit sind indes strenge Anforderungen308 zu stellen, weil dadurch, ebenso wie durch ein Aufrechnungsverbot, die Rechtsposition des Klägers bei der Durchsetzung seiner Forderungen verstärkt und umgekehrt die entsprechende Stellung des Beklagten geschwächt wird.309 126

b) Im Unterschied zur Widerklage nach § 33 stellt das deutsche autonome Recht keine Zuständigkeitsregel für die Aufrechnung auf. Hier wird Konnexität zwischen Forderung und Gegenforderung nicht gefordert. Hieraus wird der Schluss gezogen, dass für die Klageforderung international und örtlich zuständige Gericht sei auch über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung international zuständig. Dies unabhängig davon, ob im Falle einer klageweisen Geltendmachung der Gegenforderung die internationale und örtliche Zuständigkeit des inländischen deutschen Gerichts gegeben wäre.310

§ 34 Besonderer Gerichtsstand des Hauptprozesses § 34 Smid/Hartmann Für Klagen der Prozessbevollmächtigten, der Beistände, der Zustellungsbevollmächtigten und der Gerichtsvollzieher wegen Gebühren und Auslagen ist das Gericht des Hauptprozesses zuständig. Schrifttum Hahn Materialien zur CPO, 2. Auflage (1881); Hansens Die gerichtliche Durchsetzung des Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts gegen den eigenen Mandanten, NJW 1989, 1131.

I. II.

III. IV. V.

Übersicht Normzweck ____ 1 Kläger ____ 6 1. Prozessbevollmächtigte ____ 6 2. Beistände und andere ____ 7 3. Nicht mehr erfasst: Gerichtsvollzieher ____ 9 4. Notare ____ 10 Beklagte ____ 11 Klagen gegen Dritte ____ 12 Sachlicher Anwendungsbereich der Vorschrift ____ 13 1. Übersicht ____ 13

Arbeitsrechtssachen ____ 15 Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs ____ 16 4. Gebühren ____ 17 VI. Verweisung ____ 18 VII. Kostenfestsetzungsverfahren ____ 21 VIII. Gericht des Hauptverfahrens ____ 24 1. 1. Instanz ____ 24 2. Einzelheiten ____ 25 IX. Internationale Zuständigkeit ____ 26 1. EuGVVO ____ 26 2. Autonomes Recht ____ 27 2. 3.

_____ 306 307 308 309 310

BGH 52, 30, 34 = NJW 1969, 1563. BGH NJW 1981, 2644. BGH WM 1983, 1019; MünchKomm/Patzina § 33 Rdn. 35. BGH NJW 1983, 1266, 1267. Stein/Jonas/Leipold22 § 145 Rdn. 52.

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I. Normzweck 1. Zusammenhang zwischen Hauptprozess und Anspruch auf angefallene Ge- 1 bühren. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen dem Hauptprozess und der Klage wegen der darin angefallenen Gebühren1 ordnet § 34 für diese Prozesse einen besonderen Gerichtsstand, darüber hinaus auch noch die sachliche Zuständigkeit2 des Gerichts des Hauptprozesses, an. Besonders in Fällen der Vertretung ausländischer Mandanten vor deutschen Gerichten soll die Verfolgung von Gebührenforderungen erleichtert werden.3 § 34 gibt einen (besonderen) Wahl-(§ 35) Gerichtsstand für die in ihm genannten Personen (und ihre Rechtsnachfolger). 2. Konkurrenz zu § 29. § 34 bestimmt zwar die örtliche und sachliche Zuständigkeit 2 des Gerichts des Hauptprozesses, dies aber insgesamt als Wahlgerichtsstand. Daneben besteht für klagende Rechtsanwälte die Möglichkeit, ihre Honorarklage bei dem Gericht des Wohnsitzes des beklagten Mandanten oder eines etwa davon abweichenden Erfüllungsorts gem. § 29 anzubringen.4 Dabei wird nach überwiegender Ansicht für die wechselseitigen Ansprüche aus dem 3 Anwaltsvertrag ein einheitlicher Erfüllungsort am Ort der Anwaltskanzlei angenommen. Angesichts einer wachsenden Gegenmeinung, wonach als Erfüllungsort für Honorarforderungen des Rechtsanwalts der Wohnsitz des Mandanten zum Zeitpunkt der Mandatierung anzusehen ist, wird von der überzeugenden Rechtsprechung eine auf diese Rechtsansicht gestützte Verweisung an das nach §§ 12, 13 oder 34 zuständige Gericht jedoch als nicht willkürlich angesehen.5 3. Zusätzlicher Wahlgerichtsstand. Aufgabe der Vorschrift ist es dabei, dem 4 Rechtsanwalt für eine Gebührenklage gegen den in einem früheren Prozess vertretenen Mandanten einen zusätzlichen Gerichtsstand seiner Wahl zu verschaffen. Er soll den Mandanten nicht unbedingt an dessen Wohnort, der für den Gebührenanspruch in der Regel zugleich der Erfüllungsort ist,6 verklagen müssen. Zudem bietet die Inanspruchnahme vor dem Gericht des Hauptprozesses den Vorteil, dass eine erforderlich werdende Aktenbeiziehung von anderer Stelle entfällt. Ein weitergehender Regelungszweck ergibt sich aus dem Sachzusammenhang der beiden Prozesse. Im Allgemeinen ist es wünschenswert, denjenigen Spruchkörper, der den Vorprozess bearbeitet hat, auch über die insoweit entstandenen Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts entscheiden zu lassen. Dieses Ziel wird bei den Landgerichten in der deutlich überwiegenden Zahl der Zivilverfahren unschwer erreicht, weil die große Masse der „Hauptprozesse“ dort in den Händen der dann später nach allgemeinen Regeln auch für die Gebührenklagen zuständigen Zivilkammern liegt. Ob es die angestrebte Fruchtbarmachung bereits gewonnener Erkenntnisse und vorhandener Fachkompetenzen auch gebietet, besondere Spruchkörper des Landgerichts, die im Hauptprozess tätig waren (z.B. Kammern für Handels- oder Baulandsachen), als für den folgenden Vergütungsstreit zuständig anzusehen, erscheint dagegen durchaus fraglich. Zwar ist ein solcher Spruchkörper aufgrund der bereits erfolgten Sachbefassung vielfach mit dem geringsten Aufwand und wegen der spruchkör-

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BGHZ 97, 79, 83 = NJW 1986, 1178 = ZZP 99 (1986), 468. BGH NJW 1981, 2642, 2643; RGZ 29, 414. Hahn Materialien zur CPO, 2. Aufl. 1881, S. 158. OLG Brandenburg NJW 2004, 780. OLG Brandenburg NJW 2004, 780. BGHZ 157, 20.

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perbedingten Fachkompetenz nicht selten sogar am besten in der Lage, die nunmehr streitigen Gebührenansprüche sowie etwaige Einwendungen und Einreden des früheren Mandanten zu beurteilen. Andererseits wird es, gerade wenn und soweit der Rechtsanwalt im Vorprozess eine vereinfachte Festsetzung gegen die eigene Partei gemäß § 11 RVG nicht erreicht hat, im anschließenden Klageverfahren häufig erforderlich, sich sowohl mit dem nicht immer ganz einfach zu handhabenden spezifischen Anwaltsvergütungsrecht als auch mit berufs- bzw. vertragsbezogenen Leistungs- und Nebenpflichten, mit anwaltsrechtsspezifischen Verjährungsfragen und ähnlichem auseinanderzusetzen. Stehen damit im Vergütungsprozess oft Fragen im Vordergrund, deren Beantwortung ansonsten der allgemeinen Zivilkammer (bzw. der allgemeinen Zivilabteilung des Amtsgerichts) obliegt und die deshalb besser damit vertraut ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden, ob § 34 in gesteigertem Maße darauf abzielt, innerhalb des Gerichtes des Hauptprozesses gerade den vormals befassten „besonderen“ Spruchkörper zuständig zu machen. Dafür spricht, dass § 34 im ersten Abschnitt des 1. Buches der Zivilprozessordnung 5 steht, nicht etwa im Titel 1, der in §§ 1 ff. Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit der Gerichte und Wertvorschriften enthält. Die sachliche Zuständigkeit bestimmt sich nach § 1 vielmehr grundsätzlich nach dem GVG. Dort ist auch das Verhältnis zwischen Zivilkammern und bei dem Landgericht gebildeten Kammern für Handelssachen geregelt, §§ 93 ff. GVG. Gemäß § 94 GVG tritt die Kammer für Handelssachen nur an die Stelle der Zivilkammer, sofern es um eine Handelssache im Sinne von § 95 GVG geht und der Rechtsstreit vom Kläger oder Beklagten nach Maßgabe der §§ 96 ff. vor diese Kammer gebracht wird. Eine Befassung der Kammer für Handelssachen mit anderweitigen zivilrechtlichen Streitigkeiten sieht das Gerichtsverfassungsgesetz nicht vor. Das schließt eine entsprechende gesetzliche Zuweisung in anderweitigen Vorschriften nicht aus. Dann ist freilich kritisch zu prüfen, ob die Sondervorschrift, sofern nicht eindeutig, tatsächlich (auch) spruchkörperbezogen verstanden werden kann und muss. Letzteres mag für § 767 Abs. 1 zutreffen, weil die Vollstreckungsabwehrklage unmittelbar den vom selben Spruchkörper zuvor titulierten Anspruch betrifft. Eine ähnlich enge Verbindung zwischen früherem und jetzigem Streitgegenstand, die es im Rahmen von § 34 rechtfertigen könnte, die früher tätig gewesene Kammer für Handelssachen als „Gericht des Hauptprozesses“ anzusehen, gibt es für Gebührenklagen des Prozessbevollmächtigten gegen den früheren Mandanten dagegen nicht einmal annähernd. Die Stellung des § 34 bei den Vorschriften im Titel 2 („Gerichtsstand“) erlaubt dagegen, wie das OLG Dresden überzeugend ausführt, weitere Schlüsse. Die §§ 12 ff. dienen der Festlegung der Gerichte, die für eine zu erhebende Klage örtlich zuständig sind. Abgesehen von § 33 Abs. 1, der für Widerklagen des Beklagten eine gleichsam in der Natur der Sache liegende Ausnahme enthält, befasst sich keine einzige der Vorschriften des 2. Titels ausdrücklich oder sinngemäß damit, welcher Spruchkörper des örtlich zuständigen Gerichts zur Entscheidung berufen ist. Entsprechend liegt es eher fern als nahe, § 34 eine solche außergewöhnliche Bedeutung zuzuschreiben. II. Kläger 6

1. Prozessbevollmächtigte. Kläger i.S.d. Vorschrift sind Prozessbevollmächtigte (§§ 78 ff.), auch wenn die Vollmacht nicht rechtzeitig beigebracht wurde (§ 89), dagegen nicht im Falle einer auftragslosen Geschäftsführung des § 89; sonst aber auch für Unterbevollmächtigte, mögen sie auch nur in der mündlichen Verhandlung mitwirken und mögen sie Rechtsanwälte sein oder nicht; und selbst, wenn ihnen gemäß § 157 das mündliche Verhandeln untersagt worden ist oder sie nach dem RDG nicht tätig werden dürfen. Smid/Hartmann

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2. Beistände und andere. Ferner fallen unter den Geltungsbereich der Vorschrift 7 Beistände gemäß § 90 sowie Zustellungsbevollmächtigte gemäß § 174. In Betracht kommen auch Nichtanwälte, Verkehrsanwälte (§ 52 BRAGO aF,7 heute vgl. Vorb. 3.4 Nr. 3400 RVG-VV, Anm. zur VV Nr. 3405 Nr. 1), die, welche einen Schriftsatz anfertigen (§ 56 BRAGO aF, vgl. heute neu Nr. 3403, 3404, 3405 RVG-VV), wie die, welche nur einen Rat erteilen. 8 Ferner erfasst die Vorschrift deren Rechtsnachfolger.8 3. Nicht mehr erfasst: Gerichtsvollzieher. Die erwähnten Gerichtsvollzieher wer- 9 den heute nicht mehr aufgrund eines privatrechtlichen Auftragsverhältnisses tätig und treiben daher ihre Kosten in einem Verwaltungsverfahren gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7, 8 JBeitrO, § 9 GvKostG ein. Insoweit ist die Norm obsolet. 4. Notare. Ein Ausschluss des Prozesswegs besteht für Notare nach § 89 GNotKG 10 (§§ 155 ff. KostO aF). III. Beklagte Beklagte iSd Vorschrift sind die Auftraggeber oder deren Rechtsnachfolger sowie 11 Bürgen oder Schuldübernehmer, sofern sie für die Verpflichtung des Auftraggebers einzustehen haben.9 Die Klage darf gegen jeden Auftraggeber gerichtet werden, auch gegen einen oder den Prozessbevollmächtigten selbst; doch muss dieser dann nicht als Vertreter, sondern in eigenem Namen gehandelt haben (etwa einen Unterbevollmächtigten im eigenen Namen auf seine Kosten bestellt haben). Ohne ein solches (eventuell auch über § 683 BGB herzustellendes) Vertragsverhältnis besteht jedenfalls kein Gerichtsstand des § 34. Hat der Hauptbevollmächtigte in eigenem Namen einen Unterbevollmächtigten verpflichtet, so kann er vor dem Gericht gemäß § 34 auch gegen den Hauptbevollmächtigten seine Gebühren einklagen.10 IV. Klagen gegen Dritte Soweit mit der Widerklage Dritte verklagt worden sind, haben diese die Kosten des 12 Hauptprozesses demgegenüber im Verfahren gemäß § 104 geltend zu machen; soweit das nicht möglich ist, können die darauf gerichteten Klagen nicht vor dem Gerichtsstand des § 34, sondern nur vor allgemeinen oder etwa greifenden besonderen Gerichtsständen, beispielsweise im Falle materieller Kostenerstattungsansprüche aus dem Gesichtspunkt des Verzuges, erhoben werden. Im Übrigen ist der Gerichtsstand des § 34 auch nicht wegen Klagen des Auftraggebers gegen den Anwalt als Prozessbevollmächtigten eröffnet. Fehlt es in Bezug auf den Beklagten des Gebührenprozesses der im Hauptsacheprozess entstandenen Gebührenforderung des Klägers an den Voraussetzungen des § 34, greift die Vorschrift nicht: Erforderlich ist, dass der Beklagte Partei des Rechtsstreits war, aus dem die Gebührenforderung resultiert. Oder dass der Beklagte des Gebührenstreits durch Bürgschaft, Schuldmitübernahme oder in sonstiger Weise den entsprechenden Vergütungsanspruch des Klägers zu eigener Haftung übernommen hat.11

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7 RGZ 58, 109 f. 8 MünchKomm/Patzina § 34 Rdn. 2. 9 OLG Kiel OLGRspr. 7, 273. 10 Musielak/Heinrich § 34 Rdn. 3; Stein/Jonas/Roth § 34 Rdn. 5. 11 OLG Dresden AGS 2010, 309.

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V. Sachlicher Anwendungsbereich der Vorschrift 1. Übersicht. Die Norm greift in erster Linie wegen Zivilverfahren, aber auch für die der freiwilligen (im Wesentlichen der) streitigen Gerichtsbarkeit und bisweilen auch in Strafverfahren (soweit dort keine Rahmengebührenvorschriften zum Zuge kommen), wie vor den besonderen ordentlichen Gerichten und denen anderer Gerichtszweige, nämlich der Arbeits-, der Verwaltungs- und der Finanzgerichte; mit Ausnahme der Sozialgerichte. Dabei kommen nicht nur die staatlichen Gerichte und die vor ihnen entstandenen 14 Auslagen und Gebühren in Betracht, sondern auch die vor Schiedsgerichten entstandenen, sofern nach Beendigung des Schiedsverfahrens ein staatliches Gericht in Anspruch genommen wird. § 34 entscheidet nicht über die Zulässigkeit des Gerichtswegs; setzt aber ein Verfahren vor den ordentlichen Gerichten als Hauptprozessgericht voraus. Kommt deshalb das Gericht eines anderen Gerichtszweiges zum Zuge, so gilt der Gerichtstand des § 34 nicht, weil die so verfolgbaren Ansprüche vor die ordentlichen Gerichte gehören (anders in den Fällen, wo nach RVG festzusetzen ist). 13

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2. Arbeitsrechtssachen. Für die bei Arbeitsgerichten entstandenen Kosten wird im Allgemeinen die Zuständigkeit nach § 34 verneint.12 § 34 bestimmt nach der Judikatur des BAG13 nicht die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts wegen Streitigkeiten in Bezug auf solche Gebührenforderungen, die im Arbeitsgerichtsprozess entstanden sind (vgl. § 46 Abs. 2 ArbGG).

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3. Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs. Gebühren wegen der Vertretung im Strafverfahren,14 in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach dem FamFG15 außerhalb der Regelung des § 111 FamFG16 sowie wegen Ansprüchen wegen einer außergerichtlichen Tätigkeit17 begründen nicht den Gerichtsstand des § 34.

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4. Gebühren und Auslagen. Alle Klagen wegen Gebühren, Auslagen, verauslagter Gerichtskosten, der Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 RVG-VV sowie angefallener Verzugszinsen,18 soweit sie in einem nach der ZPO geführten Verfahren angefallen sind, fallen in den sachlichen Anwendungsbereich des § 34. Die Vorschritt gilt für alle Verfahren, auch soweit sie keine Klagesachen sind (also Insolvenz-, Vergleichs-, Mahn-, Aufgebots-, Arrest-, einstweilige Verfügungs-, schiedsgerichtliche, Beweissicherungs- und Vollstreckungsverfahren) mit der Maßgabe, dass in all diesen die Amtsgerichte in erster Instanz zuständig sind, bis auf die schiedsrichterlichen, Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren, wo es darauf ankommt, ob sie an einem AG oder LG anhängig waren.

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12 LArbG Berlin JW 31/ 2528, JW 30/211. 13 BAGE 87, 29, 30 = NJW 1998, 1092 = NZA 1998, 219; OLG Zweibrücken FamRZ 1982, 85 f.; Zöller/ Vollkommer § 34 Rdn. 5; Thomas/Putzo/Hüßtege § 34 Rdn. 1; a.A. LAG Hamm DB 1984, 2356; LAG Hamburg MDR 1995, 213; Stein/Jonas/Roth § 34 Rdn. 11. 14 OLG Hamburg OLGRspr. 23, 85. 15 BGH NJW 1981, 2642, 2643. 16 Zöller/Vollkommer § 34 Rdn. 5. 17 BGH NJW 1981, 2642, 2643; OLG Schleswig FamRZ 1984, 1119. 18 Stein/Jonas/Roth § 34 Rdn. 14.

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VI. Verweisung Wechselt die erstinstanzliche Zuständigkeit infolge Verweisung nach § 276, so wird 18 die des neuen Gerichts begründet (weil im Kostenrecht es auch für die Kostenentscheidung und Festsetzung zuständig ist), selbst wenn noch in höherer Instanz unter Aufhebung der früheren Entscheidungen (durch Urteil) verwiesen wird. Werden indes einer Partei bei der Verweisung die Kosten auferlegt (wie es der BGH bei Verweisung an einen anderen Gerichtszweig tut, vgl. § 276, so ist die erste (regelmäßig also die landgerichtliche) Instanz nach § 34 zuständig. Bei Verweisung an andere Gerichtszweige bzw. von anderen Gerichtzweigen gilt fol- 19 gendes. Schließt das ordentliche Gericht das Verfahren kostenmäßig ab (vgl. § 34), dann ist der Gerichtstand des § 34 insoweit begründet, obwohl gerade über die Kosten erster Instanz nicht entschieden werden kann (sodann müsste, soweit § 11 RVG zum Zuge kommt, das Verfahren insoweit aufgespalten werden; vgl. § 34). Darüber hinaus kann der Gerichtstand des § 34 den Beteiligten nicht durch eine Verweisung an einen anderen Gerichtszweig für die bei den ordentlichen Gerichten entstandenen Kosten genommen werden. Im umgekehrten Fall der Verweisung an ein ordentliches Gericht gilt das Gesagte 20 entsprechend; bloß dass für die Beauftragten, die nur vor den anderen Gerichtzweigen tätig geworden sind, § 34 nicht gilt. Klagt der Rechtsanwalt gegen seinen Mandanten Gebühren aus einem für diesen vor der Kammer für Handelssachen geführten Rechtsstreit im Gerichtsstand des Hauptsacheprozesses gemäß § 34 ein, ist nicht die Kammer für Handelssachen, sondern die allgemeine Zivilkammer zuständig.19 Denn § 34 ist nach richtiger Auffassung dahin auszulegen, dass mit dem „Gericht des Hauptprozesses“, sofern dieser vor der Kammer für Handelssachen eines Landgerichts geführt wurde, ohnehin nicht dieser Spruchkörper, sondern lediglich das betreffende Landgericht gemeint ist. Da eingeklagte Gebührenansprüche des Prozessbevollmächtigten kaum einmal eine Handelssache darstellen, ist nach allgemeinen Regeln die Zivilkammer des entsprechenden Landgerichts zur Entscheidung berufen.20 VII. Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 11 RVG 1. Gesetzliche Regelung. Wegen der aus einer anwaltlichen Tätigkeit gemäß 21 Nr. 3100 ff. RVG-VV, aus der Tätigkeit eines Rechtsanwaltes oder eines Beistandes gemäß § 1 Abs. 1 RDG herrührenden Vergütungsansprüche ist § 11 RVG anwendbar, wonach die Ansprüche (welche Gebühren angefallen sind und in welcher Höhe) im besonderen Kostenfestsetzungsverfahren zu verfolgen sind. Insoweit fehlt Gebührenklagen das Rechtsschutzbedürfnis, § 34 kommt nicht zum Zuge; gleiches gilt für die Gebühren der Notare gemäß §§ 88, 89 GNotKG (§§ 154, 155 KostO a.F.). 2. Einwendungen und Einreden außerhalb des Gebührenrechts. Soweit danach 22 grundsätzlich nach § 11 RVG festzusetzen wäre, ist das Verfahren verschlossen, wenn vom Beklagten Einwendungen und Einreden außerhalb des Gebührenrechts erhoben werden, wobei ihre außerprozessuale Erhebung genügt (doch gehört dieser Vortrag zur Klagebehauptung, weil sonst das Klageverfahren unzulässig ist; andererseits wird trotz außerprozessualer Einwendungen das Mahnverfahren nicht unzulässig). Besteht unter

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OLG Dresden AGS 2010, 309. Überzeugend OLG Dresden AGS 2010, 309.

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den Parteien zugleich wegen der Höhe der Gebühren und Auslagen Streit, so ist die Feststellungklage zulässig, u.U. die auf künftige Leistung. An Einwendungen, welche nicht gebührenrechtlich sind – kommen in Betracht: Til23 gung, Erlass und Aufrechnung (auch mit Schadensersatzansprüchen, die nicht in Gebührenansprüchen bestehen). An Einreden auch die Stundung. Eine zeitlich nicht bestimmte Stundung ist indes jederzeit widerruflich. Bei einer vom RA bestrittenen und von seinem Gegner zu beweisenden Einwendung/Einrede hat das OLG Düsseldorf21 Rechtsmissbrauch angenommen. Das LG Duisburg22 hat den Schuldner auf den Weg der Vollstreckungsgegenklage verwiesen. Dabei hat der Beklagte im Prozessverfahren die Beweislast für die Begründetheit der Einwendungen und Einreden.23 Der als Beistand auftretende ausländische Anwalt kann seine Gebühren ebenfalls vor dem Gericht gemäß § 34 einklagen.24 VIII. Gericht des Hauptprozesses 24

1. 1. Instanz. Gericht des Hauptprozesses iSv. § 34 ist das Gericht der 1. Instanz25 unabhängig davon, ob beispielsweise im Falle der Gebühren wegen einer Wiederaufnahmeklage diese vor dem Berufungsgericht erhoben worden ist26 oder ob der Streitwert an sich die (sachliche) Zuständigkeit eines anderen Gerichts begründen würde, da § 34 auch die sachliche Zuständigkeit regelt.27 Gericht der Hauptsache ist auch das Gericht, an das ein Rechtsstreit gemäß § 281 verwiesen worden ist, unabhängig davon, ob die Verweisung rechtmäßig oder unrechtmäßig erfolgte.28

25

2. Einzelheiten. Nach zutreffender Ansicht29 sind die allgemeinen Prozessabteilungen des Amtsgerichts zur Entscheidung der Gebührenklage berufen, die wegen der Vertretung in Familiensachen anfällt. Die dagegen vorgebrachte Ansicht,30 das Familiengericht könne sachnäher über die Gebührenklage entscheiden, verkennt, dass dem Kläger nach seiner Wahl auch ein anderes allgemeines Gericht zur Erhebung seiner Klage zur Verfügung steht. Kammern für Handelssachen sind demgegenüber auch in Prozessen wegen der Gebührenforderungen zuständig.31 IX. Internationale Zuständigkeit

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1. EuGVVO.32 Die EuGVVO trifft keine dem § 34 entsprechende Regelung, so dass die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht auf § 34 gestützt werden

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21 OLG Düsseldorf v. 5.2.1973 – 4 W 131/72 –. 22 LG Duisburg v. 26.5.1970 – 8 0 358/62 –. 23 Wieczorek 2. Aufl., § 34 Rdn. A IIb 2. 24 Stein/Jonas/Roth § 34 Rdn. 7. 25 RGZ 29, 414. 26 Stein/Jonas/Roth § 34 Rdn. 12. 27 Zöller/Vollkommer § 34 Rdn. 1. 28 AG München AnwBI. 1974, 271. 29 BGH NJW 1986, 1178; OLG Zweibrücken FamRZ 1982, 85; OLG Koblenz FamRZ 1983, 1253; OLG Frankfurt/M. FamRZ 1984, 1119; OLG München AnwBl. 1984, 370; OLG Karlsruhe FamRZ 1985, 498; OLG Saarbrücken FamRZ 1986, 73; Sojka ZZP 99 (1986), 471 f.; Bosch FamRZ 1986, 347; Hansens NJW 1989, 1131, 1136; Stein/Jonas/Roth § 34 Rdn. 13. 30 KG FamRZ 1981, 1089, 1090; OLG Hamburg FamRZ 1985, 409; Walter JZ 1986, 589. 31 OLG Saarbrücken FamRZ 1986, 73. 32 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012.

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kann, wenn der Auftraggeber seinen Sitz in einem Vertragsstaat hat.33 Daher kann die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte eines beklagten Auftraggebers, der seinen Wohnsitz bzw. Sitz in einem anderen Staat hat, nicht auf § 34 gestützt werden.34 Allerdings kann sich beim derartigen Prozess die internationale Zuständigkeit des Staates, in dem der Prozess geführt wurde aus Art. 7 Nr. 1 EuGVVO unter dem Gesichtspunkt des Gerichtsstandes des Erfüllungsortes ergeben. § 34 kann auch nicht zur Bestimmung des örtlich zuständigen deutschen Rechts herangezogen werden, wenn der Prozess in Deutschland geführt wurde, da Art. 7 EuGVVO auch den örtlichen Gerichtsstand regelt. 2. Autonomes Recht. Im autonomem Zivilprozessrecht außerhalb des Geltungsbe- 27 reichs der EuGVVO begründet § 34 zugleich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Honorarklagen, unabhängig davon, ob der klagende Rechtsanwalt seinen Sitz im Inland hat.35 Ausschlaggebend ist, dass sich die Honorarklage auf Verfahren vor inländischen Gerichten bezieht. Dagegen kommt es nicht darauf an, dass der klagende Rechtsanwalt seine Kanzlei im Inland hat. Bei für die Mandantschaft vor einem ausländischen Gericht postulierenden deutschen Rechtsanwälten wird hierdurch die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte dagegen nicht begründet.36

§ 35 Wahl unter mehreren Gerichtsständen § 35 Smid/Hartmann Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl. Schrifttum Kropholler Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts (1982); Schack Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Auflage (2014); Schmidhuber/Haberer Rücknahme und Neueinreichung des Verfügungsantrags – Ein rechtsmissbräuchliches Auslaufmodell? WRP 2013, 436; Teplitzky Zur Verwirkung des Verfügungsgrunds in Verfahren der einstweiligen Verfügung nach dem UWG und im Markenrecht, FSLoschelder (2010) 391–402; ders. Rücknahme und Neueinreichung des Verfügungsantrags – Eine Erwiderung, WRP 2013, 839; Thümmel Zum Gerichtsstand bei der Vollstreckungsabwehrklage durch Streitgenossen, NJW 1986, 556; Zuck Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess, NJW 2013, 1132.

I.

Übersicht Normzweck und Übersicht ____ 1 1. Einschränkung des Grundsatzes „actor sequitur forum rei“ ____ 1 2. Kein Wahlrecht bei ausschließlichem Gerichtsstand ____ 4 3. Aktive Streitgenossenschaft ____ 5 4. Wahlrecht auch bei Prozesskostenhilfe ____ 7 5 Vorbehalt unzulässiger Rechtsausübung ____ 8 6. Vorläufiger Rechtsschutz ____ 14

Form der Ausübung des Wahlrechts ____ 15 Gerichtsstandsvereinbarung ____ 17 Selbständiges Beweisverfahren ____ 18 V. Wahlmöglichkeit auch im Mahnverfahren ____ 20 1. Grundsatz ____ 20 2. Einzelfragen ____ 21 VI. Gerichtsstandwahl und perpetuatio fori ____ 26 VII. Internationale Zuständigkeit ____ 29 II. III. IV.

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MünchKomm/Patzina § 34 Rdn. 15. Roth ZZP 104 (1991), 459; BGH NJW 1991, 3095, 3096; MünchKomm/Patzina § 34 Rdn. 15. Stein/Jonas/Roth § 34 Rdn. 4. MünchKomm/Patzina § 34 Rdn. 15.

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I. Normzweck und Übersicht 1. Einschränkung des Grundsatzes „actor sequitur forum rei“. § 35 ist Ausdruck der prozessualen Dispositionsfreiheit des Klägers.1 Die Vorschrift stellt klar, dass ein Kläger die Wahl zwischen dem allgemeinen gesetzlichen Gerichtsstand des Beklagten und dem daneben eingeräumten besonderen, nicht ausschließlichen Gerichtsständen gemäß §§ 20 ff. hat. Es liegt beim Kläger, wo er in diesen Fällen die Klage erhebt. Dadurch erleidet der Grundsatz des „actor sequitur forum rei“ Ausnahmen.2 Der Kläger kann daher vor dem Gericht klagen, das ihm günstiger erscheint.3 Die prozessual dem Kläger eingeräumte Wahlbefugnis kann nicht durch Verweisungen unterlaufen werden. Es ist daher zu begrüßen, dass das OLG Hamm darauf erkannt hat, dass von einem Verweisungsbeschluss nach den Umständen des Einzelfalls entgegen § 281 Abs. 2 Satz 4 ausnahmsweise dann keine Bindungswirkung wegen willkürlicher Rechtsanwendung ausgeht, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich über eine nach § 35 unwiderrufliche und bindende Gerichtsstandswahl hinwegsetzt.4 Der Kläger hat daher nach § 35 die Wahl zwischen einem oder mehreren allgemeinen 2 (§§ 13–19) und einem oder mehreren besonderen Gerichtsständen (§§ 20–23; 25–32; 34,). Die Wahlfreiheit des Klägers wird ausnahmsweise auch dann begründet, wenn mehrere ausschließliche Gerichtsstände gegeben sind. Sofern in einem Streit sowohl die Zuständigkeit deutscher als auch ausländischer 3 Gerichte eröffnet ist, greift § 35 ebenfalls ein,5 es sei denn, das deutsche Recht bestimmt eine ausschließliche Zuständigkeit. Im Übrigen verdrängen staatsvertragliche Gerichtsstände die Wahlmöglichkeit des § 35.6 1

4

2. Kein Wahlrecht bei ausschließlichem Gerichtsstand. Liegt ein ausschließlicher Gerichtsstand vor, kommt § 35 nicht zum Zuge.7 Dagegen greift die Wahlmöglichkeit des Klägers ein, wenn mehrere ausschließliche Gerichtsstände aufeinander treffen.8

3. Aktive Streitgenossenschaft. Auch bei der aktiven Streitgenossenschaft kommt eine Wahl in Betracht, wenn die Zuständigkeit an den Klägerwohnsitz anknüpft, etwa bei § 797 Abs. 5, § 29c. Die Wahlmöglichkeit ist dem Antragsteller überdies in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eröffnet, also im Arrestverfahren gemäß § 919 und in Verfahren einstweiliger Verfügungen gemäß § 937. Ist es dem Kläger ausnahmsweise gestattet, an seinem Wohnsitz zu klagen, so kön6 nen mehrere Kläger als aktive Streitgenossen unter den verschiedenen Wohnsitzgerichten der Kläger auch dann wählen, wenn der Klägergerichtsstand nicht ausschließlich ist (wie im Falle des Klägergerichtsstand für eine negative Feststellungsklage). Können im Fall einer negativen Feststellungsklage mehrere als aktive Streitgenossen verbundene Kläger unter den mehreren Klägerwohnsitzgerichten wählen und hat das gewählte Ge5

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1 2 3 4 5 6 7 8

Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 1. Vgl. auch: Musielak/Heinrich § 35 Rdn. 1. OLG Hamm NJW 1987, 138 f.; MünchKomm/Patzina § 35 Rdn. 1; Musielak/Heinrich § 35 Rdn. 1. OLG Hamm MDR 2012, 800 f. Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 8 m.N. MünchKomm/Patzina § 35 Rdn. 10; Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 8. Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 2. Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 2; Thümmel NJW 1986, 556, 558.

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richt seine Zuständigkeit verneint, ist eine gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts zulässig und aus prozessökonomischen Gründen geboten.9 4. Wahlrecht auch bei Prozesskostenhilfe. Auch die Partei, die auf Prozesskos- 7 tenhilfe angewiesen ist, hat grundsätzlich unter mehreren zuständigen Gerichten die Wahl (§ 35). Mutwillig handelt sie nur, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Auswahl des weiter entfernten Gerichts vorliegen.10 5. Vorbehalt unzulässiger Rechtsausübung. Die Wahlbefugnis ist dem Kläger aus 8 Gründen der Gewährleistung prozessualer Waffengleichheit von Gesetzes wegen eingeräumt (oben Rdn. 1). Weder vermeintliche Belange des Beklagten noch Kostenaspekte sind daher bei der Ausübung des Wahlrechts vom Kläger zu berücksichtigen.11 Daher verstößt die Ausübung des Wahlrechts durch den Kläger auch dann nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn dadurch die Rechtsverfolgung des Beklagten erschwert wird.12 Allerdings steht die Freiheit der klagenden Partei gemäß § 35 unter mehreren zuläs- 9 sigen Gerichtsständen zu wählen im Übrigen unter dem Vorbehalt der unzulässigen Rechtsausübung, also des Rechtsmissbrauchs. Es ist in diesem Zusammenhang nachvollziehbar und legitim, wenn der Antragsteller einer einstweiligen Verfügung, außer im Gerichtsstand des Antragsgegners, entweder an seinem eigenen Sitz oder am Sitz seines Prozessbevollmächtigten den Antrag stellt, wobei die Auswahl eines Gerichts, das keinen Bezug zu den Verfahrensbeteiligten oder ihren Prozessbevollmächtigten hat, gegebenenfalls auf die Absicht schließen lässt, den Antragsgegner durch die Wahl eines im Bundesgebiet abgelegenen und von seinem Geschäftssitz verkehrsmäßig nur schwer zu erreichenden Gerichtsortes zu benachteiligen.13 Die Ansicht des OLG München,14 erscheint daher als zu weitgehend, dass sich eine Gerichtswahl nach § 35 als rechtsmissbräuchlich erweise, wenn ein im Ausland ansässiger Kläger das ihm nach § 35 zustehende Wahlrecht dahin ausübt, dass er weder am Gerichtsstand des Beklagten noch am Sitz seines Prozessbevollmächtigten klagt, sondern bei einem dritten, sowohl vom Sitz des klägerischen Prozessbevollmächtigten als auch vom Wohnsitz des Beklagten weit entfernten Gerichtsort. Denn gerade diese Befugnis räumt ihm § 35 ein.15 Eine kostenrechtliche Obliegenheit des Klägers bzw. Antragstellers, von mehreren 10 möglichen Gesichtsständen den seinem Wohn- bzw. Geschäftssitz am nächsten gelegene Gerichtsstand zu wählen, steht in einem gewissen Wertungswiderspruch zu der Vorschrift des § 35, wonach der Kläger unter mehreren zuständigen Gerichten die Wahl hat. Zudem hätte die genannte Obliegenheit zur Folge, dass die seit langer Zeit bewährte, faktische Aufgabenkonzentration bestimmter Teilmaterien des Presserechts, des gewerblichen Rechtsschutzes und des Wettbewerbsrechts auf bestimmte Landgerichte nicht mehr fortbestehen würde. Denn diese Rechtsgebiete zeichnen sich prozessual dadurch aus, dass der jeweilige Anspruch an nahezu jedem deutschen (Land-)Gericht geltend gemacht werden kann, mithin auch am Wohn- oder Geschäftssitz des Klägers bzw. An-

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9 OLGR München 2009, 911. 10 OLG Karlsruhe NJW 2005, 2718. 11 KG Rpfleger 1976, 323; OLG München JurBüro 1978, 1875; OLG Frankfurt/M AnwBI. 1983, 186; OLG Köln JurBüro 1992, 104. 12 Zu abstrakt daher die Anwendung des § 242 BGB, die von der Literatur vorgeschlagen wird: MünchKomm/Patzina § 35 Rdn. 3. 13 LG Aurich GRURPrax 2013, 168. 14 OLG München ZUM-RD 2014, 128 f. 15 OLG Hamburg AGS 2013, 147.

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spruchstellers. Daraus folgert das KG überzeugend, dass die Berücksichtigung von Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwaltes des Klägers im Kostenfestsetzungsverfahren nicht allein deshalb zu verneinen ist, weil der Kläger bei der Erhebung der Klage weitgehende Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Gerichtsstandes hatte (§ 35) und daher etwa auch am Sitz des Rechtsanwaltes hätte klagen können.16 Daher verdient der BGH mit seiner Entscheidung Zustimmung, dass ein die Kostenerstattung gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ausschließender Rechtsmissbrauch nicht allein darin liegt, dass der im Ausland ansässige Kläger das ihm gemäß § 35 zustehende Wahlrecht dahin ausübt, dass er weder am Gerichtsstand des Beklagten noch am Sitz seines Prozessbevollmächtigten klagt, sondern bei einem dritten, sowohl vom Sitz des klägerischen Prozessbevollmächtigten als auch vom Wohnsitz des Beklagten weit entfernten Gerichtsort.17 Es gehört, wie der BGH18 zutreffend ausführt, regelmäßig zu den berechtigten Inte11 ressen des Klägers, bei der ihm gesetzlich eingeräumten Wahl des Gerichtsstandes zu berücksichtigen, ob ein Gericht nach Einschätzung seines Prozessbevollmächtigten bereits Erfahrungen in dem für sein Klagebegehren maßgebenden Sach- oder Rechtsgebiet aufweist oder sogar spezialisierte Spruchkörper gebildet hat. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt (vgl. § 140 Abs. 2 MarkenG; § 105 UrhG; § 92 GWB; § 143 Abs. 2 PatG; § 13a GVG) ist, dass eine Spezialisierung des Gerichts der sachlichen Förderung oder schnelleren Erledigung von Rechtsstreitigkeiten dienen kann. Diese vom Gesetzgeber erkannten Grundsätze können legitimer Weise von der klagenden Partei auch sonst bei der Auswahlentscheidung gemäß § 35 zugrunde gelegt werden, ohne dass dies zu Kostennachteilen führt. Daher stellt es sich nach der Judikatur des BGH grundsätzlich nicht als rechtsmissbräuchlich dar, wenn der Kläger aus prozesstaktischen Erwägungen einen Gerichtsstand wählt, an dem nach Einschätzung seines Prozessbevollmächtigten für sein konkretes Begehren voraussichtlich die besten Erfolgsaussichten bestehen. Im Gegenteil entspricht dies seinem berechtigten Interesse an einer erfolgreichen Rechtsdurchsetzung.19 Dass der vom Kläger ausgewählte Gerichtsstand auch ein Ort sein kann, der weder mit dem Gerichtsstand des Beklagten noch mit dem des Sitzes seines Prozessbevollmächtigten übereinstimmt, sondern unter Umständen weit von diesen entfernt liegt, liegt auf der Hand. Der BGH hat dabei zutreffend ausgeführt, dass dieser Umstand für sich allein nicht geeignet sein kann, eine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Wahlrechts gemäß § 35 anzunehmen. Vielmehr legt der BGH eine sog. typisierende Betrachtungsweise zugrunde. Danach ist regelmäßig davon auszugehen, dass die klagende Partei ihre Auswahlentscheidung gemäß § 35 an ihren berechtigten Interessen ausrichtet. Behauptet der Beklagte dagegen, es läge ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers vor, hat er Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger sich bei der Wahl nach § 35 von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Legt man diese Grundsätze zugrunde, ist es z.B. für das Verfahren vorläufigen 12 Rechtsschutzes „nachvollziehbar und legitim“ (LG Aurich), wenn der Antragsteller einer einstweiligen Verfügung, außer im Gerichtsstand des Antragsgegners, entweder an seinem eigenen Sitz oder am Sitz seines Prozessbevollmächtigten den Antrag stellt. Dabei ist aber immer zu berücksichtigen, dass die Auswahl eines konkreten Gerichts gegebenenfalls auf die Absicht schließen lässt, den Antragsgegner durch seine Wahl den Gegner verfahrensrechtlich dadurch zu benachteiligen, dass seine Waffengleichheit einge-

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KG MDR 2008, 653. BGH GRUR 2014, 607 f. BGH GRUR 2014, 607 f. OLG Hamburg NJW-RR 2007, 763, 764.

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schränkt wird.20 Dies ist der Fall, wenn aus keinem anderen Gesichtspunkt als dem der Schadenszufügung und der arglistigen Erschwerung der Rechtsverteidigung des Antragsgegners zu erklären ist, dass die Antragstellerin die einstweilige Verfügung ausgerechnet an dem gewählten Gericht beantragt, das überhaupt keinen Bezug zur Antragstellerin, zum Antragsgegner, zur Sache oder zum Sitz ihres Prozessbevollmächtigten erkennen lässt und – wie z.B. das AG Aurich – im Bundesgebiet abgelegen und vom Geschäftssitz der Parteien verkehrsmäßig nur schwer zu erreichen ist, dann kann die Gerichtswahl ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich sein. Übt ein im Ausland ansässiger Kläger das ihm nach § 35 zustehende Wahlrecht dahin aus, dass er weder am Gerichtsstand des Beklagten noch am Sitz seines Prozessbevollmächtigten klagt, sondern bei einem dritten, sowohl vom Sitz des klägerischen Prozessbevollmächtigten als auch vom Wohnsitz des Beklagten weit entfernten Gerichtsort, so ist ein derartiges Vorgehen als rechtsmissbräuchlich anzusehen.21 Eine rechtsmissbräuchliche Auswahl kann im Einzelfall darin gesehen werden, dass 13 der Auswahlentscheidung sachfremde Motive zugrunde liegen.22 Dabei ist jedoch zunächst festzustellen, dass es jedenfalls nicht als sachfremd angesehen werden kann, wenn ein bestehendes Rechtsprechungsgefälle ausgenutzt wird. Es muss dem Kläger also auch möglich sein ein klägerfreundliches Gericht anzurufen, selbst wenn sich keines in unmittelbarer Nähe befindet oder dieses schwer erreichbar ist. Gegen ein vorschnelles Qualifizieren einer Auswahl als rechtsmissbräuchlich spricht auch die Justizgewährungspflicht des Staates.23 Darüber hinaus hat das OLG Schleswig vor kurzem entschieden, das die Verweisung eines Verfahrens an das Gericht in dem der Prozessbevollmächtigte seinen Sitz hat, willkürlich ist. Das OLG Schleswig begründete seine Entscheidung mit der überzeugenden Überlegung, dass die ZPO keinen Gerichtsstand am Kanzleisitz des Prozessbevollmächtigten kenne.24 Des Weiteren erscheint es unter Berücksichtigung des Art. 101 Abs. 1 GG angezeigt, dass die Auswahlentscheidung des Klägers nicht allzu strengen Anforderungen unterzogen wird, damit nicht diesem der gesetzliche Richter entzogen wird.25 Sollte jedoch die Wahl auf ein Gericht fallen, das weit entfernt belegen ist und nicht für seine besondere Sachkunde oder Klägerfreundlichkeit bekannt ist, so spricht vieles dafür, in solchen Fällen einen Rechtsmissbrauch anzunehmen. Bei der Frage, ob die Gerichtswahl des Klägers nach § 35 von sachfremden Interessen geleitet wird, ist besonderes Augenmerk auf das Verhalten des Klägers in ähnlich gelagerten Fällen zu legen.26 Manche Rechtsinhaber nutzen die formale Zuständigkeit von Gerichten im gesamten Bundesgebiet in folgender Weise aus. Hierbei wurden die Anspruchsgegner vor weit entfernt liegenden Gerichten verklagt, damit diese die Gegenwehr, mit Blick auf die zur Rechtsverteidigung nötigen Kosten, aufgaben. So wurden angebliche Rechtsverletzungen von Hamburgern in Düsseldorf, von Kölnern in Hamburg und von Berlinern in Würzburg anhängig gemacht. Diese Auswahlstrategie wurde sogar dann beibehalten, wenn die Beklagten aus einem Gerichtsbezirk stammten, der allgemein als besonders klägerfreundlich galt.27 In einem solchen Vorgehen kommt zum Ausdruck, dass es dem Kläger gerade nicht darum geht ein Gericht auszuwählen, an dem die Chancen auf ein günstiges Ergebnis als höher angesehen wird. Es geht einzig und allein

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LG Aurich MMR 2013, 249. LG München I ZUM-RD 2014, 128. KG Berlin Beschl. v. 25.1.2008 – 5 W 371/07. Musielak GK ZPO, § 2 Rdn. 11. OLG Schleswig ZUM 2014, 430, 433. KG Berlin Beschl. v. 25.1.2008 – 5 W 371/07. KG Berlin Beschl. v. 25.1.2008 – 5 W 371/07. KG Berlin Beschl. v. 25.1.2008 – 5 W 371/07.

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darum, dem Beklagten die Rechtsverteidigung so unangenehm wie möglich zu machen. Er soll dazu veranlasst werden, den Rechtsstreit gar nicht erst aufzunehmen.28 In diesem Zusammenhang stellt das KG darauf ab, dass ein Rechtsmissbrauch dann anzunehmen sei, wenn die Auswahl hauptsächlich aus sachfremden Erwägungen getroffen wurde. Die wettbewerbsrechtlichen Interessen müssen jedoch nicht völlig fehlen.29 Die Entscheidung bezog sich zwar auf § 14 Abs. 2 UWG, die Wertungen können aber auch auf Fälle des „fliegenden Gerichtsstands“ nach § 32 (dort Rdn. 42 ff.) übertragen werden. 14

6. Vorläufiger Rechtsschutz. Fraglich ist, wie die in der Rechtspraxis teilweise vorkommende Vorgehensweise zu beurteilen ist, dass Antragsteller an verschiedenen Gerichten den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen und diesen zurückziehen, wenn mit einer negativen Bescheidung des Antrags gerechnet wird. Diesem Vorgehen will insbesondere Teplitzky das Rechtsschutzinteresse entzogen sehen. Dieses begründet er damit, dass die Nachteile, die der Antragsgegner im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erleiden muss, auf das notwendige Minimum zu reduzieren seien.30 Das sei jedoch gerade nicht der Fall, wenn der Antragssteller die Möglichkeit habe, das erste Gericht „auszuprobieren“, um danach ein weiteres aufzurufen. Dieses verfassungs- und europarechtliche Gebot auf einen Prozesses unter Beachtung der Waffengleichheit werde jedoch in eklatanter Weise verletzt, wenn man den notwendigen Nachteile noch weitere beigefügt.31 Darin sei eine offensichtlich Steigerung der Chancen des Antragstellers zu erkennen.32 Dieses Vorgehen sei als rechtsmissbräuchliche Form des ansonsten zulässigen forum shoppings anzusehen.33 Dem Lager Teplitzkys lassen sich nun mehr auch Entscheidungen aus der Rechtsprechung zurechnen. In diese Rechtsprechung lässt sich auch das ArbG Nürnberg einordnen.34 Darüber hinaus hat da OLG Hamburg in einer Entscheidung aus dem Jahr 2007 entschieden, dass in einem Fall der wiederholten Antragstellung das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der erste Antrag zurückgezogen worden sei.35 Demgegenüber vertreten Schmidhuber und Haberer die Meinung, in diesem Vorgehen läge das Verfolgen einer legitimen Prozesstaktik.36 Sie stellen darauf ab, dass das Erlassen einer einstweiligen Verfügung ohne Anhörung des Gegners eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers sei.37 Des Weiteren führen sie an, dass es keinen Grund für die Annahme gebe, dass die abweisende Entscheidung des ersten Gerichts besser sei als die des zweiten Gerichts.38 Dieses Ergebnis begründen sie mit einem Verweis auf § 269 Abs. 1. Gemäß § 269 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 führt die wirksame Klagerücknahme dazu, dass das Gericht nur noch per Beschluss über die Kosten entscheiden kann. Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 ist nach herrschender Meinung auf da Verfügungsverfahren entsprechend anwendbar.39 Dagegen spricht, dass, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, es genügt, wenn dieser an zumindest einem Gericht erlangt werden

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KG Berlin Beschl. v. 25.1.2008 – 5 W 371/07. KG Berlin Beschl. v. 25.1.2008 – 5 W 371/07. Teplitzky FS-Loschelder, S. 400. Teplitzky FS-Loschelder, S. 399. Teplitzky FS-Loschelder, S. 400. Zöller/Vollkommer § 935 Rdn. 5. ArbG Nürnberg NZA-RR 2008 203, 204. OLG Hamburg NJW-RR 2007, 763, 764. Schmidhuber/Haberer WRP 2013, 436, 442. Schmidhuber/Haberer WRP 2013, 436, 441. Schmidhuber/Haberer WRP 2013, 436, 441. MünchKomm/Becker-Eberhard § 268 Rdn. 90.

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kann.40 Verneint man einen Rechtsmissbrauch auch bei der Anrufung des zweiten Gerichts, so muss man es konsequenterweise zulassen, dass der Antragsteller beliebig viele Gerichte anrufen kann bis er das gewünschte Ergebnis erreicht. Das widerspräche jedoch in fundamentaler Weise dem Grundsatz der Waffengleichheit, diesem wird zwar im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sowieso nur eingeschränkte Beachtung geschenkt. Das rechtfertigt jedoch nicht dieses Prinzip gänzlich zu missachten. Daher überzeugt es auch, wenn Teplitzky festgestellt, dass die Nachteile des Antragsgegners auf das Notwendige zu begrenzen sind.41 Daher ist die Annahme eines Rechtsmissbrauchs in den Fällen der mehrfachen Antragstellung von Gerichten überzeugend. II. Form der Ausübung des Wahlrechts Ausgeübt wird das Wahlrecht durch die Klage (u.U. durch den Verweisungsantrag 15 nach § 276); nicht aber schon durch einen Arrestantrag (RGZ 26, 400, 407, durch den also noch nicht der Gerichtsstand für die Hauptklage bestimmt wird) bzw. den auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das Wahlrecht des Klägers wird danach dadurch ausgeübt, dass er vor einem der 16 zuständigen Gerichte Klage42 erhebt oder an das Gericht den Mahnantrag,43 den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens44 oder auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes richtet. Der Kläger ist im Verfahrenszug an die durch Klageerhebung getroffene Wahl gebunden45 und daher daran gehindert, etwa einen Verweisungsantrag gemäß § 281 zu stellen. Wird das Verfahren durch Prozessurteil oder ohne Urteil beendet, also beispielsweise durch Prozessvergleich (§ 794) oder Klagerücknahme (§ 269), endet damit auch die aufgrund der getroffenen Gerichtsstandswahl folgende Bindungswirkung. Für einen weiteren Rechtsstreit lebt die Wahlmöglichkeit daher wieder auf.46 Demgegenüber ist wegen der ausdrücklichen Regelungen der §§ 767 und 578 ff. der Kläger an seine im Hauptverfahren getroffene Wahl für eine später zu erhebende Vollstreckungsabwehrklage bzw. eine Wiederaufnahmeklage gebunden.47 III. Gerichtsstandsvereinbarung Ob unter (wirksam, vgl. § 38) vereinbarten und anderen Gerichtständen der verein- 17 barte ausschließlich sein soll, richtet sich nach der Vereinbarung (vgl. § 38 Rdn. 28 ff.). Es darf auch vereinbart werden – sofern die Vereinbarung zulässig ist (§ 40 Abs. 2, dort Rdn. 5 ff.) –, dass der Kläger (oder auch nur einer von mehreren) die Wahl zwischen einem Schiedsgericht und einem ordentlichen Gericht hat.48

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40 Zuck, NJW 2013, 1132. 41 Teplitzky WRP 2013, 839, 840. 42 OLG Köln MDR 1980, 763. 43 KGR 1999, 165; OLGR Celle 2000, 244; OLGR 12 Zu abstrakt daher die Anwendung des § 242 BGB, die von der Literatur vorgeschlagen wird: MünchKomm/Patzina § 35 Rdn. 3. 44 OLG Zweibrücken BauR 1997, 885. 45 BayObLG NJW-RR 1991, 187, 188. 46 LAG Kiel AP § 276 Nr. 1. 47 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 7. 48 RGZ 88, 179, 181.

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IV. Selbstständiges Beweisverfahren Auch durch den Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens wird das Wahlrecht des § 35 für den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß § 29 bindend ausgeübt.49 Der für das selbstständige Beweisverfahren gewählte Gerichtsstand gilt nur für dieses Verfahren. Die Wahl hat keine Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren.50 Ob im Einvernehmen mit der Gegenseite (anstelle der Klagerücknahme) noch an ein 19 anderes Gericht verwiesen werden darf, ist umstritten (vgl. § 38).51 Wird die Klage aber zurückgenommen (§ 271) oder als unzulässig abgewiesen, so darf neu gewählt werden. Das Wahlrecht erstreckt sich auf alle Klagegründe, die im Zusammenhang gebracht werden (§ 12) und als gebracht anzusehen sind (iura novit curia).

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V. Wahlmöglichkeit auch im Mahnverfahren 20

1. Grundsatz. Die Wahlmöglichkeit des § 35 greift auch im Mahnverfahren ein. Bei einer Mehrheit von Antragstellern mit verschiedenen Wohnsitzen gemäß § 13 ist zwischen diesen die Wahl des Gerichtsstandes eröffnet, vor dem der Mahnantrag gestellt werden soll.52 2. Einzelfragen

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a) Die Rechtsprechung, wonach die Bezeichnung des streitigen Gerichts im Mahnbescheidsantrag die Ausübung eines der Klagepartei zwischen mehreren Gerichtsständen zustehenden Wahlrechts darstellt, setzt allerdings ein zu diesem Zeitpunkt bestehendes Wahlrecht voraus. Die verbindliche Ausübung des Wahlrechts nach § 35 im Mahnbescheidsantrag setzt voraus, dass mindestens zwei Gerichtsstände zur Wahl gestanden hatten.53 Entsteht das Wahlrecht erst zu einem späteren Zeitpunkt im Mahnverfahren, so kann die Klagepartei ihr Wahlrecht grundsätzlich noch durch Stellung eines Verweisungsantrags beim Streitgericht vor Zustellung der Klagebegründung an den Prozessgegner ausüben (hier: Wohnsitzverlegung des Beklagten während des Mahnverfahrens). Die Auffassung, dass dies auch gilt, wenn zum Zeitpunkt des Mahnbescheidsantrags das Wahlrecht zwar objektiv gegeben war, die Klagepartei von den das Wahlrecht begründenden Tatsachen aber – nicht vorwerfbar – keine Kenntnis hatte, ist jedenfalls nicht willkürlich; eine darauf gestützte Verweisung ist für das Empfangsgericht grundsätzlich bindend.54

22

b) Eine Partei, die mehrere Beklagte, die keinen allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand haben, in Anspruch nimmt, verbraucht regelmäßig ihre Möglichkeit, ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren durchführen zu lassen, wenn sie gegen einzelne Beklagte in einem für diese zuständigen Gericht Klage erhebt; dies jedenfalls dann, wenn dieses Gericht nicht das Gericht ist, das im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ohnehin zu

_____ 49 50 51 52 53 54

OLG Schleswig SchlHA 2007, 191. OLGR Jena 2008, 353. Verneinend ArbG Kiel AP § 276/1, 30. BGH NJW 1978, 321. OLG Schleswig MDR 2007, 1280. OLG München MDR 2007, 1154.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 35

bestimmen wäre.55 Denn der Ausspruch nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ist regelmäßig nur darauf gerichtet, eine zusätzliche Zuständigkeit zu begründen. Er soll aber nicht ein ursprünglich zuständiges Gericht zu einem unzuständigen machen.56 Ein Verbrauch der Möglichkeit, ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 zu betreiben, ist aber dann nicht anzunehmen, wenn das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 zu einem Zeitpunkt anhängig gemacht worden ist, in dem die Klage noch nicht erhoben war. Unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie, dem das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 dient, kann der die Bestimmung beantragenden Partei nicht angelastet werden, wenn auf Grund der Dauer des Verfahrens nachträglich – d.h. nach Anbringung des Bestimmungsantrags – die Voraussetzungen für eine Bestimmung entfallen.57 c) Die Angabe des Streitgerichts im Mahnantrag bezieht sich nur auf den Ge- 23 genstand des Mahnverfahrens. Im Fall einer Klageerweiterung im späteren Prozess ist das Wahlrecht des Klägers gemäß § 35 – für die Klageerweiterung – noch nicht verbraucht.58 Die dagegen vom OLG Braunschweig vertretene Meinung, eine nach § 35 getroffene Gerichtsstandswahl werde nach Akteneingang bei dem im Mahnantrag bezeichneten Gericht bindend; auf die Frage, ob die Abgabe „alsbald erfolgt“ ist, komme es für den Eintritt des Rechtshängigkeit mit Akteneingang nicht an,59 geht dagegen zu weit. Gibt der Kläger im Mahnantrag ein sachlich unzuständiges Gericht (LG statt AG) als Streitgericht an, so liegt keine wirksame (und bindende) Gerichtsstandswahl i.S.v. § 35 vor. Der Kläger kann von seinem Wahlrecht gemäß § 35 in diesem Fall noch im Laufe des Prozesses durch einen Verweisungsantrag Gebrauch machen, wobei der Kläger auch in örtlicher Hinsicht nicht durch die frühere Angabe im Mahnantrag gebunden ist.60 Zwar wird die Wahl unter mehreren zuständigen Gerichten gemäß § 35 in der Regel schon durch die Angabe des Streitgerichts im Mahnantrag ausgeübt.61 Unwiderruflich und bindend ist jedoch nur eine fehlerfrei getroffene Wahl.62 d) Hat der Gläubiger eines Mahnbescheids die Wahl zwischen verschiedenen Ge- 24 richtsständen im Mahnbescheidsverfahren getroffen, so bindet diese Wahl den Schuldner für die Vollstreckungsgegenklage gegen den Vollstreckungsbescheid nicht. Hat der Schuldner die Vollstreckungsgegenklage gegen einen Vollstreckungsbescheid in einem von mehreren Gerichtsständen erhoben, so ist er an diese Wahl gebunden und kann das Wahlrecht durch einen Verweisungsantrag nicht erneut ausüben.63 e) Der Kläger übt nach alledem sein Wahlrecht nach § 35 bereits im Mahnantrag 25 durch Bezeichnung des für das Streitverfahren zuständigen Gerichts aus. Das Wahlrecht erlischt mit der Zustellung des Mahnbescheids.64 Die im Mahnverfahren getroffene Wahl

_____

55 KG NJW 2006, 2336; OLG Zweibrücken Prozessrecht aktiv 2012, 169. 56 KGR Berlin 2005, 1007. 57 KGR Berlin 2005, 1007. 58 OLGR Karlsruhe 2007, 636. 59 OLG Braunschweig NdsRpfl 2006, 160 f. 60 OLGR Karlsruhe 2007, 636. 61 Statt aller: BeckOK-ZPO/Toussaint § 35 Rdn. 5 m.w.N. 62 BayOLG NJW-RR 2001, 646, 647; OLG Hamm BeckRS 2012, 05566; OLG Hamm BeckRS 2012, 06492; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 35 Rdn. 4; Musielak/Smid3 § 35 Rdn. 3 sowie Musielak/Heinrich § 35 Rdn. 3; Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 6; Thomas/Putzo/Hüßtege § 35 Rdn. 2; Zöller/Vollkommer § 35 Rdn. 2. 63 OLG Stuttgart Justiz 2003, 447. 64 OLGR Celle 2000, 244.

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§ 35

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

des Gerichtsstandes ist für den Prozess endgültig und unwiderruflich. Das einmal erloschene Wahlrecht kann nicht erneut durch einen Verweisungsantrag ausgeübt werden.65 Durch die Angabe des für das Streitverfahren zuständigen Gerichts in dem Mahnbescheidsantrag macht der Kläger von seinem Wahlrecht gemäß § 35 sowohl hinsichtlich der örtlichen als auch hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit Gebrauch. Ändert sich später die sachliche Zuständigkeit durch eine Erweiterung der Klage, wird die einmal begründete örtliche Zuständigkeit hierdurch nicht berührt.66 Im Übrigen ist im Mahnverfahren nach Widerspruch mehrerer Antragsgegner vor Abgabe des Verfahrens an das Prozessgericht eine Gerichtsstandsbestimmung zulässig. Wenn nur bei einem der Antragsgegner die Abgabe an das Prozessgericht erfolgt ist, kann darüber hinaus ebenfalls noch ein Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 gestellt werden, sofern kein gemeinsamer Gerichtsstand besteht und der Antragsteller daher mit der Benennung des Prozessgerichts im Mahnbescheidsantrag sein Wahlrecht gemäß § 35 noch nicht ausgeübt hat.67 VI. Gerichtsstandswahl und perpetuatio fori Spätestens nach Zustellung der Anspruchsbegründung an den Beklagten greift die perpetuatio fori, so kann ein erst im Laufe des Mahnverfahrens entstandenes Wahlrecht des Klägers nicht mehr ausgeübt werden.68 Bei zulässiger Gerichtsstandswahl nach § 35 kann der Kläger grundsätzlich die 27 durch die Anrufung des auswärtigen Gerichts entstandenen Reisekosten seines Prozessbevollmächtigten gegen den Beklagten festsetzen lassen.69 Übt der Kläger das ihm zustehende Recht zur Wahl unter mehreren zuständigen Gerichten gemäß § 35 – etwa in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG – dahin aus, dass er nicht im eigenen Gerichtsstand klagt, sondern bei einem auswärtigen Gericht an einem dritten Ort, der auch nicht dem Gerichtsstand des Beklagten entspricht, dann sind die Reisekosten nach Nr. 7003 und 7005 RVG-VV seines an seinem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Prozessbevollmächtigten anlässlich der Terminswahrnehmung an dem auswärtigen Gerichtsort nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und deshalb nicht erstattungsfähig gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO, weil der Kläger bei der Gerichtswahl seiner Pflicht zur kostengünstigsten Prozessführung nicht nachgekommen ist.70 § 35 gilt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur deswegen nicht nach § 173 28 VwGO, weil insoweit § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO vorgeht; kann § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO dagegen deshalb nicht angewandt werden, weil es einem „nächsthöheren Gericht“ fehlt, kommt § 35 zur entsprechenden Anwendung, wonach die Wahl dem Kläger zufällt.71 26

VII. Internationale Zuständigkeit 29

Der Kläger hat die Wahl, ob er im Inland oder im Ausland klagen will, wenn für eine Streitigkeit internationale Zuständigkeit sowohl der deutschen als auch von ausländischen Gerichten gegeben ist. § 35 kommt insoweit für die internationale Zuständigkeit

_____ 65 66 67 68 69 70 71

OLGR Stuttgart 2001, 33. OLG Zweibrücken Prozessrecht aktiv 2012, 169. OLG Düsseldorf MDR 2013, 56. OLG München MDR 2007, 1278. OLG Hamburg AGS 2013, 147. OLG Stuttgart Justiz 2008, 281. OLG Düsseldorf Pharma Recht 2008, 41.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 36

zur entsprechenden Anwendung.72 Soweit nicht das deutsche Recht eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht bzw. anerkennt, wie dies bei dinglichen Klagen nach § 24 der Fall ist, greift § 35. Wird der gewählte konkurrierende ausländische Gerichtsstand von den dortigen Gerichten als forum non conveniens73 erachtet oder liegt eine restriktive Auslegung inländischer Gerichtsstandsnormen vor, kann dies zu dem Ausschluss des Wahlrechts führen. Zwischen allgemeinen und besonderen Gerichtsständen der ZPO einerseits und 30 staatsvertraglichen Gerichtsständen andererseits besteht kein Wahlrecht.74

§ 35a (weggefallen) Aufgehoben durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586) mWv. 1.9.2009.

§ 36 Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit § 36 Smid/Hartmann (1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt: 1. wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist; 2. wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei; 3. wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist; 4. wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist; 5. wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben; 6. wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. (2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. (3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.

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72 Kropholler Internationales Zivilverfahrensrecht Bd. 1 (1982), Kap. III Rdn. 157; vgl. auch Schack Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 227; Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 8. 73 Vgl. hierzu allgemein: Schack Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 559 ff. 74 Auch: MünchKomm/Patzina § 35 Rdn. 10; Stein/Jonas/Roth § 35 Rdn. 8.

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§ 36

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

Schrifttum Albicker Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (1996); Althanns Die richterlichen Bestimmung der örtlichen, sachlichen und funktionellen Zuständigkeit,im Zivilprozeßrecht, (§§ 36, 37 ZPO) Diss. Regensburg 2002; Beck Besonderer Gerichtsstand bei Drittwiderklagen – Kehrtwende des BGH WRP 2011, 414; Cuypers Gerichtsbestimmung für mehrere Beklagte, MDR 2009, 657; Deubner Aktuelles Zivilprozessrecht JuS 2012, 33; Fellner Zulässigkeit der Drittwiderklage und die örtliche Zuständigkeit des Gerichts der Klage für den Drittwiderbeklagten, MDR 2011, 146; Hofmann Der Verkehrsunfallprozess Jura 2011, 643; Jauernig Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Nr. 6 ZPO vor Rechtshängigkeit? NJW 1995, 2017; Leifeld Die parteibezogene Konnexität als Kriterium für die Zulässigkeit der isolierten Drittwiderklage ZZP 2013, 509; Lorenz Ein Gerichtsstand für Streitgenossen, ZRP 2011, 182; Mann Zum Verhältnis von Zuständigkeitsbestimmungsverfahren und gemeinsamen Beklagtengerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO, ZZP 127 (2014), 229; Roth Parteierweiternde Widerklage und gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit, FS Beys (2003) 1353–1369; ders. Das Konnexitätserfordernis im Mehrparteiengerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVO, FS Kroppholler (2008) 885–903; Scherer Anfechtbarkeit und Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen nach § 281 ZPO, ZZP 1997, 167; Smid Zivilgerichtliche Verfahren (2014); Vossler Die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung für Streitgenossen NJW 2006, 117; ders. Die Bedeutung des Mehrparteiengerichtsstands nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO bei der Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 I Nr. 3 ZPO, IPrax 2007, 281.

I.

II.

III.

IV.

Übersicht Normzweck ____ 1 1. Ersatzgerichtsstand ____ 1 2. Garantie des gesetzlichen Richters und der Justizgewährung ____ 3 3. Gerichtsstandsbestimmung als materielle Rechtsprechung ____ 4 4. Unvollständigkeit der Regelungen der §§ 36, 37 ____ 5 5. Verhältnis ausländischer und inländischer Gerichte ____ 6 Arten der zu bestimmenden Zuständigkeit ____ 7 1. Örtliche Zuständigkeit ____ 7 2. Sachliche Zuständigkeit ____ 8 3. Funktionelle Zuständigkeit ____ 9 4. Rechtsweg ____ 12 5. Arbeitsrechtsstreitigkeiten ____ 14 Verfahrensarten ____ 15 1. Erkenntnisverfahren und andere Verfahren nach der ZPO ____ 15 2. Schiedsverfahren ____ 16 3. Unbeachtlichkeit der Klageart und der Parteirolle ____ 17 4. Verfahren nach dem FamFG ____ 18 5. Insolvenzverfahren ____ 21 Verfahren der Gerichtsstandbestimmung ____ 22 1. Antragsprinzip ____ 22 2. Ermittlung des für die Gerichtsstandbestimmung zuständigen Gerichts ____ 23 3. Gerichtsstandsbestimmung vor Anhängigkeit des Folgeverfahrens ____ 27 4. Gerichtsstandsbestimmung bei Anhängigkeit des Folgeverfahrens ____ 28

Smid/Hartmann

5.

Prozessvoraussetzungen des Bestimmungsverfahrens nach § 36 ____ 29 6. Prüfung der besonderen Prozessbedingungen der einzelnen Fälle des § 36 ____ 33 7. Folgen der Geltendmachung weiterer Ansprüche ____ 35 8. „Analogiefähigkeit“ der Tatbestände des § 36 ____ 37 V. Funktion und Übersicht über die einzelnen Tatbestände des Abs. 1 ____ 38 VI. Rechtliche oder tatsächliche Verhinderung des Gerichts, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ____ 40 1. Regelungsgegenstand ____ 40 2. Voraussetzungen ____ 41 VII. Ungewissheit der Zuständigkeit, § 36 Abs. 1 Nr. 2 ____ 43 1. Regelungsgegenstand ____ 43 2. Einzelfragen ____ 44 VIII. Gerichtsstandsbestimmung bei Streitgenossenschaft, § 36 Abs. 1 Nr. 3 ____ 47 1. Grundsatz ____ 47 2. Gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ____ 53 3. Fehlen eines gemeinsamen Gerichtsstandes ____ 58 4. Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 in den Fällen eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstandes der Streitgenossen ____ 62 5. Anforderungen an die Feststellung des Fehlens eines gemeinsamen Gerichtsstandes ____ 65 6. Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 auf andere Folgeverfahren als

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Abschnitt 1. Gerichte

IX.

X.

den streitigen Prozess in der Hauptsache ____ 68 7. Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 auf Drittwiderklagen ____ 74 8. Prozessuale Tatbestände, die zum Ausschluss eines Bestimmungsverfahrens führen ____ 76 9. Anknüpfungspunkte bei Fehlen eines allgemeinen Gerichtsstandes ____ 88 10. Abweichung vom Grundsatz der Bestimmung eines Gerichts, bei dem ein Streitgenosse seinen allgemeinen Gerichtsstand hat ____ 91 11. Einschränkung der Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung ____ 96 12. Sachliche und funktionelle Zuständigkeit ____ 98 13. Fehlender inländischer Gerichtsstand eines der Beklagten ____ 99 14. Für die Bestimmung nach § 36 Abs. 3 zuständiges OLG ____ 103 15. Kostenentscheidung ____ 104 Bezirksüberschreitende Grundstücke, § 36 Abs. 1 Nr. 4 ____ 105 1. Reichweite ____ 105 2. Einzelheiten ____ 106 3. Weitere Fallgruppen ____ 109 Zuständigkeitserklärung verschiedener Gerichte, § 36 Abs. 1 Nr. 5 ____ 112 1. Reichweite ____ 112 2. Einzelheiten ____ 113 3. Besonderheiten beim Verweis des § 4 InsO auf § 36 Abs. 1 Nr. 5 ____ 116

§ 36

XI.

Negativer Zuständigkeitsstreit, § 36 Abs. 1 Nr. 6 ____ 117 1. Reichweite ____ 117 2. Verweisungsbeschluss ____ 120 3. Sachverhaltsermittlung ____ 123 4. Voraussetzungen ____ 124 5. Gerichtsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 in anderen Verfahren der ZPO als dem Erkenntnisverfahren ____ 129 6. Zuständigkeitskonflikt zwischen einem Prozessgericht und einem Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit ____ 132 7. Zuständigkeitskonflikt im Rechtsmittelverfahren ____ 133 8. Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 137 XII. Zuständigkeit des für die Gerichtsstandsbestimmung zuständigen Oberlandesgerichts, Abs. 2 ____ 138 1. Regelungsgehalt ____ 138 2. Begriff des „gemeinschaftlichen Gerichts“ ____ 139 XIII. Zuständigkeit des BGH, Abs. 3 ____ 141 1. Regelungsgehalt ____ 141 2. Voraussetzungen ____ 142 3. Negativer Kompetenzkonflikt zwischen dem Kartellsenat und dem Zivilsenat des OLG ____ 146 XIV. Internationale Zuständigkeit ____ 148 1. EuGVVO ____ 148 2. Lugano-Übereinkommen ____ 152 3. Autonomes Recht ____ 153

I. Normzweck 1. Ersatzgerichtsstand a) § 36 begründet einen Gerichtsstand durch Bestimmung eines übergeordneten Ge- 1 richts auf Antrag einer Partei bzw. eines Antragstellers, der beabsichtigt, vor dem zu bestimmenden Gericht als Partei zu fungieren. § 36 überantwortet daher die Bestimmung des Gerichtsstandes des Gerichts, das in dem Rechtsstreit entscheiden soll, an ein Gericht, welches in der angerufenen oder anzurufenden Instanz selbst nicht zu entscheiden hat.1 Hat der Kläger die Wahl (sei es unmittelbar, §§ 33, 35; § 96 GVG,2 oder mittelbar durch Verweisungsmöglichkeit), den Gerichtsstand zweifelsfrei bestimmen zu können, so darf der Gerichtsstand nicht nach § 36 bestimmt werden. Dies gilt genauso, wenn von Gerichts wegen verwiesen wird oder wo Gesetz oder von diesem ermächtigte Stellen eine

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1 BeckOK-ZPO/Toussaint § 36 Rdn. 1 f.; Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 1; MünchKomm/Patzina § 36 Rdn. 1; Althanns Die richterlichen Bestimmung der örtlichen, sachlichen und funktionellen Zuständigkeit im Zivilprozeßrecht, (§§ 36, 37 ZPO) Diss. Regensburg 2002. 2 BGH NJW 1966, 1028.

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§ 36

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

spezielle Regelung getroffen haben (z.B. die Landesjustizverwaltung bei §§ 15, 27, § 2 ZVG; siehe auch § 5 FamFG).3 2

b) Durch § 36 wird demnach ein Ersatzgerichtsstand gewährt. Voraussetzung dafür ist, dass im Inland unzweifelhaft überhaupt ein Gerichtsstand besteht. Dazu ist es ausreichend, dass der Gerichtstand des § 23 begründet ist.4 Es darf grundsätzlich kein inländischer Gerichtsstand nach § 36 bestimmt werden, wo nach inländischem Prozessrecht nur ausländische Gerichtsstände in Betracht kommen, es sei denn, es kommt ein inländischer Notgerichtsstand in Betracht.5 Es ist dabei grundsätzlich an das Gerichtsinland anzuknüpfen.6 § 36 Abs. 1 S. 1 ist – soweit die §§ 16, 27 unanwendbar sein sollten – dann entsprechend anzuwenden, wenn zum Gerichtsinland gehörende Deutsche in gerichtsfreien Gebieten leben oder in anderen ausländischen Gerichtsgebieten kein Gerichtsstand für sie begründet ist.7

3

2. Garantie des gesetzlichen Richters und der Justizgewährung. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts trägt der verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters Rechnung, die es erfordert, dass Unklarheiten über den Gerichtsstand im Wege eines gesetzlich bestimmten Verfahrens ausgeräumt werden.8 In Fällen, in denen aufgrund negativen Kompetenzkonflikts zweier Gerichte (§ 36 Abs. 1 Nr. 6), bei Verhinderung der Gerichtspersonen, das Richteramt wahrzunehmen (§ 36 Abs. 1 Nr. 1) oder wenn bei Streitgenossen ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand nicht begründet ist (§ 36 Abs. 1 Nr. 3), dient die Gerichtsstandbestimmung mehr noch als zur Vergewisserung des örtlichen zuständigen Gerichts dazu, überhaupt durch Bestimmung des Gerichtsstandes die Justizgewährung „lückenlos“ sicherzustellen.9 Die Voraussetzungen, unter denen dieses Verfahren eingreift, regelt Abs. 1. Der BGH10 hat daraus abgeleitet, es sei Aufgabe der §§ 36, 37, für eine schnelle Abhilfe im „misslichen“ Fall des Streits über die Zuständigkeit zu sorgen, um die alsbaldige Befassung des zuständigen Gerichts mit der Sache zu ermöglichen. Damit soll ebenso vermieden werden, dass Gerichte doppelt mit einer Sache befasst werden,11 wie im Allgemeinen einer Rechtsschutzverweigerung entgegengetreten werden soll. Die durch das SchiedsVfG mit Wirkung vom 1.4.1998 hinzugefügten Absätze 2 und 3 dienen der Vermeidung einer Überlastung des BGH mit Zuständigkeitskonflikten.

4

3. Gerichtsstandsbestimmung als materielle Rechtsprechung. Die Bestimmung des Gerichtsstandes des § 36 wird regelmäßig vor Beginn des Verfahrens erfolgen – denn es geht in dem Verfahren ja darum, das Gericht zu ermitteln, vor dem das „eigentliche“ Verfahren verhandelt werden soll. § 36 steht deshalb außerhalb des Verfahrens, das in Gang gebracht werden soll. Das tut dem Umstand keinen Abbruch, dass das Verfahren nach § 36 ein Verfahren materieller Rechtsprechung ist.12 Auch wenn das gerichtsstands-

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3 Wieczorek 2. Aufl., § 36 A I. 4 BGH NJW 1971, 196. 5 Saenger-ZPO/Bendtsen § 36 Rdn. 2; Wieczorek 2. Aufl., Rdn. A II. 6 Vgl. MünchKomm/Patzina § 36 Rdn. 3. 7 Wieczorek 2. Aufl., Rdn. A IIa 1. 8 1 BVerfGE 6, 45, 50 = NJW 1957, 337; BVerfGE 9, 223, 226 = NJW 1959, 871. 9 Saenger-ZPO/Bendtsen § 36 Rdn. 1. 10 BGHZ 71, 69, 74 = BGH NJW 1964, 1416, 1417; BGHZ 71, 15, 18; BGHZ 102, 338, 340 = NJW 1988, 1794; siehe auch Cuypers MDR 2009, 657. 11 BGHZ 90, 155, 157 = NJW 1984, 1624. 12 RGZ 125, 299, 300 f.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 36

bestimmende Gericht nicht den Rechtsstreit zwischen den Parteien entscheidet, ist die Bestimmung des örtlichen zuständigen Gerichts nach § 36 doch keine justizverwaltungsrechtliche Tätigkeit. Vielmehr üben die Gerichte die typischerweise in den Bereich materieller Rechtsprechung verortete Kompetenz-Kompetenz 13 aus, nämlich die Aufgabe, über die Zuständigkeit zu entscheiden. Daher sind Richter iSd. DRiG funktional hierfür zuständig (Art. 92 GG); wie auch im Übrigen im Prozess ist daher rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG); dies ist unabhängig davon, ob die Entscheidung nach § 37 Abs. 1 ohne mündliche Verhandlung ergeht (dort Rdn. 1, 16). Das Verfahren nach § 36 ist nach alledem zwar nicht der zu führende Prozess, aber als Verfahren über die Zuständigkeit Prozess-Prozess. Für die in diesem Prozess-Prozess zu fällende Entscheidung der Gerichtsstandsbestimmung greift daher das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB.14 4. Unvollständigkeit der Regelungen der §§ 36, 37. Die Regelung in §§ 36, 37 ist 5 unvollständig und muss aus den übrigen Vorschriften der Prozessordnung ergänzt werden. Unmittelbar anzuwenden ist § 36 in allen Verfahren, auf welche die ZPO (d.h. ihre Bestimmungen über örtliche und sachliche Zuständigkeit in engem Sinne) anzuwenden ist. Auf die Prozessart und das Verfahren kommt es dabei nicht an. Auf einzelne Prozesshandlungen ist sie nicht beschränkbar, im Besonderen nicht auf die Zustellung allein; so ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 unanwendbar, wenn es abgelehnt wird, den Mahnbescheid nochmals zuzustellen.15 5. Verhältnis ausländischer und inländischer Gerichte. Ein inländisches Gericht 6 muss immer dann die Entscheidungsgewalt übernehmen, wenn sich ein ausländisches rechtskräftig (vor allem mit der Begründung, dass ein inländisches Gericht zuständig ist) für unzuständig erklärt hat. Dies gilt nur, wenn die ausländische Entscheidung anzuerkennen ist (vgl. dazu Ausführungen unter § 328). In dem Fall gilt dies aber auch dann, wenn das inländische Gericht anderer Ansicht ist, denn ansonsten wäre der Rechtsweg versperrt. Die inländische Zuständigkeit ist eröffnet bzw. nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 entsprechend zu bestimmen, wenn die ausländische Entscheidung zeitlich nach der inländischen erfolgt. Entscheidend ist aber, dass die internationale Zuständigkeit entweder des inländischen oder des ausländischen Gerichts gegeben ist. Aus den diesen Erwägungen ergibt sich, dass § 36 auch dann entsprechend anzuwenden ist, wenn das ausländische Gericht auf den inländischen Gerichtsstand verweist, sofern ansonsten kein inländischer Anknüpfungspunkt vorliegt.16 II. Arten der zu bestimmenden Zuständigkeit 1. Örtliche Zuständigkeit. Nach der gesetzessystematischen Stellung im 1. Ab- 7 schnitt, 2. Titel über den Gerichtsstand und nach dem Inhalt der Regelungen der Nrn. 1 bis 6 der Vorschrift ist zunächst Gegenstand der Gerichtsstandsbestimmung die des örtlich zuständigen Gerichts. Dies ist unabhängig davon, ob es um den allgemeinen, einen besonderen oder auch einen ausschließlichen Gerichtsstand geht.17

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13 Zu deren Stellung in Verfahren materieller Rechtsprechung vgl. Smid Zivilgerichtliche Verfahren (2014) § 3 Rdn. 13 ff., § 4 Rdn. 53 f. 14 Zum Spruchrichterprivileg s. BeckOK-BGB/Bamberger/Roth § 839 Rdn. 95 ff.; MünchKomm-BGB/ Papier § 839 Rdn. 321 ff.; Jauernig/Teichmann § 839 Rdn. 1 ff.; zum Begriff „Prozess-Prozess“ vgl. auch die Ausführungen bei Smid Zivilgerichtliche Verfahren (2014) § 34 Rdn. 38 ff. 15 KG JW 1922, 497. 16 Wieczorek 2. Aufl., § 36 A IIa 6. 17 BGH NJW 1984, 1624; BGH NJW 1987, 439; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 38 Rdn. 6.

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§ 36

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

2. Sachliche Zuständigkeit. Über Wortlaut und gesetzessystematische Stellung des § 36 hinaus kann im Verfahren nach §§ 36, 37 ein Streit über die sachliche Zuständigkeit durch Zuständigkeitsbestimmung entscheiden; in Betracht kommt hier ein positiver (§ 36 Abs. 1 Nr. 5) oder negativer (§ 36 Abs. 1 Nr. 6) Konflikt über die sachliche Zuständigkeit und Fälle des § 36 Abs. 1 Nr. 3.18 3. Funktionelle Zuständigkeit

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a) Zwar sind Kompetenzkonflikte zwischen verschiedenen Spruchkörpern innerhalb eines Gerichts grundsätzlich nach § 21e GVG durch das Präsidium dieses Gerichts zu klären. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Zuständigkeit eines Spruchkörpers gesetzlich geregelt ist, wie etwa bezüglich der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen allgemeiner Zivilkammer und Kammer für Handelssachen gemäß §§ 93 ff. GVG, oder im Verhältnis zwischen der allgemeinen Abteilung des Amtsgericht und dem Familiengericht. Diese Fälle sind der Regelungsbefugnis des Präsidiums entzogen. Zur Lösung eines entsprechenden Kompetenzkonfliktes ist hier im Interesse der Rechtssicherheit und im Interesse der Parteien an einer schnellen Entscheidung über die Zuständigkeit das Verfahren § 36 Nr. 6 entsprechend anwendbar.19 Im Einzelnen: Erklären sich etwa innerhalb des mit der Berufung angerufenen Oberlandesgerichts ein Familiensenat und ein Senat für allgemeine Zivilsachen für unzuständig, weil sie verschiedener Ansicht darüber sind, ob aus der im ersten Rechtszug erfolgten Verweisung die Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts folgt, so ist der Zuständigkeitsstreit im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 (analog) zu entscheiden (s.o. Rdn. 6, vgl. auch Rdn. 10–13, 23, 124 f., 131, 146).20 Gleiches gilt erstinstanzlich bei einem Zuständigkeitskonflikt zwischen einer Kammer für Handelssachen und einer Zivilkammer,21 zwischen einem WEG-Gericht und einem Prozessgericht,22 innerhalb eines AG zwischen dem FamG und dem Prozessgericht23 sowie zwischen einem AG als Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit und einem LG als Gericht der streitigen Gerichtsbarkeit.24

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b) Daher greifen über die gesetzlichen Fälle hinaus § 36 Abs. 1 Nr. 5 und 6 des Abs. 1 auch ein, soweit ein Kompetenzkonflikt zwischen verschiedenen Spruchkörpern innerhalb eines Gerichts vorliegt. Dieser Konflikt muss im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 (analog – oben Rdn. 9 sowie Rdn. 12 f., 23, 124 f., 131, 146) behoben werden, soweit er nur durch eine Auslegung gesetzlicher Zuständigkeitsvorschriften gelöst werden kann. Denn dem Präsidium des Gerichts, das bei einer den Geschäftsverteilungsplan betreffenden Meinungsverschiedenheit mehrerer Spruchkörper grundsätzlich eingreifen kann, ist es verwehrt, einen Kompetenzstreit durch Anwendung einer gesetzlichen Zuständigkeitsnorm verbindlich zu entscheiden.25 Grundsätzlich werden in ständiger Rechtsprechung negative Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen einem Familiensenat und einem Senat desselben Oberlandesgerichts im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 entschieden, wenn die beteiligten Senate verschiedener Ansicht darüber sind, ob es sich um eine Familiensache

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18 BGH NJW 1984, 1624; vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 36 Rdn. 19 f. 19 BGHZ 71, 264 = NJW 1978, 1531; OLG Frankfurt OLGReport 2005, 527; KG NJW-RR 2008, 1023; OLG Frankfurt/M. NZG 2011, 1307. 20 BGH NJW 1980, 1282 f. = FamRZ 1980, 557. 21 OLGR Stuttgart 1999, 98. 22 BayObLG WuM 1999, 231. 23 OLG Karlsruhe NJW 1997, 202. 24 BayObLG NJW-RR 1998, 474 m. Anm. Holzer WiB 1997, 1242. 25 BGHZ 71, 264, 270.

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handelt.26 Hängt die Entscheidung wesentlich davon ab, ob durch die im ersten Rechtszug erfolgte Verweisung der Sache an das Familiengericht die Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts begründet worden ist, so muss zur Beantwortung dieser Frage die Tragweite der Bindungswirkung der Verwertung nach § 281 beurteilt werden, über die das Präsidium des Gerichts nicht verbindlich entscheiden kann, so dass § 36 Abs. 1 Nr. 6 (analog) eingreift, s. auch unten Rdn. 12 f., 23, 124 f., 131, 146. c) Streitigkeiten innerhalb des Bundespatentgerichts über die Zuständigkeit juristi- 11 scher oder technischer Beschwerdesenate betreffen demgegenüber Geschäftsverteilungsfragen ohne gesetzliche Zuständigkeitsvorschriften, für deren Entscheidung das Präsidium gemäß § 21e GVG zuständig ist.27 4. Rechtsweg. Für den Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Ge- 12 richtsbarkeiten trifft § 17a GVG eine eingehende Regelung. Danach gilt: Nach § 17a Abs. 1 GVG sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden, wenn ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt hat. Hält es den beschrittenen Rechtsweg dagegen für unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen nach § 17a Abs. 2 GVG aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges, und nur in Bezug auf ihn, nicht dagegen die örtliche und sachliche Zuständigkeit, bindend. Damit sind Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten nach der von § 36 geregelten Art eine Ausnahmeerscheinung, die allenfalls vorliegen kann, wenn im Falle der funktionalen Unzuständigkeit das angerufene Gericht den von § 17a Abs. 2 GVG vorgesehenen Verweisungsbeschluss nicht trifft und damit eine Form der Justizverweigerung vorliegt. In diesem Ausnahmefall kann eine entsprechende Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 in Betracht kommen. Nach Ansicht des OLG Braunschweig ist zur Wahrung einer funktionierenden 13 Rechtspflege und der Rechtssicherheit eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 auch im Fall einer nicht angefochtenen Rechtswegentscheidung nach § 17a Abs. 2 GVG erforderlich.28 Dagegen wird die Auffassung vertreten, dass, wenn die Parteien von dem Rechtsmittel nach § 17a Abs. 4 S. 3 GVG keinen Gebrauch machen, aus der maßgeblichen Perspektive der Parteien kein weitergehendes Bedürfnis für eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 bestehe.29 Diese Auffassung ist jedoch – jedenfalls in ihrer Allgemeinheit – abzulehnen. Zwar regeln die §§ 17a ff. GVG das Verfahren der Rechtswegverweisung grundsätzlich abschließend.30 Das bedeutet aber nur, dass die Parteien sich nicht auf das Verfahren nach § 36 verweisen lassen müssen, solange eine Entscheidung nach § 17a GVG noch mit Rechtsmitteln angefochten werden kann. Sind demgegenüber wie im Streitfall die Beschlüsse rechtskräftig geworden, kann auch die in § 17a GVG eröffnete Anfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen nicht verhindern, dass es zwischen verweisendem und aufnehmendem Gericht zu Streitigkeiten kommt, die besor-

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26 27 28 29 30

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BGHZ 71, 264, 270; BayObLG FamRZ 1979, 315. BGH MDR 1972, 397; BayObLG Rpfleger 1987, 124, 125; OLG Oldenburg MDR 1977, 497 f. OLG Braunschweig im Anschluss an OLG Frankfurt FamRZ 2011, 1238. OLG Hamm NJW 2010, 2740; Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 31. BGH, NJW 2000, 1343, 1344.

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gen lassen, dass der Rechtsstreit nicht mehr prozessordnungsgemäß betrieben werden wird, weil keines der beteiligten Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten.31 14

5. Arbeitsrechtsstreitigkeiten. Gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG greift § 36 auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein.32 III. Verfahrensarten

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1. Erkenntnisverfahren und andere Verfahren nach der ZPO. § 36 gilt im ordentlichen Prozessverfahren vor Amts- und Landgerichten und vor den diesen übergeordneten. § 36 kann daher in jedem Verfahren nach der ZPO eingreifen,33 namentlich neben dem ordentlichen Erkenntnisverfahren aufgrund Klage auch bei Abänderungsklagen (§ 323),34 im Besonderen im Mahnverfahren (§ 689),35 im Aufgebotsverfahren, soweit es den Regeln der ZPO folgt,36 im Vollstreckungsverfahren nach der ZPO;37 nach der Verweisungsnorm des § 4 InsO auch im Insolvenzverfahren;38 im Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren,39 auch gegenüber einem ersuchten Gericht;40 oder bei einer Widerklage (insbes. § 36 Abs. 1 Nr. 3 bei Drittwiderklagen, s. § 33 Rdn. 102, insbes. 105 f.), im Kostenfestsetzungsverfahren41 gemäß §§ 103 ff., im Prozesskostenhilfeverfahren42 gemäß §§ 114 ff., im selbstständigen Beweisverfahren43 gemäß §§ 485 ff. sowie unter Einschränkungen nach den §§ 603 Abs. 2, 605a im Hinblick auf § 36 Abs. 1 Nr. 3 auch im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess.44 Ferner greift § 36 im Mahnverfahren (§§ 688 ff.),45 im Zwangsvollstreckungsverfahren46 (§§ 704 ff., 803 ff.), im Verfahren der Vollstreckbarkeitserklärung47 gemäß §§ 722, 723 sowie in Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes48 gemäß §§ 916 ff., 935 ff.

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2. Schiedsverfahren. Im Schiedsgerichtsverfahren kann die Regelung des § 36 nur praktisch werden, soweit es nicht das Schiedsgericht angeht, sondern soweit das staatliche Gericht zu Handlungen berufen ist. Das kann insbesondere das Gericht betreffen, bei dem niederzulegen, zu bestimmen ist49 usf. Wegen der Maßgeblichkeit der (wirksamen)

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31 OLG Frankfurt FamRZ 2011, 1238, 1239. 32 BAGE 44, 223, 224; BGH NJW 1990, 53, 54. 33 BayObLG Rpfleger 1987, 124, 125; RGZ 139, 351. 34 BGH NJW 1986, 3209. 35 BGH NJW 1951, 275; RGZ 39, 425. 36 Zu § 946 Abs. 2 a.F. BGH MDR 1951, 240; RGZ 121, 20. 37 RGZ 54, 206; i.F. des § 36 I 6; RGZ 164, 307 f.; RGZ 139, 351; BayObLG 1VIDR 60/57 im Falle des § 828; damit ist die frühere Rechtsprechung, vgl. RG JW 1937, 316 m.N., ausdrücklich aufgegeben worden. 38 Für § 36 Abs. 1 Nr. 3: BGH NJW 1951, 312, wenn gegen mehrere Gesellschafter einer bürgerlichrechtlichen Gesellschaft der Konkurs eröffnet werden sollte, nachdem ihre gewerbliche Niederlassung nicht mehr bestand. 39 RG JW 1936, 189. 40 RGZ 44, 394. 41 BGH NJW 1982, 2070; BayObLG Rpfleger 1987, 124, 125. 42 BGH NJW 1982, 1000; NJW-RR 1991, 1342; OLG Düsseldorf FamRZ 1988, 299; OLG Bamberg FamRZ 1989, 409; OLG Hamm FamRZ 1991, 206. 43 BGH NJW-RR 1999, 1010; BayObLGZ 1991, 343, 344; BayObLG NJW-RR 1998, 209. 44 Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 4. 45 BayObLGZ 1980, 149, 151. 46 BGH NJW 1983, 1859; RGZ 139, 351; OLG München NJW 1975,504 m. Anm. Geimer S. 1086. 47 BayObLG NJW 1988, 2184 f. 48 BGHFamRZ 1989, 847. 49 RGZ 95, 246-248.

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Schiedsabrede ist eine Anwendung des § 36 in Bezug auf das Schiedsgericht selbst nicht zulässig. Dagegen ist im Verhältnis von einer Verfahrensart zur anderen, also etwa dem Konflikt zwischen Prozess- und Vollstreckungsgericht50 die Vorschrift anzuwenden. 3. Unbeachtlichkeit der Klageart und der Parteirolle. Irrelevant für die Anwend- 17 barkeit des § 36 ist die Klageart (Leistungs-, positive oder negative Feststellungsklage). Bei der Frage der rechtskräftigen Vorentscheidung ist zudem ebenso die Parteirolle unbeachtlich. So ist es z.B. nicht bedeutend, ob der spätere Beklagte bereits als Kläger mit einer negativen Feststellungsklage abgewiesen wurde.51 Im bestimmten Gerichtsstand kann der Antragsgegner die umgekehrte Klage auch ohne erneuten eigenen Antrag in den Fällen des § 36 Abs. 1, Nrn. 2, 4 erheben. Jedoch gilt bei § 36 Abs. 1 Nr. 3 die Einschränkung, dass mehrere Antragssteller den Antrag gestellt und einen gemeinsamen Gerichtsstand bestimmt haben müssen.52 4. Verfahren nach dem FamFG a) Bei Familienstreitsachen findet § 5 FamFG keine Anwendung; vielmehr sind ge- 18 mäß §§ 112, 113 FamFG die Regelungen der §§ 36, 37 für die Zuständigkeitsbestimmung auch weiterhin anwendbar.53 Daher kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit bei einem sich aus § 232 FamFG ergebenden ausschließlichen Gerichtsstand, der mit einem sich aus einer anderen Bestimmung ergebenden ausschließlichen Gerichtsstand konkurriert, die Bestimmung eines gemeinsamen örtlichen Gerichtsstandes nach § 36 in Betracht kommen.54 b) aa) § 5 FamFG trifft für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine eigene Re- 19 gelung der Bestimmung des Gerichtsstandes, neben der die §§ 36, 37 nicht anwendbar sind,55 vgl. aber Rdn. 18. Besonderheiten gelten für das Verbundverfahren vor den Familiengerichten: Hinsichtlich der Gerichtsstandsbestimmung gelten in den Familiensachen, die nach dem FamFG geführt werden, anstelle des § 5 FamFG die §§ 35, 36.56 bb) Das OLG München57 hat die Ansicht vertreten, im Aufgebotsverfahren sei die 20 Bestimmung des zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 4 vorzunehmen, da zuständig für das Aufgebotsverfahren zur Kraftloserklärung der Urkunden jeweils das Gericht der belegenen Sache (§ 466 Abs. 2 FamFG) ist. Sind dies verschiedene Amtsgerichte sei eines dieser Gerichte als für das Verfahren zur Kraftloserklärung sämtlicher Grundschuldbriefe zuständiges Gericht zu erklären.58 Das OLG meint nun, nach neuer Rechtslage nach Inkrafttreten des FamFG könne der Antragsteller, wenn § 2 FamFG unzweifelhaft eingreift, sich nach seiner Wahl an eines der zuständigen Gerichte wenden. Ist die Anwendbarkeit des § 2 FamFG aber zweifelhaft, sei jedenfalls in solchen zweifel-

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50 RGZ 85, 132. 51 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 36 B II. 52 Wieczorek 2. Aufl., § 36 B II. 53 Bumiller/Harders FamFG/FG9, § 5 FamFG Rdn. 23; Prütting/Helms-FamFG/Prütting § 5 FamFG Rdn. 7; Zöller/Geimer § 5 FamFG Rdn. 4. 54 OLG Rostock FamRZ 2010, 1264. 55 BT-Drs. 16/6308 S. 176; Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 5. 56 Zu § 5 FGG a.F. und § 621a Abs. 1 S. 2 a.F. BGH NJW 1972, 111. 57 OLG München MDR 2011, 752 f. 58 BayObLG Rpfleger 1977, 448.

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haften Fällen im Interesse einer beschleunigten Klärung der Zuständigkeit eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 zulässig und zweckmäßig. Hieran bestehen Zweifel: Wird die Kraftloserklärung eines Grundschuldbriefs beantragt, ist das zuerst befasste (örtlich zuständige) Gericht zuständig, auch wenn Grundstücke in verschiedenen Gerichtsbezirken betroffen sind. Einer Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 4 bedarf es in derartigen Fällen nicht (mehr).59 Nach der zivilrechtlichen Kommentarliteratur ist § 36 Abs. 1 Nr. 4 auf das Aufgebotsverfahren sinngemäß anzuwenden.60 Das Aufgebotsverfahren war ungeachtet seines schon damaligen Charakters als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bis zum Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 in der ZPO (Buch 9 – §§ 946 bis 1024) geregelt. Mit seiner Übernahme in das Buch 8 des FamFG besteht für einen Rückgriff auf andere Verfahrensordnungen dort kein Anlass, wo das FamFG eigene Vorschriften zur Konfliktlösung enthält. Demgemäß vertritt die überwiegende Literatur zum FamFG die Ansicht, eine originäre gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung komme nicht in Betracht und § 2 Abs. 1 FamFG sei anzuwenden.61 21

5. Insolvenzverfahren. Gemäß § 4 InsO kommt § 36 im Insolvenzverfahren zur Anwendung.62 IV. Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung

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1. Antragsprinzip. Wie oben (Rdn. 1) angesprochen, erfolgt die Einleitung eines Gerichtsstandsbestimmungsverfahrens in den Fällen der Nrn. 1 bis 4 aufgrund Antrags (die bisweilen anzutreffende Rede von einem „Gesuch“ wird dem Charakter des Verfahrens als Prozess-Prozess nicht gerecht, § 253 ff.) einer Partei und endet durch Beschluss, § 37. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 kann somit nicht von Amts wegen auf Vorlage eines in der Hauptsache angerufenen Gerichts ergehen, sondern setzt zwingend einen Antrag des Klägers voraus, mögen an einen solchen Antrag auch nur geringe Anforderungen gestellt werden, so dass etwa eine Anregung des Klägers an das Hauptsachegericht, eine Zuständigkeitsbestimmung herbeizuführen, als konkludente Antragstellung gewertet werden kann.63 Das Antragserfordernis des § 37 besteht lediglich in Fällen negativer Kompetenzkonflikte gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 nicht.64 Im Fall des Kompetenzkonflikts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 5 oder 6 ist die Antragstellung einer Partei entbehrlich; die Vorlage durch eines der beteiligten Gerichte reicht aus.65 2. Ermittlung des für die Gerichtsstandbestimmung zuständigen Gerichts

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a) Für die Gerichtsstandsbestimmung ist das „zunächst höhere Gericht“ zuständig. Darunter ist nicht ein übergeordnetes Rechtsmittelgericht zu verstehen, sondern das

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59 OLG München MDR 2014, 22. 60 Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 25; MünchKomm/Patzina § 36 Rdn. 32; Prütting/Gehrlein-ZPO/Lange § 36 Rdn. 10; Thomas/Putzo/Hüßtege § 36 Rdn. 19; Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 19. 61 Für den Fall nach § 442 FamFG Bork/Jacoby/Schwab-FamFG/Dutta § 442 FamFG Rdn. 4; KeidelFamFG/Giers § 466 Rdn. 13, Bumiller/Harders FamFG/FG9, § 466 Rdn. 2; Prütting/Helms-FamFG/Holzer § 466 FamFG Rdn. 5 und § 442 FamFG Rdn. 6; für den Fall des § 442 FamFG Zöller/Geimer § 442 FamFG Rdn. 4; a.A. Bassenge/Roth-FamFG/Walter § 466 Rdn. 5. 62 BGH LM § 36 Abs. 1 Nr. 3 zu § 36 Nr. 3; OLG München NJW-RR 1987, 382. 63 BGH NJW-RR 1991, 767; BayObLGR 2005, 345. 64 BGH NJW-RR 1991, 767. 65 OLG Köln MRW 2013, 57.

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gemeinsame nächsthöhere Gericht der konkurrierenden Gerichte,66 wobei sich die Höherrangigkeit eines Gerichts allerdings nicht aus dem gerichtsverfassungsrechtlichen viergliedrigen Gerichtsaufbau, sondern dem Rechtsmittelzug ergibt: Daraus ergibt sich, dass für die Amtsgerichte innerhalb eines LG-Bezirks dieses Landgericht, für die Landgerichte seines Bezirks das OLG zuständig ist, das auch dann für die Gerichtsstandbestimmung berufen ist, wenn Amtsgerichte verschiedener LG-Bezirke konkurrieren. Liegen Gerichte in verschiedenen OLG-Bezirken, ist nicht der BGH das zunächst höhere Gericht; vielmehr greift Abs. 2 ein, der bestimmt, dass wenn das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der BGH ist, das zuständige Gericht durch das OLG bestimmt wird, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (näher unten Rdn. 138 f.). Die Zuständigkeit des BGH zur Gerichtsstandsbestimmung regelt Abs. 3 (unten Rdn. 141 f.). Sofern in Fällen der §§ 112, 113 FamFG Familiengerichte in einem LG-Bezirk liegen, ist das OLG für die Entscheidung nach § 36 zuständig.67 Streiten z.B. getrennt lebende Ehegatten über die Rückzahlung eines dem einen Ehegatten von dem anderen gewährten Darlehens und haben sich sowohl Streitgericht (Landgericht) als auch Familiengericht für unzuständig erklärt, ist daher das zuständige Gericht in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 zu bestimmen.68 Besonderheiten sind bei der Gerichtsstandsbestimmung wegen Streitgenossenschaft 24 nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 zu beachten. Dort ergibt sich das „im Rechtszug zunächst höhere Gericht“ gemäß Abs. 1 S. 1 allein aus den allgemeinen Gerichtsständen der Streitgenossen; dies gilt auch dann, wenn in der Hauptsache eine Klage bei einem anderen Gericht anhängig gemacht worden ist, bei dem keiner der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Richtet sich in einem derartigen Fall die Zuständigkeit im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 2 (hypothetische BGH-Zuständigkeit), so kann auch das „zuerst mit der Sache befasste Gericht“ i.S.v. § 36 Abs. 2 nur ein solches Gericht sein, bei dem einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.69 Die dagegen vom OLG Brandenburg vertretene Ansicht, es könne das Gericht, das bisher als einziges mit der Sache befasst ist, auch dann für zuständig erklärt werden, wenn keiner der beklagten Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk dieses Gerichts hat,70 ist nicht mit der Garantie eines vorhersehbaren gesetzlichen Richters vereinbar. b) Vorangegangenes Mahnverfahren. Da bei einem Kompetenzkonflikt zweier 25 Amtsgerichte, die zu verschiedenen OLG-Bezirken gehören, die Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 2 dem OLG, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört, obliegt, folgt daraus, dass bei einem vorangegangenen Mahnverfahren das tätig gewordene Mahngericht für die Anknüpfung gemäß § 36 Abs. 2 ausscheidet, denn es war nicht mit der „Sache“ (dem Streitverfahren) befasst.71 Zuständig ist in diesem Fall das dem Streitgericht übergeordnete OLG. Dies gilt auch bei Einspruchsrücknahme für einen Antrag auf Klauselumschreibung und Erteilung einer (zweiten) vollstreckbaren Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids.72

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66 BGHZ 104, 363, 366; Kemper NJW 1998, 3551; Cuypers MDR 2009, 657, 658; Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 8 ff. 67 Vgl. BGH NJW 1979, 2449; OLG Koblenz NJW 1977, 1735 f.; OLG München NJW 1978, 550; OLG Zweibrücken FamRZ 1987, 1275; OLG Frankfurt NJW-RR 1988, 773. 68 OLG Frankfurt/M. FamRZ 2011, 1238. 69 OLGR Karlsruhe 2006, 357; OLGR Karlsruhe 2004, 257 unter Aufgabe OLGR Karlsruhe 1999, 380; entgegen BayObLGR 2002, 276. 70 OLG Brandenburg BauR 2009, 702 entgegen OLGR Karlsruhe 2006, 357. 71 OLG Stuttgart Justiz 2011, 358 f. 72 OLG Stuttgart Justiz 2011, 358 f.

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c) Für den Kompetenzstreit zwischen Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten fehlt es an einem gemeinsamen zunächst höheren Gericht. Ein solches zunächst höheres Gericht ist auch nicht mit dem Gemeinsamen Senat der Obersten Bundesgerichte gemäß Art. 95 Abs. 3 GG konstituiert.73 Denn es handelt sich dabei nicht um ein Gericht im vorstehenden Sinne, sondern um einen gemeinsamen Spruchkörper der Obersten Bundesgerichte, dem im Übrigen keine Kompetenz-Kompetenz in den Angelegenheiten der §§ 36, 37 zusteht, sondern der dazu dient, durch seine Rechtsprechung die Rechtseinheit in der Judikatur der Obersten Bundesgesetze sicherzustellen.74 Die Zuständigkeit für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 liegt daher nach dem Prioritätsgrundsatz75 bei dem Obersten Bundesgericht, das zuerst mit der Sache befasst war. Dieses kann dann auch ein Gericht außerhalb seines Gerichtszweiges bestimmen.

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3. Gerichtsstandsbestimmung vor Anhängigkeit des Folgeverfahrens. Aus der Funktion des Verfahrens der §§ 36, 37, die effektive Rechtsverfolgung der Parteien durch im Wege gerichtlicher Bestimmung herbeizuführende Gewährung des gesetzlichen Richters zu ermöglichen, folgt, dass die Gerichtsstandbestimmung vor Klageerhebung beantragt werden kann. Dies ergibt sich in den Fällen der Nrn. 3 und 4 aus dem Wortlaut der Vorschrift, in dem ausdrücklich die Redewendung gebraucht wird, dass eine Klage „erhoben werden soll“. Aber auch in den Fällen der Nrn. 1 und 2 kann bereits vor Klageerhebung Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung gestellt werden. Für das zivilprozessuale Klageverfahren ist in der Rechtsprechung wiederholt entschieden worden, dass § 36 Abs. 1 Nr. 5 und 6 einen Zuständigkeitsstreit in einem rechtshängigen Verfahren voraussetzen, weil vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit keine rechtskräftigen Entscheidungen über die Unzuständigkeit im Sinne der Vorschrift erlassen werden könnten.76 Aber auch wenn die Fälle der Nrn. 5 und 6 vorauszusetzen scheinen, dass ein Gericht angerufen worden ist, ist entgegen den zitierten Entscheidungen eine Gerichtsstandsbestimmung vor Klagerhebung zulässig. So genügt vor Klageerhebung die tatsächliche Kompetenzleugnung beider Gerichte im PKH-Verfahren77 oder im selbständigen Beweisverfahren.78 § 36 Abs. 1 Nr. 6 ermöglicht damit die Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes auch im Verfahren wegen der Gewährung von Prozesskostenhilfe vor Rechtshängigkeit der Hauptsache, sofern das Verfahren wie hier durch Mitteilung der Antragsschrift an den Gegner in Gang gesetzt worden ist.79

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4. Gerichtsstandsbestimmung bei Anhängigkeit des Folgeverfahrens. Wenn auch regelmäßig das Bestimmungsverfahren vor Beginn des Folgeverfahrens, für das das zuständige Gericht bestimmt werden soll, beschritten werden wird, so ist es doch nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Folgeverfahren mit nicht gegebenem Gerichtsstand bereits anhängig bzw. rechtshängig ist. Dies wird in den Fällen der Nrn. 5 und 6 immer der Fall sein. Aber auch im Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 3 kann die Gerichtsstandsbestimmung nach Klageerhebung beantragt werden;80 in Mahnverfahren nach Erhebung des Wider-

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73 So aber Wieczorek 2. Aufl., Anm. A Ie, D VIa 5, E Ia 3; vgl. auch: Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 4, 32. 74 § 1 Abs. 1 RsprEinhG. 75 Vgl. BGH NJW 1955, 946; BGH NJW 1964, 1416; BGH NJW 1965, 1596; BGH NJW 1976, 330; BAG NJW 1974, 1840; BAG NJW 1993, 751; BAG NJW 1971, 581; BAG NJW 1984, 751; BSG NJW 1981, 784; BSG MDR 1989, 198; Stein/Jonas/Roth § 36 Rdn. 12; Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 32. 76 BAG AP § 36 Abs. 1 Nr. 17; BayObLGZ 1964, 224, 227 = NJW 1964, 1573, 1574; Jauernig NJW 1995, 2017. 77 OLG Dresden NJW 1999, 797. 78 BayObLG NJW-RR 1999, 1010. 79 BGH NJW-RR 1994, 706. 80 BGH NJW 1951, 656, RGZ 158, 222, 223.

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spruchs.81 Allerdings müssen auch dann noch die Bedingungen des Bestimmungsverfahrens gegeben sein. Jedoch kann eine bereits vorliegende Unzulässigkeitsentscheidung nur beseitigt werden, wenn die nachträgliche Bestimmung durch Einlegung eines – zulässigen – Rechtsmittels bzw. im Rechtsmittelverfahren des Gegners gebracht werden kann.82 5. Prozessvoraussetzungen des Bestimmungsverfahrens nach § 36 a) Prüfung der Prozessvoraussetzungen des Folgeverfahrens. Betreffen die Pro- 29 zessbedingungen das Bestimmungsverfahren, so sind sie ebenso zu prüfen als handle es sich um den Prozess in der Sache selbst. Namentlich ist daher die Partei-83 und die Prozessfähigkeit sowohl für den Antragssteller84 wie für den (bzw. die) Antragsgegner zu prüfen. Wie im übrigen gilt freilich, dass diese von Gerichts wegen (wie stets) nur geprüft werden, wenn dazu Anlass besteht. Es versteht sich von selbst, dass nicht zuletzt die Zuständigkeit des angegangenen Bestimmungsgerichts zu prüfen ist. Es genügt für die Gerichtsstandsbestimmung, dass der Kläger dieses Gericht aus ir- 30 gendeinem Grunde anrufen darf. Gleichgültig ist es in diesem Falle, ob er einen anderen Gerichtsstand wählen könnte.85 b) Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang, ob sich ein inländischer Gerichtsstand 31 aus dem Vorbringen des Antragsstellers ergeben kann, § 36 Abs. 1 Nrn. 1–6 und weiter ob es dem Antragssteller möglich ist, diesen selbst zu bestimmen, § 35. Zu beachten ist dann auch, ob ein ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart wurde und somit die oben genannte Möglichkeit verbaut ist.86 Diese Ausführungen gelten auch bei Gerichtsständen des Zusammenhangs. Können also die Erben, die in verschiedenen Gerichtsbezirken leben, im Gerichtsstand des § 27 verklagt werden, so ist eine Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht zulässig.87 Gleiches gilt, wenn der Ehemann gemeinsam mit der Ehefrau auf Duldung verklagt werden soll.88 Auch die Fälle, in denen bei einem bereits anhängigen Streit die Verweisung nach § 281 möglich ist, gehören hierher. Eine Bestimmung ist dann nicht mehr zulässig, wenn schon nach § 281 verwiesen wurde.89 Dagegen liegt ein Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 6 vor, sofern die Unzuständigkeit erst durch die bereits erfolgte Verweisung und deren unzulässige Rückverweisung entsteht.90 c) Keine Schlüssigkeitsprüfung der im Folgeprozess zu erhebenden Klage. Eine 32 Prüfung der Zulässigkeit oder Schlüssigkeit der Klage findet im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nicht statt – denn es kann nicht um eine Sachentscheidung über den im Prozess vor dem zu bestimmenden Gericht zu stellenden Antrag gehen, sondern allein um die Lösung des Zuständigkeitskonflikts.91 Dabei setzt das Gerichtsstandsbe-

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81 BGH NJW 1951, 275 unter Aufgabe der älteren Rechtsprechung von RGZ 115, 372. 82 Saenger-ZPO/Bendtsen § 36 Rdn. 24. 83 BAG AP § 36/5. 84 A.M. BayObLG DJZ 33/984. 85 Wieczorek 2. Aufl., Rdn. D Ic. 86 OGH NJW 1950, 385; BGH BB 1957, 941; Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. C Ib 1. 87 BayObLG Z 1951/40. 88 Vgl. RG JW 1935, 879. 89 RGZ 158, 222, 223. 90 Vgl. BArbG NJW 1970, 1702; BGH NJW 1955, 948. 91 OLG Frankfurt/M m. Anm. Felix Podewils jurisPR-HaGesR 1/2014 Anm. 5; Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 18.

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stimmungsverfahren wohl den Antrag einer Partei voraus (§ 37).92 Weil das Verfahren nach § 36 außerhalb des anzustrengenden Prozesses steht, ist grundsätzlich zwar nicht zu prüfen, ob der Klagevortrag schlüssig ist93 und ob die Prozessbedingungen für das Folgeverfahren gegeben sind; wohl aber müssen die Prozessvoraussetzungen des Bestimmungsverfahrens selbst gegeben sein – da es sich um einen Prozess handelt. Betreffen deshalb die Prozessbedingungen nur das Folgeverfahren, so bleiben sie außer Betracht.94 Dazu gehören auch die Einwendung des unzulässigen Rechtsweges für das Folgeverfahren, die Schiedsgerichtseinrede, der Rechtshängigkeitseinwand und der der rechtskräftig entschiedenen Sache, die Einrede der fehlenden Prozesskostensicherheit und der Kostenerstattung. Denn über alle diese Fragen ist erst im über den Sachantrag zu führenden Prozess als Folgeverfahren der Gerichtsstandsbestimmung zu entscheiden. Nicht geprüft werden im Besonderen alle sonstigen Prozessbedingungen des Folgeverfahrens. So gehört es insbesondere nicht zur Aufgabe des für das Bestimmungsverfahren zuständigen Gerichts, die Voraussetzung der ordentlichen Klageerhebung (§ 253) zu prüfen. Ebenso unterfällt es nicht der Kompetenz des nach § 36 bestimmenden Gerichts zu prüfen, ob die Prozessbedingungen einer Feststellungklage (§ 256) oder einer Klage auf zukünftige Leistung (§§ 257, 259) bestehen. 33

6. Prüfung der besonderen Prozessbedingungen der einzelnen Fälle des § 36. Während die bisherigen Ausführungen (insbes. Rdn. 29 f.) die allgemeinen Prozessvoraussetzungen des Prozess-Prozesses nach § 36 und die sich für das Bestimmungsverfahren überhaupt ergebenden Voraussetzungen betreffen, sind darüber hinaus die besonderen Prozessbedingungen der einzelnen Fälle des § 36 nach Lage des Falles zu prüfen. Diese Voraussetzungen ergeben sich aus den einschlägigen Normen. Sie müssen behauptet und, soweit sie nicht mit den Klagebehauptungen zusammenfallen (§ 12), bewiesen werden.95 Auch im Folgeverfahren sind die besonderen Prozessbedingungen des § 36, die 34 schon im Bestimmungsverfahren vorlagen, zu Grunde zu legen. Die Bestimmung wird aber immer dann hinfällig, wenn sie sich verändern96 oder verändert werden. Dies zumindest dann, wenn dadurch die Möglichkeit der Bestimmung geändert wird. Die Zuständigkeit kann sich allerdings aus § 39 ergeben, sofern es nicht gerügt wird.97 35

7. Folgen der Geltendmachung weiterer Ansprüche. Sofern die Rüge rechtzeitig erfolgt ist, dürfen weitere Ansprüche98 nicht geltend gemacht werden. Hier ist insbesondere der Fall zu nennen, dass nicht gegen weitere Beklagte (gegen die der Gerichtstand nicht begründbar ist) geklagt wird. Keine nachteiligen Auswirkungen zeitigt es dagegen, wenn der Klageantrag ermäßigt, also mit der Klage ein „Weniger“ verlangt wird. Ist in der Klage somit von mehreren Ansprüchen nur einer bzw. einige oder ein Teilanspruch genannt, so schadet das nicht.99 Dem steht es gleich, wenn der Kläger von mehreren Kla-

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92 BayObLG MDR 64/767. 93 BGH MDR 1951, 27 = NJW 1951, 78; RGZ 125, 299, 310. 94 BGH MDR 1951, 27 = NJW 1951, 78; RGZ 125, 299, 310. 95 BayObLG 17/168 für die, ob eine Streitgenossenschaft vorliege; doch kommt es insoweit nur auf den Antrag des Klägers an. 96 RG JW 1935, 1246; RG LZ 1930, 379, RG v. 20.5.1921 IV WarnR 107. 97 Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 36 C Ic. 98 Etwa der nur gegen einen Beklagten gerichtet ist: OLG Oldenburg NJW 1963, 1624. 99 RGZ 90, 30–35.

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gegründen nur einen oder wenige geltend macht.100 Ebenso kommt es nicht darauf an, ob mehrere Kläger101 oder weniger auftreten. Es schadet ebenfalls nicht weitere Klagegründe ohne Anspruchsveränderung hin- 36 zuzufügen: Insofern gilt der Grundsatz iura novit curia. Hier gilt es freilich zu differenzieren. Es darf nämlich nicht, wenn wegen mehrerer Beklagter der Gerichtsstand nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 beantragt wurde, gegen weniger Beklagte vorgegangen werden.102 Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass gerade der oder die Beklagte(n), für die das bestimmte Gericht zuständig wurde, weggelassen wurden.103 Anders verhält es sich, wenn gegen mehr als die ursprünglich angegebenen Beklagten der Prozess geführt werden. Dies ist unschädlich, wenn für die weiteren beklagten Personen derselbe Gerichtsstand gegeben ist, der nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt worden ist. Denn die Bestimmung wirkt zwar schon deshalb nicht gegen diese weiteren Personen, weil sie am Bestimmungsverfahren nicht beteiligt waren und sie daher in Ansehung der erfolgten Gerichtsstandsbestimmung kein rechtliches Gehör erlangt haben. Darauf kommt es aber nicht an, wenn sie ohnehin unter dem bestimmten Gerichtsstand verklagt werden können. Unerheblich ist es bei alledem, wenn inzwischen Gesamtrechtsnachfolge eingetreten ist.104 Denn der Rechtsnachfolger tritt in die durch die Gerichtsstandsbestimmung geschaffene prozessuale Lage ein. Nicht von Bedeutung ist zudem eine Veränderung der allgemeinen Prozessbedingungen. Entfällt z.B. die gesetzliche Vertretung, muss aber gegen die prozessfähige Partei Klage erhoben werden. Gleiches gilt auch umgekehrt. Unzulässig ist eine erneute Bestimmung bei einem kongruenten Anspruch. In Fällen der Einzelrechtsnachfolge des Antragsstellers bleibt sie dagegen bestehen, sofern diese in Bezug auf den Gegner nicht eingetreten ist.105 8. „Analogiefähigkeit“ der Tatbestände des § 36. Eine Zuständigkeitsbestimmung 37 nach § 36 kommt nicht in Betracht, wenn für mehrere gegen denselben Beklagten gerichtete prozessuale Ansprüche ein einheitlicher Gerichtsstand nicht gegeben ist.106 Die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands ist bei dieser Fallkonstellation nicht möglich; denn es liegt keiner der Fälle des § 36 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 vor. Auch eine entsprechende Anwendung des § 36 würde sich nach Ansicht des BayObLG „zu weit von dem Gesetz entfernen“ und kommt daher nicht in Betracht. Zwar sind die einzelnen Tatbestände des § 36 grundsätzlich analogiefähig. Für eine Analogie muss jedoch ein den gesetzlich geregelten Fällen vergleichbarer Sachverhalt vorliegen; das ist hier nicht der Fall. Eine Bestimmung der Zuständigkeit allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Prozesswirtschaftlichkeit ist nicht zulässig. Demgemäß scheidet die Bestimmung eines vom Gesetz nicht vorgesehenen einheitlichen Gerichtsstands für mehrere gegen denselben Beklagten gerichtete prozessuale Ansprüche nach allgemeiner Meinung aus.107

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100 RGZ 47, 256–262. 101 RG JW 1917, 602. 102 RGZ 115, 372. 103 Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. C Ic 2. 104 Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. C Ic 3. 105 Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. C Ic 3. 106 BayObLG JurBüro 2006, 39. 107 BGH FamRZ 1998, 1023; BayObLG NJW-RR 1999, 1293; Stein/Jonas/Roth § 36 Rdn. 5; MünchKomm/ Patzina § 36 Rdn. 4; Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 3.

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V. Funktion und Übersicht über die einzelnen Tatbestände des Abs. 1 Die gesetzliche Regelung der Fälle, in denen eine Gerichtsstandsbestimmung in Betracht kommt, ist vor dem Hintergrund der Garantie des gesetzlichen Richters abschließend.108 Eine ausdehnende Auslegung der Vorschrift auf andere Fälle ist auch dann ausgeschlossen, wenn die Bestimmung eines (anderen) Gerichtsstandes im Übrigen aus Zweckmäßigkeitserwägungen sinnvoll erschiene.109 Das zuständige Gericht kann, wenn ein Mahnverfahren vorangegangen ist und mehrere Antragsgegner Widerspruch oder Einspruch eingelegt haben, nicht mehr nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt werden, wenn auf Veranlassung des Klägers bereits beide Verfahren vom Mahngericht an verschiedene Prozessgerichte abgegeben wurden und der Kläger seine Ansprüche gegenüber beiden Streitgerichten begründet hat, ohne zugleich auf eine Zuständigkeitsbestimmung hinzuwirken.110 Die Tatbestände der Nrn. 1 (Verhinderung der Ausübung des Richteramtes im kon39 kreten Fall) und Nrn. 2 (Ungewissheit der Zuständigkeit in Ansehung der Grenzen der Gerichtsbezirke) verweisen auf Probleme der Feststellung der Zuständigkeit, die in der Justizorganisation liegen. Der Tatbestand der § 36 Abs. 1 Nr. 3 (Streitgenossenschaft) verweist auf die Beteiligten des Verfahrens, der des § 36 Abs. 1 Nr. 4 (Belegenheit des streitbefangenen Grundstücks) auf den Streitgegenstand. Die Tatbestände Nrn. 5 und 6 haben innerprozessuale Akte der Gerichte bei der Zuständigkeitsermittlung zum Gegenstand.

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VI. Rechtliche oder tatsächliche Verhinderung des Gerichts, § 36 Abs. 1 Nr. 1 40

1. Regelungsgegenstand. § 36 Abs. 1 Nr. 1 regelt den Fall, dass das anzugehende Gericht im Einzelfall nicht richten kann oder darf.111

2. Voraussetzungen. Ist jeder Richter des Gerichts, das in Betracht kommt, durch Gesetz von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, § 41, oder rechtswirksam durch Ablehnung ausgeschieden, § 42, so ist das Gericht rechtlich ausgeschlossen. Dasselbe gilt bei einem Kollegialgericht, wenn es so viele Richter betrifft, dass die Zahl, die das Gesetz für die Spruchtätigkeit im Einzelnen vorschreibt, nicht erreicht wird.112 Dies führt dann auch zur Rechtsfolge des § 245. In den anderen Fällen des § 245 ist das Gericht tatsächlich ausgeschlossen.113 Die Verhinderung muss sich auf den nach der Geschäftsverteilung zuständigen 42 Richter und seine geschäftsverteilungsmäßigen Vertreter114 beziehen; im Falle eines Kollegialgerichts muss sie sich dergestalt auswirken, dass auch unter Berücksichtigung der Vertretungsregelungen des Geschäftsverteilungsplans eine ordnungsgemäße Besetzung des Spruchkörpers nicht mehr in Betracht kommt.115 Eine solche Lage rechtlicher Verhinderung mag wegen Ausschluss vom Richteramt (Inhabilität – § 41) oder aufgrund erfolgreicher Ablehnung gemäß § 42 vorliegen.116 Der Streit um die angenommene Ablehnung 41

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108 BVerfG NJW 1957, 337; BVerfG NJW 1959, 871; Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 6; Thomas/Putzo-ZPO/ Hüßtege § 36 Rdn. 1 a.E. 109 OLG München MDR 2011, 942; Stein/Jonas/Roth § 36 Rdn. 5; MünchKomm/Patzina § 36 Rdn. 4. 110 OLG Hamm, Beschl. v. 14.4.2014 – 32 SA 14/14 – openJur 2014, 9967. 111 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 36 Rdn. 13. 112 RGZ 16, 413. 113 Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. D Ia. 114 Stein/Jonas/Roth § 36 Rdn. 20. 115 RGZ 16, 413, 414. 116 RGZ 44, 394, 395 f.

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nach § 45 Abs. 2 S. 2 als Kompetenzkonflikt zwischen den einzelnen Richtern desselben Gerichts (derselben Abteilung) – fällt unter § 36 Abs. 1 Nr. 6.117 Tatsächliche Verhinderungen kommen unter „normalen“ Verhältnissen nicht vor; sie setzen einen „Ausnahmezustand“ voraus, also den Stillstand der Rechtspflege wegen Krieges,118 Bürgerkrieges oder Naturkatastrophen, aufgrund derer die Ausübung der Rechtspflege im Gerichtsbezirk nicht möglich ist. Die Verhinderung muss zum Zeitpunkt des Bestimmungsverfahrens andauern. Allein das Stellen eines pauschalen Ablehnungsantrages gegen sämtliche Richter eines Kollegialgerichts durch eine Prozesspartei reicht nicht aus, um eine gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 herbeizuführen, weil das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes wegen Ausschlusses sämtlicher Richter von der Amtsausübung nach § 41 oder infolge einer Befangenheitsablehnung gemäß § 42 Abs. 1 rechtlich oder tatsächlich verhindert ist.119 Eine pauschale Ablehnung eines Spruchkörpers oder des gesamten Gerichts ist rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich, da nur einzelne Mitglieder eines Gerichts, die mit dem Verfahren befasst sind, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden können. VII. Ungewissheit der Zuständigkeit, § 36 Abs. 1 Nr. 2 1. Regelungsgegenstand. Ist unklar, in welchem von mehrere möglichen inländi- 43 schen Gerichtsbezirken der Tatbestand erfüllt ist, sodass entweder das eine oder das andere Gericht zuständig ist,120 greift § 36 Abs. 1 Nr. 2 ein. Hier lässt sich als Beispiel ein politischer Bezirk oder eine politische Gemeinde anführen, der bzw. die als Gerichtsstand vorgesehen ist, aber in mehrere Gerichtsbezirke geteilt ist, soweit auch keine Anordnung durch die Justizverwaltung weiterhilft. Ein weiteres Beispiel mag ein Ort sein, durch den eine Gerichtsgrenze verläuft. Es reicht jedoch nicht aus, dass der Kläger darüber Zweifel hat, sondern diese Zweifel müssen berechtigterweise entstehen können.121 Zulässig ist die Gerichtsstandbestimmung auch, wenn es um eine dingliche Klage geht, für die ein Gerichtsstand nach §§ 24 bis 26 gegeben ist.122 2. Einzelfragen. Auch wenn Ungewissheit über die Grenzen der jeweiligen in Frage 44 kommenden Gerichtsbezirke besteht, liegt ein Fall vor, in dem die Zuständigkeit deshalb in objektiver Hinsicht ungewiss ist, weil die Tatbestandsmerkmale ungewiss sind, aufgrund derer die Zuständigkeit für eine Sache in einem bestimmten Gerichtsbezirk begründet ist, und ein Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 in Betracht kommt. Im Einzelnen kann diese Ungewissheit auf Unklarheiten über den Verlauf der – gegebenenfalls bezirksüberschreitenden – Grundstücksgrenzen in Fällen der §§ 24 bis 26 zurückzuführen sein. Eine Spezialregelung trifft § 3 Abs. 1 S. 2 BinnSchVerfG, wenn sich die maßgebliche Tatsache auf einem Gewässer ereignet hat. Ist das Gewässer an der Grenze verschiedener Gerichtsbezirke belegen, so sind die Gerichte beider Ufer zuständig. Ein solcher Fall der Ungewissheit über die Grenzen der möglicherweise zuständigen 45 Gerichtsbezirke liegt z.B. vor, wenn ein Grundstückstausch, der sich auf zwei Grundstücke bezog, die in verschiedenen Gerichtsbezirken lagen, rückgängig gemacht werden

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117 118 119 120 121 122

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Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 29. BGHZ 7, 307, 310 = NJW 1952, 1413. OLGR Bremen 2008, 375 f. Vgl. Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. D II, IIa. Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 36 Rdn. 14; Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. D IIa. Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 15; Saenger-ZPO/Bendtsen § 36 Rdn. 12.

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soll. In solchen Fällen ist das Gericht nach dem Erfüllungsort zu bestimmen, vgl. § 29 Rdn. 36. Steht dagegen fest, dass ein Tatbestand in mehreren Gerichtsbezirken gegeben ist, 46 so hat der Kläger die Wahl, vgl. § 35. Ein derartiger Fall kann insbesondere bei unerlaubten Handlungen vorliegen, deren Tatbestandsvoraussetzungen in mehreren Gerichtsbezirken verwirklicht worden sind – was auf Fragen „fliegender Gerichtsstände“ verweist, vgl. § 32 Rdn. 43 f. In solchen Fallgestaltungen bedarf es der Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 nicht. VIII. Gerichtsstandsbestimmung bei Streitgenossenschaft, § 36 Abs. 1 Nr. 3 1. Grundsatz 47

a) Funktion der Vorschrift. § 36 Abs. 1 Nr. 3 betrifft die Fälle, in denen die Klage gegen mehrere Streitgenossen erhoben wird, die in ihrem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen, aber für die verschiedene Gerichte wegen der unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsstände zuständig sind.123 Es wird also eine Streitgenossenschaft auf Seite der Beklagten und nicht auf der Klägerseite vorausgesetzt (Rdn. 48, insbes. 49).124 Hintergrund der Vorschrift ist, dass ein besonderer Gerichtsstand der Streitgenossenschaft125 nach der ZPO nicht zur Verfügung steht;126 haben verklagte Streitgenossen keinen gemeinsamen allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand, bedarf es des als zu schwerfällig kritisierten127 Bestimmungsverfahrens gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3. Voraussetzung ist, dass ein entsprechender Antrag des Klägers gestellt wird; eine Gerichtsstandsbestimmung kann nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht von Amts wegen erfolgen;128 der Antrag eines Beklagten genügt nicht,129 auch nicht die Vorlageverfügung eines Gerichtes.130 Für die Begründetheit des Antrags kommt es allein auf die tatsächlichen Behauptungen des Klägers an, nicht aber darauf, ob diese zutreffen oder schlüssig sind.131

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b) Gestaltungen der Streitgenossenschaft. Bei der einfachen Streitgenossenschaft handelt es sich darum, dass mehrere Prozessrechtsverhältnisse verbunden werden, insbesondere um eine einheitliche Verhandlung mit einer, soweit geboten, einheitlichen Beweisaufnahme zu ermöglichen – was zur (prozessökonomischen) Beschleunigung führt und Ressourcen spart.132 Nicht erforderlich ist es dabei, dass die Entscheidung des Gerichts einheitlich erfolgen muss, vgl. §§ 59, 60. Notwendige Streitgenossenschaft aus materiell-rechtlichen Gründen liegt vor, wenn die Sachentscheidung für oder gegen die Streitgenossen einheitlich erfolgen muss und der streitbefangene Anspruch mehreren Personen zugeordnet ist und sie daher alle gemeinsam klagen bzw. verklagt werden

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123 Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. D III.; vgl. Albicker Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996; Vossler NJW 2006, 117. 124 Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. D III; Saenger-ZPO/Bendtsen § 36 Rdn. 13 m.w.N. 125 OLG Bremen ZInsO 2011, 1654 f. zu § 115 Abs. 1 § 36 Abs. 1 Nr. 2 VVG n.F. 126 Vgl. dazu kritisch Lorenz ZRP 2011, 182. 127 Vorauflage/Hausmann, § 36 Rdn. 30. 128 BGH NJW 1987, 439; BGH NJW-RR 1991, 767; a.A. BayObLGZ 1987, 289, 290. 129 BGH NJW 1987, 439; BGH NJW 1990, 2751 f. 130 OLGR Köln 1999, 78. 131 BayObLG NJW-RR 1998, 180. 132 Braun Lehrbuch des Zivilprozeßrechts (2014) § 23 Kap. 2 II 2. (S. 353 f.) sowie allgemein zur einfachen Streitgenossenschaft: § 68 Kap. 7 II (S. 1074 ff.).

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müssen.133 In solchen Fällen sind eine gemeinschaftliche Prozessführung und eine einheitliche Sachentscheidung aus der Struktur des materiellen Rechts geboten (vgl. § 62 Abs. 1). Im Zusammenhang des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 geht es um Fälle, in denen auf der Beklagtenseite eine notwendige Streitgenossenschaft aus materiell-rechtlichen Gründen vorliegt, was der Fall ist, wenn die in Anspruch genommenen Mitverpflichteten nur gemeinsam leisten können, wie z.B. bei Schuldnern einer unteilbaren Leistung, oder in Fällen einer notwendigen Streitgenossenschaft bei Gestaltungsklagen innerhalb von Personengesellschaften, wozu Streitigkeiten um die Auflösung der Gesellschaft (§ 133 HGB) oder um den Ausschluss eines Gesellschafters (vgl. § 140 Abs. 1 HGB, § 737 Satz 2 BGB) zu nennen sind. Liegt eine notwendige Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen vor, ist es nicht zwingend rechtlich geboten, alle Streitgenossen gemeinsam zu verklagen, da das Urteil im Wege der gesetzlichen Rechtskrafterstreckung auch gegenüber anderen Personen als dem Beklagten wirkt, wie das Urteil in einem Rechtsstreit zwischen einem Testamentsvollstrecker und einem Dritten zeigt, dass gemäß § 327 Abs. 1 auch gegenüber den Erben wirkt. Daher steht es dem klagenden Dritten frei, ob er nur den Testamentsvollstrecker oder auch die Erben verklagt, da er, selbst wenn er die Erben nicht mitverklagt, nach § 728 auch gegen diese eine Vollstreckungsklausel aus dem Urteil bekommen kann. Der Kläger befindet sich hier in einer Lage, die derjenigen der materiell-rechtlichen einfachen Streitgenossenschaft strukturell vergleichbar ist. c) Keine Gerichtsstandsbestimmung bei klägerischer Streitgenossenschaft. 49 Beide Fälle – der einer einfachen wie der einer notwendigen Streitgenossenschaft – fallen unter § 36 Abs. 1 Nr. 3, soweit es sich um Streitgenossenschaft von Beklagten handelt. Eine Zuständigkeitsbestimmung bei Gerichtsstandsmehrheit auf Klägerseite ist grundsätzlich nicht möglich. Eine Ausnahme soll nach Ansicht des OLG München hiervon gemacht werden, wenn der Kläger einer negativen Feststellungsklage überall dort klagen kann, wo die Leistungsklage mit umgekehrtem Rubrum zulässig wäre,134 also auch am Gerichtsstand des Klägers. Diese Ansicht führt aber nicht dazu, dass Klägern, die als einfache Streitgenossen (§§ 59, 60) Klage erheben wollen, ein Wahlrecht zwischen einer Vielzahl – nicht gemeinsamer – allgemeiner und etwaiger besonderer Gerichtsstände und damit der Sache nach ein unbeschränkter Wahlgerichtsstand – eingeräumt werden soll, obwohl ein gemeinsam zuständiges Gericht unproblematisch bestimmbar ist. d) Eine Gerichtsstandsbestimmung kann nach alledem daher nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 50 erfolgen, wenn die Beklagten gemäß § 62 in notwendiger, aber auch wenn sie gemäß §§ 59, 60 in einfacher Streitgenossenschaft verklagt werden.135 Es ist irrelevant, ob eine eigentliche (§ 59) oder uneigentliche (§ 60), selbstständige (§ 61) oder notwendige (§ 62) Streitgenossenschaft besteht.136 Streitgenossenschaft iSv. § 60 liegt nicht vor und die Bestimmung eines gemeinsa- 51 men Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 kommt nicht in Betracht, wenn der Kläger einen Verkehrsunfall mit abgeschlossen geglaubten Folgen erlitten hat, etwa ein Jahr später einen

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133 Vgl. allgemein zur notwendigen Streitgenossenschaft: Braun Lehrbuch des Zivilprozeßrechts (2014) § 68 Kap. 7 III (S. 1076 ff.). 134 OLG München OLG-Report 2009, 911. 135 BGHZ 88, 331, 332 = NJW 1984, 734; BGH NJW l986, 3209; BGH NJW-RR 1991, 381; BGH NJW 1992, 981; BAGE 44, 223, 224 f.; BayObLG NJW-RR 1990, 742; BayObLG MDR 1999, 807; OLG Celle 2001 , 97. 136 BGH NJW 1992, 981; BGH NJW 1998, 685, 686; OLG Celle OLGR 2001, 97; OLG Dresden OLGR 2003, 92; OLG Naumburg BeckRS 2013, 01878; OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2013, 15628; BeckOK-ZPO/Toussaint § 36 Rdn. 12; Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 14; Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 15; Stein/Jonas/Roth § 36 Rdn. 22.

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weiteren Verkehrsunfall mit anderem Gegner an anderem Ort erleidet und nun beide Unfallgegner und deren verschiedene Haftpflichtversicherer als Streitgenossen verklagt, weil er nicht weiß aber für möglich hält, dass die beim ersten Unfall erlittene Beeinträchtigung vielleicht sich im Gesamtbild der körperlichen Beeinträchtigungen nach dem zweiten Unfall ausgewirkt haben könnte.137 52

e) Ausgenommen hiervon sind die Fälle des Zusammenhangs (§ 12). Nicht hierher gehört der Fall der Hauptintervention (§ 64) und nicht der der Streithilfe, auch nicht der der streitgenössischen (§ 69), weil die so Betroffenen den Gerichtsstand der Klage hinnehmen müssen.138 Bei der Gerichtsstandsbestimmung ist im Hinblick auf die Dispositionsbefugnis der Parteien und den Rechtsgedanken des § 38 Abs. 3, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ein Einverständnis der Parteien im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 grundsätzlich zu beachten.139 2. Gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3

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a) Keine Schlüssigkeitsprüfung der Klage. Da im Bestimmungsverfahren nach §§ 37, 36 weder die Zulässigkeit noch die Schlüssigkeit der Klage, sondern nur die Zulässigkeit des Gesuchs geprüft wird (Rdn. 32), geht es im Falle des § 36 Abs. 1 Nr. 3 vornehmlich darum, ob die §§ 59, 60 schlüssig vorgetragen sind.140

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b) Eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 setzt daher voraus, dass mit dem Antrag („Gesuch“) verdeutlicht wird, gegen wen in der beabsichtigten Klage welche Anträge gestellt werden sollen.141 Aber: Nach einer überwiegenden in der oberlandesgerichtlichen Judikatur vertretenen Ansicht wird bei einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 die Auswahl unter den in Betracht kommenden Gerichtsständen nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und der Prozesswirtschaftlichkeit vorgenommen. Anträge auf Bestimmung eines bestimmten Gerichts werden als Anregung aufgefasst.142 Dabei ist aber nicht zu verkennen, dass in dem als Prozess-Prozess zu verstehenden Bestimmungsverfahren das zur Bestimmung angerufene Gericht jedenfalls den Parteien Gehör zu gewähren und Gelegenheit zu geben hat, auf die Entscheidung des Gerichts einzuwirken.

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c) Keine Bindung des Gerichts an den Antrag des Klägers bei der Auswahl des zuständigen Gerichts. Da es sich bei dem Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht um einen Sachantrag, sondern um einen Verfahrensantrag handelt, ist das bestimmende Gericht nicht an den Antrag des Klägers gebunden.143 Grundsätzlich ist ein Gericht zu wählen, bei dem einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.144 Ist ein Gericht im Verhältnis zu einem Streitgenossen prorogiert,145 oder ist gegen einen der Streitgenossen ein ausschließlicher Gerichtsstand (§ 24) begründet, kann das ausschließlich zuständige Gericht auch dann bestimmt werden, wenn in seinem Bezirk keiner der Streit-

_____ 137 138 139 140 141 142 143 144 145

OLGR Celle 2005, 663. Vgl. Saenger-ZPO/Bendtsen § 36 Rdn. 13. OLG Naumburg JurBüro 2011, 321. OLG Naumburg Prozessrecht aktiv 2013, 182. OLGR Düsseldorf 2005, 552 f. OLG Frankfurt BauR 2012, 692 m. Anm. Johannes Jochem IBR 2012, 184. OLG Hamm FamRZ 1980, 66. BGH NJW 1986, 3209; BGH NJW 1987, 439; Bay-ObLGZ 1991,343, 344. BGH NJW 1988, 646, 647.

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genossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.146 Bei der Ausübung des dem Gericht eingeräumten Auswahlermessens sind das räumliche Schwergewicht des Rechtsstreits,147 prozessökonomische Gesichtspunkte,148 die Bedeutung des Rechtsstreits für die Streitgenossen, die Konzentration gleichartiger Verfahren oder von Verfahren gegen einen Beklagten,149 Vertretung durch dieselbe Anwaltssozietät,150 vornehmlich aber Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich auf die Herstellung oder Wahrung der Waffengleichheit der Parteien beziehen. Nur auf diesen, das zivilprozessuale Verfahren konstituierenden Rechtssatz sich beziehende Zweckmäßigkeitserwägungen sollten bei der Gerichtsstandsbestimmung im Mittelpunkt stehen. Wird nach alledem beispielsweise ein Notar wegen fahrlässiger Verletzung seiner 56 Amtspflichten neben einem möglicherweise anderweitig ersatzpflichtigen Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen, ist schon die Entstehung eines solchen Anspruchs gegen den Notar und damit auch die Begründung eines Gesamtschuldverhältnisses mit dem Dritten ausgeschlossen, solange eine solche Ersatzmöglichkeit gegen den Dritten in Betracht kommt. Die gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 scheidet in einem solchen Fall mangels Bestehen einer Streitgenossenschaft aus.151 d) Der Bestimmung eines gemeinschaftlichen Gerichts für einfache Streitgenossen, 57 bei denen ein gemeinsamer Gerichtsstand nicht gegeben ist, steht es im Übrigen nicht entgegen, dass dadurch das die Streitgenossen schützende Bankgeheimnis berührt werden kann.152 3. Fehlen eines gemeinsamen Gerichtsstandes a) Grundsatz. Die Bestimmung des Gerichtsstandes nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 setzt vor- 58 aus, dass die Streitgenossen keinen gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand an einem deutschen Gericht haben.153 Vorausgesetzt ist daher, dass für die zu Verklagenden oder Verklagten kein gemeinsamer allgemeiner Gerichtsstand (§§ 12–19) und für das mit der Klage zu verfolgende Rechtsverhältnis kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand (§§ 20–32, 34)154 besteht. b) Fälle. Da für Gewährleistungsansprüche aus einem Grundstückskaufvertrag ein 59 besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes besteht, kommt auch bei unterschiedlichem Wohnsitz der Anspruchsgegner als Gerichtsstandsbestimmung § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht in Betracht. Als ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand ist weiter der erweiterte Gerichtsstand der Erbschaft nach § 28 anzusehen.155 Nimmt der Patient zunächst nur den mit der Erstversorgung befassten Notarzt auf Schadensersatz in Anspruch und stellt sich stattdessen ein Fehlverhalten des in einem anderen Landgerichtsbezirk gelegenen Krankenhauses heraus, in das der Kläger verlegt wurde, kann das Krankenhaus

_____ 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155

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BGH NJW 1987, 439; BGH NJW 1988, 646. BayObLGZ 1959, 270, 271 f.; 1987, 289, 290. BGHZ 90, 155, 157 = NJW 1984, 1624. BAGE 44, 225. BAGE 72, 61, 64. OLG Bremen NJW-RR 2012, 191. BGH NJW-RR 2006, 1289. BGH NJW 1986, 935; BGH NJW 1988, 1914; BayObLG WuM 2001, 86. BAG RdA 60/357. OLGR Rostock 2009, 216; OLG Schleswig NJW-RR 2008, 96 f.

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nicht durch eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 in das Verfahren gegen den Notarzt hineingezogen werden.156 60

c) Die Aufteilung der Unterlassungsanträge gegen die eine Vielzahl für die Gemeinschaftswerbung verantwortlicher Einzelhändler in zwei Verfügungsverfahren vor verschiedenen Landgerichten ist nicht geeignet, einen Rechtsmissbrauch des antragstellenden Wettbewerbsverbands zu begründen, wenn die Aufspaltung durch die Vorgabe von § 14 Abs. 2 S. 2 UWG prozessual geboten ist. Eine Bündelung der Verfahren zu einem Verfahren durch Antrag auf einheitliche Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 kann dem Verband jedenfalls nicht abverlangt werden. Ist die Aufspaltung nach Maßgabe von § 14 Abs. 2 S. 2 UWG prozessual geboten, steht dem Antragsteller der „fliegende Gerichtsstand“ des § 32 gerade nicht zur Verfügung. Eine Bündelung der Verfahren zu einem Verfahren durch Antrag auf einheitliche Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 kann dem Antragsteller jedenfalls nicht abverlangt werden. Abgesehen davon, dass die Antragsgegner jeweils eigenständige juristische Personen sind und damit nicht zwingend Interesse an einer einheitlichen Inanspruchnahme haben müssen, wäre der Antragsteller hier nicht verpflichtet, einem entsprechenden Interesse Rechnung zu tragen. Denn die Unterlassungsansprüche werden in einem Eilverfahren geltend gemacht. Ein Verfahren zur Bestimmung eines einheitlich zuständigen Gerichts hätte den Erlass der einstweiligen Verfügung jedenfalls nicht unwesentlich verzögert. Zudem hätte für den Antragsteller dann sogar die Gefahr bestanden, durch entsprechendes Vorgehen die Dringlichkeit der geltend gemachten Unterlassungsansprüche abgesprochen zu bekommen. Denn die Dringlichkeit entfällt, wenn die Ansprüche im Verfügungsverfahren nicht mit gebotenem Nachdruck verfolgt werden. In keinem Fall kann deshalb aus der Vorgehensweise des Antragstellers eine Motivation oder ein Zweck hergeleitet werden, der gegenüber der Anspruchsdurchsetzung zweckfremd wäre und deshalb Rechtsmissbrauch begründen würde.157

61

d) Soll die Klage auf mehrere Klagegründe gestützt werden, wobei sie an keinem der möglichen inländischen Gerichtsstände aber dennoch in Bezug auf alle wirksam erhoben werden könnte,158 so ist § 36 Abs. 1 Nr. 3 entsprechend anwendbar. Nicht entscheidend ist dabei, ob das gegenüber demselben159 oder anderen Beklagten geschehen soll.160 4. Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 in Fällen eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstandes der Streitgenossen

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a) Voraussetzungen. Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand steht einer Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 dann nicht entgegen, wenn das als zuständig in Betracht kommende Gericht, das mit der Sache schon befasst war, eine andere Auffassung zur Frage der Zuständigkeit vertritt; die Rechtsauffassung dieses Gerichts ist im Verfahren gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht zu überprüfen.161 Auch wenn für zwei Beklagte ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand – wie z.B. nach § 29c Abs. 1

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156 OLG Koblenz VersR 2011, 647. 157 LG Berlin Magazindienst 2012, 784. 158 BGH NJW 1954, 1932. 159 BayObLG Z 1951/13. 160 Wieczorek 2. Aufl., § 36 D IIIa 4. 161 OLGR Karlsruhe 2006, 357; OLGR Karlsruhe 2004, 257 unter Aufgabe OLGR Karlsruhe 1999, 380; entgegen BayObLGR 2002, 276.

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Satz 1 – gegeben ist, wird in der Rechtsprechung vertreten, dass es die Prozessökonomie gebiete, die Zuständigkeitsbestimmung – entgegen § 36 Abs. 1 Nr. 3 – nicht hieran scheitern zu lassen, wenn das zuständige und im Ergebnis als solches zu bestimmende Gericht erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat.162 Einen solchen Fall hatte das OLG Nürnberg-Fürth bei einer unerlaubten Handlung gemäß § 32163 bei ärztlichem Behandlungsfehler zu entscheiden gehabt. Aus prozessökonomischen Gründen ist aber eine Bestimmung dann geboten, wenn das mit der Sache befasste Gericht bereits erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat.164 Gleiches gilt, wenn im Rahmen von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ein allgemeiner und ein ausschließlicher Gerichtsstand zusammentreffen. Auch dann kann gleichwohl der allgemeine Gerichtsstand (aus Gründen der Prozessökonomie) als gemeinsamer Gerichtsstand bestimmt werden.165 Dies ist nachvollziehbar, aber mit Blick auf die Garantie des gesetzlichen Richters nicht zweifelsfrei. b) Grenzen. Für die Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ist aber kein Raum, wenn für 63 alle Klaggründe am selben Ort besondere Gerichtsstände begründet sind; denn nach dem Sinn des § 36 Abs. 1 Nr. 3 soll die Bestimmung des zuständigen Gerichts immer dann ausgeschlossen sein, wenn nach den Vorschriften über die besonderen Gerichtsstände ein Gericht für die Klage in ihrem ganzen Umfang zur Verfügung steht.166 Lässt sich daher ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand (z.B. der Deliktsgerichtsstand nach § 32, der erweiterte Gerichtsstand der Erbschaft nach § 28 oder der Vertragsgerichtsstand gemäß § 29)167 feststellen, welcher möglicherweise erst nachträglich begründet wurde, so schließt dies die Gerichtsstandsbestimmung ebenfalls aus.168 Ist der ursprünglich gegebene gemeinsame Gerichtsstand weggefallen, ist eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 möglich.169 Anders verhält es sich, wenn der Beklagte sich rügelos vor einem an sich örtlich oder sachlich unzuständigen Gericht eingelassen hat.170 Hat ein Beklagter einen Gerichtsstand im Ausland, ist dies unschädlich, wenn er wegen der gegen ihn erhobenen Klage wenigstens einen besonderen Gerichtsstand im Inland hat.171 Fehlt es an einem inländischen Gerichtsstand eines der Beteiligten, scheidet eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 aus.172 Die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 wird in der Praxis trotz der oben angeführten Bedenken nicht dadurch ausgeschlossen, dass gegen einen oder mehrere Streitgenossen ausschließliche Gerichtsstände begründet sind.173 Haben der frühere Prozessbevollmächtigte und der frühere Korrespondenzanwalt ihren Wohnsitz in verschiedenen bayerischen OLG-Bezirken, ist das BayObLG für die Entscheidung nach Abs. 1 § 36 Abs. 1 Nr. 3 zuständig gewesen.174

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162 OLG Naumburg 1 AR 30/13. 163 Vgl. auch OLGR Saarbrücken 2008, 164. 164 OLG Nürnberg-Fürth VersR 2010, 411 f. 165 OLG Brandenburg FamRZ 2009, 797 f. 166 BayObLGR 2005, 396. 167 OLGR Karlsruhe 2000, 403; OLG Stuttgart BB 2001,99; OLG Nürnberg NZBau 2007, 792. 168 BGH NJW 2000, 1871, Berlin 2000, 310; OLGR Hamburg 1997, 380; BayObLG DB 1999, 523; OLGR Köln 1999, 78; KGR 1999, 154; BayObLG NJW-RR 1996, 509 f.; BayObLG FamRZ 1999, 124; BayObLG NJW-RR 1998, 814. 169 A.A. Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 15. 170 OLG Düsseldorf OLGZ 1969, 441, 442 f. 171 BGH NJW 1971, 196; BGH NJW 1987, 439; BGH NJW 1988, 646. 172 BGH NJW 1980, 2646; BGH FamRZ 1990, 1225. 173 BGH NJW 1972, 1861; BGHZ 90, 155, 159 = NJW 1984, 1624; BGH NJW 1987, 459. 174 BayObLG NJW-RR 1996, 52.

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c) Deklaratorische Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3. Besteht bei einer Klage gegen Streitgenossen ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand, so kann nach richtiger Ansicht aber eine (deklaratorische) Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 3 getroffen werden, sofern das mit der Sache befasste Gericht das Bestehen eines gemeinsamen Gerichtsstands mit nachvollziehbaren Gründen in Frage stellt oder sich der gemeinsame Gerichtsstand nicht zuverlässig feststellen lässt.175 Die Grenze zur „konstitutiven“ Gerichtsstandsbestimmung mag hier fließend sein; das ist aber unschädlich, denn es geht darum, gleichsam die Ungewissheit über die Zuständigkeit verlässlich zu beseitigen.

5. Anforderungen an die Feststellung des Fehlens eines gemeinsamen Gerichtsstandes. Eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 setzt daher in der Regel die positive Feststellung des bestimmenden Gerichts voraus, dass ein gemeinsamer Gerichtsstand für die beabsichtigte Klage gegen mehrere Streitgenossen nicht gegeben ist. Für die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 genügt es aber auch, dass ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand der Streitgenossen nicht zuverlässig feststellbar ist.176 Dieser Satz gilt freilich nicht in dieser Allgemeinheit, sondern muss in der jeweiligen Prozesslage konkretisiert werden. Kommt nämlich nach dem Sachvortrag der Antragsgegner ein Gerichtsstand ernsthaft in Betracht, ist keine Lage gegeben, in der der gemeinschaftliche Gerichtsstand der Streitgenossen nicht zuverlässig feststellbar ist. Um Zweifel des zur Bestimmung berufenen Gerichts an dem ernsthaft in Betracht zu ziehenden gemeinsamen Gerichtsstand der Streitgenossen auszuräumen, ist es im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren Sache des Antragstellers, diese Möglichkeit auszuräumen. Gelingt ihm dies nicht, ist der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung in der Regel zurückzuweisen.177 Der Antrag lässt sich in solchen Fallgestaltungen daher nicht mit Erwägungen derart rechtfertigen, ein gemeinsamer Gerichtsstand sei „nicht zuverlässig feststellbar“. Denn kann das Gericht diese Feststellung nicht treffen, ist die Möglichkeit eines gemeinsamen Gerichtsstands zugrunde zu legen. Daher ist der Streit, ob der gemeinsame besondere Gerichtsstand des § 32 oder aber 66 der ebenfalls gemeinschaftliche ausschließliche Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 1 Nr. 1 gegeben ist, kein solcher, der im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3, § 37 entschieden werden kann. Ein einheitlicher gemeinsamer (besonderer) Gerichtsstand ist nämlich in beiden Fällen und unabhängig davon gegeben, dass eine Mehrheit von Parteien streitgenossenschaftlich verklagt wird. Einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bedarf es auch nicht wegen des Streits, ob der eine oder der andere (besondere) Gerichtsstand in Betracht kommt. In derartigen Fällen entscheidet das angerufene Prozessgericht über seine Zuständigkeit selbst, ggf. im Weg des Prozessurteils, wie dies auch unabhängig von einer bestehenden Streitgenossenschaft (§§ 59, 60; § 840 Abs. 1 BGB) geschehen müsste. § 36 ist auch dann nicht anzuwenden, wenn keine Unsicherheit darüber besteht, ob der eine Streitgenosse im selben (einheitlichen) Gerichtsstand wie der andere in Anspruch genommen werden kann. 67 Sollen mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen verklagt werden, ohne dass für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist, ist für die Gerichtsstandsbestimmung grundsätzlich das als erstes angerufene Oberlandesgericht zustän65

_____ 175 176 177

OLG München ZIP 2013, 435 f. BGH NJW-RR 2008, 1514 f. OLGR Karlsruhe 2005, 678 ff.

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dig, auch wenn in seinem Bezirk keiner der Streitgenossen seinen allgemeinen Wohnsitz hat.178 6. Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 auf andere Folgeverfahren als den streitigen Prozess in der Hauptsache a) Mahnverfahren

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aa) Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist, wie anerkannt ist, nicht auf gerichtliche Klageverfahren beschränkt. Die Regelung hat zum Ziel, der Antrag stellenden Partei die Möglichkeit zu geben, Personen, die von ihr materiell gemeinsam belangt werden, grundsätzlich auch verfahrensrechtlich einheitlich in Anspruch nehmen zu können. Dieser Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie kommt auch im Mahnverfahren in einer Konstellation wie der vorliegenden zum Tragen, denn andernfalls müsste der Antragsteller sich in der einheitlichen Sache an zwei Gerichte wenden, nur damit das Verfahren dann, wenn die Antragsgegner Widerspruch einlegen sollten, bei einem Prozessgericht wieder zusammengeführt wird. Verfahrensinteressen der Antragsgegner sind nicht berührt, weil ein Antragsgegner im Mahnverfahren ohnehin stets damit rechnen muss, dass dieses nicht in seinem allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand durchgeführt wird, sondern regelmäßig im Gerichtsstand des Klägers.179 bb) Keine Gerichtsstandsbestimmung bei Mehrzahl von Antragstellern im 69 Mahnverfahren. Mehrere Antragsteller mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen, die einen gemeinsamen Mahnbescheid gegen einen Schuldner beantragen wollen, haben für die Antragstellung die Wahl unter den Gerichten, bei denen einer oder mehrere von ihnen einen allgemeinen Gerichtsstand haben. Für eine Gerichtsstandsbestimmung – in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 – ist kein Raum.180 Der Fall, dass mehrere Antragsteller (mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen) als Streitgenossen im Mahnverfahren vorgehen, hat in § 689 keine ausdrückliche Regelung gefunden, vgl. unten § 689. Darin liegt kein Ausschluss einer solchen subjektiven Antragshäufung (vgl. §§ 688, 691).181 Ebenso wenig kann daraus entnommen werden, dass in einem Fall subjektiver Antragshäufung bei verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen der Antragsteller das zunächst höhere Gericht das zuständige Gericht zu bestimmen hätte. Vielmehr zeigt der Umstand, dass die auf andere Fälle zugeschnittene Bestimmung des § 36 Abs. 1 den Fall einer Mehrzahl von Antragstellern im Mahnverfahren nicht erwähnt, dass die Bestimmung des § 689 Abs. 2 i.V.m. § 35 zu verstehen ist. Soweit mehrere Antragsteller gemeinsam den Mahnbescheid beantragen wollen, haben sie daher für das Mahnverfahren die Wahl unter den Gerichten, bei denen einer oder mehrere von ihnen ihren allgemeinen Gerichtsstand haben. Auf Widerspruch bzw. Einspruch ist sodann der Rechtsstreit von Amts wegen an das gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 6, § 36 Abs. 1 Nr. 1 bezeichnete Gericht abzugeben. Demnach ist aber für eine Gerichtsstandsbestimmung kein Raum.182

_____

178 BGH MDR 2009, 46 gegen OLGR Karlsruhe 2006, 357; OLGR Hamburg 2006, 357 und BayObLG MDR 1999, 115. 179 KGR Berlin 2005, 970. 180 Abw. BayObLG FamRZ 1999, 1175; KGR 1999, 154. 181 BT-Drucksache 7/2729 S. 96 ff., ferner Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 7/5250 S. 13 ff. 182 BGH NJW 1978, 321.

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cc) Das zuständige Gericht kann, wenn ein Mahnverfahren vorangegangen ist und mehrere Antragsgegner Widerspruch oder Einspruch eingelegt haben, noch nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt werden, wenn der Antragsteller einen entsprechenden Antrag mit der Anspruchsbegründung stellt oder, bei Unkenntnis des dafür zuständigen Obergerichts, gegenüber den Streitgerichten zumindest ankündigt und den Antrag unverzüglich nachholt.183 Haben mehrere Personen bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand und sollen sie als Streitgenossen in diesem verklagt werden, ist die Bestimmung eines zuständigen Gerichts für die Klage nach der Rechtsprechung des BGH zwar nicht mehr möglich, wenn der Antragsteller gegen die Beklagten bereits vor verschiedenen Gerichten Klage erhoben hat.184 Der BGH hat die Grenzen, innerhalb derer dieser Grundsatz Geltung beanspruchen kann, aber näher gefasst. Entgegen der oberlandesgerichtlichen Judikatur, namentlich entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf greift der Ausschluss der Bestimmung des zuständigen Gerichts in solchen Fällen nicht, in denen der Anspruch gegen mehrere Streitgenossen zunächst im Mahnverfahren verfolgt worden ist. Nach vorangegangenem Mahnverfahren gegen mehrere Antragsgegner ist die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach überzeugender Ansicht des BGH185 grundsätzlich auch noch zulässig, nachdem Widerspruch bzw. Einspruch eingelegt worden ist und die Verfahren daraufhin an die im Mahnbescheidsantrag angegebenen, für die Antragsgegner als zuständig bezeichneten Gerichte abgegeben worden sind.186 Diese Entscheidung des BGH ist zwar zu einer Fassung von § 696 ergangen, der zufolge die Sache nach Widerspruch zwingend an das Gericht abzugeben war, bei dem der Antragsgegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hatte. Nichts anderes kann nach der neueren Judikatur des BGH187 jedoch gelten, wenn sich ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für den Rechtsstreit nicht zuverlässig feststellen lässt, was für eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 genügt.188 Denn die vorübergehende Verfahrenstrennung ist auch in einem solchen Fall in den gesetzlichen Regelungen für das Verfahren nach Einlegung des Widerspruchs oder Einspruchs gegen den Mahnbescheid angelegt und kann dem Antragsrecht auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 deshalb nicht entgegenstehen. Fehlt ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand, kann in der Angabe des für die Streitgenossen jeweils für die Durchführung des streitigen Verfahrens zuständigen Gerichts auch keine nach § 35 bindende Gerichtsstandswahl gesehen werden,189 da dies allein auf den zwingenden Voraussetzungen des Mahnantrages beruht und für das weitere streitige Verfahren keine endgültige Festlegung treffen soll. Daher stellt ein dem streitigen Verfahren vorangegangenes Mahnverfahren eine der Klageerhebung im Klageverfahren gegen mehrere Beklagte vor verschiedenen Gerichten vergleichbare Zäsur, nach der die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht mehr zulässig ist, erst dar, wenn der Antragsteller den Anspruch begründet (§ 697 Abs. 2), ohne zugleich damit auf eine Zuständigkeitsbestimmung hinzuwirken. Denn in einem derartigen Fall hat der Antragsteller an der Angabe des Abgabegerichts im Mahnantrag festgehalten, was als Akt einer Wahl nach § 35 angesehen werden kann. Anders ist dagegen der Fall zu beurteilen, wenn der Antragsteller im Zeitpunkt der Anspruchsbegründung mangels Kenntnis vom Zeitpunkt des Eingangs der Akten bei den

_____ 183 184 185 186 187 188 189

BGH NJW-RR 2013, 1531 f. BGH NJW-RR 2011, 929. BGH NJW-RR 2013, 1531 [Fn. 8]. BGH NJW 1978, 1982. BGH NJW-RR 2013, 1531 f. BGH NJW-RR 2008, 1514. BGH NJW-RR 2013, 1531 f. [Fn. 8 a.E.].

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verschiedenen Streitgerichten noch im Unklaren über das für den Antrag zuständige Oberlandesgericht ist. In einem solchen Fall reicht es nach der Judikatur des BGH190 aus, wenn er den Bestimmungsantrag in der Anspruchsbegründungsschrift zunächst nur ankündigt und die beteiligten Gerichte um diesbezügliche Mitteilung der Akteneingangsdaten bittet. Der Antrag muss freilich, wie der BGH191 betont hat, in solchen Fällen unverzüglich nachgeholt werden. Denn der Gedanke der Prozessökonomie gebietet es, dass ohne vermeidbare Verzögerungen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die getrennten Verfahren so bald wie möglich zusammengeführt werden können. Das OLG Düsseldorf192 hat seinen gegenteiligen Standpunkt damit begründet, der Antragsteller könne die Abgabe an verschiedene Gerichte verhindern, indem er entweder keinen Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellt oder – falls die Gegenseite dies beantragt – die Gebühr nach KV Nr. 1210 nicht entrichtet. Demgegenüber wendet der BGH ein, dass es dem Antragsteller grundsätzlich freistehen muss, sein gegen mehrere Schuldner gerichtetes Begehren im Rahmen der von der Zivilprozessordnung dafür bereitgestellten prozessualen Instrumentarien bestmöglich zu verfolgen und ihm deshalb nicht zuzumuten ist, davon abzusehen, den Verfahren gerade so Fortgang zu geben, wie es das Gesetz für eine Rechtsverfolgung gegen mehrere Antragsgegner an sich vorsieht und wie es für eine effektive Verfolgung des Anspruchs gegen alle Antragsgegner auch zweckmäßig sein kann, nur um das Antragsrecht auf Zuständigkeitsbestimmung nicht zu verlieren. Wenn nur bei einem der Antragsgegner die Abgabe an das Prozessgericht erfolgt ist, kann noch ein Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 gestellt werden, sofern kein gemeinsamer Gerichtsstand besteht und der Antragsteller daher mit der Benennung des Prozessgerichts im Mahnbescheidsantrag sein Wahlrecht gemäß § 35 noch nicht ausgeübt hat.193 b) Selbständiges Beweisverfahren. Ein Antrag auf Bestimmung des für die Durch- 71 führung eines selbständigen Beweisverfahrens gemeinschaftlich zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 zur Feststellung von Baumängeln sowie des Mängelbeseitigungsaufwandes durch ein Sachverständigengutachten gegen mehrere als Streitgenossen gesamtschuldnerisch haftende Antragsgegner mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen ist auch dann statthaft, wenn mit einem oder mehreren Streitgenossen ein ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart worden ist,194 es sei denn, die Beweisaufnahme ist bereits durchgeführt worden (vgl. Rdn. 84 f., insbes. Rdn. 86). Zweck der Zuständigkeitsregelung in § 486 Abs. 1 ist es, die vorgezogene Beweiserhebung durch ein selbständiges Beweisverfahren bei dem Gericht stattfinden zu lassen, dass sich voraussichtlich auch in dem Hauptsacheprozess mit den insoweit streitigen tatsächlichen Behauptungen der Parteien zu befassen hat.195 Deswegen ist es für die Frage der Zuständigkeit nach § 486 Abs. 1 unerheblich, ob der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens den Hauptsacheprozess aktiv führt oder sich lediglich gegen eine Klage verteidigt. Zur Vermeidung von Mehrkosten und divergierenden Entscheidungen ist es prozessökonomisch zweckmäßig, das mit einer Partei prorogierte Gericht auch im Verhältnis zu den anderen Streitgenossen als zuständig zu bestimmen, um die streitigen

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190 191 192 193 194 195

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BGH NJW-RR 2013, 1531 f. BGH NJW-RR 2013, 1531 f. [Fn. 9]. OLG Düsseldorf MDR 2013, 56 f. OLG Düsseldorf MDR 2013, 56 f. BGHZ 17, 117. BGHZ 17, 117.

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Fragen umfassend in einem Verfahren zu klären.196 Die Gerichtsstandsbestimmung auch im selbständigen Beweisverfahren hat gleichwohl zu unterbleiben, wenn von dem angerufenen Gericht bereits Beweisanordnungen getroffen und ein Sachverständiger beauftragt worden ist. Denn dann könnte, wie das OLG Naumburg erkannt hat, mit der Bestimmung des vereinbarten Gerichts der Zweck des Bestimmungsverfahrens (Prozessökonomie) nicht mehr erreicht werden.197 72

c) Vollstreckungsverfahren. § 36 Abs. 1 Nr. 3 greift grundsätzlich auch ein, wenn gegen mehrere Schuldner, denen die zu pfändende Forderung gemeinschaftlich zusteht, einheitlich vollstreckt werden soll.198 Sind für die Festsetzung von Vollstreckungskosten aus mehreren Kostenfestsetzungsbeschlüssen für und gegen dieselben Parteien verschiedenen Prozessgerichte zuständig, kann nicht nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ein gemeinsam zuständiges Gericht bestimmt werden – die Kosten können nur jeweils getrennt festgesetzt werden.199 § 36 Abs. 1 Nr. 3 ist daher zwar im Allgemeinen sinngemäß anzuwenden, wenn gegen mehrere Schuldner, denen eine zu pfändende Forderung gemeinschaftlich zusteht, einheitlich vollstreckt werden soll.200 Das ist etwa dann der Fall, wenn die Gläubiger eine den Schuldnern gemeinsam zustehende Forderung gegen die Drittschuldnerin pfänden wollen, und bezüglich der Antragsteller unterschiedliche Gerichtsstände begründet sind bzw. ein Gerichtsstand im Inland nicht vorliegt. Zu beachten ist aber, dass es Fallkonstellationen geben kann, in denen § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht zum Zuge kommt: Das OLG Köln hat die Ansicht vertreten, zur Durchsetzung einer Geldforderung im Wege der Forderungspfändung gegen mehrere gesamtschuldnerisch haftende Schuldner mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen fehle für eine gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 das Rechtsschutzinteresse, wenn der Gläubiger keine einheitliche Pfändung durch einen einheitlichen Beschluss gegen sämtliche Schuldner erstrebt, sondern gegen jeden einzelnen Schuldner einen gesonderten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss durch das jeweils zuständige Vollstreckungsgericht erwirkt.201 Denn wenn der Gläubiger in das den Schuldnern gesamthänderisch zustehende Recht im Wege der Forderungsvollstreckung vollstrecken möchte, kann er gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 in entsprechender Anwendung die Bestimmung eines für alle Schuldner zuständigen Amtsgerichts als Vollstreckungsgericht beantragen, wenn er eine Pfändung durch einen einheitlichen Beschluss anstrebt.202 Stattdessen kann der Gläubiger aber auch jeweils die gesamte Gesamthandsforderung durch die für jeden einzelnen Schuldner zuständigen Gerichte zugleich oder nacheinander pfänden lassen. Einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 bedarf es dann nicht. Möglicherweise dabei auftretende Zuständigkeitskonflikte zwischen einzelnen Gerichten, die sich jeweils für unzuständig halten, sind gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 zu lösen.

73

d) Insolvenzverfahren, Verweis über § 4 InsO. Außerhalb zivilprozessualer Verfahren kommt die Vorschrift insbesondere bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer BGB-Gesellschaft iSd. § 11 Abs. 2 InsO zur Anwendung,203 sofern nicht

_____ 196 197 198 199 200 201 202 203

OLGR Köln 2005, 584. OLG Naumburg BauR 2014, 1038. BayObLG KTS 1999, 128. OLG Karlsruhe Rpfleger 1997, 173. BayObLGR 2005, 851; BayObLGZ 1959, 270; Zöller/Stöber § 828 Rdn. 2. OLGR Köln 2005, 582. BayObLG, Rpfleger, 1983, 288; BayObLG, Rpfleger 1999, 31; Zöller/Stöber § 828 Rdn. 2. Vgl. Leonhardt/Smid/Zeuner-InsO/Smid/Leonhardt § 4 Rdn. 8.

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der Sitz der Gesellschaft feststellbar ist.204 § 11 Abs. 2 InsO verleiht der BGB-Gesellschaft nicht die passive Parteifähigkeit.205 Allerdings ist nach nunmehr geänderter BGH-Rechtsprechung die BGB-Gesellschaft, die aktiv am Rechtsverkehr teilnimmt, als parteifähig anzusehen.206 Entsprechend wird für die ARGE entschieden, dass das zuständige Gericht für eine zukünftige Klage gegen eine ARGE sowie gegen ihre Gesellschafter nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 durch das nächst höhere Gericht nach Wahl des Antragstellers bestimmt werden kann, wenn ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für die ARGE nicht vereinbart wurde, und ansonsten mehrere zuständige Gerichte in Betracht kommen.207 7. Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 auf Drittwiderklagen. Die Bestimmung über 74 den besonderen Gerichtsstand der Widerklage ist auf Drittwiderklagen gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung entsprechend anzuwenden.208 Eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 kann nur erfolgen, wenn Klägerin und Drittwiderbeklagter als Streitgenossen verklagt werden sollen. So liegen Entscheidungen vor, nach denen von dem Grundsatz, dass nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 regelmäßig nur ein Gericht bestimmt werden kann, bei dem einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, abgewichen werden kann, wenn – im Falle der parteierweiternden Drittwiderklage – bei ihm für einen der (wider-)beklagten Streitgenossen der Gerichtsstand des § 33 Abs. 1 begründet ist und für die widerbeklagten Streitgenossen kein gemeinschaftlicher allgemeiner Gerichtsstand besteht.209 Wird die Widerklage ausschließlich gegen den Drittwiderbeklagten erhoben liegt eine Streitgenossenschaft zwischen Klägerin und Drittbeklagtem nicht vor, so dass eine Gerichtsstandsbestimmung bei einer solchen isolierten Drittwiderklage ausscheidet.210 Nach Zuständigkeitsrüge des Drittwiderbeklagten darf das befasste Hauptsachegericht, fehlt ein entsprechender Antrag des Widerklägers, nicht von sich aus zum Zwecke der Bestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 vorlegen, § 37.211 Gegen die uneingeschränkte Heranziehung von § 36 Abs. 1 Nr. 3 spricht aber, dass 75 ein derartiges Verfahren vor dem Hintergrund des Art. 101 GG erhebliche Bedenken hervorrufen muss: Der gesetzliche Richter steht nämlich im Falle des ausschließlichen Gerichtsstandes fest und kann nicht etwa aufgrund Zweckmäßigkeitsüberlegungen überspielt werden und soll daher lediglich in Betracht kommen, wenn alle Streitgenossen notwendigerweise gemeinsam verklagt werden müssen.212 Daher ist eine § 36 erweiternde Auslegung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 auf Fälle der Widerklage gegen bislang nicht am Rechtsstreit beteiligte Personen bedenklich, sofern ein Gerichtsstand hinsichtlich der bisher am Verfahren Beteiligten bei dem Gericht der Hauptsachen nicht besteht.213

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204 BayObLGZ 1985, 314, 318 = NJW 1986,389 (LS); einschränkend. BayObLG NJW-RR 1990, 1020. 205 Vgl. die Begründung des Rechtsausschusses BTDrucks. 12/7302 S. 156. 206 BGH NJW2001, 1056. 207 BayObLG BauR 2005, 1524. 208 BGHZ 187, 112; BGH SVR 2010, 430 Abweichung von BGHZ 147, 220, 223; Fellner MDR 2011, 146 f.; Beck WRP 2011, 414 ff.; Leifeld, ZZP 2013, 509 ff.; Deubner JuS 2012, 33 ff.; Hofmann Jura 2011, 643 ff.; H. Roth in: Beys-F. (2003) 1353; Vossler NJW 2011, 462 f.; Gsell ZJS 2012, 117 ff.; OLG München NJW 2009, 2609. 209 OLG Hamm BauR 2014, 602. 210 BGH NJW 1992, 982; NJW 1993, 2120; BayObLG NJW-RR 2000, 1375; Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 17; Prütting/Gehrlein-ZPO/Wern § 33 Rdn. 19. 211 OLG Dresden JurBüro 2011, 544. 212 Vgl. auch Stein/Jonas/Roth § 36 Rdn. 22 ff. 213 A.A. BAG NZA 1997, 1420; KGR 1999, 269.

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8. Prozessuale Tatbestände, die zum Ausschluss eines Bestimmungsverfahrens führen 76

a) Bereits vorangegangene Gerichtsstandbestimmung. Ist auf Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ein gemeinsam zuständiges Gericht bestimmt worden, ist ein erneuter Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung unzulässig. Dieser Beschluss ist grundsätzlich bindend, und zwar selbst dann, wenn das bestimmende Gericht die tatsächliche Lage des Verfahrens nicht vollständig berücksichtigt hat oder Zuständigkeitsnormen nicht korrekt angewandt hat.214 Durch den Beschluss wird das bestimmte Gericht zuständig.215 Abänderungen des Bestimmungsbeschlusses kommen nur unter den Voraussetzungen der §§ 319 und 321 in Betracht, die hier nicht vorliegen. Eine erneute Gerichtsstandsbestimmung, die tatsächlich zu einer Abänderung der ersten Entscheidung führen würde, kommt demnach lediglich dann in Betracht, wenn der nach der Bestimmung erhobenen Klage ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt oder andere Parteien beteiligt sind.216

b) Rechtshängigkeit Die Bestimmung eines zuständigen Gerichts für eine Klage gegen mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben und als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen, ist nicht mehr möglich, wenn der Antragsteller gegen die Beklagten bereits vor verschiedenen Gerichten Klage erhoben hat.217 Die Rechtshängigkeit der Einzelklagen bewirke, dass die Zuständigkeit der angerufenen Gerichte gemäß § 261 Abs. 3 bestehen bleibe und auch in einem Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht mehr geändert werden dürfe. Die Rechtsprechung sieht aber eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 78 auch dann noch als zulässig an, wenn bereits Klage erhoben und die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Gerichts geltend gemacht worden war.218 Entscheidend war hierfür, dass die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht219 und es im Interesse der Parteien liegen kann, bei einer von vornherein gegen mehrere Beklagte (mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen) gerichteten Klage auch noch nach Klageerhebung ein für alle Beklagten zuständiges Gericht zu bestimmen, um die Entscheidung des Rechtsstreits durch ein einziges Gericht herbeizuführen. Diese Zweckmäßigkeitserwägungen müssen jedoch dann zurücktreten, wenn aufgrund des Prozessstandes die Bestimmung eines anderen als des mit der Klageerhebung angerufenen Gerichts aus Gründen der Prozessökonomie praktisch ausscheidet und damit dem übergeordneten Gericht im Ergebnis keine Wahlmöglichkeit bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bleibt.220 Der X. Zivilsenat des BGH221 hat darauf erkannt, dass eine Gerichtsstandsbestim79 mung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 auch noch nach einer Unterbrechung des Rechtsstreits durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführt werden kann. Steht einer Zuständigkeitsbestimmung durch das angerufene Gericht entgegen, dass 80 die Klagen gegen die Streitgenossen andererseits bereits bei unterschiedlichen Gerichten anhängig sind, kommt in diesem Stadium regelmäßig eine Gerichtsstandsbestimmung 77

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BGH FamRZ 1980, 670, 671; MünchKomm/Patzina § 37 Rdn. 7; Zöller/Vollkommer § 37 Rdn. 5. Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 6. OLG München NJW-RR 1988, 128. BGH NJW-RR 2011, 929. BGH NJW 1951, 656; OLGR Stuttgart 1999, 182; OLGR Zweibrücken 1998, 454; OLGR Koblenz 1998, 70. OLG Hamm NJW2000, 1347. BGH NJW 1978, 321; BGH LM § 36 Abs. 1 Nr. 6 zu § 36 Nr. 3. BGH, Beschl. v. 7.1.2014 – X ARZ 578/13.

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nicht mehr in Betracht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes in § 36 Abs. 1 Nr. 3 („… verklagt werden sollen …“) ist die Gerichtsstandsbestimmung für eine Klage gegen mehrere Streitgenossen vor Klageerhebung vorgesehen und nicht für eine bereits erhobene Klage. Das zur Gerichtsstandsbestimmung angerufene Gericht kann auf Antrag ein gemeinsam zuständiges Gericht bestimmen, wenn der Antragsteller/Kläger den Antrag vor Einreichung seiner Klage gestellt hat, nicht jedoch zu dem Zeitpunkt, zu dem seine Klage bereits erhoben wurde. In diesem Zusammenhang ist freilich zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung den Anwendungsbereich von § 36 Abs. 1 Nr. 3 in einem gewissen Umfang auch auf Fälle ausgedehnt hat, in denen bereits Klage gegen die Streitgenossen erhoben wurde. Maßgeblich für eine solche entsprechende Anwendung der Gesetzesvorschrift sind Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie. Wenn ein Kläger bei einer einheitlichen Klage gegen mehrere Streitgenossen übersehen hat, dass für die verschiedenen Beklagten unterschiedliche Zuständigkeiten gegeben sind, kann ggfs. mit einer Entscheidung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 eine Trennung des Verfahrens verhindert werden, um eine prozessökonomische gemeinsame Verhandlung und Entscheidung gegen sämtliche Beklagten zu ermöglichen.222 Danach sind für eine Zuständigkeitsbestimmung nach Klageerhebung verschiedene Zweckmäßigkeitserwägungen entscheidend. In der Rechtsprechung ist dabei anerkannt, dass eine Zuständigkeitsbestimmung nach Klageerhebung nicht mehr in Betracht kommt, wenn solche Zweckmäßigkeitserwägungen nicht durchgreifen bzw. wenn andere Erwägungen eine Zuständigkeitsbestimmung unzweckmäßig erscheinen lassen. Auch insofern ist die Berufung auf – woher auch immer zu nehmende – Zweckmäßigkeitsüberlegungen bedenklich. Denn durch die Gerichtsstandbestimmung wird der einmal durch Klageerhebung bestimmte gesetzliche Richter dem Streitgenossen unter Aufweichung der perpetuatio fori genommen. Ein gemäß § 35 zu beurteilender Verbrauch der Möglichkeit, ein Zuständigkeitsbe- 81 stimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 zu betreiben, ist aber dann nicht anzunehmen, wenn das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 zu einem Zeitpunkt anhängig gemacht worden ist, in dem die Klage noch nicht erhoben war. Unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie, dem das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 dient, kann der die Bestimmung beantragenden Partei nicht angelastet werden, wenn auf Grund der Dauer des Verfahrens nachträglich – d.h. nach Anbringung des Bestimmungsantrags – die Voraussetzungen für eine Bestimmung entfallen.223 c) Verweisung nach § 281. Die Bestimmung eines gemeinschaftlichen zuständigen 82 Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ist nicht mehr möglich, wenn Klagen gegen Parteien mit unterschiedlichem Gerichtsstand bereits auf Antrag des Klägers hin an unterschiedliche Gerichte bindend verwiesen worden sind.224 Sinn und Zweck des § 281 Abs. 2 und der dort angeordneten Bindungswirkung ist es, zur Vermeidung unnötiger Zuständigkeitsstreitigkeiten selbst sachlich unrichtige Verweisungsbeschlüsse hinzunehmen225 (BGH NJW-RR 1992, 902; BGH NJW 1993, 1273; BGH MDR 2002, 1446). Das OLG Köln226 hat seinen abweichenden Standpunkt darauf gestützt, dass es Sinn und Zweck des § 36 Abs. 1 Nr. 3 sei, Doppelarbeit der Gerichte und widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden. Dies rechtfertige eine praxisnahe Weiterauslegung des § 36 Abs. 1 Nr. 3. Auch bei einer weiten Auslegung von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ändert sich nach Ansicht des BGH jedoch nichts an der grundsätzlich

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Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 16. KGR Berlin 2005, 1007 f. BGH MDR 2006, 1182; OLGR Karlsruhe 2006, 242; OLG Karlsruhe MDR 2012, 544. BGH NJW-RR 1992, 902; BGH NJW 1993, 1273; BGH MDR 2002, 1446. OLG Köln MDR 1987, 851.

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bestehenden Bindungswirkung des § 281 Abs. 2. Von dieser Bindungswirkung wären Ausnahmen nur zu machen, wenn die Entscheidung des verweisenden Gerichts jeder Rechtsgrundlage entbehrt und deshalb objektiv willkürlich ist.227 Ist der Rechtsstreit hinsichtlich einzelner Streitgenossen auf Antrag des im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 antragstellenden Klägers bindend an das zuständige Gericht verwiesen worden, schließt dies nach alledem eine Gerichtsstandsbestimmung aus,228 es sei denn, die Tragweite der Bindungswirkung ist zu beurteilen (§ 36 Abs. 1 Nr. 3 analog).229 Zwar kann daher eine Gerichtsstandsbestimmung entgegen dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 auch noch nach Klageerhebung erfolgen und auch noch nach einem nicht bindenden Verweisungsbeschluss. Eine Gerichtsstandsbestimmung kommt aber dann nicht mehr in Betracht, wenn ein bindender Verweisungsbeschluss gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ergangen ist.230 83

d) Erstinstanzliche Entscheidung gegen einen der Beklagten.231 Der Bestimmung des zuständigen Gerichtes nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 steht entgegen, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache bezüglich Streitgenossen bereits rechtskräftig entschieden ist. Denn eine Gerichtsstandsbestimmung scheidet dann aus, wenn der Rechtsstreit gegen einen der Beklagten bereits entschieden ist. In diesem Fall ist nämlich die Möglichkeit einer gemeinsamen Entscheidung des Rechtsstreites in der Hauptsache als Zweck der Gerichtsstandsbestimmung nicht mehr länger gegeben.232 Die geschaffene Prozesssituation entspricht der Konstellation, dass die Klägerin den Antragsgegner isoliert in Anspruch nehmen muss, weil die Beklagten etwa den Anspruch außergerichtlich anerkannt haben. Auch in diesem Fall käme eine Gerichtsstandsbestimmung nicht in Betracht; der Antragsgegner muss dann daher an seinem allgemeinen Gerichtsstand in Anspruch genommen werden. Eine Gerichtsstandsbestimmung scheidet auch dann aus, wenn dem bestimmenden Gericht keine echte Wahl zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes mehr bleibt. Der Sinn der Gerichtsstandsbestimmung und der damit verbundene Eingriff in die Bestimmung des gesetzlichen Richters werden unterlaufen, wenn die klagende Partei letztlich durch ihre Verzögerung des Antrages auf Bestimmung des zuständigen Gerichtes und die dann geschaffene Prozesssituation dem bestimmenden Gericht mangels Wahlmöglichkeit faktisch vorgibt, welches Gericht zu bestimmen ist.233 In dieser Konstellation kann die Möglichkeit der Gerichtsstandsbestimmung ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Ein Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung eines Beteiligten nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ist daher jedenfalls dann unzulässig, wenn hinsichtlich der übrigen Beteiligten bereits durch rechtskräftiges Teil-Versäumnisurteil entschieden worden ist.234

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e) Vorangegangene Beweisaufnahme im Prozess. Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 kann nach der Rechtsprechung235 zwar noch nach Klageerhebung, aber nicht mehr nach Durchführung einer Beweisaufnahme zur Hauptsache oder nach Entscheidung des Rechtsstreits gegen einen der beiden Beklagten vorgenommen werden. Eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 für eine beabsichtig-

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227 BGH NJW 1993, 1273. 228 RGZ 158, 222, 223; BayObLGZ 1992, 89, 90; a.A. OLG Köln MDR 1987, 851 m. abl. Anm. Vollkommer. 229 Vgl. Scherer ZZP 1997, 167. 230 BayObLG WM 2005, 2157. 231 BGH NJW 1978, 321. 232 BGH NJW 1978, 321. 233 BayObLGZ 92, 90; OLG Düsseldorf MDR 2002, 1209 für den Fall, dass gegen einen Beklagten bereits ein bindender Verweisungsbeschluss ergangen ist. 234 OLGR Koblenz 2005, 958. 235 BGH NJW 1978, 321; OLGR Zweibrücken 1998, 454; OLGR Koblenz 1998, 70.

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te Parteierweiterung scheidet daher jedenfalls dann aus, wenn das landgerichtliche Verfahren schon über eine längere Zeit andauert und bereits mit der Beweisaufnahme begonnen wurde.236 Eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 für eine beabsichtigte Partei- 85 erweiterung scheidet weiterhin aus, wenn nach bereits begonnener Beweisaufnahme eine Prozesstrennung nach § 145 in Betracht käme.237 In einem derartigen Fall ist es dem Gericht jedoch immer unbenommen, angesichts der bereits durchgeführten Beweisaufnahme aus prozessökonomischen Gesichtspunkten eine Prozessverbindung nach § 145 abzulehnen und eine Prozesstrennung vorzunehmen. Dies liegt nahe, wenn im Hinblick auf die nachträgliche Parteierweiterung die Wiederholung der bereits erfolgten Beweisaufnahme oder eine gegebenenfalls umfangreiche Ausdehnung der Beweisaufnahme auf Umstände in Betracht kommt, die für das begonnene Verfahren nicht entscheidungserheblich sind. Das bestimmte Gericht wäre dann durch die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ohne einen hinreichenden Grund örtlich zuständig und dem Antragsgegner wäre die Möglichkeit genommen, auch im Fall der Prozesstrennung nach § 145 die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit zu erheben. Der die Gerichtsstandsbestimmung betreibenden Partei steht daher ein einfacherer Weg als der Gerichtsstandsbestimmung zur Verfügung, um das erstrebte Ziel zu erreichen. f) Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren. Nach alledem kann eine 86 Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 im selbstständigen Beweisverfahren überdies dann nicht mehr erfolgen, wenn dort die Beweisaufnahme bereits begonnen hat oder abgeschlossen ist.238 Nach Durchführung einer Beweisaufnahme scheidet aufgrund des Prozessstands die Bestimmung eines anderen als des mit der Klageerhebung angerufenen Gerichts aus Gründen der Prozessökonomie praktisch aus, so dass dem übergeordneten Gericht im Ergebnis keine Wahlmöglichkeit bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bleibt.239 Diese Überlegungen gelten nicht nur für das Klageverfahren, sondern auch für das selbständige Beweisverfahren (oben Rdn. 84). g) Keine Unterbrechung des Bestimmungsverfahrens nach § 240. Einer Ge- 87 richtsstandsbestimmung steht dagegen nicht entgegen, dass gemäß § 240 Satz 1 durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Rechtsstreit gegen die Schuldnerin unterbrochen ist. Die Unterbrechung des Rechtsstreits durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der beklagten Partei hindert die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht,240 weil die Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht die Hauptsache selbst betrifft, sondern nur die Zuständigkeit und daher nur vorbereitenden Charakter hat.241 Der Massebezug, der Grund der Unterbrechung von Passivprozessen ist, liegt daher hier nicht vor.

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236 237 238 239 240 241

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OLG Bremen MDR 2011, 188 f. OLG Karlsruhe Justiz 2005, 451. OLG Hamm MDR 2013, 116. BGH NJW 1978, 321. BGH ZIP 2014, 243 f. BayObLGZ 1985, 314, 315 f.

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9. Anknüpfungspunkte bei Fehlen eines allgemeinen Gerichtsstandes a) Eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 darf sich grundsätzlich nicht über eine ausschließliche Zuständigkeit hinwegsetzen; sie ist grundsätzlich auf die Auswahl zwischen mehreren allgemeinen Gerichtsständen beschränkt.242 Ist ein Gericht für einen Streitgenossen ausschließlich zuständig, so kann es daher 89 auch dann als gemeinsam zuständiges Gericht bestimmt werden, wenn keiner der Streitgenossen dort seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Richtet sich eine Zahlungsklage des Vermieters gegen die Mieter sowie den Bürgen einer Mietkaution, so ist der Zuständigkeit des Gerichts in Ortsnähe zu den Mieträumen vor dem Gericht am Sitz des Bürgen der Vorzug zu geben.243

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b) Anzuwenden ist § 36 Abs. 1 Nr. 3 daher, wenn der allgemeine Gerichtsstand des oder der Beklagten zum gesetzlich ausschließlichen erklärt worden ist.244 So auch bei den Klagen auf Erteilung der Vollstreckungsklausel einer vollstreckbaren Urkunde gegen mehrere, verschiedenen Gerichtsbezirken angehörende Schuldner245 und selbst dann, wenn diese Schuldner durch negative Feststellungklagen die Vollstreckbarkeit einer Urkunde abwehren wollen, weil sich der Gerichtsstand nach den Schuldnern richtet, wenn sie klagen,246 oder wenn in eine Forderung vollstreckt werden soll, die mehreren Schuldnern gemeinsam zusteht.247 Bei einer Klage aus § 771, für die ein besonderer Gerichtsstand gegeben ist, ist § 36 Abs. 1 Nr. 3 entsprechend anzuwenden, wenn sie sich gegen mehrere Gläubiger richtet.248 10. Abweichung vom Grundsatz der Bestimmung eines Gerichts, bei dem ein Streitgenosse seinen allgemeinen Gerichtsstand hat

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a) Eine Abweichung von dem Grundsatz, dass im Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 3 nur ein Gericht bestimmt werden kann, bei dem einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat,249 kann aus sachlich vorrangigen Gründen gerechtfertigt sein, wenn das Grundstück, welches im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens250 auf Mängel begutachtet werden soll, am Ort des für zuständig bestimmten Gerichts belegen ist und die Antragsgegner ebenso wie die Antragsteller mit der Bestimmung des fraglichen Gerichts als örtlich zuständiges Gericht einverstanden sind und zwar gerade wegen der dortigen Belegenheit des Grundstücks.251 Eine Abweichung von dem Grundsatz der Bestimmung eines Gerichts des allgemeinen Gerichtsstandes eines der Streitgenossen soll zwar aus Zweckmäßigkeitserwägungen nicht in Betracht kommen. Die Zuständigkeitsregelung insbesondere der §§ 12 und 13, die der – meist gegen ihren Willen – mit einer Klage überzogenen Partei die Vergünstigung einräumt, den ihr aufgezwungenen Rechtsstreit am Gericht ihres Wohnsitzes führen zu können, soll im Interesse einer prozessual

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242 243 244 245 246 247 248 249 250 251

OLGR Düsseldorf 2005, 552 f. OLG Düsseldorf MDR 2012, 1119. BayObLG Z 1951, 43; vgl. § 802. RGZ 36, 347. RGZ 45, 391; Wieczorek 2. Aufl. Rdn. D IIa 2. RGZ 163, 200–210; BayObLG MDR 1960, 57. Wieczorek 2. Aufl. Rdn. D IIa 2; a.A. RGZ 31, 381. BGH NJW 1987, 439 f.; BGH NJW 1986, 3209 f. Vgl. auch OLG Naumburg BauR 2007, 1623. OLGR Hamburg 2006, 25 f.

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gerechten Lastenverteilung möglichst eingehalten werden. Abweichungen von dieser Regel können jedoch aus sachlich vorrangigen Gründen gerechtfertigt sein.252 b) Den Interessen des Beklagten ist bei der Durchführung des Bestimmungsver- 92 fahrens in Fällen, in denen zugunsten eines der Beklagten ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist, im Verfahren nach §§ 36, 37 Rechnung zu tragen.253 Dies gilt auch für den ausschließlichen besonderen Gerichtsstand nach § 14 Abs. 1 UWG, also für Fälle, wenn mehrere Wettbewerber gemeinsam verklagt werden sollen.254 c) Weiter kann im Rahmen der gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 93 Abs. 1 Nr. 3 von dem Grundsatz, dass nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 regelmäßig nur ein Gericht bestimmt werden kann, bei dem einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, weiterhin abgewichen werden, wenn dies sachliche, vorrangige Gründe rechtfertigen. Ein solcher eine Abweichung rechtfertigender Ausnahmefall kann unter der Voraussetzung vorliegen, dass ein besonderer Gerichtsstand gemäß § 29 gegeben ist, der durch den Standort des Bauwerks bestimmt wird.255 Sollen der Reiseveranstalter und das die Beförderung durchführende Flugunternehmen als Gesamtschuldner auf Schadensersatz wegen verspäteten Rückflugs in Anspruch genommen werden, besteht ein gemeinsamer Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Abflugsort. Die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ist deshalb weder zulässig noch erforderlich.256 d) Sind in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis mehrere besondere Gerichtsstän- 94 de gegeben,257 genügt es, wenn einer dieser mit einem solchen besonderen der anderen zusammenfällt. Auch reicht es aus, wenn der Kläger die Beklagten in einem, sei es allgemeinen, sei es besonderen Gerichtsstand gemeinsam belangen könnte, selbst wenn ein vertraglicher Gerichtsstand den gemeinsamen ermöglicht.258 e) Wie oben ausgeführt, entspricht es einer verbreiteten oberlandesgerichtlichen 95 Rechtsprechung, dass bei einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 die Auswahl unter den in Betracht kommenden Gerichten nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Prozesswirtschaftlichkeit erfolgt. Handelt es sich beispielsweise um einen Rechtsstreit aus einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten, die von enttäuschten Anlegern gegen die Anlagegesellschaft, gesellschaftsnahe Personen, Vermittler etc. anhängig gemacht wurden und die in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht gleich oder ähnlich liegen und vor dem Hintergrund der geltend gemachten Ansprüche ohne Aufklärung der Verhältnisse der Anlagegesellschaft nicht sachgerecht beurteilt werden können, so erscheint es zweckmäßig, Verfahren, die Lebenssachverhalte solcher Art zum Gegenstand haben, auch dann bei dem ortsnahen Gericht am Sitz des Anbieters der Vermögensanlage zu konzentrieren, wenn allenfalls hinsichtlich der beklagten Gründungs- und Treuhandkommanditistin ein ausschließlicher Gerichtsstand

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252 253 254 255 256 257 258

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BGH NJW 1986, 3209 f. BGHZ 90, 155, 160 = NJW 1984, 1624. Vgl. RG JW 1936, 189. OLG Hamm BauR 2014, 602 unter Abweichung von OLG Hamm MDR 2012, 799. OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2013, 59. RGZ 31, 381. OGH NJW 1950, 385.

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gemäß § 32b Abs. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 1 in Betracht kommt und ein Fall der Prospekthaftung im engeren Sinn nicht vorliegt. 96

11. Einschränkung der Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung. Dagegen kommt eine Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 nur eingeschränkt in Betracht, wenn der Kläger mit einem der Streitgenossen eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hat,259 da der prorogierte Gerichtsstand dem begünstigten Streitgenossen nicht über § 36 Abs. 1 Nr. 3 entzogen werden kann. Der BGH260 hat § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht angewandt, soweit ein gemeinsamer, allgemeiner Gerichtsstand mehrerer zu Verklagender bestand, aber der allgemeine Gerichtstand eines der zu Verklagenden von diesem (wirksam) vertraglich abbedungen worden (§ 38) ist. Der durch zulässige Prorogation begründete Gerichtsstand des Hauptschuldners kann aber auch nicht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 dem Bürgen aufgedrängt werden.261 Die Gerichtsstandsvereinbarung kann aber als Entscheidungsmaßstab der Gerichts97 standsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 fungieren. Hinsichtlich der Zuständigkeit des OLG für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 kommt es nicht darauf an, ob in dem Bezirk des angerufenen Amtsgerichts (oder demjenigen des übergeordneten Landgerichts) einer der Streitgenossen seinen Wohnsitz oder Geschäftssitz hat. Es genügt jedenfalls, dass eine nicht offensichtlich unwirksame Gerichtsstandsvereinbarung einen möglichen Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bzw. des übergeordneten Landgerichts bildet.262

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12. Sachliche und funktionelle Zuständigkeit. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 kann nach der höchstrichterlichen Judikatur entgegen dem Wortlaut der Vorschrift das zuständige Gericht auch dann bestimmt werden, wenn für die verklagenden Streitgenossen verschiedene sachliche Zuständigkeiten begründet sind. Eine – örtlich oder sachlich – ausschließliche Zuständigkeit hindert die Bestimmung nicht.263 Konflikte wegen der funktionellen Zuständigkeit können ebenfalls nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 entschieden werden, beispielsweise, wenn nur für einen von mehreren verklagten Streitgenossen die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründet ist.264

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13. Fehlender inländischer Gerichtsstand eines der Beklagten. § 36 Abs. 1 Nr. 3 findet auch Anwendung, wenn für einen der Antragsgegner im Inland lediglich ein besonderer Gerichtsstand nach unionsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen begründet ist und die anderen Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben. Bei Konkurrenz mit Gerichtsständen nach der Brüssel I-Verordnung hat das Gericht kein Auswahlermessen, welches Gericht als (örtlich) zuständig zu bestimmen ist. Eine aus dem europäischen Zivilverfahrensrecht folgende abschließende Zuständigkeitsregel kann im Bestimmungsverfahren nicht überwunden werden.265 Die sich aus dem europäischen Zivilverfahrensrecht ergebende abschließende Zuständigkeitsregel kann im Rahmen des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 – anders als die im nationalen Prozessrecht geregelten ausschließlichen Zuständigkeiten – nicht überwunden werden,

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259 BGH NJW 1988, 646, 647; ablehnend: BGH NJW 1983, 996 § 36 Abs. 1 Nr. 7. 260 BGH BB 1957, 941. 261 BayObLGZ 1999, 75. 262 BGH NJW-RR 2009, 173; BGH NJW 2008, 3789 gegen OLGR Karlsruhe 2006, 357. 263 BGHZ 90, 155, 156 = NJW 1984, 1624 entgegen OLG Köln NJW 1961, 2355; OLG Düsseldorf OLGZ 1975, 351 f.; OLG Oldenburg NJW 1963, 1626; OLGR Koblenz 1998, 70. 264 OLG Frankfurt/M. OLGZ 1992,463 f. = NJW 1992, 2900; OLGR Koblenz 1998, 70. 265 BGH NJW-RR 2013, 1399 f.

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weil ansonsten der durch den europäischen Gesetzgeber im internationalen Zuständigkeitsrecht getroffene Interessenausgleich beeinträchtigt würde. Im Übrigen kommt es darauf an, dass das Merkmal des § 36 Abs. 1 Nr. 3, wonach die 100 Vorschrift für Fälle gilt, in denen mehrere Beklagte an ihrem allgemeinen Gerichtsstand in Anspruch genommen werden sollen, aber lediglich den Umstand kennzeichnet, dass in einer prozessualen Lage, in der Streitgenossen mangels entsprechender Zuständigkeitsnormen nicht gemeinsam an einem (besonderen) Gerichtsstand verklagt werden können, zunächst nur die Inanspruchnahme eines jeden Streitgenossen an seinem allgemeinen Gerichtsstand bleibt. Ein darüber hinausgehender Stellenwert kommt dem Merkmal nicht zu. Insbesondere steht der Gerichtsstandsbestimmung nicht entgegen, dass eine der Beklagten ihren Sitz und damit ihren allgemeinen Gerichtsstand nicht in Deutschland hat, sondern im Ausland, sie dort aber gerade nicht in Anspruch genommen werden soll.266 Das Gericht, bei dem für einen auslandsansässigen Streitgenossen ein besonderer 101 Gerichtsstand eröffnet ist, kann im Rahmen von § 36 Abs. 1 Nr. 3 auch dann als gemeinsam zuständig bestimmt werden,267 wenn in seinem Bezirk (auch) keiner der übrigen zu verklagenden Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.268 § 36 Abs. 1 Nr. 3 findet Anwendung, wenn hinsichtlich eines Antragsgegners im In- 102 land lediglich ein besonderer Gerichtsstand nach unionsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen begründet ist und die anderen Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben. Ergibt sich der Gerichtsstand eines Antragsgegners aus einer abschließenden Zuständigkeitsbestimmung der Brüssel-I-Verordnung, ist das Auswahlermessen des Gerichts im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 eingeschränkt.269 14. Für die Bestimmung nach § 36 Abs. 3 zuständiges OLG. Wird gegen verschie- 103 dene Streitgenossen in ihrem allgemeinen Gerichtsstand gleichzeitig Klage erhoben, so ist das gleichzeitig angerufene OLG für die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 zuständig.270 Nach § 36 Abs. 2 ist in den Fällen, in denen das zunächst höhere Gericht der BGH ist, das OLG zuständig, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (unten Rdn. 138). 15. Kostenentscheidung. Wird ein Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 104 Abs. 1 Nr. 3 zurückgewiesen oder zurückgenommen, ist jedenfalls dann keine Kostenentscheidung veranlasst, wenn das Hauptsacheverfahren bereits rechtshängig ist und die Antragsgegner im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren durch dieselben Anwälte vertreten werden. Im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 besteht für eine gerichtliche Feststellung der Erledigung nebst Kostenausspruch jedenfalls dann kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Gegenseite einer solchen Verfahrensbeendigung nicht ausdrücklich widerspricht. Für die förmliche Feststellung der Erledigung analog § 91a, nämlich eines Ereignisses, aufgrund dessen nach Verfahrenseinleitung der ursprünglich zulässige und begründete Antrag nachträglich gegenstandslos wird, besteht im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 kein Rechtsschutzbedürfnis, zumal mit einer derartigen Feststellung keine für den Antragsteller günstigeren Kostenfolgen verbunden

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266 267 268 269 270

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KG JurBüro 2014, 262 f. BGH NJW 1971, 196. OLG Dresden IPRspr 2010, Nr 237, 590. BGH NJW-RR 2013, 1399 f. OLGR Karlsruhe 2005, 171.

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sind als ohne die Feststellung. Das ergibt sich daraus, dass, wäre dem Bestimmungsantrag stattzugeben, der nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 keine Kostenentscheidung enthalten hätte. Gerichtsgebühren werden im Übrigen für das Bestimmungsverfahren nicht erhoben.271 Wird ein Rechtsanwalt sowohl im Verfahren über die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach §§ 36, 37 als auch im Hauptsacheverfahren tätig, so wird die Tätigkeit des Anwalts im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren selbst dann nicht gesondert vergütet, wenn der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts zurückgewiesen wird.272 Kommt es dazu nicht, so hat jede Partei ihre eigenen Kosten selbst zu tragen. Das Bestimmungsverfahren ist nämlich kein kontradiktorisches Verfahren, so dass es bei tatsächlicher wie „hypothetischer“ Zuständigkeitsbestimmung keine unterlegene Partei gibt. Auch im Falle einer Erledigung kommt eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers, nämlich die eigenen Kosten der Gegenseite aufzuerlegen, nicht in Betracht. IX. Bezirksüberschreitende Grundstücke, § 36 Abs. 1 Nr. 4 105

1. Reichweite. Nr. 4 des Abs. 1 von § 36 setzt eine Klage im dinglichen Gerichtsstande der §§ 24–26 voraus, die sich auf Gegenstände bezieht, welche in verschiedenen inländischen Gerichtsbezirken belegen sind. Nur die unbeweglichen Sachen bzw. die ihnen gleichgestellten Rechte werden als Gegenstände (vgl. die Ausführungen bei § 24) betroffen.273 Dann aber sowohl dingliche (§ 24) wie persönliche (§§ 25, 26) Klagen. Das außerprozessuale Recht entscheidet, wann eine einheitliche unbewegliche Sache oder ein ihr gleichgesetztes Recht anzunehmen ist (vgl. §§ 3 ff. GBO; § 890 BGB).274

2. Einzelheiten. Die Gerichtsstandsbestimmung gemäß Abs. 1 § 36 Abs. 1 Nr. 4 kann in allen Klagen erfolgen, mit denen das Eigentum oder seine Belastung geltend gemacht wird, vgl. §§ 24 bis 26. Die Vorschrift setzt voraus, dass es sich rechtlich um ein in verschiedenen Gerichtsbezirken belegenes einheitliches Grundstück handelt, das gegebenenfalls durch Vereinigung gemäß § 890 BGB gebildet wurde.275 Es kommt nicht darauf an, auf welchem Teil etwa das den Klagegrund bildende Ereignis eingetreten ist, wenn eine sich über mehrere Bezirke erstreckende unbewegliche Sache vorliegt (wie im Falle § 1004 BGB die Störung).276 Im Übrigen gilt § 36 Abs. 1 Nr. 4 auch entsprechend für Klagen wegen der Haftung eines in mehreren Gerichtsbezirken belegenen Grundstücks aus einer Grundschuld.277 Bei Gesamthypotheken, die auf mehreren Grundstücken verschiedener Bezirke lasten, ist § 36 Abs. 1 Nr. 4 entsprechend anzuwenden.278 In Betracht kommt die Klage gegen Hauptschuldner und Bürgen, wenn für sie kein 107 gemeinsamer Gerichtsstand begründet ist;279 die Schuldklage ohne Vertragsgrund oder bei der um eine bewegliche Sache, auch wenn sonst die Voraussetzungen des § 36 Abs. § 36 Abs. 1 Nr. 4 nicht gegeben sind, etwa wenn mit der dinglichen Hypothekenkla-

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271 Vossler NJW 2006, 117, 121; a.A., aber ohne überzeugende Argumentation, OLG Dresden NJW-RR 2007, 1721 f. 272 OLG Köln AGS 2007, 67. 273 RGZ 86, 272, 276. 274 Vgl. jurisPK-BGB/Toussaint § 890 BGB Rdn. 29 ff.; BeckOK-GBO/Holzer § 3 GBO Rdn. 9 ff., 12 f.; BeckOK-BGO/Kral § 5 GBO Rdn. 3 f. 275 RGZ 86, 272, 279. 276 RGZ 86, 272, 280. 277 RGZ 91, 41, 42. 278 RGZ 143, 295; BGH DRiZ 1951, 20. 279 RGZ 73, 262.

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ge die Schuldklage verbunden werden soll, sofern der dingliche und der persönliche Schuldner verschiedene Personen sind, so dass § 25 nicht gilt.280 Wird ein Grundstückstausch über in verschiedenen Bezirken liegende Grundstücke 108 rückgängig gemacht, so liegt in dem Rechtsgeschäft allein keine einen einheitlichen Gegenstand betreffende Sache (vgl. § 29). 3. Weitere Fallgruppen. Anzuwenden ist die Bestimmung auch bei der Kraftloser- 109 klärung eines Hypothekenbriefes nach § 1005 Abs. 2.281 Soweit ein Grundstück auf Niemandsland hinübergeht oder durch den unterschiedlichen Grundstücksbegriff von Inund Ausland (vgl. die Ausführungen bei § 24) sich das Fehlen einer ausländischen Gerichtsbarkeit herausstellt, ist § 36 Abs. 1 Nr. 4 entsprechend anzuwenden.282 Liegen die unbeweglichen Sachen aber sowohl im Gerichtsinland wie im Ge- 110 richtsausland, kommt die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 nicht in Betracht. Zur entsprechenden Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 4, wenn Ansprüche auf Miet- 111 zinszahlung für zwei Objekte geltend gemacht werden, die in verschiedenen Landgerichtsbezirken liegen,283 gilt, dass in diesen Konstellationen der in § 36 Abs. 1 Nr. 4 ausdrücklich geregelten Konstellation weitgehend vergleichbar ist. Es besteht, nicht anders als im unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift bzw. in sonstigen anerkannten Fällen ihrer entsprechenden Anwendung, ein praktisches Bedürfnis, eines der beiden in Frage kommenden Landgerichte für insgesamt zuständig zu erklären. Ansonsten bestände die Gefahr, dass die Zuordnung der Mietzinsanteile auf die einzelnen, in verschiedenen Landgerichtsbezirken gelegenen Grundstücke bereits auf der Ebene der örtlichen Zuständigkeit streitig wird, mit der Gefahr einander widersprechender gerichtlicher Entscheidungen. Für den Streit zwischen Mieter und Vermieter, der in mehreren Gerichtsbezirken belegene Geschäftsräume betrifft, ist eine Gerichtsstandsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 4 möglich, wenn ein einheitliches Vertragsverhältnis zugrunde liegt, nicht aber dann, wenn für jedes Objekt ein eigener Mietvertrag abgeschlossen wurde.284 X. Zuständigkeitserklärung verschiedener Gerichte, § 36 Abs. 1 Nr. 5 1. Reichweite. Die Norm des § 36 Abs. 1 Nr. 5 steht unter der Möglichkeit der iudicia 112 duplica, also wenn der kongruente Anspruch zwischen denselben Parteien aus demselben Rechtsverhältnis getroffen wird. § 36 Abs. 1 Nr. 5 knüpft an die Rechtshängigkeit des § 36 Abs. 1 Nr. 1 an und setzt die mehrfache Zuständigkeitsentscheidung durch rechtskräftiges Zwischenurteil verschiedener Gerichte gemäß § 280 Abs. 2285 voraus, sofern damit zugleich über den Rechtshängigkeitseinwand rechtskräftig (ihn verneinend) entschieden worden ist (vgl. § 538 Abs. 2). Soweit schon vor rechtskräftiger Sachentscheidung die Bindung des Gerichts an seine Zuständigkeit (ohne Zwischenentscheidung) eintritt (vgl. §§ 10, 528, 549 Abs. 2) und der Rechtshängigkeitseinwand bestehen bleibt, ist nach ihm zu entscheiden. Nur soweit der Rechtshängigkeitseffekt ausgeschaltet ist, kommt § 36 Abs. 1 Nr. 5 zum Zuge (etwa auch bei gleichzeitiger Rechtshängigkeit).

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RGZ 145, 357–359. RGZ 45, 388. Wieczorek 2. Aufl., § 36 Rdn. A IIa 4. OLG Hamm NJW-RR 2014, 332. OLG Dresden NZM 2011, 885. BGH NJW 1980, 1281; RGZ 121, 20, 21.

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In anderen Verfahren, wo der Rechtshängigkeitseinwand nicht erhoben werden kann, ist § 36 Abs. 1 Nr. 5 entsprechend anzuwenden.286 2. Einzelheiten. Danach muss der positive Kompetenzkonflikt nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit aufgetreten sein, da erst von da ab die Gegenpartei am Verfahren beteiligt ist und damit ein Rechtsstreit vorliegt.287 Liegt eine Sachentscheidung eines der beiden Gerichte vor, ist für die Gerichtsstandsbestimmung kein Raum mehr.288 § 36 Abs. 1 Nr. 5 gilt auch für Kompetenzkonflikte zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten, nicht aber wegen der Zuständigkeit im Instanzenzug.289 114 Es fällt nicht unter § 36 Abs. 1 Nr. 5, wenn mehrere Gesamtgläubiger getrennt klagen oder auch mehrere Gesamthandgläubiger jeder für sich auf Zahlung an alle.290 Sodann muss dabei dann eines der in Betracht kommenden Gerichte bestimmt werden, und zwar dasjenige, welches zuerst die rechtskräftige Zuständigkeitsentscheidung getroffen hat.291 Die Regel des § 36 Abs. 1 Nr. 5 erstreckt sich nur auf das Gerichtsinland. Dabei kann 115 es dann zu einer inländischen Entscheidung kommen, die der ausländischen entgegensteht. Bei rechtskräftigen Sachentscheidungen ist zu prüfen, ob die ausländische anzuerkennen ist (vgl. dazu die Ausführungen unter § 328). Auch ist die Rechtshängigkeit im Verhältnis zum Gerichtsausland zu prüfen (§ 263). 113

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3. Besonderheiten beim Verweis des § 4 InsO auf § 36 Abs. 1 Nr. 5. § 36 Abs. 1 Nr. 5 kommt auch bei positiven Kompetenzkonflikten zwischen Insolvenzgerichten zur Anwendung. Hier greifen freilich Besonderheiten. Solange an beiden ihre örtliche Zuständigkeit konkurrierend in Anspruch nehmenden Insolvenzgerichten ein Eröffnungsbeschluss noch nicht erlassen worden ist, kommt eine Gerichtsstandsbestimmung nach Maßgabe des § 36 Abs. 1 Nr. 5 in Betracht; hat eines der Gerichte das Insolvenverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet mag der Eröffnungsbeschluss fehlerhaft und damit rechtswidrig sein. Ist er nicht angefochten wird das Vermögen des Schuldners beschlagnahmt (§ 35 Abs. 1, 36 InsO) mit der Folge, dass für die Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts in Ermangelung einer zu beschlagnahmenden Masse kein Raum mehr ist.292 XI. Negativer Zuständigkeitsstreit, § 36 Abs. 1 Nr. 6 1. Reichweite

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a) § 36 Abs. 1 Nr. 6 trifft den zu § 36 Abs. 1 Nr. 5 umgekehrten Fall, wenn sich verschiedene Gerichte, bezogen auf die erste Instanz, in Bezug auf den kongruenten Anspruch rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ist daher anwendbar, wenn sich mehrere Gerichte für unzuständig erklärt haben. Die Vorschrift bezieht

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286 Wieczorek 2. Aufl., Rdn. D Va. 287 BGH NJW 1980, 1281; Stein/Jonas/Roth § 36 Rdn. 35; vgl. nach Anhängigkeit im Insolvenzverfahren OLG Brandenburg ZIP 2002, 1590. 288 BGH NJW 1980, 1281. 289 Musielak/Smid3 § 36 Rdn. 24 a.E.; vgl. auch Musielak/Heinrich § 36 Rdn. 26. 290 Wieczorek 2. Aufl., Rdn. D Vb. 291 Wieczorek 2. Aufl., Rdn. D Vb. 292 OLG München, Beschl. v. 21.1.2014 – 34 AR 277/13.

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sich auf die Entscheidungen aller inländischen Gerichte. Sie gilt demgegenüber nicht im Verhältnis zu den Sondergerichten wie dem EuGH.293 b) Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ist es, dass 118 sich zwei Gerichte dergestalt über ihre Zuständigkeit streiten, dass ein jedes Gericht das jeweils andere Gericht für zuständig, sich selbst aber für unzuständig hält; unzureichend ist es demgegenüber, dass dasjenige Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, lediglich meint, ein drittes Gericht sei zuständig.294 c) Nicht anwendbar ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 daher folgerichtig auf einen Zuständigkeits- 119 streit innerhalb desselben Gerichts wie zwischen dem technischen und dem juristischen Beschwerdesenat des Patentgerichts.295 Abweichend hiervon haben bei Hin- und Herverweisen zwischen der Zivilkammer und der Kammer für Handelssachen Gerichte296 den § 36 Abs. 1 Nr. 6 angewandt und bei dem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einer Berufungskammer des LG und seiner erstinstanzlichen Zivilkammer297 nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 entschieden. Bei einer nicht bindenden Entscheidung (formlose Aktenabgabe) hat das OLG Celle298 die Bestimmungsentscheidung abgelehnt. 2. Verweisungsbeschluss a) Grundsatz. Ist § 281 anwendbar, so ist die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 aus- 120 geschlossen,299 wenn sich das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss für unzuständig erklärt hat, vgl. dazu § 281 Rdn. 96 f., insbes. 101. Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 findet nicht statt, wenn nur ein Gericht sich für unzuständig erklärt und ein anderes den Rechtsstreit an dieses Gericht verwiesen hat, weil die Streitsache dort bereits rechtshängig sei (vgl. § 261 Abs. 3). Eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 kommt nach alledem grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Deshalb ist für eine Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 kein Raum, wenn eines der angegangenen Gerichte ausgeführt hat, es erachte sich für funktionell und örtlich zuständig, sehe sich aber mangels formellen Verweisungsbeschlusses daran gehindert, in der Sache selbst tätig zu werden, da in einem solchen Fall der Streit der beteiligten Gerichte nicht die Zuständigkeit betrifft.300 b) Nichtigkeit des Verweisungsbeschlusses. Ein Verweisungsbeschluss gemäß 121 § 281 ist aber beim Vorliegen objektiver Willkür nicht verbindlich. Hierzu zählen nicht nur die Gehörsverletzung und die völlige Gesetzlosigkeit, sondern auch die Fälle, bei denen mangels Begründung nicht nachvollziehbar ist, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Verweisung erfolgt. Die Verletzung dieser Begründungspflicht führt zur fehlenden Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses und der Möglichkeit der gerichtli-

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293 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 36 Rdn. 35; Schellhammer Zivilprozess, Rdn. 1345, 1471; Saenger-ZPO/Bendtsen § 36 Rdn. 21. 294 KGR Berlin 2009, 215. 295 BGH MDR 1972, 397. 296 OLG München NJW 1967, 2165. 297 OLG Oldenburg MDR 1973, 231. 298 OLG Celle NJW 1967, 205. 299 RGZ 121, 20, BArbG BB 1973, 801, vgl. auch OLG Oldenburg MDR 1973, 231 = NJW 1973, 810; a.M. BGH MDR 1953, 612. 300 BGH GuT 2013, 150.

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chen Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6.301 Beachtet z.B. das Amtsgericht bei der Festsetzung des für die Zuständigkeit maßgebenden Streitwertes § 5 Halbs. 2 nicht, so bindet die darauf gestützte Verweisung nicht.302 122

c) Verwiesenes Prozesskostenhilfeverfahren. Lehnt allerdings ein Gericht die Übernahme eines in entsprechender Anwendung des § 281 verbindlich verwiesenen Prozesskostenhilfeverfahrens ab, so ist das zuständige Gericht analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 zu bestimmen.303 Zwar ist auf einen derartigen Fall § 36 Abs. 1 Nr. 6 nicht unmittelbar anwendbar, wenn sich das angerufene Gericht nicht in Bezug auf einen Rechtsstreit, sondern in Bezug auf ein Prozesskostenhilfeverfahren für unzuständig erklärt und der Antragsteller nicht beide Antragsgegner vor dem allgemeinen Gerichtsstand eines von ihnen verklagen, sondern lediglich erreichen will, dass über sein Prozesskostenhilfegesuch von einem Gericht entschieden wird. In einem derartigen Fall ist es richtig, auf § 36 Abs. 1 Nr. 6 zurückzugreifen, weil der Anspruchsteller einen Anspruch auf Bescheidung seines Gesuches hat. Will er aber zwei Antragsgegner als Streitgenossen verklagen, dann dient es der Vermeidung widersprechender Entscheidungen über die Erfolgsaussichten eines solchen Gesuches, wenn sich mit ihm lediglich ein Gericht befasst, und damit letztlich auch der Vermeidung widersprechender Entscheidungen in der Sache selbst.

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3. Sachverhaltsermittlung. Im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 findet weder eine Amtsermittlung statt noch sind die Parteien zur weiteren Sachverhaltsaufklärung anzuhalten.304 4. Voraussetzungen

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a) Rechtshängigkeit. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 setzt in Verfahrensarten, in denen die Gegenpartei vor der Entscheidung am Verfahren zu beteiligen ist, regelmäßig einen Zuständigkeitsstreit nach Zustellung oder – wo dies nach den verfahrensrechtlichen Vorschriften genügt – nach Mitteilung der Antragsschrift voraus.305 Für den negativen Zuständigkeitsstreit nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 gilt daher ebenso wie für den positiven Zuständigkeitsstreit, dass die Entscheidung ausdrücklich voraussetzt, dass sich in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte rechtskräftig für zuständig erklärt haben.306 Die Regelung des negativen Kompetenzkonflikts schließt sich an diejenige des positiven Zuständigkeitsstreits an und muss im Zusammenhang mit dieser gelesen werden, so dass auch insoweit ein Rechtsstreit vorausgesetzt wird. Vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit sind keine rechtskräftigen Entscheidungen über die Unzuständigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 möglich.307 Die ZPO sieht die Unzuständigkeitserklärung des (zuerst angerufenen) Gerichts entweder im Rahmen eines klageabweisenden Prozessurteils, im Rahmen eines bindenden Verweisungsbeschlusses nach § 281, bei einer Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhil-

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OLG Stuttgart ZInsO 2009, 350 f. KG MDR 1999, 438; vgl. auch KG NJW-RR 1999, 1011 (zu § 696 Abs. 1 S. 4). OLG Düsseldorf NJW-RR 2006, 431. OLG Naumburg JurBüro 2011, 43 f. BGH NJW-RR 1996, 256; BGH NJW 1980, 1281 = FamRZ 1980, 562. BAG AP Nr. 17; a.A. BGH NJW 1983, 1062. BayObLGZ 1999, 94.

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fe nach § 127 Abs. 2 S. 2 sowie in den Fällen des § 102 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17a Abs. 2 S. 3 GVG und § 17b GVG vor. Dass die Regelung in § 36 Abs. 1 Nr. 6 analogiefähig ist, entspricht seit langem gesi- 125 cherten Erkenntnisstand. Eine Gerichtsstandsbestimmung wird daher in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 6 auch dann für möglich gehalten, wenn die Zustellung der Klageschrift zweifelhaft ist.308 Im Zivilprozess ist nach Ansicht des OLG München eine Zuständigkeitsbestimmung in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 vor Zustellung der Klage und damit vor Rechtshängigkeit ausnahmsweise dann zulässig, wenn mit einer baldigen Klärung des Zuständigkeitsstreits ohne Hilfe des nächst höheren Gerichts nicht zu rechnen ist und dem Beklagten zur Frage der Zuständigkeit bereits rechtliches Gehör gewährt wurde.309 b) Eine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung setzt die Mitteilung der Ent- 126 scheidung an die Parteien voraus.310 Ein akteninterner Vorgang wie eine Verfügung, welche den Parteien jedenfalls durch dieses Gericht auch nicht zur Kenntnis gebracht wurde, genügt nicht den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 zu stellen sind.311 Eine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung i.S.d. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ist daher nur ein Urteil oder ein Beschluss.312 Ergibt sich die Unzuständigkeitserklärung lediglich aus der Rückgabeverfügung des Gerichts, an das das Verfahren verwiesen wurde, die den Beteiligten nicht bekannt gegeben worden ist, handelt es sich lediglich um einen akteninternen Vorgang, der den Parteien gegenüber rechtlich nicht wirksam ist.313 Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 liegen daher nur vor, wenn die Kompetenzleugnungen der beteiligten Gerichte nicht rein gerichtsintern geblieben sind. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die beteiligten Gerichte „rechtskräftig“ für unzuständig erklärt haben. Zwar lässt die Rechtsprechung im Interesse einer raschen Klärung negativer Kompetenzkonflikte im Rahmen der analogen Anwendung des § 36 Nr. 6 die tatsächliche beiderseitige Kompetenzleugnung ausreichen, dies gilt aber nur dann, wenn die Kompetenzleugnungen nicht rein gerichtsintern geblieben sind.314 Die Unzuständigkeitserklärung muss aber den Beteiligten – zumindest formlos – bekannt gemacht worden sein315 Sind die Kompetenzleugnungen der beteiligten Gerichte den Parteien nicht bekannt gemacht worden, liegen die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 daher nicht vor.316 Eine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 6 kann auch 127 dann vorliegen, wenn sich das Amtsgericht, an welches der Rechtsstreit gemäß § 281 Abs. 1 verwiesen worden ist, mit einer den Parteien des Rechtsstreits übersandten begründeten Verfügung für unzuständig erklärt und die Sache dem OLG zur Bestimmung der Zuständigkeit vorlegt.

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308 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2013, 60 ff. 309 OLG München NJW-RR 2014, 80. 310 BayObLG FamRZ 1998, 376; KGR 1998, 267. 311 BGH FamRZ 1998, 610; OLG Brandenburg NJW 2004, 780; BayOblG RPfleger 2004, 234; OLG Hamm FamRZ 2009, 442; KGR Berlin 2008, 1001; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 36 Rdn. 36; Zöller/ Vollkommer § 36 Rdn. 25. 312 OLG Schleswig ZInsO 2010, 574; KGR Berlin 2008, 1001. 313 OLG Schleswig SchlHA 2008, BGH NJW-RR 1995, 641 OLGR Hamburg, 2005, 805. 314 BGH NJW-RR 1992, 1154; NJW 1988, 2739, 2740; NJW 1988, 1794; NJW 1983, 1062; NJW 1978, 1531; Zöller/Vollkommer § 36 Rdn. 24 f. 315 OLGR Hamburg 2005, 805 f. 316 OLGR Hamburg 2005, 803 f.

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c) Zuständigkeit der beteiligten Gerichte. Voraussetzung für die Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ist ferner, dass die Zuständigkeit eines der beteiligten Gerichte vorliegt; ob daneben weitere, am negativen Kompetenzkonflikt nicht beteiligte Gerichte zuständig sind, ist dagegen unerheblich. § 36 Abs. 1 Nr. 6 kommt aber sinngemäß zur Anwendung, wenn von einem der Beteiligten Antrag auf Verweisung an dieses Gericht gemäß § 281 gestellt worden ist.317 Ein gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 als funktionell zuständig bestimmtes Gericht ist durch die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht daran gehindert, seine örtliche Unzuständigkeit anzunehmen.318

5. Gerichtsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 in anderen Verfahren der ZPO als dem Erkenntnisverfahren. Die Regelung gilt folglich auch innerhalb des Vollstreckungsverfahrens.319 Für die anderen Verfahrensarten der ZPO, in denen § 36 Abs. 1 Nr. 6 ebenfalls anwendbar ist, gelten die vorstehend für das Klageverfahren dargelegten Grundsätze sinngemäß, soweit auch in diesen Verfahrensarten die Gegenpartei vor der Entscheidung am Verfahren zu beteiligen ist. Die Zuständigkeitsbestimmung setzt daher auch in diesen Fällen regelmäßig einen Zuständigkeitsstreit nach Zustellung oder – wo dies nach den verfahrensrechtlichen Vorschriften genügt – nach Mitteilung der Antragsschrift voraus. Dies gilt nur dort nicht, wo, wie im Verfahren der Forderungspfändung gemäß § 834,320 der Antragsgegner im Verfahren zunächst nicht zu hören ist. Das RG321 hat bei einem des Vollstreckungsgerichts mit dem Prozessgericht um die Festsetzung von Vollstreckungskosten die Bestimmung entsprechend angewandt. Wird der Rechtsstreit durch Mahnverfahren eingeleitet und nach Widerspruch ab130 gegeben, so ist für die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 das OLG zuständig, in dessen Bezirk das Gericht seinen Sitz hat, bei dem der Rechtsstreit im streitigen Verfahren zuerst anhängig geworden ist.322 Weiter wird der Zuständigkeitskonflikt über die örtliche Zuständigkeit deutlich, 131 wenn sich sowohl das Amts- als auch das Landgericht vor Eintritt der Rechtshängigkeit für sachlich unzuständig erklären, in analoger Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ist eine Gerichtsstandsbestimmung für zulässig zu halten, um Verzögerungen durch langwierige Streitigkeiten der Gerichte über ihre Zuständigkeit zu vermeiden.323 Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Anwendbarkeit von § 36 Abs. 1 Nr. 6 den Eintritt der Rechtshängigkeit voraussetzt, ist unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung vorheriger langwieriger Streitigkeiten zwischen Gerichten über ihre Zuständigkeit im Prozesskostenhilfeverfahren, so dass auch hier eine (vorläufige) Bestimmung des zuständigen Gerichts in Betracht, unter dem Vorbehalt erneuter Überprüfung durch das bestimmte Gericht nach Rechtshängigkeit der Klage in Betracht kommt.324 129

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6. Zuständigkeitskonflikt zwischen einem Prozessgericht und einem Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einem Prozessgericht und einem Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet § 36 Abs. 1 Nr. 6 nur entsprechende Anwendung, so dass die tatsächlichen als verbindlich gewollten Unzuständigkeitserklärungen als Voraussetzung der Zuständigkeitsbestimmung ausrei-

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BGHZ 71, 69, 74 f. = NJW 1978, 1163; BGH NJW 1980, 1252; NJW-RR 1988, 521, 522. BayObLG NJW-RR 1996, 956; OLG Nürnberg NJW-RR 1997, 379. RGZ 54, 206. BGH NJW 1983, 1859; BayObLGZ 1985, 397, 398 = NJW-RR 1986, 421. RGZ 85, 132. BayObLG NJW-RR 1999, 1294. BGH NJW 1983, 1062 OLG Naumburg GuT 2011, 538.

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chen und keine erfolglose Anfechtung der jeweiligen Abgabebeschlüsse erforderlich ist. Die Beteiligten müssen lediglich formlos über den Kompetenzkonflikt informiert worden sein.325 Es genügt dabei, dass die Unzuständigkeitserklärung den Beteiligten – zumindest formlos – bekannt gemacht worden ist.326 7. Zuständigkeitskonflikt im Rechtsmittelverfahren a) Die Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 6 erfasst grundsätzlich auch den Streit über die 133 Zuständigkeit im Instanzenzug.327 b) Unanwendbarkeit im Falle der Zurückverweisung. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ist in Fäl- 134 len, in denen die Zurückverweisung an das Gericht des ersten Rechtszugs durch Urteil des Berufungsgerichts auf ein zulässiges Rechtsmittel hin aufgehoben worden ist und bewirkt, dass der Rechtsstreit wieder in erster Instanz anhängig ist, weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.328 c) Eine Bestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 kommt weiterhin wegen Auslegungsfra- 135 gen im Rechtsmittelzug nicht in Betracht. Grundsätzlich umfassen die Vorschriften des § 36 Abs. 1 Nr. 5 und 6 auch den Streit über die Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren.329 Hat z.B. das LG eine Berufungssache unzulässig an das OLG verwiesen, greift § 36 Abs. 1 Nr. 6 ein.330 Eine Gerichtsstandsbestimmung findet aber nicht statt, wenn beispielsweise zwischen Erinnerungsgericht und Beschwerdegericht eine Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob eine vom Erinnerungsgericht für unbegründet gehaltene Erinnerung als Durchgriffserinnerung im Sinne des § 11 Abs. 2 RPflG anzusehen ist.331 Hier betrifft die Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Gerichten lediglich eine Frage des Verfahrensganges, nämlich die, ob die Entscheidungszuständigkeit des Beschwerdegerichts bereits durch die Tatsache begründet wird, dass das Erinnerungsgericht die Erinnerung für unbegründet erklärt (und vorlegt), oder ob es hierzu noch der ausdrücklichen Anrufung des Beschwerdegerichts durch Einreichung einer Beschwerdeschrift bedarf. Dies zu entscheiden ist Sache des Beschwerdegerichts. d) § 36 Abs. 1 Nr. 6 ist ferner nicht anwendbar, wenn zwischen Rechtsmittelgericht 136 und Vorinstanz die bindende Wirkung einer Aufhebung und Zurückverweisung im Streit steht,332 denn das vorinstanzliche Gericht ist nicht nur an die Zurückverweisung gebunden, sondern auch an die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt.333 Das vorinstanzliche Gericht kann auch nicht auf dem Umweg der Vorlage nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 die Überprüfung des Zurückverweisungsbeschlusses vom übergeordneten Gericht erreichen.334

_____ 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334

291

OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2007, 16. OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 429; BayObLGZ 1994, 91, 93. BGH NJW 1972, 111. BGH MDR 2013, 296, Festhaltung BGH NJW 1994, 2956. BGH NJW 1972, 111; BGH FamRZ 1978, 102. BGH NJW-RR 1996, 891. BGH MDR 1979, 212. BGH NJW 1994, 2956, 2957. BGH FamRZ 1998, 477. BGH FamRZ 1998, 477.

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8. Gerichtsstandsvereinbarungen. Eine Gerichtsstandsbestimmung findet bei vereinbartem Gerichtsstand nicht statt,335 vgl. bereits oben Rdn. 96 f. XII. Zuständigkeit des für die Gerichtsstandsbestimmung zuständigen Oberlandesgerichts, Abs. 2

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1. Regelungsgehalt. § 36 Abs. 2 regelt die Zuständigkeit des für die Gerichtsstandsbestimmung zuständigen Oberlandesgerichts für den Fall, dass das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist. In diesem Fall wird grundsätzlich das zuständige Gericht nicht durch den BGH bestimmt, dessen Entlastung die Vorschrift dient.336 Vielmehr wird das für das Verfahren nach § 36 zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

2. Begriff des „gemeinschaftlichen Gerichts“. Der Begriff „gemeinschaftliche“ Gericht in § 36 Abs. 2 ist in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Nr. 6 dahingehend zu verstehen, dass diese „Gemeinschaft“ nur aus den am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten besteht. Denn § 36 Abs. 1 Nr. 6 setzt voraus, dass sich verschiedene Gerichte jeweils einander widersprechend für unzuständig erklärt haben. § 36 Abs. 2 ist also so zu verstehen, dass dasjenige Oberlandesgericht zuständig ist, zu dessen Bezirk das von den am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört, während die Zuständigkeit für ein zwar mit der Sache einmal befasst gewesenes, am Zuständigkeitsstreit aber nicht beteiligtes Gericht eine Zuständigkeit nach § 36 Abs. 2 nicht begründet.337 140 Das im Bestimmungsverfahren zuerst angerufene OLG bleibt gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 zuständig, auch wenn bei Klagezustellung keiner der Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk dieses OLG hat, weil es für die Zuständigkeit im Rahmen des § 36 Abs. 2 ausschließlich auf den Eingang des Gesuchs ankommt, so dass die erst später bekannt gewordene Sitzverlegung einer der beklagten Parteien in einen anderen Oberlandesgerichtsbezirk an der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Oberlandesgerichts nichts ändert.338 139

XIII. Zuständigkeit des BGH, Abs. 3 141

1. Regelungsgehalt. Seit der Ergänzung von § 36 um die Absätze 2 und 3 durch das Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22. Dezember 1997339 ist der BGH nur noch sehr eingeschränkt für die Bestimmung des Gerichtsstands zuständig. Die Zuständigkeitsbestimmung in den Fällen des Abs. 2 und Abs. 3 regelt somit die RestKompetenz des BGH, die besteht, wenn sich bei der Zuständigkeitsbestimmung zwischen den in dieser Vorschrift genannten Gerichten Divergenzen in den Rechtsauffassungen ergeben340 (zur Frage der Abweichung s. § 541 Abs. 1 S. 1, § 546 Abs. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 2, und § 132 Abs. 2 GVG; zum Verfahren vgl. insbes. die Erl. zu § 541 Abs. 2). Sie setzt voraus, dass der BGH das zunächst höhere Gericht ist und die Bestimmungszuständigkeit

_____ 335 336 337 338 339 340

BGH WM 1978, 146. BeckOK-ZPO/Toussaint § 36 Rdn. 47, 47.1 m.w.N. OLG Braunschweig WuW/E DE-R 4084 ff. BGH NJW 2008, 3789. BGBl. I, S. 3224. BGH NJW 1999, 1403; BGH NJW 1999, 221.

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des OLG aus § 36 Abs. 2 folgt.341 Der BGH entscheidet nach Abs. 3 also nur mehr dann, wenn das OLG bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will. In diesem Fall hat das abweichende OLG die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem BGH vorzulegen. 2. Voraussetzungen a) Voraussetzung für die Zuständigkeit des BGH ist das Vorliegen eine entschei- 142 dungserhebliche Divergenz i.S.d. § 36 Abs. 3. Diese ist dann nicht gegeben, wenn die in der rechtlichen Begründung divergenten Bestimmungsentscheidungen im Ergebnis auf die Zuständigkeit desselben Gerichts hinauslaufen, mag auch in dem einen Fall der Bestimmungsantrag zurückgewiesen, im anderen Fall eine Bestimmung ausgesprochen worden sein.342 b) Verhinderung des für die Bestimmung zuständigen Gerichts. Eine Zuständig- 143 keit des BGH kommt nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 über den Wortlaut des Abs. 3 hinaus in Betracht, wenn das an sich zur Bestimmung zuständige Gericht verhindert ist. Schließlich ist der BGH in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 für die Bestimmung des Gerichtsstands zuständig, wenn zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben und der BGH als erster der in Betracht kommenden obersten Gerichtshöfe des Bundes darum angegangen wird.343 c) Vorlagebefugnis von OLG. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 36 Abs. 3 144 sind nur OLGe zur Vorlage an den BGH befugt, wenn sie im Rahmen eines Gerichtsstandsbestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 2 von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen wollen. Landgerichten steht dagegen keine Vorlagebefugnis zu. Eine unmittelbare Anrufung des BGH auf Vorlage eines beteiligten Gerichts, wenn 145 noch kein Verfahren zur Gerichtsstandsbestimmung vor dem nach § 36 Abs. 2 berufenen OLG stattgefunden hat, scheidet daher aus. 3. Negativer Kompetenzkonflikt zwischen dem Kartellsenat und einem Zivilsenat des OLG a) Das OLG Düsseldorf meint, eine § 36 Abs. 1 Nr. 6 und § 36 Abs. 2 verdrängende 146 Sonderzuständigkeit der Kartellgerichte für die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung bei negativen Kompetenzkonflikten bestehe nicht.344 Die Prüfung und Entscheidung der vorgelagerten Frage, ob im Einzelfall eine kartell- oder energiewirtschaftsrechtliche Streitsache vorliegt, ist demgegenüber nicht den Kartellgerichten vorbehalten. Nach allgemeinen Grundsätzen hat vielmehr das jeweils angerufene Gericht – sei es ein Kartellgericht oder ein Nichtkartellgericht – in eigener Verantwortung zu beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 87 GWB oder des § 102 Abs. 1 EnWG erfüllt sind. Kommt das Nichtkartellgericht zu dem Ergebnis, dass weder aus Kartellrecht oder Energiewirtschaftsrecht geklagt wird (§ 87 Satz 1 GWB, § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG) noch die Entschei-

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341 BGH EBE/BGH 2000, BGH-LS 408/00; BGH NJW 2000, 1499. 342 OLGR Hamburg 2007, 33. 343 BGH MDR 2013, 1242. 344 OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 3329 ff.; Abweichung von OLG Celle ZNER 2011, 67 und OLG München ZNER 2009, 399.

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dung des Rechtsstreits von der Beantwortung einer kartellrechtlichen oder energiewirtschaftsrechtlichen Frage abhängt (§ 87 Satz 2 GWB, § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG), hat es den Prozess zu entscheiden. Das gilt auch dann, wenn tatsächlich eine Kartell- oder Energiewirtschaftssache vorliegt. 147

b) Der BGH hat dagegen mit überzeugenden Argumenten darauf erkannt, dass er bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Kartellsenat und einem Zivilsenat des OLG nicht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen ist.345 Seit der Ergänzung von § 36 um die Absätze 2 und 3 durch das Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I, S. 3224) ist der Bundesgerichtshof nur noch sehr eingeschränkt für die Bestimmung des Gerichtsstands zuständig. Der BGH hat nach § 36 Abs. 3 auf Vorlage zu entscheiden, wenn das vorlegende OLG bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts von der Entscheidung eines anderen OLGs oder des BGH abweichen will. Eine Zuständigkeit des BGH kommt nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ferner in Betracht, wenn das an sich zur Bestimmung zuständige Gericht verhindert ist. Schließlich ist der BGH in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 für die Bestimmung des Gerichtsstands zuständig, wenn zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben und der BGH als erster der in Betracht kommenden obersten Gerichtshöfe des Bundes darum angegangen wird.346 Vor der Gesetzesänderung 1997 hatte sich der Bundesgerichtshof in entsprechender Anwendung von § 36 Nr. 6 in der bis zum 31. März 1998 geltenden Fassung auch dann als zuständig angesehen, wenn ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen zwei Senaten eines Oberlandesgerichts bestand und dem Präsidium des betroffenen Oberlandesgerichts eine Entscheidung verwehrt war. Dies wurde in den Fällen angenommen, in denen der negative Kompetenzkonflikt nur durch Auslegung einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung gelöst werden konnte. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof darauf verwiesen, dass es in solchen Fällen dem Präsidium des Gerichts, das als richterliches Selbstverwaltungsorgan gemäß § 21e GVG bei einer den Geschäftsverteilungsplan betreffenden Meinungsverschiedenheit mehrerer Spruchkörper grundsätzlich eingreifen kann, verwehrt ist, den Konflikt durch Anwendung einer gesetzlichen Zuständigkeitsnorm verbindlich zu entscheiden.347 Der BGH348 geht nun aber davon aus, dass diese Zuständigkeit seit der Einführung von § 36 Abs. 2 nicht mehr besteht. Zwar handelt es sich, worauf der vorlegende Kartellsenat zutreffend hinweist, bei § 91 GWB um eine gesetzliche Zuständigkeitsregelung. Deshalb ist ein Kompetenzkonflikt zwischen einem Zivilsenat und einem an demselben Gericht bestehenden Kartellsenat nicht vom Präsidium zu entscheiden, soweit es um die Reichweite von § 91 GWB geht. Eine Zuständigkeit des BGH ist aber durch § 36 Abs. 2 ausgeschlossen. 349 In der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts wird darauf verwiesen, die Einführung von § 36 Abs. 2 diene der Entlastung der obersten Bundesgerichte von Routineaufgaben bei der Bestimmung des Gerichtsstands. Der Bundesgerichtshof solle zwar in den Fällen eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige zuständig bleiben, hingegen von der Entscheidung im Falle eines Zuständigkeitskonflikts zwischen einem Zivil- und einem Familiensenat eines Oberlandesgerichts entlastet werden.350 An der feh-

_____ 345 346 347 348 349 350

BGH NJW-RR 2014, 573; a.A. KG GRUR-RR 2010, 120. BGH MDR 2013, 1242. BGHZ 71, 264, 270; BGH NJW-RR 1993, 1282. BGH NJW-RR 2014, 573. Vgl. BeckOK-ZPO/Toussaint § 36 Rdn. 47, 47.1 m.w.N. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/9124, S. 45 f.

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lenden Zuständigkeit des BGH hat es nichts geändert, dass die genannten Fälle nunmehr nach § 17a Abs. 6 GVG nach den Bestimmungen des § 17a Abs. 1 bis 5 GVG zu entscheiden sind; vielmehr befindet der BGH nunmehr unter den Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 GVG (nur) über eine vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde. Der BGH geht davon aus, dass seine Zuständigkeit auch nicht unter dem Gesichtspunkt zur (deklaratorischen) Bestimmung des zuständigen Gerichts begründet sei, dass das gesetzliche Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts, insbesondere ein Verfahren nach § 17a GVG, abgeschlossen ist, gleichwohl das danach zuständige Gericht nicht bereit ist, die Sache zu entscheiden. XIV. Internationale Zuständigkeit 1. EuGVVO.351 Im Anwendungsbereich der EuGVVO kommt, wenn mehrere zusammen verklagte Schuldner ihren Wohnsitz in verschiedenen inländischen Gerichtsbezirken haben, eine Gerichtsstandsbestimmung nach nationalem Recht (§ 36 Abs. 1 Nr. 3) regelmäßig nicht in Betracht. Die Zuständigkeit ist vielmehr aus Art. 8 EuGVVO zu entnehmen.352 Ein gemeinsamer Gerichtsstand (hier am inländischen Wohnsitz des Verbrauchers nach Art. 18 EuGVVO schließt auch dann eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 aus, wenn der Kläger erklärt, auf den Schutz dieses ihn begünstigenden Gerichtsstandes zu „verzichten“. Im Übrigen: Das Gericht, das wegen einer Gerichtsstandsbestimmung angerufen wird, hat zunächst seine internationale Zuständigkeit nach Maßgabe der Art. 4 EuGVVO zu prüfen, da die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht begründet, sondern sie voraussetzt. So ergibt sich aus Art. 8 Nr. 1 EuGVVO,353 der es dem Kläger ermöglicht, mehrere Personen mit Wohnsitz in verschiedenen Staaten am gemeinsamen Wohnsitz eines Streitgenossen zu verklagen, eine entsprechende Zuständigkeit zur Gerichtsstandsbestimmung zu begründen, ohne dass es der nach § 36 Nr. 3 bedürfte, sofern die übrigen Streitgenossen in ihren Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat haben.354 Besteht ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand im Inland nicht, muss die örtliche Zuständigkeit von nächsthöheren Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt werden. Ergibt sich der Gerichtsstand eines Antragsgegners aus einer abschließenden Zuständigkeitsbestimmung des europäischen Rechts, ist das Auswahlermessen im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 eingeschränkt.355 Die sich hieraus ergebende abschließende Zuständigkeitsregel kann im Rahmen des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht überwunden werden, weil ansonsten der im internationalen Zuständigkeitsrecht getroffene Interessenausgleich beeinträchtigt würde. Auch im Fall einer abschließenden Zuständigkeitsbestimmung im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens von 2007 ist das Auswahlermessen des bestimmenden Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 dergestalt eingeschränkt, dass diese durch die im nationalen Prozessrecht geregelten Zuständigkeiten nicht überwindbar ist. Nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO kann eine Person dann bei dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, mitverklagt werden, wenn zwischen den Kla-

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351 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012. 352 OLG München MDR 2013, 1424. 353 H. Roth in: Kroppholler-FS. (2008) 885; Vossler IPrax 2007, 281; Mann ZZP 127, 229. 354 Vgl. Musielak/Stadler Art. 6 EuGVVO Rdn. 2; Saenger-ZPO/Heinrich/Dörner Art. 6 EuGVVO Rdn. 1 ff. 355 BGH ZIP 2013, 1399.

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gen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Damit soll ausgeschlossen werden, dass über Art. 8 Nr. 1 EuGVVO eine Zuständigkeit erschlichen wird.356 Der Anwendung der Vorschrift steht nicht entgegen, dass gegen mehrere Beklagte erhobene Klagen auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen.357 Für eine Klage, mit der aus abgetretenem Recht gegen einen inländischen Anlageberater und eine im EU-Ausland ansässige darlehensgebende Bank Ersatzansprüche wegen eines teilfinanzierten Anteilserwerbs an einem inländischen Filmfond geltend gemacht werden, ist ein gemeinsamer Gerichtsstand gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO begründet, wenn bei einer getrennten Behandlung widersprechende Entscheidungen nicht ausgeschlossen werden können. Dies ist der Fall, wenn die Vorwürfe gegen beide Beklagte die Fehlerhaftigkeit der Produktinformation sowie des Emissionsprospekts voraussetzen.358 152

2. Lugano-Übereinkommen. Eine Gerichtsbestimmung nach § 36 setzt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte voraus. 359 Die internationale Zuständigkeit kann sich zum einen aus der rügelosen Einlassung zur Klage gemäß Art. 24 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (Lugano-Übereinkommen) oder zum anderen auch aus § 21 ergeben, wenn ein Beklagter eine Zweigniederlassung in Deutschland unterhält.360

153

3. Autonomes Recht. In sonstigen Fällen mit Auslandsbezug ist § 36 unter der Voraussetzung anwendbar, dass die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben ist und das deutsche Zivilprozessrecht Anwendung findet.

§ 37 Verfahren bei gerichtlicher Bestimmung § 37 Smid/Hartmann (1) Die Entscheidung über das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts ergeht durch Beschluss. (2) Der Beschluss, der das zuständige Gericht bestimmt, ist nicht anfechtbar.

I. II.

III. IV.

Übersicht Normzweck ____ 1 Struktur des Bestimmungsverfahrens ____ 2 1. Antrag und Vorlage ____ 3 2. Prüfung des Antrags durch das zur Bestimmung angegangene Gericht ____ 10 3. Verhandlungsgrundsatz ____ 13 Wirkung der Antragstellung ____ 15 Beschluss ____ 16 1. Formlose Mitteilung ____ 16 2. Kostenentscheidung ____ 17

V.

3. Keine Bindung an den Antrag ____ 18 4. Rechtsbehelfe ____ 19 Wirkung der Zuständigkeitsbestimmung ____ 22 1. Begründung der Zuständigkeit ____ 22 2. Bindung des Gerichts des Folgeprozesses an den Bestimmungsbeschluss ____ 23 3. Erhebung der Klage mit einem völlig anderen Sachverhalt ____ 24

_____ 356 357 358 359 360

Zöller/Geimer Art. 6 EuGVVO Rdn. 2. EuGH IPrax 2008, 253. OLG München ZIP 2013, 435 f. OLG Frankfurt/M. IPRspr 2006, Nr. 139, 309. OLG Frankfurt/M m. Anm. Felix Podewils jurisPR-HaGesR 1/2014 Anm. 5.

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I. Normzweck Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften Abschnitt 1. Gerichte § 37 Smid/Hartmann Abs. 1 suspendiert aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und Prozessökono- 1 mie das zivilprozessuale Mündlichkeitsprinzip (§ 128) für das Verfahren der Bestimmung des zuständigen Gerichts; Abs. 2 ordnet die Unanfechtbarkeit der nach Abs. 1 zu fällenden Entscheidung an, um im Hinblick auf die Durchführung des Verfahrens für eindeutige Verhältnisse zu sorgen. II. Struktur des Bestimmungsverfahrens Das Bestimmungsverfahren greift in den Anspruch der Beteiligten auf den gesetz- 2 lichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ein.1 Das Verfahren über die Gerichtsstandsbestimmung ist, soweit nicht §§ 36, 37 besonderes regeln, nach allgemeinen prozessrechtlichen Regeln abzuwickeln (vgl. § 36). 1. Antrag und Vorlage a) Das Verfahren setzt in den Fällen des § 36 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 einen Antrag voraus2; 3 die Formulierung der Vorschrift, die von einem „Gesuch“ spricht, meint genau dies. Im Bestimmungsverfahren geht es um die Festlegung des für das konkrete Verfahren zuständigen, also des gesetzlichen Richters; das zur Gerichtsstandsbestimmung angerufene Gericht hat über das „Gesuch“ wie über einen Antrag zu entscheiden. Antragsbefugt ist in allen Fällen der Kläger, während der Beklagte und der auf seiner Seite beitretende Nebenintervenient die Antragsbefugnis nur in den Fällen des § 36 Abs. 1 Nrn. 1, 5 und 6 haben, denn die anderen Fälle setzen voraus, dass eine Klage erhoben wird; der Beklagte kann dann die Unzulässigkeit der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit rügen.3 Der Beklagte darf daher im anhängigen Streit das Gesuch nicht stellen, wenn seine Zustimmung den Gerichtstand begründen könnte; er darf nur die Klagabweisung wegen Unzulässigkeit der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts begehren. In den Fällen des positiven Kompetenzkonflikts des § 36 Abs. 1 Nr. 5 und des negati- 4 ven gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 bedarf es eines Antrages der Parteien nicht, um die Gerichtstandsbestimmung einzuleiten. Vielmehr kann das angerufene Gericht auch von Amts wegen die Gerichtstandsbestimmung veranlassen (§ 36 Rdn. 22).4 Dies geschieht durch Vorlage an das nach § 36 für die Bestimmung „zunächst höhere Gericht“. Ist der Rechtspfleger funktional zuständig liegt die Vorlagekompetenz bei ihm.5 Dagegen kann die Bestimmung des zuständigen Gerichts in Fällen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 nicht von Amts wegen erfolgen,6 da die dem Kläger eingeräumte Dispositionsbefugnis andernfalls unzulässig konterkariert würde. 7 b) Der Antragsteller muss wie im Prozess die antragstellende Partei prozessfähig 5 sein.8 Der Antrag darf von jedem Streitgenossen ausgehen, der als Partei auftreten will.

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BVerfGE 61, 37, 40 = NJW 1982, 2367. BayObLG MDR 1964, 1573. MünchKomm/Patzina § 37 Rdn. 2. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 2 m.w.N. BayObLGZ 1985, 399; Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 2. BGH NJW 1987, 439; NJW 1990, 2751, 2752. BGH NJW-RR 1991, 767. Vgl. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 1.

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Die Antragsbefugnis steht dagegen künftigen Streitgehilfen nicht zu; ist allerdings der Streit schon anhängig, so hat auch der Streitgehilfe das Antragsrecht,9 sofern nicht seine Hauptpartei widerspricht, es sei denn, dass er selbständig ist: § 69 – dann hindert der Widerspruch der Hauptpartei nicht.10 Die nur relativ Prozessfähigen dürfen den Antrag nur für solche Rechtsstreitigkeiten stellen, in denen sie prozessfähig sind. 6

c) Der Antrag ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle an das für die Bestimmung zuständige Gericht zu stellen. Im Verfahren besteht unabhängig davon, vor welchem Gericht es ausgetragen wird, 7 kein Anwaltszwang, § 78 Abs. 3 (dort Rdn. 38). Die ältere Meinung forderte Anwaltszwang,11 da die Entscheidung kein Akt der Justizverwaltung sei; gewohnheitsrechtlich wird kein Anwaltszwang mehr gefordert.12 Wird der Antrag von einem Bevollmächtigten gestellt, so ist die Prozessvollmacht schriftlich einzureichen (§§ 88 Abs. 2, 80); doch lässt man bei anhängigen (Haupt-)Verfahren, wenn der durch den Anwaltszwang vor dem Prozessgericht legitimierte Vertreter den Antrag bei dem Bestimmungsgericht stellt, die Vollmacht ungeprüft; sofern kein besonderer Anlass zu prüfen besteht.

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d) Der Antrag darf jederzeit vor Beginn des Folgeverfahrens und später bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss gestellt werden; er ist aber unzulässig, sobald die Zuständigkeit in diesem Verfahren bereits festliegt (vgl. §§ 528, 549 Abs. 2, 39, 276 Abs. 2, 506).

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e) Inhaltlich muss der Antragsteller mit seinem Antrag in tatsächlicher Hinsicht die Behauptungen die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 36 Abs. 1 angeben.13 Für den Tatsachenvortrag sind im Antrag zugleich die Beweismittel zu bezeichnen.14 Soll vom Antragsteller die Klage gegen Streitgenossen gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 oder die Klage im dinglichen Gerichtsstand nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 erhoben werden ist dem Bestimmungsantrag ein Entwurf der Klage beizufügen, um darzutun, dass die prozessualen Voraussetzungen der zitierten Vorschriften gegeben sind.15 Die Bezugnahme (auf ergangene Urteile in dem Falle des § 36 Abs. 1 Nrn. 5, 6 ist zulässig. Dagegen ist es nicht erforderlich, aber ratsam, das Gericht zu bezeichnen, das für zuständig erklärt werden soll. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts erfolgt auf Antrag einer Partei, der auch nach Einleitung des Verfahrens noch solange gestellt werden kann, wie eine Verweisung gemäß § 281 noch nicht erfolgt ist.16 2. Prüfung des Antrags durch das zur Bestimmung angegangene Gericht

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a) Das bestimmende Gericht prüft, ob der Antragsteller antragsbefugt (vgl. im Übrigen oben Rdn. 3 ff.) ist und ob er ein schutzwürdiges Interesse an der Bestimmung des Gerichtsstandes hat. Letzteres ist nicht gegeben, wenn der Antragsteller die Maßnahmen, derentwegen er ein Gericht bestimmt haben will, auch ohne gerichtliche Mitwir-

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9 Zöller/Vollkommer § 37 Rdn. 1. 10 Wieczorek 2. Aufl., § 37 Rdn. A IIa. 11 RGZ 125, 299, 310. 12 BGH ständig; im Fall BGH v. 2.2.1951 I ARZ 26/51 und v. 13.4.1951 I ARZ 87/51 hatte ihn kein beim BGH zugelassener Anwalt, in dem v. 9.2.1951 I ARZ 29/51 die Naturalpartei gestellt. 13 Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 1. 14 Musielak/Heinrich § 37 Rdn. 2; Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 1. 15 Zöller/Vollkommer § 37 Rdn. 1; Bornkamm NJW 1989, 2715. 16 RGZ 158, 222, 223.

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kung bestimmen kann.17 § 37 greift nicht ein, wenn sich ein Gericht für international, das andere für örtlich unzuständig erklärt hat.18 Der Prüfung unterliegen ferner die Anwendbarkeit der §§ 36, 37 und das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 1 bis 6. Prozessvoraussetzungen oder Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind dagegen nicht zu prüfen.19 Wenn absehbar ist, dass das Hauptsacheverfahren in Deutschland nicht durchgeführt werden kann, ist eine Gerichtsstandsbestimmung unzulässig.20 b) Der BGH hat die Auffassung vertreten, das angegangene Gericht i.S.v. § 36 habe 11 zur Vermeidung aufwendiger Nachforschungen die Prozessfähigkeit 21 und die Parteifähigkeit22 des Antragstellers im Verfahren nicht zu prüfen. Deren Prüfung würde die Prüfung der Prozessvoraussetzungen im Hauptverfahren vorwegnehmen. Das ist indes schon deshalb zweifelhaft, weil es sich bei dem Antrag zwar nicht um eine Prozesshandlung im Hauptsacheverfahren, wohl aber in einem Verfahren materieller Rechtsprechung (§ 36 Rdn. 4) handelt. Im Ergebnis ist aber dem BGH beizupflichten, da das Handeln auch des Prozessunfähigen im Bestimmungsverfahren dem Antragsgegner deshalb kein Nachteil zu erwachsen droht, da er im Hauptverfahren die fehlende Prozessunfähigkeit rügen und damit den Erlass eines ihm ungünstigen Urteils verhindern kann. c) Ist „das Gesuch“ unvollständig oder fehlen Beweisantritte, soweit diese erforder- 12 lich sind, um die Voraussetzungen eines Tatbestandes des § 36 zu belegen, so hat das angegangene Gericht auf den Mangel hinzuweisen (vgl. die Ausführungen bei § 139). Eine Zeugenvernehmung von Gerichts wegen ist unstatthaft. 3. Verhandlungsgrundsatz a) Es gilt der Verhandlungsgrundsatz (zum Antrag Rdn. 3); die Voraussetzungen des 13 § 36 Abs. 1 sind nicht von Amts wegen zu ermitteln. Das Gericht ist aber nicht an strengbeweisliche Formen (vgl. das unter § 284 Gesagte) gebunden, vielmehr greift der Freibeweis (vgl. die Ausführungen unter § 284) ein, so dass Art und Umfang etwaiger Ermittlungen ins Ermessen des Gerichts gestellt sind.23 b) Die vorgängige Anhörung des Gegners ist in der ZPO nicht vorgeschrieben. Bereits 14 aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich aber, dass in diesem Verfahren allen Beteiligten24 rechtliches Gehör zu gewähren ist. Der BGH gibt dem Gegner ständig schriftlich Gelegenheit zur Stellungnahme unter Übersendung des Antrags mit Bestimmung einer Frist.25 Die Gegenäußerung unterliegt nicht dem Anwaltszwang. Keine Anhörung des Gegners ist erforderlich, wenn das Gesuch zurückgewiesen wird. Darüber hinaus ist sie unzulässig, soweit § 834 entgegensteht (vgl. dazu § 834), abgesehen von § 850b Abs. 3.

_____ 17 18 19 20 21 22 23 24 25

299

BGHZ 19, 108, 109; BayObLGZ 1979, 292, 294. Schl-Holst OLG RIW 2000, 799. BGH NJW-RR 1987, 757; Bornkamm NJW 1989, 2713, 2715. BGHZ 19, 108, 109. BGH NJW-RR 1987, 757; Bornkamm NJW 1989, 2713, 2715. BayObLGZ 1974, 459 f. BayObLGZ 1985, 18, 19. MünchKomm/Patzina § 37 Rdn. 5. Vgl. BGH v. 14.9.1970 – I ARZ 232/70.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

III. Wirkungen der Antragstellung 15

Durch die Antragstellung gemäß Abs. 1 tritt gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 13 BGB Hemmung der Verjährung ein. Die Ersitzung wird nach § 941 BGB unterbrochen, vorausgesetzt, es erfolgt binnen dreier Monate nach erfolgter Entscheidung Klage vor dem zuständigen Gericht.26 Wird die Gerichtsstandsbestimmung aber abgelehnt, hat der Antrag keine verjährungshemmenden Wirkungen, da verjährungshemmend vor dem zuständigen Gericht ordnungsgemäß Klage hätte erhoben werden können.27 IV. Beschluss

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1. Formlose Mitteilung. § 37 Abs. 1 ordnet an, dass die Entscheidung im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren im Wege des Beschlusses ergeht. Der Beschluss ist mit einer Begründung zu versehen,28 obwohl er nach 37 Abs. 2 nicht anfechtbar ist. Der stattgebende Beschluss ist dem Antragsteller formlos mitzuteilen, wenn er vor Anhängigkeit der Hauptsacheklage ergeht, § 329 Abs. 2;29 bei Zustellung der Klage ist dann eine beglaubigte Ablichtung des Beschlusses beizufügen.30 Nach Klageerhebung ergangene Beschlüsse sind beiden Parteien – formlos, § 329 Abs. 2 – mitzuteilen.31 Der aufgrund einer – fakultativen – mündlichen Verhandlung hin ergangene Beschluss ist nach § 329 Abs. 1 zu verkünden.32

17

2. Kostenentscheidung. Eine Kostenentscheidung enthält der Beschluss grundsätzlich nicht. Denn die Kosten des Bestimmungsverfahrens sind solche des Hauptsacheverfahrens; daher sind die Kosten im Folgeverfahren erstattungsfähig i.S.d. § 91 . Davon ist im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Antrag zurückgewiesen oder vom Antragsteller zurückgenommen worden ist. In diesem Fall kommt es nicht zu einem Folgeverfahren, in dem über die Kosten des Bestimmungsverfahrens entschieden werden könnte. Hier ist entspr. §§ 91, 269 Abs. 3 eine Kostenentscheidung zu erlassen.33

18

3. Keine Bindung an den Antrag. Der Beschluss bezieht sich nur auf den Antrag, d.h. auf die Bestimmung darf nur (im Wesentlichen) dieselbe Klage bei dem bestimmten Gericht erhoben werden, die der Kläger zu erheben vorgab . Wird dem Gesuch stattgegeben, so bestimmt das Gericht durch Beschluss den Gerichtsstand. Dabei ist es an einen etwaigen Antrag des Antragstellers nicht gebunden. Denn § 308 Abs. 1 kommt hier nicht zur Anwendung, weil sich diese Vorschrift nur auf die außerprozessualen Sachanträge bezieht. 4. Rechtsbehelfe

19

a) Gegen den Beschluss, mit dem der Antrag auf Gerichtstandbestimmung zurückgewiesen wird, ist die sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 eröffnet. Daher ist

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Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 3. A.A. MünchKomm/Patzina § 37 Rdn. 3. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 5. RGZ 125, 299, 311 f. Zöller/Vollkommer § 37 Rdn. 3a. MünchKomm/Patzina § 37 Rdn. 6. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 5. BayObLGZ 2002, 152; OLG Stuttgart NJW-RR 2003, 1706; MünchKomm/Patzina § 37 Rdn. 9.

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Abschnitt 1. Gerichte

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der ablehnende Beschluss mit Gründen zu versehen.34 Nach Abs. 2 sind grundsätzlich solche Beschlüsse unanfechtbar, mit denen Gerichtsstandsbestimmungen vorgenommen werden, auch wenn das Gericht dem Antrag in der Bestimmung des Gerichts, dessen Zuständigkeit der Antragsteller zu bestimmen begehrt hatte, nicht folgt.35 Grundsätzlich unanfechtbar ist der stattgebende Beschluss auch für den Antragsteller.36 b) Lehnt ein angegangenes LG es ab, so ist die Beschwerde (§ 567) zulässig;37 ist das 20 Beschwerdegericht zuständig, so erlässt es den Beschluss, selbst wenn das LG unzuständig war. Ist das angegangene Gericht der Auffassung, dass ein anderes Gericht (gleicher, höherer oder niederer Ordnung) zuständig sei, so darf es auf Antrag an dieses verweisen (§ 281); doch bedeutet diese Verweisung nur, dass das angewiesene Gericht seine Zuständigkeit nicht mehr nachprüfen darf. Haben mehrere Gerichte, von denen eines für die Bestimmung an sich zuständig sein muss, die Bestimmung abgelehnt, so ist das ihnen gemeinsame obere Gericht zuständig (vgl. die Ausführungen unter § 36 Abs. 1); haben mehrere die Zuständigkeit bestimmt, so gilt jede Bestimmung für den, der klagen will, wahlweise (§ 35), mag die Bestimmung auch die Gegenpartei erlangt haben. Die Ablehnung der Bestimmung durch das untere Gericht hindert nicht, das höhere Gericht anzugehen, auch wenn eine Beschwerde nicht zulässig ist (§ 567 Abs. 3). c) Die Entscheidung gehört zur Vorentscheidung i.S.d. § 583; doch ist die Verletzung 21 der Wahrheitslast einer Partei (Verstoß gegen § 138 Abs. 1) noch kein Wiederaufnahmegrund.38 V. Wirkung der Zuständigkeitsbestimmung 1. Begründung der Zuständigkeit. War das bestimmte Gericht bislang nicht zu- 22 ständig, begründet der Beschluss seine Zuständigkeit. Ohne dass es eines Verweisungsbeschlusses gemäß § 281 bedürfte, wird die Zuständigkeit des bisher mit der Sache befassten Gerichts durch den Beschluss nach § 37 Abs. 1 aufgehoben. 39 Wird das ohnedies zuständige Gericht bestimmt entfaltet der deklaratorisch wirkende Beschluss gleichwohl Bindungswirkungen (unten Rdn. 23). War das Hauptsacheverfahren bereits anhängig oder rechtshängig hebt der Bestimmungsbeschluss die bisherige Zuständigkeit auf – es werden die Wirkungen von Anhängigkeit und Rechtshängigkeit auf das durch Bestimmung zuständige Gericht übergeleitet.40 2. Bindung des Gerichts des Folgeprozesses an den Bestimmungsbeschluss a) Der Beschluss darf nicht vom bestimmten Gericht nachgeprüft werden.41 Denn 23 Zweck der Gerichtsstandbestimmung ist es, dass ohne Verzögerungen endgültig Klarheit über das zuständige Gericht geschaffen und durch die damit erreichte Rechtssicherheit die effektive Rechtsverfolgung sichergestellt wird (vgl. dazu § 36 Rdn. 9, 13, 27; oben Rdn. 20). Eine Nachprüfung der Gerichtsstandsbestimmung durch das Gericht des Fol-

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Vgl. Zöller/Vollkommer § 37 Rdn. 4. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 6. RGZ 125, 299, 312. RGZ 125, 299, 312. A.M. RGZ 154, 299, 303. OLG Düsseldorf Rpfleger 1978, 184. Zöller/Vollkommer § 37 Rdn. 7. RGZ 125, 299 f.

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geprozesses scheidet daher selbst dann aus, wenn sich das bestimmende Gericht geirrt hat42 – denn der Vortrag, dass dies so sei, wird regelmäßig überhaupt erst die Frage nach einer Überprüfung aufwerfen. Ob der Irrtum sich auf die tatsächlichen Voraussetzungen der Gerichtsstandsbestimmung bezieht oder es sich um einen Rechtsirrtum handelt spielt dabei keine Rolle. Auch wenn ein (erforderlicher) Gerichtsstand bei dem bestimmten Gericht überhaupt nicht vorhanden ist, bindet der Bestimmungsbeschluss und schließt eine Überprüfung durch das Gericht des Folgeprozesses aus.43 Im letzten Fall ist allerdings die Verfassungsbeschwerde zulässig.44 Das bestimmte Gericht ist an den Beschluss gebunden. 45 Diese Bindungswirkung trifft auch die dem bestimmten Gericht überordneten Rechtsmittelgerichte.46 Die Reichweite der Zuständigkeitsbestimmung hängt vom Bindungswillen des bestimmenden Gerichts ab. 47 Beim Streit über die Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Rechtswege bindet die Bestimmung nur hinsichtlich des Rechtswegs,48 im Übrigen entspricht sie der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses (vgl. § 36 Rdn. 120 ff.). Gebunden ist nicht nur das Eingangsgericht. Vielmehr dauert die Bindungswirkung für die gesamte Dauer des Rechtsstreits auch in den Rechtsmittelinstanzen an, so dass der Bestimmungsbeschluss auch die Rechtsmittelgerichte bindet.49 b) Die Reichweite der Bindungswirkung des Bestimmungsbeschlusses ist vom Bindungswillen des Gerichts nach § 36 abhängig. Das wird deutlich, wenn man das Beispiel eines Familienstreitverfahrens nach §§ 112, 113 FamFG nimmt (§ 36 Rdn. 18 f.). Bestimmt für einen vermögensrechtlichen Streit das Gericht nach § 36, dass „das Familiengericht“ zuständig sei, ohne eine Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit zu treffen, betrifft die Bindungswirkung allein dessen funktionelle Zuständigkeit; eine Verweisung an ein anderes Familiengericht nach §§ 112, 113 FamFG iVm § 281 ist daher von der Bindungswirkung des Bestimmungsbeschlusses nicht erfasst.50 3. Erhebung der Klage mit einem völlig anderen Sachverhalt 24

a) Wird eine Klage über einen anderen Sachverhalt als im Beschluss angenommen erhoben, entfaltet dieser keine Bindungswirkung,51 da sich der Bindungswille des bestimmenden Gericht nicht auf den Gerichtsstand beziehen konnte, der sich aus dem anderen Sachverhalt ergibt. Dabei ist allerdings zu differenzieren. Betrifft die Klage einen anderen Anspruch, so dass z.B. die Anknüpfung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 wegfällt oder wird gegen den Streitgenossen, an dessen Wohnsitz gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 angeknüpft worden ist, die Klage nicht erhoben,52 entfällt die Bindungswirkung des Bestimmungsbeschlusses. Gleiches gilt, wenn mit der Klage ein weiterer Anspruch geltend gemacht wird, für den die Gerichtsstandsbestimmung nicht getroffen worden war. Wird dagegen dergestalt „weniger“ eingeklagt, das mit der Klage aber noch ein Anspruch geltend ge-

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RGZ 86 404, 406. RGZ 154, 299, 303 f.; RGZ 86, 404, 405. BVerfGE 29, 45, 49. RGZ 86, 404, 405 f.; BayObLG NJW-RR 1991, 187, 188. BGH FamRZ 1980, 670, 672; BayObLG Rpfleger 1987, 124, 125; a.A. OLG Schleswig SchlHA 1981, 67, 68. AG Lübeck NJW 1978, 649 m. Anm. Jauernig S. 1271. BAG MDR 1993, 57. BGH FamRZ 1980, 670, 672; BayObLG RPfleger 1987, 124, 125; MünchKomm/Patzina § 37 Rdn. 7. Vgl. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 8. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 8. Vgl. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 8.

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macht wird, für den die Gerichtsstandsbestimmung getroffen worden ist, bleibt diese Klage vom Bindungswillen des bestimmenden Gerichts erfasst.53 b) Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse nach Erlass des Bestimmungsbe- 25 schlusses berühren die durch den Beschluss begründete Zuständigkeit im Allgemeinen nicht.54 Das folgt aus dem Verhältnis des „unteren“ Eingangsgerichts zu dem „nächst höheren“ Bestimmungsgericht: Der Bestimmungsbeschluss des letzteren, der ja nach § 37 Abs. 2 unanfechtbar ist, könnte vom Eingangsgericht des Folgeprozesses wegen seiner Beurteilung des Sachverhalts missachtet werden, was der Instanzenordnung, aber eben auch der Funktion des § 37 Abs. 2 widerstreiten würde. c) Wird die Zuständigkeitsbestimmung für das Prozesskostenhilfeverfahren der 26 §§ 114 ff. getroffen bindet der Beschluss nur für diese Verfahren, nicht aber für das Hauptsacheverfahren. Dies folgt aus dem summarischen Charakter des Prozesskostenhilfeverfahrens.55

TITEL 3 Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte § 38 Smid/Hartmann

§ 38 Zugelassene Gerichtsstandsvereinbarung (1) Ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszuges wird durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind. (2) Die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges kann ferner vereinbart werden, wenn mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Die Vereinbarung muss schriftlich abgeschlossen oder, falls sie mündlich getroffen wird, schriftlich bestätigt werden. Hat eine der Parteien einen inländischen allgemeinen Gerichtsstand, so kann für das Inland nur ein Gericht gewählt werden, bei dem diese Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand hat oder ein besonderer Gerichtsstand begründet ist. (3) Im Übrigen ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zulässig, wenn sie ausdrücklich und schriftlich 1. nach dem Entstehen der Streitigkeit oder 2. für den Fall geschlossen wird, dass die im Klageweg in Anspruch zu nehmende Partei nach Vertragsschluss ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt oder ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist. Schrifttum Arens Willensmängel bei Parteihandlungen im Zivilprozess (1968); Baumgärtel Die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit nach dem EWG-Übereinkommen vom 27.9.1968 und nach § 38 Abs. 2 ZPO,

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RG JW 1917, 602; Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 8. Stein/Jonas/Roth § 37 Rdn. 7; vgl. aber OLG Köln OLGRspr. 25, 60; OLG Celle OLGRspr. 31, 13. Vgl. zum Begriff BVerfGE 1 BvR 2236/06 vom 14.12.2006, FF 2007, 48 ff.

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FS Kegel (1977) 285; ders. Wesen und Begriff der Prozesshandlungen einer Partei im Zivilprozess (1957) S. 279; Bork Gerichtsstandsklauseln in Satzungen von Kapitalgesellschaften, ZHR 157 (1993) 48; Bülow Prorogationsgemäße Klage der durch das Prorogationsverbot geschützten Partei, VersR 1976, 415; Diederichsen Die neuen Grenzen für Gerichtsstandsvereinbarungen, BB 1974, 377; von Falkenhausen Ausschluß von Aufrechnung und Widerklage durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, RIW 1982, 386; ders. Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen und unerlaubte Handlung, RIW 1983, 420; Geimer Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten und zu Lasten Dritter, NJW 1985, 533; ders. Anforderungen gemäß VollstrZustÜbk Art 17 an eine Gerichtsstandsklausel in der Satzung einer Aktiengesellschaft, EWiR 1989, 855; Gottwald Grenzen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Firsching (1985) 89; ders. Die Prozeßaufrechnung im europäischen Zivilprozeß, IPRax 1986, 10; Jayme Gerichtsstand und abgelaufener Hauptvertrag in Art. 17 EuGVÜ, IPRax 1989, 361; John die organisierte Rechtsperson (1978); Keller Die Gerichtsstandsvereinbarung gem. §§ 38 ff. ZPO, JURA 2008, 523; Klunzinger Die Novellierung des Rechts der Gerichtsstandsvereinbarungen, JR 1974, 271; Kohler Prozeß als Rechtsverhältnis, in: Kleine zivilprozeßrechtliche Schriften, Bd. 22, S. 1 ff.; Kornblum Der Kaufmann und die Gerichtsstandsnovelle, ZHR 138 (1974) 478; Kropholler Die Vereinbarung über die Zuständigkeit, in: Hdb. IZVR, Bd. I (1982); Kwaschik Die Parteivernehmung und der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess (2004); Lindenmayr Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und das darauf anwendbare Recht, Diss. Berlin 2000; Löwe Das neue Recht der Gerichtsstandsvereinbarung, NJW 1974, 473; Saenger Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach EuGVÜ und LugÜ, ZZP 110 (1997), 477; Samtleben Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem EWG-Übereinkommen und nach der Gerichtsstandsnovelle, NJW 1974, 1590; Vollkommer Die Gerichtsstandsbegründung durch den Parteiwillen nach der Zivilprozeßnovelle 1974, Rpfl. 1974, 129; Walchshöfer Die Wirksamkeit internationaler Zuständigkeitsvereinbarungen, NJW 1972, 2164.

I. II. III.

IV.

V.

Übersicht Normzweck ____ 1 Übersicht ____ 3 Funktionale Äquivalente zur Gerichtsstandsvereinbarung ____ 5 1. Rügeloses Einlassen ____ 5 2. Vereinbarungen über den Erfüllungsort ____ 13 Rechtsdogmatische Grundfragen der Gerichtsstandsvereinbarung ____ 16 1. Einigungen über das Prozessrechtsverhältnis betreffende Fragen ____ 16 2. Perpetuatio fori ____ 22 3. Berufung auf die Gerichtsstandsvereinbarung im rechtshängigen Prozess als Klageänderung oder Klagerücknahme ____ 25 Materiell-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen von Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 28 1. Rechtliche Qualifikation von Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 28 2. Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung ____ 33 3. Gerichtsstandsvereinbarungen als abstrakter Vertrag ____ 38 4. Geschäftsfähigkeit ____ 39 5. Stellvertretung, gesetzliche Vertretung (Organe) ____ 40 6. Form der Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 43

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7.

Anfechtung wegen Willensmängeln ____ 46 8. Wirkung der Anfechtung im rechtshängigen Prozess ____ 50 VI. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen von Gerichtsstandsvereinbarungen nach Abs. 1 bis 3 ____ 52 1. Bestimmtheit ____ 53 2. Vermögensrechtliche Streitigkeit ____ 59 3. Ausschließliche Zuständigkeit besonderer ordentlicher Gerichte ____ 61 4. Familengerichte; Freiwillige Gerichtsbarkeit; Strafgerichte ____ 64 5. Zeitliche Schranken der Prorogation ____ 65 6. Sonderregelungen des Ausschlusses der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 67 VII. Gegenständlicher Inhalt der Gerichtsstandsvereinbarung ____ 68 1. Streitsache ____ 68 2. Keine Beschränkung der Prozessart ____ 69 VIII. Derogation ____ 70 IX. Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 73 1. Grenzen der Auslegung im Prozess ____ 73 2. Fallbeispiele ____ 75

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Abschnitt 1. Gerichte

X.

XI.

Gerichtsstandsvereinbarungen unter Kaufleuten, Abs. 1 ____ 81 1. Kaufleute ____ 81 2. Abschließender Charakter der Regelung; Funktion ____ 84 3. Zeitpunkt, zu dem die Kaufmannseigenschaft vorgelegen haben muss ____ 88 4. Internationale Prorogation unter Kaufleuten ____ 90 5. Rechtliche Qualifikation der Hauptsache ____ 91 6. Besonderheiten beim Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung ____ 92 Gerichtsstandsabreden unter Beteiligung wenigstens eines Nichtkaufmanns: Internationale Prorgation, Abs. 2 ____ 96 1. Verdrängung durch Art. 19 EuGVVO ____ 96 2. Sonderregelungen des deutschen Rechts ____ 97 3. Grundsatz ____ 98 4. Form ____ 100 5. Materiell-rechtliche Voraussetzungen ____ 104 6. Beschränkung der Wahlfreiheit bei inländischem Gerichtsstand einer Partei ____ 109

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Abs. 3 ____ 110 1. Regelung des Abs. 3 Nr. 1: Nachfolgende Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 110 2. Formerfordernisse ____ 112 3. Inhaltliche Anforderungen ____ 115 4. Vereinbarung eines Hilfsgerichtsstandes, Abs. 3 Nr. 2 ____ 116 XIII. Sonderfälle: Gerichtsstandsklauseln ____ 120 1. Gerichtsstandsklauseln in Gesellschaftssatzungen ____ 120 2. Ermittlung der Ausschließlichkeit oder der Fakultativität des vereinbarten Gerichtsstandes ____ 126 3. Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen ____ 127 4. Prorogation des Gerichtsstands der Widerklage ____ 133 5. Prozessuales Aufrechnungsverbot ____ 136 6. Vorläufiger Rechtsschutz ____ 138 7. Auf Gerichtsstandsvereinbarung gestützte Verweisung ____ 139 XIV. Nachweis des Vorliegens einer Gerichtsstandsvereinbarung ____ 144 XV. Internationale Zuständigkeit ____ 146 XII.

I. Normzweck Die Prozessordnung lässt an bestimmten Stellen sog. Prozessverträge zu (§§ 38, 108, 1 224, 816, 1025, 1034 Abs. 2, 1048, § 101 ArbGG). Da das Prozessrecht zwingendes Recht ist, wird der Frage, ob darüber hinausgehende Prozesshandlungen bestimmender Verträge wirksam sind, mit Bedenken begegnet,1 soweit nicht der außerprozessualen Gestaltung (etwa nach § 315 BGB bei Schiedsgutachterverträgen, vgl. § 1025) Raum zu geben ist.2 Die Regelung des § 38 über die Zulässigkeit von Vereinbarungen über den Gerichts- 2 stand begründet ein Regel/Ausnahme-Verhältnis. Grundsätzlich sind Gerichtsstandsvereinbarungen unzulässig, um die durch die gesetzlichen Regelungen der §§ 13 bis 37 gewährleistete Waffengleichheit der Parteien nicht zu deren Disposition zu stellen.3 Die Vorschrift regelt dabei die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise eine zwischen den Parteien eines künftigen oder gegenwärtigen Rechtsstreits getroffene Vereinbarung über die Zuständigkeit des erstinstanzlich zur Entscheidung berufenen Gerichts, also eine Gerichtsstandsvereinbarung Wirksamkeit erlangt.4

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MünchKomm/Rauscher Einl. Rdn. 414 m.w.N. Musielak/Voit § 1025 Rdn. 1. Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 1. Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 1.

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II. Übersicht Nach Abs. 1 können nur zwischen Kaufleuten wirksam Gerichtsstandsvereinbarungen eingegangen werden (eingehend unten Rdn. 28 ff.); Nichtkaufleute können wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen nur unter den Voraussetzungen des Abs. 2 dann vereinbaren, wenn eine der Parteien keinen Gerichtsstand im Inland hat (unten Rdn. 84). Diese Beschränkung auf die Zulässigkeit einer durch Kaufleute (Abs. 1) geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung ergibt sich aus den Gefährdungen, die einer geschäftsunerfahrenen schwächeren Partei aus solchen Gerichtsstandsvereinbarungen erwachsen würden.5 Vollständig verständlich ist das freilich nicht. Weshalb beispielsweise der Insolvenzverwalter oder ein Rechtsanwalt eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht soll treffen können, ist wenig plausibel. Zu unterscheiden sind einerseits die Prorogation, die Begründung der Zuständigkeit eines an sich nicht zuständigen Gerichts und andererseits die Derogation, der Ausschluss der Zuständigkeit eines an sich zuständigen Gerichts (zu den Funktionsweisen unten Rdn. 28 ff., 52 ff., 70 ff.). 4 Die örtliche wie die sachliche Zuständigkeit –regelmäßig die der ersten Instanz6 – kann vereinbart werden.7 Dies wird unter dem Gesichtswinkel der Geschäftsverteilung erheblich, soweit die Zivilkammer an Stelle der Kammer für Handelssachen angegangen wird, weil sie nicht von Amts wegen an die Kammer für Handelssachen verweisen darf (§ 98 Abs. 3 GVG).8 Die Vereinbarung wirkt für und gegen die Rechtsnachfolger der Beteiligten (z.B. den Zessionar9). Der Wechsel der gesetzlichen Vertretung ist ohne Bedeutung.10 3

III. Funktionale Äquivalente zur Gerichtsstandsvereinbarung 1. Rügeloses Einlassen 5

a) Die Eröffnung der Möglichkeiten von Gerichtsstandsvereinbarungen ist kein Bruch des Systems der ZPO. Die Zuständigkeitsordnung der §§ 12 ff. ist als Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage nicht derart festgeschrieben, dass sie durch die Handlungen der Parteien auch außerhalb ausdrücklicher Vereinbarungen über den Gerichtsstand nicht beeinflusst werden könnten. Die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges wird nämlich gemäß § 39 auch dadurch begründet, dass der Beklagte, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandelt. Dies gilt nicht, wenn im Falle der örtlichen Unzuständigkeit des angerufenen Amtsgerichts die Belehrung nach § 504 unterblieben ist. Verhandelt der Beklagte im Übrigen zur Hauptsache, so wird die gerichtliche Zuständigkeit begründet, vorausgesetzt, dass sie vereinbart werden könnte, sofern der Beklagte die Unzuständigkeit bis dahin nicht gerügt (vgl. § 295) hatte, gleichviel, ob er sich dessen bewusst war oder nicht.11 Liegt indes einer der Fälle vor, unter denen nach § 40 eine Vereinbarung über den Gerichtsstand nicht getroffen werden kann, wird nach § 40 Abs. 2 S. 2 die Zuständigkeit eines Gerichts auch nicht

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Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 1. RGZ 148, 131 ff., RG Gruch. 53/1114 ff. RGZ 93, 312, 314. Wieczorek 2. Aufl., § 38 Rdn. A I. KG OLG 17/97 ff. Wieczorek 2. Aufl., § 38 Rdn. C Ia 5. RG Gruch. 44/1183.

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durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache begründet. Anders ist dies nur im amtsgerichtlichen Verfahren (§§ 39 S. 2, 504). b) Zustimmung des Beklagten zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. 6 Daraus folgt weiter, dass, wenn der Beklagte ausdrücklich (auch vor der Verhandlung zu Hauptsache) durch Prozesserklärung zustimmt, er auch nicht mehr rügen darf, weil dann die Zuständigkeit begründet ist.12 c) Einzelheiten aa) Der Beklagte kann sich dabei auch in Abwesenheit des Klägers erklären. Der 7 ausdrücklichen Zustimmung des Beklagten steht sie durch schlüssiges Verhalten (als stillschweigende) gleich. Auch in der (vorbehaltlosen) Erhebung der nach § 33 abhängigen Widerklage tritt der Rügeverlust ein (vgl. § 33 Rdn. 110 ff.).13 Die Zustimmung des Beklagten ist auch gegeben, wenn beide Parteien Verweisung des Rechtstreits an ein anderes bestimmtes Gericht gemeinsam beantragen oder der Kläger ohne Rüge des Beklagten.14 Doch wird der Kläger nicht von der Kostenlast entbunden. Unter Verhandlung zur Hauptsache versteht die Prozessordnung Verschiedenes. Sie bezeichnet den Gegensatz einer Vor- zur Sachverhandlung (vgl. §§ 99; 239 Abs. 2 und 4; 249 Abs. 2, 240, 345, 588 Abs. 1 Nr. 3, 590, 919, 926, 927 Abs. 2). Im Fall des § 39 wie in den der §§ 76 Abs. 1 (77), 271 Abs. 1, 274, 504 bedeutet Hauptsache die Verhandlung; über den außerprozessualen Anspruch (den Sachantrag bzw. im Urkundenrechtstreit über diesen Antrag) im Gegensatz zur Verhandlung über Prozessbedingungen und den reinen Prozessanträgen (auf Vertagung u.dgl.m.). bb) Es kommt nur auf die Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache an. Anwe- 8 senheit des Klägers ist nicht erforderlich. Verhandelt der Beklagte gegen ihn zur Hauptsache und beantragt den Erlass des vollen Versäumnisurteils, nicht bloß des prozessabweisenden (vgl. die Ausführungen bei § 330), so ist die Zuständigkeit begründet; die alleinige Verhandlung des Klägers zur Hauptsache, wenn der Beklagte nicht erscheint, und gegen ihn Versäumnisurteil ergeht, ist dagegen ohne Bedeutung.15 Dies gilt, obwohl § 331 Abs. 1 S. 2 den Zuständigkeitsnachweis in den Fällen der §§ 29 Abs. 2, 38 vorschreibt, auch in diesen. cc) Die Fiktion, wonach der im Sinne von § 331 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 3 säumige Be- 9 klagte das tatsächliche Vorbringen des Klägers zugestanden hat, gilt nicht in Bezug auf die Behauptung der örtlichen Zuständigkeit auf Grund einer Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38. Vielmehr sind sowohl das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung als auch die Prorogationsfähigkeit der Parteien vom Kläger nachzuweisen. Der Kläger genügt seiner Nachweispflicht hinsichtlich der Prorogationsfähigkeit des Beklagten, wenn er dem Gericht die Gewissheit verschafft, dass beim Beklagten die Voraussetzungen vorliegen, unter denen Kaufmannseigenschaft vermutet wird. Es genügt daher, wenn der Kläger nachweist, dass der Beklagte ein Gewerbe betreibt. Er braucht dagegen nicht den

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RGZ 151, 65, 67. KG JW 1931, 1825. RGZ 94, 133, 136; OLG Köln ZZP 1950, 147. RGZ 2, 408, 409.

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Nachweis zu führen, dass das Unternehmen des Beklagten einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb tatsächlich erfordert.16 10

dd) Die Rüge darf auch (anders als in den sonstigen Fällen des § 269 Abs. 3) nicht später nachgebracht werden durch Glaubhaftmachung, dass der Beklagte ohne sein Verschulden sie nicht erhoben hat;17 wohl aber im Amtsgerichtsverfahren, wenn es entgegen § 504 unterlassen hat, den Beklagten auf seine sachliche Unzuständigkeit hinzuweisen (§§ 504, 39 S. 2). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233) gibt es hier nicht.

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ee) Bei mehreren Beklagten wirkt der Rügeverlust bzw. die Vereinbarung nur in jeder einzelnen Person (§ 61); bei der notwendigen Streitgenossenschaft dagegen nur, wenn sie gegen alle vorliegen (doch werden die säumigen durch die nichtsäumigen vertreten, § 62; was die säumigen auch gegen sich gelten lassen müssen, soweit nicht § 331 Abs. 1 S. 2 durchgreift). Der selbständige Streitgehilfe (§ 69) darf auch gegen den Widerspruch des Beklagten die Rüge erheben; sie ist zu. beachten, und zwar auch zugunsten des Beklagten.

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ff) Eine rügelose Verhandlung zur Sache vor dem unzuständigen Gericht hindert folglich eine Verweisung an das zuständige Gericht nicht, wenn es an der nach § 504 erforderlichen Belehrung des Beklagten über die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gefehlt hat. Erfolgt der Hinweis nach § 504 erst nach mündlicher Verhandlung, wird die Sperre des § 39 S. 2 erst von diesem Zeitpunkt an aufgehoben und das sachlich unzuständige Gericht erst durch rügelose Verhandlung des Beklagten in der nächsten mündlichen Verhandlung zuständig. Ein vor der mündlichen Verhandlung erklärter Verzicht des Beklagten auf die Erhebung der Rüge der Unzuständigkeit entfaltet Wirkungen nur, wenn Form und sachliche Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 gegeben sind.18

2. Vereinbarungen über den Erfüllungsort. Die Vorschrift des § 38 wird ergänzt durch § 29 Abs. 2, der Vereinbarungen über den Erfüllungsort betrifft: Danach begründet eine Vereinbarung über den Erfüllungsort die Zuständigkeit nur, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind – was auf die Regelung des § 38 Abs. 1 verweist, wodurch Umgehungen des Prorogationsverbots des § 38 verhindert werden sollen.19 Aus der Vereinbarung über einen (möglichen) Erfüllungsort, die des Gerichtsstandes 14 herzuleiten, ist daher abzulehnen. Umso weniger kann hieraus auf die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes geschlossen werden.20 Ist die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien in einem Generalübernehmervertrag mangels Kaufmannseigenschaft des Auftraggebers und auch einer ARGE als Auftragnehmer unwirksam, bleibt der Erfüllungsort der Ort der Bauausführung.21 Treffen Nichtkaufleute – also Personen, auf die im Recht der Gerichtsstandsverein15 barungen die Absätze 2 und 3 des § 38 anzuwenden wären – materiell-rechtliche Vereinbarungen über den Erfüllungsort nach § 269 BGB, ist damit aber nicht ohne weiteres ge13

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OLG Karlsruhe MDR 2002, 1269. BGH MDR 1964, BS, RGZ 86, 229, 231. OLG Schleswig SchlHA 2013, 78. MünchKomm/Patzina § 29 Rdn. 21. OLG Hamburg JW 17/869. OLG Celle BauR 2004, 1338.

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meint, dass diese materiell-rechtlichen Vereinbarungen nicht zu dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 Abs. 1 führen. Dies ist nur dann der Fall, wenn Erfüllungsortsvereinbarungen von der wirklichen, von den Parteien gewollten und durchgeführten Abwicklung des Vertragsverhältnisses isoliert getroffen werden. Solche isolierten oder abstrakten Vereinbarung über den Erfüllungsort sind in ihrem Gehalt Gerichtsstandsvereinbarungen; wollte man ihnen materiell-rechtlich und prozessual nach § 29 Abs. 1 Wirkung beimessen, wäre damit eine Umgehung des § 38 Abs. 1 möglich. § 29 Abs. 2 stellt sich daher als Vorschrift dar, mit der derartige Umgehungen ausgeschlossen werden (vergleiche § 29). IV. Rechtsdogmatische Grundfragen der Gerichtsstandsvereinbarung 1. Einigungen über das Prozessrechtsverhältnis betreffende Fragen a) Allein die Feststellung, dass im positiven Gesetzesrecht der ZPO prozessual wir- 16 kende Vereinbarungen der Parteien zugelassen sind und dass in § 38 von zugelassenen Gerichtsstandsvereinbarungen die Rede ist, gibt noch nicht das Instrumentarium dafür an die Hand, die Probleme angemessen zu erörtern, die sich für die Behandlung von Problemen bei der Zulassung von Gerichtsstandsvereinbarungen in konkreten Fallgestaltungen ergeben. Hierfür ist es erforderlich, die Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 in dem systematischen Zusammenhang von materiellrechtlich oder prozessual zu betrachtenden Verträgen in ihrer Verschränkung mit dem Zivilprozessrecht zu betrachten, das die Grundlage solcher Vereinbarungen darstellt, zu verstehen.22 Außerhalb des Zivilprozesses können die Parteien eines Rechtsverhältnisses sich über die Abwicklungsformen der zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses verstehen und vergleichsweise nach § 779 BGB einigen. Ob und inwieweit dabei in der Tat ein beiderseitiges Nachgeben und Abrücken von zuvor eingenommenen Rechtsstandpunkten erforderlich ist,23 kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Interessant ist, dass sich außerprozessual lebende Menschen (natürliche Personen), juristische Personen, Personengesellschaften und Personifikationen24 wirksam einigen können. Das Beschreiten des Rechtsweges, der eingeschlagen wird, wenn und soweit eine vergleichsweise Einigung nach § 779 BGB nicht in Betracht kommt oder scheitert, führt zu einer Veränderung der Rechtslage zwischen den Parteien des Rechtsverhältnisses. Die Parteien nehmen dann nämlich nicht nur gegeneinander eine Beziehung ein, so dass Schädiger und Geschädigter, Verkäufer und Käufer, Eigentümer und Besitzer, Geschäftsherr und Auftragnehmer sich gegenüberstehen. Mit diesen Rechtsbeziehungen bilden diese Parteien vielmehr mit der Klagerhebung ein Prozessrechtsverhältnis,25 dass sie gegeneinander einnehmen, aber zugleich gegenüber dem angerufenen Gericht besteht.26 b) Unter dem Prozessrechtsverhältnis ist das durch die Inanspruchnahme eines 17 Gerichts zu dem es in Anspruch nehmenden Partei und ihrer Gegenpartei (soweit sie

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22 Walchshöfer NJW 1972, 2164. 23 MünchKomm-BGB/Habersack § 779 Rdn. 26 f. 24 John die organisierte Rechtsperson (1978) S. 218, insbes. S. 230 f. 25 Kohler Prozeß als Rechtsverhältnis, in: Kleine zivilprozeßrechtliche Schriften, Bd. 22, S. 1 ff.; ausführlich zum Begriff Smid Zivilverfahrenslehre 2014, § 1 Rdn. 51 ff., 62 ff.; Schellhammer Zivilprozess, Rdn. 1270. 26 Smid Zivilverfahrenslehre 2014, § 1 Rdn. 62; vgl. auch Braun Lehrbuch des Zivilprozeßrechts 2014, § 4 Kap. 1 III 2 ff. (S. 67 ff.).

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notwendigerweise in den Prozess gehört) entstehende, in der Prozessordnung geregelte Verhältnis zu verstehen.27 Es entspricht dem Rechtsverhältnis des außerprozessualen Rechts, ist aber von diesem insofern zu unterscheiden als das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien außerprozessualer Art ist und zwischen den Beteiligten ohne das Dazwischentreten des Gerichts besteht. Es entsteht unmittelbar durch Gesetz oder durch die vom Gesetz zugelassene Vereinbarung und endet entsprechend dem Gesetz, durch den Willen der Beteiligten oder in Erfüllung ihres Wollens.28 Das Prozessverhältnis entsteht demgegenüber stets durch die einseitige (Prozess-)Handlung des Klägers, nicht durch die Verpflichtung oder die Verletzung außerprozessualen Rechts oder eine gesetzliche Haftung bei einem gegebenen Tatbestand wie das Rechtsverhältnis. Es wird durch das Gericht – nämlich durch rechtskräftige Endentscheidung – oder die Prozesserklärung – Klagerücknahme, Erledigungserklärungen – einer oder beider Parteien beendet. c) Gegenüber dem Gericht stehen die Parteien in einem Verhältnis, das durch ihren Anspruch auf Justizgewährung gekennzeichnet wird.29 Das Verfahren des Gerichts ist durch Normen des Prozessrechts strukturiert.30 Und ob ein bestimmtes Gericht der richtige Adressat der Rechts auf Bitte der Parteien (des Klägers, aber mit dem Klagabweisungsantrag auch des Beklagten) ist, richtet sich grundsätzlich zunächst auch nach dem geltenden Prozessrecht, nämlich den Regelungen über die sachliche und örtliche Zuständigkeit, die funktionelle Zuständigkeit und den Rechtsweg.31 Das ist darauf zurückzuführen, dass eine unparteiische Entscheidung von den Parteien nur unter der Voraussetzung erwartet werden kann, dass das zuständige Gericht selbst nach abstrakten Rechtsregeln bestimmt wird und nicht etwa danach, von welchem Gericht eine der Parteien eine ihr günstige Entscheidung erwarten kann. Die Parteien können daher erwarten, dass die Unparteilichkeit des Gerichts bei seiner Entscheidung durch die rechtsförmige Abstraktheit der Zuständigkeitsregeln gewährleistet wird. Die Zuständigkeitsregeln (vgl. die Ausführungen unter § 12) der ZPO dienen daher der Ermittlung des gesetzlichen Richters, womit nicht allein eine abstrakte verfassungsrechtliche Anforderung formuliert, sondern eine wesentliche Voraussetzung eines unter Bedingungen der Gewährung von Waffengleichheit durchgeführten fairen Prozesses zu sehen ist.32 Mit der Formulierung, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung ein Prozesssachever19 trag oder Prozessvertrag sei, soll deutlich gemacht werden, dass die Vereinbarung in keine Rechtsfolgen außerhalb des Prozesses zeitigen soll. Vielmehr soll mit einem prozessrechtlichen Vertrag oder Prozessvertrag eine Rechtsfolge spezifisch im Prozessrechtsverhältnis herbeigeführt werden. Nun gibt es in der Tat gemeinsame Erklärungen in Ansehung des Prozessrechtsverhältnisses, die von den Parteien im Prozess abgegeben werden und die sich als Prozesshandlungen darstellen. Hier ist z.B. an die beiderseitige Erledigungserklärung im Sinne von § 91a zu denken oder an die Erklärungen des Beklagten mit denen er einer Klageänderung nach § 263 oder der Klagerücknahme nach § 269 zustimmt. Diese sind im engeren Sinne Prozesshandlungen, da sie unmittelbar auf das Prozessrechtsverhältnis einwirken. Im Schrifttum wird denn auch ausgeführt, dass die

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27 Braun Lehrbuch des Zivilprozeßrechts 2014, § 4 Kap. 1 III 1 ff. (S. 66 ff.); vgl. auch Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht § 2 Rdn. 1 ff.; Schellhammer Zivilprozess, Rdn. 1270. 28 Wieczorek 2. Aufl., Rdn. B IIIa. 29 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 38 Rdn. 2; Smid Zivilverfahrenslehre 2014, § 16 Rdn. 13. 30 Schellhammer Zivilprozess, Rdn. 1270. 31 Vgl. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 1 m.w.N. 32 Prütting/Gehrlein-ZPO/Lange § 38 Rdn. 1; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 1; MünchKomm/K. Schmidt/ Brinkmann § 779 Rdn. 1.

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Gerichtsstandsvereinbarung, die er regelmäßig außerhalb des Prozessrechtsverhältnisses, dieses aber vorbereitend geschlossen wird auf Prozesshandlungen der Parteien aber in einem weiteren Sinne beruhe. Einen Sinn kann diese Art der Abgrenzung aber nicht haben im Hinblick auf die Erklärung des prozessualen Handelns der Parteien im Prozess, also in Bezug auf das Gericht als Dritten in dem Prozessrechtsverhältnis. Fragt man nach dem Erklärungswert eines solchen Ansatzes, kommt in Betracht, dass damit der Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung als nach Maßgabe der in § 38 normierten Voraussetzungen wirksamen Vereinbarung in Bezug auf das Prozessrechtsverhältnis eine Abgrenzung von prozessual relevanten materiell-rechtlichen Vereinbarungen vorgenommen werden kann, wie sie für die teleologische Reduktion im Zusammenhang der Auslegung des § 29 Abs. 2 von Bedeutung ist. Dann kann nämlich mit der Kategorie des prozessrechtlichen Vertrages die Gerichtsstandsvereinbarung als gegenüber dem materiellen Rechtsverhältnis der Parteien, aus dem sich die von der Gerichtsstandsvereinbarung erfassten Streitigkeiten ergeben können, abstrakt prozessuale Vereinbarung beschrieben werden. Eine solche abstrakte Vereinbarung ist nur wirksam, wenn sie den gesetzlich normierten Ausnahmetatbestand des § 38 erfüllt. Denn mit ihr wird gerade ohne Rücksicht auf die materiell-rechtlichen Beziehung der Parteien der aus der Waffengleichheit der Parteien resultierende Grundsatz durchbrochen dass der Kläger den Beklagten an dessen Wohnsitz oder Sitz aufzusuchen habe. Dies aber steht als allgemeine oder grundsätzliche Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage im Allgemeinen nicht zur isolierten Disposition der Parteien. Demgegenüber können die Parteien auf den Gerichtsstand einwirken und damit legitime Abweichungen vom Grundsatz des actor sequitur forum rei verwirklichen, wenn sie sich materiell-rechtlich wirksam über den Erfüllungsort einigen (§ 269 BGB, vergleiche § 29 Rdn. 32 ff.). Letzteres ist ersichtlich bei einem auf dem Gebiet des materiellen Rechts geschlossenen Vertrag, in dem in Bezug auf die Leistungserbringung deren Modalitäten geregelt werden. d) Prozessuale Verträge sind daher immer im Kontext ihrer Auswirkung auf die Ge- 20 währung von Waffengleichheit der Parteien durch das im Übrigen geltende Prozessrecht zu sehen.33 Dies gilt aus dem außerprozessualen Recht (der Sphäre, in der die Parteien eines Rechtsverhältnisses über die Geltung materieller Rechtssätze in ihrem Verhältnis zueinander ohne Einschaltung des Gerichts als unparteiischen Dritten in einem Prozess rechtlich geordneten Verfahren verhandeln). Es ist nicht unbekannt, dass die Verhandlungen der Parteien unter den Gesichtspunkten der Wahrung fairer Gleichheit geordnet werden. Es sei hier an Regelungen wie die des § 138 Abs. 2 BGB oder an den gesamten Bereich des Verbraucherschutzrechts erinnert, mit dem das soziale oder wirtschaftliche Übergewicht einer Partei, das zu einem ungerechten Verhältnis führen könnte, korrigiert und ausgeglichen wird. Dass die Regelungen des positiv gesetzlich geltenden Prozessrechts mit ihrer ausbalancierten Gewährleistung der Waffengleichheit der Parteien im Prozess der Erkenntnis des zwischen ihnen streitigen Rechts in besonderem Maße störanfällig sind, wenn und soweit den Parteien die Befugnis eingeräumt wird, an ihre Stelle privatautonom vereinbarte Regelungen zu setzen, liegt auf der Hand. Dies spricht nicht gegen solche Vereinbarungen – wie die zitierten positiv gesetzlichen Regelungen deutlich machen –, lässt aber erkennen, dass an ihre Wirksamkeit besondere Anforderungen zu stellen sind. Für die Vereinbarung über die Zuständigkeit regelt § 38 diese besonderen Wirksamkeitsanforderungen.

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Vgl. Kwaschik Parteivernehmung und der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess, S. 87 ff.

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e) Diese Fragen kommen in Fällen zum Tragen, in denen geklärt werden muss, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung auch noch einen schon rechtshängigen Prozess beeinflussen kann. Dies richtet sich zum einen danach, ob die gesetzlich in § 38 vorgeschriebene Form eingehalten wird. Darüber hinaus greift aber beim bereits rechtshängigen Prozess grundsätzlich die perpetuatio fori, so dass Parteivereinbarungen an der einmal mit der Klage begründeten örtlichen Zuständigkeit des zunächst angerufenen Gerichts nichts ändern können. 2. Perpetuatio fori

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a) Zeitpunkt des Abschlusses. In den Fällen der Abs. 1, 2 und 3 Nr. 1 sind unter den dort normierten weiteren Voraussetzungen vor Rechtshängigkeit (zum Begriff vgl. die Ausführungen bei § 261), gegebenenfalls aber nach Anhängigkeit34 der Sache geschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen ohne weiteres zulässig.35 Die Prorogation ist nach Eintritt der Rechtshängigkeit nur zulässig, wenn das Gericht noch nicht infolge Einlassung des Beklagten zur Sache (§ 39) zuständig geworden ist;36 im Übrigen steht grundsätzlich § 261 Abs. 3 Nr. 2 der Wirksamkeit einer Prorogation entgegen.

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b) Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann grundsätzlich nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit nicht dazu führen, die Unzuständigkeit eines einmal angerufenen zuständigen Gerichts zu begründen.37 Nach Rechtshängigkeit kann eine bis dahin schwebend unwirksame Gerichtsstandsvereinbarung nicht mehr mit der Wirkung genehmigt werden, dass die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts wegfiele (arg. § 261 Abs. 3 Nr. 2).38 Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit geschlossen wird und einen Rechtsstreit betrifft, der bereits vor einem zuständigen Gericht anhängig ist, führt daher im Hinblick auf § 261 Abs. 3 Nr. 2 nicht zum Entfall der Zuständigkeit des zunächst angerufenen Gerichts.39

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c) Eine die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, die aufgrund der perpetuatio fori an sich aufrechterhalten würde, ändernde Gerichtsstandsvereinbarung wäre auch keine Rüge der Zuständigkeit des Gerichts – da ja nach den allgemeinen Regeln des Gesetzes ein Rügeverzicht vorläge –, da andernfalls eine Prorogation keinen Sinn hätte, sondern die Unzuständigkeitsrüge erhoben werden müsste. 3. Berufung auf die Gerichtsstandsvereinbarung im rechtshängigen Prozess als Klageänderung oder Klagerücknahme

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a) Ob eine Gerichtsstandvereinbarung noch einen schon rechtshängigen Prozess beeinflussen kann, richtet sich abgesehen von der zu wahrenden Form danach, ob dessen Rechtshängigkeit beseitigt werden kann (vgl. § 263). Das ist der Fall durch Klagerücknahme (in jeder Instanz), was aber ab Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache nur mit Einwilligung des Gegners zulässig ist (§ 269). Geht man davon aus, dass die Gerichtsstandvereinbarung nur als materiell-rechtlicher Vertrag zu beurteilen ist

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MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 14. Vgl. auch Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 8. BGH NJW 1976, 626; OLG Zweibrücken NJW-RR 1989, 716; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 8. BGH NJW 1963, 585 m. Anm. Zeuner JZ 1963, 754. Stein/Jonas/Bork § 38 ZPO, Rdn. 71. OLG Dresden NZV 2011, 287.

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(vgl. § 38), so ist sie ohne Vollziehung einer Klagerücknahme (auf deren Vollendung auch nicht geklagt werden kann) unwirksam. Nach dem BGH40 ist sie unbeachtlich. Lässt man die Vereinbarung auch als Prozesshandlung zu, so liegt in ihr schon die wirksame Klagerücknahme, wenn sie gegenüber dem Gericht erklärt worden ist (dann aber auch mit den Kostenfolgen aus, § 269 Abs. 3 S. 2, Abs. 4). Die außerprozessuale Willenserklärung wird dadurch zu keiner prozessualen, da sie prozessuale Zwecke verfolgt oder prozessuale Wirkungen auslöst. Die prozessuale Wirkung kann außer- wie innerprozessuale Zwecke zum Gegenstande haben. b) Liegt eine im Übrigen formwirksame Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den 26 Parteien des Prozesses vor, würde damit jedenfalls das Problem einer nach Beginn der mündlichen Verhandlung von § 269 geforderten Einwilligung des Gegners sich nicht mehr stellen können, da sich bei Einführung der Gerichtsstandsvereinbarung in den Prozess die Verweigerung der Zustimmung des Gegners zur Klagerücknahme als protestatio facti contraria des Beklagten als Partei der Gerichtsstandsvereinbarungen darstellen würde. Um zu beurteilen welcher Prozesshandlungen es bedarf, um der wirksam geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung im bereits rechtshängigen Prozess Wirkung zu verleihen, muss die prozessrechtsdogmatische Rechtsfrage entschieden werden, ob die Gerichtsstandsvereinbarung, wird sie als solche in den rechtshängigen Prozess durch Parteivortrag eingeführt, bereits als wirksame Klagerücknahme des Klägers anzusehen ist, den dann auch die Kostenfolgen des § 269 Abs. 3 treffen. Sieht man die Gerichtsstandsvereinbarung dagegen als einen außerhalb des Prozessrechtsverhältnisses zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag an (in der gängigen Terminologie spricht man von einem materiell-rechtlichen Vertrag im Gegensatz zu einer Prozesshandlung), muss nicht allein die Tatsache dieses Vertrages in den Prozess eingeführt werden, sondern die Prozesshandlung der Klagerücknahme gesondert vorgenommen werden. Von der überkommenen Lehre wird dies damit begründet, dass die als Prozesshandlung zu bezeichnende prozessuale Willenserklärung in einem Gegensatz zur außerprozessualen Willenserklärung zu verstehen sei. Denn prozessuale Willenserklärungen richten sich nicht nur an die am Rechtsverhältnis beteiligten Parteien. c) Auch wenn die Zuständigkeit auf einer Gerichtsstandsvereinbarung beruht und 27 der Beklagte mit teilweise denselben Einwendungen die Wirksamkeit dieser Abrede wie die Begründetheit der Klageforderung bekämpft, ist die Revision gegen die Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit unzulässig, wenn das Berufungsgericht die örtliche Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts bejaht und im Übrigen die Sache an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverwiesen hat.41 V. Materiell-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen von Gerichtsstandsvereinbarungen 1. Rechtliche Qualifikation von Gerichtsstandsvereinbarungen a) Prozessvertrag. Ob denn die Kategorie eines Prozessvertrages hilfreich ist, wie es 28 die mittlerweile wohl vorherrschende Meinung vertritt, begegnet Zweifeln. Sie stützt sich darauf, dass die Vereinbarung der Parteien ausschließlich auf Erreichung eines prozes-

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BGH NJW 1962, 585; OLG München MDR 1965, 767. BGH NJW 2000, 2822.

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sualen Erfolges, der im Falle der Prorogation oder Derogation auf Beeinflussung der Zuständigkeit oder Unzuständigkeit eines Gerichts gerichtet ist, aber eine schuldrechtliche Verpflichtung der Parteien darüber hinaus nicht begründet, mag bezweifelt werden. Hieraus darauf zu schließen, die auf den Abschluss eines Prozessvertrages gerichteten Willenserklärung seien Prozesshandlungen in einem weiten Sinne erscheint so nicht wirklich weiterführend. Ob die Bezeichnung, die der BGH42 mit der Qualifikation der Gerichtsstandsvereinbarung als „Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen“ gewählt hat, in diesem Zusammenhang weiterhilft, mag auch bezweifelt werden. Auch wenn in der Rechtsprechung43 und in der Literatur44 Gerichtsstandsvereinba29 rungen als Prozessrechtsverträge bezeichnet werden, wird damit hinsichtlich des Zustandekommens und der Rechtsbeständigkeit ein Rückgriff auf das materielle Recht von dieser mittlerweile überwiegend vertretenen Ansicht nicht ausgeschlossen. Eine wirksam vorprozessual geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung kann – als außerhalb des Prozesses vorgenommen – nicht als Prozesshandlung gewertet werden. Die rechtliche Qualifikation als Prozessvertrag zielt darauf, in der Gerichtsstands30 vereinbarung selbst bereits diejenige prozessuale Aktion sehen zu können, mit der die örtliche Zuständigkeit des an sich zuständigen Gerichts auf den Gerichtsstand des an sich unzuständigen Gerichts verlagert wird. Das geht aber an der prozessualen Lage vorbei, für die es darauf ankommt, ob die Parteien sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung berufen. Das mag zwar regelmäßig schon deshalb der Fall sein, weil die Gerichtsstandsvereinbarung aus der Sicht derjenigen Partei, die vor dem nach ihr prorogierten Gericht klagt, günstig erscheint. Dies ändert aber nichts daran, dass gleichsam „ruhende“ Gerichtsstandsvereinbarung schwerlich als Prozesshandlungen verstanden werden können. 31

b) Sachprobleme hinter der rechtlichen Qualifikation von Gerichtsstandsvereinbarungen. Hinter der überkommenen Darstellung eines Gegensatzes zwischen materiell-rechtlich zu verarbeitenden Willenserklärungen im Rechtsverhältnis inter partes und im Raume des Forums über die Parteien hinausgreifender Prozesshandlungen verbirgt sich die Frage, wie die auf den Prozess bezogene Vereinbarung der Parteien in den Prozess eingeführt wird. Erlangt das Prozessgericht von der Gerichtsstandsvereinbarung angelegentlich des Sachvortrages der Parteien zu dem Vertrag, der Grundlage der streitgegenständlich gemachten Ansprüche ist, Kenntnis, ist damit nicht zwingend eine Berufung einer der Parteien auf die Gerichtsstandsvereinbarung zu sehen. Machen beide Parteien nämlich von der Gerichtsstandsvereinbarung keinen Gebrauch, bleibt die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, ist sie denn nur nach den §§ 12, 13 ff. als allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand begründet, unangetastet und der Prozess nimmt seinen Lauf. Führt nun aber der Kläger die Gerichtsstandsvereinbarung expressis verbis in den Prozess ein wird danach zu fragen sein, welche prozessualen Folgen er daraus ableiten will. War die Klage bereits rechtshängig, also dem Beklagten zugestellt (§ 261), wird sich nun – wie bei Prozesshandlungen überhaupt – aus der Sicht des Gerichts die Frage stellen, ob der Kläger hiermit eine Rücknahme seiner erhobenen Klage verbinden wollte. Regelmäßig wird in diesen Fällen nach § 139 Abs. 1 S. 2 der Kläger darüber zu befragen sein, welche Bedeutung er seinem Vortrag beimisst. Beruft sich der Beklagte auf die vor dem allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand der §§ 12, 13 ff. erhobenen Klage

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42 BGHZ 49, 384 = JZ 1968, 385. 43 BGHZ 59, 22, 26 = NJW 1972, 1622; BGH NJW 1989, 1431, 1432. 44 Stein/Jonas/Bork § 38 ZPO, Rdn. 50; Baumgärtel Wesen und Begriff der Prozesshandlungen einer Partei im Zivilprozess, S. 279; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht § 37 I 4, S. 184.

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hin auf die abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung, kann hierin eine Zuständigkeitsrüge liegen. Auch insoweit hat das Gericht den Beklagten entsprechend zu befragen. c) Materiell–rechtlicher Vertrag. Hieraus kann zwanglos geschlossen werden, 32 dass es sich bei der Vereinbarung nach § 38 um einen Vertrag handelt, der außerhalb des Prozessverhältnisses geschlossen wird.45 Da die Vereinbarung nach § 38 ein außerprozessualer Vertrag ist, kommen auf ihn die Regeln des BGB über Willenserklärung zum Ansatz.46 Es kommt daher zunächst darauf an, ob dieser Vertrag nach inländischem deutschem Recht zu beurteilen ist oder ob ausländisches Recht zur Anwendung kommt. 2. Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung a) Aus seiner Qualität als abstrakter Vertrag über die Zuständigkeit richtet sich ne- 33 ben den besonderen prozessualen Voraussetzungen des § 38 das Zustandekommen und Wirksamwerden einer Gerichtsstandsvereinbarung nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. b) Wurden Handlungen, welche die Prozessordnung zulässt, vor Beginn des Pro- 34 zessverhältnisses und mit Rücksicht auf es wirksam vollzogen, so wirken sie kraft außerprozessualen Rechts, wenn sich eine Partei auf sie im Prozess beruft. Dahin gehören die genannten Erklärungen, wie die nach §§ 38, 1025, 1048, 1034 Abs. 2; § 101 ArbGG. Von den Erklärungen der Schiedsklausel sind aber die Prozesshandlungen zu unterscheiden, die auf ihrem Grund von den ordentlichen Gerichten (von einer oder beiden Parteien, im arbeitsgerichtlichen Verfahren auch vom Schiedsrichter) gefordert werden. Ihre außerhalb des Prozesses erklärte Abgabe ist jedenfalls nach außerprozessualem Recht zu beurteilen (vgl. §§ 145 ff. BGB). c) Maßgebliches Recht. Das wirksame Zustandekommen der Gerichtsstandsverein- 35 barung beurteilt sich nach derjenigen Rechtsordnung, nach der sich auch das zugehörige, den Inhalt des gesamten Vertrages bildende materielle Rechtsverhältnis richtet.47 Im Kollisionsfalle gelten daher die Regeln des deutschen internationalen Privatrechts. Das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung beurteilt sich daher nicht immer nach der lex fori.48 Bei der Kaufpreisklage eines deutschen Unternehmers gegen seinen französischen Vertragshändler entscheidet daher, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben, französisches Recht darüber, ob eine in den Allgemeinen Verkaufsbedingungen des Unternehmers enthaltene Erfüllungsorts- und Gerichtsstandsklausel zwischen den Parteien gilt.49 Wird eine Klage bei dem ohne Prorogation zuständigen deutschen Gerichte erhoben und die vereinbarte ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts eingewandt, ist nach alledem zunächst zu prüfen, ob die Vereinbarung nach deutschem Recht wirksam ist. So ist die Frage, ob die mit der Derogation der deutschen Gerichtsbarkeit verbundene Prorogation der ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte eines ausländischen Staates nach deutschem Prozessrecht zulässig ist,

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BGH MDR 1968, 574 = NJW 1968, 132, 133; BGH NJW 1971, 323. BGH MDR 1968, 574 = NJW 1968, 132; BGH NJW 1971, 323. OLG Frankfurt IPRspr 2004, Nr. 97, 199. BGH NJW 1971, 323, 324 f. m. Anm. Geimer. BGHZ 57, 72, 75 m. Anm. Giesen JR 1972, 153.

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nach §§ 38, 40 zu beurteilen, die gleichermaßen für die Vereinbarung der Zuständigkeit an sich nicht zuständiger inländischer und ausländischer Gericht gelten.50 36

d) Angebot und Annahme. Das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung als materiell-rechtlicher Vertrag richtet sich nach allgemeinem bürgerlichem Recht. Bei Anwendung inländischen Rechts kommt m.a.W. für die Annahme der Vereinbarung nach § 38, §§ 145 ff. BGB zur Anwendung, so dass sie durch Angebot nach § 145 BGB und Annahme der in § 146 BGB zu Stande kommt. Angebot und Annahme, die zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung führen können, finden zwischen den Parteien statt. Ob diese davon auch in prozessualer Hinsicht Gebrauch machen oder ob der Kläger ungeachtet der Gerichtsstandsvereinbarung am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten oder einem besonderen Gerichtsstand klagt, ist eine quaestio facti. Und ob der Beklagte dann die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts unter Berufung auf die Gerichtsstandsvereinbarung rügt, hängt ebenso von seinem prozessualen Kalkül ab, wie im umgekehrten Fall desjenigen des Klägers.

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e) Verpflichten sich Mitschuldner nicht im gemeinsamen Vertrag, so ist auch unter ihnen eine getrennte Gerichtsstandsvereinbarung zulässig. Diese Gerichtsstandsvereinbarung wirkt regelmäßig nur zwischen den abschließenden Parteien (und ihren Einzeloder Gesamtrechtsnachfolgern). Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann in Gesamthandverhältnissen daher nur unter der Voraussetzung gegenüber allen Beteiligten wirksam sein, wenn sie wirksam von allen Gesamthändern oder gegen alle getroffen wird. Dies entspricht den Grundsätzen, die im Zusammenhang einer Vereinbarung des Erfüllungsortes bei einheitlicher Gesamtleistung gelten (vgl. § 29 Rdn. 25, 38, wo die Bestimmung eines gemeinschaftlichen Gerichtsstandes unumgänglich ist und nicht durch eine solche einzelne Abrede, die die Bestimmung des Gerichtsstandes verhindert, die Rechtsverfolgung überhaupt unmöglich gemacht werden darf).

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3. Gerichtsstandsvereinbarungen als abstrakter Vertrag. Dabei handelt es sich bei der Vereinbarung nach § 38 um einen abstrakten Vertrag51 in dem Sinne, dass sie von dem Rechtsverhältnis, in Bezug auf das und in Rahmen dessen sie geschlossen wird, unabhängig ist. Es kommt für den Bestand der Vereinbarung daher nicht darauf an, ob der mit ihr zusammenhängende Vertrag rechtsbeständig ist, denn gerade hierüber soll nach Maßgabe der Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 vor dem probierten Gerichte gestritten werden können.52 Dies gilt auch dann, wenn der Vertrag, in Bezug auf den die Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen worden ist, wegen arglistiger Täuschung angefochten wird.53 Diese Nichtigkeit erfasst die Gerichtsstandsvereinbarung aufgrund ihres abstrakten Charakters daher regelmäßig nicht.54 Die spezifische, die prozessuale Waffengleichheit der Parteien zur Wahrung eines fairen Verfahrens zielende Regelung des § 38 betreffende Unwirksamkeit der Gerichtsstandsabrede hat die Nichtigkeit des Hauptvertrages ebenso wenig zur Folge.

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BGH WM 1985, 1507, 1509. OLG Hamburg MDR 1949, 368. RGZ 87, 7, 10. OLG Hamburg MDR 1949, 368. RGZ 87, 7.

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4. Geschäftsfähigkeit. Der wirksame Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung 39 setzt daher die Geschäftsfähigkeit der Parteien voraus.55 Bedingt Geschäftsfähige können nach allgemeinen Regeln mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters Gerichtsstandsvereinbarungen schließen.56 Die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zum Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen durch den bedingt Geschäftsfähigen beendet deren schwebende Unwirksamkeit nach § 108 BGB.57 Liegt die Einwilligung indes bei Klageerhebung vor dem im Übrigen zuständigen Gericht noch nicht vor, greift perpetuatio fori durch: Die mit später erfolgter Einwilligung bewirkte Beseitigung der schwebenden Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung führt dann nicht die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts herbei.58 5. Stellvertretung, gesetzliche Vertretung (Organe) a) Wird eine Gerichtsstandsvereinbarung durch einen gewillkürten Stellvertreter 40 vereinbart, müssen die Voraussetzungen der §§ 164 ff. BGB erfüllt sein.59 Im Falle der Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 1 ist die Kaufmannseigenschaft der Partei maßgeblich, für die und in deren Namen die Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen worden ist. Dagegen kommt es mehr darauf an, ob der Vertreter selbst Kaufmannseigenschaft hat.60 b) Wird die Partei auch beim Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung anwaltlich 41 vertreten, umfasst die dem Rechtsanwalt erteilte Prozessvollmacht auch die Befugnis, für das streitige Rechtsverhältnis einen Gerichtsstand zu vereinbaren.61 Anwaltszwang nach § 78 herrscht dabei nur unter der Voraussetzung, dass die entsprechenden Erklärungen vor Gericht abgegeben werden, also z.B. im Falle des § 38 Abs. 3 Nr. 1.62 Im Übrigen ist entscheidend, dass es sich bei der Gerichtstandsvereinbarung um einen materiellrechtlichen Vertrag der Parteien handelt, den sie wirksam ohne Einschaltung anwaltlichen Beistands schließen können. c) Im Allgemeinen werden Gerichtsstandsvereinbarungen selbstverständlich im Fal- 42 le der gesetzlichen Stellvertretung von organschaftlichen Vertretern von Gesellschaften oder den gesetzlichen Vertretern von Personen in anderen Fällen abgeschlossen.63 6. Form der Gerichtsstandsvereinbarungen a) Schriftformerfordernis im Falle des Abs. 2. Bei der Frage nach der für ihren Ab- 43 schluss zu beachtenden Form ist danach zu unterscheiden, wer die Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung sind. Die Gerichtsstandsvereinbarung bedarf der Schriftform nach § 38 Abs. 2 S. 2, wenn eine oder beide Parteien Nichtkaufleute sind. In diesem Fall

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55 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 56 m.w.N; Schellhammer Zivilprozess, Rdn. 1458. 56 BeckOK-ZPO/Toussaint § 38 Rdn. 3a; MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 11; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 56 m.w.N. 57 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 56. 58 Vgl. Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 6. 59 Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 6. 60 Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 10; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 13. 61 MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 11; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 52, 57. 62 MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 11. 63 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 52; Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 7.

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muss sie also schriftlich abgeschlossen oder im Falle mündlicher Abrede schriftlich bestätigt werden. Zulässigkeit und Wirksamkeit einer vor einem Prozess getroffenen internationalen 44 Gerichtsstandsvereinbarung sind daher, wenn ein deutsches Gericht angerufen wird, nach deutschem Recht zu beurteilen.64 Begibt sich eine Partei nach Liechtenstein, um dort einen Vertrag abzuschließen, wobei es ihr – aus welchen Gründen auch immer – darauf ankommt, ihre Transaktionen über eine ausländische Bank außerhalb Deutschlands abzuwickeln, bringt sie sich bewusst in den Geltungsbereich liechtensteinischen Rechts und muss diesen Umstand insoweit gegen sich gelten lassen. Nimmt der Vertragspartner das im Ausland abgegebene Angebot des Verbrauchers im Ausland an, kann der Verbraucher nicht erwarten, dass ihm das Heimatrecht ins Ausland folgt und ihn dort schützt; dies gilt auch für die deutschen Formvorschriften. Eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der das Gericht eines ausländischen Staates für alle Streitigkeiten zuständig sein soll, ist dahingehend auszulegen, dass jedenfalls für Ansprüche gegen die Vertragspartei deren Heimatgerichte zuständig sein sollen. 45

b) Formfreiheit im Falle des Abs. 1. Kaufleute können grundsätzlich Gerichtsstandsvereinbarungen formfrei treffen. Aufgrund des Schriftformerfordernisses des Abs. 2 kommt eine stillschweigende Vereinbarung einer Prorogation nach § 151 BGB nur für den Fall des § 38 Abs. 1 in Betracht. Soweit das Reichsgericht65 eine stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung abgelehnt hat, beruht dies darauf, dass das RG die Gerichtsstandsvereinbarung als Prozesshandlung angesehen hat – auf die Erklärung im Prozess kann aber nicht aus einem auszulegenden tatsächlichen Verhalten der Partei geschlossen werden; § 151 BGB findet auf Prozesshandlungen keine Anwendung. Vielmehr ist, wenn Zweifel daran vorliegen, ob die Partei etwas erklärt hat oder was sie erklärt haben wollte, nachzufragen, § 139 Abs. 1. Ob aber eine stillschweigend unter den Bedingungen des § 38 Abs. 1 getroffene Gerichtsstandsvereinbarung durch Prozesshandlung in den Prozess eingeführt wird, ist von der Wirksamkeit des Vertrages nach § 38 zu unterscheiden. 7. Anfechtung wegen Willensmängeln

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a) Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ist unabhängig von der des Hauptvertrages zu beurteilen.66 Namentlich gilt dies für die Anfechtbarkeit: Leidet der Hauptvertrag an Mängeln schlagen diese wegen des abstrakten Charakters der Gerichtsstandsvereinbarung auf diese im Allgemeinen nicht durch,67 unabhängig davon, ob es sich um Formmängel (z.B. § 125, § 311 b BGB), um Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) oder die Anfechtung des Hauptvertrages nach den §§ 119 ff. BGB handelt.

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b) Aus der rechtlichen Qualität von Gerichtsstandsvereinbarungen als abstrakte, grundsätzlich in ihrem Bestand von den dem Streit zugrundeliegenden Vertragsverhältnis unabhängige Verträge ergeben sich Konsequenzen für die Reichweite ihrer bürgerlich-rechtlichen Anfechtbarkeit. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann wegen Willensmängeln nach den §§ 119, 120 BGB und § 123 BGB angefochten werden. Die Anfechtung

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64 BGH NJW-RR 2005, 929. 65 RGZ 159, 2; 154, 2. 66 BGH JR 1960, 264; KG BB 1983, 213; Rosenberg/Schab/Gottwald Zivilprozessrecht Rdn. 4; Schellhammer Zivilprozess, Rdn. 1458. 67 Siehe BeckOK-ZPO/Toussaint § 38 Rdn. 3c.1; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 61.

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führt auch nach Rechtshängigkeit der Sache zur Beseitigung der Gerichtsstandsvereinbarung. Dem steht nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht68 § 261 Abs. 3 Nr. 2 nicht entgegen, da die Anfechtung ex tunc wirkt, § 142 Abs. 1 BGB und der Sperre der perpetuatio fori vorgehen soll. Das kann aber nur für die Anfechtung nach § 123 BGB gelten. Nach Einlassung des Beklagten zur Hauptsache entfällt die Anfechtungsmöglichkeit.69 Gerichtsstandsvereinbarungen können vom gesetzlichen Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht70 oder im durch Auslegung71 zu ermittelnden Rahmen seiner Vollmacht vom gewillkürten Vertreter72 geschlossen werden. Es führt nicht zwingend auch zur Nichtigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, wenn der Hauptvertrag nichtig ist,73 da diese grundsätzlich gerade auch im Hinblick auf Streitigkeiten wegen der Wirksamkeit des Hauptvertrages geschlossen zu werden pflegt.74 Ob dies der Fall ist, hat das Gericht im Wege der Auslegung zu ermitteln.75 c) In Ausnahmefällen mag die Gerichtsstandsvereinbarung isoliert gemäß § 138 BGB, 48 z.B. wegen Ausnutzung wirtschaftlicher Überlegenheit einer Partei, als nichtig anzusehen sein.76 d) Ändert sich die Geschäftsgrundlage (d.h. die beim Vertragsschluss offenbarte, 49 von dem Geschäftsgegner erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines oder beider Vertragsteile, dass gewisse Umstände vorhanden sind oder künftig eintreten oder nicht eintreten werden, sofern sich gerade darauf der Wille zum Vertragsschluss gründet,77 § 313 BGB) so entfällt die Vereinbarung.78 8. Wirkung der Anfechtung im rechtshängigen Prozess a) Wird die Gerichtsstandsvereinbarung in den Prozess „eingeführt“, erhebt also der 50 Kläger an dem prorogierten Gerichtsstand die Klage oder wird auf eine, auf Unzuständigkeit wegen Derogation des mit der Klage zunächst angerufenen Gerichts gerichtete Rüge des Beklagten hin der Rechtsstreit bindend verwiesen, stellt sich die Frage, wie es sich auswirkt, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung danach außerprozessual angefochten wird. Hier kommt es entscheidend darauf an, dass auch insofern der Grundsatz der perpetuatio fori Geltung beanspruchen kann. Für den erstgenannten Fall der Klage vor dem vereinbarten Gericht ergibt sich dies schon daraus, dass eine auf später eingetretene, zuständigkeitsrelevante Veränderungen gestützte Zulässigkeitsrüge nicht mehr Gehör finden kann. Dabei ist entscheidend, dass der Beklagte die Anfechtung der Gerichtsstandsvereinbarung nach §§ 119, 123 BGB in der Rüge der Unzuständigkeit des vom Kläger angerufenen Gerichts erklären kann. Hat der Beklagte dies nicht in der gebotenen Weise (§ 295) getan ist er nicht schutzwürdig. In diesem Fall haben die Prozesshandlungen (hier also die Zustimmung ebenso wie der Rügeverlust) den Vorrang vor der außer-

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68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

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Stein/Jonas/Bork § 38 ZPO Rdn. 61. Arens Willensmängel bei Parteihandlungen im Zivilprozess (1968) S. 95. LG Düsseldorf NJW 1966, 553 (zu § 1357 BGB). OLG München NJW 1974, 195 m. Anm. Vollkommer. Stein/Jonas/Bork § 38 ZPO, Rdn. 52. Vgl. RGZ 87, 7, 9 f.; 140, 149, 151. BGH LM Nr. 4; RGZ 140, 149, 151; Jayme IPRax 1989, 362; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 4. BGH LM Nr. 4; KG BB 1983, 213. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 62. RGZ 168, 121, 126 ff. RGZ 168, 121.

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prozessualen Vereinbarung oder der Eintritt ihrer Unwirksamkeit. Sind die Voraussetzungen der Prozesshandlungen eingetreten, so bleibt der Gerichtsstand begründet, auch wenn die (außerprozessuale, materiell-rechtliche) Vereinbarung beseitigt wird. 51

b) In dem Fall, in dem der Beklagte unter Berufung auf Derogation die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt hat und die derogierende Gerichtsstandsvereinbarung nachträglich wegfällt, gilt nichts anderes – und zwar schon deshalb, weil der Verweisungsbeschluss bindend ist. VI. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen von Gerichtsstandsvereinbarungen nach Abs. 1 bis 3

52

Für die Prorogation nach § 38 gilt unabhängig davon, ob sie formfrei unter Kaufleuten im Falle des § 38 Abs. 1 oder in den Fällen der Abs. 2 und 3 vereinbart wird, dass allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen für alle Fälle vorliegen müssen. 1. Bestimmtheit

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a) Oben (Rdn. 2) ist im Rahmen der Auseinanderstetzung mit dem Normzweck des § 38 dargestellt worden, dass sich diese Vorschrift in einem gesetzlichen Regel-Ausnahmeverhältnis des grundsätzlichen Verbots bzw. der im allgemeinen durch das Gericht aus Gesetz ausgesprochenen Unwirksamkeit von Vereinbarungen der Parteien bewegt, die sich auf das Prozessrechtsverhältnis beziehen. In diesem Zusammenhang regelt § 40 die Fälle, in denen nach § 38 zugelassene Gerichtsstandsvereinbarungen gleichwohl rechtliche Wirkung nicht entfalten können.

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b) Der Inhalt des Gerichtsstandbestimmungsvertrages setzt ein bestimmtes Rechtsverhältnis (§ 256) voraus (§ 40 Abs. 1), für das kein ausschließlicher Gerichtsstand bestimmt ist. Rechtsverhältnis und Gerichtsstandsabrede müssen zwischen den Beteiligten bestehen. Die Prorogation muss die Vereinbarung eines bestimmten erstinstanzlich nach Maßgabe des Parteiwillens zuständigen Gerichts zum Gegenstand haben.79 Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 40 Abs. 1, demzufolge die Vereinbarung keine rechtliche Wirkung hat, wenn sie nicht auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis und die aus ihm entspringenden Rechtsstreitigkeiten bezieht. Bestimmbarkeit genügt, etwa für den Gerichtstand des z.Zt. des Vertragsschlusses noch unbekannten Zessionars80 – zu den Bedenken hiergegen Rdn. 55. Bezieht sich die Vereinbarung dagegen nicht auf ein bestimmtes oder bestimmbares Rechtsverhältnis, stellt sich die Frage, ob das aus ihm entspringende Recht hinreichend abgeleitet werden kann. Nicht selten ist es für den Beklagten nicht erkennbar, wann mit der Gerichtsstandsvereinbarung vom Grundsatz des actor sequitur forum rei oder von einem nicht ausschließlichen besonderen Gerichtsstand abgewichen wird. § 40 Abs. 2 S. 1 2. Var. bestimmt, dass sich die Gerichtsstandsvereinbarung nicht über ausschließliche Gerichtsstände hinwegsetzen darf, sei es bezogen auf die örtliche oder sei es auf die sachliche Zuständigkeit des Gerichts. § 40 Abs. 2 S. 1 1. Var. bestimmt, dass Gerichtsstandsvereinbarung, die keinen vermögensrechtlichen Anspruch zum Gegenstand haben, unwirksam sind. Jedenfalls muss zum Zeitpunkt

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79 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 38 Rdn. 4; BeckOK-ZPO/Toussaint § 38 Rdn. 8; Zöller/ Vollkommer § 38 Rdn. 3, 13. 80 OLG Hamm NJW 1955, 995; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 1958, 130; OLG Frankfurt MDR 1965, 582; a.M. LG Dortmund MDR 1955, 112; LG Kiel NJW 1955, 995; LG Nürnberg-Fürth NJW 1964, 1138.

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der Klageerhebung das erstinstanzlich nach der Prorogation zuständige Gericht bestimmbar sein. Hier sind verschiedene Fallgestaltungen denkbar. So genügt es für die Bestimmbarkeit des Gerichts, das probiert wird, dass die Anknüpfung an den Sitz einer Prozesspartei vorgenommen wird. Daher ist die Vereinbarung, dass ausschließlich die Gerichte am Sitz des Klägers oder des Beklagten zuständig sein sollen hinreichend bestimmt.81 Dem Bestimmtheitserfordernis genügt es auch, wenn vereinbart wird, dass der Gerichtsstand entweder an dem Wohnsitz oder Sitz desjenigen Vertragspartners begründet sein soll, der die Klage erhebt.82 c) Wohnsitz oder Sitz künftiger Zessionare. Für bestimmbar und damit für hinrei- 55 chend bestimmt wird von der Judikatur83 die Vereinbarung wegen eines Gerichtsstands am Wohnsitz eines künftigen Zessionars gehalten, selbst wenn dessen Person und damit sein Wohnsitz oder Sitz zum Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinbarung noch nicht feststeht; dies ist aus den vorgenannten Gesichtspunkten heraus aber bedenklich, da in diesem Fall die zu fordernde Berechenbarkeit des Gerichtsstandes nicht gegeben ist. Die Vereinbarung des Gerichtsstandes am Sitz eines noch nicht bestimmten künftigen Zessionars geht daher zu weit, da die Parteien unter dieser Voraussetzung nicht absehen können, vor welches Gericht sie gegebenenfalls gezogen werden können.84 d) Spätere Sitzverlegung. Welche Folgen eine spätere Verlegung des Sitzes hat und 56 ob insbesondere eine ergänzende Vertragsauslegung etwa dahin in Betracht kommt, dass nunmehr lediglich der neue Sitz an die Stelle des alten tritt,85 oder ob zumindest für Passivprozesse nunmehr ein Wahlrecht des Klägers denkbar ist, ist streitig.86 Wie im Falle der Verlegung des Wohnsitzes nach Abschluss der Vereinbarung zu verfahren ist, kann sich nämlich nicht ohne weiteres aus der Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung ergeben. Denn nicht ohne weiteres wird der neue Wohnsitz insoweit Anknüpfungspunkt sein können, da dieser für die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Gerichtsstandsvereinbarung noch nicht bestimmbar war, woraus sich ergeben kann, dass das erstinstanzliche Gericht sich nicht hinreichend bestimmen lässt.87 Jedenfalls handelt aber der Verwender treuwidrig, wenn er sich in einem an seinem neuen Sitz gegen ihn geführten Prozess auf eine Gerichtsstandsvereinbarung beruft, die nach ihrem Wortlaut als Gerichtsstand den Ort des früheren Sitzes vorsieht. Denn da im Zeitpunkt der Vereinbarung der vereinbarte Gerichtsstand dem allgemeinen Gerichtsstand entsprach, hatten die Parteien nicht den Willen, die Zuständigkeit eines an sich unzuständigen Gerichts zu begründen; vielmehr sollte nur die etwaige Zuständigkeit weiterer Gerichte abbedungen werden.88 Dieser Sinn der Klausel wird in sein Gegenteil verkehrt, wenn die Klage nunmehr, trotzdem sie am Sitz erhoben wird, gerade unter Berufung auf die nur derogierend gemeinte Gerichtsstandsvereinbarung unzulässig sein soll, der Kläger also nicht gezwungen, sondern im Gegenteil nunmehr gehindert werden soll, am Sitz des Verwenders

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81 Vgl. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 69. 82 Vgl. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 69; Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 13. 83 OLG Hamm NJW 1955, 995; OLG Düsseldorf JMBl NRW 1958, 130; OLG Frankfurt/M. MDR 1965, 582; a.A. LG Kiel NJW 1955, 995; LG Nürnberg-Fürth NJW 1964, 1138. 84 LG Kiel NJW 1955, 995; LG Dortmund MDR 1955, 112; LG Nürnberg-Fürth NJW 1964, 1138. 85 Ablehnend wohl Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 69; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 7. 86 KG Berlin MDR 2008, 465. 87 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 69; OGHZ 1, 364. 88 Zur Derogationswirkung von Klauseln, die einen bereits vorhandenen Gerichtsstand zum ausschließlichen machen s. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 71.

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zu klagen. Unter diesen Umständen liegt ein Fall vor, in dem die Berufung auf die Gerichtsstandsvereinbarung rechtsmissbräuchlich ist.89 57

e) Zulässig sind dagegen Vereinbarungen alternativer Gerichtsstände, etwa danach, welche Partei die Initiative ergreift90 oder dass einer der Parteien die Auswahl (§ 35) zwischen mehreren Gerichtsständen überlassen bleiben soll. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann daher dergestalt geschlossen werden, dass sie den nach den §§ 12 ff. vorliegenden Gerichtsstand des Beklagten nicht ausschließt. Ist die Vereinbarung in dieser Weise nicht ausschließlich, so darf der Kläger wählen (§ 35 Rdn. 5 ff.), also etwa anstelle des vereinbarten Gerichtsstandes auch den des Wohnsitzes des Beklagten.91 Ein Wahlrecht des Klägers liegt auch dann vor, wenn sich dies aus der Gerichtsstandsvereinbarung selbst ergibt bzw. die Auslegung der Vereinbarung ein Wahlrecht ergibt. Ist daher als Gerichtsstand eine politische Gemeinde vereinbart, so wird regelmäßig der Kläger jedes für die Gemeinde in Betracht kommende Gericht auswählen dürfen.

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f) Die bloße Bestimmbarkeit des Gerichts kann in den Fällen des Abs. 3 nicht genügen. Denn in diesen Fällen bedarf es der Berechenbarkeit des örtlich zuständigen Gerichts.92 Für den Fall des § 38 Abs. 3 Nr. 1 liegt dies schon deshalb auf der Hand, weil nach dem Entstehen der Streitigkeit weitere Ungewissheit über die örtliche Zuständigkeit auszuschließen ist. 2. Vermögensrechtliche Streitigkeit

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a) Wie § 40 zeigt ist erforderlich, dass der Gegenstand der Gerichtsstandsvereinbarung eine vermögensrechtliche Streitigkeit betrifft (Rdn. 5).

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b) Ausdrücklich zu nennen ist die Unzulässigkeit der Prorogation nach § 40 Abs. 2 S. 1 2. Var. in Fällen der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit für dingliche Klagen (§ 24), für Miet- und Pachtverhältnisse über Räume (§ 29a), für Schadenersatzklagen wegen Umweltschäden (§ 32a). Außerhalb der ZPO liegt für Wettbewerbssachen (§ 14 UWG) eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit vor; nach § 180 InsO für Insolvenzfeststellungsklagen. Ausschließliche sachliche Zuständigkeiten bestimmen die §§ 71 Abs. 2, 72 GVG, § 143 PatG, § 140 MarkenG, § 87 Abs. 1 GWB. Eine sachliche und örtliche ausschließliche Zuständigkeit normieren § 29a iVm. § 23 Nr. 2a GVG, § 584, §§ 802, 887 bis 890; ferner §§ 246, 249, 275 AktG; §§ 61 Abs. 3, 69 Abs. 2 GmbHG, § 6 UklaG, §§ 2, 3, 180 InsO.

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3. Ausschließliche Zuständigkeit besonderer ordentlicher Gerichte. § 38 ist nicht auf Vereinbarungen wegen der Zuständigkeit eines besonderen Gerichts gemäß § 14 GVG (beispielsweise Patentgerichte93) oder im Hinblick auf – unzulässige – Vereinbarungen über den Rechtsweg94 anwendbar. Unzulässig sind Vereinbarungen zwischen den Parteien über die funktionelle Zuständigkeit (s. § 1),95 Vereinbarungen, durch die

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Vgl. dazu allgemein Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 62; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 4 a.E. BGH NJW-RR 1986, 1311. RG JW 1912, 79. Vgl. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 69; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 22. BGHZ 8, 16, 18 ff. = NJW 1953, 262. MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 10. BGH VersR 1977, 430.

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anstelle der Gerichte der streitigen Zivilrechtspflege die der freiwilligen Gerichtsbarkeit96 oder bestimmte Spruchkörper eines Gerichts vorgesehen werden. Ob und inwieweit bei den besonderen ordentlichen Gerichten, deren ausschließliche Zuständigkeit durch (national begrenzte) Vereinbarung abbedungen werden kann, wird uneinheitlich beantwortet,97 wobei Vereinbarungen, die nur das örtlich andere gleiche besondere Gericht betreffen, zulässig sind. Bei den Schifffahrtgerichten (§ 14 GVG) ist auch die Vereinbarung anderer Gerichtstände zulässig (§§ 6, 14 Abs. 2 S. 2, 18a Abs. 2 S 2 BinSchGerG).98 Die Vereinbarung eines Schifffahrtgerichtstandes für andere Sachen ist dagegen unwirksam.99 Anderes gilt nur für die mit der Benutzung von Binnengewässern durch Schifffahrt oder Flößerei zusammenhängende Ansprüche (BSchVG § 1 i.F. des G v. 21.6.1972 [BGBl. I 966]). Nimmt die erste Instanz den Gerichtsstand als Schifffahrtgericht hin, so ist Rechtsmittelinstanz das Schifffahrtsobergericht.100 Soweit die Klageverbindung von Schifffahrtstreiten mit anderen unzulässig ist (§ 14 GVG), muss in erster Instanz getrennt werden; in der zweiten (nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung) wird das OLG tätig (also auch unter Abtrennung; selbst wenn im Übrigen die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt bzw. der Berufungsausschuss für die Moselschifffahrt zum Zuge kommt.)101 Die Rechtslage bei den Kartellgerichten ist auch in bürgerlichen Rechtsstreiten an- 62 ders (weil eine Abgabepflicht anderer Gerichte bzw. die Aussetzung des Streites in Betracht kommt). Eine Vereinbarung ist deshalb bei und zu ihnen grundsätzlich unzulässig.102 Bei den Baulandgerichten gilt das Entsprechende, weil die Vereinbarung selbst aller 63 Beteiligten hinter dem verwaltungsmäßigen und der besonderen Besetzung dieser Gerichte zurücktritt. 4. Familiengerichte; Freiwillige Gerichtsbarkeit; Strafgerichte. Die Angehung 64 eines Familiengerichts oder eines anderen Gerichts der freiwilligen Gerichtsbarkeit anstelle des ordentlichen Zivilgerichts kann nicht wirksam vereinbart werden und umgekehrt.103 Die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Strafgerichts kommt nur dort in Betracht, wo dieses über zivilrechtliche Ansprüche entscheiden darf. 104 Dabei hat die Vereinbarung aber zu beachten, dass das Zivilgericht zuständig bleibt, wenn das wahlweise Gegebene entfällt. 5. Zeitliche Schranken der Prorogation. Die spezielle zeitliche Zulässigkeits- 65 schranke des § 38 Abs. 3 Nr. 1 – welche vorsieht, dass Gerichtsstandsvereinbarungen erst dann getroffen werden dürfen, wenn die Streitigkeit bereits entstanden ist – wurde zum Schutze wirtschaftlich schwacher und geschäftlich unerfahrener Personenkreise vom Gesetzgeber per Gerichtsstandsnovelle von 1974 eingeführt.105 Sie gilt nur ausnahmsweise nicht; § 38 Abs. 2, 3 Nr. 2. Die Schranke ist dann überschritten, sobald verschiedene

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96 BGHNJW 1952, 1055. 97 Siehe dazu Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 3; MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 10; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 2 m.w.N. 98 Zu den Schifffahrtsgerichten MünchKomm/Zimmermann § 14 GVG Rdn. 4 ff. 99 Allgemein dazu MünchKomm/Zimmermann § 14 GVG Rdn. 2. 100 BGH JR 1952, 105 = NJW 1952, 463. 101 MünchKomm/Zimmermann § 14 GVG Rdn. 9. 102 MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 10. 103 BGH NJW 1952, 1055 für die Vereinbarung eines Landwirtschaftsgerichts. 104 BGH NJW 1952, 1055 für die Vereinbarung eines Landwirtschaftsgerichts. 105 Lindenmayr Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und das darauf anwendbare Recht, Diss. Berlin 2000, S. 336.

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Ansichten über ein bestimmtes gesetzliches oder auch vertragliches Rechtsverhältnis der Gegenseite kundgetan wurden.106 Eine zugleich per Vertrag geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung, worin die künftige Streitigkeit geregelt wird, wird nicht von § 38 Abs. 3 Nr. 1 erfasst.107 Zur perpetuatio fori oben Rdn. 22 ff. 66 67

6. Sonderregelungen des Ausschlusses der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen. § 30 Abs. 2 S. 2 sieht vor, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, die für Rechtsstreitigkeiten wegen einer Beförderung von Fahrgästen und ihrem Gepäck auf Schiffen den Wahlgerichtsstand des Gericht ausschließt, in dessen Bezirk sich der im Beförderungsvertrag bestimmte Abgangs- oder Bestimmungsort befindet, unwirksam ist, wenn sie vor Eintritt des Ereignisses getroffen wird, das den Tod oder die Körperverletzung des Fahrgasts oder den Verlust, die Beschädigung oder die verspätete Aushändigung des Gepäcks verursacht hat. Diese Regelung entspricht nicht abdingbaren Regelungen des § 551 HGB, der vorsieht, dass jede Vereinbarung unwirksam ist, die vor Eintritt des Ereignisses getroffen wird, das den Tod oder die Körperverletzung des Fahrgasts oder den Verlust, die Beschädigung oder die verspätete Aushändigung seines Gepäcks verursacht hat, und durch die die Haftung wegen Tod oder Körperverletzung des Fahrgasts oder wegen Verlust, Beschädigung oder verspäteter Aushändigung seines Gepäcks ausgeschlossen oder eingeschränkt wird. VII. Gegenständlicher Inhalt der Gerichtsstandsvereinbarung

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1. Streitsache. Da die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteidisposition unterliegt, ist sie sowohl auf eine Parteiseite wie auf Anspruchsteile beschränkbar.108 Über teilbare Ansprüche (§ 301) sind Teilvereinbarungen zulässig. Ergeben sich aus dem Rechtsverhältnis der Parteien daher mehrere Ansprüche, kann sich die Prorogation nur auf einen oder den Teil eines Anspruchs beziehen, soweit ein Teilurteil gemäß § 301 Abs. 1 S. 1 erlassen werden könnte. Weiter kann die Prorogation einen Teil eines einheitlichen Anspruchs betreffen, § 301 Abs. 1 S. 2. Auch in diesem Zusammenhang kommt es freilich auf die konkrete Fallgestaltung an. So ist ein Teilurteil über die Klage unzulässig, wenn für Klage und Widerklage das Vorliegen derselben Gerichtsstandsvereinbarung streitig ist und sich zudem bei der Entscheidung über die Widerklage die für die Beurteilung der Klageforderung maßgebenden Fragen deshalb von neuem stellen, weil der Kläger bei der Berechnung der Klageforderung Teile ausgenommen hat, mit denen er gegenüber der Widerklage aufrechnet.109

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2. Keine Beschränkung der Prozessart. Vereinbarungen nach § 38 beschränken nicht die Wahl der Prozessart (Urkundenprozess oder gewöhnlicher, Mahnverfahren [jedoch gelten dafür besondere Regeln]; einstweiliges Verfügungsverfahren). 110 Auch können die Vereinbarungen nicht die Wahl der Klagearten (Leistung-, Feststellungklage) vorschreiben.111

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106 Saenger-ZPO/Bendtsen § 38 Rdn. 21. 107 BGH DB 1986, 684; Saenger-ZPO/Bendtsen § 38 Rdn. 21; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 22. 108 Vgl. zur Vereinbarung zugunsten einer Partei: Geimer IZPR Rdn. 1659; zum Umfang: Thomas/PutzoZPO/Hüßtege § 38 Rdn. 31. 109 OLGR Zweibrücken 2005, 412. 110 OLG München NJW 1952, 67. 111 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 1.

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VIII. Derogation Der Wortlaut des § 38 erfasst die Prorogation als Wahl des an sich unzuständigen 70 Gerichts. Darüber hinaus ist aber auch die isolierte Derogation als Vereinbarung zulässig.112 Darunter ist eine Vereinbarung zu verstehen, die einen bereits vorhandenen Gerichtsstand ausschließt. Erhebt der Kläger dann vor dem ausgeschlossenen Gericht gleichwohl Klage, steht dem Beklagten die Einrede der Unzuständigkeit zu.113 Die Derogation kann sämtliche in Betracht kommende in- und ausländische Gerichtsstände ausschließen. Damit ist dann der Verzicht auf Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten bezweckt. Dies kann im Zusammenhang mit einem Schiedsvertrag sinnvoll sein.114 Im Übrigen ist ein Ausschluss der Klagbarkeit der von der isolierten Derogationsvereinbarung erfassten Streitigkeit gemeint. Dass dies im Zweifel dem Parteiwillen nicht entspräche, wie Bork115 meint, lässt sich in dieser Allgemeinheit nicht sagen. Welche Reichweite denn eine isolierte Derogationsvereinbarung hat und ob sie überhaupt gewollt und wirksam ist, ist selbst dann Gegenstand gerichtlicher Prüfung, die von einer Derogation nicht erfasst sein kann. Der Inhalt des Gerichtsstandsbestimmungsvertrages kann positiv, aber auch negativ116 sein. Dabei wird überwiegend vertreten, die Derogation, die einen jeden Gerichtsstands (sachlich und örtlich) ausschließt, sei unwirksam, weil sonst die Partei rechtlos gestellt werden würde.117 Dies wird auch auf solche Fälle übertragen, in denen ein ausschließlicher ausländischer Gerichtsstand vereinbart worden ist, das ausländische Urteil aber im Inlande nicht anerkannt wird. In der Judikatur wird darauf erkannt, die Derogation der deutschen Gerichtsbarkeit 71 sei nur wirksam, wenn feststeht, dass das gewählte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung im konkreten Streitfall als maßgeblich ansieht.118 § 802 steht der Wirksamkeit der Derogation der internationalen Zuständigkeit deut- 72 scher Gerichte für den einstweiligen Rechtsschutz nicht entgegen.119 IX. Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen 1. Grenzen der Auslegung im Prozess a) Im Prozess muss im Unterschied zum außerprozessualen Rechtsverkehr das von 73 den Parteien Erklärte sofort, und d.h. vor einer Auslegung im Rahmen einer erlassenden gerichtlichen Entscheidung allen Beteiligten deutlich sein.120 Daher ist eine individuelle Auslegung von Prozesserklärungen in der Endentscheidung oder etwa auch durch die weitere Instanz tunlichst zu vermeiden. Daraus folgt nicht allein, dass von den Parteien das von ihnen Erklärte zuvor mehr zu bedenken ist als außerhalb des Prozesses, wo dies auch wünschenswert wäre (arg. § 122 Abs. 1 BGB). Denn das Erklärte ist nicht vom Richter als Dritten nach Treu und Glauben zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Vielmehr hat

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112 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 71. 113 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 71. 114 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 71. 115 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 71. 116 RG JW 1903, 46. 117 RG Seuff. 61/39. 118 OLG Karlsruhe IPRax 2006, 469. 119 OLGR Frankfurt 2009, 419. 120 Vgl. Musielak/Musielak Einl. Rdn. 59, 62; Smid Zivilgerichtliche Verfahren, 2014, § 21 Rdn. 11 ff. (Prozesshandlungen als Willenserklärungen).

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das Gericht, wo Zweifel bestehen, schon vor dem Spruch im Rahmen seiner materiellen Prozessleitung einen dunklen Inhalt des Erklärten aufzuklären (§ 139).121 74

b) Nur in diesem eingeschränkten Rahmen unterliegt die Vereinbarung der Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB.122 Gelten für einen Lieferungsvertrag im Außenhandel die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der einen Partei mit einer Gerichtsstandsklausel zu ihren Gunsten und ist im Einzelfall ein Schiedsvertrag vereinbart, so ist in der Regel die Auslegung gerechtfertigt, dass die Gerichtsstandsklausel dann gelten soll, wenn die Parteien übereinstimmend nicht das Schiedsgericht, sondern die staatlichen Gerichte anrufen.123 2. Fallbeispiele

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a) Die Vereinbarung eines Gerichtsstandes „für sämtliche Streitigkeiten“ umfasst im Zweifel auch die Geltendmachung konkurrierender deliktischer Schadensersatzansprüche.124 Dies gilt auch bei einer Vereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die mit der Klage geltend gemachte Anfechtung des Vertrages lässt die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung unberührt.125

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b) Die Formulierung „Gerichtsstand Hamburg“ in der Auftragsbestätigung eines deutsch-niederländischen Speditionsgeschäfts mit Transportaufträgen von den Niederlanden nach Moskau lässt nicht den Schluss darauf zu, dass eindeutig ein ausschließlicher Gerichtsstand gewollt ist. Es spricht weder eine Vermutung für die Ausschließlichkeit noch gegen sie. Bei einander widersprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Vertragsparteien gelten beide Geschäftsbedingungen nur insoweit, als sie einander nicht widersprechen. Soweit sich die Geschäftsbedingungen widersprechen, werden beide nicht Vertragsbestandteil, sondern an ihre Stelle tritt jeweils die einschlägige gesetzliche Regelung.126

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c) Eine Gerichtsstandsvereinbarung hinsichtlich des Hauptvertrags erfasst bei einer an der Natur der Sache orientierten, nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung in der Regel auch Ansprüche aus Nebenabreden der Parteien, beispielsweise über den Ersatz von Verschließteilen und Werkzeugen,127 wie das OLG Stuttgart im Falle einer Gerichtsstandsvereinbarung entschieden hat, die den Fall der Miete eines Großbohrgeräts betraf.

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d) Vereinbaren die Parteien eines Kaufvertrags in den AGB des Verkäufers den Sitz des Verkäufers als Gerichtsstand, so spricht weder eine Vermutung für eine Ausschließlichkeit der Zuständigkeit des prorogierten Gerichts noch gegen sie. Mangels abweichender Anhaltspunkte geht der mutmaßliche Wille in diesem Fall dahin, dass der

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121 Zur materiellen Prozessleitung des Gerichts Smid Zivilgerichtliche Verfahren, 2014, § 18 Rdn. 8 ff., 25 sowie allgemein zur Verhandlungsmaxime § 19 Rdn. 29 ff., zur Auslegung vgl. § 21 Rdn. 37 ff. 122 RGZ 159, 256, 258. 123 BGHZ 52, 30, 39 = NJW 1969, 1563. 124 V. Falkenhausen RIW 1983, 420. 125 OLG Stuttgart MDR 2008, 709. 126 OLG Hamburg TranspR 2002, 111. 127 OLG München PRspr 2004, Nr. 113, 244.

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AGB-Verwender eine Ausschließlichkeit nur für Klagen gegen sich selbst herbeiführen will, während es für Aktivprozesse bei einem fakultativen Gerichtsstand bleiben soll.128 Eine im Konnossement zwischen Verfrachter und Befrachter vereinbarte Gerichts- 79 standsklausel bindet den Drittinhaber des Konnossements, soweit dieser nach dem anwendbaren nationalen Recht in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist oder der Gerichtsstandsklausel zugestimmt hat. Da Gerichtsstandsklauseln in Konnossementen im internationalen Seerecht als handelsüblich gelten, ist von einer Zustimmung auszugehen, wenn der Drittinhaber Rechte aus dem Konnossement geltend macht.129 Eine im Konnossement zwischen Verfrachter und Befrachter vereinbarte Gerichtsstandsklausel entfaltet gegenüber dem Reeder nur Wirkung, wenn dieser an dem Konnossement mitgewirkt oder der Gerichtsstandsklausel nachträglich zugestimmt hat.130 e) Eine unter Kaufleuten getroffene Gerichtsstandsvereinbarung, wonach „als Ge- 80 richtsstand der Hauptsitz des Auftraggebers“ bestimmt wird, ist im Zweifel dahin zu verstehen, dass die Parteien sich nicht auf einen von vornherein bestimmten Ort festlegen, sondern hiervon unabhängig den jeweiligen Geschäftssitz des Auftraggebers für die örtliche Zuständigkeit bestimmen wollten.131 X. Gerichtsstandsvereinbarungen unter Kaufleuten, Abs. 1 1. Kaufleute a) Die Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 1 müssen Kaufleute 81 nach §§ 1 bis 3 HGB und Handelsgesellschaften nach § 6 HGB sein. Zudem fallen auch Kaufleute kraft Eintragung nach § 5 HGB und auch nicht eingetragene Scheinkaufleute in den Anwendungsbereich des § 38.132 Die Regelungen des Handelsrechts sind maßgeblich. Kaufleute sind diejenigen natürlichen Personen die ein Handelsgewerbe nach § 1 Abs. 2 HGB ausüben, (Ist-Kaufleute).133 Kaufleute sind weiter die natürlichen Personen die ein Erwerbsgeschäft betreiben, das unter § 2, § 3 Abs. 2, Abs. 3 HGB (Kann-Kaufleute) fallen.134 b) Handelsgesellschaften sind gemäß § 6 HGB stets Kaufleute (Form-Kaufleute).135 82 Hierzu zählen die Personenhandelsgesellschaften, also die OHG und KG sowie juristische Personen wie die AG, die Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 3, § 278 AktG) und die GmbH (§ 13 GmbHG).136 Ferner gehören hierzu die eingetragenen Genossenschaften nach § 17 GenG.137 § 38 Abs. 1 ist ferner auf Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit dann anzuwenden, wenn es sich um größere handelt. Diese sind zwar keine Kaufleute

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128 OLG Schleswig NJW 2006, 3360. 129 BGH NJW 2007, 2036. 130 BGH NJW 2007, 2036. 131 OLG Bremen MDR 2012, 305. 132 OLG Frankfurt/M BB 1974, 1366; MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 15; Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 18. 133 Zur Systematik der §§ 1 ff. HGB und der Darstellung der Reform des HGB: Baumbach/Hopt § 1 HGB Rdn. 1 ff. und zum Begriff des Handelsgewerbes Rdn. 22 ff. 134 BeckOK-ZPO/Toussaint § 38 Rdn. 13; zum Begriff Kannkaufmann: Baumbach/Hopt § 2 HGB Rdn. 4 ff. und § 3 Rdn. 6 ff. 135 Baumbach/Hopt § 6 HGB Rdn. 1 ff. 136 Baumbach/Hopt § 6 HGB Rdn. 1, 6 f. 137 Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 10.

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im handelsrechtlichen Sinn, sind aber weitgehend wie Kaufleute zu behandeln, §§ 16, 43 VAG.138 Auch für den wirtschaftlichen Verein nach § 20 BGB und die rechtsfähige Stiftung in §§ 80 ff. BGB ist § 38 Abs. 1 anzuwenden, da diese als Kaufleute anzusehen sind, soweit die Voraussetzungen der §§ 1 ff. HGB greifen.139 Jedenfalls als Kaufleute anzusehen sind die persönlich haftenden Gesellschafter einer OHG oder KG.140 Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH, Aktionäre oder Vorstandsmitglieder einer AG oder die Kommanditisten der KG sind demgegenüber keine Kaufleute.141 83

c) Weiter fallen unter den Anwendungsbereich des § 38 Abs. 1 die juristischen Personen des öffentlichen Rechts: Dabei handelt es sich um Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Hierzu zählen Gemeinden und Korporationen, Gebietskörperschaften, also Landkreise und Regierungsbezirke,142 öffentlich-rechtliche Körperschaften, weiter Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts143 sowie Zweckverbände, Sozialversicherungsträger und Innungen144 sowie Kammern.145 Weiter erfasst § 38 Abs. 1 öffentlich-rechtliche Sondervermögen. Öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind abgesonderte Vermögensteile einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes entstanden und zur Erfüllung einzelner Aufgaben ihres Trägers bestimmt sind.146 Dazu zählt u.a. das Bundesvermögen. 2. Abschließender Charakter der Regelung; Funktion

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a) Anknüpfungspunkt der Vorschrift ist die typischerweise vorliegende Geschäftserfahrung von Personen, die den genannten Gruppen angehören. 147 Beide vertragsschließenden Parteien müssen die effektiven Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen, um aufgrund ihrer Prorogationsbefugnis eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung abschließen zu können.148 Die Vertragsparteien müssen aber nicht denselben Gruppen angehören.

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b) Bedenkt man die dargestellte Funktion der Regelung der kaufmännischen Prorogation, fällt es nicht leicht, deren Begrenzung auf Personen nachzuvollziehen, die die im voranstehenden dargestellten Kriterien erfüllen. Aber im Interesse der Rechtssicherheit beschränkt § 38 den Kreis der nach Abs. 1 prorogationsbefugten Personen. Eine ausdehnende Auslegung etwa auf solche Personen wie Rechtsanwälte, Notare oder Angehörige wirtschaftsberatender Berufe, deren Schutzbedürftigkeit im Übrigen Zweifeln begegnen könnte, ist daher unzulässig.149 Auch der Insolvenzverwalter ist daher nicht prorogationsbefugt.150

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138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150

Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 10. Saenger-ZPO/Bendtsen § 38 Rdn. 10. BGHZ 45, 284; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 10. BGHZ 104, 98; 133, 78; 144, 380; Baumbach/Hopt § 161 HGB Rdn. 5. Zöller/Vollkommer § 17 Rdn. 3. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann71, § 17 Rdn. 9. Zöller/Vollkommer § 17 Rdn. 3. Musielak/Heinrich § 17 Rdn. 4; MünchKomm/Patzina § 17 Rdn. 3. BeckOK-BGB/Sosnitza, § 1259 BGB Rdn. 6 m.w.N. OLGR München 2001, 27. Klunzinger JR 1974, 272. Stein/Jonas/Bork § 38 ZPO, Rdn. 11. OLGR Bamberg 1998, 302.

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c) Eine Gerichtsstandsklausel kann mit einer ARGE nur wirksam vereinbart werden 86 mit der Folge, dass diese nach § 128 HGB auch gegenüber den Gesellschaftern wirkt, wenn die ARGE als Kaufmann anzusehen ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn für die Qualifikation der ARGE als OHG und damit als Kaufmann sichere Anhaltspunkte bestehen; andernfalls ist die ARGE regelmäßig als bürgerlich-rechtliche Gesellschaft zu behandeln, und eine gegenüber ihr vereinbarte Gerichtsstandsklausel unwirksam.151 d) Bei Gerichtsstandsvereinbarungen unter Kaufleuten ist auch bei internationaler 87 Prorogation ausschließlich § 38 Abs. 1 als gerade für diesen Personenkreis gedachte Vorschrift anzuwenden. Das bedeutet in dem Fall, dass eine Partei einen inländischen Gerichtsstand hat, dass für das Inland nicht gemäß § 38 Abs. 2 S. 3 zwingend ein Gericht gewählt werden muss, bei dem diese Partei den allgemeinen Gerichtsstand hat oder ein besonderer Gerichtsstand begründet ist.152 3. Zeitpunkt, zu dem die Kaufmannseigenschaft vorgelegen haben muss a) Die Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 1 müssen bei Ab- 88 schluss der Prorogation die Kaufmannseigenschaft gehabt haben. Fällt diese Eigenschaft nachträglich weg, ist dies für die Wirksamkeit der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung unschädlich. Wird dagegen die Kaufmannseigenschaft nachträglich erlangt, führt dies nicht dazu, dass die Prorogation nachträglich wirksam wird. Eine Heilung durch nachträglichen Erwerb der erforderlichen Eigenschaften kommt nicht in Betracht.153 Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolger (zum Grundsatz oben) bleiben aber ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu den Gruppen des Abs. 1 an eine wirksam geschlossene Prorogation gebunden.154 b) Eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 Abs. 1 kann aber wirksam in einem 89 Vertrag getroffen werden, der die danach erforderliche Kaufmannseigenschaft begründet; es ist nicht erforderlich, dass die Partei bei Abschluss des Gründungsvertrages bereits Kaufmann gewesen ist.155 In diesem Fall kommt es nicht zum nachträglichen Erwerb der Kaufmannseigenschaft, so dass der Fall nicht unter den Schutzzweck des § 38 Abs. 1 fällt. 4. Internationale Prorogation unter Kaufleuten. Den in Abs. 1 genannten Perso- 90 nen ist eine Prorogation der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte möglich, ohne dass dabei die Voraussetzungen des Abs. 1 eingehalten oder die Beschränkungen des Abs. 3 S. 3 berücksichtigt werden müssten.156 Eine Beschränkung auf den inländischen Geschäftsverkehr157 bzw. die Anwendbarkeit des Abs. 2 S. 2158 lässt sich Abs. 1 nicht entnehmen. Wegen der besonderen Tragweite der internationalen Prorogation wird gefordert, dass auch bei einem Abschluss der internationalen Prorogation durch Kaufleute

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151 BGH NJW-RR 2009, 173. 152 OLGR München 2001, 27. 153 LG Trier NJW 1982, 286; Saenger-ZPO/Bendtsen § 38 Rdn. 10. 154 OLG Koblenz, BB 1983, 1635; OLG Köln NJW-RR 1992, 571; Saenger-ZPO/Bendtsen § 38 Rdn. 13. 155 OLG Schleswig SchlHA 2010, 119. 156 BGH WM 1985, 1507, 1509; OLG Karlsruhe IPRax 1979 Nr. 159; OLG Hamburg RIW 1986, 462, 464; OLG Saarbrücken NJW-RR 1989, 828, 829. 157 MünchKomm/Patzina Rdn. 24. 158 AG Berlin-Charlottenburg NJW 1975, 502 m. Anm. Putzo/Samtleben S. 1606.

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die Formerfordernisse des Abs. 2 gewahrt werden.159 Grundsätzlich kommt es darauf an, ob die ausländische Partei nach der lex fori Kaufmannseigenschaft hat.160 91

5. Rechtliche Qualifikation der Hauptsache. Die nach Abs. 1 geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung muss nicht notwendig ein Handelsgeschäft i.S.v. § 343 HGB sein.161 Das erstaunt angesichts des Grundsatzes, dass vergleichsweise im Geschäftsleben gewandte Personenkreise § 38 Abs. 1 nicht unterfallen; indes ist bei der Anwendung der Regelung davon auszugehen, dass über den Kreis der seiner kommerziellen Tätigkeit hinausreichende Geschäfte des „privaten“ Umfeldes des Kaufmannes ebenfalls § 38 Abs. 1 unterfallen. Wird der Kaufmann indes im Rahmen der Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie (§ 1357 Abs. 1 BGB) tätig, sind darauf bezogene Gerichtsstandsabreden nicht von § 38 Abs. 1 erfasst, soweit sie mit dem Ehepartner eine Person betreffen, die nicht selber prorogationsbefugt ist.162 6. Besonderheiten beim Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung

a) Der ausdrückliche oder stillschweigende163 Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung im Hauptvertrag, auch durch Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben,164 schlüssige Bezugnahme auf AGB,165 die Geltung von Handelsbräuchen gemäß § 346 HGB 166 oder als eigenständige Gerichtsstandsvereinbarung sind formfrei möglich, wenn nur die Abrede als solche nach außen erkennbar ist.167 Bei einer Prorogation durch Allgemeine Geschäftsbedingungen richtet sich die Wirksamkeit nach den allgemeinen Regeln;168 die entsprechenden AGB unterliegen der Inhaltskontrolle.169 Eine in AGB vorgesehene Gerichtsstandsklausel, die nicht die in Abs. 1 vorgesehene Beschränkung auf Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen enthält, ist unwirksam, und zwar auch dann, wenn sie im Einzelfall auf einen Kaufmann angewendet wird.170 Sind beide Vertragspartner eines Bauvertrages Kaufleute, wird mit der Geltendmachung des VOB/B auch die Gerichtsstandsregelung des § 18 Nr. 1 VOB/B vereinbart und der Gerichtsstand des Erfüllungsortes ausgeschlossen.171 Das Erfordernis der Ausdrücklichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung verweist mit93 hin nicht auf deren Form, sondern auf bestimmte Anforderungen an die Art der Formulierung der Gerichtsstandsvereinbarung. So weist Bork172 darauf hin, dass im Erfordernis der Ausdrücklichkeit die Anforderung einer klaren Formulierung liegt, also, dass der Fall deutlich umschrieben ist, für den der Gerichtsstand vereinbart wird und das das vereinbarte Gericht nicht nur bestimmbar, sondern ausdrücklich genannt wird. Daher genügt 92

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159 Zöller/Vollkommer Rdn. 25; Vollkammer Rpfleger 1974, 134; abl. OLG Saarbrücken NJW-RR 1989, 828, 829; offen gelassen durch OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 568. 160 OLG Saarbrücken NJW-RR 1989, 828, 829. 161 Kornblum ZHR 138 (1974), 478; Löwe NJW 1974, 475. 162 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 14. 163 OLG Koblenz BB 1983, 1635; OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 567, 568; LG Rottweil NJW-RR 1992, 688. 164 BGH NJW 1971, 323 m. Anm. Geimer. 165 OLG Koblenz BB 1983, 1635. 166 EuGH JZ 1997, 839, 840 („MSG“) m. krit. Anm. Koch. 167 BGHZ 69, 260, 265 f. = NJW 1978, 212. 168 Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 22; Stein/Jonas/Bork § 38 ZPO, Rdn. 63. 169 Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 22. 170 LG Karlsruhe NJW-RR 1997, 56. 171 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1999, 604. 172 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 43.

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es nicht, etwa auf gesetzlich zulässige Fälle oder den bloßen Hinweis auf die Bestimmung des § 38 Abs. 3 zu verweisen. Bork173 fasst dies so zusammen, dass die Prorogation „mit klaren, auch für Laien unmissverständlichen Worten“ formuliert sein muss, um dem Erfordernis der Ausdrücklichkeit Genüge tun zu können. b) Soweit aber die Vereinbarung nach § 38 Abs. 1 unter Umständen (nämlich bei 94 vorangegangenem Verzicht des Annehmenden und nach der Verkehrssitte174) sogar stillschweigend (§ 151 BGB) zustande kommen kann, ist aber Folgendes zu berücksichtigen: Nichts kann stillschweigend zustande kommen, was nicht vereinbart ist und nicht als vereinbart anzusehen ist.175 Weiter als nach § 151 BGB vermag der stillschweigende Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht zu reichen. So genügt nicht Schweigen auf Rechnungsvordrucke,176 wenn nicht dadurch ein Vertrag unter Einbeziehung der AGB des Verwenders zustande kommt. Auch kommt eine Vereinbarung nach § 38 Abs. 1 nicht zustande bei Aufdruck auf Briefbögen und auch nicht bei Untätigbleiben auf unbekannte Bedingungen.177 c) Findet sich die Gerichtsstandsvereinbarung daher in Allgemeinen Geschäftsbe- 95 dingungen, die wirksam in den zwischen den Parteien geschlossenen Hauptvertrag einbezogen sind, sind sie nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.178 § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, der eine unangemessene Benachteiligung darin sieht, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist, wird, soweit es Gerichtsstandsvereinbarungen angeht, kaum eingreifen, da diese dann bereits aus allgemeinen prozessualen Gründen, sei es wegen fehlender Bestimmbarkeit des für zuständig bestimmten Gerichts, sei es aus anderen Gründen fehlender Bestimmtheit unwirksam sein wird. Im Übrigen wird nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine unangemessene Benachteiligung durch die AGB-mäßig vorgesehene Gerichtsstandsregelung im Zweifel darin zu sehen sein, wenn die Prorogation mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist:179 Über die gesetzlichen Tatbestände ausschließlicher Gerichtsstände hinaus, deren Vorliegen ja bereits nach § 40 Abs. 2 S. 1 2. Var. zur Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung führen würden, ist die Klausel daraufhin zu prüfen, ob die Abweichung vom Grundsatz actor sequitur forum rei sich vor dem Hintergrund der Struktur des Rechtsverhältnisses rechtfertigt oder ob ein Gerichtsstand gewählt wird, der in keinerlei Beziehung zum Rechtsverhältnis der Parteien steht und den Verwender ohne nachvollziehbaren Grund prozessual bevorteiligt.180

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173 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 39. 174 OLG Freiburg NJW 1952, 1416: für einseitige Fakturenklausel im Buchhandel; Gutachten der Industrie- und Handelskammer München BB 51/714 für das Anzeigengeschäft der Zeitungverlage. 175 Wieczorek 2. Aufl., § 38 Rdn. C Ia 1; a.A. RGZ 159, 254, 256. 176 RGZ 65, 330, 331; anders bei langjähriger Geschäftsverbindung nach BGH MDR 1973, 845, BGH NJW 1964, 1788 und in Bezug auf die Gerichtstandklausel OLG Frankfurt v. 21.5.1968 – 5 U 20/66, MDR 1954, 301; dagegen LG Kleve MDR 1959, 309. 177 RG v. 17.3.1922 III 444/21 N § 38/15, das beiderseitige Kenntnis fordert. 178 Vgl. MünchKomm-BGB/Wurmnest § 307 Rdn. 31. 179 Vgl. MünchKomm-BGB/Wurmnest § 307 Rdn. 64 ff. 180 Vgl. allgemein dazu Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 20 m.w.N.

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XI. Gerichtsstandsabreden unter Beteiligung wenigstens eines Nichtkaufmanns: Internationale Prorogation, Abs. 2181 96

1. Verdrängung durch Art. 19 EuGVVO.182 Art. 19 EuGVVO verdrängt in seinem räumlichen und sachlichen Geltungsbereich § 38 Abs. 1. Danach kann von den Vorschriften der EuGVVO über die internationale Zuständigkeit im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden, wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird (Nr. 1 der Vorschrift) oder wenn sie dem Verbraucher die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen (Nr. 2 der Vorschrift). Die Regelung der Nr. 3 der Vorschrift, die Gerichtsstandsvereinbarungen dann zulässt, wenn sie zwischen einem Verbraucher und seinem Vertragspartner, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben, getroffen ist und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaats begründet, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats nicht zulässig ist, verweist für das deutsche Recht auf die Schranke des § 38 Abs. 2.

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2. Sonderregelungen des deutschen Rechts. § 138 Abs. 2 S. 2 InvG ordnet an, dass Vereinbarungen nicht geschlossen werden können, mit denen der ausschließliche Gerichtsstand des § 138 Ab. 2 S. 1 InvG am Gericht, in dessen Bezirk der Repräsentant seinen Wohnsitz oder Sitz hat, für Klagen gegen eine ausländische Investmentgesellschaft, eine Verwaltungsgesellschaft oder eine Vertriebsgesellschaft, die auf den öffentlichen Vertrieb von Investmentanteilen im deutschen Inland Bezug haben, was sich wegen der Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes mit § 40 Abs. 2 Nr. 2 deckt.

3. Grundsatz. Soweit Art. 19 EuGVVO nicht zum Zuge kommt wird für den internationalen Rechtsverkehr durch Abs. 2 auch (End)Verbrauchern und den übrigen nicht nach Abs.1 prorogationsbefugten Personen, unter Einschluß von Arbeitnehmern wegen arbeitsrechtlicher Streitigkeiten im Rahmen des Schutzbedürfnisses der Arbeitnehmer,183 das Recht zur Prorogation eingeräumt. Wenigstens eine Partei darf, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, zum Zeit99 punkt des Abschlusses der Prorogation184 ihren allgemeinen Gerichtsstand gemäß §§ 13 ff., 17 ff. nicht im Inland haben. Bei allgemeinem Gerichtsstand beider Parteien im Inland schließt der Wortlaut des Abs. 2 S. 3 eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dann aus, wenn eine Partei daneben noch einen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat.185 Dagegen ist das Vorhandensein besonderer inländischer Gerichtsstände gemäß §§ 21, 23 oder 29 unschädlich.186 Auch die Unwirksamkeit einer Gerichtswahlklausel, die Streitigkeiten aus dem Verlust oder der Beschädigung von Gütern, die zu einem deutschen Bestimmungshafen befördert werden sollen, der ausschließlichen Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts unterwirft, lässt sich etwa mit dem Unterschied der im Einzelfall in Betracht kommenden Haftungsbeträge allein nicht begründen, selbst wenn die dort geltende Haftungssumme ganz erheblich niedriger als die nach § 660 HGB ist.187

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181 Baumgärtl FS Kegel (1977) 285; Diederichsen BB 1974, 377. 182 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012. 183 BAG NJW 1973, 727, 728; BAG NJW 1984, 1320. 184 MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 26. 185 BGH NJW 1986, 1438, 1439 m. Anm. Geimer. 186 Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 26. 187 BGH NJW 1983, 2772 f. = LM Nr. 12.

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4. Form. Rechtsprechung188 und herrschende Lehre189 haben das Problem, zu bestimmen, welche Regelungen wegen des Zu-Stande-Kommens eines Prorogationsvertrages, der von ihnen als besonderer prozessrechtlicher Vertrag qualifiziert wird (oben Rdn. 19, 28), zur Anwendung kommen. Denn die ZPO weist keine Regelungen in dieser Frage auf.190 Es wird daher die Auffassung vertreten, dass dies unter Heranziehung der allgemeinen Grundsätze des internationalen Vertragsrechts zu beantworten sei.191 Dagegen könnte die prozessuale Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung nicht bereits als Grund dafür herangezogen werden, die lex fori des angerufenen Gerichts wegen der Beurteilung des Zu-Stande-Kommens der Vereinbarung zur Anwendung zu bringen.192 Das verweist auf die Rom I Verordnung und, soweit die Parteien keine Rechtswahl nach Art. 3 Rom I Verordnung getroffen haben, auf Art. 4.193 Ist die Gerichtsstandsvereinbarung als Teil des schuldrechtlichen Hauptvertrages getroffen, ordnet Art. 4 an, dass das auf den Vertrag anzuwendende Recht sich nach dem Sitz der Partei richtet, die die vertragstypische Leistung erbringt, nämlich Abs. 1a des Verkäufers, Abs. 1b des Dienstleisters und Abs. 1c des Vermieters (dann allerdings das Staates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist). Nach der hier vertretenen materiell-rechtlichen Qualifikation der Gerichtsstandsvereinbarung kommt auf die bei ihrem Abschluss einzuhaltende Form Art. 11 Rom I-Verordnung zur Anwendung.194 Danach ist die Gerichtsstandsvereinbarung, wenn sich deren Parteien oder deren Vertreter zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in demselben Staat befinden, formgültig, wenn sie den Formerfordernissen des auf sie anzuwendenden materiellen Rechts entspricht, das sich nach der Rom I Verordnung bemisst, oder wenn die Formerfordernisse des Staates erfüllt werden, in dem die Abrede geschlossen worden ist.195 Wird daher die Gerichtsstandsvereinbarung nach Abs. 2 in Deutschland geschlossen, kommt deutsches Recht und mithin § 124 BGB zur Anwendung. Wird der Vertrag nicht in Deutschland geschlossen hängt die Formwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung von dem Recht des Staates des Vertragsschlusses ab. Befinden sich die Vertragsparteien der Gerichtsstandsvereinbarung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in verschiedenen Staaten kommt Art. 11 Abs. 2 Rom I Verordnung zur Anwendung. Rechtsprechung und herrschende Lehre können dagegen mit ihrer Qualifikation der Prorogation als prozessrechtlichen Vertrages besonderer Art darauf verweisen, dass sich die Formwirksamkeit der vorprozessualen Prorogation oder Derogation deutscher Gerichte ausschließlich nach § 38 bemisst, da sich die Formgültigkeit dann als Frage der prozessualen Zulässigkeit erweist, die in der ZPO geregelt ist. Rechtsprechung und die überwiegende Lehre behandeln die Frage der Formgültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung als Problem ihrer prozessualen Zulässigkeit.196 Nach dem hier vertretenen Ansatz normiert § 38 Abs. 2 eine materiell-rechtliche Formvor-

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188 BGHZ 59, 22 = NJW 1972, 1622; BGH NJW 1989, 1431; 1997, 2885. 189 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 50; Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege Vorb. § 38 Rdn. 2; Keller JURA 2008, 523; Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 3, 4. 190 BGHZ 59, 27; OLG Bremen VersR 1985, 988; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 51. 191 MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 11, 12; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 51. 192 Vgl. Ferrari/Kieninger/Mankowski/ua/Kieninger Internationales Vertragsrecht, Art. 1 VO (EG) 593/ 2008 Rdn. 18 (grundsätzliche Anwendbarkeit der lex fori auf Gerichtsstandsvereinbarungen). 193 ROM I: NK-BGB/Leible 2014, Bd. 6 – ROM-Verordnungen, Art. 4 ROM I Rdn. 1; jurisPK-BGB/Ringe6 Bd. 6 – Internationales Privatrecht, Art. 11 ROM I Rdn. 1, 2, 7. 194 Vgl. jurisPK-BGB/Ringe6 Bd. 6 – Internationales Privatrecht, Art. 3 ROM I Rdn. 9, 13. 195 Allgemein zur Form nach ROM I: NK-BGB/Bischoff 2014, Bd. 6 – ROM-Verordnungen, Art. 11 ROM I Rdn. 14 ff., 22; jurisPK-BGB/Ringe6 Bd. 6 – Internationales Privatrecht, Art. 11 ROM I Rdn. 10, 29 ff. 196 Stein/Jonas/Bork § 38 ZPO Rdn. 23, 24; Gottwald FS Firsching (1985) 89.

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schrift, § 125 BGB. Grundsätzlich gilt Abs. 2 S. 2. Danach bedarf eine nach Abs. 2 getroffene Gerichtsstandsvereinbarung der Schriftform oder, wenn sie mündlich geschlossen worden ist, der schriftlichen Bestätigung. Nach allgemeiner Meinung greift § 126 BGB auf dem Gebiet des Verfahrensrechts nicht unmittelbar ein.197 Daraus wird gefolgert, dass auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift deshalb nicht in Betracht kommt, weil damit die internationale Prorogation unerwünschten Erschwernissen ausgesetzt wäre. Daher muss im Falle der Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 2 nicht eine einheitliche Vertragsurkunde errichtet werden, die von den Parteien unterfertigt wird, wie es § 126 Abs. 2 S. 1 BGB vorsieht. Auch ist es nicht zwingend erforderlich, dass beim Austausch verschiedener Urkunden eine Unterfertigung der Urkunden durch beide Parteien erfolgt, vergleiche § 126 Abs. 2 S. 2 BGB. So ist eine Unterzeichnung oder gar eine eigenhändige Unterschrift nicht zwingend erforderlich, um dem Schriftformerfordernis des § 38 Abs. 2 S. 2 Rechnung zu tragen.198 Es kann daher eine Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 2 S. 2 durch Telegramm, Fernschreiben, Fax und vergleichbare Übermittlung von Schriftstücken erfolgen.199 5. Materiell-rechtliche Voraussetzungen 104

a) Anwendbares Recht. Die Frage des Zustandekommens einer Gerichtsstandsvereinbarung ist nach den Regeln des internationalen Privatrechts zu entscheiden.200 Soweit die Parteien sich im Rahmen des Hauptvertrages über die Gerichtsstandsvereinbarung geeinigt haben, ist auf der Grundlage der Art. 27 ff. EGBGB das Vertragsstatut zu ermitteln. Nach dem gewählten Recht ist dann zu beurteilen, ob die Gerichtsstandsvereinbarung zustande gekommen ist.201 Vereinbaren im Inland ansässige (kaufmännische) Parteien einen ausländischen Gerichtsstand nur im Interesse einer von ihnen, bleibt diese zu einer Inlandsklage unabhängig davon berechtigt, ob hier Art. 17 LugÜ oder § 38 anzuwenden ist.202 Maßgebend für die Beurteilung der Frage des Zustandekommens einer Gerichtsstandsvereinbarung im Seefrachtgeschäft ist das Recht des Bestimmungshafens.203

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b) Zulässigkeit, Inhalt. Zur Bestimmbarkeit des prorogierten Gerichts oben Rdn. 54, 58, 93 ff. Es genügt aber auch nach Abs. 2 die isolierte Derogation der Zuständigkeit des deutschen Gerichtes, womit notwendig zugleich die Prorogation der internationalen Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtes verbunden ist.204 Die Parteien können, sofern der Streitgegenstand ihrer Verfügung unterliegt und die deutschen Gerichte nicht ausschließlich zuständig sind, die ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts vereinbaren, auch wenn dessen Urteil mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit in Deutschland nicht anerkannt wird.205 Auch wenn im Lande des als zuständig vereinbarten Gerichts vollstreckungsfähiges Vermögen des Schuldners nicht vorhanden ist und

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197 BVerfGE 74, 228 = NJW 1987, 2067; BGHZ 24, 299; NJW 1983, 1498; BAG NZA 2008, 761; BFHE 111, 284; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 28 m.w.N. 198 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 28, 29. 199 MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 32; Zöller/Vollkommer § 38 Rdn. 27; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 28. 200 BGH NJW 1983, 2772 f. 201 BGHZ 99, 207, 209 = NJW 1987, 1145; BGH NJW 1989, 1431, 1432; OLG Bamberg NJW-RR 1989, 371 f.; OLG München IPRax 1991, 46, 48; a.A. BGH NJW 1983, 2773. 202 BGH NJW-RR 1999, 137. 203 BGH NJW 1983, 2772 f. 204 BGHZ 49, 124, 126 = NJW 1968, 356; BGH NJW 1986, 1438 f.; BAG NJW 1984, 1320. 205 BGHZ 49, 124, 126 = NJW 1968, 356 = LM Nr. 5.

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nur eine in Deutschland geleistete Sicherheit als Gegenstand der Vollstreckung in Betracht kommt, ist die Gerichtsstandsvereinbarung zulässig.206 c) Es darf ein ausschließlich inländischer Gerichtsstand durch Vereinbarung mit 106 Wirkung für die inländischen Gerichte begründet werden, selbst wenn ansonsten kein inländischer begründet wäre. Dies kann nach anderen ausländischen Rechten für ausländische Gerichte ausgeschlossen sein. Einerseits setzt die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung aber voraus, dass kein ausländisch ausschließlicher Gerichtsstand begründet wäre, andererseits, dass der Gerichtsstand auch sonst nach inländischem Recht begründet werden könnte (§ 40 Abs. 2), sofern keine internationale Abmachung dagegen steht. Bedeutungslos ist, ob das inländische Anerkenntnis im Ausland anerkannt werden würde und auch vollzogen werden könnte. Unzulässig ist es nur dann, wenn das Anerkenntnis dann auch im Inland keine Wirkung auslöste.207 d) Ausgeschlossen waren internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, durch die 107 ausländische Gerichte für zuständig erklärt worden sind, die in Rechtsstreitigkeiten aus Börsentermingeschäften die §§ 53, 61 BörsG aF nicht beachteten.208 Auch für Streitigkeiten aus Seefrachtverträgen, insbesondere aus Konnossementen, die eine Beförderung nach einem deutschen Bestimmungshafen betreffen, können die Parteien mit Wirkung gegen den deutschen Empfänger die ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts vereinbaren.209 Es bleiben frühere oder spätere Ereignisse außer Betracht. Insbesondere bleiben 108 Rechtsnachfolger unabhängig davon, ob bei ihnen die erforderlichen Eigenschaften bestehen, gebunden.210 Somit kommt es für die Gerichtsauslandseigenschaft eines Beteiligten i.S.v. § 38 Abs. 2 Satz 1 allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Maßgeblich ist bei der schriftlichen Bestätigung der Zeitpunkt der mündlichen Vereinbarung, der Zeitpunkt des Zugangs der Bestätigung bei den anderen Vertragspartnern sowie die Zeit dazwischen.211 Ist die Vereinbarung nur mündlich, so wirkt sie nicht. Gleiches gilt in Bezug auf den zu vereinbarenden inländischen allgemeinen Gerichtsstand nach § 38 Abs. 2 Satz 3. 6. Beschränkung der Wahlfreiheit bei inländischem Gerichtsstand einer Partei. 109 S. 3 beschränkt die Wahlfreiheit für den Fall, dass eine Partei ihren Gerichtsstand im Inland hat. Gewählt werden kann dann nur das Gericht, bei dem diese Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand hat oder bei dem ein besonderer Gerichtsstand begründet ist, wodurch insbesondere der Schutz des inländischen Verbrauchers gegenüber dem ausländischen Vertragspartner verwirklicht werden soll.212

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206 BGH NJW 1971, 985 m. Anm. Geimer NJW 1971, 1525. Vgl. im Übrigen zur prorogationsgemäße Klage der durch das Prorogationsverbot geschützten Partei Bülow VersR 1976, 415. 207 Vgl. insgesamt Wieczorek 2. Aufl., § 38 Rdn. C Ib 4. 208 Vgl. hierzu: BGH NJW 1984, 2037; OLG Frankfurt/M WM 1986, 449, 450 f. 209 BGH NJW 1971, 325 m. Anm. Geimer 1524. 210 Wieczorek 2. Aufl., § 38 Rdn. C Ie 1. 211 Wieczorek 2. Aufl., § 38 Rdn. C Ie 2. 212 Samtleben NJW 1974, 1590, 1596.

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XII. Abs. 3 1. Regelung des Abs. 3 Nr. 1: Nachfolgende Gerichtsstandsvereinbarungen 110

a) Liegen weder die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 noch die des § 38 Abs. 2 vor, so kann eine Gerichtsstandabrede gleichsam wirksam sein, wenn die Voraussetzungen des Abs. 3 vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Abrede ausdrücklich schriftlich geschlossen ist und unter § 38 Abs. 3 Nr. 1 oder § 38 Abs. 3 Nr. 2 fällt, soweit nicht § 48 Abs. 2 ArbGG durchgreift. Solche sind für den Bereich nichtkaufmännischer Parteien, also außerhalb des Bereichs des Abs. 1 dieser Vorschrift, nach Abs. 3 Nr. 1 zulässig, sofern sie nach Abschluss des Hauptvertrages, aber vor Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 2) des Rechtsstreits als gesonderte Vereinbarung abgeschlossen worden sind. Für den vom Anwendungsbereich erfassten Kreis von Parteien (vgl. Rdn. 28 ff.) gilt Abs. 3 Nr. 1 nicht.213 Eine bloße Unsicherheit über die vertraglichen Rechte oder Pflichten genügt hierfür nicht, vielmehr muss zwischen den Parteien ein außergerichtlicher Streit geführt, also eine Meinungsverschiedenheit über bestimmte vertragliche Rechte oder Pflichten ausgebrochen sein. Anzeichen dafür, aber nicht erforderlich, ist, dass ein Prozess beabsichtigt oder angedroht ist.214

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b) Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die zugleich mit dem Vertrage abgeschlossen worden ist, dessen künftige Streitigkeiten sie regelt, fällt nicht unter § 38 Abs. 3 Nr. 1.215 Eine Gerichtswahlklausel, die die inländische Gerichtsbarkeit ausschaltet, ist aber unwirksam, wenn eine Partei ihre wirtschaftliche Überlegenheit dazu benutzt, den anderen Teil zum Vertragsabschluss zu nötigen oder wenn ein Gericht als zuständig bestimmt wird, das den Rechtsstreit nicht entscheiden will oder bei dem eine geordnete und sachgerechte Prüfung der Ansprüche nicht gewährleistet ist, so dass die Klausel einem Verzicht auf den Rechtsschutz gleichkommt.216

2. Formerfordernisse. Die Gerichtsstandsvereinbarung erfordert die Schriftform. Abs. 3 versteht unter Schriftlichkeit dasselbe wie Abs. 2 (vgl. Rdn. 43 ff. – Schriftform § 126 BGB), wonach im Fall eines mündlichen Abschlusses die schriftliche Bestätigung erforderlich ist. Die Vorschrift schreibt als Wirksamkeitserfordernis der Gerichtsstandsvereinbarung 113 deren „Ausdrücklichkeit“ vor. Darunter ist zu verstehen, dass in der Gerichtsstandsvereinbarung expressis verbis die Prorogation vorgesehen wird. Daraus folgt nicht nur, dass nach Abs. 3 Nr. 1 stillschweigend geschlossene Vereinbarungen unwirksam sind, sondern, dass der Inhalt der Prorogation (Gericht, Rechtsverhältnis) unmissverständlich niedergelegt sein muss.217 Eine globale Bezugnahme, etwa auf AGB, genügt daher nicht.218 114 Im Fall des § 38 Abs. 3 Nr. 1 müssen im maßgeblichen Zeitpunkt die Streitentstehung, die Schriftlichkeit und die Ausdrücklichkeit der Prorogation vorliegen.219 112

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Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 10, 22. Vgl. Vollkammer Rpfleger 1974, 132; M. Wolf ZZP 88 (1975), 344, 346. BGH DB 1986, 684. BGH VersR 1974, 471. MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 36. OLG Stuttgart NJW-RR 1987, 1076. Wieczorek 2. Aufl., § 38 Rdn. C Ie 3.

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3. Inhaltliche Anforderungen. Inhaltlich erfasst die Gerichtsstandsvereinbarung in 115 den beiden Fällen des Abs. 3 Nr. 2 nur die örtliche und internationale, nicht hingegen die sachliche Zuständigkeit.220 Eine entsprechende Regelung treffen die § 215 Abs. 3 VVG221 und § 26 Abs. 2 Nr. 2 FernUSG. 4. Vereinbarung eines Hilfsgerichtsstandes, Abs. 3 Nr. 2 a) 1. Var. § 38 Abs. 3 Nr. 2 1. Alt. setzt voraus, dass eine der Parteien des Hauptver- 116 trages nach dessen Abschluss ihren zuvor im Inland belegenen Wohnsitz ins Ausland verlegt und dadurch der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Hauptvertrages im Deutschland begründete allgemeine Gerichtsstand des Beklagten weggefallen ist. Zieht der Beklagte nach Deutschland zurück, entfällt damit die Legitimationsgrundlage der Prorogation gemäß Abs. 3 Nr. 2 1. Var. Im Falle einer zulässigen Eventualvereinbarung nach § 38 Abs. 3 Nr. 2, 1. Var. müs- 117 sen im Zeitpunkt der Abrede nur Schriftlichkeit, Ausdrücklichkeit und die Zukunftsklausel der Norm gegeben sein.222 b) 2. Var. Danach ist eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam, wenn weder ein 118 allgemeiner Gerichtsstand des Beklagten im Inland begründet noch sein gewöhnlicher Aufenthaltsort im Inland bekannt ist. Bestimmt eine Gerichtsstandsklausel im Außenhandel die alleinige Zuständigkeit 119 der Gerichte am Domizil des Verkäufers mit der Maßgabe, dass dieser auch am Domizil des Käufers klagen kann, so kann damit auch der Gerichtsstand der Widerklage für eine Widerklage des Käufers ausgeschlossen sein, wenn der Verkäufer den Käufer an dessen Domizil verklagt.223 Ist vor einem ausländischen Gericht gegen einen Beklagten ein Versäumnisurteil ergangen, so ist dieser im Vollstreckungsrechtsstreit nicht gehindert, sich auf die Unzuständigkeit des ausländischen Gerichts nach deutschem Recht zu berufen.224 XIII. Sonderfälle: Gerichtsstandsklauseln 1. Gerichtsstandsklauseln in Gesellschaftssatzungen a) Im kaufmännischen Bereich nach § 38 Abs. 1 bereitet es keine Probleme, wenn 120 sich in der Satzung einer Gesellschaft, also einer Aktiengesellschaft, einer GmbH, oder einer Personenhandels- oder Personengesellschaft, eine Gerichtsstandsklausel findet. Denn § 38 Abs. 1 lässt auch eine stillschweigende Vereinbarung der Parteien über das zuständige Gericht zu. In diesen Fällen bedarf es also keiner besonderen Auslegungsanstrengungen, um die Wirkung der Gerichtsstandsklausel in der Gesellschaftssatzung gegen die Gesellschafter zu begründen.225 b) Anders liegen die Dinge dagegen im Geltungsbereich der Abs. 2 und 3. Denn es 121 stellt sich in diesen Fällen die Frage, ob die Anforderungen dieser Vorschriften im Ein-

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Löwe NJW 1974, 475. Vgl. MünchKomm-VVG/Looschelders § 215 Rdn. 58 ff. Wieczorek 2. Aufl., § 38 Rdn. C Ie 4. BGH NJW 1969, 1563. BGH NJW 1969, 1563. Bork ZHR 157 (1993), 48.

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zelnen eingehalten worden sind. Dabei steht weder die Einhaltung der Schriftform noch die Ausdrücklichkeit in der Gerichtsstandsregelung in Frage, die bei einer expliziten Gerichtsstandsklausel in der Gesellschaftssatzung allenfalls in Ausnahmefällen nicht gegeben sein werden. Vielmehr kommt es hier darauf an, ob eine Vereinbarung über die Prorogation oder Derogation vorliegt, die über die Formvorschriften hinaus den Anforderungen des § 38 Abs. 2 oder Abs. 3 entspricht.226 Wird die Gerichtsstandsklausel in die Gründungssatzung einer Kapitalgesellschaft aufgenommen, lässt sich die Bindung der Gründungsgesellschafter dadurch begründen, dass deren Mitwirkung an der Gründung der Gesellschaft den Charakter einer Vereinbarung im Sinne von § 38 habe.227 Vergleichbar ist die Lage, wenn im Zuge einer Kapitalerhöhung gemäß § 185 AktG, § 55 GmbHG die Beitretenden an die Gerichtsstandsklausel, die zu diesem Zeitpunkt in die Satzung eingefügt wird, gebunden werden.228 Weiter ist die Bindung von Rechtsnachfolgern an eine Gerichtsstandsvereinbarung, die vom Veräußerer des Gesellschaftsanteils bindend getroffen worden ist, nach allgemeinen Grundsätzen zu begründen (unten Rdn. 127).229 Probleme bereiten dagegen Fälle, in denen nachträglich durch Satzungsänderung 122 eine Gerichtsstandsklausel eingefügt wird.230 Nun setzt die Satzungsänderung einen Akt der Entscheidung der Gesellschafter voraus, so dass eine Bindung der Gesellschafter, die für die Satzungsänderung gestimmt haben, begründet werden kann. Dies lässt sich aber nicht mehr für diejenigen Gesellschafter sagen, die der Satzungsänderung widersprochen und gegen sie gestimmt haben. Der EuGH231 hat darauf erkannt, dass der Gesellschafter durch seinen Beitritt zur Gesellschaft nicht allein die zum Zeitpunkt des Beitritts gegebene Satzung anerkannt hat, sondern sich auch durch Mehrheitsentscheidungen, in denen er widersprochen hat, durch seinen Beitritt zur Gesellschaft unterworfen hat und damit die bindende Wirkung von nachträglich in die Satzung aufgenommenen Gerichtsstandsklauseln anerkannt hat. Wenn dagegen argumentiert wird, hierdurch werde der Begriff der Vereinbarung in § 38 überdehnt, und eine Analogie zu schiedsverfahrensrechtlichen Normen vorgeschlagen wird, verkennt dies die körperschaftliche Struktur gesellschaftsrechtlicher Entscheidungsprozesse. Der Ansicht des EuGH ist daher der Vorzug zu geben. 123

c) Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung die ausschließliche Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts vorsieht oder ob allein eine fakultative Zuständigkeit neben den gesetzlich begründeten Gerichtsständen vorgesehen sein soll, ergibt sich nicht immer aus dem Wortlaut der Vereinbarung. Das angerufene deutsche Gericht hat daher die Wirkung der Prorogation durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln,232 die als lex fori einschlägig sind. Wird die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet oder ist eine Derogation der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte vorgesehen, ist diese Frage ebenfalls nach der lex fori, also nach den §§ 133, 157 BGB zu beantworten.233 Ist die Gerichtsstandsvereinbarung in einer fremden Sprache abgeschlossen, sind bei ihrer Auslegung die Rechtsbegriffe, die die Parteien gewählt haben, vor dem Hintergrund der Rechtsvorstellungen des Staates auszulegen, dessen Sprache zugrundegelegt worden ist.

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Vgl. Bork ZHR 157 (1993), 48. BGHZ 47, 172, 179; Bork ZHR 157 (1993), 48, 53. Vgl. OLG Koblenz ZIP 1989, 1329; Geimer EWiR 1989, 885, 886; Bork ZHR 157 (1993), 48, 53, 54. BGH NJW 1980, 2022, 2023; OLG Köln NJW-RR 1992, 571; Bork ZHR 157 (1993), 48, 54 m.w.N. Vgl. dazu Bork ZHR 157 (1993), 48, 54 f. EuGH NJW 1992, 1671, 1672. RGZ 159, 256; Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 59. MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 13; BGHZ 59, 23, 26 = NJW 1972, 1622.

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d) Von der Ausschließlichkeit des vereinbarten Gerichtsstandes ist auszugehen, 124 wenn die Zuständigkeit der Gerichte am Sitz des jeweiligen Beklagten vereinbart wurde. In diesem Fall wäre die Vereinbarung eines fakultativen Gerichtsstandes gegenstandslos.234 Der BGH235 hat in der Beteiligung eines staatlichen Unternehmens einen Anhaltspunkt für die Ausschließlichkeit des vereinbarten Gerichtsstandes gesehen. Der Wortlaut „für alle Streitfälle“ in einer Gerichtsstandsvereinbarung soll darauf verweisen, dass jedenfalls für die Ansprüche gegen die Vertragspartei als Beklagte deren Heimatgerichte zuständig sein sollen, wenn die ausschließliche Zuständigkeit dieser Gerichte vereinbart wird.236 e) Wird die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts begründet, dessen Urteile im 125 Inland nicht anerkennungs- und vollstreckungsfähig sind, spricht es dagegen, die Gerichtsstandsvereinbarung als Begründung eines ausschließlichen Gerichtsstandes auszulegen.237 2. Ermittlung der Ausschließlichkeit oder der Fakultativität des vereinbarten 126 Gerichtsstandes. Wird in der Gerichtsstandsvereinbarung nur zu Gunsten einer Partei die Zuständigkeit begründet, kann die begünstigte Partei auch an jedem anderen gesetzlichen Gerichtsstand klagen. Dies kann im Wege der Auslegung ermittelt werden. In diesen Fällen ist das Gericht, dessen Zuständigkeit vereinbart worden ist, nur für eine Partei ausschließlich zuständig. Die andere Partei kann für ihre Aktivprozesse daher zwischen dem forum prorogatum und der zulasten der anderen Partei derogierten Zuständigkeit wählen. 3. Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen238 a) Grundsätzlich erfolgt die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Vertragspar- 127 teien und wirkt folglich zunächst inter partes. Sie entfaltet aber auch gegen Einzel- und Gesamtrechtsnachfolger der Parteien Wirkung, soweit diese in das Rechtsverhältnis einrücken, das von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst wird.239 Anders ist diese nur dann zu beurteilen, wenn die Prorogation ausdrücklich oder erkennbar auf die ursprünglichen Parteien beschränkt wurde; Dritte werden dann von ihren Wirkungen nicht erfasst. Ob im Regelfalle der Dritterstreckung der Rechtsnachfolger die Gerichtsstandsvereinbarung kennt, ist dabei, wie im Allgemeinen so auch im Bereich des § 38, unerheblich.240 Daher ist an die Prorogation der Erbe gebunden, der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) in die Rechtsstellung des Erblassers als Partei der Gerichtsstandsvereinbarung einrückt. Bei der Pfändung einer Forderung durch den Vollstreckungsgläubiger vgl. die besonderen Wirksamkeitsvoraussetzungen bei ihrer Erstreckung auf den Zessionar vgl. oben Rdn. 4, 54 f.

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234 BGH LM § 38 Nr. 23. 235 BGHZ 49, 144, 130 = NJW 1968, 336. 236 BGH NJW 1973, 422; OLG München NJW 1987, 2166. 237 A.A. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 34 mit Verweis auf u.a.: BGHZ 49, 124; BGH NJW 1971, 325; BGH MDR 1971, 376; OLG Saarbrücken NJW-RR 1989, 829; Kropholler Hdb. IZVR, Bd. I (1982) Kap. III Rdn. 547 ff. 238 Hierzu: Geimer NJW 1985, 533. 239 Geimer NJW 1985, 533 m.w.N. 240 Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 53.

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b) Der Beitretende wird an eine nach § 38 Abs. 1 geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung im Falle des Schuldbeitritts nur dann gebunden, wenn er selbst Kaufmannseigenschaft hat. Die internationale Prorogation nach § 38 Abs. 2 bindet den Beitretenden demgegenüber nach Ansicht des BGH,241 wenn sie im Übrigen formwirksam ist. Der gutgläubige Erwerber eines Wechsels wird nach Rechtsprechung des RG242 von einer Gerichtsstandsvereinbarung nur dann gebunden, wenn sie aus dem Wechsel selbst hervorgeht.

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c) Auch solche Dritte, die der Vereinbarung nachweislich (zum Nachweis im Prozess unten Rdn. 144) zugestimmt haben, werden von ihrer Wirkung erfasst.243 Hier sind regelmäßig Fälle gegeben, in denen der Dritte neben dem in Anspruch Genommenen in Mithaftung am Gerichtsstand der Vereinbarung in Anspruch genommen werden soll.

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d) Reichweite des § 103 Abs. 1 InsO. Welche Wirkung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Gerichtsstandsvereinbarungen des Insolvenzschuldners hat, lässt sich beantworten, wenn man die Gerichtsstandsvereinbarung als prozessualen Vertrag über Prozessvoraussetzungen betrachtet und dessen Gleichlauf mit Schiedsvereinbarungen in den Blick nimmt, die ebenfalls die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts betreffen. Welche Wirkungen die Insolvenz des Insolvenzschuldners auf die vertraglich vereinbarte Zuständigkeit von Schiedsgerichten hat, lässt sich nicht einfach beantworten: § 103 InsO, der die Auswirkung der Verfahrenseröffnung auf gegenseitige Verträge betrifft, suspendiert nach zutreffender in der Literatur vertretenen Auffassung nicht solche auf den Prozess bezogenen Abreden, die der Schuldner im Rahmen von Verträgen mit Gläubigern vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. vor Erlass einer Anordnung des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO getroffen hat.244 Der Verwalter kann sich danach nicht durch die Ablehnung der Erfüllung eines mit einer Schiedsabrede oder Gerichtsstandsvereinbarung verknüpften gegenseitigen Vertrages von den in der Vereinbarung getroffenen Festlegungen lösen. Denn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hebt grundsätzlich die rechtlichen Bindungen nicht auf, die der Insolvenzschuldner eingegangen ist; das folgt bereits aus der Funktion der Befugnis des Insolvenzverwalters, die Erfüllung gegenseitiger Verträge zu verlangen oder sie abzulehnen. Insoweit hilft die Interpretation nicht weiter, die den Schutz der Masse und des Vertragspartners des Gemeinschuldners im Blick hat. Ausschlaggebend ist folgende Überlegung: § 103 InsO normiert Ausnahmetatbestände, die sich aus dem synallagmatischen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nach Maßgabe des vom Insolvenzschuldner mit seinem Partner eingegangenen Vertrages begründen lassen. Dieser sachliche Grund der Ausnahmebestimmung des § 103 InsO greift zweifellos nicht, soweit es sich um eine Schiedsabrede oder eine Gerichtsstandsvereinbarung handelt. Denn die Schiedsabrede steht evident nicht im Zusammenhang einer synallagmatischen Verknüpfung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien. Sie richtet sich nicht auf den Vorgang wechselseitiger Vertragserfüllung, sondern hat die Gestaltung der Modalitäten zur Aufgabe, unter denen die Parteien die Rechtsverfolgung im Hinblick auf den fraglichen materiellen Vertrag geregelt wissen wollen.

_____ 241 242 243 244

BGH NJW 1980, 2023. RG JW 1903, 46. Geimer NJW 1985, 533. Kuhn/Uhlenbruck-KO11, § 17 Rdn. 16; a.A. Häsemeyer Insolvenzrecht4, Rdn. 13.28.

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Die Gerichtsstandsvereinbarung ist weder ein gegenseitiger Vertrag iSd. § 103, noch 131 ein Auftrag i.S.d. § 115 InsO.245 Der Verwalter kann sich nicht durch die Ablehnung der Erfüllung eines mit einer Schiedsabrede verknüpften gegenseitigen Vertrages von den in ihr getroffenen Festlegungen lösen. e) Keine Erstreckung der Wirkungen der Gerichtsstandsabrede auf Anfech- 132 tungsprozesse Der Rückgewähranspruch aus Insolvenzanfechtung ergibt sich nämlich nicht aus der vom Schuldner geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung, sondern aus einem selbständigen Recht des Insolvenzverwalters.246 Die Gerichtsstandsvereinbarung erstreckt sich daher nicht auf vom Insolvenzverwalter zu führende Anfechtungsprozesse. In einer Entscheidung vom 28.2.1957247 hatte der 7. Zivilsenat des BGH über folgenden Sachverhalt zu befinden: Die Vertragspartner hatten hinsichtlich bestimmter vertraglicher Ansprüche eine Schiedsabrede getroffen. Nach dem Konkurs eines der Partner der Schiedsabrede wollte dessen Konkursverwalter gewisse Ansprüche aus dem Zusammenhang dieser Vertragsbeziehungen außerhalb des Schiedsverfahrens im ordentlichen Rechtsweg geltend machen. Der BGH ging allerdings in dieser Entscheidung davon aus, dass der Konkursverwalter an eine zwischen dem Gemeinschuldner und seinem Vertragspartner getroffene Schiedsabrede gebunden sei. Der BGH schränkte diese Bindung nur in einer Hinsicht ein; sie erstrecke sich nicht auf solche Rechtsstreitigkeiten, mit denen der Verwalter einen Rückgewähranspruch aus der Konkursanfechtung gemäß § 37 KO geltend macht, da sie sich nicht mehr aus dem Zusammenhang der Rechte und Pflichten begründet, die mit dem vom Gemeinschuldner mit dem Anfechtungsgegner geschlossenen Vertrag begründet werden. Denn Parteien der Anfechtung sind der Verwalter (für die Masse) und der Anfechtungsgegner.248 4. Prorogation des Gerichtsstands der Widerklage a) Auch der Gerichtsstand der Widerklage nach § 33 kann durch die Vereinbarung 133 eines ausschließlichen Gerichtsstands prorogiert werden.249 Geschieht dies nicht ausdrücklich, ist die Gerichtsstandsvereinbarung auszulegen (Rdn. 73).250 Die Prorogation der Widerklage Zuständigkeit wird regelmäßig ausschließlich sein. Die Partei, die nach der Gerichtsstandsvereinbarung vor ihrem Heimatgerichtsstand verklagt werden muss, will damit regelmäßig erreichen, dass sie auch wegen einer gegen sie gerichteten Widerklage ausschließlich vor diesem Gericht in Anspruch genommen werden soll.251 Klagt dagegen die ausländische Partei trotz Vereinbarung eines fakultativen ausländischen Gerichtsstands im Inland, bleibt die Widerklage vor dem deutschen Gericht trotz einer entgegenstehenden Vereinbarung zulässig.252 b) Beispiel: Die schlichte Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstandes bei einem 134 Lieferungsgeschäft ins Ausland hat nicht die Wirkung, dass damit der Gerichtsstand der

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245 BGH, Beschl. v. 20.11.2003 – III ZB 24/03, ZInsO 2004, 88. 246 BGH, Beschl. v. 20.11.2003 – III ZB 24/03, ZInsO 2004, 88. 247 BGH v. 28.2.1957 – VII ZR 204/56 – BGHZ 24, 15, 18. 248 Vgl. hier nur statt der gesamten insolvenzrechtlichen Kommentarliteratur: Leonhardt/Smid/ZeunerInsO/Zeuner3 § 129 Rdn. 13 ff. 249 BGHZ 52, 30, 36 = NJW 1969, 1536; BGH NJW 1983, 264; BGH NJW-RR 1987, 228, 229. 250 BGHZ 52, 30, 36 = NJW 1969, 1536; BGH NJW 1983, 264; BGH NJW-RR 1987, 228, 229. 251 Musielak/Heinrich § 38 Rdn. 26. 252 BGH NJW 1981, 2642.

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Widerklage für eine Widerklage des ausländischen Käufers ausgeschlossen ist, wenn der deutsche Verkäufer den Käufer vor dessen Heimatgericht verklagt. Erhebt der deutsche Lieferant gegen seinen französischen Abnehmer Klage vor einem französischen Gericht und wird er auf eine Widerklage des Abnehmers zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, so ist für die Anerkennung dieses Urteils die Gegenseitigkeit als verbürgt anzusehen.253 135

c) Eine einseitig begünstigende Gerichtsstandsvereinbarung verwehrt es der nicht begünstigten Seite, die Widerklage zu erheben, wenn der Begünstigte nicht am prorogierten Gerichtsstand klagt. Die Ausübung seiner Wahl ist nach zutreffender Ansicht des BGH254 nicht als Preisgabe des Vorteils zu interpretieren, ausschließlich an seinem eigenen Sitz verklagt werden zu können. Die Gegenmeinung sieht hierin eine „allzu einseitige Wertung der Parteiinteressen“.255 Wegen konnexer Gegenforderungen könne der aus einer einseitigen Gerichtsstandsvereinbarung begünstigte Kläger die andere Partei nicht zu einer „doppelten Prozessführung“ zwingen.256 Diese Gegenmeinung verkennt, dass, wollte man ihr folgen, einer damit einseitig begünstigenden Gerichtsstandsvereinbarung – hält man sie denn für wirksam, woran kein Zweifel besteht – weithin die Wirkung genommen würde. 5. Prozessuales Aufrechnungsverbot

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a) Die Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines Gerichts für eine Forderung begründet nach zutreffender Ansicht des BGH257 die Vereinbarung eines prozessualen Aufrechnungsverbots, das es ausschließt, im deutschen Erkenntnisverfahren die Aufrechnung mit dieser Forderung zu erklären. Der BGH258 begründet dies damit, dass der Kläger ansonsten den Nachteil erlitte, nicht allein vor einem fremden Gericht die Klage erheben zu müssen, sondern sich dort auch noch gegen die zur Aufrechnung gestellte Forderung entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung verteidigen zu müssen. Daher überträgt der BGH,259 der zunächst zu einem Falle der Aufrechnung mit einer konnexen Forderung entschieden hat, dies auch auf die Aufrechnung mit konnexen Gegenforderung. Dagegen wird geltend gemacht,260 die Erstreckung der Qualifikation der Gerichtsstandsvereinbarung als prozessuales Aufrechnungsverbot auf die Aufrechnung mit konnexer Gegenforderung führe dazu, dass der Beklagte zur Vorleistung ohne Verrechnungsmöglichkeit verpflichtet werde. Es entspreche aber nicht dem Parteiwillen der Gerichtsstandsvereinbarung, dass im Falle gerichtlicher Auseinandersetzung die Rechtsbeziehungen in zwei gesonderte Schuldverhältnisse aufgespaltet werden sollten. Daher sei die Judikatur des BGH im Falle konnexer Gegenforderungen abzulehnen. Dies überzeugt nicht.

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b) Nichts anderes gilt, wenn der Kläger die nach der getroffenen Abrede international unzuständigen deutschen Gerichte gleichwohl anruft und der Beklagte sich hierauf rügelos einlässt. Mit der Regelung der bloßen Einlassung des Beklagten wird nicht etwa

_____ 253 254 255 256 257 258 259 260

BGHZ 59, 116, 119 = NJW 1972, 1671; BGHZ 50, 100 ff. BGHZ 52, 30, 36 = NJW 1963, 1986. Vorauflage/Hausmann § 38 Rdn. 97. Vgl. zu Art. 17 EuGVÜ Rauscher RIW 1985, 989; Gottwald IPRax 1986, 13. BGHZ 60, 85, 90 = NJW 1973, 421. BGHZ 60, 85, 90. BGH NJW 1979, 2477. v. Falkenhausen RIW 1982, 386.

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die Gerichtsstandsvereinbarung in Ansehung der Gegenforderung aus der Welt geschaffen. Anders ist dagegen der Fall zu beurteilen, in dem der Kläger sich nicht auf die Gerichtsstandsvereinbarung beruft, sondern in der Sache der Aufrechnungsforderung im Prozess entgegentritt. 6. Vorläufiger Rechtsschutz. Gerichtsstandsvereinbarungen können grundsätzlich 138 auch für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes getroffen werden.261 Die Gerichtsstandsvereinbarung für das Hauptsacheverfahren greift im Übrigen nicht ohne weiteres im Urteilsverfahren, sondern auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn durch Beschluss entschieden wird. Denn das Verfahren wird dann auf Widerspruch in das Urteilsverfahren übergeleitet.262 Im Übrigen erstreckt sich die Prorogation für die Hauptsache nicht auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, da dies die Parteien in ihrer Rechtsverfolgung bei der vorläufigen Sicherung ihrer Ansprüche behindern würde.263 Dies ist aber nicht im Wege der Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung zu entnehmen. Im Übrigen sind die Gerichtsstände bei dem Gericht der Hauptsache für Arrest und einstweilige Verfügung ausschließlich, was nach § 40 Abs. 2 (dort Rdn. 6) zur Unwirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarung führt. 7. Auf Gerichtsstandsvereinbarung gestützte Verweisung. Eine nur mit § 38 Abs. 1 begründete Verweisung ist nicht willkürlich, wenn beide Parteien diese unter Bezugnahme auf eine vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung begehrt haben. 264 Wenn Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, es sei (hier: für Streitigkeiten aus einem Generalunternehmervertrag) einseitig durch den Kläger oder gemeinsam durch beide prorogationsbefugte Parteien unter Berücksichtigung einer weiteren (konkretisierenden) Gerichtsstandsvereinbarung ein Amtsgericht als ausschließlich zuständiges örtliches Gericht gewählt worden, ist eine damit begründete Verweisung nicht objektiv willkürlich und damit bindend.265 Ein Verweisungsbeschluss, der auf der Anwendung des § 38 Abs. 1 auf eine zwischen Rechtsanwälten getroffene Gerichtsstandsvereinbarung beruht, entbehrt jeglicher gesetzlicher Grundlage und ist daher nicht bindend im Sinne des § 281 Abs. 2 S. 4.266 Ein Verweisungsbeschluss, den das im Mahnbescheid bezeichnete und an sich zuständige Streitgericht nach Abgabe aufgrund übereinstimmenden Antrags beider Parteien erlässt, weil es die ihm angezeigte nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung entgegen der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur irrig für zulässig gehalten hat, entfaltet gleichwohl Bindungswirkung, weil er jedenfalls nicht willkürlich ist. Der Verweisungsbeschlusses ist nicht willkürlich, wenn das angerufene Amtsgericht eine im kaufmännischen Verkehr verwendete Gerichtsstandsklausel für unwirksam erachtet, nach der ohne sonstige Bezugspunkte als Gerichtsstand eine in der Nähe zum Sitz des Verwenders befindliche Großstadt bestimmt ist.267 Einer von den Prozessparteien nach Klageerhebung getroffenen Vereinbarung, dass anstelle des angerufenen und zuständigen Gerichts ein anderes Gericht zuständig sein

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Vorauflage/Hausmann § 38 Rdn. 102. OLG München NJW 1952, 67. Vorauflage/Hausmann § 38 Rdn. 102. BGH NJW-RR 2008, 1309. OLG Brandenburg NJW 2006, 3444. OLGR Hamburg 2008, 340. OLG München MDR 2013, 243.

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soll, steht die Sperre des § 261 Abs. 3 Nr. 2 (Grundsatz der perpetuatio fori) entgegen. Ein von dem angegangenen Gericht gleichwohl unter Berufung auf abweichende Rechtsmeinungen in Rechtsprechung und Schrifttum erlassener Verweisungsbeschluss ist nicht schon deshalb objektiv willkürlich, weil er von der ganz herrschenden Rechtsauffassung abweicht.268 Die Rückwirkung der Genehmigung der Gerichtsstandsvereinbarung eines Minder143 jährigen nach § 184 Abs. 1 BGB vermag die Wirkung des Eintritts der Rechtshängigkeit nicht zu durchbrechen, wenn sie nach Klageerhebung erklärt worden ist.269 XIV. Nachweis des Vorliegens einer Gerichtsstandsvereinbarung 144

a) Der Kläger hat alle Voraussetzungen der Prorogation oder Derogation darzulegen und zu beweisen,270 worauf das Gericht gegebenenfalls im Wege materieller Prozessleitung hinzuwirken hat.271 Das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung ist zur Überzeugung des Gerichts – im Falle des Bestreitens des Beklagten – durch Vorlage der Vereinbarung (vgl. § 335 Abs. 1 Nr. 1) nachzuweisen.272 Durch Vorlage eines Handelsregisterauszuges273 nachzuweisen ist ferner die Kaufmannseigenschaft der Parteien, sofern sie sich nicht gemäß § 6 HGB aus deren Rechtsform ergibt. Im Falle des Abs. 3 Nr. 2 Alt. 2 hat der Kläger die Unbekanntheit des Aufenthaltsorts des Beklagten durch eine Bescheinigung der Meldebehörde nachzuweisen.274

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b) Hat das Gericht im Entscheidungsstaat seine Zuständigkeit auf eine Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien gestützt, sich jedoch nicht damit befasst, ob eine solche Vereinbarung nach dem Recht des Anerkennungsstaates zulässig ist, wird die Zuständigkeit des Gerichts im Entscheidungsstaat in diesem Punkt im Anerkennungsverfahren überprüft.275 XV. Internationale Zuständigkeit

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Art. 25 EuGVVO ist lex specialis und geht insofern dem § 38 und anderen sondergesetzlichen Vorschriften, die die Prorogation regeln, vor.276 Zudem ist durch die Formulierung des Art. 25 Abs. 1 EuGVVO eine Abrede zulässig, die bestimmt, dass Gerichte des vereinbarten Mitgliedstaates nicht ausschließlich zuständig sind. Bei der Beurteilung der Anwendbarkeit der EuGVVO auf eine vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung kommt es allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an. Dies gilt auch hinsichtlich des Beitritts eines Staates zur EU für Klageverfahren mit Bezug zu diesem neuen Mitgliedsstaat. Eine vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung ist nicht schon deshalb zulässig, da die Vertragsparteien Kaufleute sind. Das streitgegenständliche Vertragsverhältnis muss vielmehr gerade im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen. Art. 25 EuGVVO verdrängt in vollem Umfang die §§ 38, 40 mit der Folge, dass für Vereinbarungen hin-

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OLG Zweibrücken MDR 2005, 1187. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 66. Stein/Jonas/Bork § 38 Rdn. 74. Zur Amtsprüfung im Mahnverfahren Baumgärtl BB 1974, 1173. OLG Frankfurt/M MDR 1981, 762. Vollkammer Rpfleger 1974, 139. MünchKomm/Patzina § 38 Rdn. 39. BGH NJW-RR 2005, 929 Ergänzung zu BGH WM 2001, 2121. Hierzu Saenger ZZP 110, 477 f. (1997) m.w.N.; Mark/Gärtner MDR 2009, 837.

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sichtlich des internationalen Gerichtsstandes weder die Beschränkungen des § 38 Abs. 1 (Beschränkung auf Kaufleute) noch diejenige des § 38 Abs. Abs. 2 S. 2 gelten.277

§ 39 Zuständigkeit infolge rügeloser Verhandlung § 39 Smid/Hartmann Die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges wird ferner dadurch begründet, dass der Beklagte, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandelt. Dies gilt nicht, wenn die Belehrung nach § 504 unterblieben ist. Schrifttum Leipold Zuständigkeitsvereinbarung durch rügelose Einlassung nach dem EuGVÜ, IPRax 1982, 222; Möller Der gesetzliche Richter im Zivilprozess – Anwaltliche Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten (Teil 2), NJW 2009, 3769; Schütze Zur Bedeutung der rügelosen Einlassung im internationalen Zivilprozessrecht, RIW 1979, 590; Wackenhuth Zur Behandlung der rügelosen Einlassung in nationalen und internationalen Schiedsverfahren KTS 1985, 425. Übersicht Normzweck ____ 1 Regelungsgegenstand ____ 3 Verhandlung zum Streitgegenstand ____ 6 Rügeverzicht vor der Verhandlung ____ 12 Säumnis des Beklagten ____ 13

I. II. III. IV. V.

VI.

Zeitpunkt der Rüge der Unzuständigkeit ____ 15 VII. Belehrung des Beklagten durch das Amtsgericht, S. 2 ____ 18 VIII. Einzelfälle ____ 22 IX. Internationales ____ 25

I. Normzweck Die Vorschrift dient der Herstellung der Waffengleichheit der Parteien, zu der we- 1 sentlich gehört, dass es dem Beklagten nicht überlassen sein kann, zu einem in sein Belieben gestellten Zeitpunkt die Unzuständigkeit des Gerichts zu rügen, nachdem er bereits zur Sache verhandelt hat.1 Daneben2 dient die Vorschrift auch Zwecken der Prozessökonomie. Die Fassung der Vorschrift macht deutlich, dass sich die für echte Gerichtsstandsvereinbarungen geltenden Schranken nicht auf Fälle des rügelosen Einlassens erstrecken. Im Einzelnen: Die sachliche oder örtliche Zuständigkeit gehört zu den Prozessvoraussetzungen, deren Fehlen dazu führt, dass der Beklagte, der sich nicht zur Sache einlässt, keine Säumnisfolgen erleidet. Lässt sich der Beklagte zur Sache ein, folgt aus § 295, dass er sich hinfort nicht mehr auf prozessuale Fehler berufen kann. Dies greift § 39 S. 1 auf, der einen besonderen Fall der Begründung der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit des Gerichts des 1. Rechtszuges regelt. Diese wird durch rügelose mündliche Verhandlung zur Hauptsache durch den Beklagten begründet. § 39 S. 2 reagiert demgegenüber darauf, dass das Gesetz in § 504 den Beklagten im Parteiprozess vor den Amtsgerichten in Ansehung der Zuständigkeit des Gerichts für in besonderem Maße schutzwürdig erachtet. Nimmt man § 39 S. 2 iVm. § 504 beim Wort, geht es daher nicht

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OLG Stuttgart Justiz 2006, 387.

BGH NJW 1979, 1104 m. Anm. Geimer S. 1784. MünchKomm/Patzina § 39 Rdn. 1.

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eigentlich um die förmliche Waffengleichheit der Parteien im Prozess, sondern um die aufgrund der Vermutung sozialer Ungleichheit geforderte Herstellung der Chancengleichheit der Parteien. 2 Die Formulierung des § 39 S. 1 hat im Übrigen die Funktion klarzustellen, dass die Gerichtsstandsbegründung durch mündliche Verhandlung des Beklagten nicht etwa als konkludente Gerichtsstandsvereinbarung aufgrund der Schranke des § 38 Abs. 3 Nr. 1 unwirksam ist. II. Regelungsgegenstand § 39 betrifft die örtliche, sachliche3 und die internationale Zuständigkeit.4 § 39 ist im schiedsrichterlichen Verfahren nicht anwendbar5 und kommt auch nicht wegen der Zulässigkeit des Rechtsweges zum Zuge.6 Insoweit deckt sich der Anwendungsbereich des § 39 mit dem der Prorogation nach § 38. Die rügelose mündliche Verhandlung zur Hauptsache begründet daher nicht die funktionale Zuständigkeit und nicht die Zulässigkeit des Rechtswegs, so dass § 39 im Verhältnis der ordentlichen zur Arbeitsgerichtsbarkeit ebenso wenig anwendbar ist wie im Verhältnis zu Verfahren nach dem FamFG, und zwar auch dort, wo es um vermögensrechtliche Angelegenheiten geht und die Schranke des § 40 Abs. 2 S. 1 daher nicht eingreift. Wenn die gerichtliche Zuständigkeit vereinbart werden könnte, wird sie begründet, 4 wenn der Beklagte zur Hauptsache verhandelt (vgl. § 40) und sofern der Beklagte die Unzuständigkeit bis dahin nicht gerügt hatte (§ 295), egal, ob er sich dessen bewusst war oder nicht.7 Etwas anderes gilt im amtsgerichtlichen Verfahren (§§ 39 S. 2, 504). D.h., wenn der Beklagte ausdrücklich (so auch vor Verhandlung zur Hauptsache) durch Prozesserklärung zustimmt, dann darf er auch nicht mehr rügen, weil dann die Zuständigkeit begründet ist.8 Eine solche Zustimmung ist auch in den Anträgen des Beklagten nach §§ 696 Abs. 1 S. 1, 700 zu sehen. 5 Auch in Abwesenheit des Klägers kann der Beklagte sich erklären, so auch durch schlüssiges Verhalten (als stillschweigende Erklärung). Der Rügeverlust tritt auch in der (vorbehaltlosen) Erhebung der nach § 33 abhängigen Widerklage ein.9 Wenn beide Parteien Verweisung des Rechtstreits an ein anderes bestimmtes Gericht gemeinsam beantragen oder der Kläger ohne Rüge des Beklagten, dann ist die Zustimmung des Beklagten auch gegeben.10 3

III. Verhandlung zum Streitgegenstand 6

Voraussetzung der Zuständigkeitsbegründung nach § 39 S. 1 ist, dass eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 137 Abs. 1 durchgeführt wird. Ausführungen, die der Beklagte in vorbereitenden Schriftsätzen macht, genügen daher nicht, um an sie die Wirkung des § 39 S. 1 anzuknüpfen.

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3 KG VersR 1988, 909, 910. 4 BGHZ 101, 296, 301 = NJW 1987, 3181; BGH NJW 1979, 1104; OLG Hamm NJW 1988, 653; OLG Düsseldorf ZIP 1988, 1383, 1384. 5 Wackenhuth KTS 1985, 429. 6 Stein/Jonas/Bork § 39 Rdn. 2. 7 RG Gruch. 44/1183; vgl. auch Möller NJW 2009, 3769. 8 RGZ 151, 65, 67. 9 KG JW 1931, 1825. 10 RGZ 94, 133, 136, OLG Köln ZZP 50/147; vgl. auch Wieczorek 2. Aufl., § 39 Rdn. A I (der Kläger ist entgegen der Entscheidung des OLG nicht von der Kostenlast entbunden).

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Unter Verhandlung zur Hauptsache versteht die Prozessordnung Verschiedenes. Sie bezeichnet den Gegensatz einer Vor- zur Sachverhandlung (vgl. §§ 99; 239 Abs. 2 und 4; 249 Abs. 2, 345, 588 Abs. 1 Nr. 3, 590, 919, 926, 927 Abs. 2, 937, 942, 943; § 104 GVG). Im Fall des § 39, wie in den der §§ 76 Abs. 1 (77), 271 Abs. 1, 274, 504, bedeutet Hauptsache die Verhandlung, über den außerprozessualen Anspruch (den Sachantrag bzw. im Urkundenechtstreit über diesen Antrag) im Gegensatz zur Verhandlung über Prozessbedingungen.11 Der Beklagte hat nach alledem rügelos zur Hauptsache verhandelt, wenn er tatsächliche oder rechtliche Ausführungen in der mündlichen Verhandlung oder im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 212 zur Begründetheit gemacht hat. Im schriftlichen Vorverfahren (§ 276) kommt § 39 dagegen nicht zum Zuge.13 Fehlt es an einer mündlichen Verhandlung (im schriftlichen Verfahren, §§ 128 Abs. 2, 251a, 331a), so tritt der Verlust mit der ersten vorbehaltlosen schriftlichen Einlassung ein. Irrelevant ist dabei, wo die Rüge innerhalb desselben oder mehrerer gleichzeitig eingereichter Schriftsätze steht.14 So ist es auch bei einem späteren Datum eines solchen Schriftsatzes: Der Verlust ist dann schon eingetreten, wenn der früher geschriebene versehentlich später ankommt. Ein mögliches Verschulden des Beklagten ist dabei nicht erforderlich. Ist der Beklagte an seine Erklärung gebunden und beantragt schriftliche Entscheidung unter Vorbehalt der Rüge, dann ist der Vorbehalt unwirksam. Bis dahin darf er aber die Rüge nachbringen.15 Es ist möglich, dass die Rüge schon früher verloren wird, § 282 Abs. 1. Sie gehört zu den „prozesshindernden Einreden“ nach § 282 Abs. 2 und ist darum mit den anderen Einreden dieser Art vorzubringen.16 Im Amtsgerichtsprozess geschieht dies zugleich mit der Schiedseinrede, was aber zu Lasten des Beklagten nur nach dem im Sinne von § 504 erforderlichen Hinweise möglich ist, § 39 Abs. 1 S. 2. Die Unzuständigkeit darf dann nach §§ 282 Abs. 3, 528 immer dann noch gerügt werden, wenn das unverschuldet unterlassen wurde. Dies gilt dann aber nicht, wenn bereits zur Hauptsache verhandelt worden ist. Im landgerichtlichen Verfahren tendiert die Bedeutung des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften jedoch gegen Null. In den Fällen, in denen die örtliche Zuständigkeit vom erstinstanzlichen Gericht in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bejaht wurde, sei es ausdrücklich oder stillschweigend, ist dies unangreifbar.17 Der Fall der sachlichen Unzuständigkeit bleibt dann für die höheren Instanzen. Dies gilt aber auch dann nicht, wenn das Landgericht in erster Instanz entschieden hatte. Wird das Oberlandesgericht als Berufungsgericht angerufen, so wird automatisch auch die Rüge gegenstandslos. Dies gilt z.B. im Binnen-, Mosel- oder Rheinschifffahrtsrecht oder in Abstammungsstreitigkeiten auf die Entscheidung des Amtsgerichts hin. Im internationalen Recht gilt dieser Grundsatz jedoch nicht. Im Verfahren gemäß §§ 251a, 331a zur Entscheidung nach Lage der Akten wird die schriftliche Einlassung wirksam, wenn die letzte Erklärung zum schriftlichen Verfahren abgegeben werden musste.18 Einlassungen des Beklagten anlässlich eines Güteversuchs

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11 RG JW 1899, 813. 12 BGH NJW 1970, 198, 199. 13 OLG Frankfurt/M OLGZ 1983, 99, 102; Leipold IPRax 1982, 223 f. 14 Wieczorek 2. Aufl., § 39 Rdn. A IIb. 15 A.M. BGH MDR 1970, 230 = NJW 1970, 198, der die Rüge [wegen des Vorbehalts] für zulässig gehalten hat. 16 Wieczorek 2. Aufl., § 39 Rdn. A III. 17 Vgl. zu §§ 512 a.F., 549 Abs. 2 a.F., was auch in Abzahlungssachen gilt, OLG Hamburg v. 26.10.1972 TW 1973, 2, 21; a.M. OLG München WM 1972, 986. 18 BGH NJW 1970, 198, 199.

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gemäß §§ 278, 27919 oder reine Vergleichsverhandlungen20 fallen nicht unter § 39. In anderen Verfahren ohne mündliche Verhandlung kommt § 39 dagegen nicht zur Anwendung; sofern dem Gericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in sein Ermessen gestellt ist, hängt davon die Möglichkeit des Beklagten ab, gemäß § 39 zu verfahren.21 Rügeloses Einlassen liegt vor, wenn mit oder ohne Stellung22 der Anträge Erklärungen zum Streitgegenstand abgegeben werden; dass dies in der mündlichen Verhandlung geschieht, ist nicht erforderlich,23 es sei denn, es ist dem Beklagten Frist zur Klageerwiderung gesetzt worden;24 im Anwaltsprozess kommt es auf die Erklärungen des Anwalts, nicht des Beklagten in personam an.25 Dabei ist es unerheblich, ob sich der Beklagte darüber im Klaren war, mit vorbehaltlosen Erklärungen zur Sache die Wirkung des § 39 herbeizuführen.26 Im Einzelnen liegt dies vor, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers zustimmt27 oder ein Anerkenntnis abgibt.28 Hat der Beklagte im Mahnverfahren die örtliche Zuständigkeit des angegebenen späteren Streitgerichts gerügt, bedarf es des ausdrücklichen oder stillschweigenden Rügeverzichts in der mündlichen Verhandlung.29 Keine rügelose Einlassung stellt die Verhandlung lediglich über die Prozessvoraussetzungen oder die Wirksamkeit von Prozesshandlungen dar. Da die Widerklage kein bloßes Verteidigungsmittel und zugleich eigenständige Klage ist, begründet ihre Erhebung kein rügeloses Einlassen gegenüber der Klage,30 es sei denn, der widerklagende Beklagte lässt erkennen, dass er vor dem angerufenen Gericht zur Klage verhandeln will. Verhandelt der Beklagte nur hilfsweise unter dem Vorbehalt der Rüge der Unzuständigkeit zur Sache, greift § 39 nicht ein. IV. Rügeverzicht vor der Verhandlung 12

Ein solcher entfaltet Wirkungen, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 formfrei möglich wäre; im Übrigen muss er die Form des § 38 Abs. 2 oder 3 einhalten.31 Hat die Beklagtenseite vor mündlicher Verhandlung ausdrücklich angekündigt, sie werde sich rügelos auf die Klage einlassen, ist eine trotzdem erfolgte Verweisung jedenfalls bei Hinzutreten weiterer Umstände (hier: falsche Streitwertfestsetzung) willkürlich. V. Säumnis des Beklagten

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Diese bleibt folgenlos; ein Versäumnisurteil darf durch das unzuständige Gericht mangels Einlassungszwang des Beklagten nicht erlassen werden. Denn wenn der Beklagte nicht zur Verhandlung über die Hauptsache erscheint oder nicht verhandelt, darf das angerufene Gericht, wenn es zuständig ist und § 39 S. 1 grundsätzlich zur Anwendung kommen könnte, ein Versäumnisurteil nicht erlassen, weil es hierfür örtlich nicht

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19 OLG Celle VersR 1955, 75. 20 OLG Bamberg MDR 1988, 148 f. 21 Künzel BB 1991,758. 22 Vgl. aber BGHZ 100, 383, 389 f. = NJW 1987, 3263; BGHZ 104, 41, 44 f. = NJW 1990, 840; OLG Dresden NJW-RR 1997, 765; OLG Nürnberg NJW-RR 1994, 1353. 23 OLG Dresden JurBüro 1999, 667. 24 BGH NJW 1997, 397. 25 Schütze RIW 1979, 591. 26 BGH NJW 1970, 198, 199. 27 OLG Frankfurt/M. JurBüro 1985, 1556. 28 OLG Düsseldorf EWiR 2/90, 1027 (Godan/Schüttke). 29 OLGR Koblenz 1998, 429. 30 A.A. Zöller/Vollkommer § 39 Rdn. 7. 31 MünchKomm/Patzina § 39 Rdn. 8.

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zuständig ist und es daher an einer Prozessvoraussetzung fehlt. Die Prüfung seiner Zuständigkeit hat das Gericht von Amts wegen vorzunehmen, wobei es die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen zugrundezulegen hat, die vom Kläger vorgetragen nach § 331 Abs. 1 S. 2 zugestanden anzunehmen sind. Dies gilt nicht für das Vorbringen über die Vereinbarung eines Erfüllungsorts und eines Gerichtsstandes; insofern sieht § 341 Abs. 1 S. 1 ausdrücklich vor, dass das Gericht von Amts wegen zu prüfen hat, ob der Einspruch an sich statthaft und ob er in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, so ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen; § 341 Abs. 1 S. 2. Ist dagegen der Kläger säumig, kann der Beklagte vor dem sachlich oder örtlich un- 14 zuständigen Gericht gleichwohl dadurch zur Hauptsache verhandeln, dass er einen Antrag auf Versäumnisurteil gemäß § 331 oder Antrag auf Sachentscheidung (vgl. aber § 308) stellt und damit nicht als säumig anzusehen ist. In diesem Fall greift § 39 S. 1 gerichtsstandsbegründend ein. Dies greift aber nur unter der Voraussetzung, dass nicht der Kläger wirksam Einspruch gemäß §§ 338 ff. einlegt. In diesem Fall tritt die Wirkung des § 342 mit der Folge ein, dass der Beklagte bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung die Unzuständigkeit des Gerichts rügen kann. Rügt der Beklagte bei Säumnis des Klägers die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, muss streitiges Urteil auf Weisung der Klage als unzulässig ergehen. VI. Zeitpunkt der Rüge der Unzuständigkeit Die Rüge der Zuständigkeit ist betreffend der Zulässigkeit der Klage gemäß § 282 15 Abs. 3 für alle Instanzen vor der Verhandlung zur Hauptsache 1. Instanz vorzubringen. § 296 Abs. 3 ist unanwendbar, da § 39 hier Spezialregelung zur allgemeinen Verteidigung mit Zulässigkeitsrügen gemäß § 282 Abs. 3 ist. Der Beklagte geht seines Rügerechts auch dann verlustig, wenn er sie nicht innerhalb einer ihm gemäß § 275 Abs. 1 S. 1 bzw. § 276 Abs. 1 S. 2 zur Klageerwiderung gesetzten Frist erhoben hat, vgl. § 282 Abs. 3. Die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts kann nach § 39 nicht begründet wer- 16 den, wenn der Beklagte die Unzuständigkeit rechtzeitig gerügt hat. Dies muss in limine litis geschehen, also vor der Verhandlung zur Hauptsache. Die rechtzeitig erhobene Unzuständigkeitsrüge schließt es dann nicht aus, dass der Beklagte hilfsweise vorsorglich zur Hauptsache verhandelt oder auch hilfsweise eine Widerklage (§ 33 Rdn. 88) erhebt. Ein mündliches Verhandeln i.S.d. § 39 ist schon dann gegeben, wenn die Parteien 17 und das Gericht zu Streitgegenstand erörtern. Durch das mündliche Verhandeln, ohne die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts zur rügen, wird gemäß § 39 S. 1 die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts des ersten Rechtszuges begründet. Eine rügelose Verhandlung zur Sache vor dem unzuständigen Gericht hindert eine Verweisung an das zuständige Gericht nicht, wenn es an der nach § 504 erforderlichen Belehrung des Beklagten über die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gefehlt hat. Erfolgt der Hinweis nach § 504 erst nach mündlicher Verhandlung, wird die Sperre des § 39 S. 2 erst von diesem Zeitpunkt an aufgehoben und das sachlich unzuständige Gericht erst durch rügelose Verhandlung des Beklagten in der nächsten mündlichen Verhandlung zuständig. Ein vor der mündlichen Verhandlung erklärter Verzicht des Beklagten auf die Erhebung der Rüge der Unzuständigkeit entfaltet Wirkungen nur, wenn Form und sachliche Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 gegeben sind.

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VII. Belehrung des Beklagten durch das Amtsgericht, S. 2 Danach tritt die Wirkung des § 39 nicht ein, wenn der Beklagte nicht ordnungsgemäß gemäß § 504 über die örtliche oder sachliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts und die Folgen rügelosen Einlassens32 belehrt worden ist, und zwar auch, wenn der Beklagte anwaltlich vertreten wird. Die Belehrung kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachgeholt werden oder wenn das Gericht zur Belehrung noch einmal in die mündliche Verhandlung eintritt, § 156.33 Die rügelose Einlassung des Beklagten begründet die Zuständigkeit des angerufenen 19 Gerichts unabhängig vom Willen und den Vorstellungen der Parteien, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen des S. 2 vor (Rdn. 18). Von der Begründung der Zuständigkeit werden nur die Anträge erfasst, die zur Zeit der rügelosen Einlassung gestellt worden sind. In ihrem Umfang wird der Streitgegenstand vor dem angerufenen als zuständigen Gericht verhandelt. 34 Bei mehreren Beklagten wirkt der Rügeverlust nur für den einzelnen Beklagten.35 Die Folgen des § 39 treten nicht ein im Falle des § 40 Abs. 2 S. 2 (s. dort Rdn. 1). Wird durch eine Klageänderung gem. § 263 oder durch eine Klageerweiterung nach 20 § 264 ein neuer Antrag eingeführt, konnte zu den insoweit erweiternden Anträgen noch nicht zur Sache mündlich verhandelt werden. Daher erstreckt sich die Zuständigkeitsbegründung nach § 39 S. 1 in ihrer Wirkung nur auf die Anträge, die zum Zeitpunkt der Verhandlung bereits gestellt waren. Daher hat der Beklagte im Fall der Klageänderung oder Klageerweiterung sich nicht im Sinne von § 39 S. 1 zur örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit des Gerichts eingelassen, auch wenn er zu den bereits gestellten Anträgen mündlich verhandelt hat. 21 Liegt eine einfache passive Streitgenossenschaft vor, wirkt der Rügeverlust und damit die Begründung der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit nach § 39 S. 1 nur für den einzelnen Beklagten, der mündlich verhandelt hat. Ist die passive Streitgenossenschaft dagegen notwendig, kann die örtliche oder sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die Klage nur gegen sämtliche Streitgenossen einheitlich begründet werden. 18

VIII. Einzelfälle 22

Macht eine Auszubildende gegen den Geschäftsführer des Ausbildungsbetriebes (GmbH) persönlich Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung vor dem Zivilgericht geltend, handelt es sich um einen Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Klägerin ist Arbeitnehmerin im Sinne des § 5 Abs. 1 ArbGG, denn sie ist zur Berufsausbildung bei der GmbH beschäftigt. Arbeitgeberin der Klägerin ist zwar die GmbH, eine juristische Person. Dennoch ist in analoger Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben. Die für die juristische Person als Organ handelnde natürliche Person, der Beklagte als Geschäftsführer der GmbH, steht nämlich dem Arbeitgeber gleich (Anschluss BAG, 24. Juni 1996, 5 AZB 35/95, NJW 1996, 2885). Eine etwaige rügelose Einlassung des Beklagten kann die Zuständigkeit des Landgerichts nicht begründen, denn eine Vereinbarung über den Rechtsweg ist unzulässig.

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BGH NJW-RR 1992, 1021. LG Hannover MDR 1985, 772. BGH NJW 1979, 1104; BGH WM 1985, 1507, 1509. Stein/Jonas/Bork § 39 Rdn. 13.

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Deshalb kann auch durch rügelose Einlassung die Zuständigkeit des Landgerichts nicht begründet werden (§ 40 Satz 2). Im Verfahren zur Aufhebung eines Schiedsspruchs kann die örtliche Zuständigkeit 23 eines Oberlandesgerichts durch rügelose Einlassung begründet werden. Der im Schiedsverfahren zugelassene Streithelfer ist befugt, die Aufhebung des Schiedsspruchs zu Gunsten der im Schiedsverfahren unterstützten Partei zu beantragen. Die fehlende oder fehlerhafte Nebentätigkeitsgenehmigung eines Schiedsrichters führt nicht zur fehlerhaften Bildung des Schiedsgerichts. Findet in Verfahren mit fakultativer mündlicher Verhandlung eine solche nicht statt, 24 kann eine gerichtliche Zuständigkeit über § 39 nicht begründet werden.36 IX. Internationales Art. 26 EuGVVO37 verdrängt die §§ 9, 30, 40. Danach wird das Gericht eines Mitglied- 25 staats, das nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung zuständig ist, zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt, Art. 26 Abs. 1 S. 1 EuGVVO. Dies gilt nach Art. 26 Abs. 1 S. 2 EuGVVO nicht, wenn der Beklagte sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen oder wenn ein anderes Gericht aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig ist. Verdrängt werden dadurch insbesondere die § 39 S. 2 i.V.m. § 504. Die Zuständigkeit nach Art. 6 EuGVVO wird daher insbesondere dann begründet, wenn in dem amtsgerichtlichen Verfahren eine Belehrung durch den Richter unterblieben ist. § 39 gilt entsprechend auch für die internationale Zuständigkeit, was sich aus der 26 Doppelfunktionalität der Gerichtsstandsvorschriften ergibt. Die rügelose Einlassung und Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache begründet die internationale Zuständigkeit des Gerichts.38 Die deutsche lex fori ist maßgeblich für Voraussetzungen und Wirkung der Begründung der Internationalzuständigkeit durch rügelose Einlassung Tatsache. Unabhängig davon, ob man die rügelose Einlassung als einseitige Prozesshandlung der Unterwerfung unter die deutsche Jurisdiktion oder als vorbehaltloser Einlassung als stillschweigende Prorogation qualifiziert. Dabei bedarf es keiner ausdrücklichen Rüge der internationale Zuständigkeit, sondern allein der Rüge der örtlichen Zuständigkeit, die auch diejenige der internationalen Zuständigkeit umfasst, sofern der Beklagte nicht geltend macht, es sei ein anderes ausländisches Recht zuständig. Im amtsgerichtlichen Verfahren muss daher die Belehrung nach § 39 S. 2 iVm. § 504 vorgehen. Neben derjenigen über die örtliche Unzuständigkeit, muss sie auch das Fehlen der internationalen Zuständigkeit umfassen. Denn für den Beklagten ist in der Regel die international Unzuständigkeit schwerwiegender als allein die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts. Die internationale Anerkennungszuständigkeit gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 wird in 27 „spiegelbildlicher Anwendung“ durch rügelose Einlassung gemäß § 39 auch dadurch begründet, dass der Beklagte sich vor einem ausländischen Gericht rügelos eingelassen hat. Anders ist dies nur, wenn das ausländische Gericht, auch unabhängig vom rügelose Einlassen, nach seinen eigenen Recht international zuständig war.

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36 OLG München SchiedsVZ 2008, 307. 37 Ab dem 10.1.2015 gilt eine Neufassung der EuGVVO (sog. Brüssel-Ia-Verordnung), Verordnung (EU) Nr. 1215/2012. 38 BGH NJW 1987, 3181, 3182.

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§ 40

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§ 40 Unwirksame und unzulässige Gerichtsstandsvereinbarung § 40 (1) Die Vereinbarung hat keine rechtliche Wirkung, wenn sie nicht auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis und die aus ihm entspringenden Rechtsstreitigkeiten sich bezieht. (2) Eine Vereinbarung ist unzulässig, wenn 1. der Rechtsstreit nichtvermögensrechtliche Ansprüche betrifft, die den Amtsgerichten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zugewiesen sind, oder 2. für die Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist. In diesen Fällen wird die Zuständigkeit eines Gerichts auch nicht durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache begründet.

I. II. III.

Übersicht Normzweck ____ 1 Beschränkung auf bestimmte Rechtsverhältnisse, Abs. 1 ____ 3 Beschränkung auf vermögensrechtliche Ansprüche, Abs. 2 Nr. 1 ____ 5

IV.

V.

Unwirksamkeit von Gerichtsstandvereinbarungen bei ausschließlicher Zuständigkeit, Abs. 2 Nr. 2 ____ 6 Beachtung von Amts wegen ____ 10

I. Normzweck 1

In dem gesetzlichen Regel-Ausnahmeverhältnis des grundsätzlichen Verbots bzw. der im allgemeinen durch das Gericht aus Gesetz ausgesprochenen Unwirksamkeit von Vereinbarungen der Parteien, die sich auf das Prozessrechtsverhältnis beziehen, normiert § 40 die Fälle, in denen nach § 38 zugelassene Gerichtsstandsvereinbarungen gleichwohl rechtliche Wirkung nicht entfalten können. § 40 Abs. 1 hat dabei im Wesentlichen den Schutz der Waffengleichheit der Parteien zum Ziel. Diese Vorschrift regelt nämlich, dass sich die Vereinbarung auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis beziehen muss. Ist dies nicht der Fall, ist nämlich das Rechtsverhältnis nicht bestimmt, auf das sich die Vereinbarung bezieht, wird im Allgemeinen das aus ihm entspringende Rechtsstaatlichkeitsprinzip nicht hinreichend abgeleitet werden können, womit es namentlich für den Beklagten nicht erkennbar ist, wann mit der Gerichtsstandsvereinbarung vom Grundsatz des actor sequitur forum rei oder von einem nicht ausschließlichen besonderen Gerichtsstand abgewichen wird. Gleiches gilt, wenn sich aufgrund der Formulierung der Gerichtsstandsvereinbarung nicht erkennen lässt, auf welche Rechtsstreitigkeiten sie sich beziehen soll. In diese Richtung, nämlich den besonderen Gefahren für die öffentliche der Parteien im Prozess, soll auch § 40 Absatz 2 S. 1 2. Variante Rechnung tragen: Die Gerichtsstandsvereinbarung darf sich nicht über ausschließliche Gerichtsstände – sei es bezogen auf die örtliche oder sei es auf die sachliche Zuständigkeit des Gerichts – hinwegsetzen. Weniger um die Waffengleichheit der Parteien als die Aufrechterhaltung gesetzlicher Sonderzuständigkeiten für nicht vermögensrechtliche Ansprüche geht es in § 40 Abs. 2 S. 1 1. Variante. Diese Vorschrift erklärt, dass Gerichtsstandsvereinbarungen die keinen vermögensrechtlichen Anspruch zum Gegenstand haben, unwirksam sind. Schließlich schränkt § 40 Abs. 2 S. 2 die Begründung eines Gerichtsstandes durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache nach § 39 ein, sofern ein Fall des § 40 Abs. 2 S. 1 vorliegt, also ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist oder es nicht um einen vermögensrechtlichen Anspruch geht. Es handelt sich bei der vorstehenden Norm um die Fassung aufgrund des Gesetzes 2 zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG) vom 27.7.2001 mWv. Smid/Hartmann

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§ 40

1.1.2002.1 Die Vorschrift trägt den besonderen Gefahren für die Waffengleichheit der Parteien im Prozess Rechnung, die sich aus Gerichtsstandsvereinbarungen ergeben können. II. Beschränkung auf bestimmte Rechtsverhältnisse, Abs. 1 Vorprozessual abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen sind nach Abs. 1 un- 3 wirksam, wenn sie sich nicht auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis (zum Rechtsverhältnis s. § 256 Rdn. 26 ff.) beziehen, da dem künftigen Beklagten die Reichweite der Prorogation vor Augen geführt werden soll, s. § 38 Rdn. 70 ff. Wirksam sind daher solche Gerichtsstandsvereinbarungen, die sich auf alle Streitigkeiten aus einem bestimmten Vertrag, auch auf Dauerschuldverhältnisse2 beziehen. Gerichtsstandsvereinbarung können daher auch wirksam für Versicherungsvertragsverhältnisse, aber auch für Vertragshändlerverhältnisse oder Kontokorrentverhältnisse geschlossen werden. Denn durch die bestimmte Angabe des jeweiligen Vertragsverhältnisses ist abgrenzbar, welche Arten von Klagen erfasst werden. Eine Gerichtsstandsvereinbarung wegen aller Streitigkeiten der Gesellschafter mit der Gesellschaft oder deren Organen ist wirksam, wenn sie dahingehend ausgelegt werden kann, dass sie allein Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis betrifft.3 Die überwiegende Lehre geht davon aus, dass wegen des körperschaftsrechtlichen Charakters von Gerichtsstandsvereinbarungen in gesellschaftsrechtlichen Satzungsbestimmungen eine solche Auslegung objektiv geboten sei. Es wird daher in einer solchen Klausel der Gerichtsstand am Gesellschaftssitz für alle Streitigkeiten der Gesellschafter, der Gesellschaft oder deren Organen vorgesehen, soll dies aufgrund der gebotenen Auslegung dieser Klausel genügen, um sicherzustellen, dass Rechtsstreitigkeiten aus anderen Rechtsbeziehungen wie besonders Kredite oder Bürgschaftsverträgen von ihr nicht umfasst sind. Wegen Ansprüchen aus Delikt kann eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam ge- 4 schlossen werden, wenn die Ansprüche bereits entstanden sind4 oder wenn künftige deliktische Ansprüche mit vertraglichen Ansprüchen konkurrieren,5 wovon regelmäßig auszugehen ist, weil den Parteien daran gelegen sein wird, eine doppelte Prozessführung zu vermeiden.6 Daher können nach Abs. 1 zulässige Gerichtsstandsvereinbarungen auch durch Verwendung von AGB begründet werden.7 Soweit Gerichtsstandsvereinbarungen die Verfolgung deliktischer Ansprüche zum Gegenstand haben, erstrecken sie sich jedenfalls nicht auf vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen, insbesondere dann nicht, wenn ihnen Straftaten zugrunde liegen.8 III. Beschränkung auf vermögensrechtliche Ansprüche, Abs. 2 Nr. 1 Gerichtsstandsvereinbarungen, die sich auf andere als vermögensrechtliche An- 5 sprüche (s. oben § 3 Rdn. 11 f.) beziehen, sind nach Abs. 2 S. 1 Alt. 1 unzulässig,9 sofern sie dem AmtsG ohne Rücksicht auf den Streitwert zugewiesen sind. Hierzu gehören im

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1 2 3 4 5 6 7 8 9

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BGBl. I S. 188. OLG München WM 1989, 602, 604. BGH NJW 1994, 51, 52; a.A. OLG Koblenz ZIP 1992, 1234, 1235. Stein/Jonas/Bork § 40 Rdn. 1. BAG NJW 1970, 2180, 2181. KG BB 1983, 213 f.; OLG München WM 1989, 602, 604; OLG Stuttgart RIW 1991, 333, 334. OLG Hamburg VersR 1982, 341; OLG Stuttgart BB 1974, 1270. OLG Hamburg VersR 1982, 341. KG NJW 1929, 3099; OLG Hamburg IPRax 1986, 153.

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Wesentlichen Ehe-, Kindschafts- und Familiensachen sowie die vormundschaftsrechtlichen Bereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit.10 Gerichtsstandsvereinbarungen sind insbesondere für die Angelegenheiten unwirksam, die vom FamFG geregelt sind. Dies gilt auch im internationalen Rechtsverkehr, da bei grenzüberschreitenden Gerichtsstandsvereinbarung deren Wirkkraft, Wirksamkeit nach deutschem Prozessrecht zu beurteilen ist und daher § 40 Abs. 2 S. 1 1. Var. zur Anwendung gelangt. IV. Unwirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen bei ausschließlicher Zuständigkeit, Abs. 2. 2. Var. Ist für die Klage von Gesetzes wegen ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet,11 ist eine entgegenstehende Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Abs. 2 S. 1 Alt. 2 unzulässig. Die ausschließliche örtliche Zuständigkeit wird in der ZPO geregelt in § 24 für dingliche Klagen, in § 29a für Miet- und Pachtverhältnisse über Räume, in § 32a für Schadenersatzklagen wegen Umweltschäden. Außerhalb der ZPO liegt mit § 14 UWG für Wettbewerbssachen eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit vor. § 180 InsO bestimmt die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Amts-oder Landgerichts in dem Bezirk, in dem das Insolvenzgericht seinen Sitz hat. Ausschließliche sachliche Zuständigkeiten bestimmen die §§ 71 Abs. 2, 72 GVG, § 143 PatG, § 140 MarkenG, § 87 Abs. 1 GWB. Eine sachliche und örtliche ausschließliche Zuständigkeit normieren § 29a iVm. § 23 Nr. 2a GVG, § 584, §§ 802, 887 bis 890; ferner §§ 246, 249, 275 AktG; §§ 61 Abs. 3, 69 Abs. 2 GmbHG, § 6 UklaG, §§ 2, 3, 180 InsO. Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit normiert § 29a neben der ausschließli7 chen örtlichen Zuständigkeit für Mietraumklagen (vergleiche § 23 Nr. 2a GVG), § 584 für die Restitutionsklage, die §§ 887–890 für Ersatzvornahme und Strafverhängung sowie Klagen im Rahmen des Unterlassungsprozesses; §§ 249, 275 Aktiengesetz für Nichtigkeitsklagen; entsprechend §§ 61 Abs. 3, 69 Abs. 2 GmbHG. Ferner § 6 UKlaG. § 40 Abs. 2 S. 1 2. Variante greift demgegenüber nicht ein, wenn die sachliche Zu8 ständigkeit des Landgerichts anstelle des Amtsgerichts vereinbart wird. Eine Ausnahme gilt nach § 23 Nr. 2 GVG. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts kann in den Fällen der streitwertabhängigen sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts nach § 71 Abs. 1 GVG wirksam vereinbart werden. Ist dem Landgericht eine Sache dagegen nach § 71 Abs. 2 GVG zugewiesen, kommt eine Vereinbarung der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht in Betracht. Wird in einer Gerichtsstandsvereinbarung sowohl die örtliche als auch die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts vereinbart und bezieht sich die ausschließliche Zuständigkeit allein auf die örtliche oder die sachliche Zuständigkeit, ist nach § 139 BGB aufgrund des hypothetischen Willens der Vertragspartner zu beurteilen, ob die Vereinbarung wegen der nicht ausschließlichen Zuständigkeit wirksam bleibt; die Auslegung wird im Prozess regelmäßig durch die materielle richterliche Prozessleitung nach § 139 Abs. 1 und die aus ihr fließende Frage nach der Kompetenz des Gerichts verlagert. 9 Unwirksam ist die Prorogation beim Vorliegen ausschließlicher Zuständigkeiten nur in den Fällen, in denen deutsche Gerichte ausschließlich zuständig sind. Die prozessrechtliche Anordnung ausschließlicher Zuständigkeiten durch das deutsche Recht erstreckt sich aber nicht auf die ausländischen Gerichte. Und § 40 Abs. 2 erfasst auch nicht solche Fälle, in denen das ausländische Prozessrecht ausländische Gerichte für ausschließlich zuständig begründet. 6

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Musielak/Heinrich § 40 Rdn. 4. MünchKomm/Patzina § 40 Rdn. 7.

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§§ 41–49

V. Beachtung von Amts wegen § 40 ist von Amts wegen zu beachten. Gegenüber der auf § 40 gestützten Rüge der 10 Unzuständigkeit des Gerichts greifen daher die Präklusionsregeln nicht ein. Die Berufung kann dagegen nicht auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Gerichts der 1. Instanz gestützt werden; die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit kann nur dann in der Berufungsinstanz erhoben werden, wenn sie unverschuldet in der 1. Instanz versäumt wurde. Die Berufung kann im Übrigen in vermögensrechtlichen Streitigkeiten nach § 512 nicht auf die vom erstinstanzlichen Gericht zu Unrecht angenommene örtliche Zuständigkeit gestützt werden. Zulässigkeit und Wirkung einer vorprozessual getroffenen internationalen Gerichts- 11 standsvereinbarung sind bei Anrufung eines deutschen Gerichts nach deutschem Recht zu beurteilen.12

TITEL 4 Ausschließung und Ablehnung Vorbemerkung §§ 41–49 §§ 41–49 Gerken Schrifttum Arzt Der befangene Strafrichter (1969); Benda Befangenes zur Befangenheit NJW 2000, 3620; Ghassemi-Tabar/Nober Die Richterablehnung im Zivilprozess NJW 2013, 3686 ff.; Gerdes Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund von Meinungsäußerungen des Richters (1992); Günther Der „vorbefasste“ Zivil- oder Verwaltungsrichter VerwArch. 82 (1991) 179; ders. „Persönliche Spannungen“ als Ablehnungsgrund ZZP 105 (1992) 20; ders. Entfällt das Rechtsschutzinteresse an Richterablehnungen mit Entscheidung der Hauptsache MDR 1989, 691 ff.; Hager Freie Meinung und Richteramt (1987); Horn Der befangene Richter (1977); Hümmerich Befangenheit des Arbeitsrichters AnwBl. 1994, 257; Knoche Besorgnis der Befangenheit wegen der Veranlassung strafrechtlicher Schritte MDR 2000, 371 ff.; Kroppenberg Rechtsschutz gegen den untätigen Zivilrichter ZZP 119 (2006), 177 ff.; ders. Beteiligung im Richterablehnungsverfahren und Erstattung außergerichtlicher Kosten bei sofortiger Beschwerde NJW 2005, 3112 f.; Marx Zur Ablehnung eines Rechtspflegers wegen Besorgnis der Befangenheit Rpfleger 1999, 518 ff.; Metzner Rechtliches Gehör bei der Selbstablehnung des Richters ZZP 97 (1984), 196; Nowak Richterliche Aufklärungspflicht und Befangenheit (1991); Peters Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen im Zivilprozess (1983); Pfeiffer Der Handelsrichter und seine Unbefangenheit ZIP 1994, 769; Prütting Die Grundlagen des Zivilprozesses im Wandel der Gesetzgebung NJW 1980, 361; Rensen Richterlicher Hinweis auf Verjährung als Ablehnungsgrund? MDR 2004, 489 ff.; Riedel Das Postulat der Unparteilichkeit – Befangenheit und Parteilichkeit – im deutschen Verfassungs- und Verfahrensrecht (1980); Schlichting Vorbefassung als Ablehnungsgrund NJW 1989, 1343; Rojahn/Jerger Richterliche Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Zeitalter sozialer Netzwerke NJW 2014, 1147 ff.; Schmidt-Jortzig Richteramt und politische Betätigung NJW 1984, 2057; Schneider Befangenheitsablehnung im Zivilprozess (1993); ders. Befangenheitsablehnung und Richterpersönlichkeit DRiZ 1978, 42; ders. Das Vorgehen bei der Richterablehnung MDR 2005, 671; ders. Selbstentscheidung über Ablehnungsgesuche NJW 2008, 2759 ff.; Seibert Befangenheit und Ablehnung JZ 1960, 85; Sendler Was dürfen Richter in der Öffentlichkeit sagen? NJW 1984, 689; Stemmler Befangenheit im Richteramt, Diss. Tübingen 1974; Stollenwerk Die Kostenentscheidung bei Richterablehnung NJW 2007, 3751 ff.; Sturm Die Kosten im Beschwerdeverfahren um ein Richterablehnungsgesuch MDR 2007, 382 ff.; Stürner Die richterliche Aufklärung im Zivilprozess (1982); Teplitzky Probleme der Richterablehnung wegen Befangenheit NJW 1962, 2044; ders. Die Richterablehnung wegen Befangenheit JuS 1969, 318; ders. Auswirkungen der neueren Verfassungsrechtsprechung auf Streitfragen der Richterablehnung wegen Befan-

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OLG Köln VersR 1998, 735.

Gerken

§§ 41–49

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

genheit MDR 1970, 106; Vollkommer, G. Der ablehnbare Richter; Vollkommer, Max Richterpersönlichkeit und Persönlichkeitsrecht FS Hubmann 1985, S. 445; Walchshöfer Ehrverletzende Äußerungen in Schriftsätzen MDR 1975, 11; Wassermann Die Richterablehnung gemäß §§ 42 ff. ZPO in der Rechtsprechung der Berliner Zivilgerichte JR 1961, 401; ders. Zur Ablehnung des Richters wegen politischer Befangenheit DRiZ 1987, 144.

I. II.

Übersicht Normzweck ____ 1 Systematik ____ 4

III. IV.

Anwendungsbereich ____ 7 Andere Hinderungsgründe ____ 11

I. Normzweck Ein Richter, der nach den Vorschriften des DRiG als solcher eingesetzt und nach den Zuständigkeitsvorschriften des GVG und der ZPO an sich zur Entscheidung berufen ist, soll sein Amt im Einzelfall nicht ausüben, wenn seine Unparteilichkeit gefährdet ist. Mit dem Institut der Befangenheit wird das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Justiz erhalten bzw. gestärkt.1 Die Regelungen über die Ausschließung und Ablehnung des Richters sind verfas2 sungsrechtlich verankert. Das Prinzip des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, 6 EMRK) verpflichtet den Gesetzgeber, die Zuständigkeit der Gerichte als organisatorische Einheiten nach möglichst eindeutigen Vorschriften generell zu normieren. Ferner muss der Gesetzgeber ein faires Verfahren gewährleisten.2 Hierzu muss die Richterbank freigehalten werden von Richtern, die der Sache und den Beteiligten nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz und Neutralität gegenüberstehen. 3 Entscheidet ein befangener Richter, ist zugleich das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) tangiert.4 Denn hierdurch wird die Sache dem unparteiischen Richter entzogen. Verfassungsrechtlich relevant wird der hierin liegende Verfahrensverstoß allerdings erst dann, wenn das Vorgehen des befangenen Richters bzw. des Richters, der gemäß § 45 über die Befangenheit zu entscheiden hat, im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der verfassungsrechtlichen Garantien grundlegend verkennt.5 Denn nicht jede fehlerhafte Handhabung des Verfahrensrechts begründet zugleich einen Verfassungsverstoß.6 3 Bei der Anwendung der Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung eines Richters muss beachtet werden, dass gleichzeitig ein Spannungsverhältnis zu den genannten Verfassungsprinzipien besteht.7 Die erfolgreiche Ablehnung verändert die Richterbank. Bei einer leichtfertigen und fehlerhaften Normanwendung wird den Parteien ebenfalls der gesetzliche Richter entzogen und der Grundsatz des fairen Verfahrens bzw. das rechtliche Gehör verletzt.8 1

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1 Vgl. Hahn Mat. II 1, 163: „Ansehen der Justiz“. 2 BVerfGE 21, 139, 146 = NJW 1967, 1123, 1124; BVerfGE 30, 149, 153 = NJW 1971, 1029, 1030; BVerfGE 89, 28, 36 = NJW 1993, 2229; BGH NJW 1995, 1677, 1678; die Gerichte sind allerdings nicht verpflichtet, allgemein die Parteien darüber zu informieren, welche Richter an der Entscheidung mitwirken – BVerfG NJW 1998, 369. 3 BVerfGE 24, 42, 48; BGH NJW 2001, 1502, 1503; v. Mangoldt/Klein/Classen GG, Art. 101 Abs. 1 Rdn. 25. 4 Vergl. Zuck DRiz 1988, 172 ff. 5 BVerfGE 82, 286, 299 = NJW 1991, 217 u. NJW 2012, 3228 – jeweils m.w.N. 6 BVerfGE 82, 286, 299 = BVerfG NJW 1991, 217. 7 Hierzu Benda NJW 2000, 3620, 3622. 8 S. hierzu BVerfGE 35, 171, 246 = NJW 1973, 1267, 1268; VGH Kassel NJW 1985, 1105, 1106.

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II. Systematik Unter Befangenheit wird nicht die Unfähigkeit zu sachgerechter Entscheidung, son- 4 dern die Möglichkeit verstanden, dass der Richter bewusst oder unbewusst durch sachfremde Motive beeinflusst wird.9 Da es um eine innere Einstellung entweder zur Person oder zur Sache geht, kann über ihr Bestehen regelmäßig nur anhand objektiv feststehender äußerer Indizien entschieden werden. Das Gesetz unterscheidet zwischen der Ausschließung kraft Gesetzes (§ 41) und der Ablehnung durch eine Partei (§ 42) oder durch den Richter selbst (§ 48). Zu den Hinderungsgründen wird danach differenziert, wie stark die indizielle Bedeutung der objektiven Tatsachen für den Rückschluss auf die maßgebliche innere Einstellung ist. Bei den Ausschließungsgründen in § 41 wird auf allgemeine Gründe abgestellt, die 5 die richterliche Neutralität generell beeinträchtigen und die schon nach der Lebenserfahrung eine Parteilichkeit nahe legen. Ihnen liegen objektivierbare Tatsachen und Vorgänge zugrunde, die jederzeit zuverlässig und eindeutig nachprüfbar sind.10 Hat z.B. der Richter über eine Streitigkeit zu entscheiden, an der sein Ehegatte, sein Lebenspartner oder ein naher Verwandter beteiligt ist, kann weder erwartet noch verlangt werden, dass er seine Entscheidung völlig losgelöst von seiner persönlichen Beziehung zu der Partei trifft. Zudem würde die Mitwirkung dieses Richters in solchen Fällen das Ansehen der Justiz gefährden. Daher muss der Richter generell ausgeschlossen sein, ohne dass es einer Prüfung der einzelnen Umstände bedarf. Aus der Natur der Sache folgt, dass die Ausschließungsgründe von Amts wegen beachtet werden müssen. Besteht kein Ausschließungsgrund gemäß § 41, bleibt die Möglichkeit der Ableh- 6 nung gemäß §§ 42 Abs. 2, 48. Befangenheitsgründe werden erst aufgrund eines Ablehnungsgesuchs der Partei oder einer Selbstablehnung des Richters geprüft. Ausgeschlossen ist der Richter aufgrund eines Befangenheitsgesuchs bzw. einer entsprechenden Anzeige gemäß § 48 erst dann, wenn eine positive Entscheidung hierüber ergangen ist. Die Ablehnung bezweckt, die Mitwirkung des Richters für die Zukunft auszuschließen.11 Bereits von ihm getroffene Entscheidungen bleiben wirksam und sind allein deswegen, weil ein befangener Richter mitgewirkt hat, nicht verfahrensfehlerhaft.12 Befangenheit besteht, wenn eine Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.13 Maßgeblich ist die auf äußere Umstände gestützte Befürchtung der Partei, dass der Richter nicht objektiv urteilen werde. Ob diese Befürchtung tatsächlich berechtigt ist, ist ohne Belang. III. Anwendungsbereich In persönlicher Hinsicht gelten die §§ 41 ff. für Richter im Sinne des DRiG. Dazu ge- 7 hören auch die ehrenamtlichen Richter (§§ 44 ff. DRiG, 105 ff. GVG). Die Vorschriften gelten entsprechend für Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (§ 49) und für Rechtspfleger (§ 10 RPflG).14 Für Schiedsrichter treffen §§ 1036, 1037 eine eigenständige Regelung. Spe-

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9 Benda NJW 2000, 3620. 10 BGH NJW 2001, 1502, 1503. 11 Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 14. 12 H.M.; BGHZ 120, 144; BGH NJW 2001, 1502, 1503; Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 14; a.A. Zöller/ Vollkommer Vor § 41 Rdn. 2. 13 BVerfGE 91, 226 = NJW 1994, 2703; BVerfGE 92, 138 = NJW 1995, 1277. 14 Marx Rpfleger 1999, 518.

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zielle Verweisungen gibt es für Sachverständige (§ 406) und Dolmetscher (§ 191 GVG).15 Zum Gerichtsvollzieher und zum Bezirksrevisor s. Erl. § 49 Rdn. 1. Auf Verfahrens- und Umgangspfleger können die Vorschriften nicht angewendet werden, weil diese eine einem Parteivertreter ähnliche Rechtsstellung haben.16 In sachlicher Hinsicht beziehen sich die Normen des vierten Titels unmittelbar auf 8 alle Prozess- und Verfahrensarten der ZPO, und zwar für alle Entscheidungen.17 Dazu gehört auch das Verfahren nach §§ 401 ZPO, 4 JVEG.18 Gemäß § 6 FamFG gelten die §§ 41 ff. für das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Hierzu gehören auch die Landwirtschaftssachen (§ 9 LwVG). Verweisungen finden sich für das verwaltungsgerichtliche (§ 54 VwGO), das finanzgerichtliche (§ 51 FGO)19 und das sozialgerichtliche Verfahren (§ 60 SGG) mit der jeweiligen Ergänzung, dass eine Besorgnis der Befangenheit stets dann begründet ist, wenn der Richter oder der ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden. Verweisungen (teilweise mit Modifikationen und Ergänzungen) sind weiter enthalten in §§ 86 PatG,20 15 Abs. 2 S. 6, 7 UWG, 72 Abs. 1 MarkenG für Verfahren vor dem Patentgericht und §§ 73 Nr. 2, 75 Abs. 4 S. 1 GWB für das kartellrechtliche Beschwerdeverfahren. Für das arbeitsgerichtliche Urteils- und Beschlussverfahren enthält § 49 ArbGG lediglich eine Zuständigkeitsregelung. Die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen richtet sich gemäß § 46 Abs. 2 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1, 72 Abs. 5, 80 Abs. 2, 87 Abs. 2, 92 Abs. 2 ArbGG nach den §§ 41 ff. und den in §§ 64 Abs. 7, 72 Abs. 6 ArbGG vorgesehenen Abweichungen.21 Über § 4 InsO sind die §§ 41 ff. auch im Insolvenzverfahren anwendbar, soweit dort gerichtliche Entscheidungen zu treffen sind (z. Insolvenzverwalter und z. Gläubigerausschuss s. Rdn. 10).22 9 Weitere Verweisungen sind bestimmt für die Prüfer und die übrigen Mitglieder der Patent- und Markenabteilungen (§ 27 Abs. 6 PatG; § 57 Abs. 1 MarkenG), für Mitglieder der Gebrauchsmusterstellen und -abteilungen (§ 10 Abs. 4 GebrMG), für die Mitglieder des Patentamtes in Registerverfahren nach dem GeschmMG (§ 23 Abs. 2 S. 2 GeschmMG) und für das Einigungsverfahren nach dem UWG (§ 15 Abs. 2 S. 6 UWG). Die Vorschriften über Ausschließung von Gerichtspersonen können analog heran10 gezogen werden, wenn ein Amtsträger in einem justizförmigen Verfahren tätig wird (Einigungsstelle, Schlichtungsstelle).23 Nicht anzuwenden sind sie auf den Gerichtsvollzieher.24 Dasselbe gilt für den Insolvenzverwalter,25 und zwar aufgrund der Sonderregelungen in §§ 56 ff. InsO. Besteht eine Interessenkollision, wird diese bei der Bestellung des Insolvenzverwalters zu beachten sein bzw. führt gemäß § 59 InsO zu seiner Entlas-

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15 Zur Berücksichtigung der jeweiligen verfahrensrechtlichen Stellung des Dolmetschers s. OLG Nürnberg NJW-RR 1999, 1515. 16 OLG Karlsruhe FuR 2005, 463. 17 Einschränkend für die Gegenvorstellung OLG Schleswig MDR 2001, 169 m.w.N. 18 OLG Hamburg JurBüro 1992, 194 (zu § 16 ZSEG). 19 Zur Ablehnung des Betriebsprüfers wegen Befangenheit s. BFH NJW 2002, 3799. 20 Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch durch den Beschwerdesenat ist unanfechtbar – BGHZ 95, 302, 305. 21 Zur Ablehnung des Vorsitzenden im Einigungsstellenverfahren nach dem BetrVG s. BAG ZIP 2002, 541. 22 BayObLG NJW 1989, 44; OLG Köln NJW-RR 1988, 694 (zu § 72 KO). 23 BGHZ 113, 27; Zöller/Vollkommer vor § 41 Rdn. 3. 24 BVerfG NJW-RR 2005, 365; BGH NJW-RR 2005, 149. 25 BGH ZIP 2007, 549; LG Frankfurt Rpfleger 1989, 474; LG Wuppertal ZIP 2005, 1747; Kreft/Kirchhof InsO, 5. Aufl. § 4 Rdn. 5.

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sung.26 Die Mitglieder des Gläubigerausschusses (§§ 67 ff. InsO) fungieren als Interessenvertreter, so dass eine Ablehnung ausscheidet.27 IV. Andere Hinderungsgründe Die §§ 41 ff. beziehen sich auf konkrete Verfahrenssituationen (Beziehung zur Sache 11 oder zu einem Beteiligten), in denen die Parteilichkeit des Richters zu besorgen ist. Ist der Richter unabhängig vom Verfahrensgegenstand an der sachgemäßen Ausübung seines Amtes gehindert, greifen die §§ 41 ff. grundsätzlich nicht ein. Solche Umstände können regelmäßig nur mit Hilfe ordentlicher Rechtsbehelfe (§§ 513, 546, 547 Nr. 1, 579 Abs. 1 Nr. 1) geltend gemacht werden. Hinderungsgründe sind die fehlende Richteramtsbefähigung gemäß §§ 5 ff. DRiG nach Maßgabe der §§ 18, 19 DRiG und die Prozessunfähigkeit28 des Richters. Hinzu kommen jene Fälle, in denen die Wahrnehmungsfähigkeit des Richters stark eingeschränkt ist (z.B. mangelnde Hör- oder Sehkraft). Es kommt darauf an, ob die Entscheidungsfindung durch das Fehlen eines Sinnes beeinträchtigt wird. Bei Blindheit ist dies anzunehmen, wenn es gerade auf die Beurteilung von Personen oder anderen Dingen in dem betreffenden Verfahren ankommt.29 Den bloßen Inhalt von Schriftstücken kann sich der Richter von einer zuverlässigen Hilfsperson vorlesen lassen.30 Das Fehlen des Geschmacks-, Tast- und Geruchssinnes beim Augenscheinbeweis kann unter Umständen durch die übrigen Mitglieder des Kollegiums oder einen Sachverständigen ausgeglichen werden. Wenn der Richter während der mündlichen Verhandlung in Ohnmacht fällt oder schläft,31 kann je nach den Umständen des Einzelfalles ein Grund dafür gegeben sein, dass das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt ist; vgl. im Übrigen die Erl. zu § 547 Nr. 1.

§ 41 Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes § 41 Gerken Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen: 1. in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht; 2. in Sachen seines Ehegatten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; 2a. in Sachen seines Lebenspartners, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht; 3. in Sachen einer Person, mit der er in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war;

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26 Hess/Weis/Wienberg InsO, 2. Aufl., § 4 Rdn. 56. 27 Stein/Jonas/Bork Vor § 41 Fn. 11; MünchKomm/Gehrlein § 41 Rdn. 11; a.A. AG Hildesheim KTS 1985, 130. Zum Ausschluss eines einzelnen Mitglieds durch den Gläubigerausschuss s. Hermanns, Der Gläubigerausschuss (1986), 118 ff. 28 OLG Rostock HRR 1933 Nr. 1159: Geisteskrankheit des Strafrichters. 29 RGZ 124, 153, 154 als obiter dictum. 30 BGHZ 38, 347, 349. 31 BVerwG NJW 1986, 2721.

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in Sachen, in denen er als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist; in Sachen, in denen er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist; in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszuge oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt; in Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren, wenn er in dem beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird; in Sachen, in denen er an einem Mediationsverfahren oder einem anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung mitgewirkt hat.

§ 41 Nr. 3 geändert durch das Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) vom 2.7.1976 (BGBl. I 1749); § 41 Nr. 2a eingefügt durch das Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft vom 16.2.2001 (BGBl. I 266, 274); Nr. 7 angefügt durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtliche Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 (BGBl. I 2302; Nr. 8) angefügt durch MediationsG vom 21.7.2012 (BGBl. I 1577).

I. II.

Übersicht Allgemeines ____ 1 Die Ausschließungsgründe ____ 2 1. Beteiligung des Richters (Nr. 1) a) Parteistellung ____ 3 b) Wirtschaftliche Verbindung oder Regressverhältnis ____ 4 2. Beteiligung des Ehegatten (Nr. 2) ____ 5 3. Beteiligung des Lebenspartners (Nr. 2a) ____ 6 4. Beteiligung von Verwandten oder Verschwägerten (Nr. 3) ____ 7 5. Vertretung einer Partei durch den Richter (Nr. 4) ____ 8 a) Gewillkürte Vertretung ____ 9 b) Gesetzliche Vertreter ____ 10

III.

c) Vertretungsrecht in derselben Sache ____ 11 6. Vernehmung des Richters als Zeuge oder Sachverständiger (Nr. 5) ____ 12 7. Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung (Nr. 6) a) Mitwirkung als erkennender Richter ____ 13 b) Mitwirkung in früherer Instanz ____ 14 8. Nachfolgendes Entschädigungsverfahren (Nr. 7) ____ 16 9. Mitwirkung im Mediationsverfahren (Nr. 8) ____ 17 Rechtswirkungen der Ausschließung ____ 18

I. Allgemeines 1

Ausschließung bedeutet, dass dem Richter (zum persönlichen Anwendungsbereich siehe Erl. Vor § 41, 7) in einem bestimmten Prozess die Befugnis entzogen ist, sein Amt auszuüben. Die Vorschriften der §§ 41 ff. gelten – abgesehen von den Fällen der Nr. 6 Halbs. 2 – für jede richterliche Tätigkeit im Zivilprozess innerhalb und außerhalb der mündlichen Verhandlung.1 Erfasst wird auch die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters,2 es sei denn, es geht um eine Tätigkeit in einem früheren Rechtszug (Nr. 6). Der Ausschluss betrifft stets den Richter als Person, nie das Gericht als solches.3 Er bezieht sich immer nur auf ein einzelnes Verfahren, bei Verbindung auch auf die verbundenen Verfahren.

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BGH NJW 1963, 46. RGSt. 30, 70. BGH NJW 1974, 55.

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II. Ausschließungsgründe Die Ausschließungsgründe sind in § 41 enumerativ aufgeführt. Einer erweiternden 2 Auslegung steht grundsätzlich Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG entgegen.4 Nähere Beziehungen des Richters zur Streitsache oder zu einem Beteiligten, die in § 41 nicht normiert sind, können unter Umständen zur Ablehnung nach § 42 berechtigen. 1. Beteiligung des Richters (Nr. 1) a) Parteistellung. Das in § 41 Nr. 1 niedergelegte Verbot, Richter in eigener Sache zu 3 sein, gehört zu den unverzichtbaren Grundsätzen jedes justizförmigen Verfahrens.5 Der Begriff der Beteiligung als Partei ist weit zu fassen. Der Richter ist Partei, wenn er für eigene oder fremde Rechnung in formeller oder materieller Hinsicht eine Parteirolle wahrnimmt. Das ist auch dann der Fall, wenn er der Rechtskrafterstreckung unterliegt (§§ 265 f.; 325 ff.; 727 ff.), wenn er für eigene oder fremde Rechnung Kläger oder Beklagter, Antragsteller oder Antragsgegner ist oder wenn er als Dritter im Sinne der §§ 75 ff. oder als Streithelfer (§ 66) auftritt. Die Streitverkündung (§§ 72, 73) allein genügt nicht zur Ausschließung, solange kein Beitritt (§ 74) erfolgt ist,6 und zwar auch dann nicht, wenn ein Interesse am Ausgang des Verfahrens besteht. In diesem Fall liegt aber eine Ablehnung gemäß § 42 Abs. 2 nahe. Die Streitverkündung schafft daher keine Möglichkeit, einen Ausschlussgrund herbeizuführen. In Verfahren, die von einer Partei kraft Amtes geführt werden, ist sowohl der Amtsträger (z.B. der Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker) als auch der Vermögensträger (z.B. der Gemeinschuldner, Erbe) Partei i.S.d. § 41 Nr. 1.7 b) Wirtschaftliche Verbindung oder Regressverhältnis. Eine wirtschaftliche Ver- 4 bindung zwischen Richter und Partei führt ebenfalls grundsätzlich zur Ausschließung, allerdings nur insoweit, als die Verbindung den Streitgegenstand berührt. Gleichgültig ist, ob der Richter dabei nach außen in Erscheinung tritt. Entscheidend ist allein die Möglichkeit, dass er aufgrund des bestehenden Rechtsverhältnisses in Anspruch genommen wird oder einen Anspruch geltend machen kann. Diese Möglichkeit ist bei Zugehörigkeit zu einer Gläubiger- oder Schuldnermehrheit (§§ 421 ff. BGB), zu einer Handelsgesellschaft (OHG, KG – auch in der Eigenschaft als Kommanditist), zu einer stillen Gesellschaft, zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts8 oder zu einer Reederei gegeben. Die Mitgliedschaft in einem nichtrechtsfähigen Verein, einer Gewerkschaft oder Genossenschaft führt dann nicht zum Ausschluss, wenn der Richter als Mitglied nicht über den Anteil am Vereinsvermögen oder den Beitrag hinaus haftet und diese Haftung nach allen maßgeblichen Umständen keine wirtschaftliche Belastung darstellt.9 Ausgeschlossen ist

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4 BGH MDR 1976, 574, 837; BGH NJW 1981, 1273; BGH NJW 1991, 425; BVerwG NJW 1980, 2722; BVerwG NVwZ 1990, 460, 461; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1763; Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 1; a.A. SchleswigHolsteinisches LSG NJW 1998, 2925 = NZV 1998, 351. 5 BGHZ 94, 92, 98 = NJW 1985, 1903 (zum Schiedsgerichtsverfahren). 6 Vgl. Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 7; Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 6; s.a. Böckermann MDR 2002, 1348; zum Sachverständigen s. BGH NJW-RR 2007, 1293. 7 Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 7, 12; MünchKomm/Gehrlein § 41 Rdn. 15. 8 LG Hamburg MDR 1951, 177 (betr. die Beteiligung eines Schiedsrichters). 9 BVerwG NJW 2001, 2191; s.a. BGHReport 2001, 433; BAG AP Nr. 1 zu § 41 ZPO m. Anm. Stahlhacke; NJW 1961, 2371 (LS); Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 8; Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 7; strenger OLG Königsberg JW 1931, 226.

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der Richter auch als Bürge,10 als dinglicher Pfandschuldner, als Eigentümer eines grundschuldbehafteten Grundstücks, als Wechsel- und Scheckregresspflichtiger, gegebenenfalls auch als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne gemäß § 839 BGB, da dem in erster Linie ersatzpflichtigen Staat ein Rückgriffsrecht zustehen kann (Art. 34 S. 2 GG). Ein bloß mittelbares Interesse am Rechtsstreit ohne unmittelbare Beteiligung am Rechtsverhältnis der Parteien (etwa als Aktionär,11 GmbH-Gesellschafter, Gläubiger oder Schuldner einer Partei, Mitglied in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft,12 einfaches Mitglied in einer Fachvereinigung für gewerblichen Rechtsschutz13) rechtfertigt keinen Ausschluss (s.a. § 18 Abs. 2 BVerfGG). Solche Fälle können aber unter Umständen zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit führen.14 5

2. Beteiligung des Ehegatten (Nr. 2). Für einen Ausschluss nach § 41 Nr. 2 genügt es, wenn das in § 41 Nr. 1 bezeichnete Verhältnis zwischen einer Partei und dem Ehegatten des Richters besteht. Voraussetzung ist eine wirksame Eheschließung. Der Richter ist selbst dann ausgeschlossen, wenn die Ehe geschieden, aufgehoben oder für nichtig erklärt wurde.15 Ein bestehendes oder früheres Verlöbnis und das eheähnliche Zusammenleben fallen dagegen nicht unter § 41 Nr. 2. Sachen des Ehegatten im Sinne dieser Vorschrift sind nur solche, in denen der Ehegatte selbst Partei ist oder zu dieser im Verhältnis eines Mitverpflichteten etc. steht.16 Die Ehe des Richters mit einem der Prozessbevollmächtigen der Parteien ist daher kein Ausschlussgrund. 17 Die persönliche Nähe des Richters zur Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigen kann aber die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen (§ 42 Abs. 2). Der Richter wird ein solches Verhältnis daher stets offen zu legen haben.

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3. Beteiligung eines Lebenspartners (Nr. 2a). Es gilt das Gleiche wie für die Beteiligung des Ehegatten (Nr. 2).

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4. Beteiligung von Verwandten oder Verschwägerten (Nr. 3). Zum Ausschluss führt auch die Beteiligung von Verwandten und Verschwägerten in auf- und absteigender Linie sowie in der Seitenlinie bis zum dritten Grad bei Verwandtschaft, bis zum zweiten Grad bei Schwägerschaft. Unter Grad ist die Anzahl der die Verwandtschaft oder Schwägerschaft vermittelnden Geburten zu verstehen. Die Begriffe der Verwandtschaft und Schwägerschaft sind gemäß Art. 51 EGBGB ausschließlich nach dem BGB (§§ 1589, 1590; 1754 ff. BGB) zu beurteilen. Die Ausschließung wegen der Schwägerschaft dauer fort, auch wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe nicht mehr besteht. Verwandtschaft und Schwägerschaft bestehen auch mit dem nichtehelichen Kind (§ 1589 BGB). Durch Adoption wie durch ihre Aufhebung entstehen bzw. erlöschen Verwandtschaftsund Schwägerschaftsverhältnisse gemäß §§ 1754–1756, 1764, 1767 ff. BGB. Wird ein Rechtsstreit von einer Partei kraft Amtes (Zwangsverwalter, Insolvenzverwalter etc.) geführt,

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10 Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 7. 11 BayObLG ZIP 2002, 1038. 12 RGZ 7, 311; BVerwG NJW 2001, 2191 (Richter als Genosse der klagenden Genossenschaft); BayObLG ZIP 2002, 1038 (Aktionär). 13 BGHReport 2001, 432 – ausgeschlossen ist aber das Vorstandmitglied. 14 Vgl. Hahn Mat. II 1, 163; BGH NJW 1991, 425; Beispiel in BVerfG NJW 2003, 3404. 15 RG HRR 1930 Nr. 1059 (zu § 383 Abs. 1 Nr. 2); Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 10. 16 OLG Jena MDR 2000, 540. 17 OLG Jena MDR 2000, 540; SächsOVG SächsVBl. 2001, 10, 11; Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 10; a.A. LSG Schleswig-Holstein NJW 1998, 2925; zur Ehe bzw. Lebenspartnerschaft mit einem Abkömmling des Prozessbevollmächtigten s. OLG Bremen MDR 2008, 283.

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kommt eine Ausschließung in Frage, wenn der Richter mit dem Verwalter oder dem Gemeinschuldner verwandt ist.18 Kein Ausschließungsgrund ergibt sich aus der Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem gesetzlichen Vertreter,19 dem Prozessbevollmächtigten 20 oder dem Rechtsbeistand einer Partei. 21 Solche Beziehungen muss der Richter jedoch offen legen, damit die Parteien prüfen können, ob ein Ablehnungsgrund besteht. 5. Vertretung einer Partei durch den Richter (Nr. 4). § 41 Nr. 4 betrifft die Fälle, in 8 denen der Richter als Prozessbevollmächtigter (§§ 78 ff.), Beistand (§ 90) oder gesetzlicher Vertreter (§ 51) einer Partei im Sinne der Nr. 1 (s. Rdn. 3) aufzutreten berechtigt war oder ist. Ob er tatsächlich tätig wird, ist ohne Belang.22 a) Gewillkürte Vertretung. § 41 Nr. 4 setzt voraus, dass der Richter zur Vertretung 9 oder Beistandsleistung einer Partei im Prozess berechtigt war oder ist. Zur Bestellung eines Prozessbevollmächtigten (§ 81) oder Beistands (§ 90) genügt die einseitige Vollmachtserklärung (§ 167 BGB) der Partei nicht; der Bevollmächtigte muss den der Vollmacht zugrunde liegenden Auftrag auch angenommen haben.23 Auf den Umfang der Vollmacht kommt es nicht an. Die Vollmacht zu einzelnen Handlungen (§ 83 Abs. 2), die Bestellung zum Vertreter des Bevollmächtigten (§§ 52, 53 BRAO) und die Unterbevollmächtigung fallen ebenfalls unter Nr. 4. Die Bestellung eines Sozius führt zur Ausschließung aller Sozien, sofern die Vollmacht nicht ausdrücklich personenbezogen ist. Ein zur Ausbildung zugewiesener Referendar ist ebenfalls ausgeschlossen, falls er gemäß § 59 Abs. 2 BRAO für die Partei auftritt;24 tritt er nicht selbst auf, schadet es nicht, wenn er bei dem Prozessvertreter der Partei beschäftigt ist. Nicht unter § 41 Nr. 4 fallen die Bestellung als Zustellungsbevollmächtigter (§ 174), als allgemeiner außerprozessualer Vertreter (§§ 164 ff. BGB) oder die Mitwirkung als Urkundsperson25 bei dem der Sache zugrunde liegenden Rechtsgeschäft oder eine sonstige Tätigkeit ohne Vertretungsmacht. b) Gesetzlicher Vertreter. Gesetzlicher Vertreter einer natürlichen Person kann au- 10 ßer den Eltern der Vormund (§§ 1773 ff. BGB), der Betreuer (§§ 1896 ff. BGB) oder der Pfleger (§§ 1909 ff. BGB) sein. Für die juristische Person26 besteht gesetzliche Vertretung in Form der Einzel- oder Gesamtvertretung. Sind mehrere in der Form zur Vertretung berechtigt, dass jeder Einzelne die Handlung wahrnehmen darf, so ist jeder von ihnen auch dann ausgeschlossen, wenn ein anderer gehandelt hat. Bei mehreren vertretungsberechtigten Organen ist zu prüfen, bei welchem von ihnen die gesetzliche Vertretungsbefugnis für das jeweils in Frage stehende Rechtsgeschäft liegt. Dies kann für das Außenverhältnis und das Innenverhältnis gegenüber den Organen unterschiedlich geregelt sein (vgl. z.B. §§ 78, 112, 246 AktG; §§ 35, 52 GmbHG). c) Vertretungsrecht in derselben Sache. Das Vertretungsrecht führt zur Aus- 11 schließung, sofern es sich auf die Rechtsangelegenheit bezieht, die den Gegenstand des

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Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 12. A.A. Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 9. KG NJW-RR 2000, 1164. BayObLG WuM 1989, 45; OLG Bremen MDR 2008, 283; Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 11 a.E. BGHReport 2008, 283. Dazu ausführlich 2. Aufl. Anm. C IId 2. Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 14. Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 10. Beispiel in BGHReport 2001, 432.

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Prozesses bildet. Dass es sich um denselben Rechtsstreit handelt, ist nicht ausschlaggebend.27 Deshalb genügt schon die Vertretungsbefugnis in einem früheren Prozess mit demselben Streitgegenstand oder in einem vorangegangenen Schiedsverfahren.28 Ob der Richter in der Streitsache als Vertreter tätig war, ist sowohl bei der gewillkürten als auch bei der gesetzlichen Vertretung unerheblich.29 12

6. Vernehmung des Richters als Zeuge oder Sachverständiger (Nr. 5). Der Richter muss tatsächlich vernommen worden sein. Allein seine Benennung als Zeuge30 oder als Sachverständiger bzw. die bloße Möglichkeit, dass er im weiteren Verlauf des Verfahrens als Zeuge in Betracht kommt, reichen nicht aus.31 Folglich kann er auch an der Beschlussfassung über die eigene Vernehmung im anhängigen Prozess mitwirken.32 Die Vernehmung, die die Ausschließung bewirkt, muss nicht vollendet sein, aber bereits begonnen haben, was zumindest voraussetzt, dass Fragen zur Person (§ 395 Abs. 2) gestellt worden sind. Unerheblich ist, ob die Zeugenaussage oder die Begutachtung mündlich oder schriftlich (§ 377 Abs. 3, § 411) gemacht wurde.33 Eine einfache dienstliche Äußerung fällt nicht unter Nr. 5;34 denn sie ist kein Beweismittel. Die Vernehmung muss in derselben Sache erfolgt sein, also in derselben rechtlichen Angelegenheit, nicht notwendig auch in demselben Prozess.35 Nach einem Urteil des OLG Frankfurt36 genügt es, wenn der Richter zu demselben Sachverhalt vernommen worden ist, über den auch in dem von ihm zu bearbeitenden Rechtsstreit zu entscheiden ist.37 Ein prozessrechtlicher Zusammenhang zwischen den verschiedenen Verfahren ist danach nicht erforderlich.38 Die Sachgleichheit ist bei dem selbständigen Beweisverfahren oder dem Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren im Verhältnis zum Hauptprozess, bei dem Verfahren über den Anspruchsgrund im Verhältnis zu dem Betragsverfahren und auch beim Vorverfahren in Beziehung zum Nachverfahren gegeben. Auch bei der Vollstreckungsgegenklage und dem Ausgangsverfahren handelt es sich um dieselbe Sache im Sinne der Nr. 5.39 7. Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung (Nr. 6)

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a) Mitwirkung als erkennender Richter. Die Regelung soll verhindern, dass ein Richter seine eigene Entscheidung in einer höheren Instanz selber nachprüfen kann.40

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27 RGZ 152, 9, 10; Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 14; kritisch Stemmler S. 46 f., der auf die „Einheitlichkeit des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden historischen Lebenssachverhalts“ abstellt. 28 RG JW 1884, 211; anders für den umgekehrten Fall, dass der nach § 41 Nr. 4 ausgeschlossene Richter Schiedsrichter werden soll, OLG Hamburg BB 1957, 378. 29 RGZ 152, 9, 10; BSGE 71, 97, 103 = NJW 1993, 2070 (LS); Stein/Jonas/Bork Rdn. 14. 30 BGH NJW 2002, 2402; BGH NJW 2009, 1287; BVerwG MDR 1980, 168; OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 763, 765. 31 Zu § 22 Nr. 5 StPO s. BGH NStZ-RR 2009, 85 = NJW 2009, 1287 (Ls). 32 BGH NJW 2009, 1287; RGZ 44, 394, 395; OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 763, 765. 33 OLG Frankfurt FamRZ 1989, 518, 519. 34 BVerwG MDR 1980, 168; OLG München NJW 1964, 1377 (zur ergänzenden Erklärung im Kostenfestsetzungsverfahren). 35 OLG Frankfurt FamRZ 1989, 518, 519 („keine Verfahrensidentität, sondern Sachidentität“); Stein/ Jonas/Bork § 41 Rdn. 15; Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 11; Baumbach/Lauterbach/Hartmann § 41 Rdn. 13. 36 FamRZ 1989, 518, 519; zustimmend Rosenberg/Schwab/Gottwald § 25 I 1; Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 11. 37 Vgl. BGH NJW 1983, 2711 (zu § 22 Nr. 5 StPO). 38 A.A. Thomas/Putzo/Hüßtege § 41 Rdn. 6 („nur bei ein und demselben Prozessrechtsverhältnis“). 39 OLG Kiel HRR 1936 Nr. 1249; dazu ausführlich Stemmler S. 48 ff. 40 RGZ 148, 199, 200; BGH NJW 1960, 1762; 1763; BVerwG NJW 1980, 2722; BAG NJW 1968, 814.

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Ausgeschlossen ist daher nur der Richter, der in einer früheren Instanz oder in einem schiedsgerichtlichen Verfahren erkennend tätig war, also derjenige, der an der Urteilsfindung unmittelbar beteiligt war.41 Die Mitwirkung am Verfahren42 oder an vorangegangenen bzw. nachfolgenden Entscheidungen führt dagegen nicht zu einem Ausschluss, etwa bei dem Erlass eines Beweisbeschlusses,43 bei der Beweissicherung oder einer Beweisaufnahme,44 ausschließlich bei der Verkündung45 oder der Einstellung der Vollstreckung,46 bei der Ablehnung, die bereits geschlossene Verhandlung wieder zu eröffnen47 oder bei einer früheren Tätigkeit als beauftragter oder ersuchter Richter (2. Halbs.). Nr. 6 kann nicht analog angewandt werden, wenn der Richter in der unteren Instanz eine einstweilige Verfügung erlassen hat und diese nach Widerspruch des Antragsgegners ohne seine Mitwirkung von einer anderen Besetzung der Kammer bestätigt worden ist.48 Der Richter, der in der unteren Instanz als erkennender Richter mitgewirkt hat, kann in der höheren Instanz als beauftragter oder ersuchter Richter amtieren. Dies folgt aus dem 2. Halbsatz der Vorschrift. Kein Fall des § 41 Nr. 6 ist ferner die Mitwirkung beim Erlass eines Vorlagebeschlusses an das BVerfG (Art. 100 GG) oder den EuGH (Art. 267 AEUV).49 b) Mitwirkung in früherer Instanz. Ausgeschlossen ist nur der Richter, der an dem 14 Vorerkenntnis mitgewirkt hat. Vorerkenntnis in diesem Sinne ist jede Entscheidung, die aufgrund des Rechtsbehelfs der Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht unterworfen ist (§§ 512, 557 Abs. 2). Das sind: Zwischen- (§ 303)50 und Endurteile, im Beschwerdeverfahren die angegriffene Entscheidung, im Aufgebotsverfahren das Ausschlussurteil bei der Klage nach § 957 Abs. 2, nicht dagegen ein früheres, bereits durch das Revisionsgericht aufgehobenes Berufungsurteil.51 Der Richter ist im Rechtsmittelverfahren gegen eine Entscheidung nach § 343 (Aufrechterhaltung eines Versäumnisurteiles nach Einspruch) nach Ansicht des BAG auch dann ausgeschlossen, wenn er zwar nicht an der angefochtenen Entscheidung selbst, aber an dem ihr zugrunde liegenden Versäumnisurteil gegen den Beklagten beteiligt war.52 Nicht ausgeschlossen ist der Richter im Nachverfahren, wenn er in einem unteren 15 Rechtszug im Urkundenprozess,53 im Betragsverfahren oder bei dem Erlass des Grundurteils (§ 304) mitgewirkt hat.54 Das Gleiche gilt in den Fällen der Stufenklage (§ 254),55 der Abänderungsklage (§ 323), der Vollstreckungsgegenklage (§ 767),56 der Restitu-

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41 Zur weitergehenden Regelung in § 86 Abs. 2 Nr. 1 PatG s. BGH NJW-RR 1998, 1660. 42 Weitergehend insoweit §§ 6 Abs. 1 S. 2 FamFG, 54 Abs. 2 VwGO. 43 RGZ 105, 17; anders für einen Sonderfall LG Würzburg NJW 1973, 1932. 44 RGZ 105, 17. 45 RGZ 26, 383. 46 OLG Hamburg OLG Rspr. Bd. 13 (1906), 82. 47 RG JW 1902, 543. 48 OLG Rostock NJW-RR 1999, 1444; OLG Hamburg MDR 2002, 537; a.A. OLG München NJW 1969, 754. 49 BFHE 129, 251 = DB 1980, 479. 50 Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 18; a.A. Thomas/Putzo/Hüßtege § 41 Rdn. 7. 51 BVerwG NJW 1975, 1241. 52 BAG NJW 1968, 814; ebenso Stein/Jonas/Bork Rdn. 18; a.A. MünchKomm/Gehrlein § 41 Rdn. 26; Baumgärtel/Mes Anm. AP Nr. 3 zu § 41 ZPO. 53 RGZ 148, 199. 54 BGH NJW 1960, 1762; OLG Karlsruhe FamRZ 1996, 556. Wenn sich das Problem der Abgrenzung von Anspruchsgrund und -höhe stellt, kommt Ablehnung nach § 42 in Betracht. 55 OLG Karlsruhe FamRZ 1992, 1194 und 1996, 556. 56 BGH MDR 1976, 837: kein Ausschluss auch dann, wenn der Richter an einem Verfahren wegen Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckungsklausel (§ 732) mitgewirkt hatte.

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tions- oder Nichtigkeitsklage (§ 578),57 der Hauptsacheklage nach vorangegangenem Verfügungsverfahren oder bei der Entscheidung über Einwendungen gegen die von dem abgelehnten Richter erteilte Vollstreckungsklausel.58 Auch darf der Richter, der an der zurückverweisenden Entscheidung (§§ 538, 563) mitgewirkt hat, beim unteren Gericht nach Versetzung erneut amtieren;59 ebenso der Richter, der an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hatte – auch bei Zurückverweisung an einen anderen Senat (§ 563 Abs. 1 S. 2).60 Hat der Rechtsmittelrichter in der unteren Instanz an einer Arrestanordnung oder einer einstweiligen Verfügung mitgewirkt, die durch das angefochtene Urteil bestätigt worden ist, führt dies ebenfalls nicht zum Ausschluss.61 § 41 Nr. 6 ordnet dies nur für den Richter an, der an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Demgemäß ist auch der Richter nicht ausgeschlossen, der an der erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat und nunmehr über die Revision gegen das Berufungsurteil zu entscheiden hat.62 Die normierten Ausschließungsgründe dürfen nicht extensiv ausgelegt werden (s.o. Rdn. 2).63 Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gebietet keine verfassungskonforme Auslegung dahin, dass der Richter über die ausdrücklich normierten Fälle hinaus auch in ähnlichen Situationen ausgeschlossen ist.64 Zur Ablehnung wegen Befangenheit in den Fällen der früheren Befassung des Richters mit der Sache siehe Erl. zu § 42 Rdn. 27, 28. Hat der Ehegatte65 oder ein Verwandter66 des Rechtsmittelrichters an der erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt, begründet dies keinen Ausschlussgrund gemäß § 41 Nr. 6. Dieser Umstand ist für sich allein auch nicht geeignet, die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 42 Abs. 2 zu rechtfertigen. Weiter ist der Richter dann nicht ausgeschlossen, wenn er in einem Regressprozess gegen einen Prozessbevollmächtigten über dieselben Rechtsfragen zu entscheiden hat wie im Ursprungsverfahren.67 Ein Verbandsschiedsrichter ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil er bereits in einem vorangegangenen Verfahren zwischen anderen Parteien über dieselben Rechtsfragen entschieden hat.68 16

8. Nachfolgendes Entschädigungsverfahren (Nr. 7). Wird gemäß § 201 Abs. 1 GVG vor dem Oberlandesgericht oder dem Bundesgerichtshof gemäß 198 Abs. 1 S. 1 GVG ein Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens geltend gemacht, sind die Richter ausgeschlossen, die in dem Ursprungsverfahren mitgewirkt haben. Sie können nicht gleichsam in eigener Sache tätig werden und ihr vorangegangenes Verhalten bewerten. Der Ausschluss ist allerdings beschränkt auf den Rechtszug, auf dessen Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird. Die Regelung in Nr. 7 geht über die in Nr. 6 hinaus. Dies folgt aus der Natur der Sache. Denn auch die

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57 BGH NJW 1981, 1273 m.w.N.; OLG Zweibrücken NJW 1974, 955; OLG Karlsruhe OLGZ 1975, 242; OLG Hamburg FamRZ 1988, 186; a.A. Jauernig §§ 14 I 5, da auch in diesen Verfahren das Urteil „angefochten“ werde. 58 OLG Frankfurt OLGZ 1968, 170. 59 Günther VerwArch. 1991, 179, 206; s.a. RGZ 148, 199. 60 RGZ 53, 4; BVerwG NJW 1975, 1241. 61 OLG Rostock NJW-RR 1999, 1444; OLG Hamburg NJW-RR 2002, 789 = MDR 2002, 537; MünchKomm/ Gehrlein § 41 Rdn. 26; a.A. OLG München NJW 1969, 754; Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 18. 62 BGH NJW-RR 2012, 1341. 63 BGH NJW 1981, 1273; BVerwG NJW 1975, 1241; BVerwG NJW 1980, 2722; OLG Düsseldorf NJW 1998, 1763. 64 BVerfG NJW 2001, 3533. 65 BGH NJW 2004, 163; BGH NJW 2008, 1672. 66 A.A. offenbar OLG Celle MDR 2001, 767. 67 OLG Düsseldorf NJW 1998, 1763. 68 LG Bonn NJW 1996, 2168.

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Mitwirkung am Verfahren vor oder nach Erlass der instanzbeendenden Entscheidung kann zur Verzögerung beigetragen haben. In der Regel sind es gerade diese Verursachungsbeiträge, die den Abschluss des Verfahrens hinausgezögert haben. 9. Mitwirkung im Mediationsverfahren (Nr. 8). Ist ein Richter als Mediator in ei- 17 nem gerichtsinternen Mediationsverfahren oder in einem anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung tätig geworden und scheitert dieses, muss er von jeder weiteren Mitwirkung im Streitverfahren ausgeschlossen sein. Bei einer späteren Mitwirkung wäre es unmöglich, die für die Mediation unabdingbare offene und vertrauensvolle Atmosphäre (vgl. § 5 MediationsG) herzustellen.69 Im Mediationsverfahren sollen die häufig hinter den jeweiligen Rechtspositionen stehenden Interessen aufgedeckt und in die Konfliktlösung einbezogen werden. Eine offene Erörterung dieser Konflikte kann nicht stattfinden, wenn die Parteien befürchten müssten, bei einer etwaigen Streitentscheidung auf denselben Richter zu treffen. Mediations- und Streitverfahren müssen daher strikt getrennt werden. § 41 Nr. 8 stellt dies klar. Zu den Mediationsverfahren gehören dabei alle Formen der Mediation im Sinne von § 1 Abs. 1 MediationsG. Auf den ersuchten oder beauftragten Richter, der gemäß § 278 Abs. 5 S. 1 eine Güteverhandlung durchgeführt hat, ist Nr. 8 nicht anzuwenden.70 III. Rechtswirkungen der Ausschließung In den Fällen des § 41 tritt die Ausschließung kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer 18 Entscheidung bedarf. Der Richter muss sich jeder richterlichen Tätigkeit in der Sache enthalten. Auf seine Kenntnis vom Ausschließungsgrund kommt es nicht an.71 Die Ausschließung ist von Amts wegen zu beachten. An die Stelle des ausgeschlossenen Richters tritt sein Vertreter nach Maßgabe des Geschäftsverteilungsplanes (§§ 21e, g GVG). Ein besonderes Verfahren nach den §§ 44 ff. ist nur notwendig, wenn die Ausschließung durch ein Ablehnungsgesuch (§ 42) geltend gemacht wird oder wenn über die Ausschließung Zweifel bestehen (§ 48 Abs. 1, 2. Halbs.). Der Vorgang muss in der Prozessakte geführt werden, damit die Einhaltung der Vorschrift wie auch des Geschäftsverteilungsplans nachprüfbar sind. Die Parteien haben Anspruch darauf, dass ihnen auf Anfrage der Grund des Richterwechsels mitgeteilt wird.72 Wird in einem Ablehnungsverfahren dahin erkannt, dass kein gesetzlicher Ausschließungsgrund vorliegt, so wird die tatsächlich gegebene Ausschließung durch die Entscheidung beseitigt. Dies folgt aus den §§ 547 Nr. 2, 579 Abs. 1 Nr. 2.73 Die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde bleibt unberührt. Ist der Ausschließungsgrund nicht in einem Ablehnungsverfahren verneint worden und nimmt der Ausgeschlossene im Laufe der Verfahrens Amtshandlungen vor, müssen diese nach Möglichkeit bis zur Endentscheidung wiederholt werden. Darauf können die Parteien allerdings verzichten (§ 295).74 Ist das Verfahren wegen Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters mangelhaft, gelten in der Berufungsinstanz § 539, in der Revisionsinstanz die §§ 545, 562, 563, 566. Falls der ausgeschlossene Richter an der Entscheidung mitgewirkt hat, kann diese 19 mit dem zulässigen Rechtsbehelf – Berufung (§ 513 Abs. 1), Revision bzw. Nichtzulas-

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Vgl. BT-Drucks. 17/5335 S. 20. A.A. Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 14b. RGSt. 33, 309. MünchKomm/Gehrlein § 41 Rdn. 30. BGHZ 95, 302, 305. Rosenberg/Schwab/Gottwald § 25 I 3b.

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sungsbeschwerde (§ 547 Nr. 2),75 Beschwerde, Rechtsbeschwerde – und nach Rechtskraft, sofern das Hindernis nicht mittels eines Ablehnungsgesuches oder eines Rechtsmittels geltend gemacht worden war, mit der Nichtigkeitsklage (§ 579 Abs. 1 Nr. 2) angefochten werden. Der Verfahrensfehler (Rechtsverletzung) ist von Amts wegen zu beachten. Die Entscheidung als Hoheitsakt ist nicht etwa absolut nichtig.76 Die Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters nur bei der Verkündung ist unangreifbar.77 Aus der Regelung des § 579 Abs. 2 ist zu schließen, dass ein etwaiger Parteiverzicht (§ 295) unerheblich ist, wenn der ausgeschlossene Richter an der Urteilsfällung mitgewirkt hat.78 75 76 77 78

§ 42 Ablehnung eines Richters § 42 Gerken (1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. (3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

I.

II. III.

Übersicht Einführung 1. Systematik ____ 1 2. Vergleichbare Regelungen ____ 2 Ausschließungsgrund (Abs. 1) ____ 3 Besorgnis der Befangenheit (Abs. 2) 1. Begriff ____ 4 2. Fallgruppen a) Allgemeines ____ 6 b) Richterliche Tätigkeit aa) Unsachliches Verhalten ____ 7 bb) Ratschläge und Hinweise ____ 10

IV.

cc) Verfahrensführung ____ 17 dd) Fachkompetenz ____ 24 ee) Vorbefassung ____ 27 c) Beziehung zum Verfahrensbeteiligten oder -gegenstand aa) Persönliche Beziehungen ____ 29 bb) Beziehungen im weiteren Sinn ____ 34 d) Außerdienstliche Stellungnahmen ____ 36 Ablehnungsberechtigter (Abs. 3) ____ 37

I. Einführung 1

1. Systematik. Gemäß § 42 Abs. 1 besteht das Ablehnungsrecht, wenn entweder ein gesetzlicher Ausschließungsgrund (§ 41)1 oder die Besorgnis der Befangenheit (Abs. 2) vorliegt. Die Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs (vgl. Erl. zu § 44 Rdn. 1 ff.) setzt insbesondere voraus, dass es ein Berechtigter (s. dazu unter Rdn. 37 f.) rechtzeitig (§§ 43, 44 Abs. 4) bei dem Gericht stellt, dem der abgelehnte Richter angehört (§ 44 Abs. 1) und dass er in Bezug auf diesen Richter einen Ablehnungsgrund geltend macht (§ 44 Abs. 2).

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75 Zur Zulassung bei absoluten Revisionsgründen BGHZ 172, 250 = NJW 2007, 2702. 76 Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 4 m.w.N., auch zur teilweise abweichenden älteren Literatur in Fn. 4. 77 RG JW 1902, 543; BGHSt. NJW 1961, 1077. 78 OLG Frankfurt NJW 1976, 1545; Stein/Jonas/Bork § 41 Rdn. 5; MünchKomm/Gehrlein § 41 Rdn. 28; Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 16; Thomas/Putzo/Hüßtege Vor § 41 Rdn. 3. 1 OLG München MDR 1975, 584 erwägt, ob ein Richter auch mit der Begründung abgelehnt werden kann, er sei nicht der gesetzliche Richter gemäß dem Geschäftsverteilungsplan; dagegen Zöller/Vollkommer § 42 Rdn. 34.

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Es gilt das Prinzip der Individualablehnung (s. Erl. zu § 44 Rdn. 9). Das zuständige Gericht (§ 45) hat zu prüfen, ob sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ein Ablehnungsgrund im Sinne von Abs. 2 ergibt. In den Fällen des § 48 (Selbstablehnung, Zweifel über Ausschließung) hat das Gericht über Befangenheit und Ausschluss von Amts wegen zu entscheiden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung (s. Erl. zu § 47 Rdn. 3) über das Ablehnungsgesuch bzw. bis zum Ausscheiden nach § 45 Abs. 2 S. 2 darf der betroffene Richter nur Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatten (§ 47). Dies gilt auch im Fall der Selbstablehnung.2 2. Vergleichbare Regelungen. § 24 Abs. 1, 2 StPO ist mit § 42 Abs. 1, 2 wortgleich. 2 Die Kataloge der Ausschließungsgründe (§ 41 ZPO; §§ 22, 23 StPO) differieren naturgemäß. Die §§ 54 VwGO, 51 FGO, 60 SGG, in denen die §§ 41, 42 grundsätzlich für anwendbar erklärt werden, stellen jeweils in Abs. 3 klar, dass eine Besorgnis der Befangenheit stets dann begründet ist, wenn der Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört, deren Interessen durch das Verfahren (unmittelbar) berührt werden. § 6 Abs. 1 FamFG verweist für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen auf die §§ 41 ff. Eine eigenständige Regelung der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit enthält § 19 BVerfGG, ohne allerdings den Begriff zu konkretisieren. In § 18 Abs. 2, 3 BVerfGG sind in einem Negativkatalog Umstände und Tätigkeiten aufgelistet, die nicht zu einem Ausschluss eines Richters des Bundesverfassungsgerichts führen. Es sind dies: Interesse am Ausgang des Verfahrens aufgrund des Familienstandes, des Berufes, der Abstammung, der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren sowie die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann. Für die Frage, ob diese Rechtsgedanken auf andere Prozessordnungen übertragbar sind, muss berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Ausschließungsund Ablehnungsgründe unterschiedlich gestalten kann, wenn dies sachlich geboten ist.3 Zudem beurteilt das BVerfG die Befangenheit auch nach der Einführung einer Vertretungsregelung für den ausscheidenden Richter (§ 19 Abs. 4 BVerfGG) im Jahre 1986 nach einem strengen Maßstab.4 Diese Rechtsprechung kann deshalb nur bedingt auf den Zivilprozess übertragen werden. Soweit Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen von Verfassungsbeschwerden zu § 42 ZPO oder § 24 StPO ergangen sind, ist ferner zu beachten, dass das Gericht lediglich die Einhaltung des Willkürverbots überprüft.5 Rückschlüsse auf die Auslegung der einfach-gesetzlichen Verfahrensvorschriften anhand dieser Entscheidungen sind deshalb nur in begrenztem Umfang möglich. II. Ausschließungsgrund (Abs. 1) Das Gericht hat in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen (§ 48 Abs. 1 3 2. Halbs.) zu prüfen, ob ein Ausschließungstatbestand gemäß § 41 gegeben ist. Durch Mitteilung entsprechender Tatsachen können die Parteien oder sonstige Verfahrensbeteiligte ein Tätigwerden des Gerichts anregen. Wenn Zweifel bestehen, hat das Gericht

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2 § 47 gilt nach allgemeiner Meinung entsprechend, vgl. § 48 Rdn. 3. 3 BVerfGE 21, 139, 146 = NJW 1967, 1123, 1124. 4 BVerfGE 73, 330, 335 = NJW 1987, 430; einschränkend BVerfGE 82, 30, 40 = NJW 1990, 2457, 2458; NJW 1993, 2230, 2231; a.A. Minderheitenvotum Wand BVerfGE 35, 171, 175 = NJW 1973, 1267, 1268; ders. Festgabe Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 515, 519 ff.; Wassermann NJW 1987, 418, 419 f.: Begriff der „Besorgnis der Befangenheit“ müsse für alle Gerichtsbarkeiten ein und derselbe sein. 5 Vgl. BVerfG NJW 1980, 1379.

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über die Ausschließung zu entscheiden (§ 48 Abs. 1 2. Halbs.). Eine Partei, die auf jeden Fall eine Entscheidung herbeiführen will, muss ein auf § 41 gestütztes Ablehnungsgesuch stellen und so das Verfahren nach §§ 44 ff. auslösen. Dabei entfällt die zeitliche Beschränkung durch § 43. Wird das Gesuch rechtskräftig zurückgewiesen, kann der Ausschließungsgrund später im Wege der Revision nicht mehr geltend gemacht (§ 547 Nr. 2) und eine Nichtigkeitsklage nicht mehr auf ihn gestützt werden (§ 579 Abs. 1 Nr. 2). III. Besorgnis der Befangenheit (Abs. 2) 4

1. Begriff. Die richterliche Tätigkeit erfordert Neutralität und Distanz zu den Verfahrensbeteiligten.6 Ein Richter – nicht etwa ein Gericht als solches7 – kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Befangenheit oder Parteilichkeit ist eine innere Haltung,8 die die notwendige Neutralität und Distanz zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Verfahrensgegenstand vermissen lässt9 und deshalb zur Bevorzugung oder Benachteiligung10 führen kann. Da innere Zustände – wenn überhaupt – nur schwer feststellbar sind, kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist. Es genügt die Besorgnis der Befangenheit.11 Diese kann regelmäßig allein aus äußeren Tatsachen hergeleitet werden. Die Tatsachen müssen gemäß § 44 Abs. 2 dargelegt12 und glaubhaft gemacht werden. Sie müssen geeignet sein, Zweifel an der Unparteilichkeit des abgelehnten Richters auszulösen. Die Rechtsprechung stellt objektive Beurteilungselemente in den Vordergrund,13 indem sie auf die Sicht einer „vernünftig und besonnen abwägenden Partei“ abstellt.14 Auf die Sicht eines (jeden) „Dritten“ kommt es nicht an.15 Anderenfalls könnte dem berechtigten Misstrauen der Partei das vielleicht ebenso berechtigte Vertrauen des Dritten oder das des über das Gesuch entscheidenden Gerichts entgegengesetzt werden.16 Unerheblich ist, ob sich der Richter selbst für unbefangen hält oder ob er für die Zweifel an seiner Unparteilichkeit Verständnis aufbringt.17 5 Ausgangspunkt für die Beurteilung ist der subjektive Standpunkt des Ablehnenden. Ob Befangenheit zu besorgen ist, muss daher von seinem konkreten Blickpunkt aus betrachtet werden. Dabei ist gegebenenfalls zu berücksichtigen, dass sich der Ablehnende in der für ihn ungewohnten Rolle als Prozessbeteiligter befindet.18 Der primär subjektive Beurteilungsmaßstab19 findet seine Grenze in unbesonnenen oder unver-

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6 BVerfG ZIP 1988, 174. 7 Vgl. zur Abgrenzung § 44 Rdn. 9. 8 BGHSt. 1, 34, 39 = NJW 1951, 323, 324; Riedel S. 17; Stemmler S. 99 f.; Arzt S. 101 f. will darüber hinaus auch Fälle eines im Ergebnis parteilichen Urteils erfassen. 9 BGH NJW-RR 1986, 738 = LM Nr. 6 zu § 42 ZPO. 10 Riedel S. 17 ff. 11 Günther NJW 1986, 281 weist auf die Befriedungsfunktion dieser Tatbestandsausgestaltung hin. 12 Günther NJW 1986, 281, 285. 13 BGH NJW-RR 1986, 738 = LM Nr. 6 zu § 42 ZPO; BGHZ 77, 70, 72 = NJW 1980, 2530, 2531; BVerfGE 73, 330, 335 = NJW 1987, 430; 82, 30 = NJW 1990, 2457; NJW 1993, 2230, 2231; BVerwG NJW 1988, 722. Zustimmend Zöller/Vollkommer § 42 Rdn. 9; MünchKomm/Gehrlein § 42 Rdn. 4; Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 2; Günther ZZP 105 (1992) 20, 21 ff. 14 BGH NJW 2003, 1220 = MDR 2003, 892; BGHReport 2005, 1350; BGH NJW-RR 2007, 776; OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 763. 15 Insofern missverständlich VGH Mannheim NJW 1986, 2068 und ArbG Frankfurt NJW 1984, 142, 143, die von einer „idealen“ Partei sprechen. 16 OLG Hamburg OLG Rspr. Bd. 15 (1907), 68. 17 BVerfGE 32, 288, 290 zu § 19 BVerfGG. 18 OLG Celle NJW 1990, 1308, 1309 zu § 24 StPO. 19 Siehe Arzt S. 21 ff.

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nünftigen Vorstellungen.20 Erforderlich ist eine „gewisse Objektivierbarkeit der subjektiv empfundenen Gefahrenlage“.21 Gedankengänge einer unnormal misstrauischen Partei bleiben unberücksichtigt.22 Eine solche „Schranke der Unvernunft“ (Arzt) ist erforderlich, weil durch das Befangenheitsrecht das Prinzip des gesetzlichen Richters berührt wird.23 Die Anforderungen, die an die „Vernunft“ zu stellen sind, dürfen aber nicht überspannt werden.24 Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um einen Verfahrensgegenstand handelt, mit dem die Partei besondere Emotionen verknüpft (z.B. Unterhalt, Schmerzensgeld, Ehrverletzung). Vor allem darf das Abstellen auf eine „besonnene und vernünftige Sichtweise“ nicht dazu führen, dass letztlich die subjektive Sicht des Richters als Maßstab herangezogen wird. Maßgebend ist und bleibt die Sicht der Partei, und zwar auf Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller Umstände.25 2. Fallgruppen a) Allgemeines. Ein gewichtiges Indiz für die Besorgnis der Befangenheit liegt dar- 6 in, dass sich der Richter in seiner dienstlichen Stellungnahme selbst für befangen erklärt. Dies geschieht in der Praxis allerdings selten.26 Daher muss in der Regel aufgrund glaubhaft gemachter Tatsachen auf die Besorgnis der Befangenheit geschlossen werden. Geeignete Anhaltspunkte können entweder in Handlungen des Richters innerhalb bzw. außerhalb des Verfahrens oder in einem Umstand liegen, der sein Verhältnis zum Verfahren berührt. Bei Einordnung der einschlägigen Kasuistik und der Prüfung, ob hieraus Schlussfolgerungen für die jeweils zu treffende Entscheidung gezogen werden können, müssen die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt werden. Umfangreiches rechtstatsächliches Material hat Horn in einer empirischen Untersuchung zusammengestellt. Danach hatten nur 4 bis 5% der strittigen Ablehnungsgesuche Erfolg.27 20% wiesen querulatorischen Charakter auf.28 b) Richterliche Tätigkeit aa) Unsachliches Verhalten. Die Beleidigung der Partei durch den Richter stellt 7 in jedem Fall einen Ablehnungsgrund dar. Unsachliche Äußerungen des Richters gegenüber der Partei können ebenfalls die Ablehnung rechtfertigen. Maßgeblich sind die konkreten Umstände, unter denen die Äußerung gefallen ist. Schlägt die Partei selbst einen harten oder unangemessenen Ton an, muss eine entsprechende Erwiderung in diesem Kontext gesehen werden, auch wenn vom Richter die erforderliche Distanz und Gelassenheit erwartet werden muss. Versucht der Richter, die Situation zu entschärfen und stellt er die gebotene Sachlichkeit wieder her bzw. entschuldigt er sich sogar für sein Verhalten, muss dies in die Beurteilung der Befangenheit einfließen.29 Eine Ablehnung

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20 BayObLG NJW-RR 1988, 191; OLG Hamburg FamRZ 1988, 186; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 126, 127. 21 So zutreffend Günther ZZP 105 (1992), 20, 23. 22 BGH JZ 1969, 437, 438 zu § 24 StPO mit insoweit ablehnender Anm. Arzt; ebenfalls ablehnend Horn S. 125, der sich wohl zu Unrecht auf BGH NJW 1959, 55, 56 beruft; Krekeler NJW 1981, 1633, 1635; Stemmler S. 111 f. 23 Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 2. 24 BayObLG MDR 1988, 970 (Unterhalt); ähnlich wie hier Teplitzky JuS 1969, 318, 319. 25 BVerfGE 82, 30, 38; BVerfG MDR 2013, 294, 295; OLG Düsseldorf OLGReport 1992, 343; OLG Frankfurt NJW-RR 1998, 858; OLG Schleswig OLGReport 2004, 561. 26 So schon Rosenberg JZ 1951, 214, 215. 27 Der befangene Richter S. 17; ähnliches Ergebnis bei Wassermann NJW 1963, 429. 28 S. 70, gegen Wassermann NJW 1963, 429, 430, der einen Anteil von 50% angibt. 29 OLG Köln NJW-RR 2013, 382 = MDR 2013, 916.

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ist in folgenden Fällen für begründet erklärt worden: Nichtprotokollierung eines Beweisantrags mit der Bemerkung „Die Wahrheit interessiert mich nicht“;30 Vorwegnahme einer Beweiswürdigung mit den Worten, der Richter sei „kein Fan von der Ladung und Vernehmung naher Verwandter“ einer Partei;31 Erklärung, dass der Sachvortrag der Partei „Unsinn“ sei,32 dass man sich nicht jeden Unsinn anhören müsse33 oder „man habe keine Zeit, sich mit solchen Kinkerlitzchen aufzuhalten“;34 rechtliche Belehrung der Partei mit dem Hinweis „Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Dann bleiben Sie auf allem sitzen“;35 die Äußerung, das dauernde „Geschrei“ des Prozessbevollmächtigten sei für den Prozess nicht förderlich36 oder „die ZPO interessiert mich nicht“;37 schwere verbale Entgleisungen bei einem Vergleichsvorschlags: „Seien Sie vernünftig, sonst müssen wir Sie zum Vergleich prügeln“, „Gleich werden Sie an die Wand gestellt und erschossen“ und „Ich reiße Ihnen sonst den Kopf ab“;38 Bezeichnung der Beziehung einer Ehefrau zu einem anderen Mann als „Bratkartoffelverhältnis“;39 die Ansicht, das Gebaren des Beklagten sei eine „offensichtlich betrügerische Schiebung“;40 starke Unmutsäußerungen wegen des Widerrufs eines Vergleichs;41 unsachliche Randbemerkungen auf einem Schriftsatz;42 herabsetzende Äußerungen über einen Prozessbevollmächtigten in einem Aktenvermerk;43 Bemerkung, das Schreiben des Antragstellers „gehöre in den Abfalleimer“;44 abwertende Formulierungen im Sitzungsprotokoll45 oder in einem rechtlichen Hinweisschreiben;46 Tippen an die Stirn47 oder sonstige unangemessene Gestik und Mimik während des mündlichen Parteivortrags;48 die Äußerung, das Gericht gehe davon aus, dass keine Partei vor Gericht die volle Wahrheit sagt;49 die Frage, wie die Klägerin sicherstellen wolle, dass sie das eingeklagte Schmerzensgeld nicht für ihre Heroinsucht ausgeben werde;50 Kritik des Richters am Ablehnungsgesuch in seiner dienstlichen Änderung.51 Demgegenüber sind als noch hinnehmbar angesehen worden: die Erklärungen, die Ausführungen der Partei seien „rabulistisch“,52 „tricky“,53 „Brimborium“,54 „Wi-

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30 BVerfG MDR 2013, 294; s.a. OLG Celle BauR 2011, 721. 31 OLG Rostock OLGReport 2001, 130. 32 LSG Nordrhein-Westfalen NJW 2003, 2933 (in Abgrenzung zu der Bezeichnung des Vortrags als „unsinnig“). 33 OLG Hamburg MDR 1989, 71 (LS). 34 OLG Hamburg NJW 1992, 2036. 35 BGH NJW-RR 2007, 776. 36 OLG Nürnberg MDR 1967, 310. 37 LG Mönchengladbach NJW-RR 2004, 1003. 38 BAG NZA 2010, 1250 ff. 39 Anders OLG Schleswig SchlHA 1979, 51 und Schneider JurBüro 1979, 1126. 40 OLG Naumburg OLG Rspr. Bd. 25 (1912), 61. 41 LG Kiel AnwBl. 1964, 23. 42 OVG Koblenz NJW 1959, 906; OLG Hamm MDR 2001, 1443. 43 OLG Frankfurt NJW 2007, 928 = MDR 2007, 544. 44 LG Bayreuth NJW-RR 1986, 678. 45 OLG Celle MDR 1988, 970. 46 LSG Nds NJW 2010, 1630 (das Vorgehen der Partei sei „unkollegial und unseriös“); OLG Naumburg NJW-RR 2014, 1472 („es könnte der Rechtsfindung dienen, wenn Sachvortrag unterbliebe, der rechtlich völlig unerheblich ist“). 47 OLG Frankfurt FamRZ 1983, 630, 631. 48 OVG Lüneburg DRiZ 1974, 194. 49 E. Schneider Rdn. 259 ff. gegen OLG Zweibrücken MDR 1982, 940. 50 LG Essen NJW-RR 2003, 1719. 51 OLG Köln NJW-RR 2013, 1152. 52 OLG Frankfurt NJW 2004, 621. 53 OLG Düsseldorf AnwBl 1999, 236. 54 LSG Niedersachsen DRiZ 2008, 90.

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schiwaschi“;55 der Hinweis auf eine strafgerichtliche Verurteilung einer Partei;56 Wiedergabe von Parteivorbringen in Anführungszeichen, die als ironische Hervorhebung missverstanden wird;57 die Kommentierung der von der Partei zum Ausdruck gebrachten Erwartung, sie werde in dem Rechtsstreit obsiegen, mit den Worten „Da werden sie sich aber noch wundern“;58 die Kennzeichnung der Klageforderung als „utopisch“;59 die Äußerung „Schwanz einziehen“ als Kommentar zu dem Nichterscheinen einer Partei im Termin, deren persönliches Erscheinen angeordnet war;60 die Beschreibung des Prozessbevollmächtigen als „prozessunfähigen Psychopathen“, soweit hiermit nur ein Krankheitszustand beschrieben werden sollte (bedenklich).61 Das abrupte Unterbrechen eines Telefongesprächs durch Auflegen des Hörers aus Verärgerung über Wiederholungen reicht ebenfalls nicht, um eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.62 Völlig unbedenklich ist die nachdrückliche Ermahnung einer Partei zur Wahrheit. 63 Sie gehört zur Aufklärungspflicht. Unsachliche oder beleidigende Äußerungen des Richters gegenüber dem Prozess- 8 bevollmächtigten können gleichfalls einen Ablehnungsgrund schaffen.64 Das gilt nicht nur in dem Fall, dass die Äußerung den Prozessgegenstand betrifft, sondern auch dann, wenn die Äußerung gegenüber demselben Prozessbevollmächtigten in einem zeitnah geführten anderen Prozess erfolgt.65 Befangenheit wurde etwa bei einem unberechtigten Vorwurf standeswidrigen Verhaltens,66 bei einem ungewöhnlich aggressiven Auftreten des Richters,67 bei herabsetzenden Erklärungen bzw. entsprechenden Randbemerkungen an Schriftsätzen68 oder bei der Äußerung des Richters angenommen, der Prozessbevollmächtigte „verbrenne mit diesem Verfahren das Geld seines Mandanten“.69 Andererseits muss beim Verhalten des Richters gegenüber dem Prozessbevollmächtigten berücksichtigt werden, dass ein gewisses Spannungsverhältnis in der Natur der Sache liegt. Eine offene und eventuell auch verbal harte Auseinandersetzung über die Sache muss sich der Prozessbevollmächtigte gefallen lassen. Sachliche, selbst harte Kritik ist daher in jedem Fall unbedenklich. Das gilt auch dann, wenn sie sich auf die Art des Vorgehens des Prozessbevollmächtigten bezieht und Unmut bei ihm auslöst. Denn aus dieser Kritik ergibt sich keinesfalls, dass der Richter eine negative Einstellung gegenüber der Partei hat. Die Grenze ist allerdings erreicht, wenn der Richter die Art und Weise der Verfahrensführung des Anwalts derart kritisiert, dass hierdurch das Vertrauensverhältnis zum Mandanten gestört wird. Als Organ der Rechtspflege obliegt allein dem Anwalt die Entscheidung darüber, wie im konkreten Fall rechtlich vorzugehen ist. Der Richter kann zwar versuchen, diese Vorgehensweise in die richtigen Bahnen zu len-

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55 OLG München NJW-RR 2010, 274. 56 BGH NJW 2006, 2492, 2494. 57 OLG Stuttgart MDR 2003, 50. 58 OLG Naumburg MDR 2007, 794. 59 OLG Brandenburg FamRZ 1995, 1498. 60 OLG Stuttgart NJW-RR 2012, 960 = MDR 2012, 732. 61 Vergl. BGHZ 77, 73 = NJW 1980, 2530. 62 BayObLG MDR 1990, 343, 344. 63 OLG Zweibrücken FamRZ 1993, 576. 64 OLG Hamburg NJW 1992, 2036; OLG Frankfurt FamRZ 1994, 909; Günther ZZP 105 (1992), 20, 29. 65 Brandenburgisches OLG MDR 2000, 47. 66 LG Kassel AnwBl. 1986, 104; a.A. Günther ZZP 105 (1992) 20, 37 Fn. 116 u. Fn. 121. 67 Brandenburgisches OLG MDR 2000, 47. 68 Beispiel in OLG Nürnberg MDR 1967, 310; als noch hinnehmbar wurde vom OLG Karlsruhe Justiz 1986, 362 die Erklärung „Es gibt seit Jahren Anleitungsbücher für junge Rechtsanwälte für die ordnungsgemäße Bezeichnung der Akten und Anlagen“ angesehen. 69 OLG Köln NJW-RR 2013, 382 = MDR 2013, 916.

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ken. Negative oder gar herabsetzende Äußerungen sind aber auf jeden Fall fehl am Platze. Durch ihr eigenes Verhalten, z.B. durch eine Beleidigung des Richters oder durch 9 die Erstattung einer Strafanzeige, können die Partei bzw. ihr Prozessbevollmächtigter keinen Ablehnungsgrund provozieren.70 Soweit der Richter auf ein entsprechendes Verhalten in angemessener Weise reagiert, begründet dies keine Besorgnis der Befangenheit.71 Die Partei hätte es sonst in der Hand, einen ihr missliebigen Richter auszuschalten.72 Eine Ablehnung kommt in diesen Fällen nur dann in Betracht, wenn der Richter durch seine Reaktion zu erkennen gibt, dass er den Angriff nicht mit der notwendigen professionellen Distanz betrachtet und er deswegen der Partei nicht mehr unbefangen gegenübersteht. Die berechtigte Erstattung einer Strafanzeige wegen Beleidigung durch den Richter als Konsequenz auf die Kundgabe einer Nichtachtung oder Missachtung,73 die rechtlich korrekte Aussetzung des Verfahrens nach § 149 wegen des Verdachts eines Prozessbetruges, die Ankündigung einer Strafanzeige wegen dieses Verdachts und die tatsächliche Erstattung der Anzeige,74 die Mitteilung von einem laufenden Verfahren gegen die Partei bzw. ihren Prozessbevollmächtigen75 oder die Anregung von Schritten bei der Justizverwaltung gegen einen Rechtsanwalt, der sich gegenüber anderen Richtern abfällig geäußert haben soll,76 geben grundsätzlich keinen Anlass für eine Besorgnis der Befangenheit. Zweifel an der Unvoreingenommenheit können solche Handlungen erst dann auslösen, wenn weitere Umstände hinzukommen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Richter nicht sorgfältig geprüft hat, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, wenn er seine Entscheidung nur aufgrund des einseitigen Vorbringens der gegnerischen Partei ohne Gewährung des nötigen rechtlichen Gehörs77 oder nach einer vorschnellen Auswertung einer nur zum Teil durchgeführten Beweisaufnahme getroffen hat78 oder wenn er die Strafanzeige als Drohmittel einsetzt, um den Prozess schnell zu beenden. Erforderlich ist dabei allerdings, dass sich der geäußerte Verdacht nur gegen eine der Parteien richtet. Lässt der Richter offen, auf welche der Partei sich der Verdacht bezieht, kann keine von beiden rügen, der Richter sei gerade ihr gegenüber befangen.79 10

bb) Ratschläge und Hinweise. Erteilt der Richter rechtliche Hinweise, entsteht ein Spannungsverhältnis. Der Adressat soll durch den Hinweis Gelegenheit erhalten, sein prozessuales Vorgehen zu ändern bzw. anzupassen. Hierin liegt zwangsläufig eine Benachteiligung der anderen Partei. Es liegt daher nahe, dass sie hieraus den Vorwurf der Befangenheit ableitet. Andererseits verpflichtet das Gesetz den Richter zum Hinweis

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70 RG Recht 1927 Nr. 1865 zu § 24 StPO; BAG AP Nr. 2 zu § 42 ZPO mit Anm. Vollkommer; Zöller/ Vollkommer § 42 Rdn. 29; OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 763, 766. 71 OLG München NJW-RR 1988, 1534. 72 Günther ZZP 105 (1992), 20, 34 betont das auch parteiadressierte Fairnessgebot. 73 BAG AP Nr. 2 zu § 42 ZPO mit Anm. Vollkommer; OLG München NJW 1971, 384; OLG Koblenz MDR 2003, 524; Günther ZZP 105 (1992) 20, 40 mit weiteren zutreffenden Differenzierungen; Knoche MDR 2000, 371, 375; a.A. LG Aachen MDR 1965, 667 m. Anm. Teplitzky. 74 A.A. LG Würzburg MDR 1985, 850, und zwar sogar für den Fall, dass sich herausstellt, dass die Anzeige begründet war; Knoche MDR 2000, 371, 372. 75 OLG Brandenburg NJW-RR 2011, 710. 76 LG Bonn NJW 1973, 2069. 77 BVerfG NJW 2012, 3228, 3229 m.w.N.; OLG Frankfurt MDR 1984, 499 u. NJW-RR 1986, 1319, 1320 = MDR 1986, 943; OLG Hamm FamRZ 1992, 575; OLG Naumburg OLGReport 2005, 875; ähnlich Günther VerwArch. 1991, 179, 203 f.; noch strenger E. Schneider Rdn.13 ff.; zu großzügig die Sicht des Richters betonend, die im Ablehnungsrecht nicht maßgeblich ist: MünchKomm/Gehrlein § 42 Rdn. 29. 78 OLG Hamburg MDR 1989, 1000. 79 Brandenburgisches OLG MDR 1997, 779.

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(§§ 139, 273 Abs. 2 Nr. 136 Abs. 3). Kommt er dieser Pflicht nicht nach, ist sein Verfahren fehlerhaft. Soweit sein Urteil hierauf beruht, unterliegt es der Aufhebung. Vor diesem Hintergrund sind Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters nur dann gerechtfertigt, wenn der Hinweis nicht den gesetzlichen Pflichten entspricht bzw. nicht von diesen gedeckt ist.80 Zum Umfang der Hinweispflichten wird auf die Kommentierung zu den genannten 11 Vorschriften verwiesen (zur Frage der Befangenheit s. insbesondere § 139 Rdn. 60 ff.). Die Vereinfachungsnovelle hat keine allgemeine Beratungs- oder Fürsorgepflicht eingeführt und § 139 nicht geändert.81 Allein die objektive Rechtslage rechtfertigt keinen Hinweis, da der Zivilprozess von der Dispositions- und Verhandlungsmaxime beherrscht wird. Soweit es um die Geltendmachung von Rechtspositionen oder Einwendungen geht, besteht eine Hinweispflicht in der Regel nur, wenn nach dem Parteivorbringen Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Partei die Rechtspositionen geltend machen will. Der Hinweis muss demgemäß der jeweiligen Prozesssituation angepasst sein. Geben weder der Sachvortrag der Parteien noch andere nachvollziehbare Erwägungen Anlass zu dem Hinweis, setzt sich der Richter dem Vorwurf der Befangenheit aus. Das kann z.B. der Fall sein, wenn bereits vor Eingang der Klageerwiderung auf ein mögliches Mitverschulden hingewiesen wird, ohne dass nach dem Klägervorbringen Anhaltspunkte hierfür vorhanden waren.82 Grundsätzlich unproblematisch sind im Hinblick auf die Befangenheit dagegen Hinweise oder Meinungsäußerungen zu den Erfolgsaussichten des Verfahrens in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht,83 unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines Rechts-,84 Vergleichsgesprächs,85 eines schriftlichen Hinweises gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 1 oder im Rahmen eines Telefongesprächs mit dem Prozessbevollmächtigten bzw. der Partei erfolgen.86 Sie dienen der Förderung des Verfahrens, der Gewährung rechtlichen Gehörs und der Gewährleistung eines fairen Verfahrens.87 Die Besorgnis der Befangenheit ist in diesen Fällen vor allem dann fernliegend, wenn der Richter klarstellt, dass es sich zunächst um eine vorläufige Beurteilung handelt, die unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Kenntnis aller Umstände steht.88 Unbedenklich ist ferner ein Rat oder Hinweis zur Formulierung der Anträge (§ 139 Abs. 1 S. 2 letzte Alt.).89 Das gilt insbesondere bei einer schwierigen Rechtsmaterie.90 Im Einzelfall kann die zutreffende Formulierung sogar dem Interesse des Gegners dienen, z.B. bei einer Klarstellung des Klageantrags zur Eingrenzung der Rechtskraft bei einem stattgebenden Urteil. Demgegenüber kann die Besorgnis der Befangenheit begründet sein, wenn die Partei auf einen höheren Anspruch, 91 einen neuen Klagegrund 92 bzw. eine andere Begründungsmöglichkeit 93 oder die Möglichkeit hingewiesen wird, die Rechtsfolgen der Verspätung durch eine

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80 OLG Karlsruhe OLGZ 1978, 224, 226. 81 Prütting NJW 1980, 361, 362 f.; weitergehend MünchKomm/Peters § 139 Rdn. 16. 82 OLG München NJW-RR 2012, 309. 83 BVerfG NJW 2011, 3637 Rdn. 19; BVerwG NJW 1979, 1316 (LS); KG FamRZ 1979, 322; OLG Naumburg OLGReport 2007, 334; OLG Karlsruhe MDR 2008, 1235; LSG Nordrhein Westfalen NZA 1991, 30 (LS). 84 OLG Karlsruhe OLGZ 1987, 248; OLG Köln MDR 1959, 396 (LS). 85 OLG Köln NJW 1975, 788; OLG Stuttgart Justiz 1973, 92, 93; LG Hamburg MDR 1966, 421. 86 OLG Bremen NJW-RR 2013, 573. 87 BVerfG NJW 2011, 3637 Rdn. 19. 88 BayObLG NJW-RR 2000, 748; OLG Rostock OLGReport 2004, 146. 89 OLG Stuttgart NJW 2001, 1145 (Hinweis auf Unschlüssigkeit eines Antrags). 90 OLG Köln NJW-RR 1993, 1277 (Antragsfassung in einer Wettbewerbssache). 91 KG FamRZ 1990, 1006 (unzulässiger Hinweis auf höheren Unterhaltsanspruch) mit abl. Anm. Peters, der für diesen Fall eine Hinweispflicht nach § 139 annimmt. 92 KG JW 1931, 87 (Nr. 14): Mitteilung eines der klagenden Partei unbekannten Ehebruchs. 93 OLG Köln VersR 1992, 380.

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Flucht in die Säumnis abzuwenden.94 Der Richter darf auch nicht speziell auf die Möglichkeit neuen Zeugenbeweises hinweisen95 oder gar den Rat erteilen, Anschlussberufung einzulegen.96 Bei fehlender Begründung der Aktivlegitimation darf der Richter nicht eine Abtretung nahelegen.97 Wird allerdings die Abtretung behauptet, ist die Frage, ob es hierüber eine Urkunde gibt oder ob andere Beweismittel vorliegen, unproblematisch. Als unbedenklich sind angesehen worden der Hinweis auf die Schonfrist des § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB im Räumungsprozess gegenüber dem verklagten Mieter,98 auf die Notwendigkeit der Ausübung des Wahlrechts gemäß § 463 BGB a.F.99 und der Rat, gegen den anwaltlich vertretenen Gegner kein Versäumnisurteil zu beantragen.100 Für die Verpflichtung zum Hinweis kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die Partei anwaltlich vertreten ist (zur Ausnahme bei der Verjährung s. allerdings Rdn. 13).101 Gegenüber Minderjährigen bestehen keine weitergehenden Hinweispflichten, da für sie der gesetzliche Vertreter handelt.102 Völlig unbedenklich ist auch der gemäß § 522 Abs. 2 vor einer Zurückweisung der 12 Berufung gebotene rechtliche Hinweis, dass der Berufung keine Erfolgsaussicht zugemessen wird.103 Das gilt sowohl für eine dort vorgenommene rechtliche Bewertung als auch für die Würdigung einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme im Hinblick auf die Voraussetzungen von § 529 Abs. 1 Nr. 1. Soweit es um die Bewertung der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen und der hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung geht, liegt eine ähnliche Situation vor wie bei der vorläufigen Bewertung einer Beweisaufnahme gemäß § 279 Abs. 3. Hier wie dort ist der Richter verpflichtet, den Sach- und Streitstand mit den Parteien zu erörtern und dabei das Ergebnis einer Beweisaufnahme einzubeziehen. Geht die Tatsachenbewertung zu ihrem Nachteil aus, kann die Partei aus der Erfüllung dieser Pflicht nicht ableiten, dass der Richter ihr gegenüber voreingenommen sei.104 Im Hinblick auf den Gegner ist es vielmehr seine Aufgabe, ihr Vorbringen kritisch zu bewerten. Eine Befangenheit kommt daher allenfalls dann in Betracht, wenn der Richter den Eindruck erweckt, dass er vernünftigen Argumenten nicht zugänglich und nicht mehr bereit ist, seine Ansicht bis zur Urteilsfällung zu korrigieren.105 Die Tatsache, dass der Richter im Rahmen einer vorläufigen Beweiswürdigung Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer Partei äußert, kann ohne Hinzutreten weiterer Umstände ebenfalls keine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.106

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94 OLG München NJW 1994, 60. 95 Stürner Rdn. 72; a.A. OLG Frankfurt NJW 1976, 2025; E. Schneider Rdn. 255. 96 KG JW 1931, 1104 (Nr. 5); Teplitzky JuS 1969, 318, 322; OLG Rostock NJW-RR 2002, 576; s.hierzu auch Deubner JuS 2002, 686 u. Rensen MDR 2002, 1175. 97 OLG Frankfurt NJW 1970, 1884 mit abl. Anm. Schneider; zustimmend Dittmar NJW 1971, 56; Stürner Rdn. 64; a.A. OLG Frankfurt MDR 2007, 674. 98 OLG Hamburg ZMR 1988, 225 f. 99 OLG Düsseldorf NJW 1993, 2542. 100 KG JW 1931, 88 (Nr. 15) mit Anm. Bauer-Mengelberg. 101 A.A. LG Oldenburg MDR 1973, 680; offengelassen von OLG Bremen NJW 1986, 999 hinsichtlich eines Verjährungshinweises. 102 A.A. LG Oldenburg MDR 1973, 680. 103 KG MDR 2007, 1216; KG MDR 2008, 1062. 104 OLG Bamberg OLGReport 2001, 89. 105 Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1956, 557: er, der Richter, habe sich aufgrund privaten Augenscheins bereits eine bestimmte Meinung über den Streitgegenstand gebildet; KG FamRZ 1979, 322; BPatG GRUR 1983, 503, 504. 106 OLG Bamberg OLGReport 2001, 89.

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Problematisch sind Hinweise auf Gestaltungsrechte oder materielle Einreden (z.B. 13 Zurückbehaltungsrecht) und insbesondere auf die Einrede der Verjährung.107 Nach geltendem Recht ist es allein Sache der Partei, sich auf Verjährung zu berufen. Bei unklaren Äußerungen muss das Parteivorbringen zunächst ausgelegt werden.108 Das Problem stellt sich erst, wenn diese Auslegung nicht weiterführt. Wird die Partei in dieser Situation auf den Verjährungsablauf hingewiesen, handelt es sich um eine verfahrensrechtlich nicht gebotene Hilfestellung und damit um einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht. Der hierauf gegründete Vorwurf der Befangenheit wird nicht dadurch entkräftet, dass ein Teil der Rechtsprechung und der Literatur den Hinweis auf die Einrede für zulässig oder sogar für geboten hält.109 Der Hinweis auf die Verjährungseinrede ist auch dann nicht gestattet, wenn sich anwaltlich vertretene Partei auf Verwirkung berufen hat.110 Der Einwand der Verwirkung kann grundsätzlich nicht in eine Verjährungseinrede umgedeutet werden.111 Zwar erfordern beide Rechtsinstitute einen entsprechenden Zeitablauf, anderseits handelt es sich aber um unterschiedliche Verteidigungsmittel. Großzügiger muss dann verfahren werden, wenn eine Partei nicht anwaltlich vertreten ist. Die förmliche Erhebung der Einrede kann in diesem Fall nicht verlangt werden. In diesem Fall kommt es darauf an, ob das Vorbringen der Partei Anhaltspunkte dafür enthält, dass sie aus dem Zeitablauf allgemein Rechte ableiten will. Soweit es um die Art und Weise der Hinweiserteilung geht, muss berücksichtigt 14 werden, dass dem Richter bei der Gestaltung des Rechtsgesprächs im Termin bzw. der Formulierung schriftlicher Mitteilungen ein weiter Spielraum zur Verfügung steht. Dabei müssen die Parteien auch etwaige persönliche Eigenarten des Richters hinnehmen.112 Im Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung müssen sie sich klare Worte gefallen lassen. Der Richter ist daher nicht etwa gehalten, zur Vermeidung eines Befangenheitsgesuchs seine Formulierungen im Ungefähren zu lassen.113 Ist er bei seiner rechtlichen Prüfung bereits zu einer konkreten Beurteilung gelangt, kann er dieses Ergebnis mitteilen und sich eindeutig äußern. Weiterhin darf der Richter aus seiner Beurteilung die nötigen prozessualen Konsequenzen ziehen und konkrete Vorschläge machen, also z.B. zur Rücknahme der Klage, eines Rechtsmittels,114 zur Erledigungserklärung,115 zum Anerkenntnis oder zum Vergleich raten.116 Eine Besorgnis der Befangenheit kann bei solchen Hinweisen allenfalls dann entstehen, soweit der Richter den Eindruck entstehen lässt, dass er sich bereits endgültig festgelegt hat und sachliche Argumente nutzlos sind.

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107 BGHZ 156, 269 = NJW 2004, 164, 165 mit Anm. Rensen MDR 2004, 489; OLG Bremen NJW 1986, 999; OLG Hamburg NJW 1984, 2710 mit abl. Anm. Schneider MDR 1984, 945; OLG Köln MDR 1979, 1027; Brehm Die Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung (1982), S. 223 ff.; Thomas/Putzo/Hüßtege § 42 Rdn. 12; Jauernig § 14 II, § 25 VII; Prütting NJW 1980, 361, 364 f.; Schilken Rdn.57; Stürner Rdn. 80; a.A. OLG Köln NJW-RR 1990, 192; BayObLG NJW 1999, 1875 (zum früheren WEG-Verfahren); OLG Frankfurt OLGReport 2001, 146; OLG Naumburg OLGReport 2002, 105; KG NJW 2002, 1732; Laumen Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß (1984), S. 219, 224; Peters S. 135; ders. JZ 1988, 504; Riedel S. 170 ff., 184; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 25 II 2b; Roth Die Einrede des Bürgerlichen Rechts (1988), S. 279 ff.; Schneider NJW 1986, 1316; Wacke/Seelig NJW 1980, 1170; MünchKomm/Gehrlein § 42 Rdn. 33; Zöller/Vollkommer § 42 Rdn. 27. 108 Dazu Roth Die Einrede des Bürgerlichen Rechts (1988) S. 281. 109 BGH NJW 2004, 164 = MDR 2004, 167. 110 OLG Hamm MDR 2013, 1121. 111 BGH NJW-RR 2009, 1040 = MDR 2009, 945. 112 OLG Bamberg OLGReport 2001, 238. 113 OLG München MDR 2004, 52; OLG Hamm MDR 2010, 1282. 114 A.A. OLG Oldenburg NJW 1963, 451: (Ratschlag außerhalb der mündlichen Verhandlung). 115 A.A. VGH Kassel NJW 1983, 901; andererseits KG OLGZ 1977, 479. 116 OLG Stuttgart MDR 2000, 50.

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Bei der Erteilung von Hinweisen ist stets das Gebot der Waffengleichheit zu wahren. Die gegnerische Partei hat einen Anspruch darauf, dass sie dieselben Informationen erhält wie die Partei, an die sich der Hinweis richtet.117 Schriftliche Hinweise sind daher ausnahmslos an beide Partei zu richten. Erfolgt der Hinweis in einem Telefongespräch, muss der Gegner anschließend hiervon schriftlich oder mündlich in Kenntnis gesetzt werden. Geschieht dies nicht, liegt hierin ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot bzw. die Neutralitätspflicht. Dieser kann eine Ablehnung rechtfertigen.118 Unabhängig hiervon ist es zur Vermeidung von Rechtsmittelrügen bei mündlichen Hinweisen unerlässlich, einen Aktenvermerk über ihren Inhalt und die entsprechende Unterrichtung der Gegenpartei zu machen. Ein anderer Maßstab als für das Gespräch mit den Parteien gilt für rechtliche Äuße16 rungen, die der Richter außerhalb der mündlichen Verhandlung gegenüber Dritten – etwa gegenüber der Presse – macht. In diesem Rahmen ist größte Zurückhaltung geboten. Teilt der Richter den voraussichtlichen Ausgang des Prozesses mit – etwa als Ergebnis einer Vorberatung –, rechtfertigt dies den Vorwurf der Befangenheit.119 Geschieht die Informationserteilung über den Prozess ausnahmsweise durch den erkennenden Richter und nicht durch den Pressesprecher, müssen sich die Mitteilungen strikt auf das beschränken, was in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist. 17

cc) Verfahrensführung. In der Art und Weise der Verfahrensleitung ist der Richter weitgehend frei. Eine von der üblichen Handhabung abweichende, aber gesetzeskonforme Handhabung des Verfahrensrechts müssen die Parteien hinnehmen, wie z.B. eine restriktive Handhabung von Fristverlängerungsanträgen (Einzelheiten hierzu s. Rdn. 20 ff.). Eine Besorgnis der Befangenheit kommt erst dann in Betracht, wenn der Richter den zulässigen Gestaltungsrahmen verlässt und sein Verfahren grob fehlerhaft ist. Einfache Verfahrensfehler, die jedem Richter unbeabsichtigt unterlaufen können, sind unberücksichtigt zu lassen. Sie geben keinen Anlass für die Befürchtung, dass der Richter eine unsachliche Einstellung hat.120 Denn die Befangenheitsablehnung darf nicht dazu führen, dass über diesen Umweg eine Kontrolle des Verfahrens stattfindet. Eine versehentlich unterbliebene Terminsnachricht,121 die Verkündung eines Urteils vor Ablauf einer Frist für einen nachgelassenen Schriftsatz,122 eine zu kurz bemessene Frist für eine Erwiderung123 oder die aus Sicht der Partei ungerechtfertigte Zurückweisung eines Fristverlängerungsantrags rechtfertigen für sich allein noch keine Befangenheit. Eine Befangenheit ist erst dann zu besorgen, wenn besondere Umstände hinzukommen. Solche Umstände können darin liegen, dass sich die Gestaltung des Verfahrens so weit von den allgemein anerkannten Grundsätzen entfernt, dass sie aus der Sicht der betroffenen Partei nicht mehr verständlich erscheint und dadurch der Eindruck einer willkürlichen oder jedenfalls einer sachfremden Einstellung entsteht124 oder dass der Richter die Parteien ungleich behandelt.125

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117 OLG Celle OLGReport 2002, 172. 118 OLG Naumburg OLGReport 2007, 334. 119 OLG Celle MDR 2001, 767; ausführlich zur Frage der Befangenheit beim Umgang des Richters mit Presseorganen s. BGH NJW 2006, 3290 ff. 120 BayObLGZ 1986, 249, 253; DRiZ 1977, 244, 245; OLG Karlsruhe OLGZ 1978, 225; FamRZ 1989, 642; OLG Frankfurt FamRZ 1993, 1467. 121 OLG Köln MDR 2001, 891. 122 LG Traunstein NJW-RR 2005, 1088. 123 OLG Karlsruhe MDR 2008, 1235. 124 KG NJW-RR 2006, 1577; OLG Hamm MDR 2013, 1425, 1426. 125 OLG Hamburg NJW 1992, 1462, 1463 a.E.; Riedel S. 159 f.

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Befangenheitsanträge aufgrund der Verfahrensführung sind in folgenden Fällen für 18 begründet erachtet worden: Häufung prozessualer Fehler zum Nachteil einer Partei;126 offensichtlich mangelndes Bemühen um die richtige Rechtsanwendung, so dass der Anschein der Willkür entsteht;127 Verletzung der Neutralitätspflicht dadurch, dass die Anträge einer Partei protokolliert und die der anderen übergangen werden;128 einseitiger rechtlicher Hinweis zur Erfolgsaussicht ohne gleichzeitige Information des Gegners;129 extreme Verzögerung eines Eilverfahrens, die auf eine Verweigerung von Rechtsschutz hinausläuft;130 mangelnde Bereitschaft, Prozessvorbringen zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen;131 evident mangelnde Sorgfalt bei der Bearbeitung der Sache;132 besonders schwerwiegender Verfahrensverstoß, der den Anschein der Willkür erweckt;133 Aufforderung des abgelehnten Richters, das Ablehnungsgesuch mit dem Direktor bzw. Präsidenten des Gerichts zu besprechen;134 Einholung einer Auskunft im Rahmen einer verfahrensrechtswidrigen Amtsermittlung;135 grundlose Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht kombiniert mit der Versagung rechtlichen Gehörs;136 grob verfahrensfehlerhafte Gestaltung der Beweisaufnahme;137 grundlose Anforderung eines weiteren Auslagenvorschusses, so dass die Partei den Eindruck hat, sie solle ökonomisch unter Druck gesetzt werden;138 Vernehmung eines Zeugen außerhalb der Verhandlung ohne Anwesenheit der Parteien und anschließende Weigerung, den Zeugen zur Heilung des Verfahrensfehlers erneut vor dem Prozessgericht zu vernehmen;139 Grundlose Verschleppung des Prozesses und Nichtreaktion auf mehrere Gesuche auf Akteneinsicht;140 Beantwortung eines Befangenheitsantrags mit der Frage, ob die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter ihm (dem Richter) intellektuell folgen könne;141 Weigerung des Richters, nach Aufhebung und Zurückverweisung die bindenden Vorgaben des Rechtsmittelgerichts zu befolgen;142 die Weigerung des Richters, Anträge entgegenzunehmen und zu protokollieren143 oder ergänzende Erklärungen zur Sach- und Rechtslage in das Protokoll aufzunehmen;144 die Zurückweisung eines im Termin überreichten Schriftsatzes145 bzw. die

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126 OLG Karlsruhe MDR 1991, 1195. 127 BayObLG FamRZ 1979, 737, 739; 1988, 743, 744; MDR 1988, 1063. 128 OLG Köln MDR 1998, 1370 = FamRZ 1998, 1444. 129 OLG Celle OLGR 2002, 172. 130 OLG Hamm NJW-RR 1999, 1291 = FamRZ 1999, 936. 131 OLG Hamm VersR 1978, 646; OLG Oldenburg FamRZ 1992, 192; OLG Hamm MDR 2013, 1425, 1426. 132 OLG Oldenburg FamRZ 1992, 192. 133 OLG Frankfurt NJW 1972, 2310 = FamRZ 1972, 566; OLG Saarbrücken OLGReport 2003, 362 (Übergehen eines Klageantrags genügt nicht). 134 OLG Schleswig OLGZ 1993, 479. 135 OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 763, 766; OLG Zweibrücken FamRZ 1994, 908 m. Anm. Gottwald; LG Göttingen NJW-RR 2001, 64; zur Teilnahme des Richters als Zuhörer bei einer Strafverhandlung über den Sachverhalt, über den er als Zivilrichter zu entscheiden hat s. OLG Karlsruhe MDR 2008, 466 = VersR 2008, 842. 136 BayObLG NJW-RR 2001, 642. 137 Beispiel: OLG Celle OLGReport 2001, 35; andererseits: KG OLGReport 2001, 236; OLG Celle MDR 2009, 1130. 138 OLG München NJW-RR 2013, 123. 139 OLG Frankfurt OLGReport 2001, 169. 140 OLG Bamberg OLGReport 2000, 114; kritisch insoweit Kroppenberg ZZP 2006, 17, 187. 141 OLG Saarbrücken MDR 2005, 473. 142 OLG München MDR 2003, 1070. 143 OLG Köln OLGZ 1971, 376, 379. 144 OLG Naumburg OLGReport 2005, 830; LG Mönchengladbach NJW-RR 2004, 1003 (Ls). 145 KG OLGReport 2001, 266.

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Weigerung, diesen zur Kenntnis zu nehmen146 oder weiter zu leiten;147 die Untätigkeit des Richters, wenn er trotz mehrerer Erinnerungsschreiben ohne Begründung einen Antrag pflichtwidrig nicht bearbeitet;148 die Wortentziehung gegenüber dem Rechtsanwalt, weil dieser um die wörtliche Niederschrift einer Zeugenaussage gebeten hatte;149 das Abschneiden von Parteivortrag mit der Begründung, ihr Vorbringen sei bereits bekannt, nachdem die Partei zuvor mehrfach in ihrem Vortrag unterbrochen worden war;150 die Weigerung, eine offenbar akustisch nicht verstandene Äußerung zu wiederholen; 151 Anordnung der Parteivernehmung nach § 448, ohne dass die Voraussetzungen ersichtlich sind, bei gleichzeitiger Verweigerung einer Begründung;152 Festsetzung eines willkürlich überhöhten Kostenvorschusses für ein Sachverständigengutachten;153 Augenscheinseinnahme außerhalb der mündlichen Verhandlung unter Hinzuziehung nur einer Partei ohne Ladung der anderen;154 Anordnung eines psychiatrischen Gutachtens zur Prüfung der Prozessfähigkeit einer Partei, ohne dass zuvor eine persönliche Anhörung stattgefunden hat;155 schwerwiegende Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs.156 19 Beispiele für erfolglos gebliebene Befangenheitsgesuche sind: Äußerung des Richters anlässlich einer Beweisaufnahme über den Beweiswert einer Aussage und anschließender Nichtzulassung weiterer (auch berechtigter) Fragen;157 Duldung von Pausengesprächen zwischen Partei und Zeugen;158 Anordnung einer belastenden körperlichen Untersuchung gegen den Willen der Partei;159 Einnahme des Augenscheins ohne Zuziehung der Parteien zur Vorbereitung des Termins und zur vorläufigen Meinungsbildung;160 Sitzungspolizeiliche Maßnahmen, auch bei offensichtlichem Ermessensfehlgebrauch, mit Ausnahme von Willkür;161 Bemühungen um das Erscheinen eines Anwalts zur Vermeidung eines Versäumnisurteils;162 Anruf bei der säumigen Partei und Zuwarten auf ihr Erscheinen jedenfalls für den Fall, dass der Gegner weder einen Vertagungsantrag noch einen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gestellt hat;163 Bitte an einen anderen Anwalt, für den fehlenden Kollegen aufzutreten,164 sofern die Gegenpartei damit einverstanden ist;165 Wortentzug nach längerer Anhörung der Partei, wenn keine

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146 OLG Frankfurt NJW-RR 2008, 1080. 147 LG Verden AnwBl. 1980, 290; zum Umgang mit einem Schriftsatz, der beleidigenden Inhalt hat s. LG Frankenthal FamRZ 1977, 562. 148 OLG Hamm JMBl. NRW 1976, 111; OLG Oldenburg FamRZ 1992, 192; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 46; s. andererseits OVG Münster NJW 1993, 2259. 149 OLG Nürnberg AnwBl. 1962, 282. 150 In einem obiter dictum BVerwG NJW 1980, 1972, 1973. 151 LG Kiel SchlHA 1985, 178 (LS). 152 OLG Köln NJW 1972, 953. 153 OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 102, 103. 154 LG Berlin MDR 1952, 558. 155 OLG Frankfurt OLGReport 2004, 99; zur Anhörungspflicht s. BGH NJW 2000, 290; BSG NJW 1994, 215. 156 OLG Hamm MDR 2013, 1425,1426 (Übergehen des wesentlichen Angriffspunkts einer Partei). 157 OLG Köln JR 1957, 185; ähnlich KG MDR 1993, 797. 158 KG OLGReport 2001, 236. 159 OLG Köln VersR 1980, 93. 160 OLG Düsseldorf MDR 1956, 557. 161 Molketin MDR 1984, 20, 22; LG Berlin MDR 1982, 154; LG Landau StV 1989, 148 zu § 24 StPO. 162 OLG Hamburg NJW 1961, 128; LG Berlin AnwBl. 1978, 419: fernmündliche Rückfrage im Büro; E. Schneider DRiZ 1978, 42, 46. 163 OLG Brandenburg MDR 2012, 429. 164 A.A. OLG Königsberg JW 1916, 62 mit abl. Anm. Koffka. 165 Schneider MDR 1983, 187, 188; allerdings darf von der erschienen Partei keine übermäßig lange Warteizeit verlangt werden – LG Mannheim JR 1968, 341: mehr als 1 Stunde.

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weitere Aufklärung zu erwarten ist;166 Ausschließung eines Rechtsanwalts von der Vertretung im Termin, der sich weigert, eine Robe als Amtstracht zu tragen, soweit zuvor Gelegenheit zur Korrektur gegeben worden war.167 Konfliktstoff zwischen Anwalt und Gericht und mitunter Anlass für Ablehnungsan- 20 träge schaffen Anträge auf Terminsverlegung oder Fristverlängerung. Die Instanzgerichte neigen dazu, Verlegungs- oder Verlängerungsanträge restriktiv zu handhaben, um einen zügigen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Andererseits geben vielfach interne Sachzwänge beim Anwalt (Kontaktschwierigkeiten mit dem Mandanten, Krankheit, Arbeitsbelastung) den Grund für einen entsprechenden Antrag. Wird er zurückgewiesen, kann das Institut der Befangenheit missbraucht werden, um über den Umweg dieses Zwischenverfahrens im Ergebnis die beantragte Fristverlängerung oder das Hinausschieben eines Termins zu erreichen. Dies muss verhindert werden. Liegt ein solcher Missbrauch vor, kann das Befangenheitsgesuch vom erkennenden Gericht als unzulässig verworfen werden.168 Bei einer übermäßigen Strenge des Gerichts kann allerdings im Einzelfall aus Sicht der betroffenen Partei durchaus der Eindruck gerechtfertigt sein, dass mit der Zurückweisung des Antrags ihren Belangen nicht ausreichend Rechnung getragen wird, und zwar auch in Anbetracht einer Vermeidung von Verzögerungen. Das gilt insbesondere dann, wenn das Gleichbehandlungsgebot missachtet wird.169 Die Rechtsprechung geht bei Terminsverlegungs- oder Fristverlängerungsanträ- 21 gen von folgenden Grundsätzen aus: Sind die notwendigen Voraussetzungen für eine Termins- oder Friständerung nicht dargelegt, scheidet bei einer Zurückweisung eines entsprechenden Antrags die Besorgnis der Befangenheit von vornherein aus.170 Ist ein Grund vorgetragen, der üblicherweise zur Stattgabe eines entsprechenden Gesuchs führt, kann die Zurückweisung für sich betrachtet ebenfalls noch keinen Anlass bieten, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln.171 Insbesondere hilft ein Hinweis auf die Handhabung anderer Gerichte nicht weiter. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die im Einzelfall nahelegen, dass sachfremde Erwägungen eine Rolle gespielt haben.172 Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn zuvor einem Gesuch der Gegenpartei bei ähnlicher Begründung stattgegeben worden war173 oder wenn auch nach nachdrücklichem Widerspruch der Partei eine nur geringfügige und damit nicht verzögernd wirkende Fristverlängerung aus nicht nachvollziehbaren Gründen verweigert wird.174 Beruht demgegenüber die Zurückweisung des Gesuchs auf einer Abwägung der einzelnen Umstände, kann die benachteiligte Partei auch dann nicht mit Erfolg eine Befangenheit geltend machen, wenn das Fristverlängerungsgesuch objektiv berechtigt war.175

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166 OLG Köln NJW 1975, 788. 167 OLG Braunschweig NJW 1995, 2113 = DRiZ 1995, 482. 168 OLG Frankfurt NJW 2009, 1007; s. aber auch OLG Dresden MDR 2010, 951. 169 OLG Brandenburg NJW-RR 1999, 1291. 170 OLG Köln OLGReport 2004, 404. 171 BayObLG MDR 1986, 416; NJW-RR 1988, 191; MDR 1990, 343; OLG Brandenburg NJW-RR 1999, 1291; OLG Brandenburg FamRZ 2002, 1042; OLG Köln OLGReport 2004. 404 (Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung bei nicht ausreichendem Nachweis der Verhinderung); im Einzelfall bejahend: OLG Koblenz MDR 1991, 448; OLG Oldenburg NJW-RR 2013, 959; OLG Hamm BeckRS 2013, 15965; strenger (ausführlich) E. Schneider Rdnr. 185 ff. 172 OLG Schleswig NJW 1994, 1227; OLG Zweibrücken OLGReport 1999, 93; OLG Naumburg NJW-RR 2002, 502; OLG Köln MDR 2003, 170; OLG Celle OLGReport 2005, 451 (Zurückweisung eines Verlegungsantrags neben einer Reihe von anderen Umständen); KG MDR 2005, 708; KG NJW 2006, 2787. 173 OLG Köln MDR 2003, 170. 174 Thüringer OLG BauR 2004, 1815. 175 OLG Naumburg NJW-RR 2002, 502 (Urlaubspläne des Prozessbevollmächtigten kontra Interesse der gegnerischen Partei an baldiger Erledigung); bedenklich auch OLG Köln MDR 2010, 283 (Verweigerung

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Bei der Beurteilung dieser Umstände darf das gemäß § 45 Abs. 1 zur Entscheidung berufene Gericht nicht seinen eigenen Maßstab zugrunde legen. Denn sonst würde es über den Umweg der Befangenheit eine ansonsten nicht anfechtbare verfahrensleitende Maßnahme korrigieren. Das Rechtsschutzbedürfnis der Partei für eine Entscheidung über ihr Ablehnungsgesuch entfällt nicht etwa dadurch, dass der Termin oder die Frist später aus anderen Gründen hinausgeschoben werden muss.176 Ist die Besorgnis der Befangenheit tatsächlich berechtigt, besteht sie fort, auch wenn sich die zum Anlass der Ablehnung genommene Maßnahme anderweit erledigt. Eine Voreingenommenheit kann bei der Zurückweisung von Terminsverlegungs22 oder Fristverlängerungsanträgen nicht damit begründet werden, dass die antragstellende Partei vor dem bereits anberaumten Termin keine ausreichende Gelegenheit hatte, auf einen gegnerischen Schriftsatz zu erwidern oder zu einem Beweisergebnis Stellung zu nehmen.177 Die Schlussfolgerung, der Partei solle durch die Zurückweisung des Antrags weiterer Vortrag abgeschnitten werden, ist fernliegend. Auch bei neuem Vortrag der Gegenseite kann es durchaus sinnvoll sein, an einem bereits anberaumten Termin festzuhalten. Eventuell hält das Gericht eine Erwiderung auf das neue Vorbringen für entbehrlich, weil es unerheblich ist. Bei Erheblichkeit kann dem Interesse des Antragstellers auf Stellungnahme damit Genüge getan werden, dass ihm gemäß § 283 ein Schriftsatznachlass gewährt wird. Etwas anders kann die Sache zwar liegen, wenn der Partei durch die Zurückweisung eines Verlegungsantrags eine zeitgerechte Stellungnahme auf ein kurz zuvor übersandtes Sachverständigengutachten erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. Auch in diesem Fall werden aber durch ein Festhalten am Termin die prozessualen Rechte der Partei in aller Regel nicht beeinträchtigt. Das gilt selbst dann, wenn der Sachverständige im Termin zu seinem Gutachten befragt werden soll. Der Anspruch der Partei, sich ausreichend auf die Befragung vorzubereiten oder zu dem Gutachten schriftsätzlich Stellung zu nehmen, bleibt unabhängig von dem Termin bestehen. Ist auch nach Durchführung des Termins Erörterungsbedarf vorhanden, kann in entsprechender Anwendung von §§ 283, 139 Abs. 5 ein Schriftsatznachlass gewährt werden. Bei entsprechendem Vorbehalt ist die Partei weiterhin auch danach nicht gehindert, eine Frist zu ergänzendem Vortrag einzufordern, um ggf. ein Privatgutachten einzuholen oder um sich auf eine Befragung des Sachverständigen besser vorbereiten zu können. Ggf. muss ein neuer Termin anberaumt werden, damit die Partei dort ihre Einwendungen vorbringen kann. Eventuell muss hierzu der Sachverständige erneut geladen werden. Alles dies folgt aus dem Gebot zur Gewährung des rechtlichen Gehörs, dessen selbstverständliche Beachtung durch das Gericht die Partei zunächst einmal voraussetzen muss. Anlass für ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit kann die Verweigerung der Terminsverlegung daher nur dann geben, wenn andere Umstände hinzukommen, die den Schluss nahelegen, dass der Partei mit der Art der Verfahrensgestaltung ein sachgerechter Prozessvortrag abgeschnitten werden soll.178 23 Aus der Art und Weise der dienstlichen Äußerung zum Ablehnungsgesuch (§ 44 Abs. 3) kann sich ein (neuer) Ablehnungsgrund ergeben. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die Äußerung Fehler bei der Darstellung des Verfahrensverlaufs ent-

_____ einer Terminsverlegung, die mit dem Wunsch auf Teilnahme an einem Betriebsausflug begründet worden war). 176 LG Münster NJW 2001, 3731; a.A. OLG Frankfurt NJW 2008, 1328, 1329. 177 OLG Hamm MDR 2010, 1282. 178 A.A. OLG Köln NJW-RR 2000, 591, das die Durchführung der Beweisaufnahme in einem solchen Fall als verfahrensfehlerhaft und damit als taugliche Grundlage für ein Ablehnungsgesuch ansieht.

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hält.179 Allein die von der Schilderung der Partei abweichende Darstellung des Verhandlungsablaufs reicht allerdings nicht aus.180 Die Besorgnis der Befangenheit wird auch nicht allein dadurch begründet, dass der Richter Auskünfte verweigert, die zur Ausforschung seiner persönlichen Verhältnisse zwecks Ermittlung von Ablehnungsgründen dienen sollen.181 Ein Ablehnungsgrund kann sich aber aus unsachlichen Bemerkungen in der dienstlichen Äußerung182 oder aus einem Verstoß gegen die Wartepflicht nach § 47 ergeben,183 wobei stets die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind.184 Befangenheit kann z.B. vorliegen, wenn die Verfahrensweise des Richters den Eindruck nahelegt, dass ihm das Ablehnungsgesuch egal sei und dass er das laufende Ablehnungsverfahren nicht zu berücksichtigen brauche.185 dd) Fachkompetenz. Zweifel an den fachlichen Fähigkeiten des Richters können 24 grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund schaffen.186 Fehler bei der Rechtsanwendung können jedem Richter passieren und bilden daher kein Indiz dafür, dass der Richter gegenüber einer Partei voreingenommen ist.187 Eine Befangenheit folgt auch nicht aus der Äußerung einer Rechtsansicht, die höchstrichterlich für falsch erklärt worden ist,188 oder aus einem Verstoß gegen Denkgesetze.189 Für die Überprüfung steht in solchen Fällen nur die Rechtsmittelinstanz zur Verfügung. Eine Besorgnis der Befangenheit kann sich aber dann ergeben, wenn der Richter auch nach entsprechendem Hinweis der Partei an einer Rechtsauffassung festhält, die durch obergerichtliche Rechtsprechung oder aus anderen Gründen offensichtlich keine Geltung mehr beanspruchen kann190 und er sich damit so weit von allgemein anerkannten Grundsätzen entfernt, dass seine Entscheidung aus Sicht der Parteien nicht mehr verständlich erscheint.191 Eine derartige Handhabung lässt befürchten, dass sich der Richter von einer unsachlichen Einstellung gegenüber einer Partei leiten lässt oder sogar willkürlich entscheiden will.192 Diese Befürchtung besteht ferner auch dann, wenn sich der Richter bewusst über die Bindungs-

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179 OLG Köln NJW-RR 1986, 419, 420; OLG Frankfurt MDR 1978, 409. 180 Vgl. dagegen LG Bochum AnwBl. 1978, 101, 102: unterschiedliche Stellungnahmen führten zu Spannungen zwischen Richter und Prozessbevollmächtigtem. 181 BayObLG Rpfleger 1978, 17, 18. 182 OLG Karlsruhe Justiz 1987, 144: er, der Richter, werde allmählich verdrießlich, weil der Beklagte so beharrlich auf dem vermeintlichen Ablehnungsgrund herumhacke; OLG Stuttgart ZIP 1994, 778; OLG Frankfurt NJW-RR 1998, 858. 183 BayObLG FamRZ 1988, 743, 744 = MDR 1988, 500 (auszugsweise): wiederholter Verstoß; OLG Köln NJW-RR 1986, 419, 420: Ansetzung eines Termins zur mündlichen Verhandlung, obwohl bekannt war, dass sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsantrags eingelegt werden sollte; OLG Hamburg NJW 1992, 1462; OLG Bremen OLGZ 1992, 485: Verkündung eines Urteils, gegen das kein Rechtsmittel statthaft ist. 184 OLG Köln OLGReport 2004, 427. 185 OLG Brandenburg NJW-RR 2000, 1091, 1092. 186 BayObLG 1986, 253; OLG Bamberg OLGReport 1998, 289 (Verfahrensfehler); OLG Celle MDR 2013, 721. 187 BGH NJW-RR 2012, 61 = MDR 2012, 49. 188 RG JW 1913, 211, 212; BFH BB 1971, 990 Nr. 1; BAG DB 1993, 283; BayObLG MDR 1988, 1063; OLG Köln NJW-RR 1988, 694 a.E.; OLG Köln VersR 1980, 93; VG Stuttgart JZ 1976, 277, 278. Zu § 24 StPO s. BGH VRS 41, 203, 205. 189 OLG Hamburg OLGZ 1989, 204. 190 OLG Braunschweig OLGR 1995, 155; OLG München OLGR 1995, 107; Pfälz. OLG Zweibrücken OLGReport 2000, 416, 417. 191 KG NJW-RR 2006, 1577. 192 BGH VRS 41, 203; BFH BB 1992, 1991; BAG NJW 1993, 879; KG JR 1957, 64 m. Anm. Müller-Webers; OLG Celle AnwBl. 1984, 502 („gefühlsmäßige Überlegungen“ bei der Beurteilung einer Gebührenforderung); OLG Frankfurt OLGReport 2002, 250; OLG Saarbrücken OLGReport 2008, 355.

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wirkung einer Rechtsmittelentscheidung (§ 563 Abs. 2) oder über die Vorgaben des Beschwerdegerichts in einem vorausgegangenen Prozesskostenhilfeverfahren hinwegsetzt.193 Dasselbe gilt, wenn sich mehrere Einzelrichter einer Zivilkammer zu Rechtsfragen austauschen, die mehrere jeweils bei ihnen anhängige Verfahren Parallelverfahren betreffen.194 Die Besorgnis der Befangenheit kann nicht daraus abgeleitet werden, dass sich der 25 Richter zu einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung,195 in einer vorangegangenen Entscheidung, im Fernsehen oder der Presse geäußert hat.196 Sie ist erst dann gerechtfertigt, wenn der Richter im konkreten Verfahren zum Ausdruck bringt, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Beschäftigung mit den maßgeblichen Fragen endgültig festgelegt und deswegen Argumenten nicht mehr zugänglich ist. Die Teilnahme eines Richters an einer Tagung zu aktuellen Rechtsfragen und eine dortige Meinungsäußerung kann ebenso wenig die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.197 Ist der Richter prozessunfähig und damit nicht dienstfähig,198 kann und muss die 26 fehlerhafte Besetzung des Gerichts nach §§ 539, 547 Nr. 1, 579 Abs. 1 Nr. 1 geltend gemacht werden. Soweit im Rechtsmittelzug eine Besetzungsrüge möglich wäre, kann das Ablehnungsverfahren in diesem Fall nicht analog angewendet werden.199 Die Zweifel an der Dienstfähigkeit können nur durch Indiztatsachen belegt werden. Die Untersuchung des Richters kann nicht erzwungen werden.200 27

ee) Vorbefassung. Ist der Richter in derselben Sache bereits tätig gewesen und wird er später im gleichen Rechtszug erneut damit befasst, so begründet dieser Umstand allein keinen Ablehnungsgrund.201 Unbestritten gilt dies für die Fälle, in denen bereits nach der ZPO ein weiteres Tätigwerden des Richters vorgesehen ist202 (Nachverfahren im Urkundsprozess; Versäumnisurteil; PKH-Verfahren;203 einstweiliger Rechtsschutz204). Dasselbe gilt bei der Zurückverweisung durch die Rechtsmittelinstanz (§§ 538, 539, 563, 566 Abs. 8),205 und zwar auch dann, wenn gemäß § 563 Abs. 1 S. 2 an einen anderen Spruchkörper verwiesen wurde.206 Diese Möglichkeit berührt nicht die einzelnen Richter, sondern die Spruchkörper als selbständige Organisationseinheiten.207 Ebenso existiert

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193 OLG Frankfurt MDR 1988, 415 mit Anm. E. Schneider; LG Frankfurt MDR 1988, 1062 mit Anm. E. Schneider; vgl. OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 102, 104; OLG Frankurt OLGReport 2000, 36. 194 OLG Karlsruhe NJW-RR 2013, 1535 = MDR 2014, 109. 195 BGH NJW 2011, 1358, 1360. 196 BVerfG NJW-RR 2010, 1150; OLG Köln NJW-RR 2000, 455. 197 BGH NJW 2002, 2396; BGH NJW 2011, 1358, 1360. 198 Siehe dazu Vor § 41, 8. 199 OLG Hamburg OLG Rspr. Bd. 11 (1905), 49; a.A. Stein/Jonas/Bork Vor § 41 Rdn. 1. 200 BGHZ 98, 32, 39 = NJW 1986, 3079. 201 BGH MDR 2012, 363. 202 OLG Saarbrücken OLGZ 1976, 468, 472 = NJW 1976, 1459 (LS); BFH DB 1974, 904 für den Erlass eines Vorbescheides nach § 90 Abs. 3 FGO. 203 BVerwG Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 37; RG WarnRspr. 1918 Nr. 146; OLG Hamm OLGZ 1977, 105 = NJW 1976, 1459 (LS); OLG München NJW 1968, 801 (LS) für den Fall, dass die zweite Instanz die Prozesskostenhilfe auf Beschwerde bewilligt und dieselben Richter sodann über die Berufung entscheiden; OLG Hamm MDR 1976, 760. 204 OLG Köln NJW 1971, 569. 205 OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 102, 104; Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 10; Zöller/Vollkommer § 42 Rdn. 16; a.A. Stemmler NJW 1974, 1545. 206 RGZ 53, 4, 7. 207 Anders § 354 Abs. 2 S. 1 StPO.

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keine dem § 23 Abs. 2 StPO208 entsprechende Norm, die einen Ausschluss des Richters im Wiederaufnahmeverfahren vorsieht. Ein gesetzlicher Ausschließungsgrund, etwa § 41 Nr. 6, greift nicht ein.209 Deshalb genügt die Mitwirkung im Vorprozess für sich allein noch nicht zur Ablehnung eines Richters im Wiederaufnahmeverfahren.210 Allerdings kann sich aus den Umständen des Einzelfalles die Besorgnis ergeben, dass der Richter zu einer unvoreingenommenen Prüfung im Wiederaufnahmeverfahren nicht in der Lage ist, etwa bei dem Vorwurf einer strafbaren Amtspflichtverletzung (§ 580 Nr. 5)211 oder wenn der Richter darüber zu entscheiden hat, ob er selbst in dem vorangegangenen Verfahren das rechtliche Gehör verweigert hatte.212 Wird der Richter mit derselben Sache in der nächsten Instanz erneut befasst, ist er schon gemäß § 41 Nr. 6 kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der unteren Instanz erkennend tätig war. Hat der in die höhere Instanz versetzte Richter an dem Erlass des vorinstanzlichen Urteils zwar nicht mitgewirkt, früher aber einen Beweisbeschluss erlassen, ist das allein kein Befangenheitsgrund.213 Denn das Gesetz geht davon aus, dass der Richter grundsätzlich die Pflicht erfüllt, die eigene Rechtsauffassung vor einer bindenden Entscheidung zu überprüfen. Daher rechtfertigt auch die Mitwirkung eines Richters in einem Patentverletzungsprozess (Erlass eines Aussetzungsbeschlusses) als solche nicht die Ablehnung wegen Befangenheit im Nichtigkeitsverfahren.214 Allein die Tatsache, dass der Richter in einem anderen Verfahren mit demselben 28 Sachverhalt, z.B. in einem familiengerichtlichen Verfahren215 oder in einem Strafverfahren mit der Sache befasst war, lässt ihn noch nicht als voreingenommen erscheinen.216 Dasselbe gilt für ein Parallelverfahren über einen ähnlichen Sachverhalt, das zwischen anderen Parteien geführt worden ist. Von jedem Richter kann erwartet werden, dass er bereit und in der Lage ist, seine Meinung aufgrund zivilprozessualer Verfahrensregeln kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern. Auch wenn der Richter in einem Regressprozess (z.B. gegen einen Prozessbevollmächtigten) zu beurteilen hat, ob seine frühere Auffassung zutrifft, ist ohne Hinzutreten besonderer Umstände Befangenheit nicht zu besorgen.217 Dasselbe gilt für die Mitwirkung an einem Antrag gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG auf Niederschlagung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung. Ein besonderer Umstand kann im Regressprozess etwa darin liegen, dass dem Anwalt vorgeworfen wird, er habe erkennbare Fehler des Gerichts nicht verhindert.218 Denn in diesem

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208 Eingefügt durch StPÄG vom 19.12.1964 BGBl. I 1067, 1074. 209 BGH NJW 1981, 1273. 210 OLG Hamburg FamRZ 1988, 186; OLG Karlsruhe OLGZ 1975, 242, 243 f.; OLG Zweibrücken OLGZ 1974, 291 = NJW 1974, 955; a.A. OLG Düsseldorf NJW 1971, 1221; s. auch OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 763 betr. den Fall, dass der Richter über die Vorschriftsmäßigkeit der früheren Besetzung befinden muss. 211 OLG Düsseldorf NJW 1967, 987; OLG Zweibrücken OLGZ 1974, 291, 293 = NJW 1974, 955, 956. 212 OLG Celle MDR 1955, 425; OLG Düsseldorf NJW 1967, 987 für ein Wiederaufnahmeverfahren gegen ein Schiedsurteil. 213 Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 10; Günther VerwArch. 1991, 179, 205; M. Schmid NJW 1974, 729, 730 f.; a.A. LG Würzburg NJW 1973, 1932. 214 BGH NJW-RR 1986, 738 = LM Nr. 6 zu § 42 ZPO. 215 BayObLG FamRZ 1998, 634. 216 KG OLG Rspr. Bd. 41 (1921), 248; OLG Breslau DR 1943, 95; OLG Karlsruhe MDR 1970, 148; OLG Bamberg OLGReport 2007, 630; Günther VerwArch. 1991, 179, 209 f.; MünchKomm/Gehrlein § 42 Rdn. 16; M. Schmid NJW 1974, 729, 730; vgl. auch BGHSt. 21, 334, 341 f. = NJW 1968, 710, 711: Strafverfahren nach zivilrechtlicher Befassung; a.A. OLG Koblenz NJW 1967, 2213; im Ergebnis auch OLG Hamm NJW 1970, 568; Schlichting NJW 1989, 1343; Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 10; Stemmler, NJW 1974, 1545, 1546; Teplitzky NJW 1962, 2044; offengelassen von OLG Karlsruhe FamRZ 1992, 1194. 217 OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1763; Zöller/Vollkommer § 42 Rdn. 16; Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 10; a.A. F. Baur FS Larenz (1973), 1063, 1073; Stemmler NJW 1974, 1545, 1546. 218 LG Darmstadt NJW-RR 1999, 289.

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Fall muss der Richter im Folgeprozess nicht nur seine eigene Rechtsauffassung, sondern auch die Qualität seiner Verfahrensweise bzw. seiner Entscheidung kritisch überprüfen. Die Tatsache, dass im ersten Rechtszug der Ehepartner des zweitinstanzlichen Richters über die Sache entschieden hat, begründet weder einen Ausschlussgrund gemäß § 41 Nr. 6 noch eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit.219 Ein Richter kann aber abgelehnt werden, wenn er zuvor als Staatsanwalt in einem dem Zivilverfahren vorangegangenen Strafverfahren über denselben Sachverhalt die Anklage vertreten hatte.220 War in einem zurückliegenden Verfahren oder in einem Parallelverfahren ein Ablehnungsgrund gegeben, kann je nach den Umständen auch in dem anhängigen Verfahren eine Ablehnung begründet sein,221 also z.B., wenn dem Richter in dem früheren Verfahren schwere formelle Fehler unterlaufen sind und zu befürchten ist, dass er seine sachwidrige Art der Behandlung in dem neuen Verfahren fortsetzt222 oder wenn sich aus der früheren Verfahrensführung die Tendenz ergibt, die gegnerische Partei großzügiger zu behandeln.223 Eine frühere Selbstablehnung rechtfertigt nicht automatisch die Ablehnung in einem neuen Verfahren.224 Eine Tätigkeit des abgelehnten Richters als Dienstvorgesetzter einer Partei kann geeignet sein, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.225 c) Beziehung zum Verfahrensbeteiligten oder -gegenstand 29

aa) Persönliche Beziehungen. Persönliche Beziehungen zwischen Richter und Partei können die Besorgnis der Befangenheit begründen. Dasselbe gilt bei einer entsprechenden Beziehung des Richters zum Streithelfer einer Partei.226 Erforderlich ist allerdings eine besondere Nähe.227 Diese kann auch über den Ehepartner vermittelt werden (z.B. leitende Tätigkeit des Ehegatten im Unternehmen).228 Ein entferntes229 Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnis,230 eine Freundschaft, 231 eine Duzbekanntschaft,232 eine rein geschäftliche Beziehung als Mieter und Vermieter233 oder ein gespanntes Verhältnis rechtfertigen für sich allein keine Ablehnung, es sei denn, hieraus

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219 BGH NJW 2008, 1672. 220 BGH NJW 1967, 155, 156; OLG Nürnberg AnwBl. 1964, 22 = MDR 1963, 602 (LS); OLG Stuttgart Justiz 1970, 261, 262 als obiter dictum; differenzierend Günther VerwArch. 1991, 179, 210. 221 OLG Celle NdsRpfl. 1976, 215; OLG Karlsruhe Justiz 1987, 144; OLG Nürnberg MDR 1965, 667; hinsichtlich des zeitlichen Rahmens, in dem eine Ablehnung auf ein abgeschlossenes Verfahren gestützt werden kann vgl. OLG Frankfurt MDR 1984, 499. 222 OLG Köln NJW-RR 1986, 419; OLG Karlsruhe OLGReport 2007, 958. 223 OLG Karlsruhe OLGReport 2007, 958. 224 OLG Frankfurt FamRZ 1986, 291. 225 BayObLG MDR 1988, 970. 226 LG Leipzig NJW-RR 2004, 1003. 227 Vgl. BGH LM Nr. 2 zu § 42 ZPO (die Partei eines beim OLG anhängigen Ehescheidungsrechtsstreits war Richter an diesem Gericht) BayObLG NJW-RR 1987, 127 (Richter ist mit 4 von 200 antragstellenden Wohnungseigentümern befreundet); OLG Stuttgart MDR 2011, 66 (langjährige Familienfreundschaft mit einer Partei, die wegen erheblicher Beträge in Anspruch genommen wird); LG Leipzig NJW-RR 2004, 1003. 228 BGH NJW 1995, 1677, 1679; Hess. VGH AnwBl. 1991, 160 (Ehe zwischen einer Richterin und einem Magistratsmitglied der Beklagten); OLG Zweibrücken MDR 2014, 1171 (abgelehnte Richterin ist die Ehefrau der gegnerischen Partei). 229 Enge verwandtschaftliche Beziehungen fallen bereits unter § 41 Nr. 3. 230 Beispiel: KG NJW-RR 2000, 1164. 231 Problematisch eng aber LG Bonn NJW 1966, 160 mit abl. Anm. Rasehorn NJW 1966, 666; abl. auch Teplitzky JuS 1969, 318, 320 Fn. 30. 232 OLG Hamm NJW 2012, 1209 = MDR 2012, 933. 233 Befangenheit bejahend bei einem Schiedsrichter OLG Frankfurt NJW 2008, 1325.

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ergibt sich eine besondere Abhängigkeit. Bloße Sympathie oder Antipathie234 gegenüber einer Partei genügen daher ebenso wenig. Ein Verlöbnis oder eine Liebesbeziehung zwischen Richter und einer Partei wird in aller Regel eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. In anderen Fällen kommt es auf die näheren Umstände an.235 Unabdingbar ist in solchen Fällen stets, dass der Richter die maßgeblichen Tatsachen der anderen Partei mitteilt, und zwar zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Unterbleibt eine solche Mitteilung, kann sich bereits hieraus ein Indiz für die Befangenheit ergeben.236 Bestehen persönliche Verhältnisse der beschriebenen Art zum Prozessbevollmäch- 30 tigten,237 ist ein Befangenheitsgrund nur in den Fällen anzunehmen, in denen die Beziehung so stark ausgeprägt ist, dass sich die Partei in ihrer Prozessrolle davon selbst betroffen fühlen kann. Dies ist z.B. der Fall bei einer Ehe zwischen Richter und Prozessbevollmächtigten238 oder bei der Beschäftigung eines Kindes des Richters in einer Anwaltskanzlei des Prozessbevollmächtigten einer Partei.239 Bei einer Feindschaft zwischen dem Parteivertreter und dem Richter sollte ein Ablehnungsgrund ebenfalls bejaht werden. 240 In diesen Fällen ist das Gesuch bereits bei Verfahrenseinleitung begründet.241 Dagegen ist bei Beziehungen minderer Intensität, etwa bei bloßen Spannungen, die Besorgnis der Befangenheit nur dann indiziert, wenn die besondere Beziehung in dem Verfahren selbst in Erscheinung getreten ist und eine Partei den Eindruck haben muss, dass der Richter sein persönliches Verhältnis zu dem Prozessbevollmächtigten nicht genügend von dem Prozessgeschehen trennt.242 Dasselbe gilt umgekehrt bei einer Freundschaft.243 Vertritt der Prozessbevollmächtigte einer Partei den Richter in einem anderen Verfahren in eigener Sache, kommt eine Ablehnung nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände die Besorgnis rechtfertigen, dass sich der Richter bei seiner Entscheidung hiervon beeinflussen lässt.244 Der Fall der Ehe zwischen dem Richter und einem Sozietätsmitglied der den 31 Gegner vertretenden Anwaltskanzlei wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass die Mitgliedschaft in der Sozietät für sich allein nicht ausreicht, sofern keine besonderen Umstände (Gespräch über den Prozess, wirtschaftliches Interesse) hinzutreten und der Ehegatte nicht selbst als Prozessbevollmächtigter in Erscheinung tritt.245 Die Gegenansicht,246 der sich nunmehr der BGH angeschlossen hat,247 verweist auf

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234 BVerfGE 73, 330, 339 = NJW 1987, 430, 431 zu § 19 BVerfGG. 235 Befangenheit verneint in einem Fall, bei dem der Richter der Lebensgefährte der Tochter des Prozessbevollmächtigten war – OLG Bremen MDR 2008, 283. 236 OLG Bremen MDR 2008, 283; OLG Frankfurt NJW 2008, 1325 (zur Verletzung der Offenbarungspflicht gemäß § 1036 Abs. 1). 237 Beispiel in KG OLGReport 2006, 545; ausführlich zu dieser Frage Günther ZZP 105 (1992), 20, 29 ff. 238 OLG Rostock OLGReport 2005, 35. 239 SchlHOLG OLGReport 2000, 390. 240 OLG Augsburg JW 1923, 839 mit zust. Anm. Frhr. v. Hodenberg; zu § 24 StPO bei (gegenseitigen) Strafanzeigen: OLG Hamm NJW 1951, 731; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1949, 93 f. 241 A.A. Schneider DRiZ 1978, 42, 45, der wohl stets auf Vorgänge im konkreten Verfahren abstellen will. 242 BVerfG ZIP 1988, 174; BFH BB 1978, 33; OLG Köln NJW-RR 1988, 694; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 126 f.; BayObLGZ 1974, 446, 448 = NJW 1975, 699; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 1956, 161 f.; OLG München HRR 1937 Nr. 471 zu § 42; OLG Nürnberg MDR 1972, 332. 243 Stemmler S. 136 f.; Teplitzky JuS 1969, 318, 321 Fn. 50. 244 OLG Köln JR 1957, 185 = ZZP Bd. 70 (1957), 139; Schneider DRiZ 1978, 42, 45; a.A. KG NJW-RR 2014, 572 = MDR 2014, 367; Teplitzky NJW 1962, 2044, 2045. 245 OLG Celle OLGReport 1995, 272; KG NJW-RR 2000, 1164 = MDR 1999, 1018; OLG Hamburg OLGReport 2005, 406; LG Hanau NJW-RR 2003, 1368; Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 4; zur Ehe mit dem sachbearbeitenden Anwalt s. Thüringer OLG OLGReport 2000, 76. 246 OLG Schleswig OLGReport 2000, 390; Zöller/Vollkommer § 42 Rdn. 13. 247 BGH NJW 2012, 1890 = MDR 2012, 730.

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§ 20 Abs. 1 Nr. 3 BRAO a.F. Hiernach konnte der Ehepartner eines Richters grundsätzlich nicht in dem Gerichtsbezirk zugelassen werden, in dem der Richter tätig ist. Hiermit sollte der Anschein vermieden werden, dass der Rechtsanwalt aufgrund seiner persönlichen Beziehung zum Richter in der Lage sei, ein für den Mandanten günstiges Ergebnis zu erzielen. Dieser Ansicht ist zu folgen. Für die Besorgnis der Befangenheit genügen objektive Umstände, die begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters rechtfertigen. Es liegt nahe, dass sich Ehegatten über ihre berufliche Tätigkeit austauschen. In der Regel wird sich auch ein wirtschaftliches Interesse nicht verneinen lassen. Dies reicht, um das Vertrauen des Gegners in die gebotene Neutralität zu erschüttern. 32 Die Inanspruchnahme von Gastfreundschaft durch eine Partei anlässlich eines Ortstermins kann einen Ablehnungsgrund schaffen.248 Fährt der Richter gemeinsam mit einer Partei bzw. einem der Prozessbevollmächtigten zu einer auswärtigen Beweisaufnahme im Auto, wird dies bei der anderen Partei meistens ein berechtigtes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit hervorrufen.249 Bei geschäftlichen oder beruflichen Beziehungen sind die Intensität der sich daraus ergebenden persönlichen Bindungen sowie Art und Umfang des Geschäftes ausschlaggebend.250 Bejaht worden ist die Besorgnis der Befangenheit u.a. bei der früheren Verbindung des Richters mit der Partei oder einem Organmitglied in einer gemeinsamen Anwaltskanzlei251 oder in dem Fall, dass die Hauptzeugin und Verletzte eines Verkehrsunfalls als Richterin weiteres Mitglied des Spruchkörpers ist, der über die Sache zu entscheiden hat.252 War der Richter früher in der Kanzlei des gegnerischen Anwalts tätig, wird darauf abzustellen sein, wie lange dies her ist und ob konkrete Umstände dafür vorhanden sind, dass sich aus der beruflichen Zusammenarbeit ein besonderes Näheverhältnis ergeben hat. Unterlässt er es, von diesem Verhältnis gemäß § 48 Anzeige zu machen, kann allein dies die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen.253 Befindet sich der Richter bei einem Arzt oder in einer Klinik in Behandlung, gegen den bzw. die ein Arzthaftungsprozess geführt wird, kann der Kläger mit Recht die Besorgnis der Befangenheit rügen. Denn er muss befürchten, dass der Richter aufgrund seines eigenen Patientenverhältnisses ein besonderes Vertrauen zur Gegenseite aufgebaut hat, das durch eine Entscheidung zu deren Lasten gestört wird.254 Im Falle eines Wettbewerbsverhältnisses zu einer Partei kann unter Umständen ein ehrenamtlicher Richter der Kammer für Handelssachen abgelehnt werden. Besteht zwischen Partei und Richter ein feindschaftliches Verhältnis, kommt es nicht darauf an, ob die Störung durch das Verhalten der ablehnenden Partei selbst herbeigeführt wurde.255 Ein einseitiges feindseliges Handeln der Partei ohne Gegenreaktion des Richters reicht regelmäßig nicht für die Annahme eines Ablehnungsgrundes. Ein Streit mit dem Richter begründet jedenfalls dann keine Besorgnis der Befangenheit, wenn er bereits länger zurückliegt und die Beteiligten erklären, dass die Angelegenheit für sie abgeschlossen sei.256

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248 OLG Schleswig SchlHA 1956, 186, 187 (Bewirtung mit Wein anlässlich der Besichtigung eines Bauernhofes). 249 LG Kassel NJW 1956, 1761; großzügiger OLG Frankfurt NJW 1960, 1622. 250 LG Regensburg FamRZ 1979, 525: Werkvertrag über Hausbau zwischen Ehemann der Richterin und Partei; zur Ablehnung von Schiedsrichtern s. Kröll NJW 2013, 3135, 3239. 251 BVerfG NJW 2003, 3404 (Fall Jentsch II). 252 OLG Düsseldorf NJW 2010, 1158. 253 OLG München MDR 2014, 857; a.A. für den Schiedsrichter OLG Frankfurt a.M. 26 SchH 15/11 – s. Kröll NJW 2013, 3135, 3139 Fn. 50. 254 OLG Bremen NJW-RR 2012, 637; OLG Koblenz MDR 2012, 428. 255 RG JW 1897, 53 Nr. 13. 256 BGH MDR 2015, 50.

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Kein Befangenheitsgrund wird in dem bloßen Kollegialitätsverhältnis zwischen ei- 33 nem Richter und einem Verfahrensbeteiligten gesehen. So wurden der Ehestreit eines OLG-Richters257 oder der Rechtsstreit eines minderjährigen Richter-Sohnes258 nicht als Grund für die Besorgnis der Befangenheit der an den betreffenden Gerichten tätigen anderen Richter anerkannt. Das gilt erst recht, wenn das Verhältnis schon seit geraumer Zeit beendet ist.259 Ein Kollegialitätsverhältnis kann aber dann berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit hervorrufen, wenn es zu einer regelmäßigen Zusammenarbeit führt, etwa in einer Kammer für Handelssachen260 oder innerhalb eines kleinen Gerichts, da solche Umstände aus der Sicht des Laien der Anschein engerer Beziehungen nahelegen.261 Nach einer problematischen Rechtsprechung262 stellen Dienstaufsichtsbeziehungen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar. bb) Beziehungen im weiteren Sinn. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befan- 34 genheit muss sich auf einen individuellen Grund stützen, also einen Grund, der gerade gegenüber dieser Partei besteht. Allgemeine Umstände, die auf eine Vielzahl von Personen zutreffen („Sozialbefangenheit“), reichen nicht aus.263 So rechtfertigen die Staatsangehörigkeit oder ethnische Herkunft, das Geschlecht,264 die Weltanschauung oder die Konfession265 des Richters allein keine Ablehnung, und zwar regelmäßig auch dann nicht, wenn weltanschauliche Fragen in dem Prozess angesprochen werden.266 Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Richter nur nach Recht und Gesetz entscheidet. Deshalb sind auch politische Meinungsäußerungen des Richters nach § 42 prinzipiell unbedenklich.267 Anders ist aus der Sicht der Partei die Lage unter Umständen zu beurteilen, wenn der Verfahrensgegenstand besonders eng mit konkreten weltanschaulichen, politischen oder ähnlichen Themen zusammenhängt. Bei gemeinsamer Mitgliedschaft von Richter und Partei in einer Organisation 35 muss unterschieden werden: Ist eine Partei ebenso wie der Richter bloßes Mitglied dieser Organisation, etwa einer politischen Partei,268 einer Gewerkschaft269 oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder einer sonstigen juristischen Person,270 so begründet die-

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257 BGH LM Nr. 2 zu § 42 ZPO = NJW 1957, 1400 (LS) = FamRZ 1957, 314. 258 OLG Celle NdsRpfl. 1963, 37. 259 BVerfG NJW 2004, 3550. 260 OLG Hamm MDR 1978, 583; OLG Nürnberg NJW 1967, 1864; OLG Karlsruhe MDR 2006, 1185; OLG Celle OLGReport 2009, 392; OLG Zweibrücken MDR 2013, 365; a.A. OLG Schleswig MDR 1988, 236. 261 Zutr. Stemmler S. 131; Teplitzky NJW 1962, 2044, 2045. 262 Siehe einerseits BGH DRiZ 1959, 153; BayObLG MDR 1988, 970; OVG Berlin JR 1969, 159; andererseits LG Berlin NJW 1956, 1402; LG Kiel SchlHA 1987, 55, 56 (Klage eines Rechtspflegers aufgrund dienstlicher Vorgänge mit dem Direktor als Zeugen) sowie ausführlich und differenziert Teplitzky JuS 1969, 318, 320 f.; kritisch auch Zöller/Vollkommer § 41 Rdn. 3, der in diesem Fall einen Ausschlussgrund in entsprechender Anwendung von § 41 sieht. 263 OLG Koblenz NJW 1969, 1177; vgl. § 18 Abs. 2 BVerfGG (dazu Rdn. 2); weitergehend Pfeiffer Der Handelsrichter und seine Unbefangenheit ZIP 1994, 769, 771. 264 BayObLG DRiZ 1980, 432; LSG Hessen NJW-RR 2003, 1270 (Vorbehalte gegenüber einer Richterin, weil die Partei im privaten Bereich von einer Frau „betrogen“ worden sei); RG Recht 1927 Nr. 226 zu § 24 StPO. 265 Zweifelhaft KG JW 1927, 1221 Nr. 4; RG JW 1930, 2560 zu § 24 StPO in einem Verfahren wegen „Gotteslästerung“. 266 Differenzierend Teplitzky NJW 1962, 2044, 2045. 267 Zu § 19 BVerfGG s. BVerfG NJW 2011, 3637 Rdn. 20. 268 OLG Koblenz NJW 1969, 1177; VGH Mannheim NJW 1975, 1048; vgl. § 18 Abs. 2 BVerfGG (dazu Rdn. 2). 269 BAG AP Nr. 2 zu § 41 ZPO m. Anm. Wieczorek. 270 BGHReport 2001, 432; BGHReport 2003, 830 = WM 2003, 847 (eingetragener Verein).

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ser Umstand für sich allein grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit. Entsprechendes gilt für gemeinsame gesellschaftspolitische Aktivitäten.271 Entscheidend sind im Einzelfall die jeweilige Enge des Kontaktes, der Umfang der Verpflichtungen unter den Mitgliedern und der Gegenstand des Verfahrens.272 Ist der Verband, dem der Richter angehört, selbst Partei des Verfahrens oder sind die Interessen des Verbands unmittelbar berührt, so ist eine Befangenheit zu befürchten, wenn der abgelehnte Richter innerhalb der Organisation an exponierter Stelle tätig ist.273 Ist der Richter Großaktionär der als Partei beteiligten Aktiengesellschaft, ist er sicher ausgeschlossen.274 Hält er dagegen nur einige Aktien, liegt allenfalls ein mittelbares wirtschaftliches Interesse vor, das keine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.275 Misstrauen gegen die Unparteilichkeit kann gerechtfertigt sein, wenn der Richter dem Kreistag eines an dem Verfahren beteiligten Landkreises angehört und es um eine kommunalpolitisch bedeutsame Angelegenheit geht,276 es sei denn, dass eine solche Beziehung bereits Jahre zurückliegt277 oder wenn der abgelehnte Richter ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, das ihm über den am Prozess beteiligten Verband vermittelt wird.278 War der Richter in einer früheren beruflichen Tätigkeit bei einer Partei angestellt, ist er ausgeschlossen, wenn er im Rahmen dieser Tätigkeit an Entscheidungen mitgewirkt hat, die für den Prozess von Bedeutung sind oder wenn die Tätigkeit die Annahme nahelegt, dass er sich die Sichtweisen und Wertungen der Partei zu Eigen gemacht hat.279 Eine Besorgnis der Befangenheit ist ferner bei einer gemeinsamen Mitgliedschaft im örtlichen Rotary Club,280 einem Kirchenchor281 oder in einem Altherrenverband282 bejaht worden. Bei gemeinsamer Mitgliedschaft in dem demselben Ortsverband einer politischen Partei283 oder einem Verein,284 bei Zugehörigkeit des Richters zu derselben gesellschaftlichen Gruppe,285 deren Interessen von dem Prozess betroffen sind, bei einer bloßen Mitautorenschaft an

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271 Zur Mitgliedschaft eines Richters in einer politischen Partei oder Gewerkschaft sowie zu politischen Meinungsäußerungen als Ablehnungsgründe BGH NJW 1962, 748 (kein Ablehnungsgrund wegen politischer Äußerungen, die sich allein aus der Teilnahme am politischen Leben erklären); VGH Kassel NJW 1985, 1105; VGH Mannheim NJW 1986, 2068; ArbG Frankfurt NJW 1984, 142; Dieterich RdA 1986, 2; Dütz JuS 1985, 745; Fangmann/Zachert Gewerkschaftliche und politische Betätigung von Richtern, 1986, S. 75 ff.; Gerdes S. 76 ff.; Hanau ZRP 1984, 1165; Rüthers DB 1984, 1620; Schuldt DB 1984, 2509; Vollkommer FS Ernst Wolf, S. 659, 666 ff.; ders. EzA ArbGG 1979, 3, 4, S. 24; Wassermann DRiZ 1987, 144. 272 Vollkommer FS Hubmann, S. 445, 458. 273 Vgl. Abs. 3 der §§ 54 VwGO, 51 FGO und 60 SGG. 274 KG NJW 1963, 451. 275 BayObLG ZIP 2002, 1038 = DB 2002, 784. 276 OLG Celle NdsRpfl. 1976, 91. 277 BGH NJW-RR 1988, 766: Gemeinderatstätigkeit lag 8 Jahre zurück. 278 RGZ 7, 311, 313: verneint bei verhältnismäßig wenig Rentenscheinen und Einlagen bei einer Sparkasse; KG NJW 1963, 451: im konkreten Fall wegen Besonderheiten des Einzelfalles für einen Handelsrichter abgelehnt, der Mitglied der klagenden Gesellschaft war; kritisch dazu Teplitzky MDR 1963, 602 Fn. 2; vgl. im Übrigen die zutreffenden Abstufungen bei Teplitzky JuS 1969, 318, 322; zur Interessenkollision bei einem Insolvenzverwalter BGH NJW 1991, 982, 985; zur Ablehnung eines Sachverständigen bei einer wirtschaftlichen Verbindung zum Gegner s. BGH MDR 2012, 1487. 279 OLG Frankfurt MDR 2008, 710. 280 Offengelassen von OLG Karlsruhe NJW-RR 1988, 1534, weil die besonderen Umstände der Mitgliedschaft nicht glaubhaft gemacht worden waren. 281 OLG Saarbrücken OLGReport 2004, 321, 322. 282 Teplitzky NJW 1962, 2044, 2045; a.A. OLG Bamberg BayJMBl. 1953, 156. 283 VGH Mannheim NJW 1975, 1048. 284 BGH NJW-RR 2003, 281 = BGHReport 2003, 830; OLG Hamburg MDR 2003, 287 (gemeinsame Tätigkeit im Vorstand); OLG Hamm NJW-RR 2012, 1209. 285 BayVerfGH MDR 2000, 659.

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einem wissenschaftlichen Werk286 oder bei einer Vortragstätigkeit des Richters für die beklagte Rechtsanwaltskammer287 ist sie hingegen verneint worden. Eine zur Erprobung an das Oberlandesgericht abgeordnete Richterin ist in einem gegen den Dienstherrn gerichteten Amtshaftungsprozess nicht deswegen als befangen angesehen worden, weil sie aufgrund ihrer Erprobung in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Dienstherrn stehe.288 Demgegenüber ist die Befangenheit mit Recht bejaht worden bei einem Richter, der zuvor als Referent in der Verwaltungsabteilung des Gerichts zu der Rechtslage im konkreten Fall Stellung genommen hatte.289 Dasselbe muss selbstverständlich gelten, wenn ein Richter über einen Amtshaftungsanspruch zu entscheiden hat, der seine Grundlage in einem Verfahren hat, an dem er selbst mitgewirkt hat. d) Außerdienstliche Stellungnahmen. Die Besorgnis der Befangenheit kann be- 36 gründet sein, wenn der Richter zu einem bevorstehenden oder anhängigen Verfahren außerdienstlich in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht Stellung nimmt290 oder wenn er sich außerhalb des Verfahrens abfällig über eine Partei äußert.291 Die Äußerung von Rechtsmeinungen in der Fachliteratur führt grundsätzlich nicht zur Befangenheit,292 es sei denn, sie steht im Zusammenhang mit dem laufenden oder bevorstehenden Verfahren.293 IV. Ablehnungsberechtigter (Abs. 3) Das Ablehnungsrecht steht beiden Parteien zu, also auch der, deren Bevorzugung 37 zu besorgen ist. Auf eine Beschwer kommt es nicht an, weil sich keine Partei dem Makel aussetzen muss, bei der Entscheidung bevorzugt worden zu sein.294 Der Begriff der Partei ist nicht im formellen, sondern im weitesten Sinne zu verstehen. So ist z.B. der Antragsgegner im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zur Ablehnung befugt, weil mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe eine wichtige Weichenstellung für den Ausgang des nachfolgenden Streitverfahrens verbunden ist.295 Ebenso hat der Streithelfer (§§ 66, 67) ein Ablehnungsrecht,296 welches er auch auf ein Verhältnis stützen kann, das nur zu seiner Person gegeben ist.297 Da der Streithelfer (auch) eine eigene Rechtsposition im Prozess hat, ist der Widerspruch der Hauptpartei gegen sein Ablehnungsgesuch unbeachtlich.298

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286 BGHReport 2005, 1350. 287 BGH NJW-RR 2013, 1211. 288 BGH NJW-RR 2010, 493. 289 OLG Dresden MDR 2005, 106. 290 RG JW 1902, 392; RGSt. 61, 67, 69; BGHSt. 21, 334, 345 = NJW 1968, 710, 711 f.; ausführlich Gerdes S. 65 ff. 291 BGHSt. 21, 334, 348 (insoweit nicht in NJW 1968, 710 abgedruckt). 292 BVerfGE 88, 1 = NJW 1993, 2231; BSG NJW 1993, 2261; OLG Köln NJW 1971, 569, 570; LSG Hessen MDR 1986, 436 (Rechtsmeinungen in anderen Verfahren); vgl. auch BVerfG NJW 1990, 2457, 2458; Gerdes S. 65 ff. 293 OLG Köln NJW 1971, 569, 570; MünchKomm/Gehrlein § 42 Rdn. 21, 22; Zöller/Vollkommer § 42 Rdn. 33. 294 Schneider Jur.Büro 1977, 1179, 1183; Stemmler S. 99 Fn. 1 sieht den Grund unzutreffend in einer zu befürchtenden Überkorrektheit des Richters. 295 OLG Schleswig OLGReport 2007, 575. 296 OLG Celle NdsRpfl 1995, 395, 973; Teplitzky JuS 1969, 318, 323 m.w.N. 297 Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 13; offengelassen von OLG Frankfurt MDR 1983, 232. 298 A.A. Stein/Jonas/Bork § 42 Rdn. 13.

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Dritten wie Zeugen und Sachverständigen steht ein Ablehnungsrecht in einem Zwischenstreit (§§ 71, 135, 387, 402) oder in einem Nebenverfahren zu, an dem sie verfahrensrechtlich beteiligt sind.299 Kein eigenes Ablehnungsrecht haben (gesetzliche oder gewillkürte) Parteivertreter, da sie nicht Parteien des Verfahrens im beschriebenen Sinne sind.300 Dasselbe gilt für eine Partei kraft Amtes.301 Das Bestehen starker Spannungen zwischen dem Richter und dem Parteivertreter kann allerdings für die Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen (s.o. Rdn. 8, 30). Dementsprechend kann auch die Partei kraft Amtes rügen, dass der Richter dem hinter ihr stehenden Rechtsträger nicht unbefangen gegenüberstehe.302 39 Wird der Ablehnungsantrag von einem Parteivertreter gestellt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass er im Namen der Partei handelt, und zwar auch dann, wenn er das Gesuch auf einen in seiner Person begründeten Umstand stützt.303 Unerheblich ist dabei, ob die Partei den Prozessbevollmächtigten zur Ablehnung veranlasst hat oder ob sie selbst Kenntnis von den der Ablehnung zugrunde liegenden Tatsachen hat.304 Parteien kraft Amtes sind im Ablehnungsrecht grundsätzlich einem Verfahrensbevollmächtigten gleichzustellen,305 es sei denn, es geht ausnahmsweise um eigene Ansprüche (Auslagenerstattung, Geschäftsführervergütung).306

§ 43 Verlust des Ablehnungsrechts Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften Abschnitt 1. Gerichte § 43 Gerken Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Schrifttum Fleischer Die Dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters MDR 1998, 757 f.; E. Schneider Der Verlust des Rechts auf Befangenheitsablehnung im Folgeprozess MDR 1977, 441 ff.; ders. Glaubhaftmachung und Beweislast bei der Befangenheitsablehnung MDR 2000, 1304 f.; ders. Das Vorgehen bei der Richterablehnung MDR 2005, 671 f.; Wassermann Die Richterablehnung gemäß §§ 42 ff. ZPO in der Rechtsprechung der Berliner Zivilgerichte JR 1961, 401 ff.; Vossler Der Verlust des Richterablehnungsrechts MDR 2007, 992 ff.

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299 OLG Celle NdsRpfl. 1971, 230 (Nr. 6): Ablehnungsrecht des Zeugen bei der Festsetzung von Ordnungsmaßnahmen gegen ihn; zustimmend MünchKomm/Gehrlein § 42 Rdn. 3; BayObLG FamRZ 1992, 574: Ablehnungsrecht des Betroffenen im Verfahren nach § 372a; OLG Hamburg Jur.Büro 1992, 194: Festsetzung der Sachverständigenentschädigung nach § 16 ZSEG; Stein/Jonas/Bork Rdn. 13. 300 BayObLG NJW 1975, 699; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 126; OLG Hamm OLGReport 1996, 45; OLG Rostock OLGReport 2009, 350; Günther ZZP 105 (1992), 20, 25. 301 OLG Zweibrücken Rpfleger 2000, 265. 302 OLG Zweibrücken aaO. 303 OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 126, 127; OLG Hamm NJW 1951, 731. 304 So schon OLG Oldenburg OldZ. Bd. 24 (1898), 85; a.A. offenbar Rabe NJW 1976, 172, 173 für den Strafprozess. 305 OLG Köln NJW-RR 1988, 694 = EWiR § 72 KO 1/88, 89 mit Anm. Meurer; bestätigt durch BVerfG ZIP 1988, 174 = EWiR § 42 ZPO 1/88, 619 mit Anm. Vollkommer. 306 OLG Köln NJW-RR 1990, 383, 384: Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters durch einen Sachverständigen.

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I. II. III. IV.

Übersicht Allgemeines ____ 1 Kenntnis des Ablehnungsgrundes ____ 3 Einlassung in eine Verhandlung ____ 6 Antragstellung ____ 11

V. VI.

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Ablehnungsrecht trotz Verhandeln ____ 13 Wiederaufleben des Ablehnungsrechts ____ 14

I. Allgemeines § 43 soll eine Verzögerung des Rechtsstreits vermeiden. Hat die Partei den berechtig- 1 ten Eindruck, dass der Richter ihr gegenüber nicht unvoreingenommen ist, soll sie die hierfür maßgeblichen Gründe sofort geltend machen. Hierdurch soll verhindert werden, dass die bisher geleistete Arbeit nutzlos und der Prozess willkürlich verzögert wird.1 Der durch die Befangenheit begründete Verfahrensmangel wird mangels Rüge geheilt. § 43 geht insoweit § 295 vor.2 Die Partei ist daher insbesondere nicht befugt, ein Befangenheitsgesuch aus prozesstaktischen Gründen zunächst zurückzustellen und abzuwarten, ob der Richter zu ihrem Nachteil entscheidet. Das Ablehnungsgesuch ist unzulässig,3 wenn die Partei den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnt, nachdem sie sich trotz Kenntnis des Ablehnungsgrundes in die Verhandlung eingelassen oder einen Antrag gestellt hat. Auch eine Revisionsrüge kann später nicht mehr mit der Befangenheit begründet werden.4 Das Gesetz stellt die unwiderlegbare Vermutung auf, dass die Partei durch ihr Handeln in dem anhängigen Verfahren konkludent auf das Ablehnungsrecht verzichtet5 und es dadurch verwirkt.6 Durch Säumnis (§§ 330, 331) verliert die Partei das Ablehnungsrecht nicht. Sie braucht es nicht einmal mit dem Einspruch vorzubringen, da sie eine mündliche Verhandlung erwarten darf. Für die auf einen gesetzlichen Ausschließungsgrund i.S. von § 41 gestützte Ablehnung gilt § 43 nicht. Sie kann in jedem Stadium des Verfahrens geltend gemacht werden. § 43 setzt voraus, dass der Ablehnungsgrund vor der Einlassung in eine Verhand- 2 lung oder Stellung der Anträge entstanden ist. Auf Gründe, die sich im Zusammenhang mit der Antragstellung ergeben, kann die Ablehnung ebenfalls noch gestützt werden.7 Ergibt sich der Ablehnungsgrund erst danach, muss der Antrag spätestens bis zum Verhandlungsschluss angebracht werden.8 Hiermit wird insbesondere gewährleistet, dass die Vorgänge, die zur Ablehnung führen, zeitnah dokumentiert werden können. Bei Zweifeln über den Zeitpunkt der Entstehung muss die ablehnende Partei glaubhaft machen, dass sie erst nach dem Verhandeln vom Ablehnungsgrund Kenntnis erlangt hat (§ 44 Abs. 4).

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1 BGH NJW 2006, 2776, 2777; OLG Koblenz MDR 1986, 60; OLG Koblenz MDR 1989, 647; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 571; OLG Düsseldorf MDR 1994, 620 (Sachverständigenablehnung); OLG Karlsruhe OLGReport 2007, 958, 960; Schneider MDR 1977, 441. 2 BGHZ 165, 223 = NJW 2006, 695; OLG Brandenburg OLGReport 2009, 624, 626; Vossler MDR 2007, 992; a.A. offenbar BGH NJW 2006, 2776, 2777. 3 BPatG GRUR 1982, 359; OLG Frankfurt OLGZ 1979, 452, 453; OLG Hamburg MDR 1976, 845; OLG München MDR 1980, 145, 146; a.A. OLG Brandenburg OLGReport 2009, 624, 626, das von einer Unbegründetheit ausgeht. 4 BGHZ 165, 223 = NJW 2006, 695; Vossler MDR 2007, 992. 5 RGZ 36, 378, 379. 6 BayObLG MDR 1977, 763; kritisch MünchKomm/Gehrlein § 43 Rdn. 2. 7 OLG Köln OLGZ 1971, 376; E. Schneider Rdn. 92 ff. 8 BGH NJW-RR 2008, 800; OLG Frankfurt OLGZ 1979, 452 = MDR 1979, 762; ebenso Wassermann JR 1961, 401, 405.

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II. Kenntnis des Ablehnungsgrundes Zur Kenntnis – Kennenmüssen ist nicht ausreichend9 – gehören die Tatsachen, aus denen der Ablehnungsgrund hergeleitet wird.10 Geht es um einen Ablehnungsgrund, der sich auf eine persönliche Beziehung zum Richter gründet, muss der Partei weiter bekannt sein, dass dieser Richter auch mit ihrer Sache befasst ist. Deshalb kann im schriftlichen Verfahren (§ 128) das Ablehnungsrecht unter Umständen länger als bei einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung erhalten bleiben.11 Analog § 24 Abs. 3 S. 2 StPO hat die ablehnende Partei ein Recht auf Nennung der Namen der zur Entscheidung berufenen Richter (s. auch Erl. zu § 44 Rdn. 8).12 Es besteht allerdings keine Pflicht des Gerichts, die Namen von sich aus mitzuteilen (§ 48 Rdn. 2).13 Ist das Verhalten eines Richters Grund für die Ablehnung, braucht die Partei den Namen des handelnden Richters nicht zu kennen; eine namensmäßige Individualisierung ist dann nicht erforderlich.14 Die Kenntnis des Parteivertreters ist der Partei zuzurechnen (§ 85).15 Umgekehrt genügt die Kenntnis der Partei, auch wenn der Vertreter sie nicht hat.16 Führen verschiedene relevante Umstände zur Besorgnis der Befangenheit, liegt Kenntnis erst vor, wenn der Gesamttatbestand verwirklicht und bekannt ist.17 Wird die Ablehnung mit einer Häufung von Fehlverhaltensweisen des Richters begründet, die zwar nicht für sich allein, wohl aber in ihrer Gesamtschau die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, muss auf den Zeitpunkt abgestellt werden, in dem die Partei den hinreichend sicheren Eindruck von der Befangenheit gewinnen musste. Die Handlungen, die davor liegen, können in diesem Fall auch dann in die Betrachtung einbezogen werden, wenn zwischenzeitlich eine rügelose Einlassung stattgefunden hat. Umstritten ist, ob § 43 auch dann eingreift, wenn die Partei in einem anderen Ver4 fahren vor denselben Richter gerät. Die überwiegende Auffassung steht auf dem Standpunkt, dass der Verlust des Ablehnungsrechts nur innerprozessuale Wirkung hat und sich daher nicht auf andere Verfahren auswirkt.18 Nach anderer Auffassung kann ein verloren gegangener Ablehnungsgrund generell nicht mehr geltend gemacht werden.19 Der BGH20 differenziert danach, ob zwischen den Verfahren ein tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang besteht. Ist er vorhanden, soll der einmal eingetretene Verlust des 3

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9 OLG Hamburg OLG Rspr. Bd. 37 (1918), 203, 204; Vossler MDR 2007, 992; Zöller/Vollkommer § 43 Rdn. 2. 10 RG JW 1904, 495; OLG Hamburg OLGZ 1989, 204; für den Fall, dass sich ein unsachliches Verhalten des Richters über mehrere Termine hinweg fortsetzt s. BPatG GRUR 1985, 433 und Zöller/Vollkommer § 43 Rdn. 8. 11 OLG Köln OLGZ 1974, 421, 422 zum FGG-Verfahren. 12 BayObLG Rpfleger 1978, 17, 18 = MDR 1978, 232 leitet den Anspruch aus Art. 101 Abs. 1 GG her. 13 BVerfG NJW 1998, 369, 370. 14 BayVGH BayVBl. 1980, 343. 15 RG JW 1900, 129; BayObLGZ 1974, 131, 134; MDR 1988, 1063; OLG Hamburg MDR 1976, 845; OLG Düsseldorf MDR 2010, 517. 16 Stein/Jonas/Bork § 43 Rdn. 1. 17 OLG Frankfurt OLGReport 2001, 169; OLG Köln OLGReport 2001, 260; LG Düsseldorf ZIP 1985, 631; BPatG GRUR 1985, 434; s.a. OLG Dresden MDR 2011, 1261, 1262. 18 OLG Celle NdsRpfl. 1951, 11; OLG Düsseldorf NJW 1955, 553 u. JMBl. NRW 1956, 161; OLG Stuttgart Die Justiz 1973, 92; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 571 = MDR 1992, 409 u. OLGReport 2007, 958, 960; OLG Koblenz MDR 1989, 647; Wassermann JR 1961, 401, 405 f.; Zöller/Vollkommer § 43 Rdn. 7; MünchKomm/ Gehrlein § 43 Rdn. 8. 19 OLG Hamm NJW 1967, 1864 mit abl. Anm. Teplitzky NJW 1967, 2318; OLG Breslau HRR 1937 Nr. 761. 20 BGH NJW 2006, 2776, 2777 = MDR 2007, 44; ebenso: BFH DB 1987, 1976; OLG Celle NJW 1960, 1670; OLG Koblenz MDR 1986, 60, 61; OLG Koblenz MDR 1989, 647; zustimmend Vossler MDR 2007, 992, 994; offen gelassen in BGH NJW 2006, 2492, 2494; zum selbständigen Beweisverfahren s. OLG Zweibrücken NJW-RR 2013, 383 = MDR 2013, 365.

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§ 43

Ablehnungsrechts bestehen bleiben. Zu folgen ist der Auffassung, die eine Auswirkung auf andere Verfahren generell verneint. Prozesshandlungen betreffen grundsätzlich nur den anhängigen Prozess und haben – mit Ausnahme von Rechtshängigkeit und Rechtskraft – keine Wirkungen für nachfolgende Verfahren.21 Außerdem ist es für die Parteien nicht immer vorhersehbar, ob es zu einem Folgeprozess kommt. Zudem gibt es Situationen, in denen an sich ein Befangenheitsgesuch angebracht wäre, die Partei hiervon aber aus Gründen der Höflichkeit oder zur Vermeidung einer weiteren Eskalation in dem konkreten Verfahren Abstand nehmen will. Muss sie befürchten, dass sie auch in Zukunft mit einem entsprechenden Gesuch ausgeschlossen ist, müsste sie es schon aus Vorsorge stellen. Dies würde insbesondere für den Anwalt gelten, der sich gegen den Vorwurf schützen muss, nicht den sichersten Weg eingeschlagen zu haben. Mit einem generellen Ausschluss wird daher ein Befangenheitsgesuch provoziert, von dem die Partei sonst Abstand nehmen würde. Im Übrigen gilt das für § 43 maßgebliche Argument, es müsse den Parteien die Möglichkeit genommen werden, einen Rechtsstreit willkürlich zu verzögern und bereits geleistete Arbeit nutzlos zu machen, für einen Folgeprozess nicht. Denn dort muss das Gesuch sogleich zu Beginn angebracht werden. Unproblematisch ist die Folgewirkung für Neben- oder Nachverfahren zum Haupt- 5 sacheprozess (Nachverfahren im Urkundsprozess; PKH-Verfahren;22 einstweiliger Rechtsschutz;23 Zwangsvollstreckung). Ist insoweit in einem früheren Verfahrensstadium die Präklusionswirkung eingetreten, bleibt sie bestehen. III. Einlassung in eine Verhandlung Einlassung in die Verhandlung ist grundsätzlich jedes aktive Eingehen auf das Ver- 6 fahren vor dem Richter, soweit es der weiteren Erledigung der Sache dient.24 Maßgebend ist, ob von der Erklärung der Partei auf einen Verzicht auf das Ablehnungsrecht geschlossen werden kann.25 Die Partei muss durch ihr Prozessverhalten zu erkennen gegeben haben, dass sie einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den betreffenden Richter Ablehnungsgründe nicht entgegensetzen will. Dabei ist zwischen mündlichem und schriftlichem Verfahren zu unterscheiden. In Verfahren mit obligatorischer mündlicher Verhandlung dienen die Schrift- 7 sätze lediglich der Vorbereitung der Verhandlung. In der Einreichung solcher Schriftsätze gemäß § 129 liegt daher noch keine Einlassung im Sinne von § 43,26 und zwar unabhängig davon, ob gemäß § 276 das schriftliche Vorverfahren angeordnet bzw. in welchem Stadium des Verfahrens der Schriftsatz eingereicht worden war und ob Fristen bestimmt worden waren. Demgemäß kann die schriftliche Stellungnahme zu einer Beweiserhebung die Folgen des § 43 nicht auslösen, soweit sie der Vorbereitung eines späteren Termins gemäß § 285 zur Verhandlung über das Ergebnis einer Beweisaufnahme dient.27 Dasselbe gilt für Erklärungen zu einer vor dem Termin durchgeführten vorberei-

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21 S. OLG Karlsruhe OLGReport 2007, 958, 960. 22 OLG Koblenz MDR 1989, 647; 1986, 60; Wassermann JR 1961, 401, 406. 23 OLG Karlsruhe FamRZ 1989, 642, 643. 24 BGH NJW-RR 2008, 800 = MDR 2008, 582; BFH BFH/NV 1999, 476; Zöller/Vollkommer § 43 Rdn. 4; Musielak/Heinrich § 43 Rdn. 2. 25 Wassermann JR 1961, 401, 405. 26 BGH MDR 2014, 492 = NJW-RR 2014, 382; Saarländisches Oberlandesgericht NJW-RR 1994, 763; Wassermann JR 1961, 401, 405; Vossler MDR 2007, 992, 993; a.A. OLG Düsseldorf MDR 2010, 517, 518 (Einlassung durch schriftliche Stellungnahme zu einem Gutachten); OLG Frankfurt OLGReport 2000, 84; Zöller/Vollkommer § 43 Rdn. 4; s. auch Kammergericht OLGReport 1998, 33. 27 A.A. OLG Düsseldorf MDR 2010, 517, 518.

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§ 43

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

tenden Beweisaufnahme gemäß § 37528 oder zu einem schriftlichen Vergleichsvorschlag gemäß § 278 Abs. 1, 6.29 Rein formale Prozesserklärungen (z.B. Anzeige der Verteidigungsbereitschaft im schriftlichen Vorverfahren;30 Gesuch um Akteneinsicht;31 Stellungnahme zur Abgabe der Sache an die Kammer für Handelssachen;32 Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren33 ) können generell nicht zu einem Verlust des Ablehnungsrechts führen. 8 Bei fakultativer mündlicher Verhandlung (z.B. §§ 37, 46, 118, 225, 490, 495a, 522 Abs. 1 u. 2, 552, 552a, 572, 577, 769, 921, 937) ist für die Entscheidung über die Frage, ob eine Einlassung in eine Verhandlung vorliegt, darauf abzustellen, ob die schriftliche Äußerung der sachlichen Vorbereitung der zu erlassenden Entscheidung dient. Demgemäß führt z. B. eine in Kenntnis des Ablehnungsgrunds abgegebene Stellungnahme des Berufungsklägers zu einem schriftlichen Hinweis des Berufungsgerichts, dass es die Berufung mangels Zulässigkeit verwerfen oder mangels hinreichender Erfolgsaussicht durch Beschluss als unbegründet zurückweisen will, zu einem Verlust des Ablehnungsrechts.34 9 Kommt es zum Termin, liegt ein Verhandeln im Sinne von § 43 nicht erst in der Antragstellung. Unter „Einlassung in eine Verhandlung“ ist etwas Anderes zu verstehen als unter „Verhandlung“ im Sinne von § 137 Abs. 1. Gemäß § 43 lässt sich die Partei bereits dann ein, wenn sie sich an einer Güteverhandlung gemäß § 278 Abs. 2 bzw. Vergleichsgesprächen beteiligt,35 wenn sie Fragen des Gerichts zum Sachverhalt beantwortet36 oder aktiv durch Fragen an einer Beweisaufnahme – auch vor dem beauftragten oder ersuchten Richter – teilnimmt.37 Da eine Antragstellung nicht erforderlich ist, kommt es auch nicht darauf an, dass bei der Einlassung der Prozessbevollmächtigte nicht anwesend und die Partei selbst nicht postulationsfähig ist.38 Weiterhin folgt dies aus §§ 44 Abs. 1 2. Halbs, 78 Abs. 3. Werden im Termin vor der Verhandlung zur Sache zunächst Zulässigkeitsfragen erörtert, führt dies ebenfalls zu einer Einlassung in die Verhandlung. Im rein schriftlichen Verfahren nach entsprechender Anordnung gemäß § 128 10 Abs. 2 ist in allen schriftsätzlichen Stellungnahmen eine Einlassung in die Verhandlung zu sehen,39 die der Vorbereitung der sachlichen Entscheidung des Gerichts dienen. Die vorangehende Zustimmung zum schriftlichen Verfahren ist dagegen weder eine Einlassung in eine Verhandlung noch ein Antrag im Sinne von § 43, da sie rein formale Bedeutung hat (Rdn. 7).40 IV. Antragstellung 11

Anträge i.S. von § 43 sind in erster Linie die Sachanträge, die in der mündlichen Verhandlung gestellt werden (§ 297). Einen Antrag i.S. von § 43 stellt auch, wer zwecks

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28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

A.A. OLG Frankfurt OLGReport 2001, 169. A.A. OLG Frankfurt FamRZ 1991, 839; offen gelassen in BAG BB 2010, 69 = NZA 2010, 1250. Vossler MDR 2007, 992, 993; a.A. LG Rostock NJW-RR 2002, 356. BayObLG NJW-RR 2001, 642. A.A. OLG Stuttgart OLGReport 1998, 75. A.A. OLG München MDR 1980, 146; Schneider MDR 2005, 671, 672; Vossler MDR 2007, 992. OLG Frankfurt OLGReport 2001, 169 (Anregung, die Berufung zurückzunehmen). OLG Frankfurt FamRZ 1991, 839 (Abschluss eines Widerrufsvergleichs). OVG Bremen NJW 1985, 823. OLG Köln OLGZ 1974, 421, 424; OLG Karlsruhe NJW-RR 1996, 1339. OLG Bamberg FamRZ 1995, 100; Zöller/Vollkommer § 43 Rdn. 2. BayObLG MDR 1988, 1063. A.A. BFH DB 1987, 1976; OLG München MDR 1980, 145.

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Überprüfung der PKH-Entscheidung Beschwerde einlegt,41 weil diese eine Abhilfeentscheidung (§ 572) auslöst. Dasselbe gilt für eine Gegenvorstellung.42 Noch nicht gestellt, sondern nur angekündigt sind Anträge in vorbereitenden Schriftsätzen. Ein Widerspruch gemäß § 924 hat dagegen diese Folgen nicht, da er zu einer mündlichen Verhandlung führt und die im Schriftsatz angekündigten Anträge lediglich der Vorbereitung dieser Verhandlung dienen.43 Betrifft die Ablehnung einen Richter des Rechtsmittelgerichts, ist die Einlegung des Rechtsmittels ohne gleichzeitige Anbringung des Ablehnungsgesuches unschädlich.44 Reine Prozessanträge führen nicht zur Präklusion, soweit sie lediglich den formalen 12 Ablauf des Verfahrens betreffen. Denn hieraus kann ein Rückschluss darauf gezogen werden, ob der Richter von der Partei akzeptiert wird. Insoweit gilt dasselbe wie für schlichte Prozesserklärungen zu formalen Fragen (Vertagungsantrag;45 Antrag auf Terminsverlegung;46 Antrag auf Erteilung einer Protokollabschrift;47 Antrag auf Akteneinsicht48). V. Ablehnungsrecht trotz Verhandeln Ein Verlust des Ablehnungsrechts tritt nicht ein, wenn sich die Partei nach Ableh- 13 nung des Richters in eine weitere Verhandlung einlässt. Dies folgt schon aus § 47 Abs. 2. Wenn die Verhandlung trotz des Ablehnungsgesuchs fortgesetzt wird, muss der Partei das Ablehnungsrecht erhalten bleiben, und zwar unabhängig davon, ob die Fortsetzung unter Missachtung der Voraussetzungen von § 47 Abs. 2 S. 1 erfolgt. Verweigert sie die weitere Mitwirkung, muss sie befürchten, dass ihr andernfalls prozessuale Nachteile entstehen (Erlass eines Versäumnisurteils; Entscheidung nach Lage der Akten; abschließende Entscheidung im schriftlichen Verfahren; Beweiserhebung ohne ihre Teilnahme).49 Diese Zwangslage kann nicht zu einem Rechtsverlust führen, also auch nicht zum Verlust des Rechtsschutzbedürfnisses für eine spätere Beschwerde gegen eine negative Entscheidung.50 Die Fortsetzung der Verhandlung durch den Richter trotz Ablehnung kann unabhängig von einem etwaigen Rügeverlust unter Umständen einen neuen Befangenheitsgrund schaffen, und zwar dann, wenn diese Verfahrensweise die Befürchtung der Partei hervorrufen muss, dass sie mit ihrem Anliegen nicht ernst genommen wird.51 Ausnahmsweise kann sich aus dem nachfolgenden Handeln der Partei allerdings auch ergeben, dass sie ihren Antrag nur aus taktischen Gründen gestellt hatte und er daher rechtsmissbräuchlich war.52 Zur Vermeidung von Missverständnissen und zur Herbeiführung eines gesetzesmäßigen Verfahrens über den Ablehnungsantrag empfiehlt

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41 OLG Koblenz MDR 1986, 60; Zöller/Vollkommer Rdn. 4; a.A. Thomas/Putzo/Hüßtege § 43 Rdn. 4. 42 A.A. Zöller/Vollkommer § 43 Rdn. 5. 43 OLG Koblenz OLGReport 1998, 292. 44 BayVGH BayVBl. 1981, 238, 370. 45 BVerwG NJW 1964, 1870; OLG Düsseldorf MDR 2010, 517; a.A. OLG Hamburg MDR 1961, 152; LG Tübingen MDR 1982, 411 für einen Fall, in dem es zugleich darum ging, anwesende Zeugen zu entlassen; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 25 II 3a; offengelassen von BPatG GRUR 1982, 359, 360. 46 RGZ 36, 378, 381. 47 BVerwG NJW 1964, 1870. 48 BayObLG NJW-RR 2001, 642. 49 KG NJW 1975, 1842; OLG Köln VersR 1993, 1550; OLG Karlsruhe Justiz 1993, 54; OLG Köln MJW-RR 2000, 591; OLG Karlsruhe NJW-RR 2000, 591, 592. 50 KG JW 1931, 1104. 51 OLG Köln NJW-RR 1998, 857. 52 Vgl. BPatG GRUR 1982, 359.

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§ 44

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es sich für die Partei, vor der weiteren Verhandlung eine ausdrückliche Klarstellung vorzunehmen und diese auch zu Protokoll zu geben. VI. Wiederaufleben des Ablehnungsrechts 14

Das Ablehnungsrecht kann erneut entstehen, wenn der Partei nach dem Verlust des Rechts weitere Umstände bekannt werden, die zwar nicht für sich allein, wohl aber in der Gesamtschau mit den bisherigen Ereignissen die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.53 Von einer Kenntnis des Ablehnungsgrundes kann nur dann gesprochen werden, wenn der Partei alle hierfür maßgeblichen Umstände bekannt sind. Allerdings ist bei der nötigen Gesamtschau ein enger Maßstab angebracht, um einem Missbrauch des Ablehnungsrechts auszuschließen. Die Befangenheit kann daher insbesondere nicht damit begründet werden, der abgelehnte Richter habe sich – sozusagen erwartungsgemäß – in seiner dienstlichen Äußerung nicht für befangen erklärt und dadurch erneut seine Befangenheit bewiesen.54

§ 44 Ablehnungsgesuch § 44 Gerken (1) Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. (2) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden. (3) Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern. (4) Wird ein Richter, bei dem die Partei sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so ist glaubhaft zu machen, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden sei. Schrifttum Günther Unzulässige Ablehnungsgesuche und ihre Bescheidung, NJW 1986, 281 ff.; Schneider Die dienstliche Äußerung im Ablehnungsverfahren, NJW 2008, 491 f.

I.

Übersicht Allgemeines: Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs ____ 1 1. Voraussetzungen ____ 2 a) Partei als Antragsteller (§ 42 Abs. 3) ____ 3 b) Form und Empfangszuständigkeit (Abs. 1) ____ 4 c) Inhalt ____ 7 d) Zeitpunkt ____ 10 2. Keine Wiederholung ____ 12

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Rechtsschutzbedürfnis ____ 13 Behandlung eines rechtsmissbräuchlichen Gesuchs ____ 14 Glaubhaftmachung eines Ablehnungsgrundes (Abs. 2) 1. Behaupten von Tatsachen ____ 15 2. Glaubhaftmachung ____ 16 Dienstliche Äußerung (Abs. 3) ____ 19 Ablehnung nach Einlassung oder Antragstellung (Abs. 4) ____ 23 3. 4.

II.

III. IV.

53 OLG Köln OLGReport 2001, 260; s. auch Saarländisches Oberlandesgericht OLGReport 2007, 336; kritisch hierzu Vossler MDR 2007, 992, 994. 54 Saarländisches Oberlandesgericht OLGReport 2007, 336.

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Abschnitt 1. Gerichte

§ 44

I. Allgemeines: Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs Das Ablehnungsgesuch hat Erfolg, wenn es zulässig und begründet ist. Da das Ge- 1 such eine Prozesshandlung ist, müssen für dessen Zulässigkeit die allgemeinen und besonderen Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen. Zudem sind die allgemeinen Prozessgrundsätze zu beachten.1 Bis zur Entscheidung kann das Gesuch zurückgenommen werden. 1. Voraussetzungen. Allgemeine Voraussetzungen eines wirksamen Ablehnungs- 2 antrags sind die Partei- und Prozessfähigkeit des Antragstellers.2 Besteht hierüber Streit, so ist die Partei in dem entsprechenden Verfahren,3 zu dem auch das Ablehnungsverfahren gehört, als partei- und prozessfähig zu behandeln. Das gilt auch bei dem Streit um die Prozessführungsbefugnis.4 Da das Gesuch gemäß § 44 Abs. 1 zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden kann, besteht nach § 78 Abs. 3 kein Anwaltszwang, und zwar in allen Rechtszügen.5 Diese Befreiung gilt auch in der mündlichen Verhandlung.6 Neben den allgemeinen Voraussetzungen müssen die spezifischen Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 41 ff. vorliegen. a) Partei als Antragsteller (§ 42 Abs. 3). Das Ablehnungsrecht steht gemäß § 42 3 Abs. 3 beiden Parteien sowie dem Streithelfer (§ 67) zu (s. dazu Erl. § 42 Rdn. 37). Bei mehreren Streitgenossen kann jeder Streitgenosse die Ablehnung erklären, und zwar auch gegen den Willen der übrigen Streitgenossen. Das gilt auch bei notwendiger Streitgenossenschaft. Die erfolgreiche Ablehnung wirkt für alle Streitgenossen. Wird das Ablehnungsgesuch von einem Parteivertreter gestellt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dieses im Namen der Partei geschieht,7 es sei denn, es sprechen ausnahmsweise gravierende Indizien dagegen (s. auch § 42 Rdn. 38, 39).8 b) Form und Empfangszuständigkeit (Abs. 1). Ob ein hinreichend konkretes Ab- 4 lehnungsgesuch vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Der Antrag, einen anderen Richter mit der Durchführung des Rechtsstreits zu befassen, reicht aus.9 Auch die Bezeichnung als Gegenvorstellung ist unschädlich.10 Besondere Formerfordernisse bestehen nicht. Das Gesuch kann schriftlich oder mündlich11 gestellt werden. Erfolgt die Ablehnung in der mündlichen Verhandlung, sind Gesuch und Begründung hierfür zu Protokoll zu nehmen (§ 160 Abs. 2).12 Das Gericht darf die Partei nicht darauf verweisen,

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1 Allgemein zu unzulässigen Ablehnungsgesuchen Günther NJW 1986, 281 ff. 2 Zur Prozessfähigkeit RG JW 1935, 2895 (Nr. 17); 1904, 474; LG Stuttgart ZZP 69 (1956), 48. 3 Für die Parteifähigkeit: BGHZ 24, 94; für die Prozessfähigkeit: BGHZ 35, 1, 6; NJW 1990, 1734; BayObLG FamRZ 1988, 743, 744 (insoweit nicht in MDR 1988, 500 abgedruckt); OLG Schleswig SchlHA 1980, 212; OLG Zweibrücken JurBüro 1987, 308. 4 OLG Köln NJW 1971, 569. 5 Zum Verfahren vor dem Bundesgerichtshof BGH MDR 1995, 520; zum Arbeitsgerichtsprozess BAG NJW 2012, 1531; anders für den Verwaltungsprozess OVG Lüneburg NJW 2009, 387. 6 RGZ 35, 351, 358; zur Zustellung der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch im Anwaltsprozess s. OLG Köln OLGReport 2005, 381. 7 OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 126, 127 m.w.N. 8 Günther ZZP 105 (1992), 20, 26. 9 LG Kiel SchlHA 1987, 55. 10 OLG Düsseldorf MDR 1957, 364 (LS). 11 Seit RGZ 35, 351, 358 ganz hM entgegen Teilen des älteren Schrifttums, vgl. Petersen/Anger CPO, Anm. 4 zu §§ 43–46. 12 OLG Schleswig OLGReport 2002, 307; OLG Schleswig OLGReport 2006, 67.

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§ 44

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

dass sie ihr Gesuch schriftlich einreichen möge.13 Allerdings ist das Gericht nicht verpflichtet, die Partei zum Grund der Ablehnung ausdrücklich zu befragen, wenn sie diesen Grund nicht von sich aus nennt. Die sich aus § 139 Abs. 1 ergebende allgemeine prozessuale Fürsorgepflicht erfordert dies nicht.14 Das Gesuch muss nach Abs. 1 1. Halbs. bei dem Gericht gestellt werden, dem der ab5 zulehnende Richter angehört. Gericht ist der Spruchkörper15 (Amtsrichter, Kammer, Senat), der mit der Sache befasst ist.16 Der Antrag ist unzulässig, solange er nicht bei dem in Abs. 1 bezeichneten Gericht eingegangen ist. Unschädlich ist aber eine falsche Adressierung.17 Nur wenn das Gesuch gemäß Abs. 1 2. Halbs. zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben wird, kann es nach § 129a auch bei einem anderen Amtsgericht angebracht werden. Die Empfangszuständigkeit ist Zulässigkeitsvoraussetzung.18 Das beim unzuständi6 gen Gericht (z.B. beim Kontrollgericht) eingereichte Gesuch muss – ebenso wie eine Rechtsmittelschrift – im Rahmen der allgemeinen Prozessfürsorgepflicht an den abgelehnten Richter weitergeleitet werden. Der Zuständigkeitsmangel bleibt unschädlich, solange nicht gemäß § 43 durch das weitere Verfahren ein Verlust des Ablehnungsrechts eingetreten ist. 7

c) Inhalt. Das Ablehnungsgesuch muss gemäß Abs. 2 einen Ablehnungsgrund nennen. Die Umstände, aus denen die Besorgnis der Befangenheit abgeleitet wird, müssen zumindest in ihrem Kern vorgetragen werden. Fehlt es an der erforderlichen Konkretisierung, ist das Gesuch unzulässig.19 Es ist missbräuchlich. Dasselbe gilt, wenn die genannten Gründe offensichtlich völlig ungeeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Geht es um mehrere Vorkommnisse, müssen alle vorgetragen werden. Der Gesuchsteller kann sich sein Vorbringen daher nicht – etwa aus taktischen Gründen – „aufsparen“. Der Ablehnungsgrund muss einen nachvollziehbaren Bezug zum konkreten Verfahren haben und darf nicht nur allgemeiner Art sein.20 Bloße Wertungen genügen grundsätzlich nicht. Die erforderlichen Tatsachen müssen zusammen mit der Ablehnung vorgetragen werden. Der Ablehnende hat keinen Anspruch darauf, dass ihm hierzu eine Frist eingeräumt wird. Eine solche Verfahrensweise wäre nicht damit vereinbar, dass das Ablehnungsrecht nicht zur Verzögerung des Rechtsstreits missbraucht werden darf.21 Bei einem zulässigen Gesuch ist es der Partei allerdings gestattet, ihre Ausführungen in einem späteren Schriftsatz zu ergänzen.22 Soweit noch nicht über das Ablehnungsgesuch entschieden ist, müssen diese ergänzenden Ausführungen berücksichtigt werden. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, eine angekündigte Ergänzung abzuwarten, es sei denn die Partei trägt besondere Umstände vor, warum sie nicht zum sofortigen Vortrag in der Lage ist. Der abgelehnte Richter muss – möglichst namentlich – benannt werden. Ist der 8 Name nicht bekannt, hat die das Gesuch stellende Partei analog § 24 Abs. 3 S. 2 StPO auf

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13 OLG Hamm MDR 2011, 1443, 1444. 14 A.A. OLG Schleswig OLGReport 2006, 67. 15 RGZ 16, 413; Stein/Jonas/Bork § 44 Rdn. 1b; a.A. Thomas/Putzo/Hüßtege § 45 Rdn. 4. 16 S. Erl. zu § 45 Rdn. 2. 17 KG FamRZ 1986, 1023, 1024 (Nr. 612). 18 KG FamRZ 1986, 1024. 19 BVerwG NJW 1997, 3327; OLG Braunschweig NJW 1976, 2024, 2025; OLG Köln MDR 1964, 423 mit Anm. Teplitzky; ausführlich Günther NJW 1986, 281, 284 ff. 20 BVerwG NJW 1997, 3327. 21 OLG Köln MDR 1964, 423; OLG Köln NJW-RR 1996, 1339. 22 OLG Schleswig OLGReport 2002, 307.

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entsprechende Nachfrage einen Anspruch auf Bekanntgabe des Namens des zur Entscheidung berufenen Richters.23 Unterbleibt die Namensnennung, ist der Mangel dann unschädlich, wenn auf andere Weise bestimmt werden kann, gegen wen sich die Ablehnung richtet.24 Das ist z.B. der Fall, wenn die Befangenheit aus einer prozessleitenden Maßnahme der/des Vorsitzenden abgeleitet wird (Zurückweisung eines Antrags auf Terminsverlegung, auf Akteneinsicht oder Fristverlängerung).25 Die geltend gemachten Befangenheitsgründe müssen individuell gegen einen be- 9 stimmten Richter gerichtet werden (Individualablehnung). Dies folgt aus § 42 Abs. 1. Das Gericht als solches 26 oder ein am Verfahren nicht beteiligtes weiteres Mitglied des Spruchkörpers27 können grundsätzlich nicht abgelehnt werden. Ein solches Gesuch ist unzulässig. Die Frage, ob eine solche unzulässige Pauschalablehnung oder nicht statt dessen eine Individualablehnung gewollt war, bedarf allerdings einer sorgfältigen Prüfung unter Auswertung des gesamten Vorbringens. Eine übermäßige Strenge bei der Auslegung des Antrags ist nicht angebracht.28 Ein pauschal gegen alle Richter eines Gerichts gerichtetes Ablehnungsgesuch führt nicht etwa dazu, dass zunächst gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ein anderes Gericht als zuständiges Gericht bestimmt werden muss.29 Es müssen Befangenheitsgründe vorgetragen werden, die sich individuell auf den beteiligten Richter beziehen.30 Die Gründe müssen gerade die einzelne Person31 und ihr Verhältnis zur Sache betreffen.32 So ist ein Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig, das letztlich mit der Zugehörigkeit des Richters zu einem bestimmten Gericht begründet wird.33 Andererseits können unter Umständen auch mehrere oder sämtliche Richter eines Gerichts oder eines einzelnen Spruchkörpers aus den gleichen individuellen Gründen abgelehnt werden.34 Wird der Befangenheitsgrund aus einer Kollegialentscheidung abgeleitet, kann die Partei aufgrund des Beratungsgeheimnisses nicht wissen, auf welchen Richter der entsprechende Teil der Entscheidung zurückzuführen ist. In diesem Fall kann und muss das Gesuch gegen alle Mitglieder des Kollegiums gerichtet werden.35 d) Zeitpunkt. Das Gesuch kann grundsätzlich von der Anhängigkeit des Verfah- 10 rens bis zu dem Zeitpunkt, in dem der abzulehnende Richter noch Entscheidungen zu treffen hat, angebracht werden. In der Regel endet damit das Ablehnungsrecht mit Verkündung der Sachentscheidung. Wird derselbe Richter weiter oder erneut tätig, z.B.

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23 BayObLG Rpfleger 1978, 17, 18 = MDR 1978, 232. 24 BVerfGE 2, 295, 297 (in NJW 1953, 1097 insoweit nicht abgedruckt); BFH NJW 1973, 536 (LS); Günther NJW 1986, 282; anders Zöller/Vollkommer § 44 Rdn. 2. 25 Beispiel in OLG Köln OLGReport 2004, 236 ff. 26 BVerfGE 46, 200; BGH NJW 1974, 55, 56; BGH NJW-RR 2002, 789; BSG AP Nr. 1 zu § 42 ZPO; OLG Köln OLGReport 2004, 236 ff.; OLG Bremen OLGReport 2008, 375, 376. 27 BayObLGZ 1985, 312. 28 BVerfG NJW 2007, 3771, 3773; BVerfG NJW-RR 2008, 72, 74; BGH NJW-RR 2012, 61. 29 OLG Bremen OLGReport 2008, 375, 376. 30 BVerwG NJW 1977, 312; E 50, 35, 36 = MDR 1976, 783. 31 BFH BStBl. 1967 III, 320, 321. 32 RG JW 1929, 1488 zu § 25 StPO mit insoweit zust. Anm. Namroth. 33 BGH NJW 1974, 55, 56; RG JW 1935, 2894, 2895 (Nr. 16). 34 BAG AP Nr. 2 zu § 41 ZPO m. Anm. Wieczorek (betr. gleichzeitige Stellung von Ablehnungsanträgen gegen alle möglicherweise eintretenden Richter); OVG Münster VerwRspr. 32 (1981), 117 f.; LG Kiel SchlHA 1987, 55; zur „Drucksituation“ bei einer Kollegialentscheidung s. BGH MDR 2012, 991. 35 BGHSt. 23, 200, 202 = NJW 1970, 478; mit Anm. Peters JR 1970, 268; BVerwGE 50, 36, 37 f. = MDR 1976, 783.

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nach Einspruch (§ 338),36 Widerspruch (§ 924), im Tatbestandsberichtigungsverfahren (§ 320)37 oder im Verfahren gemäß § 321a, ist auch noch in diesen Verfahrensabschnitten – allerdings wie stets unter Beachtung der §§ 43, 44 Abs. 4 – eine Ablehnung möglich. Ein nach vollständiger Beendigung der Instanz gestellter Ablehnungsantrag ist unzulässig, weil das Ziel der Ablehnung, den Richter an der weiteren Mitwirkung im Verfahren zu hindern, nicht mehr erreicht werden kann.38 Äußerste Zeitschranke ist damit die Rechtskraft der getroffenen Entscheidung.39 Im Rechtsmittelverfahren kann eventuell geltend gemacht werden, dass der Richter die Selbstablehnung (§ 48) hätte erklären müssen.40 Ablehnungsgründe, die auf einem Ausschließungstatbestand des § 41 beruhen, können nach der Verkündung einer Entscheidung zwar nicht mehr in einem Ablehnungsverfahren, wohl aber nach den §§ 539, 547 Abs. 1 Nr. 2 in der Rechtsmittelinstanz berücksichtigt werden. 11 Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob das Gesuch zulässig bleibt, wenn es rechtzeitig vor der Sachentscheidung gestellt, hierüber aber noch nicht (rechtskräftig) befunden wurde und der Richter gleichwohl zwischenzeitlich die Sachentscheidung erlässt. In einem solchen Fall liegt ein Verfahrensverstoß (§ 47) vor, dessen Auswirkung auf das Rechtsmittelverfahren von der endgültigen Entscheidung über den Befangenheitsantrag abhängt. S. dazu Erl. zu § 46 Rdn. 11. 12

2. Keine Wiederholung. Ein Gesuch, das einen bereits zurückgewiesenen Ablehnungsantrag ohne nennenswerte Änderung wiederholt, ist unzulässig.41 Darin liegt in der Regel ein Rechtsmissbrauch.42 Daneben kann die Unzulässigkeit auch aus einer innerprozessualen Bindungswirkung einer Zwischenentscheidung43oder aus § 44 Abs. 4 folgen.44 Zulässig ist das „wiederholte“ Gesuch, wenn es neue Tatsachen oder Beweismittel enthält45 oder sich nacheinander gegen verschiedene Richter desselben Spruchkörpers richtet.46 Voraussetzung ist allerdings, dass keine Präklusion nach §§ 43, 44 Abs. 4 eingetreten ist.

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36 Nicht aber, nachdem ein zweites Versäumnisurteil bereits ergangen ist, weil ein Einspruch hiergegen gemäß § 345 nicht zulässig ist, so OLG München OLG Rspr. Bd. 23 (1911), 89. 37 BGH ZZP 76 (1963), 118, 119 = NJW 1963, 46 (ohne Sachverhalt). Werden im Tatbestandsberichtigungsverfahren alle Richter abgelehnt, so kann im Hinblick auf § 320 Abs. 4 S. 2 aber das Rechtsschutzbedürfnis entfallen – BGH NJW-RR 2007, 1653 = MDR 2007, 1331; OLG Frankfurt MDR 1979, 940, BFH BB 1990, 271. 38 BayObLG MDR 1993, 471; BayObLGZ 1985, 307, 310 = FamRZ 1986, 291, 292; OLG Koblenz MDR 1983, 151; BVerwG MDR 1970, 442; anders BayObLG FamRZ 1988, 743, 744 = MDR 1988, 500 (auszugsweise), das ein Ablehnungsgesuch auch dann noch als rechtzeitig angebracht ansieht, wenn die instanzabschließende Entscheidung zwar getroffen wurde, der Ablehnungsgrund aber aus dem Erlass der Entscheidung hergeleitet wird (im konkreten Fall die Verletzung der Wartepflicht aus § 47 in Bezug auf einen früheren Ablehnungsantrag); a.A. auch Zöller/Vollkommer § 42 Rdn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege § 42 Rdn. 2; wie hier Stein/Jonas/Bork § 44 Rdn. 5; eingehend Günther MDR 1989, 691. 39 BVerfG NJW 2011, 2191, 2192; BGHZ 141, 90, 93; BGH BGHReport 2001, 218; BGH NJW-RR 2007, 1653. 40 S. Erl. zu § 48 Rdn. 1. 41 OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 569, 570; OLG Kiel HRR 1936 Nr. 425; Günther NJW 1986, 281, 283 f. m.w.N. 42 OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 569, 570; LG Kiel Rpfleger 1988, 544, 545 mit zust. Anm. Wabnitz; i.d.S. wohl auch die Begründung zu § 26a StPO, BT-Drucks. IV/178, S. 35. 43 Vgl. Schumann JZ 1973, 484, 485 zu einer Ablehnung nach dem BVerfGG. 44 KG FamRZ 1986, 1022, 1023 (Nr. 611). 45 Grundsätzlich Schumann JZ 1973, 484, 485 f. m.w.N. 46 Günther NJW 1986, 281, 286.

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3. Rechtsschutzbedürfnis. Ein Gesuch, durch das der Prozess offensichtlich nur 13 verschleppt werden soll, mit dem lediglich ein verfahrensfremder Zweck verfolgt oder das ausschließlich zu einem prozesstaktischen Ziel eingesetzt wird, ist mangels Rechtschutzbedürfnis unzulässig.47 Das gilt z.B. bei einem Gesuch, mit dem lediglich Zeit gewonnen werden soll, bei dem fernliegende und mit dem Prozess nicht in Zusammenhang stehende Vorwürfe erhoben werden oder das dazu dient, einen nicht genehmen Richter allein wegen seiner vorangegangenen Spruchrichtertätigkeit auszuschalten.48 Ein solcher Missbrauch wird allerdings nur im Ausnahmefall festgestellt werden können. Es muss der Eindruck vermieden werden, dass sich das Kontrollgericht mit einer solchen vorrangig vorzunehmenden Zulässigkeitserwägung der sachlichen Prüfung der vorgebrachten Gründe entziehen will. In diesem Fall würde sich das Kontrollgericht selbst dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen. Daher sind strenge Anforderungen an die Feststellung einer Missbrauchsabsicht zu stellen. Die Absicht muss offensichtlich sein.49 Hierzu muss das Ablehnungsgesuch vollständig ausgewertet und gegebenenfalls wohlwollend ausgelegt werden.50 Lässt sich nicht ausschließen, dass dem Gesuch tatsächlich eine – wenn auch nur subjektiv zu rechtfertigende – Besorgnis der Befangenheit zugrunde liegt, kann von einem Missbrauch nicht die Rede sein. In diesem Fall bedarf es einer sachlichen Entscheidung. Das gilt auch, wenn das Gesuch auf mehrere Gründe gestützt wird und nur einer davon halbwegs nachvollziehbar erscheint. Die Zulässigkeit des Gesuchs wird weiter nicht dadurch berührt, dass die Antragsschrift neben beachtlichem Tatsachenvortrag Beleidigungen enthält.51 In Fällen dieser Art bestehen allerdings häufig schon andere spezielle Zulässigkeitsmängel (Gesichtspunkt der Wiederholung, keine Darlegung eines individuellen Ablehnungsgrundes).52 Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Ablehnungsgesuch entfällt, wenn der Richter nicht mehr über die Sache entscheiden kann, etwa bei einem Wechsel des Dezernats oder zu einem anderen Gericht.53 Dazu gehört auch der Fall, dass ohne weitere Prüfung lediglich eine Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht ausgesprochen werden muss.54 Ebenso fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn ein mit der Sache nicht mehr befasster Richter abgelehnt wird und völlig offen ist, ob er sich im Rahmen seiner richterlichen Aufgaben mit der Sache jemals zu befassen haben wird.55 In einem solchen Fall ist es der Partei zuzumuten, solange abzuwarten, bis der Richter wieder zuständig wird. Hat der Richter bereits eine Entscheidung getroffen und wird er danach abgelehnt, kommt es darauf an, ob durch die Entscheidung die Instanz endgültig beendet ist. Beim Erlass eines Vorbehaltsurteils im Urkundenverfahren (§ 599) oder bei Aufrechnung mit einer Gegenforderung des Beklagten (§ 302) ist dies noch nicht der Fall (§§ 302 Abs. 4, 600). Mit der theoreti-

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47 Vgl. Begründung zu § 26a StPO, BT-Drucks. IV/178, S. 35; BGH NJW 1995, 520 = NJW 1995, 1030; OLG Zweibrücken AP Nr. 6 zu § 42 ZPO; OLG Zweibrücken MDR 1980, 1025; OLG Brandenburg OLGReport 2000, 35; OLG Düsseldorf Rpfleger 1994, 340; OLG Naumburg OLGReport 2007, 157, 158. 48 BGH NJW 1992, 983, 984 = MDR 1992, 181. 49 OLG Zweibrücken MDR 1980, 1025, 1026; OLG Brandenburg OLGReport 2000, 35; OLG Naumburg OLGReport 2007, 157, 158. 50 BVerfG NJW-RR 2008, 72, 74. 51 OLG Stuttgart OLGZ 1977, 107, 108 f. = NJW 1977, 112; Günther NJW 1986, 281, 286; a.A. OLG Hamm NJW 1976, 978 m.w.N. 52 Ausführliche Analyse bei Günther NJW 1986, 281, 286. 53 OLG Düsseldorf OLGReport 1996, 84 u. 1993, 158; OLG Frankfurt OLGReport 1997, 305; OLG Zweibrücken OLGReport 2000, 417; OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 1260; OLG Celle OLGReport 2008, 216. 54 OLG Karlsruhe FamRZ 2007, 55. 55 BayObLGZ 1986, 249, 251; OLG Hamburg OLG Rspr. Bd. 21 (1910), 68, 69.

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schen Möglichkeit einer Zurückverweisung gemäß §§ 538 Abs. 2, 563) kann das Rechtsschutzbedürfnis dagegen nicht begründet werden.56 14

4. Behandlung eines rechtsmissbräuchlichen Gesuchs. Ist ein Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig, stellt sich die Frage, ob gleichwohl die Formalien des Verfahrens (dienstliche Äußerung, § 44 Abs. 3; Wartepflicht des Abgelehnten, § 47; Entscheidung ohne den Abgelehnten, § 4557) eingehalten werden müssen und ob der abgelehnte Richter entgegen § 45 über die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs selbst (mit)entscheiden kann.58 Gestattet ist dies ausnahmsweise nur dann, wenn der Rechtsmissbrauch evident ist bzw. wenn die Tatsachen und Mittel zur Glaubhaftmachung ersichtlich völlig ungeeignet sind. Einzelheiten hierzu s. § 45 Rdn. 4. In solchen Fällen kann unter Umständen ein Ablehnungsgesuch sogar ohne Entscheidung übergangen werden. Es besteht dann auch keine Wartepflicht gemäß § 47.59 Diese Art der „Missbrauchsabwehr“ ist rechtlich geboten, um die Interessen der Gegenpartei an der zügigen Prozessbeendigung zu wahren.60 II. Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrundes (Abs. 2)

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1. Behaupten von Tatsachen. Der Ablehnende muss zur Begründung des Ablehnungsgesuches die Tatsachen vortragen, die den Verdacht der Parteilichkeit des Richters (§ 42) begründen.61 Dieses Erfordernis folgt aus Abs. 2, der die Glaubhaftmachung der Befangenheitstatsachen fordert. Daneben ergibt sich dies aus § 43, wonach der Ablehnungsgrund rechtzeitig geltend zu machen ist. Nicht ausreichend sind bloße Wertungen ohne Tatsachenkern oder die Ankündigung einer demnächst folgenden Begründung.62 Das Gesuch darf nicht auf eine unzulässige Ausforschung hinauslaufen.63 Ein allgemeiner Verweis auf Akten oder Schriftstücke genügt nicht,64 und zwar auch dann nicht, wenn sich die für die Befangenheit nötigen Tatsachen hieraus ergeben. Denn der Ablehnende muss den konkreten Grund benennen, der ihm Anlass für die Besorgnis der Befangenheit gibt. Das Kontrollgericht hat jedoch eine allgemeine Aufklärungspflicht.65 Ist das Ablehnungsgesuch hinreichend begründet, können Tatsachen auch nachgetragen werden, allerdings nur bis zur Entscheidung. Der Ablehnende trägt daher das Risiko, dass inzwischen eine Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht. Ein Anspruch auf Einräumung einer Begründungsfrist besteht nicht.66 Ergibt sich aus der dienstlichen Äußerung des Richters ein neuer Ablehnungsgrund, soll das Gericht ihn nach verbreiteter Ansicht bei seiner Entscheidung berücksichtigen dürfen.67 In der Regel wird der Ablehnende, dem zu der dienstlichen Äußerung rechtliches Gehör zu gewähren ist

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56 Günther MDR 1989, 691, 693. 57 Vgl. Erl. zu § 45 Rdn. 4. 58 OLG Frankfurt MDR 1989, 168 = NJW-RR 1989, 569. 59 BVerwG NJW 1988, 722. 60 A.A. Gloede NJW 1972, 2067, der auf den Missbrauchstatbestand ganz verzichten will. 61 OLG Braunschweig NJW 1976, 2024, 2025; OLG Köln MDR 1964, 423 mit Anm. Teplitzky; BayObLGSt. 1952, 188 zum gleichlautenden § 26 Abs. 2 StPO. 62 OLG Köln MDR 1964, 423 mit Anm. Teplitzky; Günther NJW 1986, 281, 285. 63 BGH MDR 1970, 899 zu §§ 24 ff. StPO. 64 KG OLG Rspr. Bd. 41 (1921), 248, 249. 65 S. Erl. zu § 46 Rdn. 1. 66 OLG München NJW 1976, 436 zu § 26 StPO. 67 LG Aachen MDR 1965, 667 (LS); AK/Wassermann Rdn. 5; Teplitzky JuS 1969, 318, 324; zu §§ 22 ff. StPO: RG JW 1927, 1641, 1642 (Nr. 14) und BGH JR 1972, 119 mit insoweit ablehnender Anm. Peters.

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(Rdn. 16), die neuen Tatsachen in seiner Stellungnahme aufgreifen, so dass diese zu beachten sind. 2. Glaubhaftmachung. Die behaupteten Tatsachen müssen, sofern sie nicht offen- 16 kundig sind (§ 291), glaubhaft gemacht werden (Abs. 2 S. 1 1. Halbs.). Die eidesstattliche Versicherung der Partei ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen (Abs. 2 S. 1 2. Halbs.), „da eine Eidesleistung über das Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters grundsätzlich nicht gebilligt werden kann“.68 Allerdings gilt diese Einschränkung nur für den Ablehnungsgrund selbst.69 Für den Zeitpunkt der Entstehung des Ablehnungsgrundes bzw. für den der Kenntniserlangung gilt sie nicht.70 Zur Glaubhaftmachung kommt z.B. eine anwaltliche Versicherung in Betracht, etwa über ein Telefonat mit dem Richter. Der Antragsteller darf nur solche Beweismittel angeben, die sofort durch das Gericht verwertet werden können (§ 294 Abs. 2). Die Benennung eines noch heranzuziehenden Zeugen reicht deshalb nicht aus. Der Antragsteller muss mindestens eine schriftliche Erklärung oder eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen beibringen.71 Die Mittel der Glaubhaftmachung können bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nachgereicht werden. Die Partei muss selbst darauf achten, dass dies rechtzeitig geschieht. Eine Frist zur Nachreichung ist mangels gesetzlicher Grundlage nicht einzuräumen.72 Eine „Gegenglaubhaftmachung“ durch die andere Partei ist zulässig. Abweichend von § 294 Abs. 2 ist nach Abs. 2 S. 2 eine Bezugnahme auf das Zeugnis 17 des Richters möglich. Unter Zeugnis ist die in Abs. 3 vorgesehene dienstliche Äußerung zu verstehen. Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 wurden erst nach der zweiten Lesung der Reichsjustizkommission in den Entwurf eingefügt, um den häufig bestehenden Schwierigkeiten bei der Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrundes vorzubeugen.73 Die Bezugnahme auf das Zeugnis des abgelehnten Richters braucht (auch in einem anwaltlichen Ablehnungsgesuch)74 nicht ausdrücklich erklärt zu werden.75 Eine konkludente Bezugnahme ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn nur die dienstliche Äußerung als Mittel zur Glaubhaftmachung in Betracht kommt.76 Im Zweifelsfall ist die Ausübung des Fragerechts nach § 139 geboten. Ein Ablehnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrschein- 18 lichkeit dafür spricht, dass die hierfür angeführten Umstände zutreffen.77 Die maßgeblichen Tatsachen brauchen daher nicht voll bewiesen zu werden. Das Kontroll- bzw. Beschwerdegericht wird sich in der Regel mit der Auswertung der Akten und der schriftlichen Erklärungen begnügen. Es ist allerdings nicht gehindert, die Beteiligten (Partei, Prozessbevollmächtigte, Richter, Zeugen) persönlich zu hören. Die vorliegenden Beweismittel unterliegen der freien Würdigung des Gerichts. Es handelt sich hierbei um

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68 So die Begründung zum Entwurf, Hahn Mat. II 1, 164; kritisch Zöller/Vollkommer § 44 Rdn. 3 m.w.N. 69 Schneider MDR 2000, 1304, 1305. 70 MünchKomm/Gehrlein § 44 Rdn. 8. 71 BGHSt. 21, 334, 347 = NJW 1968, 710, 712 zu § 26 StPO. 72 Stein/Jonas/Bork § 44 Rdn. 3; für den Strafprozess OLG München NJW 1976, 436. 73 Hahn Mat. II 1, 535; II 2, 941 f. 74 A.A. OLG Frankfurt NJW 1977, 767. 75 Thomas/Putzo/Hüßtege § 44 Rdn. 2; a.A. MünchKomm/Gehrlein § 44 Rdn. 8; offengelassen von Zöller/Vollkommer § 44 Rdn. 3. 76 OLG Celle NdsRpfl. 1982, 100 zu § 26 StPO; LSG Rheinland-Pfalz SozSich 1975, 284 (LS) betont, dass die fehlende ausdrückliche Bezugnahme der Zulässigkeit des Gesuches nicht entgegensteht. 77 BGH NJW-RR 2007, 776.

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einen Akt wertender richterlicher Erkenntnis.78 Zwar dürfen die Anforderungen für den Nachweis, dass die für die Besorgnis der Befangenheit erforderlichen Tatsachen vorliegen, nicht überspannt werden. Denn andernfalls bleibt der Zweck des § 42 Abs. 2 auf der Strecke. Andererseits führt dies aber nicht dazu, dass im Zweifel von einer Befangenheit auszugehen ist. Besteht ein unlösbarer Widerspruch zwischen den von der Partei beigebrachten Beweismitteln (z.B. eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten über die Vorgänge in der Verhandlung) und der dienstlichen Äußerung des Richters, bleibt es dabei, dass die ablehnende Partei die Last der Glaubhaftmachung trägt.79 III. Dienstliche Äußerung (Abs. 3) Die dienstliche Äußerung ist Teil der richterlichen Tätigkeit i.S. von § 26 DRiG80 und unterliegt daher nicht der Dienstaufsicht. Sie dient zur Klärung der Gründe, die die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. In erster Linie geht es dabei um die Tatsachen, die im Ablehnungsgesuch behauptet werden.81 Ergeben sich diese bereits aus den Akten, ist eine Stellungnahme hierzu nicht erforderlich, weil der Richter mit seiner Äußerung nichts zur Aufklärung beitragen kann.82 In diesem Fall genügt – soweit im Einzelfall erforderlich – eine kurze Erläuterung der Motive für das gerügte Handeln, damit diese vom Kontrollgericht nachvollzogen werden können. Der abgelehnte Richter hat sich grundsätzlich inhaltlich und nicht nur mit einer nichtssagenden Leerformel zu dem Befangenheitsgesuch zu äußern. Allein die Erklärung „Ich fühle mich nicht befangen“, ist daher unzureichend. Andererseits ist aber eine Erklärung des Richters dazu, ob er sich in Anbetracht der vorgebrachten Gründe für befangen hält, keinesfalls überflüssig.83 Hält der Richter sich selbst für befangen, scheidet er aus dem Verfahren aus, ohne dass es einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch bedarf (§ 45 Abs. 2 S. 2). Der Richter ist nicht legitimiert, zur Zulässigkeit und Begründetheit des Gesuchs Stellung zu nehmen oder die vorgebrachten Gründe zu würdigen.84 Ausnahmsweise kann auf die Äußerung verzichtet werden, soweit die Besorgnis der 20 Befangenheit aus Rechtsfehlern in der getroffenen Entscheidung abgeleitet wird. In diesem Fall würde die dienstliche Äußerung nicht zu einer Tatsachenfeststellung führen, sondern nur auf eine Rechtfertigung der Entscheidung hinauslaufen.85 Die Äußerung kann auch dann unterbleiben, wenn der abgelehnte Richter entweder über das Gesuch mitentscheiden oder allein entscheiden kann (Missbrauchsfälle, s. oben Rdn. 13).86 Weiter ist sie dann entbehrlich, wenn ein konkreter Ablehnungsgrund nicht genannt wird, wenn die genannten Gründe offensichtlich völlig ungeeignet oder das Gesuch querulatorisch ist.87 Fehlt die dienstliche Äußerung, sind die Akten dem abgelehnten Richter wieder zuzuleiten. Hiervon kann abgesehen werden, wenn sich aus den als wahr unterstell19

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78 BGH NJW-RR 2007, 776, 777. 79 BGH NJW-RR 2011, 136, 137; OLG Düsseldorf MDR 2009, 221; 222; a.A. BayOLGZ 1974, 131; OLG Braunschweig OLGReport 2000, 122; OLG Köln OLGReport 2001, 260; OLG Stuttgart MDR 2007, 545 m.w.N. zum Meinungsstand. 80 BGHZ 77, 70, 72 = NJW 1980, 2530, 2531; DRiZ 1986, 424; ausführlich hierzu MünchKomm/Gehrlein § 44 Rdn. 10. 81 OLG Köln OLGReport 2009, 362. 82 BGH MDR 2012, 363; OLG Köln OLGReport 2000, 474. 83 A.A. Zöller/Vollkommer § 44 Rdn. 4. 84 Fleischer MDR 1998, 75; a.A. Zöller/Vollkommer § 44 Rdn. 4. 85 OLG Köln OLGReport 2009, 362; ebenso OLG Saarbrücken OLGReport 2003, 362, 363. 86 BVerfGE 11, 1, 3 zu § 19 BVerfGG. 87 Vgl. BayVerfGH MDR 2000, 659.

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ten Tatsachen ohnehin kein Ausschlusstatbestand oder die Besorgnis der Befangenheit ableiten lässt.88 Die dienstliche Äußerung ist schriftlich abzugeben oder im Protokoll festzuhalten. 21 Sie wird Aktenbestandteil.89 Gibt der Richter die Äußerung entgegen seiner Verpflichtung aus Abs. 3 und nach Aufforderung nicht ab, kann er ggf. vom Kontroll- bzw. vom Beschwerdegericht mündlich gehört werden. Das Gericht kann im Falle der Weigerung des Richters aber auch unterstellen, dass er dem Akteninhalt nichts hinzuzufügen hat.90 Aus der Art und Weise der dienstlichen Äußerung kann sich wiederum ein (neuer) Ablehnungsgrund ergeben.91 Das Gericht darf die dienstliche Äußerung wegen des Anspruchs auf rechtliches 22 Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG nur verwerten, nachdem sie dem Ablehnenden zwecks eigener Stellungnahme bekanntgegeben worden ist.92 Dies gilt auch, wenn die Äußerung keine neuen Angaben zu einem unstreitigen Sachverhalt enthält oder wenn der Richter lediglich angibt, er halte sich nicht für befangen.93 Die Unterlassung der Bekanntgabe kann in der Beschwerdeinstanz geheilt werden.94 Zum rechtlichen Gehör für den Gegner s. Erl. zu § 46 Rdn. 2. IV. Ablehnung nach Einlassung oder Antragstellung (Abs. 4) Wird das Ablehnungsgesuch angebracht, nachdem sich die Partei in eine Verhand- 23 lung eingelassen oder einen Antrag gestellt hat, muss die Partei im Hinblick auf die Präklusionswirkung des § 43 glaubhaft machen, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder ihr bekannt geworden ist. Hierzu kann sie sich gemäß § 294 Abs. 1 auch der eigenen eidesstattlichen Versicherung bedienen. Der Ablehnungsgrund muss vor jeder weiteren Verhandlung oder Einlassung geltend gemacht werden, § 43. Zur Inzidentprüfung von Befangenheitsgründen im Rahmen der Berufung und Revision/Nichtzulassungsbeschwerde s. § 46 Rdn. 11, 15.

§ 45 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch § 45 Gerken (1) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. (2) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der abgelehnte Richter das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

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88 VGH Mannheim NJW 1975, 1048; OLG Köln OLGReport 2000, 474; MünchKomm/Gehrlein § 44 Rdn. 9. 89 OLG Hamburg OLG Rspr. Bd. 15 (1907), 129. 90 OLG Bremen NJW 1986, 999. 91 OLG Frankfurt MDR 1978, 409; LG Aachen MDR 1965, 667 (LS) mit Anm. Teplitzky; zu der Frage, ob dieser neue Ablehnungsgrund vom zuständigen Gericht substituiert werden kann s. oben Rdn. 15 a.E.; OLG Karlsruhe Justiz 1993, 54; weitere Beispiele für neue Befangenheitsgründe: LG Berlin NJW-RR 1997, 315; OLG Frankfurt NJW-RR 1998, 858; OLG Brandenburg OLGReport 2001, 372. 92 BVerfGE 24, 56, 62 = NJW 1968, 1621; BVerfGE 89, 28, 36 = NJW 1993, 2229; VGH Kassel NJW 1969, 1399; 1983, 901; OLG Braunschweig NJW 1976, 2024, 2025; OLG Koblenz JurBüro 1976, 1684; OLG Karlsruhe Justiz 1993, 54. 93 OLG Braunschweig NJW 1976, 2024, 2025; a.A. OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 101, 102 (Nr. 31); OLG Köln MDR 1973, 57 (LS). 94 VGH Kassel NJW 1983, 901; OLG Koblenz OLGZ 1977, 109, 111; OLG Braunschweig NJW 1976, 2024, 2025.

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(3) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet das im Rechtszug zunächst höhere Gericht. § 45 neu gefasst durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG) vom 27.7.2001 BGBl. I 1887, 1888.

Schrifttum Schneider Selbstentscheidung über Ablehnungsgesuche NJW 2008, 2759 ff.

I.

II.

Übersicht Ablehnung beim Kollegialgericht (Abs. 1) 1. Zuständigkeit ____ 1 2. Besetzung des Kontrollgerichts ____ 2 3. Rechtsmissbräuchliche Ablehnung ____ 4 Ablehnung eines Richters beim Amtsgericht 1. Zuständigkeit ____ 6

2.

III. IV.

Verfahren bei begründetem Gesuch ____ 8 Zuständigkeit bei Beschlussunfähigkeit (Abs. 3) ____ 10 Spezialvorschriften ____ 11

I. Ablehnung beim Kollegialgericht (Abs. 1) 1

1. Zuständigkeit. Grundsätzlich entscheidet das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört. „Gericht“ im Sinne der Vorschrift ist bei einem Kollegialgericht der Spruchkörper, bei dem die Streitsache anhängig und dem der Richter nach dem Geschäftsverteilungsplan (§§ 21e, 21g GVG) zugeordnet ist. 1 Die Entscheidung ergeht ohne Mitwirkung des Abgelehnten (§ 45 Abs. 1, § 47). Werden mehrere Richter gleichzeitig abgelehnt, ist jeder abgelehnte Richter ausgeschlossen, auch soweit es „nur“ um die Ablehnung des anderen geht.2 Eine Entscheidung des Kollegiums ist auch in den Fällen notwendig, in denen der abgelehnte Richter und die übrigen Mitglieder der Spruchkammer oder der Einzelrichter die Ablehnung für begründet halten (s. auch Erl. zu § 46 Rdn. 3).3 Werden auch die Richter des Kontrollgerichts abgelehnt, müssen über diese Ablehnung wiederum ihre Vertreter entscheiden, es sei denn, sie haben das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt und ihre Entscheidung ist unanfechtbar geworden. In diesem bedarf es keiner Entscheidung mehr über das gegen sie gerichtete Befangenheitsgesuch (vgl. § 44 Rdn. 10).

2

2. Besetzung des Kontrollgerichts. Das Kollegialgericht als Kontrollgericht entscheidet in voller Besetzung.4 An die Stelle des ausgeschlossenen Mitglieds tritt der durch den Geschäftsverteilungsplan bestimmte Vertreter.5 Ist der Spruchkörper überbesetzt, weil ihm mehr als zwei Beisitzer angehören, tritt an die Stelle des abgelehnten Richters derjenige, der nach dem internen Verteilungsplan gemäß § 21g GVG als Vertreter berufen ist. Wird der Spruchkörper durch das Ausscheiden des abgelehnten Richters

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1 BGH BGHReport 2001, 432, 433; BGH NJW-RR 2007, 932, 933; RGZ 16, 413, 414; BAGE 14, 46, 48 f. = AP Nr. 1 zu § 45 ZPO m. Anm. Pohle; Stein/Jonas/Bork § 45 Rdn. 1. 2 RGZ 16, 413, 415; zum Verfahren bei Ablehnung auch des Vertreters BGH NJW 1968, 710. 3 OLG Frankfurt NJW 1976, 1545; Stein/Jonas/Bork § 45 Rdn. 3. 4 Zum Arbeitsgerichtsverfahren s. BAG AP Nr. 2 zu § 42 ZPO m. Anm. Vollkommer; LAG Köln BB 1992, 2084 (LS): Grundrechtsverletzung, falls allein der stellvertretende Vorsitzende entscheidet. 5 BGH NJW-RR 2007, 932, 933 = MDR 2007, 789; OLG Schleswig OLGReport 2006, 22; OLG Bamberg OLGReport 2007, 630.

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beschlussunfähig, muss der Richter durch den Vertreter ergänzt werden, der in dem vom Präsidium beschlossenen Geschäftsverteilungsplan hierfür vorgesehen ist,6 es sei denn, der Geschäftsverteilungsplan enthält eine besondere Bestimmung dazu, dass die Entscheidung über Befangenheitsgesuche generell einem anderen Spruchkörper zugewiesen wird.7 Dann ist diese Regelung maßgeblich. Hierbei handelt es sich um eine zulässige anderweitige Regelung, die § 45 Abs. 1 ergänzt und dem Verfassungsgebot von Art. 101 GG nicht widerspricht.8 Ist in zulässiger Weise (zur grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Globalablehnung s. 3 § 44 Rdn. 9) das gesamte Kollegium abgelehnt worden, muss ein anderes Kollegium an seine Stelle treten.9 Seine Zusammensetzung ergibt sich ebenfalls aus der Vertretungsregelung im Geschäftsverteilungsplan. Ist der konkrete Vertretungsfall dort nicht geregelt (z.B. bei Ablehnung mehrerer Richter), muss das Präsidium über die Zuständigkeit entscheiden.10 Das Kollegium ist auch dann zuständig, wenn sich das Ablehnungsgesuch gegen einen Einzelrichter (§§ 348, 348a, 526, 527, 568) richtet.11 Dasselbe gilt für die Ablehnung des Vorsitzenden in Fällen, in welchen er alleine entscheiden darf (z. B. nach §§ 136, 226 Abs. 3, 227 Abs. 4 S. 1, 275 Abs. 1, 276 Abs. 1, 520 Abs. 2 S. 2, 551 Abs. 2 S. 5, 575 Abs. 2 S. 3, 944) sowie des Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen.12 3. Rechtsmissbräuchliche Ablehnung. Bei ersichtlichem Missbrauch des Ableh- 4 nungsrechts oder bei anderen ganz offensichtlichen Zulässigkeitsmängeln ist es ausnahmsweise gestattet, dass der abgelehnte Richter (Richter am Amtsgericht, Einzelrichter, als Mitglied des Kollegialgerichts) über das Gesuch selbst entscheidet.13 Die für das Verfahren gemäß § 26a StPO entwickelten Grundsätze gelten insoweit entsprechend.14 In derartigen Fällen muss das Gesuch nicht einmal durch gesonderten Beschluss zurückgewiesen werden. Es ist unschädlich, wenn hierüber erst in den Gründen der Entscheidung zur Hauptsache entschieden wird.15 Demgemäß besteht auch keine Wartepflicht gemäß § 47. Voraussetzung für eine Selbstentscheidung ist, dass das Gesuch eine sachliche Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Ablehnungsgründen nicht erfordert. In

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6 BGH NJW-RR 2007, 932, 933. 7 OLG Karlsruhe MDR 2007, 854. 8 OLG Bamberg OLGReport 2007, 630; OLG Karlsruhe OLGReport 2007, 531 = MDR 2007, 853; MünchKomm/Gehrlein § 45 Rdn. 2; Zöller/Vollkommer § 45 Rdn. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege § 45 Rdn. 4. 9 OLG Saarbrücken OLGReport 2007, 509; zum Sonderfall, dass in zulässiger Weise alle Richter eines letztinstanzlichen Gerichts abgelehnt werden s. BVerfG MDR 2014, 488 = NJW 2014, 953. 10 A.A. offenbar OLG Rostock OLGReport 2004, 146 – in dem dort entschiedenen Fall hat der zur Entscheidung zuständige Senat selbst über seine Zusammensetzung entschieden. 11 BGH NJW 2006, 2492, 2493; BGH NJW-RR 2007, 776 = MDR 2007, 669 (Einzelrichter gem. § 526); OLG Karlsruhe OLGReport 2003, 523; 2004, 490; 2006, 832; OLG Naumburg OLGReport 2005, 789, 791 KG NJW 2004, 2104, 2105; OLG Oldenburg (15. Zivilsenat) NJW-RR 2005, 931; OLG Saarbrücken OLGReport 2007, 509; Musielak/Heinrich § 45 Rdn. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege § 45 Rdn. 2; Zöller/Vollkommer § 45 Rdn. 2; a.A. OLG Köln OLGReport 2005, 481; OLG Frankfurt OLGReport 2004, 271; OLG Schleswig OLGReport 2005, 10, 11; OLG Oldenburg (14. Zivilsenat) NJW-RR 2005, 1660; Fölsch SchlHA 2004, 137; Vossler MDR 2006, 304. Zur Zuständigkeit der Kammer des übergeordneten Landgerichts bei Ablehnung eines Amtsrichters, wenn das Amtsgericht beschlussunfähig geworden ist OLG Karlsruhe OLGReport 2006, 832 = MDR 2006, 1251. 12 OLG Frankfurt DRiZ 1965, 272; BayObLG MDR 1980, 237; OLG Hamburg OLGReport 2008, 871; OLG Celle OLGReport 2009, 392. 13 BVerfGE 11, 343, 348; BGH NJW 1992, 983, 984; BGH NJW 1995, 1030; BAG NJW 2012, 1531; OLG Brandenburg FamRZ 2002, 1042; OLG Köln OLGReport 2004, 236; OLG Naumburg OLGReport 2007, 157; Stein/Jonas/Bork § 45 Rdn. 2 m.w.N. (Fn. 10); zur Geltung des Grundsatzes für den Rechtspfleger BGH NJWRR 2005, 1226; OLG Koblenz Rpfleger 1985, 368; a.A. RG JW 1935, 2895; OLG Hamburg MDR 1954, 423. 14 BVerfG 2007, 3771. 15 BFH NJW-RR 2000, 1732; Günther NJW 1986, 281, 289 m.w.N.; ders. MDR 1989, 691, 694.

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§ 45

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besonderen Ausnahmefällen (z.B. bei einem Gesuch, das ausschließlich der Provokation oder der Beleidigung des Richters dient) kann das Gesuch sogar schlicht übergangen werden.16 Ein Missbrauch des Ablehnungsrechts liegt z.B. vor, wenn das Gesuch offensichtlich allein dazu dient, einen der Partei nicht genehmen Richter auszuschalten oder das Verfahren zu verzögern.17 Offensichtlich unzulässig und damit einer Selbstentscheidung zugänglich ist eine undifferenzierte Globalablehnung aller Richter eines Gerichts18 oder aller Mitglieder eines Kollegiums, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte vorgetragen werden, die bei objektiver Betrachtung auf eine Befangenheit aller Mitglieder des Spruchkörpers hindeuten.19 Dasselbe gilt, wenn allgemeine Zulässigkeitsmängel bestehen (Prozessunfähigkeit des Antragstellers; mangelnde Ablehnungsberechtigung – hierzu § 42 Rdn. 37 ff.), wenn die Begründung für die Ablehnung völlig untauglich ist,20 wenn eine Ablehnung mit derselben oder ähnlichen Begründung wiederholt wird21 oder wenn eine Begründung ganz fehlt (§ 44 Abs. 2), es sei denn, der Grund liegt nach dem vorangegangenen Geschehen auf der Hand. Unzulässig ist weiter ein Gesuch, das nur auf eine Verunglimpfung bzw. Beleidigung des Richters abzielt.22 Ein Missbrauch des Ablehnungsrechts liegt weiter vor, wenn mit dem Gesuch nicht den Ausschluss des Richters, sondern andere prozessuale Ziele verfolgt werden. Das kann etwa der Fall sein, wenn es dem Ablehnenden nur um eine Terminsverlegung geht, wenn er hiermit die Verlängerung einer Frist erreichen will, wenn mit dem Gesuch nur der Prozess verschleppt werden soll23 oder wenn es dazu dient, auf die zur Entscheidung berufenen Richter Druck auszuüben.24 In diesen Fällen fehlt das für die Zulässigkeit erforderliche Rechtsschutzinteresse. 5 Bei der Entscheidung über die Frage, ob die Voraussetzungen für eine eigene Entscheidung des abgelehnten Richters über das Ablehnungsgesuch vorliegen, ist größte Zurückhaltung geboten. Das Gericht setzt sich durch eine solche Verfahrensweise erneut dem Vorwurf der Befangenheit aus.25 Sind die Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung in Wahrheit nicht gegeben, wird die Sache damit dem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) entzogen.26 Zwar führt eine fehlerhafte Rechtsanwendung in diesem Bereich nur dann zu einem Verfassungsverstoß, wenn sie auf Willkür beruht oder offensichtlich unhaltbar ist.27 Ein „einfacher“ Rechtsfehler bei der Selbstentscheidung führt

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16 BVerfGE 11, 1, 5; BVerfGE 72, 51, 59 (insoweit nicht in NJW 1986, 1802 abgedruckt); OLG Karlsruhe NJW 1973, 1658 = MDR 1973, 867. 17 Beispiel in OLG Hamburg MDR 2013, 870. 18 BVerfG NJW-RR 2008, 72, 73; BGH NJW 1974, 55; BGH NJW-RR 2012, 61; BVerwG NJW 1988, 722; BVerwG NJW 1988, 722; OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 417 = ZIP 1996, 379; RG JW 1935, 2894; Rosenberg/ Schwab/Gottwald § 25 II 4c; ausdrücklich vom Gesetzgeber bestätigt durch Begründung zu § 26a StPO, BT-Drucks. IV/178, S. 35. 19 BFH NJW-RR 2000, 1732 (vorangegangene Kollegialentscheidung desselben Spruchkörpers); BFH NJW 2009, 3806. 20 BVerfG NJW 2005, 4410; BVerfG NJW 2006, 3129; BVerfG NJW-RR 2008, 72. 21 Zu § 19 BVerfGG: BVerfGE 74, 96, 100; 72, 51, 59 (insoweit nicht in NJW 1986, 1802 abgedruckt); OLG Bremen OLGReport 2007, 958; s.a. Günther NJW 1986, 281, 290. 22 BVerfG NJW-RR 2012, 1271; BGH NJW 1992, 983, 984; MDR 1992, 181; OLG Stuttgart OLGZ 1977, 107 m.w.N; OLG Brandenburg OLGReport 2009, 624, 625. 23 BGH NJW 1992, 984; BGH NJW-RR 2005, 1226; RGZ 44, 402; OLG Braunschweig NJW 1976, 2025; OLG Koblenz MDR 1985, 850; OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 569; BayObLG NJW 1993, 1278; OLG Naumburg OLGReport 2007, 157; OLG Hamburg NJW-RR 2013, 1078; OLG Celle NJW-RR 1989, 569 nimmt Gewohnheitsrecht an; a.A. Gloede NJW 1972, 2067, 2069. S.a. § 26a StPO, der bei Zurückweisung wegen Verschleppungsabsicht eine Begründung vorschreibt. 24 OLG Karlsruhe MDR 2014, 242. 25 BVerfG NJW 2005, 3410; OLG Frankfurt NJW-RR 2012, 1271. 26 BVerfG NJW 2007, 449; BVerfG NJW 2008, 72, 73. 27 BVerfG NJW 2005, 3410; BVerfG NJW 2008, 72, 74; BVerfG NJW 2012, 3228.

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demgemäß noch nicht zur Besorgnis der Befangenheit.28 Andererseits darf die eigene Entscheidung aber nicht darauf hinauslaufen, dass im Gewand der Zulässigkeitsprüfung eine Prüfung der Begründetheit des Gesuchs vorgenommen oder dass das der Ablehnung zugrunde liegende Handeln nachträglich erläutert oder gerechtfertigt wird.29 Die Feststellung eines Missbrauchs des Ablehnungsrechts und damit eine Verwerfung des Gesuchs durch eine eigene Entscheidung des abgelehnten Richters kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn eine sachliche Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Gründen nicht erforderlich ist und die Entscheidung auch ohne weitere Aktenkenntnis möglich wäre.30 Außerdem muss sich aus der Begründung ergeben, dass der abgelehnte Richter die strengen Voraussetzungen, von denen die Selbstentscheidung aus verfassungsrechtlichen Gründen abhängt, bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat.31 Hat z.B. der Gesuchsteller zuvor vergeblich um Verlegung eines Termins oder um die Verlängerung einer Frist gebeten und wird das Ablehnungsgesuch anschließend auf die Zurückweisung seines Antrags gestützt, ist das Ablehnungsgesuch nicht von vornherein missbräuchlich. Zwar liegt es nahe, dass es nur darum geht, unter dem Deckmantel des Ablehnungsgesuchs doch noch die Terminsverlegung oder die Fristverlängerung zu erreichen. Andererseits ist es aber auch denkbar, dass sich die Partei durch die Zurückweisung ihres Antrags in ihren berechtigten prozessualen Belangen beeinträchtigt sieht. Auch wenn die Zurückweisung eines Verlegungsantrags für sich allein nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, so ist stets gleichzeitig zu prüfen, ob sich aus der Behandlung des Antrags für die Partei der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung ergibt32 oder ob die Einhaltung der gesetzten Fristen bzw. die Wahrnehmung des Termins für die Partei schlechterdings unzumutbar war und ihr deshalb durch die Verfahrensweise des Gerichts das rechtliche Gehör versagt worden ist. Werden solche Gründe vorgebracht, ist stets eine sachliche Prüfung des Befangenheitsgesuchs erforderlich, so dass sich schon aus diesem Grund eine eigene Entscheidung des abgelehnten Richters von vornherein verbietet, und zwar unabhängig von der sachlichen Berechtigung der erhobenen Vorwürfe. Erst recht kann die eigene Entscheidungszuständigkeit des abgelehnten Richters nicht mit dem Argument begründet werden, dass die Verweigerung einer Terminsverlegung oder einer Fristverlängerung weder allgemein noch im konkreten Fall die Besorgnis der Befangenheit rechtfertige.33 Bestehen Unklarheiten, ob der Antragsteller mit seinem Gesuch tatsächlich berechtigte Belange verfolgt, bedarf es einer wohlwollenden Auslegung,34 und zwar nach einer vollständigen, inhaltlich richtigen und insbesondere distanzierten Erfassung der im Antrag genannten Gründe. II. Ablehnung eines Richters beim Amtsgericht 1. Zuständigkeit (Abs. 2 S. 1). § 45 Abs. 2 regelt die Ablehnung des Richters beim 6 Amtsgericht als Prozessrichter oder als ersuchter Richter.35 Die Vorschrift ist durch das

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28 BVerfG NJW 2005, 3410, 3411; BGH NJW-RR 2012, 61 = MDR 2012, 49. 29 BVerfG NJW 2007, 3771. 30 BVerfG NJW 2005, 3410; OLG Frankfurt NJW-RR 2012, 1271, 1272; Schneider 2008, 2759, 2760. 31 SächsVerfGH NJW-RR 1999, 287. 32 OLG Köln NJW-RR 1997, 828; KG MDR 2005, 708. 33 Zweifelhaft daher OLG Frankfurt NJW 2009, 1007; zur Entscheidungskompetenz des Beschwerdegericht bei unzulässiger Selbstentscheidung des abgelehnten Richters s. OLG Brandenburg OLGReport 2009, 624. 34 BVerfG NJW 2007, 3771. 35 RGZ 36, 362.

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Zivilprozessreformgesetz 200136 grundlegend geändert worden. Nach § 45 Abs. 2 a.F. war bei Ablehnung eines Richters beim Amtsgericht das im Instanzenzug übergeordnete Gericht (Landgericht in allgemeinen Zivilsachen, Oberlandesgericht in Familiensachen) zuständig. Die Akten mussten bei einer Ablehnung daher stets vorgelegt werden. Dies galt auch bei einer Selbstablehnung oder bei Zweifeln darüber, ob ein gesetzlicher Ausschlussgrund vorlag (§ 48). In Anbetracht der früher bestehenden kleinen Amtsgerichte mit nur wenigen Richtern und der daraus entstehenden kollegialen Nähe erschien eine Entscheidung durch das übergeordnete Gericht angebrachter zu sein. Mit der Schaffung größerer Gerichte im Rahmen der Justizreformen ab den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist dieser Gesichtspunkt in den Hintergrund getreten. Zur Vermeidung von Verzögerungen und insbesondere auch zur Entlastung der Familiensenate beim OLG ist nunmehr ein anderer Richter beim Amtsgericht zuständig, zumal die Entscheidung über die Befangenheit in der Regel nicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist.37 Gleichzeitig ist damit der Gleichklang zum Strafprozess hergestellt worden (§ 27 Abs. 3 StPO). Führt die Ablehnung des Richters beim Amtsgericht dazu, dass das Gericht beschlussunfähig wird, bleibt es bei der Zuständigkeit des im Instanzenzug übergeordneten Gerichts (Abs. 3), und zwar durch das Kollegium und nicht durch den Einzelrichter.38 Beschlussunfähigkeit liegt nur dann vor, wenn kein Richter mehr beim Amtsgericht zur Verfügung steht. Ist das Amtsgericht nur mit einem Richter besetzt (§ 22b GVG) und ist ein ständiger, vorübergehender oder zeitweiliger Vertreter (§ 22b Abs. 1–3 GVG) bestellt, ist dieser zuständig. 7 Der Richter am Amtsgericht kann ebenso wie das Kollegialgericht ausnahmsweise selbst entscheiden, wenn das Gesuch offensichtlich unzulässig oder missbräuchlich ist. Insoweit gilt dasselbe wie bei Ablehnung eines Richters eines Kollegialgerichts (s.o. Rdn. 4, 5). Hält der Richter das Gesuch für zulässig, aber für sachlich unbegründet, hat er die Sache mit der erforderlichen dienstlichen Äußerung dem Richter vorzulegen, der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts zur Entscheidung bestimmt worden ist. Fehlt im Geschäftsverteilungsplan eine spezielle Regelung zur Zuständigkeit für Entscheidungen über Befangenheitsgesuche, ist der allgemein für die Vertretung bestimmte Richter zuständig. Bei einer positiven Entscheidung über das Befangenheitsgesuch gelangt das Verfahren zur Hauptsache mit Erlass der Entscheidung an diesen Vertreter. Dies kann auch ein Richter aus einer anderen Fachabteilung sein. Daher muss z.B. ein Familienrichter nicht zwingend durch einen anderen Familienrichter vertreten werden.39 Allerdings muss die Beschränkung von § 23b Abs. 3 S. 2 GVG beachtet werden. 8

2. Verfahren bei begründetem Gesuch. Ist das Gesuch nach Ansicht des abgelehnten Richters begründet, bedarf es gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 keiner Entscheidung hierüber. Dies gilt auch für die Ablehnung eines Richters im Kollegialgericht und nicht nur – wie der Sinnzusammenhang von S. 1 und 2 von § 45 Abs. 2 nahelegen könnte – bei der des Richters am Amtsgericht. Der Grund, warum der sich selbst für befangen erklärende Richter ausscheiden muss, gilt für den Richter im Kollegialgericht in gleicher Weise.40

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36 BGBl. I 1887, 1888. 37 BT-Drucks. 14/4722 S. 73. 38 OLG Karlsruhe OLGReport 2006, 832 = MDR 2006, 1251. 39 OLG Frankfurt FamRZ 1998, 134. 40 Das Wort „Amtsrichter“ in § 45 Abs. 2 S. 2 a.F. ist mit dem ZivilprozessreformG 2001 – BGBl. I 1887 ff. – durch „Richter“ ersetzt worden. Eine sachliche Änderung war hiermit vom Gesetzgeber allerdings nicht beabsichtigt. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/4722 S. 73) heißt es hierzu: es „gilt der unveränderte Absatz 2 Satz 2“. Die Auswechselung des Wortes „Amtsrichter“ durch „Richter“ beruht

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Die Partei kann in beiden Fällen berechtigterweise geltend machen, dass sie kein Vertrauen in seiner Unparteilichkeit hat. Die weitere Behandlung der Sache ist kein gerichtsinterner Vorgang.41 Ein schlichter Vermerk über die Befangenheit und die anschließende Vorlage an den Vertreter genügen daher nicht. Der befangene Richter muss vielmehr den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme geben.42 Anschließend ist förmlich durch Beschluss zu entscheiden, dass die Sache an den Vertreter abgegeben wird. Das gilt auch dann, wenn die gegnerische Partei der Abgabe nicht widerspricht. Der Vertreter ist an die Selbstablehnung gebunden. Eine inhaltliche Prüfung dazu, ob die Voraussetzungen über eine Ablehnung tatsächlich gegeben waren, findet daher nicht statt.43 Eine Ausnahme gilt nur bei offensichtlicher Willkür, also wenn das Befangenheitsgesuch ersichtlich als Gelegenheit benutzt wird, um eine missliebige Sache loszuwerden. § 45 Abs. 2 S. 2 kann nicht analog auf den Fall angewendet werden, dass ein Richter 9 von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte oder wenn Zweifel darüber entstehen können, ob er kraft Gesetzes ausgeschlossen ist (§ 48). Es handelt sich um eine Ausnahmevorschrift, die einer entsprechenden Anwendung nicht zugänglich ist. In solchen Fällen muss daher stets ein anderer Richter entscheiden, und zwar förmlich durch Beschluss.44 III. Zuständigkeit bei Beschlussunfähigkeit Zunächst ist der ursprünglich berufene Spruchkörper durch regelmäßige oder zeit- 10 weilige Vertreter gemäß den Geschäftsverteilungsplänen (§§ 21 g, e GVG) zu ergänzen. Enthalten die Pläne Lücken zur Vertreterregelung, müssen sie ggf. ausgelegt werden.45 Erst wenn die Vertretungsregelungen erschöpft sind, also keine Mitglieder des betreffenden Gerichts einschließlich des Präsidenten bzw. Direktors und der Vorsitzenden Richter zur geschäftsplanmäßigen Vertretung herangezogen werden können,46 liegt Beschlussunfähigkeit vor. Die Ergänzung durch einen Hilfsrichter (§ 70 GVG) speziell zu dem Zweck, die Beschlussfähigkeit herzustellen, ist nicht zulässig,47 da sonst § 45 Abs. 1 Halbs. 2 keinen Anwendungsbereich hätte. Um Verzögerungen zu vermeiden, kann das höhere Gericht auch dann über das Ablehnungsgesuch entscheiden, wenn es rechtsmissbräuchlich ist und daher das untere Gericht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zuständig wäre.48 Keine Regelung besteht für den Fall, dass das oberste Gericht beschlussunfähig sein sollte. Der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte ist in dieser Sondersituation nicht zuständig, da es sich bei ihm nicht um ein „im Rechtszug höheres Gericht“ handelt.49

_____ daher nur auf einem Redaktionsversehen und nicht auf einer ausdrücklichen Willensbildung des Gesetzgebers. 41 BVerfGE 1989, 36 ff. 42 OLG Frankfurt FamRZ 1998, 377. 43 A.A. MünchKomm/Gehrlein § 45 Rdn. 7. 44 OLG Oldenburg MDR 2010, 651. 45 OLG Rostock OLGReport 2004, 146. 46 RGZ 16, 413; JW 1910, 25. 47 RG JW 1901, 33; RGSt 40, 436; Stein/Jonas/Bork § 45 Rdn. 2. 48 BGH NJW 1974, 55 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des RG. 49 Ebenso Stein/Jonas/Bork § 45 Rdn. 2.

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§ 46

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

IV. Spezialvorschriften 11

Speziell geregelt sind die Selbstablehnung (§ 48), die Ablehnung des Sachverständigen (§ 406), des Dolmetschers (§ 191 GVG), des Rechtspflegers (§ 10 RPflegerG) und des Urkundsbeamten (§ 49). In Patentsachen gilt § 86 PatG.

§ 46 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch § 46 Gerken (1) Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht durch Beschluss. (2) Gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt. § 46 wieder eingefügt durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 19.9.1950 BGBl. I 1950 455; Abs. 1 geändert durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG) vom 27.7.2001 BGBl. 1887, 1888.

I. II. III.

Übersicht Verfahren ____ 1 Entscheidung (Abs. 1) ____ 3 Anfechtbarkeit der Entscheidung (Abs. 2) 1. Statthaftigkeit der Beschwerde ____ 6 2. Beschwerdeverfahren a) Beschwerdeberechtigung ____ 8

Einlegung ____ 9 Rechtsschutzbedürfnis ____ 10 Prüfungsgegenstand ____ 12 Entscheidung des Beschwerdegerichts ____ 13 Andere Rechtsbehelfe ____ 15 Kosten/Gebühren ____ 17 b) c) d) e)

IV. V.

I. Verfahren Die Entscheidung über den Ablehnungsantrag nach § 42 oder einen Ausschluss gemäß § 48 ergeht im schriftlichen Verfahren. Die Tatsachenermittlung in diesem Zwischenverfahren1 erfolgt nach §§ 44 Abs. 2 und 3, 294. Gemäß § 128 Abs. 4 kann das Gericht eine mündliche Verhandlung anordnen. Diese wird aber nur in besonderen Fällen in Betracht kommen, und zwar, wenn ausnahmsweise eine Anhörung der Parteien oder eine Beweisaufnahme zur Klärung der Ausschluss- bzw. Befangenheitsgründe erforderlich ist. Darüber hinaus gelten im Ablehnungsverfahren allgemein – nicht nur, soweit es um einen Ausschließungstatbestand (§ 41) geht – die Grundsätze der Amtsermittlung.2 Das Verfahren über die Ablehnung betrifft beide Parteien und ist nicht etwa be2 schränkt auf das Verhältnis zwischen ablehnender Partei und Gericht. Denn es geht um die Frage des gesetzlichen Richters.3 Dem Recht der ablehnenden Partei auf Entscheidung durch einen unparteiischen Richter steht das der anderen Partei auf den gesetzli1

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1 BVerfG NJW-RR 2007, 409. 2 OLG Hamm Rechtspfl. 1974, 404; OLG Frankfurt OLGZ 1980, 109; Stein/Jonas/Bork § 46 Rdn. 1; AK/ Wassermann § 46 Rdn. 2; Hellwig Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 2. Bd., S. 89. 3 OLG Frankfurt MDR 1979, 940; OLG Nürnberg MDR 1983, 846; Stein/Jonas/Bork § 46 Rdn. 1. Zur Stellung des Gegners der ablehnenden Partei s. BGH NJW 2005, 2233 = MDR 2005, 1016 mit Anm. Kroppenberg NJW 2005, 3113 ff.

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chen Richter gegenüber.4 Dieses Recht ist verletzt, wenn ein in Wahrheit nicht befangener Richter durch eine stattgebende Entscheidung gehindert ist, in der Sache weiter tätig zu sein. Der Gegner hat daher Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 103 Abs. 1 GG).5 Ihm müssen vor der Entscheidung alle Tatsachen bekannt sein, die zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden. Die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters (§ 44 Abs. 3) bzw. seine Selbstanzeige müssen gemäß § 48 übermittelt werden. Das gilt auch dann, wenn die Äußerung keine neuen Umstände enthält oder in einer Leerformel besteht.6 Auch bei der Selbstanzeige des Richters darf nicht der Eindruck entstehen, dass es sich um ein „gerichtsinternes“ Verfahren handelt. Die Parteien müssen weiterhin auch Gelegenheit erhalten, zu der Äußerung Stellung zu nehmen.7 Sonst darf sie nicht verwertet werden.8 Ausnahmsweise kann von einer Anhörung des Gegners der ablehnenden Partei dann abgesehen werden, wenn das Gesuch offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und deswegen nach einem rechtlichen Hinweis zurückgenommen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.9 Eine Gehörsverletzung durch das erstinstanzliche Gericht kann in der Beschwerdeinstanz geheilt werden.10 Eine Zurückverweisung allein wegen dieses Verfahrensfehlers wird in der Regel nicht in Betracht kommen. II. Entscheidung (Abs. 1) Das Gericht hat grundsätzlich über jedes Befangenheitsgesuch förmlich zu entschei- 3 den, es sei denn, es ist offensichtlich missbräuchlich. Die Pflicht zur Entscheidung besteht auch, wenn sich das Gericht vertagt und im neuen Termin ohne den Abgelehnten tätig wird.11 Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.12 Werden mehrere Richter oder in zulässiger Weise alle Mitglieder eines Spruchkörpers abgelehnt, muss einheitlich – also in einem Beschluss – entschieden werden.13 Würden die Entscheidungen nacheinander erlassen, müsste bei dem nachfolgenden Beschluss ein zuvor nicht für befangen erklärter Richter in den Spruchkörper nachrücken. Da bei einer Ablehnung aller Richter in der Regel gleichartige Ablehnungsgründe geltend gemacht werden, müsste der einrückenden Richter in diesem Fall über denselben Grund entscheiden, der zuvor gegen ihn vorgebracht worden war.14 Greift von mehreren Befangenheitsgründen nur einer durch, hat das Gesuch insgesamt Erfolg. Eine Teilzurückweisung findet nicht statt. Es ist auch nicht gestattet, die Entscheidung über das Gesuch auf mehrere Teilentscheidungen aufzuspalten (Teilzurückweisung hinsichtlich offensichtlich unbegründeter Angriffe und spätere abschließende Entscheidung über die weiteren Vorwürfe).15 Im schriftlichen Verfahren ist der stattgebende Beschluss den Parteien formlos bekanntzugeben (§ 329 Abs. 2 S. 1). Der das Gesuch als unzulässig verwerfende oder der aus sachlichen Gründen ablehnen-

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4 BVerfGE 89, 28, 37; BGH NJW 2005, 2233 = MDR 2005, 1016. 5 BVerfGE 89, 28, 36; BGH NJW 1995, 1677; zur Erstattungsfähigkeit gegnerischer Kosten s. Rdn. 17. 6 Hierzu OLG Köln MDR 1973, 57 und OLG Karlsruhe OLGZ 194, 101, 102. 7 BVerfG NJW 1968, 1621; OLG Frankfurt MDR 1979, 940. 8 BVerfG NJW 1968, 1621. Zum Verwaltungsgerichtsprozess s. VGH Kassel NJW 1969, 1399. Ausnahmen bestehen nur für formelhafte Äußerungen des abgelehnten Richters – OLG Köln MDR 1973, 57 – und für Äußerungen, die keine neuen Angaben zu einem unstreitigen Sachverhalt enthalten, vgl. OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 102; offengelassen von VGH Kassel NJW 1983, 901. 9 MünchKomm/Gehrlein § 46 Rdn. 1; Zöller/Vollkommer § 46 Rdn. 3. 10 OLG Koblenz OLGZ 1977, 111; VGH Kassel NJW 1983, 901. 11 BAGE 14, 46, 48 f. = NJW 1963, 1518 (LS) = AP Nr. 1 zu § 45 ZPO m. Anm. Pohle. 12 OLG Hamburg OLGReport 2008, 871. 13 OLG Hamburg MDR 1984, 512. 14 Vgl. BVerfG NJW 2004, 2514. 15 Zum Strafverfahren BGH NJW 1990, 3031.

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de Beschluss muss dem Antragsteller förmlich zugestellt werden, soweit er mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann (§ 329 Abs. 3). Bei Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten ist an diesen zuzustellen, und zwar auch dann, wenn das Gesuch von der Partei persönlich stammt (§ 172 Abs. 1 S. 1).16 Ergeht der Beschluss nach mündlicher Verhandlung, ist er zu verkünden (§ 329 Abs. 1 S. 1). Die Entscheidung ist zu begründen,17 damit sie für die Parteien und für das Rechts4 mittelgericht nachvollziehbar ist.18 Das gilt auch für die stattgebende Entscheidung.19 Sie ist zwar nicht anfechtbar (Abs. 2), berührt aber die Rechtsposition der gegnerischen Partei, da ihr eventuell der gesetzliche Richter entzogen wird.20 Eine ohne jede Begründung getroffene Entscheidung kann den Eindruck der Willkür erwecken. Unabhängig vom Ergebnis ist außerdem zu berücksichtigen, dass der abgelehnte Richter einen Anspruch auf Kenntnis der Gründe für die Entscheidung hat. Das gilt insbesondere dann, wenn persönliche Angriffe gegen ihn gerichtet werden. Eine Begründung ist grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn das Kontrollgericht das Gesuch als unzulässig verwirft. Inhaltlich ergeben sich an die Begründung keine besonderen Anforderungen. Das Gericht muss sich – wie sonst – mit den Angriffen der Partei auseinandersetzen. Hierdurch wird dokumentiert, dass es ihr Vorbringen zur Kenntnis genommen und damit das erforderliche rechtliche Gehör gewährt hat. Entscheidet der abgelehnte Richter selbst über das Ablehnungsgesuch (hierzu § 45 Rdn. 4), muss sich aus der Entscheidung ergeben, warum er das Gesuch für ersichtlich rechtsmissbräuchlich hält oder worin der offensichtliche Zulässigkeitsmangel liegt. Entbehrlich sind Gründe ausnahmsweise nur dann, wenn sie offenkundig auf der Hand liegen, also wenn sie sich schon aus dem Akteninhalt oder direkt aus dem Gesetz ergeben. Die stattgebende Entscheidung wird sofort wirksam. Die ablehnende Entscheidung 5 entfaltet eine Rechtswirkung dagegen erst mit Eintritt der formellen Rechtskraft (§§ 46 Abs. 2, 567).21 Der abgelehnte Richter darf daher erst nach ungenutztem Ablauf der Beschwerdefrist oder nach Zurückweisung der Beschwerde (= „Erledigung“ i.S.d. § 47) wieder andere als unaufschiebbare Handlungen vornehmen. § 570 Abs. 1 kommt daher nicht zur Anwendung. Der Antragsteller kann das Gesuch in der Form des § 44 Abs. 1 zurücknehmen, solange darüber nicht entschieden worden ist. Ein Verzicht ist ebenfalls möglich, und zwar auch durch konkludente Erklärung.22 III. Anfechtbarkeit der Entscheidung (Abs. 2) 6

1. Statthaftigkeit der Beschwerde. Die dem Ablehnungsgesuch stattgebende Entscheidung ist grundsätzlich unanfechtbar (§ 46 Abs. 2), auch die der Beschwerdeinstanz.23 Das Gleiche gilt, wenn im Fall des § 45 Abs. 2 S. 2 das Verfahren an den Vertreter abgegeben wird (zum Erfordernis der förmlichen Entscheidung über die Abgabe s. § 45 Rdn. 8). Ist bei der Entscheidung das rechtliche Gehör verletzt worden, ist eine Anhörungsrüge (§ 321a) möglich (Einzelheiten Rdn. 16). Die frühere Rechtsauffassung, die in

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16 17 18 19 20 21 22 23

OLG Köln OLGReport 2005, 381. OLG Düsseldorf OLGZ 1972, 245; OLG Brandenburg OLGReport 2000, 22, 23. BGH NJW 1983, 123 = MDR 1983, 214; OLG Brandenburg OLGReport 2000, 22, 23. OLG Oldenburg NJW-RR 1995, 830. Zöller/Vollkommer § 46 Rdn. 9 mit eingehender Begründung. Zöller/Vollkommer § 46 Rdn. 11; a.A. RGZ 66, 46. BVerwG NJW 1992, 1186. RGZ 51, 144, 146.

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diesem Fall ausnahmsweise die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde24 oder einer Selbstkorrektur nach einer Gegenvorstellung25 bejaht hat, ist durch die Einführung dieser Vorschrift überholt. Die das Gesuch verwerfende bzw. zurückweisende Entscheidung kann nach 7 Maßgabe der §§ 567 ff. mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Dies gilt – insoweit abweichend vom Wortlaut von § 46 Abs. 2 – nach ganz überwiegender Auffassung auch insoweit, als die Entscheidung lediglich mit Zulässigkeitserwägungen begründet worden ist (z.B. Rechtsmissbrauch; mangelndes Rechtsschutzinteresse).26 Nicht anfechtbar ist die Entscheidung, die das Landgericht als Berufungs-27 oder Beschwerdegericht28 getroffen hat. Der Instanzenzug kann in dem Zwischenverfahren über die Befangenheit nicht weiter gehen als der in dem betreffenden Hauptverfahren. In Betracht kommt in diesem Fall nur die Rechtsbeschwerde, und zwar bei entsprechender Zulassung gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2. Ausgenommen von der Anfechtung nach § 46 Abs. 2 sind weiter gemäß der vorrangigen Bestimmung des § 567 Abs. 1 die Beschlüsse des Oberlandesgerichts.29 Das gilt auch dann, wenn das Oberlandesgericht „erstinstanzlich“ über die Ordnungsgemäßheit seiner eigenen Besetzung entschieden hat.30 In diesem Fall kann die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen werden.31 Eine gleichwohl erfolgte Zulassung macht sie nicht zulässig.32 Ebenfalls unanfechtbar sind die ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschlüsse des Bundespatentgerichts.33 2. Beschwerdeverfahren a) Beschwerdeberechtigung. Der zurückweisende Beschluss beschwert in erster 8 Linie den Antragsteller, so dass er stets beschwerdeberechtigt ist. Dasselbe gilt für den Streithelfer. Der Gegner hat ein Beschwerderecht, soweit er sich den Ablehnungsgrund zu eigen macht und sein eigenes Ablehnungsrecht fortbesteht (§ 43).34 Das Beschwerderecht wird nicht dadurch verwirkt, dass der Antragsteller vor dem erfolglos abgelehnten Richter, der entgegen der Wartepflicht gemäß § 47 in der Verhandlung fortfährt, weiter verhandelt, um Rechtsnachteile zu vermeiden.35

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24 OLG Frankfurt MDR 1979, 940; OLG Frankfurt MDR 1984, 323 für die Ablehnung eines Sachverständigen; Zöller/Vollkommer Rdn. 12, 13; Deubner NJW 1980, 263, 267; Seetzen NJW 1982, 2341; einschränkend BayObLG NJW 1989, 44. 25 BGH NJW 1995, 403 = MDR 1995, 409; a.A. Musielak/Heinrich § 46 Rdn. 3, der eine Selbstkorrektur auch unabhängig von einer Anhörungsrüge gemäß § 321a für statthaft hält. 26 OLG Zweibrücken MDR 1980, 1025; KG MDR 1992, 997; OLG Bremen OLGZ 1992, 485; BayObLG WoM 1993, 212; OLG Frankfurt FamRZ 1993, 1467; OLG Köln OLGR 2004, 236; OLG Naumburg OLGR 2009, 964; Musielak/Heinrich § 46 Rdn. 4; Zöller/Vollkommer § 46 Rdn. 14; Thomas/Putz/Hüßtege § 46 Rdn. 6; a.A. OLG Köln MDR 1979, 850. 27 OLG Celle OLGReport 2002, 228; OLG Karlsruhe MDR 2003, 651; OLG Zweibrücken OLGReport 2003, 267; OLG Düsseldorf MDR 2004, 412; OLG Köln NJW 2004, 3642. 28 OLG Stuttgart NJW-RR 2003, 494; OLG Rostock OLGReport 2009, 880. 29 BGH WM 2003, 848, 849; BGH NJW-RR 2005, 294; zur früheren Rechtslage s. BGH NVwZ-RR 1991, 167; BGH NJW 1992, 983 (auch bei „greifbarer Gesetzwidrigkeit“); BGH NJW-RR 1992, 383 zum früheren FGGVerfahren; BGH NJW-RR 1993, 644. 30 BGH FamRZ 1986, 1197 = NJW-RR 1987, 191. 31 BGH NJW-RR 2009, 210. 32 BGH NJW-RR 2009, 210. 33 BGHZ 95, 303, 305 = NJW 1986, 2702; NJW 1990, 3150. 34 Zöller/Vollkommer § 46 Rdn. 15. 35 KG NJW 1975, 1842; KG JW 1931, 1104 Nr. 6; s. auch Erl. zu § 43 Rdn. 6.

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b) Einlegung. Für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gilt Anwaltszwang, soweit erstinstanzlich die Vertretung durch einen Anwalt erforderlich ist.36 Er gilt also nicht, wenn der Rechtsstreit beim Amtsgericht anhängig ist37 oder wenn er dort anhängig war und sich das Ablehnungsgesuch nun gegen einen Richter der Berufungskammer des Landgerichts richtet (§ 569 Abs. 3 Nr. 1).38 Dasselbe gilt für eine Ablehnung im Verfahren zur Prüfung von Prozesskostenhilfe. Die sofortige Beschwerde ist in der vorgeschriebenen Frist (§ 569 Abs. 1) und Form (§ 569 Abs. 2) bei dem Gericht, dessen Entscheidung angegriffen wird, oder dem Beschwerdegericht anzubringen. Ist ein Prozessbevollmächtigter bestellt worden, muss die den Befangenheitsantrag zurückweisende Entscheidung ihm zugestellt werden, und zwar auch dann, wenn das Gesuch in zulässiger Weise von der Partei selbst gestellt worden war. Die Frist für die sofortige Beschwerde beginnt erst mit der Zustellung an den Prozessbevollmächtigten.39

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c) Rechtsschutzbedürfnis. Allgemeines Zulässigkeitserfordernis für die sofortige Beschwerde ist das Rechtsschutzbedürfnis (grundsätzlich zum Rechtsschutzbedürfnis bei Rechtsmitteln s. Vor § 511 Rdn. 69). Das Ablehnungsverfahren dient dazu, die weitere Tätigkeit des abgelehnten Richters zu verhindern.40 Kommt eine solche Tätigkeit nicht mehr in Betracht, bedarf es keiner Entscheidung über die Befangenheit. Daher besteht in diesem Fall auch kein berechtigtes Interesse an der Einlegung einer sofortigen Beschwerde oder der Fortsetzung eines bereits eingeleiteten Beschwerdeverfahrens. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt also, wenn der abgelehnte Richter vor Abschluss des Verfahrens aus dem zuständigen Spruchkörper ausscheidet41 und nicht zu erwarten ist, dass er später wieder mit der Sache befasst wird. Dasselbe gilt, wenn der Richter bereits über die Hauptsache entschieden hat,42 es sei denn, er ist befugt, seine Entscheidung noch zu ändern (z.B. im Rahmen einer Entscheidung über einen Berichtigungsantrag oder eine gleichzeitig erhobene Gehörsrüge gemäß § 321a). Eine nur theoretische Möglichkeit einer späteren Befassung – etwa nach einer Zurückverweisung – muss dabei außer Betracht bleiben. In diesem Fall ist es der Partei zuzumuten, dass sie ihr Ablehnungsgesuch wiederholt, wenn eine erneute Befassung mit der Sache durch den in Rede stehenden Richter ansteht. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt andererseits nicht etwa dadurch, dass sich die Verfahrenshandlung des Richters, mit der die Befangenheit begründet wird, durch den weiteren Ablauf erledigt. Wird z.B. der Ablehnungsantrag auf die unberechtigte Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags gestützt (Einzelheiten hierzu § 42 Rdn. 20) und muss der Termin später aus anderen Gründen verlegt werden, hat die Partei weiterhin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Befangenheit.43 Sie befürchtet allgemein, dass der Richter ihr nicht unvoreingenommen gegenüber tritt, auch wenn sich die Maßnahme, aus der dies abgeleitet wird, aus anderen Gründen später nicht auswirkt.

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36 OLG Köln MDR 1996, 1182; OLG Zweibrücken MDR 2008, 102; OLG Frankfurt NJW-RR 2009, 415. 37 RGZ 36, 362. 38 OLG Düsseldorf MDR 1961, 61; KG MDR 1983, 60; OLG Brandenburg OLGR 2000, 35; Habscheid NJW 1967, 1330; Teplitzky JuS 1969, 325 Fn. 112; a.A. OLG Nürnberg NJW 1967, 1329. 39 OLG Köln OLGReport 2005, 381. 40 OLG Braunschweig NJW 1976, 2024; KG FamRZ 1986, 1023; Kahlke ZZP 95, 288, 298. 41 BGH NJW 2011, 1358; BFH NJW-RR 1996, 57; OLG Düsseldorf OLGReport 1993, 158; OLG Frankfurt OLGReport 1997, 305; OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 1260; OLG Rostock NJW 2007, 429, 430; OLG Celle OLGReport 2008, 216; Thomas/Putzo/Hüßtege § 46 Rdn 8. 42 BayObLG 1968, 802; KG KGReport 2004, 554 (Wegfall des Rechtsschutzinteresses mit Rechtskraft der Entscheidung zur Hauptsache); kritisch Kolling NJW 1967, 2045. 43 LG Münster NJW 2011, 3731; a.A. OLG Frankfurt NJW 2008, 1328.

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Problematisch und umstritten ist die Frage, ob die Beschwerde dadurch unzulässig 11 wird, dass das untere Gericht nach der Einlegung, aber vor Erledigung der sofortigen Beschwerde unter Verstoß gegen seine Wartepflicht gemäß § 47 Abs. 1 über die Hauptsache entscheidet. Wird die Instanz mit dieser Entscheidung nicht beendet, weil sie mit Einspruch (§ 341), Widerspruch (§ 924) oder Erinnerung angefochten werden kann, besteht das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde uneingeschränkt fort.44 Dasselbe gilt, wenn der Richter nochmals mit der Sache befasst werden kann, wie z.B. bei der Tatbestandsberichtigung45 oder bei der Verfahrensfortsetzung nach Erlass eines Vorbehalts-46 oder Grundurteils. Kommt dagegen eine weitere Befassung des abgelehnten Richters mit der Sache nicht mehr in Betracht – also auch nicht im Rahmen einer Berichtigung gemäß §§ 319–321 oder einer Gehörsrüge gemäß § 321a – entfällt mit dem Erlass der Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis.47 Der Beschwerdeführer muss in diesem Fall seine sofortige Beschwerde für erledigt erklären. Das gilt unabhängig davon, ob die Entscheidung zur Hauptsache mit einem Rechtsmittel angefochten werden kann oder nicht. Der Grund für den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ist allerdings entsprechend der jeweiligen Verfahrenssituation unterschiedlich. Wird gegen die Entscheidung Berufung eingelegt, besteht deswegen kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, weil über die Befangenheit nunmehr inzidenter im Rahmen der Hauptsache entschieden werden kann.48 § 512 steht dem nicht entgegen, da die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch wegen der instanzbeendenden Entscheidung zur Hauptsache nicht mehr angefochten werden kann. Die inzidente Prüfung führt zu einer einheitlichen Entscheidung und entspricht damit der Prozessökonomie. Kommt es nicht zur Berufung oder ist die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr anfechtbar, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis deswegen, weil der abgelehnte Richter nicht mehr mit der Sache befasst werden kann. Allein der Wunsch, dass die Mitwirkung des abgelehnten Richters nachträglich sanktioniert wird, kann das Rechtsschutzbedürfnis nicht begründen.49 Es kann auch nicht ausnahmsweise daraus abgeleitet werden, dass die Entscheidung in der Hauptsache nach Erfolg der sofortigen Beschwerde mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden soll.50 § 579 Abs. 1 Nr. 3 gestattet die Nichtigkeitsklage bei der Mitwirkung eines befangenen Richters nur dann, wenn das Ablehnungsgesuch zum Zeitpunkt der Entscheidung für begründet erklärt worden war.51

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44 KG MDR 1954, 750; OLG Frankfurt NJW 1986, 1000. 45 BGH NJW 1963, 46. 46 OLG Frankfurt MDR 1979, 762; OLG Frankfurt NJW 1986, 1000 = MDR 1985, 1032. 47 RGZ 6, 47; KG FamRZ 1986, 1023; OLG Frankfurt NJW 1986, 1000 = OLGZ 1985, 37; s.a. OLG Celle NdsRpfl. 1964, 226 – zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nach der Entscheidung über die Haupstache; a.A. BFH BB 1982, 605; OLG Braunschweig NJW 1976, 2024; KG MDR 1988, 237 unter Aufgabe von MDR 1954, 750; OLG Koblenz NJW-RR 1992, 1464; Schellhammer Zivilprozess, 10. Aufl. Rdn. 1336. 48 BGH NJW-RR 2007, 411 = MDR 2007, 288; KG MDR 2005, 890; OLG Zweibrücken MDR 2008, 102; Günther MDR 1989, 691, 698; a.A. OLG Düsseldorf MDR 1956, 234 (der Erfolg der sofortigen Beschwerde gibt dem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache die Begründung); OLG Karlsruhe OLGZ 1978, 224, 225, wonach über die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs nur im Beschwerde- und nicht im Berufungsverfahren entschieden werden kann; BayObLG FamRZ 1986, 291 (zum früheren FGGVerfahren); OLG Celle MDR 2013, 1065; Stein/Jonas/Bork § 46 Rdn. 6; Voraufl. § 46 Rdn. 8; Kahlke ZZP 95 (1982), 288, 301. Zur Inzidentprüfung im Revisionsverfahren s. BGH NJW-RR 2005, 294; BGH NJW-RR 2007, 411 u. 775. 49 Günther MDR 1989, 691, 694. 50 A.A. OLG Bremen OLGZ 1992, 485; OLG Koblenz NJW-RR 1992, 1464; Musielak/Heinrich Rdn. 11; Zöller/Vollkommer § 46 Rdn. 18b unter Hinweis auf BFHE. 51 RGZ 66, 47.

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d) Prüfungsgegenstand. Gegenstand der Überprüfung im Beschwerdeverfahren sind die im Gesuch vorgetragenen Ablehnungsgründe. Neue Ablehnungsgründe können, soweit sie nicht bereits präkludiert sind (§ 43), grundsätzlich nur in einem weiteren Ablehnungsantrag geltend gemacht werden,52 es sei denn, der Antragsteller konnte aufgrund eines Verfahrensfehlers den neuen Ablehnungsgrund nicht früher geltend machen.53 Ein wiederholtes, auf denselben Grund gestütztes Ablehnungsgesuch ist unzulässig.54 Wird die zurückweisende Entscheidung über das Ablehnungsgesuch rechtskräftig, kann der Befangenheitsgrund im weiteren Verfahren (§§ 512 Abs. 1, 557 Abs. 2) oder mit der Nichtigkeitsklage (§ 579 Abs. 1 Nr. 3) nicht mehr geltend gemacht werden; s. Erl. zu § 47 Rdn. 3.

e) Entscheidung des Beschwerdegerichts. Zuständig zur Entscheidung über die Beschwerde ist im Fall des § 45 Abs. 2 S. 1 der Einzelrichter beim Landgericht (§ 568 Abs. 1 S. 1). Beim Oberlandesgericht entscheidet stets das Kollegium, da die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts stets von der Kammer getroffen werden muss (zur Ablehnung des Einzelrichters beim Landgericht s. § 45 Rdn. 3). Bei Erfolg der sofortigen Beschwerde wird das Befangenheitsgesuch vom Beschwerdegericht für begründet erklärt. Eine Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht findet grundsätzlich nicht statt. Das gilt auch dann, wenn der im ersten Rechtszug abgelehnte Richter unter Verkennung der Voraussetzungen zu Unrecht selbst über das Befangenheitsgesuch entschieden hat.55 Das zweitinstanzliche Gericht soll in der Regel abschließend über die Sache entscheiden (§§ 538 Abs. 1 ZPO, 69 Abs. 1 FamFG), und zwar auch bei Verfahrensmängeln. Das Argument, das erstinstanzliche Gericht habe sich nur mit Zulässigkeitsfragen und nicht mit der Sache selbst befasst, tritt dabei aus Gründen der Verfahrensökonomie in den Hintergrund. Eine Zurückverweisung zur eigenen Sachentscheidung durch das Ausgangsgericht wird daher nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen (besonders grober Verfahrensfehler; umfangreiche Sachaufklärung erforderlich). Zur Kostenentscheidung bei Entscheidung über die Beschwerde s. Rdn. 18. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts (Landgericht, Oberlandesgericht) kann 14 nur bei entsprechender Zulassung mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden (§ 574 Abs. 1 Nr. 2). Ein Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht gegeben auch nicht verfassungsrechtlich geboten.56 13

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Der mit Erfolg abgelehnte Richter darf nicht mehr tätig werden. Wirkt er gleichwohl an der Entscheidung mit, kann ein Rechtsmittel auf die Rüge gemäß §§ 513 Abs. 1, 547 Nr. 3 gestützt werden. Ferner ermöglicht § 579 Abs. 1 Nr. 3 die Nichtigkeitsklage. Eine Inzidentprüfung von Befangenheitsgründen ist im Rahmen der Berufung möglich (hierzu Rdn. 11), und zwar auch für solche Gründe, die der Partei erst nach Abschluss der Instanz bekannt geworden sind und daher dort nicht mehr angebracht werden konnten.

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52 OLG Zweibrücken MDR 1982, 412; BayObLGZ 1985, 307, 311 = FamRZ 1986, 291, 293 = MDR 1986, 60; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 455, 456. 53 OLG Karlsruhe Justiz 1993, 54. 54 RGSt 11, 224; KG FamRZ 1985, 1022, 1023. 55 OLG Frankfurt NJW-RR 2012, 1271, 1273; a.A. OLG Köln OLGR 2004, 236; OLG Schleswig OLGReport 2007, 575; OLG Brandenburg OLGReport 2009, 624; Zöller/Vollkommer § 46 Rdn. 14; Musielak/Heinrich § 46 Rdn. 4. 56 BGH NJW 2005, 294 = MDR 2005, 409 unter Bezugnahme auf BVerfG NJW 2003, 1924.

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Im Rahmen der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 557 Abs. 2) ist sie nicht gestattet.57 Gegen den das Befangenheitsgesuch zurückweisenden Beschluss ist grundsätzlich 16 die Anhörungsrüge gemäß § 321a möglich. Ihre Zulässigkeit hängt davon ab, ob die Entscheidung über die Befangenheit für das weitere fachgerichtliche Verfahren bindend ist oder ob sie – ggf. auch im Rahmen einer Inzidentprüfung – noch korrigiert werden kann.58 § 321a Abs. 1 S. 2 wird vom Bundesverfassungsgericht einschränkend dahin ausgelegt, dass nur solche Zwischenentscheidungen einer Anhörungsrüge entzogen sind, die im weiteren Verfahren noch überprüft werden können.59 Sind sie bindend, ist eine Rüge gemäß § 321a möglich und auch erforderlich, wenn anschließend Verfassungsbeschwerde erhoben werden soll. Bindend ist z.B. die Zurückweisung eines im zweiten Rechtszug gestellten Befangenheitsgesuchs durch das Oberlandesgericht. Soll also eine Verfassungsbeschwerde gegen einen die Berufung zurückweisenden Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 mit der Rüge begründet werden, das Oberlandesgericht habe zuvor fehlerhaft über einen Befangenheitsantrag entschieden, muss eine Anhörungsrüge gemäß § 321a vorausgehen (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). Begründet werden kann eine Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs grundsätzlich nur mit einem Verstoß gegen das Willkürverbot.60 Entscheidet der Bundesgerichtshof über ein Befangenheitsgesuch, ist ebenfalls allein die Anhörungsrüge statthaft.61 V. Kosten/Gebühren Im Verfahren nach Abs. 1 fallen keine besonderen Gerichtskosten an. Die Kosten 17 dieses Nebenverfahrens sind Teil der Kosten des Hauptverfahrens. Das gilt auch für die Anwaltskosten (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 RVG),62 es sei denn, der Anwalt war nur mit der Vertretung im Verfahren über das Ablehnungsgesuch beauftragt worden. In diesem Fall entsteht gemäß RVGVergV Nr. 3403 eine 0,8 Gebühr. Werden die Parteien – was die Regel ist – im Ablehnungsverfahren von denselben Prozessbevollmächtigten vertreten, besteht somit kein Anlass für eine gesonderte Kostenentscheidung.63 Ist dagegen ausnahmsweise ein anderer Prozessbevollmächtigter bestellt worden, muss über die Kosten entschieden werden, damit eine Grundlage für die Festsetzung seiner Kosten geschaffen wird. Kosten der erfolgreichen Beschwerde sind solche des Rechtsstreites (§ 91).64 Die 18 Kostentragungspflicht richtet sich daher in diesem Fall nach der Entscheidung über die Hauptsache, so dass das Beschwerdegericht keine Kostenentscheidung zu treffen

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57 BGHZ 95, 302; BGHZ 120, 141 ff. = NJW 1993, 400; BGH NJW-RR 2005, 294; BGH NJW-RR 2007, 775 = MDR 2007, 599; BAG 2009, 1693; a.A. BVerfG NJW-RR 2007, 409; Musielak/Heinrich § 46 Rdn. 4; Zöller/ Vollkommer § 46 Rdn. 14a u. § 44 Rdn. 5. 58 BVerfG NJW 2009, 833. 59 BVerfGE 119, 292, 301 = MDR 2008, 223 entgegen BAG NJW 2007, 1379; dem BVerfG folgend BAG NJW 2009, 1993; zu § 178a Abs. 1 S. 2 SGG s. BVerfG NJW 2010, 2421. 60 BVerfG NJW 1995, 2913; NJW 2005, 3410; NJW 2007, 3771, 3773. 61 BGH NJW 2009, 1092 (zu § 356a StPO). 62 OLG Hamburg MDR 2002, 479; Stollenwerk NJW 2007, 3751, 3752. 63 OLG Hamburg MDR 2002, 479; OLG Zweibrücken FamRZ 1993, 576; Stein/Jonas/Bork § 46 Rdn. 5; Thomas/Putzo/Hüßtege § 46 Rdn. 4; a.A. Stollenwerk NJW 2007, 3751, 3752 . 64 BGH NJW 2005, 2233 = MDR 2005, 1016; OLG Frankfurt Rpfleger 1986, 193; OLG München MDR 1994, 627; KG NJW-RR 2006, 157; OLG Frankfurt MDR 2007, 1399; s.a. OLG Hamburg MDR 2002, 479 (zur Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss); MünchKomm/Gehrlein § 46Rdn. 6; Zöller/Vollkommer § 46 Rdn. 20; Thomas/Putzo/Hüßtege § 46 Rdn. 9; a.A. OLG Celle Rpfleger 1983, 173, wonach die Kosten im Beschwerdeverfahren generell nicht erstattungsfähig sind.

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braucht.65 Für die Gerichtsgebühren gilt insoweit § 22 Abs. 1 S. 1 GKG. Das Ergebnis, dass der Beschwerdeführer bei einem Unterliegen in der Hauptsache trotz des Erfolgs seines Rechtsmittels die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat, ist sachgerecht, da es im Ergebnis um „sein Verfahren“ geht.66 Hat die Beschwerde keinen Erfolg, fallen die Kosten gemäß § 97 dem Beschwerdeführer zur Last.67 Der Antragsteller muss die Kosten des Ablehnungsverfahrens daher auch dann tragen, wenn er später den Prozess in der Hauptsache gewinnt. Diese Kostenlast ist vom Beschwerdegericht auszusprechen.68 Erledigt sich die Beschwerde, weil z.B. der abgelehnte Richter aus dem Spruchkörper ausgeschieden ist oder weil er entgegen seiner Wartepflicht über die Hauptsache entschieden hat, kann über die Kosten in entsprechender Anwendung von § 91a entschieden werden, sofern die Beschwerde für erledigt erklärt wird.69 Kommt es nicht zu einer übereinstimmenden Erledigungserklärung, richtet sich die Kostenlast nach allgemeinen Grundsätzen. Die Gerichtsgebühren bemessen sich im Beschwerdeverfahren nach GKG KV 19 Nr. 1812. Hiernach entsteht eine Gebühr von 50,– €, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Für die Anwaltsgebühren gilt RVGVergV Nr. 3500, 3513. Die Gebühr entsteht für den Anwalt des Beschwerdegegners allerdings nur dann, wenn er im Beschwerdeverfahren eine besondere Tätigkeit entfaltet hat.70 Es genügt die Überprüfung der zur Kenntnisnahme übersandten Beschwerdeschrift,71 nicht aber die bloße Weiterleitung an den Mandanten.72 Eine Stellungnahme zur Beschwerde ist für das Entstehen der Gebühr nicht erforderlich. 73 Die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten ist umstritten. Eine verbreitete Ansicht74 verneint eine Erstattungsfähigkeit, und zwar mit der Begründung, es handele sich bei dem Zwischenverfahren über die Ablehnung nicht um ein kontradiktorisches Verfahren, bei dem sich die Parteien jeweils als Gegner gegenüberstünden. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Für die Erstattungsfähigkeit der Kosten muss unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Verfahrens beachtet werden, dass die von der Befangenheit nicht betroffene Partei ein beachtliches Interesse daran hat, dass das Verfahrensrecht eingehalten und der gesetzliche Richter tätig wird. Sofern sie sich an dem Zwischenstreit über die Befangenheit beteiligt und hierdurch Kosten entstehen, sind diese ebenso wie die weiteren Kosten notwendig zur Verfahrensführung.

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65 OLG Frankfurt MDR 2007, 1399. 66 So zutreffend Sturm MDR 2007, 382, 383. 67 OLG Nürnberg MDR 1980, 1026; OLG Koblenz MDR 1992, 310; Stein/Jonas/Bork § 46 Rdn. 5. 68 OLG Köln Rpfleger 1989, 427. Zur Bindungswirkung einer entsprechenden Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren s. OLG Schleswig JurBüro 1989, 502. 69 OLG Rostock NJW-RR 2007, 429; Stollenwerk NJW 2007, 3751, 3753. 70 SchlHOLG SchlHA 1989, 131; OLG Nürnberg NJW-RR 2002, 720. 71 BGH NJW 2005, 2233 = MDR 2005, 1016; OLG Nürnberg MDR 1980, 1026; OLG Frankfurt Rpfleger 1991, 408; OLG Köln Rpfleger 1989, 427; OLG Koblenz MDR 1992, 310; OLG Saarbrücken NJW-RR 2012, 766; a.A. OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 740 u. KG OLGReport 2002, 227, die für die Entstehung der Gebühr eine Stellungnahme des Anwalts fordern. 72 OLG Koblenz JurBüro 2013, 306. 73 Sturm MDR 2007, 382, 384; a.A. OLG Stuttgart JurBüro 1984, 56; OLG Schleswig SchlHA 1989, 131; KG KGReport 2002, 227. 74 OLG Celle NdsRpfl. 1983, 92 = Rpfl. 1983, 173; OLG München Rpfleger 1987, 332; OLG Hamm MDR 1975, 235; OLG Hamm MDR 1989, 917 ( Ausnahme für den Fall, dass das Gericht den Antragsgegner ausdrücklich zur Stellungnahme aufgefordert hat); OLG Frankfurt NJW-RR 1992, 510; OLG Nürnberg NJW-RR 2002, 720; OLG Karlsruhe OLGReport 2005, 446 m.w.N.; OLG Brandenburg MDR 2002, 1092; SächsOVG MDR 1992, 1006.

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Streitig ist, wie Wert des Beschwerdegegenstandes zu bemessen ist. Die über- 20 wiegende und zutreffende Ansicht bemisst den Wert nach der Hauptsache.75 Das Ablehnungsgesuch wird gestellt, weil die Partei eine unsachliche Behandlung der Sache und damit eine falsche Entscheidung befürchtet. Demgemäß entspricht das Interesse an der Zwischenentscheidung über die Befangenheit dem Streitwert der Hauptsache.

§ 47 Unaufschiebbare Amtshandlungen Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften Abschnitt 1. Gerichte § 47 Gerken (1) Ein abgelehnter Richter hat vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. (2) Wird ein Richter während der Verhandlung abgelehnt und würde die Entscheidung über die Ablehnung eine Vertagung der Verhandlung erfordern, so kann der Termin unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden. Wird die Ablehnung für begründet erklärt, so ist der nach der Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegende Teil der Verhandlung zu wiederholen. § 47 Abs. 2 angefügt durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004 BGBl. I 2004, 2198.

I. II.

Übersicht Allgemeines ____ 1 Handlungsverbot gemäß Abs. 1 1. Gegenstand ____ 5

III.

2. Auswirkungen ____ 6 3. Rechtsfolgen bei Verstoß ____ 7 Fortsetzung des Termins gemäß Abs. 2 ____ 10

I. Allgemeines Der abgelehnte Richter darf grundsätzlich keine Prozesshandlungen mehr vorneh- 1 men. § 47 macht hiervon zwei Ausnahmen, und zwar für unaufschiebbare Handlungen und für die mündliche Verhandlung. Hierdurch soll der Fortgang des Verfahrens gewährleistet werden. Die weiteren Handlungen des Richters stehen unter dem Vorbehalt der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch. Erweist es sich als begründet, müssen seine prozessualen Maßnahmen bzw. der Teil der Verhandlung, der im Anschluss an das Ablehnungsgesuch stattgefunden hat, wiederholt werden. Das gilt auch dann, wenn der Richter bei Vornahme der Handlung noch keine Kenntnis vom Ablehnungsgesuch hatte.1 Die Pflicht des Richters, mit weiteren Prozesshandlungen abzuwarten, setzt ein mit 2 der Anbringung des Ablehnungsgesuchs bzw. mit der Anzeige des Richters gemäß § 48 von einem Verhältnis, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Die Gestattung weiterer Handlungen in § 47 Abs. 1 und Abs. 2 betrifft beide Fälle, auch wenn in beiden Absätzen der Vorschrift jeweils nur von der Ablehnung die Rede ist. Amtshandlungen, die der Richter davor vorgenommen hat, werden durch das Gesuch nicht berührt. Sie bleiben

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75 BGH NJW 1968, 796; BGH MDR 2007, 669; BayObLG NJW 1989, 44; OLG Hamm MDR 1978, 582; OLG Düsseldorf ZIP 1982, 225; OLG Brandenburg OLGReport 2000, 22, 24; OLG Karlsruhe MDR 2003, 651; OLG Bremen MDR 2011, 1134; Stein/Jonas/Bork § 46 Rdn. 11; Zöller/Herget § 3 Rdn. 16 „Ablehnung“ mit w. Nachw.; Sturm MDR 2007, 382, 385; a.A. – Bewertung als nichtvermögensrechtliche Angelegenheit nach § 48 Abs. 2 GKG: OLG Bamberg MDR 1982, 589; OLG Köln MDR 1976, 322; OLG Nürnberg MDR 1983, 846; E. Schneider Streitwert-Kommentar Rdn. 76 ff.; s.a. N. Schneider MDR 2001, 130, 132; – Bewertung nach § 3: OLG Frankfurt MDR 1980, 145 u. MDR 2007, 1399; OLG Koblenz MDR 1989, 71; OLG Hamburg MDR 1990, 58. 1

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OLG Frankfurt NJW 1998, 1238 (zum Strafprozess).

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wirksam, auch wenn das Gesuch später Erfolg hat.2 Dies gilt nach Ansicht des BGH auch für Entscheidungen, die zwar abgesetzt, aber mangels Zustellung oder Verkündung noch nicht existent geworden sind.3 Das Handlungsverbot betrifft den Zeitraum zwischen Anbringung (§ 44 Abs. 1)4 und 3 Erledigung des Ablehnungsgesuchs. Vorher vorgenommene Handlungen werden nicht erfasst. Erledigt ist das Gesuch frühestens mit der Entscheidung durch das nach § 45 zuständige Gericht. Wird das Gesuch zurückgewiesen, tritt Erledigung nach überwiegender Auffassung erst mit Rechtskraft der zurückweisenden Entscheidung ein.5 Die Frist für eine sofortige Beschwerde muss abgelaufen sein.6 Ist die Entscheidung unanfechtbar, ist abzuwarten, ob eine Anhörungsrüge gemäß § 321a eingelegt wird. Eine Verfassungsbeschwerde7 oder die Einlegung eines unstatthaften Rechtsmittels8 hindern die Erledigung nicht. Die Gegenansicht,9 die für die Erledigung bereits auf den Erlass der Entscheidung abstellt, ist abzulehnen. Sie nimmt in Kauf, dass ein befangener Richter über die Hauptsache entscheidet. Ein einwandfreies Verfahren in der Hauptsache, das auch in der Rechtsmittelinstanz Bestand hat, ist nur dann gewährleistet, wenn rechtskräftig feststeht, dass die Ablehnung ungerechtfertigt ist. Dementsprechend muss § 47 dahin ausgelegt werden, dass der Eintritt der Rechtskraft abzuwarten ist. Der von den Vertretern der Gegenansicht bemühte Beschleunigungsgrundsatz kann gegenüber dem Zweck der §§ 42, 47 kein größeres Gewicht haben.10 Eine eventuelle Verzögerung des Verfahrens zur Hauptsache hält sich zudem in Grenzen, da das Beschwerdeverfahren in der Regel zügig durchgeführt wird. 4 Das Ablehnungsgesuch muss im anhängigen Verfahren gestellt worden sein. Die Anbringung in einem anderen Verfahren ist unbeachtlich,11 so dass hierdurch keine Wartepflicht ausgelöst wird. Kein Handlungsverbot besteht für den abgelehnten Richter, wenn das Ablehnungsgesuch evident missbraucht wird (s. hierzu Erl. zu § 45 Rdn. 4), etwa im Fall einer unzulässigen Globalablehnung oder einer völlig ungeeigneten Begründung.12 Ist das Gesuch aus anderen Gründen unzulässig, bleibt das Handlungsverbot unberührt.13

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2 A.A. für den Fall, dass die Prozesshandlungen von dem Befangenheitsgrund beeinflusst waren, Zöller/ Vollkommer § 47 Rdn 5. 3 BGH NJW 2001, 1502, 1503. 4 BGH NJW 2001, 1502, 1503; BayObLGZ 1986, 366, 367. 5 RG JW 1902, 249; BGH NJW 2011, 427 = MDR 2010, 945; BayObLGZ 1986, 251; BayObLG MDR 1988, 500 = FamRZ 1988, 743, 744; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 1978, 44; KG MDR 1988, 238; OLG Karlsruhe OLGZ 1978, 224, 225; OLG Hamburg MDR 1965, 141 u. NJW 1992, 1462; OLG Koblenz NJW-RR 1992, 1464; OLG Brandenburg NJW-RR 2000, 1091; OLG Köln NJW-RR 2000, 591; Kahlke ZZP 95 (1982), 300; Teplitzky JuS 1969, 318, 325 Fn. 116; ders. MDR 1970, 106; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 25 II 6b; Musielak/Heinrich § 47 Rdn. 3; Stein/Jonas/Bork § 47 Rdn. 1; Zöller/Vollkommer § 47 Rdn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege § 47 Rdn. 1. 6 BGH NJW 2011, 427 = MDR 2010, 945. 7 BGH NJW 2011, 427, 428 = MDR 2010, 945; OLG Hamm NJW-RR 1999, 651; MünchKomm/Gehrlein § 47 Rdn. 3; Musielak/Heinrich § 47 Rdn. 3. 8 BGH ZIP 2005, 45. 9 BFHE GrS 134, 525, 529 = BB 1982, 605 (auszugsweise); BFHE 125, 12, 14 ff. = BB 1978, 903; RGZ 66, 46, 47; KG MDR 1954, 750; OLG Frankfurt OLGZ 1992, 383 = MDR 1992, 409; OLG Frankfurt WM 1992, 1088, 1089; OVG Münster NJW 1990, 1749; ausführlich Günther MDR 1989, 691, 695. 10 MünchKomm/Gehrlein § 47 Rdn. 4. 11 BayObLG Rpfl. 1980, 193. 12 BGH NJW-RR 2005, 1226, 1227; BVerwG NJW 1988, 722; OLG Köln MDR 1964, 423 (Partei behält sich Begründung vor) mit weitergehender Anm. Teplitzky (Fehlen jeglicher Begründung ausreichend); LG Frankfurt NJW-RR 2000, 1088. 13 Stein/Jonas/Bork § 47 Rdn. 1.

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II. Handlungsverbot gemäß Abs. 1 1. Gegenstand. Außerhalb der Verhandlung darf der abgelehnte Richter nur unauf- 5 schiebbare Handlungen vornehmen. Eine Handlung gestattet keinen Aufschub, wenn durch die Unterlassung wesentliche Nachteile für den Verfahrensgegner der ablehnenden Partei drohen,14 also Gefahr im Verzug ist.15 Maßgeblich ist die Eilbedürftigkeit der Handlung, nicht der voraussichtliche Erfolg des Ablehnungsgesuchs.16 Unaufschiebbar sind z.B.: eilbedürftige prozessleitende Maßnahmen (Ladungen oder Auflagen, die keinen Aufschub gestatten); Beweissicherungsanordnungen bei drohendem Verlust des Beweismittels; Entscheidungen gemäß §§ 707, 718, 719, 794a; Entscheidungen über Arrest und einstweilige Verfügung; eine Terminsaufhebung, die nach § 47 geboten ist.17 Unaufschiebbar ist weiter – Entscheidungsreife vorausgesetzt – die Anberaumung eines vorsorglichen Termins zur Verkündung einer Entscheidung, da § 310 Abs. 1 S. 1 eine sofortige Terminsbestimmung vorschreibt.18 Andernfalls müsste bei Zurückweisung des Gesuchs neu verhandelt werden. Grundsätzlich aufschiebbar ist dagegen jede Sachentscheidung,19 wie z.B. der Erlass eines Urteils (auch eines Versäumnisurteils gemäß § 331 Abs. 3),20 die Verwerfung oder die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2, die Entscheidung über ein Wiedereinsetzungsgesuch, über einen Prozesskostenhilfeantrag oder über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels.21 Aufschub gestattet grundsätzlich auch die Anberaumung eines neuen Termins zur Fortsetzung der Verhandlung.22 Die leichte Verzögerung in der Terminsanberaumung, die durch das Verfahren über die Befangenheit entsteht, müssen die Parteien hinnehmen. 2. Auswirkungen. Das Handlungsverbot bewirkt, dass dem Richter eine weitere ak- 6 tive Mitwirkung am Verfahren untersagt ist. Vor der Stellung des Gesuchs getroffene Entscheidungen bleiben wirksam. 23 Prozessuale Fristen werden hierdurch nicht berührt.24 Sie laufen weiter, auch wenn das Handlungsverbot praktisch zu einem Stillstand des Verfahrens führt.25 Das Handlungsverbot bewirkt nicht, dass der Richter bereits getroffene Maßnahmen rückgängig machen muss.26 Allerdings ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine bereits in die Wege geleitete prozessfördernde Maßnahme fortgesetzt werden soll. Wird der Richter nach Erlass eines Beweisbeschlusses und der anschließenden Beauftragung eines Sachverständigen abgelehnt, kann es geboten sein, dass der Sachverständige die Erarbeitung des Gutachtens bis zur Erledigung des Ablehnungsgesuchs zurückstellt. Dieselbe Situation besteht bei der Anordnung einer Beweiserhebung durch den ersuchten Richter. Denn wenn nach einem Erfolg des Ablehnungsgesuchs ein anderer Richter tätig werden muss, erweist sich die Beweisaufnahme möglicherweise als nutzlos.

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14 OLG Celle NJW-RR 1989, 569. 15 BPatG GRUR 1985, 373. 16 Hahn Mat. II 1, 165. 17 BPatG GRUR 1985, 373; LG Kiel Rpfl. 1988, 544 m. Anm. Wabnitz (betr. Zwangsversteigerungsverfahren). 18 Offen gelassen in OLG Karlsruhe MDR 2008, 1235. 19 BGH NJW-RR 2008, 216 = MDR 2008, 111 (Zuschlagsbeschluss); OLG Köln OLGReport 1999, 401; Musielak/Heinrich § 47 Rdn. 5; Zöller/Vollkommer § 47 Rdn. 3, 3a. 20 Hierzu OLG Köln OLGReport 2004, 427. 21 RG JW 1935, 2895 (Nr. 17). 22 A.A. Zöller/Vollkommer § 47 Rdn. 2. 23 BGH NJW 2001, 1503. 24 BAG B 2000, 148 (zu Notfristen). 25 BayVerfGH BayVBl 2000, 58. 26 Zöller/Vollkommer § 47 Rdn. 2.

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3. Rechtsfolgen bei Verstoß. Die Prozesshandlungen, die der Richter unter Verstoß gegen die Wartepflicht vornimmt, bleiben unabhängig vom Ausgang des Ablehnungsverfahrens wirksam (Arg.: § 579 Abs. 1 Nr. 3).27 Dasselbe gilt für die Prozesshandlungen oder Prozesserklärungen der Parteien vor dem abgelehnten Richter (z.B. teilweise Rücknahme der Klage). Die Tatsache, dass sich der Richter über die Wartepflicht hinweggesetzt hat, kann allerdings einen neuen Befangenheitsgrund schaffen (§ 42 Rdn. 23),28 und zwar auch dann, wenn sich im nachfolgenden Beschwerdeverfahren herausstellt, dass die zuerst erhobene Befangenheitsrüge nicht begründet war.29 Sind durch die Vorgehensweise des Richters besondere Kosten verursacht worden, wird eine Niederschlagung gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG zu erwägen sein. Die Entscheidung des Gerichts, eine für unaufschiebbar gehaltene Maßnahme vor8 zunehmen, ist nicht selbständig mit der Beschwerde anfechtbar.30 Der Verfahrensfehler kann auf dem Rechtsmittelweg im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden. Voraussetzung ist, dass das Ablehnungsgesuch Erfolg hat.31 Wird das Ablehnungsgesuch rechtskräftig zurückgewiesen, kann der möglicherweise unterlaufene Verstoß gegen §§ 41 und 47 – also auch der gegen die Wartepflicht – nicht mehr mit Erfolg als Verfahrensfehler gerügt werden.32 Die Entscheidung im Zwischenverfahren nach §§ 44 ff. ist für das Hauptsacheverfahren bindend. Wegen der Anfechtungsmöglichkeiten in verschiedenen Verfahrensstadien s. Erl. zu § 46 Rdn. 6, 7, 10, 11. Liegt ein Ausschließungsgrund (§ 41) vor und wird dieser nicht in einem Ableh9 nungsverfahren verneint (Erl. zu § 41 Rdn. 18), stellen sich alle Handlungen des ausgeschlossenen Richters als verfahrensfehlerhaft dar, auch die unaufschiebbaren. Da der ausgeschlossene Richter ohne weiteres aus dem Verfahren ausscheiden muss und sofort zu ersetzen ist, wird es kaum jemals erforderlich sein, dass er unaufschiebbare Handlungen vornimmt. In jedem Zweifelsfall wird er sich einer weiteren Amtsausübung enthalten.33 Er könnte sonst unter Umständen einen neuen Ablehnungsgrund schaffen.34 II. Fortsetzung des Termins gemäß Abs. 2 10

§ 47 Abs. 2 ist durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz35 angefügt worden. Die Vorschrift orientiert sich an dem Rechtsgedanken von § 29 Abs. 2.36 Nach früherem Recht war es der Partei möglich, eine sonst nicht erreichbare Vertagung des Termins über den Umweg eines Ablehnungsgesuchs zu erreichen. Zur Vermeidung einer hierdurch entstehenden Verzögerung des Verfahrens ist es dem Richter nunmehr möglich, den Termin unabhängig vom Ablehnungsgesuch fortzuführen und zugleich die Maßnahmen zu treffen, die zur Durchführung des Termins erforderlich sind, wie etwa der Erlass von sit-

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27 BGH NJW-RR 2007, 75 = FamRZ 2007, 462; Musielak/Heinrich § 47 Rdn. 5; Zöller/Vollkommer § 47 Rdn. 4. 28 OLG Köln OLGReport 2004, 427 (keine Befangenheit bei Erlass eines VU); OLG Karlsruhe MDR 2008, 1235 (Terminierung). 29 So zutreffend Zöller/Vollkommer § 47 Rdn. 5. 30 RG SeuffArch Bd. 46 a.F. (1891), Nr. 218, S. 352. 31 Offen gelassen von BGH NJW 1993, 400. 32 RG JW 1902, 249 (Nr. 2); BVerfG ZIP 1988, 174 , 175 a.E.; BayVerfGH NJW 1982, 1746; BAG BB 2000, 1948; KG MDR 1977, 673; OLG Frankfurt MDR 1992, 409; OLG München MDR 1993, 892; OLG Köln OLGReport 2004, 427, 429; OLG Düsseldorf OLGReport 2009, 27, 28. 33 So zutr. Stein/Jonas/Bork § 47 Rdn. 4. 34 BayObLG FamRZ 1988, 743 = MDR 1988, 500; OLG Hamburg NJW 1992, 1462; OLG Bremen OLGZ 1992, 485. 35 BGBl. I 2004, 2198. 36 BT-Drucks. 15/1508, 1, 16.

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zungspolizeilichen Anordnungen.37 Dies erleichtert insbesondere den Verfahrensablauf, wenn eine Beweisaufnahme ansteht oder fortgesetzt werden soll. Andernfalls müssten die Geladenen zunächst wieder nach Hause geschickt werden. Der Begriff der Verhandlung im Sinne von Abs. 2 ist weit gefasst und nicht im technischen Sinn zu verstehen. Unter „Verhandlung“ fällt jede Erörterung der Sache, also auch ein Gütetermin,38 ein Vergleichsgespräch oder ein Termin, der ausschließlich zur Durchführung einer Beweisaufnahme bestimmt ist. Die vorherige Stellung von Sachanträgen ist daher nicht erforderlich. Die Fortsetzung der Verhandlung steht unter dem Risiko der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch. Ist das Gesuch erfolgreich – eventuell erst in der Beschwerdeinstanz –, muss der Teil der Verhandlung wiederholt werden, der nach dem Gesuch stattgefunden hat. Dieser Teil kann nicht zur Grundlage eines Urteils gemacht werden. Das gilt allerdings nicht für die Prozesshandlungen der Parteien. Ihre Anträge brauchen später nicht erneuert zu werden. Vor dem befangenen Richter abgegebene Erklärungen bleiben wirksam (s.o. Rdn. 7). Aufgrund des generellen Verwertungsverbots39 muss der Richter bei seiner Entscheidung, ob er mit der Verhandlung fortfahren will, abwägen zwischen der durch die Unterbrechung eintretenden Verzögerung und den Vorteilen einer Fortsetzung. Dabei muss er insbesondere berücksichtigen, dass das weitere Verhandlungsklima bei einer Fortsetzung ohne Entscheidung über das Ablehnungsgesuch negativ vorbelastet sein wird. Die Erfolgsaussicht des Ablehnungsgesuchs darf hingegen keine Rolle spielen. Denn diese kann vom abgelehnten Richter selbst nicht beurteilt werden. Eine Unterbrechung ist in der Regel angebracht, wenn eine schnelle Entscheidung über das Ablehnungsgesuch möglich ist, also wenn der zur Entscheidung zuständige Richter greifbar und der zu beurteilende Sachverhalt einfach ist. Bleibt das Gesuch erfolglos, besteht damit für alle Beteiligten Klarheit. Die Anwendung von § 47 Abs. 2 ist problematisch, wenn es um die Durchführung einer Beweisaufnahme geht. Die Tatsache, dass die Beweisaufnahme wiederholt werden muss, wenn sich später das Befangenheitsgesuch als begründet erweist, beseitigt nicht das Risiko, das in der Vernehmung eines Zeugen oder eines Sachverständiger durch den befangenen Richter liegt. Ein Zeuge, der bereits eine Aussage vor einem Richter gemacht hat, wird seine Angaben bei einer Wiederholung vor einem anderen Richter kaum wieder ändern.40 Demgemäß muss der Anwalt zur Vermeidung von späteren Nachteilen bei einer Beweisaufnahme durch den abgelehnten Richter in besonderem Maße darauf achten, dass die Aussage keine Prägung bekommt, die auf die Befangenheit und eine hiervon beeinflusste Fragestellung zurückzuführen ist. Der Anwendungsbereich von § 47 Abs. 2 beschränkt sich auf den anstehenden Termin. Dieser soll aus Gründen der Verfahrensökonomie und zur Vermeidung von missbräuchlichen – der Verzögerung dienenden – Gesuchen zu Ende gebracht werden. Ein zur Fortsetzung der Verhandlung bzw. der Beweisaufnahme nötiger Folgetermin fällt daher unter die Wartepflicht. Insoweit gilt dasselbe wie unter Rdn. 5. Der abgelehnte Richter darf nur die Verhandlung zu Ende führen. Für die weiteren Handlungen bleibt es bei der Einschränkung aus Abs. 1. Er darf daher insbesondere keine abschließende Entscheidung in der Sache treffen.41

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37 Hierzu OLG Hamburg LZ 1928, 854 Nr. 8 (LS); LSG Essen NJW 1973, 2224. 38 OLG Karlsruhe MDR 2007, 795; OLG Celle NJW-RR 1989, 569. 39 Hierzu Knauer/Wolf NJW 2004, 2860. 40 Insoweit zutreffend Schneider MDR 2005, 671, 672. 41 BGH NJW-RR 2008, 216 = MDR 2008, 111; Musielak/Heinrich § 47 Rdn. 9; Zöller/Vollkommer § 47 Rdn. 3a; a.A. Stein/Jonas/Bork § 47 Rdn. 2a.

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§ 48 Selbstablehnung; Ablehnung von Amts wegen § 48 Gerken Das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht hat auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. § 48 wieder eingefügt durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 19.9.1950 BGBl. I 1950 455; früherer Abs. 2 gestrichen durch das Gesetz zur Änderung des Beratungshilfegesetzes und andere Gesetze vom 14.9.1994 BGBl. I, 2323.

I. II.

Übersicht Allgemeines ____ 1 Verfahrensablauf ____ 3

III. IV.

Entscheidung ____ 9 Rechtsmittel ____ 13

I. Allgemeines Ein Richter kann sich nicht selbst ablehnen oder sich seiner Amtstätigkeit enthalten, wenn er sich selbst für befangen hält.1 Die amtliche Überschrift kennzeichnet den Inhalt der Norm daher nicht ganz zutreffend. Der Richter hat vielmehr die Pflicht, Tatsachen anzuzeigen, die nach seiner Überzeugung eine Befangenheitsablehnung rechtfertigen können.2 Ist dem Richter ein Ausschließungsgrund (§ 41) bekannt, muss er diesen gleichfalls mitteilen. Die Anzeige von Befangenheits- oder Ausschließungsgründen steht dem Befangen2 heitsgesuch der Partei gleich. Sie setzt das Prüfungsverfahren in Gang. Daneben kann das Verfahren auch unabhängig von einer Anzeige des Richters von Amts wegen eingeleitet werden, wenn Zweifel darüber entstehen, ob ein Ausschließungsgrund vorliegt. Die entsprechende Prüfungspflicht hat das (Kollegial-)Gericht in jedem Stadium des Verfahrens. Sie bezieht sich nur auf Ausschließungs-, nicht aber auf Ablehnungs-/Selbstablehnungsgründe (§ 42).3 Die Konsequenz hieraus ist, dass ein Mitglied des Gerichts verfahrensrechtlich nicht legitimiert ist, den Parteien Verdachtsgründe gegen die Unparteilichkeit eines anderen Richters mitzuteilen, um eine Fremdablehnung zu ermöglichen.4 Ebensowenig besteht eine Pflicht, den Parteien vor der Entscheidung die Namen der mitwirkenden Richter mitzuteilen, damit sie ein etwaiges Ablehnungsrecht wahrnehmen können (zur Pflicht des Gerichts zur Mitteilung der Namen bei entsprechender Nachfrage der Parteien s. § 43 Rdn. 3 und § 44 Rdn. 8).5 Hat allerdings ein Mitglied des Kollegiums den Verdacht, dass bei einem anderen Mitglied ein Ausschließungs- oder Befangenheitsgrund vorliegt, muss es auf den hieraus entstehenden Konflikt aufmerksam machen, damit eine Selbstanzeige erfolgt. 1

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Anders im früheren FGG-Verfahren – § 6 Abs. 2 FGG a.F. Stein/Jonas/Bork § 48 Rdn. 3; Zöller/Vollkommer § 48 Rdn. 1. Zöller/Vollkommer § 48 Rdn. 6. A.A. Zöller/Vollkommer § 48 Rdn. 6. BVerfG NJW 1998, 369, 370.

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II. Verfahrensablauf Als Ablehnungsgründe kommen diejenigen in Betracht, die auch die Parteien gel- 3 tend machen könnten (hierzu § 42 Rdn. 6 ff.). Darüber hinaus kann sich ein solcher Grund unter besonderen Umständen auch aus einem ernsthaften Gewissenskonflikt ergeben, der den Richter darin hindert, nach positivem Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) zu entscheiden.6 Hierzu gehört allerdings nicht der Fall, dass der Richter nach einer Zurückverweisung der Sache gemäß einer Rechtsauffassung des Rechtsmittelgerichts entscheiden muss, die er nicht teilt.7 Die Rechtsauffassung bindet ihn, so dass ein Gewissenskonflikt hieraus nicht abgeleitet werden kann. Die Tatsache, dass dem Richter eine Mitwirkung an der Entscheidung nur „unangenehm“ ist, reicht ebenfalls nicht.8 Auch grobe Beleidigungen oder Drohungen gegenüber einem Richter9 bzw. eine heftige Kritik an einer Vorentscheidung10 rechtfertigen eine „Selbstablehnung“ in der Regel nicht. Eine Partei darf einen Richter nicht auf diesem Weg ausschalten können. Der Richter muss entsprechenden Äußerungen daher mit der erforderlichen professionellen Gelassenheit gegenübertreten. Die Entscheidung darüber, ob Tatsachen anzuzeigen sind, die eine Besorgnis der Be- 4 fangenheit rechtfertigen können oder die einen Ausschließungsgrund schaffen, steht nicht im Ermessen des Richters. Die Anzeigepflicht besteht, wenn objektiv die Besorgnis bestehen kann, dass der Richter nicht unparteilich entscheidet. 11 Auf die subjektive Sicht des Richters kommt es nicht an.12 Ist der Richter allerdings selbst davon überzeugt, dass kein Ablehnungs- oder Ausschließungsgrund (§ 41) vorliegt, braucht er sich nicht von sich aus zu äußern. Bei der Mitteilungspflicht handelt es sich um eine Dienst- bzw. Amtspflicht und da- 5 neben um eine den Parteien gegenüber bestehende verfahrensrechtliche Verpflichtung.13 Die Parteien haben einen Anspruch darauf, Kenntnis von den maßgeblichen Umständen zu erlangen. Ihre prozessuale Rechtsstellung wird unmittelbar berührt, wenn ein befangener oder ausgeschlossener Richter am Verfahren mitwirkt.14 Für den Schiedsrichter ist diese Mitteilungspflicht in § 1036 Abs. 1 ausdrücklich geregelt. Für den Richter der staatlichen Gerichtsbarkeit folgt sie aus dem Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG. Wird die Pflicht verletzt, kann die Nichtoffenbarung des Näheverhältnisses einen selbständigen Ablehnungsgrund schaffen.15 Daneben kann das Urteil mit einer entsprechenden Verfahrensrüge angefochten werden.16 Wird das Urteil allerdings rechtskräftig, erlischt damit auch das Ablehnungsrecht. Eine nachträgliche Ablehnung in einem Folgeverfahren (z.B. Vollstreckungsschutzantrag gemäß

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6 Hierzu Lipp Das Private Wissen des Richters 1995, S. 98. 7 Zöller/Vollkommer § 49 Rdn. 3 unter Hinweis auf LG Frankfurt NJW 1988, 78 u. MDR 1988, 150 sowie 1062. 8 OLG Frankfurt OLGReport 1995, 55. 9 OLG Dresden FamRZ 2002, 830. 10 OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 766; Zöller/Vollkommer § 49 Rdn. 3; a.A. OLG Zweibrücken MDR 1994, 832. 11 BGHZ 181, 29 ff. 12 BVerfG NJW 1996, 2022; BVerfG NJW 1997, 1500. 13 BGH NJW 1995, 1677, 1680 = MDR 1995, 816, 817; KG KGReport 1999, 276, 277. 14 BVerfGE 89, 28, 36. 15 OLG München MDR 2014, 857. 16 BGH NJW 1995, 1677, 1679 = MDR 1995, 816, 817; zur früheren Rechtslage gemäß § 48 Abs. 2 s. BGHZ 120, 141, 145 = NJW 1993, 400 unter Hinweis auf BGH-ZZP 67 (1954), 302, wonach ein Urteil nicht mit der Begründung angefochten werden kann, ein mitwirkender Richter hätte seine „Selbstablehnung“ erklären müssen.

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§ 721, Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs) kann grundsätzlich nicht auf das Argument gestützt werden, das Gericht habe seine Mitteilungspflicht verletzt, dadurch sei der Partei das Befangenheitsgesuch abgeschnitten worden. Eine Ausnahme gilt nur, wenn ein besonders schwerwiegender und eindeutiger Fall von Befangenheit vorliegt.17 In diesem Fall muss der Partei das Rügerecht aus übergeordneten rechtsstaatlichen Gründen erhalten bleiben. 6 Die Mitteilungspflicht setzt ein, sobald dem Richter die Gründe bekannt werden, die zu seiner Ausschließung führen bzw. seine Ablehnung rechtfertigen können. Sie endet, wenn eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit durch die Parteien verfahrensrechtlich nicht mehr in Betracht kommt. Umstände, die dem Richter erst danach bekannt werden, braucht er daher nicht mehr anzuzeigen. Die zeitliche Grenze des § 43 greift nur insoweit ein, als den Parteien die anzeigepflichtigen Tatsachen bereits bekannt waren. 7 Die Wartepflicht nach § 47 gilt entsprechend. Sie besteht, sobald ein Richter Anzeige gemäß Abs. 1, 1. Halbs. machen muss oder ein Mitglied des Kollegiums Zweifel im Sinne des 2. Halbs. vorbringt. 8 Das Recht der Parteien, Ablehnungsanträge zu stellen und Ausschlussgründe mit Rechtsbehelfen geltend zu machen, bleibt von dem Verfahren gemäß § 48 unberührt. III. Entscheidung Dem Richter ist es verwehrt, nach eigenem Entschluss auszuscheiden. Es hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgrundes zuständige Gericht (§ 45) zu entscheiden, und zwar durch Beschluss (§ 46 Abs. 1).18 Das gilt auch bei einer „Selbstanzeige“ eines Richters am Amtsgericht. § 45 Abs. 2 S. 2 greift daher hier nicht ein. Einer förmlichen Entscheidung bedarf es auch dann, wenn Zweifel darüber bestehen, ob ein Richter nach § 41 ausgeschlossen ist. Die Entscheidung wird nicht dadurch überflüssig, dass der Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund „evident“ ist.19 Das nach § 45 zuständige Gericht muss nach § 44 Abs. 3 eine dienstliche Äußerung 10 des Richters einholen, sofern sie nicht schon in der Selbstanzeige enthalten ist. Die Anzeige nebst der dienstlichen Äußerung muss den Parteien mitgeteilt werden, damit sie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wahrnehmen können.20 Eine ohne das erforderliche Gehör ergangene Entscheidung ist zwar wirksam, aber wegen des Verfahrensfehlers anfechtbar.21 Nach früher herrschender Meinung22 war das Prüfungsverfahren nach § 48 lediglich ein Gerichtsinternum, da die Entscheidung nach § 48 Abs. 2 ohne Gehör der Parteien erging. Durch Beschluss vom 8.6.1993 hat das BVerfG23 entschieden, dass den Verfahrensbeteiligten die Selbstanzeige mitzuteilen ist, damit sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Da es bei der Verfassungsbeschwerde unmit9

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17 BGHZ 141, 90 – NJW 1999, 2370. 18 OLG Jena OLGReport 2000; 76, 77; OLG Hamburg OLGR 2008, 871. 19 A.A. Zöller/Vollkommer § 48 Rdn. 7. 20 BVerfGE 89, 36 = NJW 1993, 2229; BGH NJW 1995, 403; OLG Frankfurt FamRZ 1998, 377; OLG Hamburg OLGReport 2008, 871 (Austausch eines Handelsrichters). 21 A.A. OLG Frankfurt FamRZ 1998, 377, das von Unwirksamkeit ausgeht. 22 BGH NJW 1970, 1644; Waldner Der Anspruch auf rechtliches Gehör (1989), Rdn. 297; Stein/Jonas/ Leipold § 48 Rdn. 4; MünchKomm/Gehrlein § 48 Rdn. 3; Zöller/Vollkommer § 48 Rdn. 9; Thomas/Putzo/ Hüßtege § 48 Rdn. 3; a.A. Jauernig § 14 II; Metzner ZZP 97 (1984), 196; Pentz JR 1967, 85, 87; E. Schneider JR 1977, 270; ders. MDR 1990, 596, 598; AK/Wassermann § 48 Rdn. 4; Bedenken auch bei Günther VerwArch. 1991, 179, 182 Fn. 17. 23 BVerfG NJW 1993, 2229; ihm folgend BGH NJW NJW 1995, 403 = MDR 1995, 409; a.A. BVerfG (2. Kammer des II. Senats) NVwZ 1993, 55 = NJW 1993, 847 (LS).

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telbar nur um die Anwendung des § 30 StPO ging, hatte das BVerfG ausdrücklich offengelassen, ob § 48 Abs. 2 ZPO verfassungswidrig war oder verfassungskonform ausgelegt werden konnte. Diese Zweifelsfrage hat der Gesetzgeber durch Aufhebung von § 48 Abs. 2 beseitigt. Machen sich die Parteien die vom Richter angezeigten Befangenheitsgründe nicht zu 11 eigen und erklären sie ausdrücklich, dass aus ihrer Sicht eine Besorgnis der Befangenheit nicht vorliege, oder dass sie sich zu der Selbstanzeige nicht äußern wollen, besteht kein Grund, die Befangenheit auszusprechen. Die Bejahung der Befangenheit gegen den Willen der Parteien käme einer Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) gleich.24 Der Beschluss gemäß § 48 ist den Parteien zuzustellen. Der betroffene Richter muss 12 eine Mitteilung über den Dienstweg erhalten. Eine Kostenentscheidung braucht nicht getroffen zu werden. IV. Rechtsmittel Der Beschluss, mit dem ein Ausschließungs- oder Befangenheitsgrund bejaht wird, 13 ist nicht anfechtbar (§ 46 Abs. 2 1. Alt).25 Für den ausgeschiedenen Richter ist ebenfalls kein Beschwerderecht vorgesehen.26 Beruht der Beschluss auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs – etwa weil den Parteien die dienstliche Äußerung des Richters nicht bekannt gemacht worden ist –, kommt eine Gehörsrüge gemäß § 321a in Betracht. Diese ist nicht nach § 321a Abs. 1 S. 2 ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu den wortgleichen Bestimmungen in §§ 78a Abs. 1 S. 2 ArbGG, 178a Abs. 1 S. 2 SGG entschieden, dass über das Ablehnungsgesuch ein selbständiges Zwischenverfahren stattfindet, welches mit der Entscheidung endet. Daher handelt es sich bei dieser Entscheidung nicht um eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung im Sinne von §§ 78a Abs. 1 S. 2 ArbGG, 178a Abs. 1 S. 2 SGG.27 Dies muss für § 321a Abs. 1 S. 2 entsprechend gelten. Der zurückweisende Beschluss kann von den Parteien gemäß § 46 Abs. 2 2. Alt. mit 14 der sofortigen Beschwerde angegriffen werden.28 Das gilt auch für die Partei, die selbst keinen Ablehnungsantrag gestellt hat. Die Tatsache, dass sie in Anbetracht der Selbstanzeige von einem eigenen Antrag abgesehen haben, darf sich nicht zu ihrem Nachteil auswirken. Die für das Rechtsmittel erforderliche Beschwer ergibt sich daraus, dass die Befangenheit verneint worden ist. Es genügt also eine materielle Beschwer. Wird ein Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund nicht offenbart und unterbleibt 15 deswegen ein Prüfungsverfahren, kann das Urteil unter Rüge dieses Verfahrensfehlers mit dem statthaften Rechtsmittel angegriffen werden.29 Bei entsprechender Kausalität führt dieser Fehler zur Aufhebung des Urteils.

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24 OLG Brandenburg OLGReport 2009, 307. 25 A.A. Zöller/Vollkommer § 48 Rdn. 10 (der Verweis auf OLG Karlsruhe Rpfleger 1999, 381 ist allerdings nicht zutreffend). 26 BGH ZZP 67 (1954), 302; OLG Bremen FamRZ 1976, 112; Stein/Jonas/Bork Rdn. 5; a.A. Teplitzky JuS 1969, 325 Fn. 109. 27 BVerfGE 119, 292 = MDR 2008, 223; BVerfG NJW 2010, 2421. 28 OLG Karlsruhe NJW-RR 2000, 591 = RPfleger 1999, 381; a.A. OLG Bremen FamRZ 1976, 112. 29 BGH NJW 1995, 1679 – gegen BGHZ 120, 145; BVerwG NJW 1998, 324; zum Schiedsverfahren s. BGHZ 141, 95.

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§ 49 Urkundsbeamte § 49 Gerken Die Vorschriften dieses Titels sind auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle entsprechend anzuwenden; die Entscheidung ergeht durch das Gericht, bei dem er angestellt ist. § 49 geändert durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 19.9.1950 BGBl. I 1950, 455

I. II.

Übersicht Geltungsbereich ____ 1 Anwendung der §§ 41–48 ____ 2

III. IV.

Mitwirkung eines ausgeschlossenen Urkundsbeamten ____ 4 Rechtspfleger ____ 5

I. Geltungsbereich 1

Die Urkundsbeamten, mit denen die Geschäftsstellen zu besetzen sind (§ 153 GVG) sind selbständige Organe der Rechtspflege. Sie erledigen ihre Aufgaben eigenständig (z.B. bei der Protokollierung von Erklärungen gemäß § 129a – s. dort Rdn. 4, bei der Erteilung eines Rechtskraft- oder Notfristzeugnisses – § 706 oder bei der Erteilung der Vollstreckungsklausel – §§ 724 ff.),1 gemeinsam mit dem Richter (§§ 163, 164) oder sie unterstützen den Richter bei seiner Tätigkeit (etwa in ihrer Funktion als Dolmetscher gemäß § 190 GVG). § 49 gewährleistet auch in diesem Bereich die Unparteilichkeit der handelnden Amtsträger und sichert damit ein justizförmiges Verfahren. Maßgeblich für das Ablehnungsrecht ist allein die konkrete Tätigkeit und nicht die Ausbildung. Handelt ein Rechtspfleger oder Referendar als Urkundsbeamter, gilt § 49 daher ebenfalls. Die Vorschrift erfasst jede Tätigkeit in der Funktion eines Urkundsbeamten, z.B. Protokollierung (§ 159) oder Erteilung einer Vollstreckungsklausel (§ 724). Für orignäre Tätigkeiten des Rechtspflegers wird in § 10 RPflG auf §§ 41 ff. verwiesen. Der Ausschluss des Gerichtsvollziehers ist in § 155 GVG besonders geregelt. Ein Recht, den Gerichtsvollzieher im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, besteht nicht.2 Ein am Kostenfestsetzungsverfahren beteiligter Bezirksrevisor kann ebenfalls nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden.3 S. im Übrigen Erl. Vor § 41 Rdn. 7 ff. II. Anwendung der §§ 41–48

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Entsprechend anzuwenden sind die §§ 41 bis 48. Die Probleme der Ausschließung (§ 41) und Ablehnung (§ 42) haben jedoch wenig praktische Bedeutung, weil der Urkundsbeamte jederzeit ohne förmliches Verfahren ausgetauscht werden kann. § 41 Nr. 4 kommt in Betracht, wenn ein Referendar als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ein Protokoll aufnimmt, der zuvor in derselben Sache als Anwaltsvertreter tätig war.4 § 41 Nr. 6 ist entsprechend anzuwenden, wenn der Urkundsbeamte in der Sache früher als

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RGZ 110, 311, 315. BVerfG NJW-RR 2005, 365; BGH NJW-RR 2005, 149 = MDR 2005, 169. OLG Koblenz MDR 1985, 257. OLG Dresden OLG Rspr. Bd. 23 (1911), 159.

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Rechtspfleger tätig war, z.B. bei Erlass eines Mahnbescheids oder im Kostenfestsetzungsverfahren.5 Der Kostenbeamte, der die Kostenrechnung aufgestellt hat, kann nicht über die Erinnerung gegen den Kostenansatz entscheiden.6 Ein Verwandtschaftsverhältnis zum Richter ist kein Ausschließungsgrund.7 Die Präklusionswirkung des § 43 tritt ein, wenn die Partei vor dem Urkundsbeamten in seiner amtlichen Eigenschaft handelt, ohne ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit anzubringen.8 Zuständig für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ist das Gericht, bei dem 3 der Urkundsbeamte beschäftigt ist, und zwar der Richter bzw. Spruchkörper, dem der Urkundsbeamte nach dem internenen Geschäftsverteilungsplan für Verwaltungsangelegenheiten zugeordnet ist. Abweichend von § 45 entscheidet während des Verfahrens gemäß Halbs. 2 das Gericht, vor dem verhandelt wird, ggf. also auch der Einzelrichter (§§ 348 ff.).9 Der Ablehnungsantrag kann vor demselben Urkundsbeamten zu Protokoll erklärt werden. § 47 greift erst ein, wenn das Ablehnungsgesuch dem Gericht vorliegt.10 Selbstablehnung nach § 48 ist möglich. Das Ablehnungsgesuch kann dadurch erledigt werden, dass der Urkundsbeamte von der Geschäftsleitung ausgetauscht wird. Eine förmliche Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ist dann nicht mehr nötig. III. Mitwirkung eines ausgeschlossenen Urkundsbeamten Ist ein ausgeschlossener oder erfolgreich abgelehnter Urkundsbeamter tätig ge- 4 worden, muss seine Handlung ggf. wiederholt werden.11 Stammt das Protokoll von einem ausgeschlossenen Urkundsbeamten, hat es nicht die Beweiskraft des § 165. Das Urteil kann auf der unzulässigen Mitwirkung beruhen.12 Da der Urkundsbeamte nicht am Erlass des Urteils mitwirkt, ist ein absoluter Revisions- und Nichtigkeitsgrund nach §§ 551 Nr. 2, 3, 579 Abs. 1 Nr. 2, 3 aber nicht gegeben. IV. Rechtspfleger Der Rechtspfleger fällt ebenfalls unter § 49, soweit er als Urkundsbeamter tätig 5 wird.13 Für seine übrigen Aufgaben gelten §§ 10 RPflG, 6 FamFG. Hiernach sind die für den Richter geltenden Vorschriften, also auch §§ 41 bis 48 entsprechend anzuwenden. Über das Ablehnungsgesuch (§ 44) oder über die sog. Selbstablehnung (§ 48) entscheidet der nach § 28 RPflG zuständige Richter, § 10 S. 2 RPflG. Der abgelehnte Rechtspfleger hat sich zuvor über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern (§ 44 Abs. 3). Ebenso wie beim Richter hat der Antragsteller ein Recht zur Stellungnahme zu dieser Äußerung.14 Gegen den Beschluss des Richters, durch den das Gesuch zurückgewiesen wird, ist nach Maßgabe von § 46 Abs. 2 die sofortige Beschwerde statthaft. Für das Verfahren gelten die gleichen Grundsätze wie für die Richterablehnung.15 Offensichtlich missbräuchliche Ge-

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A.A. MünchKomm/Gehrlein § 49 Rdn. 3; Zöller/Vollkommer § 49 Rdn. 1. BayObLG Rpfleger 1974, 391. Zöller/Vollkommer § 49 Rdn. 1 hält in solchen Fällen Ablehnung (§ 42) für denkbar. Stein/Jonas/Bork § 49 Rdn. 3. Rosenberg/Schwab/Gottwald § 26 I 3. MünchKomm/Gehrlein § 49 Rdn. 3. Rosenberg/Schwab/Gottwald § 26 I 3. OLG Dresden OLG Rspr. Bd. 23 (1911), 159. Zu seiner Rechtsstellung allgemein Habscheid Rpfl. 1989, 434; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 26 II. BVerfG NJW 2005, 3410, 3411; BVerfG NJW-RR 2008, 512, 513. OLG Frankfurt OLGZ 1980, 110.

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suche kann der Rechtspfleger selbst verwerfen.16 Geht der Rechtspfleger allerdings zu Unrecht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung vorliegen, kann hierin ein Verstoß gegen das Gebot auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) liegen.17 Bei einem unzulässigen Gesuch besteht keine Wartepflicht gemäß § 47.18 Gegen die Entscheidung des Rechtspflegers ist die Erinnerung nach § 11 Abs. 1 RPflG zulässig. Hat sie keinen Erfolg, findet die sofortige Beschwerde gem. § 11 Abs. 3 RPflG i.V.m. § 46 Abs. 2 statt. Entsprechend § 41 Nr. 6 kann der Rechtspfleger, der als Kostenbeamter die Kos6 tenrechnung aufgestellt hat, nicht in derselben Sache über die Erinnerung gegen den Kostenansatz entscheiden. 19 Das Gleiche gilt, wenn er an einem vorausgegangenen Mahnbescheidsverfahren beteiligt war.20 Keine Bedenken bestehen dagegen, wenn der Rechtspfleger über einen Antrag entscheidet, den er zuvor selbst aufgenommen hatte (z.B. einen Antrag auf Beratungshilfe, § 3 Nr. 3f RPflG).21 Die Befangenheit des Rechtspflegers ist nach den gleichen Kriterien zu beurteilen wie beim Richter.22 Die Besorgnis der Befangenheit kann beispielsweise gegeben sein, wenn der Rechtspfleger im Insolvenzverfahren versucht, die Ausübung des Stimmrechts durch einen Gläubiger zu beeinflussen,23 bei grob sachwidriger Behandlung von Anträgen24 oder sonst bei einer grob fehlerhaften Gestaltung des Verfahrens.25 Die Erfüllung der Aufklärungs- und Hinweispflicht nach § 139 kann dagegen auf keinen Fall eine Ablehnung rechtfertigen. Im Zwangsversteigerungsverfahren kann der Rechtspfleger u.U. auch verfassungsrechtlich verpflichtet sein, eine Antragsrücknahme anzuregen, um zu verhindern, dass es zu einem großen Vermögensverlust kommt.26 Für die Ablehnung des Rechtspflegers im Termin gilt dasselbe wie beim Richter. Ein 7 Zwangsversteigerungstermin kann daher unter den Voraussetzungen von § 47 Abs. 2 fortgesetzt werden, sofern der Ablehnungsantrag nicht mehr rechtzeitig erledigt werden kann. Die Entscheidung über den Zuschlag darf jedoch erst getroffen werden, wenn über das Befangenheitsgesuch gegen den Rechtspfleger endgültig entschieden ist.27 Ist das Ablehnungsgesuch allerdings rechtsmissbräuchlich, kann der Zuschlag ohne Rücksicht hierauf erteilt werden. Der Zuschlagsbeschluss kann in diesem Fall nicht mit dem Argument angegriffen werden, die Fortsetzung des Verfahrens sei aus einem „sonstigen Grund“ im Sinne von § 83 Nr. 6 ZVG unzulässig gewesen. Das gilt auch dann, wenn der Rechtspfleger das Ablehnungsgesuch nicht vor Erlass des Beschlusses als unzuässig zurückgewiesen hat.28 Erweist sich aber die Einschätzung des Rechtspflgers, dass die Ablehnung rechtsmissbräuchlich erfolgt sei, im Nachhinein als fehlerhaft, ist der trotz der Befangenheit ergangene Zuschlagsbeschluss gemäß §§ 100, 83 Nr. 6 ZVG anfechtbar.29 Ende Kommentar

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16 BVerfG Rpfleger 2008, 124, 125 m.w. Nachw.; BGH NJW-RR 2005, 1226; OLG Celle NJW-RR 1989, 569. 17 BVerfG Rpfleger 2008, 124, 125. 18 BGH NJW-RR 2005, 1226. 19 BayObLGZ 1974, 329, 333 = Rpfl. 1974, 391, 393. 20 Musielak/Heinrich § 49 Rdn. 4. 21 A.A. Zöller/Vollkommer § 49 Rdn. 2 unter Hinweis auf Müller-Engelmann Rpfleger 1987, 493. 22 BGH MDR 2003, 892; BGH NJW-RR 2005, 1220; BGH NJW-RR 2011, 136. 23 LG Düsseldorf ZIP 1985, 631. 24 LG Bayreuth NJW-RR 1986, 678. 25 LG Düsseldorf ZIP 1985, 631 (Einflussnahme in Gläubigerversammlung); LG Göttingen Rpfleger 1999, 382 (Ungleichbehandlung von Gläubigern); Marx Rpfleger 1999, 520 ff. 26 BVerfGE 42, 64 = NJW 1976, 1391. 27 OLG Celle NJW-RR 1989, 569. 28 BGH NJW-RR 2008, 216. 29 LG Augsburg Rpfleger 2009, 40, 42.

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