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German Pages [365] Year 2018
Eva Wattolik
ZEIT UND FORM Spiegelungstechniken in der Film- und Videokunst
2018 B ÖH L AU V E R L AG KÖL N W E I M A R W I E N
Die Habilitationsschrift wurde 2014 mit dem Habilitationspreis der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ausgezeichnet.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Stan Douglas: Permutationsschema für die Zwei-Kanal-16-mm-Filmprojektion „Inconsolable Memories“ (2005). Courtesy Stan Douglas © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie., Lindenstraße 14, 50674 Köln www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Claudia Holtermann, Bonn Umschlaggestaltung: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Satz: Bettina Waringer, Wien
ISBN 978-3-412-51060-2
INHALT
DANKSAGUNG 9 EINLEITUNG 11 FORSCHUNGSSTAND 15
A. BILD UND BEWEGUNGSBILD I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
1. Veränderung, Bewegung und Geschwindigkeit 2. Portraitfotografie als Film 3. Das abgefilmte Tableau vivant Lebendes Lichtbild und Vanitas Das stillgestellte Erinnerungsbild 4. „Differentialbilder“
II. SIMULTANE ADDITIVE VERFAHREN
1. Offene Collage und verdeckte Montage 2. Intermedialität 3. Das abgefilmte Palimpsest III. NACHBILD UND SCHEINBEWEGUNG
1. Farbblitze 2. Farbübergänge 3. Virtualität IV. BILDABFOLGEN
1. Spannungsausgleich und Entropie Kettenreaktionen Überblendungen 2. Synthese und Spaltung
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Effekt des Daumenkinos Standbilder
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B. VERLAUFSFORMEN
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I. MONOTONIE UND ÜBERLANGE LAUFZEIT
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1. Wiederholung 2. Kontinuität, Variabilität und Verlangsamung 3. Zielgerichtete und periphere Wahrnehmung 4. Endlosschleifen Bewegungsmuster Narration und zirkuläre Struktur
II. SYMMETRISCHE FORMBILDUNGEN
1. Das Hemisphärenteilungsschema 2. Rückläufige Figuren Palindrom Krebsgang
100 106 116 122 123 131 140
140 150 150 156
III. KOMBINATORISCHE VERFAHREN
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1. Phasenverschiebung 2. Verzahnte Endlosschleifen
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IV. ALEATORIK
1. Zufallsgenerator und Zwölftonmethode 2. Variable Ausgangsbedingungen, vieldeutige Allegorien
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C. ZEIT UND RAUM
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I. DER AUFGEFALTETE RAUM
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1. Jahreszeitenzyklen Die Mehr-Kanal-Arbeit als Bildfolge Die polyphone Rauminstallation 2. Panoramen Zeitliche Diskontinuität „temporal wipe“ und „hors-champ“
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II. ZEIT DES SIGNIFIKANTEN UND ZEIT DES SIGNIFIKATS
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1. Die an die erzählte Zeit angepasste Erzählzeit 2. Echtzeit und Ellipse 3. Film als Uhr 4. Der Timecode 5. Erlebte und repräsentierte Zeitspanne
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III. REALE BEWEGUNG
1. Der Elektronenstrahl 2. Die Frage der Präsenz 3. Der Projektor als Messgerät IV. VERSUCHSAUFBAUTEN
1. Zeitverzögerte Rückkoppelung 2. „Kollabierte Gegenwart“ 3. Dissoziierung
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305 309 314
SCHLUSS 318
VERZEICHNIS 328
Interviews und Statements 328 Literatur 333 Filmografie 356 Nachweis der Schaubilder 356 Bildnachweis 356 KÜNSTLERREGISTER 361
DANKSAGUNG
Als ich die Arbeit an „Zeit und Form“ in München aufnahm, wurde die Sammlung Ingvild Goetz zu meinem wichtigsten Anlaufpunkt. Der damalige Kurator für Medienkunst Stephan Urbaschek und seine Nachfolgerin Susanne Touw arrangierten Sichtungstermine für mich, die mir unabhängig von dem aktuellen Ausstellungsgeschehen die gezielte Auseinandersetzung mit Film- und Videokunst ermöglichten. Dafür bin ich sehr dankbar. Gerade zu Beginn meines Projekts inspirierte mich der akademische Austausch mit Gregor Stemmrich, Berlin, den ich für seinen klaren Blick auf die Gegenwartskunst sehr schätze, und mit Wolfgang Rathert, München, der mich für die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts begeisterte. Als schließlich das Institut für Kunstgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ab 2010 meine Habilitationsschrift mit einer Stelle förderte, profitierte ich von dem Austausch mit Karl Möseneder, Hans Dickel und Kay Kirchmann. Als Fachmentoren bestärkten sie mich darin, meine Untersuchungen trotz der Unübersichtlichkeit des Forschungsfelds breit anzulegen. Glücklich war ich auch über meine engagierten Hilfskräfte Stephanie Raith, Saskia Müller und Franka Höhnemann, die mir so manche Arbeit erleichterten. Allen Künstlern und ihren Galerien sowie den Institutionen, die mir zuvorkommend Sachinformationen und Bildmaterial zur Verfügung stellten, fühle ich mich ebenfalls verbunden. Dass schließlich der Böhlau Verlag die Veröffentlichung übernahm, freut mich sehr. Hier danke ich insbesondere Victor Wang und Lena Krämer-Eis für die angenehme Zusammenarbeit. Zuletzt gilt mein Dank meinen Freunden, insbesondere Tina Guthknecht, Jürgen Hellmann, Bettina Keller, Susanna Ott und Philomen Schönhagen sowie, ganz besonders, meinem Mann León Krempel für den akademischen Austausch und den steten Rückhalt.
EINLEITUNG
Initialzündung für mein Forschungsprojekt über „Zeit und Form“ vor etwa 15 Jahren war der Besuch einer Filminstallation des kanadischen Künstlers Rodney Graham, die mich stark beeindruckte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich noch kaum mit Filmund Videokunst beschäftigt. Bemerkenswert an „City Self/Country Self “ (2001) fand ich nicht nur den nahtlosen Übergang der Handlung in eine Endlosschleife, die das Geschehen – ein Städter tritt einem Mann vom Land unvermittelt in das Gesäß, beide Rollen werden vom Künstler gespielt – mit dem Zwang zur Wiederholung ausstattet, bemerkenswert war damit verbunden auch die Thematisierung von Zeitlichkeit auf der Bild- und Tonebene. Die Protagonisten des Films sah ich auf die Taschen- beziehungsweise die Kirchturmuhr blicken, das Kreisen der Zeiger erinnerte mich an die zirkuläre Struktur der Arbeit. Regelmäßige Geräusche wie das überlaut verstärkte Klappern von Pferdehufen ließen mich an ein ablaufendes Uhrwerk denken, aber auch an einen Countdown, der die Protagonisten zu ihrem vorbestimmten Treffpunkt treibt. Insbesondere über das Verhältnis der von mir beobachteten Merkmale zueinander dachte ich nach. In seinem Buch „Sprachen der Kunst“ zählt Nelson Goodman die Exemplifikation zu denjenigen Merkmalen, die ästhetische Gegenstände in besonderer Weise auszeichnen. Damit meint er die Tendenz künstlerischer Werke, bestimmte Eigenschaften zu bezeichnen, die sie selbst besitzen.1 „City Self/Country Self “ verläuft demgemäß nicht nur in der Zeit, vielmehr sind einzelne formale Eigenschaften der narrativen Struktur sowie der Bild- und Tonebene so organisiert, dass sie das Zeitliche als eine Eigenschaft des Werks auch hervortreten lassen. Im Wortsinne von „zurückbeugen“ (lat. „reflectere“) wird die zirkuläre Form der Arbeit auf der Bild- und Tonebene „reflektiert“ beziehungsweise „gespiegelt“, ohne dass damit schon eine kritische Selbstbezugnahme gemeint sein muss.2 Vor diesem Hintergrund begann ich mich dafür zu inter1
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„Exemplifikation ist Besitz plus Bezugnahme.“ Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Übers. aus dem Engl. v. Bernd Philippi, Frankfurt am Main 1995, S. 69. – Am Schluss spricht Goodman auch vom „Zeigen vom Sagen“. Ebd., S. 233. – Vgl. Georg W. Bertram: Autonomie als Selbstbezüglichkeit. Zur Reflexivität in den Künsten. In: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 55, 2 (2010), S. 223–234, hier S. 231. Mit Bezug auf sich selbst thematisierende Texte werden im literaturwissenschaftlichen Diskurs verschiedene Begriffe verwendet, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte der Betrachtung setzen. So ist bei Werner Wolf von „Illusionsdurchbrechung“, bei Michael Scheffel von „Selbstreflexion“, bei Manfred Schmeling von „autothematischer Dichtung“, bei Ansgar Nünning von „Metanarration“ und bei Sylvia Setzkorn von „Metafiktion“ die Rede. Die Begriffe haben sich hinsichtlich einer interdisziplinären Nutzbarmachung in der vorliegenden Untersuchung – etwa als übergeordnete theoretische Ansätze – als unzureichend herausgestellt, denn die Aspekte des Narrativen oder der Illusionsdurchbrechung spielen für die Thematisierung von Zeit in der Film- und Videokunst nicht immer eine Rolle. Für exemplarische Publikationen der genannten Autoren vgl. Werner Wolf: Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzähl-
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Einleitung
essieren, welche Arten und Weisen der zeitreflektierenden Formgebung, gewissermaßen der syntaktischen Organisation, in der Film- und Videokunst zu finden sind und was in der Auseinandersetzung mit ihnen möglicherweise über Zeit ausgesagt werden kann. Die Beantwortung solcher elementaren Fragen erwies sich schon deshalb als sehr schwierig, als Zeit nicht direkt, sondern immer nur mittelbar über die Beobachtung von Veränderungen und Bewegungen erfasst werden kann, beispielsweise Objektverlagerungen, Alterungserscheinungen und auch Bewusstseinsprozessen. Daraus folgerte ich für eine Analyse von Zeit in der Film- und Videokunst, dass es müßig wäre, nach der durch sie etwa sichtbar werdenden „Substanz von Zeit“ zu fragen. Nur die von den Künstlern inszenierten ästhetischen Abläufe schienen mir zunächst gegeben. Filme und Videos, die zu einem Nachdenken über Zeit anregen, indem sie zum Beispiel auf der Motivebene Zeitmesssysteme zeigen oder den Ablauf durch ein Regelmaß gliedern, das einer linearen Entwicklungslogik entgegensteht, sind dabei häufig in einen Diskurs über Aspekte des Zeitlichen eingebettet. Theorien und Metaphern von Philosophen, Linguisten oder Psychologen treten relativ frei in die jeweilige Werkkonzeption ein oder auf der Motivebene direkt in Erscheinung. Bezüglich der jeweils angesprochenen Theorieansätze wollte ich vor allem wissen, wie sie für die Werkkonzeption wirksam werden. Da viele Künstler im Austausch mit Experimentalfilmern, Musikern und Schriftstellern standen, manche von ihnen mit mehreren Medien zugleich arbeiteten, lag es außerdem nahe, filmische, musikalische oder literarische Kontextinformation mit einzubeziehen. Der von mir untersuchte Zeitraum erstreckt sich vom Beginn der 1960er Jahre bis in die Gegenwart. Seit dem Juni 1965 konnte Video durch Privatpersonen unabhängig von einem öffentlichen Sende- und Ausstrahlungskontext eingesetzt werden, da die entsprechende Technologie auf dem allgemeinen Markt verfügbar gemacht wurde. Andy Warhol und Nam June Paik gelten als die ersten Künstler, die 1965 mit den damals noch recht unhandlichen Geräten experimentierten.3 Im Forschungsdiskurs ist es jedoch üblich geworden, bereits Paiks Ausstellung „Exposition of Music – Electronic Television“, die vom 11. bis zum 20. März 1963 in der Galerie Parnass in Wuppertal stattfand und mani-
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kunst. Theorie und Geschichte mit Schwerpunkt auf englischem illusionsstörendem Erzählen (= Buchreihe der Anglia 32). Tübingen 1993, zugl. Phil. Habil. Univ. München 1993. – Vgl. Michael Scheffel: Formen selbstreflexiven Erzählens. Eine Typologie und sechs exemplarische Analysen (= Studien zur deutschen Literatur 145). Tübingen 1997, zugl. Phil. Habil. Univ. Göttingen 1995. – Vgl. Manfred Schmeling: Autothematische Dichtung als Konfrontation. Zur Systematik literarischer Selbstdarstellung. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 8/32 (1978), S. 77–97. – Vgl. Ansgar Nünning: Mimesis des Erzählens, Prolegomena zu einer Wirkungsästhetik, Typologie und Funktionsgeschichte des Akts des Erzählens und der Metanarration. In: Jörg Helbig (Hg.): Erzählen und Erzähltheorie im 20. Jahrhundert (Anglistische Forschungen 294). FS Wilhelm Füger. Heidelberg 2001, S. 13–47. – Vgl. Sylvia Setzkorn: Vom Erzählen erzählen. Metafiktion im französischen und italienischen Roman der Gegenwart (= Schnittpunkte: Greifswalder Studien zur Literaturwissenschaft und Kulturgeschichte 6). Tübingen 2003, zugl. Phil. Diss. Univ. Greifswald 2000. Vgl. William Kaizen: Live on Tape. Video, Liveness and the Immediate. In: Tanya Leighton (Hg.): Art and the Moving Image. A Critical Reader. London 2008, S. 258–272, hier S. 259.
E inleitung
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pulierte Fernsehgeräte zeigte, als den Beginn der Videokunst anzuführen. Neben von Künstlern produzierten Filmen und Videos werden von mir einzelne Werke des Experimentalfilms berücksichtigt, wenn dort vergleichbare Fragestellungen bearbeitet oder ähnliche formale Lösungen gefunden wurden. Aufgrund des Konvergierens von Film und Video in der Computertechnologie seit Mitte der 1980er Jahre wäre bei einigen Werken genau genommen von digitalen Dateien zu sprechen. In der Literatur ist zumeist dennoch von Video die Rede, wenn ein linear und nicht interaktiv organisiertes digitales Werk vorliegt, wenn der Kunststatus der jeweiligen Arbeit im Gegensatz etwa zum kommerziellen Spielfilm hervorgehoben oder Verfahrensweisen wie die der Rückkoppelung, die anfänglich eben nur mit Video und nicht mit Film umgesetzt werden konnten, beachtet werden sollen.4 Hier schließe ich mich dem jeweils üblichen Wortgebrauch an. Am Anfang meiner Untersuchungen standen die Sichtung der Bestände des Centre Georges Pompidou in Paris, der Privatsammlung Ingvild Goetz in München – 2014 ging diese teilweise als Schenkung in den Besitz des Freistaates Bayern über – sowie die Auswertung von zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen, die sich zwischen 2003 und 2013 in Europa und Nordamerika der Film- und Videokunst widmeten. Berücksichtigt wurden darüber hinaus die durch das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe und durch andere Stellen veröffentlichten Anthologien sowie die über UbuWeb und Vimeo zugänglichen Arbeiten. Nur solche Werke, die sich dezidiert dem Thema Zeit widmen, wurden bezüglich der zeitlichen Form sowie der jeweils angesprochenen Zeitthemen, zum Beispiel Lebensdauer oder Zyklen der Natur, befragt. Dabei wurde nicht nur deutlich, dass die Konzepte der Arbeiten insgesamt heterogen ausfallen, sondern auch, dass mit entsprechenden Formgebungen unterschiedliche Zeitthemen angesprochen werden. So können schon geringfügige formale Variationen einen entscheidenden ästhetischen Unterschied ausmachen, zum Beispiel einzelne Filmoder Videosequenzen als zusammenhängend oder fragmentiert erscheinen lassen, genauso wie differierende Betrachterstandpunkte und werkspezifische kunst- und mediengeschichtliche, sozialpolitische oder philosophische Kontexte Bedeutung möglicherweise fundamental ändern. Zusammenfassend geht es mir um die Beantwortung der folgenden drei aufeinander aufbauenden Fragen: 1.) Welche wiederkehrenden formalen Strategien, die in wechselnden Relationen vorkommen und auf Aspekte des Zeitlichen referieren, können in der Film- und Videokunst identifiziert werden? 4
Vgl. Sabine Maria Schmidt: Am richtigen Ort zur richtigen Zeit? Kurzer Bericht zur aktuellen Videokunst. In: Rudolf Frieling u. Wulf Herzogenrath (Hgg.): 40 Jahre Videokunst.de. Digitales Erbe: Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute. 2 Bde. Bd. 1. Kat. Ausst. Düsseldorf (Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen). Stuttgart 2006, S. 34–39, hier S. 34. – Vgl. Dieter Daniels: Video/Kunst/Markt. In: Ebd., S. 40–49, hier S. 42.
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Einleitung
2.) Welche spezifischen Themen des Zeitlichen werden durch sie angesprochen? 3.) In welchem Verhältnis stehen Formen und Zeitthemen zueinander? Die Gliederung beginnt, nach einer Darstellung des Forschungsstands, mit einkanaligen Werken und endet mit interaktiven Film- und Videoinstallationen. Während im ersten Überkapitel Referenzen auf das vorfilmische Bild angesprochen werden, ist das zweite der Strukturierung von Abfolgen gewidmet. Das dritte nimmt die Verbindung von Zeitstruktur und Ausstellungsraum genauer in den Blick. Die Unterkapitel der Arbeit tragen die Namen der gefundenen formalen Kategorien. Sie werden jeweils aus der Gegenüberstellung mehrerer exemplarischer und sich gegenseitig erhellender Videos beziehungsweise Filme erarbeitet, wobei auch die je angesprochenen Zeitkonzepte vorgestellt werden. Um der Reflexion von Zeit in der Film- und Videokunst gerecht zu werden, systematisiere ich die gegebene Vielfalt und entfalte sie zugleich, sprich, ich schlage ein Raster zur Kategorisierung von Zeitformen als eines vor, das zwar systematisch, dabei aber auch in sich differenziert und erweiterbar ist.
FORSCHUNGSSTAND
Vor dem Hintergrund einer veränderten Auffassung von Raum und Zeit in der Physik liegt ein verstärktes Interesse von Künstlern an dem Thema spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts nahe.1 Dass die Auseinandersetzung mit Zeit für Umberto Boccioni, Marcel Duchamp, Theo van Doesburg, Robert Delaunay, László Moholy-Nagy und Kasimir Malewitsch, um nur einige zu nennen, zentral war, bedarf keiner weiteren Erläuterung und zeigten unter anderem die Ausführungen Arnulf Rohsmann über „Manifestationsmöglichkeiten von Zeit in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts“ (1984)2 und die 1985 unter der Leitung von Michael Baudson entstandene Wanderausstellung „Zeit. Die vierte Dimension in der Kunst“. Bereits der Katalog dieser Ausstellung enthielt eine Auswahl an Werken der Videokunst, so von Nam June Paik, Dan Graham, Peter Campus, Ira Schneider, Bruce Nauman, Vito Acconci, Ulrike Rosenbach, Antonio Muntadas, Lynda Benglis, Erik Siegel, Steina und Woody Vasulka, Barbara und Michael Leisgen, Bill Viola, Thierry Kuntzel, Robert Cahen, Marie André, Klaus vom Bruch und Robert Wilson. In einem Aufsatz setzte sich Wulf Herzogenrath mit der Thematisierung von Zeitwahrnehmung in Werken von Dan Graham und Nam June Paik auseinander.3 Im Katalog wurden die Videos außerdem durch einen kurzen Text von Chris Dercon mit dem Titel „Zeit und Videokunst“ repräsentiert.4 Catherine Ross wies darauf hin, dass auffällig viele Ausstellungen seit Mitte der 1990er Jahre der Gegenwartskunst eine dezidiert zeitliche Ästhetik zuschreiben.5 Hervorzuheben ist hier zum einen Amy Cappellazzos im Frühjahr 2000 am damaligen Palm Beach Institute of Contemporary Art in Lake Worth (Florida) konzipierte Ausstellung „Making Time. Considering Time as a Material in Contemporary Video and Film“. Cappellazzo zeigte dort Positionen wie Vito Acconci, Francis Alÿs, John Baldessari, Stan Douglas, 1 2
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Vgl. Dietmar Köveker: ZeitZeichen. Texte zum „temporal turn“ im Denken des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2006, S. 9f. u. S. 19. Der Autor kategorisierte Kunstwerke hinsichtlich ihres Ausdrucks von Zeit bis in die Mitte der 1970er Jahre. Vgl. Arnulf Rohsmann: Manifestationsmöglichkeiten von Zeit in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts (= Studien zur Kunstgeschichte 26). Hildesheim, Zürich, New York 1984. – Hingewiesen sei an dieser Stelle auf eine Gegenüberstellung von Werken, die sich um 1500 und um 2000 endzeitlichen Fragen widmeten. Jahrhundert- und Jahrtausendwenden waren und sind Anlass für die Thematisierung von Zeit. Vgl. Anneke Bokern u. Petra Gördüren: Die letzten Dinge. Jahrhundertwende und Jahrhundertende in der Bildenden Kunst um 1500 und 2000. Berlin 1999. Vgl. Wulf Herzogenrath: Zeit bei Dan Graham und Nam June Paik. In: Michael Baudson (Hg.): Zeit. Die vierte Dimension in der Kunst. Kat. Ausst. Mannheim (Städtische Kunsthalle u. a.). Weinheim 1985, S. 249–253. Vgl. Chris Dercon: Zeit und Videokunst. In: Baudson 1985, anhängiger Katalog, o. S. Vgl. Christine Ross: The Past is the Present; It’s the Future Too. The Temporal Turn in Contemporary Art. London 2012, S. 4.
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Forschungsstand
Peter Fischli und David Weiss, Douglas Gordon, Rodney Graham, Gary Hill, David Lamelas, Bruce Nauman, Nam June Paik, Sam Taylor-Wood und Andy Warhol. Der Aufsatz von Peter Wollen ging dabei nicht nur, der Expertise des Autors entsprechend, auf das Schaffen Andy Warhols ein, sondern schlug auch vor, Kategorien der Linguistik – so Tempus, Aspekt und Modalität – für die Analyse von Zeitstrukturen in Film und Video fruchtbar zu machen.6 Zum anderen präsentierten die Ausstellungen „Time Zones. Recent Film and Video“ (2004/2005) an der Tate Modern in London und „Passage du temps“ (2007/2008) am Tri Postal in Lille eine Reihe von Arbeiten, die deutlich den Ablauf von Zeit thematisieren.7 Der Londoner Katalog enthält darüber hinaus Aufsätze der Kuratoren Jessica Morgan und Gregor Muir sowie von Sylviane Agacinski, Peter Osborne und Irit Rogoff, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln die durch Medien umgesetzte und zugleich initiierte Wahrnehmung von Zeit unter die Lupe nehmen.8 2016 zeigte das Kunstmuseum Bonn die von Volker Adolphs und Stephan Berg kuratierte Ausstellung „EchtZEIT. Die Kunst der Langsamkeit“, die das in Werken der Gegenwartskunst zum Ausdruck kommende Spannungsfeld zwischen subjektiv erfahrener und objektiv gemessener Zeit thematisierte. Gezeigt wurden neben Installationen, Malereien oder Fotografien auch Bewegtbild-Arbeiten von Francis Alÿs, Mark Formanek, Sofia Hultén, Alicja Kwade, Christian Marclay, Bruce Nauman, Yelena Popova, Roman Signer und Marijke van Warmerdam. Teilweise in Anlehnung an diese Ausstellung zeigte ebenfalls 2016 das Kunstmuseum Solothurn die Ausstellung „Zeit verstreichen. Moment und Dauer in der Gegenwart“, unter anderem mit Arbeiten von Julian Charrière, David Claerbout, Alexander Hahn, Claudia Kübler und Roman Signer. Seit der Jahrtausendwende ist auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften eine deutlich verstärkte Forschungstätigkeit zum Thema Zeit zu konstatieren. Ross zählte zum Beleg insgesamt 14 Autoren aus dem internationalen Forschungsfeld auf.9 Chris6 7
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Vgl. Peter Wollen: Time in Video and Film Art. In: Making Time. Considering Time as a Material in Contemporary Video & Film. Kat. Ausst. Lake Worth (Palm Beach Institute of Contemporary Art) 2000, S. 7–13, hier S. 11f. Vgl. Time Zones. Kat. Ausst. London (Tate Modern) 2004/2005. London 2004. – Vgl. Passage du temps. Une sélection d’œuvres autour de l’image. Collection François Pinault Foundation. Kat. Ausst. Lille (Tri Postal) 2007/2008. Mailand 2007. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen über Film- und Videokunst der vergangenen Jahre verwendeten im Titel den Begriff „Zeit“ oder verwandte Begriffe im Unterschied zu den oben genannten Beispielen unspezifisch. Dies trifft beispielsweise auf die Ausstellungen „Seeing Time“ und „Fast Forward“ zu, die Arbeiten aus den Privatsammlungen von Pamela und Richard Kramlich (2000/2001) sowie Ingvild Goetz (2003/2004 und 2010) im Museum für Neue Kunst am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe zeigten. Vgl. David A. Ross u. Robert R. Riley (Hgg.): Seeing Time. Selections from the Pamela and Richard Kramlich Collection of Media Art. Kat. Ausst. San Francisco (Museum of Modern Art u. a.) 1999/2000. San Francisco 1999. – Vgl. Ingvild Goetz u. Stephan Urbaschek (Hgg.): Fast Forward. Media Art Sammlung Goetz. Kat. Ausst. Karlsruhe (Zentrum für Kunst und Medientechnologie). Ostfildern 2003. – Vgl. dies. (Hgg.): Fast Forward 2. The Power of Motion. Media Art Sammlung Goetz. Kat. Ausst. Karlsruhe (Zentrum für Kunst und Medientechnologie/Museum für Neue Kunst). Ostfildern 2010. Vgl. Ross 2012, S. 4.
F orschungsstand
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tian Steininger hat den vorläufigen Forschungsstand der Medienwissenschaft zum Thema „Zeit und Medien“ zusammengefasst.10 Im deutschsprachigen Raum zeigt sich dieses Interesse in interdisziplinären kunstgeschichtlichen Tagungen wie „Bilderzählungen. Zeitlichkeit im Bild“ (Düsseldorf, 5.–6. Mai 2003)11, „Zeitlichkeit in Text und Bild“ (Kassel, 17.–19. November 2005)12, „Bild und Zeit“ (München, 9.–12. Oktober 2006)13, „Das erzählende und das erzählte Bild“ (Basel, Juni 2007)14, „Die Entgrenzung der Kunstgeschichte. Eine Revision von George Kublers Schrift „The Shape of Time“ (Köln, 7.–9. Mai 2010)15, der Ringvorlesung „Vergegenwärtigung“ (Düsseldorf, Wintersemester 2010/2011)16 oder dem Forschungsatelier „Sehen in Bewegung. Konfigurationen der Zeit“ (Eichstätt, 30. September – 4. Oktober 2013).17 Die Auseinandersetzung mit der Zeit in der bildenden Kunst reicht schon weiter zurück. Zu nennen sind vor allem Gotthold Ephraim Lessings häufig zitierte Abhandlung „Laokoon“ (1766), die mit dem Argument der zeichenspezifischen Abbildgerech10
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Vgl. Christian Steininger: Zeit als kulturwissenschaftliche Schlüsselkategorie. Ein Überblick zum Stand der Forschungen. In: Werner Faulstich u. Christian Steininger (Hgg.): Zeit in den Medien. Medien in der Zeit. München 2002, S. 9–44. Die Tagung fand im Rahmen des Graduiertenkollegs „Europäische Geschichtsdarstellungen“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf statt. Vgl. Andrea von Hülsen-Esch, Hans Körner u. Guido Reuter (Hgg.): Bilderzählungen. Zeitlichkeit im Bild (= Europäische Geschichtsdarstellungen 4). Köln, Weimar, Wien 2003. Interdisziplinäre Tagung an der Universität Kassel. Vgl. Franziska Sick u. Christof Schöch: Zeitlichkeit in Text und Bild (= Studia Romanica 137). Heidelberg 2007. Veranstalter: Philosophie Department und Kunstwissenschaftliches Department der Ludwigs-Maximilians-Universität München, Schelling Kommission der Akademie der Bayerischen Wissenschaften, Studiengang „Historische Kunstund Bilddiskurse“ im Elitenetzwerk Bayern, Philosophisches Institut der Phillips-Universität Marburg und École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris. Dokumentation im Tagungsband: Thomas Kisser (Hg.): Bild und Zeit. Temporalität in Kunst und Kunsttheorie seit 1800. München 2011. Für eine Dokumentation der Tagung, die im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts Bildkritik an der Universität Basel (Eikones) durchgeführt wurde vgl. Alexander Honold u. Ralf Simon (Hgg.): Das erzählende und das erzählte Bild (= Eikones). München 2010. Veröffentlichung der Tagungsergebnisse: Sarah Maupeu, Kerstin Schankweiler u. Stefanie Stallschus (Hgg.): Im Maschenwerk der Kunstgeschichte. Eine Revision von George Kublers „The Shape of Time“ (= Kaleidogramme 108). Berlin 2014. – Vgl. Georg Kubler: The Shape of Time. Remarks on the History of Things. New Haven, London 1962. Ort der Ringvorlesung: Kunstakademie Düsseldorf. Dokumentation: Johannes Myssok u. Ludger Schwarte (Hgg.): Zeitstrukturen. Techniken der Vergegenwärtigung in Wissenschaft und Kunst. Berlin 2013. – Zu erwähnen sind auch die Graduiertenkollegs „Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung“ an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (2002–2007) und „Präsenz und implizites Wissen“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (2012–2016). Das Forschungsatelier widmete sich der Frage, durch welche künstlerischen Verfahren der zeitliche Sehvorgang ins Bewusstsein gerät und unterschied dabei zwischen dem künstlerischen Produktionsvorgang, dem Rezeptionsvorgang und den Mechanismen der Geschichtsbildung. Dokumentiert ist die von dem Internationalen Netzwerk für Kunstgeschichte und dem Masterstudiengang „Aisthesis. Historische Kunst- und Literaturdiskurse“ ausgerichtete Veranstaltung, zusammen mit den Beiträgen der 2015 ebenfalls in Eichstätt ausgerichteten XIII. Internationalen Frühjahrsakademie „Sehen“, in dem 2016 von Michael F. Zimmermann herausgegebenen Band „Vision in Motion. Streams of Sensation and Configurations of Time“. Die Aufsätze von Ségolène Le Men und Fabienne Liptay stellen Verbindungen zwischen praekinematographischen bildgebenden Verfahren und dem Film her.
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Forschungsstand
tigkeit Dichtung und Malerei in Zeitkunst und Raumkunst schied, und Franz Wickhoffs 1895 anhand der Wiener Genesis getroffene begriffliche Unterscheidung zwischen distinguierender, kontinuierender und komplettierender Erzählweise, die Ulrich Rehm mit der „Sternstunde der kunsthistorischen Erzählforschung“18 identifizierte. In den vergangenen Jahrzehnten publizierten Lorenz Dittmann und Gottfried Böhm durchgängig zu Fragen der Zeitlichkeit im Bild. Johannes Grave und Reinhard Wegner reflektierten im Rahmen des seit 2013 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Schwerpunktprogramms „Ästhetische Eigenzeiten. Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne“ über den Zusammenhang zwischen spezifischen Bildmerkmalen und den durch sie motivierten zeitlichen Rezeptionsmustern.19 Aufgrund des jungen Alters der Videokunst kann von einer solchen Forschungstradition noch nicht die Rede sein. So markiert Rosalind Krauss’ Aufsatz „Video and Narcissism“ (1976) einen Schlüsseltext für die Reflexion von Videokunst. Anhand vergleichender Beschreibungen unter anderem von Videos Vito Acconcis, Lynda Benglis’ und Richard Serras führte die Autorin hier den Begriff der „kollabierten Gegenwart“ ein.20 In ihrer 1996 veröffentlichten Dissertation über „Video Kunst Zeit. Von Acconci bis Viola“ untersuchte Nicoletta Torcelli Videos der im Titel genannten Künstler hinsichtlich ihrer Zeitästhetik und versuchte, eine historische Entwicklungslogik zu konstru18
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Ulrich Rehm: Wieviel Zeit haben Bilder? Franz Wickhoff und die kunsthistorische Erzählforschung. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 53 (2004/2005), S. 161–189, hier S. 162. – Vgl. Franz Wickhoff: Römische Kunst. Die Wiener Genesis. In: Max Dvořák (Hg.): Die Schriften Franz Wickhoffs. 3 Bde. Bd. 3. Berlin 1912, S. 13–17. Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon. Oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (EA 1766). 2. Aufl. Stuttgart 1994. – Vgl. Lorenz Dittmann: Raum und Zeit als Darstellungsformen bildender Kunst. Ein Beitrag zur Erörterung des kunsthistorischen Raum- und Zeitbegriffs. In: Alfred Boettger u. Wolfram Pflug (Hgg.): Stadt und Landschaft. Raum und Zeit. FS Erich Kühn. Köln 1969, S. 43–55. – Vgl. ders.: Über das Verhältnis von Zeitstruktur und Farbgestaltung in Werken der Malerei. In: Friedrich Piel u. Jörg Träger (Hgg.): FS Wolfgang Braunfels. Tübingen 1977, S. 93–110. – Vgl. ders.: Überlegungen und Betrachtungen zur Zeitgestalt des Gemäldes. In: Neue Hefte für Philosophie 18/19 (1980), S. 133–150. – Vgl. ders.: Bildrhythmik und Zeitgestaltung in der Malerei. In: Hannelore Paflik (Hg.): Das Phänomen Zeit in Kunst und Wissenschaft. Weinheim 1987, S. 89–124. – Vgl. Gottfried Boehm: Bild und Zeit. In: Ebd., S. 3–23. – Vgl. ders.: Augenblick und Ewigkeit. Bemerkungen zur Zeiterfahrung in der Kunst der Moderne. In: Willem van Reijen (Hg.): Allegorie und Melancholie. Frankfurt am Main 1992, S. 109–123. – Vgl. ders.: Zeitigung. Annäherung an Gary Hill. In: Theodora Vischer (Hg.): Gary Hill. Arbeit am Video. Kat. Ausst. Basel (Museum für Gegenwartskunst) 1994/1995. Ostfildern 1995, S. 26–42. – Vgl. Reinhard Wegner: Zeiterfahrung und historisches Bewusstsein bei Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich. In: Markus Bertsch, Hubertus Gaßner u. Jenns Howoldt (Hgg.): Kosmos Runge. München 2013, S. 323–327. –Vgl. Johannes Grave: Der Akt des Bildbetrachtens. Überlegungen zur rezeptionsästhetischen Temporalität des Bildes. In: Michael Gamper u. Helmut Hühn (Hgg.): Zeit der Darstellung. Ästhetische Eigenzeiten in Kunst, Literatur und Wissenschaft. Hannover 2014, S. 51–71. – Vgl. ders.: Die Zeit der Zeichnung. Zeichen und Sehen, Zug und Nachvollzug. In: Hein-Thomas Schulze Altcappenberg u. Anna Marie Pfäfflin (Hgg.): Romantik und Moderne. Berlin 2016, S. 21–27. – Vgl. Michael Gamper, Eva Geulen, Johannes Grave, Andreas Langenohl, Ralf Simon u. Sabine Zubarik (Hgg.): Zeiten der Form – Formen der Zeit (= Ästhetische Eigenzeiten). Hannover 2016. Vgl. Rosalind E. Krauss: Video. The Aesthetics of Narcissism (EA 1976). In: Dies.: Perpetual Inventory (= October Books). Cambridge, London 2010, S. 3–18. – Vgl. S. 309–312 in der vorliegenden Arbeit.
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ieren. In Erwiderung auf Wulf Herzogenraths und Gerda Lampalzers Überlegungen zu einer Unterteilung der Geschichte der Videokunst in Phasen21 rechnete sie beide Künstler unterschiedlichen „Generationen“ zu, die jeweils entweder durch die Anwendung von Echtzeit (Acconci) oder durch eine „Ästhetik der imaginären Zeit“ (Viola) geprägt seien. Eine dritte Generation, die sich durch „interaktive“ Kunst auszeichne, sei ab den 1980er Jahren anzusetzen.22 Einen anderen Weg ging Hannelore Paflik-Huber in ihrem 1997 veröffentlichten „Kunst und Zeit. Zeitmodelle in der Gegenwartskunst“. In der systematisch und breit angelegten Arbeit unterschied sie – induktiv von einer Analyse der Kunst der 1960er und 1970er Jahre ausgehend – zwischen sieben verschiedenen Kategorien von Zeit. „Zeitmessung“ (Rotationsverhalten der Planeten, Wasseruhr, Sanduhr) und „Zeitrechnung“ (Kalender) gliederten die Dauer mit Hilfe von natürlich wiederkehrenden Ereignissen oder künstlichen Werkzeugen. Die Kategorie der „natürlichen Zeitabläufe“ (Zerfallsvorgänge) basiere auf der Beobachtbarkeit von Veränderungen und Bewegungen, die auf der Grundlage von physikalischen, biologischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten vor sich gehen. Bei der „Gleichzeitigkeit“ von Ereignissen sowie deren Wahrnehmung kommt dem Zusammenspiel von Weltzeit und Nachrichtentechnik eine hervorgehobene Rolle zu. Hier besprach die Autorin Videokunst von Dan Graham, Frank Gilette, Ira Schneider und Nam June Paik, die sich auf das Fernsehen bezogen oder Rückkoppelung mit Verzögerung einsetzten. Mit der „Lebenszeit“ führte sie existenzialphilosophische Kontexte ins Feld. Das jeweilige Werk sei Ausdruck von Dasein. Die „historische Zeit“ werde durch die Auslegung von überlieferten Dokumenten aufgespannt, wobei diese genauso das Erinnern und Vergessen der persönlichen Biographie wie der kollektiven Geschichte beträfen. Die „erlebte Zeit“ beinhalte fünf Unterkategorien des subjektiven Zeiterlebens, nämlich das Erleben von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit, von Folge, Jetzt und Dauer.23 Pamela M. Lee stellte in „Chronophobia. On Time in the Art of the 1960s“ (2004) die These auf, dass Kulturtechniken der Fragmentierung, Beschleunigung und Vervielfältigung ein gestörtes Verhältnis zur Zeit in der Gesellschaft verursacht hätten. Diese Entwicklung sei durch die Erfindung des Computers, durch die Raumfahrt und die Etablierung des Fernsehens in den 1960er und frühen 1970er Jahren forciert worden. 21
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Vgl. Wulf Herzogenrath: Die ungleichen Brüder. Videokunst im Schatten des Fernsehens. In: Karl Ruhrberg (Hg.): Zeitzeichen. Stationen Bildender Kunst in Nordrhein-Westfalen. Köln 1989, S. 362–374. – Vgl. Gerda Lampalzer: Videokunst. Historischer Überblick und theoretische Zugänge. Wien 1992. Vgl. Nicoletta Torcelli: Video Kunst Zeit. Von Acconci bis Viola. Weimar 1996, zugl. Phil. Diss. Univ. Freiburg (Breisgau) 1996, S. 12f., S. 188 u. S. 299. Vgl. Hannelore Paflik-Huber: Kunst und Zeit. Zeitmodelle in der Gegenwartskunst. München 1997, S. 45–51 („Zeitmessung“/„Zeitrechnung“), S. 101 („natürliche Zeitabläufe“), S. 134–139 („Gleichzeitigkeit“), S. 171–177 („Lebenszeit“), S. 198–201 („historische Zeit“), S. 251–252 („erlebte Zeit“). Vgl. auch in der vorliegenden Arbeit S. 214.
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Bis heute litten Menschen an dem Eindruck, sich in einem Zustand der ewigen Gegenwart zu befinden und empfänden Zeit als konstant und ungerichtet.24 Dies zeige sich auch im Bereich der Kunstproduktion – hier ging Lee auf exemplarische Werke von Bridget Riley, Carolee Schneemann, Jean Tinguely, Andy Warhol und On Kawara ein – und dem zeitgleichen kunsttheoretischen Diskurs. Eine besondere Stellung wies die Autorin Michael Frieds Aufsatz „Art and Objecthood“ (1967) und der darin enthaltenen Kritik an der Minimal Art zu. Es zeige sich darin ein Wendepunkt in der künstlerischen Organisation von Zeit. Da das als Reihe organisierte minimalistische Werk einen unbestimmt andauernden Wahrnehmungsprozess herausfordere, anstatt einem modernistischen Werk entsprechend in jedem Moment vollständig abgeschlossen zu sein,25 erzeuge seine Betrachtung Angst. In ihrem Aufsatz über „The Temporalities of Video. Extendedness Revisited“ (2006) bewertete Christine Ross die Verzeitlichung von Bildern als einen der wichtigsten Beiträge der Gegenwartskunst zur Kunstgeschichte. Auch sie sah, vergleichbar zu Lee, einen Zusammenhang zwischen den in Künstlervideos reflektierten Themen und allgemeingesellschaftlichen Entwicklungen. Sie hob die Beschleunigung aller Vorgänge hervor und eine damit verbundene verräumlichte Auffassung von Zeit sowie eine zunehmende Spaltung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.26 Diese Entwicklung sei dabei nicht nur ökonomisch begründet, sondern auch durch die steigende Geschwindigkeit der Informationsübertragung bedingt. Ross sah drei zentrale ästhetische Merkmale von Videokunst, die sich zu dem gesellschaftlich gegebenen Zeitdruck konträr verhielten: Die lange Einstellung setze sich der Beschleunigung entgegen. Das Verfahren der Endlosschleife habe dabei eine Verkürzung der Dauer einer Videosequenz bei gleichzeitiger zeitlicher Ausdehnung der Arbeit bewirkt („extendedness“).27 Dass das aufgenommene Videobild gleich wieder rückgekoppelt werden könne, erzeuge eine Erfahrung von Unmittelbarkeit („instantaneity“). Die Autorin nahm hier auf Krauss’ Aufsatz über „Video and Narcissism“ Bezug.28 Durch die Möglichkeiten der Montage und die damit verbundene Dekontextualisierung von Material wiederum könnten Erzählungen neu erfunden werden („mutability“).29
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Vgl. Pamela M. Lee: Chronophobia. On Time in the Art of the 1960s. Cambridge, London 2004, S. 7f. u. S. 259. Vgl. ebd., S. 44f. – Vgl. Michael Fried: Art and Objecthood (EA 1967). In: Gregory Battcock (Hg.): Minimal Art. A Critical Anthology. New York 1968, S. 116–147, hier S. 144f. Vgl. Christine Ross: The Temporalities of Video. Extendedness Revisited. In: Art Journal 65/3 (Herbst 2006), S. 82–99, hier S. 84 u. S. 88. Vgl. ebd., S. 83f., S. 85 u. S. 96. Vgl. ebd., S. 86. Vgl. ebd., S. 92.
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In „The Past is the Present; It’s the Future Too. The Temporal Turn in Contemporary Art“ (2012) modifizierte Ross die in ihrem Aufsatz aufgestellten Thesen und versuchte, sie aufeinander zu beziehen. So konstatierte sie für den gesamten Bereich der Gegenwartskunst erstens Verfahren einer ästhetischen Verzögerung oder gar Aufhebung von Vorwärtsentwicklung, zweitens die Kritik an der vorherrschenden Geschichtsschreibung und drittens Strategien der Vergegenwärtigung, die dem Betrachter eine neue Sicht der Geschichte ermöglichten. Im Zuge dessen werde, wie die Autorin schrieb, die Gegenwart unabschließbar.30 Ross ging von der Beschreibung beispielhafter Werke von Tatiana Trouvé, Francis Alÿs, Mark Lewis, Guido van der Werve, Tacita Dean, Melik Ohanian und Stan Douglas aus, wobei sie sich vor allem auf Videoinstallationen konzentrierte und sie mit Ergebnissen aus der Psychologie, der Soziologie, der Kommunikationswissenschaft, den Geschichtswissenschaften, den Postcolonial Studies und der Ökonomie in Zusammenhang brachte. Ihr Buch, das Aussagen über die Kunst der Gegenwart allgemein treffen will, stützte sich fast ausschließlich auf die Analyse von Film- und Videokunst. Ihr vorlaufendes Gegenstück aus der Filmtheorie finden Lees und Ross’ Thesen in Mary Ann Doanes „The Emergence of Cinematic Time. Modernity, Contingency, The Archive“ (2002). Von einer poststrukturalistisch geprägten Position aus vertrat die Autorin die These, dass der frühe Film um 1900 eine angemessene Repräsentation der Zeitauffassung in der kapitalistisch geprägten Moderne ermöglicht habe. Diese wiederum sei durch die kontrollierte Gliederung von Zeitabläufen genauso wie durch Kontingenz geprägt gewesen. Zeit sei damals schon zu einem belasteten, mit Angst besetzten Thema geworden.31 Bedingt sei dies durch verschiedene Entwicklungen gewesen, wovon eine besonders spürbar gewesen sei: Herrschten nämlich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch Lokalzeiten vor, das heißt die Uhren an verschiedenen Orten gingen unterschiedlich, so habe der ökonomisch motivierte Wunsch nach reibungsloser Abstimmung des Zugverkehrs und der Arbeitsabläufe nach und nach eine überregionale Synchronisierung der Lokalzeiten mit sich gebracht.32 Das Kino sei im Gegenzug dazu in der Lage gewesen, Kontingenz zu repräsentieren. Das Leben selbst habe gewissermaßen durch die Aufnahme zeitlicher Vorgänge registriert werden können. Jeder Ausdruck von Kontingenz sei aber ein Widerstand gegen das dominante Zeitregime gewesen. Einen bekannten philosophischen Ansatz verfolgte Gilles Deleuze in „L’image-mouvement. Cinéma 1“ (1983) und „L’image-temps. Cinéma 2“ (1985). Seine häufig in der 30
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„Temporal turn presentifies the modern regime of historicity by keeping the past as long as possible in the present. […] If contemporaneity in contemporary art is to challenge the modern regime of historicity, it does so by instituting interminability as the most pitoval feature of historical time.“ Ross 2012, S. 304f. Vgl. Mary Ann Doane: The Emergence of Cinematic Time. Modernity, Contingency, the Archive. Cambridge u. a. 2002, S. 3f. „Time becomes uniform, homogeneous irreversible, and divisible into verifiable units.“ Ebd., S. 6.
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Sekundärliteratur zitierten Ausführungen berufen sich unter anderem auf Henri Bergson und schreiben dem Spielfilm vor 1945 eine indirekte Veranschaulichung von Zeit durch Bewegung zu, wohingegen später Zeit in bestimmten Filmen direkt repräsentiert werde. Im Gegensatz zu Doane, die dem Medium Film einen Platz in der gesamtkulturellen Entwicklung zuwies, fasste Deleuze Film als ein sich im Lauf der Geschichte zunehmend verfeinerndes Mittel zum Erkennen von Zeit auf. Sabine Maria Schmidt zählte 2006 mit Verweis auf Maurizio Lazzarato das Thema Zeit zu den hauptsächlichen Themen der Videokunst im 21. Jahrhundert.33 Lazzaratos Ausführungen über Zeit und Video, so in „Videofilosofia. La percezione del tempo nel postfordismo“ (1997),34 bilden gewissermaßen ein Gegenstück zu jenen von Deleuze. Im Gegensatz zum Film repräsentiere Video, fasste Lazzarato später auch in seinem Aufsatz „Video, Flows and Real Time“ (2001) zusammen, nicht nur Bewegung in Gestalt der sich verändernden Darstellung auf der Bildschirmoberfläche, sondern zeige zugleich auch die unterliegende zeitliche Substanz („time-matter“) dieser Bewegung an, die die elektromagnetischen Wellen seien.35 In Abgrenzung zum Filmprojektor, der die Bewegtbilder durch die rasche Abfolge von fotomechanisch erzeugten statischen Einzelbildern hervorruft, unterscheide sich Video durch die ständige Oberflächenveränderung, die durch den „elektronischen Pinselstrich“ erzeugt werde. Dabei beantwortete der Autor die Frage nach der Ursache dieser Bewegung nicht mit der Elektrotechnik des Apparats, sondern mit den Schwingungen der Dinge selbst. Damit steht Lazzarato ironischerweise in der Tradition William Henry Fox Talbots, jenem frühen Erfinder der dem Medium Film zugrunde liegenden Fotografie, der in seinem Buch „The Pencil of Nature“ (1844) schrieb, dass die Natur selbst das Bild zeichne.36 Christian Spies verfolgte in „Die Trägheit des Bildes. Bildlichkeit und Zeit zwischen Malerei und Video“ (2007) einen bildwissenschaftlichen Ansatz. So verstand er Video als eine Form von bewegtem Bild, das Kontinuitäten und Differenzen zu den klassischen Bildkünsten aufweise. Sowohl das statische als auch das bewegte Bild seien durch Sichtbarkeit gekennzeichnet und die über das Sehen von Bewegung erfahrene Zeitlichkeit beruhe immer auf einer Interaktion zwischen Bild und Betrachter.37 Im Anschluss an Max Imdahl legte Spies seinem Vergleich drei Kategorien 33 34 35
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„Die Betonung der auf Zeit basierenden Struktur des Videos und des Tons hat sich als eine Hauptkategorie der künstlerischen Produktion zu Beginn des 21. Jahrhunderts bewiesen.“ Schmidt 2006, S. 38. Vgl. Maurizio Lazzarato: Videofilosofia. La percezione del tempo nel postfordismo. Rom 1997. Vgl. ders.: Video, Flows and Real Time (2001). In: Tanya Leighton (Hg.): Art and the Moving Image. A Critical Reader. Übers. aus dem Ital. v. Stephan Gregory, Angela Metiopoulos, Erik Stein, Stephan Geene u. Rosanne Altstatt, London 2008, S. 283–291, hier S. 283. „They [the plates] are impressed by Nature’s hand; and what they want as yet of delicacy and finish of execution arises chiefly from our want of sufficient knowledge of her laws.“ Henry Fox Talbot: The Pencil of Nature. London 1844, o. S. (Introductory Remarks). Vgl. Christian Spies: Die Trägheit des Bildes. Bildlichkeit und Zeit zwischen Malerei und Video. München 2007, zugl.
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zugrunde: erstens „sehendes Zeitsehen“, womit formale Eigenschaften gemeint sind, die den Blick dynamisieren, zweitens „wiedererkennendes Zeitsehen“, also repräsentierte und simulierte Zeitabläufe in Motiven und Symbolen, und drittens „gelenktes Zeitsehen“, das die Bewegung des Bilds berücksichtigt und das konträr oder analog zu Momenten des sehenden und wiedererkennenden Zeitsehens stehen könne.38 Die Werkanalyse konzentrierte sich auf die 1960er und 1970er Jahre und verglich exemplarische Werke der Malerei und Videokunst miteinander, so Action Paintings von Jackson Pollock mit einer als polyfokal bezeichneten Arbeit von Peter Campus.39 Ebenfalls zur Sprache kamen Videokunst von Bruce Nauman, Vito Acconci und Nam June Paik. Die Forschungsdiskussion sowohl zur Zeitlichkeit im traditionellen wie im bewegten Bild vor Augen, konstatierte Spies für das bewegte Bild ein Fehlen von methodischen Ansätzen, die eine Analyse der spezifischen zeitlichen Struktur ermöglichen.40 Mit einem ähnlichen Erkenntnisinteresse, aber mit einer anderen Methode näherte sich Joanna Barck in „Hin zum Film. Zurück zu den Bildern“ (2008) ihrem Untersuchungsgegenstand. Sie untersuchte aus poststrukturalistischer Perspektive die Zeitästhetik einer spezifischen Sorte von Einstellungen im Spielfilm, die sie mit der Praxis der Tableaux vivants verglich.41 Dabei unterschied sie zwischen zwei verschiedenen Arten des Sehens, entweder dem vorfilmischen Bild angemessen oder den Konventionen des Spielfilms entsprechend narrativ organisiert. Die stillgestellte Szene initiiere beim Betrachter ein Erleben von Dauer, wie sie Bergson mit dem Begriff der „durée“ gefasst habe.42 Über die genannten übergreifenden Ansätze hinaus wurden seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend Beiträge zu einzelnen formalen Techniken und einschlägigen Künstlern publiziert. In dem 2001 von Gregor Stemmrich herausgegebenen Band „Kunst/ Kino“ stellte Ursula Frohne den in Videoinstallationen generierten Immersionsraum in Bezug zur Präsenzerfahrung des Betrachters.43 Gottfried Boehm schrieb 2001 einen Katalog-Beitrag über die Bedeutung der Zeitigung in den Videos von Gary Hill.44 Michael Glasmeier veröffentlichte 2002 den Aufsatz „Loop. Zur Geschichte und Theorie der
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Phil. Diss. Univ. Basel 2005, S. 15f., S. 22f. u. S. 28. Vgl. ebd., S. 29f. Vgl. ebd., S. 66. Vgl. ebd., S. 145. Vgl. Joanna Barck: Hin zum Film. Zurück zu den Bildern. Tableaux vivants: „Lebende Bilder“ in Filmen von Antamoro, Korda, Visconti und Pasolini. Bielefeld 2008, zugl. Phil. Diss. Univ. Bonn 2006. Vgl. ebd., S. 72, S. 75 u. S. 79. Vgl. Ursula Frohne: „That’s the only now I get“. Immersion und Partizipation in Video-Installationen. In: Gregor Stemmrich (Hg.): Kunst/Kino (= Jahresring 48. Jahrbuch für Moderne Kunst). Köln 2001, S. 217–238. Vgl. Boehm 2001.
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Endlosschleife am Beispiel Rodney Graham“. Saskia Reither diskutierte 2003 über das ungleiche Verhältnis zwischen Vorführungsdauer und Rezeptionsdauer.45 Slavko Kacunko legte 2004 einen umfassenden Katalog zu Videoinstallationen mit Feedbackverfahren vor. Dabei recherchierte er unter internationaler Perspektive Werke zwischen 1966 und 2002.46 Stemmrich untersuchte Arbeiten von Stan Douglas (2006) und Dan Graham (2009) unter werkadäquaten Gesichtspunkten wie physiologischer Wahrnehmung, Narrativität und Geschichte.47 Raymond Bellour, der als Filmwissenschaftler die Grenzen zwischen Fotografie, Video und Film auslotete, steuerte der Diskussion 2007 Reflexionen über Arbeiten von David Claerbout bei.48 Olivier Schefer analysierte 2012 Christian Marclays „The Clock“ hinsichtlich ihres Synchronizitätsverhaltens und verglich die Arbeit mit Werken anderer Künstler.49 Linda Schädler beschäftigte sich ebenfalls 2012 mit der aus dem Zusammenspiel von sinnlichem Reizüberschuss und kognitiver Überforderung hervorgehenden Präsenzerfahrung vor dem Werk James Colemans.50 Thomas Lange reflektierte 2014 den Ausdruck von Geschichtlichkeit bei William Kentridge.51 Drei Bücher aus den Jahren 2015 und 2016 setzten sich vertieft mit den Strukturausprägungen, der Geschichte und den semantischen Implikationen des Loops auseinander. Die Überlegungen des Medienwissenschaftlers Tilman Baumgärtel über die „Geschichte und Ästhetik des Loops“ (2015) gingen von der Musikgeschichte aus und setzten diese zu Entwicklungen in anderen Bereichen der Kultur in Beziehung, so zu der Pop- und Rockmusik oder dem Experimentalfilm.52 Während Baumgärtel den Ein45
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Vgl. Saskia Reither: Wie lange dauert ein Bild? Dehnung, Dauer und Aktualität in der Medienkunst. In: Andrea von Hülsen-Esch, Hans Körner und Guido Reuter (Hgg.): Bilderzählungen. Zeitlichkeit im Bild (= Europäische Geschichtsdarstellungen 4). Köln, Weimar, Wien 2003, S. 199–217. Vgl. Slavko Kacunko: Closed-circuit-Videoinstallationen. Ein Leitfaden zur Geschichte und Theorie der Medienkunst mit Bausteinen eines Künstlerlexikons. Berlin 2004. Vgl. Gregor Stemmrich: Ästhetische und historische Reflexion im Werk von Stan Douglas. In: Thomas Hensel, Klaus Krüger u. Tanja Michalsky (Hg.): Das bewegte Bild. Film und Kunst. München 2006, S. 293–308. – Vgl. ders.: Dan Graham. Collector’s Choice (= Künstlermonographien Friedrich Christian Flick Collection 8). Köln 2009, S. 40 u. S. 106–108. Vgl. Raymond Bellour: How to See? In: Christine van Assche (Hg.): David Claerbout. The Shape of Time. Kat. Ausst. Paris (Centre Georges Pompidou u. a.) 2007. Zürich 2008, S. 36–40. – Bezüglich des ästhetischen Spannungsverhältnisses von Fotografie und Film vgl. ders.: L’interruption, l’instant (EA 1987). In: Ders.: L’Entre-Images. Photo. Cinéma. Vidéo. Paris 1990, S. 109–133. – Vgl. ders.: Le spectateur pensif (EA 1984). In: Ebd., S. 75–81. Vgl. Olivier Schefer: Christian Marclay. The Clock: 24 Heures (Syn)chrono. In: Les Cahiers du musée d’art moderne 120 (2012), S. 92–117. Vgl. Linda Schädler: James Coleman. Inszenierung und die Frage nach der medialen Gegenwärtigkeit am Beispiel von INITIALS (1993–94). In: Ursula Frohne u. Lilian Haberer (Hgg.): Kinematographische Räume. Installationsästhetik in Film und Kunst. München 2012, S. 757–768, hier S. 767f. Vgl. Thomas Lange: Geschichte visualisieren. William Kentridges „Felix in Exile“ (1994). In: Gamper u. Hühn 2014, S. 137–164. Vgl. Tilman Baumgärtel: Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops. Berlin 2015.
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satz von Endlosschleifen in der Musik der Nachkriegszeit vor allem als ein Mittel zur Erzeugung von Klangereignissen identifizierte, konnte er für die 1960er und 1970er Jahre den engen Austausch zwischen Musikern (Terry Riley, Steve Reich, La Monte Young) und bildenden Künstlern feststellen, die der Minimal Art und der Pop Art zugeordnet werden. Mit Hilfe von Endlosschleifen haben diese absichtsvoll Wiederholungsmuster umgesetzt, die ästhetisch explizit werden sollten. Eine ausführliche Analyse erfuhren Filme von Peter Roehr und Andy Warhol. Ruth Reiche ging in einem Kapitel ihrer 2016 erschienenen Dissertation über „Strategien des Narrativen im kinematographischen Raum“ auf den Loop in der neueren Film- und Videokunst ein.53 Unter den von ihr großzügig gedehnten Begriff subsummierte sie vier Spielarten narrativer Rückbezüglichkeit, so den repetitiven Loop, den aleatorischen Loop, die Mise en abyme und die seltsame Schleife.54 Da diese die Narreme Kausalität und Chronologie schwächten, riefen sie die Vorstellung von einer möglichen Aufhebung von Zeit hervor.55 Franziska Stöhr leitete den Einsatz von Loops in ihrer ebenfalls 2016 erschienenen Dissertation aus den Gegebenheiten der jeweiligen Medientechnologie und des Ausstellungsdispositivs ab. Sie unterteilte das umfangreich von ihr gesichtete Material nach zwei historischen Etappen: erstens nach Filmen und Videos aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahre und den 1970er Jahren, wobei sie metareflexive Werke des Strukturellen Films, des Expanded Cinema und der Konzeptkunst fokussierte, zweitens nach Arbeiten der jüngeren Vergangenheit, die nun narrative Tendenzen aufwiesen.56 Letztere sortierte sie themenbezogen nach solchen, die erstens Ökonomie, Medien und Logistik reflektierten, zweitens durch fortschrittslose Narrativität geprägt seien, drittens mit 53
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Vgl. Ruth Reiche: Strategien des Narrativen im Kinematographischen Raum. München 2016, zugl. Phil. Diss. Freie Universität Berlin 2015, Kap. 2. – Mit dem Ziel, eine Erzähltheorie zu entwerfen, orientierte sich Reiche an den transmedial ausgerichteten narratologischen Überlegungen des Anglisten Werner Wolf, der Erzählen als kognitive Tätigkeit auffasste, die durch spezifische Stimuli (Narreme) unterschiedlich stark angeregt werde. Sie entwarf auf dieser Basis und an Fallbeispielen – also teils deduktiv, teils induktiv – einen Begriffskatalog, den sie aus dem Erzählen in der Endlosschleife, räumlichen Aspekten und mehrkanaligem Erzählen entwickelte. Vgl. auch Ruth Reiche: Die seltsame Schleife als (Bild-)Erzählform. Paradoxe Zirkularität in Duane Michals THINGS ARE QUEER und David Lynchs LOST HIGHWAY. In: kunsttexte.de 1 (2013), 13 S. URL: http://www.kunsttexte.de (Stand: 31.1.2017). Vgl. Reiche 2016, S. 62. Vgl. Franziska Stöhr: Endlos. Zur Geschichte des Film- und Videoloops im Zusammenspiel von Technik, Kunst und Ausstellung. Bielefeld 2016, zugl. Phil. Diss. Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe 2014. – Die Autorin unterschied zwischen einem „gelooptem Werk“, das aus ausstellungstechnischen Gründen als Endlosschleife abgespielt wird, dabei aber Anfang und Ende besitzt, einem „physischen Loop“, der als Closed Circuit oder als Teil eines kinetischen Aufbaus eingesetzt wird, und einem „seamless Loop“, der durch eine nahtlose und dabei bedeutungskonstituierende Wiederholung der Bewegtbilder geprägt ist. Mit den von ihr gebildeten Kategorien kann jedes Werk, das im Ausstellungskontext als Endlosschleife gezeigt wird, bezüglich der Funktion dieser Endlosschleife bestimmt werden. Die ästhetische Wirkung und Aussagekraft eines Loops blieben davon aber unberührt und seien immer wieder neu zu analysieren. Vgl. ebd., S. 323.
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dem Bild- und Tongedächtnis spielten und viertens das Zeitempfinden irritierten. Das Unterlaufen von zeitstrukturellen Konventionen des Erzählens wertete sie anders als Reiche: Diese ließen die Arten und Weisen des Erzählens selbst zum Thema werden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Thema Zeit seit etwa 20 Jahren besonders intensiv diskutiert wird. Im Fach Kunstgeschichte zeigt sich dies vor allem in der vermehrten Anwendung narratologischer Fragestellungen, die zur Analyse der Darstellung von zeitlichen Vorgängen im Bild Verwendung finden. Über Zeit in der Filmund Videokunst liegen mehrere Studien vor, die einzelne Aspekte in den Blick nehmen. Die mit der Berücksichtigung von sechs exemplarischen Videokünstlern auf einem vergleichsweise breiten Materialfundus aufgebaute Untersuchung nicht nur eines Verfahrens, sondern mehrerer zeitreflexiver Verfahren unternahm Ross. Sie orientierte sich dabei zwar an Begriffen wie „Potenzial“ („potentiality“) oder „Simultanität“ („simultaneity“),57 die gründliche Reflexion dieser Begrifflichkeit war aber nicht das Ziel ihrer Arbeit. Vielmehr ging es ihr um die Extraktion einer allgemeingültigen oppositionellen Strategie von Videokunst, die sich gegen das Zeitregime der gegenwärtig dominanten Kultur richte.
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Vgl. Ross 2012, Kapitelüberschriften.
A. BILD UND BEWEGUNGSBILD
I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG Das Sehen von Veränderung und Bewegung einerseits, genauso wie die Bewegtheit des Sehvorgangs andererseits entsprechen der alltäglichen visuellen Wahrnehmung. Beide Aspekte schließen das Vergehen von Zeit ein und machen es indirekt erfahrbar. Die Suggestion von Veränderung und Bewegung, unabhängig von dem etwaigen Bestreben, eine Geschichte zu erzählen, war deshalb immer auch ein Anliegen von Künstlern. Um eine darzustellende Szene zu verlebendigen, konnten sie auf einen Vorrat an Darstellungskonventionen zurückgreifen. Für Fotografen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hingegen war es zunächst schwierig, Bilder zu erzeugen, die einen Eindruck von Bewegung hervorriefen. Grund hierfür war die lange Belichtungszeit, die nur einen statischen Gegenstand scharf wiederzugeben erlaubte. Die Entwicklung lichtstarker Objektive, empfindlicherer chemischer Emulsionen und mechanischer Verschlüsse ermöglichte schließlich eine Verkürzung des Aufnahmevorgangs. Die Auffassung von der Dauer einer Momentaufnahme konnte dabei sehr unterschiedlich sein. Während Jean-Baptiste Dumas im Jahr 1940 schon eine Belichtungszeit von 12 bis 15 Minuten als augenblicklich bezeichnete, wollte John Herschel erst bei einer Dauer von weniger als einer Zehntelsekunde von einer Momentaufnahme sprechen.1 Besonders herausfordernd, und deshalb immer wieder diskutiert, waren das Fotografieren sich rasch bewegender Objekte oder die Portraitfotografie, die das geduldige Stillhalten der Abzubildenden erforderte.2 Berühmt wurden vor allem die ab 1878 einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellten Chronofotografien von Eadweard Muybridge, die den Beweis erbrachten, dass galoppierende Pferde zeitweise alle vier Hufe in der Luft halten.3 Bekanntermaßen erzeugt eine Frequenz von mindestens 16 Momentaufnahmen pro Sekunde, welche die rasch aufeinanderfolgenden Etappen eines Vorgangs abbilden, eine 1 2
3
Vgl. Phillip Prodger: Time Stands Still. Muybridge and the Instantaneous Photography Movement. New York 2003, S. 26, S. 28, S. 32, S. 34f. u. S. 36. Ein mit kurzer Belichtungsdauer aufgenommenes Stillleben hingegen wäre nicht als Momentaufnahme bezeichnet worden. Zur Motivspezifik der Momentfotografie vgl. André Gunthert: La conquête de l’instantané. Archéologie de l’imaginaire photographique en France (1841–1895). Phil. Diss. Mikrofiche-Ausg. Paris 1999, S. 28. Vgl. Prodger 2003, S. 26, S. 28 u. S. 50f. – Vgl. Beaumont Newhall: Geschichte der Photographie (EA New York 1937). Übers. aus dem Amerikan. v. Reinhard Kaiser, München 1998, S. 125.
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I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
Illusion von Bewegung. Dennoch würde man der ästhetischen Wirkung einer Filmsequenz nicht gerecht, verstünde man sie lediglich als Addition einzelner Bilder. Deleuze sprach deshalb vom Bewegungsbild, das die Bewegung in sich schon enthalte.4 Wie in der Malerei die Implikation von Bewegung eine verlebendigende Wirkung hervorrufen kann, so wurde die Bewegung auch im Film von Beginn an als Anzeichen von Lebendigkeit verstanden. Bereits bei der Namensgebung der sogenannten Lebensräder, einer Vorform des Films aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, fand eine entsprechende metaphorische Aufladung statt. Henry V. Hopwood, der 1899 als einer der Ersten eine Mediengeschichte des Films schrieb, sprach von den „Living Pictures“ und stellte diese in die Reihe der damals zahlreichen optischen Illusionsapparate. Bei dem Versuch, die Genese des Mediums nachzuvollziehen, plädierte er dafür, Film nicht aus der Fotografie, der Chronofotografie oder der Erfindung des Zelluloidstreifens heraus zu erklären, sondern generell aus der ins Bild geholten Bewegung.5 In Anlehnung an Hopwood wogen Guido Seeber und Georg Victor Mendel 1927 ebenfalls ab, ob man den Eindruck von Bewegung im Bild als ausschließliches Definitionskriterium verwenden solle oder ob das fotografische Verfahren notwendigerweise hinzukommen müsse. Sie entschieden sich dafür, das von ihnen sogenannte lebende Lichtbild6 als einen Hybrid aus Laterna magica, Lebensrad und Fotografie zu fassen.7 Zu Beginn der Untersuchungen soll die Aufmerksamkeit auf Werke der Film- und Videokunst gerichtet werden, die sich wiederum entgegen ihrer Medienspezifik der ästhetischen Qualität eines statischen Bilds annähern. Verbunden ist damit nicht nur eine Referenz auf die Momentaufnahme, die der Bewegungsillusion unterliegt, sondern auch der Bezug auf traditionelle Bildkünste wie die Malerei, Fotografie und Collage beziehungsweise Montage, die dem Betrachter je eigene in der Zeit verlaufende Rezeptionsweisen abverlangen. Bezugnehmend auf das bisher Gesagte ist zu fragen, inwieweit mit der Arretierung einer Bewegung auch eine Problematisierung der in Film oder Video simulierten Lebendigkeit stattfindet. 4 5
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7
Vgl. Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1 (EA Paris 1983). Übers. aus dem Franz. v. Ulrich Christians u. Ulrike Bokelmann, Frankfurt am Main 1989, S. 15. Allenfalls könne man deshalb Joseph Plateau die Erfindungsleistung zuschreiben, da dieser unter Ausnutzung der Trägheit der visuellen Wahrnehmung mit dem Phenakistiskop als Erster einen Apparat zur Erzeugung einer bildhaften Bewegungsillusion geschaffen habe. Vgl. Henry V. Hopwood: Living Pictures. Their History, Photo-Production and Practical Working. London 1899, S. 226. Enrico Straub: „L’art à la machine“. Zum Selbstverständnis der Fotografie im 19. Jahrhundert am Beispiel von Nadars Künstlerportraits. In: Brunhilde Wehinger (Hg.): Konkurrierende Diskurse. Studien zur französischen Literatur des 19. Jahrhunderts (= Zeitschrift für französische Sprache und Literatur: Beihefte N. F. 24). FS Winfried Engler. Stuttgart 1997, S. 106–125, hier S. 107. – „Lichtbild“ ist ein veralteter Ausdruck für „Fotografie“. Vgl. Guido Seeber u. Georg Victor Mendel (Hgg.): Der praktische Kameramann. Theorie und Praxis der kinematographischen Aufnahmetechnik mit besonderer Berücksichtigung der wissenschaftlichen und Amateur-Filmerei. 3 Bde. Bd. 1. Berlin 1927, S. 1.
1. Veränderung, Bewegung und Geschwindigkeit
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1. VERÄNDERUNG, BEWEGUNG UND GESCHWINDIGKEIT Der Anschein eines statischen Bilds kann auf verschiedene Art und Weise erzeugt werden. Grundlegende Voraussetzung ist jedoch eine fixe Kameraposition. Ist das in den Blick genommene Objekt dabei bewegungslos, so entsteht automatisch ein piktorialer Effekt. Ein Beispiel hierfür wäre Marcel Broodthaers’ „A Voyage on the North Sea“ (1973–1974, Abb. 1). Der 16-mm-Farbfilm mit einer Laufzeit von 4:15 Minuten zeigt abwechselnd etwa zehn Sekunden lang Schwarzbilder mit Seitenzählung „Page 1“, „Page 2“ bis zu „Page 15“, wobei „Page 5“ die lineare Ordnung missachtend dreimal nacheinander erscheint. Darauf folgen jeweils mit statischer Kameraeinstellung abgefilmte Fotografien von Segelschiffen sowie Aufnahmen eines gemalten Seestücks aus der Zeit um 1900, das ganzformatig oder ausschnitthaft in unterschiedlich starken Nahaufnahmen gezeigt wird.8 Der Seheindruck ähnelt dem einer Diavorführung. Eine Variante dieser Strategie besteht in der Aufnahme eines überwiegend statischen Motivs, das jedoch eine kleine oder möglichst gleichmäßige Bewegung aufweist. Deutlich ist dies in Douglas Gordons Ein-Kanal-Video „B-Movie“ (1995, Abb. 2) der Fall, in der eine auf dem Rücken liegende Fliege über die Laufzeit von 30 Minuten wie mechanisch mit den Beinen zappelt. Motive, die Veränderungen oder Bewegungen aufweisen, können darüber hinaus mittels Zeitlupe arretiert werden. In Bill Violas „Catherine’s Room“ (2001, Abb. 60) beispielsweise werden die Handlungen der abgebildeten Frau durch die Verlangsamung der Abspielgeschwindigkeit minimiert und gewinnen dadurch piktoriale Qualität. In allen genannten Fällen ist zu beobachten, dass trotz des offensichtlich angestrebten bildhaften Eindrucks auch Veränderung oder Bewegung sichtbar wird. Dies gilt auch für Broodthaers’ Arbeit. Hier zeigen aufsteigende Zählung und Motivabfolge eine durch scheinbare Fehler ironisierte Fortentwicklung an. Zudem lässt das für 16-mm-Projektionen charakteristische leichte Wackeln auf die Vorschubbewegung der Mechanik innerhalb der Projektionsapparatur schließen. Dieser Befund lässt vermuten, dass es in der Regel um die Inszenierung eines Spannungsverhältnisses von Stillstand und Veränderung geht. So erfährt in Sam Taylor-Woods (seit 2012 Taylor-Johnson9) „Still Life“ (2001, Abb. 3) ein in der Realität über neun Wochen ablaufender Prozess,10 die organi8
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Vgl. Manuel J. Borja-Villel u. Michael Compton (Hgg.): Marcel Broodthaers. Cinéma. Kat. Ausst. Barcelona (Fundació Antoni Tàpies) 1997, S. 234–239. – Für eine semiotisch ausgerichtete Analyse vgl. Rosalind E. Krauss: „A Voyage on the North Sea“. Art in the Post-Medium Condition (= Walter Neurath memorial lectures 31). London 2000, S. 52f. Trotz des Wechsels ihres Nachnamens im Zuge ihrer Heirat 2012 wird auch in aktuellen Ausstellungen zumeist der Name Sam Taylor-Wood angegeben, wenn die Künstlerin zur Entstehungszeit der jeweils gezeigten Arbeiten so hieß. Vgl. Sam Taylor-Wood in Conversation with Annushka Shani. In: Alessandro Vincentelli (Hg.): Sam Taylor-Wood. Still Lives. Kat. Ausst. Gateshead (BALTIC Centre for Contemporary Art) 2006, S. 127–136, hier S. 133f.
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I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
sche Zersetzung von Obst, durch Zeitraffer gerade eine Dynamisierung. Der schleichende Vorgang wird dadurch erst für das menschliche Auge sichtbar. So kann vorläufig zusammengefasst werden, dass das Verhältnis der Wiedergabegeschwindigkeit zur Geschwindigkeit einer in der Realität beobachtbaren Veränderung zum wesentlichen Anhaltspunkt der künstlerischen Intervention wird. Durch Beschleunigung oder Verlangsamung wird die sichtbare Entwicklung eines Vorgangs gerade noch über der Wahrnehmungsschwelle gehalten. Zudem ist eine gewisse Sparsamkeit oder Monotonie bezüglich der sich verändernden Motivbestandteile einem bildhaften Effekt zuträglich.
2. PORTRAITFOTOGRAFIE ALS FILM Die Zahl an Einstellungen in der Film- und Videokunst, die sich optisch an ein Bild annähern, ist enorm hoch. Während die weit größere Menge davon eine Zäsur innerhalb des Bilderflusses markiert, fallen einige davon mit der Dauer der Spielzeit in eins. Die für den betrachteten Zeitraum frühesten Beispiele liefern Andy Warhols Experimentalfilme, die ab 1963 entstanden und denen wegen ihrer kunstgeschichtlich hervorzuhebenden Stellung ein weiteres Kapitel über „Kontinuität, Variabilität und Verlangsamung“ gewidmet wird. Von Interesse sollen im Folgenden zunächst aber Warhols „Screen Tests“ (1964–1966, Abb. 4–7) sein, für deren Herstellung verschiedene Personen, die die Factory besuchten, vor die Kamera gebeten wurden. Für die Dauer von jeweils drei Minuten sollten sie eine feste Position, meist frontal zur Kamera, einnehmen und diese unverändert beibehalten.11 Ebenso wie die anderen frühen Filme des Künstlers werden auch die „Screen Tests“ bei der Aufführung durch eine Einstellung am Projektor von 24 Bildern pro Sekunde auf die Geschwindigkeit von auf 16 oder 18 Bildern pro Sekunde heruntersetzt. Die fast unmerkliche Zeitlupe intensiviert die Wirkung marginaler Bewegungen. Das Schlagen des Augenlids, das Wenden des Blicks oder Schluckbewegungen werden überdeutlich sichtbar. Warhols frühe Filme sind häufig durch ein ausgesprochen malerisch oder grafisch wirkendes Aussehen geprägt, das sich vor allem einer bewusst eingesetzten Licht- und Schattendramaturgie sowie einer kompositorisch reflektierten Positionierung der Objekte und Personen verdankt. Über „Sleep“ (1963, Abb. 36) beispielsweise schrieb Stephen Koch, dass der Stil durch Bildhaftigkeit („pictorial style“12) und ein paradoxes Span11 12
Für eine fundierte Einführung in die „Screen Tests“ und deren Entstehungsbedingungen vgl. Callie Angell: Andy Warhol Screen Tests. The Films of Andy Warhol. Catalogue Raisonné. 2 Bde. Bd. 1. New York 2006, S. 12–19. Stephen Koch: Stargazer. Andy Warhol’s World and his Films. London 1974, S. 37.
2. Portraitfotografie als Film
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nungsverhältnis gekennzeichnet sei, welches er mit Bewegung als Stillstand und Stillstand als Bewegung umschrieb.13 Dies trifft auch auf die „Screen Tests“ zu. Der ästhetische Reiz der schwarz-weißen und stummen 16-mm-Filme ergibt sich aber auch aus dem Verhalten der Portraitierten und betrifft das Spannungsverhältnis von verordnetem Ausharren und der Unmöglichkeit, die angestrebte Bewegungslosigkeit über die Dauer des Aufnahmevorgangs hinweg beizubehalten. So ließ die Konzentration der abgelichteten Personen nach, die psychologische Spannung entlud sich in Grimassen, äußere Reize lenkten von der Aufgabe ab oder das gleißende Licht ließ die Augen tränen. Letzteres trifft auf einen der bekanntesten „Screen Tests“ von Ann Buchanan (1964, Abb. 4) zu, in dem die Portraitierte mit offenen dunklen langen Haaren, frontal der Kamera zugewandt, ohne eine Miene zu verziehen und ohne auch nur einmal zu blinzeln, in die Scheinwerfer blickt. Während das Gesicht regungslos bleibt, füllen sich die Augen langsam mit Tränen, die ab der Hälfte der Spielzeit über die Wangen laufen. Der Effekt lässt unwillkürlich an Berichte von wundersamen Erscheinungen denken, wie sie manchen Heiligenbildern zugeschrieben wurden.14 Jedoch war dieser Effekt von Warhol nicht intendiert, er ergab sich während der Aufnahme. Die „Screen Tests“ entwickelten trotz oder wegen ihres prinzipiell einfachen Konzepts über die Dauer von zwei Jahren eine große Variationsbreite. Sie wurden fast ausschließlich von Warhol selbst aufgenommen15 und zeugen von einer ergebnisoffenen Herangehensweise. So hält Richard Rheem (Abb. 5) zwar still, dafür führt aber die Kamera ein Eigenleben. Ihre mal ruckartigen, mal tastenden Bewegungen, die das Gesicht bisweilen vollkommen aus dem Blick der Kamera verlieren, um es dann wieder einzufangen, erzeugen im Kontrast zu der Unbeweglichkeit der Person den Eindruck, über ein Bild zu streifen. Mal geht die Schärfe verloren, mal stellt sie sich wieder ein.16 Den Schauspieler Dennis Hopper (Abb. 6) hingegen sieht man durch bewusste, teilweise minimale Veränderungen des Gesichtsausdrucks die Windungen eines Gedankengangs anzeigen.17 Freddy Herko (Abb. 7) wiederum verändert vor dunklem Hintergrund und bei starkem Schlaglicht, das sein Gesicht teilweise dramatisch im Schatten versinken lässt, häufig seine Haltung, richtet sich halb auf, um sich wieder hinzusetzen, kaut Kaugummi und raucht.18 Warhol bezeichnete seine filmischen Portraits erst ab Ende 1965 als „Screen Tests“. Im Kontext der Filmindustrie versteht man darunter Probeaufnahmen, die die Eignung 13 14 15 16 17 18
In der Auseinandersetzung mit Zeit beziehungsweise Geschwindigkeit sieht der Autor die eigentliche Radikalität des Werks. Vgl. ebd., S. 37–39. Vgl. Angell 2006, Kat.-Nr. ST33, S. 45. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. ebd., Kat.-Nr. ST272, S. 161. Vgl. ebd., Kat.-Nr. ST155, S. 101. Vgl. ebd., Kat.-Nr. ST137, S. 93.
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I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
eines Schauspielers für eine bestimmte Rolle feststellen sollen oder dazu dienen, die Lichtregie zu erproben. Vor Ende 1965 wurden Warhols „Screen Tests“ von den Mitgliedern der Factory als „stillies“ – scherzhafter Gegenbegriff zu „movies“ – oder schlicht als „film portraits“ bezeichnet. Im Herbst 1964 erwog Warhol außerdem, die Aufnahmen als Objekte unter dem Titel „Living Portrait Boxes“ zu verkaufen.19 Dass der Künstler die Zeitlupe nicht nur als Effekt einsetzte, sondern die medienspezifische Illusion von Bewegung reflektierte, wird auch in der 1966 in der Galerie Leo Castelli präsentierten Ausstellung deutlich, die eine verstärkte Hinwendung zum Film markierte. Die dort im Raum schwebenden „Silver Clouds“ (1966) waren mit Helium gefüllte rechteckige Luftballons. Warhol bezeichnete sie als mobile Bilder, die davonfliegen könnten20 – eine buchstäbliche Übersetzung der Begriffe „moving picture“ oder „Silverscreen“, die den Film oder besser die Kinoleinwand meinen. Stellt man die „Screen Tests“ in eine Tradition mit dem fotografischen Portrait, so ist auf die bis Mitte der 1850er Jahre langen Belichtungszeiten zu verweisen. So mussten die aufgenommenen Personen über einen unterschiedlich langen Zeitraum hinweg ruhig halten, damit das Bild scharf und kontrastreich wurde. Geräte zur Fixierung des Kopfs und des Rückens halfen dabei.21 In der Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte das Atelier Antoine Claudets zu den bevorzugten Anlaufstellen für Daguerrotypie-Portraits. Gerühmt wurde vor allem der hohe technische Standard, der eine vergleichsweise kurze Belichtungszeit ermöglichte. Wie am 16. April 1842 im „London Spectator“ zu lesen war, schätzten die Zeitgenossen nicht nur die angenehmere Aufnahmesituation, sondern sie schrieben den so entstandenen Abbildern auch eine stärkere Lebendigkeit zu: The momentary quickness with witch the likeness is taken prevents the necessity for retaining a fixed look and posture for a certain time; it is not only more agreeable to the sitter, but gives a more life-like ease and vivacity to the photographic portraits.22
Diente eine Portaitaufnahme dazu, nicht nur das Aussehen einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt zu dokumentieren, durch die Inszenierung darüber hinaus bestimmte Charaktereigenschaften anzudeuten, so war das Streben nach einer möglichst lebendigen Wirkung mit dem Wunsch verbunden, den Portraitierten für die Zeit-
19 20 21 22
Vgl. ebd., S. 14f. Vgl. Rainer Crone: Andy Warhol. Stuttgart 1970, S. 31. Vgl. Prodger 2003, S. 41. – Vgl. Elizabeth Anne McCauley: Industrial Madness. Commercial Photography in Paris. 1848–1871. New Haven 1994, S. 23. London Spectator (16. April 1842). Zitiert in: Art. „Instantaneous Photography a Quarter Century Ago“. In: Photographic News 22 (Mai 1868), S. 249. Zitiert nach: Prodger 2003, S. 42.
2. Portraitfotografie als Film
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genossen und die Nachwelt präsent erscheinen zu lassen.23 Es ging also darum, einen flüchtigen Moment im Bild festzuhalten und bei der Betrachtung reanimierbar zu machen. Fast ein halbes Jahrhundert später äußerte sich Walter Benjamin kritisch über die Momentaufnahme. So vertrat er die Ansicht, dass die frühen Portraits aufgrund der längeren Belichtungszeit und der dadurch notwendigen konzentrierten Aufmerksamkeit der aufgenommenen Personen eine Intensität entwickelt hätten, die bei einer kurzen Belichtungszeit nicht zu erreichen sei: Das Verfahren selbst veranlasste die Modelle, nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hinein zu leben; während der langen Dauer dieser Aufnahmen wuchsen sie gleichsam in das Bild hinein und traten so in den entschiedensten Kontrast zu den Erscheinungen auf einer Momentaufnahme [...].24
Auch Beaumont Newhall wies auf die „große[r] Direktheit und Eindringlichkeit“ der frühen Daguerrotypien hin und erklärte diese ähnlich wie Benjamin mit der langen Prozedur sowie der Endgültigkeit der Aufnahme. Der empfindliche Bildträger ließ kaum Retuschen zu.25 Im Grunde verband Warhol den zeitgenössischen Film anachronistisch mit einer Aufnahmepraxis, die während der Anfänge der Portraitfotografie aus technischen Gründen notwendig war. Sollte die Dauer des Aufnahmevorgangs in den frühen Daguerrotypien möglichst unsichtbar bleiben, um das Abbild der jeweiligen Person gestochen scharf zu überliefern, so wird die Aufnahmezeit bei Warhol nicht nur in eine Abfolge von Filmbildern aufgefaltet, sondern während der Aufführung auch durch Zeitlupe gedehnt. Dieser Kunstgriff lässt das bewegte Bild gewissermaßen zähflüssig am jeweiligen Moment haften. Geringfügige Veränderungen zeigen aber auch an, dass mehrfach pro Sekunde ein Filmbild durch das nächste ersetzt wird: Das Festgehaltene hat paradoxerweise keinen Bestand.
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Vgl. Newhall 1998, S. 33. – Vgl. Ronald Balczuweit: Die Flucht der Erscheinungen. Zum photographischen und filmischen Bild. In: Theresia Birkenhauer u. Annette Storr (Hgg.): Zeitlichkeiten – Zur Realität der Künste. Theater, Film, Photographie, Malerei, Literatur. Berlin 1998, S. 158–173, hier S. 161f. – Vgl. Michael Wetzel: Die Zeit der Entwicklung. Photographie als Spurensicherung und Metapher. In: Georg Christoph Tholen u. Michael O. Scholl (Hgg.): Zeit-Zeichen. Aufschübe und Interferenzen zwischen Endzeit und Echtzeit. Weinheim 1990, S. 265–280, hier S. 269–273. Walter Benjamin: Kleine Geschichte der Fotografie (EA 1931). In: Wolfgang Kemp (Hg.): Theorie der Fotografie 2. 1912–1245. Hg. von Wolfgang Kemp u. Hubertus v. Amelunxen. 4 Bde. Bd. 2. Neuaufl. München 1999, S. 200–213, hier S. 204. Vgl. Newhall 1998, S. 33.
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I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
3. DAS ABGEFILMTE TABLEAU VIVANT
LEBENDES LICHTBILD UND VANITAS
Sondiert man das Gebiet weiter, so fällt auf, dass Menschendarstellungen besonders häufig in ein visuelles Spannungsverhältnis von Statik und Bewegung versetzt werden. Dies erklärt sich vorderhand durch ein Anknüpfen der betreffenden Kunstschaffenden an die Tradition des Tableau vivants, einer Aufführungsform, die die Imitation bekannter Kunstwerke zum Inhalt hatte und insbesondere für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts und das 19. Jahrhundert belegt ist. Sie wurde zunächst hauptsächlich in gehobenen Schichten, später auch durch das mittlere Bürgertum praktiziert und dabei sowohl zu privaten wie auch öffentlichen festlichen Anlässen, mithin auch als amüsante Einlage während eines Theaterstücks umgesetzt. Einzelne Personen oder Personengruppen ahmten bekannte Gemälde nach, wobei Genredarstellungen, Historienbilder oder Portraits als Vorbilder besonders beliebt waren.26 Die Posen wurden dabei nur kurz oder bis zu mehreren Minuten lang eingenommen, oft unter Zuhilfenahme von Gestellen und Gerüsten zur Unterstützung kraftaufwändiger oder labiler Haltungen.27 Wie Birgit Jooss hervorhob, ergänzte die Erfindung der Fotografie in den 1830er Jahren diese Praxis um eine neue Facette. Da die Portraitierten häufig vor gemalten Kulissen standen, verschmolzen sie in der fotografischen Abbildung optisch mit dem malerischen Bildraum. Die Autorin nennt außerdem Beispiele für Mappenwerke aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Fotografien von lebenden Bildern nach bekannten Gemälden enthalten.28 Die zur Entstehungszeit des Films für das neue Medium gefundenen Namen scheinen einen Bezug zum Tableau vivant herzustellen. Jooss verwies darauf, dass das erste, 1903 in Deutschland eröffnete Kino „Das Lebende Bild“ hieß.29 Da aber weder Hopwood noch Seeber und Mendel das Tableau vivant in ihren medienhistorischen Abhandlun26 27
28 29
Für eine Auflistung beliebter Motive vgl. Edmund Wallner: Vierhundert Sujets zu lebenden Bildern. Erfurt 1870, URN: urn:nbn:de:hbz:6-53649409898 (Stand: 5.7.2017). Zur Verwendung von Hilfsmitteln bei komplizierten Arrangements vgl. Barck 2008, S. 45f. – Zur Dauer von Tableaux vivants vgl. Birgit Jooss: Lebende Bilder. Körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit. Berlin 1999, zugl. Phil. Diss. Univ. München 1998, S. 158 u. S. 264. – Vgl. Sabine Folie u. Michael Glasmeier: Atmende Bilder. Tableau vivant und Attitüde zwischen „Wirklichkeit und Imagination“. In: Tableaux Vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video. Kat. Ausst. Wien (Kunsthalle) 2002, S. 9–52, hier S. 12. – Zu der mit dem Tableau vivant verwandten Attitüde vgl. Bettina Baumgärtl: Die Attitüde und die Malerei. Paradox der stillen Bewegtheit in Synthese von Erfindung und Nachahmung. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 42 (1992), S. 21–42. Vgl. Jooss 1999, S. 264f. Vgl. ebd., S. 266.
3. Das abgefilmte Tableau vivant
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gen nannten, ist die Ähnlichkeit der Begriffe „Living Pictures“ oder „lebende Lichtbilder“ offenbar oberflächlicher Natur. Während der Film durch die Imitation von Bewegung lebendig erscheint, ist das Tableau vivant dadurch gekennzeichnet, dass das als Bild Vorgeprägte durch die Anstrengungen eines oder mehrerer Schauspieler(s) im gegenwärtigen Raum umgesetzt wird. Nicht Bewegung, sondern die leibliche Präsenz der Bildverkörperung, für die alle Bewegung gerade zurückgenommen wird, ist hier Grund der Zuschreibung von Leben.30 Eine dem Arrangieren von Tableaux vivants vergleichbare Praxis findet sich bei einem anderen, ebenfalls von historischen Kunstwerken ausgehendem Nachahmungsverfahren der zweiten Hälfte des 18. und des 19. Jahrhunderts. Mit Hilfe eines dunkel gefärbten und reflektierenden „Claude Glases“, so benannt nach dem Landschaftsmaler Claude Lorrain, spiegelten Künstler oder Kunstkenner Teile der Umgebung und versuchten dabei, nach traditionellen Regeln komponierte Landschaftsbilder zu erzeugen. Voraussetzung hierfür waren die im Gedächtnis der Rezipienten abgelegten Vorbilder. Wie Rosalind Krauss in „The Originality of the Avantgarde“ ausführte, drehte sich auf diese Weise das Verhältnis von Naturvorbild und nachrangigem Abbild um. Die Natur wurde nun zur Repräsentantin eines vorlaufenden Bilds oder Bildtypus’.31 Unter Bezugnahme auf historische Abhandlungen über das Pittoreske stellte sie dabei heraus, dass die Aktivität des nach Bildmotiven Ausschau haltenden Blicks durch einen Antagonismus von Typisierung und Einmaligkeit geprägt sei, wobei Einmaligkeit auf den momentanen Perzeptionsvorgang der jeweiligen Landschaft und das auf dem verinnerlichten Kanon der Kunstgeschichte basierende Wiedererkennen ihrer malerischen Qualität zu beziehen sei.32 Hinsichtlich der lebenden Bilder kann Ähnliches festgestellt werden. Ausgerechnet das Wiedererkennen einer Vorlage konstituiert die Einmaligkeit des Rezeptionserlebnisses, das im Herstellen einer bestimmten Ähnlichkeitsbeziehung liegt. Vor diesem Hintergrund ist für Film- und Videokunst, die an die Tradition der lebenden Bilder erinnert, zu prüfen, ob und woran der Bezug zu einem konkreten Werk der Kunstgeschichte festzumachen ist. Für Warhols „Screen Tests“ ist jedenfalls festzuhalten, dass diese trotz ihres piktorialen Charakters nicht als abgefilmte Tableaux vivants bezeichnet werden können, da die bewusste Anspielung auf Vorbilder fehlt. 30
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Diese Differenz arbeitet Daniel Wiegand in seiner Dissertation ausführlich aus. Vgl. Daniel Wiegand: Gebannte Bewegung. Tableaux vivants und früher Film in der Kultur der Moderne. Marburg 2016, zugl. Phil. Diss. Univ. Zürich 2014, S. 46–72, v. a. S. 50 u. S. 71. Vgl. Rosalind E. Krauss: The Originality of the Avant-Garde (EA 1981). In: Dies.: The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths. 6. Aufl. Cambridge 1985, S. 151–173, hier S. 163. „The priorness and repetition of pictures is necessary to the singularity of the picturesque, because for the beholder singularity depends on being recognized as such, a re-cognition made possible only by a prior example.“ Ebd., S. 166.
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I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
Solches trifft eher auf Taylor-Woods auf DVD übertragenes Video „The Last Century“ (2005, Abb. 8) zu. Zu sehen sind dort fünf Personen in einer holzvertäfelten Kneipe, die im Hintergrund durch eine Fensterfront abgeschlossen wird. An einem runden Tisch links im Vordergrund sitzt, zum Betrachter gewandt, ein bärtiger Mann mit einer glimmenden Zigarette in der Hand. Ihm rechts gegenüber lächelt eine schwarzhäutige Frau in einem hellblau gemusterten ärmellosen Kleid schräg aus dem Bild heraus. Zwischen ihnen hindurch erblickt man das Profil einer jungen dunkelhaarigen Frau, die ihren Kopf in die Hand stützt. Im Hintergrund schließlich halten zwei Musiker in der Bewegung ihres Klavier- und Ziehharmonikaspiels inne. Während der gesamten 7:12 Minuten Laufzeit des Videos bleiben alle abgebildeten Personen regungslos. Die Einstellung erinnert formal und motivisch an Genrebilder vom Ende des 19. Jahrhunderts. Geht man Margo A. Crutchfields Hinweis auf eine vergleichbare Pariser Caféhaus-Szene von Édouard Manet nach,33 so weist am ehesten dessen Ölgemälde „Corner of a Café Concert“ (1879, Abb. 9), das sich in der Sammlung der National Gallery in London befindet, motivische und kompositorische Ähnlichkeiten auf. Es zeigt im Hochformat einen in der damaligen Brasserie de Reichshoffen Pfeife rauchenden Mann im verlorenen Profil, der offensichtlich einer durch ein Orchester begleiteten Tanzvorführung im Bildhintergrund folgt, während die hinter ihm stehende Bedienung – gerade stellt sie ihm ein Glas Bier auf den Tisch – auf eine unbestimmte Stelle außerhalb des Bilds blickt. Wie bei Taylor-Wood wirken die Personen trotz räumlicher Nähe vereinzelt. Der mögliche Bezug auf Bildprägungen Manets ist allenfalls als modernisierende Paraphrase zu verstehen. Hinsichtlich der Frage nach der jeweiligen Repräsentation eines Zeitablaufs ist zu konstatieren, dass beide Künstler den Gegebenheiten des von ihnen verwendeten Mediums entgegenarbeiten. Während Manet seine Darstellung durch die Wahl eines scheinbar zufälligen Moments und den eng gesetzten Bildausschnitt dynamisiert und damit dem Motiv entsprechend Bewegung zu evozieren versucht, geht Taylor-Wood den umgekehrten Weg, da sie die Szene über die gesamte Laufzeit hinweg arretiert. In jedem Fall sind die stilistischen Anklänge in das vorletzte Jahrhundert zu verorten. Der Titel „The Last Century“ ist deshalb als allgemeiner Ausdruck einer sich neigenden Epoche, als Fin de Siècle, aufzufassen. Dass der Einstellung eine Darstellungskonvention unterliegt, ohne ein bestimmtes Vorbild zu meinen, entspricht dabei einem gängigen Konzept der Künstlerin. Man denke an die Vanitas-Stillleben nachempfundenen Videos „Still Life“ und „A Little Death“ sowie an „Pietà“ (2001), aber auch an Farbfotografien wie „Sleep“ (2002) und „The Custodian“ (2004). 33
Vgl. Margo A. Crutchfield: Unbound. In: Sam Taylor-Wood. 1995–2007. Kat. Ausst. Cleveland (Museum of Contemporary Art u. a.) 2008, S. 18–23, hier S. 21.
3. Das abgefilmte Tableau vivant
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Obwohl in „The Last Century“ alle Personen durchgängig ruhig halten, ist der Lauf der Zeit deutlich durch die unaufhaltsam abbrennende Zigarette markiert, die direkt im Bildzentrum positioniert ist. In dem Moment, in dem die Asche auf den Tisch fällt, endet das Video. Doch auch an anderen kaum merklichen Bewegungen, wie Gewichtsverlagerungen, Atmen, Verziehen des Munds, Schatten vorbeifahrender Fahrzeuge im Fenster und deren Reflexe auf der glatten Holzvertäfelung, wird ersichtlich, dass es sich um eine Aufnahme in Realzeit handelt. Taylor-Wood wies selbst auf diese Widersprüchlichkeit hin: The strangeness of it is that the group is frozen in time but the outside world keeps moving so that in the reflections on the walls you see the cars passing outside, you see people walking past the window. So you’ve got these two elements of time: one completely frozen and one carrying on, irrespective. And that’s what I find the most interesting thing about how that piece works, the contradiction of time in one piece.34
Nach Taylor-Wood befinden sich die Personen gewissermaßen in einem Zeitraum, der vom Rest der Welt abgetrennt zu denken ist. Gleichzeitig wird die Unmöglichkeit eines Banns, der das Vergehen der Zeit aufhebt, explizit offengelegt. Zieht man die damalige, auch biographisch bedingte Vorliebe der Künstlerin für Motive, die den Tod zum Thema haben, in Betracht,35 so erscheint die immer wieder in kleinen Bewegungen sichtbare Anstrengung der Personen, ihre Körper über die Dauer von mehr als sieben Minuten unter Kontrolle zu halten und sich dadurch scheinbar dem Fluss der Zeit zu widersetzen, als Hinweis auf die Erschöpfbarkeit ihrer Energie. So kommt das Video mit dem abrupten Fallen der Asche zu einem gleichermaßen lakonischen wie unvermeidlichen Ende, das als ein zeitgemäßes Echo auf das Sinnbild des erlöschenden Lebenslichts aufgefasst werden kann. Blickt man in diesem Zusammenhang auf Taylor-Woods „Still Life“ (Abb. 3) und Gordons „B-Movie“ (Abb. 2), so zeigt sich, dass das Thema von Leben und Tod hier wie dort in Resonanz mit der Spieldauer verhandelt wird. In dem Moment, in dem das Obst endgültig zersetzt ist, sich auch keine Lebewesen mehr von ihm ernähren können, endet die Aufnahme. Gordons „B-Movie“ bricht ebenfalls an der Stelle ab, an der die Fliege offensichtlich tot ist. Die Vorstellung vom lebenden Lichtbild wird damit beide Male als Metapher für die Lebenszeit wirksam, denn mit dem Ende der Projektion endet
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Sam Taylor-Wood in Conversation 2006, S. 132f. So sind die beiden Fotografien „Self Portrait as a Tree“ (2000) und „Self Portrait in a Single Breasted Suit“ (2001) als Ausdruck ihres damaligen Kampfes gegen eine Krebserkrankung biographisch interpretierbar. Vgl. Crutchfield 2008, S. 20.
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I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
auch das Leben des Dargestellten.36 Verstärkt wird dies zusätzlich durch die lockere Anknüpfung an die Tradition des Vanitas-Stilllebens.37 DAS STILLGESTELLTE ERINNERUNGSBILD
Tableaux vivants in der Film- und Videokunst dauern nicht immer die ganze Spielzeit der jeweiligen Arbeit, sondern finden sich weitaus häufiger sequenzweise eingefügt. Beispiele hierfür sind Eleanor Antins Schwarz-Weiß-Video „Caught in the Act“ (1973), in dem die Künstlerin gut 36 Minuten lang jeweils mühsam in Ballettposen gebracht wird, um dann für einige Augenblicke reglos die Balance zu halten und so fotografiert zu werden,38 oder Guido van der Werves auf DVD übertragener 35-mm-Film „Nummer drie take step fall“ (2004), in dem neun Männer und zwei Frauen scheinbar konzentriert lauschend in einem asiatischen Schnellimbiss stillhalten. Die Einstellung kontrastiert mit einem zuvor gezeigten höfischen Kreistanz, der von acht jungen Frauen in pastellfarbenen Rokoko-Kostümen im Obergeschoss des gleichen Lokals vollführt wird.39 Einen vergleichbaren Antagonismus von Tanz und scheinbarem Gruppenportrait inszenierte Mark Leckey in seiner achtminütigen Ein-Kanal-Arbeit „We are (untitled)“ (2001, Abb. 10).40 Die dominante Tonebene besteht aus einer Montage von Diskomusik und Geräuschen. Unterlegt durch bearbeitete Fragmente aus Terry Raymond Ushers Pop-Lied 36
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Diese Parallele sieht auch Jaroslav Anděl: „Bewegung und Stillstand, zwei durch den filmischen Apparat ineinandergreifende Zustände, wandeln sich plötzlich zu Zeichen von Leben und Tod. Auf diese Weise wird das Wesensmerkmal des Filmbildes direkt mit der Zeitlichkeit des Lebens verknüpft, und die Betrachter sind mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert.“ Jaroslav Anděl: Das Stille bewegt sich. In: Douglas Gordon. Between Darkness and Light. Kat. Ausst. Wolfsburg (Kunstmuseum). Ostfildern 2007, S. 76–83, hier S. 77. Während Taylor-Wood moderne Allegorien auf die Vergänglichkeit schafft und dabei den Schluss der Arbeiten als dramaturgisch verstärkendes Element einsetzt, könnte man bei Gordon einen stärkeren Bezug auf die Medialität des Filmbilds annehmen, da sich in der repetitiven Bewegung des Tieres die mechanische Tätigkeit des Apparats wiederspiegelt. Eine solche These wird jedoch durch die durch Gordon vorgegebene Installationsanweisung hinfällig. So möchte der Künstler die Arbeit ausschließlich kleinformatig (circa 17 x 13 cm) als Rückprojektion präsentiert sehen, wobei sich die Apparatur hinter einer zusätzlich eingezogenen Wand, in die die Projektionsfläche eingelassen ist, versteckt befindet. Die Fliege erscheint in etwa lebensgroß, was dem Illusionismus der Darstellung zuträglich ist. Die Unsichtbarkeit der Apparatur und die vergleichsweise konventionelle Anbringung an der Wand lassen die Arbeit tendenziell als Bild wahrnehmbar werden und die Fliege vor dem Hintergrund der barocken Bildtradition als ein aus einem Vanitas-Stillleben isoliertes Trompe-l’œil erscheinen. Für Angaben des Künstlers zur Installationsanweisung von „B-Movie“ vgl. Goetz u. Urbaschek 2003, S. 169. Für eine Beschreibung des Werks durch die Künstlerin vgl. Interview conducted by Glenn Phillips on September 28, 2006, at Eleanor Antin’s studio in San Diego, California. In: Glenn Philips (Hg.): California Video. Artists and Histories. Kat. Ausst. Los Angeles (J. Paul Getty Museum) 2008, S. 23–25, hier S. 25. Vgl. Katharina Vossenkuhl: Guido van der Werve. Nummer drei take step fall, 2004. In: Ingvild Goetz, Rainald Schumacher u. Susanne Touw (Hgg.): Klang und Stille. Synästhetische Aspekte von Film und Video. Kat. Ausst. München (Ehemaliger Luftschutzkeller im Haus der Kunst). Ostfildern 2012, S. 105–109. Für eine kurze Beschreibung der Arbeit vgl. Rainald Schumacher: Mark Leckey, We are (untitled), 2001. In: Goetz u. Urbaschek 2003, S. 241.
3. Das abgefilmte Tableau vivant
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„You Make Me Wanna“ (veröffentlicht 1997 auf dem Album „My Way“) zeigt es eine Party in einem privaten Appartement. Stroboskoplicht erzeugt den Effekt ruckartig aneinandergereihter Standbilder. Jemand gibt im Dunkeln Feuer, im Hintergrund links ist ein leuchtender Computerbildschirm mit Braunscher Röhre erkennbar. Einstellungen auf die einzelnen Tänzer folgen Nahaufnahmen, die Elemente der Bekleidung in den Blick nehmen: lässige Sporthosen, kurze Jeans, weite Hemden und dazu Schmuck, Basketballmützen und Turnschuhe. Dabei werden Bild- und/oder Tonspur wechselweise beschleunigt oder verlangsamt abgespielt. Sah man die jungen Männer zuvor im Stroboskoplicht tanzen, so stehen sie kurz nach der Hälfte der Laufzeit (Minute 4:16) unbewegt nebeneinander und blicken wie zum Gruppenfoto angetreten dem Betrachter entgegen. Dieser kann deren Gesichter und Kleidung gut eine halbe Minute lang studieren, bis die Szene durch einen Knall und durch die Luft wirbelnden Glitter aufgelöst wird. Hatte das lebende Bild in den vorherigen Werkbeispielen auf bestimmte Motive der Maltradition angespielt, so erinnert diese Einstellung an die typologische Fotografie, wie man sie beispielsweise von August Sander kennt. Dieser hatte in seinem zu Lebzeiten unveröffentlicht gebliebenen Mappenwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ zum Ziel, einzelne oder mehrere Personen so in ihrer charakteristischen Bekleidung und mit den dazugehörigen Attributen ins Bild zu setzen, dass sie repräsentativ für ihre Gesellschaftsgruppe stehen konnten. Seine „Schauerleute“ (Hafenarbeiter, circa 1928) beispielsweise stehen zu siebt locker vor einem im Schatten versackenden Durchgang, stecken überwiegend die Hände in die Taschen ihrer grob gewebten dunklen Hosen und blicken in die Kamera (Abb. 11). Über die dunkle Farbigkeit ihrer Kleidung hinaus lassen die berufstypischen Jacken und Hemden Senkrechtstreifen erkennen. Alle Männer tragen dunkle Schirmmützen. Obwohl die Gesichter gut zu erkennen sind, sind die Aufgenommenen von Sander doch nicht als Einzelpersonen gemeint. Dies legt auch der Bildtitel nahe. Leckey engagierte dagegen eine Gruppe professioneller Schauspieler. Die von ihnen getragene Mode ahmt dabei retrospektiv den Stil der 1980er Jahre nach. Einen Hinweis, worum es in der Arbeit gehen könnte, liefert ein kurzer Text des Künstlers über die sogenannten Casuals (1999, veröffentlicht 2004). Bei diesen habe es sich um eine subversive Gruppe Hooligans gehandelt, die in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren Kleidercodes bewusst als Täuschungsmanöver eingesetzt hätte, um sich unerkannt in Fußballspiele einzuschleusen und dort für Unruhe zu sorgen. Um die Tarnung aufrechterhalten zu können, hätten die Hooligans ihre Mode in kurzen Abständen verändert.41 Im gleichen Text- und Bildband veröffentlichte Leckey Portraits der einzelnen 41
Vgl. Mark Leckey: The Casuals (London 1999). In: Heike Munder (Hg.): Mark Leckey. 7 Windmill Street W1. Kat. Ausst. Zürich (Migros Museum für Gegenwartskunst). Köln 2004, S. 18f.
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I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
Charaktere des Videos. Diese sind zwar mit Vornamen versehen, dies vermindert jedoch nicht den Eindruck einer hier unternommenen Typenanalyse. Wie bei Sander kommt neben dem Gruppenstil die mögliche Varianz innerhalb dieses Stils, und damit die Selbstinszenierung eines jeden Mitglieds, zum Ausdruck (Abb. 12). „We are (untitled)“ geht insofern mit der Praxis des Tableau vivants zusammen, als eine etwa zehn bis 15 Jahre zurückliegende Jugendkultur, die nur schwach im kollektiven Gedächtnis verankert ist, vergegenwärtigt wird. Das Video fingiert im dokumentarischen Stil ein Geschehen, das in der Vergangenheit in der dargestellten Form hätte stattfinden können. Es wird die Frage nach den Bedingungen von Gruppenidentität aufgeworfen und ein Bezug zur Mode hergestellt. Deutlich wird dies auch an der Titelgebung und der Auswahl der entsprechenden Liedfragmente. War Sander noch von der Vorstellung von einer Identitätsstabilität ausgegangen, so lösen Leckeys „Casuals“ den Verweiszusammenhang zwischen Mode und Identität auf, was die Arbeit unwillkürlich hermetisch wirken lässt. Das Stillstellen der Szene bei „We are (untitled)“ steigert also zwar, ähnlich einer rhetorischen Kunstpause, deren Bedeutsamkeit, hält aber keine Erklärung für das Dargestellte bereit. Vergleicht man die Arbeiten von Taylor-Wood und Leckey hinsichtlich ihres Umgangs mit dem lebenden Bild, so wird in keinem Fall ein bestimmtes Vorbild der Kunstgeschichte nachgestellt, sondern es werden eine ikonographische Tradition, ein Genre oder stilistische Merkmale locker aufgegriffen. Wird auf einen schon vorhandenen Bildkanon angespielt, so spannt sich automatisch eine historische Dimension auf, die sich als Erinnerungsbild manifestieren und mit dem aktuell Sichtbaren in semantisch wirksame Relation treten kann, sofern der Betrachter die Anspielung versteht.42 Die mit der jeweiligen Referenz verbundenen historischen Kontexte werden allerdings eher oberflächlich oder klischeehaft assoziiert. Im Vordergrund stehen formale und medienspezifische Auseinandersetzungen. So wird das verharrende Bildmotiv explizit gegen das laufende Bild ausgespielt und dadurch bedeutsam. Es scheint, als wolle es sich in besonderer Weise dem Betrachter einprägen, zugleich mindert es die illusionistische Wirkung des laufenden Bilds. In ihrer Thematisierung von Zeit setzen die Arbeiten von Taylor-Wood und Leckey je eigene Akzente. Bei Taylor-Wood erahnt man den Kraftaufwand, der eingesetzt werden muss, um den Körper unbewegt zu halten. Dadurch stehen in letzter Konsequenz Lebendigkeit und Sterblichkeit als Index von Zeit im Mittelpunkt der Arbeit. Leckey erlaubt hingegen ein genaues Betrachten der Protagonisten. Neben der Reflexion von Scheinbewegung geht es um die Erfindung einer Erinnerung. Die Rolle des Computers 42
Vgl. hierzu die Ausführungen über die Nebengesänge von Parodien bei Eva Wattolik: Die Parodie im Frühwerk Roy Lichtensteins. Comic-Gemälde 1961–64. Weimar 2005, zugl. Phil. Diss. Univ. München 2003, S. 30–33.
4. „Differentialbilder“
41
als Ton- und Bildbearbeitungswerkzeug, aber auch als Ton- und Bilderzeugungsmaschine wird dabei durch die zahlreichen Manipulationen am Videomaterial offenkundig.
4. „DIFFERENTIALBILDER“ Im Zuge ihrer bildwissenschaftlich ausgerichteten Untersuchung von Spielfilmen konstatierte Barck, dass abgefilmte Tableaux vivants als „Differentialbild[er] mit piktoraler Potentialität“43 das vorfilmische Bild markierten und durch die Verzögerung des Bildflusses die narrativ ausgerichtete Konstitutionsleistung des Betrachters störten.44 Der damit einhergehende kontemplative Perzeptionsvorgang konstituiere eine eigene Zeitlichkeit, die die Autorin mit der Bergson’schen „durée“, der erlebten Dauer, identifizierte.45 Mit Bezug auf die stillgestellten Filmszenen formulierte sie: „Auf das Gemälde bezogen, repräsentieren sie die innerbildliche Zeit, auf den Film bezogen, stellen sie eine geronnene, gedehnte Zeit dar, eben das, um mit Deleuze zu sprechen, ,was in der Sukzession der sich wandelnden Zustände verharrt‘.“46 Die von Barck zitierte Textstelle aus Deleuzes „L’image-temps. Cinéma 2“ (1985) ist relativ bekannt und wurde beispielsweise auch von Bellour bei der Betrachtung von Animationen David Claerbouts schlagwortartig verwendet, um die Differenz zwischen Fotografie und Film zu untermauern.47 Sie steht bei Deleuze im Kontext der Besprechung einer Schlüsselstelle aus Yasujiro Ozus Spielfilm „Banshun“ (1949), in dem der nur widerstrebend vollzogene Ablösungsprozess einer Tochter von ihrem verwitweten Vater erzählt wird. Bevor die junge Frau verheiratet wird, reisen beide noch einmal gemeinsam für einige Tage nach Kyoto. Die betreffende Einstellung in der zweiten Hälfte des Films (Minute 88, Abb. 13), zeigt im dämmrigen Hotelzimmer, unterlegt von den tiefen Atemgeräuschen des gerade eingeschlafenen Vaters, den unmittelbar anstehenden Wandel der Frau an. Die Nahaufnahme auf das Gesicht der Wachliegenden wird von einer Einstellung auf eine Porzellanvase erst vier Sekunden lang unterbrochen, dann zehn Sekun43 44
45
46 47
Barck 2008, S. 64. Vgl. ebd., S. 61 u. S. 63. – Raymond Bellour sah darin auch die Fotografie aufscheinen: „Le privilège singulier de l’arrêt sur image n’est-il pas de faire ressurgir, dans le mouvement du film (de certains films), le photographique, le photogrammatique? Ou plus précisément: le photogrammatique en tant que photographique.“ Bellour (EA 1987) 1990, S. 115. Vgl. Barck 2008, S. 72, S. 75 u. S. 79. – Rohsmann schrieb schon über Andy Warhols „Empire“: „Im Film gibt es zwar Vorher/Nachher-Relationen, aber die erlebte Zeit ist gegenwärtige Dauer. Diejenigen Kunstwerke, deren Intention die Anleitung zum Zeiterleben ist, sind die einzigen, die Bergson’sche Dauer vergegenständlichen können.“ Rohsmann 1984, S. 130f. Barck 2008, S. 66. Vgl. Bellour 2008, S. 39.
42
I . DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
den lang abgelöst. Auch hier wird der Gegensatz von Statik und Bewegung in Szene gesetzt, da sich das Objekt vor einer hellen mit Papier bespannten Trennwand abhebt, auf der sich der Schatten von sich leicht im Wind bewegendem Bambus abzeichnet: Le vase de ,Printemps tardif ‘ s’intercale entre le demisourire de la fille et ses larmes naissantes. Il y a devenir, changement, passage. Mais la forme de ce qui change, elle, ne change pas, ne passe pas. C’est le temps, le temps en personne, ,un peu de temps à l’état pur‘: une image-temps directe, qui donne à ce qui change la forme immuable dans laquelle se produit le changement. La nuit qui se change en jour, ou l’inverse, renvoient à une nature morte sur laquelle la lumière tombe en faiblissant ou en croissant (,La femme d’une nuit‘, ,Cœur capricieux‘). La nature morte est le temps car tout ce qui change est dans le temps, mais le temps ne change pas lui-même, il ne pourrait lui-même changer que dans un autre temps, à l’infini. Au moment où l’image cinématographique se confronte le plus étroitement avec la photo, elle s’en distingue aussi le plus radicalement. Les natures mortes d’Ozu durent, ont une durée, les dix secondes du vase: cette durée du vase est précisément la représentation de ce qui demeure, à travers la succession des états changeants.48
Das Stillleben, oder das in Ozus Einstellung real andauernde Bild, das sich widerständig aus einem Zusammenhang von Bewegungsabfolge und narrativer Handlung loslöst, galt Deleuze als eine direkte Darstellung der Zeit, denn in der durchgängigen Gestalt ereigne sich Veränderung. Die scheinbar widersprüchliche Aussage lässt sich mit Bergsons Konzept der „durée“ besser verstehen. Dieses erhielt in den Publikationen des Philosophen verschiedene Schwerpunktsetzungen, die das Gewicht entweder auf den bewahrenden oder den schöpferischen Aspekt des Werdens legten. So verstand Bergson in seiner ersten Publikation „Essai sur les données immédiates de la conscience“ (1889) Dauer als eine Kontinuität, in deren Gegenwarten sich das Vorhergehende gerade aufgrund seiner Transformation erhalte. Dauer sei weiterhin nichts extern zu Begreifendes wie der Raum, sondern erlebte Zeit und damit zuerst psychisch bedingt. Diese Vorstellung wurde in „L’évolution créatrice“ (1907) um eine kosmische Dimension erweitert. Dauer und Leben wurden dabei gleichermaßen als indeterminiert und als schöpferisch verstanden.49 Die Beständigkeit der „durée“ liege nun in ihrer ununter48 49
Gilles Deleuze: L’image-temps. Cinéma 2. Paris 1985, S. 27. Für eine zusammenfassende Begriffserklärung vgl. Erik Oger: Einleitung. In: Henri Bergson: Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist (EA Paris 1896). Übers. aus dem Franz. v. Julius Frankenberger, Hamburg 1991, S. IX–LVII, hier S. XIII–XIV, S. XX. – Vgl. auch Frédéric Worms: Le vocabulaire de Bergson. Neuausg. Paris 2013, S. 31f. – „D’où vient, en d’autres termes, que tout n’est pas donné d’un seul coup, comme sur la bande du cinématographe? Plus j’approfondis ce point, plus il m’apparaît que, si l’avenir est condamné à succéder au présent au lieu d’être donné à côté de lui, c’est qu’il n’est pas tout à fait déterminé au moment présent, et que, si le temps occupé par cette succession est autre chose qu’un nombre, s’il a, pour la conscience qui y est installée, une
4. „Differentialbilder“
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brochenen Erfindungsgabe, in ihrem ständigen Entstehen. Dies zu erkennen sei dem Menschen jedoch kaum möglich, da dieser aufgrund seiner zweckrationalen Ausrichtung immer auf feste Ziele hin orientiert sei und damit in unbewegten Zuständen und Momentaufnahmen denke, anstatt das in Wirklichkeit andauernde Werden zu erfassen.50 Erst nachdem der Grad einer eigentlich kontinuierlichen Veränderung ausreichend groß geworden sei, werde diese überhaupt registriert.51 Im Zuge seiner Argumentation prägte Bergson die Metapher von der kinematographischen Illusion. So wie ein Filmprojektor aufgrund seiner mechanischen Bewegung eine Reihe statischer Momentaufnahmen in Gang versetze, so würde auch das menschliche Bewusstsein die separat wahrgenommenen Momentschnitte zu einer Folge aufreihen. Da sich aber das Bewegte nicht durch das Unbewegte denken lasse, verfehle man die wahrhaftige Dauer grundsätzlich.52 Bergson ging es mit dem Begriff der „durée“ um die Annäherung an eine intuitiv erfahrbare im Gegensatz zu einer kategorial festgelegten Auffassung von Zeit, die auf dem Prinzip der Teilung beruht.53 Deleuze wiederum identifizierte im Spielfilm Einstellungen, die er als reine Bild-Ton-Gebilde („image optique-sonore pure“) bezeichnete. Diese seien frei von jedweder Metaphorik und dazu geeignet, die Klischees der menschlichen Wahrnehmung zu überwinden, indem ein auf der Handlungsebene sensomotorisch begründeter Sinnzusammenhang aufgebrochen werde. Zeit diene in solchen Szenen nicht mehr als Maßstab von Bewegung, sondern ganz im Gegenteil, das konstant Erscheinende genauso wie Bewegung würden gleichberechtigte Aspekte der Zeit.54 Akzeptiert man die Möglichkeit einer zumindest weitgehend von Darstellungstraditionen unabhängigen, piktorial wirkenden Filmsequenz sowie die ihr zugeschriebene Fähigkeit, die reine Dauer erkennen zu lassen, so bleibt zu klären, ob abgefilmte
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54
valeur et une réalité absolues, c’est qu’il s’y crée sans cesse, non pas sans doute dans tel ou tel système artificiellement isolé, comme un verre d’eau sucrée, mais dans le tout concret avec lequel ce système fait corps, de l’imprévisible et du nouveau. Cette durée peut n’être pas le fait de la matière meme, mais celle de la Vie qui en remonte le cours: les deux mouvements n’en sont pas moins solidaires l’un de l’autre. La durée de l’univers ne doit donc faire qu’un avec la latitude de création qui y peut trouver place.“ Henri Bergson: L’volution créatrice (EA 1941). 11. Aufl. Quadrige u. 1. kritische Aufl. unter der Leitung von Frédéric Worms, Paris 2007, S. 339. Vgl. Henri Bergson: Schöpferische Entwicklung (EA Paris 1907). Übers. aus dem Franz. v. Gertrud Kantorowicz, Ausg. in beschränkter Aufl. in der Reihe Nobelpreis für Literatur, Zürich 1927, S. 275. Vgl. ebd., S. 300. Vgl. ebd., S. 276, S. 297 u. S. 303. Vgl. Kay Kirchmann: Verdichtung, Weltverlust und Zeitdruck. Grundzüge einer Theorie der Interdependenzen von Medien, Zeit und Geschwindigkeit im neuzeitlichen Zivilisationsprozess. Opladen 1998, zugl. Phil. Diss. Univ. Siegen 1996, S. 97 u. S. 108. „Mais, si nos schèmes sensori-moteurs, s’enrayent ou se cassent, alors peut apparaître un autre type d’image: une image optique-sonore pure, l’image entière et sans métaphore […].“ Deleuze 1985, S. 32, vgl. auch S. 37f. – Zusammenfassend formulierte Deleuze: „Au lieu de ,situation motrice-représentation indirecte du temps‘, on a ,opsigne ou sonsigne-présentation directe du temps‘.“ Ebd., S. 357.
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I. DIE BILDHAFT WIRKENDE EINSTELLUNG
lebende Bilder unter diese Kategorie fallen. Denn um einen Wiedererkennungseffekt zu erzeugen, müssen diese bis zu einem gewissen Grad klischeehaft sein. Deshalb können sie das von Deleuze geforderte Kriterium der Autonomie kaum erfüllen, selbst wenn sie sich von einem Bewegungs- oder Handlungszusammenhang ablösen. Die Überlagerung mit einem Erinnerungsbild kann nur von dem realen Werden des Filmbilds ablenken. Die Möglichkeit einer vorkategorialen Erfahrung von Zeit als andauerndem Werden wäre damit in Warhols „Screen Tests“ noch am ehesten gegeben, muss aber spekulativ bleiben. Die von Deleuze angeführte Einstellung aus Ozus Spielfilm ist jedenfalls nicht als abgefilmtes lebendes Bild zu bezeichnen, da sie – zumindest für einen westlichen Betrachter – nicht nur alltäglich wirkt, sondern als unbelebtes Stillleben, als „nature morte“ auch keiner Belebung bedarf. Barcks Anwendung der betreffenden Textstelle aus „Cinéma 2“ auf ihren Untersuchungsgegenstand ist also nicht so schlüssig, wie es zunächst scheint. Festzuhalten bleibt aber ihre Feststellung einer anderen Wahrnehmungsweise des „Differentialbilds“, die auch Spies zu fassen versuchte, indem er mit Imdahl zwischen „sehendem Zeitsehen“ und „gelenktem Zeitsehen“ unterschied.55 Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Tradition des Tableau vivants als Praxis des Bildernachstellens motivisch in eine Gruppe von Arbeiten der Film- und Videokunst Eingang findet. Diese motivische Ebene findet ihre Korrespondenz auf der Produktionsebene, da die jeweiligen Schauspieler für die Kamera über einen gewissen Zeitraum hinweg posieren und dabei stillhalten müssen. Die Dauer reicht von einigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten. Es ist dabei zu unterscheiden, ob es sich wie bei Taylor-Wood um die wie auch immer geartete lockere Wiederaufnahme eines historischen Werks oder einer Werkgruppe handelt, oder ob der Fluss der Bewegung wie bei Leckey und Warhol arretiert wird, ohne dass eine kunsthistorische Anspielung intendiert ist. Ein signifikanter Unterschied besteht zwischen einer Herangehensweise, die auf die Evokation eines Erinnerungsbilds abzielt und einer solchen, die die Präsenz der Aufgenommenen möglichst direkt einzufangen versucht. Während Leckey unter Einsatz von Schauspielern ein privates Zeitdokument inszeniert, steht bei Warhol ein experimenteller Ansatz im Vordergrund, bei dem allenfalls aus Zufall Ergebnisse zustande kommen, die, wie im Falle des „Screen Tests“ von Ann Buchanan, mit Vorbildern der Kunstgeschichte assoziiert werden können. In diesen Fällen kann nicht von abgefilmten Tableaux vivants gesprochen werden. Das Stauen eines dargestellten Bewegungsflusses bleibt nicht ohne Wirkung. Fällt eine solche Einstellung mit der Spielzeit in eins, so überwiegt der Eindruck eines vermeintlich statischen Bilds, das überraschenderweise minimale Bewegungen erkennen 55
Für eine kurze Zusammenfassung vgl. S. 22f.
4. „Differentialbilder“
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lässt. Jedoch handelt es sich bei einem abgefilmten Tableau vivant immer um ein Bewegungsbild, das lediglich unauffällig bleibt. In der Zuschreibung von Leben, die sich in der Metapher vom „lebenden Lichtbild“ niederschlug, spiegelt sich der als gesteigert wahrgenommene Illusionismus des Films. Bei der Rücknahme von Bewegung wird bewusst dessen Überzeugungskraft zugunsten einer ostentativ vergeblichen Arretierung des Flüchtigen vermindert. Zuletzt spiegelt sich darin die Vergänglichkeit des wirklichen Lebens.
II. SIMULTANE ADDITIVE VERFAHREN
1. OFFENE COLLAGE UND VERDECKTE MONTAGE Während die zuvor analysierten Beispiele eine visuelle Angleichung an das statische Bild erfuhren, indem das Maß der Bewegung zurückgenommen wurde, geht es im Folgenden um additive Verfahren, die wie bei einer klassischen Collage oder Fotomontage mehrere Bildquellen simultan auf eine Oberfläche binden. Der Schnitt, der die Sukzession des Bildmaterials ordnet, wird von den betreffenden Künstlern in der Regel nachrangig behandelt oder sogar ganz aufgegeben. Die nun gleichzeitig sichtbaren Bestandteile können dabei verdeckt oder offen montiert sein. Werden bewegte und statische Bilder miteinander kombiniert, so entsteht ein Spannungsverhältnis, das in vergleichbarer Weise abgefilmte lebende Bilder aufweisen. Um Film- oder Videomaterial im Bildraum zu montieren, wird in der Regel das Blue screen- oder Chroma-Key-Verfahren angewandt. Dabei handelt es sich um eine Tricktechnik, die es erlaubt, einen Vordergrund vor einen beliebigen Hintergrund zu setzen. Dieser wird entweder durch Aufnahmen, die gleichzeitig über eine andere Kamera erzeugt werden, oder durch Archivmaterial befüllt. Während des Produktionsvorgangs werden Personen oder Objekte vor einem blauen, manchmal auch grünen Hintergrund gefilmt, der als „Stanzsignal“ für die Definition einer Schablone dient. Aufgrund der farblichen Differenz kann der Vordergrund vom Hintergrund geschieden werden, sofern die Gegenstände des Vordergrunds nicht ebenfalls Blau beziehungsweise Grün enthalten und dadurch auch „durchsichtig“ werden.1 Auch am Computer können solche Schabloniereffekte mit Hilfe von Compositingsystemen generiert und nachbearbeitet werden.2 Elke Bippus und Dirck Möllemann zählten darüber hinaus noch weitere für die Videotechnologie gebräuchliche Verfahrensweisen auf und wiesen darauf hin, dass U-matic bereits 1971 derartige Montagetechniken im halbprofessionellen Bereich ermöglicht habe.3 1 2 3
Vgl. Johannes Weber: Handbuch der Film- und Videotechnik. 8. neu bearb. u. erw. Aufl. Poing 2007, S. 227f. Vgl. Ulrich Schmidt: Digitale Film- und Videotechnik. 3. erw. Aufl. München 2011, S. 222–227. Vgl. Elke Bippus u. Dirck Möllmann: Montage and Image Environments. Narrative Forms in Contemporary Video Art. In: Ursula Frohne, Mona Schieren u. Jean-François Guiton (Hgg.): „Present Continuous Past(s)“. Media Art. Strategies of Presentation, Meditation and Dissemination (= Schriftenreihe der Hochschule für Künste Bremen 2). Wien, New York 2004, S. 62–73, hier S. 67. – „Video assumes the methodological attainments of film montage, but has also developed medium-specific representational methods such as chromakeying, the insert edit, vision mixer, video synthesizer, wipe and similar.“ Ebd., S. 62. – Die Autoren vertieften in ihrem Text die Technik des animierten Films. Außerdem zählten sie Mehrfachprojektionen zu den räumlichen Montageverfahren im Video. Mehrfachprojektionen
1. OFFENE COLLAGE UND VERDECKTE MONTAGE
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Wiesing sprach bei der Analyse von Musikvideoclips von „verfilmten Collagen“, die sowohl auf der Grundlage von Film, Foto, Video, Zeichentrick als auch als Computeranimation bestehen können.4 Anja Oßwald, die die scheinbare Wahllosigkeit von Nam June Paiks Video „Global Grove“ (1973) anhand eines Schnittprotokolls als planvolle Form aufdecken konnte, verwendete den Begriff der „elektronischen Collage“5, Spies, ebenfalls mit Bezug auf Paik, hingegen den der „Videocollage“6. Alle drei Autoren präferierten damit den Begriff „Collage“ vor dem der „Montage“. Zurückzuführen ist dies einerseits auf den Wortgebrauch Paiks, der seine Arbeiten selbst in dem Kontext von Malerei und Collage sah.7 Zum anderen entspricht der Begriff der Collage dem offenen und manchmal sogar bizarren Zusammenspiel vorgefundener Bildelemente aus der Populärkultur.8 Bei der im Folgenden besprochenen Arbeit von David Claerbout besteht jedoch aufgrund der spezifischen Oberflächenästhetik eher ein Bezug zur verdeckten Fotomontage. Deshalb erscheint es angemessener, nicht von Collage, sondern von verdeckter Montage oder, präziser, von verdeckter Bewegtbild-Montage zu sprechen. In Claerbouts „Shadow Piece“ (2005, Abb. 14), einer schwarz-weißen Ein-Kanal-Projektion mit Ton und einer Laufzeit von 30:19 Minuten, die als Endlosschleife abgespielt wird, sieht sich der Betrachter in die Eingangshalle eines öffentlichen Gebäudes aus den 1950er Jahren versetzt. Sein Blick geht von einem gewendelten Treppenlauf herab auf die Glasfront mit einem Ausschnitt des Hallenbodens und damit niveaugleichen Außenbereichs. In Realzeit verfolgt man die gelegentlichen Versuche einer Reihe von Menschen, das offensichtlich geschlossene Gebäude zu betreten. Während sie vergeblich an den Türen rütteln, werden ihre Schatten durch das gleißende Gegenlicht der
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werden in vorliegender Arbeit nicht unter den Begriffen Fotomontage/Collage gefasst, da sie in der Regel weder ein Ineinandergreifen noch eine Schichtung von verschiedenen Bildbestandteilen aufweisen. Die visuelle Überforderung des Betrachters lasse die Oberfläche als eine abstrakte erscheinen. Allenfalls die selbstreflexive Zurschaustellung der eigenen medialen Möglichkeiten werde zum Inhalt. Vgl. Lambert Wiesing: Die Sichtbarkeit des Bildes. Geschichte und Perspektiven der formalen Ästhetik. Reinbek bei Hamburg 1997, S. 172–174. Anja Oßwald: „Electronic Collages“. Paiks Videobänder. In: Wulf Herzogenrath (Hg.): Nam June Paik. Fluxus/Video. Kat. Ausst. Bremen (Kunsthalle) 1999/2000. Bremen 1999, S. 160–171, hier S. 160 u. S. 162. – Dem stimmte auch Spies zu. Vgl. Spies 2007, S. 250f. – Zu der Verwendung des Chroma-Key-Verfahrens bei Nam June Paik vgl. Edith Decker: Paik. Video (= DuMont Dokumente). Köln 1988, zugl. Phil. Diss. Univ. Hamburg 1985, S. 124 u. S. 169f. Spies 2007, S. 264, vgl. auch S. 267–269. – Die Sichtbarkeit der „Videocollage“ sei durch ein wiedererkennendes, sehendes und gelenktes Zeitsehen bedingt. Kurz erklärt werden die Begriffe in der vorliegenden Arbeit auf S. 22f. Vgl. S. 297. Vgl. Lewis Kachur: Art. „Collage“. In: Jane Turner (Hg.): The Dictionary of Art. 34 Bde. Bd. 7. London, New York 1996, S. 557f. – Vgl. Franz Mohn: Arbeitsthesen zur Tagung „Prinzip Collage“. In: Ders. u. Heinz Neidl (Red.): Prinzip Collage. Luchterhand 1968, S. 13f. – Für einen Überblick über die Geschichte der Collage vgl. Herta Wescher: Die Collage. Geschichte eines künstlerischen Ausdrucksmittels. Köln 1968.
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II. Simultane additive Verfahren
niedrig stehenden Sonne in das Innere projiziert.9 Die Szene kann wie eine Spiegelung der Situation des Betrachters gelesen werden. Dieser kann zwar ebenfalls in das Treppenhaus des Gebäudes sehen, es aber nicht körperlich betreten. Allenfalls sein Schatten, den das Licht des Projektors auf die Wand wirft, kann Eingang in die Darstellung finden. Die Arbeit wurde in Ausstellungskatalogen bereits mehrfach mit Bezug auf das Thema Zeit diskutiert. David Green charakterisierte sie als Fotografie, die sich in der Zeit entwickle, aber kein Film sei, und als einen Film, der zwar stillgestellt werde, aber dennoch keine Fotografie darstelle.10 Rudi Laermans konstatierte mit Bezug auf die Rezeptionssituation: „Suddenly, the photograph is no longer photograph. Nor a moving picture.“11 Und Lynn Cooke schrieb Claerbouts Arbeiten ebenfalls eine Grenzstellung zu: „[...] they maintain between being either static or moving images.“12 Wie auch im Falle der im vorherigen Kapitel diskutierten Werke bemerkten die Autoren also einen Antagonismus von Statik und Bewegung, den sie mit den Medien Fotografie und Bewegtbild identifizierten. Die ästhetische Wirkung ist jedoch bei Claerbout aufgrund des spezifischen Werkprozesses und der von ihm verwendeten Medien deutlich von den zuvor besprochenen Filmen und Videos unterschieden. Denn alle unbelebten Stellen bleiben vollkommen unverändert, wohingegen die Bewegung der Menschen entschieden und deutlich ist. Wurde beim abgefilmten Tableau vivant die Disziplinierung des menschlichen Körpers zum Thema, so kommt diesem Aspekt in „Shadow Piece“ keine Bedeutung zu. Claerbout hatte für „Shadow Piece“ eine anonyme Fotografie aus seiner Sammlung digitalisiert und anschließend in ihren oberen Bildteil, der durch den Eingangsbereich ausgefüllt wird, Videosequenzen implementiert, die er in seinem Atelier vor einem neutralen blauen Hintergrund aufgenommen hatte (Abb. 15). Damit verband er das in Fernsehen und Film gängige Blue-Screen-Verfahren mit den Möglichkeiten der digitalen Nachbearbeitung. Schon in den Anfängen der Videokunst hatten Künstler wie Paik und Campus mit der Blue-Box experimentiert, dabei aber bewusst die Regeln räumlicher Illusionsgenerierung missachtet. In Paiks „Chroma Key Bra No. 2“ (1970) 9
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Die Lichtregie solle den Eindruck einer Durchlässigkeit der Architektur verstärken. Üblicherweise jedoch setze Claerbout Licht kompositorisch ein, um einen Verfremdungseffekt zu generieren. Vgl. Marie Muracciole: Le bruit des images. Conversation avec David Claerbout. In: Les Cahiers du musée national d’art moderne 94 (Winter 2005/2006), S. 124–134, hier S. 134. Vgl. David Green: The Visibility of Time. In: Susanne Gaensheimer u. Friedrich Meschede (Hgg.): David Claerbout. Kat. Ausst. München (Lenbachhaus u. a.) 2004, S. 19–43, hier S. 42. Rudi Laermans: The Process of Becoming an Image. In: Kurt Van Belleghem (Hg.): David Claerbout. Video works, Photographic installations, Sound installations, Drawings, 1996–2002. Kat. Ausst. Hannover (Kunstverein) 2002, S. 11–19, hier S. 11. Lynn Cooke: Conversation. In: Van Belleghem 2002, S. 24–66, hier S. 24.
1. OFFENE COLLAGE UND VERDECKTE MONTAGE
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beispielsweise verdeckte die ansonsten nur spärlich bekleidete Cellistin Charlotte Moorman ihre Brüste mit Hilfe zweier Ovale aus Pappe, die mit Klebestreifen am Körper fixiert waren. In diese beiden „Projektionsflächen“ wurde jeweils das gleiche Videobild eingespielt. Die performative Arbeit ist in Paiks Videos „A Tribute to John Cage“ (1973) und „Global Groove“ (1973) dokumentiert. In einem seiner bekanntesten Videos, „Three Transitions“ (1973, Abb. 16), experimentierte Campus über die Dauer von 4:53 Minuten ebenfalls mit der Blue-Box. So schminkte er sich in der zweiten der drei gezeigten Aktionen (Minute 1:31–4:29) scheinbar ein neues Gesicht auf. Der Effekt wurde durch das Auftragen von blauer Farbe erzeugt, in welche abermals das Gesicht des Künstlers eingespielt wurde, das vorher aufgenommen worden war.13 Im Gegensatz dazu setzte Claerbout das Verfahren ein, um die eigens für diese Arbeit neu aufgenommenen Szenen möglichst unbemerkt in die digitalisierte Fotografie einzufügen. Das gewählte Motiv eignete sich dabei aufgrund seiner klaren Linien besonders gut für eine nahtlose Einpassung. Zudem orientierte sich der Künstler bei der Auswahl der Kostüme für die Schauspieler an Filmen aus den 1950er Jahren, woran sein Streben nach einer möglichst perfekten Rekonstruktion festgemacht werden kann. Was Claerbout jedoch absichtsvoll nicht entsprechend manipulierte, sind die Schatten der schmalen Halterungen an den Glastüren und ihrer stabförmig vom Boden hochreichenden Griffe, die nun den paradoxen Effekt einer stillstehenden Sonnenuhr erzeugen. Diese bleiben während der gesamten Spielzeit an der gleichen Stelle stehen, was durch einen Abgleich mit den Fugen der parallel verlaufenden Bodenplatten mühelos überprüft werden kann. Der illusionistische Charakter der Projektion wird so in subtiler Weise gebrochen.14 Bevor der Künstler um 1996 in größerem Umfang den Computer als Werkzeug einzusetzen begann, fertigte er unter anderem Fotomontagen.15 Die damit einhergehenden Prinzipien des Auswählens, Ausschneidens und neu Kombinierens prägten auch seine Herangehensweise bei der Herstellung der Projektionen. Die Technik Fotomontage ist zwar der der Collage ähnlich, doch ist sie in einer anderen Tradition zu verorten. Hanno Möbius datierte ihre Entstehung auf das Jahr 1916 und charakterisierte sie
13
14 15
Vgl. Wulf Herzogenrath: Menschen-Bilder. In: Peter Campus. Video-Installationen, Foto-Installationen, Fotos, Videobänder. Kat. Ausst. Köln (Kölnischer Kunstverein) 1979, S. 8f., hier S. 9. – Sequenzanalyse und Standbilder veröffentlicht in: Ders. u. Barbara Nierhoff (Hgg.): Peter Campus. Analog + Digital. Video + Foto 1970–2003. Kat. Ausst. Bremen (Kunsthalle) 2003, S. 56–61. – Anja Osswald nahm im unter Verwendung des Begriffs des Narzissmus eine ausführliche Analyse der Arbeit vor. Vgl. Anja Osswald: Die zwei Seiten des Spiegels. Three Transitions von Peter Campus. In: Ebd., S. 36–47. Dessen ist sich Claerbout bewusst. Vgl. Muracciole 2005/2006, S. 133. Vgl. David Claerbout. Uncertain Eye. Conversation with Inka Graeve Ingelmann. In: David Claerbout. Uncertain Eye. Kat. Ausst. München (Pinakothek der Moderne) 2010, S. 19–27, hier S. 19.
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II. Simultane additive Verfahren
als eine politisch oppositionelle Bildpraxis im Umfeld der Berliner Dadaisten.16 Verbargen Fotografen wie der dem Piktorialismus zugeordnete Henry Peach Robinson in „Bringing Home the May“ (1862, Abb. 17)17 mit Hilfe von Negativmontagen die Schnittstellen zwischen den einzelnen Bildfeldern, um eine malerisch wirkende Komposition möglichst perfekt nachzuahmen, so stellten Künstler wie George Grosz und John Heartfield Ausschnitte aus den Printmedien antiillusionistisch und mit satirischer Absicht zusammen.18 David Evans wies darauf hin, dass für solche dadaistischen Fotomontagen insbesondere dann, wenn sie einen hohen Anteil an typographischen Elementen enthielten, auch der Begriff Fotocollage gebräuchlich sei.19 Raoul Hausmann soll auf die künstlerische Technik angesichts von kolorierten Lithographien in Privatwohnungen gekommen sein, die das immer gleiche Bild eines Soldaten vor Baracken stehend zeigten, dessen Gesicht jeweils durch ein fotografisches Portrait überklebt worden war.20 Die Bezeichnung „Monteur“ diente, wie Hausmann betonte, nicht nur der Abgrenzung vom romantischen Begriff des Künstler-Genies, sondern signalisierte auch eine Nähe zur Technologie und den sich damals etablierenden Ingenieurswissenschaften.21 Offene im Gegensatz zu verdeckten Fotomontagen, genauso wie Collagen, erfordern es in der Regel, eine Vielzahl von über- und nebeneinandergeklebten Bildfragmenten zu erfassen sowie diese in einen Sinnzusammenhang zu bringen. In Hausmanns „Dada im gewöhnlichen Leben (Dada Cino)“ (1920, Abb. 18), einer Mischform aus Fotomontage und Collage auf 31,7 x 22,5 cm großem blauem Papier, gruppieren sich Text- und Bildausschnitte ringartig um ein Zentrum, wobei die Schriftzüge „dada cino“ und „Dada siegt“ auf der obersten Ebene deutlich lesbar heraustreten. Der Blick kreist beim Erfassen der dahinterliegenden Ebene von Fragment zu Fragment und versucht, die Einzelteile und die mit ihrer Herkunft verbundenen Bedeutungen zu einem Sinnganzen zu fügen. So ergänzt man beispielsweise nach einer Weile das zentral gesetzte „M RICA“ zu dem Wort „AMERICA“ und setzt es unwillkürlich mit dem Hochhaus im Bildelement links oben in Beziehung – einer in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ vom 2. Mai 1920 abgedruckten Aufnahme des Woolworth-Buildings am Broadway in Manhattan, 16
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Dahingegen wurde der Begriff Collage („papiers collés“) im Kontext der kubistischen Malerei in Frankreich geprägt. Vgl. Hanno Möbius: Montage und Collage. Literatur, bildende Künste, Film, Fotografie, Musik, Theater bis 1933. München 2000, S. 17. – Als erste Collage gilt Pablo Picassos „Stillleben mit Rohrstuhlgeflecht“ (1912), die in einem intensiven Austausch mit Georges Braque entstand. Vgl. Petrus Schaesberg: Das aufgehobene Bild. Collage als Modus der Malerei von Pablo Picasso bis Richard Prince. München 2007, S. 33–39 u. S. 49. Für eine Beschreibung der verdeckten Montage bei „Bringing Home the May“ vgl. Margaret F. Harker: Henry Peach Robinson. Master of Photographic Art 1830–1901. Oxford 1988, S. 34–38. Vgl. Möbius 2000, S. 209f. u. S. 214. Vgl. David Evans: Art. „Photomontage“. In: Jane Turner (Hg.): The Dictionary of Art. 34 Bde. Bd. 24. London, New York 1996, S. 685f. Vgl. Raoul Hausmann: Courrier Dada. Paris 1958, S. 42. Zitiert nach: Evans 1996, S. 685. Vgl. Möbius 2000, S. 212.
1. OFFENE COLLAGE UND VERDECKTE MONTAGE
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das, zwischen 1910 und 1913 erbaut, architektonische Maßstäbe setzte.22 Es lässt sich aber kaum mit der in Untersicht und mit keckem Lächeln gezeigten Schlittschuhläuferin oder dem Textschnipsel „Meer der Theosophie“ vereinbaren, sodass die Suche nach Sinnzusammenhängen weitergeht. An diesem Beispiel wird Hausmanns Bezeichnung „statischer Film“ für die Montage verständlich.23 In „Dada im gewöhnlichen Leben (Dada Cino)“ überführt der Vorgang des Sehens die einzelnen Bilder in eine Abfolge. Wird dieses Prinzip wie bei Paik und Campus auf das Medium Video übertragen, geraten mehrere Arten des „Zeitsehens“, wie Spies herausarbeitete, besonders stark miteinander in Konflikt.24 Claerbouts Arbeit hingegen besteht aus der verdeckten Montage zweier Elemente und entspricht in dieser Hinsicht eher einem Vorgehen, wie es bei Robinson oder den von Hausmann erwähnten überklebten Lithographien zu finden ist. Dabei evozieren die Fugenlosigkeit der Einpassung, die Rekonstruktion der zeitspezifischen Mode und der lebensnahe Abbildungsmaßstab eine scheinbare Belebung des Vergangenen. Es braucht kaum betont zu werden, dass sich zwischen den hier als verdeckt oder offen beschriebenen Montageverfahren die verschiedensten Spielarten behaupten. So imitieren einige Arbeiten die hypermediale Oberflächenästhetik gängiger Ausgabeformate am Computer-Monitor. Dies ist in den Arbeiten von Ryan Trecartin häufig der Fall. In seinem knapp zwölf Minuten langen Video „Temp Stop (Re’Search Wait’S)“ (2009–2010) beispielsweise werden in der ins Extreme getriebenen Ästhetik eines digital generierten Vorspanns für Fernsehnachrichten bis zu 18 Videoclips gleichzeitig nebeneinander oder sich gegenseitig überlappend abgespielt (Minute 8:18–9:05). Akram Zaataris zweikanalige Film- und Videoinstallation „Letter to a Refusing Pilot“ (2013) – das Video dauert 45 Minuten, der 16-mm-Film läuft als Endlosschleife – hingegen wird durch das Abfilmen separater nebeneinandergelegter Medien „multimedial“. So werden im Video ein iPad, das ein historisches Video zeigt, und alte Fotografien so auf einem formatfüllend und frontal von oben aufgenommenen Leuchtkasten arrangiert, dass bewegtes Bild und – zeitweise animierte – Fotografien auf einer Ebene gebunden erscheinen.
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Hanne Bergius hat einige der Bildquellen in diesem Werk identifiziert. Vgl. Hanne Bergius: Montage und Metamechanik. Dada Berlin – Artistik von Polaritäten (= Schriftenreihe Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design Halle 4). Berlin 2000, S. 76. Vgl. Raoul Hausmann: Fotomontage (EA 1931). In: Ders.: Sieg Triumph Tabak mit Bohnen. Texte bis 1933 (= Frühe Texte der Moderne). Hg. von Michael Erlhoff. 2 Bde. Bd. 2. München 1982, S. 130–132, hier S. 130. Zur Unterscheidung zwischen den drei von Spies definierten Arten des Zeitsehens vgl. Spies 2007, S. 29f. – Für eine kurze Zusammenfassung vgl. auch S. 22f. in vorliegender Arbeit.
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II. Simultane additive Verfahren
2. INTERMEDIALITÄT Die irritierende Ästhetik von „Shadow Piece“ basiert vor allem auf seiner intermedialen Verfasstheit. Diese wird regelrecht ausgestellt und erlangt dadurch sinnbildende Qualität. In der schriftlich niedergelegten Rezeption des Werks werden dementsprechend nicht nur Stillstand und Bewegung, sondern auch die im Werk angesprochenen Medien mit bestimmten Vorstellungen von Zeit verbunden. So stellt ein Großteil der Kritiken den Zusammenhang zu Roland Barthes’ Ausführungen über Fotografie her, wobei insbesondere auf dessen Konzept des „punctum“ Bezug genommen wird.25 Aber auch die Konstruktion von Antagonismen, die aus der als unterschiedlich aufgefassten zeitlichen Wahrnehmung von Fotografie, Erzählfilm und computergenerierter Ausgabe abgeleitet werden, lassen sich in der Diskussion über Claerbouts Werk finden. In „Camera Lucida“ betonte Barthes für die dokumentarische Fotografie, dass sie einen Lichtabdruck darstelle, der die Realität des darauf Abgebildeten bezeuge, diese Realität jedoch eine unwiederbringlich vergangene sei. Nicht ohne Pathos konnte der Autor deshalb behaupten, dass Fotografie mit dem bildhaften Konservieren eines Moments zugleich den Tod in sich berge: Ce punctum, plus ou moins gommé sous l’abondance et la disparité des photos d’actualité, se lit à vif dans la photographie historique: il y a toujours en elle un écrasement du Temps: cela est mort et cela va mourir. Ces deux petites filles qui regardent un aéroplane primitif au-dessus de leur village [...], comme elles sont vivantes! Elles ont toute la vie devant elles; mais aussi elles sont mortes (aujourd’hui), elles sont donc déjà mortes (hier).26
Die Fotografie wird metaphorisch als Totenmaske bezeichnet, die die vergangene Anwesenheit genauso bezeuge wie die aktuelle Abwesenheit. Das „punctum“ nun bezeichne eine Stelle in einer beliebigen Fotografie, die in unvorhergesehener Weise an den persönlichen mentalen Bildervorrat des Betrachters anschließe und ihn dadurch emotional und persönlich anspreche, ja, „besteche“. Diese Ansprache verursache ein Gefühl des Schmerzes und der Lust. Unwillkürlich belebe der Betrachter mit Hilfe seiner Imaginationskraft die Fotografie und erzeuge mental etwas, das im Bild eine mit dem „punctum“ einhergehende Leerstelle ausfülle. Geradezu „gespensterhaft“ trete das Motiv, oder ein Teil davon, aus dem Bild heraus. Das „punctum“ aber sei nicht inszenierbar. 25
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Vgl. Bellour 2008, S. 37. – Vgl. Françoise Parfait: Cloudy, Becoming Mostly Sunny by Late Afternoon. In: Van Assche 2008, S. 25–29, hier S. 27. – Vgl. Dirk Snauwaert: Bordeaux Piece, 2004. In: Ebd., S. 30–35, hier S. 32. – Vgl. Laermans 2002, hier S. 18. Roland Barthes: La chambre claire. Note sur la photographie (EA 1980). Neuaufl. Paris 1990, S. 150f.
2. Intermedialität
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Sein Auftreten müsse notwendigerweise dem Zufall einer Werk-Betrachter-Konstellation überlassen bleiben.27 In der Sprache Barthes’ könnte die Auswahl, die Claerbout traf, zwar durch eine „bestechende“ Erfahrung vor dem Bild motiviert gewesen sein und er das „gespensterhafte“ Hervortreten seiner Bestandteile buchstäblich ins Werk gesetzt haben. Ob dadurch aber auch die Betrachter von Claerbouts Werk notwendigerweise wieder eine solche Erfahrung machen, ist fraglich. Laermans schlug vor, dass die Ansprache des Betrachters durch direkten Blickkontakt in manchen Werken Claerbouts dessen, freilich inszenierte, Involvierung bewirke. Geringe Lichtintensität oder geringfügige Bewegungen verursachten eine Verlängerung des Perzeptionsvorgangs und begünstigten dadurch ebenfalls eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Werk.28 Diese Argumente vermögen jedoch nicht zu überzeugen, wenn man Barthes’ radikale Subjektivierung der Rezeption ernst nimmt. In einem Interview mit Lynne Cook beschrieb der Künstler die ästhetischen Eigenschaften, die seiner Ansicht nach Fotografie und Film voneinander unterschieden. Diese Unterschiede sah er auch bei einer Nachbearbeitung am Computer gegeben:29 Fotografien – hier meint Claerbout den fotografischen Abzug – wiesen eine haptische Qualität auf, insofern man jederzeit Zugriff auf sie habe und sich meditativ in sie versenken könne. Film hingegen verfüge über eine atmosphärische Qualität. Im Gegensatz zur Fotografie sei er durch ein lineares Vorwärtsstreben geprägt. Diese Ruhelosigkeit („nervosité“), die jede augenblickliche Reflexion des Einzelbilds verhindere, wurde von Claerbout, in Übereinstimmung mit Barthes, bei mehreren Gelegenheiten kritisiert und der angeblichen Nachdenklichkeit („pensivité“) der Fotografie gegenübergestellt.30 Aus diesem Grund verweigere er, Claerbout, sich auch einem cineastischen Erzählen. Der Betrachter solle nicht in einen Immersionsraum eintauchen, sondern seiner selbst und seiner Zeitempfindung – der Künstler insistierte auf dem Bergson’schen Begriff der „durée“ – bewusst werden. Auch wolle er keine filmisch festgelegte Bildabfolge aufzwingen: 27 28 29
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Vgl. ders.: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie (EA Paris 1980). Übers. aus dem Franz. v. Dietrich Leube, Frankfurt am Main 1985, S. 36, S. 57 u. S. 68. Vgl. Laermans 2002, S. 18f. Claerbout: „[...] film has, almost by definition, something to do with progress. The camera registers one frame after the other, its goal is the synchronisation of still frames to evoke the illusion of motion as seen by the human eye, in the blink of an eye. Beneath the footage which appears most calm lies the nervosity of film itself. Photography, on the other hand, offers a certain peace – through the possibility that all parts of the image may be examined, and the knowledge that one can always dispose it. Whereas film is atmospheric, photography may be compared to a skin that can be touched. [...] what becomes of the image as it is processed by one and the same electronic signal from its encoding to its output as a video- or data-projection? As the flattening through digital media continues, the basic concepts of photography and film remain valid. In the flattened zone between them I try to do my work.“ Cooke 2002, S. 42. Zur Verwendung des Begriffs „nervosité“ durch Claerbout vgl. Bellour 2008, S. 36.
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II. Simultane additive Verfahren
Pour revenir à la question du temps comme construction de l’espace, j’espère vraiment que la durée – et je regrette que l’on parle de lenteur à propos de mes films – est un facteur de corrosion de la position autoritaire du narrateur qui veut ,diriger‘ le regard. J’ai besoin d’ouvrir le regard et pour cela le temps est mon outil, affectant l’espace dans lequel le spectateur est situé à ce moment-là.31
In der Verweigerung einer Narration will Claerbout die eigene künstlerische Autorität zurückgenommen wissen. Dahinter steht die poststrukturalistische Behauptung vom „Tod des Autors“, wie sie Barthes in seinem gleichnamigen Aufsatz 1967 formuliert hatte.32 Auch scheint in Claerbouts Äußerung die Rückweisung einer ideologischen Manipulation des Zuschauers durch das Kino mitzuschwingen, wie sie wohl am prominentesten in der seit 1976 diskutierten Apparatus-Theorie Jean-Louis Baudrys formuliert wurde.33 Die Freilegung eines individuellen Zeitempfindens stehe dabei in Opposition zu einem Zeitdiktat, wie es sich im Zuge der Industrialisierung herausgebildet habe und das auch den gleichzeitig entstandenen Film durchdringe. So formulierte der Künstler in einem Interview mit Marie Muracciole: Le cinéma est un développement technologique qui coïncide avec la révolution industrielle et l’invention de l’atomisation du temps. De manière symptomatique, il propose un temps compté, uniformisé, le même pour tous à tout instant.34
Auf diesen wiederholt auch von anderen Künstlern genannten Punkt wird bei einer anderen Gelegenheit noch ausführlicher einzugehen sein.35 Festzuhalten bleibt, dass Bergsons vorkategorial gedachter Zeitbegriff gegen eine bestimmte kategoriale Auffassung, die als autoritär begriffen wird, ausgespielt wird. Die „pensivité“ der Fotografie soll dabei eine Befreiung des Blicks ermöglichen, der die Oberfläche nun in selbstständiger und unvorhersehbarer Weise abtastet. Der in „Shadow Piece“ gegebene Informationsträger ist jedoch weder der Lichtabdruck einer analogen Fotografie noch das in den Filmprojektor eingespannte Zelluloidband, sondern die digitale Datei. Sie begründet die eigentliche zeitliche Struktur der 31 32
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Muracciole 2005/2006, S. 133. Vgl. Roland Barthes: The Death of the Author. In: Aspen 5/6 (Herbst/Winter 1967). URL: http://www.ubu.com/aspen/ aspen5and6/index.html (Stand: 5.7.2017). – In der Online-Dokumentation ist der Text unter „item 3“ registriert. Insgesamt setzt sich die Medienkombination aus 28 Bestandteilen zusammen. Darunter befinden sich Filme und Schallplatten. Vgl. Jean-Louis Baudry: The Apparatus. In: Camera obscura 1 (1976), S. 104–126. – Vgl. ders.: Ideological Effects of the Basic Cinematographic Apparatus. In: Film Quarterly 28/2 (1974), S. 39–47. Muracciole 2005/2006, S. 130f. Dieser Aspekt spielt beispielsweise in Pierre Huyghes „Atlantic“ (1997) und Stan Douglas’ „Journey into Fear“ (2001) eine Rolle. Die Arbeiten werden diesbezüglich vor allem auf S. 169 (Huyghe) und S. 180–183 (Douglas) besprochen.
2. Intermedialität
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Arbeit. Die aus ihr mit Hilfe von Programmen generierte Bildausgabe setzt sich aus Pixeln zusammen, deren Grauwerte sich je nach Codierung im Lauf der Spielzeit verändern oder gleich bleiben. Daraus leitete Claerbout eine grundsätzlich statische Verfasstheit der digitalen Bildausgabe ab,36 obwohl das Bild selbst ständig neu erzeugt wird.37 Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass der Computer in „Shadow Piece“ zwar eingesetzt wird, um den Eindruck einer verlebendigten Fotografie zu schaffen,38 er jedoch nicht, wie in den späteren Werken „Sections of a Happy Moment“ (2007) oder „The Algiers’ Sections of a Happy Moment“ (2008), als Werkzeug offensichtlich wird,39 sieht man von der gleichbleibenden Position des abgebildeten Schattens ab, der auf die Künstlichkeit der Darstellung verweist. Das bei „Shadow Piece“ mit Hilfe des Computers erzeugte Miteinander von Fotografie und Bewegtbild impliziert andere Kontexte, als es bei den zuvor besprochenen, ebenfalls intermedialen Arbeiten von Warhol, Taylor-Wood oder Leckey der Fall ist. Dies ist den unterschiedlichen Motiven, dem Verweis auf andere Bildmedien und der jeweiligen technischen Umsetzung geschuldet. Im Gegensatz zu den genannten Positionen wird bei Claerbout die negierende Referenz auf das Erzählkino bedeutsam, da die Charaktere einerseits auf der Sichtung historischer Spielfilmsequenzen basieren und deshalb an Film denken lassen, sich andererseits aber nicht entwickeln. Sie erscheinen lediglich für einen kurzen Auftritt in der digitalisierten Fotografie, sichtbar als spezifische vom Programm ausgegebene Grauwerte. Dabei verhindert die verschlossene Glastür den Beginn einer Erzählung genauso sehr wie es der Blick durch sie hindurch verheißt. Die Verweigerung von Narration zugunsten der Darstellung von echtzeitlicher Bewegung erlaubt dem Betrachter zwar eine vergleichsweise meditative Betrachtungsweise und schwächt den Immersionsraum, die Animation der digitalisierten Foto36
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Claerbout: „Tout d’abord, le numérique engendre une forme de statisme, les pixels s’additionnent au lieu d’un surface en fuite, comme dans la pellicule. Et la main – celle du monteur – en est absente: cette immatérialité de l’image me plaît. Avec le numérique, le spectre de la valeur probatoire de l’image s’éloigne encore un peu plus: l’enregistrement d’événements, que ce soit au sens journalistique ou pas, n’est plus la preuve du réel. Il invente une mémoire du réel.“ Muracciole 2005/2006, S. 131. Darauf weist Wolfgang Ernst hin, der die minimale Bewegung der Blätter eines solitären Baums in „Ruurlo, Borculoscheweg, 1910“ (1997) als einen selbstreferentiellen Verweis auf den andauernden Schreibvorgang der Elektronik sieht. Vgl. Wolfgang Ernst: Gleichursprünglichkeit. Zeitwesen und Zeitgegebenheit technischer Medien. Berlin 2012, S. 187. Vgl. Stephan Urbaschek: Die Bilder entstehen in einem Blick, der nach einem neuen und persönlichen Einblick sucht. Sie sind die Bilder dessen, der auf die Welt blickt. In: Ingvild Goetz u. Gregor Jansen (Hgg.): Imagination becomes Reality. Conclusion. 6. Bde. Bd. 6. Kat. Ausst. Karlsruhe (Zentrum für Kunst- und Medientechnologie/Museum für Neue Kunst). München 2007, S. 78–88, hier S. 84. Für eine Analyse der beiden Arbeiten vgl. Bellour 2008. – Für zahlreiche Produktionsaufnahmen von „The Algiers’ Sections of a Happy Moment“ vgl. David Claerbout. The Time that Remains. Kat. Ausst. London (Parasol unit u. a.). Antwerpen 2012, S. 34–81. – Die Reihe der Fotografien entfaltet einen Moment, den es nie gegeben hat. Vgl. Joanna Lowry: Modern Time. Revisiting the Tableau. In: Jan Baetens, Alexander Streitberger u. Hilde Van Gelder (Hgg.): Time and Photography (= Lieven Gavaert Series 10). Leuven 2010, S. 47–64, hier S. 59–62.
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II. Simultane additive Verfahren
grafie suggeriert aber auch die Wiederbelebung von unwiederbringlich Vergangenem. Im Grunde genommen tauscht Claerbout also einen Illusionseffekt gegen den anderen ein. Die den Theorien Barthes’ entliehenen Begriffe „punctum“, „pensivité“ und „nervosité“ sind vor allem im Sinne einer Rezeptionsgeschichte zur Kenntnis zu nehmen. Sie adeln die Arbeit nicht nur durch Theorie, sie laden sie auch sentimental und moralisch auf.
3. DAS ABGEFILMTE PALIMPSEST Eine weitere Form der Annäherung zwischen statischem und bewegtem Bild ergibt sich durch die Überlagerung verschiedener Bildquellen. In Film und Video sind Doppelbelichtung und Überblendung gängige Beispiele einer solchen Praxis. Einen Sonderfall stellen dabei die animierten Filme William Kentridges dar. Sie entstehen im schrittweisen Abfilmen des künstlerischen Werkprozesses, der sich auf diese Weise in Bildläufe auffaltet und im Zeitraffer anschaulich wird. Dass eine Bildoberfläche programmatisch zum Index für den Schaffensprozess werden kann, ist insbesondere von den Action Paintings Jackson Pollocks, beispielsweise aber auch von den Tafelbildern Cy Twomblys bekannt.40 Das Unter- und Übereinander der Farbschichten und der in ihnen deutlich sichtbare Gestus implizieren eine werkspezifische zeitliche Dimension, die im Vorgang des betrachtenden Erschließens ihr Pendant findet. Bei Kentridge verbindet sich solches mit dem Entstehen einer narrativ angereicherten Bildentwicklung. Die Analyse konzentriert sich auf „Tide Table“ (2003, Abb. 19), einen 8:53 Minuten lang andauernden animierten 35-mm-Film des Künstlers, der am Ende eines Werkkomplexes der Jahre 1988 bis 2003 steht. Wie es für die Arbeiten dieser Gruppe allgemein typisch ist, besteht auch „Tide Table“ aus sukzessiv veränderten und dabei schrittweise abgefilmten Kohlezeichnungen, hier neun an der Zahl. Von den beiden Charakteren „Soho Eckstein“ und „Felix Teitlebaum“, die bei Kentridge wiederholt als Repräsentanten einer kapitalistisch rationalen und einer poetischen Weltsicht auftreten, ist in „Tide Table“ lediglich Ersterer einbezogen. Die im Titel angesprochene Gezeitentafel meint dabei nicht nur deren motivisches Erscheinen in der Animation oder die Bewegungen von Ebbe und Flut am Strand, an dem der Großteil der Szenen situiert ist, sondern kann auch auf die Rhythmen von Geburt, Altern und Sterben bezogen wer40
Mit Bezug auf die Literatur kurz zusammengefasst in: Ruth Langenberg: Cy Twombly. Eine Chronologie gestalteter Zeit (= Studien zur Kunstgeschichte 119). Hildesheim, Zürich, New York 1998, zugl. Phil. Diss. Univ. München 1997, S. 41.
3. Das abgefilmte Palimpsest
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den. Die Lebensstufen werden motivisch als Gegensätze von Kind und erwachsenem Mann, Taufe und Totenklage ins Bild gesetzt und erhalten gewissermaßen als ihre Attribute ein behütendes Kindermädchen oder eine sorgende Krankenschwester. Die assoziativ und mitunter sprunghaft aufeinanderfolgenden Sequenzen finden in der Untermalung durch Umgebungsgeräusche und afrikanische wie klassische Musik eine atmosphärische Resonanz. Das akustische Kontinuum begünstigt auch das Wahrnehmen von Zusammenhängen auf der visuellen Ebene. Eine Thematisierung von Zeit ist in Kentridges Schaffen immer wieder festzustellen. So reflektierte die auf der documenta 13 gezeigte Mehrfachprojektion „The Refusal of Time“ (2012) unter anderem aus einer postkolonialen Warte heraus den Vereinheitlichungsdruck, der 1884 durch die weltweite Durchsetzung der Zeitzonen erzeugt wurde.41 Mit Bezug auf diese wie auch frühere Arbeiten wäre es aber zu kurz gegriffen, das Thema Zeit ausschließlich thematisch und motivisch verarbeitet zu sehen, auch wenn Arbeiten wie „Stereoscope“ (1999) immer wieder Instrumente der Zeitmessung zeigen, oder wenn wie in „Zeno Writing“ (2002) auf das Zenon’sche Pfeilparadox angespielt wird, dies allerdings gebrochen über die literarische Vorlage des von Italo Svevo verfassten Romans „La Conscienza di Zeno“ (1923). Grundlegender ist auch hier zu fragen, welcher Aspekt von Zeitlichkeit durch die Arbeitsweise des Künstlers und die daraus hervorgekommene visuelle Form zum Tragen kommt.42 Anders als bei dem Verfahren des klassischen Zeichentrickfilms, bei dem die sich bewegenden Elemente einer Szene nicht auf die Hintergründe, sondern auf Folien gezeichnet wurden, verwendete Kentridge für seine Animationen pro Schauplatz jeweils immer nur ein Blatt Papier. Anstatt mit einer transparenten Schicht zu arbeiten, griff er mit dem Radiergummi und durch Überzeichnung in die Komposition ein. Um eine bewegte Figur zu erzeugen, entfernte er beispielsweise deren Gliedmaßen, um sie leicht versetzt neu anzulegen. Jeden einzelnen Zustand des Blatts nahm der Künstler sofort als zwei Einzelbilder mit einer 35-mm-Filmkamera auf. Das ausgewählte Zeichenmit41
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Die durch Zweckrationalität geprägte Gliederung und Überwachung von Zeit treibe, so Kentridge, den Menschen gewaltsam zum Lebensende hin. Dagegen gelte es sich zu wehren. Formal integrierte der Künstler verschiedene Animationstechniken und Motive, mit denen er im Laufe seines Schaffens bereits experimentiert hatte, zu einem rhythmisch aufgefassten Ganzen. Vgl. die anlässlich der Präsentation des Werks auf der documenta 13 als separater Band herausgegebenen Abbildungen der Zeichnungen mit begleitendem Text in William Kentridge u. Peter L. Galison: The Refusal of Time. In: Carolyn Christov-Bakargiev (Hg.): 100 Notes – 100 Thoughts. Documenta (13). 101 Bde. Bd. 9. Ostfildern 2011. – Auch veröffentlicht als: Dies.: Die Ablehnung der Zeit. In: Documenta 13. Das Buch der Bücher. 3 Bde. Bd. 1. Kat. Ausst. Kassel. Übers. aus dem Engl. v. Nicolaus G. Schneider, Ostfildern 2012, S. 112–120. – Vgl. Peter Galison u. William Kentridge: Give us back our Sun. In: Peter Galison u. a. (Hgg.): William Kentridge. The Refusal of Time. Paris 2012, S. 157–164, hier S. 157. Für einen Beleg, dass sich das Thema Zeit aus dem Werkprozess heraus entwickelte, vgl. William Kentridge. Thinking Aloud. Gespräche mit Angela Breidbach (= Kunstwissenschaftliche Bibliothek 28). Übers. aus dem Engl. v. Brigitte Kalthoff, Köln 2005, S. 39.
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II. Simultane additive Verfahren
tel Kohle erlaubt Schnelligkeit und Deutlichkeit, lässt sich aber nicht vollständig entfernen. So blieben helle Schatten im Papier stehen, die das etappenweise Entstehen der Animation sichtbar vor Augen führen. Angela Breidbach veröffentlichte 2005 Gespräche mit Kentridge, die detailliert Auskunft über den Schaffensvorgang geben. Es wird deutlich, dass seine animierten Filme in einem offen angelegten Prozess entstehen, ohne Storyboard und ohne Drehbuch, aber durchaus schon die ersten 20 Sequenzen locker konzipierend. Der Künstler fertige Bildstrecken auf mehreren Zeichenblättern zugleich und plane mögliche Anschlüsse.43 Er verglich sein Vorgehen dabei mit der mündlichen Rede. Nur selten sei es so, dass ein Satz bereits vorformuliert sei, bevor er geäußert werde. Vielmehr bildeten sich die Sätze während des Sprechens von selbst. Auch die Animationen entstünden zu einem großen Teil in Reaktion auf die jeweils bestehende Zeichnung.44 Um die Kamera zu bedienen, nehme Kentridge nach jeder Modifikation Abstand vom Bild. Der Wechsel zwischen Nahsicht und Fernsicht sowie die dazwischenliegenden Wegstrecken bedingten den Arbeitsprozess dabei wesentlich. So setze der Künstler beim Abstandnehmen seine Assoziationskraft ein. Er erkenne etwas in dem Gezeichneten, das die Handlung möglicherweise weiter bestimmen werde.45 In dieser Hinsicht erinnert Kentridges Herangehensweise an surrealistische Arbeitstechniken, wie das automatische Zeichnen bei André Masson oder die Frottagen und Grattagen bei Max Ernst.46 „Automatic Writing“ lautet auch der Titel einer ebenfalls 2003 entstandenen Animation. In den abgefilmten Zeichnungen manifestiert sich die Technik des Assoziierens formal besonders dann, wenn Motive unvermittelt entstehen oder sich verwandeln. Die einzelnen Szenen haften dabei weniger durch die Dramaturgie einer Erzählung, sondern durch Leitmotive und durch formal angestoßene Transformationen aneinander. All dies führt zu einem traumartigen, aufgrund der Gewalttätigkeit der Darstellungen nicht selten albtraumhaften Eindruck, zu dem das Schwarz-Weiß der Zeichnungen das Seinige beiträgt. So schlägt die beschwingte Atmosphäre in „Tide Table“ um, als sich im Inneren einer Strandhütte aus einzelnen sich schlängelnden Linien ein Rind bildet, das dann 43 44
45 46
Vgl. ebd., S. 59 u. S. 63. „Es gibt ein Vorstrukturieren und Aussenden von Sprachstücken in die Welt, das, denke ich, der Animation ähnelt. Wenn ich angefangen habe, vertraue ich darauf, dass genauso, wie sich Hirn und Zuge zusammentun, um am Ende eines Satzes einen mitteilbaren Sinn auf die Welt zu bringen, ein ähnlicher Prozess in der Sequenz des Zeichnens stattfinden wird.“ Ebd., S. 109f. – Rudolf Frieling stellte einen Bezug zu Heinrich von Kleists bekanntem Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (1805) her. Vgl. Rudolf Frieling: Walking and Looking. Technology and Agency in William Kentridge’s Film Work. In: Mark Rosenthal (Hg.): William Kentridge. Five Themes. Kat. Ausst. San Francisco (Museum of Modern Art). New Haven, London 2009, S. 154–169, hier S. 166. Vgl. ebd., S. 68 u. S. 73. Vgl. Clark V. Poling: André Masson and the Surrealist Self. New Haven, London 2008, S. 43–46. – Für eine Definition von Frottage und Grattage mit einer Anwendung auf das Werk Max Ernsts vgl. Werner Spies: Max Ernst. Frottagen. Stuttgart 1986, S. 6–9.
3. Das abgefilmte Palimpsest
59
durch Stricke wie bei einer Folter auseinandergerissen wird, um schließlich ausgeweidet von der Decke zu hängen (Minute 3:30–3:50). Das Schlussbild der Sequenz gleicht dem Rembrandt zugeschriebenen Gemälde vom geschlachteten Ochsen (um 1643). Häufig gewinnen einzelne Linien an Eigendynamik, verwandeln sich wie in „Stereoscope“ in sich energisch den Weg bahnende elektrische Leitungen und Telefonkabel oder treten aus dem Buchstaben- und Zahlengewirr einer Zeitung als neue Formation hervor, genauso wie ein Werk der Kunstgeschichte während des Schaffensprozesses automatisch aus dem persönlichen Gedächtnis aufscheint und an das kollektive anschließt. Kentridge betonte allerdings, dass es ihm nicht um das Hervorholen von Traumbildern oder gar kollektiven Bildern ginge, sondern vielmehr um die Frage, auf welche Art und Weise man träume.47 Der Zusammenhang der Motive, die Art der Anschlüsse und Metamorphosen steht demzufolge im Vordergrund des künstlerischen Konzepts. Nicht zuletzt bestimmen auch zeitökonomische Notwendigkeiten das visuelle Erscheinungsbild. Die Arbeitsdauer für eine Animation wie „Tide Table“ beträgt etwa neun Monate. Umgerechnet setzt Kentridge also durchschnittlich eine Minute Film pro Monat um, ein hoher Aufwand, der eine kondensierte Bildsprache begünstigt. Der Künstler erklärte dies am Beispiel eines sich in Variationen wiederholenden Motivs aus „Tide Table“, in dem der Protagonist am Strand einen Stein aufhebt und ins Wasser wirft (Minute 2:55, 7:30 und 8:00, Abb. 19). Hätte er die Figur noch einmal zurück über die Schulter blicken oder drei statt zwei Schritte machen lassen, so wären aus einem Arbeitstag fünf Tage geworden. Dies jedoch hätte das Zeitbudget gesprengt.48 Auch an die naturgetreue Nachahmung von Handlung geht Kentridge pragmatisch heran. So verwendet er häufig sich selbst als Studienobjekt, indem er im Spiegel bestimmte Bewegungsabläufe nachstellt oder diese mit der Videokamera aufnimmt. Dabei legt er besondere Aufmerksamkeit auf die Veränderung der Geschwindigkeit, also darauf, an welcher Stelle sich eine Bewegung beschleunigt oder verlangsamt. Da der Arbeitsprozess gegenüber der Laufzeit der Animation stark gedehnt ist, kann der natürliche Bewegungsfluss des Dargestellten nicht mehr rein intuitiv umgesetzt werden. Die notwendige Menge der Einzelbilder pro Sequenz wird deshalb berechnet: Und ein großer Teil der Bewegung [...] entsteht, indem ich mit der Stoppuhr herumlaufe und mir sage: ‚Also, der Mann macht zwei Schritte, hebt einen Stein auf und wirft ihn. Wie fühlt sich das an?‘ Ich habe die Aktion ausgeführt, die Zeit gestoppt, geworfen, und dann die Zahl der Einzelbilder ausgerechnet: es sind zweieinhalb Sekunden, also zweiundsechzig Bilder. Der erste Teil umfasst also vierzig Bilder … Ich ziehe manchmal eine Linie auf ein Blatt Papier 47 48
Vgl. William Kentridge. Thinking Aloud 2005, S. 111. Vgl. ebd., S. 60.
60
II. Simultane additive Verfahren
und weiß: das wird so ungefähr der Weg meines Arms sein, das sind vierzig Bilder; für den nächsten Teil der Bewegung brauchen wir dann zweiundfünfzig … es ist also ein Aufteilen der Zeit in sehr einfache grafische Sequenzen.49
Wenn sich die Höhe der Geschwindigkeit aus dem Verhältnis von Wegstrecke zu Zeitdauer bemisst, so geschieht eine möglichst illusionistische Nachahmung von Bewegung durch die Übertragung dieses Verhältnisses auf die schrittweise Positionsänderung eines Kohlestrichs auf dem Papier, und zwar unter der Maßgabe des kinematographischen Apparats, der eine Veränderung von einer Sekunde Dauer durch Segmentierung in 24 Zwischenstufen darstellt. Je schneller die Bewegung, umso großzügiger die Abstände zwischen den einzelnen Positionen und umgekehrt. In seinen frühen Chronofotografien hatte Étienne-Jules Mareys die verschiedenen Momente eines Bewegungsablaufs mit Hilfe von Mehrfachbelichtungen dokumentiert.50 Der Hochsprung beispielsweise, den dieser am 18. Juli 1886 aufnahm (Abb. 20), zeigt besonders deutlich die gestauchten und gedehnten Abstände, die bei einem kontinuierlichen Öffnen und Schließen der Blende auf Beschleunigungen und Verlangsamungen schließen lassen. So nahm der Springer relativ schnell Anlauf, denn der Abstand zwischen den beiden einzelnen Aufnahmen vor dem Absprung ist relativ weit. Beim Aufsetzen auf dem Boden hingegen überlappen sich vier beziehungsweise sechs Phasenbilder, was wiederum auf die Verlangsamung der Bewegung zurückzuführen ist. Das Werfen des Steins, das in „Tide Table“ maximal zweieinhalb Sekunden dauert, zeigt an seinem Ende eine Vielzahl an sich überlappenden Umrissen, insbesondere der Zeichnung des Arms. Durch die Schemen der sukzessiv ausradierten Vorzustände wirkt es bei Kentridge dabei so, als fänden die verblassenden Nachbilder der Perzeption einen sichtbaren Ausdruck.51 Krauss verglich die übereinandergeschichteten Zeichnungen dahingegen mit Palimpsesten, die freilich im Medium der Animation aufgingen. Damit seien sie symbolische Form des Zeitlichen, das sich als Erzählung, Geschichte oder Biographie konkretisieren könne: „The palimpsest, we could say, is the emblematic form of the temporal and as such it is the abstraction of narrative, of history, of biography [...].“52 Der Begriff des Palimpsests (altgriech. „wieder abgekratzt“) wird im engen Sinne auf das Entfernen von Aufzeichnungen auf Papyrus oder Pergament bezogen. Ziel war 49 50 51 52
Ebd., S. 57. Zur Funktionsweise des Apparats vgl. Laurent Mannoni: Etienne-Jules Marey. La mémoire de l’œil. Mailand 1999, S. 164. Für Informationen zum Nachbildeffekt vgl. S. 64–66. Rosalind E. Krauss: „The Rock“. William Kentridge’s Drawings for Projection (EA 2000). In: Dies.: Perpetual Inventory (= October Books). Cambridge, London 2010, S. 55–88, hier S. 74.
3. Das abgefilmte Palimpsest
61
ursprünglich die Wiederverwendung des knappen und wertvollen Materials. Da eine vollständige Reinigung kaum gelang, sind Palimpseste durch die visuelle Durchdringung verschiedener Texte geprägt. Diese Eigenschaft ließ den Begriff seit dem 19. Jahrhundert zu einer Metapher für die Funktionsweise des menschlichen Gehirns werden, in welchem alle Erfahrungen und Vorstellungen simultan abgelegt seien. Die Stationen des so übertragenen Wortgebrauchs rekapitulierte Klaus Krüger.53 Ausgehend von Barthes Ausführungen zum filmischen Standbild und einer zu Werbezwecken nachgestellten Filmaufnahme in „Der dritte Sinn“ (1970)54 verstand er den Begriff des Palimpsests als „heterogene Schichtenordnung“, die über das handwerklich Gegebene hinaus eine „Kohärenz bzw. Koexistenz nicht nur von Original und Kopie, von Vorbild und Nachbild, sondern weiter gefasst auch von Erinnerung und Gegenwart, von Authentizität und Inszenierung, von Identität und Differenz etc.“55 bezeichne. Er umfasse sowohl die Seite des betrachteten Objekts als auch die des wahrnehmenden Subjekts, also das, was William J. T. Mitchell mit den Begriffen „picture“ (Bildkörper) und „image“ (mentales Bild) unterschieden hatte oder Hans Belting als „Intervall zwischen ‚hier‘ und ‚dort‘“56 bezeichnete. „Palimpsest“ wird damit zum Begriff für ein relativ weit gefasstes Denkmodell. Joachim Paech plädierte in seiner Anwendung des Begriffs auf den Film – beispielhaft bezog er sich auf Jean-Luc Godard – hingegen für dessen formal motivierte und damit aussagekräftigere Verwendung: Die einfachste Beschreibung eines filmischen Palimpsests ist das momentane Aufscheinen eines Doppelbildes, in dem sich ein vorausgegangenes Bild und ein nachfolgendes Bild durchdringen, eine Überblendung also, die fotografisch durch Doppelbelichtung, elektronisch durch das Austauschen von Bildpunktdefinitionen verschiedener Bilder ermöglicht wird.57
53
54 55 56
57
Vgl. Klaus Krüger: Das Bild als Palimpsest. In: Hans Belting (Hg.): Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch (= Bild und Text). München 2007, S. 133–163, hier S. 140–143. – Vgl. hierzu auch Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 3. Aufl. München 2006, teilw. zugl. Phil. Habil. Univ. Heidelberg 1992, S. 151–158. Vgl. Roland Barthes: Der dritte Sinn (EA 1970). In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Übers. aus dem Franz. v. Dieter Hornig, Frankfurt am Main 1990, S. 47–66. Krüger 2007, S. 140. William J. T. Mitchell: Vier Grundbegriffe der Bildwissenschaft. In: Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn. Frankfurt am Main 2009, S. 319–327, hier S. 322–324. – „Mit ihren Oberflächen, die unseren Blick auf sich ziehen, schieben sich Medien wie ein opaker Bildschirm vor die Welt. Aber Bilder entstehen diesseits des Mediums, in unserem Blick. Sie lassen sich weder allein ‚dort‘, auf Leinwand oder Foto, noch ‚hier‘ im Kopf des Betrachters verorten. Der Blick erzeugt die Bilder im Intervall zwischen ‚hier‘ und ‚dort‘.“ Hans Belting: Blickwechsel mit Bildern. Die Bildfrage als Körperfrage. In: Ders.: Bilderfragen 2007, S. 49–75, hier S. 59. Joachim Paech: Film und Geschichte(n) – ein Palimpsest. Am Beispiel von J.-L. Godard Histoire(s) du cinéma. In: Honold u. Simon 2010, S. 161–188, hier S. 169.
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II. Simultane additive Verfahren
Der Überblendung zweier Bilder im Film oder Video wurde hier also der Charakter eines Palimpsests zugeschrieben. Paech erwog auch, die Überlagerung von Ton und Bild unter diese Kategorie fallen zu lassen, lehnte dies jedoch schließlich mit der Begründung ab, dass Palimpseste den Lesevorgang beziehungsweise den Realitätseffekt unterbrächen, wohingegen zumindest die synchrone Verbindung von Bild und Ton einer Steigerung der Verlebendigung dienten. Damit wurde für Paech neben dem Kriterium der Überlagerung eine zweite Eigenschaft definitionsleitend, und zwar jene der Störung, die den Betrachter auf das Medium Film selbst stoßen kann. Die bei Kentridge aus dem spezifischen Zeichenprozess hervorgegangenen animierten Filme kommen mit Montagen ohne Überblendungen aus, sodass auf der Ebene des Mediums Film nicht von Palimpsesten im Sinne Paechs gesprochen werden kann. Auf der anderen Seite weisen die Arbeiten über die Zeichnungen auf sich selbst zurück, da sie durch die sich akkumulierenden Rückstände der einzelnen Bildversionen, also durch eine Störung, auch auf die einzelnen Belichtungen auf dem Zelluloidstreifen aufmerksam machen. Die Zeichnungen, die im Zuge des Arbeitsprozesses verwendet wurden, können im ursprünglichen Sinn des Worts als Palimpseste bezeichnet werden, da sie durch eine Praxis des wechselnden Bezeichnens und Radierens geprägt sind. Der Künstler hatte die Unmöglichkeit, die Reste der jeweils vorherigen Zeichnung komplett auszulöschen, ursprünglich als Mangel empfunden und sogar mit einem elektrischen Radierer versucht, die „Geisterbilder“ zu tilgen.58 Die Schatten indizieren Irreversibilität. Zwar kann der Film zurückgespult oder ein einzelnes Standbild aus dem Gesamtfilm extrahiert werden, die jeweilige Zeichnung aber kann am Ende des Prozesses keinen zuvor durchlaufenen Zustand mehr annehmen. Palimpseste verbindet mit der Überblendung die Interferenz von mindestens zwei Elementen. Zwar sind Filme denkbar, die andauernd zwei oder mehr transparente Einstellungen übereinanderlegen, jedoch zeichnet sich eine Überblendung in der Regel durch die wechselseitig zu- und abnehmende Stärke zweier Reize, seien sie nun visuell oder auch akustisch, aus. Das Verhältnis der Teile zueinander wird dabei durch Transparenz bestimmt. Dies unterscheidet das Palimpsest und die Überblendung auch von verdeckten Montagen oder offenen Collagen, die füreinander undurchsichtige Elemente auf eine gemeinsame Oberfläche binden. Im Vergleich mit den bildhaft wirkenden Einstellungen wirken die simultanen additiven Verfahren – offene Collage, verdeckte Montage und palimpsestartige Schichtung – meist künstlicher.
58
Vgl. William Kentridge. Thinking Aloud 2005, S. 38.
III. NACHBILD UND SCHEINBEWEGUNG
Wenn es um das Verhältnis von Bild und Bewegungsbild geht, gilt es auch zu verstehen, auf welche Art und Weise die Bewegungsillusion zustande kommt, oder, konkreter gefragt, wie sich die Funktionen des jeweiligen bilderzeugenden Apparats zu den Abläufen des Wahrnehmungsvorgangs verhalten. Dass eine Abfolge von mindestens 16 Einzelbildern pro Sekunde nicht mehr als Reihe von Standbildaufnahmen wahrgenommen wird, stellte sich zur Anfangszeit des Films über systematisches Ausprobieren heraus.1 Vielmehr entsteht der Eindruck eines bewegten, wenn auch leicht flimmernden Bilds. Es zeigte sich, dass dieses Flimmern durch eine Erhöhung der Bildfolgefrequenz auf 48 Bilder pro Sekunde weitgehend behoben werden kann. Um Material zu sparen, wurden aber lediglich 24 Bilder pro Sekunde aufgenommen beziehungsweise abgespielt, die Zahl der Lichtsignale jedoch verdoppelt, indem jedes Einzelbild zweimal abgeblendet wurde. Technische Grundlage für den rhythmischen Wechsel von Vorschubbewegung und kurzzeitiger Arretierung des Zelluloids lieferte dabei das Malteserkreuz, dessen Mechanismus im 18. Jahrhundert für Spieluhren entwickelt worden war.2 Diese technischen Lösungen fanden ihre Entsprechung in der Video- und Fernsehtechnologie.3 So bewirkt die hohe Geschwindigkeit des zeilenweise den Bildschirm durchlaufenden Elektronenstrahls beim Auslesen und Darstellen von Videosignalen über die Braunsche Röhre eine prinzipiell ähnliche Bewegungsillusion. Die Bildfolgefrequenz orientiert sich dabei an der Frequenz des elektrischen Netzes, welche in Europa 50 Hertz und in den USA 60 Hertz beträgt.4 Dementsprechend liegt die Periodenzahl bei 25 oder 30 Durchläufen pro Sekunde, was sich den bewährten 48 Lichtwürfen pro Sekunde beim Film annähert: Äquivalent dem Mechanismus der Umlaufblende durchwandert der Elektronenstrahl im Fernseher pro Einzelbildausgabe zweimal die Mattscheibe in einer horizontalen Vorschubbewegung, wobei abwechselnd immer nur jede zweite Zeile beleuchtet wird. Auf diese Weise wird der durch das Nachleuchten des Phosphors bedingte Flimmereffekt unterbunden.5 1 2 3
4 5
Vgl. Joseph Anderson: The Reality of Illusion. An Ecological Approach to Cognitive Film Theory. Carbondale, Edwardsville 1998, S. 57. Vgl. Kirchmann 1998, S. 339f. – Vgl. Peter Gendolla: Zur Interaktion von Raum und Zeit. In: Ders. u. a. (Hgg.): Formen interaktiver Medienkunst. Geschichte, Tendenzen, Utopien. Frankfurt am Main 2001, S. 13–19, hier S. 33. Zur Entstehung des Fernsehens vgl. Joseph Hoppe: Wie das Fernsehen in die Apparate kam. Die Anfänge von Technik und Programm der Television. In: Wulf Herzogenrath u. a. (Hgg.): TV Kultur. Das Fernsehen in der Kunst seit 1879. Dresden 1997, S. 24–47. Vgl. Richard Theile: Fernsehtechnik. Bd. 1: Grundlagen. Berlin, Heidelberg, New York 1973, S. 39. Vgl. ebd., S. 42–44.
64
III. Nachbild und Scheinbewegung
In der Filmtheorie wurde die kinematographische Bewegungsillusion immer wieder mit dem auf der Retina verbleibenden Nachbild erklärt, welches, wie Joseph Plateau bereits 1828 feststellte, bis zu einer Achtelsekunde lang nachwirkt und mit dem zuvor Gesehenen in Wechselwirkung tritt.6 Dieser Effekt verschmelze die einzelnen Bilder des Filmstreifens zu einem fließenden Kontinuum.7 Eine solche Erklärung gilt jedoch vor dem Hintergrund der kognitionspsychologischen und neurowissenschaftlichen Theoriebildungen als überholt. Denn eine Wirksamkeit des Nachbildeffekts müsste zu einer Akkumulation der Bildeindrücke auf der Netzhaut führen. Nicht ein wahrgenommenes Nacheinander, sondern ein Übereinander von sich durchdringenden statischen Einzelbildern wäre das Resultat.8 Heute führt man die Bewegungsillusion von Film und Video auf grundsätzlich zwei verschiedene Ursachen zurück, nämlich die stroboskopische Fusionsfrequenz sowie den Effekt der Scheinbewegung. Ab einer Wiederholung von etwa 50 Lichtsignalen pro Sekunde verschmelzen die einzelnen Bilder zu einem kontinuierlichen Seheindruck. Einzelne Blitze werden ab dieser Periodenzahl nicht mehr separat oder in Form eines pulsierenden Anschwellens und Abschwellens der Helligkeit wahrgenommen, sondern als durchgängig erscheinender Lichtstrahl. Dieser Wahrnehmungseffekt ist aber auch von anderen Faktoren abhängig, wie Alter des Rezipienten, Stärke des Lichtreizes oder Abstand zur Projektionsfläche. Dem Erklärungsmodell der Scheinbewegung unterliegt die Annahme, dass bestimmte Zellen im Auge beziehungsweise im Gehirn für die Interpretation und Verarbeitung von Bewegung verantwortlich sind.9 Sie reagieren nicht nur bei realen Objektbewegungen, sondern auch dann, wenn unbewegte Bilder oder Bildelemente einander rasch genug ablösen. Eine Leuchtreklame beispielsweise, die mindestens zwei Anzeigen von gleich aussehenden und an benachbarten Stellen befindlichen Pfeilen abwechselnd aufleuchten lässt, erregt den Anschein, ein einziger Pfeil fliege vorwärts.10 Erstmals systematisch untersucht und mit den Begriff Phi-Phänomen belegt wurde die Scheinbewegung 1912 von Max Wertheimer. Der Mitbegründer der 6
7
8 9
10
Vgl. Michael F. Zimmermann: Nach-Denk-Bilder. Robert Delaunays Blick auf die Sonne und die Bewegung der Wahrnehmung. In: Werner Busch u. Carolin Meister (Hgg.): Nachbilder. Das Gedächtnis des Auges in Kunst und Wissenschaft. Zürich 2011, S. 173–214, hier S. 192–195. Beispielsweise erklärten Sergei M. Eisenstein und André Bazin die Bewegungsillusion mit dem Nachbildeffekt. Für weitere Autoren-Beispiele vgl. Joseph u. Barbara Anderson: Motion Perception in Motion Pictures. In: Teresa de Lauretis u. Stephen Heath: The Cinematic Apparatus. New York 1980, S. 76–95, hier S. 76f. – Vgl. aktuell auch die Wiederholung der Fehlaussage bei Ernst 2012, S. 178–180. Vgl. Anderson 1980, S. 77. Vgl. David Bordwell u. Kristin Thompson: Film Art. An Introduction. 7. Aufl. New York 2004, S. 2f. – Für ein Modell des Sehsystems vgl. Jürg Nänni: Visuelle Wahrnehmung. Visual Perception. Zürich 2008, S. 13. – Eine ausführliche, historisch fundierte Reflexion der Theorien über Scheinbewegung und Nachbildeffekt findet sich bei Doane 2002, S. 71–78. Nach Joseph und Barbara Anderson erlaube dies eine neue Sichtweise auf den Realismus des Kinos: „The figures on the screen are insubstantial phantoms easily distinguished from corporeal reality. The experience of motion in cinema, however, cannot be distinguished from the experience of real motion.“ Anderson 1980, S. 87. – Vgl. hierzu auch S. 300f.
III. Nachbild und Scheinbewegung
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Gestaltpsychologie stellte fest, dass zwei Punkte, selbst wenn sie sich weit voneinander entfernt befinden, bei sukzessivem Erscheinen wie ein sich bewegender einzelner Punkt interpretiert werden („Phi-Effekt“). Wertheimer verwarf auch die These vom Nachbildeffekt als Grundlage des Bewegungssehens zugunsten der Annahme, dass der eingehende Reiz in anderen Teilen des Gehirns verarbeitet werde.11 Obwohl also der Nachbildeffekt nicht Grund der Bewegungsillusion in Film und Video ist, wird er bei einer Gruppe von Werken relevant, wenn es um die Thematisierung von Zeit geht. Anknüpfungspunkt ist dabei eine Traditionslinie der Malerei, die bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. So zeigt sich eine Beschäftigung mit Farbe und Nachbildsehen beispielsweise in den Malereien von Joseph Mallord William Turner und Robert Delaunay. Gleiches gilt für Marcel Duchamps rotierende Glasplatten von 1920.12 Johann Wolfgang von Goethe behandelte das Wahrnehmungsphänomen zu Beginn des ersten Bands von „Zur Farbenlehre“ (1810) unter der Kapitelüberschrift „Physiologische Farben“. Hier hob er hervor, dass der Lichteindruck auf der Retina auch dann noch fortbestehe, nachdem sein Auslöser schon verschwunden sei. Er illustrierte dies am Beispiel eines Fensterkreuzes in der Morgendämmerung, das man kurz nach dem Aufwachen mit ausgeruhtem Blick ansieht, um dann beim Schließen der Augenlider oder bei dem Blick auf eine dunkle Fläche ein weißes Kreuz vor schwarzem Hintergrund wahrzunehmen.13 Goethe erklärte das Phänomen an späterer Stelle mit der Ermüdung der Retina.14 Je intensiver die Strahlung des Lichts, umso länger hafte das Nachbild – am längsten aber beim Blick in die Sonne.15 Wie Carolin Meister ausgehend von der Begriffsdefinition, die Jacob und Wilhelm Grimm in ihrem „Deutschen Wörterbuch“ gegeben hatten, ausführte, erweiterte sich der Bedeutungsumfang von „Nachbild“ als einem Bild, das auf einem Vorbild beruht, erst im Laufe des 19. Jahrhunderts um die „nachwirkung einer licht- oder farbenerscheinung im auge [...]“16. Die durch sein Andauern bedingte Autonomie des Nachbilds vom äußeren Sinnesreiz,17 sein nun als objektiv gewerteter Wahrheitsgehalt und der grundsätzlich zeit11 12
13 14 15 16 17
Vgl. Max Wertheimer: Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung (EA 1912). In: Ders.: Drei Abhandlungen zur Gestalttheorie. Erlangen 1925, S. 86. Vgl. Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert. Übers. aus dem Amerikan. v. Anne Vonderstein, Dresden 1996, S. 144. – Vgl. Zimmermann 2011, S. 173–214. – Vgl. Lars Blunck: Duchamps Präzisionsoptik. München 2008, zugl. Phil. Habil. TU Berlin 2007, S. 173–179. Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Zur Farbenlehre. 3 Bde. Bd. 1. Tübingen 1810, Abs. 19 u. 20, S. 7. Vgl. ebd., Abs. 31, S. 11. Vgl. ebd., Abs. 24, S. 8. Art. „Nachbild“. In: Jacob u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 32 Bde. Bd. 13. Leipzig 1889, Sp. 30. Zitiert nach: Carolin Meister: Einleitung. Das Gedächtnis des Auges. In: Busch u. Meister 2011, S. 7–15, hier S. 7. Vgl. ebd., S. 12.
66
III. Nachbild und Scheinbewegung
liche Charakter der visuellen Wahrnehmung seien damals nach Jonathan Crary wesentlich neue Anschauungsweisen gewesen.18 Doane widersprach ihm allerdings, indem sie insbesondere der Behauptung einer Referenzlosigkeit des retinalen Bilds die im frühen physiologisch geprägten Diskurs häufige Verwendung der Metaphern „Eindruck“ und „Abdruck“ entgegenhielt. Diese Begriffe verwiesen auf den externen Reiz, der wiederum mit einer dem Nachbildeffekt unterliegenden Ermüdung des Auges in Zusammenhang gebracht wurde.19 Wie auch immer man sich zu dieser Diskussion stellen möchte, die Persistenz des Seheindrucks, seine mögliche Unabhängigkeit von der äußeren Welt und die Frage nach der physiologischen Verarbeitung von Bewegung und Scheinbewegung wurden von verschiedenen Künstlern der Film- und Videokunst reflektiert.
1. FARBBLITZE Paul Sharits, dessen Werk in der Regel dem Strukturellen Film zugeordnet wird, zeigte seine Mehrfachprojektionen ab den frühen 1970er Jahren im Ausstellungskontext.20 In seiner 16-mm-Filminstallation „Shutter Interface“ (1975, Abb. 21) experimentierte er mit einer sich äußerst schnell ändernden Abfolge von monochromen rechteckigen Farbfeldern, die durch vier im gleichmäßigen Abstand nebeneinander auf Sockeln stehende Projektoren an die Wand geworfen werden. Aus vier Lautsprechern am Boden, die den vier Projektionsfeldern jeweils räumlich zugeordnet sind, erschallen kurze helle Töne. Die Arbeit, von der zwei Filme verloren waren und mittlerweile rekonstruiert wurden,21 bezieht sich auf das Medium Film, indem die dort durch den laufenden Bildwechsel erzeugte Bewegungsillusion in die ausstellungsräumlich erfahrbare Scheinbewegung einer abstrakten Farbflächenkomposition gewendet wird. Die rechteckigen Felder bilden dabei als Ensemble eine formale Analogie zum Filmstreifen.22 18 19 20
21
22
Vgl. Crary 1996, S. 103f. Vgl. Doane 2002, S. 81. Vgl. William S. Smith: A Concrete Experience of Nothing. Paul Sharits’s Flicker Films. In: Res 55/56 (Frühjahr/Herbst 2009), S. 279–293, hier S. 290. – Eine Sammlung von Primärquellen zu Paul Sharits ist zusammengestellt in: Woody Vasulka u. Peter Weibel (Hgg.): Buffalo Heads. Media Study, Media Practice, Media Pioneers, 1973–1990. Kat. Ausst. Karlsruhe (Zentrum für Kunst- und Medientechnologie) 2006/2007. Cambridge u. a. 2008, S. 244–384. Die Arbeit wurde vom Künstler in einer Version mit zwei und mit vier Projektoren konzipiert. Die Rekonstruktion der Zwei-Kanal-Projektion zeigte das Whitney Museum im Jahr 2001. Vgl. Chrissie Iles (Hg.): Into the Light. The Projected Image in American Art 1964–1977, Kat. Ausst. New York (Whitney Museum of American Art). Ostfildern 2001, S. 144. – Die Rekonstruktion der Vier-Kanal-Projektion konnte durch die Initiative des Whitney Museums of American Art und der Anthology Film Archives in New York ebenfalls rekonstruiert werden und befindet sich in der Hirshhorn Museum and Sculpture Garden Collection in Washington D. C. Sharits spricht die Metareferentialität seiner Arbeiten bereits 1967 in seinem Kommentar zum 4. Internationalen Experimentellen Film Festival in Knokke-Le Zoute in Belgien an. Der Text wurde veröffentlicht als: Paul Sharits: Notes on Films (EA 1969). In: Vasulka u. Weibel 2008, S. 268. – Nach Yvonne Spielmann unterliegt Sharits’ Arbeiten die Vor-
1. Farbblitze
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Eine Studie des Künstlers, die die optimale Aufstellung der Installation wiedergibt (Abb. 22), sieht einen lediglich zweieinhalb Meter („18 Fuß“) großen Abstand der Projektoren von der Wand vor, sodass das panoramaartig weitgestreckte Bildfeld knapp sieben Meter („22 Fuß“), die Höhe etwas mehr als eineinhalb Meter („64 Inch“) beträgt. Die vier Apparate werden dadurch zu Bestandteilen einer räumlichen Anordnung, die Intensität des Lichtwurfs ist relativ hoch. Die vier unterschiedlichen Filme, die zwischen fünf und sechs Minuten lang andauern und als Endlosschleifen abgespielt werden, fügen sich über die Laufzeit hinweg zu wechselnden Farbkombinationen.23 Da sich die Projektionsfelder jeweils zu einem Drittel überlappen, erscheinen dabei nicht vier, sondern insgesamt sieben Farbfelder, von welchen drei als additive Mischungen separater Lichtwürfe mit pulsierendem Charakter entstehen. Bedingt durch den Nachbildeffekt, der insbesondere bei den Schwarzbildern, die nach keiner erkennbaren Regel eingestreut sind, wirksam wird, entfernt sich die Farbwahrnehmung zusätzlich von denjenigen Farben, die auf den einzelnen Zelluloidstreifen faktisch vorhanden sind. Der Betrachter wird so mehr Zeuge dessen, was sich auf seiner Netzhaut und bei der Verarbeitung der Bildsignale im Gehirn abspielt, als dass er die Farbinformationen auf den einzelnen Zelluloidstreifen identifizieren würde. Mit Bezug auf „Shutter Interface“ äußerte Sharits, er habe eine Metapher für den Mechanismus der Umlaufblende schaffen wollen. Um deren Aktivität sichtbar zu machen, könne man die Geschwindigkeit der Wiedergabe herabsetzen, sodass ein Flimmer-Effekt („flicker-effect“) entstehe, man könne aber auch, wie in „Shutter Interface“ der Fall, mittels abrupter und intensiver Wechsel im Tonwert die Abfolge der Einzelbilder anzeigen.24 Sharits verwendete zur Beschreibung seiner Filminstallationen außerdem Begriffe wie „temporal color“25 oder „internal time-shape“26. Bei der Betrachtung des Werks stellen sich in der Tat unterschiedliche Wahrnehmungseffekte ein.27 So scheinen sich die Felder teilweise vom Untergrund abzuheben. Außerdem evoziert der rasche Wech-
23
24 25 26 27
stellung, man könne sowohl das einzelne Bild als auch die Bewegungsillusion gleichzeitig wahrnehmen. Vgl. Yvonne Spielmann: From Cinematic Movement to Non-directional Motion. In: Alexander Graf u. Dietrich Scheunemann (Hgg.): Avant-Garde Film (= Avant-Garde Critical Studies 23). Amsterdam, New York 2007, S. 197–215, hier S. 199. „Für Installationen bevorzuge ich lange Filmschleifen, jede von etwas unterschiedlicher Länge, so daß die Verwandtschaft im System durch viele verschiedene Phasen geht, die das Werk unterschiedlich erscheinen, als fortwährendes Environment von visuell-akustischer Aktivität existieren lassen (ich bezeichne sie als ‚locations‘).“ Paul Sharits: Kommentar zu „Shutter Interface“. In: Alf Bold (Red.): Paul Sharits (= Kinemathek 72). Berlin 1988, S. 29. Vgl. Paul Sharits: Locational Film Pieces. In: Film Culture 65/66 (1978), S. 122. Zitiert nach: Iles 2001, S. 144. Paul Sharits zitiert nach: Charlotta Kotik: Paul Sharits. Painter behind the Celluloid. In: The Filmic Art of Paul Sharits. Kat. Ausst. Buffalo (Burchfield-Penney Art Center, Buffalo State College) Buffalo 2000, S. 5f., hier S. 5. Paul Sharits (EA 1969) 2008, S. 268. Für einen rezeptionsgeschichtlich relevanten Text vgl. Stuart Liebman: Apparent Motion and Film Structure. Paul Sharits’ Shutter Interface. In: Millennium Film Journal 1/2 (1978), S. 101–109, URL: http://mikehoolboom.com/thenewsite/docs/1184.pdf (Stand: 5.7.2017).
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III. Nachbild und Scheinbewegung
sel der Farben den Eindruck eines horizontal von links nach rechts durchlaufenden Bands. Berücksichtigt man die Überlegungen Wertheimers, so wird Sharits’ zunächst rätselhafte „innere Zeitgestalt“ schlichtweg zur Umschreibung für eine im Verlauf der Perzeption erzeugte Scheinbewegung, wie sie dem Erklärungsmodell des sogenannten Phi-Effekts unterliegt. Populäre Publikationen zur visuellen Wahrnehmung, wie Richard L. Gregorys mehrfach aufgelegtes „Eye and Brain“ von 1966 oder James Gibsons „The Perception of the Visual World“ von 1950, machten diese Theorie zur Entstehungszeit von Sharits’ Installationen allgemein zugänglich.28 In „Shutter Interface“ scheint sich die Laufrichtung des Farbbands zeitweise zu ändern oder es entsteht der Eindruck zweier gleichzeitig stattfindender, einander entgegengesetzter horizontaler Bewegungen. Eine entscheidende Rolle für diesen Wahrnehmungseffekt spielt die Unterbrechung der intensiven Lichtreize durch die schon genannten Schwarzbilder. Sie werden durch die akustischen Signale akzentuiert und bewirken einerseits eine visuelle Separierung („Einfrier-Phänomen“), wodurch auch der Nachbildeffekt stärker wahrgenommen werden kann. Für den Bewegungseindruck ergibt sich andererseits eine kurze Unterbrechung, die in eine Richtungsänderung umschlagen kann („Prellball-Effekt“).29 Der Zusammenklang der vier Lautsprecher erzeugt den Eindruck einer Percussion. Durch Stärke und Geschwindigkeit der Reize wirkt „Shutter Interface“ regelrecht aggressiv, wobei die an die Wand geworfenen Lichtblitze mit Sharits ein Äquivalent zu dem Befeuern der Netzhaut bilden sollen: I mean to say that in my cinema flashes of projected light initiate neural transmission as much as they are analogues of such transmission systems and that the human retina is as much a ,movie screen‘ as is the screen proper. [...] Given the fact of retinal inertia and the flickering shutter mechanism of film projection, one may generate virtual forms, create actual motion (rather than illustrate it), build actual color-space (rather than picture it), and be involved in actual time (immediate presence). [...] I think of my present work as being occasions for meditational-visionary experience.30
Das Zitat bezeugt insgesamt drei Auffassungen des Künstlers: Erstens wird die Kinoleinwand als Metapher für die mit Licht befeuerte Netzhaut verstanden. Ausgehend von der Persistenz des Seheindrucks und dem Flackern des Abblendmechanismus’ wird zweitens ein aktives Bilden „virtueller Formen“, realer Bewegungen und Farbräume im 28 29 30
Vgl. Richard L. Gregory: Eye and brain. The Psychology of Seeing (EA 1966). 2. Aufl. London 1972, S. 110f. – Vgl. James Gibson: The Perception of the Visual World. Boston 1950, S. 134. Vgl. Rainer Schönhammer: Einführung in die Wahrnehmungspsychologie. Sinne, Körper, Bewegung. Wien 2009, S. 227. Paul Sharits (EA 1969) 2008, S. 268.
1. Farbblitze
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Moment der Betrachtung behauptet. Drittens wird dem Werk die Fähigkeit zugesprochen, eine transzendente Erfahrung zu befördern. Bergson hatte, wie weiter oben skizziert, Filmapparatur und Wahrnehmung ebenfalls miteinander verglichen, und zwar, um mit dem Ausdruck „kinematographische Illusion“ ein Defizit zu veranschaulichen. Der menschliche Wahrnehmungsapparat verbinde Momentaufnahmen zu einer Folge, anstatt das wahre, ununterbrochene Werden zu registrieren. Sharits hingegen behauptete eine Äquivalenz der inneren und äußeren Farbräume hinsichtlich ihres Realitätsgehalts. Das Nachbild wird von ihm nicht als eine Illusion, die den Betrachter von der Wirklichkeit des Ausstellungsraums entfernt, sondern als ein innerpsychisches Faktum verstanden. Unter dieser Voraussetzung ist es unerheblich, dass das bei der Betrachtung der Arbeit Wahrgenommene hauptsächlich auf Farb- und Bewegungsillusionen zurückzuführen ist. Für Sharits besitzen diese eine eigene Validität. Mit Doane ist zu ergänzen, dass die sich in der Zeit verändernden Bildeindrücke auf eine entsprechend durch den Künstler choreographierte, externe Reizabfolge zurückzuführen sind, ihre Ursache also real bleibt.31 William Wees arbeitete bezugnehmend auf den von Sharits formulierten Begriff „internal time-shape“ noch einen weiteren diskursiven Zusammenhang heraus und zeigte, dass diesem die Vorstellung von einem mentalen Bild unterliegt, das sich unter Einfluss halluzinogener Substanzen wie Lysergsäurediethylamid (LSD) von einem externen Auslöser abkoppelt.32 Von Sharits ist bekannt, dass er seinen LSD-Konsum künstlerisch produktiv umsetzte. So sagte er rückblickend in einem Interview mit Alf Bold im Jahr 1988, dass er sich in seinen experimentellen Filmen – er ging hier vor allem auf „RAZOR BLADES“ (1965–1968) ein – für Farbwahrnehmung unter Drogeneinfluss interessiert habe: [...] wenn man dem Zuschauer eine Überdosis an Information gibt, verändert man seine Wahrnehmung. [...] Ich versuchte herauszufinden, wie Farben sich zu neuen Farben vermischen. Ich war in dieser Arbeit auch von meinen Erlebnissen unter LSD beeinflusst. Zu jener Zeit, um 1966, nahm ich LSD, und wenn ich eine Farbe ansah, hatte ich das Gefühl, daß sie sehr tief war, nicht nur eine blaue Wand, sondern verschiedene Schichten von Farben. Ich sagte mir, das kann ich mit Film auch machen. Ich kann ein Blau zeigen, das untermischt ist mit anderen Farben, um ihm eine Art von Tiefe zu geben.33 31 32 33
Vgl. Doane 2002, S. 81. Vgl. William C. Wees: Light Moving in Time. Studies in the Visual Aesthetics of Avant-Garde Film. Berkeley 1992, S. 147, URL: http://ark.cdlib.org/ark:/13030/ft438nb2fr/ (Stand: 5.7.2017). Interview mit Paul Sharits. Von Alf Bold (7. Juli 1988). In: Bold 1988, S. 11–17, hier S. 12. – In einem Brief an Stan Brakhage im Jahr 1966 äußerte sich Sharits verwundert darüber, dass sich Brakhage vollständig gegen den Konsum der Droge ausspreche, zumal der Seheindruck bei der Betrachtung der Filme der Wahrnehmung unter Drogeneinfluss
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III. Nachbild und Scheinbewegung
Der Konsum von LSD war für eine breitere Generation von Kunstschaffenden prägend und wird noch mehrmals zur Sprache kommen. An dieser Stelle soll lediglich festgehalten werden, dass eine durch Drogenkonsum veränderte Wahrnehmung offensichtlich nicht im Widerspruch zu der Möglichkeit einer Einsicht in die Gegebenheiten der Welt stand.
2. FARBÜBERGÄNGE Einer Sharits’ „Shutter Interface“ geradezu entgegengesetzten Formensprache bediente sich Thierry Kuntzel fünf Jahre später in dem Ein-Kanal-Video „Time Smoking a Picture“ (1980, Abb. 23), das über eine Länge von 38 Minuten ohne Ton abläuft. Die Arbeit ist dabei nicht abstrakt, sondern gegenstandsbezogen. Darüber hinaus wurden Farbabfolgen in äußert langsamen Übergängen umgesetzt. Dennoch steht auch hier die Idee des zeitlich andauernden und schließlich vergehenden Farbeindrucks im Zentrum der Konzeption. Die statische Kamera filmt einen hohen leeren Raum, dessen bildparalleler Rückwand ein offener Kamin vorgebaut ist. Während sich in der Einstellung rechts eine Türe befindet, wird die Ansicht der linken Seite von hohen, fast bis zum Boden reichenden Fenstern abgeschlossen. Im Zentrum der Aufnahme schwebt ein mit Hilfe eines Synthesizers erzeugtes, scheinbar transparentes und durch seine Helligkeit vom Rest des Videobilds abgesetztes Rechteck, das die Form des Kamins großzügig einrahmt. Licht spielt eine nicht geringe Rolle. So fällt natürliches Tageslicht durch das Fenster und wandert im Verlauf des Videos über Wand und Boden. Ein zwar ausgeschalteter, aber in das Zimmer gerichteter Projektor im Vordergrund legt Kuntzels Video als Lichtbild offen. Zudem ereignet sich eine kontinuierliche graduelle Veränderung der Helligkeit und Farbigkeit des gesamten Videobilds, wobei das zentral gesetzte Rechteck durchgehend kontrastierend abgegrenzt ist. So wirkt es, als seien sich wandelnde Farbstudien in der Art von Joseph Albers’ Serie „Homage to the Square“ (1950–1976), in der dieser quadratische Bildfelder unterschiedlicher Farbe ineinanderschachtelte, über die räumliche Abbildung gelegt worden. Aufgrund der Langsamkeit der Veränderung ist es dabei kaum möglich, jene kritischen Momente zu identifizieren, in welchen eine Farbe so deutlich ihre Qualität geändert hat, dass sie neu benannt werden muss. Eine zeitliche Orientierung mit Hilfe eines durch Zäsuren markierten Verlaufs wird unterbunden. Der stetige farbliche Transformationsprozess beginnt bei einem hellen Grün, das sich in etwa bei Minute 6:30 in sattes Orange geändert hat, bei Minute 15:00 deutlich entspreche. In diesem Zusammenhang nennt Sharits insbesondere das fünfteilige Filmwerk „Dog Star Man“ (1961– 1964). Vgl. Paul Sharits: Brief an Stan Brakhage (20. Mai 1966). In: Vasulka u. Weibel 2008, S. 255–265, hier S. 255.
2. Farbübergänge
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rot geworden ist, bis bei Minute 20:30 allmählich Blautöne ins Spiel kommen, die bei Minute 28:00 ins Zitronengelbe übergegangen sind, bei Minute 30:00 grau wurden und dann, mit dem Untergehen der Sonne, immer mehr ins Blaue und Violette gleiten. Auch der siebenminütige Auftritt eines leger in Jeans und T-Shirt gekleideten Manns, der bei Minute 17:30 das Zimmer von rechts nach links durchquert, das Fenster öffnet und Zigarette raucht, vermag aufgrund der Ereignislosigkeit und der unregelmäßigen Wiederholungsstruktur seines mehrmaligen Auftauchens und Verschwindens keinen markanten Anhaltspunkt für die Dauer der Sequenz geben.34 Die Aufmerksamkeit des Betrachters verlässt ihn schon bald und wendet sich wieder den fließenden Farbveränderungen zu. Während das Bild zuletzt über siebeneinhalb Minuten hinweg langsam dunkel wird, ändern sich auch Lichtwurf und Schatten im abgebildeten Zimmer. Als alle Farben einen gräulichen Ton annehmen, um zuletzt ins Bläuliche überzugehen, rollen die Zeilen eines Gedichts rechtsbündig von unten nach oben über den Bildschirm: MES YEUX PLONGENT DANS UN COIN D’AZUR; MA PENSEE REVE; ABSENTE; PERDUE; INDECISE ET FORCEE D’ALLER VERS LE PASSE; CAR C’EST L’EXHALAISON DES SENTIMENTS VECUS DE TOUTE UNE SAISON QUI PUR MOI SORT AVEC PUISSANCE DE LA VUE, GRACE A L’INTENSITE SUBITEMENT ACCRUE DU SOUVENIR VIVACE LATENT D’UN ETE DEJA MORT; DEJA LOIN DE MOI, VITE EMPORTE. RAYMOND ROUSSEL
34
So erscheint der Protagonist erstmalig bei Minute 17:30, und zwar lediglich für die Dauer von zehn Sekunden beim Durchqueren des Raums, wobei das mittig eingefügte Rechteck opak wird und den Körper überdeckt, so als sei das Bild des Kamins auf einer im Zimmer hängenden Fläche angebracht. Der zweite Auftritt bei Minute 18:49 dauert 15 Sekunden und markiert die zeitliche Mitte des Videos. Hier nun wirkt das Rechteck transparent, denn es gibt den Blick auf die Figur des Manns frei. Als dieser erneut bei Minute 19:25 mittels Überblendung am Fenster stehend erscheint, dauert seine Anwesenheit mit Ausnahme von zwei Unterbrechungen insgesamt sieben Minuten.
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III. Nachbild und Scheinbewegung
Kuntzel entnahm die Zeilen dem Schluss von Raymond Roussels Verserzählung „La Vue“ (1904). Am ihrem Beginn steht die Betrachtung einer kleinformatigen Fotografie, die sich in einer in einem Federhalter eingelassenen Glaskugel befindet. Der Blick des Erzählers bohrt sich in die Details der dort abgebildeten Strandszene und hängt den dabei unwillkürlich auftauchenden Erinnerungen nach. Auf diese Weise entfaltet sich eine Episode nach der anderen, sodass sich die Auseinandersetzung mit dem Bildchen zu einer 2000 Zeilen langen Beschreibung in gleichförmigen Alexandrinern auswächst. Angetrieben wird der Fortgang des Texts dabei, wie Bernard Dieterle herausarbeitete, durch das sich wiederholende Motiv aufblitzenden Lichts. Zu seinem Ende kommt er folgerichtig beim Eintreten der Dämmerung, die dem Erzähler das Entziffern der Fotografie unmöglich macht.35 Schon von Roussel wird also das Licht als notwendige Bedingung des Sehens, und davon abhängig des Beschreibens und Schreibens, thematisiert. Wie das Licht die Retina stimuliert, so treibt es als leitmotivisch inszenierter Sinnesreiz auch die Produktion der sich von ihm ablösenden und Autonomie gewinnenden Beschreibungen an, die wie im Inneren des Erzählers schwebende Nachbilder wirken. Sie scheinen dabei nicht nur durch den äußeren Reiz, sondern auch durch die angesichts der Fotografie unwillkürlich zutage tretenden Erinnerungen bedingt. Diese doppelte Quelle der Bilder als innerlich und äußerlich motivierte wird auch durch die Bezeichnung „La Vue“ impliziert, da diese sowohl mit „Augenlicht“ als auch mit „Ansicht“ übersetzt werden kann. Nicht nur wird mit dem Medium der Fotografie die Funktion der Gedächtnisstütze konnotiert, auch deuten die letzten, von Kuntzel zitierten Zeilen von „La Vue“ den Verlust eines intensiv Erlebten an die Vergangenheit an. Dieses ist, wie es zuletzt heißt, „schon tot“, „schon weit weg von mir“, „rasch davongetragen“. Durch die Wahl des Titels „Time Smoking a Picture“ referiert Kuntzel zudem auf William Hogarths Radierung von 1761 (Abb. 24). Dort ist die Personifikation der Zeit als geflügelter Greis zu sehen, der den Rauch seiner Pfeife auf die Oberfläche eines auf einer Staffelei vor ihm stehenden Landschaftsgemäldes bläst. Das Messer der Sense, die das übliche Attribut der Zeit ist, scheint beim nachlässigen Halten unversehens die Leinwand durchstoßen zu haben. Nun stakt sie darin und hat bereits einen ansehnlichen Schlitz gerissen. Links vor der Staffelei steht ein großer Krug mit dem Etikett „Varnish“, was lautmalerisch und im Kontext des Bilds den Begriff „vanish“ evoziert und das Vergilben und Dunkeln von Firnis impliziert. Die zerbrochene, wohl antike Statue eines Manns, dessen Torso Chronos als Sitzgelegenheit dient, und deren abgebrochene Hand nun mit dem Zeigefinger auf den Behälter mit Firnis weist, zählt zusammen mit dem 35
Vgl. Bernard Dieterle: Erzählte Bilder. Zum narrativen Umgang mit Gemälden. Marburg 1988, zugl. Phil. Diss. TU Berlin, S. 136–140.
2. Farbübergänge
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alternden Bild zum häufig verwendeten Requisit von Vanitas-Stillleben. Von Hogarth wurden alle diese konventionellen Elemente burlesk in Szene gesetzt. Auch die Schriftelemente im Bild sprechen von der Zerstörungskraft der Zeit.36 Offensichtliche Motivübernahmen liegen bei Kuntzel in dem lang ausgedehnten Auftritt des Rauchenden und in der Implementierung eines Bilds im Bild. Über Hogarths Radierung schrieb er: Dans la gravure de Hogarth, Time Smoking a Picture, le Temps, qui a planté sa faux dans un tableau, soufflé sur le paysage peint des volutes de fume qui en partie l’estompent. C’est un dispositif proche que Time reprend et déplace. Image emboîtée dans une image, obscurcissement de la représentation spatiale par le temps, des temps superposes: temps réel du changement de la lumière, temps de la pulsation des cadres enchâsses (non-coïncidence des ouvertures et fermetures de diaphragme), oscillation chronologique/a-chronologique et diurne/ nocturne, temps-couleur.37
Kuntzel hob also hervor, dass sich verschiedene zeitliche Anzeiger in seiner Arbeit überlagerten und zählte diese auf. Zuletzt nannte er die „temps-couleur“ und verwendete damit einen Begriff, der bereits bei Sharits begegnete. Wenn Chronos aber, wie Kuntzel schrieb, eine Situation durch eine ähnliche ersetzt, so wird das Vergehen von Zeit in „Time Smoking a Picture“ durch das andauernde Ein- und Umfärben der videogenerierten Darstellung, gewissermaßen durch ihr „Anhauchen“ mittels eines Synthesizers nachvollzogen. Sein Äquivalent findet dies im Aufnehmen, Erinnern und Vergessen der flüchtigen Farbreize durch den Rezipienten.38 Mit Blick auf die 1993 im Ausstellungskatalog des Jeu de Paume in Paris veröffentlichten Notizen wird die Beschäftigung Kuntzels mit sprachtheoretischen und spezifischen psychoanalytischen Ansätzen offenbar. Video wird von ihm als etwas begriffen, das zwar nach bestimmten Prinzipien und mit Hilfe bestimmter Mittel – Licht, Farbe, Intensitäten, Spuren, Erscheinen und Verschwinden39 – gestaltet wird, dabei aber nicht sprachlicher Natur ist und sich somit einer rationalen Analyse entzieht. Das Videobild dauert dabei für Kuntzel nicht an. Das Entschwinden des im Jetzt Gesehenen, sein unaufhaltsames Abgleiten in das Vergessen, zeichne es vielmehr aus: „Video, nom du 36
37 38 39
Vgl. Karl Arndt: Time Smoking a Picture. Die Zeit schwärzt ein Gemälde, 1761. In: Herwig Guratzsch (Hg.): William Hogarth. Der Kupferstich als moralische Schaubühne. Kat. Ausst. Hannover (Wilhelm-Busch-Museum). Stuttgart 1987, Kat.-Nr. 44, S. 218. Thierry Kuntzel: Time Smoking Picture/Notes (1980). In: Thierry Kuntzel. Kat. Ausst. Paris (Galerie nationale du Jeu de Paume) 1993, S. 102–105, hier S. 102. Nach Bellour schaffe die Zeit das Bild, indem sie es zerstöre. Vgl. Raymond Bellour: Thierry Kuntzel et le retour de l’écriture (1981). In: Ders.: L’Entre-Images. Photo. Cinéma. Vidéo. Paris 1990, S. 25–51, hier S. 37. Vgl. Thierry Kuntzel: Video/Notes de Travail (o. J.). In: Thierry Kuntzel 1993, S. 60.
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III. Nachbild und Scheinbewegung
déjà perdu, de ce qui, dans l’image, échappe irrémédiablement au present regard.“40 Berücksichtigt man Kuntzels Auseinandersetzung mit dem Freud’schen Wunderblock im Jahr 1979, so vervollständigt sich das Bild.41 In der Betitelung seiner Notizen mit „Wunderblock (Nostos I)“ und „Wunderblock (Nostos II)“ fügte er dabei das griechische „nóstos“ hinzu, das so viel wie Rückkehr oder Heimkehr bedeutet und sich mit „álgos“ („Schmerz“) zur neulateinischen Wortschöpfung „Nostalgie“ verbinden lässt. „Nostalgie“ meint im engeren Sinne das Heimweh, im weiteren die Sehnsucht nach der Vergangenheit, die zugleich der Gegenwart flieht.42 Auch in Verbindung mit dem Begriff des Wunderblocks fügt sich „nóstos“ zu der Bedeutung einer Rückkehr in die Vergangenheit, also dahin, wo man herkommt. Denn mit dieser Metapher versuchte Freud jene Funktion des Wahrnehmungsapparats zu erklären, die stets neue Eindrücke aufnehmen und zugleich das Aufgenommene ohne Kapazitätsbeschränkung speichern kann. Das Gerät besteht aus einer Wachstafel, auf der ein dünnes Zelluloid aufgelegt ist. Schreibt man nun mit einem Griffel darauf, so haftet stellenweise das Blatt am Wachs und lässt dadurch das Geschriebene sichtbar werden. Über einen Mechanismus, der beides voneinander trennt, kann die Schrift wieder entfernt werden. Sie bleibt aber unter der Oberfläche als Einkerbung spurenhaft bestehen. Damit soll die Metapher des Wunderblocks etwas Vergleichbares beschreiben wie jene des Palimpsests, die weiter oben bei der Untersuchung von Kentridges animierten Filmen diskutiert wurde. Es geht Kuntzel in „Time Smoking a Picture“ zwar primär um das Vergehen und das Vergessen, doch wird eine Rückkehr in die Vergangenheit, zumindest über die Erinnerung, ersehnt. Insofern kann die Arbeit, ganz im Gegensatz zu Sharits’ „Shutter Interface“, als elegisch bezeichnet werden. Während dort die hohe Geschwindigkeit der sieben wechselnden Farbfelder den Betrachter überfordern und einen tranceähnlichen Zustand herbeiführen soll, erreicht „Time Smoking a Picture“ Vergleichbares gerade durch die Reduktion auf zwei ineinandergeschachtelte Farbfelder und die extreme Langsamkeit der Farbveränderungen. Berücksichtigt man Freuds These von tiefer liegenden Schichten des Wahrnehmungsapparats, in welchen alle Eindrücke wie in einem Wunderblock stets noch vorhanden seien, so kommt bei Kuntzel zu der Auseinandersetzung mit dem zwar anhaltenden, letztlich aber dennoch flüchtigen Nachbild die Annahme einer tiefer liegenden Speicherfunktion hinzu. Wie in Roussels Verserzählung „La Vue“ kann das Vergessene als Erinnerung wieder zutage treten und mit den aktuellen Sinnesreizen interagieren, so wie ein Video zwar seine spezifische Laufzeit hat, dabei aber wiederholt abgerufen werden kann. 40 Ebd. 41 Vgl. Thierry Kuntzel: Wunderblock (Nostos I)/Notes (1979). In: Thierry Kuntzel 1993, S. 82–93. 42 Brendan O’Donoghue diskutierte den Begriff „nóstos“ ausführlich mit Bezug auf Martin Heideggers Philosophie. Vgl. Brendan O’Donoghue: A Poetics of Homecoming. Heidegger, Homelessness and the Homecoming Venture. Cambridge 2011, S. 5–7.
3. Virtualität
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3. VIRTUALITÄT Ein weiterer Aspekt hinsichtlich der Thematisierung des Nachbildeffekts lässt sich anhand von Paul Pfeiffers „Morning after the Deluge“ (2003, Abb. 25) herausarbeiten. In dem digitalen Farbvideo, das in einem einstündigen Durchlauf dreimal die gleiche Sequenz von je 20 Minuten zeigt, wurden Videos der auf- und untergehenden Sonne am Computer verdeckt montiert. Wie Stefano Basilico schrieb, nahm Pfeiffer diese am Strand von Provincetown, Massachusetts, auf, wobei er jeweils den Bereich oberhalb der Wasseroberfläche mit statischer Kamera filmte. Beide Aufnahmen wurden schließlich so entlang der Horizontlinie angeordnet, dass der Sonnenuntergang um 180 Grad gedreht den Teil unterhalb des Horizonts besetzt und der Sonnenaufgang den Bildbereich oberhalb. Im Verlauf des Videos verändert sich das Verhältnis der beiden Bestandteile zueinander. Während zu Beginn der größte Teil des Videobilds unten durch die Aufnahme des Sonnenuntergangs eingenommen wird, verschiebt sich im Laufe der 20 Minuten das Verhältnis zugunsten des Sonnenaufgangs im oberen Bildbereich. Die Sonne selbst positionierte Pfeiffer dauerhaft im Zentrum des Kaders.43 Als Resultat bewegt sich diese nicht der Sehgewohnheit entsprechend über den statischen Horizont hinweg, sondern schwebt durchwegs in der Mitte, während der Horizont sich von oben nach unten über die Bildfläche schiebt, den glühenden Ball langsam durchschneidet und dabei leicht deformiert. Das Absinken des Horizonts erfolgt – wie bei Kuntzel der Wechsel der Farben – so langsam, dass die Bewegung bei kurzer Verweildauer vor dem Werk kaum wahrnehmbar ist. Die graduelle Veränderung wird immer nur etappenweise sichtbar, nämlich dann, wenn die waagrechte Linie eine längere Strecke zurücklegte und sich beispielsweise nach etwa einem Drittel der jeweiligen 20-minütigen Sequenz mit der Ober fläche des leuchtenden Balls zu verbinden beginnt. Dementgegen durchqueren hin und wieder Vögel im raschen Flug das Bild.44 Die Montage von Morgen- und Abendrot bestimmt die ebenfalls langsame Änderung der Farbverteilung. So verläuft diese zu Beginn von Türkis im unteren Bildbereich zu Rot-Orange oben. Am Ende eines Durchlaufs werden die entgegengesetzt verteilten Farben mittels einer lang andauernden Überblendung an der waagrechten Mittelachse gespiegelt. Auf diese Weise wird 43 44
Vgl. Stefano Basilico: Paul Pfeiffer. Disturbing Vision. In: Ders. (Hg.): Paul Pfeiffer. Ausst. Kat. Düsseldorf (K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen). Ostfildern 2004, S. 23–27, hier S. 26. „I was interested in the idea that the video loop represents a disturbing notion of time being something that you can actually freeze. When you look at the image you don’t see anything happening. The sun and the horizon don’t seem to move. You might think it’s a still unless you happen to look at it at a moment when a bird is flying by.“ Paul Pfeiffer: Private View. The Sun is God. Paul Pfeiffer on J. M. W. Turner. In: Tate Etc. 2 (Herbst 2004), URL: http://www.tate. org.uk/context-comment/articles/sun-god (Stand: 30.6.2017).
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III. Nachbild und Scheinbewegung
wieder zum Anfang des Videos übergeleitet. Die Horizontlinie beginnt erneut von oben durch das Bild zu sinken. Mit dem Titel seiner Arbeit bezog sich Pfeiffer auf Joseph Mallord William Turners „Light and Colour (Goethe’s Theory) – the Morning after the Deluge – Moses Writing the Book of Genesis“ (1843, Abb. 26). Dessen mit 79 x 79 cm quadratisch angelegtes Gemälde, in welchem der Eindruck leuchtender Farben dominiert, wird formatfüllend von einem atmosphärisch wirkenden Strudel aus am Rand überwiegend rötlichem und zum Zentrum hin über Goldgelb heller werdendem Licht beherrscht. In diesem zeichnet sich schemenhaft eine Gestalt ab, die dem zeitgenössischen Titel entsprechend als der schreibende Moses gedeutet wird, sowie das sich kontrastreich abhebende Kürzel einer gewundenen Schlange, die mit der Bildtradition der Ehernen Schlange identifiziert wird. Im unteren Bildbereich sind Gesichter angedeutet, die sich in das Rund der Gesamtkomposition einfügen. Das Gemälde vermittelte sich Pfeiffer, wie dieser schrieb, über eine Textstelle in Crarys „Techniques of the Observer“, in dem dieser Turners ungewöhnliche Bildfindung auf eine Auseinandersetzung mit dem retinalen Nachbild bezog: As Crary describes it, the ,view of the sun that had dominated so many of Turner’s previous images now becomes a fusion of eye and sun. Through the after-image the sun is made to belong to the body, and the body in fact takes over as the source of its effects.‘ The painting represents a significant shift from an understanding of reality as being ,out there‘ to something formed by the viewer.45
Das Nachbild des Schauenden kommt also bei Turner nach der Deutung Crarys in ein Passungsverhältnis mit der abgebildeten Sonne. Pfeiffer interessierte dabei auch die Vorstellung einer zeitlich bedingten Lockerung der Bindung zwischen Reizauslöser und Nachbild, die den menschlichen Körper zum teilweisen Ursprung der Erscheinung werden lässt. Die Deutung der Darstellung als Einheit von Sonne und Auge wird untermauert, zieht man Turners Beschäftigung mit dem Farbensehen, die durch Goethes „Zur Farbenlehre“ angeregt worden war, in Betracht. Der Künstler untersuchte den Nachbildeffekt beim direkten Blick in die Sonne, um durch die Intensität der Reizung eine besonders starke Wirkung zu erzielen.46 Bereits Goethe hatte in seiner Einleitung zum ersten Band von „Zur Farbenlehre“ Sonne und Auge zueinander in Beziehung gesetzt, womit 45 Ebd. 46 Vgl. Jonathan Crary: Your Colour Memory. Illuminationen des Ungesehenen. In: Busch u. Meister 2011, S. 241–248, hier S. 245.
3. Virtualität
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er meinte, dass Erkennen prinzipiell Gleichheit voraussetze. Nur von Gleichem könne Gleiches erkannt werden, deshalb müsse das Auge sonnenhafte Qualitäten besitzen: Wär’ nicht das Auge sonnenhaft, Wie könnten wir das Licht erblicken? Lebt’ nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt’ uns Göttliches entzücken?47
Im Auge wohne „ein ruhendes Licht“, das schon durch einen kleinen Auslöser aktiviert werden könne. Dieser Auslöser könne sowohl von außen kommen als auch in den Aktivitäten von Einbildungskraft oder Traum seine Ursache haben.48 Der Schauende wird in dem von Goethe vorgetragenen Gedicht zugleich zum Visionär des Göttlichen. Sinnhaftigkeit erlangt Turners Darstellung erst durch die Annahme einer Allegorie auf das Nachbildsehen, dessen Untersuchung gerade beim Blick in die Sonne nicht ungefährlich war. So verlor im Entstehungsjahr des Gemäldes 1843 Joseph Plateau als Folge solcher Experimente das Augenlicht. Turners Eherne Schlange wurde bis jetzt, so von Werner Hofmann, lediglich als ein Hinweis auf die Kreuzigung Christi oder als im Kontext mit den anderen Werken des Künstlers lesbares Symbol des Bösen gedeutet.49 Vor dem hier referierten Hintergrund kann sie als Schutzzeichen gelesen werden, das die Verletzung durch die Sonnenstrahlen – in der entsprechenden Bibelstelle ist von „feurigen Schlangen“50 die Rede – heilt. Wenn aber das gleißende Licht den Augenhintergrund wie eine Sintflut überschwemmt und alle anderen Seheindrücke auslöscht, so bleibt dem Geblendeten nur ein inneres beziehungsweise visionäres Sehen. Übertragen auf Pfeiffers „Morning after the Deluge“ kann zunächst festgestellt werden, dass das projizierte Bild buchstäblich leuchtet. Das Werk ist nicht mehr Allegorie auf Licht, Erkennen und Blendung, sondern inszeniert einen Erfahrungsraum, in dem die Projektion selbst zur Lichtquelle für den Betrachter wird. Damit rückt die Medialität der Arbeit in den Fokus der Deutung. In der Geschichte des Films ist die Darstellung einer Blendung, der selbstreflexiver Status zugeschrieben wird, aus der eingängigen Anfangssequenz von Luis Buñuels und Salvador Dalís „Un chien andalou“ (1929) 47 48 49
50
Goethe 1810, S. XXXVIII. Vgl. ebd. Hofmann wies außerdem mit Bezug auf die Forschungen John Gages darauf hin, dass Philipp Otto Runge in der Rahmung des „Mittags“ die Eherne Schlange und die Gesetzestafeln als Motive verwandte. Vgl. Werner Hofmann: Der Anfang aller Dinge. In: Ders. (Hg.): William Turner und die Landschaft seiner Zeit. Kat. Ausst. Hamburg (Kunsthalle). München 1976, S. 186–206, hier S. 206. 4. Mose 21, 4–9. – Zur Strafe für die Undankbarkeit der Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten sendet Gott „feurige Schlangen“, deren Biss tödlich ist. Moses stellt die Eherne Schlange, ebenfalls auf Geheiß Gottes, als Zeichen auf, das bei Blickkontakt eine Heilung bewirkt.
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III. Nachbild und Scheinbewegung
bekannt, in der scheinbar der Augapfel einer Frau mit dem Rasiermesser durchschnitten wird. Jene Einstellung, die das Gesicht der Frau, an deren Auge das Messer gerade angesetzt wird, in Nahaufnahme zeigt, wird mit dem Bild eines am Balkon zum Himmel blickenden Manns, gespielt von Buñuel, und dem Vollmond, vor den sich im Zeitraffer ein schmales Wolkenband schiebt, kombiniert (Abb. 27).51 Auch hier werden Lichtquelle und Auge aufeinander bezogen, wobei beide durch eine horizontale Bewegung gespalten werden. Bei Buñuel und Dalí lässt sich der Schnitt durch das Auge mit dem Filmschnitt identifizieren, der den Zeitablauf der Handlung strukturiert und den der Betrachter selten bewusst wahrnimmt. Das Bestreben, einen narrativen Zusammenhang zu bilden, lässt ihn dabei Unstimmigkeiten sogar übersehen. Dies wird in „Un chien andalou“ durch bewusst eingesetzte „Fehler“ reflektiert. Beispielsweise trägt Buñuel kurz vor und während des Blendungsakts unterschiedliche Kleidung, was aber erst bei genauem Betrachten der Sequenz auffällt. Bei Pfeiffer ist der das Lichtbild zerteilende Strich einerseits eine Störung, die im ersten Moment eine Fehlfunktion der digitalen Ausgabe vermuten lässt. Andererseits verweist sein langsames Absinken aber auch auf die ständige Aktualisierung des Bilds. Der sich bewegende Horizont wird dabei zum Zeiger einer Uhr. Wenn diese Uhr gemeinsam mit dem Motiv der Sonne in das Bild gelegt wird, entsteht das Doppelbild zweier Anzeiger, welche den Ablauf von Zeit mit Bezug auf unterschiedliche Bezugssysteme indizieren: nämlich der natürlichen Rotationsbewegung der Planeten – die hier bildhaft außer Kraft gesetzt ist – und der Spielzeit des Videos, die nun zum eigentlichen Referenzpunkt der Messung wird.52 Gewiss ist Pfeiffers Arbeit vor dem Hintergrund der medienphilosophischen Diskussion über virtuelle und reale Welten in den 1980er und 1990er Jahren zu sehen, die durch eine Verdammung oder Überhöhung der Computertechnologie geprägt war. Insbesondere die Angst vor einem mit dem Gebrauch des Mediums einhergehenden Realitätsverlust – oder dessen Begrüßung – stand im Zentrum der Auseinandersetzung. Das Begriffspaar Licht und Sehen wurde dabei wiederholt argumentativ für eine Auseinan51 52
Für eine ausführliche Sequenzanalyse vgl. Linda Williams: Figures of Desire. A Theory and Analysis of Surrealist Film. Neuaufl. Berkeley 1992, S. 63–65. Aus diesem Grund ist Katy Siegels Vergleich von Pfeiffers Video mit Jeff Koons’ „One Ball Total Equilibrium Tank“ (1985), der einen handelsüblichen Basketball mittig und nahezu bewegungslos in einem auf abgefederten Stelzen stehenden Aquarium schwimmend zeigt, zwar formal zunächst einleuchtend, hält aber einer weiteren Analyse nicht stand. Der von Koons angestrebte vollkommene Ausgleich der physikalischen Kräfte in dem weitgehend geschlossenen System impliziert die Idee eines absoluten Stillstands, der mit dem Begriff des Wärmetods in Zusammenhang gebracht werden kann. Eine Übertragung der Deutung auf Pfeiffers Video wird aber der Bewegung des Horizonts nicht gerecht. Vgl. Katy Siegel: In the Middle of Nowhere. In: Octavio Zaya (Hg.): Paul Pfeiffer. Kat. Ausst. León (Museo de Arte Contemporáneo). Barcelona 2009, S. 99–111, hier S. 103. – Für Aussagen Koons über das betreffende Werk mit Bezug auf das Thema Tod vgl. Jeff Koons – Anthony Haden-Guest Interview. In: Angelika Muthesius (Hg.): Jeff Koons. Köln 1992, S. 12–36, hier S. 19.
3. Virtualität
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dersetzung mit dem epistemologischen Status computergenerierter Welten eingesetzt. So bezeichnete Crary digitale Bilder als entmaterialisiert, da sie auf der Grundlage von Bits, Rechnerleistung und Elektronik basierten,53 und konstatierte ausgehend von Jean Baudrillard für die digitale Bildwelt das Vorherrschen von Simulakren, also Trugbildern. Diese bezögen sich nicht mehr in valider Art und Weise auf Realität und auch nicht auf ein Absolutes, sondern generierten vielzählige intermediale Referenzen, ohne jemals auf festen Grund zu stoßen. Die Differenz von Original und Nachbildung gehe in einer Serie von Bezügen auf, deren Bezugspunkte als gleichwertig zu betrachten seien.54 Paul Virilio betonte die Ähnlichkeit zwischen visueller und apparativer Wahrnehmung und plädierte dafür, die Faktizität des wahrgenommenen Bewegtbilds durch den Kinozuschauer zu bejahen. Dabei wies er auf die Dauer der Belichtungszeit hin, die aus der Aufnahme eine „Zeitnahme“55 mache. Eine Objektivierung des Bilds konstituiere sich hinsichtlich „jener Belichtungszeit, die sichtbar macht oder eben nicht mehr zu sehen erlaubt“56, und nicht hinsichtlich der Materialität eines Trägers, die im Falle der Computertechnik angeblich nicht mehr vorhanden sei. Vilém Flusser schließlich sprach mit Bezug auf die vom Menschen generierten virtuellen Welten vom „digitalen Schein“ und leugnete zugleich das Vorhandensein einer wie auch immer beschaffenen Realität: Der ‚digitale Schein‘ ist das Licht, das für uns die Nacht der gähnenden Leere um uns herum und in uns erleuchtet. Wir selbst sind dann Scheinwerfer, die die alternativen Welten gegen das Nichts und in das Nichts hinein werfen.57
Von dieser quasinihilistischen Position aus betrachtet ist das digitale Bild nicht nur ein nach außen gelegtes inneres Bild, sondern zugleich das Einzige, was dem Menschen bleibt. Während Turner mit Goethe noch von einem transzendenten Ziel des Erkennens ausging, wäre Pfeiffers „Morning after the Deluge“ als Ausdruck einer Entfernung von der realen Welt beziehungsweise von Wirklichkeitsverlust zu verstehen – oder als Nullpunkt einer neu zu schaffenden Welt. Deren Zeitmaß setzt dasjenige der Natur außer Kraft. Sowohl bei Sharits und Kuntzel als auch bei Pfeiffer werden die stroboskopische Fusionsfrequenz, die Scheinbewegung und/oder der Nachbildeffekt zu Gegenständen 53 54 55 56 57
Vgl. Crary 1996, S. 12. Vgl. ebd., S. 23. Paul Virilio: Über mentale und instrumentale Bilder. In: Hans Matthäus Bachmayer, Otto van de Loo u. Florian Rötzer (Hgg.): Bildwelten – Denkbilder. Texte zur Kunst 2 (1986), S. 269–273, hier S. 271. Ebd., S. 272 (Kursivierung im Original). Vilém Flusser: Digitaler Schein. In: Florian Rötzer (Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Frankfurt am Main 1991, S. 147–159, hier S. 159.
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III. Nachbild und Scheinbewegung
der jeweiligen Arbeit. In allen drei Fällen spielt dabei die Projektion und Perzeption von Farbe eine zentrale Rolle, wobei die künstlerischen Konzepte unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen. Während bei Sharits die Netzhaut zur Leinwand wird, geht es bei Kuntzel um das bewusst erlebte Vergehen des Wahrgenommenen. Pfeiffer wiederum behauptet die Autonomie des inneren Bilds. Wichtig sind weniger die gezeigten Motive – selbst die von Kuntzel und Pfeiffer explizit markierten Verweise auf allegorisch zu lesende Bildwerke der Kunstgeschichte finden auf der motivischen Ebene einen nur leichten Niederschlag. Entscheidender ist vielmehr die Umsetzung der jeweiligen Themen in Form von Quasi-Versuchsaufbauten, die entweder mit extrem raschen oder äußerst langsamen Farbveränderungen arbeiten und dadurch die Perzeption überfordern. Diese Überforderung vor dem Werk kann schließlich zu einer Reflexion der zeitlich organisierten Wahrnehmung führen.
IV. BILDABFOLGEN
In den drei zuvor besprochenen Werkbeispielen waren der Einsatz von Farbe und die Geschwindigkeit ihrer Veränderung wesentlich für die Thematisierung des Nachbildeffekts oder der Scheinbewegung. Im Folgenden werden seriell angelegte Arbeiten untersucht, die piktorial wirkende Einstellungen zu einem durchgängigen Fluss verknüpfen oder im Gegensatz dazu eine vorgefundene Bewegungsillusion in Einzelbilder aufspalten. Eine entscheidende Rolle spielt auch hier die Geschwindigkeit der Taktung, also der zeitliche Abstand zwischen den Einstellungen. Der visuelle Eindruck nähert sich demjenigen einer Diavorführung oder eines Daumenkinos an. Folgt man dem Neurowissenschaftler Ernst Pöppel, so können einzelne Ereignisse durch das Bewusstsein gerade dann noch zu einem Zusammenhang gruppiert werden, wenn sie maximal drei Sekunden auseinanderliegen. Dieser Zeitraum entspräche damit der Dauer des menschlichen Gegenwartsempfindens. Pöppel veranschaulichte dies anhand der Schlaggeschwindigkeit eines Metronoms. So würden Schläge im Abstand von einer halben Sekunde automatisch mit einer subjektiven Betonung versehen, sodass eine zeitliche Gestalt entstünde. Je länger die Schläge auseinanderlägen, umso schwieriger werde es, Muster zu bilden. Da solche Muster aber eine integrative Wirkung h ätten, könne das in längeren Abständen Wahrgenommene auch nicht mehr simultan präsent gehalten werden.1 Der von Pöppel beschriebene Effekt der geschwindigkeitsabhängigen Fähigkeit zur Gestaltenbildung wird durch musikpsychologische Studien bestätigt, die zeigen, dass bei langsam gespielten Stücken – ab zwei bis vier Sekunden Zeitabstand zwischen den Schlägen – das Taktgefühl des Musikers unzuverlässig wird.2
1. SPANNUNGSAUSGLEICH UND ENTROPIE Gestaltpsychologische Konzepte stehen auch im Zentrum von Rudolf Arnheims 1971 erschienenem Buch „Entropy and Art. An Essay on Disorder and Order“. Zusätzlich übertrug der Autor dort den Begriff der Entropie, und damit ein physikalisches Erklärungsmodell für linear ablaufende Zeit, auf Gegenstände der Kunst. Das Konzept der 1 2
Vgl. Ernst Pöppel: Grenzen des Bewusstseins. Wie kommen wir zur Zeit, und wie entsteht Wirklichkeit? Frankfurt am Main 1997, S. 63–65. Vgl. Reinhard Kopiez: Die Performance von Erik Saties „Vexations“ aus Pianistensicht. In: Ders. u. a. (Hgg.): Musikwissenschaft zwischen Kunst, Ästhetik und Experiment. FS Helga de la Motte-Haber. Würzburg 1998, S. 303–311, hier S. 303–306 u. S. 310.
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IV. Bildabfolgen
Entropie leitet sich aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ab. Dieser besagt, dass der Zustand in einem geschlossenen System sehr wahrscheinlich entweder gleich bleibt oder sich in einen wahrscheinlicheren Zustand verwandelt, der ein höheres Maß an Entropie besitzt. Häufig werden in diesem Kontext die Begriffe „Ordnung“ und „Unordnung“ beziehungsweise „Zerstreuung“ verwendet, wobei behauptet wird, dass Unordnung wahrscheinlicher sei als Ordnung. Auf den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik wird zurückgeführt, dass warme Flüssigkeiten auf die Temperatur ihrer Umgebung abkühlen und verdunsten, Eisen rostet und angestoßene Pendel zum Stillstand kommen.3 Die Rede vom Wärmetod schließlich entwirft eine Vision vom Ende der Zeit. Alle Energie im Universum werde sich dann so zerstreut haben, dass sie sich in einem Zustand des vollkommenen Ausgleichs befinde und dadurch notwendigerweise alle Bewegung zur Ruhe komme. Arnheims Text ist zum einen historisch relevant, da sich auch Künstler mit ihm auseinandersetzten. Zum anderen bietet er für die folgende Argumentation einen Ansatzpunkt, um sich ändernde Bildkompositionen mit einer kinetischen Dynamik, also mit dem durch aufeinander wirkende Kräfte bedingten Richtungswechsel sich bewegender Massen, zusammenzudenken.4 KETTENREAKTIONEN
Die Ausführungen Arnheims lassen sich mit dem 16-mm-Farbfilm „Der Lauf der Dinge“ (1987, Abb. 28) von Peter Fischli und David Weiss zusammenbringen, der erstmals auf der documenta 8 gezeigt wurde und den Elizabeth Armstrong treffend als „kinetic slapstick“ bezeichnete, der, wie sie formulierte, mit der Genauigkeit einer Schweizer Kuckucksuhr in Gang gesetzt werde.5 Für die Produktion dieser Arbeit wurden in einer Halle Alltagsgegenstände, wie Reifen, Kerzen und Werkzeuge sowie chemisch angereicherte Flüssigkeiten, so zu experimentellen Aufbauten gruppiert, dass es nach Manipulation eines der Bestandteile zu einer Reaktionsabfolge kommen konnte. Die Aufnahmen wurden ab September 1985 über die Dauer von einem Jahr zunächst unter Zuhilfenahme von Super-8-Film und dann von 16-mm-Film erstellt.6 Die fertige Arbeit setzt sich schließlich aus mehreren einzelnen Sequenzen zusammen, die bei der Betrach3 4 5 6
Vgl. Klaus Mainzer: Zeit. Von der Urzeit zur Computerzeit. München 1995, S. 74. Für eine Definition des Begriffs Kinetik vgl. Gerhard Knappstein: Kinematik und Kinetik. Arbeitsbuch mit ausführlichen Aufgabenlösungen, Grundbegriffen, Formeln, Fragen, Antworten. 3. erw. Aufl. Frankfurt am Main 2010, S. 1. Vgl. Elizabeth Armstrong: Everyday Sublime. In: Janet Jenkins u. Kathleen McLean (Hgg.): Peter Fischli – David Weiss. In a Restless World. Kat. Ausst. New York (Walker Art Center) 1996, S. 82–93, hier S. 86. Vgl. Thomas Kapielski: Causal Video and its Effect on a Film or Approaches to The Way Things Go. In: Fischli Weiss. Flowers and Questions. A Retrospective. Kat. Ausst. London (Tate Modern u. a.) 2006, S. 223–226, hier S. 225.
1. Spannungsausgleich und Entropie
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tung jedoch nicht gleich als solche auffallen.7 Durch die versteckt eingesetzten Filmschnitte wirkt der Dominoeffekt scheinbar ununterbrochen und aufgrund der ungewöhnlich langen Laufzeit von knapp 30 Minuten potentiell unendlich fortlaufend, insbesondere dann, wenn die Arbeit als Endlosschleife gespielt wird. Obwohl keine Geschichte erzählt wird, stellten verschiedene Autoren Bezüge zum Bereich des Unterhaltungs- beziehungsweise Spielfilms her. So werde etwa in einer für Alfred Hitchcock typischen Strategie der Spannungserzeugung ein Konstruktionsabschnitt zu Beginn der Reaktionsabfolge in der Halbtotalen gezeigt.8 Das anthropomorphe Aussehen einzelner Gegenstände und die Charakteristika ihrer Bewegungen lassen in der Tat immer wieder an handelndes Figurenpersonal denken. Auch Verkettungen von Ursache und Wirkung sowie zeitliche und räumliche Zuweisungen sind dazu geeignet, narrative Vorstellungsmuster anzusprechen.9 So vermeint man bisweilen zu beobachten, wie die verlebendigten Dinge vorwärts trippeln, sich Schläge verpassen und ihr artistisches Geschick durch haarsträubende Aktionen unter Beweis stellen. Eine Weitergabe des Impulses scheint dabei immer wieder wie kurz vor dem Scheitern. Fischli und Weiss stellten kausale Abläufe nicht nur dar, sondern inszenierten diese regelrecht. Prägend war dabei die Vorstellung einer sich zwar transformierenden, aber dabei durchlaufenden Kraft: Wichtig ist die Energie. Hat man einen Anfang und ein Ende, so erhalten diese zwangsläufig eine besondere Bedeutung, aber der wirkliche Sinn liegt in der Tatsache andauernder Bewegung. [...] Wenn die Dinge funktionieren, man aber jeden Augenblick denken kann ‚jetzt kracht es!‘ – wenn es am Rande des Nichtfunktionierens steht, dann sagen wir, ‚Es ist wunderbar: Es hat funktioniert.‘10
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Hans-Ulrich Obrist spricht von sechs Filmteilen. Vgl. Hans-Ulrich Obrist: Rede anlässlich der Verleihung des Prix Caran d’Ache an Peter Fischli und David Weiss (Typoskript. Zürich, 29. Mai 1988). In: Patrick Frey (Hg.): Das Geheimnis der Arbeit. Texte zum Werk von Peter Fischli und David Weiss. Kat. Ausst. München (Kunstverein u. a.) 1990, S. 229–232, hier S. 229. – Die Künstler erklärten, dass die Einstellung auf den Schaum dazu diene, die Schnitte zu kaschieren. Vgl. Matthew Collings: The Stumbling Objects of Fischli and Weiss. Gespräch mit den Künstlern (EA 1987). In: Frey 1990, S. 180–188, hier S. 180. So solle ein Film beispielsweise nicht nur die Explosion eines Sprengsatzes und die daraus entstehenden Folgen zeigen. Vielmehr seien alle Details, die Vorgeschichte, das Aussehen des Sprengsatzes und seine Position, in aller Ausführlichkeit zu schildern. Vgl. Jerry Saltz: The Way Things Go (EA 1988). In: Frey 1990, S. 200–205, hier S. 202. – Bezüglich des narrativen Aspekts der Arbeit vgl. Arthur C. Danto: The Artist as Prime Mover. Thoughts on Peter Fischli and David Weiss’ The Way Things Go. In: Robert Fleck, Beate Söntgen u. Arthur C. Danto: Peter Fischli, David Weiss. London, New York 2005, S. 92–105, hier S. 101. Handelnde Charaktere, Zuweisungen von Raum und Zeit sowie Kausalität bilden nach David Bordwell und Kristin Thompson die Eckpfeiler filmischen Erzählens. Vgl. Bordwell u. Thompson 2004, S. 72. Collings (1987) 1990, S. 188.
84
IV. Bildabfolgen
Voraus ging dem Film eine Serie von 45 Fotografien mit dem Titel „Equilibres“ beziehungsweise „Stiller Nachmittag“ aus den Jahren 1984 bis 1985 (Abb. 29). Sie zeigen skurrile Aufbauten aus Gebrauchsgegenständen und Nahrungsmitteln, welche anscheinend gerade noch ausbalanciert sind und jeden Moment auseinanderzufallen drohen.11 Die Künstler interessierten sich dabei, wie sie sagten, für die Möglichkeit einer Komposition, die sich im Ausgleich der Kräfte automatisch generiere.12 In „Entropy and Art“ konnte Arnheim die Balance von Kräften, ihre gegenseitige Aufhebung und damit einen eigentlich als entropisch aufzufassenden Zustand deshalb als ordentlich anstatt als unordentlich bezeichnen, weil er von einer allgemeinen Tendenz der Spannungsverminderung ausging, die nicht nur durch Zerstreuung und einem Abfall von Kraft verursacht sein müsse, sondern auch von einer gestalthaften Organisation herrühren könne.13 So schrieb er über eine harmonische Komposition am Beispiel einer steinernen Madonnenfigur des 15. Jahrhunderts, dass „alle visuellen Größen, Abstände, Richtungen, Kurven und Volumen aufs feinste gegeneinander ausbalanciert sind. [...] Das Spiel der Kräfte ist vom Künstler zum Stillstand gebracht, [...].“14 Eine so entstandene Ordnung sei dabei eine grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit des Verstehens. Worum es sich auch handele, einen Text, ein Bild oder um Ton, jede Ordnung erlaube es dem Betrachter, das Ganze und seine Teile zu erfassen und zueinander in Beziehung zu setzen, sobald die wesentlichen Strukturelemente selektiert worden seien.15 Auf Fragen von Dauer oder von zeitlichen Abständen als Voraussetzung der Gestaltenbildung, zum Beispiel bei Tönen, ging Arnheim nicht ein. Fischli und Weiss stellten in ihren Versuchen fest, dass sich das Problem der Komposition von selbst löste, wenn das statische Gleichgewicht der einzelnen Teile zueinander ausgewogen war, der Aufbau also im wahrsten Sinne des Worts stand. „Der Lauf der Dinge“ habe sich nun aus der Frage heraus entwickelt, wie die freiwerdende Kraft beim Auseinanderfallen der Gebilde künstlerisch umgesetzt werden könne.16 Dass Fischli und Weiss dabei die produktive Umwandlung der Zerstörung retrospektiv als „provozierende Vorstellung“17 bezeichneten, gewinnt an Plausibilität, ruft man sich die im Jahr vor 11
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Die Fotografien sind mit zusätzlichen Aufnahmen aus dem Jahr 1987 in dem folgenden Bildband dokumentiert: Peter Fischli u. David Weiss: Equilibres. Köln 2006. – Für eine kurze Beschreibung vgl. Renate Goldmann: Peter Fischli, David Weiss. Ausflüge, Arbeiten, Ausstellungen. Ein offener Index (= Kunstwissenschaftliche Bibliothek 25). Köln 2006, S. 215 u. Abb. auf S. 203–207. Vgl. Collings (1987) 1990, S. 182. Vgl. Rudolf Arnheim: Entropie und Kunst. Ein Versuch über Unordnung und Ordnung (EA Berkeley 1971). Übers. aus dem Amerikan. v. Verf., Köln 1979, S. 56. Ebd., S. 53. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. Collings (1987) 1990, S. 182f. Ebd., S. 183.
1. Spannungsausgleich und Entropie
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der Fertigstellung des Werks geschehene Katastrophe im in der Ukraine gelegenen Tschernobyl vom 26. April 1986 in Erinnerung. Hier war es eine Kettenreaktion im Atomkraftwerk gewesen, die das Unglück verursacht hatte.18 Zugleich scheinen aus der Form abgeleitete normative Zuschreibungen wirksam zu sein, wie sie bei Arnheim zu finden sind. So proklamierte dieser: „Ordnung ist eine notwendige Bedingung für das Funktionieren einer jeden Struktur. Ein Mechanismus muss so organisiert sein, dass die Kräfte, die ihn betätigen, zueinander stimmen.“19 Demgemäß bewerteten Fischli und Weiss die „auftretenden“ Gegenstände hinsichtlich der Erfüllung ihrer Funktion. Sie seien „gut“, wenn sie ihre Aufgabe erfüllten, dagegen „schlecht“, wenn sie die Reaktionskette durchbrächen, sich also im funktionalen Zusammenhang nicht bewährten.20 Gelegentlich wird in der Sekundärliteratur auf Jean Tinguelys sich selbst zerstörende kinetische Skulpturen „Homage to New York“ (1960) sowie „Study for an End of the World No. 2“ (1962, Abb. 30) verwiesen.21 Während Tinguely in ersterer Arbeit im Garten des Museum of Modern Art in New York erstmals Sprengstoff verwendete und dadurch eine Entmaterialisierung der Arbeit nicht nur, wie schon zuvor, durch einen gezielt eingesetzten Schattenwurf erzeugte, sondern auch durch Einbezug von Licht, Luft, Feuer und Rauch, Wasser, Klang,22 so stellte er bei letzterer zusätzlich einen Bezug zu den ersten Atombombenversuchen her, indem er sie in der Wüste von Nevada aufbaute.23 Charakteristisch für beide Werke war die Verwendung von gebrauchten Alltagsgegenständen. „Study for an End of the World No. 2“, das vor kleinem Publikum aufgeführt und durch den Fernsehsender NBC gefilmt wurde, bestand überwiegend aus Schrott – darunter Zementmischer, Einkaufswagen und Sessel –, der mit viel Sprengstoff sukzessive zur Explosion gebracht wurde. Im Falle von „Homage to New York“ arrangierte Tinguely nahezu 100 Räder, 15 Motoren, ein Klavier, eine Adressiermaschine, eine Kinderbadewanne, zahlreiche Autohupen und chemische Flüssigkeiten zu einem sieben Meter langen und neun Meter hohen, einheitlich weiß gestrichenen Gebilde, das sich über die Dauer von 28 Minuten in spektakulärer Weise selbst vernich-
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Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Katastrophe wird die Arbeit politisch aufgeladen, auch wenn der Beginn der Produktion nach Angabe der Künstler auf den Herbst 1985 datiert. Arnheim (1971) 1979, S. 11. Vgl. Collings (1987) 1990, S. 184. Vgl. Armstrong 1996, S. 86. – Vgl. Christine Poullain: Les Cascades de Dominos de Fischli et Weiss (EA 1988). In: Frey 1990, S. 209–213, hier S. 213. – Vgl. Danto 2005, S. 100f. Vgl. Annelie Lütgens: L’Esprit de Tinguely. Das Wunderbare besiegt das Nützliche. In: Dies. u. Gijs van Tuyl (Hgg.): L’Esprit de Tinguely. Kat. Ausst. Wolfsburg (Kunstmuseum). Ostfildern 2000, S. 19–118, hier S. 33–49. – Zum Schattenwurf vgl. Jürgen von Schemm: Das Kunstwerk als Perpetuum Mobile oder der gebannte Tod in den „Friedhöfen der Kunst“. In: Manfred Fath (Hg.): Jean Tinguely. „Stillstand gibt es nicht!“. Kat. Ausst. Mannheim (Städtische Kunsthalle) 2002/2003. München u. a. 2002, S. 156–159, hier S. 157f. Vgl. Inge Herold: „Stillstand gibt es nicht“. In: Fath 2002, S. 38–47, hier S. 39f.
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IV. Bildabfolgen
tete. In beiden Fällen kam es zu Pannen im Ablauf.24 Dass für Tinguely das Thema Zeit eine zentrale Rolle spielte, wird mit Blick auf das Manifest „Für Statik“ (1959) offensichtlich, in dem der Künstler für die Akzeptanz ständigen Wandels plädierte. Dieser entspreche der Natur des Seins und verwirkliche Freiheit sowie Lebendigkeit.25 Er rief zu einer achtsamen Lebensweise auf, die für die Möglichkeiten des jeweiligen Moments nicht nur offen sein solle, sondern die Gegenwart auch als vorrangig gültige Realität anzuerkennen habe. Auch der Tod stelle nur einen Wechsel von einem in den anderen Zustand dar. Dem entsprechend verhalten sich Tinguelys kinetische Skulpturen in der Zeit, anstatt sie darzustellen. Sie folgen damit einer realistischen Werkauffassung, wie sie von Naum Gabo und Antoine Pevsner formuliert worden war.26 „Der Lauf der Dinge“ ist selbst zwar keine kinetische Skulptur, über die Dokumentation kinetischer und chemischer Abläufe geht die Arbeit aber insofern hinaus, als die Reaktionsabfolge durch den versteckten Schnitt als unendlich andauernd suggeriert wird. Auf diese Weise kommt es zu einer Verallgemeinerung des Vorgangs beziehungsweise zur Repräsentation eines Prinzips ständiger Bewegung und Veränderung wie bei einem – eben aufgrund des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik – unmöglichen Perpetuum Mobile. Während die Künstler in den „Equilibres“ den harmonischen Kompositionen zugesprochenen Spannungsausgleich experimentell in realen Stillleben erprobten und diese fotografisch festhielten, ließen sie im „Lauf der Dinge“ durch den kalkulierten Einsatz kinetischer und chemischer Reaktionsmechanismen eine Komposition in die nächste übergehen. Damit verbunden war die Vorstellung von einer Transformation und Weitergabe von Energie. War Tinguely an der Freiheit, die in der Gegenwart liege, interessiert, so nahmen Fischli und Weiss auf humorvolle Art und Weise das Wirken von Naturgesetzen als Motor ihrer nur eingeschränkt planbaren und prinzipiell unabschließbaren Arbeit.
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Danto beispielsweise wies mit Bezug auf „Homage to New York“ darauf hin, dass Tinguely einen Riemen falsch positioniert hatte und der Mechanismus dadurch außer Kontrolle geriet. Ein Einschreiten des Künstlers wurde notwendig. Vgl. Frank Popper: Die Kinetische Kunst. Licht und Bewegung, Umweltkunst und Aktion. Köln 1975, S. 37f. – Für eine Einbettung der Arbeiten in den Kontext der kinetischen Kunst seit den 1950er Jahren vgl. Danièle Perrier: Die Kinetische Kunst. Ein Spiel mit der Technik als Träger neuer Gedanken in den 50er Jahren. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 58 (1997), S. 101–124. Der Kern des Manifests lautete dementsprechend „SEID IN DER ZEIT – SEID STATISCH; SEID STATISCH – MIT DER BEWEGUNG. Für Statik im jetzt stattfindenden JETZT.“ Jean Tinguely: Für Statik (EA 1959). In: Machines de Tinguely (= Archives de l’art contemporain 19). Kat. Ausst. Paris (Centre national d’art contemporain) 1971, o. S. – Im Manifest klingt die Rezeption Jean-Paul Sartres an, der die Möglichkeit von Freiheit in die Gegenwart legte. Deutlich nimmt Tinguely in kinetischen Arbeiten wie „Volume Virtuel“ Nr. 1 und Nr. 2 (1955, Serie „Constante inéterminée“) auf Gabos „Stehende Welle“ (1919/1920) Bezug. Vgl. Jean Tinguely. Werkkatalog. Skulpturen und Reliefs 1954–1968. Bearb. v. Christina Bischofberger. 3 Bde. Bd. 1. Bern 1982, S. 48f.
1. Spannungsausgleich und Entropie
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ÜBERBLENDUNGEN
Das am Beispiel von „Der Lauf der Dinge“ vorgestellte gestaltpsychologisch fundierte Konzept Arnheims kann auf Arbeiten des Künstlerpaars übertragen werden, die keine Kettenreaktionen darstellen, aber das zyklische Zu- und Abnehmen von Ordnung inszenieren. Dies trifft besonders für einen Zyklus von vier Diaprojektionen aus dem Jahr 1998 zu (Abb. 31), die sich motivisch auf die vier Jahreszeiten beziehen.27 Wie in Kuntzels „Time Smoking a Picture“ entwickelt sich hier ein farblicher Zusammenklang langsam aus dem vorhergehenden. Zugleich entstehen durch Überblendungen von einzelnen Bildern komplexe Strukturen und additive Farbmischungen, die eine Informationsüberforderung in der Art hervorrufen, wie sie Sharits anstrebte. Im Gegensatz zu den abgefilmten Palimpsesten Kentridges – bei deren Analyse wurde das Thema Überblendung schon angesprochen – scheinen die vorlaufenden Bildschichten nicht dauerhaft durch. Auch handelt es sich nicht um „momentane Überblendungen“, wie man sie aus dem Spielfilm kennt. In den Blumenprojektionen gehen jeweils 162 Lichtbilder von jahreszeitspezifischen Pflanzenmotiven durch Überblendung ineinander über, wobei zwei synchronisierte Projektoren mit Karussellmagazin einander abwechseln. Jede der gezeigten Aufnahmen ist nach dem Zufallsprinzip doppelt belichtet. So verwendete bei deren Herstellung erst einer der beiden Künstler den Film und gab ihn an den anderen weiter, der daraufhin ohne Wissen um die bereits gemachten Aufnahmen dasselbe Filmmaterial nochmals benutzte – allerdings wieder Pflanzenmotive fotografierte.28 In der laufenden Projektion erscheinen somit zwei oder vier Motive übereinandergelegt, je nachdem, ob nun beide Dias gerade gleich hell erstrahlen oder eines davon im Begriff ist, zu erlöschen. Zugleich stellt der Autofokus sicher, dass die Bilder brillant an die Wand geworfen werden. So kommt es zu zwei einander widersprechenden Seheindrücken: Zum einen nimmt man überdeutliche Pflanzenabbildungen wahr, die stilistisch an Amateurfotografien von Gartenliebhabern erinnern. Sie sind mit Makroobjektiv in hoher Farbin27
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Jeder Jahreszeit ist eine Projektionsfolge gewidmet. Die dem Winter gewidmete Projektion enthält Motive aus allen vier Jahreszeiten. Schriftliche Nachricht von Friederike Schuler, Galerie Sprüth Magers Köln, an die Autorin vom 2. Dezember 2011. – Die Benennungen der Arbeiten sind uneinheitlich. So findet sich in einem Katalog der Sammlung Goetz die Bezeichnung „Blumenprojektion, Herbst“. Vgl. Ingvild Goetz: Begegnung. In: Dies. u. Karsten Löckemann (Hgg.): Peter Fischli, David Weiss. Kat. Ausst. München (Sammlung Goetz). Ostfildern 2010, S. 12–19, hier S. 18. – Unter „Projektion 2 (S) (Flowers)“ für die Sommerversion ist die Arbeit in der Münchner Pinakothek der Moderne registriert. Vgl. Carla Schulz-Hoffmann (Hg.): Pinakothek der Moderne. Malerei. Skulptur. Neue Medien. Kat. Mus. München. Köln 2002, S. 111. – Begleitend zur Ausstellung der Projektionen in Paris 1999 wurde ein Katalog publiziert, der aus 39 ineinandergelegten formatfüllenden Abbildungen einzelner Diabilder (plus zweier Blätter mit Text und als Umschlag) besteht. Vgl. Peter Fischli, David Weiss. Kat. Ausst. Paris (Musée d’ art moderne de la Ville de Paris). Köln 1999. Vgl. Vincent Pécoil: Flowers and Mushrooms. In: Bice Curiger, Peter Fischli u. David Weiss (Hgg.): Fischli, Weiss. Flowers and Questions. Kat. Ausst. London (Tate Modern u. a.) 2006/2007. London 2006, S. 289–293, hier S. 290.
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IV. Bildabfolgen
tensität aufgenommen und erscheinen noch dazu in großem Format an der Wand. Dem Eindruck einer deutlichen Lesbarkeit des Dargestellten steht zum anderen die Überlagerung von Bildschichten entgegen, die sich kontinuierlich verändern und ohne erkennbares formales oder motivisches System aneinandergereiht erscheinen. Gerade der fließende Wechsel verhindert dabei eine stabile Trennung von Figur und Grund. Jedes Vollbild steht eine Sekunde lang separat, während der Vorgang des Überblendens dem Augenschein nach zwischen 16 bis 20 Sekunden andauert.29 Das klackende Geräusch der apparativen Schaltung akzentuiert dabei den Rhythmus des fortlaufenden Wechsels. Die lange Dauer der Überblendungsphase, die im Gegensatz zur punktuellen Präsenz des Einzelbilds steht, widerspricht der üblichen Praxis von Diavorführungen, in welchen Überblendungen lediglich als weicher Übergang zwischen zwei länger gezeigten Motiven eingesetzt werden. Aufgrund der Langsamkeit des Wechsels und der Vielfalt der Formgefüge ist ein Vergleich zwischen den Vollbildern nahezu unmöglich. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Größenmaßstäbe und Perspektiven begünstigen außerdem eine schwebende Bildwirkung. In der Sekundärliteratur ist von einer psychedelischen Atmosphäre oder von Halluzination die Rede.30 Die Blumenprojektionen pendeln, wie im „Lauf der Dinge“, zwischen den zwei von Arnheim definierten Möglichkeiten des Spannungsausgleichs, die entweder durch Entropie (vierfache Motivüberlagerung) oder durch vergleichsweise gestalthafte Komposition (zweifache Motivüberlagerung) bedingt sein können. Fischli und Weiss sprachen außerdem davon, dass es ihnen bei den Blumenprojektionen um das Thema Schönheit gegangen sei.31 Diese Aussage kann nicht nur auf das üblicherweise als gefällig empfundene Motiv bezogen werden, sondern auch auf die wahrnehmungspsychologisch fundierte und schon damals populär verbreitete Erkenntnis, dass ein durchschnittlich aufgebautes Gesicht, das durch das Übereinanderlegen mehrerer Portraits verschiedener Menschen entsteht, als besonders attraktiv empfunden wird.32 Ob allerdings auch übereinandergelegte, relativ heterogene Blumenbilder einen solchen idealisierenden Effekt hervorrufen, sei dahingestellt. Was sich in den Blumenprojektionen ebenfalls andauernd ändert, ist die Möglichkeit ihrer Lesbarkeit. Mit Tinguelys Plädoyer für eine Anwesenheit im steten Wandel sind allerdings alle momentanen Zustände der Projektion als gleichwertig zu betrach29 30 31 32
Schriftliche Nachricht von Friederike Schuler, Galerie Sprüth Magers Köln, an die Autorin vom 2. Dezember 2011. Vgl. Rainald Schumacher: Salz und Pfeffer für die Wirklichkeit – Peter Fischli und David Weiss. In: Goetz u. Löckemann 2010, S. 38–76, hier S. 73. – Vgl. Goldmann 2006, S. 416. Vgl. Interview. Beate Söntgen in Conversation with Peter Fischli und David Weiss. In: Fleck, Söntgen u. Danto 2005, S. 7–37, hier S. 34. Vgl. Judith H. Langlois u. Lori A. Roggman: Attractive Faces are only Average. In: Psychological Science 1 (1990), S. 115–121, hier S. 117.
1. Spannungsausgleich und Entropie
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ten, das „Allover“ genauso wie die gegenstandsnahe Darstellung. Die zeitliche Ausdehnung von Übergängen und die Vermeidung von stabiler Komposition in den Blumenprojektionen erfordern es bei längerer Betrachtung, sich auf die stetig fließende Veränderung einzulassen oder sich doch zumindest des unwillkürlichen Bedürfnisses, feste Formen identifizieren und benennen zu wollen, bewusst zu werden. In diesem Sinne kann das Werk nicht nur zu einer offenen Allegorie auf das Vergehen werden, sondern auch auf ein andauerndes Werden. Darin wäre der Tod, fügt man Tinguelys Sichtweise hinzu, mit eingeschlossen. Christoph Brechs Ein-Kanal-Video „Ritratto Romano“ (2006, Abb. 32) kann hinsichtlich der Frage nach Funktion und Wirkung von lang andauernden Überblendungen zu den Blumenprojektionen von Fischli und Weiss in Beziehung gesetzt werden. Die digitale Arbeit, die als Projektion oder auf einem Monitor gezeigt werden kann, weist eine Laufzeit von 21 Minuten auf, wird als Endlosschleife gespielt und reiht in Farbe sowie unterlegt von Klang eine Abfolge von gemalten Gesichtern in Nahaufnahme aneinander, die durch Überblendung ineinander übergehen. Der zeitliche Abstand zwischen zwei Vollbildern beträgt diesmal 60 Sekunden. Auch hier entziehen sich die einzelnen Aufnahmen aufgrund der lang andauernden Überblendungen einer zeitlich-rhythmischen Wahrnehmungsorganisation. Die Abfolge der frontal gezeigten Gesichter beginnt mit dem eines Schnauzbärtigen, das sich erst, kaum wahrnehmbar, in das Bildnis eines weiteren Manns verwandelt und weiter in das einer Frau. Es folgen wieder zwei Frauengesichter. Alle tragen Ohrringe, haben unterschiedliche Frisuren, ein klares helles Gesicht und blicken dem Betrachter ernsthaft entgegen. Auch Bildnisse von Kindern werden im Verlauf gezeigt. Brech fotografierte die Motive auf dem römischen Friedhof Campo di Verano, auf welchem einige Gesichter der dort Bestatteten nach einem bestimmten Schema mit Ölfarbe gemalt wurden und, ohne durch eine schützende Glasscheibe bedeckt zu werden, der Witterung ausgesetzt waren.33 Während sich die Bildreihe in den Blumenprojektionen von Fischli und Weiss durch verwirrende Heterogenität auszeichnet, achtete Brech bei der Auswahl und Abfolge der Gesichter auf das Bestehen einer anschlussfähigen Ähnlichkeit. In „Ritratto Romano“ wird die andauernde Verwandlung der Gesichter nicht wie bei Fischli und Weiss durch das mechanische Geräusch eines Projektors akzentuiert, sondern durch einzelne Töne oder Akkorde, die sich wie Glockenschläge anhören und die nach ungleichen zeitlichen Abständen zu hören sind. Die auf der visuellen Ebene streng durchgehaltene Serialität wird auf der Tonebene also durchbrochen. Oliver Schneller, der gemeinsam mit Brech 2006 Stipendiat der Deutschen Akademie Rom in der Villa 33
Vgl. Carla Schulz-Hoffmann: Christoph Brech. In: Goetz u. Urbaschek 2010, S. 50–57, hier S. 52–54.
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IV. Bildabfolgen
Massimo war, komponierte die klangliche Begleitung an einem präparierten Flügel, in dessen Saiten er Münzen geklemmt hatte. Ursprünglich sollten Eigenschaften des jeweils abgebildeten Gesichts, wie zum Beispiel Geschlecht, Alter und so weiter, in einen bestimmten musikalischen Code mit einem Ton und mehreren Obertönen, welche durch gedrückt gehaltene Tasten entstehen, umgesetzt werden. Allerdings stellte sich heraus, dass eine solche Vorgabe zu starr war. Das Konzept eines akustischen Zeichensystems wurde daher nicht weiter verfolgt.34 In der zuletzt umgesetzten Version führen die akustischen Ereignisse ein Eigenleben. Bild und Ton sind gleichermaßen der zeitlichen ordnenden Wahrnehmung entzogen. Der Übergang von einem zum anderen Bild geschieht fließend. Kurze Momente, in welchen das jeweilige Bildnis in aller Deutlichkeit dasteht, weichen Passagen des Übergangs und der Verwandlung. Da die Abbilder der gezeigten Personen schematisiert sind und zudem für den Betrachter anonym bleiben, gehen die Referenzen auf individuelle Persönlichkeiten, wie sie auf den Grabsteinen intendiert sind, ins Leere. Während des Betrachtens entsteht der Eindruck eines unaufhaltsamen Entgleitens, sowohl durch das Verblassen und Überlagern als auch durch den verwitterten Zustand der Malereien. Die durch die Motive transportierte Nostalgie steht dabei im Gegensatz zum seriellen Aufbau der Arbeit, der den Eindruck einer Objektivierung hervorruft und eine Hierarchisierung der Gesichter unterbindet. Hinsichtlich des Konzepts mit Brechs Arbeit vergleichbar sind die sieben Minuten andauernde, tonlos ablaufende Fünffachprojektion „Proyecto para un Memorial“ (2003– 2005) und die 28-minütige Ein-Kanal-Projektion „Re/Trato“ (2004, Abb. 33) von Óscar Muñoz.35 Die dort mit Wasser auf grauen Stein skizzierten Köpfe verdunsten noch während des Malprozesses. Als Vorlage dienten dem Künstler Portraits aus Sterbeanzeigen oder Bilder von Vermissten aus der kolumbianischen Tageszeitung. Der mit der statischen Kamera in Nahsicht dokumentierte Vorgang evoziert, nicht zuletzt wegen der Herkunft der Motive, das Einprägen und Verblassen eines Sinneseindrucks oder das Nachlassen einer Erinnerung. In „Proyecto para un Memorial“ konstituiert sich die Reihe nicht nur in einem Nacheinander wie in „Re/Trato“, sondern gesteigert in einem Mehrklang der sich stets aufs Neue abzeichnenden und verschwindenden Bilder. Nicht die Überblendung wird hier als verbindendes Mittel eingesetzt, sondern die Abbildung einer immer wieder neu begonnenen Handlung, die dem der Entropie unterworfenen Vorgang entgegenarbeitet. Brechs „Ritratto Romano“ bildet mit dem Motiv des erodierenden Totenbildnisses ebenfalls ein Monument des Erinnerns und Vergessens. Die 34 35
Schriftliche Nachricht des Künstlers an die Autorin vom 4. November 2011. Vgl. Robert Storr: Óscar Muñoz. In: Robert Storr (Hg.): La Biennale di Venezia. 52. Esposizione Internazionale d’Arte. Pensa con i Sensi, Senti con la Mente. L’Arte al Presente. 3 Bde. Bd. 1. Kat. Ausst. Venedig 2007, S. 238–241.
1. Spannungsausgleich und Entropie
91 Schaubild 1: Alfred Yarbus, „Mädchen aus der Wolgaregion“ und Sakkaden. Erste Seite der Zeitschrift „Ogonek“ 23 (1959) mit einer Fotografie von S. Fridlyand und Aufzeichnung der Augenbewegung während einer dreiminütigen Betrachtung dieser Fotografie mit beiden Augen.
ineinander übergehenden Gesichter stehen Pars pro Toto für das Kommen und Gehen der Gesamtheit aller Menschenleben oder für Sterblichkeit an sich. Wenn der Künstler die Arbeit im Herbst 2011 in die Kuppel der Kirche St. Egidien in Nürnberg projizierte, so fluchteten die Erscheinungen dort auf ein Transzendentes hin. Dass das Wahrnehmen des Wandels von Gesicht zu Gesicht schwer fällt, mag verschiedene Gründe haben. Untersuchungen, wie sie Alfred Yarbus bereits 1967 publizierte (Schaubild 1), legen nahe, dass der Blick vor allem auf Augen und Mund fällt.36 So wird das visuelle Erfassen eines Bilds ruckartig in sogenannten Sakkaden vollzogen, wobei das Auge etwa drei- bis viermal pro Sekunde innehält, um eine Partie punktuell in den Blick zu nehmen. Zwar ist es individuell verschieden, in welcher Reihenfolge eine Umgebung abgetastet wird, jedoch sind bestimmte Orte der Fixationen relativ wahrscheinlich.37 Insofern mag die Tatsache, dass die Augen und Münder auf gleichbleibender Höhe sind, neben der Langsamkeit des Prozesses den Nachvollzug der Veränderungen erschweren. 36 37
Vgl. Alfred Lukyanovich Yarbus: Eye Movements and Vision (EA Moskau 1965). Übers. aus dem Russ. v. Basil Haigh, New York 1967, S. 172–189. – Auf diesen Aspekt wies der Künstler die Autorin in einem Gespräch hin. Vgl. Jeremy M. Wolfe, Keith R. Kluender u. Dennis M. Levi: Sensation and Perception. 2. Aufl. Sunderland 2009, S. 184f. – Vgl. E. Bruce Goldstein: Wahrnehmungspsychologie. Der Grundkurs. Übers. aus dem Amerikan. v. Guido Plata u. hg. v. Hans Irtel, 7. Aufl. Heidelberg 2008, S. 134f.
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IV. Bildabfolgen
Darüber hinaus stellten Isabelle und Heinrich Bülthoff als Ergebnis eines wahrnehmungspsychologischen Experiments fest, dass der Betrachter einer durch Morphing generierten Folge von frontal aufgenommenen Gesichtern erst bei vollständigem Aufscheinen des jeweils neuen Gesichts dieses als ein bezogen auf das vorherige verschiedenes begriff. Offensichtlich ist also das im Ausgangsbild geprägte Wahrnehmungsmuster derart beharrlich, dass die Identität des ursprünglichen Gesichts lange Zeit aufrechterhalten wird und eine gewisse Blindheit für die allmähliche Veränderung gegeben ist.38 Dadurch, dass bei Muñoz die einzelnen Gesichter nicht ineinander übergehen, sondern jeder Zyklus aus Skizzieren und Verdunsten abgeschlossen für sich steht, bleibt ein solcher Effekt aus. Die einzelnen Bilder gehen nicht, wie bei Brech, im Ganzen der Kette auf. Sowohl Brechs „Ritratto Romano“ als auch die Blumenprojektionen von Fischli und Weiss enthalten kurze Momente des Stillstands, wenn ein Einzelbild auf dem Zenit seiner Ausprägung steht. Da die Lesbarkeit in diesen Momenten am leichtesten ist, wäre nach Arnheim auch die durch Spannungsausgleich bestimmte Gestalt der Strukturen am größten.39 Die relative Klarheit der Einzelbilder rhythmisiert den Fluss der Darstellung, wobei die zeitlichen Abstände mit einer Minute beziehungsweise 16 bis 20 Sekunden zu groß sind, als dass sie eine treffsichere Einschätzung der Zeiteinheiten begünstigen würden. In beiden Arbeiten ist es fast unmöglich, sich die gezeigten Motive einzuprägen, obwohl, im Gegensatz zu Kuntzels „Time Smoking a Picture“, hervorgehobene Momente klar abzugrenzen sind. Dieser Effekt des Entgleitens kommt bei Fischli und Weiss genauso wie bei Brech – neben dem langsamen Rhythmus – entweder durch ein Übermaß oder gerade durch den Mangel an zwischenbildlicher Differenz zustande.
2. SYNTHESE UND SPALTUNG EFFEKT DES DAUMENKINOS
Was die Projektionen von Fischli und Weiss und das Video von Brech über ihre Reihenstruktur hinaus verbindet, sind ihre gleitenden Farb- und Helligkeitsveränderungen, die sich jeweils auf ein separat zu begreifendes Bild hin entwickeln. Im Gegensatz dazu verhält sich eine Bildreihe, die die aufeinanderfolgenden Momente eines Bewegungs- oder Handlungsablaufs repräsentiert. Um sich diesen Unterschied vor Augen 38 39
Vgl. Schönhammer 2009, S. 159. Ordnung sei, wie auch Arnheim in „Entropie und Kunst“ formulierte, „die notwendige Vorbedingung für alles, was der Menschengeist verstehen möchte“. Arnheim (1971) 1979, S. 9.
2. Synthese und Spaltung
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zu führen, ist die Betrachtung von Fiona Tans 16-mm-Film „Calendar Girl“ (1993/1999, Abb. 34) aufschlussreich. Hier sind kurz nacheinander zwölf in ein Kalenderheft geklebte Fotografien eines Mädchens in unterschiedlichen Körperposen und als Brustportrait zu sehen. Rechts neben den Fotografien befindet sich jeweils auf hellem Grund ein tabellarisch aufgebauter Kalender. Die einzelnen Blätter filmte die Künstlerin jeweils eine halbe bis eine Sekunde lang ab. Wenn der Film läuft, entsteht dadurch der visuelle Effekt eines Daumenkinos. Ähnlichkeit und Varianz von Körperhaltung und Gesichtsausdruck sowie die Länge der zeitlichen Abstände sind dabei so gegeben, dass die Identifikation des Mädchens mit dem im darauffolgenden Bild gerade noch möglich ist. So weist die Bewegungsabfolge zwar Ruckhaftigkeit auf, induziert aber auch die Wahrnehmung jener Scheinbewegung, die Wertheimer mit dem Begriff des Phi-Phänomens belegt hatte.40 Selbst bei starken Ortsverlagerungen der Portraitierten vollzieht das menschliche Auge den Sprung bereitwillig mit. Zugleich ist die Abfolge der Einstellungen langsam genug, um das Lesen der niederländischen und französischen Monatsangaben zu ermöglichen, die den Zeitraum eines Jahres repräsentieren. Die bei der Betrachtung von „Calendar Girl“ entstehende Irritation liegt damit vor allem in der gleichzeitigen Aktivierung zweier unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen. Angelegt war dies schon im kuriosen Zufallsfund, den Tan auf dem Flohmarkt machte. Denn dass die Bilder eines Jahreskalenders derart gleichförmig ausfallen, widerspricht der Gepflogenheit, den Monatszyklus durch differente Motive sichtbar zu machen oder doch zumindest Abwechslung zu bieten und dadurch das Jahr visuell zu gliedern. Beide Male, sowohl bei Brech als auch bei Tan, sind also Wahrnehmungstäuschungen wirksam, die auf die Herstellung eines Zusammenhangs abzielen. Im Falle von Brechs Überblendungen führt diese jedoch zu einer Verwandlung der gezeigten Gesichter in ein jeweils ähnliches, aber doch anderes, wohingegen es in Tans „Daumenkino“ die durchgängige Ortsverlagerung des Körpers einer einzigen Person ist, die durch Scheinbewegung impliziert wird. Ein zeitlicher Ablauf wird im einen Fall durch qualitative Veränderung angezeigt und im anderen Fall durch die Positionsveränderung beziehungsweise Bewegung eines als identisch verstandenen Körpers. STANDBILDER
Eine ähnliche Taktung wie „Calendar Girl“ weist Gordons Ein-Kanal-Videoinstallation „24 Hours Psycho“ (1993, Abb. 35) auf. Allerdings sind die sich daraus ergebenden Effekte und Assoziationen stark von „Calendar Girl“ unterschieden. So zerlegte der 40
Vgl. S. 64f.
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IV. Bildabfolgen
Künstler das kohärente Ganze des unter der Regie von Alfred Hitchcock entstandenen Spielfilms „Psycho“ (1960) in eine 24 Stunden dauernde Abfolge von Standbildern. Projiziert wird die Arbeit auf eine halbtransparente Projektionsleinwand – dies bewirkt eine seitenverkehrte Abbildung der Filmbilder auf deren „Rückseite“ –, die erhöht in den abgedunkelten Ausstellungsraum gespannt ist. Bei Hitchcock nimmt die Geschichte ihren Lauf, als die Sekretärin Marion Crane, anstatt im Auftrag ihres Vorgesetzten eine hohe Summe Geld zur Bank zu bringen, dieses stiehlt und auf der Flucht in einem Motel unterkommt. Ihre Ermordung unter der Dusche durch dessen Betreiber Norman Bates, der eine gespaltene Persönlichkeit besitzt und im Moment der Tat von dem zweiten Persönlichkeitsanteil – nämlich seiner ebenfalls von ihm getöteten und in dieser Weise wiederbelebten Mutter – beherrscht wird, geschieht ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Protagonistin dazu entschlossen hat, wieder umzukehren. Im Monolog eines Psychiaters am Ende des Films klärt sich der Fall nicht nur auf, auch die Ursache der inneren Spaltung des Mörders wird dargelegt. Durch die Angleichung der ursprünglichen Erzählzeit von 110 Minuten auf die Dauer von 24 Stunden, die Gordon mit Hilfe einer Videokassette und eines Videorekorders mit stufenloser Zeitlupenfunktion erzeugte, entsteht eine Abspielgeschwindigkeit von etwa zwei Standbildern pro Sekunde.41 In einem Gespräch mit Amine Haase hob Gordon hervor, dass es ihm primär um die Aspekte von Erinnerung, Gegenwartsbewusstsein und Vorausahnung gegangen sei.42 Er konkretisierte, dass aufgrund der Langsamkeit der Bildabfolge sowohl die Erinnerung an das Vorherige als auch die Projektion der Handlung in die Zukunft erschwert würden: Was mich an 24 Hours Psycho interessiert, ist, daß die Handlung so langsam abläuft, daß man nie vorwegnehmen kann, was als nächstes passiert. [...] Die Bilder folgen einander zu langsam, als daß man sich erinnern könnte. Die Vergangenheit geht weiter und die Zukunft passiert nie, also bleibt alles in der Gegenwart. Und die Gegenwart ist ein ständiges Zusammenfließen von Zukunft und Vergangenheit. Sie – wie Heidegger sagt – existiert nicht wirklich.43
Martin Heidegger, den Gordon im Interview mehrfach erwähnte, hatte in „Sein und Zeit“ (1927) dem Alltagsverständnis von menschlichem Dasein als einer Abfolge von einzelnen Erlebnissen zwischen Geburt und Tod widersprochen. Auch sei es unzurei41 42 43
Vgl. Holger Broeker: Das Kino ist tot! Es lebe der Film! Die Sprache der Bilder in den Videoarbeiten Douglas Gordons. In: Douglas Gordon. Between Darkness and Light 2007, S. 22–31, hier S. 25. Vgl. Amine Haase – Douglas Gordon. Auf der Rückseite des Spiegels. In: Kunstforum International 146 (1999), S. 312– 321, hier S. 314. Ebd., S. 315. Das Interview wurde in deutscher Sprache veröffentlicht.
2. Synthese und Spaltung
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chend, Zeit ausschließlich als ununterbrochene Abfolge von Jetztpunkten aufzufassen. Da alle Jetztpunkte für sich genommen immer „auch schon ein Soeben beziehungsweise Sofort“44 seien, würden sie in der Vorstellung automatisch ins Unendliche fortgeführt. So entstehe fälschlicherweise die Vorstellung von einem unpersönlichen Kontingent, von dem es möglichst viel abzuschöpfen gelte.45 Heideggers philosophisches Interesse richtete sich in „Sein und Zeit“ auf existenzial- ontologische Fragestellungen, die aus seiner Sicht nicht ohne den Rückgriff auf Zeitlichkeit zu beantworten seien. So sei das Dasein des Menschen von Grund auf zeitlich erstreckt; bereits bei seiner Geburt sei sein Zulaufen auf den Tod hin gegeben. Damit entsprach er Georg Wilhelm Friedrich Hegels Feststellung, dass das „Sein der endlichen Dinge“ durch deren Ende bestimmt sei, sie „den Keim des Vergehens als ihr Insichsein“ hätten und „die Stunde ihrer Geburt [...] die Stunde ihres Todes“46 sei. Das Problem des Zusammenhangs zwischen Geburt und Tod löste Heidegger mit dem Hinweis auf die „Sorge“. In ihr vereinten sich Gewesenes, Gegenwärtigkeit und Zukünftiges, da Menschen sich in gegebenen Situationen vorfänden und dabei in der Lage dazu seien, in Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Umwelt verschiedene Handlungsoptionen zu antizipieren:47 Das Dasein füllt nicht erst durch die Phasen seiner Momentanwirklichkeiten eine irgendwie vorhandene Bahn und Strecke ‚des Lebens‘ auf, sondern erstreckt sich selbst dergestalt, daß im vorhinein sein eigenes Sein als Erstreckung konstituiert ist. Im Sein des Daseins liegt schon das ‚Zwischen‘ mit Bezug auf Geburt und Tod. Keineswegs dagegen ‚ist‘ das Dasein in einem Zeitpunkt wirklich und außerdem noch von dem Nichtwirklichen seiner Geburt und seines Todes ‚umgeben‘. Existenzial verstanden ist die Geburt nicht und nie eine Vergangenes im Sinne des Nichtmehrvorhandenen, so wenig wie dem Tod die Seinsart des noch nicht vorhandenen, aber ankommenden Ausstandes eignet. Das faktische Dasein existiert gebürtig, und gebürtig stirbt es auch schon im Sinne des Seins zum Tode. Beide ‚Enden‘ und ihr ‚Zwischen‘ sind, solange das Dasein faktisch existiert, und sie sind, wie es auf dem Grunde des Seins des Daseins als Sorge einzig möglich ist. In der Einheit von Geworfenheit und flüchti44 45
46 47
Martin Heidegger: Sein und Zeit (EA 1927). 19. Aufl. Tübingen 2006, § 81, S. 424f. Pöppel zitierte in „Grenzen des Bewusstseins“ ausgerechnet diese Stelle, um Heideggers Theorie zu illustrieren und ließ unberücksichtigt, dass dieser hier eine defizitäre Auffassung von Zeit aufzuzeigen versuchte. Pöppel kritisierte, dass ein Zeitverständnis, das die Gegenwart im Grunde genommen leugne und in Vergangenheit und Zukunft auflöse, nicht dem menschlichen Erleben entspreche. Vgl. Pöppel 1997, S. 62. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik 1. Die objektive Logik (auf der Grundlage der Werke von 1832–1845, 1832). In: Ders.: Werke. 20 Bde. Bd. 5. Frankfurt am Main 1969, S. 140. „Die Seinsganzheit des Daseins als Sorge besagt: Sich-vorweg-schon-sein-in (einer Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnenden Seienden). [...] Das Sich-vorweg gründet in der Zukunft. Das Schon-sein-in…bekundet in sich die Gewesenheit. Das Sein-bei…wird ermöglicht im Gegenwärtigen.“ Heidegger (EA 1927) 2006, § 65, S. 327.
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IV. Bildabfolgen
gem, bzw. vorlaufendem Sein zum Tode ‚hängen‘ Geburt und Tod daseinsmäßig ‚zusammen‘. Als Sorge ist das Dasein das ‚Zwischen‘.48
Zurückkommend auf Gordons oben zitierten Kommentar zu „24 Hours Psycho“ ist der Verweis auf Heidegger zunächst wenig einleuchtend. Aufschlussreicher erscheint der Bezug zu dessen Lehrer Edmund Husserl, der sich in seinen „Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“ – veröffentlicht durch Heidegger 1928 – unter anderem der Kontinuität des Zeiterlebens widmete. Husserl ging davon aus, dass sich das Bewusstsein des Menschen durch die beiden Intentionalitäten Retention und Protention zeitlich in die Vergangenheit und in die Zukunft verlängere. Während Husserl sich in seinen Vorlesungen mit der Protention, also der Erwartung an Bevorstehendes, kaum beschäftigte, führt er seine Analyse anhand der Retention aus, die er auch als „primäre Erinnerung“49 oder als „reelles Vergangenheitsbewusstsein“50 bezeichnete. Aus den Impressionen, also den aktuellen Sinneseindrücken kommend, seien diese mit ihren Fluchten in die Vergangenheit zugleich als Abschattung im jeweiligen Jetzt aufgehoben: Das Tonjetzt wandelt sich in Tongewesen, das i m p r e s s i o n a l e Bewußtsein geht ständig fließend über in immer neues r e t e n t i o n a l e s Bewußtsein. Den Fluß entlang oder mit ihm gehend, haben wir eine stetige zum Einsatzpunkt gehörige Reihe von Retentionen. [...] An jede dieser Retentionen schließt sich so eine Kontinuität von retentionalen Abwandlungen an, und diese Kontinuität ist selbst wieder ein Punkt der Aktualität, der sich retentional abschattet.51
Die zeitliche Wahrnehmung eines gegebenen Objekts projiziere sich also in Form einer Retention auf den jeweils aktuellen Moment (Schaubild 2). Auf diese Weise sei das vergangene Jetzt zwar in der aktuellen Gegenwart als Vergangenheitshorizont noch zugänglich, jedoch müsse mit der anwachsenden Objektdauer eine immer größer werdende Zeitschicht durchdrungen werden, um seiner habhaft zu werden. Im Zuge seiner Ausführungen grenzte Husserl das Nachbild entschieden von der Retention ab, die er als primäre Erinnerung von allen Wahrnehmungsphänomenen überhaupt unterschied.52 Husserl stellte deutlich heraus, dass Zeit ein Kontinuum sei, innerhalb dessen das Jetzt als ein idealtypischer Näherungswert verstanden werden müsse, der durch reine Wahrnehmung, im Gegensatz etwa zur Erinnerung, gekennzeichnet sei. Dieses ideale Jetzt 48 49 50 51 52
Ebd., § 72, S. 374. Edmund Husserl: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins. Hg. von Martin Heidegger. Halle 1928, § 11, S. 391. Ebd., § 12, S. 393. Ebd., § 11, S. 390. Vgl. ebd., § 12, S. 392.
2. Synthese und Spaltung
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Schaubild 2: Edmund Husserls Veranschaulichung der Retention (1928).
löse sich durch sein dauerndes Abgleiten in Erinnerung, also durch Verschränkung mit dem „Nicht-Jetzt“, unentwegt auf.53 Hitchcocks Film spaltet sich in „24 Hours Psycho“ gewissermaßen in Einzelteile auf, wie die Persönlichkeit des Psychopathen. Szenen und Einstellungen, die in der Vorlage mit Spannung aufgeladen sind und wenige Sekunden oder Minuten andauern, dehnen sich in der Weise, dass Bewegungszusammenhänge zwar in etwa bestehen bleiben, der narrative Bogen aber verloren geht. Auch entfällt nun der Filmschnitt als semantisch bedeutsames Element.54 Gordon verwendete hier den Begriff der Desintegration, womit er den Zusammenbruch der integrativen Wahrnehmung beim Fokussieren auf ein Detail meinte.55 Dieses löse sich vom ursprünglichen Ganzen ab und werde automatisch in neuen Kontexten organisiert. So sei die von Hitchcock erzählte Geschichte relativ simpel. Betrachte man jedoch die Standbilder, die den Protagonisten beim Reinigen der Dusche zeigten, so vergesse man den zuvor geschehenen Mord genauso wie die Tatsache, dass das Weggewischte Blut sei. Das Bild löse sich durch die starke Verlangsamung aus seinem narrativen Kontext.56 Mit Husserl, aber eben nicht mit Heidegger, kann über Gordons „24 Hours Psycho“ gesagt werden, dass die Langsamkeit der Bildabfolge ein Erschweren von Retention und Protention und damit ein Unterlaufen des Bewusstseins von Kontinuität erreichen soll. Das Ausloten jener Spanne eines zeitlichen Abstands, der noch eine wahrgenommene Haftreibung zwischen Teilen erzeugt, bevor diese aus dem Gravitationsfeld eines wahrgenommenen Aktions-Zusammenhangs heraustreten, findet sich dabei auch in ande53 54 55 56
Vgl. ebd., § 16, S. 400. Vgl. Broeker 2007, S. 25. Vgl. Douglas Gordon in Conversation with Jan Debbaut. In: Marente Bloemheuvel (Hg.): Douglas Gordon. Kidnapping. Kat. Ausst. Eindhoven (Stedelijk Van Abbemuseum) 1998, S. 11–55, hier S. 34 u. S. 38. Vgl. Haase 1999, S. 315.
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IV. Bildabfolgen
ren Werken des Künstlers.57 Dass die Arbeit stumm beziehungsweise ohne Musik abgespielt wird, brachte Friedrich Meschede zu der Behauptung, ein Zeitmaß fehle, die Bilder würden monumental und zeitlos.58 Dies ist jedoch zu kurz gedacht, da entsprechend komponierte Musik erstens das sichere Empfinden für ein Zeitmaß gerade verhindern kann und zweitens die zyklische und gleichmäßige Taktung der Bildabfolge bei „24 Hours Psycho“ ein bildhaftes zeitliches Maßsystem durchaus konstituiert. Stemmrich bezeichnete die Projektion deshalb als die „Uhr des Raumes“59. „24 Hours Psycho“ als Uhr zu betrachten, ist wiederum mit Rückgriff auf Heidegger erhellend. So deutete dieser den Blick auf das Ziffernblatt als ein „Jetzt-sagen“. Der Zeiger werde dabei in seiner Position innerhalb seiner Strecke bestimmt, und zwar im jeweils gegenwärtigen Moment der Maßnahme. Was bedeutet Zeitablesung? ,Auf die Uhr sehen‘ kann doch nicht nur besagen: das zuhandene Zeug in seiner Veränderung betrachten und die Stellen des Zeigers zu verfolgen. Im Uhrgebrauch des Wieviel-Uhr feststellend, sagen wir, ob ausdrücklich oder nicht: jetzt ist es so und soviel, jetzt ist es Zeit zu…, bzw. es hat noch Zeit…nämlich jetzt, bis um… [...] Das auf die Uhr sehende Sichrichten nach der Zeit ist wesenhaft ein Jetzt-sagen.60
Dieses Jetzt-sagen verkennt aber nach Heidegger die zeitliche Gespanntheit des menschlichen Daseins. Insofern artikuliert Gordons Arbeit eine als unpersönlich aufgefasste Zeit oder versucht, das Bewusstsein von der eigenen Erstrecktheit der Existenz zu unterbinden. Friedrich Meschede meinte, „[d]as stehende Filmbild wäre der ideale Ausdruck der Entropie“.61 Mit Arnheim könnte man sagen, dass mit dem Verringern der wahrnehmbaren narrativen Organisation, oder durch die Zersplitterung des Filmganzen, der Zustand von Entropie zunimmt, während der Informationsgehalt im gleichen Maße abnimmt. Referenzrahmen ist nicht die Komposition des einzelnen Bilds, sondern die der Erzählung. 57
58 59
60 61
Besonders drastisch ist das Verhältnis von Zusammenhang und Spaltung wohl in der Installation „30 Seconds Text“ (1996). Ein an die Wand geschriebener Text wird für die Dauer von 30 Sekunden – dies entspricht der durchschnittlichen Lesezeit – beleuchtet. Zitiert wird darin der Bericht eines Arztes aus dem Jahr 1905, der den Kopf eines gerade guillotinierten Straftäters anspricht und etwa 25 bis 30 Sekunden nach der Hinrichtung noch klaren Augenkontakt als Reaktion verzeichnet. Vgl. Russell Ferguson (Hg.): Douglas Gordon. Kat. Ausst. Los Angeles (The Museum of Contemporary Art u. a.) 2001/2002. Massachusetts u. a. 2001, S. 42f. Vgl. Friedrich Meschede: Lessness. Zeitphänomene im Werk von Douglas Gordon. In: Eckhard Schneider (Hg.): Douglas Gordon. Kat. Ausst. Hannover (Kunstverein) 1998, o. S. Gregor Stemmrich: Kunst in einem pragmatischen Kontinuum – Art within a Pragmatic Continuum. In: Kopfbahnhof/Terminal. Maria Eichhorn, Douglas Gordon, Lawrence Weiner. Kat. Ausst. Leipzig (Hauptbahnhof) 1995, S. 10–17, hier S. 13. Zitiert nach: Broeker 2007, S. 25. Heidegger (EA 1927) 2006, § 80, S. 416. Meschede 1998, o. S.
B. VERLAUFSFORMEN
I. MONOTONIE UND ÜBERLANGE LAUFZEIT Bereits in den Anfängen der Film- und Videokunst ist eine bestimmte Art der zeitlichen Strukturierung gehäuft festzustellen: die mit Bezug auf Aufführungskonventionen – wie sie vor allem durch Kinofilm und Popmusik geprägt wurden – übergroße Verlängerung der Laufzeit. Um eine solche umzusetzen, können zwei unterschiedliche Techniken angewandt werden. Die Kamera wird entweder über einen längeren Zeitraum hinweg auf ein Motiv gerichtet und/oder die Abspielgeschwindigkeit gegenüber der Aufnahmegeschwindigkeit reduziert. Diese beiden Merkmale sind in den frühen Experimentalfilmen Warhols gegeben und wurden in der Folge von verschiedenen Künstlern ebenfalls eingesetzt, wobei Warhol häufig zitiert wurde. Beispielhaft aus einer größeren Anzahl von Künstlern seien hier Rodney Graham, Douglas Gordon, Paul Pfeiffer und Sharon Lockart genannt. Bei Verwendung von Videotechnologie wurde das Verfahren der lang andauernden und ungeschnittenen Aufnahme häufig in einen performativen Zusammenhang gesetzt, so bei den abgefilmten Aktionen Vito Acconcis oder Bruce Naumans. Solche Filme und Videos wirken insbesondere dann monoton, wenn sich weder Motiv noch Kamera bewegen oder wenn mechanische Abläufe in Gang gesetzt werden, die keinen Spannungsbogen entwickeln. Ein weiteres Prinzip, das ebenfalls schon sehr früh zur Verlängerung der Laufzeit eingesetzt wurde, ist das der Wiederholung, die entweder durch eine Abfolge ähnlicher Handlungen, durch die Montage kopierter und damit identischer Aufnahmen oder durch die Präsentation der Arbeit als Endlosschleife umgesetzt wird. Alle drei Formen können dabei in wechselnden Kombinationen vorliegen, beispielsweise, wenn eine Abfolge ähnlicher Handlungen als Loop gezeigt wird. Im Folgenden soll die Spannweite dieser zeitlichen Ausweitungstechniken skizziert werden. Dabei wird zunächst eine historische Perspektive eingenommen. Am Anfang der Ausführungen steht der Komponist John Cage und dessen Auffassung von Dauer und Präsenz, die sich besonders deutlich in dessen Rezeption von Eric Saties „Vexations“ zeigt. Ziel der Auseinandersetzung mit den beiden Komponisten ist ein vertieftes Verständnis von Warhols frühen Experimentalfilmen sowie die mit ihnen wiederum in Beziehung stehenden Arbeiten Michael Snows.
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I. MONOTONIE UND ÜBERLANGE LAUFZEIT
1. WIEDERHOLUNG Am 9. September 1963 organisierte John Cage im Pocket Theatre in New York eine von zahlreichen Künstlern der Zeit rezipierte Premiere. Mit Hilfe einer Reihe von zehn sich beim Spiel abwechselnden Pianisten, darunter auch David Tudor, realisierte er eine vollständige Aufführung von Eric Saties bis dahin als unaufführbar geltendem Klavierstück „Vexations“, das zwischen 1892 und 1895 als zweiter Satz des Kompendiums der „Pages Mystique“ entstanden war.1 Alle 840 Wiederholungen der in der Partitur gerade einmal drei Notenzeilen langen, in sich schon repetitiv in Form eines ABAC-Musters angelegten Phrase wurden entsprechend der Vorgabe „très lent“ über eine Spieldauer von 18:40 Stunden umgesetzt. Besucher des Konzertes sollten, so die Anweisung auf dem Beiblatt, fünf US-Dollar Eintritt zahlen, konnten sich aber für alle 20 Minuten, die sie versäumten, fünf Cent rückerstatten lassen.2 Bei Befolgen dieser Spielregel wäre am Betrag des Eintrittsgelds die Verweildauer abzulesen gewesen, was unwillkürlich an die von Benjamin Franklin geprägte Gleichung „time is money“ denken lässt. In diesem Fall wäre jedoch die aus ökonomischer Sicht unnütz verbrachte Zeit angezeigt worden. Hinzu kommt ein Ausspielen der Vorstellung, ein Konzert müsse von Anfang bis Ende besucht werden, gegen die offensichtliche Unzumutbarkeit einer solchen Vorgabe für den Hörer der „Quälereien“. Doch sind für Cage tatsächlich wirtschaftliche Aspekte von Bedeutung gewesen? John Pritchett verwies auf Cages euphorische Aufnahme der ökonomischen Utopien des Architekten Buckminster Fuller,3 mit dem dieser im Sommer 1948 am Black Mountain College nahe Asheville, North Carolina, Freundschaft geschlossen hatte.4 Fuller vertrat die Ansicht, dass allein durch den technologischen Fortschritt und die effiziente Nutzung der Weltressourcen bis zur Jahrtausendwende eine globale Gesellschaft entstanden sein werde, die komplett versorgt sein und in Frieden leben werde. Die Devise „Zeit ist Geld“ werde dann nicht mehr gelten, da von allem ausreichend vorhanden und
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Die meisten Autoren datierten das Stück auf den Zeitraum zwischen April und Anfang Juni 1893, wobei ein Zusammenhang zu Saties Beziehung mit Suzanne Valadon hergestellt wird. Vgl. Robert Orledge: Satie the Composer. Cambridge u. a. 1990, S. 144. Vgl. John Cage: Konzertprogramm zur Aufführung von Eric Saties „Vexations“ (9. September 1963 im Pocket Theatre, New York). In: The Anarchy of Silence. John Cage and experimental Art. Kat. Ausst. Barcelona (Museu d’Art Contemporani) 2009, S. 134. Vgl. James Pritchett: The Music of John Cage (= Music in the Twentieth Century). Cambridge, New York, Melbourne 1993, S. 156. – Er bezieht sich an dieser Stelle vor allem auf Buckminster Fuller: Utopia or Oblivion. The Prospects for Humanity. New York 1969, S. 348. – Für ein Zeugnis der Rezeption durch Cage vgl. John Cage: McLuhan’s Influence (EA 1967). In: Richard Kostelanetz (Hg.): John Cage. An Anthology. New York 1991, S. 170f., hier S. 171. Vgl. Mary Emma Harris: The Arts at Black Mountain College. Cambridge 1987, S. 156. – Carsten Krohn: Buckminster Fuller und die Architekten. Berlin 2004, zugl. Phil. Diss. Univ. Hamburg 2002, S. 40.
1. Wiederholung
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für jedermann zugänglich sein werde.5 Solche Ideen des Überflusses motivierten Cage, wie Pritchett zeigte, auch zu der Dehnung der Dauer von Musikstücken. So formulierte dieser 1967: I find that through our experience of [contemporary] painting and now music, that everything we experience has, so to speak, quality, so what we would like to do is to continue to have experience – in other words, quantity. To go on having more and more experience, since it all has quality.6
Da also die gegenwärtigen Erzeugnisse in den Bereichen von Kunst und Musik ohnehin hochwertige Erfahrungen ermöglichten, ginge es darum, diese Erfahrungen über einen längeren Zeitraum hinweg auszuweiten. Wiederholung diente diesem Ziel. Dass mit der Vervielfältigung des Gleichen auch eine Abwertung des Einzelnen einhergehen könnte, stand bei Fuller und Cage nicht zur Debatte. Die zu jener Zeit verbreiteten Ängste vor dem Verlust menschlicher Individualität und Freiheit, vor der Abstumpfung der Sinne durch kulturelle Verflachung und der Manipulation des Einzelnen bis hin zum Totalitarismus in einer durch Reproduktions- und Mechanisierungsprozesse geprägten Massengesellschaft sind ebenfalls nicht festzustellen.7 Im Jahr 1948 hielt Cage am Black Mountain College anlässlich des dort stattfindenden Satie-Festivals einen Vortrag mit dem Titel „Defense of Satie“. Darin behauptete er, dass es seit dem Wirken Ludwig van Beethovens nur eine einzige Neuerung gegeben habe, die die Strukturierung von Musik betreffe. Diese komme in den Werken von Satie und Anton Webern zum Ausdruck. Während Beethoven, so Cage, seine Musik nach harmonischen Prinzipien konzipiert habe, hätten für Satie und Webern die Längen von Zeiteinheiten im Fokus der Aufmerksamkeit gestanden. Da die Art und Weise, wie die einzelnen Teile einer Komposition sich zueinander und zum Ganzen verhielten, wesentlich für ein Stück sei, wog Cage beide Strukturierungsprinzipien, Harmonie und Dauer, gegeneinander ab. Er kam dabei zu dem Schluss, dass Saties und Weberns musikalische Lösungen dem Ansatz Beethovens vorzuziehen seien. Die Argumentation lautete, dass Stille, die den notwendigen Gegenpol zum Ton bilde, ausschließlich durch zeitliche Länge bestimmt werden könne und weder durch Tonhöhe, Lautstärke oder 5
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Cage im Jahr 1969: „We are getting rid of ownership, substituting use.“ John Cage: A Year from Monday (EA Middletown 1969). Zitiert nach: Victor Burgin: From ‚Situational Aesthetics‘ (EA 1969). In: Ders.: Parallel Texts. Interviews and Interventions about Art. London 2011, S. 13f., hier S. 13. Cage and Feldman „Radio Happening IV“ (aufgenommen am WBAI, New York, Januar 1967). Zitiert nach: Pritchett 1993, S. 157. Vgl. Bernard Rosenberg: Mass Culture in America. In: Ders. u. David Manning White (Hgg.): Mass Culture. The Popular Arts in America. London 1957, S. 3–12, hier S. 3. – Vgl. Herbert J. Gans: Popular Culture and High Culture. An Analysis and Evaluation of Taste. New York 1999, S. 29f.
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I. MONOTONIE UND ÜBERLANGE LAUFZEIT
Klangfarbe, wie dies beim Ton und damit dem Bilden von Harmonien der Fall ist. Daraus wiederum schloss Cage, dass ausschließlich die Bestimmung von Zeitlänge das Strukturierungsprinzip von Musik bilden müsse.8 Auch in „Defense of Satie“ stellte Cage einen Bezug zur Sozialökonomie her. So behauptete er abschließend einen Zusammenhang zwischen dem Entstehen harmonischer Strukturen in der Musikgeschichte und dem Aufkommen des Materialismus. Mit dem In-Frage-Stellen von Materialismus entstehe eine Musik, die insbesondere, wie für den Orient üblich, durch rhythmische Struktur geprägt sei. Zugleich verspüre der heutige Mensch den Wunsch, zu einer friedvollen Geisteshaltung und zu Selbsterkenntnis zu gelangen.9 Cages Besuche von Seminaren über indische Philosophie bei Gita Sarabhai und über Zen-Buddhismus bei Daisetz T. Suzuki an der New Yorker Columbia University in den Jahren 1946 und 1947 finden hier unverkennbar ihren Niederschlag.10 Doch Cage ging noch weiter: So spiegele die in ihrem Aufbau durch Zeitlängen geprägte Musik nicht nur eine positive historische Entwicklung, sondern könne sie auch befördern, da sie zu einer guten Lebensführung anhalte:11 Musik als Mittel zur Verbesserung der Welt. Blickt man vor diesem Hintergrund auf die Aufführung der „Vexations“, so ist die Frage, ob und wie sich die von Cage gewünschten positiven Effekte, wie die einer friedvollen Atmosphäre und einer sensibilisierten Selbstwahrnehmung, bei den Vortragenden und dem Publikum einstellten. Außerdem wäre zu untersuchen, ob die Struktur des Stücks nachweislich einen Einfluss auf das zeitliche Empfinden haben kann. Die „Vexations“ sind durch eine Reihenstruktur geprägt, die gedanklich ins Unendliche fortgeführt werden kann. Nicht nur das Maß des Takts, sondern auch die wiederholt gespielte ABAC-Abfolge über dem gleichbleibenden Bassthema konstituiert dabei ein Regelmaß, das wie eine Uhr gleichbleibende Zeitlängen, insbesondere durch die nach jeder Variation (B, C) solo gespielte und sich dadurch deutlich abhebende Basslinie (A), markiert. Michael Glasmeier sprach wegen der Unterscheidbarkeit der einzelnen Segmente von einem „perforierten Loop“.12 Tonhöhe, Lautstärke und Klangfarbe hingegen werden durch die Repetition in ihrer dramaturgischen Ausdruckskraft 8 9
10 11 12
Vgl. John Cage: Defense of Satie (EA 1948). In: Kostelanetz 1991, S. 77–84, hier S. 81. Vgl. ebd., S. 84. – Ina Blom brachte die in der frühen Videokunst zelebrierte Langeweile mit antikapitalisitischen Tendenzen in Verbindung. Vgl. Ina Blom: The Autobiography of Video. The Life and Times of a Memory Technology. Berlin 2016, S. 108. Vgl. Heinz-Klaus Metzger u. Rainer Riehn (Hgg.): John Cage II (= Musik-Konzepte: Sonderband). München 1990, S. 185–236, hier S. 213–236 u. S. 214. Vgl. Cage (EA 1948) 1991, S. 84. „Sein Loop ist perforiert, d. h. seine Basis in den paar Noten ist als immer neuer Beginn des Gleichen hörbar, wahrnehmbar.“ Michael Glasmeier: Loop. Zur Geschichte und Theorie der Endlosschleife am Beispiel Rodney Graham. Köln 2002, S. 13.
1. Wiederholung
103
abgeschwächt. Ohne dramaturgische Entwicklung jedoch kann das Vorherige vom Nachfolgenden nur mit Mühe unterschieden oder gar entlang einer Erzählung verortet werden. Darüber hinaus wurden auch die harmonischen Folgen bewusst unlogisch konzipiert und die Notation der eigentlich einfachen Melodie verkompliziert, indem gleiche Akkorde unterschiedlich aufgezeichnet wurden. Dem Pianisten verlangt dies stets aufs Neue höchste Konzentration ab.13 Paradoxerweise unterlaufen die „Vexations“ also das Zeitgefühl, obwohl sie einem strengen Zeitmaß gehorchen. Bestätigt wird dies auch durch empirische Untersuchungen von Musikpsychologen und Berichte von Pianisten, die das Stück alleine aufführten. So bekannte Armin Fuchs, der die „Vexations“ schon dreimal öffentlich gespielt hatte, dass er diese immer noch nicht auswendig beherrsche.14 Aus der Wahrnehmungsforschung ist zudem bekannt, dass sich bei langsamem Spiel die zeitlichen Abstände zwischen den Noten (bei einer Dauer von 2–5 Sekunden) unwillkürlich verschieben, da die innere Uhr des Pianisten unzuverlässig wird. Außerdem wird durch die Dehnung die musikalische Syntax zerstört. Um Gleichmaß zu garantieren, greifen Pianisten auf äußere Korrektive wie Metronom oder Uhr zurück.15 Während der Aufführung sei er, so berichtete Fuchs weiter, aufgrund der Monotonie des Stücks bisweilen geistig abwesend gewesen, habe aber auch meditative Zustände erfahren.16 Das Gefühl für ein fixes Gefüge von Raum und Zeit habe sich zwischenzeitlich aufgelöst, eine Erfahrung, die durchgängig anwesende Zuhörer teilten: Zusätzlich zum oben erwähnten aufgelösten Raumgefühl konnte ich auch häufig ein Verschwimmen der Zeit in der Weise beobachten, daß die Einteilung von Zeit nicht mehr spürbar war. Es gab oft nur ein großes Zeitfenster, in dem ich tätig war. [...] Dieses unendliche Zeitgefühl scheint mir aber die kleinen Zeitfenster zu beinhalten. [...] Ohne mich auf eine Viertelgruppe zu fixieren, ist das Bewusstsein für ihre Existenz vorhanden. Es ist ein Zustand, der alle Zeitebenen gleichzeitig umschließt.17
Monotonie und langsame Geschwindigkeit erschweren das Unterscheiden von bestimmten Noten- und Taktgruppen und damit in letzter Konsequenz das kognitive Erfassen 13
14
15 16 17
Zur Komposition vgl. Orledge 1990, S. 144. – Vgl. Stephen Whittington: Serious Immobilities. On the Centenary of Erik Satie’s Vexations, o. O. 1999, URL: http://www.academia.edu/171971/Serious_Immobilities_On_the_Centenary_of_Erik_Saties_Vexations (Stand: 5.7.2017). Vgl. Wolfgang Rathert: Zeit als Motiv in der Musik des Zwanzigsten Jahrhunderts. Mit einem Ausblick auf Feldman und Nono. In: Richard Klein, Eckehard Kiem u. Wolfram Ette (Hgg.): Musik in der Zeit. Zeit in der Musik. Weilerswist 2000, S. 287–312, hier S. 298. – Vgl. Kopiez 1999, S. 306. Vgl. Kopiez 1999, S. 303–306 u. S. 310. – Vgl. Whittington 1999, o. S. Vgl. Kopiez 1999, S. 308f. – Vgl. Orledge 1990, S. 144. Kopiez 1999, S. 311.
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des Gespielten. Wie Fuchs schrieb, habe er sich gewissermaßen in einem unbegrenzten Zeitfeld bewegt. Andere Experten kamen zu ähnlichen Formulierungen. Stephen Whittington charakterisierte die „Vexations“ als statisch, sie verfügten deshalb über einen geradezu objekthaften Charakter oder würden, da kein Thema erinnert werden könne, zu einem Grund ohne Figur.18 Wolfgang Rathert begründete den atemporalen Charakter der „Vexations“ mit der Wiederholungsstruktur, die die Fähigkeit zur Protention und zur Retention des Gehörten unterlaufe.19 Weder könne der Hörer also das Folgende erahnen noch das bereits Wahrgenommene im Gedächtnis behalten. Das Resultat sei der Eindruck einer „vollständige[n] Präsenz“20. Gemeinsam sind allen Umschreibungen – „unendliches Zeitgefühl“, statische Objekthaftigkeit, Grund ohne Figur, „vollständige Präsenz“ – der Ausdruck eines Scheiterns bei dem Versuch, eine klare zeitliche Gliederung oder Fortentwicklung wahrzunehmen. Dieses Scheitern äußert sich positiv in einem Ganzheits- oder Ewigkeitsgefühl, das mit einer Zentrierung des Geistes auf die Gegenwart übereinzustimmen scheint. Wenn die repetitive Komposition das Zeitgefühl unterläuft, so sind es signifikante Abweichungen von der Wiederholung, die zum Anhaltspunkt für den Zuhörer werden können, beispielsweise Spielfehler oder externe Ereignisse, wie das Eintreten von Personen in den Raum, Gespräche oder möglicherweise sich veränderndes Licht. Im Falle der von Cage 1963 organisierten Aufführung sorgte auch der Wechsel der Pianisten für eine willkommene Abwechslung – wobei auch hier das serielle Prinzip beibehalten wurde, da jedem Spieler dieselbe Aufführungsdauer vorgegeben wurde und die Abfolge der Musiker bei jedem Durchlauf gleich blieb. Festzuhalten ist jedenfalls, dass sich die Aufmerksamkeit des Zuhörers während der Aufführung auf den realen Raum und seine eigene Wahrnehmung verschieben kann. Whittington schrieb, dass die eigentliche „Handlung“ der „Vexations“ in der Veränderung des Bewusstseins bestehe.21 Dazu passt auch der Wortlaut der von Satie in der Partitur niedergelegten Spielanweisung: „Pour se jouer 840 fois de suite ce motif, il sera bon de se préparer au préalable, et dans le plus grand silence, par des immobilités sérieuses.“ Für die vollständige Aufführung des Stücks solle sich der Pianist also mit einer strengen Schweigemeditation vorbereiten – wobei die Vorstellung, sich für ein derart absurdes Unterfangen strengen Exerzitien zu unterziehen, nicht ohne Komik ist. Zugleich evoziert Saties Anweisung die Vorstellung von Stasis und Lautlosigkeit für das gespielte Stück, so als würden durch die Wiederholungen alle Töne gelöscht und dabei ein ähnlicher Effekt erzeugt, wie er durch die Erfahrung von Stille zustande kommt. 18 19 20 21
Vgl. Whittington 1999, o. S. Zu Husserls Begriffen „Protention“ und „Retention“ vgl. S. 96f. Rathert 2000, S. 298. Vgl. Whittington 1999, o. S.
1. Wiederholung
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Cages „4’ 33’’“ aus dem Jahr 1952 kann in diesem Sinne durchaus als Umsetzung von Saties „plus grand silence“ und „immobilités sérieuses“ aufgefasst und als Pendant der „Vexations“ verstanden werden.22 Als die Premiere des Stücks am 29. August 1952 in Woodstock, New York, stattfand, zeigte der Pianist David Tudor die drei Sätze von der Dauer 33 Sekunden, 2:40 Minuten und 1:20 Minuten durch das Schließen und Öffnen der Tastaturabdeckung des Flügels an, spielte aber keinen einzigen Ton. Die Gesamtlänge des Stücks referiert auf die standardisierte Länge technisch reproduzierter Unterhaltungsmusik. Über die Anwendung von Zufallsverfahren und die Addition kürzerer Zeiteinheiten gelangte Cage zu der genauen Bestimmung der einzelnen Sätze.23 Durch die Markierung eines Zeitfensters und den sensibilisierenden Kontext der Aufführungssituation avancieren bekanntermaßen, sofern sich das Publikum darauf einlässt, alle Hintergrundgeräusche wie Wind, Rascheln, Stuhlknarzen, die üblicherweise ausgeblendet werden, zum eigentlichen Klangerlebnis. Dass ein markierter Raum zur Projektionsfläche für gegenwärtige Ereignisse werden kann, war Cage offensichtlich bewusst. So schrieb er 1971 in einem Kommentar zu Paiks „Zen for Film“ (1964), dass das Zelluloid keine Bilder aufgenommen habe, sodass bei der Aufführung des 16-mm-Films der Staub sichtbar werde, der sich darauf sammele.24 Vergleichbar sei dies mit den „White Paintings“, die Robert Rauschenberg im Sommer 1951 am Black Mountain College gemalt hatte und die dort 1952 im „Theatre Piece No. 1“, das als das erste Happening gilt, gezeigt wurden. Liegt in Rauschenbergs Werk eine räumliche Abzirkelung vor, so ist es bei „4’ 33’’“ die Länge eines Zeitabschnitts, die markiert wird. Diese Rahmungen bilden die Voraussetzung für eine Sensibilisierung des Publikums für die Geschehnisse des Augenblicks. Cages Lehrer Suzuki erläuterte 1957 in „Mysticism. Christian and Buddhist“ die buddhistisch geprägte Vorstellung vom absoluten Nichts, das auch mit dem Begriff Nirvana bezeichnet wird. In seiner Leere, die reine Existenz sei, seien die Relationen zwischen den Dingen außer Kraft gesetzt; alle Möglichkeiten seien zugleich gegeben: „In Buddhist Emptiness there is no time, no space, no becoming, no-thing-ness; it is a zero full of infinite possibilities, it is a void of inexhaustible contents.“25 Das Nichts sei verbal nicht fassbar, Sprache schließe sein Erleben aus. Aus diesem Grund versuchten Zen-Meister, durch paradoxe Interventionen die reale Leere erkennbar zu machen. „44’ 33’’“ ist ein Stück ohne Melodie und ohne Rhythmus. Das, was sich an Umgebungsgeräuschen ereignet, ist weder durch den Komponisten noch durch den Auffüh22 23 24 25
Vgl. ebd. Vgl. Pritchett 1993, S. 59. „The Rauschenberg paintings, in my opinion, as I’ve expressed it, become airports for particles of dust and shadows that are in the environment.“ John Cage: On Nam June Paik’s „Zen for Film“ (1962–64). In: Herzogenrath 1999, S. 150. Daisetz T. Suzuki: Mysticism. Christian and Buddhist. London 1957, S. 28.
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renden vollständig steuerbar. Der Verzicht auf alle musikalischen Konventionen außer der einen, während der Aufführung anwesend zu sein, ermöglicht einen meditativen Zustand, der den Spieler wie den Zuhörer auf sich zurückverweist. Bei dem ungleich längeren Ausnahmezustand, den Saties Musikstück generiert, sind ähnliche Effekte bekannt.
2. KONTINUITÄT, VARIABILITÄT UND VERLANGSAMUNG An jener von Cage initiierten Aufführung der „Vexations“ nahm auch Warhol teil, dessen künstlerische Produktion zunehmend durch Reduktion und serielle Prinzipien geprägt war.26 Seit 1961 besuchte der Künstler auch zahlreiche der von Jonas Mekas organisierten Aufführungen unabhängiger Filme.27 Im Sommer 1963 kaufte er sich schließlich eine 16-mm-Kamera der Marke Bolex und drehte „Tarzan and Jane Regained… sort of “ und danach „Sleep“, einen Stummfilm in Schwarz-Weiß, der mit 24 Bildern pro Sekunde aufgenommen und mit 16 Bildern pro Sekunde über eine Dauer von fünf Stunden und 21 Minuten abgespielt wurde.28 Nimmt man Warhols frühe Experimentalfilme nochmals genauer in den Blick, so zeigen sich dort ähnliche künstlerische Strategien und Wahrnehmungseffekte, wie sie oben mit Bezug auf Cages „4’ 33’’“ und der Aufführung von Saties „Vexations“ konstatiert wurden. Auch eine Rezeption der minimalistischen Musik La Monte Youngs, den er 1962 in der Judson Hall in New York gehört hatte, ist nach Baumgärtel für Warhols Schaffen dieser Zeit essentiell.29 „Sleep“ (Abb. 36), das die durchgängige Dokumentation eines schlafenden Manns suggeriert, besteht tatsächlich aus dem Filmmaterial einzelner 100-Fuß-Rollen, die zu verschiedenen Zeiten aufgenommen wurden.30 Nach Mekas setzt sich der Film aus zehnminütigen Segmenten zusammen, wobei jedes Segment zweimal wiederholt werde.31 Wie jedoch Branden W. Joseph herausfand, ist die Struktur der Montage weitaus komplizierter aufgebaut, dabei aber durch repetitive Muster geprägt.32 Protagonist ist 26 27 28
29 30 31 32
Vgl. Peter Wollen: Raiding the Icebox. In: Michael O’Pray (Hg.): Andy Warhol. Film Factory. London 1989, S. 14–27, hier S. 25. – Vgl. ders. 2000, S. 9f. – Vgl. Patrick S. Smith: Andy Warhol’s Art and Films. Ann Arbor 1986, S. 155. Vgl. Andy Warhol u. Pat Hackett: POPism. The Warhol ’60s. New York u. a. 1980, S. 30 u. S. 49. Die Premiere fand am 17. Januar 1964 in der Film-Maker’s Cooperative at the Gramercy Arts Theater in New York statt. Vgl. Jonas Mekas: The Filmography of Andy Warhol. In: John Coplans: Andy Warhol. Kat. Ausst. Pasadena (Pasadena Art Museum). New York 1970, S. 146–156, hier S. 156. – Vgl. Warhol u. Hackett 1980, S. 33. Vgl. Baumgärtel 2015, Kap. 8, beispielsweise S. 205. Vgl. Smith 1986, S. 155. Vgl. Mekas: The Filmography 1970, S. 156. Vgl. Branden W. Joseph: The Play of Repetition. Andy Warhol’s „Sleep“. In: Grey room 19 (2005), S. 22–53, hier S. 28–33.
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der schlafende Dichter und ehemalige Börsenmakler John Giorno,33 dessen Name im Italienischen „Tag“ bedeutet und dessen im Bett liegender Körper aus verschiedenen Perspektiven und Entfernungen gezeigt wird. Warhol richtete die Kamera auf einzelne Körperpartien des Schlafenden, welche sich durch den Atem und den Herzschlag regelmäßig heben und senken. Insbesondere bei starker Nahaufnahme setzt sich das Filmbild aus Feldern von Licht und Schatten zusammen, die sich wechselseitig ausdehnen und zusammenziehen. Der Film endet mit einer eingefrorenen Einstellung, die das Gesicht des Schlafenden zeigt. Wie Anna Abrahams schrieb, sei das Motiv des Schlafenden ein attraktives Thema für Warhol gewesen, weil durch den damals im Kreis des Künstlers verbreiteten Konsum von Amphetaminen das Wachbleiben forciert wurde. Warhol selbst habe täglich das Viertel einer Tablette zu sich genommen und zwischen 1963 und 1967 angeblich nur zwei bis drei Stunden pro Nacht geschlafen.34 Koch hob das veränderte Zeitempfinden eines Schlafenden hervor, welches in Warhols Filmen häufiger, so auch in „Kiss“ (1963), thematisiert werde.35 Das damalige Publikum schien dies allerdings weniger interessiert zu haben. So berichtete David Bourdon, dass Zuschauer während der Vorführung zur Projektionsfläche liefen, um dem Abgebildeten gewissermaßen ins Ohr zu rufen: „Wake up!“.36 Diese Anekdote zeigt mit Blick auf die Rezeptionssituation zweierlei: Zum einen scheint der Film einen nur schwach ausgeprägten Immersionsraum erzeugt zu haben und folglich die Aufmerksamkeit auf die Situation der Vorführung gelenkt zu haben. Denn es ist nicht anzunehmen, dass die betreffenden Zuschauer Darstellungsraum und Dargestelltes auf einmal nicht mehr voneinander trennen konnten; vielmehr handelte es sich um eine scherzhafte Intervention, möglicherweise auch um eine Entlastungsreaktion.37 Die Anekdote verweist zum anderen auf die Erwartung des Kinogängers, im Film eine mit Bezug auf die reale Dauer der Vorgänge geraffte, spannende Handlung zu sehen. Eine solche Erwartung wird bei Warhol, wie dies mehrfach in der Literatur notiert wurde, enttäuscht.38 Wie die Sichtung der überlieferten Reaktionen auf Warhols Arbeit ergibt, entfaltete das „Portrait“ des schlafenden Giorno zur Entstehungszeit aber auch eine meditative Wirkung, die mit einer Sensibilisierung der Wahrnehmung verbunden war. Pat33 34 35 36
37 38
Vgl. Warhol u. Hackett 1980, S. 33. Vgl. ebd. – Anna Abrahams: Warhol Films. Amsterdam 1989, S. 14. Vgl. Koch 1974, S. 18. Vgl. David Bourdon: Warhol as Filmmaker. In: Art in America 59/3 (1971), S. 48–53, hier S. 49. – Während der Erstaufführung wurden zwei Transistorradios eingesetzt, die auf zwei unterschiedliche Rockmusik-Sender eingestellt waren. Vgl. ebd., S. 50. Vgl. Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens. Bern 1941, S. 43. Vgl. Abrahams 1989, S. 53. – Vgl. Bourdon 1971, S. 49.
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rick Smith erinnerte sich 1986 mit Bezug auf „Sleep“: „When I first saw the film, I was literally meshmerized, and I can still remember that when Giorno made even a slight movement, I was startled.“39 Koch sprach 1974 von einer „seriellen Meditation über die Stille“. Die Zeitlichkeit der Filme sei zugunsten einer Art Objekthaftigkeit, wie sie einem Tafelbild zukomme, aufgehoben.40 Damit benannte der Autor ein Phänomen der räumlichen Objektivierung, wie es auch für Saties „Vexations“ festgestellt wurde. Diese Wahrnehmungsweise auch anderer früher experimenteller Filme Warhols wurde schon 1964 durch Henry Geldzahler,41 1970 durch Mekas und 1971 durch Bourdon bestätigt.42 Bourdon empfand darüber hinaus Unbeständigkeit und Vergänglichkeit: The feeling of impermanence is one of the strongest impressions left by Warhol’s films. No matter how static the image, no matter how lengthy the monologue, no matter how tedious and unendurable the movies seem while we watch them, we are left with a sense of their brevity.43
Dass kleine Veränderungen bei einem ansonsten ereignisarmen Erzählverlauf besonders intensiv wahrgenommen werden können, kennt jeder aus eigener Anschauung. Eine entscheidende Rolle scheint auch der Verlangsamung der Abspielgeschwindigkeit auf 16 Bilder pro Sekunde – je nach Projektor auch 18 Bilder pro Sekunde – zuzukommen, welche der gängigen Taktung früher Stummfilme entspricht.44 Gegenüber der standardmäßigen Abspielgeschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde ist diese zwar verlangsamt, dennoch ergibt sich eine flüssige Scheinbewegung. Der Einsatz der Zeitlupe ist allenfalls für das geschulte Auge sichtbar. Im Hinblick auf eine mögliche wahrnehmungspsychologische Erklärung der soeben bei „Sleep“ dargestellten außeralltäglichen Zeiterfahrungen sollen im Folgenden noch 39
Smith 1986, S. 155. – Vgl. Jonas Mekas: Notes after Reseeing the Movies of Andy Warhol. In: John Coplans: Andy Warhol. New York 1970, S. 139–145, hier S. 142. 40 „Sleep [...] is a serial meditation on stillness, run through its variations and protracted within the irreal, yet temporal and concrete medium of the film.“ Koch 1974, S. 38f. 41 Vgl. Henry Geldzahler: Some Notes on „Sleep“. In: Film Culture 32 (Frühjahr 1964), S. 13. – Hier wird erstmals der Bezug zu Saties „Vexations“ gezogen. Geldzahler schrieb außerdem, ähnlich wie Smith: „The slightest variation becomes an event, something on which we can focus our attention. As less and less happens on the screen, we become satisfied with almost nothing and find the slightest shift in the body of the sleeper or the least movement of the camera interesting enough.“ Ebd. 42 Vgl. Mekas: Notes 1970, S. 139–145, hier S. 142. – Vgl. Bourdon 1971, S. 48. – Auch Koch konstatierte eine meditative Wirkung. Vgl. Koch 1974, S. 38. 43 Bourdon 1971, S. 49. 44 So erzählte Mekas eine Anekdote über den Filmemacher Stan Brakhage. Dieser habe sich in der Film-Maker’s Cooperative „Sleep“ zunächst mit der üblichen Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde angesehen und sei unbeeindruckt geblieben. Beim nochmaligen Betrachten des Films mit einer Geschwindigkeit von 16 Bildern pro Sekunde soll er jedoch begeistert gewesen sein. Vgl. Mekas: Notes 1970, S. 139.
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Barbara Barrys Ausführungen in „Musical Time. The Sense of Order“ (1990) einbezogen werden. Die Berücksichtigung einer musikpsychologischen Perspektive scheint nicht nur vor dem bereits referierten musikgeschichtlichen Hintergrund interessant, sondern auch wegen des Fehlens einer Narration in „Sleep“. Wie die Autorin für das Hören von Musik darlegte, sei das Empfinden von Dauer direkt proportional zum Grad der Anstrengung, die zur Verarbeitung der jeweils dargebotenen Information notwendig sei. Komplex strukturierte oder schnell gespielte Musik beispielsweise führe aufgrund ihrer Informationsdichte zu dem Eindruck, die Zeit vergehe langsam. Um eine kohärente Form wahrzunehmen, müsse der Hörer einzelne Teile der Musik über einen längeren Zeitraum im Gedächtnis behalten und zueinander in Beziehung setzen. Paradoxerweise gelte eine Dehnung der Zeitwahrnehmung aber auch dann, wenn nur wenig Information vermittelt werde, sofern diese fragmentiert erscheine.45 Nicht nur die leichte Zeitlupe, sondern auch die Stückelung der Bildabfolge tragen bei „Sleep“ nach diesem Erklärungsmodell zu einer Dehnung des Zeitempfindens bei, und damit zu dem Eindruck einer verlängerten Gegenwart. Oder wie Rathert es für Saties „Vexations“ formuliert hatte, werden Protention und Retention erschwert, was ebenfalls ein intensiviertes Gegenwartsempfinden bewirke. Werde jedoch das Bilden von Zusammenhängen allzu mühsam, reiße, so Barry, der Faden der Aufmerksamkeit: […] The lack of ,foreseeability‘ makes the continuation—uncertain. It may require a long span which far exceeds the manageable groups of the present usually formed by melodic shapes. In their absence, it may need an extremely long and ,effort‘-demanding present, or it may not span at all.46
Über das Empfinden von Langeweile vor den frühen Filmen Warhols wird in der Literatur immer wieder berichtet.47 Bei der Beschreibung der Erstaufführung von „Sleep“ im Kontext der Film-Maker’s Cooperative am Gramercy Arts Theater im Januar 1964 sprach der Künstler das Thema selbst an. So kursierte der Witz, Mekas habe jeden, der sich vor dem Sehen des kompletten Films drücken wollte, am Sitz festgebunden und so Exempel statuiert. Warhol allerdings sei selbst nach kurzer Zeit gegangen, weil er „ausnahmsweise“ keine Lust dazu gehabt habe, sich zu langweilen: „Everybody knows how it is, some days you can sit and look out of the window for hours and hours and some days you can’t sit still for a single second.“48 Wenn Warhol einige Zeilen später behaup45 Vgl. Barbara R. Barry: Musical Time. The Sense of Order (= Harmonologia Series 5). Stuyvesant 1990, S. 182. 46 Ebd. 47 Vgl. Bourdon 1971, S. 49. – Vgl. insbesondere mit Blick auf „Empire“: Lee 2004, S. 288. 48 Warhol u. Hackett 1980, S. 50. – Koch berichtete eine Version dieser Anekdote mit umgekehrter Rollenverteilung, die
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tete, dass er langweilige Dinge unbedingt möge, so wertete Lee dies als widersinnige Aussage, da Langweiliges eben gerade keine Aufmerksamkeit auf sich ziehe und erst recht nicht gemocht werde.49 Doch wenn Warhol sagte, an manchen Tagen könne man ewig aus dem Fenster blicken, so bezog er sich auf einen als angenehm empfundenen Zustand des Tagträumens, der möglicherweise mit dem meditativen Zustand vergleichbar ist, wie er vom damaligen Publikum mitunter beschrieben wurde. Warhols Liebe für das Langweilige ist nur auf den ersten Blick abwegig. Liest man den oben zitierten Absatz weiter, so fährt Warhol fort, dass jeder von etwas anderem gelangweilt sei. So liebten viele Leute das Betrachten von Fernsehserien, die die gleichen Muster von Handlungen, Einstellungen und Schnitten mit geringen Varianten perpetuierten. Er selbst hingegen ziehe es konsequenterweise vor, absolut Gleiches anzusehen: „Because the more you look at the same exact thing, the more the meaning goes away, and the better and emptier you feel.“50 Man kann diese Aussage in mehrfacher Hinsicht lesen. Entweder legte Warhol hier satirisch offen, was das Unterhaltungsmedium Fernsehen seiner Ansicht nach produziert: eine banale Leere. Oder das Empfinden von Leere ist tatsächlich wünschenswert, beispielsweise weil es eine Befreiung darstellt und, wie Cage es formuliert hätte, sprachlich vorgegebene Konzepte und Erwartungen auslöscht. Zudem kann man Warhols Aufwertung der Sinnleere auch als ironische Reaktion auf die negative Rezeption des Films51 bei seiner Aufführung lesen: Das im Werk als negativ Kritisierte wird also ins Positive gewendet. Es ist aber noch eine weitere Lesart möglich, die eine konzeptuelle Lesart eröffnet. So findet sich eine vergleichbare Rhetorik in Gertrude Steins Aufsatz „Portraits and Repetition“, der 1935 in ihrem Band „Lectures in America“ – gleichzeitig zu ihrer Amerika-Reise, für die sie die dort publizierten Vorträge schrieb – veröffentlicht wurde52 und in dem die Autorin sich mit dem für ihren Schreibstil prägenden Aspekt der Wiederholung auseinandersetzte. Warhols Kenntnis vom Schaffen der auch in den USA stark rezipierten Schriftstellerin ist bereits in seinem frühen Werk sichtbar, wenn er 1955 in seinem aus 16 Blättern bestehenden Portfolio „À la Recherche du Shoe Perdu“ die Grafik eines mit Schleife geschmückten, rosa Schuhs von seiner Mutter mit der Textzeile „The Autobiography of Alice B. Shoe“ versehen ließ und damit den Titel von
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ihm Mekas erzählt haben soll. Mekas habe Warhol beim zweiten Screening von „Sleep“ an der Co-Operative mit einem Seil am Stuhl festgebunden. Als er die Anwesenheit des Künstlers einige Zeit später habe überprüfen wollen, habe er allerdings nur noch das Seil vorgefunden. Vgl. Koch 1974, S. 35. Vgl. Lee 2004, S. 288. Warhol u. Hackett 1980, S. 50. Vgl. Bourdon 1971, S. 49. Vgl. Wanda M. Corn u. Tirza True Latimer: Seeing Gertrude Stein. Five Stories. Kat. Ausst. San Francisco (Contemporary Jewish Museum u. a.). Berkeley 2011, S. 241.
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Steins Buch „The Autobiography of Alice B. Toklas“ (1933) zitierte.53 1980 integrierte Warhol Steins Portrait in das zehn Blätter umfassende Portfolio „Ten Portraits of Jews of the Twentieth Century“, wo er sie in eine Reihe mit Persönlichkeiten wie Franz Kafka, Albert Einstein, George Gershwin und Sigmund Freud stellte.54 Joseph weist auf Aussagen von Zeitzeugen hin, die Stein – zusammen mit Cage – als Warhols wichtigste Inspirationsquelle bezeichnen.55 Auch Cage hatte sich intensiv mit Steins Schaffen beschäftigt.56 Wie Warhol, so antwortete auch Stein auf die Kritik an der Langatmigkeit ihres Werks, indem sie sich auf die stereotypen Erzählmuster populärer Unterhaltungsmedien bezog. Waren es bei Warhol Fernsehserien, so bei Stein die damals populären Detektivgeschichten, die ihrer Ansicht nach immer wieder das gleiche Verbrechen beinhalteten und im Prinzip die immer gleichen Erzählmuster. Jedes der zahlreichen Male, wenn ein Journalist sich über ihren Schreibstil mokiere, wiederhole dieser sich ebenfalls. Doch in Wirklichkeit, so Stein, gebe es Wiederholung nicht. Dies leitete sie aus der real vergehenden Zeit und den sich verändernden Lebensumständen ab. Da sich beispielsweise der Kontext einer Generation immer wieder ändere, würden Äußerungen in unterschiedlicher Weise wahrgenommen werden.57 Sobald eine Person etwas zum Ausdruck bringe, könne keine Wiederholung vorliegen, da die Essenz dieser Wiederholung ein Insistieren darstelle. Sobald jemand auf einer Sache nachdrücklich bestehe, betone er etwas. Es sei aber nicht möglich, eine Aussage immer in der gleichen Weise zu betonen: [...] but once started expressing this thing, expressing any thing there can be no repetition because the essence of that expression is insistence, and if you insist you must each time use emphasis and if you use emphasis it is not possible while anybody is alive that they should use exactly the same emphasis.58
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Abgebildet in: Frayda Feldman u. Jörg Schellmann (Hgg.): Andy Warhol Prints. A Catalogue Raisonné 1962–1987. 4. überarb. u. erw. Ausgabe 2003, S. 337. Abgebildet ebd., S. 112. Vgl. Joseph 2005, S. 24. Vgl. Regine Karstedt (Bearb.): Chronologie/Biographien. In: Klänge des Inneren Auges. Mark Tobey, Morris Graves, John Cage. Kat. Ausst. Bremen (Kunsthalle Bremen) 2002, S. 252–273, hier S. 255. – Zur Rezeption durch weitere Künstler vgl. Corn u. Latimer 2011, S. 272–334. „In Composition as Explanation I said nothing changes from generation to generation except the composition in which we live and the composition in which we live makes the art which we see and hear.“ Gertrude Stein: Portraits and Repetition. In: Dies.: Lectures in America (EA New York 1935). Boston 1985, S. 165–206, S. 165. – „Each civilization insisted in its own way before it went away.“ Ebd., S. 168. Stein 1985, S. 167.
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Der Sprechende oder Schreibende verändert also unwillkürlich die Betonung und verschiebt dadurch die tektonischen Platten der bedeutungstragenden Schicht. Das wortwörtlich Gleiche bekommt eine leicht andere Wölbung oder eine minimal andere Ausrichtung. Ein Schlüsselbegriff im oben zitierten Absatz ist dabei das Wort „alive“: Unter der Voraussetzung der Lebendigkeit sei Wiederholung unmöglich. Stein ging der für sie zentralen Frage nach, wann eine Person und ihre Äußerungen lebendig seien. Eine Äußerung sei es insbesondere dann, wenn diese sich unmittelbar im Verlauf einer „lebendigen Rezeption“ entwickle. Das Sprechen und das Hinhören geschähen dann zugleich. Demgemäß schiebt sich in Steins Aufsatz ein Wort aus dem anderen, Satzteile werden überwiegend unter Verwendung der Präsens Verlaufsform („present continuous“) aufgebaut, ohne durchgängig durch Satzzeichen gegliedert zu sein, werden durch Wiederholung gehalten und leicht modifiziert. Es scheint fast, als komme es zu einer Angleichung von realer Zeit des Wahrnehmungsvorgangs und Erzählzeit oder sogar zu einer Verlangsamung der Erzählzeit. Steins Ziel war es dabei, eine lebendige Bewegung zu schaffen – die Bewegung des Texts –, die vollkommen autonom sei. Sie werde durch ein Beharren begleitet, dessen Betonung immer anders ausfalle – so wie der Sprung eines Froschs von Mal zu Mal anders sei.59 I said in the beginning of saying this thing that if it were possible that a movement were lively enough it would exist so completely that it would not be necessary to see it moving against anything to know that it is moving. This is what we mean by life and in my way I have tried to make portraits of this thing always have tried always may try to make portraits of this thing. If this existence is this thing is actually existing there can be no repetition. There is only re petition when there are descriptions being given of these things not when the things themselves are actually existing and this is therefore how my portrait writing began.60
Erzeuge der Schaffende eine solche lebendige, durch Beharren begleitete Bewegung, so sei diese durch Erinnerungslosigkeit gekennzeichnet. Denn die lebendige Existenz des Sprechens und Hinhörens komme ansonsten mit der wiederholten Vergangenheit der Erinnerung in Konflikt. Solches führe zu Verwirrung, sei leblos und folglich nicht schöpferisch.61 Stein schilderte ihre angestrengten Versuche, die unwillkürlich in den Sinn kommenden Erinnerungen und Vergleiche beim Einbeziehen der visuellen Wahrnehmung zu vermeiden. Zunächst konzentrierte sie sich auf das Portraitieren von Orten, da diese für sie nicht so stark mit Erinnerungen verknüpft gewesen seien wie beispiels59 60 61
Vgl. ebd., S. 170f. u. S. 176. Ebd., S. 170f. Vgl. ebd., S. 175f.
2. Kontinuität, Variabilität und Verlangsamung
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weise Personen. Bemerkenswert ist, dass Stein in ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema Visualität und Wiederholung ausgerechnet dem Film intensive Lebendigkeit und Erinnerungslosigkeit zuschrieb, da dort keine zwei Bilder identisch seien: By a consciously moving picture of any one there is no memory of any other thing and there is that thing existing, it is in a way if you like one portrait of anything not a number of them. [...] I was doing what the cinema was doing, I was making a continuous succession of the statement of what that person was until I had not many things but one thing.62
Das durch Aufmerksamkeit gezeichnete Bewegtbild sei also frei von jedweder Erinnerung, sodass das Ding selbst registriert werde. Wie ein Filmprojektor habe Stein in einer kontinuierlichen Abfolge von Äußerungen so lange eine Bestandsaufnahme der portraitierten Person hervorgebracht, bis dieser Zustand der Präsenz erreicht war.63 An anderer Stelle äußerte die Dichterin, dass sie für ein Portrait so lange schreibe, bis sie leer sei, also frei von allen mentalen Konzepten mit Bezug auf eine Person oder eine Sache, so lange, bis sie gar vergesse, dass das Portraitierte überhaupt existiere.64 Hier sei noch einmal Warhol zitiert: „Because the more you look at the same exact thing, the more the meaning goes away, and the better and emptier you feel.“65 Betrachtet man Warhols Film „Empire“ von 1964 (Abb. 37), so wirkt dieser wie ein Echo auf den dichterischen Ansatz Steins. Das Filmmaterial, bestehend aus 100-Fuß-Filmrollen, wurde laut Mekas, der die fix aufgestellte Auricon-Kamera bediente, sukzessive am 25. Juni 1964 vom 44. Stock des Time-Life Buildings aufgenommen.66 Wird es wie von Warhol vorgesehen verlangsamt mit 16 oder 18 Bildern pro Sekunde abgespielt, dauert die Vorführung gut acht Stunden lang. Dies entspricht der üblichen Länge einer Arbeitsschicht. Der Film erfasst das Auflösen des Nebels, das Hereinbrechen der Dämmerung, bei dem sich schlagartig auch die Lichter des Empire State Buildings erleuchten, zeigt dann das Erlöschen der Nachtbeleuchtung und läuft weiter, ohne bis zur Morgendämmerung anzudauern. Währenddessen wird die Aufnahme gestört, beispiels62 63
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Ebd., S. 176f. Steins intensive Auseinandersetzung mit Präsenz steht auch im Zusammenhang mit ihrer Rezeption von William James’ Schriften. Vgl. hierzu seine Auffassung von einer „trügerischen Gegenwart“: „Where is it, this present? It has melted in our grasp, fled ere we could touch it, gone in the instant of becoming. As a poet, quoted by Mr. Hodgson, says, ,Le moment où je parle est déjà loin de moi‘, and it is only as entering into the living and moving organization of a much wider tract of time that the strict present is apprehended at all. It is, in fact, an altogether ideal abstraction, not only never realized in sense, but probably never even conceived of by those unaccustomed to philosophic meditation. Reflection leads us to the conclusion that it must exist, but that it does exist can never be a fact of our immediate experience.“ William James: The Principles of Psychology (EA 1890). 2 Bde. Bd. 1. New York 1950, S. 608f. – Vgl. ebd. S. 613. Vgl. Stein 1985, S. 179 u. S. 199. Warhol u. Hackett 1980, S. 50. Vgl. Mekas: Filmographie 1970, S. 147.
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I. MONOTONIE UND ÜBERLANGE LAUFZEIT
weise durch das Spiegelbild Warhols in der Fensterscheibe zu Beginn der neunten Filmrolle, durch Momente starker Überbelichtung, leichtes Wackeln und Flackern sowie scheinbare Verschmutzung des Objektivs, wenn sich die Tropfen einer Flüssigkeit über das Bild legen.67 Auf der Spitze des nächstgrößeren Gebäudes neben dem Empire State Building, dem Metropolitan Life Insurance Tower, zeigt zudem ein blinkendes Licht die vollen Stunden sowie die Viertelstunden an. Es leuchtet in der zweiten Filmrolle beispielsweise neunmal, um die entsprechende Uhrzeit anzuzeigen. So kann der Betrachter also die jeweilige Uhrzeit während der Aufnahme ablesen, auch wenn der Film das Motiv nicht in Echtzeit abbildet.68 Bei den unbelichteten und deshalb durchsichtigen Stellen an der Naht zwischen zwei Filmrollen, also nach jeweils gleichen Zeiteinheiten, blitzt es außerdem hell auf. Die Variation der Aufnahmegeschwindigkeit war in der Frühzeit des Stummfilms, bedingt durch die händisch mit Drehkurbel betriebene Kamera, selbstverständlich und wurde häufig intuitiv eingesetzt. Der deutsche Kameramann Guido Seeber lehnte es beispielsweise ab, zur Kontrolle des Tempos einen Tachometer zu verwenden: „Ich bin dafür, daß der Kameramann ‚sich seine Spielfilmszene gefühlsmäßig zurechtdreht‘, und ich steigere oder minimiere gern je nach Handlung der betreffenden Szene das Dreh tempo.“69 Die übliche Abspielgeschwindigkeit betrug damals 16 bis 20 Bilder pro Sekunde. Der von Seeber und Georg Victor Mendel herausgegebene „Der praktische Kameramann“ aus dem Jahr 1927 nennt darüber hinaus die damaligen apparativen Voraussetzungen für Zeitlupe und Zeitraffer. Beide Techniken würden dazu verwendet, für das menschliche Auge üblicherweise zu schnelle oder zu langsame Vorgänge wahrnehmbar werden zu lassen.70 Auch die Faszination an der Abbildung von Bewegung – ohne narrative Ambitionen – ist im frühen Stummfilm häufig anzutreffen. So sind etwa in dem 50-Sekunden-Film „Arrivée d’un Train à la Ciotat (France)“, einem der 67
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Battcock behauptete 1967, dass die erste Filmrolle beschleunigt gespielt werde, was eine dramatisierende Wirkung erzeuge. Vgl. Gregory Battcock: Four Films by Andy Warhol (EA 1967). In: Michael O’Pray: Andy Warhol. Film Factory. London 1989, S. 42–53, hier S. 44. – Grundsätzlich sollen die Filmrollen aber mit 16 oder 18 Bildern pro Sekunde präsentiert werden. In der Literatur wird der für die Ästhetik zentrale Aspekt der Verlangsamung immer wieder übersehen. Rohsmann schrieb: „Dauer und Geschwindigkeit des Ablaufs im Film sind die gleichen wie die in der Wirklichkeit. Produktions-, Werk-, und Rezeptionszeit sind identisch.“ Rohsmann 1984, S. 130. – Auch Boris Groys behauptete bezugnehmend auf Warhols „Empire“, dass die Dauer der Aufnahme der Dauer der Rezeption entspreche. Vgl. Boris Groys: Geschwindigkeit der Kunst. In: Bici Curiger, Patrick Frey u. Boris Groys: Peter Fischli, David Weiss. Kat. Ausst. Venedig (Schweizer Pavillon der 46. Biennale di Venezia). Bern 1995, S. 25–35, hier S. 30. Vgl. Callie Angell: Andy Warhol, Filmmaker. In: The Andy Warhol Museum. Kat. Mus. Pittsburgh (The Andy Warhol Museum), Ostfildern 1994, S. 121–145, hier S. 126 u. FN 19, S. 143. Guido Seeber zitiert nach: Helmut Herbst: Kameraarbeit in den zwanziger Jahren. Über das Selbstverständnis der Stummfilmkameramänner. In: Helmut H. Diederichs u. a.: Der Stummfilm als Gesamtkunstwerk (= Augen-Blick 8). Marburg 1990, S. 20–36, hier S. 24. – Zur Aufnahme- und Abspielgeschwindigkeit in der Frühzeit des Films vgl. Anderson 1998, S. 55. Vgl. Seeber u. Mendel 1927, S. 211–219 u. S. 219.
2. Kontinuität, Variabilität und Verlangsamung
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ersten der Gebrüder Lumière aus dem Jahr 1896, aus statischer Kameraperspektive lediglich das Einfahren eines Zugs sowie die aus- und einsteigenden Fahrgäste zu sehen. Setzt man „Empire“ und „Sleep“ in Beziehung zu Stummfilmen solcher Art,71 so ist festzustellen, dass Warhol zwar gleichfalls Schwarz-Weiß-Film verwendete, mit der Abspielgeschwindigkeit experimentierte und etwas zeigte, anstatt zu erzählen. Allerdings ist die ins Auge gefasste Veränderung beziehungsweise Bewegung derart gering, dass sie für einen Kameramann der Frühzeit wohl uninteressant gewesen wäre. Anders als bei „Sleep“ entsteht bei „Empire“ die unverhältnismäßig lange Dauer des Films nicht durch Loops oder Anstückungen, sondern durch eine mehrstündige Aufnahme in Echtzeit. Dafür wurde durchgängig eine Filmrolle nach der anderen in die Kamera eingelegt. Die Dauer der Vorführung jedoch entspricht nicht mehr jener der Aufnahme, da der Film verlangsamt abgespielt wird. Unabhängig davon liefert das aufgenommene Gebäude ein, abgesehen von den wechselnden Lichtverhältnissen, gleichbleibendes Motiv, das den Film dem Eindruck einer Fotografie annähert. Vielleicht könnte man mit Stein auch sagen, dass es sich wegen der leichten Zeitlupe und der Fixierung auf einen einzigen Gegenstand um ein „aufmerksam“ laufendes Bild handelt, das die Erinnerung auslöscht und Präsenz erzeugt. In diesem Sinne kann Warhols „Empire“ als Portrait eines bestimmten Orts verstanden werden. Lee hob ebenfalls den Antagonismus von Gleichförmigkeit und Vorschubbewegung hervor, wobei sie schlagwortartig das Konzept der „negativen Unendlichkeit“ ins Feld führte, wie es von Georg Wilhelm Friedrich Hegel formuliert worden war.72 Damit übertrug sie auf „Empire“ die Vorstellung von einer seriellen Abfolge endlicher Einheiten, die sich zwar andauernd fortpflanzen, aber keinen Abschluss als wahrhafte Unendlichkeit finden können.73 Lee charakterisierte die Zeiterfahrung von „Empire“ als paradox: „[...] the building is endlessly present, is static, but the movie moves, on and on and on. It stages the paradox of a long, seemingly interminable now: the present repeated as futurity.“74 Von dieser Beobachtung ausgehend sah sie Warhols „Empire“, kurz zusammengefasst, als Verwirklichung einer Strategie, dem endlosen Strömen der Medieninformation etwas entgegenzusetzen. Die Zukunft werde gewissermaßen langweilig75 – eine Aussage, die nur mit Bezug auf Hegel, der die „negative Unendlichkeit“ als langweilig bezeichnete,76 verständlich wird. Die relative Monotonie der Darstellung, so Lee, verlangsame den Fluss der Zeit. 71 72 73 74 75 76
Die Nähe experimenteller Filme zur frühen Geschichte des Films hob Peter Wollen hervor. Vgl. Wollen 2000, S. 8f. Vgl. Lee 2004, S. 281. Vgl. S. 138. Lee 2004, S. 293. Vgl. ebd., S. 287f. Vgl. Hegel (1832) 1969, S. 155.
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I. MONOTONIE UND ÜBERLANGE LAUFZEIT
Der Autorin ist insofern zuzustimmen, als Warhols „Empire“ gemessen an einem konventionellen Spielfilm statisch wirkt. Doch ist es offensichtlich auch so, dass mit den Lichtblitzen, Warhols Reflexion in der Scheibe, der Uhrenanzeige des Metropolitan Life Insurance Towers und so weiter zahlreiche Veränderungen feststellbar sind, die ein deutliches „Nacheinander“ erzeugen. Diese „Ereignisse“, wie sie Lee auch nennt, haben eine sehr viel stärkere Bedeutung, als die Autorin es im Sinne ihrer These erlauben will; denn „Empire“ bezieht sich offenkundig auf seine eigene Medialität zurück.77 Es ist fraglich, ob Hegels „negative Unendlichkeit“ als Metapher für die Beschreibung von „Empire“ glücklich gewählt ist, da sich die Arbeit gerade nicht durch elaborierte Segmentierung und Wiederholung des Gleichen, sondern durch Kontinuität, Variabilität und Verlangsamung auszeichnet.78
3. ZIELGERICHTETE UND PERIPHERE WAHRNEHMUNG Das Spannungsverhältnis zwischen dem Offenlegen von filmischer Materialität und dem Gestalten eines illusionistischen Immersionsraums wird einige Jahre später in einem Schlüsselwerk des Strukturellen Films konzeptuell weitergetrieben und in seinen formalen Möglichkeiten aufgefächert. Michael Snow montierte in seinem 16-mm-Farbfilm „Wavelength“ aus dem Jahr 1966/67 (Abb. 38) eine Anzahl von 16 bis 18 Filmrollen von je 100 Fuß Länge und knapp drei Minuten Dauer zu einer 45 Minuten währenden Ansicht eines Innenraums. Weil er mit der Qualität der farblichen Verfremdungseffekte nicht immer zufrieden gewesen sei, habe er zusätzliches Filmmaterial mit Farbeffekten erstellt und dieses stellenweise in den regulären Ablauf integriert.79 Während des Werkfindungsprozesses empfand der Experimentalfilmer selbst eine Nähe zu Warhols „Empire“: „When I started thinking, jotting notes for Wavelength, it occurred to me that it might be a little like Empire.“80 Im Gegensatz zu „Empire“ aber 77
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Lees Aussagen sind widersprüchlich. So behauptete sie, Warhol habe keine Hand an den Film gelegt und das Bild des Empire State Buildings verändere sich nicht, während der Film laufe. An anderer Stelle hingegen schrieb sie, dass viele kleine Dinge passierten. Vgl. Lee 2004, S. 280 u. S. 283. Wie schon an anderer Stelle deutlich wurde, geht es in der Regel gerade darum, ein Spannungsverhältnis von Starre und Bewegung umzusetzen. Vgl. S. 29f. Snow spricht retrospektiv von zwischen 16 und 18 Filmrollen. Vgl. Email from the artist [Michael Snow], 19. October 2005. Zitiert in: Elizabeth Legge: Michael Snow. Wavelength. London 2009, S. 20. Snow führte die Ähnlichkeit seiner Arbeit zu Warhols „Empire“ dabei auf das gemeinsame Wissen über Malerei und Film zurück. Vgl. Letter from Michael Snow (Adr.: P. Adams Sitney u. Jonas Mekas, 21. August 1968). In: Michael Snow: The Collected Writings of Michael Snow. Waterloo 1994, S. 43–46, hier S. 46. – Adams Sitney betrachtete Warhol neben Peter Kubelka und Brakhage als einen historischen Vorläufer des Strukturellen Films. Die ironische Haltung Warhols als Pop-Künstler sei jener der Protagonisten des Strukturellen Films allerdings direkt entgegengesetzt. Vgl. Adams Sitney: Structural Film (Sommer 1969; überarbeitete Version Winter 1969). In: Ders. (Hg.): Film Culture. An
3. Zielgerichtete und periphere Wahrnehmung
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ist die Kamera zwar ebenfalls statisch – sieht man von der technisch bedingten Ausnahme im letzten Teil des Films ab81 –, jedoch verengt sich der Raumausschnitt. Wie Snow ausführte, bestand seine Ausgangsidee in der Vorstellung von einem lang andauernden Zoom, der die Sicht auf ein Interieur ändere.82 Aus erhöhter Perspektive blickt man in „Wavelength“ in ein sparsam möbliertes Loft sowie dessen Außenwand, die durch vier hohe Fenster rhythmisiert wird. Diese erlauben Durchblicke auf die Dächer der draußen vorbeifahrenden Lastwagen, sodass sich das Zimmer wohl im ersten Stockwerk befindet. Auf der Wand zwischen den beiden mittleren Fenstern befinden sich drei über- und nebeneinandergeklebte Bilder. Außerdem stehen dort eine Kommode mit Radio und Telefon sowie ein gelber Stuhl. Im Laufe des Films verengt sich sukzessive der Ausschnitt und nimmt eines der drei Bilder ins Visier. Mit einer systematischen Begrenzung des Blickwinkels soll im Spielfilm üblicherweise die Illusion eines Durchstoßens der Bildoberfläche und Eintretens in den Bild raum hervorgerufen werden. Doch leichtes Wackeln und ruckhafte Bewegungen markieren diese Bewegung bei Snow als eine diskontinuierliche und verweisen auf das Drehen des Objektivs sowie den Wechsel der Filmrollen. Etwa zehn Minuten vor Ende wechselt die Perspektive aus technischen Gründen in eine frontale. Die Kamera wird nun auf das Bild an der Wand hingerückt. Nun erkennt man deutlich eine Farbfotografie, die ausschnitthaft Wellen von Wasser wiedergibt. Die Schlusseinstellung zeigt diese in Nahaufnahme, wobei die Bildränder nicht mehr zu sehen sind und der Kamerablick gewissermaßen in sie eintaucht. Die eigentlich abbildende Darstellungsweise wird durch verschiedene Mittel der Verfremdung, wie den Einsatz von Farbfiltern, Negativbildern, Doppelbelichtungen und so weiter bewusst gestört. Außerdem schob Snow an vier Stellen des Films kurze Episoden ein. Die zeitliche Aufeinanderfolge dieser Episoden orientiert sich dabei an der Läge der Filmrollen.83 So wird zu Beginn des Films, nach einer einleitenden tonlosen Sequenz, in der erst ein gelbes und dann eine rotes Bild zu sehen sind, unvermittelt der vom lauten Verkehrsgeräusch untermalte Innenraum eingeblendet, in dem unter der Anleitung einer Frau in rotem Mantel ein hohes Bücherregal von zwei Männern hereingetragen und aufgestellt wird. Die folgende Filmrolle zeigt zwei Frauen, die das
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Anthology. London 1971, S. 326 –349, hier S. 328. – Auch Regina Cornwell vertrat die Ansicht, Snows „Wavelength“ stehe in der Tradition der frühen experimentellen Filme Warhols. Vgl. Regina Cornwell: Snow Seen. The Films and Photographs of Michael Snow. Toronto 1980, S. 62f. Vgl. Legge 2009, S. 21. Vgl. Jonas Mekas u. P. Adams Sitney: Conversation with Michael Snow (1967). In: Snow 1994, S. 40–42, S. 41. Dies wird auch in Snows Notizen zum Aufbau des Films deutlich. Die dort festgelegte Zeitabfolge behielt er jedoch nicht bei. Für eine Abb. des Notizzettels vgl. Legge 2009, S. 4.
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1967 neu von den Beatles auf den Markt gebrachte Lied „Strawberry Fields Forever“ hören, das mit Hilfe eines frühen Synthesizers (Mellotron), dessen Mechanik auf durch Tastendruck aktivierbaren Tonbandschleifen mit Aufnahmen von klassischen Instrumenten beruhte, produziert wurde.84 Es folgen etwa vier Rollen Film, die durch den Einsatz abstrahierender Mittel geprägt sind. Daraufhin kommt – vorweg hört man das Zerbrechen von Glas – ein Mann von links in die Mitte des sich verengenden Raumausschnitts, wo er in theatralischer Weise zusammenbricht und liegenbleibt. Das Blickfeld der Kamera schiebt sich langsam über seinen Körper hinweg. Es folgen abermals vier Rollen ohne Narration, bis eine Frau das Zimmer betritt, den Daliegenden offensichtlich findet und zum Telefonhörer greift. Sie sagt, dass der Mann tot sei und verabredet ein Treffen im Treppenhaus. Wie auch Snow betonte, ist diese Szene die einzige der vier, die sich deutlich auf eine vorhergehende bezieht.85 Die Aktivierung dieser Beziehung beruht dabei auf der Erinnerungsfähigkeit des Betrachters. Implizite Grundlage ist die Annahme, dass es sich um den immer gleichen Ort handelt, der kontinuierlich abgebildet wird. Der Kamerablick durchmisst den Raum scheinbar in Echtzeit. Die einzelnen Rollen des Films sind allerdings zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommen, und zwar nicht in chronologischer Reihenfolge. So begann Snow, wie er berichtete, aus terminlichen Gründen mit dem Dreh des fallenden Manns, der von dem Experimentalfilmer Hollis Frampton gespielt wurde. Diese Episode ist im späteren Gesamtfilm kurz vor der Halbzeit platziert (Minute 17).86 Aus Gründen der Sicherheit musste Snow außerdem die Kamera jeden Abend wieder vom Stativ abbauen, was beim Aufbau am nächsten Drehtag zu einer leichten Verschiebung der Position führen musste. Analog zu der Zahl der verwendeten Filmrollen markierte er einzelne Abschnitte am Zoom-Ring, um damit eine annähernd gleichmäßige Geschwindigkeit der Fokussierung zu ermöglichen. Als P. Adams Sitney in einem 1967 geführten Interview Snow die Frage stellte, warum dieser den Zoom gestückelt habe und ob er auch daran gedacht habe, technische Mittel einzusetzen, um eine kontinuierliche Bewegung zu erzeugen, antwortete der Künstler, dass es darum gegangen sei, die sogenannten verschiedenen Realitäten im Film miteinander in Einklang zu bringen. Er bezog sich in diesem Zusammenhang auf Paul Cézanne und dessen Bemühungen, den Eigenwert der Farbe mit der räumlich illusionistischen Darstellungsweise auszubalancieren. Die Mittel des Films seien dabei, so seine improvisierte Aufzählung, Licht, Fläche und Bildhaftigkeit. Es ginge in „Wavelength“, so Snow, um den Gegensatz oder das Zusammenspiel zwischen dem Lichtkegel der 84 85 86
Vgl. ebd., S. 24. – Für Informationen zum Mellotron vgl. Baumgärtel 2015, S. 137f. Vgl. Mekas u. Sitney (1967) 1994, S. 41. Vgl. Email from the artist [Michael Snow] (2005) 2009, S. 20.
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Projektion und dem flachen, projizierten Bild.87 Der sich verengende Blickwinkel bildet gewissermaßen das Äquivalent zu der sich verjüngenden Pyramide aus Licht im Aufführungsraum, wohingegen insbesondere alle farblichen Verfremdungseffekte auf die Projektionsfläche verweisen. Sechs Jahre später sollte Anthony McCall mit seiner Filminstallation „Line Describing a Cone“ (1973) – unter dem Eindruck der London Filmmakers Co-operation88 – eine räumlich ausgearbeitete Lösung für die Thematisierung des Antagonismus’ von Lichtstrahl und Projektionsfläche finden. Doch nicht nur auf visueller Ebene werden bei Snow narrative Elemente gegen abstrahierende Effekte ausgespielt. Auch auf der akustischen Ebene sind originale Geräusche des Orts, die Stimmen der auftretenden Personen oder Popmusik gegen das kontinuierliche Tönen eines ansteigenden, elektronisch erzeugten Sinustons gesetzt. Mit Blick auf die Zeit- und Bewegungsstruktur ist zu konstatieren, dass „Wavelength“ ähnlich wie „Empire“ durch eine Reduktion der Mittel charakterisiert ist. Anders als bei Warhol zeichnet sich Snows Film jedoch durch eine mechanische Bewegung auf ein klar definiertes Ziel hin aus. Dies spiegelt sich auch auf der akustischen Ebene, da der Sinuston in dem für das menschliche Ohr hörbaren Frequenzbereich von 50 Zyklen pro Sekunde auf 12.000 Zyklen pro Sekunde ansteigt.89 Da die letzten Minuten des Films ohne Ton sind, geht das Publikum davon aus, dass immer noch akustische Schwingungen gesendet werden, auch wenn sie nicht hörbar sind. Vergleichbar ist dies auf der visuellen Ebene mit der Szene, in welcher die Frau am Telefon den Tod des für den Betrachter nicht mehr sichtbaren Manns meldet. „Wavelength“ verweist zuletzt auf etwas, das jenseits der Wahrnehmungsschwelle liegt. Oder um es mit den Worten Snows zu formulieren: „Waves are the visible registers of invisible forces.“90 Demgemäß bezieht sich die fotografische Abbildung der Wasserwellen auf jene Schallwellen und Lichtwellen zurück, die den Raum durchdringen.91 In „Wavelength“ geht es auch um die Modifikation des Bewusstseins und des Zeitempfindens. So schrieb Snow an Sitney und Mekas in einem auf den 21. August 1968 datierten Brief: „My films are (to me) attempts to suggest the mind to a certain state or cer-
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Vgl. Mekas u. Sitney (1967) 1994, S. 41. So hatte der Künstler von 1964 bis 1968 am Ravensbourne College of Art and Design in London studiert und schließlich 1971 im Austausch mit den ansässigen Experimentalfilmern damit begonnen, selbst filmisch zu arbeiten. Vgl. Udo Kittelmann u. Henriette Huldisch (Hgg.): Anthony McCall. Five Minutes of Pure Sculpture. Kat. Ausst. Berlin (Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart). Köln 2012, S. 93. Snow: „It [an electronic sound] is a total glissando while the film is a crescendo and a dispersed spectrum which attempts to utilize the gifts of both prophecy and memory which only film and music have to offer.“ Michael Snow: A Statement on „Wavelength“ for the Experimental Film Festival of Knokke-Le-Zoute (1967). In: Snow 1994, S. 40. Letter from Michael Snow (Adr.: Sitney u. Mekas, 21. August 1968) 1994, S. 45. Vgl. Mekas u. Sitney (1967) 1994, S. 42.
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tain states of consciousness. They are drug relatives in that aspect.“92 Und an späterer Stelle formulierte er: „Ultimately those events on the screen which really move me seem to be mysterious alterations of mind and time sense.“93 Die besondere Qualität der ästhetischen Erfahrung wurde von Snow selbst also mit der durch bewusstseinsverändernde Substanzen hervorgerufenen Wahrnehmung verglichen. Diese solle auch das zeitliche Empfinden betreffen. Verbunden mit dem Interesse an Drogen ist für die damalige Zeit auch eine anhaltende Auseinandersetzung mit tiefenpsychologischen Theorien festzustellen. 1965 wurde Anton Ehrenzweigs bereits 1953 veröffentlichtes Buch mit dem Titel „The Psychoanalysis of Artistic Vision and Hearing. An Introduction to a Theory of Unconscious Perception“ in zweiter Auflage herausgegeben. Wie Seymour Howard 1967 bemerkte, handelte es sich hier um eine der am häufigsten gelesenen Schriften im Kreis jener Künstler, die dem abstrakten Expressionismus zugeordnet werden, es strahlte seiner Ansicht nach aber auch auf das Schaffen späterer Künstler aus.94 Robert Smithson bezog sich auf Ehrenzweigs Thesen, die der Autor auch in seinem Buch „The Hidden Order of Art. A Studie in the Psychology of Artistic Imagination“ (1967) formulierte.95 Richard Serra, mit dem Snow während der Dreharbeiten zu „Wavelength“ bekannt wurde, reflektierte die Schriften des Psychologen ebenfalls.96 Ehrenzweig behauptete für den künstlerischen Schaffensprozess eine überdurchschnittliche Aktivität des Unterbewusstseins, das der Ursprung aller Kreativität sei. Unter Verwendung der Terminologie der Gestalttheorie sei die tiefenpsychologische Wahrnehmungsweise als gestaltlos zu bezeichnen. Das tiefenpsychologisch Abgespeicherte sei in seiner Ausformung durch ein scheinbares Chaos geprägt, durch Undifferenziertheit und Mehrdeutigkeit. Der freudianischen Auffassung entsprechend werde diese unterschwellige Wahrnehmung durch das Bewusstsein gefiltert und auf sogenannte gute Gestalten reduziert, womit das Sehen und Hören von Gestalten von Ehrenzweig als eine oberflächliche Art der Wahrnehmung abgewertet wurde.97 Bei den Malern der Moderne, insbesondere Cézanne, komme durch den Einsatz struktureller Ambiguität 92 93 94 95
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Letter from Michael Snow (Adr.: Sitney u. Mekas, 21. August 1968) 1994, S. 44. Ebd., S. 46. Vgl. Seymour Howard (Rez.): Anton Ehrenzweig: The Psycho-Analysis of Artistic Vision and Hearing. An Introduction to a Theory of Unconscious Perception. New York 1965. In: Art Journal 27/1 (1967), S. 114 u. S. 116, hier S. 114. „There’s a sort of rhythm between containment and scattering. It’s a fundamental process that Anton Ehrenzweig has gone into. I think his views are pertinent in that he talks about this in terms of containment or scattering.“ Robert Smithson: Fragments of a Conversation (1969). In: Robert Smithson: The Writings of Robert Smithson. Hg. v. Nancy Holt. New York 1979, S. 168–179, S. 268. Vgl. hierzu S. 125f. Vgl. Anton Ehrenzweig: The Psycho-Analysis of Artistic Vision and Hearing. An Introduction to a Theory of Uncon scious Perception. 3. Aufl. London 1975, S. 31 u. S. 83.
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eine Art des Sehens zum Vorschein, die dem tagträumerischen Zustand, der das Unterbewusste an die Oberfläche treten lasse, entspreche.98 Diese Wahrnehmungsweise werde auch beim Betrachter aktiv, dessen Blick unablässig über die Bildoberfläche wandere.99 Für das Hören von Sprache und Musik gelte, dass die bewusste Wahrnehmung hervorgehobene Punkte herausfiltere, und zwar entsprechend der vorherrschenden harmonischen Konventionen. Sie sei nicht dazu in der Lage, transitive Einheiten wahrzunehmen oder gar lang anhaltende Glissandi.100 Überraschenderweise schrieb Ehrenzweig der subliminalen Wahrnehmung auch Eigenschaften des Seriellen101 zu und verwendete ein Beispiel aus der Musik: Perhaps the most elegant example in art of an undifferentiated serial structure, which from the outset contains an unlimited number of variations, is afforded by the technique of seria lization in modern music. In serialization the same elements are scrambled up in every possible sequence so that their relationship becomes quite obscured to conscious hearing. Yet the composer insists that, contrary to appearances, all variations are somehow equivalent. Schoenberg who was the first to make use of systematic serialization conceded that their equivalence was only unconsciously recognized.102
Musik mit seriellen Tendenzen teile und füge also den immer gleichen Vorrat an Elementen so aneinander, dass die Relationen dieser Elemente zueinander für das bewusste Hören verschleiert würden. Alle Variationen seien gleichwertig. Wie Arnold Schönberg bemerkt habe, sei diese Gleichwertigkeit jedoch nur unterbewusst wahrnehmbar. Ehrenzweig behauptete daran anschließend sogar, dass eine serielle Kompositionsweise die bewusste Konstitution von Ordnung unterlaufe. Der Intellekt wende sich, ironischerweise unter Anwendung rationaler mathematischer Prinzipien, gewissermaßen gegen sich selbst beziehungsweise seine eigene Verarbeitungsfähigkeit.103 Die Idee der 98 Vgl. ebd., S. 23 u. S. 30. 99 Vgl. ebd., S. 226f. 100 „A glissando executed too slowly or an unbroken succession of several glissandos are sure to offend our (too articulate) method of listening.“ Ebd., S. 84. 101 „Undifferentiated perception can grasp in a single undivided act of comprehension data that to conscious perception would be incompatible. I have elsewhere called these mutually exclusive constellations the ,…or-or…‘ structure of the primary process. Serial structure would be a better term. While surface vision is disjunctive, low-level vision is conjunctive and serial. What appears ambiguous, multi-evocative or open-ended on a conscious level becomes a single serial structure with quite firm boundaries on an unconscious level.“ Anton Ehrenzweig: The Hidden Order of Art. A Study in the Psychology of Artistic Imagination. London 1967, S. 32. 102 Ebd., S. 33f. 103 „Schoenberg’s and Boulez’s critics quite properly complained that it was impossible by ordinary means of appreciation to recognize the submerged order of serialization. Serialization directly attacks all conscious means of continuity.
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Gleichwertigkeit der einzelnen Bestandteile und das Unterlaufen von Rationalität, wenn die Generierung der Komposition an eine Formel abgegeben wird, spielt auch bei den Künstlern, die der Minimal Art zugerechnet werden, immer wieder eine Rolle.104 Bezüglich der zeitlichen Struktur von „Wavelength“ kann gefolgert werden, dass zwei antagonistische Kräfte wirken. So lotet die Arbeit zielgerichtet den akustischen und den visuellen Raum aus, schließt aber auch vielfältige, während der Filmbetrachtung nicht in aller Gänze erfassbare „Ereignisse“ mit ein. Mit Ehrenzweig könnte man deshalb sagen, dass der Betrachter einerseits eine zeitlich linear ausgerichtete Gestalt des Films ausmachen kann, andererseits jedoch durch eine Überfülle an heterogenen Informationen – formale Abstraktionen, narrative Einlagen – irritiert wird und eine Art der peripheren Wahrnehmung einsetzen muss. Ob der von Snow intendierte Effekt einer erweiterten oder, mit Ehrenzweig, tieferen Wahrnehmung auch beim Betrachter eintritt, sei dahingestellt. Tatsächlich erzeugen spätere Filme, wie „↔“ („Back and Forth“, 1968/1969, Abb. 65) und „La Région Centrale“ (1970/1971, Abb. 66), in der sich der Blick der Kamera gegenüber dem Dargestellten weiter verselbstständigt, desorientierendere Seherfahrungen als bei „Wavelength“ der Fall. Doch wurden dort bereits die Grundlagen geschaffen. Nicht von ungefähr wird der Arbeit in der Geschichte des Experimentalfilms eine hervorgehobene Bedeutung zugeschrieben. Die von Snow erprobten Effekte einer verselbstständigten Kamera wurden in der Folge auch von anderen Künstlern untersucht.105 Dies geschah dann durchaus in der Absicht, die Erfahrung von Zeitlichkeit auszuloten.
4. ENDLOSSCHLEIFEN Im Ausstellungskontext werden Filme und Videos oft aus praktischen Gründen in Endlosschleifen gezeigt. Grundsätzlich kommt dies einem in den betreffenden Institutionen lediglich an Öffnungszeiten gebundenen Präsentationsmodus entgegen, der im Gegensatz zur temporal festgelegten Aufführungspraxis steht, wie sie für den Kinofilm, das Musikkonzert oder das Theaterspiel zutrifft. So formulierten Fischli und Weiss beispielsweise für „Der Lauf der Dinge“: „Es war sehr wichtig, daß der Film in der EndThese critics missed the essential point that serialization meant to defeat conscious powers of appreciation. Here is a case of the intellect turning against itself.“ Ebd., S. 35. 104 „Glaser: Could you be specific about how your own work reflects an antirationalistic point of view? – Judd: The parts are unrelational. – Glaser: If there’s nothing to relate, then you can’t be rational about it because it’s just there? – Judd: Yes.“ Questions to Stella and Judd. Interview by Bruce Glaser (EA 1964). In: Gregory Battcock (Hg.): Minimal Art. A Critical Anthology. Berkeley, Los Angeles, London 1995, S. 148–164, hier S. 151. 105 Vgl. S. 205, 210f.
4. Endlosschleifen
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losschleife lief, daß die Leute jederzeit zwanglos vorbeikommen konnten, um ihn zu sehen.“106 Rodney Graham äußerte über seinen auf DVD übertragenen Film „Vexation Island“ (1997, Abb. 43), den er für die Aufführung im kanadischen Pavillon der Biennale von Venedig konzipiert hatte, dass er die Dauer der Arbeit an der durchschnittlich achtminütigen Verweildauer der Besucher in den Länder-Pavillons orientiert habe.107 Die Arbeit ist dabei so offen aufgebaut, dass es nahezu gleich ist, an welcher Stelle des Films die Rezeption einsetzt. Unabhängig von solchem kuratorischen Kalkül wird Wiederholung aber auch bewusst als serielles Prinzip eingesetzt, und zwar nicht nur durch den Einsatz von Endlosschleifen, die den Film oder das Video als Ganzes wiederholen, sondern auch durch wiederkehrende Motiv-, Bewegungs- und Tonmuster. Besonders diffizil sind Arbeiten organisiert, die Text oder sogar erzählerische Strukturen in eine serielle Abfolge fassen. Die Frage für den Künstler und Interpreten ist dann, wie die linear aufgebaute Dramaturgie oder der jeweilige narrative Bogen in die zyklische Struktur eines Loops überführt wird. Aber auch solche Werke, die ohne erzählerische Komponente eine wiederkehrende Aktion abbilden, setzen in der Regel formale Mittel ein, die einen nahtlosen Übergang vom Ende zum Anfang erlauben. BEWEGUNGSMUSTER
Eine signifikante Menge an nicht narrativ angelegten Ein-Kanal-Arbeiten konzentriert sich auf die Beobachtung regelmäßiger, dabei aber variabel ausfallender Objektbewegungen und bettet diese unauffällig in einen Loop. Oft werden nur wenige – zwei bis drei – Bewegungsmuster gegeneinander ausgespielt. Ein Beispiel hierfür ist Brechs 8:12 Minuten dauerndes Ein-Kanal-Video „Break“ (2004, Abb. 39), in dem eine statische Kamera aus mittlerer Entfernung kontinuierlich die bildparallel verlaufende Fahrt eines Eisbrechers und eines im kurzen Abstand folgenden Containerschiffs registriert. Ein leichtes Dröhnen geht ihrem sukzessiven Erscheinen voraus und gliedert den zeitlichen Ablauf auf der akustischen Ebene.108 Da der knappe Landschaftsausschnitt keine Orientierung bietet und die Schiffe gegen die Strömung fahren, wirkt es dabei, als fol106 Collings (EA 1987) 1990, S. 188. 107 Vgl. Grant Arnold: „It Always Makes Me Nervous When Nature Has No Purpose“. An Annotated Chronology of the Life and Work of Rodney Graham. In: Ders. u. Jessica Bradley (Hgg.): Rodney Graham. A Little Thought. Kat. Ausst. Toronto (Art Gallery of Ontario u. a.). New York 2004, S. 181–196, hier S. 192. 108 Es handelt sich um eine stark verlangsamte Sequenz aus Richard Wagners 1869 uraufgeführter Oper „Das Rheingold“. Brech nahm das Video am St. Lawrence River bei Ste Foy im nördlichen Quebec mit Hilfe einer statischen Kamera durch das Panoramafenster eines Gebäudes hindurch auf. Für Informationen zur Arbeit vgl. Michael Buhrs u. Andrea Firmenich (Hgg.): Christoph Brech. Passagen. Video, Fotografie, Installation. Kat. Ausst. Bad Homburg (Sinclair-Haus u. a.) 2009, S. 76.
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ge das Kameraauge deren in Leserichtung nach rechts gewandter Bewegung verlangsamt nach. Die Sequenz kann widerspruchsfrei wiederholt werden, da die „Auftritte“ der beiden Wasserfahrzeuge jeweils durch Ansichten des unbefahrenen Flusses voneinander geschieden werden. In Willie Dohertys Ein-Kanal-Video „Closure“ (2005, Abb. 40) ist die Kamera hingegen bewegt, unterschiedliche Einstellungen wechseln einander ab. Sie folgt während der Dauer von 11:20 Minuten einer Mittvierzigerin, die auf dem Areal eines Industriegeländes spaziert. Der Ort wird dabei nicht in seiner Gänze erfassbar. Aus dem Off rezitiert eine Frauenstimme einen Text, welcher der Protagonistin unwillkürlich als Bewusstseinsstrom zugeordnet wird. Dabei wechseln strophenweise die Satzanfänge „My“ mit „The“ ab, sodass subjektive und objektive Sichtweisen einander gegenübergestellt werden. Während dem Subjekt Zielstrebigkeit zugeschrieben wird – klare Absicht, konstante Ausdauer und so weiter –, befinden sich die Objekte im Zustand des Zerfalls oder sind lebensfeindlich: Der Anschluss splittert sich auf, die Ecke ist instabil, der Hohlraum luftleer. Die letzte Doppelzeile des Texts, nach der das Video wieder in den Anfang übergeht, kommentiert die eigene Struktur. So ist das Wasser, oder im übertragenen Sinne der kurzgeschlossene Fluss des Texts, unbewegt, die Naht wird verschleiert.109 Die Rhythmik der schlichten kurzen Aussagesätze findet eine Entsprechung in der gleichmäßigen Gangart der Frau. Wie bei Brech, so sind auch hier zwei einander gegenläufige Richtungen aufeinander bezogen, wobei diesmal das Mitlaufen der Kamera den Hintergrund in scheinbare Bewegung versetzt, während sich die Frau dieser entgegen jeweils von links ins Bild schiebt. Neu hinzu kommt der Filmschnitt, der die Person aus unterschiedlicher Entfernung in den Blick nimmt, dabei aber unauffällig bleibt. Die Wiederholung des Videos wird aufgrund der relativen Gleichförmigkeit der Umgebung kaum realisiert und ist dann als Rundlauf interpretierbar. Auch die Reihungsstruktur des Texts im Off erlaubt ein problemloses Schließen der Schleife. In beiden Fallbeispielen ist neben der durch Wiederholung geprägten Bewegungscharakteristik also die Eintönigkeit des Raums Bedingung für das unmerkliche Schließen des Loops. Das Verhältnis von Gleichmaß und Variabilität ist dabei so gegeben, dass das Gesehene oft noch dann als neue Variante erscheint, wenn der Loop sich bereits geschlossen hat. Für die Analyse reduzierter Kompositionen dieser Art ist der Rückbezug auf die Minimal Music der 1960er Jahre aufschlussreich, da die dort angewandten Strukturprinzipien durch Experimentalfilmer, wie Snow, und Künstler, wie Sol LeWitt und Richard Serra, rezipiert wurden. Anders als bei den abstrakten Filmen der frühen 1920er 109 Text veröffentlicht in: Yilmaz Dziewior u. Matthias Mühling (Hgg.): Willie Doherty. Anthologie zeitbasierter Arbeiten. Kat. Ausst. Hamburg (Kunstverein u. a.). Ostfildern 2007, S. 144.
4. Endlosschleifen
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Jahre von Hans Richter und Viking Eggeling kann jedoch nicht von einer Vorbildwirkung der Musik gesprochen werden.110 Die Interessen der Schaffenden waren vielmehr ähnlich gelagert, es bestanden zahlreiche Kontakte und konkrete Zusammenarbeiten, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Oder wie Steve Reich sagte: „we were just swimming in the same soup.“111 Über einen solchen rezeptionshistorischen Ansatz hinaus kann man aber auch Roman Ingarden folgen, der im Zuge seiner Analyse von Film betonte, dass „man musikalische Phänomene auch dort entdecke, wo der Stoff, der zur Organisation der Zeit führt, durch Bestimmtheiten konstituiert ist, die von jeglichem akustischem Phänomen grundsätzlich verschieden sind“.112 Hierunter verstand Ingarden beim Film insbesondere die Rhythmisierung des visuellen Materials, die sich aus der Bewegungscharakteristik der gefilmten Objekte, der Dynamik des Handlungsstrangs oder bestimmter sich wiederholender Ereignisse im engeren Sinne herausbilde. Michael Lommel ergänzte die Aufzählung durch die Rhythmen des Projektionsapparats, der Kamerabewegungen und der Montage, wobei er Rhythmus als „geordnete Wiederkehr eines gleichen Zustands“ bezeichnete und vom Metrum, innerhalb dessen er sich mit unbetonten und betonten Schlägen ausdifferenziere, unterschied.113 Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten an „Wavelenght“ kamen Snow und Serra näher miteinander in Kontakt, zumal sie in der gleichen Gegend wohnten. Beide kannten sich über die von Mekas geleitete Cinémathèque, die Serra mit seiner Ankunft in New York 1967/1968 regelmäßig besuchte. Von Serra ist nicht nur bekannt, dass er die Schriften Ehrenzweigs las,114 sondern auch, dass er so begeistert von „Wavelenght“ war, dass er den Film auf seine Reise nach Europa im Jahr 1969 mitnahm und an mehreren Orten zeigte. Darunter waren das Stedelijk Museum in Amsterdam, wo das Publikum den Projektor demolierte, sowie Stationen in Köln und Düsseldorf.115 In seinem gemeinsam 110 Vgl. Jörg Jewanski u. Hajo Düchting: Musik und Bildende Kunst im 20. Jahrhundert. Begegnungen – Berührungen – Beeinflussungen. Kassel 2009, S. 339–342. 111 Steve Reich zitiert in: Ebd., S. 394. – Snow gestaltete 1971 das Plattencover zu „Four Organs – Phase Patterns“, das eine Fotografie von Meereswellen zeigt. Eine Abbildung findet sich in: Michael Lailach: Printed Matter. Die Sammlung Marzona in der Kunstbibliothek (= Sammlungskataloge der Kunstbibliothek). Kat. Mus. Berlin (Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz) 2005, S. 155. – Zur engen Zusammenarbeit zwischen Musikern und Filmemachern in dieser Zeit vgl. auch Chris Meigh-Andrews: A History of Video Art. The Development of Form and Function. Oxford, New York 2006, S. 98–100. 112 Roman Ingarden: Der Film (EA Paris 1947). In: Ders.: Untersuchungen zur Ontologie der Kunst. Musikwerk – Bild – Architektur – Film. Tübingen 1962, S. 317–341, hier S. 337. 113 Vgl. Michael Lommel: Der Rhythmus als intermodale Kategorie. In: Joachim Paech u. Jens Schröter (Hgg.): Intermedialität. Analog/Digital. Theorien – Methoden – Analysen. München 2008, S. 79–89, hier S. 80, S. 84 u. S. 88. 114 Vgl. Philip Glass u. Richard Serra: Play it Again, Sam (EA 1970). In: Ders.: Writings, Interviews. Chicago, London 1994, S. 7–9, hier S. 7. 115 Vgl. Annette Michelson, Richard Serra u. Clara Weyergraf: The Films of Richard Serra. An Interview (EA 1979). In: Serra 1994, S. 61–95, hier S. 63.
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mit dem befreundeten Komponisten Philip Glass im Februar 1970 in „Arts Magazine“ veröffentlichten Artikel „Play it Again, Sam“ ging Serra auf die damaligen Veränderungen im Film ein und betonte das Thema Zeit: A shift in interest in recent films is from subject matter, qua literature which utilizes a narrative time, to that of those films in which time can be equated with ,live time‘ or with procedural time: the time of the film in its making. [...] The potential of the camera as an active device (tool) is being considered not only for its perceptual possibilities, but as an element in the structure. Means and ends are being made explicit.116
Serra stellte also ein wesentliches Interesse der damaligen Filmemacher am Prozess der Filmvorführung fest. Die reale Dauer der Aufführung stehe im Gegensatz zur erzählten Zeit, die in der Vorstellung des Betrachters einen imaginativen, der Narration folgenden Zeitraum entstehen lasse. Das Dispositiv des Films würde durch selbstreflexive Techniken offengelegt. Damit schloss Serra an den Anfang seines Texts an, wo er für eine angemessene Auffassung der in der Landschaft situierten „Earth Works“ plädierte. Vermieden werden solle, wie er dort schrieb, eine Sehweise, die das entsprechende Werk auf eine Figur reduziere, die auf einem Grund stehe: „A recent problem with the lateral spread of materials, elements on the floor in the visual field, is the inability of this landscape mode to avoid arrangements qua figure ground: the pictorial convention.“117 Warum an dieser Stelle auch die Emanzipation von malerischen Konventionen zur Sprache kommt, wird klar, wenn man für Serra die Rezeption von Ehrenzweig berücksichtigt, nach dem das Figur-Grund-Denken typisch für die europäische Maltradition sein solle. Um eben solche Konventionen zu überwinden, gelte es, den funktionalen Zusammenhang, in dem sich das Werk den Bedingungen der Umgebungen entsprechend verorte, offenzulegen, und zwar unter Einbezug von Bewegungspotentialität, die im Vorgang der Betrachtung notwendigerweise mit eingeschlossen sei. Dabei stellte Serra die sinnliche Erfahrung seiner Arbeiten über deren Erfassen mit Hilfe des Verstands: „In San Francisco they say, ,Flash on it‘.“118 In den Jahren 1968/1969 produzierte Serra seinen ersten 16-mm-Film „Hand Catching Lead“ (Abb. 41) in Schwarz-Weiß und ohne Ton. Die Arbeit, die übertragen auf DVD als Endlosschleife vorgeführt wird, befindet sich nach der Terminologie Stöhrs in einer kategorialen Zwischenposition zwischen „gelooptem Werk“ und „seamless Loop“.119 116 117 118 119
Serra (EA 1970) 1994, S. 9. Ebd., S. 7. Ebd., S. 8. Vgl. Stöhr 2016, S. 32. – Vgl. S. 25, FN 56 in vorliegender Arbeit.
4. Endlosschleifen
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Der Filmstreifen wurde von Serra zwar nicht zur Endlosschleife geschlossen, aber das dort vorfindliche Verhältnis von Monotonie und Variabilität begünstigt wie bei den zuvor angesprochenen Arbeiten von Brech und Doherty die nahtlose Wiederholung des visuellen Materials.120 So zeigt die einzige Einstellung über dreieinhalb Minuten eine zum Betrachter hin geöffnete und von Beginn an schon geschwärzte Hand, bei der es sich um die des Künstlers handelt. Die halbe Länge des Unterarms ragt noch vom rechten Rand leicht schräg ins Bildfeld hinein. Im Hintergrund ist eine hell getünchte, leicht fleckige Backsteinmauer auszumachen. In unregelmäßig kurzen Abständen fallen 123 Bleiblätter – hier assistierte Glass – nacheinander einzeln durch das Aufnahmefeld der Kamera, die die Hand durch rasches Schließen der Finger zu greifen versucht. Ob sie das Blei erfasst oder nicht, hängt von der Reaktionsgeschwindigkeit und dem Zufall ab. Hält sie es, so lässt sie es sofort wieder fallen. Serra gab an, er habe eine Vorstellung davon vermitteln wollen, was es bedeute, wie in „House of Cards“ (1969, Abb. 42) durch gegenseitiges Abstützen einzelner Teile eine Installation aufzustellen: „[...] you either catch it, or you don’t; you either get the equilibrium right or you don’t.“121 Benjamin Buchloh registrierte in „Hand Catching Lead“ eine selbstbezügliche Komponente insofern, als die Fallbewegung dem Lauf des Zelluloidbands durch den Projektor entspreche sowie die Bleiblätter den einzelnen darauf befindlichen Bildern.122 Hinzuzufügen wäre, dass das Öffnen und Schließen der Hand die Mechanik der Umlaufblende und des Malteserkreuzes assoziiert. Damit scheint durch die dargestellte Handlung die repetitive Bewegungsqualität des Apparats durch. Die sich schließende und 120 Auf die prinzipielle Wiederholbarkeit des Films in Form einer Schleife – dies unterscheidet ihn teilweise von anderen Filmen der Serie – weist auch Barbara Engel hin. Vgl. Barbara Engel (Hg.): Bilder in Bewegung. Künstler & Video/ Film 1958–2010. Kat. Ausst. Köln (Museum Ludwig). Köln 2010, S. 216. – Eric C. H. De Bruyn vertrat die Position, dass „Hand Catching Lead“ genauso wie die anderen Filme der „Hand“-Serie einen Anfang und ein Ende habe, da die Hand ermüde. Allerdings wird dieser Effekt bei einer Dauer von dreieinhalb Minuten nicht ausgereizt – man denke etwa an Vito Acconcis Video „Centers“ (1971), in dem die in Richtung Kameramitte ausgestreckte Hand knapp 23 Minuten lang gefilmt wird. Im Ausstellungskontext kann der Loop auch deshalb unauffällig geschlossen werden, weil die Hand im Verlauf des Films zwar dunkler wird, dabei aber schon von Beginn an geschwärzt ist. Vgl. Eric C. H. De Bruyn: Handzeichen. Die Filme Richard Serras. In: Ursula Frohne u. Lilian Haberer (Hgg.): Kinematographische Räume. Installationsästhetik in Film und Kunst. München 2012, S. 661–686, hier S. 662f. 121 „I made Hand Catching Lead, because someone said they wanted to do a film about the installation of House of Cards. I thought Hand Catching Lead would be a better way of giving people an idea of propping a piece together: you either catch it, or you don’t; you either get the equilibrium right or you don’t.“ Richard Serra in Conversation with Hal Foster. In: Carmen Giménez (Hg.): Richard Serra. The Matter of Time. Kat. Ausst. Bilbao (Guggenheim Museum). Göttingen 2005, S. 23–41, hier S. 33. – Vgl. auch Michelson, Serra u. Weyergraf (EA 1979) 1994, S. 66. – Serras „Hand Catching Lead“ kann hinsichtlich der Konzentration des Films auf das Motiv der Hand mit Yvonne Rainers Film „Hand Movie“ (1966) in Zusammenhang gesetzt werden, allerdings geht es hier im Gegensatz zu Serras Arbeit um die Entfaltung von Bewegungsmöglichkeiten. Serra erwähnt den Film gleich zu Beginn des Interviews. Vgl. ebd., S. 61. 122 Vgl. Benjamin Buchloh: Process Sculpture and Film in Richard Serra’s Work (EA 1978). In: Benjamin Buchloh: Neo-Avantgarde and Culture Industry. Essays on European and American Art from 1955 to 1975 (= October Books). Cambridge, London 2000, S. 405–428, hier S. 424.
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öffnende Hand kann aber auch mit einem zwinkernden Auge assoziiert werden, auf dessen Retina sich die Seheindrücke als Schwärzung einprägen. Serras Forderung, den funktionalen Zusammenhang in seinem weiteren Kontext offenzulegen, zeigt sich hier also als erfüllt: Die in der Projektion abgebildete Handlung kann in Verhältnis zu der Mechanik des laufenden Projektors und der Wahrnehmung des Betrachters gesetzt werden. Auch er wird in das relationale Gefüge mit einbezogen. Buchloh argumentierte, dass der Übergang vom räumlichen zum zeitlichen skulpturalen Feld in der Kunstgeschichte notwendigerweise mit der Verwendung von Film einhergehe: „The perception of a spatio-temporal field ist the very principle of film.“123 Serra jedoch widersprach ihm überzeugend, da sich die Erfahrungen zweier Betrachter, von welchen der eine vor einer Filmprojektion stehe, und der andere eine begehbaren Skulptur erfahre, stark voneinander unterschieden. Beim Film sei man auf einen fixen Standpunkt vor der Projektionsfläche verwiesen, ein räumliches Eindringen in die Arbeit sei nicht möglich. Während Buchloh also den Illusionismus des im Film Abgebildeten in seiner räumlichen Aussagekraft akzeptierte, hob Serra die faktische Flächigkeit der Projektionsfläche hervor. Krauss beschrieb den Seheindruck von „Hand Catching Lead“ als ein Pulsieren. Die sich wiederholende Bewegung der Hand punktiere den zeitlichen Ablauf des Films.124 Um dem weiter nachzugehen, ist der Bezug auf das musikalische Werk von Glass aufschlussreich. Dessen enger Kontakt zum Kreis bildender Künstler und Avantgarde- Filmemacher in New York zeigt sich über die Freundschaft mit Serra hinaus darin, dass die öffentliche Rezeption seines Schaffens in Institutionen des Film- und Kunstbetriebs begann. So hielt Glass sein erstes Konzert 1967 in Mekas „Cinémathèque“. In den Jahren 1969 und 1970 trat er mit seinem Philip Glass Ensemble in den Galerien Leo Castelli und Paula Cooper sowie im Whitney Museum of American Art und dem Solomon R. Guggenheim Museum auf.125 Das Schaffen Glass’ zeichnet sich, wie auch das zeitgleiche Werk Reichs, Youngs und Terry Rileys durch eine freiwillige Beschränkung der Mittel aus, sowohl was den Blick auf Harmonik und Rhythmik betrifft als auch den Umfang des Tonmaterials. Insgesamt charakteristisch für seine Stücke ist eine statische Wirkung, die aus einer teilweisen oder kompletten Wiederholung beziehungsweise der Variation von Klangmustern, meist nach einem mathematisch definierten Schema, resultiert. Das von seiner Dauer her nicht festgelegte Stück „One + One“ (1968) beispielsweise wird laut Partitur entweder mit den Fingerknöcheln oder den Fingerkuppen auf einen Tisch geklopft, welcher mit 123 Ebd., S. 419. 124 Vgl. Rosalind E. Krauss: Passages in Modern Sculpture. London 1977, S. 243. 125 Vgl. Fabian R. Lovisa: Minimal Music. Entwicklung, Komponisten, Werke. Darmstadt 1996, S. 90.
4. Endlosschleifen
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einem Mikrofon und einem Verstärker samt Lautsprecher versehen ist. Die Struktur basiert dabei auf zwei sich wiederholenden rhythmischen Einheiten, auch Phasen genannt, die sich in gleichmäßigen arithmetischen Progressionen gegeneinander verschieben.126 Der Höreindruck gleicht einem durch die wiederholten Elemente gehaltenen Ganzen, das jedoch durch graduelle Verschiebungen neue Akzente erhält. Als synchron und asynchron wahrgenommene Sequenzen wechseln einander ab. Auch Glass ging es, wie er sagte, darum, beim Zuhörer eine Erfahrung von Zeitlichkeit zu evozieren, die ganz auf die Gegenwart gerichtet sei und weder Erinnerung noch Antizipation zulasse. Aus diesem Grund verzichte er auf die Inszenierung einer dramatischen Entwicklung, beispielsweise durch Aufbau und Auflösung von Spannung.127 Sowohl Serras als auch Glass’ Arbeit ist jeweils durch Reduktion und Musterbildung geprägt. Im Vergleich zu der Mechanik einer Uhr geschieht das von Krauss beobachtete Punktieren des zeitlichen Ablaufs bei Serra aber nicht regelmäßig, sondern in nur näherungsweise bestimmbaren Abständen. Die Darstellung wirkt mit Bezug auf die Handlungsspielräume eines Menschen zwar mechanisch und stupide, mit Blick auf die Präzision einer Maschine aber unscharf und variabel. Die in „One + One“ graduell gegeneinander verschobenen Rhythmen basieren umgekehrt gerade auf der präzisen Einhaltung des Metrums. Während der Ablauf dieses Stücks streng determiniert ist, enthält „Hand Catching Lead“ – auf grundsätzlich ähnliche Weise wie das schon beschriebene, später entstandene Werk „Der Lauf der Dinge“ (Abb. 28) von Fischli und Weiss – Momente der Ungewissheit und erzeugt dadurch Spannung.128 Der Ausschnitt in „Hand Catching Lead“ lässt offen, wem die Hand gehört, woher das Blei kommt und wohin es fällt, ob die Tätigkeit zweckfrei ist oder in einem weiteren narrativen oder funktionalen Zusammenhang steht. Durch das konsequente Abschneiden der Handelnden durch den Bildrand rückt die Synchronisierung zweier Kräfte, Schwerkraft und Muskelkraft, in den Vordergrund. In seiner „Verb List“ aus den Jahren 1967 bis 1968 notierte der Künstler insgesamt 108 mögliche Aktionen, ohne diese zu einem agierenden Subjekt in Bezug zu setzen: „to roll, to crease, to fold, to store, to bend, to shorten, to twist [...].“129 Darin bildet sich der Vorgang in „Hand Catching Lead“, wie schon Krauss schrieb, aus einer Relation von „to drop“ und „to grasp“.130 Blickt man mit Benjamin Lee Whorf auf Serras Aneinanderreihung isolierter Verben im Infinitiv, so erscheint diese als sprachtheoretische Auseinandersetzung mit Bewegung und Veränderung. 126 Vgl. Wim Mertens: American Minimal Music. La Monte Young, Terry Riley, Steve Reich, Philip Glass. Übers. aus dem Niederl. v. J. Hautekiet, London 1983, S. 69f. – Vgl. Lovisa 1996, S. 92. 127 Vgl. Mertens 1983, S. 88. 128 Vgl. S. 83f. 129 Serra 1994, S. 3f. 130 Vgl. Krauss 1977, S. 276.
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In seinem einflussreichen Buch „Language, Mind, and Reality“ (1956) stellte Whorf in der Nachfolge seines Lehrers Edward Sapir die These auf, dass die Grammatik einer Sprache das jeweilige Denken und damit den Blick auf die Welt grundlegend forme. Diese lange Zeit umstrittene These findet heute durch empirische Forschungsergebnisse von bestimmten Seiten der Kognitionsforschung durchaus wieder Zustimmung.131 Da es unterschiedliche Sprachen gebe, so formulierte Whorf, müsse es auch unterschiedliche Wahrnehmungen von Realität geben. Insbesondere bei Sprachsystemen, die nicht dem Indoeuropäischen angehörten, könne dies zu Weltbeschreibungen führen, die von denjenigen westlicher Naturwissenschaftler abwichen. Keine der voneinander differierenden Beschreibungen habe jedoch mehr Anspruch auf Gültigkeit.132 Bei der Erforschung der Hopi-Indianer im nordamerikanischen Bundesstaat Arizona kam Whorf zu dem Schluss, dass deren Sprache keine lineare Auffassung von Zeit zugrunde liege, sondern vielmehr eine Vorstellung von Dauer, die er mit der „durée“ Bergsons verglich.133 Während beispielsweise englische Muttersprachler automatisch einen Täter mit Bezug auf Geschehnisse annehmen würden, selbst dann, wenn ein solcher nicht vorhanden sei, würden die Hopi verschiedene Arten der Dauer benennen, beispielsweise pflanzenartiges Wachstum oder Verringerung, Stabilität oder zyklisches Auftreten.134 Dies sei dem Umstand geschuldet, dass die Hopi-Sprache im Gegensatz zum Englischen keine notwendige grammatikalische Verbindung von Subjekt und Verb besitze: English pattern treats ,I hold it‘ exactly like ,I strike it,‘ ,I tear it,‘ and myriads of other pro positions that refer to actions effecting changes in matter. Yet ,hold‘ in plain fact is no action, but a state of relative positions. But we think of it, even see it, as an action, because language sets up the proposition in the same way as it sets up a much more common class of propositions dealing with movements and changes. We ASCRIBE action to what we call ,hold‘ because the formula, substantive + verb = actor + his action, is fundamental in our sentences. Thus we are compelled in many cases to read into nature fictitious acting-entities simply because our sentence patterns require our verbs, when not imperative, to have substantives before them. We are obliged to say ,it flashed‘ or ,a light flashed,‘ setting up an actor IT, or A LIGHT to perform what we call an action, FLASH. But the flashing and the light are the same; there is no thing which does something, and no doing. Hopi says only rehpi. Hopi can have
131 Vgl. Lera Boroditsky: How Languages construct Time. In: Stanislas Dehaene u. a. (Hgg.): Space, Time, and Number in the Brain. London 2011, S. 333–341. 132 Vgl. Benjamin Lee Whorf: Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie (EA Cambridge MA 1956). Hg. u. übers. aus dem Amerikan. v. Peter Krausser, Hamburg 1963, S. 11–13. 133 Vgl. ebd., S. 15, S. 103 u. S. 107. Whorfs These ist insofern zu relativieren, als Sprache zwar einen großen Einfluss auf Denken und Weltsicht hat, sie jedoch nicht der alleinige Faktor ist, der das Denken bestimmt. 134 Vgl. ebd., S. 89.
4. Endlosschleifen
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verbs without subjects, and this gives to that language power as a logical system for understanding certain aspects of the cosmos.135
Liest man Serras Liste als den Versuch, Bewegung und Veränderung ohne einen „Täter“, wie es Whorf ausdrückte, zu fassen, so setzt dies ein sprachkritisches Verständnis voraus. Dass dieses für Serra sogar essentiell war, kommt in seinem und Glass’ Statement zur Klanginstallation „Word Location“ (1969), in welcher das sich wiederholende Wort „is“ über Lautsprecher in die Landschaft gesetzt wurde, zum Ausdruck: „Our inability to form a meaningful relationship between the coinciding occurrences, i.e., the word system and the experience of place, points to the failure of language to comprehend experience.“136 Sprache entferne sich also stets von der Erfahrung, anstatt sie begrifflich umsetzen zu können. Zieht man abschließend Ingardens und Lommels Kriterien für filmische Rhythmik heran, so sind für „Hand Catching Lead“ sowohl Bewegungsmuster, die sich im Illusionsraum des Films, als auch solche, die sich im Raum der Aufführung abspielen, zu nennen. Denn aufgrund von formaler Analogie spiegelt die mechanische Handlung im Film die Vorschubbewegung des Projektors und den Wahrnehmungsvorgang des Betrachters. Damit fasste Serra seine Arbeit, wie von ihm gefordert, als ein „skulpturales Feld“ auf, das sich nicht absolut, sondern relational definiert.137 Auch wenn bestimmte „Täter“ – die im Film interagierenden Personen, der Projektor, der Betrachter – die Bewegungen vollziehen, so steht deren Identität doch hinter der Qualität eines regelmäßig aufeinander bezogenen Fallens und Festhaltens zurück. Bei der Analyse von Endlosschleifen solcher Art wäre generell zu fragen, zur Beobachtung welcher wiederkehrenden Bewegungs- und Veränderungsdynamiken das gewählte Motiv Anlass gibt, wie sich diese zueinander verhalten und welche Rolle dabei der dargestellte und möglicherweise auch der tatsächliche Raum spielen. NARRATION UND ZIRKULÄRE STRUKTUR
Im Folgenden soll es um die Frage gehen, wie Narrative, die sich durch eine Entwicklungslogik auszeichnen, in eine zirkuläre Struktur überführt werden können. Dabei soll 135 Benjamin Lee Whorf: Language, Mind, and Reality (EA 1941). In: John B. Carroll (Hg.): Language, Thought, and Real ity. Selected Writings of Benjamin Lee Whorf. New York, London 1956, S. 246–270, S. 262f. 136 Glass u. Serra (Juni 1969) 1994, S. 7. 137 Dem Feldbegriff unterlag wohl eine populärwissenschaftliche Rezeption der physikalischen Feldtheorie, die seit den frühen 1960er Jahren Eingang in den kunstkritischen Diskurs fand. Vgl. Julia K. Otto: Skulptur als Feld. Flache Bodenplastik seit 1960. Frankfurt am Main u. a. 2006, zugl. Phil. Diss. Univ. Göttingen 2004, S. 179–183. – Zur Verwendung des Begriffs des Felds bei Whorf vgl. Whorf (1956) 1963, S. 73.
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in Anknüpfung an das Vorherige auf eine einfache Form des Erzählens zurückgegangen werden, bei der die Chronologie des Erzählten mit ihrer Reihenfolge in der Erzählung übereinstimmt, also auf den Einsatz von Prolepsen oder Analepsen verzichtet wurde. Eine bewusste Auseinandersetzung mit der Problematik unterliegt Rodney Grahams auf DVD übertragenem 35-mm-Film „Vexation Island“ (Abb. 43), dessen Name sich auf Saties „Vexations“ bezieht und in dem der Künstler erstmals in seinem Schaffen mit den Konventionen des Erzählkinos experimentierte. Installiert war die Arbeit im kanadischen Pavillon der Biennale von Venedig (1997, Abb. 44), der vom Holzverschlag der Wintereinhausung umhüllt blieb. Die Architektur rief dadurch den Eindruck einer grob gezimmerten Holzhütte hervor und bildete einerseits einen Kontrast zur Hochglanzästhetik des gezeigten Films, andererseits aber auch eine motivisch-narrative Verbindung, da der Protagonist an Romanfiguren wie Daniel Defoes Schiffbrüchigen Robinson Crusoe erinnert. Der Aufbau von „Vexation Island“ ist streng in drei dreiminütige Teile gegliedert, wobei im Verhältnis zwei zu eins durch die Wiederholung einer fast identischen Einstellung jeweils eine Zäsur erfolgt: Zu sehen ist sowohl zu Beginn als auch nach sechs Minuten Laufzeit ein vom Rauschen der Brandung untermaltes Luftbild einer unbewohnten Insel mit einem umlaufenden Sandstrand. Nach einer Abfolge langer Einstellungen im ersten Teil, die die Topographie und die Vegetation der Insel in den Blick nehmen, sind nach den ersten drei Filmminuten Ort und Protagonist eingeführt. Man kennt nun den unter einer Palme am Strand Daliegenden, dessen Kopf auf ein kleines Holzfass gebettet ist und auf dessen Stirn eine blutverkrustete Wunde klafft. Am Fußende, auf einem etwas größeren Fass, sitzt ein Papagei. Die Situation lässt einen Schiffbruch vermuten. Über die Motivik des Films wurde der Betrachter bei der Erstaufführung auf den Ausstellungsraum rückverwiesen, da in der Mitte des Pavillons ein Baum steht, auf den die teilverglaste Architektur mit einer Öffnung im Dach Rücksicht nimmt. Das Publikum saß an dessen Fuß, so wie der Protagonist des Films unter einer Palme liegt. Weitere, langsam getaktete Einstellungen nehmen im zweiten Teil abermals die Natur, den Papageien und den Menschen in den Blick. Durch Nahaufnahmen und Einspielung gleichmäßiger Atemgeräusche wird eine Identifikation mit dem Daliegenden hergestellt. Verstärkt abgespielte Naturgeräusche wie Wind, Wasser und Vogelkreischen wirken meditativ entspannend. Erst im letzten Drittel bei Minute 7:00 öffnet der Protagonist langsam die Augen, blinzelt in die hoch stehende Sonne, richtet sich auf, betastet die Wunde und blickt auf den Vogel, der krächzend mit einem Flügel aufs Meer weist. Die Schnittfolge wird deutlich schneller. Darian Lander und Alexander Alberro
4. Endlosschleifen
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behaupteten in Aufnahme einer Aussage Grahams, der Vogel rufe „Wake up, please!“ und bringe mit dem Wecken des Protagonisten die Handlung in Gang.138 Wenn dem so sein sollte, so sind die Worte nicht hörbar. Die in der Literatur zum Werk tradierte Phrase lässt sich somit eher als eine Anspielung Grahams auf die Aufführung von Warhols „Sleep“ einordnen, in der die Zuschauer zur Filmleinwand liefen und dem abgebildeten Schlafenden ins Ohr riefen „Wake up!“.139 Der Seefahrer in „Vexation Island“ wacht zwar auf, jedoch enttäuscht die Handlung, die nach der elaborierten Vorbereitung präsentiert wird, ebenso alle Erwartungen an eine klassische Erzählung wie es bei Warhol der Fall war. Und dies, obwohl der Künstler formale und motivische Klischees des Hollywood-Kinos einsetzt. Der Höhepunkt der Handlung beginnt bei Minute 8:00 und gleicht einem Slapstick. So geht der Mann zielgerichtet zur Palme und schüttelt entschlossen deren Stamm, bis sich von ihrer Krone, bei Minute 8:30, eine Kokosnuss löst, die ihn abermals bewusstlos schlägt und zu Fall bringt. Diese 30 Sekunden werden in extremer Beschleunigung des Montagerhythmus’ und unter Aufbietung einer Fülle filmischer Tricks präsentiert. So wird das kontinuierliche Fallen der Nuss innerhalb von dreieinhalb Sekunden aus fünf unterschiedlichen Perspektiven gezeigt, wobei die Bewegungen in Zeitlupe zu sehen sind. Eine darauffolgende Nahaufnahme auf den Papageien, der den Kopf nach links wendet, ahmt ein gängiges Motiv aus Horrorfilmen nach. Das Tier, so die Implikation, beobachtet das Geschehen und verfügt über überlegenes Wissen. Abgeschlossen wird die kurze Sequenz durch die Sicht auf die Kokosnuss, die am leicht abschüssigen Strand zum Wasser rollt. Dann folgen drei Einstellungen des fallenden Manns in Zeitlupe: zuerst die Anfangsphase der Bewegung vom Boden direkt hinter ihm aus gesehen (3 Sekunden), dann die mittlere Phase in einer spektakulären Kamerafahrt seitlich gegen die Fallrichtung des Protagonisten, sodass es fast scheint, der Mann bliebe schräg in der Luft stehen (5 Sekunden), und abschließend die dritte Phase des Falls, wie zuvor vom Boden aus gesehen, in der sich der Körper der Kamera nähert (2 Sekunden). Noch einmal rollt die Kokosnuss zum Strand. Durch die Aufsplitterung des Vor138 Vgl. Darian Leader: The System of Rodney Graham’s Costume Trilogy. In: Iwona Blazwik u. Anthony Spira (Hgg.): Rodney Graham. Kat. Ausst. London (Whitechapel Gallery u. a.). Übers. aus dem Engl. v. Christoph Hollender u. Ulrich Nickel, Ostfildern 2002, S. 35–43, hier S. 36. – Vgl. Alexander Alberro: Loop Dreams. Rodney Graham’s Vexation Island. In: Artforum International 36/6 (Februar 1998), S. 72–75 u. S. 108, hier S. 75. – Graham selbst führt eine Szene aus Defoes „Robinson Crusoe“ an, in der der Protagonist erkennt, dass er auf der Insel bleiben muss und erschöpft im Sand einschläft. Der Papagei wecke ihn wieder auf. In der Szene bei Graham habe ein Schauspieler mit leiser Stimme „Wake up, please!“ nachsynchronisiert, während der Vogel mit dem Flügel „gewinkt“ habe. Auszüge eines Interviews, das Ulrike Groos 2000 mit dem Künstler geführt hat, sind veröffentlicht in: „Wake up. Please!“. Zur Reise in unbekannte Dimensionen. In: Rodney Graham. Kat. Ausst. Zürich (Galerie Hauser & Wirth) 2000, o. S. 139 Grahams Ein-Kanal-Video „Halcion Sleep“ (1994) kann ebenfalls mit Warhols „Sleep“ verglichen werden. So sieht man dort während der gesamten Laufzeit den Künstler im gestreiften Pyjama und unter Einfluss eines Schlafmittels auf der Rückbank eines Autos schlafen.
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gangs in mehrere Perspektiven und durch den Einsatz von Zeitlupe dehnt er sich zeitlich um ein Vielfaches gegenüber seiner realen Dauer. Dies erzeugt den Eindruck einer sich dehnenden Gegenwart. Zuletzt streift der Kamerablick von links nach rechts über den Körper des Protagonisten vom Hals abwärts bis zu den Füßen. Er liegt nun nicht mehr mit den Beinen zum Landesinneren hin, sondern, wie zuvor, zum Meer.140 Das letzte Drittel der Arbeit schließt lakonisch mit dem Blick auf die Nuss, die den Mann zu Fall brachte und nun von den Wellen aus dem Bild gewaschen wird. Nach dem Stand der Sonne zu schließen, umfasst die erzählte Zeit einen ganzen Tag. Dann beginnt der Film, ohne durch einen Abspann oder Titel unterbrochen zu werden, abermals mit der Aufsicht auf die Insel im Meer. Der filmtechnische Aufwand, die stakkatoartige Schnittfolge und die semantische Aufladung des Geschehens durch den Blick des Vogels verleihen der kurzen Szene eine Bedeutsamkeit, die angesichts der eigentlich albernen Handlung maßlos übertrieben erscheint. Zugleich passiert, wie bei jedem Witz, ein Bezugsrahmenwechsel141 mit Blick auf mindestens ein Element, nämlich die Platzwunde auf der Stirn des Schiffbrüchigen. Hatte man sie zunächst als Hinweis auf ein Schiffsunglück oder einen Konflikt mit der Schiffsbesatzung interpretiert, so wird sie nun zum Zeugnis des auf die Stirn auftreffenden „Geschosses“, auch wenn die Wunde während des Schüttelns des Baums schon da ist und durch sie auch nicht größer wird.142 Dass, wie Reiche vorschlägt, die Aktion des Protagonisten als dessen Traum zu lesen sei und der Film damit die Mise-en-abymeStruktur143 eines Traums im Traum im Traum und so weiter ausbilde,144 erscheint wenig plausibel, da ein möglicher Wechsel der Erzählebene nicht signalisiert wird.145 Glasmeier bezeichnete die Endlosschleife bei Graham als einen „gerundeten Loop“, da es hier keinen Anfang und kein Ende gebe, sondern ein Element in das andere schlüssig überleite. Aus diesem Grund sei es auch gleich, an welcher Stelle man die Narration
140 Der Protagonist liegt im Verlauf des Films an derart vielen unterschiedlichen Stellen, dass man darin – vergleichbar zu Dalís und Buñuels „Un chien andalou“ – eine künstlerische Strategie vermuten muss. 141 Vgl. Peter Wenzel: Von der Struktur des Witzes zum Witz der Struktur. Untersuchungen zur Pointierung in Witz und Kurzgeschichte (= Anglistische Forschungen 198). Heidelberg 1989, zugl. Phil. Habil. Univ. Bochum 1986, S. 34f. 142 Die Stirnwunde kann im Zuge der Wiederholung als durchgängig sichtbare Spur des stets erneut hereinbrechenden Unglücks gelesen werden. Graham spricht hier von einem Emblem. Vgl. Rodney Graham: Siting Vexation Island. In: Loretta Yarlow (Hg.): Island Thought. Canada XLVII Biennale di Venezia. Kat. Ausst. Venedig (Kanadischer Pavillon während der 47. Biennale di Venezia) 1997, S. 9–18, hier S. 16. 143 Zum Begriff Mise-en-abyme vgl. S. 305. 144 Vgl. Reiche 2015, S. 67. 145 Eine partielle Mise en abyme lag bei der Erstaufführung vor, da sich dort ein real vorhandener Baum im Film wiederholte. Berücksichtigt man die Hollywood-Ästhetik der Arbeit, so ist die mit diesem Kniff nahegelegte film- und kinokritische Lesart leicht zu verstehen: Auch der Zuschauer befindet sich in einem Zustand der Bewusstlosigkeit.
4. Endlosschleifen
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des Films zu betrachten beginne.146 Auf der anderen Seite beobachtete der Autor, dass bei Graham die fallende Kokosnuss eine rhythmisierende Funktion habe, da sie die gleichförmige Existenz des Protagonisten durchbreche und, wie der fallende Hut in „City Self/Country Self “ (2001), „Anfang und Ende endlos miteinander verknüpf[e]“147. Wie die Analyse zeigt, lässt sich „Vexation Island“ schlüssig in einen Anfang, einen Höhepunkt und einen Schluss gliedern. Jedoch dauert die Schilderung des Orts mit dem schlafenden Protagonisten mit gut sieben Minuten unverhältnismäßig lang. Innerhalb dieses Zeitraums ist jeder Moment für den Einstieg in den Film nahezu gleichwertig. Der Höhepunkt hingegen hebt sich auch formal vom Rest des Films ab und zeigt somit, wie eine Uhr, die durchlaufene Runde an. Die Nahtstelle der Endlosschleife, die das Ende mit seinem Anfang verbindet, ist also nicht mit der Pointe identisch, die durch ihre Differenz zum Rest des Films, sowohl mit Bezug auf die Handlung als auch auf den Montagerhythmus, den Loop gliedert. Um die Erzählung auf ihren Anfang zurückbiegen zu können, darf der Charakter keine Entwicklung durchlaufen. In seinem anlässlich der Präsentation in Venedig publizierten Begleittext verwies der Künstler aber auf zwei Stellen aus Deleuzes „L’image- mouvement. Cinéma 1“ (1983), die sich gerade mit solchen Entwicklungsdynamiken auseinandersetzen.148 In der ersten Passage, die sich im neunten Kapitel befindet, geht es um das „Aktionsbild“ („l’image-action“) und die in ihm beschriebene „realistische Gewalt“ („violence réaliste“).149 Das Aktionsbild beruht nach Deleuze auf der Logik eines „Kino des Verhaltens“ („cinéma de comportement [behaviorisme]“), wobei dieses Verhalten eine Handlung darstellt, die den Protagonisten schlüssig von einer Situation in die nächste bringt. So lade sich eine gegebene, scheinbar ruhige Situation S samt ihrer Akteure mit Aggression auf, bis sie schließlich durch das gewaltsame Ausagieren der beteiligten Personen (= Aktion A) in einen neuen Zustand S’ überspringe. Das Cinemascope-Format, das auch Graham für „Vexation Island“ verwendete, verstärke dabei die Kettenreaktion des SASʼ.150 Deleuze führte zur Charakterisierung dieses dynamischen Prinzips die begriffliche Unterscheidung zwischen einem vegetativen und einem animalischen Pol ein. Zwischen beiden alterniere das Geschehen unaufhörlich: Or c’est peu de dire que l’acteur n’est jamais neutre, et qu’il n’arrête pas. Quand il n’explose pas, il s’imprègne, et ne reste jamais tranquille. Pour l’acteur comme pour le personnage, la név146 147 148 149 150
Der Autor wendete den Begriff auf die Arbeit „City Self/Country Self “ an. Vgl. Glasmeier 2002, S. 13. Ebd., S. 24. Vgl. Graham 1997, S. 15f. Vgl. Gilles Deleuze: L’image mouvement. Cinéma 1. Paris 1983, S. 214. Vgl. Deleuze (EA Paris 1983) 1989, S. 213.
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rose de base est l’hystérie. Le pôle végétatif en effet n’est pas moins en mouvement sur place que le pôle animal en déplacement violent. L’imprégnation spongieuse a autant d’intensité que l’acting-out, d’extension brusque.151
Graham führte aus, dass der von ihm gespielte Protagonist ebenfalls zwischen diesen beiden Polen alterniere.152 In diesem Sinne lädt sich im vegetabilen Pol die Situation in den ersten beiden Dritteln der Filmdauer auf, wobei hier alle Implikationen, die mit dem Klischee des Gestrandeten verbunden sind, Spannung erzeugen. Im letzten Drittel geht das Geschehen in den animalischen Pol über und lässt, insbesondere in der letzten halben Minute, den angestauten Druck stoßartig entweichen. Allerdings führt die Aktion in „Vexation Island“ nicht zu einer neuen Situation. Die von Deleuze postulierte Formel SAS’ des Aktionsbilds wird bei Graham zu einem SAS, dessen Aktion die Situation buchstäblich in den Ausgangszustand zurückfallen lässt. Aus rezeptionsästhetischer Perspektive wäre jedoch zu formulieren, dass sich die Wahrnehmung des Betrachters ändert und ihm die Handlung des Films beim erneuten Durchlauf unter anderen Vorzeichen erscheint. Solches klingt an der anderen Stelle bei Deleuze an, auf die Graham referierte. Dort führte der Autor am Beispiel von Hitchcocks Klassiker „The Birds“ (1963) aus, wie sich durch das irreguläre Verhalten eines Elements – Deleuze verwendete den Begriff der Demarkierung153 – das Ganze des Films qualitativ ändere, selbst wenn der Ausgangszustand wieder hergestellt werde. Stehe ein Ensemble aus sich bewegendem Wasser, Bootsfahrer und am Himmel fliegendem Vogel für eine vom Menschen befriedete Natur, so bedeute der unvermittelte Angriff einer gewöhnlichen Möwe auf den im Boot befindlichen Menschen eine fundamentale und unumkehrbare Veränderung der Relationen zwischen den drei Teilen und damit zugleich auch des Ganzen: Nicht nur erschienen alle Vögel unvermittelt als Gefahr, auch verändere sich die Wahrnehmung der Natur, die nun ebenfalls als eine zerstörerische erscheine: [...] les trois flux se divisent et deviennent extérieurs les uns aux autres. Le tout se reformera, mais il aura change: il sera devenu la conscience unique ou la perception d’un tout des oiseaux, témoignant d’une Nature entièrement oisellisée, retournée contre l’homme, dans une attente infinie.154 151 Deleuze 1983, S. 214f. 152 Vgl. Graham 1997, S. 16. 153 „Suivant la relation naturelle, un terme renvoie à d’autres termes dans une série coutumière telle que chacun peut être ,interprété‘ par les autres: ce sont des marques; mais il est toujours possible qu’un de ces termes saute hors de la trame, et surgisse dans des conditions qui l’extraient de sa série ou le mettent en contradiction avec elle, en quel cas on parlera de démarque. Il est donc très important que les termes soient tout à fait ordinaires, pour que l’un d’eux, d’abord, puisse se detacher de la série […].“ Deleuze 1983, S. 274. 154 Deleuze 1983, S. 34.
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Unter dem Ganzen kann man nun die Gesamtheit des Films und dessen Wahrnehmung begreifen, jedoch geht der Begriff bei Deleuze über eine solche Auffassung hi naus. Das Ganze sei nämlich, so der Autor unter Berufung auf Bergson, nicht genau zu bestimmen, weil es offen sei und sich ständig verändere.155 Wolle man nun aber das Ganze bestimmen, so sei dies nur über die Beschreibung der Relationen einzelner Teile innerhalb des Ganzen zueinander möglich. Um dies zu erläutern, unterschied De leuze zwischen Objekten eines abgeschlossenen Ensembles – dies wären beispielsweise die Motive einer Einstellung156 –, die sich bewegten und dadurch ihre Positionen änderten, und den veränderten Relationen, die zwar gewissermaßen an die Objekte angehängt seien, aber außerhalb ihrer lägen. Ihre Form der Veränderung reiche über eine simple Verlagerung grundsätzlich hinaus. Denn durch die Änderung der Relationen wandle sich in fundamentaler Weise die Qualität des sich stets verändernden Ganzen.157 Insofern sei ein Ensemble nie völlig geschlossen, sondern mit der Dauer des offenen Ganzen verbunden: „[…] comme par un fil ténu qui le rattache au reste de l’univers.“158 Deleuze konnte somit in Anlehnung an Bergson die Dauer als das Ganze der sich wandelnden Relationen definieren.159 Wie Hitchcock in „The Birds“ die Strömungen von Vogel, Mann und Wasser Deleuze zufolge durch Demarkierung teilte und wieder zusammenfließen ließ, so teilt Graham das Ganze von Papagei, Seefahrer und Palme in dem Moment, in dem die Kokosnuss vom Baum fällt und, anstatt sich als Nahrungsmittel gebrauchen zu lassen, unvermutet den Kopf trifft.160 Diese Demarkierung führt dazu, dass die zuerst vorhandene Vorstellung von einer Rettung des Gestrandeten sich in den Eindruck wiederholten Scheiterns – oder doch zumindest von Stagnation – wandelt. Die Fortentwicklungsthematik des SAS’ wird in eine Kreisbewegung überführt. Von Interesse ist hier noch die Interpretation der von Graham in mehreren Werken vorgelegten zyklischen Erzählstruktur durch den Künstlerkollegen Jeff Wall.161 So besprach dieser ein früheres Künstlerbuch Grahams aus dem Jahr 1983, in dem die Novelle „Lenz“ (1839) von Georg Büchner unter Ausnutzung zweier gleichlautender Formulierungen in eine Endlosschleife überführt wurde.162 Wall brachte den seriell auf155 156 157 158 159 160
Vgl. Deleuze (EA Paris 1983) 1989, S. 24. Vgl. ebd. S. 38 u. S. 40. Vgl. ebd., S. 24f. – Andererseits sei Bewegung auch Ausdruck dieser Veränderung. Vgl. ebd., S. 3. Deleuze 1983, S. 21. Vgl. Deleuze (EA Paris 1983) 1989, S. 25. „I wish to posit an island, or rather a stripped-down island adventure comprising the Natural Fluxes – bird-centered, man-centered and tree-centered – that divide and reform repeatedly according to the principle of the loop.“ Graham 1997, S. 16. 161 Graham und Wall lernten sich bereits 1972 kennen. Vgl. Arnold 2004, S. 182. 162 Im Jahr 1983 setzte Graham das Konzept zunächst als 16-seitige Broschüre um, in welcher auf die Lektüre der ersten
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I. MONOTONIE UND ÜBERLANGE LAUFZEIT
gefassten „Lenz“, so wie Lee die frühen Filme Warhols, mit dem Konzept der von Hegel sogenannten negativen Unendlichkeit in Verbindung.163 Hegel hatte in einer dialektischen Konfrontation der Begriffe des Endlichen und Unendlichen argumentiert, dass sich das Unendliche als Negativbegriff stets nur als ein Anderes des Endlichen begreifen lasse und damit selbst begrenzt, also endlich sei. Die Negation des Endlichen, das Hinausgehen über dessen Grenze, erzeuge abermals ein Endliches, da das Unendliche schließlich durch das Endliche bedingt sei, und so weiter: „Der Progreß ins Unendliche ist daher nur die sich wiederholende Einerleiheit, eine und dieselbe langweilige Abwechslung dieses Endlichen und Unendlichen.“164 Das daraus abzuleitende, durch stete Vorschubbewegungen gekennzeichnete Geschichtsbild Hegels betrachtete Wall als Ausdruck der ruhelosen Moderne, die durch eine Beschleunigung aller Vorgänge geprägt sei. Seine zusätzlichen Verweise auf Friedrich Nietzsches „ewige Wiederkehr des Gleichen“, Freuds „Wiederholungszwang“ und Karl Marx’ „Geld-Ware-Geld-Zyklus“ deuten dabei auf eine fortschrittspessimistische Perspektive Walls hin.165 Dementsprechend brachte dieser die potentiell unendliche Wiederholung der Reise, die Lenz in Grahams Textbearbeitung unternehmen muss, mit dem von Hegel formulierten unendlichen Progress in Verbindung. Der maschinell reproduzierte Text sei trotz seiner Fülle langweilig und nichtssagend: „The textual mass becomes a void, and reading it is an exhausting tedium from which everyone must flee. The best way to read Lenz, therefore, may be to close its cover and look into the physical void of its empty slipcase.“166 Auch wenn die von Graham ins Werk gesetzte serielle Erzählbewegung von Wall als leere Fülle gedeutet wird, so wäre es falsch, sie deshalb, wie es beispielsweise bei einem Werk von Cage mit gutem Grund möglich ist, als eine Öffnung auf eine fernöstlich auf-
163 164 165 166
Seite drei Wiederholungen des auf vier Seiten fortlaufenden Texts folgen, ohne dass dieser durch Seitenzahlen abgemessen werde. Zudem gab er den von ihm bearbeiteten „Lenz“ in einer Auflage von zehn Exemplaren als eine 336 Seiten umfassende Buchausgabe mit 83 Wiederholungen heraus. Die buchspezifische lineare Struktur unterlief Graham schließlich zehn Jahre später mit dem Objekt „Reading Machine for Lenz“ (1993). Dort spannte er die Seiten so in einen statischen und einen daran anschließenden, drehbaren Rahmen ein, dass es die Betätigung der Vorrichtung ermöglicht, die Textschleife beliebig oft zu lesen. Bezeichnenderweise weist das Möbel unterschiedliche Füße auf, die es als eine Mischung aus Glasvitrine und Zootrop kennzeichnen. Für eine Analyse der Appropriation vgl. Marie-Ange Brayer: Techniques of Appropriation and Interpolation in Five of Rodney Graham’s Text Works. In: Rodney Graham. Works from 1976 to 1994. Catalogue Raisonné v. Émile van Balberghe u. Yves Gevaert. Kat. Ausst. Toronto (Art Gallery of York University). Brüssel 1994, S. 111–123, hier S. 112f. – Für einen Einblick in die Geschichte der Lesemaschine im 16. Jahrhundert vgl. Eva-Maria Hanebutt-Benz: Die Kunst des Lesens. Lesemöbel und Leseverhalten vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Kat. Ausst. Frankfurt am Main (Museum für Kunsthandwerk) 1985. 2. Aufl. Frankfurt am Main 1989, S. 89f. Vgl. Jeff Wall: Into the Forest. Two Sketches for studies of Rodney Graham’s Work (EA 1988). In: Rodney Graham 1994, S. 11–26, hier S. 11f. Hegel (EA 1832) 1969, S. 155. Vgl. Wall (EA 1988) 1994, S. 12f. Ebd., S. 19.
4. Endlosschleifen
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gefasste Leere hin zu deuten.167 Die von Wall konstatierte Leere ist vielmehr, wie diejenige im Hohlraum des Buchschubers, beim Wort zu nehmen. Folgt man jedoch Deleuze darin, dass sich das Ganze eines Films nach der einmal erfolgten Demarkierung grundsätzlich geändert hat, so kann es sich bei der Wiederholungsstruktur von „Vexation Island“ auch nicht um die Vorschubbewegung eines stets Identischen handeln. Berücksichtigt man außerdem den für das künstlerische Konzept Grahams üblichen und durch seine Begleittexte beförderten Anspielungsreichtum als Teil des Werks, so vervielfacht sich sein relationales Gefüge. Jeder Verweis in „Vexation Island“ – so auf den Ausstellungsraum, auf „Robinson Crusoe“, auf das Hollywood-Kino, auf die Schriften D eleuzes und so weiter –, der durch den Betrachter nachvollzogen wurde, ändert demgemäß die Qualität der Arbeit. Um mit Deleuze zu sprechen, dauert die Arbeit als ein sich ständig Wandelndes an, und zwar nicht in der Wiederholung des Films selbst, sondern in der möglicherweise anhaltenden Auseinandersetzung mit diesem.
167 Vgl. S. 102 u. S. 105.
II. SYMMETRISCHE FORMBILDUNGEN
1. DAS HEMISPHÄRENTEILUNGSSCHEMA Der französische Beitrag für die Biennale von Venedig 2013 beinhaltete eine Vier-KanalVideoinstallation Anri Salas, die über den Hauptraum und die beiden Seitenflügel des deutschen Pavillons verteilt war. Der Name „Ravel Ravel Unravel“ nahm dabei auf den Komponisten Maurice Ravel Bezug, der 1930 ein Klavierkonzert in D-Dur „Für die linke Hand“ geschaffen hatte. Während der nach Art eines Tonaufnahmestudios mit schallabsorbierendem Material ausgekleidete Zentralraum auf zwei leicht versetzt übereinander angeordneten Projektionen zwei nur annähernd synchrone Aufführungen des Stücks mit je eigenem Pianisten (Louis Lortie und Jean-Efflam Bavouzet) wiedergab – zu sehen waren über 20:45 Minuten Nahaufnahmen der jeweils spielenden linken Hand aus wechselnden Perspektiven, zu hören beide Einspielungen –, dokumentierten die beiden flankierenden Räume einmal stumm und einmal mit Ton den Versuch der DJane Chloë Thévenins, beide Aufnahmen des Stücks über die händische Manipulation zweier Schallplattenspieler zu synchronisieren. Ein Ziel der Arbeit sollte sein, beim Zuhörer ein künstliches Raumgefühl zu erzeugen, das durch die zeitlich versetzte Wiedergabe der gleichen Musik das natürliche Echo des Orts ersetzen sollte.1 Offensichtlich ging es aber auch um den Zusammenhang zwischen Sehen und Hören sowie das aktive Schaffen von Synchronizität durch eine handelnde Reaktion auf das gehörte Signal. Ob sich die gewünschte Raumerfahrung bei der Rezeption von „Ravel Ravel Unravel“ tatsächlich einstellt, ist fraglich. Sicher ist jedoch, dass das grundlegende Thema der Installation schon gut dreißig Jahre zuvor in der Videokunst bearbeitet wurde, wobei andere ästhetische Lösungen gefunden wurden. In seinem vier Minuten langen Video „Equal Time“ (1979, Abb. 45) bezog Gary Hill Ton- und Bildebene aufeinander, indem er die zeitliche Mitte der Arbeit als eine Achse definierte, an welcher beide Ebenen wiederholt beziehungsweise gespiegelt werden. Die visuelle Spur entstand in einem ersten Schritt durch die Manipulation des Elektronenstrahls mit Hilfe des Rutt/Ettra-Scanprozessors.2 In einem zweiten Schritt filmte Hill 1 2
Vgl. Anri Sala: [Vorwort]. In: Christine Macel u. Anri Sala (Hgg.): Anri Sala. Ravel Ravel Unravel. Kat. Ausst. Venedig (Französischer Pavillon während der 55. Biennale di Venezia). Paris 2013, S. 6f. Vgl. Holger Broeker: Art. „Equal Time 1979“. In: Ders. u. Tuyl van Gijs (Hgg.): Gary Hill. Selected Works. Catalogue Raisonné. Kat. Ausst. Wolfsburg (Kunstmuseum). Köln 2002, Kat.-Nr. 34, S. 81f. – Bei dem Rutt/Ettra-Scanprozessor handelt es sich um einen 1973 auf den Markt gekommenen Synthesizer, der es ermöglichte, ohne großen Aufwand die Bildwiedergabe der Braunschen Röhre zu manipulieren.
1. DAS HEMISPHÄRENTEILUNGSSCHEMA
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Schaubild 3: Symmetrische (links) und chiastische Auffassung (rechts) des wechselnden Seitenverhältnisses von Punktraster im Bildschirm (PA/PB) und Textversion aus dem Lautsprecher (TA/TB) in Gary Hills „Equal Time“ (1979).
dieses am Monitor erzeugte Bild mit einer Videokamera ab. So generierte er im Maß der Bildschirmausgabe zwei sich achsensymmetrisch zueinander verhaltende weiße Punktraster, die sich in einer gleichbleibend langsamen Bewegung von rechts und von links über einen dunklen Hintergrund schieben. In dem Moment, in dem sie sich zu überlappen beginnen, entsteht ein teilweise farbig schillerndes Moiré-Muster. Den gespiegelten Bewegungen entsprechend ist die Tonwiedergabe in Stereo organisiert. Entgegen der üblichen Funktion fügen sich die beiden Kanäle bei „Equal Time“ jedoch nicht zu dem Eindruck eines Raumklangs. Denn die beiden Lautsprecher dienen dem gleichzeitigen Vortrag zweier Stimmen, deren jeweiliger Text aus demjenigen Lautsprecher zu hören ist, an dessen Seite sich das zugehörige Punktraster gerade befindet. Die Koppelung von Text und Raster wird insbesondere bei der Mitte deutlich, wenn sich die beiden Punktefelder übereinander hinweggeschoben haben. Denn nach dem Wechsel der Seiten rezitieren die beiden Stimmen ihren Text von Anfang an neu, wobei diejenige Stimme, die zuerst aus dem rechten Lautsprecher kam, nun aus dem linken erklingt und umgekehrt. Die Verlängerung von Dauer durch Wiederholung bis ins potentiell Unendliche spielt in „Equal Time“ keine Rolle. Vielmehr ist die Werkstruktur durch den Seitenwechsel geprägt. Da beide Punktraster im Gegensatz zu den vorgelesenen Texten identisch sind, kann grundsätzlich sowohl die oben beschriebene symmetrische wie auch eine chiastische Beziehung gesehen werden (Schaubild 3). Beide Male spricht Hill selbst, allerdings ist seine Stimme in leicht unterschiedlichen Tonlagen zu hören.3 Text A, der zu Beginn aus dem linken Lautsprecher zu hören ist, beschreibt einen glaubhaften Raum mit breiter, teilweise frisch gestrichener Fensterfront, in welchem sich einige Personen zu einer Art Stehempfang gruppieren. Während der Erzähler sie umkreist, schildert er die besondere Akustik, die aus einer architektonischen Besonderheit heraus den Schall 3
Vgl. George Quasha u. Charles Stein: An Art of Limina. Gary Hill’s Works and Writings. Barcelona 2009, S. 101.
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II. Symmetrische Formbildungen
der Straße verstärkt, während das Gemurmel der sich viel näher befindenden Menschen relativ leise bleibt. Deren Gespräch verstummt unversehens, als sie realisieren, dass auf Kleidung und Gesicht weiße Farbe klebt. Text B aus dem rechten Lautsprecher beschreibt unter Nennung detaillierter Maßangaben einen surrealen Raum, in welchem ein nicht weiter charakterisiertes Tier auf einem Klappstuhl hohe, außerhalb des menschlichen Hörbereichs liegende Signale aussendet. So lautet der Beginn: A voice spoke from the corner of the room. It was not a right angled corner. It was a wedgelike shape lit obtusely from a light bulb hanging on white zip cord inches above the floor. The cord extended to the ceiling where it was attached and guided by a set of screw eyes evenly placed diagonally from the center area of the ceiling to the opposite corner. From there it continued back down again and ended at a receptacle, level and eight feet of distance with the bulb.4
Die zwei terminologisch anspruchsvollen, dazu absurden und gegensätzlichen Texte bilden eine Art Klangteppich, dessen Lautstärke an- und abschwillt. Ein verständnis orientiertes Hören wird auf diese Weise fast unmöglich. Wenn sich die beiden Punktraster bei Minute 2:13 schließlich überlappen, tönen beide Stimmen für die Dauer von 18 Sekunden synchron: I left the room exiting to a hallway. It was long enough to form an extreme perspective looking in either direction with doors to other rooms on both sides. I crossed the hall and entered the room opposite me.5
Was beschrieben wird, nämlich das Durchschreiten eines Korridors und das Eintreten in einen gegenüberliegenden Raum, bildet nicht nur eine Metapher für das Geschehen auf der visuellen Ebene. Denn auch auf der akustischen Ebene findet eine Wiederholung am gegenüberliegenden Ort statt. Schon George Quasha und Charles Stein legten einen Bezug zu zeitgleichen Untersuchungen des Bewusstseins nahe, insbesondere den Chiasmus des menschlichen Perzeptionsvorgangs.6 Dem Modell zufolge werden Stimuli, die durch Sinnesorgane der linken Körperhälfte aufgenommen werden – linkes Auge, linkes Ohr –, von der rechten Hälfte des zweigeteilten Großhirns, genauer gesagt des dortigen Cortexes, in Infor4 5 6
Gary Hill: [Transkript der in „Equal Time“ gesprochenen Texte]. In: Broeker 2002, S. 81. Ebd., S. 81f. Vgl. Quasha u. Stein 2009, S. 110. – Das nachhaltige Interesse Hills für den Chiasmus des menschlichen Gehirns zeigt sich an der Gestaltung der Website des Künstlers, die links die Worte „Right brain“ und rechts „Left brain“ aufweist. Vgl. Gary Hill: URL: http://www.garyhill.com/ (Stand: 5.7.2017).
1. DAS HEMISPHÄRENTEILUNGSSCHEMA
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mation umgewandelt und umgekehrt. Da die beiden verschieden aufgebauten und spezialisierten Gehirnhemisphären durch einen dicken Nervenbalken verbunden sind, können die Informationen zwischen beiden Seiten ausgetauscht werden. So können über den Scheitellappen der rechten Hälfte wohl räumliche Beziehungen und Muster besonders gut eingeordnet werden, während der Scheitellappen der linken die Verarbeitung sprachlicher oder logischer Probleme übernimmt. Man spricht diesbezüglich auch von der Asymmetrie der beiden Hemisphären oder von zerebraler Dominanz (Schaubild 4).7 Wie Friedemann Malsch konstatierte, scheint bei Hills Videoarbeiten die näherungsweise Wiederinstandsetzung einer angeblich im Zuge des menschlichen Zivilisationsprozesses verloren gegangenen, ursprünglich jedoch gültigen körperlich-sensorischen Einheit ein durchgängiges Thema zu sein.8 Diese These lässt sich mit Blick auf den Titel der Arbeit verfestigen. Denn dieser ist auf die „Equal Time Rule“ beziehbar, also die im „Communications Act of 1934“ unter Präsident Franklin Roosevelt festgelegte und seither in den USA gültige Vorschrift, dass zur Sicherung der Wettbewerbsgleichheit der Parteien während des Wahlkampfs alle offiziell aufgestellten Kandidaten die gleiche Menge und Qualität an Sendezeit durch einen Sender zur Verfügung gestellt bekommen. Die Idee der Gleichberechtigung lässt sich für Hills „Equal Time“ möglicherweise auf die Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn übertragen, wenn man einen bestimmten zeitgleichen Diskurs aus dem Bereich der Psychologie berücksichtigt. So verbreitete Robert Evans Ornstein in seinem populärwissenschaftlichen Buch „The Psychology of Consciousness“ (1972) die – bis heute unbestätigte – Auffassung, dass die Ausprägung der Hirnhälften durch Training verstärkt oder abgeschwächt werden könne. Die Lebensweise westlicher Gesellschaften begünstige eine Dominanz der linken Hemisphäre und damit verbunden logisches Denken sowie eine lineare Vorstellung von Zeit. Gesellschaften, die durch östliche religiöse Praktiken geprägt seien, bildeten intuitives und ganzheitliches Denken sowie atemporal angelegtes Empfinden aus, also Weltwahrnehmungen, die primär durch die rechte Hemisphäre erzeugt würden: [...] analysis in time is essential to the dominant mode in which consciousness is constructed in modern cultures; a ,patterned whole‘ (or gestalt) and a total present-centeredness is like-
7
8
Vgl. Philip P. Zimbardo: Psychologie. 5. neu v. Barbara Keller übers. u. v. Siegfried Hoppe-Graff u. Barbara Keller neu hg. u. überarb. Aufl. Augsburg 1992, S. 202 u. S. 205f. – Zur Geschichte des Hemisphärenteilungsschemas vgl. Karl Clausberg: Neuronale Kunstgeschichte. Selbstdarstellung als Gestaltungsprinzip (= Ästhetik und Naturwissenschaften). Wien, New York 1999, S. 84–89. Vgl. Friedemann Malsch: Von der Präsenz des Körpers im Videographischen Werk Gary Hills. In: Theodora Vischer (Hg.): Gary Hill. Arbeit am Video. Kat. Ausst. Basel (Museum für Gegenwartskunst) 1994/1995. Ostfildern 1995, S. 71–81, hier S. 77–81.
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II. Symmetrische Formbildungen
Schaubild 4: Vereinfachte Illustration der Verarbeitung visueller Wahrnehmung in den beiden Gehirnhälften eines Split-Brain-Patienten bei Robert E. Ornstein (1972).
wise essential to the way in which Sufi do, in classic practice, the Zen monk constructs his consciousness and seems to be a dominant mode of the Trobirand Islands and the Hopi Indians of the Southwest.9
Insbesondere komplexe und diffuse Information könne durch den rechten Cortex besser verarbeitet werden. Als Beispiel nennt Ornstein die Aufgabe, sich im Raum zu orientieren, was die Verarbeitung visueller, motorischer und kinästhetischer Informationen erfordere.10 9 10
Robert E. Ornstein: The Psychology of Conscience. New York u. a. 1972, S. 112. Vgl. ebd., S. 100 f.
1. DAS HEMISPHÄRENTEILUNGSSCHEMA
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Da der Mensch über kein bestimmtes Organ verfüge, welches Zeit seismographisch registriere, sondern das Empfinden von Dauer ein aktiver Konstruktionsprozess sei, sei die gängige Vorstellung von Zeit als einem linearen Fluss logisch aufeinanderfolgender Ereignisse hinterfragbar. Wenn Ornstein dabei auf die Hopi-Indianer verwies, so bezog er sich auf Whorfs „Language, Mind, and Reality“ und dessen These, dass die Mitglieder dieses Stamms keine lineare Auffassung von Zeit hätten.11 Ornstein spekulierte, dass deren rechte Hirnhälfte die aktivere sein müsse. Mit Rekurs auf Wahrnehmungsveränderungen unter Drogeneinwirkung argumentierte er weiterhin, dass sich das Zeitempfinden unter Einfluss von Marihuana dehne; stärkere Drogen wie LSD erzeugten gar eine Erfahrung von unendlicher Gegenwart. Eine solche Erfahrung von Zeitlosigkeit könne nur unzureichend in Worte gefasst werden. Denn das sprachlich lineare Denken der linken Hirnhälfte verhalte sich zur ganzheitlichen Wahrnehmung der rechten ja gerade in entgegengesetzter und ausschließender Weise.12 Grundsätzlich unterliegt Ornsteins Abhandlung die Vorstellung, dass menschliche Perzeption reduktiv sei.13 Im Umkehrschluss folgt daraus, dass nur durch Aktivierung beider Gehirnhälften das wahrhafte Wesen von Zeit erkannt werden könne. Seit den frühen 1970er Jahren beschäftigte sich Hill mit der Frage, wie Muster und Bilder zu einer Einheit zusammengeschweißt werden können. Dabei, so sagte er, seien ihm nicht nur die Drogenkultur, das Surfen und Skateboarding wichtige Impulsgeber gewesen, sondern vor allem die Musik eines Riley, Young und Alvin Lucier. Deren Prinzipien der zeitlichen Strukturierung von Klängen schätzt er als wichtiger für sein Werk ein als damalige Entwicklungen im Film.14 Allerdings traf Hill um 1979/1980 Filmemacher und Videokünstler wie Woody und Steina Vasulka, Paul Sharits und Hollis Frampton. Bei allen dreien spielt die Verbindung von Bild und Ton eine gewisse Rolle sowie die Frage nach dem Zusammenhang von Apparat und Kognition. Das vierminütige Video „The Matter“ (1974, Abb. 46) von Woody Vasulka lässt im Hinblick auf Machart und Motiv einen möglichen Bezug zu Hills „Equal Time“ erkennen. Der Künstler verwendete bereits seit 1973 den Rutt/Ettra-Scanprozessor, von dem er sagte, dass sich durch ihn seine Auffassung von Video verändert habe. Dieses Medium verstand er zunehmend als ein aus elektromagnetischen Wellen bestehendes, zeitbasiertes energetisches Objekt („time/energy object“).15 Mit dessen „Substanz“ setzte 11 12 13 14 15
Zu Whorf vgl. S. 130f. Vgl. Ornstein1972, S. 108. – In seinem Schlusswort warnte der Autor geradezu davor, die Analyse eines zweiten Bewusstseinsmodus’ ausschließlich auf intellektuelle Weise begreifen zu wollen. Vgl. ebd., S. 234. Er bezog sich hierbei auf Aldous Huxley. Vgl. ebd., S. 44f. Vgl. Stephen Sarrazin: A Discussion with Gary Hill (EA 1992). In: Robert C. Morgan (Hg.): Gary Hill (= A PAJ Book, Art + Performance). Baltimore 2000, S. 206–223, hier S. 210 u. S. 212f. Die hier zitierte Passage ist von Vasulka allein abgefasst. Vgl. Woody Vasulka u. Scott Nygren: Didactic Video: Organizational Models of the Electronic Image (EA 1975). In: Vasulka u. Weibel 2008, S. 400–409, S. 403. – Vgl. Woody Vasulka: Five Lectures (1976). In: Ebd., S. 411–419, hier S. 411f.
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II. Symmetrische Formbildungen
er sich in „The Matter“ auseinander. Darin hebt sich von einem violett-blau gesättigten Hintergrund ein grau hinterlegtes, weißes Punktraster ab, das mit Hilfe des Scanprozessors erzeugt wurde. Es ähnelt dem bei Hill gesehenen Muster mit der Einschränkung, dass es auf einer schmalen grauen Platte in perspektivischer Verkürzung zentral im Bild liegt. Nach den ersten zwölf Sekunden beginnt sich diese Platte – und mit ihr das Punktraster – in die Form einer Sinuswelle mit je zwei Tälern und Kämmen zu biegen und auf gleichbleibender Höhe zu schlängeln. Nach weiteren 13 Sekunden geht die Formation in ihre Anfangsposition zurück und beginnt nach einem kurzen Innehalten wieder Wellenbewegungen hervorzubringen, deren Amplituden diesmal jedoch dreieckig ausgebildet sind, später dann viereckig und so weiter. In drei verschieden langen Abschnitten, die durch circa fünf Sekunden lange Pausen mit monochrom blauem Bildschirm unterbrochen sind, nimmt die Variationsbreite und Komplexität der Wellenbewegungen zu, bis zuletzt gezielt eingesetzte Helligkeitswerte die Illusion von Räumlichkeit weiter verstärken. Begleitet wird die Bildausgabe durch Sinustöne, die der jeweils dargestellten Welle in Modulation und Tonhöhe zu entsprechen scheinen.16 Bei Vasulka, deutlicher aber noch bei Hill, reflektiert das Motiv des Punktrasters auf die Medialität des Werks, da es gewissermaßen die Facettierung der Mattscheibe abbildet.17 Im Anschluss an diese Beobachtung wäre zu fragen, ob auch „Equal Time“ die Auseinandersetzung mit Ton und Bild als elektromagnetischen Schwingungen unterliegt. Im Rahmen von Interviews mit Hill, die 1992 am Centre Georges Pompidou geführt und 2000 in einer vom Künstler überarbeiteten Form veröffentlicht wurden, reflektierte dieser über die Eigenschaft gesprochener Sprache, die nicht nur fiktive Räume evozieren könne, sondern durch Körpereinsatz auch den Zeitverlauf physikalisch kenntlich mache. Die Gespräche scheinen vor allem auf eine Erhellung der in der dortigen Medienkunst-Sammlung vertretenen Werke des Künstlers abzuzielen, darunter auch „Equal Time“. Hill erklärte: Vocalization was a way to physically mark the time with the body through utterance – the speaking voice acting as a kind of motor generating images. This really puts one inside the time of speaking. Every syllable is tied to an image; suddenly words seemed quite spatial and the viewer becomes conscious of a single word’s time.18
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Dem unterliegt die Vorstellung, dass das elektronische Signal beides erzeugen kann, sowohl Bild als auch Ton. Vgl. Stephen Sarrazin: Surfing the Medium (EA 1992). In: Robert C. Morgan (Hg.): Gary Hill. Baltimore 2000, S. 62–90, hier S. 64. Vgl. zum Raster in der Malerei: Krauss (EA 1981) 1985, S. 161. Inter-View (1992). In: Morgan 2000, S. 290–298, hier S. 291. – Es handelt sich hier um Ausschnitte aus Interviews, die mit Hill am Centre Georges Pompidou geführt und nachträglich von diesem überarbeitet wurden.
1. DAS HEMISPHÄRENTEILUNGSSCHEMA
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In diesem Zitat mischen sich sprunghaft mehrere Vorstellungen: Erstens die Auffassung vom Sprechakt als einer Art Lackmus, das der schwer greifbaren Zeit einen Ausdruck gibt. Zweitens die semiotische Unterteilung des sprachlichen Zeichens nach Ferdinand de Saussure in Signifikant und Signifikat. Über die sprachlich evozierten Vorstellungsbilder solle der Hörer Zugang zur zeitlichen Dimension bekommen. Um zu verstehen, was drittens mit „in die Zeit hineintreten“ gemeint sein soll, ist ein Blick auf den an späterer Stelle im Interview genannten Komponisten Young aufschlussreich. Hill habe sich besonders von dessen Vorstellung angesprochen gefühlt, sich „in“ einem Ton zu befinden und das Stimmen als eine Funktion der Zeit zu begreifen: The composer La Monte Young speaks of getting inside a sound; that tuning is ultimately a function of time (very long times). He seems to be saying that music/sound is not a dead object in the air but rather vibrations moving through the air and that one must continually listen and tune. It’s interesting to think about an analogous relationship with language; as a processual continuum that ,tunes‘ the world.19
Töne, seien sie nun musikalischer oder verbalsprachlicher Art, bestünden aus Wellen, die Stimmungen erzeugten, in die es sich also einzuhören gelte. Young wurde insbesondere durch seine „Drone Music“ sowie den reduzierten Einsatz von einzelnen Tönen oder Akkorden bekannt. Letztere werden, mitunter auch durch Rückkoppelungen, extrem lange gehalten und evozieren unterschiedliche psychoakustische Effekte. In der Literatur ist vor allem von einer Wahrnehmungssensibilisierung für selbst geringe Tonschwankungen die Rede.20 Der Musiker formulierte in einem 1965 in „Tulane Drama Review“ abgedruckten Text: When the sounds are very long [...], it can be easier to get inside of them. Sometimes when I was making a long sound, I began to notice that I was looking at the dancers and the room from the sound instead of hearing the sound from some position in the room. I began to feel the parts and motions of the sound more, and I began to see how each sound was its own world and that this world was only similar to our world in that we experienced it through our own bodies, that is, in our own terms.21
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20 21
Ebd., S. 292. – An anderer Stelle sprach er ebenfalls davon, dass zwei Vorstellungen von Young für ihn leitgebend gewesen seien: „One of them is the idea of being inside a sound. I think this comes across in my relation to physicality. [...] The other idea is [...] that tuning is a function of time.“ Louis-José Lestocart: Surfing the Medium, Interview (EA 1996). In: Morgan 2000, S. 232–239, hier S. 232. Vgl. Jeremy Grimshaw: Draw a Straight Line and Follow It. The Music and Mysticism of La Monte Young. New York 2011, S. 49f. La Monte Young: Lecture 1960. In: Tulane Drama Review 10/2 (1965), S. 73–83, hier S. 81.
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II. Symmetrische Formbildungen
Young beschrieb hier eine Veränderung der Wahrnehmung, die die übliche Priorisierung des Raums gegenüber dem Zeitlichen umzukehren scheint. Die Äquivalenz von räumlicher und zeitlicher Wahrnehmung beziehungsweise die Möglichkeit eines perspektivischen Wechsels begründete er dabei mit der Mittelbarkeit von Wahrnehmung, die immer über den Körper erfolge. Üblicherweise verorte sich das hörende und sehende Subjekt an einer bestimmten Position im Raum und blicke von dort aus auf Geschehnisse oder nehme Klänge aus der Umgebung auf. Das Hören lang gehaltener Töne jedoch könne bewirken, dass der Zuhörer den Klang zu seinem Ort mache und von dort aus den Raum und seine Teile wahrnehmen könne. Wenn Hill in seinem Quasi-Testaufbau „Equal Time“ visuelle und akustische Interferenzen provoziert, so scheint er damit auf einer ästhetischen Ebene die Möglichkeit zu überprüfen, hinter die Alltagswahrnehmung von Raum und Zeit zurückzugehen und deren Wirklichkeit möglichst direkt zu erfassen. Unabhängig von solchen Implikationen besitzt die streng symmetrische beziehungsweise chiastische Form der Arbeit aber auch einen eigenständigen Wert. Im Zeithorizont von Hills „Equal Time“ wird die lineare Zeitauffassung auch von anderen Videokünstlern in Frage gestellt. Um diesen Aspekt zu untermauern, soll ergänzend eine frühe Arbeit von Viola besprochen werden. „Ancient of Days“ (1979–1981, Abb. 47) ist das erste Video des Künstlers, das während seiner Dauer von 12:21 Minuten programmatisch Manipulationsmöglichkeiten bei der Wiedergabe zeitlicher Vorgänge durchdekliniert und dabei Zeitthemen berührt, die sich durch sein weiteres Werk ziehen. Nach einem kurzen Vorspann folgen sechs unterschiedlich lange Episoden, die Experimente mit der Abspielrichtung des Videobands, der mechanischen Rotation der Kamera, Überblendungen und der gleichzeitigen Montage verschiedener Videoaufnahmen beinhalten. Viola entlieh den Titel seines Videos einer Radierung William Blakes, die 1794 als Frontispiz für dessen Album „Europe“ Verwendung fand und zu seinen persönlichsten Bildschöpfungen zählte, soll er doch ein Exemplar des Druckes auf seinem Sterbebett 1824 koloriert haben. In der Privatmythologie des romantischen Künstlers formte der mit „Ancient of Days“ identifizierte Urizen einen Zirkel aus Gold und maß damit die Unendlichkeit des Universums aus.22 Spricht man „Urizen“ langsam aus, kann man „your reason“ heraushören. Dieses Unwesen verkörperte für Blake das rationalistische und materialistische Prinzip.23 Die durch sein Ausmessen der Welt hervorgegangenen 22
23
Torcellis Angabe, Violas Video beziehe sich auf eine Radierung William Blakes, die die Zeit als männliche Personifikation mit dem Attribut eines Kompasses, mit dem die Welt vermessen werde, zeige, bedarf hier der Korrektur. Vgl. Torcelli 1996, S. 223. Vgl. Martin Butlin: The Paintings and Drawings of William Blake. 2. Bde. Bd. 1: Text. New Haven, London 1981, Kat.Nr. 268–271, S. 147–149. – Vgl. Robin Hamlyn u. Michael R. Phillips (Hgg.): William Blake. Kat. Ausst. London (Tate Britain) 2000/2001. London 2000, Kat.-Nr. 297, S. 256.
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Gesetze sollten die Imaginationskraft unterdrücken.24 In einer 1980 verfassten Notiz zu „Ancient of Days“ schrieb Viola: Breaking out of the landscape…breaking out of the logical shot order…breaking out of the sweeping pans… Reality is not logical, our perception is not logical, our conception of it is. Reality is openended, our mental set imposes structure, order, connections.25
Wie bei der Besprechung von Hills „Equal Time“ wird hier eine Position deutlich, die sich gegen das logische Denken richtet, also das, was Ornstein der dominanten linken Gehirnhemisphäre zugeschrieben hatte. Die formalen Konventionen von Bildmontage oder Kameraführung wurden von Viola demgemäß für gering geachtet beziehungsweise gegen ihre realistische Absicht gewendet. Violas als auch Hills Bestreben wird vor dem Hintergrund der Gegenkultur der 1970er Jahre verständlich. Drogenexperimente zur Erweiterung des Bewusstseins und Kritik am herrschenden politischen System vereinten sich damals mit Utopien zu einer liberaleren Gesellschaft. In diesem Zusammenhang ist auch die allgemein starke Rezeption Blakes zu sehen. So stellte beispielsweise Aldous Huxley seinem Buch „Doors of Perception“ (1954), das Ende der 1970er Jahre mehrfach aufgelegt wurde, ein Zitat Blakes voran: „If the doors of perception were cleansed everything would appear to man as it is, infinite.“26 Huxley schilderte darin einen Selbsttest mit Meskalin und die dadurch ausgelöste Veränderung seiner Wahrnehmung von Raum und Zeit. Ein Gefühl der universalen Verbundenheit habe sich eingestellt.27 The suggestion is that the function of the brain and nervous system and sense organs is in the main eliminative and not productive. Each person is at each moment capable of remembering all that has ever happened to him and of perceiving everything that is happening everywhere in the universe.28 24
25 26
27 28
Vgl. Butlin 1981, Kat.-Nr. 271, S. 147–149. – In „Newton“ (1805) verarbeitete Blake ein ähnliches Motiv. Ein von der Seite aus gesehener nackter Mann scheint auf einem am Boden vor ihm liegenden Blatt Papier mit Hilfe des Zirkels geometrische Berechnungen anzustellen. Eine Identifikation Newtons mit Urizen liegt nahe, zumal das Frontispiz der durch Andrew Motte verfassten, englischsprachigen Übersetzung der „Philosophiae Naturalis. Principia Mathematica“ (1729) Analogien zu „Ancient of Days“ aufweist. Dort ist der Naturwissenschaftler im Himmel thronend abgebildet. Neben ihm steht die Personifikation der Wahrheit, die einen Zirkel in der Hand hält. Vgl. Hamlyn u. Phillips 2000, S. 212. Bill Viola: Note, 1980. In: Ders.: Reasons for Knocking at an Empty House. Writings 1973–1994. Hg. v. Robert Vio lette. London 1995, S. 78. Aldous Huxley: The Doors of Perception. 5. Aufl. London u. a. 1980. – Der 1954 publizierte Text wurde 1960 zusammen mit „Heaven und Hell“ (1956) in einem Band herausgegeben und Ende der 1970er Jahre mehrfach aufgelegt, so 1977, 1978, 1979 u. 1980. Vgl. ebd., S. 18f. Ebd., S. 19.
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II. Symmetrische Formbildungen
Huxley verband sein Plädoyer für die Verwendung von Meskalin mit einem utopischen Anspruch: Egoismus und Engstirnigkeit würden zumindest zeitweise überwunden.29 Er beklagte, dass weder Philosophen, Theologen oder Pädagogen bisher das bewusstseinserweiternde Potential der Droge genutzt hätten.30 Auch Ornstein bezog sich in seinem Buch „The Psychology of Consciousness“ auf die damals einflussreichen Thesen Huxleys. Es ging Viola zwar nicht um die Separierung und Überlagerung verschiedener Sinnesreize, wie es bei Hill der Fall war. Allerdings belegt ein am 4. April 1997 in das Notizbuch gezeichnetes Schema, das wie bei Ornstein den unterbrochenen Chiasmus der beiden Hirnhälften zeigt, auch Violas Auseinandersetzung mit menschlicher Wahrnehmungsverarbeitung (Abb. 48). Die Skizze findet sich bei einem längeren Zitat, das Viola aus Hazrat Inayat Khans „Cosmic Language“ (1937)31, in dem Ansprachen des Sufi- Mystikers an dessen Schüler veröffentlicht wurden, entnahm. Viola fasste daraus Ausführungen über drei menschliche Wahrnehmungsweisen zusammen: die oberflächliche Denkart des Verstands, das tiefere Gefühl des Herzens und die Intuition am tiefsten Punkt des Herzens, die auch die Sprache der Seele sei.32 So bestätigt sich hier abschließend noch einmal die damals in bestimmten Kreisen offenbar geläufige Ableitung esoterischer Folgerungen aus dem Hemisphärenteilungsschema.
2. RÜCKLÄUFIGE FIGUREN PALINDROM
Segmentierung und Neukombination sind formale Mittel, derer sich Hill häufiger bediente. Auch linguistische Aspekte spielten wiederholt eine Rolle. Im Folgenden sei mit „Why do Things Get in a Muddle? (Come On Petunia)“ (1984, Abb. 49) ein Video untersucht, für welches der Künstler erstmals in seinem Schaffen ein Skript verwendete und mit Schauspielern zusammenarbeitete. Wie bei „Equal Time“ liegt auch hier eine Art von struktureller Symmetrie vor. Anstelle zweier ineinander verschränkter Bewegungs- und Texteinheiten kehrte Hill diesmal die Abspielrichtung der Aufnahme um. Das Video entstand zwischen zwei Aufenthalten in Japan, wo der Künstler auf das Palindrom (griech. „palindromos“, wieder zurücklaufen) aufmerksam wurde.33 Solche als 29 30 31 32 33
Vgl. ebd., S. 52–54. Vgl. ebd., S. 61. Vgl. Hazrat Inayat Khan: Cosmic Language. Deventer 1937. Vgl. Viola 1995, S. 22–25. Vgl. Lestocart (EA 1996) 2000, S. 237.
2. Rückläufige Figuren
151
„strikt sequenziell rückläufig definierte[n] Permutation[en]“34 bilden Überlagerungen und Umkehrungen zugleich, da die identische Buchstabenabfolge bei entgegengesetzter Leserichtung wieder ein Wort erzeugt – das im Idealfall gleich lautet. Der Titel seines Videos „URA-ARU“ (1985/1986), auf das hier nicht näher eingegangen werden soll, liefert ein Beispiel für ein selbstreflexives Palindrom: „URA“ bedeutet im Japanischen „Rückseite/umgedrehte Seite“ beziehungsweise „versteckte Bedeutung“, „ARU“ heißt „es gibt/da ist“. Zusammengenommen ergibt dies die Botschaft „es gibt eine Rückseite/umgekehrte Seite“ beziehungsweise „es gibt eine versteckte Bedeutung“.35 In ihrer literaturtheoretisch ausgerichteten Habilitationsschrift wies Erika Greber dem Palindrom als einer besonderen Unterform des Anagramms (griech. „anagrammatizein“, Buchstaben umstellen) drei Funktionen zu: Erstens handele es sich um ein textgenerierendes Verfahren auf der Basis eines begrenzten Buchstabenrepertoires, zweitens um eine kryptographische Technik zum Verbergen eines Worts, häufig eines Namens, und drittens erzeuge es eine latente, dem Text bewusst oder unbewusst eingeschriebene zweite Wortschicht.36 Anagramme können als formale Wortspiele über die von Greber genannten Aspekte hinaus auch die Arbitrarität der Zeichen – genauer gesagt, der Verbindung von Lautbild und Vorstellungsbild – im Sinne de Saussures und damit die Relativität von sprachlich generierter Bedeutung thematisieren.37 Lars Blunck arbeitete diesen Aspekt anhand eines in der Geschichte des experimentellen Films besonders bekannten Anagramms heraus. Gemeint ist Marcel Duchamps „Anémic Cinéma“ (1926), dessen Titel beinahe ein idealtypisches Palindrom ist.38 Nach Greber sollen sich Palindrome als Denkfiguren für zeitliche Umkehrbarkeit anbieten. Als poetische Form seien sie mit der Angst vor und dem starken Wunsch nach Veränderung assoziiert und kämen insbesondere in Umbruchzeiten vor, was die Autorin an einem gehäuften Vorkommen von Palindromen im deutschen, russischen und südslawischen Raum um 1989 festmachte. Die Satz- oder Wortfiguren verwirklichten auf einer symbolischen Ebene die Reversion historischer Abläufe.39 Wenngleich generalisierenden Aussagen solcher Art mit Vorsicht zu begegnen ist, lassen sich Grebers 34
35 36 37
38 39
Erika Greber: Textile Texte. Poetologische Metaphorik und Literaturtheorie. Studien zur Tradition des Wortgeflechts und der Kombinatorik (= Pictura et Poesis 9). Köln, Weimar, Wien 2002, zugl. Phil. Habil. Univ. Konstanz 1994, S. 181. Vgl. Gary Hill: URA-ARU. The Acoustic Palindrome (EA 1985) in: Morgan 2000, S. 282–286, hier S. 282. Vgl. Greber 2002, S. 170. Vgl. Ferdinand de Saussure: Grundlagen der Allgemeinen Sprachwissenschaft (EA 1916). Hg. v. Charles Bally u. Albert Sechehaye. Übers. aus dem Franz. v. Herman Lommel, 2. Aufl. mit neuem Reg. und einem Nachw. v. Peter v. Polenz, Berlin 1967, S. 79. Um die strenge Definition zu erfüllen, müssten die Buchstaben „m“ und „n“ in einem der beiden Titelworte vertauscht werden. Zu „Anémic Cinéma“ vgl. Blunck 2007, S. 248 u. S. 269–271. Vgl. Greber 2002, S. 182.
152
II. Symmetrische Formbildungen
Beobachtungen wenigstens für „Why do Things Get in a Muddle? (Come On Petunia)“, einem Palindrom, das zwar vorwärts und rückwärts abgespielt nicht gleich klingt, aber eben mit dem Mittel der Umkehrung arbeitet, bestätigen. Hill verarbeitete in seinem Video einen Dialog mit dem Titel „Why Do Things Get in a Muddle?“ aus Gregory Batesons „Steps to an Ecology of Mind“ (1972). Die scheinbar naiven Fragen einer Tochter an ihren Vater – die Tochter wird von Hills Ehefrau Kathy Anastasia, der Vater von dem Dichter und Performancekünstler Charles Stein verkörpert – behandeln vordergründig das alltägliche Aufräumen und Ordnen des Haushalts, tatsächlich aber wird damit der Begriff der Entropie, der die Unumkehrbarkeit aller Vorgänge impliziert, untersucht. Bateson selbst bezeichnete seine in „Steps to an Ecology of Mind“ veröffentlichten, fiktiven Gespräche als „Metaloge“, da sie einen übergeordneten Diskurs über Sprache und Semantik entfalten sollen. In „Why do Things Get in a Muddle? (Come On Petunia)“ ließ Hill die Schauspieler etwa zwei Drittel des Texts rückwärts sprechen. Das fertige Band schließlich wird in umgekehrter Richtung abgespielt, sodass das bei der Aufnahme Unverständliche verständlich wird. Der Wechsel der Abspielrichtung verrät sich insbesondere bei irreversiblen Vorgängen, wenn etwa der Rauch in die Pfeife des Vaters zurückströmt (Minute 13:30), sich ein Kreisel aufrichtet und an Fahrt gewinnt (Minute 20:55) oder Spielkarten aus der Luft geordnet in die Hände der Tochter fliegen (Minute 29:44). Die Deformierung von Sprache und Bewegungsabläufen wirkt zwar einerseits schmerzhaft. Andererseits liegt darin auch ein gewisser Witz. Denn in den 1970er und 1980er Jahren kursierten zu den verschiedensten Pop- und Rockliedern Gerüchte, dass beim Rückwärtsabspielen der Schallplatte versteckte Botschaften herauszuhören seien.40 Dies erinnert wiederum an die Verrätselungstechnik des Anagramms. Ab der fünften Minute, in der die Schauspieler Batesons Text aus „Why do Things Get in a Muddle?“41 zu rezitieren beginnen, ist die Seite einer Tageszeitung in Nahaufnahme eingeblendet, die dem Titel nach zu schließen den exponentiellen Anstieg der Weltbevölkerung und die damit verbundenen Probleme thematisiert: „The Malthusian Time Bomb Is Still Ticking.“ 1972 veröffentlichte der Club of Rome in „Die Grenzen des Wachstums“42 Ergebnisse einer Zusammenarbeit von 17 Wissenschaftlern am Massachusetts Institute of Technology, in die auch, damals neu, Computersimulationen 40
41 42
Ein Dokument der in den 1980ern geführten Diskussion über das sogenannte backward masking stellt die Erzählung von Michael Buschmann dar. Dieser wollte vor der Gefahr für die Psyche eindrücklich warnen. Vgl. Michael Buschmann: Rock im Rückwärtsgang. Manipulation durch „backward masking“. Asslar 1987. In den ersten fünf Minuten werden Passagen aus Lewis Carrolls „Through the Looking Glass“ (1871) rezitiert, insbesondere jene Stelle, an der die Protagonistin ihre Fähigkeit verliert, Dinge zu benennen. Vgl. Dennis Meadows (Hg.): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Übers. aus dem Amerikan. v. Hans-Dieter Heck, Stuttgart 1972.
2. Rückläufige Figuren
153
aufgenommen wurden. In der vielbeachteten Untersuchung wurde prognostiziert, wann es bei gleichbleibender Zunahme der Weltbevölkerung und damit einhergehenden Entwicklungen wie fortschreitender Industrialisierung, Umweltverschmutzung, Nahrungsmittelknappheit und Ausbeutung von Rohstoffen zu einem weltweiten Kollaps kommen müsste. Der insgesamt wachstumspessimistische „Bericht zur Lage der Menschheit“ enthielt dabei auch Konzepte für eine Abschwächung der Dynamik. Auf diesen öffentlichen Diskurs wird das Video deutlich bezogen, wobei die verkehrte Abspielrichtung, übernimmt man das Interpretationsmodell Grebers, eine Reversion im Gedanken, wenn nicht sogar in der politischen Tat für möglich erklärt. In „Why Do Things Get in a Muddle?“ lässt Bateson Vater und Tochter über die Frage diskutieren, warum Unordnung von selbst entstehe, wohingegen Ordnung mühsam hergestellt werden müsse. Zunächst legt der Vater dar, dass jeder Mensch unter dem Begriff „ordentlich“ etwas anderes verstehe, wobei „Ordnung“ die Position und Ausrichtung eines bestimmten Gegenstands meine. Dass Unordnung häufiger als Ordnung eintrete, sei schlichtweg darauf zurückzuführen, dass es viele Möglichkeiten gebe, Gegenstände so aufzustellen, dass diese Aufstellung als unordentlich bezeichnet würde. Die Zahl der möglichen räumlichen Positionen eines Gegenstands, die ordentlich genannt würden, sei hingegen sehr gering. Unordnung sei deshalb wahrscheinlicher als Ordnung. Zur Illustration ließ Bateson den Vater ein Beispiel anführen: Ein Glas sei mit Zucker und Sand gefüllt. Eine bestimmte Person bezeichne das Zueinander von beidem als ordentlich, wenn der Zucker oben liege und sich der Sand unten befinde. Werde nun beides mit dem Löffel umgerührt, entstehe eine Mischung. Diese werde nun als unordentlich empfunden. Vergleichbar ist das von Bateson gewählte Beispiel mit einer Passage aus Smithsons im Dezember 1967 in Artforum veröffentlichten Text „The Monuments of Passaic“, in dem dieser die durch Entropie bedingte Irreversibilität des Zeitstrahls thematisierte und zum Kino in Beziehung setzte.43 Ein Kind, das man unzählige Male im Uhrzeigersinn durch einen hälftig mit weißem und hälftig mit schwarzem Sand gefüllten Sandkasten laufen lasse, werde den Prozess der Durchmischung nicht rückgängig machen, indem es sich anschließend in entgegengesetzter Richtung bewege. Das Kino suggeriere, da man einen Film auch rückwärts laufen lassen könne, eine Umkehrbarkeit von Zeit und also Unsterblichkeit. Da das Filmmaterial jedoch altere, würden diese Vorstellungen als illusorisch entlarvt: I should now like to prove the irreversibility of eternity by using a jejune experiment for proving entropy. Picture in your mind’s eye the sand box divided in half with black sand on one 43
Hill rezipierte Smithsons Texte. Vgl. Sarrazin: Surfing the Medium (EA 1992) 2000, S. 76.
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II. Symmetrische Formbildungen
side and white sand on the other. We take a child and have him run hundreds of time clockwise in the box until the sand gets mixed and begins to turn grey; after that we have him run anti-clockwise, but the result will not be a restoration of the original division but a greater degree of greyness and an increase of entropy. Of course, if we filmed such an experiment we could prove the reversibility of eternity by showing the film backwards, but then sooner or later the film itself would crumble or get lost or enter the state of irreversibility. Somehow this suggests that the cinema offers an illusive or temporary escape from physical dissolution. The false immortality of the film gives the viewer an illusion of control over eternity—but ,the superstars‘ are fading.44
Bateson kam in seinem hier besprochenen Metalog ebenfalls auf die Möglichkeit zu sprechen, dass ein Film rückwärts abgespielt werden könne und sich damit eine unwahrscheinliche Ordnung wiederherstelle. Dabei nannte er einen bisweilen von Filmemachern gewählten Trick, den Titel zu präsentieren: Sometimes in the movies you will see a lot of letters of the alphabet all scattered over the screen, all higgledy-piggledy and some even upside down. And then something shakes the table so that the letters start to move, and then as the shaking goes on, the letters all come together to spell the title of the film.45
Die sich also aus der Vielzahl der Möglichkeiten ergebende Ausrichtung der Buchstaben falle in eine ganz und gar unwahrscheinliche Position, die für das Publikum Sinn ergebe – als Beispiel wird die Buchstabenreihe „DONALD“ aufgeführt. Auch Bateson betonte in der Figur des Vaters, dass sich im realen Leben ein solcher Zufall nie ereigne. Auf den Hinweis der Tochter, die Buchstaben könnten auch „OLD DAN“ ergeben, erwidert der Vater, dass dies nicht relevant sei, da die Filmemacher eben nur die Folge „DONALD“ wollten. Hier wird also die Subjektivität der Entscheidung hervorgehoben, die aus allen möglichen Buchstabenkombinationen eine auswählt. Diese als Kernaussage von Batesons Metalog verständliche Lehre repräsentierte Hill in einer Einstellung, in der die Tochter in einer Teetasse Blumenerde und Zucker mit dem Löffel umrührt (Minute 12:00–12:30). Er wies der Textstelle mit dem Buchstabentrick außerdem eine hervorgehobene Stellung in der Mitte des Videos zu: Die Kamera, die auf die Halbfigur des Vaters gerichtet ist, beginnt bei Minute 14:30 für die Dauer von insgesamt drei Minuten langsam gegen den Uhrzeigersinn zu rotieren, sodass das 44 45
Robert Smithson: The Monuments of Passaic. In: Artforum 6/4 (Dezember 1967), S. 48–51, hier S. 51. Gregory Bateson: Metaloque. Why Do Things Get in a Muddle? (1948). In: Ders.: Steps to an Ecology of Mind. Collected Essays in Anthropology, Psychiatry, Evolution, and Epistemology (EA 1972). Northvale, New Jersey, London 1987, S. 13–18, hier S. 15.
2. Rückläufige Figuren
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Schaubild 5: Zeitstruktur von Gary Hills „Why do Things Get in a Muddle?“ (1984).
Bild zeitweise gestürzt erscheint. Um Minute 16:00, als der Vater zu dem Trick kommt, wechselt das Video zweimal kurz die Richtung, sodass kurz die ursprüngliche, phonetisch rückwärts gesprochene Tonaufnahme zu hören ist. Davor und danach ist das zwar verzerrte, aber durch den Rücklauf verständliche Fragment „…that in the real world…“ zu hören, das schließlich fortfährt mit „…things never happen that way. It’s only in the movies“. Die auf den Betrachter quälend wirkende Rotation – die sich immerhin mit dem Ab- und Aufspulen des Videobands assoziieren lässt – dauert bis Minute 17:30 an. Das zeitliche Zentrum des Videos ist somit in zweimal 90 Sekunden Kreisbewegung der Kamera eingebettet (Schaubild 5). Am Schluss des Videos wendete Hill den im Metalog erklärten Buchstabentrick selbst an. Dazu ersetzte er das Beispiel „DONALD“ durch „COME ON PETUNIA“. Die Lettern in Weiß auf schwarzem Grund ordnen sich wie von Geisterhand bewegt neu zu „ONCE UPON A TIME“. Während die eine Zeile eine Aufforderung enthält, also Gegenwart und Zukunft impliziert, verweist die andere auf die mythische Vergangenheit, da die Formel „once upon a time“ standardmäßig die Erzählung eines Märchens einleitet. Entropie wird auch in Batesons Metalog „Why Do Things Have Outlines?“ verhandelt. Vater und Tochter sprechen nun am Beispiel der Krocketpartie in Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“ (1863) über das Thema Unordnung. Zwar wird dieser Text von Hill nicht übernommen, jedoch zitiert das Video in den Kostümen und der Ausstattung diverse Charaktere und Motive aus Carrolls bekannter Erzählung. So ist die Tochter wie Alice in den Buchillustrationen gekleidet, zwei eiförmige, je mit einem Gesicht versehene Holzskulpturen erinnern an die verrückten Zwillinge, Spielkarten tauchen im Buch wie im Video auf. Physikalische Ungereimtheiten werden in „Why do Things Get in a Muddle? (Come On Petunia)“ zum einen durch aufnahmetechnische Mittel, wie Kameraführung und Abspielrichtung, zum anderen durch einen frontal aufgenommenen trapezförmigen Guckkasten erzeugt („Ames’scher Raum“), der die Fähigkeit des
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II. Symmetrische Formbildungen
Auges unterläuft, wahrgenommene Größenverhältnisse und Entfernungen richtig zu korrelieren und die Tochter riesenhaft erscheinen lässt. Das Prinzip dieser Täuschungsapparatur findet sich schon bei Ornstein illustriert.46 Rückblickend bedauerte Hill, kein Aufnahmeteam und keine professionellere Ausrüstung für „Why do Things Get in a Muddle? (Come On Petunia)“ zur Verfügung gehabt zu haben. Die grundlegenden, auf Bateson basierenden Aussagen der Arbeit blieben seiner Ansicht nach jedoch gültig: Das Kollabieren von Bedeutung, die Idee der formalen Umkehrbarkeit, aber auch die Auseinandersetzung mit den Themen Entropie und Chaos.47 Aus Hills Video abzuleiten wäre, dass zwar Zeit nicht umgekehrt werden kann, sehr wohl aber die Reihe einer Abfolge, wodurch Sinn zerstört und in einer Bewegung neu geschaffen werden kann. Grebers allgemeine Deutung des Palindroms als symbolisch verwirklichte Revision ist mit Hills künstlerischem Konzept vereinbar. Es wiederholt sich dort – wie zuvor schon bei „Equal Time“ und „URA-ARU“ – die Strategie, den formalen Aufbau der Arbeit mit der Textaussage abzugleichen. KREBSGANG
Greber wies auf ein Synonym zu dem, wie zu sehen war, literaturtheoretischen und so von Hill aufgenommenen Begriff Palindrom hin.48 Ein Krebs oder Krebsgang bezeichnet ein Verfahren in der Musik, in dem eine Melodie vorwärts und rückwärts gespielt gleich erklingt. Sichtbar wird dies anhand der Notation, in der die Reihenfolge der Töne an einer vertikalen Achse gespiegelt erscheint.49 Bei der Beschreibung des entsprechenden Strukturmerkmals kann es mitunter darauf ankommen, zwischen Palindrom und Krebs doch zu unterscheiden, weil damit ein Wechsel des Bezugsrahmens für das betreffende Werk verbunden ist. Der bereits weiter oben mit einer geloopten Arbeit eingeführte Rodney Graham veröffentlichte auch zahlreiche Musikstücke. Auf der B-Seite seiner Schallplatte „Getting it 46 47 48
49
Vgl. Ornstein 1972, S. 59–61. Vgl. Sarrazin (EA 1992) 2000, S. 216. – Zur Thematisierung von Entropie in Hills Arbeit vgl. auch Quasha u. Stein 2009, S. 145–150. „Als Grundbegriff dient der Terminus Anagramm (von gr. anagrammatizein, Buchstaben umstellen): die Umstellung der einzelnen Buchstaben (beziehungsweise Laute und Lautfolgen) eines Worts, Namen oder einer Wortgruppe zu anderer Reihenfolge mit neuem Sinn (oder auch Unsinn). Die exakt rückläufige Form heißt Palindrom (gr. palindromos, rücklaufend) oder ‚Krebs‘ [...].“ Greber 2002, S. 169. Terminologisch unterschieden wird über den Krebs hinaus zwischen Umkehrung und Krebsumkehrung. Bei einer mit Bezug auf die Tonfolge horizontal angesetzten Achse wird das Thema in den höheren oder tieferen Bereich gespiegelt. In diesem Fall ist von Umkehrung die Rede. Kommen hingegen beide Achsen zum Einsatz, so handelt es sich um eine Krebsumkehrung, die gewissermaßen als eine punktsymmetrische Spiegelung gesehen werden kann. Für eine Definition des Krebsgangs vgl. Klaus-Jürgen Sachs: Art. „Krebsgang“. In: Hans Heinrich Eggebrecht (Hg.): Riemann Musik Lexikon. 5 Bde. Bd. 3: Sachteil. 12. neu bearb. Aufl. Mainz 1967, S. 496f.
2. Rückläufige Figuren
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Together in the Country“ (2000) experimentierte er mit der Form des Krebsgangs. Ausgangspunkt war dabei die Filmmusik zu der Liebesszene im Death Valley aus Michelangelo Antonionis Kinofilm „Zabriskie Point“ (1970/1971). Genauer stützte er sich auf Improvisationen, die Jerry Garcia, der Gitarrist und Sänger der Gruppe „Grateful Dead“, vor dem Rohschnitt der Szene aufgenommen hatte und aus denen die Filmmusik erst noch hervorgehen sollte. Vier dieser provisorischen Einspielungen wurden 1997 auf der von James Austin und Julie D’Angelo bei Turner Entertainment produzierten Doppel-CD „Zabriskie Point. Original Motion Picture Soundtrack“ erstmals veröffentlicht, und zwar auf der zweiten CD, welche vom Stellenwert her mit einer Schallplattenrückseite verglichen werden kann. Benannt wurden die Improvisationen einfach mit den Namen „Version 1“, „Version 2“ und so weiter. Die erste CD enthält dementsprechend die von Antonioni in den Film aufgenommenen Stücke.50 Grahams insgesamt fünf Titel der B-Seite nähern sich an Garcias schlicht und repetitiv gehaltene Einspielungen an. Die Melodie von „Four“ und „Five“ ist dabei gleich, jedoch weist „Four“ eine leicht verzerrte Akustik auf, die mit der von Hills „Why do Things Get in a Muddle? (Come On Petunia)“ vergleichbar ist. In der Tat handelt es sich um eine rückwärts abgespielte Aufnahme von „Five“, die leicht nachbearbeitet wurde. Eine stark formalisierte Variante von Rückläufigkeit findet sich in dem auf DVD übertragenen 35-mm-Film „How I Became a Ramblin’ Man“ (1999, Abb. 50), der im Cinemascope-Format aufgenommen wurde und auf Klischees des Hollywood-Westerns anspielt. In der Rolle des Einzelgängers reitet der Künstler auf einem Pferd durch die unkultivierte Landschaft, bis er am Ufer eines Flusses absteigt, um ein Lied zu singen, bei dem er sich selbst an der Gitarre begleitet. Danach zieht er wieder durch die gleiche Landschaft in umgekehrter Richtung davon. Die Abspielrichtung wurde in „How I Became a Ramblin’ Man“ nicht gewendet. Doch wiederholen sich die Einstellungen des Anfangs ab der Mitte des Films in umgekehrter Reihenfolge, sodass der Reiter denselben Weg zurück nimmt. Zwar könnte man hier von einem Anagramm oder Palindrom sprechen. Jedoch wäre aufgrund der musikalischen Komponente und des zeitspezifischen Werkkontexts – die Arbeit entstand im Jahr vor „Getting it Together in the Country“ – sowie aufgrund der gängigen Praxis, den Krebsgang mit der Wiederholungsfigur des Kanons zu verbinden, die Anwendung des musikwissenschaftlichen Terminus’ möglicherweise angebrachter. Die einzelnen Einstellungen werden dann im Sinne von einzelnen Noten als in sich geschlossene Einheiten behandelt. 50
Der finale Soundtrack zur Liebeszene besteht aus einem Zusammenschnitt einzelner Segmente der unterschiedlichen Improvisationen Garcias. Die Gesamtdauer der Montage gleicht sich dabei an den fertigen Schnitt an. Vgl. hierzu den Kommentar des Künstlers auf der Umschlaghüllenrückseite der folgenden Medienkombination: Susanne Gaensheimer u. Rodney Graham (Hg.): Rodney Graham. Getting it Together in the Country. Some Works with Sound Waves, Some Works with Light Waves and Some Other Experimental Works. Schallplatte mit Ausst. Kat. München (Kunstverein u. a.) in gemeinsamer Umschlaghülle. Köln 2000.
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II. Symmetrische Formbildungen
Während Hill von der Frage nach der Umkehrbarkeit von Vorgängen bewegt wurde und nach einer erweiterten Wahrnehmung von Zeit strebte, so stand bei Graham das Experiment mit der im Spielfilm üblichen Darstellung einer Hinbewegung auf einen Ort und der anschließenden Wegbewegung im Fokus des Interesses. Im Unterschied zu „Vexation Island“ wird der Loop dabei nicht durch eine entwicklungslose Erzählstruktur SAS geschlossen, sondern eher wie in Dohertys „Closure“ über eine mit filmischen Mitteln dargestellte Ortsbewegung, die der Protagonist regelmäßig wiederholt. Dass es bei Graham um die Thematisierung filmsprachlicher Mittel geht, wird beim Vergleich der fertigen Arbeit mit einer Seite aus dem ihm zugrunde liegenden Storyboard (Abb. 51) deutlich. So kann das Hingehen zu und das Weggehen von einem handlungsrelevanten Platz verdeutlicht werden, indem diesem eine Seite außerhalb des Kaders zugeordnet wird. Wird beispielsweise die rechte Seite als der Stadt zugewandt etabliert, so ist eine Bewegung des Protagonisten von rechts nach links in der Regel als Fortgang aus der Stadt zu verstehen (Kontinuitätsprinzip). Nach dem Storyboard zu „How I Became a Ramblin’ Man“ trug sich Graham mit dem Gedanken für eine Kamerafahrt, die möglicherweise aufgrund ihrer technisch aufwändigen Umsetzbarkeit aufgegeben wurde. Geplant war, die rechte Seite des Protagonisten vor dem Einritt in die Stadt rechts zu zeigen, ihn noch einmal über die Schulter zurück in die Landschaft schauen zu lassen, die Kamera in die Vogelperspektive zu fahren, sie dort um 180 Grad zu drehen, um schließlich in die linke Seitenansicht zu wechseln, die infolge des Kontinuitätsprinzips den Ausritt aus der Stadt bedeutet hätte – obwohl der Reiter das Pferd offensichtlich nie gewendet hätte. Graham entschied sich dann jedoch dafür, das Kontinuitätsprinzip durch Übertreibung zu thematisieren. So wird die Gesangsszene durch eine symmetrisch angelegte Folge von Einstellungen gerahmt (Schaubild 6). Die erste Einstellung, die zugleich die letzte ist, zeigt den Blick auf die verschattete Silhouette einer Gebirgskette im Abendrot (1). In der zweiten Einstellung geht der Blick so lange in ein Wiesental hinein, bis der Reiter vom Hintergrund in den Vordergrund und links aus dem Bild geritten ist (2). Ein vom rechten Bildrand angeschnittener Weidezaun dient der späteren Wiedererkennung (2ʼ). Das Wiederholungsprinzip wird einigermaßen konsequent durchgehalten. Eine Nahaufnahme auf eine gelbe Blume rahmt schließlich den Vortrag des Liedes ein (7, 7’). Nur zwischen die beiden letzten Einstellungen 2’ und 1’ ist eine Variante eingefügt, die in der ersten Hälfte keine Entsprechung findet (X). Für die Ästhetik des Films entscheidend ist, dass weder der Standpunkt der Kamera bei den sich wiederholenden Einstellungen vollkommen identisch ist noch ihre Dauer. Das zugrunde liegende Schema ist also kein strenges. Da der Schattenwurf in den kor-
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Schaubild 6: Folge der Einstellungen in Rodney Grahams „How I Became a Ramblin̕ Man“ (1999) mit der Gesangs szene als zeitlicher Symmetrieachse.
respondierenden Einstellungen jeweils gleich bleibt, ist nicht, wie in „Vexation Island“, der Ablauf eines Tags gemeint. Im Gegensatz zu den zuvor besprochenen Arbeiten ist „How I Became a Ramblin’ Man“ als Endlosschleife mit zweifach markierter Spiegelachse konzipiert. Als solche ist nicht allein die Gesangsszene, die aus einer Abfolge von Einstellungen besteht, sondern auch und im besonderen Maße die Einstellung mit der menschenleeren Gebirgsansicht zu bezeichnen. Aus diesem Grund kann die Hierarchie der Glieder auch umkehrt dargestellt werden (Schaubild 7).
Schaubild 7: Folge der Einstellungen in Rodney Grahams „How I Became a Ramblin̕ Man“ (1999) mit der singulären Einstellung 1 als Symmetrieachse.
Bedingt durch den Loop pendelt der Protagonist zwischen Rastplatz und Horizont, ohne an ein endgültiges Ziel zu kommen. Darüber hinaus sind beide Pole, die zugleich Symmetrieachsen sind, fiktional angereicherte Orte. So erscheint jener unter den Bäumen am Wasser als eine Art Locus amoenus.51 Folgt man Wolfgang Iser, so ist der buko51
Locus amoenus und Lagerungsmotiv prägen Vorstellung und Darstellung von Arkadien. Vgl. Petra Maisak: Arkadien. Genese und Typologie einer idyllischen Wunschwelt (= Europäische Hochschulschriften 28). Frankfurt am Main u. a.
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II. Symmetrische Formbildungen
lische Ort in der Nachfolge von Vergils 4. und 10. Ekloge als imaginäres „Reich der Dichtung“ interpretierbar, das sich außerhalb der Zeit befindet.52 Graham knüpfte in dieser Szene aber auch an die Geschichte des Kinofilms an, denn die heute aus der Mode gekommene, fast schon kitschig wirkende Figur des singenden Cowboys war bis zum Zweiten Weltkrieg sehr populär und wurde insbesondere durch den Schauspieler Gene Autry verkörpert.53 Der Illusionismus von Grahams idyllischer Welt weist jedoch Risse auf. So wird gerade bei den Nahaufnahmen auf das Gesicht des Sängers deutlich, dass die Mundbewegung nicht genau dem Gehörten entspricht. Außerdem spielt der Protagonist eine für heutige Maßstäbe schmale und kleine Gitarre, deren Bauweise auf das Ende des 19. Jahrhunderts hindeutet, während auf der Tonspur eine moderne Gitarre mit Stahlsaiten zu hören ist. Wie bei einem kommerziellen Musikclip ist das Stück im ansonsten überwiegend schallfreien Raum wiedergegeben – mit Ausnahme von zeitweisen Einspielungen von Vogelgezwitscher und Pferdeschnaufen. Die rund zwei Drittel des Films einnehmenden Naturszenen hingegen sind mit suggestiven Windgeräuschen, Wasserrauschen, Fluggeräuschen von Insekten, Vogelgezwitscher und Hufegeklapper unterlegt. Der deutliche Unterschied zwischen beiden Hörerlebnissen lässt die Künstlichkeit der Szene offenbar werden. Im Gegensatz zu der formalen Stringenz des Films wird der Text des Musikstücks von Motiven des ziellosen Umherwanderns durchzogen, das zu dem Mäandern der Sätze in Beziehung gesetzt werden kann. Als ein „Rambling Man“ kann dem entsprechend nicht nur ein Vagabund verstanden werden, sondern auch jemand, der vor sich hinmurmelt: I’ve been following this pal o’ mine, Through the canyons of my wasted time, Headed for the setting sun just shy of twenty one, City life just got me down. Seems I was an encumbrance on that God forsaken town, Figured it was time to start just wanderin’ around.
52 53
1981, S. 27. Vgl. Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt am Main 1993, S. 65f. u. S. 70f. Für eine ausführliche und fundierte Studie zum singenden Cowboy vgl.: Douglas B. Green: The Singing Cowboy. An American Dream. In: Paul Kingsbury (Hg.): The Country Reader. Twenty-five Years of the Journal of Country Music. Nashville 1996, S. 20–73.
2. Rückläufige Figuren
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Ever like a little cloud on high, I’ll be a drifter ’til the day that I die. As to his opinion of the sedentary life, My father once told me, ,When folks can bear the sight Of a solitary type, I’ll tell you how I came to be a ramblin’ man.‘ I’ll tell you how I came to be just a ramblin’ man.54
Bereits zu Beginn des Texts gerät die im Übermaß verschwendete Zeit metaphorisch zu einem landschaftlichen Raum, zur tiefen Schlucht, die das lyrische Ich durchreist. Unnütz ist seine Reise, da sie im Streunen weder produktiv noch zielgerichtet sein kann, genauso wenig, wie im Film die langatmig aneinandergereihten Einstellungen des Ritts mit einer Entwicklung des Charakters abgeschlossen werden. Das lyrische Ich folgt damit dem Vater nach, der eine Begründung seiner Lebensart an die Bedingung knüpfte, dass die Leute den Anblick eines Einzelgängers ertragen können müssten: „When folks can bear the sight / Of a solitary type, / I’ll tell you how I came to be / a ramblin’ man.“ Die Wiederholung der zweiten Satzhälfte erhält den Duktus eines Refrains und ist nicht als wörtliche Rede gekennzeichnet. Das intradiegetisch ausgesprochene Versprechen wird damit zu einer Ankündigung des lyrischen Ichs an den Zuhörer, die Ursache für seine Wanderschaft offenzulegen. Da der Satz aber das Lied beendet, bleibt das Rätsel ungelöst. Das Gebirgsmotiv erinnert an sentimentale Schlusseinstellungen von Western, in denen der Held in den Sonnenuntergang reitet. Das Stereotyp veranschaulicht nicht nur die Bindungslosigkeit der Figur, sondern bereitet auch ein Folgeabenteuer vor. Aufgrund ihrer starken Farbigkeit, der niedrig gesetzten Horizontlinie und dem Cinema scopeformat ähnelt die Einstellung auffallend einer seit 1967 mehrfach ausgearbeiteten Bildfindung Ed Ruschas, bei der der Künstler von dem in Los Angeles am Hügel angebrachten Schriftzug „Hollywood“ ausging und ihn in extremer perspektivischer Verkürzung vor eine niedrig ins Bild gelegte Bergsilhouette mit imposantem Sonnenuntergang setzte. In der späteren Version „The Back of Hollywood“ (1977) – angelegt ist diese Bildfindung ebenfalls schon 1968 – sind die Buchstaben in schwarzer Farbe und
54
Christopher Keller u. Kathy Slade (Hgg.): The Rodney Graham Songbook. All of the Words, Most of the Chords to 39 of the Songs + Some Covers. Vancouver 2006, S. 26–28.
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II. Symmetrische Formbildungen
spiegelverkehrt von einem flammend roten Abendhimmel abgehoben (Abb. 52).55 Einige Monate zuvor hatte Ruscha das Motiv als Werbetafel an einem Parkplatz am Wilshire Boulevard in der Nähe des Los Angeles County Museum of Art in Los Angeles montiert, sodass der Text beim Blick in den Rückspiegel gelesen werden konnte (Abb. 53).56 Versteht man den Sonnenuntergang in „How I Became a Ramblin’ Man“ als Pars pro Toto für das Genre des Westerns oder gar als eine Anspielung auf Ruschas „Hollywood“, so kann sie ebenfalls als Referenz auf das Kino gelesen werden. Mit Blick auf die beiden Pole beziehungsweise Achsen des Films ist also zu formulieren, dass sie den Wunsch nach einer eindeutigen zeitlichen und räumlichen Verortung des Geschehens unerfüllt lassen, obwohl die filmische Inszenierung des Wegs in geradezu übertriebener Weise filmsprachliche Konventionen erfüllt. Sie verweisen lediglich auf sich selbst als lyrische Dichtung oder filmische Fiktion. Dem entspricht auch die Dominanz der formalen Spiegelung, der sich die Darstellung unterordnet. Genauso wie der singende Cowboy erscheint und verschwindet, so genügt sich auch der Film „How I Became a Ramblin’ Man“ selbst. Mit Blick auf Cages Aufführung der „Vexations“ und Werke wie Warhols „Sleep“ kann auch Grahams Arbeit als Verweigerung von zeitökonomisch ausgerichteter Handlungseffizienz und Leistungsmaximierung gelesen werden. Insbesondere komplexere Anagramme und Krebsgänge orientieren die Umkehrung von Laut- oder Tonfolge an der schriftlich fixierten Notation, die die Segmentierung und Neuorganisation des Materials erleichtert. Mit Blick auf symmetrische Formbildungen, wie sie am Beispiel von Arbeiten Hills und Grahams analysiert wurden, kann ebenfalls festgehalten werden, dass die mediale Fixierbarkeit ihrer Umsetzung zumindest entgegenkommt. So basiert „Why do Things Get in a Muddle? (Come On Petunia)“ auf dem rückwärts abgespielten Videoband, Grahams „Four“ und „Five“ auf dem der Tonaufnahme. Die Verlaufsform findet dabei in der Regel eine ihr entsprechende Darstellung räumlicher Bezüge. Zur Untermauerung dieses Befunds sei abschließend auf Alain Resnais’ Film „L’Année Dernière à Marienbad“ (1961) verwiesen – das Drehbuch stammt von Alain Robbe-Grillet –, der seine beiden Protagonisten nicht nur in den achsensymmetrisch aufgebauten Schlossgärten von Schleißheim und Nymphenburg verortet, sondern auch, wie Roy Armes anhand eines Sequenzprotokolls zeigen konnte, ein zeitlich an der Mittelachse des Films gespiegeltes Organisationsschema aufweist.57 55
56 57
Ed Ruschas Variationen des Hollywood-Themas gehören zu den bekanntesten seiner Arbeiten. Insbesondere die in einer Auflage von 100 herausgegebene Druckgrafik aus dem Jahr 1968 fand weite Verbreitung. Vgl. Alexandra Schwartz: Ed Ruscha’s Los Angeles. Cambridge, London 2010, S. 103–110. Vgl. Robert Dean u. Erin Wright: Edward Ruscha. Catalogue Raisonné of the Paintings. 5 Bde. Bd. 2: 1971–1982. New York 2005, Kat.-Nr. P1977.01, S. 208f. u. Kat.-Nr. P1977.08, S. 224f. Vgl. Roy Armes: Action and Image. Dramatic Structure in Cinema. Manchester u. a. 1994, S. 114.
III. KOMBINATORISCHE VERFAHREN
Die im Kapitel zuvor bei Hill und Graham angesprochenen symmetrischen Formbildungen können auch als Ergebnisse kombinatorischer Entscheidungen aufgefasst werden, die der jeweilige Künstler im Zuge des Schaffensprozesses traf. Das so entstandene Werk ist mit Bezug auf seinen zeitlichen Aufbau klar abgeschlossen, insofern jeder Moment der Präsentation vorgegeben ist. Kombinationskunst entfaltet ihre komplexen Möglichkeiten jedoch vor allem dort, wo sie die Form des Werks im Prozess der Aufführung erst generiert. Zu unterscheiden ist dabei zwischen solchen Verfahrensweisen, die einzelne Segmente nach einem unflexiblen Schema permutieren und solchen, die den Zufall einbeziehen. Den aleatorischen Verfahren wird an späterer Stelle ein eigenes Kapitel gewidmet. Kombinatorische Regelwerke beruhen entweder auf der Aufspaltung eines Ganzen oder umgekehrt auf der Synthese ursprünglich disparater Elemente. In jedem Fall entsteht das Problem des Anschlusses oder der Anschlussfähigkeit des Datenmaterials, das variable Bezugsmöglichkeiten erlauben muss. Zur Regelung der Anschlusssystematik werden daher bevorzugt rotierende Kreisfiguren und Tabellensysteme eingesetzt.1 In der Film- und Videokunst kommen kombinatorische Verfahren, begünstigt durch die Möglichkeiten der Computertechnologie, seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gehäuft zum Einsatz. Aber auch analoge Endlosschleifen wurden, wie noch zu sehen sein wird, gezielt miteinander kombiniert. Mehrfach wurden dabei Spielfilme appropriiert oder klassische Erzählungen wiederaufgenommen. Die linearzeitliche Organisation von kausalnarrativ aufgebauten Handlungssträngen ist selbst im Erzählkino nicht so stark festgelegt, wie es den Anschein haben mag. „Anachronien“, wie sie Gérard Genette in seinem Analysemodell für Zeitstrukturen in der Literatur systematisierte, lockern die chronologische Reihenfolge der Geschehnisse auch im Spielfilm und begünstigen die Neukombination von Sequenzen. Genette unterschied hier zwischen Analepsen (Rückblenden) und Prolepsen (Vorgriffen). Auch Ellipsen (Auslassungen) verlangen dem Zuschauer interpretative Aktivität ab, wenn er einen logischen Zusammenhang herstellen will.2 Vor diesem film- und literaturtheoretischen Hintergrund kann auch gefolgert werden, dass die Anwendung kombinatorischer Verfahren nicht unbedingt einen desintegrativen Effekt hervorrufen muss. Sie 1 2
Vgl. Greber 2002, S. 430. Vgl. Gérard Genette: Die Erzählung. Übers. aus dem Franz. v. Andreas Knop, Nachw. v. Jochen Vogt, überprüft und berichtigt von Isabel Kranz, 3. Aufl. Paderborn 2010, S. 27f. u. 39.
164
III. Kombinatorische Verfahren
unterminiert aber den Glauben an die Gültigkeit einer einzigen Lesart. Lew Kuleschow zeigte dies bereits 1921, als er die Nahaufnahme auf das unbewegte Gesicht eines Manns mit wechselnden Einstellungen kombinierte und dadurch unterschiedliche Emotionen suggerierte. So evozierte die Sicht auf einen Teller Suppe die Vorstellung, der Mann habe Hunger, diejenige auf eine attraktive Frau, er sei an dieser interessiert, und diejenige auf einen Sarg, er sei traurig („Kuleschow-Effekt“).3 Kombinatorische Regelwerke sind üblicherweise strukturell vorgegeben, noch bevor ein wie auch immer definierter Inhalt festgelegt ist. Eine solche freiwillige Unterwerfung unter vorab definierte Regeln ist von Schriftstellern seit den 1950er Jahren als kompositorisches Mittel angewandt worden. In Künstlerkreisen wurden dabei die selbstreflexiven Romane Robbe-Grillets rezipiert, der als einer der wichtigsten Vertreter des Nouveau Roman gilt.4 So befand sich ein durch den Autor selbst vorgelesener Abschnitt seines repetitiv strukturierten Romans „La Jalousie“ (1957) auf einer Schallplatte der Doppelausgabe 5/6 des „Aspen Magazines“ von 1967, das sich der Minimal Art, der Konzeptkunst und postmoderner Theorie widmete.5 Er stand damit in einem Kontext mit der Erstveröffentlichung von Roland Barthes’ „The Death of the Author“, mit George Kublers „Style and Representation of Historical Time“, Susan Sontags „The Aesthetics of Silence“ und zahlreichen Ton-, Text und Video-Dokumenten von Künstlern, die den in der Ausgabe thematisierten Kunstrichtungen zugeordnet wurden oder in deren Tradition gesehen werden konnten. In der Nachfolge des Nouveau Roman entstanden weitere literarische Richtungen: So unterstützte beispielsweise Barthes die Gründung der Gruppe Te Quel durch Philippe Sollers im Jahr 1960. Die zugehörigen Schriftsteller orientierten sich zum einen am Nouveau Roman, müssen vor allem aber vor dem Hintergrund poststrukturalistischer Theoriebildung gesehen werden.6 Ebenfalls 1960 riefen Raymond Queneau und François Le Lionnais die Gruppe Oulipo (Ouvroir de littérature potentielle) ins Leben, deren Mitglieder sich aus dem Collège de Pataphysique rekrutierten. Dieses wiederum war 1948 gegründet worden und berief sich auf Alfred Jarry,7 dessen für Kontingenz stehende Figur des Königs Ubu 3 4 5
6 7
Vgl. Hans Jürgen Wulff: Art. „Kuleschow-Effekt“. In: Ders. (Hg.): Lexikon der Filmbegriffe, URL: http://filmlexikon. uni-kiel.de/, Suchanfrage „Kuleschow-Effekt“ (Stand: 5.7.2017). Vgl. Gerda Zeltner: Das Wagnis des französischen Gegenwartromans. Die neue Welterfahrung in der Literatur. Hamburg 1962, S. 72. Vgl. Alain Robbe-Grillet (Autor u. Vorleser): „Now the shadow of the southwest volumn...“ An Excerpt from Jealousy (EA 1957). In: Aspen 1967. – In der Online-Dokumentation ist der Text unter „item 5“ registriert, hier B-Seite der Schallplatte. Vgl. Setzkorn 2003, S. 13. Vgl. Ilsa Pollack: Pataphysik. Symbolismus und Anarchismus bei Alfred Jarry (= Junge Wiener Romanistik). Wien, Köln, Graz 1984, teilw. zugl. Phil. Diss. Univ. Wien 1975, S. 163. – Vgl. Alastair Brotchie: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. Cambridge, London 2011, S. 29 u. S. 31.
1. Phasenverschiebung
165
noch heute, beispielsweise in Werken von R. Graham und Kentridge, zitiert wird. Insbesondere die Schriftsteller dieser Gruppe schufen ihre Texte unter Einsatz von teilweise sehr komplexen und dadurch oft undurchsichtigen kombinatorischen Regelsystemen, sogenannten Contraintes. Maßgabe war dabei, zwar auf das Vorhandensein einer Contrainte im Werk selbst hinzuweisen, die genaue Regel jedoch nicht offenzulegen.8 Wie Sylvia Setzkorn schrieb, wurden auch formale Gestaltungsprinzipien aus der Musik, wie Fuge und Zwölftonmusik, in die Konzeption von Gegenwartsliteratur aufgenommen.9 Den genannten Richtungen war das Bestreben gemein, Illusionismus durch Konzentration auf die Form zu durchbrechen und den Text als eigenständige Wirklichkeit transparent zu machen. Gleichzeitig sollte die reale Gegenwart des Rezipienten aufscheinen. Die Möglichkeit eines sprachlichen Verweises auf eine äußere Realität wurde dabei in Frage gestellt.10 Zwar wurde die Vorstellung von einem Autor als einheitlichem Subjekt, Schöpfer oder gar Genie negiert, doch wurden zugleich die strukturellen Möglichkeiten des Schreibens deutlich erweitert. Die sich teilweise absurd ausnehmenden Beschränkungen sollten die Innovationskraft gerade erhöhen. Diese Punkte treffen auch für Film- und Videokunst zu, die mit kombinatorischen Regelwerken experimentiert.
1. PHASENVERSCHIEBUNG Ein naheliegendes kombinatorisches Verfahren liegt in der gleichzeitigen Wiedergabe mehrerer Filme oder Videos. Neben kompliziert aufgebauten Installationen, wie beispielsweise der 8-Laser-Disc-Installation „Metallic Sleep, Electric Earth“ (1999) von Doug Aitken oder der 7-Kanal-Videoinstallation „Mapping the Studio I (Fat Change John Cage)“ (2001, Abb. 63) von Bruce Nauman, gibt es auch einige, die sich auf die mehrfache Darstellung eines bestimmten Films oder Videos auf separaten, im Raum nebeneinander befindlichen Bildschirmen oder Projektionsflächen beschränken. Die Frage ist auch hier dieselbe wie bei einer Einzelpräsentation, wie sich die einzelnen Elemente in der Installation zeitlich zueinander verhalten. Für die Analyse solcher Arbeiten ist der Rückbezug auf den Begriff des Kanons hilfreich, da dieser durch ein strenges Verfahren der Nachahmung definiert ist. Im Sinne 8 9 10
Vgl. Setzkorn 2003, S. 16. Vgl. ebd., S. 50. Vgl. Pollack 1984, S. 161f. – Vgl. Uwe Schleypen: Schreiben aus dem Nichts. Gegenwartsliteratur und Mathematik. Das Ouvroir de littérature potentielle (= Romania Viva 1). München 2004, zugl. Phil. Diss. Kath. Univ. Eichstätt 2004, S. 12.
166
III. Kombinatorische Verfahren
eines mehrstimmigen Musikstücks wird er aus einer leitgebenden Melodie, die durch mehrere Folgestimmen imitiert wird, gebildet. Von den verschiedenen Typen, die sich im Lauf der Zeit ausgeprägt haben, ist dabei derjenige Typus am bekanntesten, der durch die phasenverschobene Nachahmung einer Melodie gekennzeichnet ist. Komplexere Varianten verschränken mehrere Kanons ineinander oder modifizieren die Folgestimmen anhand festgelegter Prinzipien. Augmentations- beziehungsweise Diminutionskanons beispielsweise geben eine Verdoppelung oder Halbierung der Tondauern vor. Umkehrungs-, Krebs- und Spiegelkrebskanons imitieren die leitende Melodie in entsprechend umgekehrter oder gespiegelter Weise, wobei im Regelfall alle Stimmen gleichzeitig einsetzen.11 Im 20. Jahrhundert fanden die Formbildungsprinzipien des Kanons unter Verwendung neuen musikalischen Materials, beispielsweise in Zwölftontechnik und serieller Musik, eine Fortsetzung. Im Bereich der Minimal Music experimentierte insbesondere Reich mit Phasenverschiebungen. Sein Ziel war es, das repetitive Moment in seiner Arbeit weiterzuentwickeln. Um die Differenz zum klassischen Kanon aufzuzeigen, sei Ulrich Linkes anhand einer Untersuchung der Minimal Music erarbeiteter Begriff der Phasenverschiebung aufgeführt. Linke definierte Phase als eine zeitliche Einheit, die mit musikalischer Struktur gefüllt wird. In Phasenverschiebungsprozessen wird eine solche mit musikalischer Struktur gefüllte zeitliche Einheit in ihrer metrischen bzw. zeitlichen Disposition verschoben. So können pattern, Motive usw. um eine zeitliche Einheit (eine Achtel, eine Viertel etc.) nach vorne oder nach hinten verlagert werden.12
Bei dieser Begriffsbestimmung orientiert sich das Imitationsprinzip nicht mehr am harmonischen Gefüge einer Melodie. Vielmehr ist im Sinne von Cages Postulat eines Vorrangs der Dauer vor der Harmonik von „zeitlichen Einheit[en]“ die Rede, die durch „musikalische[r] Struktur“ gefüllt sind. Reich nannte zum einen die Beteiligung an der Premiere von Rileys Stück „In C“ (1964) – dort werden zahlreiche Klangmuster miteinander kombiniert –, zum anderen Experimente mit Tonbandschleifen seit 1963 als Auslöser für seine Beschäftigung mit Phasenverschiebungen.13 In „It’s Gonna Rain“ (1965) spielte er erstmals die Aufnahme eines schwarzen Predigers, der auf dem Union Square in San Francisco über die Sint11
12 13
Vgl. Emil Platen: Art. „Kanon“. In: Marc Honegger u. Günther Massenkeil (Hgg.): Das große Lexikon der Musik in acht Bänden. 8 Bde. Bd. 4: Halbe Note – Kostelanetz. Freiburg 1981, S. 290–292. – Vgl. Peter Cahn: Art. „Kanon“. In: Ludwig Fischer (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. 20 Bde. Bd. 4: Hamm – Kar (Sachteil). Kassel u. a. 1996, Sp. 1678–1706, hier Sp. 1699–1701. Ulrich Linke: Minimal Music. Dimensionen eines Begriffs. Essen 1997, S. 184. Vgl. Steve Reich: It’s Gonna Rain (EA 1965). In: Ders.: Writings on Music. 1965–2000. Oxford 2002, S. 19–21, hier S. 20.
1. Phasenverschiebung
167
flut sprach, in progressiver Verschiebung gegen sich selbst.14 Wie Reich sagte, erstaunte ihn die Intensität des akustischen Erlebnisses, das sich durch einen nahtlosen kombinatorischen Durchlauf zweier identischer akustischer Bestandteile auszeichnete. Dabei beobachtete er auch psychoakustische Effekte, wie unwillkürlich entstehende Melodien.15 Der Komponist stellte einen Bezug zum Kanon her: In retrospect, I understand the process of gradually shifting phase relationships between two or more identical repeating patterns as an extension of the idea of the infinite canon or round. Two or more identical melodies are played with one starting the other, as in traditional rounds, but in the phase shifting process the melodies are usually much shorter repeating patterns, and the time interval between one melodic pattern and its imitation(s), instead of being fixed, is variable.16
Das Prinzip gleichzeitig laufender und sich gegeneinander verschiebender Magnetbänder lässt sich schlüssig auf Mehrfachprojektionen übertragen, wobei ein Loop eine Periodendauer ausmacht. Im Folgenden sollen zwei Dreifachprojektionen vorgestellt werden, die sich an die musikalische Form des Augmentations- beziehungsweise Diminutionskanons annähern. In Gordons „Déjà Vu“ (2000, Abb. 54) wird der gleiche auf DVD übertragene Spielfilm mit leicht unterschiedlicher Geschwindigkeit auf drei aneinander anschließenden Feldern gezeigt. Während ihn die mittlere Projektion mit regulären 24 Bildern pro Sekunde spielt, wird die Projektion der linken Seite minimal beschleunigt mit 25, die rechte hingegen leicht verlangsamt mit 23 Bildern pro Sekunde wiedergegeben. Fasst man die drei Projektionen als drei Phasen auf, so erscheinen diese ganz zu Beginn synchron, während sie sukzessive und trotz der geringfügigen Geschwindigkeitsdifferenz erstaunlich rasch immer weiter auseinandergleiten. Befremdlich wirkt dies nicht zuletzt aufgrund der jeweils wirklichkeitsgetreu wirkenden Bild- und Tonwiedergabe, die durch die Geringfügigkeit der zeitlichen Dehnung oder Raffung begründet ist. Am Ende des ersten Durchlaufs repräsentieren die benachbarten Projektionen die gleichen Szenen mit einem zeitlichen Abstand von etwa sieben Minuten. Nachdem auch die letzte Projektionsleinwand dunkel geworden ist, beginnt die Drei-Kanal-Arbeit von vorne. Daraus ist zu schließen, dass nicht die Form des Loops konzeptuell tragend ist, sondern die Entzweiungsdynamik von einem gemeinsamen Ursprung aus. Dies entspricht auch dem 14
15 16
Zu einer ausführlichen Darstellung der Entstehung und des kompositorischen Aufbaus des zweiteiligen und auch mit weiteren Schichtungen und weiterem Klangmaterial aus der Aufnahme des Predigers arbeitenden Stücks vgl. Baumgärtel 2015, S. 251–257. Vgl. Steve Reich: Music as Gradual Process (EA 1968). In: Ders. 2002, S. 34–36, hier S. 35. Reich (1965) 2002, S. 20.
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III. Kombinatorische Verfahren
üblicherweise gleichzeitigen Einsatz aller Stimmen beim Augmentations- beziehungsweise Diminutionskanon. Bei dem von Gordon appropriierten Material handelt es sich um Rudolph Matés Film Noir „D. O. A.“ (Dead on Arrival, 1950). Sein Handlungsstrang ist für das Konzept der Installation durchaus von Bedeutung. Er beginnt mit einer Szene, in der der Held Frank Bigelow, gespielt von Edmond O’Brien, auf einer Polizeistation seinen eigenen Mord zu Protokoll gibt. Die folgenden Rückblenden erschließen den verwickelten Fall stückweise. So wurde Bigelow offensichtlich vergiftet und verbrachte die wenigen verbleibenden Tage seines Lebens damit, den eigenen Mörder zu finden. Dem entsprechend schließt die Rahmenhandlung auf der Polizeistation mit dem Tod des Protagonisten. Seine Akte erhält den Vermerk „D. O. A.“. Wie bei „24 Hours Psycho“ geht es Gordon auch hier unter anderem um das Abspalten von Bildeinheiten aus ihrem narrativen Zusammenhang. Diesmal sind es jedoch nicht aufeinanderfolgende Standbilder, sondern die auf drei Feldern zeitversetzt nebeneinander erscheinenden Einstellungen und Szenen. Fried, der Gordons Arbeit 2011 in seinem Buch „Four Honest Outlaws“ vor dem Hintergrund seines Aufsatzes „Art and Objecthood“ (1967) analysierte, hob hervor, dass „Déjà Vu“ es zwar erlaube, sich von einzelnen Szenen gefangen nehmen zu lassen, man jedoch immer wieder den narrativen Faden verliere, da die Aufmerksamkeit unwillkürlich auf ein anderes Projektionsfeld gezogen werde und dadurch die Gesamtheit der Installation und der Kontext der Ausstellung ins Bewusstsein gelangten.17 Je nachdem, wie die Kameraführung der entsprechenden Szene gestaltet ist oder welche Teile der Erzählung gerade durchlaufen werden, sind die Effekte unterschiedlich. Als zu Beginn der Protagonist in allen drei Projektionsfeldern geradewegs auf das Polizeipräsidium zuläuft, während ihm die Kamera aus gleichbleibender Entfernung folgt, entsteht durch die perspektivisch fluchtende Umgebung ein schwindelerregender Eindruck, der in der Zusammenschau auch an den Blick durch ein spiegelndes Kaleidoskop erinnert. Als auf den drei Projektionen zeitlich versetzt der baldige Tod diagnostiziert wird, entsteht wiederum ein beklemmendes Gefühl der Ausweglosigkeit, das diesmal durch die Narration erzeugt wird. Auch vermischen sich die drei Tonspuren zu einem eigenwilligen Mehrklang, der die Zuordnung einzelner Tonfetzen zum entsprechenden Bild erschwert. Wie Fried schrieb, verschiebe sich das Interesse im Zuge der vergleichenden Betrachtung von der Identifikation mit den Figuren des Spielfilms auf die Wahrnehmung der jeweiligen schauspielerischen Leistung.18 Katrina Brown 17 18
Vgl. Michael Fried: Four Honest Outlaws. Sala, Ray, Marioni, Gordon. New Haven, London 2011, S. 184–186. – Dem Buch ist eine DVD beigegeben, die exemplarische Sequenzen der Videoprojektion zeigt. Vgl. ebd.
1. Phasenverschiebung
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beschrieb die Erfahrung vor dem Werk insgesamt als verunsichernd.19 Dies ist sicherlich nicht nur durch die Unerklärlichkeit der zunehmenden zeitlichen Abspaltung bedingt, sondern auch durch die düstere Atmosphäre von Matés „D. O. A.“ selbst. In einer vergleichbaren, wenige Jahre zuvor entstandenen Dreifachprojektion mit dem Titel „Atlantic“ (1997, Abb. 55) projizierte Pierre Huyghe von links nach rechts die französische, englische und deutsche Sprachversion von Ewald André Duponts gleichnamigem Spielfilm (1929), der vom Untergang der Titanic erzählt.20 Duponts „Atlantic“ zählt zu den ersten kommerziellen Tonfilmen Hollywoods und markiert einen Zeitpunkt, der von einer Krise der dortigen Filmindustrie geprägt war. War nämlich Stummfilm mühelos international zu exportieren, so stellte Tonfilm eine deutliche Barriere für den Handel dar. Bevor das Verfahren der Synchronisation entwickelt war, wurde deshalb das Drehbuch mehrmals mit unterschiedlichen Schauspielern verschiedener Nationalität, aber unter Einsatz der gleichen Kulissen, umgesetzt. Um höchstmögliche Effizienz zu erzielen, waren dabei alle Schauspieler gleichzeitig am Drehort versammelt. Dass die drei Versionen von „Atlantic“ unterschiedlich lang gerieten, ist der dramaturgischen Anpassung an kulturelle Eigenheiten des jeweiligen Zielpublikums geschuldet. So wurden teilweise neue Szenen integriert oder Dialoge verändert, wodurch die französische Version auf 85 Minuten kam, während die englischsprachige eine Spielzeit von 90 Minuten und die deutsche eine von 100 Minuten aufweist. Die in der Filmindustrie kurze Zeit später eingeführte Synchronisationstechnik erforderte dementgegen eine Anpassung der jeweiligen Sprachversionen an den Rhythmus des schon bestehenden Films. Wie Amelia Barikin herausarbeitete, thematisiere Huyghe in „Atlantic“ generell die mit dem kapitalistischen Gewinnstreben einhergehende globale Vereinheitlichung zeitlicher Vorgänge und wolle die Perspektive auf einen lokal individuellen, unangepassten Umgang mit Zeit eröffnen.21 Sowohl bei Gordon als auch bei Huyghe laufen drei Projektionen parallel, die den gleichen Spielfilm in unterschiedlichen Geschwindigkeiten oder Sprachversionen neben19 20
21
Vgl. Katrina M. Brown: Douglas Gordon (= Modern Artists). London 2004, S. 100. Für eine Beschreibung des Konzepts durch den Künstler vgl. Pierre Huyghe: Atlantic (Versions Multiples GB/F/D) (1997). In: Carolyn Christov-Bakargiev (Hg.): Pierre Huyghe. Kat. Ausst. Rivoli-Torino (Castello di Rivoli Museo d’Arte Contemporanea). Milano 2004, S. 222. Vgl. Amelia Barikin: Parallel Presents. The Art of Pierre Huyghe. Cambridge, London 2012, S. 80–83. – Vgl. Huyghe (1997) 2004, S. 222. – Scheinbar besitzt Huyghes Arbeit Nähe zum Diskurs der Postcolonial Studies. Homi K. Bhabha beispielsweise wendete sich in seinen Überlegungen über „Die Verortung der Kultur“ gegen die Vorstellung von abstrakten Zeiteinheiten, die beliebig gefüllt werden können. Allerdings richtete er sich auch gegen das Primat der Nation und sah in der Relativierung der großen Erzählungen durch das quasianarchische Nebeneinander alternativer Erzählungen, die durch Außenseiter konstruiert würden, nicht die eigentliche Lösung des Problems kultureller Hegemonie. Vielmehr müssten diese Geschichten als integrale Bestandteile der nationalen Identität akzeptiert werden. Vgl. Homi K. Bhabha: Die Verortung der Kultur (= Stauffenburg discussion 5). Übers. aus dem Engl. v. Michael Schiffmann u. Jürgen Freudl, Tübingen 2000, S. 8f.
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III. Kombinatorische Verfahren
einanderstellen und dadurch ein Wechselspiel von Immersion und Distanzierung bewirken. Dabei kommt es zu zwei konkurrierenden Dynamiken des Leseflusses, der sich entweder auf die Handlungsabfolge auf einer einzigen Projektionsfläche richtet oder das Nebeneinander der Felder zu synthetisieren versucht. Bei beiden Werken kann von einer gleichzeitigen Wiedergabe dreier Phasen gesprochen werden, allerdings nur bei Gordon ist der Begriff der Phasenverschiebung angemessen, da das Auseinandertreiben des gleichen Materials anhand einer progressiven zeitlichen Dehnung oder Raffung erfolgt. Bei Huyghe hingegen ist weder das verwendete Filmmaterial identisch noch liegt eine Regelmäßigkeit der Verschiebungsdynamik vor. Letztere ist durch die verschiedensprachige Umsetzung bereits vorgegeben, anstatt sich im Moment der Aufführung zu ereignen. Auch mit Bezug auf die Thematisierung von Zeit unterscheiden sich beide Arbeiten. Während Gordon an der Wahrnehmung von Zusammenhängen – oder einem diesbezüglichen Scheitern – interessiert ist, geht es Huyghe um die Infragestellung eines kapitalistischen Zeitregimes.
2. VERZAHNTE ENDLOSSCHLEIFEN Das Spannungsverhältnis von Bruchstückhaftigkeit und Ganzheitsorientierung in kombinatorischen Systemen fordert das Erinnerungs- und Sinnstiftungsvermögen des Rezipienten. Wenn im Folgenden eine Arbeit von Stan Douglas analysiert wird, die kombinatorische Aufführungspraxis mit einer Art von Geschichtsschreibung verbindet, so korrespondiert dieser Antagonismus mit dem vergeblichen Bemühen des Historikers, gegen die fortdauernde Erosion seines Reflexionsgegenstands anzugehen. Besonders sprachgewandt brachte dies Walter Benjamin in „Über den Begriff der Geschichte“ (vor 1940) zum Ausdruck.22 Dort ging er von Geschichte als Konstruktion aus und identifizierte eine spezifische Vorstellung von abstrakter Zeit als Grundlage des Fortschrittdenkens. Geschichtsschreibung könne keineswegs das Geschehene festhalten, sondern sich lediglich „einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Moment der Gefahr aufblitz[e]“.23 Diese Gefahr sei der Verlust der Überlieferung. Ausgehend von Paul Klees Bild „Angelus Novus“ (1920), den er als Engel der Geschichte interpretierte, formulier22
23
Benjamins Text wird insbesondere vor dem Hintergrund der sogenannten Postmoderne im Kontext der Methodenreflexion rezipiert. Vgl. Lutz Niethammer: Die postmoderne Herausforderung. Geschichte als Gedächtnis im Zeitalter der Wissenschaft. In: Wolfgang Kütter, Jörn Rüsen u. Ernst Schulin (Hgg.): Geschichtsdiskurs. Grundlagen und Methoden der Historiographiegeschichte. 4 Bde. Bd. 1. Frankfurt am Main 1993, S. 31–49, hier S. 45 u. S. 47. Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte – Benjamins Handexemplar [vor 1940]. In: Gérard Raulet (Hg.): Walter Benjamin. Über den Begriff der Geschichte (= Walter Benjamin. Werke und Nachlaß. Kritische Gesamtausgabe 19). Berlin 2010, S. 30–43, hier S. 33, vgl. auch S. 39f.
2. Verzahnte Endlosschleifen
171
te Benjamin eine Geschichtsauffassung, die er als Wegbewegung von der Vergangenheit bei gleichzeitig fixierter Bezugnahme auf diese charakterisierte. Das Vergangene selbst schließlich sei keine schlüssige und geordnete Kette von Ereignissen, sondern ein Haufen von Fragmenten, der aufgrund des in die Zukunft gerichteten „Sturms“ rapide anwachse und nicht vollständig bewahrt werden könne.24 Im „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ (entworfen 1916, verfasst 1925) fand Benjamin ein anderes Bild. Hier wurde die Auslegung der von Vergänglichkeit geprägten Geschichte zur Allegorese des Melancholikers vor dem Gesicht eines Sterbenden.25 Der Titel der Filminstallation „Inconsolable Memories“ (2005, Abb. 56), deutsch übersetzt „Trostlose Erinnerungen“, weist ebenfalls auf eine schwermütige Rückschau hin. Die Arbeit lehnt sich an Tomás Gutiérrez Aleas Spielfilm „Memorias del Subdesarrollo“ (1968) an26 und enthält vorgefundenes wie hauptsächlich selbst gedrehtes Material, das auf verschiedene Daten der Geschichte Kubas im 20. Jahrhundert verweist. So verwendete Douglas Dokumentarfilmsequenzen von 1980, also dem Jahr der Mariel-Bootskrise. Fidel Castro erlaubte damals ausreisewilligen Personen, das Land zu verlassen und entledigte sich dadurch nicht nur potentieller Unruhestifter, sondern auch einer Reihe von Sträflingen, die er aus dem Gefängnis entließ. Von etwa 125.000 Exilanten ist die Rede.27 Das von 1954 bis 1956 errichtete Focsa-Gebäude hingegen, in dem zahlreiche Szenen lokalisiert sind, steht für ein Kuba unter der Diktatur des damaligen Staatspräsidenten Fulgencio Batista, der seine amerikafreundliche Politik im Interesse der wohlhabenden Zuckerplantagenbesitzer betrieb.28 Über 700 Millionen US- Dollar wurden in verschiedene ökonomische Sparten auf Kuba investiert, wobei im Zuge des Baubooms insbesondere auf dem Immobiliensektor spekuliert wurde.29 Die 24 25
26
27 28 29
Vgl. ebd., S. 35f. Benjamin formuliert es folgendermaßen: „Die Geschichte in allem was sie Unzeitiges, Leidvolles, Verfehltes von Beginn an hat, prägt sich in einem Antlitz – nein in einem Totenkopfe aus. Und so wahr alle ›symbolische‹ Freiheit des Ausdrucks, alle klassische Harmonie der Gestalt, alles Menschliche einem solchen fehlt – es spricht nicht nur die Natur des Menschdaseins schlechthin, sondern die biografische Geschichtlichkeit eines einzelnen in dieser seiner naturverfallensten Figur bedeutungsvoll als Rätselfrage sich aus. Das ist der Kern der allegorischen Betrachtung, der barocken, weltlichen Exposition der Geschichte als Leidensgeschichte der Welt; bedeutend ist sie nur in den Stationen ihres Verfalls. Soviel Bedeutung, soviel Todverfallenheit, weil am tiefsten der Tod die zackige Demarkationslinie zwischen Physis und Bedeutung eingräbt. Ist aber die Natur von jeher todverfallen, so ist sie auch allegorisch von jeher.“ Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels (entworfen 1916, verfasst 1925). In: Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser (Hgg.): Walter Benjamin. Gesammelte Schriften I. 8 Bde. Bd. 1, 2. Frankfurt am Main 1974, S. 203– 409, hier S. 343, vgl. auch S. 459. Für Informationen über den Bezug der Arbeit zu Aleas Film vgl. Philip Monk: Fugue Encryptions. In: Cindy Richmond u. Scott Watson (Hgg.): Stan Douglas. Inconsolable Memories. Kat. Ausst. Omaha (Joslyn Art Museum u. a.) 2005, S. 136–147. Vgl. Bert Hoffmann: Kuba. 3. aktual. Aufl. München 2009, S. 101. Vgl. Jürgen Hell: Geschichte Kubas. Berlin 1989, S. 187. Vgl. Thomas Ammerl: Aktuelle stadt- und landschaftsökologische Probleme in Havanna und Lösungsansätze durch staatliche Raumordnung, Umweltpolitik bzw. kommunale Partizipation. Phil. Diss. München 2005, S. 65, URL: http:// edoc.ub.uni-muenchen.de/archive/00004771/01/Ammerl_Thomas.pdf (Stand: 5.7.2017).
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III. Kombinatorische Verfahren
Handlung von Aleas „Memorias del Subdesarrollo“ von 1968 wiederum spielt im Jahr 1962 und damit zur Zeit der Kubakrise.30 Douglas wählte außerdem Dokumentarfilmausschnitte, die Politiker zeigen, die zur Entstehungszeit der Filminstallation in den Medien präsent waren. In einem davon ist George Bush Sr. in seiner Funktion als „Director of Central Intelligence“ (CIA) bei seiner Würdigung der 1961 bei der Invasion der Schweinebucht ums Leben gekommenen kubanischen Exilanten zu sehen. Dieser kurze Filmausschnitt erhält dadurch Gewicht, dass er die Funktionalisierung der exilkubanischen Interessen für die Politik der USA andeutet.31 Der 2004 gestorbene ehemalige Präsident Ronald Reagan ist ebenfalls kurz eingeblendet. Sein Amtsantritt im Jahr 1980 beendete die unter Jimmy Carter begonnene Annäherung zwischen Kuba und den USA und führte wieder zu einer Verhärtung der Fronten. In einer gleichzeitig auf Kuba entstandenen Serie von Farbfotografien nahm Douglas Architekturen in den Blick, die im Zuge der politischen Veränderungen Umwidmungen oder Namensänderungen erfuhren und die sich zum Aufnahmezeitpunkt häufig in einem heruntergekommenen Zustand befanden. Als Beispiel sei die Ruine eines Gefängnistrakts von „Panopticon, Isla de Pinos/Isla des Juventud“ (2005, Abb. 57), eines nach 1787 und 1791 ausformulierten Entwürfen Jeremy Benthams 1928 fertiggestellten Modellgefängnisses, genannt. Der von halber Höhe aus aufgenommene Innenraum des Rundbaus zeigt den zentralen Turm, der den Wachhabenden einen Rundumblick in die entlang der Außenwand umlaufenden vergitterten Zellen ermöglichte, ohne selbst gesehen zu werden.32 Das in nahezu allen Fotografien der Serie vorhandene Gegenlicht erzeugt auch hier einen kulissenhaften Eindruck, der mit der Vorläufigkeit der Namensgebungen – „Insel der Pinienbäume/Insel der Jugend“ – korrespondiert. Die Austauschbarkeit von Bezeichnungen und Funktionen sowie eine von einer undurchsichtigen Macht ausgehende Bedrohungsthematik werden nicht nur in der FotografieSerie, sondern auch in der Filminstallation verhandelt. Für die Installation werfen zwei gleichzeitig laufende 16-mm-Projektoren ihr Bild auf eine gemeinsame Leinwand. Der Künstler synchronisierte sie so miteinander, dass die Illusion eines durchgängigen Schwarz-Weiss-Films entsteht (Schaubild 8). Dabei projiziert der eine Apparat einen Loop von insgesamt 28:15 Minuten Dauer und der
30
31 32
Vgl. Katrin Mundt: Inconsolable Memories. In: Hans D. Christ u. Iris Dressler (Hgg.): Stan Douglas. Past Imperfect. Werke 1987–2007. Kat. Ausst. Stuttgart (Staatsgalerie Stuttgart und Württembergischer Kunstverein) 2007/2008. Ostfildern 2007, S. 109–210, hier S. 209. Vgl. Hoffmann 2009, S. 72f. u. S. 100. Für eine Einführung in Jeremy Benthams Panopticon vgl. Norman Johnston: Forms of Constraint. A History of Prison Architecture. Ubana, Chicago 2000, S. 49–52.
2. Verzahnte Endlosschleifen
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Schaubild 8: Stan Douglas, Permutationsschema zu „Inconsolable Memories“, 2005.
andere einen von 15:57 Minuten.33 Beide Schleifen enthalten abwechselnd jeweils gleich lange Sequenzen von Spielfilmabschnitten und Schwarzbildern, die den Projektionsstrahl unterbrechen. Die längere Schleife umfasst dabei 15 und die kürzere neun Geschwisterpaare von Spielfilm- und Schwarzbildsequenz. Deren Dauer beträgt jeweils etwa 54 Sekunden. Die beiden Endlosschleifen sind so organisiert, dass sie wie zwei Zahnräder ineinandergreifen. Da ihre Längen in einem Verhältnis von 5:3 zueinander stehen, wiederholen sich die narrativen Einheiten der kürzeren Schleife entsprechend öfter als jene der längeren und dies an unterschiedlichen Stellen der Gesamtabfolge. Die kürzere Schleife enthält Schlüsselszenen mit den drei zentralen Protagonisten. Diese sind der Architekt Sergio, der in seiner Geburtsstadt Havanna auch unter der kommunistischen Regierung bleiben will, seine Frau Laura und sein bester Freund Pablo. Die beiden Letzteren entschließen sich 1975 dazu, Kuba zu verlassen. Vier S zenen 33
Für eine detaillierte Darstellung des Schemas mit Drehbuch vgl. Stan Douglas: Inconsolable Memories. A Screenplay by Stan Douglas. In: Richmond u. Watson 2005, S. 93–121.
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III. Kombinatorische Verfahren
haben den Abschied Sergios von beiden zum Thema. Drei zeigen ihn bei der Verhaftung und im Gefängnis, eine weitere seine Flucht vom Boot, das ihn 1980 in die USA bringen soll. Außerdem erscheint das Bild eines laufenden Kassettenrekorders in Nahaufnahme. Die längere Schleife hingegen enthält Szenen, die für die Narration nebensächlich sind, so dokumentarisches Material zur Mariel-Bootskrise, Sequenzen aus Aleas Film und Begegnungen der Hauptfigur mit weiteren Personen. In ihnen scheint die Entfremdung Sergios auf, der isoliert und ziellos seinen Erinnerungen nachhängt oder die Umgebung beobachtet, ohne sich in sie einfügen zu können. „Inconsolable Memories“ basiert auf dem Prinzip der Schleife, wobei der Künstler, um mit Linke zu sprechen, zwei unterschiedlich lange zeitliche Einheiten mit filmischer Information füllte und im Zuge der ständigen und nahtlosen Wiederholung laufend gegeneinander verschob. Für die passgenaue Abstimmung legte Douglas ein System von zeitlichen Untereinheiten, vergleichbar mit Takten in einer musikalischen Notation, fest. Dies bedeutet, dass die Dauer der einzelnen Sequenzen, dem Prinzip der Contrainte entsprechend, zu Beginn vorgegeben war und sich die Ausformulierung der Szenen dem strengen Zeitmaß unterordnete. Die aneinander anschließenden Fragmente werden bei der Betrachtung – entsprechend dem semantischen Potential der Montagetechnik – unwillkürlich als Rückblenden oder Vorgriffe interpretiert. Nach drei Wiederholungen der langen Schleife, die zugleich fünf Wiederholungen der kurzen bedeutet, hat sich die Arbeit wieder mit sich selbst synchronisiert. Ein Durchlauf des Permutationsschemas dauert damit gut 1:40 Stunden und übersteigt die übliche Aufenthaltsdauer vor dem Werk. Auf der motivisch-narrativen Ebene wird die Kontextabhängigkeit von Bedeutung mit dem Auftauchen bestimmter Motive in unterschiedlichen Zusammenhängen, die sie in neuem Licht erscheinen lassen, reflektiert. So realisiert Sergios Frau Laura (Segment Nr. Y2) bei ihrer Ankunft am Hafen, von wo aus sie das Land verlassen wird, dass sie ihr gepunktetes Kleid, ein Geschenk ihrer Schwester, vergessen hat. Sergio verspricht, ihr dieses zuzusenden. Eine scheinbare Rückblende (Nr. 4Z3), die Laura mit dem gemeinsamen Freund Pablo lachend auf einer Bank sitzend zeigt, gibt dem Kleidungsstück eine neue Bedeutung: Es wird zum Ausdruck der Eifersucht Sergios. In einem dritten Kontext erfährt das Kleid eine weitere Umdeutung. Sergio wird verhaftet und akzeptiert nach vier Jahren Gefängnis scheinbar das Angebot, Kuba zu verlassen. Er flieht jedoch und sucht sein ehemaliges Appartement auf. Hier wohnt nun Elena, der die Wohnung von den Behörden als Belohnung für ihre Arbeit – sie fasst laut Skript US-Nachrichtensendungen zusammen – gegeben wurde. Sergio betritt die Wohnung unter einem Vorwand und findet neben vielen Veränderungen auch Gegenstände, die ihm vertraut sind. Vor allem trägt Elena in dieser Episode (Nr. 5C5) das gepunktete
2. Verzahnte Endlosschleifen
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Kleid. Seine Überraschung überspielt Sergio, indem er der Frau ein Kompliment macht. War das Kleid also erstens von Laura mit einem schwesterlichen Geschenk erklärt, zweitens für Sergio als mögliches Indiz von Untreue interpretiert worden, so zeichnet es drittens auch Elenas Regimetreue aus und wird zum Anlass für einen Annäherungsversuch. In der Tonspur von Sequenz Nr. A6 hört man Sergio einen Satz aus Aleas „Memorias del Subdesarrollo“ paraphrasierend sagen: „In a revolution, words devour words. After 1959, certain terms took on new meanings that only Cuban would understand. [...] Twenty years later it’s happening again.“34 Nicht nur werden verschiedene Kulissen und Gegenstände wie Signifikanten mit austauschbarem Signifikat behandelt, sondern die Segmente der beiden Filmschleifen werden selbst zu Containern mit veränderbarem Inhalt – wobei die alten Sinngebungen als Erinnerungsspuren durchschimmern. Was ist damit gemeint? Wiederholung und Variation manifestieren sich nicht nur in den sich ineinander verzahnenden Szenenfolgen, sondern auch in der gelegentlichen Überlagerung zweier Projektionen, die sich zu wechselnden Bild-Ton-Verbindungen oder verdeckten Montagen ausbilden. So sind manche Schwarzbilder der längeren Schleife mit Tonspuren unterlegt, die sich mit unterschiedlichen Episoden der kürzeren zu einer Einheit für den ahnungslosen Betrachter unauffällig verbinden. So wird der Blick auf den laufenden Kassettenrekorder (Z5) beispielsweise mit verschiedenen Texten und Musik (A6, B6, C6, D6, E6) kombiniert. Jede dritte narrative Sequenz der längeren Endlosschleife ist zudem in der oberen Hälfte des Bilds mit einem Adjektiv oder unbestimmten Zahlenwort unterlegt – „AN ENDLESS“, „ANOTHER“, „A FAMILIAR“, „A TROPICAL“, „A FORGOTTEN“ –, das durch Überblendung mit jeder dritten Schwarzbildeinheit der kürzeren Schleife zu einem Titel ergänzt wird. Denn in der unteren Bildhälfte erscheint dort im entsprechenden zeitlichen Abstand nacheinander „ADVENTURE“, „PROBLEM“ und „SITUATION“. Bei der jeweils gleichen Einstellung (Nr. A1) heißt es: „AN ENDLESS/ADVENTURE“ (Nr. A1/X1), „AN ENDLESS/PROBLEM“ (Nr. A1/ Y1), „AN ENDLESS/SITUATION“ (Nr. A1/Z1). Die sich während der Aufführung bildenden Zwischentitel spiegeln zudem die Wahrnehmung des Zuschauers, der sich fragen kann: „Wann kommt der Film zum Schluss?“, „Ist es das gleiche oder ein anderes Abenteuer?“, „Täuscht mich meine Erinnerung?“, „Habe ich dieses Detail übersehen?“. Das kombinatorische System lässt das Bekannte fremd erscheinen und erschüttert das Vertrauen in die eigene Erinnerungsfähigkeit. 34
Douglas 2005, S. 104f. – Den durch Kontextverschiebungen bedingten Wechsel von Bedeutungen untersuchte Douglas auch in den zeitgleich auf Kuba entstandenen Farbfotografien, in denen er Gebäude in den Blick nahm, die in der wechselvollen politischen Geschichte des Lands veränderte Funktionen und damit Umdeutungen erfuhren. Vgl. ebd., S. 88f. – Für die von Douglas paraphrasierte Stelle vgl. Tomás Gutiérrez Alea (Regie): Memorias del Subdesarrollo (1968), Minute 1:05.
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III. Kombinatorische Verfahren
Kuba selbst kam nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wieder in den Blick der Weltöffentlichkeit. So wurden seit 2002 Personen, die während des Afghanistankriegs gefangen genommen wurden, in dem Gefängnis in Guantánamo Bay unter zweifelhaften juristischen Bedingungen gefangen gehalten und teilweise auch gefoltert. Erst am 28. Juni 2004 billigte der Oberste US-Gerichtshof in Washington den Insassen das Recht zu, gegen die Inhaftierung zu klagen.35 Staatliche Willkür zeigt sich auch in dem Schicksal von Douglas’ Protagonisten Sergio, der lediglich aufgrund seiner Beziehungen zu kubanischen Exilanten überwacht und schließlich festgenommen wird. Die Filminstallation kann so einerseits vor dem zeitpolitischen Hintergrund gesehen werden. Andererseits findet, insbesondere durch die Einbindung von dokumentarischem Material, eine Fiktionalisierung von Überlieferung statt. „Inconsolable Memories“ ist weniger ein in eine Filminstallation übertragenes historisches Ereignisbild als eine Arbeit über das Schreiben von Geschichte. Ihr „Geschichtsbild“ ist als ein prozessual angelegtes zu begreifen, welches einzelne Erinnerungsfragmente durch permanente Wiederholung im Gedächtnis hält, sie vergleicht und ordnet, verändert, neu bewertet und vergisst.36 In jedem Fall ist es durch Kontingenz und Fortschrittspessimismus charakterisiert. Dem kombinatorischen Verfahren entsprechend könnte man die „Trostlosen Erinnerungen“ als eine im Widerstreit zu ihrer Bruchstückhaftigkeit auf Vollständigkeit und Kohärenz hin ausgelegte und darin programmatisch scheiternde Deutungsarbeit bezeichnen. Darin nähern sie sich durchaus einer Auffassung von Geschichte an, wie sie Benjamin in seinen Schriften formulierte.
35 36
Vgl. Clive Stafford Smith: Eight o’Clock Ferry to the Windward Side. Seeking Justice in Guantánamo Bay. New York 2007, S. 286. Auch Stemmrich bezeichnet die Auffassung von Geschichte in Douglas’ Werk grundsätzlich als alinear. Vgl. Stemmrich 2006, S. 293. – Auf das Thema der Verschlüsselung beziehungsweise die Notwendigkeit des Teilens von gemeinsamen Codes weist ein metareferentieller Dialog in „Inconsolable Memories“ hin. Sergio: „You can use anything as long as it is random. If you tear a bank note in half, you and your associate get unique serial numbers you can use to communicate in complete confidence. It’s great crypto.“ Antwort des Knastbruders: „But you need more numbers than that? Don’t you? I mean, they’ll figure it out. If you keep on repeating the same serial number, isn’t it going to create an obvious pattern?“ Douglas 2005, S. 116.
IV. ALEATORIK
1. ZUFALLSGENERATOR UND ZWÖLFTONMETHODE Douglas baut seine Film- und Videoinstallationen häufig auf historischem Material auf, seien es Filmdokumente, Spielfilme oder literarische Erzählungen. In einigen seiner Arbeiten wendete er dabei auch aleatorische Prinzipien an. Was ist darunter zu verstehen? Ulrich Dibelius definierte den Begriff der Aleatorik als einen Oberbegriff für alle Verfahren, die den Zufall einbeziehen, allerdings den, wie er formulierte, „durch Spielregeln gebändigten“ beziehungsweise „den gelenkten Zufall“.1 Wie bei einem Würfelwurf sei es zwar unvorhersehbar, wie dieser genau falle, doch sei jedes Resultat im Vorrat aller Möglichkeiten schon gegeben. Dies gelte auch im Falle sehr komplexer Spielregeln. In diesem Zusammenhang liegt es nahe, kurz auf die Frage einzugehen, ob aleatorische Systeme Kontingenz aufweisen. Peter Vogt unterschied die Begriffe Zufall und Kontingenz in seiner Habilitationsschrift zusammenfassend in der Weise, dass Kontingenz das „nicht notwendige Nicht-Unmögliche“ bezeichne, wohingegen sich Zufall, auch wenn sich dieser in vielfältige Varianten ausdifferenziere, als das nicht notwendige Wirkliche fassen lasse. Der Zufall wäre dieser Definition zufolge also – und es soll an dieser Stelle nicht übergangen werden, dass die Geschichte des Begriffs Kontingenz eine lange und komplizierte ist – ein faktisch gewordenes nicht notwendig Mögliches.2 In aleatorischen Systemen seien zwar Wahrscheinlichkeiten statistisch formulierbar, diese jedoch entsprächen wohl eher einer mathematischen Bewältigungsstrategie von Kontingenz, als dass sie die Zufälligkeit des eintretenden Ereignisses abschafften. In jedem Fall jedoch entstehe durch die Eingrenzung der Möglichkeiten eine Spannung, die die Frage nach Determinierung oder Kontingenz provoziere.3 Eine praktische Systematisierung nahm Cage vor, der den Zufall seit den frühen 1950er Jahren – mit ähnlichen Zielen wie die Literaten des Nouveau Roman – in vielfacher Weise einsetzte.4 So unterschied er in seinem Vortrag „Indeterminacy“ (1958) begrifflich zwischen „Chance“ (Zufall/Zufallsverfahren) und „Indeterminacy“ (Unbestimmtheit/Unschärfe). Unter Zufallsverfahren verstand er aleatorische Techniken, die 1 2 3 4
Ulrich Dibelius: Moderne Musik nach 1945. Einbändige Sonderausg. u. erw. Neuausg. München u. a. 1998, S. 338. Vgl. Peter Vogt: Kontingenz und Zufall. Eine Ideen- und Begriffsgeschichte. Berlin 2011, zugl. Phil. Habil. Universität Erfurt 2010, S. 65. Vgl. ebd., S. 186f. Vgl. Pritchett 1993, S. 105.
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IV. Aleatorik
er im Zuge des Kompositionsvorgangs einsetzte. Den Begriff der Unbestimmtheit wendete Cage hingegen auf Wahlmöglichkeiten und Unvorhersehbarkeiten zum Zeitpunkt der Aufführung an.5 Im Prinzip enthalten interaktive Installationen – wie zum Beispiel Closed-circuitVideoinstallationen, die die Aufnahme des Betrachters rückkoppeln – immer eine zufällige Komponente, da nicht vorhersehbar ist, wer wann und wie genau in das System einwirken wird. Im Fokus sollen nun jedoch ausschließlich solche Arbeiten stehen, die kombinatorische und aleatorische Verfahren zum Zeitpunkt der Aufführung miteinander verbinden, deren Teile also durch Segmentierung und variable Anschlussfähigkeit gekennzeichnet sind und deren In-Bezug-Setzungen nicht, wie in den Beispielen zuvor, zeitlich festgelegt sind, sondern ein kontrolliertes Maß an Zufall zulassen. Abermals ist die Auseinandersetzung mit Douglas’ Werk besonders gewinnbringend. So kombiniert seine einkanalige 16-mm-Filminstallation „Journey into Fear“ (2001, Abb. 58) die Projektion eines 15:04 Minuten dauernden Farbfilmloops – das Breit bildformat entstand durch anamorphe Filmaufzeichnung – per Zufall mit einem Set von 20 synchronisierten Tondateien.6 Um Redundanzen zu vermeiden, orientierte sich Douglas am Zwölftonverfahren, welches Josef Matthias Hauer und Arnold Schönberg sowie dessen Schüler Anton Webern und Alban Berg prägten und das von Schönberg erstmals in den Jahren zwischen 1921 und 1923 kompositorisch umgesetzt wurde. Alle zwölf Töne der Tonleiter kommen dort gleichberechtigt zum Einsatz, indem ein Ton erst dann wieder gespielt wird, nachdem alle anderen einmal erklangen.7 Douglas bezog sich diesmal auf Daniel Manns Spielfilm „Journey into Fear“ (1975), der ein Remake des gleichnamigen Films von Norman Foster aus dem Jahr 1943 ist, welcher wiederum eine Verfilmung der Romanvorlage von Eric Ambler aus dem Jahr 1940 darstellt. Jede der Versionen spielt auf einem Schiff, dessen örtlich begrenzter Schauplatz zu einer unausweichlichen Konfrontation der Protagonisten führen muss. Der Künstler reduzierte die Handlung der Geschichte, die schon in den beiden Verfilmungen dem jeweiligen historischen Hintergrund entsprechend Variationen aufweist, auf eine Auseinandersetzung zwischen dem Frachtbegleiter Möller und der Lotsin Graham in einer Schiffskabine. In seiner Version würde der Rückstand einer nicht näher 5
6 7
Vgl. ebd., S. 108. – Die beiden von Cage verwendeten Begriffe implizieren wohl Aspekte des Zufälligen, wie sie Christian Janecke unter den Überschriften „Experiment und Spiel mit dem Zufall“ sowie „Zufall und offenes Werk“ diskutierte. Vgl. Christian Janecke: Kunst und Zufall. Analyse und Bedeutung. Nürnberg 1995, zugl. Phil. Diss. Universität Saarbrücken 1993. Die Arbeit existiert noch in einer zweiten Version auf DVD. Vgl. Dibelius 1998, S. 375–377. – Der Begriff taucht schriftlich erstmals 1924 in einem Aufsatz Hauers auf, in welchem dieser über dessen Kompositionsverfahren schreibt. Vgl. Michael Beiche: Terminologische Aspekte der „Zwölftonmusik“ (= Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft 15). München 1984, zugl. Phil. Diss. Univ. Freiburg i. Br. 1982, S. 9f., S. 21f. u. S. 47. – Vgl. Arnold Schönberg: Die Priorität (EA 10./11.9.1932). In: Beiche 1984, S. 159–162, hier S. 160.
1. ZUFALLSGENERATOR UND ZWÖLFTONMETHODE
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bestimmten Lieferung8 – nicht wie in den früheren Versionen um sechs Wochen, sondern um lediglich einen Tag – das Vertrauen in einen asiatischen Unternehmer schädigen und Möllers Auftraggebern 75 Millionen US-Dollar Gewinn bescheren. In Mimik und Körperhaltung ist das Kräfteringen der Protagonisten unmittelbar eingängig. Das Gesprochene variiert jedoch in jeder Wiederholung der Szene, denn die Dialogspur besteht aus fünf alternativen Strängen – im Skript mit den Buchstaben A, B, C, D und E unterschieden – und wird mit dem kontinuierlich durchlaufenden Farbfilmloop kombiniert (Schaubild 9). Jede der fünf Variationen ist dabei in vier Segmente gegliedert (A1-4, B1-4 und so weiter), die beliebig verknüpft werden können, wobei 1 immer an erster und 4 immer an letzter Stelle steht. Eine bestimmte Anordnung taucht erst nach dem Durchspiel aller anderen Möglichkeiten wieder auf. Während Dialogspur E auf der Filmvorlage beruht und die Positionen der Protagonisten offenlegt, Komplott und Handlungsoptionen also deutlich zur Sprache kommen, variieren die anderen Dialogspuren Episoden aus Herman Melvilles „The Confidence- Man“ (1857), einem Roman, der, wie Douglas hervorhob, am Anfang des kapitalistischen Zeitalters entstand. Die Persönlichkeit des dortigen Hauptcharakters erscheine derart multipel, dass der Leser nicht sicher sein könne, ob es sich um eine einzige Person in verschiedenen Verkleidungen handele oder nicht doch um mehrere.9 Die Austauschbarkeit eines gesprochenen Dialogs entspricht der Praxis der Filmsynchronisation. In „Journey into Fear“ wird diese offensichtlich, da das Gehörte selten zu den Lippenbewegungen der Sprechenden passt. Zur Verwirrung trägt in „Journey into Fear“ überdies die Organisation der Bildebene bei, die aus vier Abschnitten besteht. So gibt es nicht eine sich wiederholende Dialogszene, sondern zwei leicht unterschiedliche Versionen (Dialogversionen X und Y). Sie werden durch zwei Sequenzen einer nächtlichen Verfolgungsjagd über das Schiffsdeck und die dort aufgestellten Reihen der Container voneinander getrennt (Verfolgungsjagd Teil 1 und 2). Jede der beiden Dialogszenen wird dabei per Zufallsgenerator mit einem jeweils unterschiedlich aufgebauten Dialogstrang (zum Beispiel C1, A2, D3, E4) versehen. Insgesamt werden dadurch 625 Kombinationen möglich. Ein kompletter Durchlauf aller Kombinationsmöglichkeiten dauert 157 Stunden, also etwa sechseinhalb Tage. Die Varianten des verbalen Schlagabtauschs, mit Ausnahme von Spur E, sind von zahlreichen Metaphern, Wortspielen und Anspielungen durchzogen.10 Immer wieder 8 9 10
Eine im Frachtcontainer liegende massenreproduzierte Puppe aus Singapur, auf die beide Protagonisten beim Gang über das Schiff stoßen, erscheint wie ein Pars pro Toto für kapitalistische Ökonomie. Vgl. Stan Douglas: Journey into Fear (Mai 2001). In: Achim Borchardt-Hume u. Lisa G. Corrin (Hgg.): Stan Douglas. Journey into Fear. Kat. Ausst. London (Serpentine Gallery). Köln 2002, S. 135–138. Vgl. Achim Borchadt-Hume: Journey into Fear. An Introduction. In: Ders. u. Corrin 2002, S. 7–18, hier S. 9.
180
IV. Aleatorik
Schaubild 9: Kombinatorisches Schema von Bild- und Tonebene nach Stan Douglas mit zwei möglichen Abfolgen der Dialogsegmente C-A-D-E und E-D-B-C in „Journey into Fear“ (2001).
wird Misstrauen beklagt oder Vertrauen eingefordert.11 Doch worauf sollte Vertrauen gründen, wenn bereits Worte eine stabile Substanz vermissen lassen. In einer metareferentiellen Textpassage in Dialogversion 4B sagt Möller: If you have something to say, just come right out and say it. How is it that every time we have a conversation I get the feeling you’re talking about something else? You always seem to be talking in metaphors. Metaphors can mean anything you want them to mean.12
Die einzige Sprache und die einzige Realität, die Möller gelten lässt, ist die des Gelds und des Profits: „Real money that makes money.“13 An anderer Stelle macht Graham ihre gegenteilige Sichtweise deutlich: Knaves only like what they can exploit. Unless they can profit it’s useless. Your precious markets trade as much in hysteria as they do in commodities. Why have such irrational faith?14
11 12 13 14
Die Worte „confidence“ oder „to confide“ tauchen allein in dem Dialog A viermal auf. Vgl. Stan Douglas u. Michael Turner: Journey into Fear. Screenplay. In: Borchadt-Hume u. Corrin 2002, S. 25–133, hier S. 37, S. 39 u. S. 45. Ebd., S. 67. – An anderer Stelle heißt es: „I never could stand irony. There’s something underhanded about it. God defend me from irony. Not to mention sarcasm, his annoying little brother.“ Ebd., S. 97. Ebd., S. 67. Ebd., S. 101.
1. ZUFALLSGENERATOR UND ZWÖLFTONMETHODE
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Das weltweite Börsengeschehen habe also genauso viel oder wenig Bezug zur Realität wie die poetische Sprache. Douglas selbst reflektierte in seinem Statement explizit die symbolische Rolle von Geld in der heutigen Welt. Dieses beziffere nicht mehr den Wert von Gegenständen oder Unternehmen, sondern zirkuliere in einem geschlossenen Finanzsystem, wobei Werteverschiebungen auf psychologischen Momenten beruhten.15 Dementsprechend ist es die Erschütterung von Vertrauen, die sich in „Journey into Fear“ leitmotivisch hindurchzieht. Auf der Handlungsebene ist ein kleiner, aber wesentlicher Unterschied zu den Spielfilmen von 1943 und 1975 zu konstatieren. Dieser betrifft die Dauer der angestrebten Verzögerung der Schifffahrt: Anstelle von sechs Wochen ist es bei Douglas lediglich ein Tag, der einen gravierenden Effekt, hier einen ökonomischen, bewirken soll. Wie der Soziologe Hartmut Rosa zum Thema Beschleunigung feststellte, müsse in einem Wirtschaftssystem, in dem Zeit mit Geld gleichgesetzt werde, Geschwindigkeit zum basalen Wettbewerbsfaktor werden. Im Konkurrenzkampf zu bestehen, bedeute dann eine ständige Steigerung der Produktion, der Kommunikationsabläufe und der Distribution pro Zeiteinheit.16 Das heutige Wirtschaftssystem sei nur durch die allgemeine Verinnerlichung des Konzepts einer abstrakten, linear fortschreitenden Zeit möglich geworden.17 Während Arbeit über Jahrtausende hinweg durch den Rhythmus der Natur und die Anforderungen der jeweiligen Aufgabe bestimmt worden sei, würden nun Raster mit qualitätslosen und getakteten Zeiteinheiten Handlungen minutiös planbar machen und die Effizienz der Arbeit erhöhen. Der Autor formulierte: „Hinter der die Indus triegesellschaft beherrschenden Logik der Technik steht daher die Logik der Uhr [...].“18 Auch in Douglas’ aleatorischem System werden abstrakte Zeiteinheiten wie leere Container mit wechselnden Inhalten gefüllt. Sie alle treten innerhalb eines größeren Zeitfensters von sechseinhalb Tagen automatisch in Erscheinung. Der Künstler bezog zum Zusammenhang zwischen Ökonomie und Zeit wie folgt Stellung: Like any machine, this remake of Journey into Fear has the effect of transforming time into space, by translating mutability and transience into a constellation of reproducible elements that are simultaneously present within a predetermined system. We know time only by way of an intuition; it is otherwise without any structure beyond the arbitrary and often occult ones we attribute to it. Meaning inheres to units and periods of time because we make them that way – as a means of representing our experiences of time to ourselves. Modernity was 15 16 17 18
Vgl. Stan Douglas (Mai 2001) 2002, S. 136. Vgl. Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt am Main 2005, S. 259 u. S. 268. Vgl. ebd., S. 263. Ebd., S. 268.
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IV. Aleatorik
full of predictions of how we would live in the future, but teleologies of utopia are, today, quite rare. Proponents of the so-called New Economy propose that we live in a perpetual present and care as much about the future as they do about the past.19
In ihrer Eigenschaft als Maschine verräumliche „Journey into Fear“ Zeit. Gemeint ist damit ebenjene Tatsache, dass alle möglichen Abläufe schon durch das als Apparat aufgefasste Kunstwerk vorgegeben sind und gleichzeitig vorliegen. Whorf behauptete in seinen linguistischen Untersuchungen, dass eine solche Vorstellung von Zeit schon in der Struktur unserer Sprache angelegt sei. Aufgrund der grammatikalischen Gegebenheiten trete anstelle des subjektiven Empfindens von einem ständigen Vergehen das Bild von objekthaften Zeitphasen, die beispielsweise mit Jahreszeitennamen oder Monatsnamen benannt würden. Doch nur in der Vorstellung seien Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig vorhanden, wodurch zyklische Phasen räumlich nebeneinander angeordnet werden könnten.20 Sind aber alle Elemente schon gegeben und ihr Erscheinen über Wahrscheinlichkeitsrechnungen bestimmbar, so kann, so die Annahme, auch keine echte Entwicklung stattfinden. Nicht ohne Sarkasmus konnte Douglas deshalb sagen, dass die Vertreter der New Economy eine unendliche Gegenwart behaupteten. Die von Rosa analysierte Beschleunigung von marktwirtschaftlichen Vorgängen, und damit verbunden aller anderen Lebensweltlichkeiten, lässt sich in diesem Sinne als Hinbewegung auf eine Dystopie imaginieren, die eine Auslöschung von Zeit durch potentielle Gleichzeitigkeit beinhaltet. Der im Titel „Journey into Fear“ angesprochene Schrecken lässt sich damit zuletzt an einen von Paul Virilio geführten Diskurs ankoppeln. Denn wie dieser mit Bezug auf die Beschleunigung des Transportwesens bemerkte, resultiere Geschwindigkeit aus Angst. In der Tierwelt sei das Fluchtverhalten durch den Selbsterhaltungstrieb bedingt, durch die Drohung einer lebensgefährlichen Gefahr: La vitesse n’étant que la production de la peur, c’est la fuite et non l’assaut qui provoque l’écart brutal, l’emballement. La constante acquisition de vitesses supérieures n’est donc que la courbe de croissance de l’angoisse, en ce sens, la «révolution des transports», en produisant au XIXᵉ siècle, la fabrique de vitesse, industrialise l’épouvante: le moteur fabrique la peur.21
Die seit dem 19. Jahrhundert andauernde Beschleunigung der Fortbewegung sei also nichts anderes als eine Wachstumskurve der Angst, eine Industrialisierung des Schre19 20 21
Douglas (Mai 2001) 2002, S. 138. Den Sommer beispielsweise gebe es als Objekt nicht, doch sage man „Es ist ein heißer Sommer“ anstatt „Sommer ist es, wann immer es heiß ist“. Vgl. Whorf (EA Cambridge 1956) 1963, S. 83f. Paul Virilio: L’horizon négatif. Essai de dromoscopie. Paris 1984, S. 47.
2. Variable Ausgangsbedingungen, vieldeutige Allegorien
183
ckens. Wie mit Blick auf die narrative und formale Ebene von Douglas’ Filminstallation deutlich wird, basiert der Motor der „Reise in die Angst“ in letzter Konsequenz auf einem Gewinnstreben, das sich die Effizienz der Maschine zunutze macht.
2. VARIABLE AUSGANGSBEDINGUNGEN, VIELDEUTIGE ALLEGORIEN Rodney Graham setzte in seiner ebenfalls 2001 entstandenen Filminstallation „Phonokinetoscope“ (Abb. 59) Ton und Bild in ein zufälliges Verhältnis, nahm dabei jedoch einen völlig anderen Weg als Douglas. So kombinierte er eine 16-mm-Filmschleife von 4:45 Minuten mit einer 12-Inch-Vinyl-Platte, auf der dreimal dasselbe fünf Minuten lange Lied der Rodney Graham Band aufgezeichnet ist, miteinander. Sobald der Betrachter den Plattenspieler in Gang setzt, beginnt auch der daran gekoppelte Filmprojektor zu laufen. Er bleibt wieder stehen, wenn die Musik verstummt. Da die Filmschleife immer an der Stelle fortfährt, an der sie zuletzt aufhörte, die Abtastnadel aber im Gegensatz dazu, selbst wenn der Tonarm in den Bereich der tonlosen Spur geschwenkt wird, so gut wie nie auf der identischen Stelle zu liegen kommt, verschieben sich die beiden Schleifen mit jedem Neustart unvorhersehbar gegeneinander. Hinzu kommen die unterschiedlichen Längen von Ton und Bildeinheit, die das Auseinandergleiten der Schleifen mit einer Tendenz versehen (Schaubild 10).
Schaubild 10: Relatives zeitliches Verhältnis von Bild- und Toneinheiten in Rodney Grahams „Phonokinetoscope“ (2001) bei Aufsetzen der Nadel des Plattenspielers am Außenrand der Schallplatte. Nach Ablauf der Platte, also nach dreimaliger Wiedergabe des Lieds, entsteht eine Pause von unbestimmter Dauer.
Dass dem Konzept von „Phonokinetoscope“ sowohl Vorstellungen von Kontingenz als auch von Determiniertheit unterliegen, wird durch einen Kommentar des Künstlers zu einer früheren Arbeit nahegelegt. So schrieb Graham über „Die Gattung Cyclamen (Installation for Münster)“ (1987), die er anlässlich der Skulptur Projekte Münster 1987 konzipierte und die aus einer Auslage von Buchattrappen in mehreren Buchhandlungen bestand, dem umherschweifenden Blick des Passanten ein innovatives Potential zu. Den Hintergrund zu dieser Erklärung bildete Freuds Traum von der Botanischen Mono-
184
IV. Aleatorik
graphie, dessen Analyse eine Schlüsselstelle in der „Traumdeutung“ (1900) einnimmt und der Freud zufolge durch den Blick auf eine Schaufensterauslage angestoßen worden war. Graham sah in diesem Ereignis den echten Zufall am Werk, den er in Münster absurderweise reinszenierte, so als ob man das Ereignis dadurch wiederholen könne. Der Künstler sprach in diesem Zusammenhang vom „Clinamen“ und verwendete damit einen Begriff, der ursprünglich von Lukrez stammt.22 Dieser schrieb im zweiten Buch seiner Naturlehre („De rerum natura“, vor 55 v. Chr.), dass es notwendigerweise eine Abweichung im Lauf der Atome geben müsse, die die Voraussetzung für die Entscheidungsfreiheit aller Lebewesen darstelle.23 Bei Graham lautet die betreffende Textpassage wie folgt: THE window-shopper’s idle glance constitutes a kind of clinamen. The word is from Lucretius, for whom it signifies the sudden and unpredictable swerve of a single atom from its otherwise pre-ordinated trajectory, and the minimum angle to laminar flow sufficient to initiate a turbulence: thus the first small eddies, and the first great vortices. It is the Clinamen, according to the physicist, that breaks the endless chain of fate and yields the law of nature.24
Graham verwendete auch Ausdrücke wie „laminar flow“ (wirbelfreie Strömung) und „turbulence“ (Turbulenz), die aus der neueren Komplexitätsforschung stammen. Besonders bekannt wurden aus diesem Bereich die Ausführungen des Mathematikers und Meteorologen Edward N. Lorenz, der 1963 in seinem Artikel über „Deterministic Nonperiodic Flow“ feststellte, dass Strömungsverhalten durch eine winzige Veränderung der Ausgangsbedingung komplett verändert werden könne.25 Wie der Titel seines Artikels aber schon andeutet, unterliegt dem eine grundsätzlich deterministische Sichtwei22
23 24
25
Diesen eignete sich Graham wohl im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Jarry und der Pataphysik an. Jarry wiederum begegnete ihm in den Vorlesungen Bergsons, die dieser am Collège Henri IV hielt. Vgl. Steven Harris: „Pataphysical Graham“: A Consideration of the Pataphysical Dimension of the Artistic Practice of Rodney Graham. In: Tate Papers 6 (2006), URL: http://www.tate.org.uk/research/publications/tate-papers/pataphysical-graham-consideration- pataphysical-dimension-artistic (Stand: 5.7.2017). Vgl. Lukr., De rerum natura, II 216–93. Rodney Graham: Freud’s Clinamen. Appendix C. In: Rodney Graham. Kat. Ausst. Vancouver (Vancouver Art Gallery) 1988, S. 60f., hier S. 60. – Erstmalige Veröffentlichung in deutschsprachiger Version: „Der beiläufige, flüchtige Blick beim Schaufensterbummel schafft eine Art Clinamen. Dieser Begriff stammt von Lucretius, für den er das plötzliche und unvorhersehbare Abweichen eines einzelnen Atoms von seiner ansonsten vorbestimmten Flugbahn bezeichnet, sowie den kleinsten Winkel dieser Abweichung zur wirbelfreien Strömung, der ausreicht, eine Turbulenz auszulösen: also die ersten kleinen Wirbel und die ersten großen Strudel. Diesem Physiker zufolge ist es das Clinamen, das die endlose Kette des Schicksals aufbricht und das Naturgesetz hervorbringt.“ Rodney Graham: Projekt. Cyclamen. In: Klaus Bußmann u. Kasper König (Hgg.): Skulptur Projekte in Münster 1987. Kat. Ausst. Münster (Westfälisches Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte in der Stadt Münster). Köln 1987, S. 109–112, S. 110. Vgl. Edward N. Lorenz: Deterministic Nonperiodic Flow. In: Journal of the Atmospheric Sciences 20/2 (März 1963), S. 130–141, hier S. 132f.
2. Variable Ausgangsbedingungen, vieldeutige Allegorien
185
Schaubild 11: Thomas Alva Edison zeigt den Kineto-Phonographen, 1889.
se, die im Gegensatz zu der von Lukrez proklamierten Zufälligkeit des aus seiner Bahn tretenden Atoms steht. Ein solches Spannungsverhältnis findet sich auch in der Konzeption von „Phonokinetoscope“. So führte Graham mit der möglichen Interaktion des Betrachters eine kontingente Ausgangsbedingung ein, die dann jedoch in einen festgelegten Ablauf mündet, sofern die Tonwiedergabe des Plattenspielers nicht vorzeitig unterbrochen wird. 1997 schrieb der Künstler an anderer Stelle: „Flows can be regulated but the unpredictable always occurs: the clinamen.“26
26
Graham 1997, S. 14.
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IV. Aleatorik
In seinem Kommentar zu „Phonokinetoscope“ bezog sich Graham auf die Erfindung des Kineto-Phonographen durch Thomas Alva Edison im Jahr 1889,27 der durch die Koppelung von Phonograph, einem Vorläufer des Grammophons, und Kinetoscope, einem Guckkasten zum Betrachten laufender Bilder, bereits in den frühen Anfängen der Kinogeschichte eine Verbindung von bewegtem Bild und Ton verwirklichte (Schaubild 11). Wie William K. L. Dickson, der damalige Ingenieur Edisons, retrospektiv schilderte, war die Synchronisierung beider Apparate eine große Herausforderung, in deren Bewältigung viel Arbeit investiert wurde.28 Vor diesem Hintergrund erscheint es widersinnig, dass Graham ausgerechnet diese Anstrengung in ihr Gegenteil verkehrte, indem er eine zeitlich eindeutig festgelegte Verbindung von Bild und Ton von vornherein ausschloss: My phonokinetoscope is somewhat more rudimentary than Edison’s: Not only is there no guarantee of synchronicity, but in fact my unsynched loop allows for innumerable sound/ image juxtapositions--and thus myriad music videos. The score for the film has demonstrative dynamics, and by coming in at different points in the narrative, it creates different dramatic effects.29
Um zu klären, wie ein beliebiger Zusammenhang von Ton- und Bildebene begünstigt wird, also nicht wie bei Douglas’ „Journey into Fear“ Bild und Ton segmentweise wiederkehrende Paarungen bilden, ist es erforderlich, die Konzeption der beiden Phasen etwas genauer zu betrachten. Der Film besteht aus vier unterschiedlich langen Abschnitten – 1:07 Minuten, 0:56 Minuten, 2:21 Minuten und 0:21 Minuten –, die jeweils durch eine Nahsicht auf das Vorderrad eines fahrenden Fahrrads locker voneinander geschieden werden. Ergänzt wird diese den zeitlichen Ablauf gliedernde Einstellung durch Ansichten des Künstlers, der in der Rolle eines schwarz gekleideten Intellektuellen scheinbar ziellos durch den Berliner Tiergarten fährt. Wie für Arbeiten Grahams üblich, überlagern sich in seinem Auftritt verschiedene Identitäten. So erkennt man einerseits den Künstler selbst, das Fahrrad wird aber andererseits auch zu einem Attribut, das ihn, zieht man seine Äußerungen zu dem Werk hinzu, mit dem Entdecker des LSDs Albert Hofmann, Syd Barrett, dem ehemaligen Sänger der Gruppe Pink Floyd, sowie dem Konzeptkünstler BasJan Ader identifizieren lässt.30 27 28 29 30
Vgl. Rodney Graham: A Thousand Words: Rodney Graham Talks about the Phonokinetoscope. In: Artforum International (November 2001), S. 116f., hier S. 117. Vgl. William Kenney Laurie Dickson: A Brief History of the Kinetograph, the Kinetoscope, and the Kineto-Phonograph. In: Society of Motion Picture Engineers Journal 21/6 (1933), S. 435–455, hier S. 448f. Graham 2001, hier S. 117. Graham gibt zu jedem seiner Werke Erklärungen, die unterschiedlich ausführlich in Ausstellungskatalogen oder Zeit-
2. Variable Ausgangsbedingungen, vieldeutige Allegorien
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Die vier einzelnen Abschnitte können wie folgt zusammengefasst werden – wobei mit der vorgenommenen Zählung keine Entwicklungslogik unterstellt werden soll: Im ersten Teil sieht man den Protagonisten an einem bewaldeten Teich auf einem großen Stein sitzen. Der Blick schweift umher, dann schraubt er seine Thermoskanne auf. Der runde silberne Deckel, den er betrachtend in seinen Händen dreht, zeigt, wie auch der Aufdruck auf der Schallplatte im realen Ausstellungsraum, das Bild einer Sonnenblume und den Schriftzug „Sunflower“. Dass nun wieder das fahrende Rad eingeschnitten wird, ist unlogisch, da der Mann danach immer noch an derselben Stelle sitzt, allerdings wird er nun aus frontaler Perspektive und in Nahsicht aufgenommen (Teil 2). Diesmal hält er ein viereckiges Blättchen auf der Kuppe des Zeigefingers, das den verrückten Hutmacher aus der Zeichentrickversion von Disneys „Alice in Wonderland“ (1951) zeigt. Dies ist Hinweis darauf, dass es sich um eine Droge handelt.31 Nach kurzem Zögern steckt er sie in den Mund. Die Kamera zeigt nun einen Ausschnitt des Bodens, der dem Blickfeld entspricht. Dort liegen scheinbar zufällig eine Spielkarte der Karo-Königin und eine Wäscheklammer aus Holz. In der nächsten Einstellung sieht man den Mann wieder auf dem Fahrrad fahren, nun jedoch fällt die flatternde Spielkarte, die an der Halterung des vorderen Schutzblechs festgeklemmt ist und somit teilweise in die Speichen hineinragt, besonders stark auf – besonders stark deshalb, weil das Rattern des Filmprojektors einen ähnlichen Klang erzeugt. Der Mann unterbricht seine Fahrt (Teil 3), als er an einem kleinen Platz vor der monumentalen Marmorfigur der Königin Luise von Preußen ankommt, die erhöht auf einem Postament steht. Das scheinbare Zwiegespräch wird durch den Naturalismus der Statue und den nachdenklich geneigten Kopf verstärkt. Als der Protagonist wieder auf sein Rad aufsteigt, ist eine ganze Minute vergangen, die durch den eingängigen Rhythmus der Musik deutlich kürzer zu dauern scheint. Weil darauf noch zurückzukommen ist, sei auf folgende Interpretationsmöglichkeit hingewiesen: Die Konstellation von Künstler und Skulptur erinnert an die Bildtradition von Pygmalion und Galatea, die die Fähigkeit des Bildhauers thematisiert, Lebendiges täuschend echt nachzuahmen. So lässt das lang anhaltende Begehren Pygmalions nach einer Erzählung Ovids eine von ihm gemeißelte Idealfrau mit Hilfe der Göttin Venus lebendig werden.32 Wie sich
31
32
schriften abgedruckt sind und in der Regel als Handreichungen in den Ausstellungen ausliegen. Für den entsprechenden Text zu „Phonokinetoscope“ vgl. Graham 2001, S. 117. – Vgl. Rodney Graham: Phonokinetoscope, 2001. In: Blazwik u. Spira 2002, S. 109. Graham schrieb: „The cinematographic portion of this work is a semi-documentary account of a bicycle ride and (actual) LSD trip I took in the Tiergarten last May. In front of the reconstruction of Rousseau’s tomb in Ermenonville, I ingested a blotter of ,Mad Hatter‘.“ Graham 2001, S. 117. Vgl. Ov. met.10, 243–297. – Vgl. auch Barbara Eschenburg: Katalog. In: Helmut Friedel (Hg.): Pygmalions Werkstatt. Die Erschaffung des Menschen im Atelier von der Renaissance bis zum Surrealismus. Kat. Ausst. München (Städtische Galerie im Lenbachhaus). Köln 2001, S. 80–161, hier S. 88.
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IV. Aleatorik
aus den bereits analysierten abgefilmten lebenden Bildern ableiten lässt, kann die gut einminütige Einstellung bei Graham als medienspezifische Umsetzung dieses Themas aufgefasst werden. Sie rekurriert auf die Metapher des „lebenden Lichtbilds“. In der darauffolgenden kurzen Szene (Teil 4) sieht man schließlich von einer statischen, leicht erhöhten Kameraeinstellung aus den Protagonisten rückwärts auf dem Lenker sitzend über eine Brücke fahren. Die Endlosschleife geht wieder in den ersten Teil über. Der Charakter der Musik erinnert an Pink Floyds Psychedelic Rock der späten 1960er und frühen 1970er Jahre, ohne ein bestimmtes Werk zu zitieren. Sie kann dem Protagonisten als Innenperspektive zugeordnet werden. Die Ballade ist wohlproportioniert, in e-Moll geschrieben und wechselt gesungene Abschnitte mit dramatischen und dissonanten Instrumentalpassagen ab. Durch das „laid back“ erhält sie einen Eindruck von Trägheit und Schwere. Der durch Sprachspiele geprägte Liedtext setzt sich aus drei Strophen zusammen, die jeweils durch die unterschiedlich häufig wiederholte Zeile des Refrains abgeschlossen werden. Das gleichförmige Metrum erzeugt dabei einen Eindruck des kontinuierlichen Vorlaufens: / __ / __ / __ / I’m the „i“ they failed to dot / __ / __ / __ / from the land that time forgot. / __ / __ / __ / I just lost my train of thought. / __ / __ / __ / __ / I saw someone sitting on a rock. / __ / __ / __ / __ __ / __ You’re the kind of girl that fits in with my world. You’re the kind of girl that fits in with my world. / __ / __ / __ / __ / Who is it that does not love a tree? __ / __ / __ / __ / I planted one, I planted three. / __ / __ / __ / Two for you and one for me... /__ /__ / __ / __ / Biological anomaly.
2. Variable Ausgangsbedingungen, vieldeutige Allegorien
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3 x Zeile des Refrains __ / __ / __ / __ / __ When I fell off my medication / __ / __ / __ / __ / __ seems I lost the art of conversation. / __ / __ / __ / Drape the dump in shades of grey; __ / __ / __ / __ / __ / declare it ,I feel fucking awful day‘ 1 x Zeile des Refrains Who is it that does not love a tree? I planted one, I planted three.33
Zu bemerken ist zunächst das inkongruente Verhältnis zwischen der Aussage des Refrains und der Molltonart, die in der Regel als Ausdruck von Trauer wahrgenommen wird. Das behauptete Passen wird auf diese Weise ironisiert oder doch zumindest in Frage gestellt. Die Strophen des Liedtexts reihen sich insgesamt zusammenhangslos aneinander. Damit weist die narrative Organisation der Tonebene die gleiche Bruchstückhaftigkeit auf wie die des Films. Der Rezipient ist beide Male mit einer Abfolge von Schilderungen konfrontiert, die nur lose aufeinander zu beziehen sind. Jedoch sind zahlreiche intermediale Korrespondenzen feststellbar. Der Refrain kann beispielsweise auf die viermal pro Durchlauf eingeblendete Spielkarte mit der Karo-Königin oder auf die insgesamt über eine Minute lang gezeigte Statue der Königin Luise bezogen werden. Die Zeile „I saw someone sitting on a rock“ lässt sich direkt auf die entsprechende Filmszene beziehen und kann je nach dem Zeitpunkt ihres Auftauchens als Erinnerung an Vergangenes oder als Vision interpretiert werden. Wie bei den weiter oben genannten psychoakustischen Effekten, die Reich bei Phasenverschiebungen in der Musik festgestellt hatte und die den Hörer unwillkürlich Melodien wahrnehmen lassen, obwohl diese nie intendiert waren,34 können auch bei „Phonokinetoscope“ mühelos weitere Verknüpfungen hergestellt werden.
33 34
Rodney Graham: [Liedtext zu „Phonokinetoscope“]. In: Keller u. Slade 2006, S. 90–95. Vgl. Reich (EA 1968) 2002, S. 35.
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IV. Aleatorik
Die Verweisstruktur zeichnet sich außerdem durch Redundanz und Sinnüberschuss aus, die ebenfalls Anschlussmöglichkeiten zwischen Film- und Tonwiedergabe wahrscheinlich machen. So wird auf den Konsum psychotroper Substanzen nicht nur einmal, sondern in mehreren Motiven angespielt. Dazu gehören insbesondere das Bild des verrückten Hutmachers aus „Alice in Wonderland“ und die in die Radspeichen geklemmte Spielkarte. Denn als „Karo-Königin“, als „Queen of Diamonds“, assoziiert diese zwei Klassiker der Pop-Geschichte, die mit der Droge LSD in Zusammenhang gebracht werden: „Lucy in the Sky with Diamonds“, dessen Titel als entsprechende Chiffre gilt, auf dem Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ (1967) von den Beatles und „Shine on you Crazy Diamond“ auf dem Album „Wish you Where Here“ (1975), das sich auf den wegen übermäßigen Drogenkonsums erkrankten und aus der Gruppe ausgeschiedenen Barrett35 bezieht, von Pink Floyd. Der Refrain „You’re the kind of girl that fits in with my world“ kann damit auch als fatalistische Liebeserklärung an die „Königin aller Drogen“ verstanden werden, die in einer zweiten Lesart die Hingabe an die Illusion des bewegten Bilds – motivisch gespiegelt über die flatternde Spielkarte und die Szene mit der Statue – impliziert. Die Angaben des Künstlers zum Werk befördern die Vervielfachung der Verweise zusätzlich. So erfährt man beispielsweise, dass der Wortlaut des Refrains dem Stück „Bike“ von Barrett, das auf dem ersten Pink-Floyd-Album „Piper at the Gates of Dawn“ (1967) veröffentlicht ist, übernommen wurde.36 Beide Lieder verbindet das Motiv des Fahrrads und die Andeutung einer halluzinogenen Erfahrung. Auch vollführte Graham die Aktion, wie er schrieb, in Anlehnung an Hofmann, der während seines ersten Selbsttests mit LSD im Jahr 1943 mit dem Rad nach Hause fuhr und gravierende Wahrnehmungstäuschungen erfuhr.37 Andere Referenzen wie diejenige auf Burt Bacharachs und Hal Davids Lied „Raindrops Keep Fallin’ on My Head“, welches für George Roy Hills Westernfilm „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ (1969) geschrieben wurde, auf Bas Jan Aders performative Arbeit „The Boy Who Fell Over Niagara Falls“ (1972) und auf den Schluss von Mark 35 36 37
Vgl. John Harris: Pink Floyd und The Dark Side of the Moon. Die Entstehung eines Meisterwerks. Übers. aus dem Engl. v. Jörg Gülden. Höfen 2007, S. 51. In dem „Rodney Graham Songbook“ sind Barrett und Graham als Autoren von „Theme for Phonokinetoscope“ verzeichnet. Vgl. Keller u. Slade 2006, S. 90. In seinem Buch „LSD – Mein Sorgenkind“ beschrieb er, wie sich seine Wahrnehmung der Außenwelt rapide veränderte: „Ich konnte nur noch mit größter Anstrengung verständlich sprechen und bat meine Laborantin, die über den Selbstversuch orientiert war, mich nach Hause zu begleiten. Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad […] nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen. Indessen sagte mir später meine Assistentin, wir seien sehr schnell gefahren. […] Alle Anstrengungen meines Willens, den Zerfall der äußeren Welt und die Auflösung meines Ich aufzuhalten, schienen vergeblich.“ Albert Hofmann: LSD – mein Sorgenkind. Die Entdeckung einer „Wunderdroge“. München 1979, S. 29.
2. Variable Ausgangsbedingungen, vieldeutige Allegorien
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Twains „Adventures of Huckleberry Finn“ (1884) wären nur mit einer weiten Ausholbewegung zu integrieren und scheinen neuen, aber mit dem Drogenthema auch verwandten Bereichen anzugehören. Aufgrund der starken Durchsetzung der Arbeit mit Metaphern könnte man das Vorliegen einer Allegorie oder mehrerer Allegorien, beispielsweise auf die betäubende oder die bewusstseinsverändernde Eigenschaft von Film, vermuten.38 Hierfür spräche auch die für die Szene mit der Statue der Königin Luise vorgeschlagene Lesart einer Problematisierung des filmischen Illusionismus’. In Anlehnung an Quintilian beschrieb Gerhard Kurz die rhetorische Figur der Allegorie als eine narrative Sequenz, die neben ihrer buchstäblichen Ebene eine kohärente figurative enthalte.39 Mit Blick auf die moderne Allegorie wurde dieses kohärente Verhältnis jedoch in Frage gestellt. Wenn im Folgenden exemplarisch die Positionen von Paul de Man und Hans Blumenberg zur Sprache kommen, dann mit dem Ziel, Allegorie und Zeit aufeinander zu beziehen. De Man schrieb der Allegorie – mit Rekurs auf deren komplizierte Begriffsgeschichte – im Gegensatz zum Symbol eine dezidiert zeitliche Ästhetik zu. Dies führte er in seinem sprachkritischen Aufsatz „The Rhetoric of Temporality“ (1969) anhand von Beispielen aus der englischen und französischen romantischen Naturdichtung aus. Bewusstsein (= Subjekt) und Natur (= Objekt) seien dort durch assoziative Analogien („associative analogy“) miteinander verbunden – wobei die in Kritik und Dichtung der damaligen Zeit gefundenen Begriffe wie geistige Übereinstimmung („affinity“) und Zuneigung („sympathy“) auf eine intersubjektiv aufgefasste Beziehung zwischen Subjekt und Objekt hinwiesen. In letzter Konsequenz wende sich das Subjekt dabei auf sich selbst zurück.40 Die Stilfigur der Allegorie – dies betrifft nun die Bewusstseinstätigkeit des Lesers – verhindere aufgrund ihrer zeitlichen Struktur jedoch eine Verschmelzung von buchstäblicher und figurativer Ebene, also zwischen Naturschilderung und sich darin spiegeln wollendem Subjekt der Erzählung: We have [...] a relationship between signs in which the reference to their respective meanings [signifié] has become of secondary importance. But this relationship between signs necessarily contains a constitutive temporal element; it remains necessary, if there is to be allegory,
38 39 40
Vgl. auch die Ausführungen in: Shepherd Steiner: Phonokinetoscope. Cambridge, Massachusetts, London 2013, S. 52 u. S. 69. Vgl. Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol (= Kleine Vandenhoeck-Reihe). 3. bibliogr. erg. Aufl. Göttingen 1993, S. 29–32. Vgl. Paul de Man: The Rhetoric of Temporality (EA 1969). In: Ders.: Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism, 2. überarb. u. mit einer Einführung von Wlad Godzich versehene Aufl. Minnesota 1983, S. 187–228, hier S. 195f.
192
IV. Aleatorik
that the allegorical sign refer to another sign that precedes it. The meaning constituted by the allegorical sign can then consist only in the repetition (in the Kierkegaardian sense of the term) of a previous sign with which it can never coincide, since it is of the essence of this previous sign to be pure anteriority. [...] Whereas the symbol postulates the possibility of an identity or identification, allegory designates primarily a distance in relation to its own origin, and, renouncing the nostalgia and the desire to coincide, it establishes its language in the void of this temporal difference. In so doing, it prevents the self from an illusory identification with the non-self, which is now fully, though painfully, recognized as non-self.41
Das allegorische Zeichen müsse also immer in Relation zu einem anderen Zeichen gedacht werden, das ihm vorausgehe. Um Bedeutung zu generieren, sei das vorlaufende Zeichen in die Gegenwart zu holen, die Trennung zwischen beiden könne aber aufgrund der unaufhebbaren zeitlichen Distanz nicht überwunden werden. Eine stabile Identität zwischen Zeichen und Bedeutung herzustellen sei nicht möglich. Der Verweis auf Søren Kierkegaards „Die Wiederholung. Ein Versuch in der experimentellen Psychologie“ (1843) mag dabei verdeutlichen, was de Man im Sinn hatte, wenn er die Wiederholung eines Zeichens für unmöglich erklärte. So schilderte Kierkegaard einen Mann, der, während er erfolglos über das philosophische Problem der Wiederholung nachdenkt, auf die kuriose Idee kommt: „Du kannst ja nach Berlin fahren, da bist du schon einmal gewesen, und kannst dich alsdann vergewissern, ob eine Wiederholung möglich ist und was sie zu bedeuten hat.“42 Wie für den Leser abzusehen, müssen seine Anstrengungen, den erneuten Berlin-Besuch durch die Ausübung der gleichen Tätigkeiten wie ehemals an die eigene von Nostalgie geprägte Erinnerung anzugleichen, erfolglos sein.43 Blumenbergs an einem fiktiven Beispiel eines zeitgenössischen Theaterstücks entwickelte Definition einer modernen Allegorie zielte anders als diejenige de Mans nicht mit dem Argument der Zeitlichkeit, sondern mit der Betonung der Vieldeutigkeit auf deren Unauflösbarkeit ab. Auch Blumenberg erteilte der Möglichkeit einer vollkommenen Verschmelzung von Zeichen- und Bedeutungsebene eine Absage. In seinem Aufsatz „Die essentielle Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstands“ (1968) formulierte er: 41 42
43
Ebd., S. 207. Søren Kierkegaard: Die Wiederholung. Ein Versuch in der experimentellen Psychologie (EA Kopenhagen 1843). In: Søren Kierkegaard. Gesammelte Werke. 37 Bde. Bd. 5/6. Übers. v. Emanuel Hirsch, Düsseldorf 1955, S. 3. – Für die Berlin-Episode vgl. ebd., S. 23–44, v. a. S. 42f. „Wiederholung und Erinnerung sind die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn wessen man sich erinnert, das ist gewesen, wird rücklings wiederholt; wohingegen die eigentliche Wiederholung sich der Sache vorlings erinnert.“ Ebd., S. 3.
2. Variable Ausgangsbedingungen, vieldeutige Allegorien
193
[...] etwas fehlt, was die klassische Allegorie auszeichnet, nämlich, dass sie immer schon weiß, was sie darstellt, dass ihr Verweisungsbezug durch dieses Wissen Eindeutigkeit beansprucht, und dass das Verständnis nicht eher ruhen darf, ehe es nicht diesen eindeutigen Bezug aufgedeckt bzw. nachvollzogen hat. Die moderne Allegorie [...] geht weder von einer abstrakten Formulierung eines Inhaltes aus noch tendiert sie auf eine solche Fassbarkeit. [...] Sondern diese Allegorie beansprucht für sich selbst die Charaktere einer letzten Gegebenheit, die zwar immer Deutungen provoziert, diese Deutungen aber durch ihre Ablösbarkeit bzw. ihre Interferenz entkräftet, in der Schwebe lässt, aufhebt, nicht zur Endgültigkeit gelangen lässt.44
Die von Blumenberg beschriebene Vieldeutigkeit der allegorischen Zeichen befördert also ein Entziffern- und damit Abschließen-Wollen der Deutungstätigkeit, während sie diese gleichzeitig verhindert, da sich keine kohärente zweite Lesart ergeben kann. Dass der Versuch, die Abfolge aufeinander bezogener, teilweise durch Ironie ausgezeichneter Metaphern zu integrieren und zu deuten, eine zeitlich andauernde Interpretationstätigkeit des Rezipienten erfordert, wie es de Man hervorhob, entspricht der Erfahrung vor „Phonocinetoskope“. Dass die Arbeit zwar als solche erkennbare Themenbereiche anspricht, aber nicht auf eine einzige kohärente „eigentlich gemeinte“ Lesart festzulegen ist, trifft auch zu und wird durch das aleatorische Prinzip befördert. Kontingent ist aber hauptsächlich der im Betrachter angestoßene Sinnstiftungsprozess. Denn noch mehr als die Buchattrappe auf der Skulptur Projekte Münster 1987 ist der Plattenspieler hier der „Motor, der durch seine Rotation den gesamten Traum-Apparat in Bewegung setzt“45.
44 45
Hans Blumenberg: Die essentielle Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstands. In: Actes du cinquième congrès international d’esthétique publiés sous la surveillance de Jan Aller. La Haye u. Paris 1968, S. 64–70, hier S. 65f. Graham 1987, S. 112. Engl. Fassung: „and here is the kind of engine which, by its rotary action, sets the entire dream-apparatus into motion: the cyclamen…“ Graham 1988, S. 61.
C. ZEIT UND RAUM
I. DER AUFGEFALTETE RAUM
1. JAHRESZEITENZYKLEN Bisher war zwar neben dem zeitlichen auch der räumliche Aspekt immer wieder angesprochen worden, im Folgenden soll ihm aber bei der Betrachtung überwiegend mehrkanaliger Film- und Videoinstallationen verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet werden. Zuerst soll es um solche Beispiele gehen, die auf separaten Projektionsfeldern jeweils den gleichen Ort zu unterschiedlichen Zeiten darstellen. Der Ausdruck „aufgefalteter Raum“ entwickelt sich dabei aus der Vorstellung von einem gefalteten Zeitstrahl, bei dem zeitlich auseinanderliegende Ereignisse nebeneinander zu liegen kommen. Die betreffenden Installationen scheinen in gewisser Weise an die Tradition der Bildzyklen, oder weiter gefasst Bildfolgen, in der Malerei anzuschließen. Diese können dazu dienen, eine bestimmte Geschichte mit Hilfe einer Abfolge separater Felder zu entfalten – ein Kunstgriff, der in Film und Video nicht angewandt werden müsste, da diese ja Andauerndes abzubilden in der Lage sind. Die Wiederholung einer Figur oder Figurenkonstellation vor identisch aufgebauten Raumelementen kennt man zudem von gebundenen Bildzyklen, die in eine illusionistische Architektur eingebettet sind. Dies trifft beispielsweise für die Personifikationen der Tugenden und Laster in der von Giotto di Bondone um 1305 mit Fresken ausgestatteten Arenakapelle in Padua zu, die in jeweils gleiche Nischen eingebettet sind. In diesem Fall soll kein Zeitablauf dargestellt werden. Die nun vorgestellten Arbeiten von Bill Viola und Kutluğ Ataman orientieren sich am Zyklus der vier Jahreszeiten. Es wird zu untersuchen sein, wie sich der räumliche Aspekt der jeweiligen Installation zu der Dauer ihrer einzelnen Bildwiedergaben verhält. DIE MEHR-KANAL-ARBEIT ALS BILDFOLGE
Violas „Catherine’s Room“ (2001, Abb. 60) besteht aus fünf nebeneinander an der Wand angebrachten, kleinformatigen LCD-Bildschirmen. Die Arbeit zeigt den gleichen büh-
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I. Der aufgefaltete Raum
nenartigen Innenraum, der jeweils unterschiedlich ausgestattet ist und in dem eine hagere grauhaarige Frau, gespielt von der Schauspielerin Weba Garretson, einfache Handlungen verrichtet. Die Abspielgeschwindigkeit beträgt dabei etwa 75 Prozent der Aufnahmegeschwindigkeit,1 was dem Maß der Verlangsamung in Warhols frühen Experimentalfilmen entspricht. Neben der dadurch erreichten Wahrnehmungsintensivierung ist die Präsentation der Videos auf Flachbildschirmen wesentlich für die Wirkung der Arbeit. Deren Oberflächen verglich Viola in einem von Hans Belting geführten Interview, in dem es auch um „Catherine’s Room“ ging, eher mit der Textur einer Buchseite als der eines elektronischen Bildschirms. LCD-Bildschirme besäßen aber auch eine fotografische Qualität. So sei die Auflösung stark und die Störanfälligkeit gering.2 Indem Viola die durchgängig mit statischer Kamera aufgenommenen Videos in Zeitlupe und ohne Ton präsentiert, nähert er die Reihe dem Charakter statischer Bildfolgen an. Erst auf den zweiten Blick realisiert der Betrachter der gut 19-minütigen Arbeit fasziniert, dass sich die Figur bewegt und dass die einzelnen Bildfelder unterschiedliche Tages- und Jahreszeiten repräsentieren. So praktiziert die Frau auf dem ersten Bildschirm links unter anderem das Sonnengebet, eine zirkulär angelegte Übungsabfolge aus dem Hatha-Yoga, die idealerweise am Morgen ausgeführt wird und den Menschen mit dem Göttlichen verbinden soll.3 Im Hintergrund sind deswegen Waschutensilien auf Kommode und Hocker zu sehen. Im zweiten Video daneben verrichtet sie in der nun verändert eingerichteten Kulisse, die mit einer Vase weißer Lilien geschmückt ist, Näharbeiten. Die Kammer einer Gelehrten erscheint schließlich auf dem dritten Bildfeld. Beim Licht einer Schreibtischlampe versucht die Frau, einen Text zu Papier zu bringen. Im vierten wird der Raum von zahlreichen Kerzen, die von der Protagonistin angezündet werden, in ein warmes Licht getaucht. Die fünfte und letzte Raumansicht zeigt den Übergang in die Nachtruhe. Den tagesspezifischen Tätigkeiten entsprechend gibt die Fensteröffnung im Hintergrund rechts oben den Blick auf die Äste eines Baums frei, die den Wechsel der Tages- und Jahreszeiten anzeigen: auf der linken Bildausgabe mit Blüten bei gleichmäßigem Licht, dann mit grünen Blättern und zeitweise gebündelt ins Zimmer fallendem Sonnenstrahl, in der Mitte in rotes Licht getaucht mit welkem Blattwerk, dann kahl, scheinbar erhellt durch den Kerzenschein aus dem Innenraum und im letzten Video vom Schwarz der Nacht verschluckt.
1 2 3
Vgl. John Walsch: Emotions in Extreme Time. Bill Viola’s Passions Project. In: Ders. (Hg.): Bill Viola. The Passions. Kat. Ausst. Los Angeles (J. Paul Getty Museum u. a.) 2003, S. 25–63, hier S. 46f. Vgl. Hans Belting and Bill Viola. A Conversation. In: Walsch (Hg.): Bill Viola 2003, S. 189–220, hier S. 203. Vgl. Julia Koll: Körper beten. Religiöse Praxis und Körpererleben (= Praktische Theologie heute 85). Stuttgart 2007, zugl. Phil. Diss. Univ. Marburg 2006, S. 170.
1. JAHRESZEITENZYKLEN
197
Im schon genannten Interview hob Viola die Bedeutung des Themas Zeit gerade für diese Arbeit hervor und betonte dabei den Reichtum der Darstellungsmöglichkeiten, die im Laufe der Kunstgeschichte entwickelt wurden.4 Seine bereits für „Ancient of Days“ (Abb. 47) formulierte Skepsis gegenüber naturwissenschaftlichen und ökonomisch motivierten Welterklärungsversuchen brachte er hier wieder zum Ausdruck. Die in der westlichen Industriegesellschaft vorherrschende Auffassung von abstrakten Zeiteinheiten, die mit der Uhr gemessen würden, sei reduktiv, genauso wie die durch Aristoteles formulierten narrativen Strukturierungskonventionen mit Einleitung, Höhepunkt und Schluss. Deutlich wird im Verlauf des Interviews abermals Violas durch den amerikanischen Transzendentalismus und fernöstliche Philosophien geprägte Vorstellungswelt. Mit Bezug auf „Catherine’s Room“ benannte Viola mehrere Zeitaspekte: so die Echtzeit, die er ungeachtet der Verlangsamung der Abspielgeschwindigkeit – üblicherweise ist mit Echtzeit die abbildungsgerechte zeitliche Wiedergabe eines realen Vorgangs gemeint – auf die im Moment der Betrachtung wahrgenommenen Bewegungen der Frau bezog.5 Die Arbeit gewinne durch die Gleichzeitigkeit der fünf Bildwiedergaben an Komplexität. So verwiesen diese auf die „parallele Zeit“, was nichts anderes heißen soll, als dass mental oder über Kommunikationsmedien eine Anwesenheit an mehreren Orten gleichzeitig möglich sei. Dies lässt an Ira Schneiders Videoinstallation „Time Zones“ (1980) denken, die die Weltzeitzonen thematisiert und zu der Viola zwei Videobänder beisteuerte.6 Der Begriff des Mediums im Sinne eines spirituellen Mittlers kursierte im kunsttheoretischen Diskurs der 1970er Jahre, wenn es um Video ging.7 Weiterhin nannte der Künstler im Hinblick auf die Tages- und Jahreszeitenikonographie seiner Arbeit die Rhythmen der Natur, die durch heutige Maßsysteme nur noch unzureichend berücksichtigt würden und die den Menschen und dessen Lebenszeit überdauerten. Die Zeitspannen der Natur manifestierten sich in den Lebensaltern des Menschen, die in „Catherine’s Room“ ebenfalls gemeint seien. Das letzte Bildfeld, dessen Fenster eine schwarze Leere zeigt, bezeichne einen Ort, der der Zeit enthoben sei. Alle Menschen verspürten den Wunsch, sich mit der Ewigkeit zu verbinden. Dies jedoch 4
5
6 7
Vgl. Hans Belting and Bill Viola. A Conversation 2003, S. 189–220. – In einem 2008 in der Zeitschrift „Perspective“ abgedruckten Interview fasste Viola die genannten Aspekte von Zeit in vergleichbarer Weise zusammen. Vgl. Entretien avec Bill Viola. Bill Viola, L’histoire de l’art et le présent du passé. In: Perspektive 3 (2008), S. 378–392. „First there is the time of her actions – the present moment. In media, we call it ,real time‘. This is a continuous unfolding state in which one action flows into another, and it parallels our existence as viewers standing in front of the images.“ Hans Belting and Bill Viola. A Conversation 2003, S. 212. Vgl. Kap. S. 298. – Für eine ausführliche Analyse der Arbeit vgl. Paflik-Huber 1997, S. 153–160. „Everyday speech contains an example of the word ,medium‘ used in a psychological sense; the uncommon terrain for that common-enough usage is the world of parapsychology: telepathy, extrasensory perception, and communication with an afterlife, for which people with certain kinds of psychic powers are understood to be mediums.“ Krauss (EA 1976) 2010, S. 4.
198
I. Der aufgefaltete Raum
sei nur durch Wiederholung, etwa durch das Ausüben von Ritualen, möglich.8 Das Sinnbild, das Viola für diesen zeitlosen Zustand fand, ist der Schlaf. Mit Bezug auf die im Werk angesprochenen Lebensalter muss er als der Tod interpretiert werden. Die meditative Innerlichkeit der dargestellten Handlungen nähert die Arbeit dem Charakter von Andachtsbildern an. Viola selbst nannte als Referenz eine Darstellung der heiligen Katharina von Siena, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als Dominikanerin und Mystikerin wirkte. Insbesondere bezog er sich auf eine durch Andrea di Bartolo gestaltete Predella, die sich heute in der Sammlung der Galleria dell’ Academia in Venedig befindet und die auf die Jahre 1393 bis 1394 datiert wird (Abb. 61). War das Altarbild in der Regel ikonischen Einzeldarstellungen bestimmter Heiliger gewidmet, so enthielt die Altarstaffel Bildfolgen zu deren Leben. Gemäß der Tradition, die mittlere Tafel mit eucharistischer Symbolik auszustatten,9 zeigt die Predella in ihrem Zentrum die Stigmatisierung der heiligen Katharina von Siena. Viola hob die Schlichtheit der Bildreihe hervor und den „Achsensprung“, der eine Symmetrie der Darstellung erzeugt: „Andrea’s images have a striking simplicity, along with some subtle and beautiful things like a ,reverse camera angle‘ that suddenly appears in the middle of the sequence, when the point of view abruptly shifts to the opposite side of the room.“10 Bei Betrachtung der Bildstaffel, die in dem Ausstellungskatalog „Bill Viola. The Passions“ (2003) abgedruckt ist, erstaunt in der Tat die Einförmigkeit und Handlungsarmut der Darstellungen, die jeweils die gleiche Nonne im intensiven Gebet zu zeigen scheint, viermal davon in einem in Parallelperspektive gestalteten, guckkastenartigen Innenraum. Bezieht man jedoch das Altarbild ein, so wird offensichtlich, dass es sich nicht um den gleichen Raum und die gleiche Person zu unterschiedlichen Zeiten handelt, wie Viola dies vermutete, sondern dass jedes Einzelbild ein zentrales Ereignis aus dem Leben der oberhalb im Altarbild repräsentierten Dominikanerin darstellt. Die räumlich zugeordneten Inschriften weisen nur die mittlere von ihnen als die heilige Katharina von Siena aus.11 So gesehen beruht Violas Aufnahme des Bildprogramms auf einem produktiven Missverständnis. Ohnehin zeigen die Äußerungen des Künstlers genauso wie die Umset8 9
Vgl. Hans Belting and Bill Viola. A Conversation 2003, S. 214f. Vgl. Jochen Sander: Die Predella. Der bevorzugte Ort der Bilderzählung. In: Kult Bild. Das Altar- und Andachtsbild von Duccio bis Perugino. Kat. Ausst. Städel Museum Frankfurt 2006, S. 106–129, S. 127. –Viola reflektierte über Aufbau und Funktion der Predella: „They [predellas] are typically small images, at least smaller than the large central and wing panels of altarpieces, which [...] traditionally show the eternal, ideal state of the person. Instead, the predellas describe a chronological sequence, and to do this they divide the timeline into individual images, each expressing a key event in the life story of the saint or person they are depicting.“ Hans Belting und Bill Viola. A Conversation 2003, S. 211. 10 Ebd. 11 Vgl. Gaudenz Freuler: Andrea di Bartolo, Fra Tommaso d’Antonio Caffarini, and Sienese Dominicans in Venice. In: The Art Bulletin 69/4 (Dezember 1987), S. 570–586, hier S. 573f.
1. JAHRESZEITENZYKLEN
199
zung von „Catherine’s Room“, dass es ihm nicht in erster Linie auf eine Auseinandersetzung mit der Heiligenlegende oder dem Bildprogramm Andreas ankam, sondern dass ihn das Wiederholungsmotiv einer in einem Innenraum betenden Frau interessierte.12 Zwar übernahm er die traditionelle Form der Bildfolge, doch spitzte er die Szenen der einzelnen Videos nicht auf einen Höhepunkt zu. Von Erzählung zu sprechen, erscheint hier unangebracht. Die Videos sind vielmehr Ausweis einer konzentrierten Wahrnehmung von einfachen Handlungen, die symbolisch aufgeladen werden. Da Viola formal an die Tradition der Bildstaffel anschloss und deutlich die Ikonographie der Jahres- und Tageszeiten aufnahm, die mit den Lebensaltern in Bezug gesetzt werden kann, schuf er eine Allegorie der vollkommenen religiösen Hingabe im alltäglichen Tun. Dass das kleine Format, die hohe Brillanz der Bildwiedergabe und die langsamen Bewegungen die Aufmerksamkeit auf Details lenken, befördert wiederum eine m editative Betrachtungsweise des Werks. DIE POLYPHONE RAUMINSTALLATION
Ein vergleichbares Beispiel liefert Kutluğ Atamans „The Four Seasons of Veronica Read“ (2002, Abb. 62). Hier wird auf vier im rechten Winkel zueinander auf Höhe des Betrachters hängenden großformatigen Projektionsleinwänden die kauzig wirkende Engländerin Veronica Read vom Künstler interviewt, wobei jedes der vier Videos zu einer anderen Jahreszeit aufgenommen wurde. In ihrem beengten Zuhause begegnet man der Frau als Züchterin von Amaryllis Hippeastrum, ihrem schon aufgrund des hohen Umfangs der Sammlung von circa 900 Pflanzen überaus absorbierenden Hobby.13 Der Jahresablauf in der abgeschirmten Stadtwohnung scheint vollkommen von den Wachstums- und Ruheperioden der Pflanze bestimmt zu werden, dem sichtlich aufreibenden Kampf gegen Milbenbefall, den peinlich genau durchgeführten Bestäubungsaktionen und dem jährlichen Rückschnitt. Die Omnipräsenz der Blumen erzeugt dabei den Eindruck von einer gewissen Zwanghaftigkeit der Gärtnerin. Da die Projektionsflächen transparent sind und an den Ecken schmale Durchgänge frei lassen, können die Zuschauer prinzipiell sowohl von der Innen- als auch von der Außenseite aus die Aufnahmen verfolgen. Der Ton der Interviews, der vom hohen Klang der Stimme Reads dominiert wird, ist über Lautsprecher zu hören, die jeweils auf Höhe der Abspielgeräte gegenüber der entsprechenden Projektionsfläche angebracht sind. Je nach Standort des Besuchers sind die Erklärungen der Frau entweder deutlich zu ver12 13
Vgl. Walsch 2003, S. 46f. – Vgl. Belting and Bill Viola. A Conversation 2003, S. 199. Vgl. Emre Baykal: Kutluğ Ataman. You Tell Me About Yourself Anyway (= Yapı Kredi yayınları 2680). Istanbul 2008, S. 56f.
200
I. Der aufgefaltete Raum
stehen oder der Ton vermischt sich mit den Wiedergaben der anderen Lautsprecher zu einem durchgängigen Wispern. Da alle vier Videos eine Spielzeit von zwischen knapp 40 und 55 Minuten aufweisen und als Endlosschleifen laufen, ist kaum zu erwarten, dass jemand die Chronologie der Pflanzenzüchtung vollständig verfolgt. Zu lange ist dafür nicht nur die Dauer der Filme, zu ereignislos ist auch die Handlung und zu groß die stetige Ablenkung durch die Mehrzahl der Projektionsflächen und das Gewoge des Klangs. Vielmehr geht es bei „The Four Seasons of Veronica Read“ um die Aufnahme des visuellen Gesamteindrucks und der Polyphonie der Installation sowie um die Konfrontation mit der durchgängig sichtbaren Beziehung der Frau zu ihren Pflanzen, einer Beziehung, die von dem Wunsch nach Hingabe und vollkommener Kontrolle geprägt scheint. Auch wenn der Titel von Atamans Arbeit den Namen der Frau nennt, ist hier doch weniger von einem Portrait als von der Freilegung eines psychologischen Moments zu sprechen. Atamans „The Four Seasons of Veronica Read“ und Violas „Catherine’s Room“ orientieren das dargestellte Subjekt auf einen Bezugspunkt hin und kapseln es von der Außenwelt ab. Während dieses Zentrum bei Viola jedoch die Hinwendung zum implizit anwesenden Göttlichen bedeutet, scheint die Protagonistin bei Ataman selbst mit gottgleicher Hand über Wohl und Wehe ihrer Pflanzen zu bestimmen. Verkörpert die von einer Schauspielerin dargestellte Figur in „Catherine’s Room“ das zeitgemäße Bild einer Mystikerin, so gleicht Atamans Interviewpartnerin eher einem skurrilen Sonderling. Die Grenze zwischen Normalität und Anomalie wird in Frage gestellt. Violas Anbringung der fünf Videos an der Wand nimmt die Anordnung traditioneller Bildzyklen auf und rechnet mit der Leserichtung des Betrachters von links nach rechts. Die raumgreifende Installation bei Ataman hingegen bildet eine formale Entsprechung zu der scheinbar gänzlich durch ihre Leidenschaft beherrschten Person, indem die Projektionsflächen einen Raum bilden, in den der Betrachter eintreten kann. Ein großer Unterschied besteht in der akustischen Dimension beider Arbeiten. Während die Aufmerksamkeit, bedingt durch die Tonlosigkeit, bei Viola ganz auf die verlangsamten Bewegungen der Frau konzentriert ist, verstärkt die Klangwolke bei Ataman den schon auf der visuellen Ebene gegebenen Eindruck der Reizfülle. Da die vier Videos unterschiedlich lang sind, aber als Endlosschleifen laufen, ändern sich im Lauf der Aufführung die Relationen der jeweiligen Sequenzen zueinander. Zwar ist der Ablauf der Installation zu jedem Zeitpunkt determiniert, das Gegeneinander der Videos aber weder von Ataman choreographiert noch für den Betrachter vorhersehbar. Abschließend kann festgestellt werden, dass die Übertragung des Bildfolgeprinzips aus der Malerei keine Übertragung einer etwa damit verbundenen narrativen Funktion bedeutet. Im Gegenteil, sowohl Violas als auch Atamans Arbeiten beschreiben, anstatt zu erzäh-
2. Panoramen
201
len. Genauso wenig wie bei den frühen Filmen Warhols ist die Rezeption der gesamten Dauer aller Videos vorgesehen. Auch eine Allegorie der Jahreszeiten ist hier nicht eigentlich gemeint. Vielmehr dient deren zyklische Ordnung dem Ausdruck von Allgegenwart.
2. PANORAMEN ZEITLICHE DISKONTINUITÄT
Ähnlich wie bei einem Panorama kann eine räumliche Ansicht auch aus mehreren Projektionen bestehen, die sich zu einer Rundumsicht schließen. Wird dabei eine illusionistische Darstellungsweise angestrebt, sind die Kanäle miteinander zu synchronisieren und die Anschlussstellen zwischen den Projektionsflächen möglichst zu verbergen. Dementgegen sind die beiden nun zu analysierenden Werke gerade auf das verzögerte Erkennen einer fehlenden Kohärenz von Raum und Zeit hin angelegt. Die 5:45 Stunden andauernde Mehrfachprojektion „Mapping the Studio I (Fat Chance John Cage)“ von Bruce Nauman aus dem Jahr 2001 (Abb. 63) bildet das bei Galisto in der Wüste von New Mexico gelegene Atelier des Künstlers trotz schlechter Aufnahmebedingungen bei Nacht offenbar möglichst wirklichkeitsgetreu ab. So lassen die graugrüne Färbung und die schwachen Kontraste auf den Einsatz einer Infrarotkamera schließen, die die Raumabschnitte jeweils aus statischer Kameraperspektive wiedergibt. Bei dem Blick auf sieben großformatige Videoprojektionen, die umlaufend an die Wände des abgedunkelten Ausstellungsraums geworfen werden, wird der Betrachter Zeuge der Aktivitäten einer schwanzlosen Katze sowie einer hohen Anzahl von Mäusen. Die deutlich verstärkten Tonspuren zu den Projektionen lassen die Geräusche fliegender Insekten, das Miauen der Katze oder in der Ferne bellende und heulende Hunde hören. Verfolgt man die Bewegungen der Tiere, so realisiert man, dass die mit einer – je nach Ausstellungsraum unterschiedlich großen – Lücke aneinander anschließenden Projektionen zwar den Eindruck von einem raumzeitlichen Kontinuum erzeugen, dass solches aber mitnichten der Fall sein kann. Denn die huschenden dunklen Flecken verschwinden, sobald sie aus dem Blickfeld der Kamera getreten sind, ohne in dem benachbarten Feld wieder zu erscheinen. Auch verändert sich mit der Zeit nicht nur die Kameraposition immer wieder ein wenig, sondern auch die Lage einiger Gegenstände – was der Betrachter freilich nur dann wahrnimmt, wenn er sich lange genug in der Installation aufhält.14 14
Wie Nauman betonte, räumte er ungeplant im Verlauf der Monate, in denen er die Aufnahmen herstellte, sukzessive sein Atelier auf. Der in der Installation gezeigte Raum wirkt bei fortschreitender Laufzeit immer ordentlicher. Vgl.
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I. Der aufgefaltete Raum
Um das Material für die Arbeit zu erzeugen, ließ Nauman die Kamera – technisch bedingt – jede Nacht eine Stunde lang laufen.15 Nach vier Monaten hatte er 42 einstündige Aufnahmen aus ebenso vielen Nächten gesammelt. Auf dieser Grundlage stellte er für jede Kameraposition ein Video von knapp sechs Stunden Laufzeit zusammen. Nach der Vorstellung Naumans soll die Installation einen objekthaften Charakter annehmen und dem Betrachter wie bei den frühen Experimentalfilmen Warhols zu jedem Zeitpunkt ein Kommen und Gehen erlauben. Die lange Laufzeit käme, wie er sagte, dieser Erfahrungsweise entgegen, da sie ein komplettes Erfassen der Arbeit erschwere.16 „Mapping the Studio I (Fat Chance John Cage)“ knüpft auch in anderer Weise an Konzepte aus den 1960er Jahren an. So stellt der Titel einen Bezug zu Cage und dessen planvollem Umgang mit dem Zufall während des Kompositionsprozesses her. Nauman gab, wie Cage, während der Aufnahme einen Großteil seiner Kontrolle ab. So stellte er die Kamera zwar an definierten Positionen auf, verließ dann aber den Raum, sodass diese all das aufzeichnete, was sich während seiner Abwesenheit ereignete. Der umgangssprachliche Ausdruck „fat chance“ meint eine ironische Reaktion auf eine Behauptung, die ein Ereignis ankündigt, das realistisch gesehen sehr unwahrscheinlich ist. „Fat chance“ bedeutet also „sehr unwahrscheinlich“ und kann bei Nauman auf das Jagdglück der Katze als auch die Ausbeute der Kamera bezogen werden.17 Allerdings stellt sich hier aufgrund der Mäuseplage die Wahrscheinlichkeit tatsächlich als eine sehr hohe dar. Berücksichtigt man außerdem, dass das Atelier des Künstlers stereotyp den Ort seiner Schaffenskraft bezeichnet und bezieht man ein, dass Nauman damals auf der Suche nach neuen Ideen war, so kann der Blick in das nächtliche Atelier im übertragenen Sinne auch als Erforschung des Unterbewussten gesehen werden. Denn aufgezeichnet wurde das, was sich dem Bewusstsein entzog. Das Logbuch zeugt von der Akribie, mit der Nauman bei Durchsicht der Videos alle Auftritte der Tiere oder Geräusche erfasste und analysierte.18
15 16 17
18
Bruce Nauman: A Thousand Words. Bruce Nauman Talks About „Mapping the Studio“. In: Christine Litz u. Kaspar König (Hgg.): AC: Bruce Nauman. Mapping the Studio I (Fat Chance John Cage). Kat. Ausst. Köln (Museum Ludwig) 2003, S. 11f., hier S. 12. Bisweilen sieht man den Künstler nach Aktivierung der Kamera den Raum verlassen. Vgl. Nauman: A Thousand Words 2003, S. 11. Bruce Nauman: „Well, when I chose the seven spots, I picked them because I knew there was a mouse activity, assuming that the cat would occasionally show up, too. So the given area that I would shoot over a certain period became a kind of stage. [...] So the performance is just a matter of chance when the performers are going to show up and what is going to happen.“ Michael Auping: Bruce Nauman Interview, 2001 (EA 2002). In: Bruce Nauman: Please Pay Attention Please. Bruce Nauman’s Words. Writings and Interviews. Hg. v. Janet Kraynak. Cambridge, London 2003, S. 397–404, hier S. 399f. Ein Ausschnitt aus diesen schriftlichen Analysen des aufgenommenen Materials ist zwischen S. 16 und S. 17 als Faksimile in den Kölner Ausstellungskatalog eingeheftet. Vgl. Litz u. König 2003. – Vgl. Bezugnahme des Künstlers auf Daniel Spoerris „Andecdotical Photography of Chance [An Anecdoted Topography of Chance]“ (1966) in Auping 2003, S. 398.
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„Mapping the Studio I (Fat Chance John Cage)“ ist nicht nur eine Projektion, sondern auch eine Klanginstallation – vom Höreindruck her vergleichbar mit Cages „Writing Through the Essay On the Duty of Civil Disobedience“ (1985/1991), in dem sich aus mehreren Lautsprechern abgespielte Fragmente aus Henry David Thoreaus gleichnamigem Text zu einer Art Klangteppich ausbilden. Nauman selbst beschrieb die Wirkung seiner Arbeit als meditativ. Bei der Rezeption müsse man das „periphere Sehvermögen“ („peripheral vision“)19 einsetzen, eine Formulierung, die an Ehrenzweigs Ausführungen über das „periphere Sehen“ erinnert. Hiermit ist, wie schon an anderer Stelle ausgeführt, das diffuse Sehen aus dem Augenwinkel gemeint, das Ehrenzweig in einen Zusammenhang mit der von ihm sogenannten tiefenpsychologischen Wahrnehmungsweise stellte. Diese könne auch mehrere Gegenstände gleichzeitig verarbeiten.20 Wenn Nauman schließlich über den Schluss seiner Arbeit sagte: „The image goes blank. No crescendo, no fade, no ,The End.‘ It just stops, like a long slice of time, just time in the studio“21, so wird auch hier, wie so häufig in der Nachfolge Cages, die Definition eines Zeitabschnitts über eine dramaturgische Entwicklung gestellt. Doch berücksichtigt man das installative Nebeneinander der dokumentarischen Aufnahmen, so ist zu konkretisieren, dass es sich nicht um ein einziges „Stück Zeit“ handelt, sondern um viele Stücke. Die angenommene räumliche und zeitliche Kontinuität der Abbildungen wird an den Rändern der Einzelprojektionen als Täuschung offenbar. Mit dieser Strategie schloss Nauman an seine frühen Arbeiten an, insbesondere an „Live-Taped Video Corridor“ (1969/70, Abb. 83), in dem die Wiedergaben zweier übereinandergestellter Monitore auf unterschiedliche Aufnahmezeitpunkte referieren.22 „TEMPORAL WIPE“ UND „HORS-CHAMP“
Die bei Nauman auf den zweiten Blick erfahrbare Diskontinuität von Zeit und Raum findet sich auch in einer früher entstandenen Arbeit von Douglas wieder. Zu den bereits genannten Punkten kommen hier die Bewegung der Kamera dazu sowie eine narrative 19
20
21 22
„Because the projection image is fairly large, if you try and concentrate on or pay attention to a particular spot in the image you’ll miss something. So you really have to not concentrate and allow your peripheral vision to work.“ Nauman: A Thousand Words 2003, S. 12. Vgl. Ehrenzweig 1975, S. 204 u. S. 206. – In zwei Kapiteln, die mit „Simultaneity I“ und „Simultaneity II“ überschrieben sind, widmete sich Ross Mehrfachprojektionen von Tacita Dean und Melik Ohanian, die verschiedene Aufnahmezeitpunkte gleichzeitig präsentieren und dabei eine nur scheinbar konsistente Gegenwart inszenieren. Sie verweigerten es dem Betrachter, die einzelnen Bestandteile chronologisch zueinander in Bezug zu setzen. Die Autorin verwendete hier die Bezeichnung „the binding problem“. Vgl. Ross 2012, S. 211f. u. S. 244. – Zu Ehrenzweig vgl. auch S. 120-122 in vorliegender Arbeit. Nauman: A Thousand Words 2003, S. 12. Vgl. S. 314f.
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und eine historische Dimension. So verwendete der Künstler in der mehrfach in der Forschungsliteratur besprochenen Filminstallation „Der Sandmann“ (1995, Abb. 64),23 deren Titel E.T.A. Hoffmanns gleichnamiger Erzählung von 1816 entliehen ist, zwei 16-mm-Filmloops in Schwarz-Weiss, die wie in der später entstandenen Arbeit „Inconsolable Memories“ auf zwei unterschiedlichen Filmapparaten – ein Durchgang dauert gut zehn Minuten – synchron laufen. Auch hier sind diese so eingestellt, dass die beiden Projektionen übereinanderliegen. Nun allerdings wechseln nicht Schwarzbildsequenz und Filmbild einander ab, sondern es bleibt jeweils eine Hälfte der Linse verdeckt. Die Doppelprojektion besteht also aus zwei gleich großen aneinandergefügten Hälften. An der Stelle, an der sie aufeinandertreffen, werden sie nicht nur wegen der Varianz in der Darstellung, sondern auch wegen des kaum merklichen Flackerns der Filme und ihrer unterschiedlichen Helligkeit unterscheidbar. Die Narration und die historische Dimension der Arbeit sind vertrackt und sollen hier nur kurz skizziert werden. Douglas recherchierte die Geschichte der Potsdamer Kleingärten mit ihren sozialpolitischen Aspekten. Auf dieser Basis ließ er in einem Ufa-Studio der 1920er Jahre in Potsdam-Babelsberg nacheinander zwei Versionen eines fiktiven Schrebergartens aufbauen. Während die eine Kulisse die Gartenmode der 1970er Jahre nachahmte, war die andere in der Art des zum Aufnahmezeitpunkt üblichen Aussehens der Gärten umgestaltet. Beide Daten repräsentieren die Zeit vor und nach dem Mauerfall, die in Potsdam mit einem Wechsel von der kommunistischen zur kapitalistischen Ordnung einherging.24 In und vor der Kulisse des Gartens treten zwei Protagonisten auf: zum einen ein verschroben wirkender Mann bei der Gartenarbeit, zum anderen der junge, durch einen Dunkelhäutigen gespielte Nathanael, der seinen Brief an den Jugendfreund Lothar vorliest. Zwei weitere, im Film nicht sichtbare Sprecher – in den Rollen von Nathanaels Schwester Klara, an die Nathanaels Brief versehentlich adressiert wurde, und Lothar – lesen ihre Antworten an Nathanael vor. Die Vorträge der drei sind jeweils durch eine Zehn-Sekunden-Pause voneinander geschieden und dauern unterschiedlich lang (1:28 Minuten, 1:26 Minuten und 2:06 Minuten). Der Briefwechsel basiert dabei zwar auf E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“, erfuhr aber einige Anpassungen an das von
23
24
Vgl. Carol J. Clover: Der Sandmann. In: Scott Watson, Diana Thater u. Carol J. Clover: Stan Douglas (= Contemporary Artists). London 1998, S. 68–77. – Vgl. Stemmrich 2006. – Vgl. Dora Imhof: Stan Douglas’ Der Sandmann. Film im Raum. Projektion als Erzählung und als Dauer. In: Kunst und Kirche 73/1 (2010), S. 30–33. – Vgl. dies.: Wie erzählt der Sandmann? Multiple Erzählungen in den Film- und Videoinstallationen von Stan Douglas. München 2007, teilw. zugl. Phil. Diss. Univ Basel 2005, S. 131–154. Vgl. Stan Douglas: Der Sandmann (1995). In: Hans D. Christ u. Iris Dressler (Hgg.): Stan Douglas. Past Imperfect. Works 1986–2007. Kat. Ausst. Stuttgart (Staatsgalerie u. Württembergischer Kunstverein) 2007/2008. Engl. Ausg. Ostfildern 2008, S. 195–197, hier S. 196.
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Douglas gewählte Szenario.25 Die narrativ weitgehend unabhängig voneinander organisierten Bild- und Tonebenen werden so in lockerer Weise aufeinander bezogen.26 Insgesamt repräsentieren die drei Briefe verschiedene Reflexionsstufen eines verdrängten Ereignisses: Nathanael berichtet von Gefühlen des Schreckens, die sich bei einem kurzen Erholungsaufenthalt am Ort seiner Kindheit einstellten und die durch den Anblick eines alten Manns in einem Schrebergarten ausgelöst wurden. Seinen Brief an Lothar schreibt er in der Hoffnung auf Aufklärung. Dieser wiederum beleuchtet in seiner Antwort die kindliche und angstbesetzte Perspektive eines weit zurückliegenden Erlebnisses. So hatte der Mann, den Nathanael und Lothar im Kindesalter für den Sandmann hielten, beide Jungen wütend von seinem Grundstück verjagt, als diese die vermeintlich von ihm gestohlenen Kinderaugen retten wollten. Klaras Schreiben bringt darüber hinaus eine Koinzidenz ans Licht, nämlich den Tod von Nathanaels Vater, der von dem Jungen offenbar in Zusammenhang mit den Drohungen des Manns gebracht und deshalb mit persönlichen Schuldgefühlen aufgeladen wurde. Freud, dessen ist sich Douglas bewusst, hatte Hoffmanns „Der Sandmann“ zur Illustration seiner Theorie des Unheimlichen herangezogen.27 Seine These lautete, dass das Auftauchen dieses Gefühls mit dem von ihm sogenannten Wiederholungszwang in Bezug stehe: „[...] dies Unheimliche ist wirklich nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist.“28 Das wiederholte Auftauchen in Situationen, die mit dem Ursprungsereignis assoziiert sind, geschehe so lange, bis dieses erinnert und aufgearbeitet werde. Folgt man Freud, so hatte Nathanael das für ihn traumatische Erlebnis verdrängt. Der Anblick des alten Manns Jahre später führte deshalb zu den für ihn unerklärlichen Beklemmungsgefühlen. Hoffmanns Geschichte bot sich Freud wohl auch deshalb besonders gut zur Illustration seiner Theorie an, als das Thema der Verdrängung mit dem Motiv der Blindheit korrespondiert. Während in Douglas’ „Der Sandmann“ die Erzählung in den Sprechtexten entfaltet wird, bleibt die visuelle Ebene ohne greifbare Handlung. In den Vordergrund rückt vielmehr die Vergleichzeitigung der Daten vor und nach dem Fall der Mauer, die den Gartenkulissen abzulesen sind. Hierfür positionierte der Künstler im Zentrum der Studioaufbauten eine Kamera, die einen automatisch angetriebenen, kontinuierlichen 360-Grad-Schwenk vollführte und so in identischer Bewegungsgeschwindigkeit und 25 26 27 28
Die von Douglas neu gefassten Briefwechsel sind nachlesbar in: Stan Douglas: Der Sandmann, Script 1994/97. In: Watson, Thater u. Clover 1998, S. 128–130. Vgl. Imhof 2007, S. 141. Vgl. Sigmund Freud: Das Unheimliche. In: Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften 5 (1919), S. 297–324, hier S. 303–306. Ebd., S. 314.
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mit gleichbleibenden Blickwinkeln die alte und neue Kulisse samt Umgebung des Studios je für sich abtastete. Die beiden so entstandenen Aufnahmeversionen fügte der Künstler zu einem Film aneinander, welchen er für die Vorführung duplizierte. Im Ausstellungsraum werfen die zwei nebeneinanderstehenden Projektoren beide Filme mit einer Phasenverschiebung von exakt einer Laufzeit auf die Projektionsfläche (Schaubild 12). Da die in den sich addierenden Teilprojektionen dargestellten Orte in beiden Aufnahmen topographische Gemeinsamkeiten besitzen, gewährleistet die identische Kameraeinstellung visuelle Anschlussfähigkeit. Auch die Reduktion der Farbigkeit auf Graustufen begünstigt eine Kompatibilität der beiden Hälften. Stärker noch als die vertikale Zweiteilung der Projektion irritiert deshalb das In-den-Blick-Kommen des Innenraums mit dem lesenden Nathanael. Der durch keine Wand unterbrochene Übergang vom Außenraum in den Innenraum und wieder zurück ist dem Betrachter nur dann erklärlich, wenn er die Gartenanlage als Kulisse erkennt. Die Seiten der Projektion repräsentieren mit Bezug auf die Gärten zwei Daten und können von links nach rechts entweder als Vorher/Nachher oder umgekehrt als Nachher/Vorher gelesen werden. Ihre gleichzeitige Sichtbarkeit bezeichnete Douglas mit Bezug auf die Mehrstimmigkeit eines Musikstücks als „zeitliche Polyphonie“ („temporal polyphony“).29 Eine gewisse Rolle für die chronologische Einordnung der beiden Hälften durch den Betrachter spielen darüber hinaus der Sprechtext, der stets
Schaubild 12: Kombinatorisches Schema der Doppelprojektion von Stan Douglas’ „Der Sandmann“ (1995).
29
Vgl. Robert Storr: Stan Douglas l’alienation et la proximité/Alienation and Proximity. Interview mit Stan Douglas. In: Art Press 262 (November 2000), S. 23–29, hier S. 27f.
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synchron zu der Aufnahme der Kulisse 2 im Stil der 1970er Jahre läuft, und die Seite der jeweiligen Einzelprojektion unabhängig von ihrer jeweiligen Darstellung. Dies legt eine Äußerung Carol Clovers von 1998 nahe, die ihre Wahrnehmung Nathanaels beschrieb: [...] and then there appears in the frame the reader, Nathanael, himself. But his lips don’t match the words. The synchronization is off: ahead? behind? a different text? As the figure of the reader moves toward the seam we sense that we’ll soon know the answer, and indeed we do. The word-sounds fall into sync with the speaking lips as the latter glide across the seam, and we understand then that the earlier lip movements were ahead of the sound, and that the left side of the frame is, for the time being, the synchronized present, while the right is the visual future.30
Clover schloss also aus der Beobachtung, in der rechten Hälfte der Projektion zuerst die asynchrone Fassung (Kulisse 1 im Stil von 1995) zu sehen und die linke schließlich als die synchrone (Kulisse 2 im Stil der 1970er) zu erkennen, auf die zeitliche Relation der beiden Aufnahmen zueinander. Das Synchrone in der linken Hälfte der Projektion bezeichne die Gegenwart, wohingegen die rechte Seite die Zukunft markiere. Zum einen assoziierte Clover Synchronizität mit ihrer eigenen Gegenwart und identifizierte deshalb die Kulisse im Stil der 1970er Jahre als solche. Zum anderen sah sie davon ausgehend die Seite rechts davon „vorläufig“ als Zukunft. Lera Boroditsky stellte 2011 im Zuge ihrer kognitionspsychologischen Untersuchungen den Einfluss von Sprache auf die Vorstellung von Zeit heraus. So fassten beispielsweise englischsprachige Personen Zeit generell horizontal auf, Mandarin sprechende Personen hingegen vertikal. Auch die Schreibrichtung habe Einfluss darauf, welche Richtung dem Zeitablauf, von rechts nach links oder umgekehrt, beigemessen werde.31 Clovers zeitliche Zuordnung scheint sich mit diesem Befund teilweise erklären zu lassen. Bei der seitenverkehrten Konstellation wäre die Gegenwart aufgrund der Synchronizität von Ton und Bild rechts zu verorten, wohingegen die links anschließende asynchrone Fassung mit der 1995er-Kulisse von einem westlichen Betrachter wohl als Vergangenheit wahrgenommen würde. Dora Imhof wies mit Bezug auf die von Douglas verwandte Technik auf Henrik Galeen hin, der 1926 den ursprünglich unter der Regie von Stellan Rye gedrehten Stummfilm „Der Student von Prag“ (1913) neu verfilmte.32 Zwar sind solche Tricks 30 31 32
Clover 1998, S. 75f. Vgl. Boroditsky 2011, S. 335f. Vgl. Imhof 2007, S. 139f.
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bereits aus der Frühzeit des Stummfilms bekannt, beispielsweise aus Georges Méliès Film „L’Homme-Orchestre“ (1900), in dem Méliès mit Hilfe von Mehrfachbelichtung siebenmal abgebildet mit verschiedenen Musikinstrumenten auf der Bühne erscheint,33 jedoch ist das Verfahren bei Galeen besonders anschaulich.34 Der Protagonist der Handlung, der Student Balduin, verkauft sein Spiegelbild, das sich just als dessen Doppelgänger selbstständig macht. Um nun Balduin und dessen Alter Ego gleichzeitig zeigen zu können, verdeckte Galeen bei statischer Kameraeinstellung einen Teil der Linse und belichtete erst die eine Seite des Films. Die Szene wurde durch eine erneute Aufnahme mit demselben Material komplettiert, indem der andere Teil abgedeckt wurde. Bei Galeen wird das Problem der Duplizierung eines Protagonisten also nicht durch einen zweiten, ähnlich aussehenden Schauspieler, sondern durch den doppelten Belichtungsvorgang gelöst. Die Ungleichzeitigkeit bei der Aufnahme wird in Gleichzeitigkeit bei der Vorführung verwandelt. Solches gilt im Prinzip auch für „Der Sandmann“, allerdings verlegte Douglas die Kombination der beiden Aufnahmen nicht auf den Zeitpunkt der Belichtung, sondern setzte sie in der Aufführungssituation um. Die zeitliche Diskontinuität wird zudem durch eine deutliche Veränderung des aufgenommenen Orts offensichtlich. Durch die Verbindung der Bildspaltung mit dem kontinuierlich beide Bildhälften im Uhrzeigersinn durchlaufenden Kameraschwenk entsteht eine irritierende ästhetische Wirkung. Douglas bezeichnete den visuellen Eindruck als „temporal wipe“35, also als zeitliche Wischblende. Während allerdings eine Wischblende das Bild durchläuft und dieses dabei durch ein neues ersetzt,36 bleibt die vertikale Grenze bei Douglas ständig bestehen, wobei sich der Blick der Kamera dauernd verschiebt. Gleichwertig zu der narratologischen Figur der Ellipse wird auf diese Weise ein Zeitsprung bildhaft manifest. Dieser betrifft dabei gerade das Zentrum des in „Der Sandmann“ thematisierten geschichtlichen Ereignisses, nämlich den Fall der Berliner Mauer. Das Datum der „Friedlichen Revolution“ 1989 wird bei Douglas nicht direkt dargestellt, sondern durch ein Umschlagen der Form impliziert. In Anlehnung an André Bazin unterschied Deleuze zwischen den Begriffen „Maskierung“ („cache“) und „Kadrierung“ („cadre“), die jeweils in unterschiedlicher Weise das
33 34
35 36
Jürgen Hellmann wies mich darauf hin, dass bei der Aufnahme wohl der Bereich des Vorhangs maskiert wurde, um eine Überbelichtung, die zu einer kompletten Schwärzung geführt hätte, zu vermeiden. Spätestens in den 1920er Jahren war die Beherrschung von Spezialeffekten absolut selbstverständlich. Kameraleute arbeiteten mit Überblendungen, Mehrfachbelichtungen, Veränderung der Drehgeschwindigkeit bei der Aufnahme und Stop-Tricks. Vgl. Herbst 1990, S. 28. Douglas (1995) 2008, S. 197. Gregor Stemmrich wies diesbezüglich auf den Nachbildeffekt sowie auf die Ersetzungsbewegung des Filmprojektors hin, der ein Bild nach dem anderen an Wand wirft. Vgl. Stemmrich 2006, S. 295.
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„hors-champ“ definierten, also das, was sich außerhalb des Bildfelds befindet.37 Während die Kadrierung den Bildausschnitt rahme und damit das Gezeigte von einer als weiter gedachten Umgebung möglichst isoliere, lege sich die Maskierung auf ein als größer gedachtes Bildfeld. Bei „Der Sandmann“ liegt es nahe, von einer Maskierung zu sprechen, denn durch die Verschiebung des Blicks wird das Verhältnis von „champ“ und „hors-champ“ andauernd neu definiert. An diese Beobachtung schließt eine von Jean-Pierre Oudart 1969 in Anlehnung an Jacques Lacan mit dem Begriff der „suture“ in die Filmtheorie eingeführte Diskussion an, die Douglas bekannt ist.38 Die „suture“ meint nicht die Montage zweier sukzessiver Einstellungen, sondern bezeichnet die Schwelle zwischen dem sichtbaren Raum der Diegese („champ“) an den gerade unsichtbaren, der durch den Betrachter imaginiert wird („hors-champ“). Diese Schwelle, die gewissermaßen am Rand des Sichtfelds entlang verläuft, sei, so Oudart am Beispiel der Schuss-Gegenschuss-Montage, rückblickend und vorausschauend zugleich, da sie die Einstellung des Schusses erinnere und die des Gegenschusses erwarte.39 Bei Douglas sind darüber hinaus – eben wie bei einer Wischblende – zwei als weiter zu denkende Umgebungen und Zeitpunkte stets mit eingeschlossen, was neben der fließenden Kamerabewegung – ein einzelnes Element gleitet etwa zwölf Sekunden lang durch das Feld einer Bildhälfte – zu einer Destabilisierung des Verhältnisses von „champ“ und „hors-champ“ führt. Das Interesse an der Rundumsicht, die dem Betrachter immer das, was sich in seinem Rücken befindet, vorenthält, und ihn deshalb zu einer Drehbewegung um die eigene Achse animiert, findet sich auch in anderen Werken des Künstlers. Die schon genann37 38
39
Vgl. Deleuze 1983, S. 28. Vgl. Stan Douglas: Goodbye Pork-Pie Hat (EA 1988). In: Watson, Thater u. Clover 1998, S. 92–99, hier S. 95. – Der Text wurde begleitend zu der von Douglas 1988 kuratierten Ausstellung über Samuel Becketts Teleplays an der Vancouver Art Gallery veröffentlicht. – Der Begriff der Naht wurde in der Sekundärliteratur mehrfach verwendet. Julian Heynen bezeichnete damit die vertikale Line, an der die beiden Einzelprojektionen aneinanderstoßen. Vgl. Julian Heynen: Nahtstellen. In: Stan Douglas. Kat. Ausst. Krefeld (Museum Haus Lange) 1996/1997. Köln 1996, S. 5–7, hier S. 5. – Stemmrich stellte einen Bezug zur „suture“ bei Alain Miller her. Gemeint ist damit das durch die Wahrnehmungsaktivität des Betrachters aus einzelnen montierten Filmsequenzen hergestellte Ganze. Vgl. Stemmrich 2006, S. 300. – Imhof wendete den Begriff zum einen auf die in der Projektion sichtbare Naht an, zum anderen aber auch mit Bezug auf Oudart als Einbindung des Betrachters in die filmische Handlung mittels Identifikation mit dem Protagonisten oder der Kamera. Vgl. Imhof 2007, S. 150. – Gudrun Inboden verwendete den Begriff der Naht formal für den Anschluss zwischen den beiden Projektionen. Es komme darin auch die Spaltung eines Ichs zum Ausdruck, in dem ein Vergangenes stets in die Gegenwart geholt werde. Vgl. Gudrun Inboden: Giving Form to Absence. In: Christ u. Dressler 2008, S. 125–137, hier S. 127. „On remarque donc que la suture […] a un double effet: essentiellement rétroactif sur le plan du signifie, puisqu’elle préside à un échange sémantique entre un champ présent et un champ imaginaire qui représente celui auquel le premier a succédé (dans le cadre, plus ou moins rigide, du champ-contrechamp); d’autre part, d’anticipation sur le plan du signifiant: car de même que le segment filmique présent s’est trouvé constitué en unité signifiante par l’Absent, ce quelque chose, ou quelqu’un, qui prend sa place anticipe sur le caractère nécessairement ,discret‘ de l’unité dont il annonce l’apparition.“ Jean-Pierre Oudart: La Suture. In: Cahiers du Cinéma 211 (1969), S. 36–39, hier S. 38.
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I. Der aufgefaltete Raum
te Fotografie des heute ungenutzten kubanischen Gefängnisses in „Panopticon, Isla de Pinos/Isla des Juventud“ (2005, Abb. 57) nimmt beispielsweise eine so konzipierte Architektur der Überwachung in den Blick. Aber auch seine frühe fotografische Arbeit „Panoramic Rotunda“ (1985), die es dem Betrachter mit Hilfe einer klappbaren Vorrichtung aus Holz erlaubt, das schwarz-weiße Panorama einer sumpfigen Waldlandschaft auf Augenhöhe um sich zu schließen, eröffnet nur einen scheinbaren Überblick über das aufgenommene Gelände. Nicht nur muss man sich umwenden, um sukzessive alles erfassen zu können. Die geringe Schärfentiefe richtet sich außerdem lediglich auf die Uferpartie, während die differenzierten Strukturen der Bewaldung, wie auch die der Spiegelung im Wasser, leicht unscharf bleiben.40 Die Seherfahrung in „Der Sandmann“ erinnert zudem an einige Werke Snows, der gezielt die Wirkung der mechanischen Kamerabewegung in seinem Werk auslotete und thematisierte. So experimentierte er 1968 bis 1969 in seinem 52 Minuten dauernden 16-mm-Farbfilm „↔“ („Back and Forth“, Abb. 65) mit einem sich wiederholenden und durch Maschinengeräusch akzentuierten horizontalen Kameraschwenk von rechts nach links und wieder zurück – zwischenzeitlich verläuft er auch vertikal –, wobei die Geschwindigkeit variiert. Die Kamera befand sich in einem Klassenzimmer, das im Film unterschiedlich, so als Unterrichts- oder als Partyraum, genutzt wird. Ihre Bewegung, äußerte Snow dazu, sei konstitutiv für das Zeitempfinden des Betrachters. Während sich der Kamerablick üblicherweise an die zu filmenden Ereignisse anpasse, gerieten sie hier in sein Sichtfeld, um dann wieder zu verschwinden. Die regelmäßige Kamerabewegung schaffe, so Snow, eine Kontinuität, die unerbittlich („inexorable“) sei.41 In „La Région Centrale“ (1970/1971, Abb. 66), ebenfalls ein 16-mm-Film in Farbe und mit Ton, radikalisierte Snow diese Art der Blickbewegung, indem er die Kamera an einer maschinellen Vorrichtung befestigte und 190 Minuten lang in einem automatisierten Vorgang in der kanadischen Wildnis rotieren ließ. Wie der Künstler anmerkte, nahm die Kamera die menschenleere Umgebung auf, natürlich aber nicht das Zentrum, um welches sie sich drehte. Obwohl die durch enervierendes Signalgeräusch begleiteten, unterschiedlich kreisenden Bewegungen sukzessive eine komplette Ansicht des Geländes erzeugen, erschweren die Aufnahmen paradoxerweise nicht nur das Erfassen der Landschaft, sondern irritieren auch das Gleichgewichtsempfinden, zumal die Landschaft immer wieder auf dem Kopf steht.42 Auch bei Douglas bleibt die Mitte 40 41
42
Vgl. Scott Watson: Against the Habitual. In: Watson, Thater u. Clover 1998, S. 32–67, hier S. 38. Michael Snow: „There is a paradox involved: the action of the spectator-camera is what is continuous, whereas these other things are going to appear and disappear as the thing passes. It’s going to have an inexorable quality.“ Mekas u. Sitney (1967) 1994, S. 42. Vgl. Converging on La Région Centrale: Michael Snow in Conversation with Charlotte Townsend (1971). In: Snow 1994, S. 57–60, hier S. 58. – Vgl. Cornwell 1980, S. 121.
2. Panoramen
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unsichtbar, was angesichts der sich im Rundumschwenk akkumulierenden Raumeindrücke eine umso schärfer empfundene Leere erzeugt. Die Kamera ändert zudem im Verlauf ihrer Bewegung den Winkel – während Lothar spricht, nimmt sie beispielsweise den Boden der Kulisse(n) auf. Die dadurch verursachte räumliche Desorientierung destabilisiert das „hors-champ“ ebenfalls. Eine Variante der kontinuierlich fließenden Kamerabewegung, die räumlich und zeitlich nebeneinander beziehungsweise nacheinander Liegendes überbrückt, findet sich bei Teresa Hubbard und Alexander Birchler – das Künsterpaar hat sich auf die Schreibweise „Hubbard / Birchler“43 geeinigt. In „Eight“ (2001, Abb. 67), einem gut dreieinhalbminütigen auf DVD übertragenen, hochaufgelösten Farb- und Tonvideo, nahmen die Künstler das Thema eines wegen Regens ins Wasser gefallenen Fests, mit dem offensichtlich der Geburtstag eines kleinen Mädchens hätte gefeiert werden sollen, zum Anlass für eine paradoxe Raumschilderung. Entscheidend ist dabei der Ortswechsel aus dem Unwetter des nächtlichen Gartens in das Innere eines Hauses und wieder zurück. So wendet sich der Kamerablick vom festlich gedeckten und triefend nassen Tisch langsam nach oben, wo nicht die zu erwartende Umgebung sichtbar wird, sondern der gelbe Teppich eines Wohnzimmers, der nach und nach den Bildausschnitt ganz ausfüllt. Der überraschende Seheindruck wurde durch einen hinter dem Tisch angeordneten Aufbau einer Wohnzimmerkulisse unter freiem Himmel umgesetzt (Abb. 68). Auch bei dem Wechsel vom Innen- in den Außenraum wurde dieser Kunstgriff angewandt, wobei diesmal eine horizontale Kamerabewegung entlang der Zimmerwand ins Freie führt. Während bei Douglas der fließende Übergang zwischen Innenund scheinbarem Außenraum vor allem eine metareferentielle Funktion erfüllt, da die Produktionsbedingungen der Filminstallation offengelegt werden, wirkt der Effekt bei Hubbard / Birchler stärker auf intradiegetischer Ebene. Der Vergleich mit der Nahtstelle zwischen den beiden Projektionshälften bei „Der Sandmann“ ist aufschlussreich, zumal diese ebenfalls innerhalb der Diegese zu verorten ist. Auch bei „Eight“ könnte man von einer formalen Lösung sprechen, die sich an dem Prinzip der Wischblende orientiert. Hier jedoch besteht die Irritation nicht darin, dass die Anschlussstelle bestehen bleibt, sondern darin, dass sich diese entlang der Kante eines Objekts, des Tischs, ergibt. Das, was durch die Kamerafahrt als Hintergrund sichtbar wird, entspricht nicht dem, was man von einem kohärenten Raumgefüge erwarten würde. Die Künstler formulieren es wie folgt: [...] the seam, the strip, or the void we create between the spaces is the site loaded with suspense. The images present an unexplained, impossible architectural gap. In Eight, a rain storm 43
Die Leerzeichen vor und nach dem Schrägstrich sind gewollt.
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I. Der aufgefaltete Raum
appears both inside and outside a house. In a traveling shot, the camera slowly dollies along the edge of a wall and the edge of a table, straight into and out of bad weather.44
„Die Naht, die Schwelle oder die Leerstelle“ befinden sich also genau dort, wo sich der Übergang als kontinuierliche Bewegung von innen nach außen, und umgekehrt, ereignet. Während eine solche mit Spannung aufgeladene Verbindungsstelle in Douglas’ „Der Sandmann“ immer an der gleichen Position der Projektionsfläche bestehen bleibt, wandert sie bei „Eight“ durch das Bild. Aber sowohl bei Douglas als auch bei Hubbard / Birchler werden auf der Ebene der Diegese zwei Orte gleichzeitig sichtbar. Während allerdings im einen Fall zwei verschiedene, üblicherweise örtlich voneinander getrennte Räume – Innenraum und Außenraum – simultan erscheinen und einander schließlich ablösen, so ist es im anderen Fall der gleiche Raum zu historisch weit auseinanderliegenden Zeiten. Während also bei „Eight“ der Schwerpunkt des Konzepts auf der Überbrückung von Distanz liegt, inszeniert „Der Sandmann“ in erster Linie einen Zeitsprung am identischen Ort. Sowohl Naumans „Mapping the Studio I (Fat Chance John Cage)“ als auch Douglas’ „Der Sandmann“ basieren auf dem Prinzip des Panoramas. Während aber der Aufnahmewinkel einer statisch aufgestellten Kamera von Nauman geweitet wurde, indem sieben Projektionsflächen den Ausstellungsraum rundum füllen, setzte Douglas die Beweglichkeit der Kamera ein, um das Ganze des aufgenommenen Schauplatzes abzutasten. Bei Nauman handelt es sich also um eine Videoinstallation, die eine Bewegung des Betrachters erfordert und die erst allmählich als eine zeitlich diskontinuierliche erkennbar wird, bei Douglas hingegen um ein sukzessiv sich entfaltendes Panorama, das sich dem vollständigen Erfassen aber ebenfalls entzieht. In beiden Fällen ist der Zeitsprung beziehungsweise sind die Zeitsprünge durch senkrechte Leerstellen definiert. Während sich diese bei Nauman zwischen den Projektionsfeldern befinden, legte sie Douglas mitten in die Projektion, die aufgrund der Beibehaltung des normierten Seitenverhältnisses nun eher als gespalten denn als Produkt einer Addition erscheint. Grundlage der Irritation ist beide Male das Spannungsverhältnis zwischen visueller Kontinuität und Diskontinuität, das das Raumganze als zeitlich inkonsistent erscheinen lässt. 44
The Uncanny Potential. A Dialogue between Teresa Hubbard / Alexander Birchler and Martin Hentschel. In: Martin Hentschel (Hg.): Teresa Hubbard / Alexander Birchler. Wild Walls. Kat. Ausst. Krefeld (Museum Haus Lange u. a.). Bielefeld 2001, S. 75–87, hier S. 83. – In dem von Martin Hentschel geführten Interview kommt die Sprache auf Hitchcocks Film „Rope“, in dem dieser durch den kompletten Film hindurch eine scheinbar durchgängige Kamerafahrt in Echtzeit durchführte. Dies war möglich, weil die Aufnahme zwischenzeitlich angehalten wurde und Umbauten der Kulisse stattfanden. Hitchcock prägte für die in solcher Weise flexiblen Wände den Begriff „Wild Walls“. Allerdings ist diese Information für „Eight“ nur insofern relevant, als der Ortswechsel „innen – außen“ durch eine durchgängige Kamerafahrt geschaffen wird. Kulissenumbauten oder die vollständige Vermeidung von Schnitten sind nicht zu konstatieren. Im Gegensatz zu Hubbard / Birchler hatte Hitchcock den Eindruck einer unterbrochenen räumlichen Kontinuität vermieden.
II. ZEIT DES SIGNIFIKANTEN UND ZEIT DES SIGNIFIKATS
Mehrfach kam schon zur Sprache, dass der Zuschauerraum, die Projektionsvorrichtung oder der Zuschauer durch Motive auf der Darstellungsebene thematisiert werden. Damit ist in der Regel ein Rückverweis auf den Ort der Vorführung verbunden und zugleich auch auf den gegenwärtigen Moment der Betrachtung. Da der Einsatz illusionsdurchbrechender Mittel mit Beginn der Moderne selbstverständlich ist, ist ein solcher Befund letztlich nur schwach aussagekräftig. Wer das Feld der selbstreferentiellen Techniken sondiert, stößt jedoch auf eine Strategie, die als spezifisch für die Thematisierung von Zeit gelten kann. Diese besteht in einer Konfrontation verschiedener zeitlicher Kategorien. Kirchmann identifizierte Medien als Mittler zwischen vorkategorialer Zeit, wie sie Bergson mit dem Begriff der „durée“ zu bestimmen versucht hatte, und ihrer stets historisch bedingten und kulturabhängigen kategorialen Auffassung, die Bewegungen in Zeit und Raum verobjektiviert untergliedere und damit funktionalisierbar werden l asse. So formulierte der Autor: Als Medium, als ‚Vermittler‘ zwischen vorkategorialer Zeit und menschlichem Kollektiv sind Medien-Artefakte symbolische Zeitaneignungsapparaturen, repräsentative Manifestationen von Raum-Zeit-Konstrukten, kollektive Kult-Räume und Kult-Instrumente der jeweils als verbindlich erklärten Kategorisierungskonzepte von Zeit.1
Kategorien von Zeit als Ergebnisse von Symbolschöpfungsprozessen änderten sich im Laufe der Geschichte.2 Immer unterlägen ihnen die Verfahren von Teilung beziehungsweise Unterscheidung und Verräumlichung, was erst eine Planbarkeit und Synchronisierung sozialer Abläufe ermögliche. Dass „zeitliche ‚Zäsuren‘ […] durch räumliche Fixierungen gesetzt [werden]“3, veranschaulichte Kirchmann am Beispiel einer Balletttänzerin. So ende ihre Bewegung nur scheinbar an einer bestimmten, für die menschliche Wahrnehmung hervorgehobenen Stelle und dauere in Wirklichkeit an, genauso wie der Raum, den sie einnehme, immer nur näherungsweise bestimmt werden könne. Räumliche Setzungen organisierten soziale Handlungen, die sich im Falle eines Tempels als profan oder sakral bestimmte zeitlich abwechselten, genauso wie die Architektur einen profanen und einen sakralen Raum definiere.4 1 2 3 4
Kirchmann 1989, S. 103 (Kursivierung im Original), vgl. auch S. 40. Vgl. ebd., S. 76f. u. S. 78. Ebd., S. 105. Vgl. ebd., S. 103–105.
214
II. Zeit des Signifikanten und Zeit des Signifikats
Wie bereits ausgeführt, erarbeitete Paflik-Huber auf der Grundlage einer Betrachtung von Kunstwerken der 1960er bis 1980er Jahre sechs Zeit-Kategorien, die sie in diesen Werken verhandelt sah. So kam sie zu einer Unterscheidung zwischen „Zeitmessung“ beziehungsweise „Zeitrechnung“, „natürlichen Zeitabläufen“, „Gleichzeitigkeit“, „Lebenszeit“, „historischer Zeit“ und „psychisch erlebter Zeit“.5 Wendet man diese Kategorien auf die Untersuchung von Film- und Videokunst an, so zeigt sich beispielsweise bei Violas „Catherine’s Room“, dass die Arbeit sowohl auf „Gleichzeitigkeit“ wie auf menschliche „Lebenszeit“ und den Kalender („Zeitrechung“) referiert, während Tans „Calendar Girl“ (Abb. 34) neben der Kalenderrechnung die filmische Bewegungsillusion und damit die aktuelle Bewegung des Zelluloids in den Blick rückt. Andere Kombinationen, wie die Abgleichung der Laufzeit eines Films oder Videos mit der Lebensdauer eines dargestellten Motivs, so in Taylor-Woods „Still Life“ (Abb. 3) und Gordons „B-Movie“ (Abb. 2), wurden bereits angesprochen. Eine in den vergangenen Jahren in Werken der Film- und Videokunst häufig angesprochene Kategorie, deren Fehlen bei Paflik-Huber auf der spezifischen Eingrenzung des Untersuchungszeitraums beruht, ergibt sich aus den zeitlichen Organisationsmöglichkeiten von Erzählungen. Denn seit Mitte der 1990er Jahre appropriieren Film- und Videokünstler verstärkt klassische Spielfilme oder ahmen deren Stilmittel und Handlungsmuster nach.6 Bei der Analyse exemplarischer Fälle wird rasch deutlich, dass dabei insbesondere das Verhältnis zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit zum Ansatzpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung wird, also die Differenz zwischen der Dauer eines bestimmten Spielfilms (zum Beispiel 90 Minuten) und dem Zeitraum, den die Erzählung (zum Beispiel mehrere Jahre) umfasst. Genette sprach hier mit Rückbezug auf Christian Metz von der Zeit des Signifikanten im Gegensatz zu der des Signifikats.7 Der Vorteil dieser aus der Semiotik entlehnten Begrifflichkeit liegt in ihrer im Gegensatz zu dem Begriffspaar Erzählzeit/erzählte Zeit breiteren Verwendbarkeit. Denn auch in nicht narrativ angelegten Filmen und Videos lassen sich Konstellationen finden, für die die Anwendung der Begriffe „Erzählzeit“ und „erzählte Zeit“ zwar nicht ganz angemessen wäre, aber Vergleichbares zu analysieren hilft. So kann beispielsweise von einem inkongruenten Verhältnis zwischen der Dauer eines Vorgangs, wie man ihn in der Realität wahrnimmt und aus der Erfahrung kennt (Zeit des Signifikats), und der Dauer seiner Darstellung (Zeit des Signifi5
6 7
Vgl. Paflik-Huber 1997, S. 45–51 („Zeitmessung“/„Zeitrechnung“), S. 101 („natürliche Zeitabläufe“), S. 134–139 („Gleichzeitigkeit“), S. 171–177 („Lebenszeit“), S. 198–201 („historische Zeit“), S. 251f. („erlebte Zeit“). Vgl. auch S. 19 in vorliegender Arbeit. Für eine differenzierte Ausarbeitung narrativer Techniken in installativen Arbeiten der Film- und Videokunst seit den 1990er Jahren vgl. Reiche 2016. Vgl. Christian Metz: Essais sur la signification au cinéma. Paris 1968, S. 27. Zitiert nach: Genette 2010, S. 17.
II. Zeit des Signifikanten und Zeit des Signifikats
215
kanten) gesprochen werden. Dies ist beispielsweise in Taylor-Woods „Still Life“ der Fall, da der Zerfall des Stilllebens zwar dokumentiert wurde, jedoch zeitlich stark gerafft. Besonders elaboriert finden sich solche Effekte in Werken, die verschiedene Abspielgeschwindigkeiten auf einer Bildoberfläche kombinieren. Beispiele hierfür wären die Schlusseinstellung aus Violas „The Ancient of Days“ (Abb. 47), die eine Tischuhr, die durch Überblendung verschiedene Zeiten anzeigt, einen Flachbildschirm mit einer Landschaft im Zeitraffer und eine Vase frischer Nelken arrangiert, Arnold von Wedemeyers damit vergleichbares „on-time, still life I“ (2006), das im Zeitraffer aufblühende und verwelkende Tulpen sowie vertrocknendes Brot zeigt, während im Hintergrund ein Monitor in Echtzeit das Meer und die Anzeige eines Börsentickers wiedergibt,8 oder Claerbouts „Long Goodbye“ (2007), in dem eine Frau in Zeitlupe auf der Terrasse eines alten Landhauses auftritt, während sich im Zeitraffer das Licht vom Tag zur Nacht verändert und sich die Kamera scheinbar in Echtzeit entfernt.9 Demgegenüber steht die ausschließliche Dokumentation eines Vorgangs in Echtzeit. Signifikant und Signifikat verhalten sich hier deckungsgleich zueinander. Metz, dies verschwieg Genette, befand die bloße Feststellung einer Differenz zwischen der Dauer von Erzählzeit und erzählter Zeit als trivial. Vielmehr hob er auch mit Bezug auf das Kino hervor, dass die Erzählung eine Zeit in eine andere prägen („monnayer“) könne und grenzte sie von der Deskription ab, in welcher ein bestimmter Raum durch eine Abfolge von Einstellungen in die Zeit übertragen, und vom Bild, in welchem ein Raum durch eine statische isolierte Einstellung auf einen anderen Raum abgebildet werde. Während Metz Erzählung und Deskription aufgrund ihres zeitlichen Ablaufs als verwandt ansah, verstand er das Bild in Opposition zu beidem, da dieses den Moment eines Geschehens herausgreife. Selbst wenn die bildhaft wirkende Einstellung auf der Ebene der Signifikanten verlängert werde, so gebe sie doch keine Folge des Wahrnehmungsablaufs vor. Erzählung und Deskription unterschieden sich durch die Geschwindigkeit, in der das Bezeichnete sich entfalte, da die Deskription in der Schilderung eines Raums verharre.10 Mit Bezug auf Arbeiten wie jene von Taylor-Wood sind diese Regeln nur begrenzt hilfreich. So kann man zwar von einer bildhaften Auffassung des Stilllebens sprechen, jedoch wird, um mit Metz zu sprechen, nicht nur ein Raum in einen anderen Raum geprägt, sondern durch den Zeitraffer eben auch eine Zeit in eine andere Zeit, obwohl es sich nicht um eine Erzählung, sondern eher um eine Deskription handelt. Noch schwieriger wird 8
9 10
Vgl. Andrea Weninger: nasci – pati – mori. In: Katja Riemer u. Andreas Kreul (Hgg.): Wunderkammermusik. Die Sammlungen der Kunsthalle Bremen 1994–2011 und darüber hinaus. Eine Introspektive. Kat. Mus. Bremen (Kunsthalle). Köln 2011, S. 170–177, hier S. 170–172. Für Produktionsaufnahmen und eine Skizze zu „Long Goodbye“ vgl. David Claerbout. Uncertain Eye. Kat. Ausst. München (Pinakothek der Moderne) 2010, S. 50f. Vgl. Metz 1968, S. 27f.
216
II. Zeit des Signifikanten und Zeit des Signifikats
die Anwendung auf Arbeiten wie „Ancient of Days“, „on-time, still life I“ und „Long Good bye“, die verschiedene sich zueinander inkongruent verhaltende Geschwindigkeiten beziehungsweise Geschwindigkeitsverzerrungen in einem scheinbar einheitlichen Raumgefüge zu einer Einstellung montieren. Hinzu kommt die Fragwürdigkeit des Begriffs „prägen“, da er eine Dualität von Materie und Form impliziert, die bei der Dehnung oder Stauchung von dargestellten Ereignissen schwer übertragbar ist. Was jedoch durch die von Metz vorgenommene Einteilung in den Blick rückt, ist das Verhältnis des Raums zur Zeit. So kann die Darstellung eines Raums durch eine ausführliche Deskription an Plastizität gewinnen, während der zeitliche Ablauf einer Handlung aufgeschoben wird. Im Folgenden wird eine Auswahl von Arbeiten analysiert, die entweder Echtzeit oder eine Differenz von bezeichnender und bezeichneter Zeitstruktur in den Blick rücken, wobei das Spannungsverhältnis zwischen narrativem und dokumentarischem Film oder Video beachtet wird. Zu untersuchen ist dabei, welche zeitlichen Kategorien in diesen Werken kombiniert werden und welche Rollen der Raumschilderung und der Erzählgeschwindigkeit zukommen.
1. DIE AN DIE ERZÄHLTE ZEIT ANGEPASSTE ERZÄHLZEIT Eine extreme Angleichung von Erzählzeit und erzählter Zeit nahm Gordon in „5 Years Drive-By“ (1995, Abb. 69) vor, indem er unter freiem Himmel die Projektion eines Farb videos von John Fords prototypischem Western „The Searchers“ (1956) laufen ließ und der Dauer der erzählten Zeit entsprechend die ursprüngliche Erzählzeit von 113 Minuten auf fünf Jahre dehnte. Diesen Zeitraum umfasst nämlich die Suche des von John Wayne gespielten Protagonisten Onkel Ethan nach seiner entführten Nichte. Der kalifornische Ort Twentynine Palms, wo die Installation unter anderem zu sehen war, befand sich in ebenjener Region, in welcher die Handlung des Spielfilms situiert ist. In seinem Brief an den Kurator Thierry Pratt erläuterte der Künstler den Ausgangspunkt seines Konzepts, das angeblich auf dem Eindruck gründete, dass das lang andauernde Warten und Hoffen der Protagonisten nicht in angemessener Weise durch eine Raffung der Geschichte auf 113 Minuten erfasst werden könne. Die Erzählzeit, also die Dauer des Spielfilms, bezeichnete Gordon als „cinema time“, die erzählte Zeit demgegenüber als „real time“ („Echtzeit“): „1 second of cinema time = 6.46 hours in real time.“11 Der extremen zeitlichen Dehnung unterliegt offenbar also eine Vorstellung von Realismus.12 Allerdings führt die 11 12
Douglas Gordon: … An Apology as a Short Story/A Short Story as an Apology. A Letter to Thierry Pratt (4. November 1995). In: Bloemheuvel 1998, S. 136–139, hier S. 139. Vgl. ebd., S. 138.
2. Echtzeit und Ellipse
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Anpassung der Erzählzeit an die erzählte Zeit gerade zu einem gegenteiligen, nämlich abstrahierenden Effekt, da es gerade einmal drei Bilder pro Stunde sind, die auf die Projektionsleinwand geworfen werden. Wie in „24 Hours Psycho“ geht deren narrativer Zusammenhang verloren. Anstatt einen Immersionsraum aufzubauen, funktionierte Gordon den Projektor zu einem Generator von Einzelbildern um. Der Rezipient hat seine persönliche Betrachtungsdauer nun vor dem Hintergrund des gesamten Zeitraums der Bildwiedergabe zu verorten. Wie bei Satie mag er sich als Teil eines Environments auffassen, das seiner ständigen oder gezielten Aufmerksamkeit nicht unbedingt bedarf. Der trockene Humor der Arbeit ergibt sich aus einem scheinbaren Missverstehen des Begriffs Echtzeit („real time“), der eine parallel zur Realität ablaufende Zeitstruktur bezeichnet. Echtzeit wäre beispielsweise dann gegeben, würde ein Kamerateam eine Person fünf Jahre lang ohne Unterbrechung in ihrem Leben begleiten. Die Dehnung einer Geschichte auf das Maß ihrer erzählten Zeit von fünf Jahren mit dem Ziel, einen Zeitabschnitt realistisch wiederzugeben, missachtet nicht nur ihren fiktionalen Status, sondern schreibt der reinen Dauer eines Videos unabhängig von ihrer Darstellung Abbildungsgerechtigkeit und damit verbunden Wahrheitsgehalt zu.
2. ECHTZEIT UND ELLIPSE Ein anderer Künstler, der wie Gordon sein Konzept aus der Diskrepanz zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit entwickelte, ist Pierre Huyghe. In seiner Dreifachprojektion „L’Ellipse“ (1998, Abb. 70) knüpfte er an die Stilfigur der Auslassung an. Ausgangspunkt war Wim Wenders’ Spielfilm „Ein amerikanischer Freund“ (1977), in welchem die von dem Schauspieler Bruno Ganz gespielte Hauptfigur Jonathan Zimmermann unter dem Eindruck gefälschter Laborergebnisse, die dessen baldigen Tod ankündigen, zum Auftragsmord animiert wird. Die von Huyghe bearbeitete Szene betrifft den Anruf des „amerikanischen Freunds“ im Pariser Hotelzimmer und das daran mit einem harten Schnitt anschließende Treffen Zimmermanns mit ihm. Übereinstimmend mit der bis in die Mitte der 1970er Jahre bei zahlreichen Videokünstlern vorherrschenden Haltung lehnte Wenders die Konstruktion imaginativer Zeiträume ab und schrieb dementsprechend in einem Text von 1971, dass er Ellipsen und die mit ihnen verbundene Zumutung, eine Szene an die nächste sinnvoll anschließen zu müssen, unerträglich finde. Im Gegensatz dazu verfocht er die möglichst konsequente Anwendung von Echtzeit, wobei er zur Bekräftigung das Beispiel eines Ortswechsels anführte:
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II. Zeit des Signifikanten und Zeit des Signifikats
Die Kontinuität der Bewegung und der Handlungsabläufe muss einfach stimmen, die Zeit, die gerade dargestellt wird, darf nicht einfach einen Ruck machen. [...] In Filmen gibt es Zeit abläufe, die zueinander passen müssen, und nicht Gedanken, die zueinander passen müssen. Schauplatzwechsel, das finde ich schon ein echtes Problem. Jedesmal, bei jeder Szene, ist es für mich das größte Problem, wie die nun aufhören wird und wie man zur nächsten kommt. Im Grunde möchte ich am liebsten die ganze Zeit dazwischen nicht auslassen. Man muß sie aber manchmal auslassen, weil das zulange dauert, man muß also, wenn einer aus dem Haus geht und woanders ankommt, das Dazwischen auslassen.13
Die Auslassung zwischen den beiden Szenen aus Wenders’ „Ein amerikanischer Freund“ tilgte Huyghe gut 20 Jahre später, indem er Ganz vom Ort des Hotelzimmers ausgehend bis zum Treffpunkt mit dem Auftraggeber laufen und dabei von einem Kamerateam filmen ließ. Jene Episode des Ortswechsels, die für eine Raffung der erzählten Zeit und eine Verkürzung der Erzählzeit ausgelassen wurde, wurde also von Huyghe in Echtzeit interpoliert. Damit setzte er Wenders’ Ideal von einer „Kontinuität der Bewegung und der Handlungsabläufe“ scheinbar um. Außerdem kommt es zu einer detaillierten Deskription des Schauplatzes.14 In der Vorführsituation von „L’Ellipse“ wird Huyghes Einfügung räumlich sichtbar, indem auf einer konkav gewölbten Projektionsfläche drei aneinander anschließende Felder sukzessive von je einem Projektor angestrahlt werden. Links ist zunächst die Hotel-Szene aus dem Originalfilm von 1977 zu sehen, dann in der Mitte die etwa zehn Minuten lange, nachgedrehte Sequenz von 1998 und schließlich rechts die sich im Originalfilm ursprünglich an die Hotel-Szene anschließende Episode. Während ein Feld bespielt wird, bleiben die anderen beiden dunkel. Ein Durchlauf dauert insgesamt 14 Minuten. Hyughe äußerte sich über die rezeptionsästhetische Wirkung von Ellipsen und schrieb ihnen eine produktive Wirkung zu. Sie aktivierten eine Art von mentaler Zeit konstruktion, die sich aus der Gedächtnisleistung des Betrachters ergebe: The function of a jump-cut, in cinematic language, is to open up and fill in a momentary silence in the text or image. This montage technique takes the form of the dissolve, the ,shutter‘ or the caption ,some time later;‘ it is an interruption in the linear sequence of events. For the viewer, it signifies a momentary loss of his relationship with the character. But the event or the character has not disappeared permanently. They are simply elsewhere in time or space. In a narrative, whatever is not present (there), whatever refers to another time or space (over 13
14
Wim Wenders: Zeitabläufe, Kontinuität der Bewegung. Aus einem Gespräch über „Summer in the City“ und „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. In: Michael Töteberg (Hg.): Wim Wenders. Die Logik der Bilder. Essays und Gespräche. Frankfurt am Main 1988, S. 11–15, hier S. 13. Vgl. Pierre Huyghe: L’Ellipse. Production diagram (1998). In: Barikin 2012, Abb. 4.6.
3. Film als Uhr
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there), is connected to the memory of the person receiving it, to a previous real existence. In this way, its reception is a subjective experience of producing meaning. By momentarily inhabiting this elsewhere, by mentally reconstructing this intervening moment, the viewer actively occupies his or her time and becomes the co-author of the narrative.15
Die Auslassung, die ein montagespezifisches und damit ein strukturelles Äquivalent zur Überblendung, der Abblende oder dem Zwischentitel „Einige Zeit später“ bilde, erzeuge zwar eine vorübergehende Lücke im Ablauf der Geschehnisse, doch werde diese durch die aktive Erinnerungsleistung und die Vorstellungskraft des Betrachters gefüllt – eine positive Auffassung der Ellipse, die sich deutlich von jener Wenders’ unterscheidet. In „L’Ellipse“ unterband der Künstler auf den ersten Blick die Möglichkeit der „Ko- Autorschaft“ und ersetzte die subjektiv imaginierte Dauer durch eine vollständig in Echtzeit dargestellte Handlung. Doch das Eingefügte, das eine Angleichung von Erzählzeit und erzählter Zeit erreicht, wurde stilistisch und erzähltechnisch nicht an Wenders’ Spielfilm angepasst, sodass die Intervention, zumal ausstellungsräumlich hervorgehoben, deutlich erkennbar ist. Zugleich entstand eine andere Lücke, die die Lebenszeit des Schauspielers betrifft.16 Dessen gealtertes Aussehen und das veränderte Stadtbild von Paris zeigen die zwischen den Aufnahmezeitpunkten vergangene Geschichte an, die es nun zu imaginieren gilt. Dass der Protagonist des appropriierten Spielfilms Zimmermann dabei von Beruf Restaurator ist, also eine Person, die den ursprünglichen Zustand von Kunstwerken wiederherzustellen versucht, erscheint dabei als ironische Pointe. Die ständige Veränderung der realen Körper kann nicht ungeschehen gemacht werden. Damit schließt die Arbeit auch an die Diskussion über Entropie und Film an, wie sie exemplarisch anhand von Hills „Why do Things Get in a Muddle? (Come on Petunia)“ (1984, Abb. 49) diskutiert wurde.
3. FILM ALS UHR Eine Kombination von erzählter Zeit und Ortszeit trieb Christian Marclay in „The Clock“ (2010, Abb. 71) auf die Spitze, wobei zusätzlich die historische Dimension von Film und mit ihr einhergehend, wie bei Huyghe, die Lebenszeit der Schauspieler thematisch werden. Mit Hilfe von sechs Assistenten durchsuchte Marclay Filmarchive nach Szenen, in welchen die Uhrzeit angesagt wird oder die Anzeige einer Uhr im Bild 15 16
Pierre Huyghe: L’Ellipse (1989). In: Christov-Bakargiev 2004, S. 252. Vgl. ebd.
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II. Zeit des Signifikanten und Zeit des Signifikats
erscheint. Aus insgesamt 2000 bis 3000 Sequenzen der Kino- und Fernsehfilmgeschichte17 montierte er schließlich ein 24 Stunden andauerndes Video, das als Endlosschleife läuft und teilweise auf die Sekunde genau mit der Zeit am jeweiligen Ausstellungsort synchronisiert ist. Das Video wird zu einer Uhr, die durch den Mechanismus des Projektionsapparats betrieben wird.18 Damit schließt die Arbeit an die Tradition der seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Gebrauch gekommenen und um 1900 besonders beliebten Projektionsuhren an. Es handelte sich hier um Laternae Magicae, die mit Uhrwerken versehen waren und mit ihrem Licht die sich bewegenden Zeiger an die Wand warfen. So sei, wie Werner Nekes sagte, „die projizierte Zeit zum ersten langen Film“19 geworden. In „The Clock“ stellt sich die Repräsentation von Zeit allerdings noch etwas komplizierter dar. So ergeben sich bei der Betrachtung miteinander konkurrierende Wahrnehmungseffekte. Wie es der Künstler bereits bei dem siebeneinhalbminütigen „Telephones“ (1995) praktizierte, ist die Montage daraufhin angelegt, unwillkürlich narrative Verbindungen zwischen den verschiedenen Filmszenen zu evozieren. Insbesondere die Tonspur übernimmt hier, wie auch in „The Clock“, eine synthetisierende Funktion, indem sie beispielsweise über kurze Zeit hinweg den Schnitt überbrückt. Darian Leader sprach diesbezüglich vom Klebstoff,20 León Krempel fand den Begriff der „hamorgé“, den Philostratos verwendete, um in der Malerei eine Technik der Verschmelzung von Verschiedenartigem zu erläutern.21 Auch bei abrupten Wechseln, wie etwa vom Schwarz-Weiß-Film zum Farbfilm, ist der Betrachter dazu geneigt, Zusammenhänge herzustellen. So werden harte Schnitte teilweise als Prolepsen oder Analepsen interpretiert. Wie Homay King außerdem feststellte, sind die einzelnen Fragmente oft in Form von Schuss-Gegenschuss-Montagen aneinandergefügt und Achsensprünge werden vermieden. Dies suggeriert eine Kontinuität des Raums bei gleichzeitiger Heterogenität des Filmmaterials.22 Da der Blick auf die Uhr ein dramaturgisches Mittel sein kann, um Konflikte oder Vorgänge von Bedeutung anzuzeigen, laden sich einzelne Szenen mit Spannung auf. Die Protagonisten warten, sie streben auf ein Ziel hin, sie haben etwas verpasst oder kommen möglicherwei17 18 19 20 21
22
Vgl. Schefer 2012, S. 93. Eine repräsentative Auswahl an 1440 Standbildern ist veröffentlicht in: The Clock. Christian Marclay. Kat. Ausst. London (White Cube) 2010. Werner Nekes: Was geschah wirklich zwischen den Bildern? Skript des Kommentars zum gleichnamigen Film von 1985, S. 5. Zitiert nach: Kirchmann 1998, S. 349. Vgl. Darian Leader: Glue. In: The Clock. Christian Marclay 2010, o. S. Vgl. León Krempel u. Eva Wattolik: Moderne Kentauren/Modern Centaurs. In: Goetz, Schumacher u. Touw 2012, S. 15–19, hier S. 15. – Zur „hamorgé“ vgl. Nadja J. Koch: Techne und Erfindung in der klassischen Malerei. Eine terminologische Untersuchung (= Studien zur Antiken Malerei und Farbgebung 6). München 2000, S. 154–157. Vgl. Homay King: Virtual Memory. Time-based Art and the Dream of Digitality. Durham, London 2015, S. 55–58.
4. Der Timecode
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se zu spät. Bomben werden unter Zeitdruck entschärft, eine frische Bekanntschaft wird auf ein Rendezvous hin verpflichtet. Manchmal ist der Blick auf die Uhr aber auch Ausdruck eines langweiligen oder vergeblichen Wartens. Mit dem Wiedererkennen einer bestimmten Szene scheint zudem automatisch ihr ursprünglicher narrativer Kontext im Gedächtnis auf. Das Vorher und Nachher der Handlung wird momentan zugänglich und lässt unter der Oberfläche der neuen Ordnung eine alte Erzählschicht aufblitzen. „The Clock“ bietet aber nicht nur verschiedene narrative Fäden an, sondern legt auch ein analytisch vergleichendes Betrachten nahe. So sieht man Kirchturmuhren, Taschenuhren, modische Armbanduhren mit digitaler oder analoger Anzeige, Mobiltelefone, Kuckucksuhren. Zudem häufen sich zu bestimmten Tageszeiten ähnliche Tätigkeiten und Motive, die durch kulturspezifische Zeitordnungen – Arbeiten, Essen, Ausgehen und so weiter – bedingt sind. Wie bei Huyghe wird die Aneinanderreihung der formal unterschiedlichen Filmausschnitte zum Anlass für die Reflexion über Geschichte. So sieht man gleiche Schauspieler in unterschiedlichen Altersstufen und in wechselnden Moden gekleidet. Die nachlassende Ton- und Bildqualität der alten Filme und deren spezifische Erzählgeschwindigkeiten aktivieren nostalgische Gefühle oder erinnern einfach nur an vergangene Kinoerlebnisse. Besonders faszinierend jedoch ist, mit welcher Kunstfertigkeit und Geschwindigkeit die Zeitangaben im Film mit der Realzeit synchronisiert wurden. Der Betrachter ertappt sich immer wieder dabei, wie er den Uhrenvergleich anstellt. Phasen, in welchen er in die fiktive Welt hineingezogen wird, weichen Momenten, in welchen er sich erschrocken darüber klar wird, wie viele Minuten bereits verstrichen sind, ohne dass er es bemerkte – obwohl ihm das Vorrücken des Zeigers auf der Motivebene von „The Clock“ ständig vorgehalten wurde. So entsteht ein Bewusstsein für das Vergehen der im Zuschauerraum verbrachten Zeit.
4. DER TIMECODE Die Historizität vorgefundenen Videomaterials wird auch in Mark Leckeys Ein-KanalVideoprojektion „Fiorucci Made Me Hardcore“ (1999, Abb. 72) durch numerische Anzeigen mit der Gegenwart der Betrachtung konfrontiert, diesmal allerdings durch das Motiv des Timecodes. So montierte der Künstler am Computer vorgefundene Privataufnahmen der subkulturellen britischen Discoszene von der Mitte der 1970er bis zum Beginn der 1990er Jahre23 mit Sequenzen, die Gruppen heranwachsender Männer 23
Vgl. Sophie O’Brian: Mark Leckey. In: Turner Prize 08. Runa Islam, Mark Leckey, Goshka Macuga, Cathy Wilkes. Kat. Ausst. London (Tate Britain) 2008, S. 12–15, hier S. 13.
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II. Zeit des Signifikanten und Zeit des Signifikats
im Straßenbild zeigen. Er folgte darin schon dem gleichen Interesse wie später in „We are (untitled)“ (Abb. 10), ein Bild subversiver Jugendbanden der späten 1970er und der 1980er Jahre zu generieren. Diesmal erlauben die jeweiligen Tanzstile und Moden eine ungefähre Datierung der Aufnahmen, wobei auffällig oft die Zahlenreihen des Timecodes über das Bild gelegt sind und den rasanten Lauf der Zeit durch die blitzschnelle Abfolge der Hundertstelsekunden vergegenwärtigen; sowohl jene während des Aufnahmevorgangs wie jene während der Betrachtung. Bei dem appropriierten Material handelte es sich ursprünglich um analoge Videos. Die Timecodes waren direkt auf den Bändern angebracht, wo sie die Laufzeit anzeigten und so als medienspezifische Indizes für dokumentarische Authentizität und Echtzeit gelten konnten. Leckey verwendete sie jedoch als formale Elemente mit Signalcharakter, anders ausgedrückt reizte er die Spannweite zwischen indexikalischem und symbolischem Gehalt aus. So erscheint nach gut sieben Minuten Laufzeit in der linken oberen Ecke ein schwarzes querformatiges Rechteck, das das Aussehen des Timecodes aufnimmt. Da es jedoch für die Dauer von 15 Sekunden ein stillstehendes „19:84“ anzeigt, kann die Angabe trotz des Doppelpunkts wie ein Datum aufgefasst werden.24 Diese Assoziation verstärkt sich durch die Brustportraits der gezeigten Männer, deren Kleidermode an die 1980er Jahre erinnert. Durch die Entfunktionalisierung der medienspezifischen Zeitanzeige wird die Zuverlässigkeit ihres Aussagegehalts in Frage gestellt und der Betrachter wird auf die eigenständige Komposition des Werks verwiesen. Ein Großteil der Sequenzen wird zudem gerafft, gedehnt, rückwärts gespielt oder in kurzen Schleifen montiert, sodass auch hier die Zeiten von Signifikant und Signifikat auseinanderklaffen.
5. ERLEBTE UND REPRÄSENTIERTE ZEITSPANNE Abschließend soll auf einen neun Minuten dauernden 16-mm-Film von David Lamelas aus dem Jahr 1970 eingegangen werden. In „Film 18 Paris IV.70 (People and Time- Paris)“ (Abb. 73) sind sukzessive drei Personen (Raúl Escari, Pierre Grinberg und Daniel Buren) an verschiedenen Orten in Paris dokumentiert, die zu Beginn und am Ende ihres jeweiligen Auftritts die Uhrzeit von ihrer Armbanduhr ablesen und in die Kamera sprechen.25 Sie spiegeln den Betrachter, der die gleiche Zeitspanne wie sein Gegenüber im Film durchläuft, jedoch an einem anderen Ort und wahrscheinlich auch zu 24 25
Ein Verweis auf George Orwells Dystopie „1984“ aus dem Jahr 1949 liegt hier nahe. Vgl. Heike Ander: Works 1962–1976. In: Dies. u. Anke Bangma (Hgg.): David Lamelas. A New Refutation of Time. Kat. Ausst. München (Kunstverein u. a.). Düsseldorf 1997, S. 21–113, hier S. 73.
5. Erlebte und repräsentierte Zeitspanne
223
einer anderen Tageszeit. Während es bei der Aufführung von Marclays „The Clock“ zu einer Synchronisierung von motivisch dargestellten Uhrzeiten im Film und im Ausstellungsraum kommt, wird in Lamelas’ „Film 18 Paris IV.70 (People and Time-Paris)“ eine bestimmte Dauer zum Maßstab eines Vergleichs. Die Arbeit rückt die Aufmerksamkeit auf den Qualitätsunterschied, den drei Minuten besitzen, wenn sie an unterschiedlichen Orten und Tageszeiten in einer Stadt erfahren werden. Mit Bezug auf den 16-mm-Film „Time as Activity“ (1969) aus dem Jahr davor, für den drei verschiedene Plätze zu unterschiedlichen Tageszeiten in Düsseldorf aufgenommen wurden – einleitend sind Ort, Uhrzeit und Dauer der jeweiligen Aufnahme genannt – formulierte Lamelas außerdem: The play is between the time it takes to see the piece and the time of each of the sections. It is not about the images, but about getting the viewers to understand the nature of the time they spend watching the piece and the difference in time according to what the images are.26
Es geht also auch um einen Vergleich zwischen der Dauer des Films und der elliptischen Struktur seiner Darstellung. So zeigt „Time as Activity“ genauso wie die „Film 18 Paris IV.70 (People and Time-Paris)“ drei unterschiedliche Orte und Tageszeiten kurz nacheinander zwar je in Echtzeit, lässt aber die Zwischenzeit aus. Abschließend ist zu bemerken, dass die Echtzeitaufnahme offenbar mit der Vorstellung von einer realistischen Abbildung zeitlicher Abläufe verknüpft ist. Entscheidender noch als die glaubhafte Wiedergabe raumzeitlicher Begebenheiten ist in den besprochenen Arbeiten jedoch erwartungsgemäß das Ausspielen der verschiedenen Kategorien gegeneinander. Diese relativieren sich wechselweise und verweisen damit auf ihren, wie es Kirchmann herausgearbeitet hat, Status als kulturspezifische Symbolschöpfungen. Ortsspezifische Installationsweise sowie das Nennen der Ortszeit oder der Laufzeit rücken die momentane, eben auch räumlich bestimmte Situation der Betrachtung in den Blick und stören, indem sie auf das Hier und Jetzt verweisen, den Immersionsraum.
26
Lynda Morris: Interview with David Lamelas, London, December 1972. In: Ander u. Bangma 1997, S. 9–20, hier S. 16.
Abb. 1 Marcel Broodthaers, A Voyage on the North Sea, 1973/74 16-mm-Film, Farbe, ohne Ton 4’ 15’’ Filmstreifen
226
Abb. 2 Douglas Gordon, B-Movie, 1995 Ein-Kanal-Videoinstallation, Schwarz-Weiß, ohne Ton Größe variabel Endlosschleife 30’ Standbild
227
Abb. 3 Sam Taylor-Wood (seit 2012 Taylor-Johnson), Still Life, 2001 Ein-Kanal-Video auf Plasmamonitor übertragen von 35-mm-Film, Farbe, ohne Ton Endlosschleife 3’44’’ Standbilder
228
Abb. 4 Andy Warhol, Screen Test Ann Buchanan [ST33], 1964 16-mm-Film, Schwarz-Weiß, ohne Ton 4’ 5’’ bei 16 Bildern pro Sekunde Standbild
Abb. 5 Andy Warhol, Screen Test von Richard Rheem [ST272], 1964 16-mm-Film, Schwarz-Weiß, ohne Ton 4’ 5’’ bei 16 Bildern pro Sekunde Standbild
229
Abb. 6 Andy Warhol, Screen Test von Dennis Hopper [ST155], 1964 16-mm-Film, Schwarz-Weiß, ohne Ton 4’ 3’’ bei 16 Bildern pro Sekunde Standbild
Abb. 7 Andy Warhol, Screen Test von Freddy Herko [ST137], 1964 16-mm-Film, Schwarz-Weiß, ohne Ton 4’ 6’’ bei 16 Bildern pro Sekunde Standbild
230
Abb. 8 Sam Taylor-Wood (seit 2012 Taylor-Johnson), The Last Century, 2005 Ein-Kanal-Video auf DVD übertragen, Farbe, ohne Ton Endlosschleife 7’12’’ Standbilder
231
Abb. 9 Édouard Manet, Corner of a Café Concert, 1879 Öl auf Leinwand 98 x 79 cm National Gallery London
232
Abb. 10 Mark Leckey, We are (untitled), 2001 Ein-Kanal-Video, Projektion oder Monitor, Farbe, Ton 8’ Standbilder
Abb. 11 August Sander, Schauerleute (Hafenarbeiter), ca. 1928 Fotografie, Schwarz-Weiß Ohne Größenangabe
233
Abb. 12 Mark Leckey, Frazer (oben) / Pablo (unten), 2004 Doppelseiten aus dem Buch: Mark Leckey. 7 Windmill Street W1, 2004 32,4 x 22,9 cm
234
Abb. 13 Yasujiro Ozu, Banshun, 1949 35-mm-Film, Schwarz-Weiß, Ton 108’ Standbilder um 88’
Abb. 14 David Claerbout, Shadow Piece, 2005 Ein-Kanal-Computeranimation, 576 x 720 PAL progressive Schwarz-Weiß, Stereoton Endlosschleife 30’19’’ Ausstellungsansicht Tel Aviv Museum (Helena Rubinstein Pavilion) 2012
235
236
Abb. 15 David Claerbout, Shadow Piece, 2005 Produktionsaufnahme mit Bluescreen-Verfahren
Abb. 16 Peter Campus, Three Transitions, 1973 Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton 4’53’’ Standbild
237
Abb. 17 Henry Peach Robinson, Bringing Home the May, 1862 Verdeckte Fotomontage, Schwarz-Weiß Kollodium-Nassplatten-Verfahren, Albumin-Papierabzug 38,8 x 100,3 cm
Abb. 18 Raoul Hausmann, Dada im gewöhnlichen Leben (Dada Cino), 1920 Fotomontage und Collage auf blauem Papier 31,7 x 22,5 cm Privatbesitz
238
Abb. 19 William Kentridge, Tide Table, 2003 Animierter 35-mm-Film übertragen auf DVD, Schwarz-Weiß, Ton 8’53’’ Standbilder
Abb. 20 Étienne-Jules Marey, Mr. Schenkel – High Jump, 18. Juli 1886 Albuminabzug 11,8 x 29,7 cm
239
Abb. 21 Paul Sharits, Shutter Interface, 1975 Vier-Kanal-16-mm-Filminstallation Vier separate Tonspuren, Farbe Endlosschleifen Installationsansicht Greene Naftali Gallery, New York 2009
240
Abb. 22 Paul Sharits, Studie zu Shutter Interface (optimale Anordnung), 1975 Tinte und Buntstift auf Millimeterpapier 45,7 x 58,4 cm
241
Abb. 23 Thierry Kuntzel, Time Smoking a Picture, 1980 Ein-Kanal-Video, Farbe, ohne Ton 38’ Standbilder
242
Abb. 24 William Hogarth, Time Smoking a Picture, 1761 Radierung, das Gemälde auf der Staffelei in Mezzotinto 24,4 x 18,4 cm
243
Abb. 25 Paul Pfeiffer, Morning after the Deluge, 2003 Video-Installation (Projektion), Farbe, ohne Ton Endlosschleife 20’ Standbilder
244
Abb. 26 Joseph Mallord William Turner, Light and Colour (Goethe’s Theory) – the Morning after the Deluge – Moses Writing the Book of Genesis, 1843 Öl auf Leinwand 78,5 x 78,5 cm The Tate Gallery, London
245
Abb. 27 Luis Buñuel und Salvador Dalí, Un chien andalou, 1929 35-mm-Film, Schwarz-Weiß, ohne Ton 15’ 50’’ Standbilder
246
Abb. 28 Peter Fischli David Weiss, Der Lauf der Dinge, 1987 16-mm-Film, Farbe, Ton 30’ Kamera: Pio Corradi Standbilder
247
Abb. 29 Peter Fischli David Weiss, Natürliche Grazie, 1984/85 Farbfotografie aus der 24-teiligen Serie „Equilibres“ bzw. „Stiller Nachmittag“ 24 x 30 cm
Abb. 30 Jean Tinguely, Study for an End of the World No. 2, Jean Dry Lake, Wüste von Nevada, 21.03.1962
248
Abb. 31 Peter Fischli David Weiss, Projektion, Herbst, 1998 Diaprojektion in Überblendtechnik mit zwei Projektoren (162 Farbdias) Dauer unbegrenzt Installationsansicht Sammlung Goetz München 2010
249
Abb. 32 Christoph Brech, Ritratto Romano, 2006 Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton Endlosschleife 21’ Installationsansicht Kunstkirche St. Egidien Nürnberg 2011
250
Abb. 33 Óscar Muñoz, Re/Trato, 2004 Ein-Kanal-Video, Farbe, ohne Ton Endlosschleife 28’ Installationsansicht
251
Abb. 34 Fiona Tan, Calendar Girl, 1993/1999 16-mm-Film, Farbe, ohne Ton Projektionsgröße 1,3 x 1 m Standbilder
252
Abb. 35 Douglas Gordon, 24 Hours Psycho, 1993 Ein-Kanal-Videoinstallation, Farbe, ohne Ton Projektionsgröße variabel Endlosschleife 24 h Installationsansichten Centro Galego de Arte Contemporanea, Santiago de Compostela 2013
Abb. 36 Andy Warhol, Sleep, 1963 16-mm-Film, Schwarz-Weiß, ohne Ton 5 h 21’ bei 16 Bildern pro Sekunde Standbild
253
254
Abb. 37 Andy Warhol, Empire, 1964 16-mm-Film, Schwarz-Weiß, ohne Ton 8 h 5’ bei 16 Bildern pro Sekunde Standbild
255
Abb. 38 Michael Snow, Wavelength, 1966/67 16-mm-Film, Farbe, Ton 45’ Standbilder
256
Abb. 39 Christoph Brech, Break, 2004 Ein-Kanal-Video (Projektion oder Monitor), Farbe, Ton Endlosschleife 8’12’’ Standbilder
257
Abb. 40 Willie Doherty, Closure, 2005 Ein-Kanal-Video-Installation, Farbe, Ton Endlosschleife 11’20’’ Standbilder
258
Abb. 41 Richard Serra, Hand Catching Lead, 1968 16-mm-Film, Schwarz-Weiß, ohne Ton 3’30’’ Standbild
Abb. 42 Richard Serra, House of Cards, 1969 Vier Bleiplatten 121,9 x 121,9 x 2,5 cm Installationsansicht Museum Wiesbaden 2017
259
Abb. 44 Kanadischer Pavillon, Giardini, Venedig 1997 Innenansicht
Abb. 43 Rodney Graham, Vexation Island, 1997 35-mm-Film übertragen auf DVD, Farbe, Ton Endlosschleife 9’ Standbilder
260
Abb. 46 Woody Vasulka, The Matter, 1974 Video im ¾-Zoll U-matic, Farbe, Ton 4’ Standbilder
Abb. 45 Gary Hill, Equal Time, 1979 Video, U-matic, Farbe, Ton, Stereo 4’ Standbilder
261
Abb. 48 Bill Viola, Chiasmus des Gehirns, Schemazeichnung, 4.4.1979 Notizbuch des Künstlers
Abb. 47 Bill Viola, Ancient of Days, 1979-81 Video, Farbe, Stereoton 12’21’’ Standbilder
262
Abb. 49 Gary Hill, Why do Things Get in a Muddle? (Come On Petunia), 1984 Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton 32’ Standbilder
Abb. 50 Rodney Graham, How I Became a Ramblin’ Man, 1999 35-mm-Film übertragen auf DVD, Farbe, Ton Endlosschleife 9’ Standbilder
263
264
Abb. 51 Rodney Graham, Blatt aus dem Storyboard zu dem Film How I Became a Ramblin’ Man, 1999
265
Abb. 52 Ed Ruscha, The Back of Hollywood, 1977 Öl auf Leinwand 55,9 x 203,2 cm Musée d‘Art Contemporain, Lyon, Frankreich
Abb. 53 Ed Ruscha, The Back of Hollywood, 1976-1977 Acryl/Vinyl auf Leinwand 188 x 444,5 cm Installationsansicht der Werbetafel auf einem Parkplatz in der Nähe des Los Angeles County Museum of Art 1977
266
Abb. 54 Douglas Gordon, Déjà Vu, 2000 Drei-Kanal-Videoprojektion, Schwarz-Weiß, Ton Projektionsgröße variabel 76’ (25 Bilder pro Sekunde, links) 83’ (24 Bilder pro Sekunde, mittig) 90’ (23 Bilder pro Sekunde, rechts) Installationsansicht Geffen Contemporary at MOCA, Los Angeles 2001
Abb. 55 Pierre Huyghe, Atlantic, 1997 35-mm-Film übertragen auf Betacam, Drei-Kanal-Projektion, Farbe, Ton 85’ (französische Version) 90’ (englischsprachige Version) 100’ (deutsche Version) Standbilder
267
268
Abb. 56 Stan Douglas, Inconsolable Memories, 2005 Zwei-Kanal-16-mm-Filmprojektion, Schwarz-Weiß, Ton Zwei Endlosschleifen à 28’ 15’’ u. 15’ 57’’, Dauer insgesamt: 1 h 40’ Standbilder links: Beispiele für kombinatorische Überlagerungen Standbilder rechts: gepunktetes Kleid in unterschiedlichen Kontexten
Abb. 57 Stan Douglas, Panopticon, Isla de Pinos/Isla de Juventud, 2005 Serie: Cuba-Photos Farbausdruck auf Honeycomb-Aluminium 79 x 175,50 cm bzw. 122 x 198 cm
269
270
Abb. 58 Stan Douglas, Journey into Fear, 2001 16-mm-Filminstallation mit 20 synchronisierten Tondateien oder Ein-Kanal-Video auf Monitor, Farbe, Ton Endlosschleife des Films 15’4’’, Dauer insgesamt 157 h Standbilder
271
Abb. 59 Rodney Graham, Phonokinetoscope, 2001 16mm-Film-Installation mit Vinyl Platte und modifiziertem Plattenspieler Stummfilm in Farbe, Ton von Schallplatte Dauer der Filmschleife 4’45’’, Dauer des Lieds 5’ Standbilder
272
Abb. 60 Bill Viola, Catherine’s Room, 2001 Fünf-Kanal-Videoinstallation auf kleinformatigen LCD Bildschirmen an der Wand hängend, Farbe, ohne Ton 38,1 x 246,4 x 5,7 cm Je 18’ 39’’ Schauspielerin: Weba Garretson Standbilder
Abb. 61 Andrea di Bartolo, St. Katharina von Siena mit vier dominikanischen Nonnen des Dritten Ordens, 1393/94 Malerei 56 x 97 cm Sammlung Galleria dell’ Academia, Venedig
Abb. 62 Kutluğ Ataman, The Four Seasons of Veronica Read, 2002 Vier-Kanal-Videoinstallation, Farbe, Ton Endlosschleifen, Dauer zwischen 40’ u. 55’ Installationsansicht Museum of Contemporary Art Sidney 2002
273
274
Abb. 63 Bruce Nauman, Mapping the Sudio I (Fat Chance John Cage), 2001 Sieben-Kanal-Videoinstallation, Projektionsgrößen variabel, 7 Logbücher Farbe (Infrarotaufnahmen), Sieben-Kanal-Stereoton 5 h 45’ Installationsansicht
275
Abb. 64 Stan Douglas, Der Sandmann, 1995 Zwei-Kanal-16-mm-Filminstallation Die Linsen der Filmprojektoren sind hälftig verdeckt, Schwarz-Weiß, Ton Endlosschleife 9’50’’ Projektionsansichten links mit der Gegenwarts-Kulisse in der rechten Bildhälfte Projektionsansichten rechts mit 1970er-Jahre Kulisse in der rechten Bildhälfte
276
Abb. 65 Michael Snow, ↔ (Back and Forth), 1968/69 16-mm-Film, Farbe, Ton 52’ Filmstreifen
Abb. 66 Michael Snow, La Région Centrale, 1970/71 16-mm-Film, Farbe, Ton 190’ Produktionsaufnahme und Standbilder
277
278
Abb. 67 Teresa Hubbard / Alexander Birchler, Eight, 2001 Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton Endlosschleife 3’35’’ Standbilder links mit Übergang vom Innen- in den Außenraum Standbilder rechts mit Übergang vom Außen- in den Innenraum
Abb. 68 Teresa Hubbard / Alexander Birchler, Eight, 2001 Produktionsaufnahme mit Kulisse in Zürich
279
280
Abb. 69 Douglas Gordon, 5 Years Drive-By, 1995 Ein-Kanal-Videoinstallation, Projektionsgröße variabel Farbe, ohne Ton Endlosschleife 5 Jahre Installationsansicht Twenty Nine Palms, Kalifornien 2001
Abb. 70 Pierre Huyghe, L’Ellipse, 1998 Drei-Kanal-Projektion auf konkav gewölbter Projektionsfläche 16-mm-Film übertragen auf Betacam, Farbe, Ton 14’ Standbilder der nacheinander separat bespielten Felder
281
282
Abb. 71 Christian Marclay, The Clock, 2010 Ein-Kanal-Videoinstallation Endlosschleife 24 h Installationsansicht White Cube London 2010
Abb. 72 Mark Leckey, Fiorucci Made Me Hardcore, 1999 Ein-Kanal-Videoprojektion, Farbe, Ton 14’48’’ Standbilder
283
284
Abb. 73 David Lamelas, Film 18 Paris IV.70 (People and Time-Paris), 1970 16-mm-Film, Schwarz-Weiß, Ton 9’16’’ Standbild
285
Abb. 74 Nam Paik, Zen for TV, 1963 Hochkant aufgestellter, elektromagnetisch manipulierter Fernseher Museum für Moderne Kunst, Wien
Abb. 75 Nam June Paik, Zen for Head, 1962 Aktion von Paik in Wiesbaden als Aufführung von: La Monte Young, Composition 1960 No. 10 to Bob Morris Tinte, Tomatensaft auf Papier
286
Abb. 76 Nam June Paik, TV-Clock, 1965/1982/1989 24 elektromagnetisch manipulierte Fernseher davon 12 Schwarz-Weiß-Fernseher u. 12 Farb-Fernseher Installationsansicht
287
Abb. 77 Annabel Nicolson, Reel Time, 1973 Filmperformance mit Film, Nähmaschine und zwei Projektoren North East London Polytechnic, ca. 1973
Abb. 78 William Raban, Take Measure, 1973 Filmperformance mit 16- oder 35-mm-Film Filmstreifen
288
Abb. 79 Dan Graham, Present Continuous Past(s), 1974 Video-Installation mit verzögerter Rückkoppelung 126 x 126 cm (Spiegel), 12 x 16 cm (Monitor), Kamera Installationsansicht Wallraf-Richartz-Museum Köln 1974 Schemazeichnung des Künstlers
289
Abb. 80 Richard Serra, Boomerang, 1974 Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton 10’ Standbild
Abb. 81 Lynda Benglis, Now, 1973 Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton 12’30’’ Standbild
290
Abb. 82 Andy Warhol, Outer and Inner Space, 1965 Zwei-Kanal-16-mm-Filmprojektion, Schwarz-Weiß, Ton 33’ oder 66’ als Einzelprojektion Standbilder
Abb. 83 Bruce Nauman, Live-Taped Video Corridor, 1969-70 Ein-Kanal-Video u. Closed-Circuit-Videoinstallation mit Videokamera, zwei Monitoren und engem Korridor Größe variabel Installationsansicht, rechts Detail
291
III. REALE BEWEGUNG
Während die im vorherigen Kapitel besprochenen Fallbeispiele durch die Konfrontation verschiedener zeitlicher Kategorien auf die Dauer der Betrachtung verwiesen, rücken die nun zu analysierenden Film- und Videoarbeiten den Apparat und die Bewegung seiner Mechanik beziehungsweise Elektronik in den Blick. Wie in der kinetischen Kunst gelangt mit der Demonstration zeitlicher Vorgänge auch der reale Raum, im Gegensatz zum dargestellten, in den Fokus der Aufmerksamkeit. In Pevsners und Gabos „Das Realistische Manifest“ (1920) bildet sich im Wesentlichen schon das Programm kinetischer Kunst ab. So wandten sich die beiden Künstler gegen eine symbolische oder abbildende Darstellungsweise und werteten auch die innovativen Bildfindungen von Künstlern des Kubismus und des Futurismus, deren Arbeiten sie bei ihrer Europa-Reise vor dem Ersten Weltkrieg kennengelernt hatten, als lediglich anders gelagerte Wahrnehmungstäuschungen ab. Raum und Zeit sind die einzigen Formen, in denen sich das Leben aufbaut und in denen sich deshalb die Kunst aufbauen muss. Staaten, politische und wirtschaftliche Systeme vergehen, Ideen zerbröckeln unter dem Zwang der Jahrhunderte … aber das Leben ist stark und wächst ununterbrochen, und die Zeit schreitet vorwärts in echter Kontinuität.1
Mit dem Ziel einer Angleichung von Kunst und Leben sollten also echte Räumlichkeit und reale Zeit als bildnerische Mittel verwendet und auf jegliche Form von Illusion verzichtet werden. Das Zeigen von zeitlichen Vorgängen, im Gegensatz zu ihrer Nachahmung, entspreche dabei auch der wirklichen menschlichen Wahrnehmungsweise.2 Gabos kinetisches Objekt „Stehende Welle“ (1919/1920) stellt wohl die bekannteste Umsetzung der im Manifest formulierten Bedingungen dar.3 Das künstlerische „Lichtspiel“ der 1920er und frühen 1930er Jahre, dessen Name von der so bezeichneten Kinematographie übernommen worden war, setzte Licht als Gestaltungsmittel der kinetischen Kunst in vielfältiger Art und Weise um.4 Buchloh 1
2 3 4
Naum Gabo u. Antoine Pevsner: Das Realistische Manifest (EA 1920). In: Charles Harrison u. Paul Wood (Hgg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert. Künstlerschriften, Kunstkritik, Kunstphilosophie, Manifeste, Statements, Interviews. 2 Bde. Bd. 1. Übers. aus versch. Sprachen v. Jürgen Blasius u. a., Ostfildern 1998, S. 341–343, hier S. 342. „Wir erkennen in der bildenden Kunst ein neues Element, die kinetischen Rhythmen, als Grundformen unserer Wahrnehmung der realen Zeit.“ Ebd., S. 343. Vgl. auch Rohsmanns Ausführungen zur kinetischen Kunst: Rohsmann 1984, S. 190 u. S. 212. – Zu einigen Positionen der frühen kinetischen Kunst vgl. Guy Brett: Kinetic Art. The Language of Movement. London 1968, S. 20–26. Vgl. Anne Hoormann: Lichtspiele. Zur Medienreflexion der Avantgarde in der Weimarer Republik. München 2003, zugl. Phil. Habil. Univ. Weimar 2001, S. 14.
294
III. Reale Bewegung
sah László Moholy-Nagys Experimentalfilm „Lichtspiele Schwarz-Weiß-Grau“ (1930), den dieser unter Einsatz eines kinetischen Objekts, dem Licht-Raum-Modulator (1930), erzeugt hatte, als ein Bindeglied zwischen Gabos und Pevsners Ansatz und den späteren, von ihm mit Blick auf das filmische Werk Serras sogenannten Skulpturalen Filmen.5 Dabei zielte Buchloh auf eine Übertragung bildhauerischer Prinzipien auf den gezeigten Gegenstand des Films ab. Den Projektor als Teil einer weiter gefassten Filminstallation bezog er hingegen nicht ein. Genau um solche Arbeiten soll es jedoch im Folgenden gehen. Die spezifischen technologischen Voraussetzungen führen dabei notwendigerweise zu unterschiedlichen künstlerischen Lösungen. So leuchtet unmittelbar ein, dass die Elektronik der Braunschen Röhre eine andere Auffassung von Kinetik erfordert als bei einem klassischen Filmprojektor der Fall.
1. DER ELEKTRONENSTRAHL Exemplarisch für den Bereich der Videokunst sei zunächst auf eine Arbeit Nam June Paiks eingegangen. Dessen Ausstellung „Exposition of Music – Electronic Television“, die in den Räumen der Wuppertaler Galerie Parnass vom 11. bis zum 20. März 1963 zu sehen war, zeigte neben zahlreichen anderen Exponaten zwölf technisch manipulierte Fernsehgeräte. Unter diesen befand sich auch „Zen for TV“ (1963, Abb. 74), eine heute als wegweisend angesehene Arbeit, von der Paik behauptete, dass sie durch einen produktiven Zufall zustande gekommen sei. Beim Transport zum Ausstellungsort sei das Gerät beschädigt worden.6 Die Arbeit besteht aus einem gebrauchten Monitor mit Braunscher Röhre, der hochkant aufgestellt ist. Der ansonsten dunkle Bildschirm zeigt mittig einen senkrechten hellen schmalen Streifen, der durch den Elektronenstrahl verursacht wird. Wegen eines Fehlens der vertikalen Ablenkvorrichtung am Röhrenhals außen läuft er nur noch auf dieser Höhe hin und her.7 Die Bildwiedergaben der anderen Fernseher der Ausstellung basieren, teilweise unter Einbezug des regulär gesendeten Programms, auf einem gezielten Eingriff in die Elektronik der Kathodenstrahlröhre oder erfordern die Partizipation des Betrachters.8
5
6
7 8
Benjamin Buchloh: Prozessuale Skulptur und Film im Werk Richard Serras. In: Götz Adriani, Hans Albert Peters u. Clara Weyergraf (Hgg.): Richard Serra. Arbeiten 66–77. Kat. Ausst. Tübingen (Kunsthalle) 1987, S. 175–188, hier S. 177. Vgl. Interview in einer Bahnhofsgaststätte. Nam June Paik im Gespräch mit Justin Hoffmann, Wiesbaden, 22. Mai 1989. In: Susanne Neuburger (Hg.): Nam June Paik. Exposition of Music Electronic Television. Revisited. Kat. Ausst. Wien (Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig). Köln 2009, S. 77–82, hier S. 78. Vgl. Decker 1988, S. 66. – Die Funktionsweise der Braunschen Röhre wird auf S. 63 skizziert. Für eine ausführliche Beschreibung der Ausstellung vgl. Decker 1988, S. 32–39.
1. Der Elektronenstrahl
295
Paiks künstlerischer Ansatz, der sich im Austausch mit den Protagonisten der Fluxus-Bewegung entwickelte, war insbesondere durch die Bekanntschaft mit Cage geprägt, den er bereits 1958 während der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt kennengelernt hatte.9 Exemplarisch deutlich wird dies anhand der Satzfetzen und Begriffe, die Paik in das Ausstellungsplakat zu „Exposition of Music – Electronic Television“ integrierte. So kann die dort gestellte Frage „Is the TIME without contents possible?“10 wahrscheinlich auf Cages Bevorzugung von definierten Zeitabschnitten vor der harmonischen Struktur eines Musikstücks bezogen werden.11 Paik würde damit die Übertragung dieser formalästhetischen Vorgabe auf einen laufenden Fernseher, der kein Programm wiedergibt, reflektieren. Schlagworte wie „Instruments for ZEN-exercise“ und „Synchronisation als ein Prinzip akausaler Verbindungen“ erinnern wiederum an die von Cage in vielfachen Variationen umgesetzten nicht intentionalen Kompositionen, sowie die unter anderem dahinterliegende, schon erwähnte buddhistisch geprägte Vorstellung vom Nirvana als dem Nichts, in dem die Verkettung von Ursache und Wirkung aufgehoben ist und deshalb alle Möglichkeiten gleichzeitig gegeben sind.12 Bereits im Jahr 1962 hatte Paik „Zen for Head“ (Abb. 75) auf den „Fluxus Festspielen Neuester Musik“ in Wiesbaden aufgeführt. Für die Arbeit hatte er seinen Kopf – in einer anderen Version seine Krawatte – in Tinte und Tomatensaft getaucht, um damit eine breite Farbspur über eine auf dem Boden liegende weiße Papierbahn zu ziehen. Die Arbeit referiert explizit auf Youngs – unter dem Eindruck der Arbeiten Cages entstandene – „Composition 1960 No. 10“, die auf einer Karteikarte die doppelte Handlungsanweisung enthält „Draw a straight line and follow it“. Der scheinbar simple Satz initiiert, sofern er vom Ausführenden akzeptiert wird, ein Nachfolgen, das sich an der eigenen Vorgabe orientiert. Das Paradoxale des Satzes wird durch Paiks Handlung offenbar, wenn dieser der Linie schon folgt, während er sie zieht.13 9 10
11 12
13
Vgl. Edith Decker: Einleitung. In: Nam June Paik: Niederschriften eines Kulturnomaden. Aphorismen, Briefe, Texte. Hg. v. Edith Decker-Phillips. Köln 1992, S. 9–14, hier S. 11. Nam June Paik: Ausstellungsplakat zu „Exposition of Music – Electronic Television“. In: Herzogenrath 1999, S. 60. – Für einen Ansatz zur intermedialen Kontextualisierung der Spaltentexte vgl. Susanne Neuburger: Terrific Exhibit. „Zeit-Kunst“ alias Musik im Ausstellungsgenre. In: Dies.: Nam June Paik 2009, S. 11–23, hier S. 18. Vgl. Cage (EA 1948) 1991, S. 77 u. S. 81. Vgl. S. 105. Über das Verhältnis Paiks zum Buddhismus schrieb Hans Belting. Vgl. Hans Belting: Buddhas Spiegel. Meine Begegnung mit Nam June Paik in Japan. In: Ders. u. Lydia Haustein (Hgg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen der Welt. München 1998, S. 170–180, hier S. 179. Michael Roth sah dieses Stück in der Tradition von Duchamps „Erratum Musical“ (1913), bei dem drei Melodielinien mit der Absicht, das logische Denken zu unterlaufen, per Zufall festgelegt wurden. Es wurden Papierstücke mit einzelnen Noten in einen Hut gelegt und dann blind gezogen. Vgl. Michael Roth: „Draw a Straight Line and Follow It“. Eine Phänomenologie der Linie in der Musik. In: Matthias Haldemann (Hg.): Linea. Vom Umriss zur Aktion. Die Line zwischen Antike und Gegenwart. Kat. Ausst. Zug (Kunsthaus). Ostfildern 2010, S. 291–307, hier S. 306.
296
III. Reale Bewegung
Retrospektiv sagte der Künstler 1989 über „Zen for Head“: „I was actually really reading some book on concentration. Die Überwindung des Dualismus. Für mich und viele Leute ist das ein Motiv gewesen, für den ganzen Sartre, den Existentialismus.“14 Dass die Entstehung der Arbeit mit der Lektüre eines Buchs über „Konzentration“ im Zusammenhang stehen soll, scheint zunächst widersinnig, da der Kopf, üblicherweise Ort einer etwaigen Konzentrationsanstrengung, hier zum breiten Pinsel degradiert wird. Doch ging es ja darum, das logische Denken in Frage zu stellen. Zur traditionellen Praxis des Zen gehört der als „en-sô“ bezeichnete Kreis aus Tusche, der nach einer längeren Phase der Meditation in einer raschen Geste auf Papier gebracht wird. Er ist Ausdruck vollkommener Präsenz und Zeitlosigkeit, von Fülle und Leere zugleich. Auch aufgrund der östlich geprägten Musikauffassungen Youngs und Cages erscheint es naheliegend, die von Paik gezogene „Linie“ mit dieser durch die Tuschezeichnung des „zenga“ unterstützten Meditationspraxis in Verbindung zu bringen.15 Nicht übersehen werden darf dabei aber auch die Tradition der dadaistischen Sinnverweigerung, genauer, Dekonstruktion von sprachlich festgelegter Bedeutung. Die erste Retrospektive über Dada fand 1958 in Düsseldorf statt und wurde von zahlreichen Künstlern der Fluxus-Bewegung rezipiert.16 Die buddhistisch geprägte Vorstellung, dass das Nichts mit Möglichkeiten gesättigt sei, lässt sich überdies mit dem überraschend von Paik eingeführten Bezug zu Sartre vereinbaren, da dieser in „L’être et le néant“ (1943) das Nichts deshalb in den gegenwärtigen Moment gelegt hatte, da dieser grundsätzlich durch die Möglichkeit von Freiheit ausgezeichnet sei.17 Paik setzte Zerstörung grundsätzlich produktiv ein, wenn er, wie 1962 in „One for Violin Solo“, nach einer kontrollierten Ausholbewegung eine Violine auf einem Tisch zertrümmerte und dadurch nicht nur der Tradition der bürgerlichen Musikkultur symbolisch ein Ende bereitete, sondern auch einen für das Instrument zwar unüblichen, aber dennoch durch dieses bedingten Klang freisetzte. Cage forderte bekanntermaßen eine Wertschätzung aller Töne und Geräusche, gleich welcher Herkunft. In seinem 1937 14 15
16 17
Interview in einer Bahnhofsgaststätte 2009, S. 78. – Paik wechselt zwischen Englisch und Deutsch. Dawn Leach sah bezüglich der Closed-circuit-Installationen einen Bezug zu „zen-ga“. Vgl. Dawn Leach: Spuren der Zeit in Nam June Paiks Closed-Circuit-Videos. In: Johannes Myssok u. Ludger Schwarte (Hgg.): Zeitstrukturen. Techniken der Vergegenwärtigung in Wissenschaft und Kunst. Berlin 1913, S. 73–89, hier S. 73f. – Suzuki, über dessen Eifer bei der Vermittlung östlicher Anschauungen sich Paik freilich kritisch äußerte, hatte in „Mysticism. Christian and Buddhist“ die dualistische Sichtweise der westlichen Welt der ganzheitlichen Sicht der östlichen schematisch gegenübergestellt. Sprache war als Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung beschrieben und die paradoxe Intervention als ein Mittel benannt worden, sprachliches Denken zu unterlaufen. Vgl. Suzuki 1957, S. 28. Dies trifft auch für Paik und Stockhausen zu. Vgl. Christopher Eamon: An Art of Temporality. In: Stuart Comer (Hg.): Film and Video Art. London 2009, S. 66–85, hier S. 72f. Paiks Ausführungen über Ekstase bestätigen einen solchen Bezug zu Sartre. Vgl. Nam June Paik: Nachspiel zur Ausstellung des experimentellen Fernsehens. März 1963. Galerie Parnass (EA 1964). In: Paik 1992, S. 103–109, hier S. 106f. – Zu Sartre vgl. S. 312f. in vorliegender Arbeit.
1. Der Elektronenstrahl
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in Seattle vorgetragenen und 1958 auf einem Beiblatt zu der Aufnahme des „25-Year Retrospective Concert“ abgedruckten Text „The Future of Music (Credo)“ heißt es im ersten Absatz: „Wherever we are, what we hear is mostly noise. When we ignore it, it disturbs us. When we listen to it, we find it fascinating. [...] We want to capture and control these sounds, to use them, not as sound effects, but as musical instruments.“18 Wie Rathert treffend bemerkte, wandelte Paik auch die in der Galerie Parnass ausgestellten defunktionalisierten Fernseher gewissermaßen in Musikinstrumente um. In ihnen ereigne sich unter Einsatz musikalischer Mittel, das heißt der bewussten Strukturierung von Form in der Zeit, eine Verwandlung von Technik in Dichtung.19 Bezieht man das zuvor über „Zen for Head“ Gesagte ein, so ist diese Dichtung als eine über Freiheit zu verstehen. Der Künstler selbst verortete seine Ausstellungsstücke außerdem im Kontext der Experimente mit Radargeräten, die Karl Otto Götz am Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Eindruck von Störbildern unternommen hatte. Wenn Paik in einem Flugblatt von 1965 proklamierte: „***Wie die Collagetechnik die Ölfarbe ersetzte, wird die Kathodenstrahlröhre die Leinwand ersetzen“20, übernahm er die Vorstellung von einer „Lichtbildmalerei“, die Götz ursprünglich auf den Film bezogen hatte.21 Elektronische Bilder waren für Paik „entmaterialisierte kinetische Lichtbilder“, da sie nicht auf einem Träger fixiert seien und nur aus aufleuchtenden Elektronen bestünden. Die Zeitstruktur elektrischer Impulse werde in kinetisch-optische Phänomene umgewandelt.22 In scheinbarem Gegensatz zur Haltung Gabos und Pevsners kommt hier also eine Auffassung von Kinetik zum Ausdruck, die auf den sich auf der Oberfläche ereignenden Veränderungen beruht. Dabei wird auch die Nähe zu der von Gabo und Pevsner als oberflächlich und ihren Träger verhüllend abgelehnten Malerei nicht gescheut,23 sondern ausdrücklich gesucht. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zu einer realistischen Position. Denn bei Götz wie bei Paik tritt an die Stelle einer lesbaren Form der Lichtabdruck, also das indexikalische Zeichen des gerade tätigen „elektronischen Pin18 19
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22 23
John Cage: The Future of Music. Credo (EA 1937). In: Kostelanetz 1991, S. 54–57, hier S. 54. Vgl. Wolfgang Rathert: Horizons that never end. Die Galerie Block und der musikalische Fluxus. In: Who killed the painting? Werke aus der Sammlung Block im Neuen Museum Nürnberg. Kat. Ausst. Nürnberg (Neues Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design u. a.) 2008/2009. Nürnberg 2008, S. 74–89, hier S. 81. Nam June Paik: Electronic Video Recorder (EA 1965). In: Paik 1992, S. 116. Auch Paiks Mitarbeit an Wolf Vostells Zeitschrift „dé/collage“ von 1961 bis 1964 ist hier zu berücksichtigen. Vgl. Herzogenrath 1999, S. 30 u. S. 116. – Vostell zeigte im Mai 1963 ebenfalls manipulierte Fernsehmonitore in der Galerie Smolin in New York. Vgl. Wulf Herzogenrath: Videokunst und die Institutionen: Die ersten 15 Jahre. In: Ders. u. Rudolf Frieling (Hgg.): 40 Jahre Videokunst.de. Digitale Erbe: Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute. 2 Bde. Bd. 1. Kat. Ausst. Düsseldorf (Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen). Stuttgart 2006, S. 20–33, hier S. 20. Vgl. Karl Otto Götz: Abstrakter Film und Elektronenmalerei (EA Wien 1959). In: Rudolf Frieling u. Dieter Daniels: Medien Kunst Aktion. Die 60er und 70er Jahre in Deutschland. Wien, New York 1997, S. 49–51, S. 49f. Vgl. Gabo u. Pevsner (EA 1920) 1992, S. 342.
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III. Reale Bewegung
selstrichs“. Dieser wird gerade aufgrund des Fehlens einer narrativen oder gegenständlichen Ebene als solcher offensichtlich. Die helle Linie in „Zen for TV“ beansprucht für sich, wie die Kreisform des „en-sô“, Autonomie. In Installationen wie „Moon is the oldest TV“ (1963/1965/1976) und „TV-Clock“ (1965/1982/1989, Abb. 76) weitete Paik das Konzept aus. „TV-Clock“ besteht entsprechend der Tagesstundenzahl aus 24 auf Sockeln stehenden Bildschirmen – je zwölf in Schwarz-Weiß für die Nachtstunden und in Farbe für die Tageszeiten –, die in einem abgedunkelten Raum nebeneinander angeordnet sind.24 Formal entwickelte sich die Arbeit aus „Zen for TV“, da jeder Monitor einen das dunkle Bild durch seinen Mittelpunkt durchkreuzenden weißen oder farbigen Streifen wiedergibt, wobei dieser von Mal zu Mal, wie der Zeiger einer Uhr, weitergerückt erscheint, bis sich der Zyklus am Ende der Reihe schließt. Ira Schneiders „Time Zones“ (1980), das ebenfalls auf 24 im Kreis und auf Sockeln aufgestellten Monitoren jeweils zwei Mal 15 Minuten – jeweils zwölf Stunden zeitlicher Abstand – dauernde Aufnahmen von bestimmten Orten in den verschiedenen Zeitzonen zeigt, kann formal zu „TV-Clock“ in Bezug gesetzt werden.25 Während Schneiders Arbeit jedoch ganz explizit auf die Weltzeit referiert, ist Paiks Arbeit aufgrund der starken Reduktion offener angelegt. Wie Herzogenrath hervorhob, projiziere der Betrachter aufgrund seiner Erwartung, auf dem Fernseher ein bewegtes Bild wahrzunehmen, eine Veränderung auf das eigentlich statische Bild. Die Arbeit rufe einen Zustand der Versenkung hervor.26 Auch der harte Schwarz-Weiß-Kontrast und das tatsächliche Flimmern des Monitors tragen zu der Bewegungsillusion bei. Wie bei „Zen for TV“ wird der sich bewegende Elektronenstrahl thematisch. Auf der symbolischen Ebene repräsentiert „TV-Clock“ die fortschreitenden Stunden des Tags oder die Zeitzonen, die zugleich in eine zyklische Struktur überführt werden. Genauso wie die „Zeiger“ auf den Monitoren also nur scheinbar statisch bleiben, während sie mehrfach in der Sekunde neu aufgebaut werden, wird, umgekehrt, ihre implizierte Fortbewegung in der Kreisform aufgehoben. So ergibt sich auch hier das Bild einer andauernden Gegenwart.
2. DIE FRAGE DER PRÄSENZ Wenn es um die Umdeutung von Filmprojektoren in kinetische Objekte geht, so sind insbesondere Arbeiten von Mitgliedern der London Filmmakers Co-operative zu nen24 25 26
Edith Decker wies darauf hin, dass Präsentationen der Arbeit mit nur zwölf Monitoren entweder Raum- oder Geldfragen geschuldet waren. Vgl. Decker 1988, S. 66. Vgl. ebd., S. 67. – Vgl. Paflik-Huber 1997, S. 153–160. Vgl. Wulf Herzogenrath: Nam June Paik. Fluxus. Video. München 1983, S. 91.
2. Die Frage der Präsenz
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nen, einem Zusammenschluss, der 1966 in Anlehnung an Mekas’ New Yorker Kooperative gegründet wurde. Die in den 1970er Jahren entstandenen Werke wurden von Kritikern in die Nähe des Strukturellen Films gerückt oder sie fielen unter die Kategorie „Expanded Cinema“.1 Jonathan Walley bemerkte bei den Londoner Experimentalfilmern eine stärkere Betonung des Raums, wohingegen die Künstler im New Yorker Umfeld eher die Dauer des Zeitablaufs hervorgehoben hätten.2 Die im Folgenden diskutierten Arbeiten verbinden eine Reflexion von beidem, von Raum und von Zeit. Im Fall von Annabel Nicolsons „Reel Time“ (1973, Abb. 77) – der Titel bringt die Länge der Filmrolle („reel“) mit der Realzeit („real-time“) in Zusammenhang – ist von einer Reflexion von Dauer unter Einsatz performativer Mittel zu sprechen. So wurde der Filmstreifen, der eine Aufnahme Nicolsons an der Nähmaschine zeigte, vom Projektor in einer Schleife durch den Raum hindurch geführt, wobei er auch eine reale Nähmaschine passierte, an der die Künstlerin saß.3 Deren Schatten wurden durch das Licht eines leerlaufenden Projektors an die Wand geworfen. Darüber hinaus lasen Personen aus dem Publikum Texte aus der Gebrauchsanleitung einer Nähmaschine vor.4 Da sich die Löcher, die mit der Nähnadel in das Zelluloid gestochen wurden, akkumulierten, wurde die Dauer der Aufführung an der zunehmenden Porosität des Materials sichtbar. Mit dem Reißen des Films endete die Vorführung. Damit kann das Konzept von „Reel Time“ als eine ausgeweitete Variante von Paiks „Zen for Film“ (1964) verstanden werden. In beiden Arbeiten wird der Verschleiß mittels mechanischer Einwirkung zum Indikator der gerade vergehenden Zeit.5 Auch Paik hatte den jeweils gegenwärtigen Schattenwurf des Betrachters in sein Konzept einbezogen. In „Reel Time“ wird derjenige der Künstlerin mit dem ihrer filmischen Dokumentation als Näherin konfrontiert. 1
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Manuela Ammer sieht mit Bezug auf dieses Werk eine Verwandtschaft zu Vertretern des Strukturellen Films wie Paul Sharits und Ken Jacobs. Vgl. Manuela Ammer: „Bei der Technik gibt es stets das andere, den Anderen“. Nam June Paiks Fernsehenvironment in Exposition of Music. Electronic Television, Galerie Parnass, Wuppertal, 1963. In: Neuburger: Nam June Paik 2009, S. 44–62, hier S. 48. „While Structural/Materialist film emphasized mental activity in time, some Co-op film-makers translated this into special terms, calling for physical self-awareness and bodily participation from the viewer. These works paralleled in space what Structural/Materialist films achieved in time; in each case, the works drew attention to the ways that film might activate and organize the viewing space beyond the screen.“ Jonathan Walley: Modes of Film Practice in the Avant-Garde. In: Tanya Leighton (Hg.): Art and the Moving Image. A Critical Reader. London 2008, S. 182–203, hier S. 192f. Vgl. Walley 2008, S. 193. – Fotodokumente abgebildet in: Matthias Michalka (Hg.): X-Screen. Film Installations and Actions in the 1960s and 1970s. Kat. Ausst. Wien (Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig) 2003/2004. Köln 2004, S. 134. Vgl. Duncan White: Expanded Cinema. The Live Record. In: Alan L. Rees u. a. (Hgg.): Expanded Cinema: Art, Performance, Film. London 2011, S. 24–38, hier S. 27. Vgl. Bruce Jenkins: Fluxfilms in Three False Starts (EA 1993). In: Leighton 2008, S. 53–71, hier S. 71. – Stöhr nennt weitere Positionen aus den 1970er Jahren, die die Erodierung des Filmmaterials oder das Filmmaterial selbst ausstellten, so David Dyes mit „Film onto Film“ (1972) und Takahiko Iimura mit „Timing 1, 2, 3“ (1972) oder „1 Sec and ∞“ (1975). Vgl. Stöhr 2016, S. 101–105.
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III. Reale Bewegung
Bei der Analyse der Arbeit ist die performative Komponente zu berücksichtigen, die das Werk durch die scheinbare Ausübung einer traditionell weiblichen Tätigkeit in die Nähe feministischer Positionen rückt. Indem das ursprünglich Schöpferische dieser Handlung in eine destruktive überführt wird, wird auch die als weiblich markierte Position auf der semantischen Ebene aggressiv aufgeladen. Wie lange halten Materialien, und das heißt dann auch soziale Rollen, bevor sie aufbrechen? Mit Spannung erwartet der Zuschauer das Reißen des Bands, das auch das festgeschriebene Bild zerstören wird. Während der Aufführung verglich das Publikum automatisch das Abbild der Künstlerin mit ihrem real anwesenden Körper. Um die darin liegende Problematik aufzuzeigen, werden im Folgenden exemplarisch zwei Positionen aus der Theaterwissenschaft und der Filmwissenschaft miteinander konfrontiert. Erika Fischer-Lichte definierte die „Ästhetik des Performativen“ (2004) als eine des Erscheinens und grenzte sie damit von der Ästhetik medialer Repräsentation ab, die lediglich „Präsenz-Effekte“ und „Schein von Gegenwärtigkeit“6 generiere. Im jeweils hervorgebrachten Ereignis werde der Raum nach und nach gebildet,7 sowohl das Erleben des Schauspielers wie das des Zuschauers sei dabei durch den Austausch von Energie und die Erfahrung eines Werdens charakterisiert. Das Gegensatzpaar Körper versus Geist werde im verkörperten Geist („embodied mind“) sogar aufgehoben, wohingegen mediale Repräsentanz den menschlichen Leib auflöse.8 Das idealtypische Konzept von Präsenz („radikales Konzept von Präsenz“) definierte Fischer-Lichte dementsprechend wie folgt: „In der Präsenz des Darstellers erfährt und erlebt der Zuschauer den Darsteller und zugleich sich selbst als embodied mind, als dauernd Werdenden, die zirkulierende Energie wird von ihm als transformatorische Kraft – und in diesem Sinne als Lebens-Kraft – wahrgenommen.“9 Metz hingegen, der in seinem 1968 herausgegebenen „Essais sur la Signification au cinéma“ nach dem Realitätseindruck im Kino fragte und zwischen der Realität der Erzählung und der Realität des Vorführraums unterschied, hob hervor, dass der Kinofilm lebendig wirke, gerade weil der reale Körper ausgeschlossen sei. Im Theater hingegen nehme der Zuschauer den Schauspieler als ein Gegenüber wahr, was ihn an einer
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Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main 2004, S. 175. Vgl. ebd., S. 192 u. S. 199f. Vgl. ebd., S. 171–175. Ebd., S. 171. – Die hier zum Ausdruck gebrachte Auffassung von einer schöpferischen Dauer erinnert an Bergsons Konzept des „élan vital“, wie der Autor es in „L’Évolution Créatice“ ausarbeitete, sowie an die an der Rolle der Leiblichkeit interessierte Position Maurice Merleau-Pontys, die dieser in „Phénoménologie de la Perception“ (1945) vorgetragen hatte. Merleau-Ponty stand der medialen Vermittlung, insbesondere der Fotografie, wohl ebenfalls skeptisch gegenüber. Vgl. Norbert Schneider: Leib und Bild bei Maurice Merleau-Ponty. In: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 6 (2004), S. 87–102, hier S. 94.
3. Der Projektor als Messgerät
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Identifikation hindere.10 Im Zuge seiner Argumentation nahm Metz einen geschickten Bezugsrahmenwechsel vor und sprach anstatt von der Bewegungsillusion im Film von der realen Wahrnehmung einer präsenten Bewegung: „[...] au cinéma, l’impression de réalité, c’est aussi la réalité de l’impression, la présence réelle du mouvement.“11 Die wahrgenommene Bewegung im Film unabhängig von dem durch ihn möglicherweise erzeugten Immersionsraum als eine reale aufzufassen, liefert ein veritables Argument für eine Zuschreibung von Präsenz an das filmische Bewegtbild – obwohl ein körperliches Gegenüber fehlt. Die Sinne des Zuschauers, die Teil seines Leibs sind, reichen dazu bereits aus. Wie kommt eine Zuschreibung von Präsenz beziehungsweise „Präsenz-Effekten“ an das Medium Film in „Reel-Time“ zum Ausdruck? Beides wird dort nahezu didaktisch gegenübergestellt, wobei die Aufführung in die Zerstörung des konservierten und durch den Projektor scheinbar wiederbelebten Abbilds der Künstlerin zugunsten ihrer körperlichen Gegenwärtigkeit mündet. Damit steht Nicolsons künstlerischer Ansatz – der damals in künstlerischen Kreisen vorherrschenden Haltung entsprechend – eher einer Auffassung nahe, wie sie später von Fischer-Lichte formuliert wurde und wie sie ähnlich etwa zeitgleich in den Videoinstallationen von Nauman und Dan Graham zum Ausdruck kam.12
3. DER PROJEKTOR ALS MESSGERÄT Auch in William Rabans „Take Measure“ (1973, Abb. 78) wird der Raum des Aufführungsorts thematisiert. Wahlweise ein farbiger 16-mm- oder 35-mm-Filmstreifen mit der Aufnahme eines laufenden Filmlängenzählers wird über die Köpfe des Publikums hinweg vom Projektor bis zur Projektionsleinwand gezogen und dort abgeschnitten. Sobald die Vorführung beginnt, schnalzt das Band in den Zuschauerraum und durchläuft den Apparat. Das Projektionsbild gibt simultan zu dessen Einzugsbewegung das von Null aufwärts zählende Maß der vom Filmstreifen gerade durchlaufenen Wegstrecke in Fuß wieder.13 Die Projektion zählt damit gewissermaßen auch die Länge des Lichtstrahls, durch den sie selbst zustande kommt. Raban beschrieb Herstellungs- und Aufführungsprozess wie folgt:
10 Vgl. Metz 1968, S. 19. 11 Ebd. 12 Vgl. S. 314–317 (Nauman) und S. 305–309 (Graham). 13 Vgl. Walley 2008, S. 193. – Der Filmlängenzähler läuft synchron mit dem Aufnahmegerät, das ihn beim Zählen filmt. Auf diese Weise zeigt der so entstandene Film fortlaufend seine eigene Länge an.
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III. Reale Bewegung
The image is of clear film running through a film synchroniser with a footage counter that starts at zero and counts forward. After lacing the film on the projector, it is stretched out over the heads of the audience and taken up to the screen where as soon as the projector starts, the film is cut and snakes back into the audience with the screen image counting in feet, the length of the projector beam.14
Der Filmstreifen wird auf diese Weise nicht nur zum Maßstab des Raums, sondern auch der Dauer des Lichtbilds, wobei die Rotationsbewegung der Mechanik im Projektor wie eine Uhr die Übersetzung von Wegstrecke in Zeit leistet. Die Dauer der Vorführung bemisst sich über den Abstand des Projektors zur Leinwand, was bei einer Tiefe von 22 Metern etwa eine Minute ausmacht, geht man von einer Spielgeschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde und einem 16-mm-Film aus.15 Im Gegensatz zu Paiks und Nicolsons Arbeiten ist Rabans „Take Measure“ als ortsspezifisch zu bezeichnen. Die jeweilige Länge des Filmbands und die damit verbundene Projektions-Dauer sind von den Maßen des Aufführungsraums abhängig. Dass Raban dabei das Kino vor dem Galerieraum bevorzugte, begründete er mit deren unterschiedlich gelagerten Wahrnehmungsdispositiven. Während im Galeriekontext eine Reflexion des realen Raums üblich sei, werde das Kinopublikum durch die Filmerzählung derart absorbiert, dass es die reale Umgebung vergesse. Die Offenlegung der körperlichen Anwesenheit des Publikums konstituiert sich also vor dem Hintergrund eines angenommenen rezeptionsästhetischen Mangels.16 Der Einsatz von Licht und einem normierten Maßstab lassen außerdem an Albert Einsteins spezielle Relativitätstheorie (1905) denken, die die von Isaac Newton postulierte Auffassung von Raum und Zeit als absolute Größen in Frage stellte und in der die Perspektivität eines Beobachters zum maßgeblichen Faktor wurde. Das Interesse Rabans an der Naturbeobachtung bestätigt sich beim Blick auf seine Arbeiten aus den Jahren davor, in welchen er beispielsweise im Abdruckverfahren die Bewegungsstrukturen von gefärbtem Meereswasser abbildete. Wie er sagte, sei es ihm damals vor allem darum gegangen, regelhafte zeitliche Abläufe in der Natur zu erfassen.17 Vor dem Hintergrund der Etablierung einer Weltzeit spielte bei Einstein die Synchronisierung von Uhren eine zentrale Rolle. So stellte der Physiker die Frage, wann 14 15
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William Raban: Reflexivity and Expanded Cinema. A Cinema of Transgression? In: Rees u. a. 2011, S. 98–107, hier S. 104. Die standardmäßig auf dem Markt verfügbaren Filmlängen für 35-mm-Film betragen 200, 400 und 1000 feet, was umgerechnet 61 m, 122 m und 305 m sind. 16-mm-Negativfilme sind in der Regel 30 m und 122 m lang. Vgl. Schmidt 2011, Tabelle 2.1., S. 37. „Expanded cinema is transgressive precisely because of the way in which the audience become reflexively engaged in the production of meaning and it offers a direct challenge to conventional film theatres – the house of dreams where an audience become entranced in the plot of a fictional story.“ Raban 2011, S. 104. Vgl. ebd., S. 98.
3. Der Projektor als Messgerät
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Ereignisse an unterschiedlichen Orten als gleichzeitig gelten können. Dabei ging er davon aus, dass sich Körper nur im Verhältnis zueinander statisch verhalten, sie sich aber kontinuierlich bewegen können, ohne dass dies im Inneren des geteilten Systems einen Effekt auf die Wirkungsweise der Naturgesetze habe. Einstein führte hier als Beispiel die Translationsbewegung der Erde um die Sonne an.18 Grundlage für eine Feststellung von Synchronizität müsse unter dieser Maßgabe ein physikalisch übermitteltes Signal sein, das idealerweise unendlich schnell sei und sich in konstanter Geschwindigkeit fortsetze, unabhängig davon, von welcher Quelle es ausgehe und mit welcher Schnelligkeit sich diese Quelle bewege. Einstein wählte hierfür das Licht. Eine Uhr mit der Zeitanzeige t sende ein Lichtsignal zu einer anderen Uhr, die sich relativ zu ihr nicht bewege. Dieses Signal werde beantwortet. Wenn der Vorgang die Dauer T habe, so gelte für die Synchronisierung der zweiten Uhr nun die Formel t + ½ T.19 Nicht nur das Licht, auch das Messen von Abständen wurde im Verlauf der Argumentation relevant. Denn Einstein nahm nun zwei Beobachter an, die sich relativ zueinander im Raum statisch verhalten und die die Formel verwenden, um die Gleichzeitigkeit ihrer Handlung festzustellen. Außerdem messen sie mit einem Standardmaß den räumlichen Abstand, sodass sie zu einer Aussage über das Verhältnis von Raum und Zeit kommen. Ein zweites Paar befindet sich ebenfalls relativ zueinander in Ruhe, bewegt sich jedoch im Verhältnis zu dem anderen – beispielsweise in einem Zug – in gleichbleibender Weise fort. Einstein zeigte nun, dass die beiden Beobachterpaare, die sich in den zwei unterschiedlichen Referenzsystemen befinden, zu unterschiedlichen, aber gleichermaßen gültigen Ergebnissen kommen müssen, was die Gleichzeitigkeit ihrer Handlungen betrifft.20 In Rabans „Take Measure“ werden die von Einstein verwendeten Hilfsmittel, das Lichtsignal und das Maßband, mit Hilfe des Projektors quasi experimentell angeordnet. Das durch das Lichtsignal projizierte Bild liefert dabei sowohl eine Anzeige der gerade durchlaufenen Strecke wie der Dauer. Der gegenwärtige Raum und die Dauer der Aufführung werden ästhetisch erfahrbar, indem die konventionelle Verwendung des Projektionsapparats als Illusionsmaschine, wie auch bei Paik und Nicolson, in ein kinetisches Objekt überführt wird. Bezeichnend ist dabei, und das verbindet Rabans „Messstation“ ebenfalls mit Einsteins Gedankenexperiment, das Denken in Relationen und nicht in absoluten Größen. 18 19 20
Vgl. Albert Einstein: Grundzüge der Relativitätstheorie. 3. Aufl., zugl. 5. Aufl. der „Vier Vorlesungen über Relativitätstheorie“ (EA 1921). Braunschweig 1963, S. 16. Vgl. Julian Barbour: The End of Time. The Next Revolution in Physics. London 1999, S. 130. Er zeigte außerdem, dass auch die Uhren und Messlatten vom Relativitätsprinzip betroffen sind. So führte er aus, dass jedes der beiden Paare zu dem Schluss kommen müsse, dass die Messlatten der anderen kürzer sind und die Uhren langsamer laufen. Erstaunlicherweise treffe dies aus Sichtweise jedes der beiden Paare für das jeweils andere gleichermaßen zu. Vgl. ebd., S. 129–133.
IV. VERSUCHSAUFBAUTEN
Die Demonstration von Raum und Zeit in dem als kinetisches Werk aufgefassten Projektionsapparat oder Monitor wird im Falle einer interaktiven Einbindung des Betrachters um die Problematisierung seines Körpergefühls und seiner Wahrnehmungsverarbeitung erweitert. Eine medienspezifische Technik, die dabei seit Beginn der künstlerischen Auseinandersetzung mit Video Verwendung fand, ist die der Rückkoppelung.1 Diese zeichnet sich in der Regel durch die gleichzeitige Verarbeitung von eingehendem und ausgehendem Signal und der sofortigen Übertragung und Ausgabe von Bild- und Toninformation aus. Da es sich um ein spezifisches Verfahren der Nachrichtenkommunikation handelt, wurden, insbesondere Mitte der 1970er Jahre, häufig das Fernsehen und seine sozialen Implikationen Zielrichtung der künstlerischen Auseinandersetzungen.2 Aber auch das Thema Zeit wurde in zahlreichen Arbeiten fokussiert. Aus dieser Gruppe werden im Folgenden solche diskutiert, die sich besonders gut an das von Krauss formulierte Konzept der „kollabierten Gegenwart“ anschließen lassen. Wie die simultane, so stammt auch die retardierte Videosignalübermittlung ursprünglich aus der professionellen Fernsehübertragung, wo sie dazu dient, die verschiedenen Zeitzonen zu überbrücken. Das jeweilige Programm läuft dadurch zwar zeitversetzt, aber immer zur gleichen Ortszeit.3 Kacunko wies außerdem darauf hin, dass von einem Live-Signal auch dann noch gesprochen werden könne, wenn eine kurze Zeitspanne zwischen Eingabe und Ausgabe liege, da die sogenannte erweiterte Gegenwart zwischen drei und acht Sekunden betrage.4 Die im Vergleich etwa zu Pöppels Angaben sehr lange Dauer von acht Sekunden ergibt sich dabei, wie noch zur Sprache kommen wird, aus einem Ansatz der wahrnehmungsphysiologischen Forschung, die die Verbindung von visueller Wahrnehmung und Körpermotorik untersuchte. Die im Folgenden besprochenen Arbeiten loten die Möglichkeiten der Verzögerung einer oder mehrerer Wiedergaben aus. Neben Videoinstallationen, die den Betrachter wie eine Testperson an einem Versuchsaufbau teilnehmen lassen, werden dabei auch 1 2
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Die Häufigkeit des Feedbackverfahrens ist in Kacunkos 2004 veröffentlichtem Buch „Closed Circuit“ dokumentiert, in dem dieser zahlreiche Werkbeispiele aus den Jahren 1966 bis 2002 sammelte und kategorisierte. Vgl. Kacunko 2004. Für eine geschichtliche und soziopolitische Verortung von Videokunst in Deutschland vgl. Rudolf Frieling: Kontext Video Kunst. In: Ders. u. Dieter Daniels (Hgg.): Medien Kunst Interaktion. Die 80er und 90er Jahre in Deutschland. Wien, New York 2000, S. 12–35. – Mit Fokus auf die USA vgl. David Joselit: Feedback. Television against Democracy. Cambridge, London 2007, S. 105. Vgl. Rainer Metzger: Kunst in der Postmoderne. Dan Graham (= Kunstwissenschaftliche Bibliothek 1). Köln 1996, zugl. Phil. Diss. Univ. München 1996, S. 88–99, hier FN 9, S. 90. Vgl. Kacunko 2004, S. 97.
1. Zeitverzögerte Rückkoppelung
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Ein-Kanal-Videos von Kunstschaffenden argumentativ einbezogen, die Feedbackverfahren dokumentieren.
1. ZEITVERZÖGERTE RÜCKKOPPELUNG An erster Stelle zu berücksichtigen sind die Installationen Dan Grahams aus den 1970er Jahren, die Feedbackverfahren mit acht Sekunden langen Zeitverzögerungen einsetzten. Der Titel der frühen Videoinstallation „Present Continuous Past(s)“ (1974, Abb. 79) verklammert die grammatikalischen Verlaufsformen der Gegenwart („present continuous“) und der Vergangenheit („past continuous“), die andauernde Handlungen oder Vorgänge zum Ausdruck bringen. Die Arbeit besteht aus einem rechteckigen Raum, der an zwei nebeneinanderliegenden Seiten vollständig verspiegelt ist. Auf einer der beiden unverspiegelten Seiten befindet sich der Eingang und auf der anderen eine Kamera mit einem Bildschirm direkt darunter. Während die Spiegel den Raum in Echtzeit abbilden, nimmt die Kamera das aktuelle Geschehen und dessen Reflexion auf ein Magnetband auf. Diese Aufnahme wiederum wird acht Sekunden später ausgelesen und in den Bildschirm eingespielt. Da sich dieser ebenfalls reflektiert, bildet sich das zeitverzögerte Bild in einem potentiell unendlichen Regress sowohl im Monitor als auch an der Wand ab. Man kann hier auch von der idealtypischen Struktur einer Mise en abyme sprechen, in der das komplette Bild der übergeordneten Ebene in der darunterliegenden wiederholt wird – prinzipiell bis ins Unendliche sich fortstreckend. Der Begriff Mise en abyme stammt ursprünglich aus der Heraldik und bezeichnet ein Wappenschild, das sich selbst in einem seiner Felder enthält. André Gide übertrug ihn 1893 auf Erzählstrukturen, die wesentliche Aspekte der ganzen Erzählung auf einer untergeordneten Erzählstufe beziehungsweise auf der Ebene der Charaktere verarbeiten.5 Auch in Rodney Grahams „Vexation Island“ (Abb. 43) und „Phonokinetoscope“ (Abb. 59) wurde der Betrachter in ausstellungsräumliche Situationen versetzt, die Motive der Diegese wiederholten. Im Vergleich dazu bestätigt sich aber auch die besondere Berechtigung einer Anwendung des Begriffs Mise en abyme auf Dan Grahams Installation. Vergleichbar ist der Effekt mit der Seherfahrung in einem Spiegelsaal. Für „Present Continuous Past(s)“ wird das räumlich illusionistische Ausweitungsprinzip eines solchen Spiegelsaals allerdings mit einer zeitlichen Komponente angereichert, da die ineinandergeschachtelten Aufnahmen das Abgebildete progressiv um acht Sekunden ver5
Für eine ausführliche Begriffsklärung ausgehend von André Gides erstmaliger Übertragung aus dem Bereich der Heraldik in die Literatur vgl. Lucien Dällenbach: The Mirror in the Text. Übers. aus dem Franz. v. Jeremy Whiteley u. Emma Hughes, Cambridge 1989, S. 7f.
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IV. Versuchsaufbauten
zögert wiedergeben. Je stärker der Grad der Schachtelung ist, desto länger liegt das darauf zu Sehende in der Vergangenheit zurück: Das Abbild ersten Grads weist acht Sekunden Verzögerung mit Bezug auf das sich in der Realität Ereignende auf, das Abbild zweiten Grads 16 Sekunden und so weiter. Wie bei Gordons „Déjà Vu“ (2000, Abb. 54) ist der Effekt mit dem der Phasenverschiebung vergleichbar, bei dem zur ersten Stimme weitere Stimmen jeweils um einige Takte verzögert einsetzen und dieselbe Melodie wiederholen.6 Eine Schichtung von verschiedenen Stimmen zu einem Klangganzen ist das Resultat. Für den Seheindruck von „Present Continuous Past(s)“ trifft dies insbesondere dann zu, wenn man das Abgebildete als ineinandergeschachtelte Form begreift, deren bewegte Elemente sich über die Rahmungen hinweg zueinander verhalten. Graham nannte dementsprechend Rileys und Reichs Musik, die durch Loops und zeitverzögerte Phasen geprägt sind, als Bezugspunkte seines Schaffens.7 The analogy for my video time-delay installations was actually Terry Riley’s and Steve Reich’s music. They were using sounds that were repeated a few seconds later. When you hear one sound after the other you would have an immediate feedback to what you heard before: so there was a phasing situation. It would influence your brain-time in terms of creating a kind of new time, which wasn’t long, melodical time as in former compositions but like a drug time. We were inside ourselves perceiving: it is our perception process you sensed… you would be very aware of what was happening inside of your brain.8
Der Künstler erinnerte sich daran, dass er sich damals für Behaviorismus und Phänomenologie interessiert habe. Video sei erstmals im Forschungskontext als Werkzeug eingesetzt worden.9 Er betonte außerdem bei mehreren Gelegenheiten, dass es ihm um die Erzeugung einer verlängerten Gegenwartserfahrung gegangen sei, vergleichbar mit einer Zeitwahrnehmung unter Drogeneinfluss. Diese stehe im Gegensatz zu einer starren, punktuellen und monoperspektivischen „Renaissance-Zeit“10. 6 7
8 9
10
Vgl. S. 165–169. Vgl. Benjamin Buchloh: Four Conversations: December 1999 – May 2000. Benjamin H. D. Buchloh/Dan Graham. In: Marianne Brouwer (Hg.): Dan Graham. Works 1965–2000. Kat. Ausst. Porto (Museu de Art Contemporânea de Serralves u. a.). Düsseldorf 2001, S. 69–84, hier S. 76. – Vgl. Apolonija Sustersic: One Morning Talking with Dan Graham. In: Gloria Moure (Hg.): Dan Graham. Barcelona 1998, S. 31–36, hier S. 33. Sustersic 1998, S. 33. „I was very interested in behaviorism and phenomenology. Behaviorism was an American idea of just functional description, of the physiological movement of the body outside of consciousness. Phenomenology was an European idea of consciousness that also became important in American art at that time. Then primitive video was used in scientific laboratories to investigate physiological movement and used it in time-delays to investigate brain-time.“ Ebd., S. 33. „Split Attention“ – Geteilte Aufmerksamkeit. Hans Dieter Huber im Gespräch mit Dan Graham, Stuttgart, Juni 1994. In: Hans Dieter Huber (Hg.): Dan Graham. Interviews. Übers. aus dem Amerikan. v. Uta Nusser. Ostfildern 1997, S. 5–22, hier S. 12 u. S. 14. – Vgl. Interview with Dan Graham by Kim Gordon (24. März 2008). In: Dan Graham.
1. Zeitverzögerte Rückkoppelung
307
Die Wortschöpfung „Renaissance-Zeit“ referiert auf den zentralperspektivisch konstruierten Raum in der Malerei, der einen örtlich fixierten und monokularen Betrachterblick voraussetzt. Wie diese räumliche Darstellungsweise, beispielsweise in der Malerei Cézannes oder in den Collagen George Braques und Pablo Picassos, in eine multiperspektivische überführt wurde, so solle auch die zeitlich punktuelle Repräsentationsweise überwunden werden. Neben der Einführung von Dauer in das Werk spielte für Graham dabei wohl auch, mit Blick auf Einsteins Relativitätstheorie, die wechselnde Perspektive der Betrachter eine Rolle. Insbesondere aber sei es ihm um das Erkennen des eigenen zeitlich strukturierten Wahrnehmungsvorgangs gegangen, um das Schaffen einer ausgedehnten Gegenwart und die Frage, wann Gegenwart in Vergangenheit abgleite. Dabei habe er nicht nur die musikalische Avantgarde wahrgenommen, sondern auch die Installationen Naumans: It had a lot to do with drugs, but it also had to do with the idea of process, with Terry Riley’s and Steve Reich’s use of just past time. We were interested in an extended present time [...]. Steve learned a lot from Terry Riley who was using time delay, and I think Nauman learned from Terry Riley and Steve Reich how to put time delay into video.11
Mit Rückgriff auf den von Husserl geprägten Begriff der Retention könnte man über „Present Continuous Past(s)“ sagen, dass das kurz zuvor Vergangene in der Wahrnehmung präsent gehalten wird und deshalb die „primäre Erinnerung“ des Bewusstseins überlagert. Es vervielfacht sich dabei nicht nur die Wahrnehmung eines Augenblicks, auch die Retention schattet sich mehrfach sowie zeitlich versetzt ab. Bei Graham werden der Abspaltungsvorgang des aktuell Wahrgenommenen von der Gegenwart und die mehrfache Staffelung der Retentionen einerseits anschaulich. Andererseits vervielfacht sich die Vergegenwärtigung des Vergangenen, indem das Erinnerte – ohne die für das Erinnern übliche bedeutungsstiftende Selektionsweise, sondern im Gleichmaß der zeitlichen Abstände – zum andauernd Wahrgenommenen wird. Stemmrich beleuchtete die von Graham angesprochenen und zu dessen Zeit populären physiologischen Experimente, die den Zusammenhang zwischen Sehen und Körperbewegung erforschten.12 So illustriert das 1966 von Richard Gregory veröffentlichte Buch „Eye and Brain“ eine Versuchsanordnung zu Rückkoppelungen durch ein zeitverzögertes Sehen nach K. U. Smith (Schaubild 13). Eine Versuchsperson erhält die Aufgabe, eine Zeichnung anzufertigen. Ihre Hand sieht sie als Videoaufnahme auf einem
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Beyond. Kat. Ausst. Los Angeles (The Museum of Contemporary Art u. a.). Cambridge, London 2009, S. 169–177, hier S. 169. Buchloh 2001, S. 76. Vgl. Stemmrich 2008, S. 40 u. S. 106–108.
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IV. Versuchsaufbauten
Schaubild 13: Richard Gregory, Schemazeichnung des Versuchsaufbaus von K. U. Smith, 1966. Zwischen Handeln (Zeichnen) und bildschirmgesteuertem Sehen wird eine Zeitverzögerung implementiert.
Monitor. Die Versuchsreihen ergaben, dass es bei einer Verspätung der Rückkoppelung von bis zu acht Sekunden dem Zeichnenden zunächst nicht gelang, die Zeitverzögerung überhaupt zu erkennen. Dies führte dazu, dass er vergangene Bewegungen, die er auf dem Monitor sah, unwillkürlich nachahmte. Erst nachdem acht Sekunden vergangen waren, konnte er die Identifikation mit dem Videobild unterbrechen und das im Monitor verspätet Wiedergegebene von der eigenen Handlung unterscheiden. Gefolgert wurde daraus, dass das Kurzzeitgedächtnis Auswirkung auf das Gegenwartsempfinden habe.13 Dass auch die adaptive körperliche Reaktion des Betrachters als Konzept in die Installation Grahams mit einfließt, wird bei der Berücksichtigung einer früheren Performance des Künstlers deutlich. In „Past Future/Split Attention“ (1972) bekamen zwei in einem Raum befindliche Personen die Aufgabe, jeweils das künftige Verhalten des Anderen vorherzusagen oder das vergangene Verhalten laut zu memorieren. Dabei sei, wie Graham hervorhob, der Effekt zu beobachten gewesen, dass das Verhalten jeweils
13
Vgl. Gregory (EA 1966) 1972, Abb. 11.11, S. 216 u. Abb. 11.12, S. 217.
2. „Kollabierte Gegenwart“
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durch das vom Anderen Gesagte beeinflusst worden sei.14 In späteren Installationsvarianten steigerte der Künstler den Komplexitätsgrad, indem er sowohl akustische als auch visuelle Rückkoppelungen mit und ohne Zeitverzögerung in mehreren aneinander angrenzenden Kammern miteinander kombinierte.15
2. „KOLLABIERTE GEGENWART“ Im kunstkritischen Diskurs der 1970er Jahre wird das Feedbackverfahren auch unter dem Begriff Narzissmus reflektiert. Maßgeblich ist dabei Rosalind Krauss’ Aufsatz „Video and Narcissism“ (1976), in dem die Autorin anhand exemplarischer Werkbeschreibungen ihre These ausführte, dass Video das narzisstische Medium per se sei.16 Ihre Beobachtungen brachten sie zu dem Konzept der von ihr sogenannten kollabierten Gegenwart („collapsed present“). Zu dessen Erläuterung seien ihre Interpretationen zweier Ein-Kanal-Arbeiten von Serra und Lynda Benglis vorgestellt. Serras zehnminütiges Farbvideo „Boomerang“ (1974, Abb. 80) dokumentiert die Künstlerin Nancy Holt als Versuchsperson in einem Aufnahmestudio. Während die Worte, die sie in das Mikrofon spricht, aufgrund der dazwischengeschalteten Tonbandaufnahme mit einer kurzen Verspätung wie ein Echo in ihren Kopfhörer zurückgespielt werden, beschreibt sie, wie das, was sie hört, mit dem Gang ihrer Gedanken interferiert. Das Hören der verzögerten Rückkoppelung gleiche einem Spiegelbild. Es entstehe ein Abstand zwischen ihren Worten und dem Begreifen dieser Worte. Das Denken verlangsame sich, genauso wie das Herstellen von Verknüpfungen behindert werde. Holt fühle sich isoliert, von der Wirklichkeit entfremdet und von ihrem eigenen Denken eingeschlossen. Der Betrachter der Arbeit hört sowohl das von Holt gerade Gesprochene als auch das Rückgekoppelte und wird durch inszenierte Störungen von Tontechnik und Bildwiedergabe auf die Parameter des Versuchsaufbaus verwiesen.17 Krauss hob insbesondere die zeitliche Wahrnehmungsirritation hervor: 14 15 16
17
Vgl. Dan Graham: Past Future/Split Attention (EA 1982). In: Alexander Alberro (Hg.): Two-Way Mirror Power. Selected Writings by Dan Graham on His Art. Cambridge, London 1999, S. 122f. Vgl. die Varianten der „Time-Delay Rooms“ in Brouwer 2001, Kat.-Nr. 43–50, S. 148–156. Vgl. Krauss (1976) 2010, S. 3–18. – Vgl. Anne M. Wagner: Performance, Video, and the Rhetoric of Precence. In: October 91 (Winter 2000), S. 59–80. – Zur damaligen Popularität des Begriffs „Narcissism“ vgl. Anja Osswald: „Sexy Lies in Videotapes“. Künstlerische Selbstinszenierung im Video um 1970 bei Bruce Nauman, Vito Acconci und Joan Jonas (= Berliner Schriften zur Kunst 8). Berlin 2003, zugl. Phil. Diss. Freie Univ. Berlin 2001, S. 63. Ein in blauer Farbe die Aufnahme überlagernder und teilweise ausgestrichener Schriftzug, der die Abkürzung „tv“ enthält, referiert auf das Fernsehen. Besonders deutlich wird Serras Auseinandersetzung mit dem Medium in dem im Jahr zuvor entstandenen, sechsminütigen Video „Television delivers People“ (1973), das dem Betrachter die Worte „You are the product of t.v.“ entgegenwirft.
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IV. Versuchsaufbauten
The prison Holt both describes and enacts, from which there is no escape, could be called the prison of a collapsed present, that is, a present time which is completely severed from a sense of its own past. We get some feeling for what it is like to be stuck in that present when Holt at one point says, ,I’m throwing things out in the world and they are boomeranging back . . . boomeranging . . . eran-ging-ing . . . an-ginging.‘ Through that distracted reverberation of a single word—and even word fragment—there forms an image of what it is like to be totally cut off from history, even, in this case, the immediate history of the sentence one has just spoken.18
Das zeitverzögerte Hören der eigenen Worte erzeuge also einen Effekt, der die Versuchs person gewaltsam an die Gegenwart binde und von der Vergangenheit abschneide. Dies zeige sich, wenn Holt das wiederhole, was sie gerade höre oder konstatiere, dass sie teilweise vergesse, was sie habe sagen wollen. Eine mit Serras „Boomerang“ vergleichbare Arbeit fand Krauss in Benglis’ Farbvideo „Now“ (1973, Abb. 81), das die Künstlerin über die Dauer von 12:30 Minuten im Profil vor dem Hintergrund eines großen Monitors zeigt, auf dem in der linken Bildhälfte eine frühere Aufnahme ihrer selbst zu sehen ist. Benglis interagiert mit dem Video, indem sie die dort jeweils sichtbaren Handlungen nachahmt. Dabei sagt sie immer wieder: „Do you wish to direct me?“, „Start the camera.“, „Now!“ oder „Is it now?“, wobei für den Betrachter nicht immer ersichtlich ist, zu welcher der beiden zeitlich versetzten Aufnahmen der Ton gerade gehört. Aufgrund der häufigen Wiederholung des Worts „now“ wird die Definition von Gegenwart zum Problem. Krauss weist darauf hin, dass sich die ineinandergeschachtelte Reihe der Aufnahmen beliebig fortsetzen könnte und dass auch die Gegenwart des Betrachters, der zu einem bestimmten Zeitpunkt das Video sieht, angesprochen ist.19 Darüber hinaus erinnert die Arbeit an ein Kinderspiel, in dem das Wort „now“ mehrfach wiederholt wird, um den jeweils gegenwärtigen Moment zu bezeichnen oder gar zu fangen, während er schon im Augenblick des Sprechens entgleitet.20 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich die Vervielfachung einer Person mit Hilfe von Video bereits in einer der ersten künstlerischen Arbeiten findet, in welcher Video überhaupt zum Einsatz kam: Warhols Zwei-Kanal-Arbeit „Outer and Inner Space“ aus dem Jahr 1965 (Abb. 82). Dort ist in jedem der beiden nebeneinander pro18 19
20
Krauss (1976) 2010, S. 7. Vgl. ebd., S. 9f. – Vgl. Carrie Przybilla: Synopses of Videotapes. In: Susan Krane: Lynda Benglis. Dual Natures. Kat. Ausst. Atlanta (High Museum of Art u. a.) 1991, S. 105–113, hier S. 111f. – Franck Gautherot, Caroline Hancock u. Sŭng-tŏk Kim (Hgg.): Lynda Benglis. Kat. Ausst. Eindhoven (Van Abbemuseum) Dijon 2009, S. 79. In Peter Mettlers Dokumentarfilm „The End of Time“ (2012) erzählt eine der Interviewpartnerinnen – diese lebt in der ruinösen Stadt Detroit – etwa zur Halbzeit von dem wohl sehr bekannten Kinderspiel.
2. „Kollabierte Gegenwart“
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jizierten Filme der gleiche experimentelle Aufbau zu sehen, wobei die Aufnahme der rechten Seite zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte. Jeweils links ist ein Fernsehmonitor platziert, in welchem ein früher aufgenommenes Video läuft, das die sprechende Edie Sedgwick im Profil dokumentiert. Rechts daneben sieht der Betrachter nochmals Sedgwick, die mit dem Rücken zu diesem Monitor dasitzt und die zu Warhol hin gerichtet, der sich offensichtlich links außerhalb des Aufnahmefelds befindet, ihre vom Band wiedergegebenen Äußerungen kommentiert. An einer Stelle beschreibt auch sie, wie sie durch das Hören ihrer eigenen Stimme in Konflikt mit ihrer Erinnerung gerät: „It’s so funny listening to this rather than remembering ... and it’s so real.“ Im Gegensatz zu dem Versuchsaufbau bei Serra findet die Rückkoppelung hier, genauso wie bei Benglis, mit einem größeren zeitlichen Abstand statt. Am Ende der zweiten Filmspule scheint Sedgwick schließlich ihr Alter Ego als etwas außerhalb von ihr Liegendes und von ihr Unabhängiges zu begreifen. Sie beginnt, sich selbst Grimassen zu schneiden.1 Die Protagonistinnen aller drei Arbeiten bringen eine Irritation zum Ausdruck, die aus der verzögerten Rückkoppelung resultiert. Das Wiedererkennen der eigenen Stimme oder des eigenen Abbilds gerät mit der Erinnerung beziehungsweise dem eigenen Denkprozess in Konflikt. Zum Thema wird jeweils auch die versuchte oder abgelehnte Identifikation mit der rückgekoppelten Bild- beziehungsweise Tonaufnahme. Für die Arbeiten Serras und Benglis’ konstatierte Krauss eine Bewegung des Spiegelnden auf das Gespiegelte hin, die auf eine Synthese hin abziele und damit auf eine Auflösung der Dichotomie von Subjekt und Objekt. Der Begriff des Spiegels ist dabei metaphorisch zu verstehen, denn eine Rückkoppelung unterscheidet sich signifikant von einem Spiegelbild – nicht nur mit Bezug auf die das Bild hervorbringende Apparatur, sondern auch weil das Aufgenommene bei einer Rückkoppelung in der Regel nicht seitenverkehrt erscheint. Für Krauss war die Metapher des Spiegels Anlass für eine Argumentation in Anlehnung an Lacan, der die durch das Spiegelbild erzeugte Spaltung von Subjekt („je“) und Objekt („moi“) zum Ausgangspunkt einer notwendigen, aber vergeblichen Anziehungsdynamik machte.2 Unabhängig davon, ob man der 1
2
„Outer and Inner Space“ ist vor dem Hintergrund der zwischen 1964 und 1966 aufgenommenen „Screentests“ zu sehen. Zwar wurde Sedgwick nicht dazu angehalten, bewegungslos zu verharren, aber sie bleibt an einer Position sitzen. Dadurch, dass Warhol den Zoom veränderte und der Betrachter Sedgwick manchmal als Halbportrait samt dahinterliegendem Monitor sieht, wird die Machart der Verdoppelung offengelegt. Manchmal erscheint Gerard Malanga zudem in dem Aufnahmefeld, um Kamera und Monitor zu manipulieren. Das Videobild wandelt sich beispielsweise in ein Störbild, um dann offensichtlich einem Fernsehprogramm Platz zu machen. Für eine Beschreibung der Arbeit vgl. Kaizen 2008, S. 265–268. Vgl. Krauss (1976) 2010, S. 10–12. – Wie auch Graham bemerkte, sei Lacans Theorie damals allseits bekannt gewesen. Vgl. „Split Attention“ – Geteilte Aufmerksamkeit. Hans Dieter Huber im Gespräch mit Dan Graham 1997, S. 14f. – Lacans Schriften erschienen 1977 erstmals in englischer Übersetzung in New York. Vgl. Hans Dieter Huber: Split Attention. Performance und Publikum bei Dan Graham. In: Huber 1997, S. 47–63, hier S. 61. – Die von Lacan vorgetragene These besagt, dass sich das Ich im Alter zwischen sechs und 18 Monaten über eine Abspaltung konstituiere.
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IV. Versuchsaufbauten
Autorin nun – gerade auch mit Blick auf Warhols Arbeit, die keine solche Dynamik zeigt – zustimmen möchte, ist festzustellen, dass sie Zeitlichkeit und das Gegensatzpaar „je“/„moi“ zusammendenkt, um ein „therapeutisches“ Umschlagen von der Stagnation in den Wandel zu beschreiben: The analytic project is then one in which the patient disengages from the ,statue‘ of his reflected self, and through a method of reflexiveness, rediscovers the real time of his own history. He exchanges the atemporality of repetition for the temporality of change.3
Über das reflexive Wahrnehmen der persönlichen Geschichte und Gegenwart, also über ein Zu-sich-selbst-Kommen, sei ein Auflösen des „standbildhaften“, also unflexiblen Selbst möglich. Damit ist offensichtlich das durch die Spiegelung abgetrennte, objektive „moi“ nach Lacan gemeint. Während sich Krauss mit dem Ausdruck „atemporality of repetition“ assoziativ auf die Wiederholungsstruktur der Videoarbeiten und das Gefängnis der „kollabierten Gegenwart“ bezog, konnotiert der Ausdruck auch Hegels „negative Unendlichkeit“, die in der ewigen Wiederholung der gleichen Denkbewegung besteht, ohne zu einer dialektischen Auflösung zu kommen. Zudem, und dies scheint die relevantere Referenz zu sein, liegt in ihr die Frage nach der menschlichen Freiheit, die JeanPaul Sartre in seinem Hauptwerk „L’être et le néant. Essai d’ontologie phénoménologique“ (1943) reflektierte. Sartres Schriften wurden insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren breit rezipiert. Dies bestätigte rückblickend Paik,4 und auch Graham gab an, Sartre im Alter von 15 oder 16 Jahren gelesen zu haben.5 Krauss bezieht sich noch 1996 auf ihn.6 In „L’être et le néant“ betonte Sartre die Bedeutung der Vergangenheit für die Konstitution des Ichs in der Gegenwart, wobei er Husserls Vorstellung von einer sich mit dem „Nicht-Jetzt“ verklammernden Gegenwart aufgriff, aber den überschreitenden Impetus der Konzepte von Protention und Retention für gescheitert erklärte.7 Seine Reflexionen über das Sein und das Nichts setzten an der Problematisierung des Ver-
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So erkenne das motorisch noch schwach entwickelte Kleinkind erstmals sein eigenes Bild – außerhalb seiner selbst – im Spiegel wieder. Die dadurch hervorgerufene Trennung zwischen Subjekt („je“) und Objekt („moi“) erfordere zur Wiedererlangung der Ganzheit die Identifikation mit dem äußerlichen Spiegelbild. Vgl. Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint (EA 1949). In: Ders.: Das Werk von Jacques Lacan. Schriften 1. 3 Bde. Bd. 1. Ausgew., teilweise übers. u. hg. v. Norbert Haas. Weinheim, Berlin 1991, S. 61–70, S. 64. Krauss (1976) 2010, S. 13. Vgl. Interview in einer Bahnhofsgaststätte 2009, S. 78. Vgl. Buchloh 2001, S. 69. Vgl. Rosalind Krauss: „Informe“ without Conclusion. In: October 78 (Herbst 1996), S. 89–105, hier S. 92. Vgl. Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Untersuchung (EA Paris 1943). In: Ders.: Gesammelte Werke in Einzelausgaben (= Philosophische Schriften 3). Übers. aus dem Franz. v. Hans Schöneberg u. Traugott König, Hamburg 1993, S. 220 u. S. 239.
2. „Kollabierte Gegenwart“
313
hältnisses zwischen Gegenwart und Vergangenheit an. So unterschied Sartre zwischen dem unveränderlichen und damit bestimmbaren An-sich-Sein („l’être-en-soi“) der Vergangenheit, die immer eine individuell besessene sei, und dem Für-sich-Sein („l’êtrepour-soi“) der aktuellen Gegenwart, die sich aufgrund ihrer Unabgeschlossenheit der Bestimmbarkeit entziehe. Man sei seine eigene Vergangenheit, da sich das Erleben von Kohärenz notwendigerweise aus dem Gewesenen speise.8 Wenn aber das An-sichSein der Vergangenheit ständig in ein gegenwärtiges Für-sich-Sein umschlage, so müsse dies in einer andauernden Nichtungsbewegung geschehen, die dem Sein entfliehe.9 In der Negation des Seins entstehe die Möglichkeit einer freien Gestaltung des Augenblicks auf einen zukünftigen Entwurf hin.10 Aufgrund der ständigen Fluchtbewegung des Für-sich könne der Mensch nach Sartre aber auch nicht mit sich selbst identisch sein, genauso wenig, wie er die Gegenwart ergreifen könne. Du Pour-soi en tant que tel, on ne saurait jamais dire: il est, au sens où l’on dit, par exemple: il est neuf heures c’est-à-dire au sens de la totale adéquation de l’être avec soi-même qui pose et supprime le soi et qui donne les dehors de la passivité. [...] Il est impossible de saisir le Présent sous forme d’instant car l’instant serait le moment où le présent est.11
Sartre stellte weiterhin fest, dass das Bewusstsein notwendigerweise Bewusstsein von etwas sein müsse. Auf der anderen Seite unterscheide sich das Bewusstsein von dem, wovon es Bewusstsein sei. Dies sei mit der Einheit von Spiegelung und Spiegelndem vergleichbar. Während das Bewusstsein einem Spiegelnden gleiche, das etwas spiegle, womit es selbst nicht identisch sei, so beruhe umgekehrt die Spiegelung auf dem Spiegelnden. Das Für-sich sei dabei Bewusstsein von Nichts. Denn das Selbst sei gegenwärtig anwesend bei dem, was es gerade nicht sei: Le reflet ne peut être à la fois ,quelque chose à réfléter‘ et rien que s’il se fait qualifier par autre chose que lui ou, si l’on préfère, s’il se réflète en tant que relation à un dehors qu’il n’est pas. Ce qui définit le reflet pour le reflétant, c’est toujours ce à quoi il est présence. [...] Est présent à moi ce qui n’est pas moi.12 8
9
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„Ainsi, tout ce qu’on peut dire que je suis au sens de l’être en soi, avec une pleine densité compacte (il est coléreux, il est fonctionnaire, il est mécontent) c’est toujours mon passé. C’est au passé que je suis ce que je suis.“ Jean-Paul Sartre: L’être et le néant. Essai d’ontologie phénoménologique (EA 1943). 26. Aufl. Paris 1949, S. 161f. „Il [le Pour-soi] échappe doublement à l’être, par désagrégation intime et négation expresse. Et le présent est précisément cette négation de l’être, cette évasion de l’être en tant que l’être es là comme ce dont on s’évade. Le Pour-soi est présent à l’être sous forme de fuite; le Présent est une fuite perpétuelle en face de l’être.“ Ebd., S. 167f. Vgl. Sartre (EA Paris 1943) 1993, S. 253. Sartre (EA 1943) 1949, S. 167f. Ebd., S. 221f.
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IV. Versuchsaufbauten
Aus diesem Blickwinkel wären die Spiegelungen und Rückkoppelungen bei Graham und die Rückkoppelungen bei Serra, Benglis und Warhol nicht als Anwesenheit des Betrachters oder der Versuchsperson bei sich selbst, sondern gerade als Anwesenheit bei einem Nicht-Ich zu verstehen, obwohl es sich um eine Wiedergabe der eigenen Erscheinung handelt. Zwar ist das Erinnerte nach Sartre bestimmt und ragt in die Gegenwart, insofern es die Grundlage für die Konstitution von Identität liefert. Andererseits nichtet die Vergegenwärtigung des vergangenen Abbilds gerade das An-sich der Erinnerung. Dies kommt dem Wunsch nach einer verlängerten Gegenwart entgegen, erzeugt aber auch einen Bruch hinsichtlich der Bestimmung des eigenen Selbst.
3. DISSOZIIERUNG Neben dem Effekt einer Interferenz der eigenen Zeit- beziehungsweise Ich-Wahrnehmung mit dem Rückgekoppelten ist ein weiterer, damit eng verbundener Aspekt maßgeblich. So öffnet sich eine Schere zwischen Körpergefühl und rückgekoppeltem Selbstbild. Dies verdeutlicht ein vergleichender Blick auf Naumans Videoinstallationen seit 1970, die die Frage nach der körperlichen und der medial gespiegelten An- beziehungsweise Abwesenheit des Rezipienten ausloten.13 Mittels eng aneinanderstehender, hoch aufragender Wände inszenierte der Künstler in seinen Korridoren klaustrophobische Situationen, denen sich der Betrachter auszusetzen hat, wenn er die jeweilige Arbeit erleben möchte.14 In „Corridor Installation (Nick Wilder Installation)“ (1970) und „Live-Taped Video Corridor“ (1969/70, Abb. 83)15 kombinierte Nauman Monitore, die den beim Durchlaufen eines Gangs erhöht von hinten aufgenommenen Rezipienten wiedergeben, mit Monitoren, die den jeweiligen Raum aus derselben Warte im leeren Zustand zeigen. In „Live-Taped Video Corridor“ sind zwei übereinandergestellte Bildschirme für den Betrachter am Ende des Gangs sichtbar. Bestätigt der das aktuelle Geschehen rückkoppelnde Bildschirm seine körper13
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In „Untitled“ (1969), einer Anweisung für eine nicht durchführbare Performance, spielte Nauman schon die Trennung von Abbild und Körperempfinden durch: Eine Person lebt über einen längeren Zeitraum hinweg in einem Raum, der an einer Wand seitengleich gedoppelt ist. Stünde man vor dieser Wand, so sähe man sich selbst also von hinten. Nach einer längeren Zeit löst sich das Gegenüber, so das Szenario, vom Vorbild ab, indem es immer stärker hinter der Gegenwart zurückfällt. Irgendwann kann deshalb keine Identifikation mehr zwischen dem Selbst und dem Gegenüber hergestellt werden. Vgl. Bruce Nauman: Untitled, 1969. In: Janet Kraynak (Hg.): Please Pay Attention Please. Bruce Nauman’s Words. Writings and Interviews. Cambridge, London 2003, S. 55. „It [Performance Corridor] was twenty inches wide and twenty feet long, so a lot of strange things happened to anybody who walked into it … just like walking in a very narrow hallway.“ Willoughby Sharp: Interview with Bruce Nauman (EA 1971). In: Kraynak 2003, S. 133–154, S. 145. Vgl. Joan Simon (Hg.): Bruce Nauman. Exhibition Catalogue and Catalogue Raisonné. Kat. Ausst. Madrid (Centro de Arte Reina Sofía u. a.) 1993/1994. Minneapolis 1994, Kat.-Nr. 172, S. 241 u. Kat.-Nr. 183, S. 247.
3. Dissoziierung
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liche Anwesenheit, so leugnet es der andere wiederum – ein verwirrender Effekt, der auf der Erwartung basiert, beide Male eine Übertragung in Echtzeit zu sehen.16 Hinzu kommt, dass sich das eigene Abbild vom Begeher der Installation wegbewegt, was wie eine performative Umsetzung von Samuel Becketts im September 1965 erstmals auf der Biennale von Venedig gezeigtem „Film“ erscheint. Ausgehend von Becketts an den Anfang seines Originalentwurfs zu „Film“ vorangestelltem und George Berkeley entliehenem „Esse est percipi – Sein heißt wahrgenommen werden“ folgerte Hans Dieter Huber für „Film“, dass die Selbstwahrnehmung, auch wenn es keine Zeugen der eigenen Person gebe, stets die eigene Existenz bestätige.17 Sowohl Naumans als auch Grahams Videoarbeiten lassen sich über das Spannungsverhältnis von äußerer und innerer Selbstwahrnehmung charakterisieren.18 Bei Nauman geht der Eindruck der Überwachung, der eigenen Abwesenheit, aber auch der eines Entgleitens des eigenen Abbilds paradoxerweise mit einem starken Körpergefühl einher, das aufgrund der Enge und Höhe der Korridore forciert wird. Deren Maß resultiert, wie in dem einstündigen Schwarz-Weiß-Video „Walk with Contrapposto“ (1968) deutlich wird, aus dem sich übertrieben bewegenden Körper des Künstlers, der den Gang mit hinter dem Kopf verschränkten Händen langsam so durchschreitet, dass sein Becken bei jeder Gewichtsverlagerung gerade noch die Wände berührt – eine Stellung, die jeweils kurz gehalten wird.19 Anja Osswald und Judith Plodeck hoben mit Verweis auf Aussagen des Künstlers und weitere Forschungsliteratur den Bezug Naumans zur Gestalt- und Verhaltenspsychologie Frederick S. Perls und der damals in Künstlerkreisen rezipierten Phänomenologie Merleau-Pontys, die ebenfalls Anleihen aus der Gestaltpsychologie nimmt, hervor.20 Merleau-Ponty, der 1945 gemeinsam mit Sartre und Simone de Beauvoir die heute noch erscheinende Zeitschrift „Les Temps Modernes“ begründete, stellte die 16
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Sabine Flach stellte einen Bezug zu Susan Sontags Aufsatz „Aesthetics of Silence“ (1967) her, in dem es um ein künstlerisches Verweisen auf etwas Fehlendes geht. Vgl. Sabine Flach: „Withdrawal as an Artform“ – Between Withdrawal and Presentation – The Body in the Media Arts. In: Ursula Frohne, Mona Schieren u. Jean-François Guiton (Hgg.): „Present Continuous Past(s)“. Media Art. Strategies of Presentation, Meditation and Dissemination (= Schriftenreihe der Hochschule für Künste Bremen 2). Wien, New York 2004, S. 46–60, hier S. 56. „Eye“ blicke am Schluss des Films wie eine Art Über-Ich von oben auf den Protagonisten herab und stehe genau vor jener Stelle an der Wand, an welcher zuvor eine stereotype Darstellung Gottvaters gehangen habe. Vgl. Hans Dieter Huber: Überkreuzte Blicke. Merleau-Ponty, Lacan, Beckett, Spencer-Brown. In: Antje Kapust u. Bernhard Waldenfels (Hgg.): Kunst. Bild. Wahrnehmung. Blick. FS Merleau-Ponty. München 2010, S. 135–146, hier S. 138 u. S. 142. Für eine solche Lesart von Dan Grahams „Present Continuous Past(s)“ vgl. Sabine Flach: Körper-Szenarien. Zum Verhältnis von Körper und Bild in Videoinstallationen. München 2003, S. 215–220. Die Dauer der Arbeit ergibt sich dabei durch die normierte Länge des Videobands. Vgl. Jan Butterfield, Bruce Nauman. The Center of Yourself (Interview, 1975). In: Kraynak 2003, S. 173–182, hier S. 174. Vgl. Judith Plodeck: Bruce Nauman und Olafur Eliasson. Strategien performativer Installationen. Potsdam 2010, zugl. Phil. Diss. Univ. Potsdam 2009, S. 199–205, URL: http://pub.ub.uni-potsdam.de/volltexte/2010/4075/ (Stand: 5.7.2017). – Vgl. Osswald 2003, S. 96–103. – Zur Wahrnehmungspsychologie bei Merleau-Ponty vgl. Schneider 2004, S. 89.
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IV. Versuchsaufbauten
Bedeutung der körperlich sinnlichen Erfahrung in den Vordergrund von Erkenntnis und betonte die Leibgebundenheit des Bewusstseins. Seine Vorstellung von Zeitlichkeit lehnte er dabei, wie auch Sartre, an Husserl an. Husserl kam in den „Cartesianischen Meditationen“ – diese setzen sich aus Vorträgen zusammen, die er 1929 an der Sorbonne in Paris gehalten hatte – zu dem Schluss, dass mit der Reflexion des eigenen Ichs unwillkürlich das sich kontinuierlich im Zeitfluss vollziehende Bewusstsein von dem eigenen, sich bewegenden Leib mit eingeschlossen sei. Denn der Leib gehöre zum Erfahrungsfeld des Ichs.21 In Anlehnung daran sprach Merleau-Ponty vom jeweils leiblich erfahrenen „Präsenzfeld“, in dem die Horizonte von Vergangenheit und Zukunft kontinuierlich an die Gegenwart anschlössen. Vergangenheit und Zukunft müssten nicht bewusst gesetzt werden, sondern seien über die aus dem Wahrnehmungsfeld hervorgehenden Intentionalitäten, durch Protention und Retention, noch direkt erreichbar.22 Zeit sei zudem nicht als unabhängig vom jeweiligen Subjekt zu begreifen, sondern sie konstituiere sich, wie seine sich zeitlich erstreckende Existenz im Ganzen, in dessen Bezug zur Welt.23 Das Bewusstsein entfalte die Zeit in einem zeitlichen Vorgang und nur in der Gegenwart fielen Dasein und Bewusstsein in eins.24 Mit Blick auf die Hervorbringung der Zeit durch das Bewusstsein konnte Merleau-Ponty folglich Subjekt und Zeit gleichsetzen.25 Zurückkommend auf die Frage nach der Rolle der Zeitlichkeit in Grahams und Naumans Installationen ist nun zu bekräftigen, dass das Körpergefühl des Betrachters, der sich selbst in der Bewegung und damit in der Zeit erlebt, zum Ausgangspunkt der Werk erfahrung wird. Die mit dem Leib gekannte Zeit – und dabei insbesondere die Gegenwartserfahrung – findet bei Nauman eine wesentliche Irritation durch Vorspiegelung 21
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„Unter den eigenheitlich gefaßten Körpern dieser Natur finde ich dann in einziger Auszeichnung m e i n e n L e i b , nämlich als den einzigen, der nicht bloßer Körper ist, sondern eben L e i b , das einzige Objekt innerhalb meiner abstraktiven Weltsicht, dem ich erfahrungsgemäß Empfindungsfelder zurechne [...]. Wahrnehmend tätig erfahre ich (oder kann ich erfahren) alle Natur, darunter die eigene Leiblichkeit die darin also auf sich selbst zurückbezogen ist.“ Edmund Husserl: Cartesianische Meditationen. Eine Einleitung in die Phänomenologie. In: Ders.: Husserliana. Gesammelte Werke. 41 Bde. Bd. 1. Hg. u. eingel. v. Stephan Strasser, 2. Aufl. Den Haag 1963, S. 41–183, hier § 44, S. 128. – Vgl. Schneider 2004, S. 89f. „Je ne passe pas par une série de maintenant dont je conserverais l’images et qui, mis bout à bout, formeraient une ligne. A chaque moment qui vient, le moment précédent subit une modification: je le tiens encore en main, il est encore là, et cependant il sombre déjà, il descend au-dessous de la ligne des présents; pour le garder, il faut que je tende la main à travers une mince couche de temps. C’est bien lui, et j’ai le pouvoir de le rejoindre tel qu’il vient d’être, je ne suis pas coupé de lui, mais enfin il ne serait pas passé si rien n’avait changé, il commence de se profiler ou de se projeter sur mon présent, alors qu’il était mon présent tout à l’heure.“ Maurice Merleau-Ponty: Phénoménologie de la Perception. Paris 1945, § 17, S. 476. Vgl. ders.: Phänomenologie der Wahrnehmung (EA 1945). Übers. aus dem Franz. u. eingef. durch eine Vorrede v. Rudolf Boehm, photomechan. Nachdr. der Ausg. v. 1966, 6. Aufl. Berlin 1974, § 14, S. 468. Vgl. ebd., § 21, S. 482 u. § 25, S. 489. Vgl. ebd., § 20, S. 480.
3. Dissoziierung
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der eigenen Abwesenheit und bei Graham durch eine mittels Zeitverzögerung induzierte Entfremdung vom Abbild. Merleau-Ponty wies darauf hin, dass der eigene Leib sich selbst nicht beobachten könne, sofern man voraussetzt, dass die Fixierung des jeweils beobachteten Gegenstands mit einem Wechsel der Perspektive einhergehen können müsse. Dies gelte damit auch für die Betrachtung des eigenen Selbst über das Spiegelbild. Es bedürfe eines zweiten Leibs, der seinerseits jedoch nicht beobachtbar sei.26 Da die Zeitverzögerung automatisch einen Wechsel der Perspektive mit sich bringt, und dies ständig, wäre hinsichtlich der hier vorgestellten Arbeiten, insbesondere bei „Present Continuous Past(s)“, die Voraussetzung für Selbstbeobachtung gegeben, genauso wie eine solche durch die Verwirrung von Wahrnehmung und Erinnerung verhindert wird.
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Vgl. ebd., § 7, S. 116.
SCHLUSS
Welche Antworten können auf die eingangs gestellten Fragen nach den Arten reflexiver Zeitformung (bildhafte Einstellung, symmetrische Formbildung und so weiter), den im diskursiven Kontext der Filme und Videos zutage tretenden oder zu ihrer Interpretation geeigneten Zeitkonzepten (Lebenszeit, Entropie, Präsenz und so weiter) sowie dem Verhältnis beider Komponenten zueinander gegeben werden? Zunächst ist zu konstatieren, dass keine feste Verbindung zwischen zeitlicher Form und thematisiertem Zeitkonzept festzustellen ist. Vielmehr kommentieren sich beide Komponenten gegenseitig. In welcher Zeitstruktur ein bestimmtes Zeitthema gefasst ist, hat Wirkung auf dessen Lesart, umgekehrt kann das jeweilige Thema eine formale Eigenschaft semantisch aufladen. Beispielsweise reflektieren sowohl Sharits als auch Kuntzel und Pfeiffer die Persistenz des Seheindrucks (Kap. A/III), die jeweiligen künstlerischen Umsetzungen kehren aber unterschiedliche Aspekte – Bewusstseinsveränderung, Nostalgie oder Realitätsverlust – hervor. Das Thema Fortschritt auf der Bildebene wird, etwa bei Hill, durch das Rückwärtsspielen des Film- oder Videomaterials relativiert (Kap. B/II). Eine den Schluss nahtlos mit dem Anfang verbindende Endlosschleife oder langatmige Einstellungen wiederum können je nach Konzeption der Bild- und Tonebene entweder Fortschrittlosigkeit oder Unendlichkeit implizieren (Kap. B/I). Kompliziert wird dieses Wechselverhältnis dadurch, dass Themen verschiedene Aspekte enthalten und Formgebung in der Regel ein größeres relationales Gefüge umfasst, so nicht nur Motivik und Struktur der Bild- und Tonebene, sondern auch die Wahl des Mediums, Wiedergabegeräts oder auch etwaiger performativer Einlagen. Die Art der verwendeten Technologie – Video, Film, Computer und so weiter – kann insbesondere dann eine bedeutungsgenerierende Rolle spielen, wenn die mit ihr verknüpften Vorstellungen – wie etwa bei den abgefilmten Tableaux vivants Taylor-Woods – mit den Vorstellungen, die mit der Struktur- und/oder Darstellungsebene konnotiert sind, in Resonanz treten. Formale Techniken in Film- und Videoarbeiten, die Dauer voraussetzen und dabei auch reflektieren, werden durch bestimmte Medienentwicklungen zeitweise begünstigt – der technische Standard der Computertechnologie etwa vereinfacht seit den 1990er Jahren die Appropriation von Spielfilmen. Viele formale Strategien finden sich aber auch unabhängig von den konkreten technischen Möglichkeiten über die Zeit hinweg. Besonders augenfällig wird dies am Beispiel von bildhaft wirkenden Einstellungen, die nicht nur 1963 von Warhol ästhetisch wirksam eingesetzt wurden, sondern auch nach wie vor häufig zu finden sind (Gordon, Leckey, Taylor-Wood,
SCHLUSS
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und so weiter). Im Folgenden werden die gefundenen Kategorien werkspezifischer Zeitstrukturierung noch einmal zusammengefasst. Daran schließt sich eine übergreifende Betrachtung der thematisierten Zeitkonzepte an. Filme und Videos, die erzählerische Konventionen des Spielfilms missachten und eine piktoriale Qualität aufweisen, sind selbstreferentiell, da sie auf das einzelne Filmbild als Grundlage der Bewegungsillusion verweisen. Sie intensivieren die Wahrnehmung, indem sie die Syntheseleistung durch besonders langsame oder hohe Geschwindigkeit von Bewegungen und Veränderung herausfordern. Die bildhaft wirkende Einstellung (Kap. A/I) zeichnet sich auf der Darstellungsebene durch ein absichtsvoll inszeniertes Spannungsverhältnis zwischen Statik und leichter Bewegung aus. Zu unterscheiden ist dabei zwischen solchen Werken, die dieses Spannungsverhältnis während der gesamten Laufzeit aufrechterhalten (Taylor-Wood, Warhol), und solchen, die einen Bewegungsfluss oder eine Handlung unterbrechen (Leckey). Im ersten Fall überwiegt der Eindruck eines animierten Bilds, im zweiten Fall wird der Lauf der Handlung kurzzeitig arretiert und kann dabei den Charakter einer Kunstpause annehmen beziehungsweise die Bedeutsamkeit des Gezeigten steigern. Barck nahm an, dass eine vorkategoriale Erfahrung von Zeit, also das Erfahren von Bergsons „durée“, an solchen Stellen möglich sei. Solches ist jedoch allenfalls für bildhaft wirkende Einstellungen denkbar, die keine Erinnerungsbilder evozieren, womit die von Barck angesprochenen abgefilmten Tableaux vivants ausscheiden. Wenn die Kraft der Protagonisten beim Nachstellen eines Vorbilds sichtlich nachlässt, wird Körperlichkeit thematisch. Die für den Film geprägte Metapher des „lebenden Lichtbilds“ geht besonders dann mit dem Aspekt der Erschöpfung zusammen, wenn die Arbeit mit dem Zerfall beziehungsweise Lebensende des Abgebildeten (Gordon, Taylor-Wood) – oder vergleichbaren Motiven, die Sterblichkeit anzeigen – einhergeht. Bei den simultanen additiven Verfahren (Kap. A/II) werden durch Collage, verdeckte Montage oder Schichtung zwei oder mehrere Bildquellen auf eine gemeinsame Oberfläche gebunden. Während Collagen und Montagen füreinander intransparente Elemente nebeneinander anordnen (Campus, Claerbout), sind Schichtenordnungen idealtypisch durch Transparenz gekennzeichnet (Kentridge). Werden verschiedene Medien am Computer zusammengebracht, können auch die mit ihnen verbundenen Zeitvorstellungen in ein dialogisches Verhältnis treten. Sie sind als medienspezifische Signifikate aufzufassen, die in einem bestimmten sozialkulturellen und historischen Umfeld wahrscheinlich waren oder sind. Beispielsweise wird der fotografische Restcharakter in Claerbouts Animationen in einigen Katalogtexten unter Berufung auf Barthes als Ausweis von Vergänglichkeit gewertet.
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Schluss
Im Fall derjenigen Arbeiten, die entweder das Bewegungssehen oder die Persistenz des Seheindrucks thematisieren, kann eine Vorliebe für gezielt eingesetzte Farbimpulse beobachtet werden. Diese sollen Nachbilder und Scheinbewegungen (Kap. A/III) beim Betrachter direkt erfahrbar machen. Die Projektion wird in ihrer Eigenschaft als Lichtwurf betont. Eine Wahrnehmungsüberforderung des Betrachters, sei es durch hohe Geschwindigkeit (Sharits), Langsamkeit (Kuntzel) oder Monotonie (Pfeiffer), fordert zu einer Reflexion der zeitlich organisierten Wahrnehmung auf. Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Nachbildeffekt schließen die betreffenden Arbeiten an eine Traditionslinie der Malerei seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Geschwindigkeit spielt auch bei Bildabfolgen (Kap. A/IV) eine entscheidende Rolle. Nach Pöppel fasst das menschliche Bewusstsein einzelne Ereignisse bei einem maximalen zeitlichen Abstand von drei Sekunden, dies entspräche dem Gegenwartsempfinden, als zusammengehörig auf. Abhängig von ihrer Taktung wird deshalb eine Folge von einzelnen Bildern entweder als zusammenhängend oder als unzusammenhängend empfunden. Zu unterscheiden ist dabei zwischen verschiedenen zeitlichen Organisationseinheiten wie Bewegungsabfolge, Handlung oder Erzählbogen. So kann ein Takt von ein bis zwei Einzelbildern pro Sekunde zwar noch Bewegung illusionieren (Gordon, Tan), ein ehemals vorhandener Handlungsstrang wird durch die Dehnung der Laufzeit aber aufgelöst (Gordon). Mit Arnheim kann außerdem die Zu- und Abnahme von innerbildlicher Ordnung bei Überblendungen als energetisch ausbalanciert oder entropisch beschrieben werden. Die lange Dauer der Überblendungen von zwischen 20 und 60 Sekunden (Brech, Fischli und Weiss), die noch dazu im Gegensatz zu der momentanen Anzeige der Vollbilder steht, unterläuft das Unterscheidungsvermögen und damit auch das Zeitgefühl vollends. Der Bezug auf zeitgleiche Entwicklungen in Musik und Literatur spielt eine besondere Rolle bei Filmen und Videos, die konventionelle Laufzeiten missachten oder eine überstrukturierte Verlaufsform aufweisen. Wie einzelne Segmente bei der Produktion oder während der Vorführung in eine Reihenfolge gebracht werden, wird hier zum künstlerischen Problem. Beispiele für Werke, die mit Monotonie und überlanger Laufzeit (Kap. B/I) arbeiten, finden sich schon sehr früh in der Geschichte der Film- und Videokunst. Um die Vorführdauer zu maximieren, werden einzelne Filmrollen aneinandergestückelt (Snow, Warhol) und manchmal auch durch Zeitlupe gedehnt (Warhol). Die Arbeiten können auch als Endlosschleifen konzipiert sein, die nahtlos ineinander übergehen. Bei einer Betonung der zeitlinearen Kontinuität des Gezeigten, also bei einem Verzicht auf Prolepsen oder Analepsen, liegt entweder eine Reduktion des Gezeigten auf zwei bis drei repetitive Motiv-, Bewegungs- und Tonmuster vor (Brech, Doherty, Serra) oder, bei narrativ angelegten Arbeiten, die Entwicklungslosigkeit des zentra-
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len Charakters (R. Graham). Oft liefert der Gegenstand einen Anlass für die Beobachtung von Bewegungen und Veränderungen, wobei die Stringenz einer bestimmten Struktur durch irreguläre Elemente aufgelockert ist (Serra, Snow). Monotonie dient in der Regel der Induktion eines meditativen Zustands, der mit einer wahrgenommenen Verräumlichung des eigentlich zeitlichen Ablaufs einhergeht. Deutlich wird weiterhin, insbesondere in der Auseinandersetzung mit den Schriften von Stein und Deleuze, dass es identische Wiederholung nicht geben kann, da sich die Voraussetzungen des Rezipienten allein schon während der Betrachtung laufend verändern. Bei den symmetrischen Formbildungen (Kap. B/II) spielt die Dehnung der Laufzeit üblicherweise eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht die streng geometrische Auffassung der Werkstruktur. Das Hemisphärenteilungsschema etwa bildet eine chiastische Struktur aus und ist mit der Vorstellung von einer Synthese der beiden auf räumliche und zeitliche Wahrnehmungsverarbeitung spezialisierten Hälften des menschlichen Großhirns verbunden (Hill, Viola). Reversibilität wird hingegen bei den rückläufigen Figuren Palindrom beziehungsweise Krebsgang zum Thema. Sie können entweder nur eine Leserichtung umsetzen und die andere erschließbar machen (Hill) oder beide Richtungen nacheinander darstellen (R. Graham). Wird die Arbeit im letzteren Fall zur Endlosschleife geschlossen, bildet sie zwei Symmetrieachsen aus. Die musikalische Praxis, den Krebsgang mit der Wiederholungsfigur des Kanons zu verbinden, spricht hier dafür, den Begriff des Krebsgangs dem des Palindroms vorzuziehen. Unter die kombinatorischen Verfahren (Kap. B/III) werden aus einzelnen Segmenten bestehende Werke gefasst, deren Zusammenhänge sich erst bei der Aufführung bilden. Prägend für die ästhetische Wirkung der Arbeiten ist nicht nur die Wahl des Filmund Videomaterials, sondern auch die Systematik der Anschlüsse. Die mit dem Begriff der Phasenverschiebung vorgestellten Arbeiten ordnen Spielfilme räumlich nebeneinander an (Gordon, Huyghe). Streng genommen kann dabei nur dann wie bei der Minimal Music von Phasenverschiebung gesprochen werden, wenn dasselbe Material mit unterschiedlicher progressiver Dynamik abgespielt wird (Gordon). Werden zwei Filmschleifen unterschiedlicher Länge deckungsgleich von zwei Projektoren an die Wand geworfen, können sich deren Projektionen wie bei ineinandergreifenden Zahnrädern zu einem Film verbinden (Douglas). Die durch den Filmschnitt etablierte Sehgewohnheit bildet hier die Voraussetzung für die erfolgreiche kognitive Syntheseleistung der unter Umständen stark unterschiedlichen Filmsequenzen. Wird das kombinatorische Verfahren als solches offengelegt, etwa durch das Zeigen der Projektionsmaschinerie, wird die Kontextabhängigkeit von Bedeutung augenfällig („Kuleschow-Effekt“). Aleatorik (Kap. B/IV) ergänzt die Möglichkeiten der genannten kombinatorischen Verfahren durch die Implementierung von Zufallsgeneratoren. Die Zahl der möglichen
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Schluss
Relationen zwischen den einzelnen Segmenten vervielfacht sich, und mit ihnen auch das assoziative Potenzial. Kombinatorische Regelsysteme nach dem Prinzip der Zwölftonmusik stellen Varianz sicher und unterbinden übermäßige Beliebigkeit der Sequenzabfolge (Douglas). Wird der Ausstellungsbesucher als Impulsgeber in ein analoges System eingebunden, kann sich der Variantenreichtum selbst dann vergrößern, wenn der interaktive Spielraum gering ist. So kann es etwa zu einer unvorhersehbaren Verschiebung verschiedener Bild- und Tonphasen zueinander kommen (R. Graham). Die Häufung von bestimmten Motiven erleichtert dabei nicht nur die Assoziation von Ton und Bild, sie kann auch auf eine (offene) Allegorie hindeuten, der Autoren wie de Man und Blumenberg eine spezifisch temporale Rezeptionsästhetik zuschrieben. Das Thema Zeit wird häufig im Zusammenhang mit Räumlichkeit verhandelt, wobei entweder der dargestellte Raum oder der aktuelle Raum der Aufführung Referenzpunkt sein kann. Von aufgefalteten Räumen (Kap. C/I) kann gesprochen werden, wenn Mehrfachprojektionen in der Art von Bildfolgen den gleichen Raum zu unterschiedlichen Zeiten repräsentieren (Ataman, Viola) oder wenn das Panorama eines bestimmten Raums zeitliche Diskontinuität aufweist. Panoramen können entweder durch eine umlaufende Mehrfachprojektion umgesetzt sein (Nauman) oder mit einer auf eine Wand begrenzten Projektionsfläche, wenn die Kamera einen 360-Grad-Schwenk vollführt (Douglas). In beiden Fällen muss ein Teil des Raums erinnert oder antizipiert werden, entweder, weil er sich im Rücken befindet oder weil er gerade nicht im Blickfeld der Kamera erscheint. Die Schwelle zwischen zwei Projektionen wird dabei zum Prüfstein von Kontinuität. Modelle zur Erklärung von Zeit, mögen sie in physikalischen, soziologischen oder biologischen Diskurssystemen verankert sein, sind als Ergebnisse von Symbolschöpfungsprozessen aufzufassen. Werden verschiedene Zeitmodelle gegeneinander ausgespielt, so erfahren diese mit Bezug auf ihren Wahrheitsgehalt eine Relativierung. Bei Werken, die Spielfilme appropriieren, findet man dabei häufig eine Auseinandersetzung mit der Differenz zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit oder, allgemeiner mit Metz formuliert, Zeit des Signifikanten und Zeit des Signifikats (Kap. C/II). Werden unterschiedlich alte Aufnahmen montiert, kommt eine Reflexion der Filmgeschichte und -produktion hinzu (Huyghe, Marclay). Insgesamt stört diese Gruppe von Werken den Immersionsraum genauso wie sie ihn abbildet und verweist so auf das Hier und Jetzt des Ausstellungsraums. Mit Bezug auf Echtzeitaufnahmen wird manchmal behauptet, sie würden zeitliche Vorgänge in realistischer Weise abbilden. Diese Auffassung ist in einigen Fallbeispielen Ausgangspunkt von mitunter widersinnig wirkenden Eingriffen in vorgefundenes Material (Gordon, Huyghe, Leckey). Der Echtzeitaufnahme entgegen steht die Ellipse als Mittel der Raffung von Handlung. Auch sie wird deshalb bevorzugt zum künstlerischen Ansatzpunkt (Huyghe, Lamelas).
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Die Demonstration realer Bewegungen (Kap. C/III), die das zum Kunstobjekt umgedeutete Wiedergabegerät ausführt, nimmt eine Strategie der kinetischen Kunst auf. Die Ansätze fallen dabei je nach Technologie unterschiedlich aus. So kann eine gezielte Störung der Bildausgabe auf die dem Fernseher unterliegenden elektronischen Prozesse hinweisen, die selbst unsichtbar sind (Paik). Auch die Zweckentfremdung von Filmprojektoren, ihre ästhetische Gleichbehandlung oder gar Aufwertung gegenüber der Projektion vergegenwärtigen den apparativen Mechanismus (Nicolson, Raban) genauso wie sie auf die real vergehende Zeit aufmerksam machen. Mit Metz kann die Opposition zwischen körperlicher Präsenz von Akteuren und „Präsenz-Effekten“ der medialen Widergabe, wie sie etwa von Fischer-Lichte konstruiert wurde, aufgelöst werden, wenn die Realität der Wahrnehmung als solche anerkannt wird. Zahlreiche Videos und Videoinstallationen eignen sich die Verfahrensweisen von wahrnehmungsphysiologischen Versuchsaufbauten (Kap. C/IV) an. Oft kommen dabei zeitverzögerte Rückkoppelungen zum Einsatz, die das Gegenwartsempfinden dehnen sollen. Kombiniert mit dem Effekt des Spiegelsaals können zeitverzögerte Rückkoppelungen den Betrachter in eine ausstellungsräumlich erfahrbare Mise en abyme-Struktur versetzen, die ihm die eigene Vergangenheit in mehrfachen Schichtungen vor Augen führt (D. Graham). Die damit einhergehende Abtrennung von der eigenen Erinnerung fasste Krauss mit dem Begriff der „kollabierten Gegenwart“ (Benglis, Serra, Warhol). Die Autorin sah darin, wohl auch Sartre rezipierend, Potential für Freiheit. Mit Merleau-Ponty wird die Rolle des Körpergefühls für das Gegenwartsbewusstsein reflektiert. Steht die Provokation einer intensiven Körpererfahrung im Widerspruch zu der im Videobild vorgespiegelten eigenen Abwesenheit (Nauman), entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen innerer und äußerer Selbstwahrnehmung. Die in den besprochenen Werken thematisierten Zeitkonzepte weisen eine hohe Bandbreite auf. Es können jedoch einige Tendenzen festgemacht werden. So zeigen die Untersuchungen, dass mit der Reflexion von Zeit in der Regel auch eine ästhetische Auseinandersetzung mit der Zeitlichkeit als wesentlicher Eigenschaft menschlichen Daseins, oder wie es Heidegger diskursprägend formulierte, mit „Sein und Zeit“ einhergeht. Paflik-Huber stellte mit Verweis auf Heidegger die von ihr gebildete Kategorie der „Lebenszeit“ gleichwertig neben solche Kategorien wie „Zeitmessung“ und „Zeitrechnung“. Jedoch sind diese der „Lebenszeit“ untergeordnet beziehungsweise leiten auf die Frage nach dem menschlichen Dasein hin. So sind in den besprochenen Fallbeispielen zwar immer wieder Uhren abgebildet, Tages- oder Jahreszeiten thematisiert, diese nach Paflik-Huber der Zeitmessung oder -rechnung zuzuordnenden Motive verweisen aber in erster Linie auf die reale Dauer des Werks und damit auf die Präsenz des Betrachters (Lamelas, Leckey, Marclay), experimentieren mit der Illusion von Bewe-
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gung und thematisieren damit Lebendigkeit (Gordon, Tan) oder fragen nach dem Lebenssinn (Ataman, Viola). Zu den häufig behandelten Zeitthemen gehört nicht nur Lebendigkeit, die sich in Bewegung äußert und dem Regungslosen gegenübersteht (Gordon, Leckey, Taylor-Wood, Warhol), sondern vor allem auch die Frage nach der Freiheit, die sich in einem formal inszenierten Spannungsverhältnis von Determiniertheit und Zufall zeigt und die sich in einer Distanzierung von konventionellen, etwa durch den kommerziellen Spielfilm vorgeprägten Verlaufslogiken manifestiert. Dies ist bei einer Überdeterminierung der zeitlichen Reihenfolge durch die Anwendung serieller Prinzipien, der sich das Dargestellte unterordnet, der Fall (Gordon, R. Graham, Hill, Huyghe), genauso wie bei der künstlerischen Umsetzung von Kettenreaktionen (Fischli und Weiss) und der Einführung von Aleatorik, die den Zufall gegen regelhafte Vorgaben ausspielt (Douglas, R. Graham). Die Betonung des jeweiligen Moments der Betrachtung, sei es mit Hilfe lang andauernder und monotoner Einstellungen (Brech, Doherty, Snow, Warhol) oder durch den Einbezug installativer und performativer Mittel (D. Graham, Nauman), zielt auch auf eine Aktivierung oder zumindest auf eine Bewusstmachung des Freiheitspotentials des Betrachters. Denn die Möglichkeit der Freiheit ist, wie Sartre gesehen hat, eben nur im gegenwärtigen Moment gegeben. Als notwendig kann eine Befreiung des Betrachters nur aufgrund einer angenommenen Unfreiheit behauptet werden. Angesprochen werden in den untersuchten Werken vor allem die durch die kapitalistische Ökonomie, den Mediengebrauch und das Transportwesen bedingten Effekte der sogenannten Beschleunigung, wie dies auch Doane, Lee und Ross hervorhoben. Unfrei sei der Mensch nicht allein aufgrund eines andauernden Leistungsdiktats, globalen Anpassungs- und Konkurrenzdrucks. Als tiefer liegender Grund gilt, wie sich bei der Analyse der Werke zeigt, die dem kapitalistischen System entsprechende Zeitökonomie. Diese basiere nämlich auf dem Prinzip der Verräumlichung, die auch als Modularisierung bezeichnet werden kann und eine Steigerung der Effizienz zum Ziel habe. Werden Handlungsmuster in Zeiteinheiten so wie Ware in Container gepackt, so werden Abläufe kalkulierbar, mechanisierbar, wiederholbar und scheinbar sogar reversibel. Die hier besprochenen Werke, die das formale Prinzip der Wiederholung und der Umkehrung, sei es in Form von Endlosschleifen, veränderten Abspielrichtungen oder komplexen Arrangements, einsetzen und reflektieren, bringen in der Regel nicht nur eine antikapitalistische und wachstumspessimistische Haltung zum Ausdruck (Douglas, Hill, Huyghe, R. Graham, Warhol), sondern lassen auch offenbar werden, dass es eine wirkliche Wiederholung alleine deshalb nicht geben kann, weil sich die Voraussetzungen des Betrachters, während er seine Lebenszeit dem Werk widmet, fortlaufend ändern. Auf der einen Seite verweigern sich die
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durch Stagnation oder Reihenstrukturen geprägten Arbeiten zwar einer forcierten Fortentwicklung, auf der anderen Seite lassen sie aber auch die Unmöglichkeit einer Arretierung des Zeitflusses offensichtlich werden. Solche Zeitthemen finden sich schon in den Anfängen der Film- und Videokunst (Paik, Warhol), insbesondere aber auch bei Künstlern der frühen 1970er Jahre, die sich für die Evokation einer als verlängert empfundenen Gegenwart (Benglis, D. Graham, Serra) interessierten. Verwiesen sei an dieser Stelle noch einmal explizit auf Musiker wie Riley, Reich und Glass, die mit Phasenverschiebungsprozessen und seriellen Strukturen experimentierten. Aufgewertet wird in den besprochenen Werken die subjektiv erfahrene Dauer gegenüber den durch normierte Abläufe strukturierten Zeitvorgaben. Darunter fallen nicht nur ökonomische, sondern auch narrative Gliederungssysteme, die mitunter als Ausdruck filmindustrieller Zwänge aufgefasst werden. Wird die erlebte Zeit im Werk zum Thema, so greifen Künstler und Autoren öfter, wie etwa Claerbout und Barck, in ihren Kommentaren und Analysen auf den von Bergson geprägten Begriff der „durée“ zurück, da dieser Zeit vorkategorial zu fassen versucht. Dies bedeutet aber nicht unbedingt, dass immer eine solche Zeiterfahrung initiiert werden soll. Verwiesen sei etwa auf Huyghes „Atlantic“ (1997) und Douglas’ „Journey into Fear“ (2001), die mit kombinatorischen und aleatorischen Techniken zeitökonomische Mechanismen hinterfragen, dabei aber mehr die Kognition als das meditative Empfinden des Betrachters ansprechen. Auch die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und dem Bewusstsein als unhintergehbaren Voraussetzungen für menschliche Reflexionstätigkeit wird von Filmund Videokünstlern häufig gesucht. Nicht nur vollziehen sich Wahrnehmung und Bewusstsein in der Zeit, vielmehr ist die Zeitlichkeit des Bewusstseins nach Husserl auch die Grundlage für das Bilden von Synthesen, wie dies in den vergangenen Jahren auch experimentell etwa durch neurowissenschaftliche Untersuchungen bestätigt wurde. Zahlreiche Werke der Film- und Videokunst testen die zeitlich bedingte Haftreibung aus, die zwei aufeinanderfolgende Elemente noch als verbunden erscheinen lassen und rechnen mit den entsprechenden rezeptionsästhetischen Effekten (Brech, Fischli und Weiss, Gordon, Muñoz, Tan). Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Hemisphärenteilungsschema (Hill, Sala), der etwa von Ornstein und Huxley geschätzten Wahrnehmungserweiterung durch Drogenkonsum (Hill, Sharits, Snow, Viola, Warhol) oder dem mit Ehrenzweig unternommenen Versuch einer Aktivierung des Unterbewussten (Serra, Snow) implizieren eine defizitäre Alltagswahrnehmung des Menschen. Während manche künstlerische Positionen an der Vorstellung einer Überwindung dieser Begrenzung Gefallen finden und nicht nur die Existenz, sondern auch das Erkennenkönnen einer aufgehobenen Zeit vermuten (Hill, Viola), zeigt sich bei anderen vor allem eine Skepsis bezüglich der Möglichkeit, über das menschliche Bewusstsein hin-
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auszugehen und Aussagen über die objektive Beschaffenheit der Welt zu treffen (Gordon, Pfeiffer). Häufig wird bei der Verwendung von Archivmaterial Irreversibilität thematisiert, unabhängig davon, ob es sich im Einzelfall um animierte dokumentarische Fotografie, um Spielfilm oder Amateurvideo handelt (Claerbout, Fischli und Weiss, Hill, Leckey). Die Identifikation von altmodischen Stilen im Dargestellten oder im Aufnahmestil, das Wiedererkennen von Schauspielern vergangener Zeiten und das Aufzeigen einer nachlassenden Qualität des Trägermaterials führen dem Betrachter insbesondere dann Vergänglichkeit und Vergessen vor Augen, wenn zugleich eine Referenz auf den Moment der Betrachtung stattfindet (Claerbout, Douglas, Leckey, Marclay). In diesem Zusammenhang ist auch die filmspezifische Auseinandersetzung mit dem Thema Entropie zu nennen (Brech, Fischli und Weiss, Gordon, Hill, Muñoz). Denn wie Smithson formulierte, kann zwar die Abspielrichtung umgekehrt werden, die Helden jedoch verblassen unaufhaltsam. Wenn es explizit um die Thematisierung von Sterblichkeit geht, etwa durch die Verwendung von Portraitdarstellungen Verstorbener (Brech, Muñoz) oder durch den Einsatz gleichmäßig andauernder und dadurch unentrinnbar wirkender Veränderung (Brech, Fischli und Weiss, Kuntzel, Snow), so ist damit bisweilen auch die Frage verbunden, was vom Einzelnen oder dem, was er erlebt hat, bleibt. Auf die Endlichkeit des Lebens antworten dabei nur zwei der besprochenen Künstler deutlich mit Bezug auf einen transzendenten Bereich, nämlich Brech und Viola. Während Brech auf Orte des christlichen Kultes Bezug nimmt, ohne dabei an eine spezielle ikonographische Tradition anzuschließen, steht Viola in der Tradition des amerikanischen Transzendentalismus und dessen Reaktivierung und Anreicherung durch fernöstliche Philosophien seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Mehrheit der Arbeiten ist jedoch als säkular zu bezeichnen. Dieser Befund ist wenig überraschend, da die ausgewählten Werke dem Diskurssystem der westlichen Welt entstammen, deren Kunstproduktion seit der Moderne zur kritisierenden Hinterfragung von Autorität oder festen Setzungen tendiert. Damit wohl zusammenhängend überwiegt in den untersuchten Werken, teilweise auch in den ihnen zugeordneten Kontexten, eine problematisierende Sicht auf gängige Zeitvorstellungen. Die thematische Ausdifferenzierung der Aspekte von Werden und Vergehen sowie die Relativierung von Zeitkonzepten, seien diese nun sozialkulturell oder durch Defizite der menschlichen Wahrnehmung bedingt, zeichnen sich genauso wie die im Verlauf der Arbeit dargestellten metareferentiellen Zeitformungen durch Experimentierfreude und großen Variantenreichtum aus. Dieser Variantenreichtum stellt eine Herausforderung dar, wenn es darum geht, verallgemeinernde Aussagen über dieses
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Forschungsfeld zu treffen. Die Problematik zeigt sich etwa bei der Überprüfung von Lees Behauptung, in der Kunstproduktion seit den 1960er und frühen 1970er Jahren schlage sich das leidvolle Empfinden von ewiger Gegenwart, von konstanter und richtungsloser Zeit nieder. Dem kann entgegengehalten werden, dass in vielen der hier besprochenen Werkbeispiele die Induktion eines intensivierten Gegenwartsbewusstseins gerade positiv aufgefasst ist. Die gängige Vorstellung von der Richtung des Zeitstrahls wird immer wieder zum Ausgangspunkt für künstlerische Interventionen, die auf eine scheinbare Arretierung oder Umkehrung des Zeitablaufs abzielen. Dies scheint nun der von Ross geäußerten Behauptung, ästhetische Strategien der Verzögerung beziehungsweise Aufhebung von Vorwärtsentwicklung seien typisch für die Gegenwartskunst, Recht zu geben. Hier kann wiederum eingewendet werden, dass Film- und Videokunst häufig entropische Vorgänge thematisiert und in bestimmten Fällen die aus ihnen abzuleitende Irreversibilität zwar hinterfragt, Aspekte des Vergessens und der Vergänglichkeit aber auch bewusst erfahrbar macht. Die von Lee und Ross getroffenen Aussagen sind teilweise richtig, greifen zugleich aber auch zu kurz, da sie zahlreiche Fälle unberücksichtigt lassen. Auch die hier vorgeschlagenen Kategorien öffnen sich, gerade mit Blick auf das globale Kunstschaffen, auf eine weitere Differenzierung hin genauso wie die im Zuge der Werkanalysen vorgestellten Zeitthemen.
VERZEICHNIS
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NACHWEIS DER SCHAUBILDER Schaub. 1: Alfred Lukyanovich Yarbus: Eye Movements and Vision (EA Moskau 1965). Übers. aus dem Russischen von Basil Haigh. New York 1967, S. 180, Fig. 115. Schaub. 2: Edmund Husserl: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins (= Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung 9). Hg. v. Martin Heidegger. Halle 1928, S. 389. Schaub. 3: Verf. Schaub. 4: Robert E. Ornstein: Die Psychologie des Bewusstseins. Köln 1974, Abb. 3.2., S. 84. Schaub. 5: Verf. Schaub. 6: Verf. Schaub. 7: Verf. Schaub. 8: © Stan Douglas. Courtesy of Stan Douglas. Schaub. 9: Verf. Schaub. 10: Verf. Schaub. 11: William Kenney Laurie Dickson u. Antonia Dickson: History of the Kinetograph, Kinetoscope and Kinetophonograph (EA 1895). Neuaufl. New York 1970, S. 16. Schaub. 12: Verf. Schaub. 13: Richard L. Gregory: Eye and Brain. The Psychology of Seeing (EA 1966). 2. Aufl. London 1972, Abb. 11.11, S. 216.
BILDNACHWEIS Abb. 1: © The Estate of Marcel Broodthaers/VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy of the Estate of Marcel Broodthaers and Marian Goodman Gallery.
Bildnachweis
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Abb. 2: © Studio lost but found/VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Studio lost but found, Berlin. Abb. 3: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Sammlung Goetz, München. Abb. 4: © 2017 The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie Institute. All rights reserved. Abb. 5: © 2017 The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie Institute. All rights reserved. Abb. 6: © 2017 The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie Institute. All rights reserved. Abb. 7: © 2017 The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie Institute. All rights reserved. Abb. 8: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Bildquelle: http://www.ubu.com/film/tw_century.html (Stand 30.5.2017). Abb. 9: © The National Gallery, London, Bought, Courtauld Fund, 1924. Abb. 10: © Mark Leckey. Oben: Courtesy Sammlung Goetz, Medienkunst, München. Unten: Courtesy the artist and Galerie Buchholz, Berlin/Cologne/New York. Abb. 11: © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln/ VG Bild-Kunst, Bonn, 2017. Bildquelle: Gunther Sander (Hg.): August Sander. Menschen des 20. Jhd. Porträtphotographien 1892–1952. München 1994, S. 131. Abb. 12: © Mark Leckey. Courtesy the artist and Galerie Buchholz, Berlin/Cologne/New York. Abb. 13: Bildquelle: Yasujiro Ozu: Banshun (EA 1949). 35-mm-Film auf DVD. Ennetbaden 2007. © trigon-film, Schweiz. Abb. 14: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto Elad Sarig. Courtesy Studio David Claerbout. Abb. 15: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Studio David Claerbout. Abb. 16: © Peter Campus. Bildquelle: https://www.youtube.com/watch?v=Ar99AfOJ2o8 (Stand: 31.5.2017). Abb. 17: Courtesy Royal Photographic Society/Science & Society Picture Library. Abb. 18: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Bildquelle: Eva Zürchner (Hg.): Der deutsche Spießer ärgert sich. Raoul Hausmann 1886–1971. Kat. Ausst. Berlin (Berlinische Galerie). Ostfildern 1994, S. 179. Abb. 19: © William Kentridge. Courtesy Sammlung Goetz, München. Abb. 20: Courtesy National Technical Museum, Czech Republic. Abb. 21: © Paul Sharits. The Paul Sharits Estate. Courtesy the Paul Sharits Estate and Greene Naftali, New York. Abb. 22: © Paul Sharits. The Paul Sharits Estate. Courtesy the Paul Sharits Estate and Greene Naftali, New York. Abb. 23: © Thierry Kuntzel. © Foto: Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais/ Service audiovisuel du Centre Pompidou. Abb. 24: Courtesy The Metropolitan Museum of Art, Harris Brisbane Dick Fund, New York. Abb. 25: © Paul Pfeiffer. Courtesy Paula Cooper Gallery, New York. Abb. 26: Light and Colour, 1843, Joseph Mallord William Turner (1775–1851). © Foto: Tate, London 2017.
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Verzeichnis
Abb. 27: © Luis Buñuel/© Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Bildquelle: Luis Buñuel/Salvador Dalí. Ein Andalusischer Hund/Das Goldene Zeitalter. Filme auf DVD. Pierrot le Fou 2010. Abb. 28: © Peter Fischli David Weiss, Zürich 2017. Courtesy Sprüth Magers, Matthew Marks Gallery, Galerie Eva Presenhuber. Abb. 29: © Peter Fischli David Weiss, Zürich 2017. Courtesy Sprüth Magers, Matthew Marks Gallery, Galerie Eva Presenhuber. Abb. 30: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Standbilder aus der Publikation: Museum Tinguely Basel. Die Sammlung. Heidelberg 2013, S. 225. Abb. 31: © Peter Fischli David Weiss, Zürich 2017. Courtesy Sprüth Magers, Matthew Marks Gallery, Galerie Eva Presenhuber. Foto: Thomas Dashuber. Courtesy Sammlung Goetz München. Abb. 32: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy the artist. Abb. 33: © Óscar Muñoz. Foto: Juana Jimenez. Courtesy Sicardi Gallery, Houston. Abb. 34: © Fiona Tan. Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London. Abb. 35: © Studio lost but found/VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto: Studio lost but found/Bert Ross. Courtesy Studio lost but found, Berlin; aus dem Film Psycho. 1960. USA. Directed and Produced by Alfred Hitchcock. Distributed by Paramount Pictures. © Universal City Studios. Abb. 36: © 2017 The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie Institute. All rights reserved. Abb. 37: © 2017 The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie Institute. All rights reserved. Abb. 38: © Michael Snow. Courtesy the artist and Jack Shainman Gallery, New York. Abb. 39: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy the artist. Abb. 40: © Willie Doherty. Courtesy the artist and Kerlin Gallery. Abb. 41: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy the artist and Museum Wiesbaden. Abb. 42: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Museum Wiesbaden. Abb. 43: © Rodney Graham. Courtesy Rodney Graham Studio. Abb. 44: Bildquelle: Arnold Grant u. Jessica Bradley (Hgg.): Rodney Graham. A Little Thought. Kat. Ausst. Toronto (Art Gallery of Ontario u. a.). New York 2004, S. 174. Abb. 45: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Gary Hill Studio. Abb. 46: © Woody Vasulka. Bildquelle: http://www.fondation-langlois.org (Stand: 31.6.2017). Abb. 47: © Bill Viola. Bildquelle: Bill Viola: Selected Works. Videos auf DVD. Delft 2010. Abb. 48: © Bill Viola. Bildquelle: Bill Viola: Reasons for Knocking at an Empty House. Writings 1973–1994. Hg. v. Robert Violette, London 1995, S. 23. Abb. 49: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Gary Hill Studio. Abb. 50: © Rodney Graham. Courtesy Rodney Graham Studio. Abb. 51: © Rodney Graham. Bildquelle: Iwona Blazwik u. Anthony Spira (Hgg.): Rodney Graham. Übers. aus dem Engl. v. Christoph Hollender u. Ulrich Nickel. Kat. Ausst. London (Whitechapel Gallery u. a.). Ostfildern 2002, S. 49. Abb. 52: © Ed Ruscha. Courtesy Ed Ruscha Studio. Abb. 53: © Ed Ruscha. Courtesy Ed Ruscha Studio.
Bildnachweis
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Abb. 54: © Studio lost but found/VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto Brian Forrest. Courtesy Studio lost but found, Berlin; aus dem Film D. O. A., 1950. USA. Regie: Rudolph Maté. Produktion: Joseph H. Nadel, Harry M. Popkin und Leo C. Popkin. Vertrieb durch United Artists. © Cardinal Pictures. Abb. 55: © Pierre Huyghe. Courtesy the artist and Hauser & Wirth. Abb. 56: © Stan Douglas. Courtesy Stan Douglas Studio. Abb. 57: © Stan Douglas. Courtesy Stan Douglas Studio. Abb. 58: © Stan Douglas. Courtesy Stan Douglas Studio. Abb. 59: © Rodney Graham. Courtesy Rodney Graham Studio. Abb. 60: © Bill Viola. Foto: Kira Perov. Schauspielerin: Weba Garretson. Courtesy Bill Viola Studio. Abb. 61: Bildquelle: Gaudenz Freuler: Andrea di Bartolo, Fra Tommaso d’Antonio Caffarini, and Sienese Dominicans in Venice. In: The Art Bulletin 69/4 (Dezember 1987), S. 570–586, hier S. 571. Abb. 62: © Kutluğ Ataman. Courtesy SALT Research, The Institute for the Readjustment of Clocks Archive. Abb. 63: © Bruce Nauman, VG-Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Sperone Westwater, New York. Abb. 64: © Stan Douglas. Courtesy Stan Douglas Studio. Abb. 65: © Michael Snow. Courtesy the artist and Jack Shainman Gallery, New York. Abb. 66: © Michael Snow. Courtesy the artist and Jack Shainman Gallery, New York. Abb. 67: © Teresa Hubbard / Alexander Birchler. Courtesy the artists, Tanya Bonakdar Gallery New York and Lora Reynolds Gallery Austin. Abb. 68: © Teresa Hubbard / Alexander Birchler. Courtesy the artists, Tanya Bonakdar Gallery New York and Lora Reynolds Gallery Austin. Abb. 69: © Studio lost but found/VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto: Studio lost but found/Kay Pallister. Courtesy Studio lost but found, Berlin. Aus dem Film The Searchers, 1956. USA. Regie: John Ford. Produktion: Merian C. Cooper, Patrick Ford and C.V. Whitney. Vertrieb: Warner Bros. © Time Warner Entertainment Company. L.P. Abb. 70: © Pierre Huyghe. Courtesy the artist and Hauser & Wirth. Abb. 71: © Christian Marclay. Courtesy Paula Cooper Gallery, New York. Abb. 72: © Mark Leckey. Courtesy the artist and Galerie Buchholz, Berlin/Cologne/New York. Abb. 73: © David Lamelas. Courtesy the artist, Jan Mot and Sprüth Magers. Abb. 74: © Nam June Paik. Bildquelle: Wulf Herzogenrath (Hg.): Nam June Paik. Werke 1946– 1976. Musik-Fluxus-Video. Kat. Ausst. Köln (Kunstverein) 1976, S. 66. Abb. 75: © Nam June Paik. Bildquelle: Wulf Herzogenrath: Nam June Paik Fluxus/Video. Kat. Ausst. Bremen (Kunsthalle) 2000, S. 48. Abb. 76: © Nam June Paik. Bildquelle: Klaus Bußmann u. Florian Matzner (Hgg.): Nam June Paik, eine Data base. Kat. Ausst. Venedig (Deutscher Pavillon der 45. Biennale di Venezia). Stuttgart 1993, S. 56. Abb. 77: © Annabel Nicolson. Fotografie: Ian Kerr. Courtesy the artist and LUX, London. Abb. 78: © William Raban. Courtesy the artist. Abb. 79: © Dan Graham. Courtesy the artist.
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Verzeichnis
Abb. 80: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Bildquelle: https://www.youtube.com/watch?v=8z32JTnRrHc (Stand: 5.6.2017). Abb. 81: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Cheim & Read, New York. Abb. 82: © 2017 The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie Institute. All rights reserved. Abb. 83: © Bruce Nauman/VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Courtesy Sperone Westwater, New York.
KÜNSTLERREGISTER Acconci, Vito (1940–2017) 15, 18f., 23, 99, 127 Ader, Bas-Jan (1942–1975) 186, 190 Aitken, Doug (geb. 1968) 165 Albers, Joseph (1888–1967) 70 Alea, Tomás Gutiérrez (1928–1996) 171f., 174 Alӱs, Francis (geb. 1959) 15f., 21 Ambler, Eric (1909–1998) 178 André, Marie (geb. 1951) 15 Andrea di Bartolo (ca. 1360–1428) 198f., Abb. 61 Antamoro, Giulio (1877–1945) 23 Antin, Eleanor (geb. 1935) 38 Antonioni, Michelangelo (1912–2007) 157 Ataman, Kutluğ (geb. 1961) 195, 199–201, 322, 324, Abb. 62 Autry, Gene (1907–1998) 160 Bacharach, Burt (geb. 1928) 190 Baldessari, John (geb. 1931) 15 Barrett, Syd (1946–2006) 186, 190 Bavouzet, Jean-Efflam (geb. 1962) 140 Bazin, André (1918–1958) 64, 208 Beatles 118, 190 Beckett, Samuel (1906–1989) 209, 315 Beethoven, Ludwig van (1770–1827) 101 Benglis, Lynda (geb. 1941) 15, 18, 309–311, 314, 323, 325, Abb. 81 Bentham, Jeremy (1748–1832) 172 Berg, Alban (1885–1935) 178 Birchler, Alexander (geb. 1962) 211f., Abb. 67, 68 Blake, William (1757–1827) 148f. Boccioni, Umberto (1882–1916) 15 Boulez, Pierre (1925–2016) 121 Brakhage, Stan (1933–2003) 69f., 108, 116 Braque, George (1882–1963) 50, 307
Brech, Christoph (geb. 1964) 89–93, 123f., 127, 320, 324–326, Abb. 32, 39 Broodthaers, Marcel (1924–1976) 29, Abb. 1 Bruch, Klaus vom (geb. 1952) 15 Büchner, Georg (1813–1837) 137 Buñuel, Luis (1900–1983) 77f., 134, Abb. 27 Cage, John (1912–1992) 49, 99–106, 110f., 138, 162, 165f., 177f., 201–203, 212, 295– 297 Cahen, Robert (geb. 1945) 15 Campus, Peter (geb. 1937) 15, 23, 48f., 51, 319, Abb. 16 Carroll, Lewis (1832–1898) 152, 155 Cézanne, Paul (1839–1906) 118, 120, 307 Charrière, Julian (geb. 1987) 16 Claerbout, David (geb. 1969) 16, 24, 41, 47–56, 215, 319, 325f., Abb. 14, 15 Claudet, Antoine (1797–1867) 32 Coleman, James (geb. 1941) 24 Dalí, Salvador (1904–1989) 77f., 134, Abb. 27 David, Hal (1921–2012) 190 Dean, Tacita (geb. 1965) 21, 203 Defoe, Daniel (1660–1731) 132f. Delaunay, Robert (1885–1941) 15, 64f. Doesburg, Theo van (1883–1931) 15 Doherty, Willie (geb. 1959) 124, 127, 158, 320, 324, Abb. 40 Douglas, Stan (geb. 1960) 15, 21, 24, 54, 170–183, 186, 203–212, 321f., 324–326, Abb. 56, 57, 58, 64 Duccio di Buoninsegna (ca. 1255–1319) 198 Duchamp, Marcel (1887–1968) 15, 65, 151, 295 Dupont, Ewald André (1891–1956) 169
362 Eggeling, Viking (1880–1925) 125 Eisenstein, Sergei M. (1898–1948) 64 Eliasson, Olafur (1967) 315 Ernst, Max (1891–1976) 58 Feldman, Morton (1926–1987) 101, 103 Fischli, Peter (geb. 1952) 16, 82–89, 92, 114, 122, 129, 320, 324–326, Abb. 28, 29, 31 Ford, John (1894–1973) 216 Formanek, Mark (geb. 1967) 16 Foster, Norman (1903–1976) 178 Frampton, Hollis (1936–1984) 118, 145 Fuchs, Armin (geb. 1960) 103f. Fuller, Richard Buckminster (1895–1983) 100f. Gabo, Naum (1890–1977) 86, 293f., 297 Galeen, Henrik (1881–1949) 207f. Ganz, Bruno (geb. 1941) 217 Garcia, Jerry (1942–1995) 157 Garretson, Weba (geb. 1956) 196 Gershwin, George (1898–1937) 111 Gide, André (1869–1951) 305 Gilette, Frank (geb. 1941) 19 Giorno, John (geb. 1936) 107f. Giotto di Bondone (1266–1337) 195 Glass, Philip (geb. 1937) 125–131, 325 Godard, Jean-Luc (geb. 1930) 61 Goethe, Johann Wolfgang von (1749–1832) 65, 76f., 79 Götz, Karl Otto (1914–2017) 297 Gordon, Douglas (geb. 1966) 16, 29, 37f., 93–99, 167–170, 214, 216f., 306, 318–322, 324–326, Abb. 2, 35, 54, 69 Graham, Dan (geb. 1942) 15, 19, 24, 301, 304–309, 311f., 314–317, 323–325, Abb. 79 Graham, Rodney (geb. 1949) 11, 16, 24, 99, 123, 132–139, 156–163, 165, 183–193, 305, 321f., 324, Abb. 43, 44, 50, 51, 59 Graves, Morris (1910–2001) 111 Grosz, George (1893–1959) 50 Gutiérrez Alea, Tomás (1928–1996) 171, 175
Künstlerregister
Hahn, Alexander (geb. 1954) 16 Hauer, Josef Matthias (1883–1959) 178 Hausmann, Raoul (1886–1971) 50f., Abb. 18 Heartfield, John (1891–1968) 50 Hill, Gary (geb. 1951) 16, 23, 140–158, 162f., 219, 318, 321, 324–326, Abb. 45, 49 Hill, George Roy (1921–2002) 190 Hitchcock, Alfred (1899–1980) 83, 94, 97, 136f., 212 Hoffmann, E. T. A. (1776–1822) 204f. Hogarth, William (1697–1764) 72f., Abb. 24 Holt, Nancy (1938–2014) 120, 309f. Hubbard, Teresa (geb. 1965) 211f., Abb. 67, 68 Hultén, Sofia (geb. 1972) 16 Huxley, Aldous (1894–1963) 145, 149f., 325 Huyghe, Pierre (geb. 1962) 54, 169f., 217– 219, 221, 321f., 324f., Abb. 55, 70 Jacobs, Ken (geb. 1933) 299 Jarry, Alfred (1873–1907) 164, 184 Judd, Donald (1928–1994) 122 Kafka, Franz (1883–1924) 111 Kawara, On (1933–2014) 20 Kentridge, William (geb. 1955) 24, 56–62, 74, 87, 165, 319, Abb. 19 Klee, Paul (1879–1940) 170 Kleist, Heinrich von (1777–1811) 58 Koons, Jeff (geb. 1955) 78 Korda, Alexander (1893–1956) 23 Kubelka, Peter (geb. 1934) 116 Kübler, Claudia (geb. 1983) 16 Kuntzel, Thierry (1948–2007) 15, 70–75, 79f., 87, 92, 318, 320, Abb. 23 Kwade, Alicja (geb. 1979) 16 Lamelas, David (geb. 1946) 16, 222f., 322f., Abb. 73 Leckey, Mark (geb. 1964) 38–41, 44, 55, 221f., 318f., 322–324, 326, Abb. 10, 12, 72 Leisgen, Michael (geb. 1944) 15 Leisgen, Barbara (1940–2017) 15
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KÜNSTLERREGISTER
Lewis, Mark (geb. 1958) 21 LeWitt, Sol (1928–2007) 124 Lichtenstein, Roy (1923–1997) 40 Lionnais, François Le (1901–1984) 164 Lockart, Sharon (geb. 1964) 99 Lortie, Louis (geb. 1959) 140 Lucier, Alvin (geb. 1931) 145 Lukrez (ca. 97–55 v. Chr.) 184f. Lumière, Auguste M. L. N. (1862–1954) 115 Lumière, Louis Jean (1864–1948) 115 Macuga, Goshka (geb. 1967) 221 Malanga, Gerard (geb. 1943) 311 Malewitsch, Kasimir (1878–1935) 15 Manet, Édouard (1832–1883) 36, Abb. 9 Mann, Daniel (1912–1991) 178 Marclay, Christian (geb. 1955) 16, 24, 219– 221, 223, 322f., 326, Abb. 71 Marey, Étienne-Jules (1830–1904) 60, Abb. 20 Marioni, Joseph (geb. 1943) 168 Masson, André (1896–1987) 58 Maté, Rudolph (1898–1964) 168f. McCall, Anthony (geb. 1946) 119 Mekas, Jonas (geb. 1922) 106, 108–110, 113, 116–120, 125, 128, 210, 299 Méliès, Georges (1861–1938) 208 Melville, Herman (1819–1891) 179 Mendel, Georg Victor (1881–1942) 28, 34, 114 Moholy-Nagy, Lázló (1895–1946) 15, 294 Moorman, Charlotte (1933–1991) 49 Muñoz, Óscar (geb. 1951) 90, 92, 325f., Abb. 33 Muntadas, Antonio (geb. 1942) 15 Muybridge, Eadweard (1830–1904) 27 Nadar, eigentl. Gaspard-Félix Tournachon (1820–1910) 28 Nauman, Bruce (geb. 1941) 15f., 23, 99, 165, 201–203, 212, 301, 307, 314-317, 322–324, Abb. 63, 83 Nekes, Werner (1944–2017) 220
Nicolson, Annabel (geb. 1946) 299–303, 323, Abb. 77 Nono, Luigi (1924–1990) 103 O’Brien, Edmond (1915–1985) 168 Ohanian, Melik (geb. 1969) 21, 203 Ovid (Publius Ovidius Naso; 43 v. Chr.–ca. 17 n. Chr.) 187 Ozu, Yasujiro (1903–1963) 41f., 44, Abb. 13 Paik, Nam June (1932–2006) 12, 15f., 19, 23, 47–49, 51, 105, 294–299, 302f., 312, 323, 325, Abb. 74, 75, 76 Pasolini, Pier Paolo (1922–1975) 23 Perugino, Pietro (1446–1523) 198 Pevsner, Antoine (1890–1977) 86, 293f., 297 Pfeiffer, Paul (geb. 1966) 75–80, 99, 318, 320, 326, Abb. 25 Picasso, Pablo (1881–1973) 50, 307 Pink Floyd 186, 188, 190 Pollock, Jackson (1912–1956) 23, 56 Popova, Yelena (geb. 1978) 16 Prince, Richard (geb. 1949) 50 Quasha, George (geb. 1942) 141f., 156 Queneau, Raymond (1903–1967) 164 Raban, William (geb. 1948) 301–303, 323, Abb. 78 Rainer, Yvonne (geb. 1934) 127 Rauschenberg, Robert (1925–2008) 105 Ravel, Maurice (1875–1937) 140 Ray, Charles (geb. 1953) 168 Reich, Steve (geb. 1936) 25, 125, 128f., 166f., 189, 306f., 325 Resnais, Alain (1922–2014) 162 Richter, Hans (1919–2008) 125 Riley, Bridget (geb. 1931) 20 Riley, Terry (geb. 1935) 25, 128f., 145, 166, 306f., 325 Robbe-Grillet, Alain (1922–2008) 162, 164 Robinson, Henry Peach (1830–1901) 50f., Abb. 17
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Künstlerregister
Roehr, Peter (1944–1968) 25 Rosenbach, Ulrike (geb. 1943) 15 Roussel, Raymond (1877–1933) 71f., 74 Runge, Philipp Otto (1777–1810) 18, 77 Ruscha, Ed (geb. 1937) 161f., Abb. 52, 53 Rye, Stellan (1880–1914) 207
Tudor, David (1926–1996) 100, 105 Turner, Joseph Mallord William (1775–1851) 65, 75–77, 79, Abb. 26 Turner, Michael (geb. 1963) 180 Twain, Mark (1835–1910) 191 Twombly, Cy (1928–2011) 56
Sala, Anri (geb. 1974) 140, 168, 325 Sander, August (1876–1964) 39f., Abb. 11 Satie, Erik (1866–1925) 81, 99–106, 108f., 132, 217 Schneemann, Carolee (geb. 1939) 20 Schneider, Ira (geb. 1939) 15, 19, 197, 298 Schneller, Oliver (geb. 1966) 89 Schönberg, Arnold (1874–1951) 121, 178 Sedgwick, Edie (1943–1971) 311 Seeber, Guido (1879–1940) 28, 34, 114 Serra, Richard (geb. 1939) 18, 120, 124–131, 294, 309–311, 314, 320f., 323, 325, Abb. 41, 42, 80 Sharits, Paul (1943–1993) 66–70, 73f., 79f., 87, 145, 299, 318, 320, 325, Abb. 21, 22 Siegel, Erik (geb. 1944) 15 Signer, Roman (geb. 1938) 16 Smithson, Robert (1938–1973) 120, 153f., 326 Snow, Michael (geb. 1929) 99, 116–122, 124f., 210, 320f., 324–326, Abb. 38, 65, 66 Sollers, Philippe (geb. 1936) 164 Stein, Charles (geb. 1944) 141f., 152, 156 Stein, Gertrude (1874–1946) 110–115, 321 Stella, Frank (geb. 1936) 122 Stockhausen, Karlheinz (1928–2007) 296
Usher, Terry Raymond (geb. 1978) 38
Talbot, William Henry Fox (1800–1877) 22 Tan, Fiona (geb. 1966) 93, 214, 320, 324f., Abb. 34 Taylor-Johnson, Sam (siehe Taylor-Wood) Taylor-Wood, Sam (geb. 1967) 16, 29, 36–38, 40, 44, 55, 214f., 318f., 324, Abb. 3, 8 Thévenins, Chloë (geb. 1976) 140 Thoreau, Henry David (1817–1862) 203 Tinguely, Jean (1925–1991) 20, 85f., 88f., Abb. 30 Tobey, Mark (1890–1976) 111 Trecartin, Ryan (geb. 1981) 51 Trouvé, Tatiana (geb. 1968) 21
Valadon, Suzanne (1865–1938) 100 Vasulka, Steina (geb. 1940) 15, 145 Vasulka, Woody (geb. 1937) 15, 66, 70, 145f., Abb. 46 Viola, Bill (geb. 1951) 15, 18f., 29, 148–150, 195–201, 214f., 321f., 324–326, Abb. 47, 48, 60 Visconti, Luchino (1906–1976) 23 Vostell, Wolf (1932–1998) 297 Wagner, Richard (1813–1883) 123 Wall, Jeff (geb. 1946) 137–139 Warhol, Andy (1928–1987) 12, 16, 20, 25, 30–33, 35, 41, 44, 55, 99, 106–117, 119, 133, 138, 162, 196, 201f., 310–312, 314, 318–320, 323–325, Abb. 36, 37, 82 Warmerdam, Marijke van (geb. 1959) 16 Wayne, John (1907–1979) 216 Webern, Anton (1883–1945) 101, 178 Wedemeyer, Arnold von (geb. 1970) 215 Weiner, Lawrence (geb. 1942) 98 Weiss, David (1946–2012) 16, 82–89, 92, 114, 122, 129, 320, 324–326, Abb. 28, 29, 31 Wenders, Wim (geb. 1945) 217–219 Werve, Guido van der (geb. 1977) 21, 38 Whittington, Stephen (geb. 1953) 103f. Wilkes, Cathy (geb. 1966) 221 Wilson, Robert (geb. 1941) 15 Young, La Monte (geb. 1935) 25, 106, 128f., 145, 147f., 295f. Zaatari, Akram (geb. 1966) 51