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German Pages [225] Year 2012
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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525401866 — ISBN E-Book: 9783647401867
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Ibrahim Özkan/Ulrich Sachsse/ Annette Streeck-Fischer (Hg.)
Zeit heilt nicht alle Wunden Kompendium zur Psychotraumatologie
Mit 8 Abbildungen und 9 Tabellen
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40186-6 ISBN 978-3-647-40186-7 (E-Book) Umschlagmotiv: Miriam Sachsse © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Hans Jörgen Grabe und Jessie Mahler Traumatisierung, Genetik und Posttraumatische Belastungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Rachel Yehuda Zur Bedeutung der Epigenetik für die Posttraumatische Belastungsstörung und ihre intergenerationale Weitergabe . . . . . 22 Susanne Hörz und Mary C. Zanarini Zehn-Jahresverlauf der Posttraumatischen Belastungsstörung bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und bei Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . . . 39 Marylene Cloitre Die Behandlung der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung kPTBS – Ein Phasen-orientiertes Modell . . . . 53 Ulrich Sachsse Neurobiologische Grundlagen und Veränderungen nach traumatischen Lebenserfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Sefik Tagay Diagnostik von Traumafolgestörungen mittels Fragebogen . . . . . 85 Annette Streeck-Fischer Die Entwicklungstraumastörung – Probleme der Diagnostik und Behandlung von komplex traumatisierten Jugendlichen
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Inhalt
Gertrude Bogyi Entwicklungsverläufe nach Traumatisierung im Kindesalter . . . . 124 Ulrich Tiber Egle Bindung, Trauma, Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Vedat Șar, Erdinc, Öztürk, Serkan İslam, Suat Küçükgöncü, Cigdem Yumbul und Hayriye Ertem-Vehid Zwischen Selbstreflexion und Selbst-Überzeugtsein – Kognitive Einsicht bei dissoziativen und schizophrenen Störungen und das »Dissoziationsparadox« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Ibrahim Özkan und Gerald Hüther Migration: Traum oder Trauma? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Freda Eidmann Ego States in Aktion – Integrative Systemaufstellungen (ISA) in der Traumatherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Martin Baierl Niemand kann mich halten – Alltagspädagogik mit traumatisierten Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
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Vorwort
Die Vorstellung »die Zeit heilt alle Wunden« kann als oft geäußerter (frommer) Wunsch gelten; aus wissenschaftlicher Perspektive wurde sie vielfältig widerlegt. Die Beschäftigung mit Traumafolgestörungen hat in Göttingen seit den Nachkriegsjahren Geschichte. Ulrich Venzlaff gilt als Wegbereiter der Psychotraumatologie in Deutschland. Er hat bei ehemaligen Nazi-Verfolgten bereits 1952 eine verfolgungsbedingte Neurose festgestellt, was zum damaligen Zeitpunkt vor allem in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Welt einen großen Aufruhr verursacht hat. Er habilitierte sich vier Jahre später an der Universität Göttingen zu psychoreaktiven Störungen nach entschädigungspflichtigen Ereignissen ������������������������������������������������������������������ (Venzlaff, 1958)�������������������������������������������������� und prägte den Begriff »erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel« (Venzlaff, 2011). Aber auch Friedrich Specht, Abteilungsvorsteher der UniversitätsKinder- und Jugendpsychiatrie in Göttingen, nahm sich der Problematik der Traumafolgestörungen mit seiner Habilitationsschrift 1965 zum Thema »Sozialpsychiatrische Gegenwartsprobleme der Jugendverwahrlosung« an, ohne dass er solche Entwicklungen bereits unter dem Aspekt von traumatischer Belastung sehen konnte. Er initiierte eine von der VW-Stiftung geförderte Kontaktstelle für drogenabhängige und dissoziale Jugendliche. Zusammen mit einer Gruppe kritisch eingestellter Studenten und Therapeuten unterstützte er Anfang 1970 den Versuch, den im Göttinger Landesjugendheim untergebrachten, schwer verwahrlosten und drogenabhängigen Jugendlichen durch ambulante Angebote eine alternative Perspektive zu bieten. Diese Jugendlichen waren nicht nur durch ihre frühen vernachlässigenden und misshandelnden Entwicklungsbedingungen traumatisiert, sondern auch durch die damaligen Umstände in den Heimen, die erst in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit geraten sind. So ist es vielleicht nicht von ungefähr, dass diese Tradition in Göttingen durch beider Schüler fortgeführt wurde und wird. Konfrontiert mit schwer beeinträchtigten Patienten, die damals am ehesten mit den
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Vorwort
psychodynamischen Konzepten der Borderlinestörung zu verstehen waren, wurden sowohl in der Kinder- und Jugendlichen-Abteilung der Klinik Tiefenbrunn/Göttingen als auch im damaligen NLKH Göttingen sehr bald Verstehensmodelle aufgegriffen, die die Bedeutung von traumatischen Belastungen beinhalteten. Es wurden stationäre Therapieangebote geschaffen, die den Aspekt Trauma als zentralen ätiologischen Faktor berücksichtigten. Anlässlich des Symposiums »Adoleszenz und Trauma« kamen Bessel van der Kolk und Peter Fonagy bereits 1997 nach Tiefenbrunn/Göttingen – zu einer Zeit, als sich die wissenschaftliche, therapeutische und gesellschaftliche Beschäftigung mit traumatischen Belastungen in Deutschland noch ganz in den Anfängen befand. Sie verdeutlichten mit ihren neuen und vielschichtigen Perspektiven, welche körperlichen, neurobiologischen, psychischen und kognitiven Folgeerscheinungen bei Traumatisierungen auftreten. 1998 folgte im NLKH Göttingen ein Symposium erneut mit Bessel van der Kolk und Joachim Spiess, um Psychotherapie und Grundlagenforschung zu verbinden. 1999 organisierten Eva Irle, Gerald Hüther, Ibrahim Özkan, Ulrich Sachsse, Joachim Spiess und Annette Streeck-Fischer im Gefolge des 1. Kölner Kongresses zur Psychotraumatologie den 2. Internationalen Kongress mit dem Thema »Körper – Seele – Trauma« in Göttingen, wo die verschiedenen Formen traumatischer Belastungen und ihre Auswirkungen auf den Körper, die Biologie, die Stressphysiologie, transgenerationale Weitergabe und die Folgen von Migration sowie Trauma-adaptierte therapeutische Ansätze präsentiert wurden. Ein Ergebnis dieses Kongresses waren drei Bücher, die im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen sind: »Körper – Seele – Trauma. Biologie, Klinik und Praxis« (Streeck-Fischer, Sachsse und Özkan, 2001), »Traumatherapie – Was ist erfolgreich?« (Sachsse, Özkan und Streeck-Fischer, 2002) und »Trauma und Gesellschaft. Vergangenheit in der Gegenwart« (Özkan, Streeck-Fischer und Sachsse, 2002) – übrigens mit einem Beitrag des heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Der damalige Perspektivenwechsel hat in Fachkreisen und unter Betroffenen einen Ruck im Denken und in der Wahrnehmung traumatisch wirksamer Belastungen verursacht. Er hat den Anstoß gegeben zu vielfältigen Initiativen und Bewegungen, sei es in Bezug auf das Verständnis von Patienten mit traumabedingten Störungen, sei es in Bezug auf die Entwicklung unterschiedlicher Therapieansätze, sei es in der Entwicklung von Curricula für die Ausbildung von Traumatherapeuten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene oder der Implemen-
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Vorwort
tierung von neurobiologischer, neuropsychologischer und therapeutischer Forschung. Inzwischen gibt es differenzierte Diagnosesysteme, Leitlinien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) zur Behandlung posttraumatischer Störungen und regionale Netzwerke. Nicht zuletzt deshalb wurde es möglich, dass in den letzten Jahren Misshandlung und Missbrauch in Institutionen und Heimen aufgedeckt werden konnten, »runde Tische« mit Politikern, Fachleuten und Betroffenen wie Heimkindern oder Internatsschüler eingerichtet und Konzepte zu frühen Hilfen bei risikobelasteten Müttern mit ihren Säuglingen entwickelt wurden. Die Bedeutung der Traumafolgen ist im Bewusstsein der Gesellschaft angelangt und beeinflusst viele politische und juristische Entscheidungen. Vieles bedarf noch weiterer Aufklärung: wie etwa die Entwicklungsverläufe von Kindern und Jugendlichen mit komplexen Traumatisierungen sind und wie sie zu erkennen sind, wie transgenerationale Muster weitergegeben werden, welche Verläufe Therapien haben, mit welchen Resultaten und wie die Biologie die traumatisch bedingten Krankheits- und Therapieverläufe bestimmt. Im März 2010 wurde die 12. Jahrestagung der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie DeGPT unter dem Tagungsthema »Zeit heilt nicht alle Wunden« in Göttingen durchgeführt. Auf dieser Tagung wurde deutlich, wie allmählich zusammenwächst, was zusammengehört: Klinik und Forschung, Vernetzung und Politik, Öffentlichkeitsarbeit und therapeutische Versorgung. Einige der Referenten haben ihre Beiträge überarbeitet, die hier veröffentlicht werden. So ist mit diesem Buch ein aktuelles Kompendium zur Psychotraumatologie entstanden. »Zeit heilt nicht alle Wunden«. Aber: Psychotherapie hilft mit der Zeit, Wunden zu heilen! Ibrahim Özkan Ulrich Sachsse Annette Streeck-Fischer
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Vorwort
Literatur Özkan, I., Streeck-Fischer, A., Sachsse, U. (Hrsg.) (2002). Trauma und Gesellschaft. Vergangenheit in der Gegenwart. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Sachsse, U., Özkan, I., Streeck-Fischer, A. (Hrsg.) (2002). Traumatherapie – Was ist erfolgreich? Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Streeck-Fischer, A., Sachsse, U., Özkan, I. (Hrsg.) (2001). Körper – Seele – Trauma. Biologie, Klinik und Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Venzlaff, U. (1958). Die psychoreaktiven Störungen nach entschädigungspflichtigen Ereignissen. Berlin: Springer. Venzlaff, U. (2011). Der erlebnisbedingte Persönlichkeitswandel. In J. H. Seidler, H. J. Freyberger, A. Maercker (Hrsg.), Handbuch der Psychotraumatologie (S. 202–219). Stuttgart: Klett-Cotta.
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Hans Jörgen Grabe und Jessie Mahler
Traumatisierung, Genetik und Posttraumatische Belastungsstörung
Das Erleben eines traumatischen Ereignisses konfrontiert Menschen per Definition mit einer Situation, deren objektive Charakteristik ihre subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten überschreitet und mit einem intensiven Gefühl von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Entsetzen einhergeht. Oftmals führen Traumata zu einer erheblichen Erschütterung des Selbst- und auch des Weltbildes und hinterlassen substantielle Beeinträchtigungen, die die weitere Lebensgestaltung überschatten. Die Assoziation zwischen dem Erleben eines Traumas und dem Auftreten einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist gut belegt, allerdings entwickeln nur 15 bis 50 % der Traumatisierten tatsächlich eine PTBS. Welche spezifischen Faktoren ein Individuum prädisponieren, nach einer Traumatisierung an einer PTBS zu erkranken, ist eine wesentliche, bisher noch nicht vollständig beantwortete Fragestellung. Möglicherweise können jüngste Forschungsansätze, die die genetische Prädisposition eines Individuums und deren Interaktion mit Umweltfaktoren untersuchen, einen detaillierten Aufschluss bezüglich dieser Problematik geben. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass bestimmte genetische Polymorphismen hierbei wahrscheinlich von erheblicher Relevanz sind, da diese in der Wechselwirkung mit Traumata das spezifische Erkrankungsrisiko eines Individuums moderieren. Insgesamt wird eine multifaktorielle Ätiopathogenese angenommen, bei der traumaspezifische Faktoren mit genetischen, biologischen und psychosozialen Faktoren interagieren (Abb. 1).
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Hans Jörgen Grabe und Jessie Mahler
Abbildung 1: Modell der Gen-Umwelt-Interaktion
Die Assoziation zwischen Trauma, PTBS und Depression Epidemiologische Studien konnten nachweisen, dass das Erleben von Traumatisierungen mit oder auch ohne evozierte PTBS mit einem deutlich erhöhten Risiko für komorbide psychische Erkrankungen einhergeht. Zwischen 50 und 98 % der nach einem Trauma an PTBS Erkrankten erfüllen über die PTBS-Diagnose hinaus die Kriterien für mindestens eine weitere Achse-I-Störung, wobei depressive Störungen mit einer Prävalenz zwischen 26 und 48 % unter den PTBS-Erkrankten zu den am häufigsten auftretenden komorbiden Störungen gehören. Die hohen Komorbiditätsraten sollten allerdings mit Vorsicht interpretiert werden. Aufgrund einer möglichen Symptomüberlappung zwischen PTBS und depressiven Störungen (Major Depressive Disorder; MDD) (z. B. Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen) und der gerade noch in älteren Studien eingesetzten, wenig sensitiven Erhebungsinstrumente und Diagnosekriterien könnte die beschriebene hohe Komorbidität zum einen auf Artefakte zurückzuführen sein. Zum anderen bleibt zu berücksichtigen, dass es sich bei der Mehrzahl der in den Studien erfassten Daten um retrospektive Angaben handelt, die womöglich Erinnerungsfehlern und -verzerrungen, sogenannten Recall-Biases, unterliegen. Auf jeden Fall sollte bei der primären Untersuchung der PTBS die hohe Komorbiditätsrate zur Depression statis-
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Traumatisierung, Genetik und Posttraumatische Belastungsstörung
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tisch berücksichtigt werden, da gerade hier eine komorbid auftretende Depression psychobiologisch einen differenziellen Einfluss haben kann.
Prädisponierende Faktoren traumassoziierter Störungen Während sich einige Untersuchungen den Prävalenz- und Komorbiditätsraten von PTBS und MDD und deren konzeptueller Einordnung zuwenden, greifen andere Studien die Frage nach spezifischen Faktoren auf, die ein Individuum dafür prädisponieren, nach einem Trauma entweder eine PTBS, eine MDD oder beide Störungsbilder komorbid zu entwickeln. Ganz allgemein gehen Green, Lindy, Grace und Gleser (1989) auf der Grundlage von Untersuchungsergebnissen an Vietnamveteranen davon aus, dass die Natur des Stressors bzw. des Traumas darüber entscheidet, welche psychische Erkrankung komorbid zu einer PTBS entsteht. Zudem lassen einige Befunde vermuten, dass die Charakteristik möglicher, vor dem Trauma vorliegender psychopathologischer Auffälligkeiten ein relevanter Prädiktor ist und die nach einer Traumatisierung auftretende Psychopathologie signifikant mit einer Sensitivität von 72 % und einer Spezifität von 90 % vorhersagen kann (Smith, North, McCool und Shea, 1990). Die Chronologie in der Abfolge von Erkrankung und Traumatisierung könnte daher bedeutsam sein und sich wechselseitig beeinflussen. Ergebnisse zeigen: Ist ein Individuum bereits schon einmal an einer depressiven Störung erkrankt, steigt sein Risiko für das Erleben potentiell traumatischer Ereignisse und erhöht somit indirekt seine Anfälligkeit für den PTBS-induzierenden Effekt eines Traumas (Kessler, Sonnega, Bromet, Hughes und Nelson, 1995). Anhand der Daten einer Hochrisikogruppe australischer Feuerwehrmänner������������������������������������������������������ postulieren McFarlane ����������������������������������������� und Papay (1992), dass ������������� das Vorliegen zusätzlicher aversiver Ereignisse sowohl vor als auch nach einem Trauma darüber entscheidet, ob es zur Entstehung einer reinen PTBS oder zur komorbiden Ausprägung beider Störungen kommt. Weitere Studien deuten darauf hin, dass das Alter, in dem die Traumatisierung erfolgt, ein ätiologischer Prädiktor für die Prävalenz und die Schwere der PTBS ist. In Anlehnung an Green et al. (1991), die eine geringere PTBS-Schwere in jüngeren Altersgruppen fanden, verglichen mit der PTBS-Schwere bei Adoleszenten, konnten auch Maer-
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Hans Jörgen Grabe und Jessie Mahler
cker, Michael, Fehm, Becker und Margraf (2004) zeigen, dass das Alter zum Zeitpunkt der Traumatisierung und die damit zusammenhängende neurobiologische Hirnentwicklung eine differentielle Wirkung auf den späteren Störungscharakter hat. Die Entstehung einer PTBS erfordert eine gewisse neurobiologische Reifung der Gedächtnisprozesse und der Modulation von Emotionen und Arousal. Insbesondere das Erleben von Intrusionen setzt die Aufnahme, Verarbeitung und Analyse verschiedenster sensorischer Informationen mit kinästhetischer und somatischer Erfassung voraus, was wiederum auf frontokortikaler Dominanz basiert. Eine derartige Entwicklung wird allerdings nicht vor der Adoleszenz angelegt, so dass Maercker et al. (2004) davon ausgehen, dass es eine altersabhängige Differenzierung in der Vulnerabilität traumassoziierter Störungen gibt. Aktuelle Forschungstrends, die z. B. hirnstrukturelle Veränderungen und Methylierungsprozesse durch Traumatisierung untersuchen, können plausibel an diesem vorgeschlagenen Konzept ansetzen und es essentiell hinsichtlich neurobiologischer und neurochemischer Aspekte erweitern.
Neuroendokrine und neurodegenerative Folgen von Stress und Traumatisierung Die bisher am besten erforschte psychoneuroendokrine Folge von Stress und Traumatisierung ist eine chronisch veränderte Funktionsweise der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (Hypothalamic-Pituitary-Adrenal-Axis, HPA-Achse). Während der Stress-Exposition wird aus dem Paraventrikulären Kern (PVN) des Hypothalamus das Corticotropin-releasing Hormone (CRH) freigesetzt, was wiederum die Ausschüttung von Adrenocorticotropin (ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen stimuliert. Das in die Blutbahn ausgeschüttete ACTH wirkt auf die Nebennierenrinde und führt hier zur Synthese und Freisetzung von Glucocorticoiden. Das bekannteste Glucocorticoid ist Cortisol, das sich auf den gesamten Metabolismus auswirkt und vielfältige behaviorale Reaktionen hervorruft, um dem Organismus eine optimale Adaptation an Belastung zu ermöglichen. Verschiedene neuronale Rückkopplungsschleifen modulieren über zwei Arten von Steroid-Rezeptoren, hochaffine Mineralokortikoid-Rezeptoren im Hippocampus und niedrigaffine, im zentralen Nervensystem weitverbreitete Glucocorticoid-Rezeptoren, die Aktivität der
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Traumatisierung, Genetik und Posttraumatische Belastungsstörung
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HPA-Achse. Während der Hippocampus und der präfrontale Cortex die Aktivität der HPA-Achse inhibieren, wird sie von der Amygdala und monoaminergen Bahnen aus dem Hirnstamm stimuliert. Bei gesunden Menschen reguliert das freigesetzte Cortisol eigenständig über negative Feedbackmechanismen die Aktivität der HPA-Achse und verhindert durch seine inhibierende Wirkung auf Neurone im Hippocampus und präfrontalen Cortex ein Überschießen der Stressantwort. Sowohl bei Patienten mit einer PTBS als auch einer MDD findet man stattdessen eine Dysregulation der HPA-Achse, die sich bei beiden Störungen jedoch durch unterschiedliche Merkmale charakterisieren lässt (Yehuda, Teicher, Trestman, Levengood und Siever, 1996). Die vordergründigste psychoneuroendokrine Auffälligkeit depressiver Patienten ist der Hyperkortisolismus, d. h. eine chronische Überaktivität der HPA-Achse und eine damit einhergehende dysregulierte Stressantwort (Arborelius, Owens, Plotsky und Nemeroff, 1999; Nestler et al., 2002). Neben der Hyperaktivität von CRH-Neuronen konnten weiterhin eine veränderte Aktivität von CRH am CRH-Rezeptor 1 in extrahypothalamischen Regionen, eine erhöhte CRH-Konzentration in der Cerebrospinalflüssigkeit und eine veränderte CRHR-1 messenger-RNA bei depressiven Patienten gefunden werden. Eine langanhaltende Cortisol-Freisetzung übt eine toxische Wirkung auf hippocampale Neurone aus und verursacht einen Verlust ihrer appikalen Dendriten und ihrer dendritischen Verästelung, so dass chronischer Stress zudem vermutlich hirnstrukturelle Veränderungen induziert. BDNF (brain-derived neurotrophic factor), ein neurotropher Faktor, der maßgebend in die neuronale Zellentwicklung und -differenzierung involviert ist, schützt bei Gesunden neuronale Zellstrukturen z. B. im Hippocampus und präfrontalen Cortex vor der schädigenden Wirkung von Stress. Durch frühe Traumata kann sich indes über Methylierungsprozesse die BDNF-Genexpression verändern, was in der Konsequenz zu einer verringerten BDNF-Aktivität und einer damit assoziierten Beeinträchtigung der Neurogenese führt. Sowohl bei Patienten mit PTBS als auch MDD konnte eine möglicherweise dadurch mitbedingte Atrophie des Hippocampusvolumens gefunden werden. Einhergehend mit dem toxischen Cortisol-Effekt begrenzt die mangelnde Genese hippocampaler Neurone die inhibitorische Kontrolle der HPA-Achsen-Aktivität. Zusammenfassend scheint eine infolge früher Traumata persistierende Störung oder Schädigung der neurochemischen Stressverarbeitung mit assoziierten neuroanatomischen Veränderungen die biologi-
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Hans Jörgen Grabe und Jessie Mahler
sche Grundlage einer erhöhten erworbenen Vulnerabilität gegenüber Stress im Erwachsenenalter zu bilden.
Genetik und Gen-Umwelt-Interaktion der PTBS Neben den beschriebenen neuroendokrinen Prozessen und neurodegenerativen Veränderungen wird die biologische Vulnerabilität eines Individuums ferner von genetischen Faktoren mitbestimmt, die einen erheblichen Anteil an der Varianz bei der Entstehung psychischer Erkrankungen erklären. Mit Hilfe von Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien konnte eine Beteiligung familiär-genetischer Faktoren bei der Entstehung einer PTBS nach Traumatisierung belegt werden. Vor allem die Untersuchung von Stein, Jang, Taylor, Vernon und Livesly (2002) zeigte eine signifikant korrelierte Symptomausprägung der PTBS bei monozygoten im Vergleich zu dizygoten Zwillingen. Bislang ist es kaum gelungen, direkte Geneffekte bei der Entstehung einer PTBS nachzuweisen. Neuere Studien untersuchen gezielt die Wechselwirkung zwischen genetischer Prädisposition und Traumatisierungen, wobei sie die Hypothese verfolgen, dass in Abhängigkeit von speziellen Genotypen das Risiko für Krankheitsprozesse signifikant variiert (Abb. 1, S. 12). Hierbei zeigten sich Studien vor allem zu depressiven Störungen als Wegbereiter dieser Forschungsrichtung. Bei der Analyse von Gen-Umwelt-Interaktionen bei depressiven Störungen konzentrierte man sich bevorzugt auf das serotonerge System. Einer der wesentlichen Indikatoren für die Bedeutung dieses Systems ist die Wirksamkeit der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) in der Pharmakotherapie depressiver Patienten, wobei die Wirkung der SSRI bei Angsterkrankungen einschließlich der PTBS ebenfalls gut belegt ist. Inzwischen ist es gelungen, Kandidatengene zu identifizieren, die über eine derartige Gen-Umwelt-Interaktion die Entstehung einer psychischen Beschwerdesymptomatik moderieren. Ein vielfach untersuchtes Kandidatengen für eine solche Gen-Umwelt-Interaktion ist das auf dem Chromosom 17q befindliche Serotonintransportergen (SLC6A4). Ein Polymorphismus in der Promotorregion des Serotonintransportergens (5-HTTLPR) beeinflusst maßgebend seine Transkriptionsaktivität, was eine veränderte Funktionalität des Serotoninsystems bedingt. Der 5-HTTLPR-Polymorphismus besteht in einer
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durch Deletion verursachten Längenvariation von 44 Basenpaaren, so dass genotypisch zwischen zwei Allel-Varianten, einem s- bzw. shortAllel und einem l- bzw. long-Allel, unterschieden werden kann. Erstmals wurde die Interaktion zwischen 5-HTTLPR-Polymorphismus und Umweltbelastungen von Caspi et al. (2003) empirisch bestätigt und auch in weiteren Untersuchungen konnte eine erhöhte depressive Symptombelastung durch diese Interaktion nachgewiesen werden (Grabe et al., 2005; 2011). In einer Untersuchung in einer Allgemeinbevölkerungsstichprobe konnten Grabe et al. (2009) aus 3045 Probanden 1663 Probanden identifizieren, die im Rahmen eines strukturierten Interviews zur PTBS mindestens ein Trauma angegeben hatten. Diese 1663 Probanden wurden bezüglich des 5-HTTLPR-Locus vollständig charakterisiert. Interessanterweise zeigte sich schon ein direkter, risikoerhöhender Effekt des l-Allels auf die Auftretenswahrscheinlichkeit einer PTBS. In der nachfolgenden Gen-Umwelt-Interaktionsanalyse konnte dies eindrucksvoll bestätigt werden. In Abbildung 2 ist der Risikoschätzer (Odds ratio, OR) der Probanden für das Vorliegen einer PTBS dargestellt. Die erste Säule zeigt Probanden ohne Risikogenotyp, jedoch mit einer Traumarate von > 3. Hier liegt die OR bei 2, was eine Verdopplung des PTBS-Risikos im Vergleich zu Probanden mit niedriger Traumarate (< 3) ohne Risikogenotyp darstellt. Die zweite Säule zeigte das Risiko für Probanden mit Risikogenotyp, jedoch mit niedriger Traumarate. Die dritte Säule ergibt sich aus der Addition der ersten beiden Säulen. Die vierte Säule wiederum stellt das Risiko für Probanden dar, die tatsächlich den Risikogenotyp und eine hohe Traumarate aufweisen. Für diese Probanden ist das PTBS-Risiko um das 8fache erhöht (OR = 8). In dieser Darstellung offenbart sich der Gen-Umwelt-Interaktionseffekt. Es liegt ein deutlich überadditiver Effekt vor (vgl. dritte Säule und vierte Säule)!
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Hans Jörgen Grabe und Jessie Mahler
Abbildung 2: Odds ratio (OR) für hohe versus niedrige Traumaraten ( drei Traumata) und dem Vorliegen des Risikogenotyps (2 l-Allele des 5-HTTLPR) versus kein Risikogenotyp. – Die dritte Säule ergibt sich aus der Addition der ersten beiden Säulen. Die vierte Säule wiederum stellt das Risiko für Probanden dar, die tatsächlich den Risikogenotyp und eine hohe Traumarate aufweisen (nach Grabe et al., 2009).
Da in einer Vielzahl an Studien die Assoziation zwischen der Dysregulation der HPA-Achse und einer PTBS belegt werden konnte, ist es nicht verwunderlich, dass auch hier nach Kandidatengenen gesucht wurde, die die physiologische Reaktion auf Stress moderieren. Ein relevanter Polymorphismus, der an der Regulierung der HPA-Achse beteiligt ist und darüber das Risiko einer PTBS nach frühen Traumatisierungen wahrscheinlich moderiert, liegt im FKBP5-Gen. Das durch dieses Gen transkribierte Protein bindet an den im ZNS weitverbreiteten Glucocorticoid-Rezeptor und reguliert seine Affinität gegenüber Cortisol. Das Risikoallel des FKBP5-Gens ist mit einer verminderten Sensitivität des Glucocorticoid-Rezeptors, einem gestörten Feedbackmechanismus und dem bei Depressiven beschriebenen Hyperkortisolismus assoziiert (Binder et al., 2008; Binder, 2009). Es konnte gezeigt werden, dass Varianten innerhalb des FKBP5-Gens bei Menschen mit kindlichen Missbrauchserfahrungen das Risiko für eine PTBS im Erwachsenenalter relevant erhöhen (Binder et al., 2008).
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Traumatisierung, Genetik und Posttraumatische Belastungsstörung
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Zusammenfassung und Ausblick Die derzeitige Studienlage verdeutlicht, dass die Posttraumatische Belastungsstörung eine wichtige von zahlreichen psychischen Konsequenzen infolge eines Traumas darstellt. Befunden über eine relevante Heritabilität psychischer Störungen versucht man derzeit mittels genomweiter Assoziationsstudien, Gen-Gen- und Gen-Umwelt-Interaktionsanalysen molekularbiologisch nachzugehen. Auch für die Symptomcluster der PTBS konnte eine relevante Heritabilität belegt werden. Für die Erforschung der PTBS bietet sich der Gen-Umwelt-Interaktionsansatz an, da gerade diese Störung zwingend durch traumatische Umweltfaktoren mitbedingt ist. In einer aktuellen Untersuchung unserer Arbeitsgruppe konnte gezeigt werden, dass das l-Allel des 5-HTTLPR (Promoter des Serotonintransportergens) signifikant mit dem Erkrankungsrisiko für eine PTBS assoziiert war und eine relevante Interaktion mit der Anzahl der berichteten Traumatisierungen bestand: Träger des Risikogenotyps hatten bei Vorliegen einer hohen Traumarate ein 8fach erhöhtes Erkrankungsrisiko im Vergleich zur Referenzgruppe. Sicherlich liefern derartige Arbeiten modellhafte Ansätze, die allerdings in weiteren Analysen wesentlich ergänzt und verfeinert werden müssen. Auf biologischer Seite bieten sich hier genetische Polymorphismen der Stressachse (HPA-Achse) des Körpers an, von denen eine differentielle Modulation der physiologischen Stressantwort angenommen werden kann. Vor allem sollte aber betont werden, dass neben den Risikofaktoren auch protektive Faktoren wie z. B. die individuelle Resilienz, die Verfügbarkeit von Coping-Strategien oder soziale Unterstützungsprozesse das Erkrankungsrisiko signifikant moderieren. Insofern ist es wichtig, die bisherige Forschung zu Risikofaktoren um protektive Faktoren systematisch zu ergänzen und dies auch auf die Interaktion mit genetischen Faktoren auszudehnen.
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Hans Jörgen Grabe und Jessie Mahler
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Traumatisierung, Genetik und Posttraumatische Belastungsstörung
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Zur Bedeutung der Epigenetik für die Posttraumatische Belastungsstörung und ihre intergenerationale Weitergabe
Einleitende Bemerkungen zur Epigenetik Wie verändern epigenetische Mechanismen die Funktion von Genen so, dass sie dauerhafte und möglicherweise sogar transgenerational übertragbare Veränderungen in der DNS-Expression herbeiführen? Ein Gen ist ein Teil der DNS, welche die »Instruktion« für biologische Aktivität innerhalb der Zelle via Proteinsynthese liefert. Der Instruktionscode besteht aus vier Basen (Guanin, Cytosin, Adenin und Thymin), die in einer jeweils einmaligen Sequenz angeordnet sind. Die Proteinsynthese erfolgt in aufeinanderfolgenden Schritten: zunächst durch die Transkription von DNS zu RNS, dann durch die Translation von RNS in ein Protein. Im ersten Schritt lesen und interpretieren Transkriptionsfaktoren innerhalb der Zelle die DNS-Instruktion und rekrutieren RNS-Polymerasen, die das Kopieren der DNS in sein analoges Messenger-RNS (mRNS) herbeiführen. Dauerhafte Veränderungen in der Genexpression werden herbeigeführt, wenn sie Transkriptionsfaktoren betreffen, die dann die Genexpression und so das biologische Erbprogramm verändern (Meaney und Szyf, 2005). Die Cytosin-Methylierung bezieht sich auf eine chemische Reaktion, bei der eine Methylgruppe an einer spezifischen Lokalisation auf dem Cytosinmolekül hinzugefügt wird; umgekehrt wird bei der Cytosin-Demethylierung eine Methylgruppe entfernt (Novik et al., 2002). Auch wenn inzwischen mehrere Mechanismen der permanenten epigenetischen Regulation beschrieben wurden, so ist doch die DNS-Methylierung an der Cytosin-Lokalisation im Säugetier-Genom bisher am besten beschrieben (Novik et al., 2002). Veränderungen der Methylierung innerhalb spezifischer Regionen eines Gens können jederzeit im Verlauf eines Lebens auftreten. Sie können das Gen völlig zum »verstummen« bringen oder – je nach ihrer Gerichtetheit – die Genex-
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Zur Bedeutung der Epigenetik
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pression verstärken oder verringern (Sutherland und Costa, 2003). Es gibt neben der Methylierung viele andere Arten epigenetischer Veränderungen, z. B. Acetylierung/Deacetylierung von Histonen, die quantitativ bestimmt werden können durch die Untersuchung bestimmter Lokalisationen innerhalb eines Gens (Sutherland und Costa, 2003). Epigenetische Veränderungen sind lokalisationsspezifisch und müssen im Kontext eines spezifischen Gewebes gesehen werden. So ist es ein Unterschied, ob diese Veränderungen im Gehirn, im peripheren Gewebe oder in einer speziellen Blutzelle auftreten. Die unterschiedlichsten Zellen haben schließlich eine identische DNS. Inzwischen wurden Laboruntersuchungsmethoden entwickelt, mit denen epigenetische Veränderungen in einem individuellen Gen untersucht werden können, und sogar genomübergreifende Ansätze, bei denen polymorphonukleare Lymphozyten zur Anwendung kommen. Für die Interpretation der funktionellen Bedeutung eines epigenetischen Markers sind jedoch weitere Informationen notwendig, um den Einfluss auf den Phänotyp zu bewerten. Wie bei Studien zur Genexpression wird es zudem entscheidend sein nachzuweisen, dass Forschungsergebnisse zu epigenetischen Veränderungen, die an peripheren Blutzellen wie Lymphozyten gewonnen wurden, auf das zentrale Nervensystem übertragbar sind. Im Folgenden soll die Bedeutung epigenetischer Mechanismen für die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und das PTBS-Risiko erörtert werden (Yehuda und Bierer, 2009). Eine epigenetische Veränderung ist eine durch einen Umwelteinfluss hervorgerufene Modifizierung der DNS, welche die Funktion, aber nicht die Struktur eines Gens verändert. Epigenetische Veränderungen sind stabil und dauerhaft und können in manchen Fällen transgenerational übertragen werden (Meaney und Szyf, 2005). Epigenetische Veränderungen, die Genexpression modifizieren, erklären, wie Umwelteinflüsse zu einem Transformationsprozess führen. Wenn dieser Prozess während eines kritischen Entwicklungsabschnitts erfolgt, können dadurch biologische Systeme so kalibriert, so eingestellt werden, dass sie die Reaktion auf spätere traumatische Erlebnisse beeinflussen.
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Geschichtlicher Rückblick zur Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Folgen extrem belastender Lebenserfahrungen, sogenannter »Traumata«, ist seit vielen Jahrzehnten sehr kontrovers geführt worden. In welchem Ausmaß ein Mensch durch seine Erfahrungen und Erinnerungen definiert, festgelegt oder bestimmt wird, ist eine der zentralen Fragen in vielen Kontroversen um die Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Vor der Etablierung dieser Diagnose lautete die vorherrschende Meinung, dass Symptome, die in Folge einer belastenden Lebenserfahrung auftreten, wieder verschwinden würden.1 In der 2. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-II; APA, 1968) zeigt sich diese Überzeugung in der Diagnose »vorübergehende situationsbedingte Störung«. Im Einklang mit der Stresstheorie wurde davon ausgegangen, dass ein Überlebender sich allmählich von allen Nachwirkungen erholen und seine normale, prätraumatische Funktionsfähigkeit wiedererlangen würde, sobald die mit dem Ereignis verbundene Gefahr vorüber war. Langzeitauswirkungen wurden konstitutionellen Problemen zugeschrieben, die schon vor dem traumatischen Ereignis bestanden, und nicht dem traumatischen Erleben selbst (Yehuda und McFarlane, 1995). Die PTBS-Diagnose (APA, 1980) hingegen erkannte explizit an, dass das Erleben einer Katastrophe langwährende Konsequenzen haben kann. Das bedeutete eine Validierung der subjektiven Einschätzung von Überlebenden, dass ein solches Erlebnis zu einer existentiellen Veränderung führen kann. Viele Überlebende beschreiben ihr posttraumatisches Selbst als völlig verändert, verglichen mit ihrem prätraumatischen Selbst. Selbst die Heilung einer PTBS wird von Betroffenen vielfach nicht als Rückkehr zum prätraumatischen Zustand, als restitutio ad integrum erlebt, sondern eher als eine Symptomauflösung im Kontext der durch die traumatische Erfahrung bedingten bleibenden Veränderungen. In den Jahren nach der Etablierung der PTBS-Diagnose (APA, 1980) wurde deutlich, dass die in Folge eines Traumas auftretenden Symptome individuell beträchtlich variieren, auch was Dauer und Verlauf anbelangen. Erstens entwickeln nicht alle Menschen, die einem Trauma ausgesetzt waren, eine PTBS (Perkonigg, Kessler, Storz und Wittchen, 1 In Deutschland wurde diese Diskussion wesentlich von Ulrich Venzlaff geführt (Venzlaff, 1958; 2011).
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2000). Zweitens kommt es bei vielen Menschen, welche die Störung entwickeln, zu einer Spontanheilung (Kessler, Sonnega, Bromet, Hughes und Nelson, 1995). Allerdings besteht auch bei voll remittierten Traumaopfern ein hohes Risiko für ein Wiederkehren der Symptome, sogar bis hin zum Vollbild der PTBS (Macleod, 1994; Solomon und Mikulincer, 2006). Das könnte bedeuten, dass es untergründig langfristige posttraumatische Veränderungen gibt, die virulent werden können, selbst wenn die akuten Symptome oberflächlich abgeflaut sind. Aktuelle biobehaviorale Modelle der PTBS tragen diesen Aspekten der PTBS-Phänomenologie wenig Rechnung. Für die Definition und Kategorisierung der PTBS ist es wichtig, biologische Mechanismen zu berücksichtigen, die uns ein besseres Verständnis der Auswirkungen eines traumatischen Erlebens ermöglichen. Dafür müssen schon vor dem Trauma bestehende Risikofaktoren und posttraumatische biologische Anpassungen berücksichtigt werden, um der Bandbreite individueller Reaktionen auf widrige Erfahrungen ähnlicher Intensität Rechnung zu tragen.
Epigenetische Faktoren und PTBS Die vorherrschenden Tiermodelle der PTBS (z. B. Cohen, Matar, Richter-Levin und Zohar, 2006; Kesner et al., 2009; Siegmund und Wotjak, 2006; Zoladz, Conrad, Fleschner und Diamond, 2008) stützten sich auf die Stresstheorie, die Stresssensibilisierung und die Furchtkonditionierung, um für die PTBS relevante biologische Mechanismen zu erklären. Epigenetische Modelle ergänzen diese Ansätze, denn sie befassen sich mit der von den klassischen Stress- und Furchtmodellen oder der neuronalen Architektur der Furchtreaktion nicht ausreichend erklärten Persistenz einer posttraumatischen Stressreaktion. Der klassische Verlauf nach einer Furcht- und Stressprovokation bei Tieren ist tatsächlich die Erholung: Wenn der Stressor nicht mehr präsent ist, kommt die biologische Reaktion wieder ins Gleichgewicht. Furchtkonditionierung beschäftigt sich mit der Frage, wie neutrale Auslöserreize mit einer Furchtreaktion verbunden werden, was für das Syndrom PTBS zwar generell von hoher Relevanz ist, aber der individuellen Variabilität beim Lernen und Löschen von Furcht nicht ausreichend Rechnung trägt (Übersicht bei Stam, 2007, und Ursano et al., 2008; Yehuda und LeDoux, 2007).
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Die individuellen Unterschiede bei der Reaktion auf ein Trauma haben zur Suche von genetischen Markern (Polymorphismen) geführt, die mit einem PTBS-Risiko verbunden sind (Broekman, Olff und Boer, 2007). Die Identifikation von Genen und Gen-Umwelt-Interaktionen (GxU), die bei PTBS eine Rolle spielen können, wurde nicht nur dadurch angeregt, dass nicht jeder Mensch nach einem Trauma eine PTBS entwickelt, sondern auch durch die Feststellung, dass PTBS in Familien gehäuft auftritt (Nugent, Amstadter und Koenen, 2008). Eine höhere PTBS-Prävalenz wurde bei jenen Überlebenden eines Traumas gefunden, die einen Zwilling mit PTBS hatten (Koenen, Nugent und Amstadter, 2008), sowie bei Verwandten ersten Grades von Menschen mit PTBS einschließlich der Kinder von Traumaüberlebenden mit PTBS (Yehuda, Bell, Bierer und Schmeidler, 2008). Auch nachdem das familiäre Clustering berücksichtigt wurde, welches zum Risiko eines traumatischen Erlebens beiträgt, machten genetische Faktoren noch ungefähr ein Drittel der Varianz bei PTBS aus (True et al., 1993). Bis jetzt sind nur wenige Gene identifiziert worden, die mit PTBS verbunden sein könnten (siehe Koenen, Amstadter und Nugent, 2009), und nur sehr wenige Studien haben mögliche bedeutsame GxU-Interaktionen untersucht (Koenen et al., 2009). Aktuelle GxU-Ergebnisse verweisen darauf, dass frühe, nicht im Erwachsenenalter erlebte aversive Ereignisse dazu führen können, dass später eine PTBS als Reaktion auf Traumata im Erwachsenenalter mit größerer Wahrscheinlichkeit entstehen kann (Binder et al., 2008; Bradley et al., 2008). Die Ergebnisse dieser Studien können einige individuelle Unterschiede beim Erleben von Traumata und der Anfälligkeit für PTBS erklären. Epigenetische Mechanismen liefern eine zusätzliche Erklärung für den Einfluss der persönlichen und der Familiengeschichte auf die Anfälligkeit für PTBS, für die kumulativen Effekte von wiederholten traumatischen Erlebnissen, für die Prädisposition für bestimmte Traumatypen und für transgenerationale Einflüsse. Das unten weiter ausgeführte epigenetische Modell unterscheidet sich von jenen, die entweder mit der Identifikation von Risiko-Allelen oder von GxU-Interaktionen befasst sind. Bei diesen Modellen wird die Reaktion auf eine umweltbedingte erhebliche Belastung größtenteils von der Genvariante, d. h. von spezifischen Polymorphismen bestimmt (Koenen et al., 2008). Beim epigenetischen Modell, beispielhaft dargestellt durch die Glucocorticoid-Gen-Methylierung, verändert eine umweltbedingte Belastung die Funktion des Gens, die dann die individuelle Reaktion auf ein nachfolgendes traumatisches Ereig-
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nis beeinflusst (Meaney und Szyf, 2005). Wir wissen noch nicht, ob es Beziehungen zwischen Genomtypen und spezifischen epigenetischen Veränderungen gibt. Es ist aber völlig plausibel, dass genotypische Unterschiede zur Gerichtetheit (z. B. Methylierung versus Demethylierung) oder Spezifität (z. B. Methylierung versus Azetylierung) epigenetischer Veränderungen in Reaktion auf Umwelteinflüsse beitragen. Während epigenetische Veränderungen an der Interaktion zwischen Umwelt und einem Polymorphismus beteiligt sein können, hängt der Einfluss der Epigenetik nicht notwendigerweise vom Vorhandensein eines spezifischen Polymorphismus ab. Daher erscheint es sinnvoll, die Suche nach genetischen Polymorphismen auf epigenetische Marker auszuweiten, da beide die Genexpression und Anfälligkeit für PTBS beeinflussen können.
Cytosin-Methylierung in Folge abweichender maternaler Fürsorge Ein aktuelles Paradigma, das den Umwelteinfluss auf epigenetische Veränderungen beinhaltet, kann Implikationen für die PTBS haben (Seckl, 2008; Seckl und Meaney, 2006). Bei Ratten führen Veränderungen der mütterlichen Fürsorge zu bleibenden Veränderungen von physiologischen und Verhaltensreaktionen bei den Nachkommen, indem die Hypophysen-Hypothalamus-Nebennierenrinde-Achse (HPA-Achse) verändert programmiert wird (Liu et al., 1997; Francis und Meaney, 1999). Diese Auswirkungen werden durch Veränderungen in der DNSMethylierung des Glucocorticoid-Rezeptor-Gens im Hippocampus vermittelt (Weaver, Szyf und Meaney, 2002). Die HPA-Achse ist eines der wichtigsten endokrinen Systeme, das an der Koordination von Akutreaktionen auf Stress beteiligt ist. Veränderungen der HPA-Achsen-Funktion wurden sowohl beobachtet in Verbindung mit frühen, aversiven Lebensereignissen und PTBS als auch bei Major Depression (Pariante und Lightman, 2008; Yehuda, 2001; 2002). Die Feststellung, dass in einem Tiermodell veränderte Sozialisationsbedingungen bei jungen Tieren deren HPA-Achse verändert reagieren lassen (Francis und Meaney, 1999), lieferte ein wichtiges Modell, wie belastende Umwelteinflüsse auch bei Menschen zu dauerhaften Veränderungen von deren HPA-Achse führen könnten. Es scheint jedoch ein Entwicklungsfenster für diesen Effekt zu geben,
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denn ähnliche Abweichungen im mütterlichen Verhalten bei älteren Jungtieren führten zu weniger ausgeprägten Veränderungen der HPAAchse (Champagne und Meaney, 2001). Die ersten Studien riefen phänotypische Unterschiede des mütterlichen Verhaltens hervor, indem die Mütter von ihrem Wurf getrennt wurden. Die Mütter wurden zwei Wochen vor der Geburt der Jungtiere aus dem Heimatkäfig herausgenommen und über mehrere Tage 15 Minuten lang von einem Forscher in der Hand gehalten, bevor sie wieder in ihren Heimatkäfig gesetzt wurden (Liu et al., 1997). Diese Manipulationen führten bei diesen Rattenmüttern zu einem stärkeren Lecken und Putzen der Jungtiere als bei den Müttern, die keiner Manipulation ausgesetzt gewesen waren. Die Jungtiere jener Mütter, die stärker geleckt und geputzt hatten, wiesen im Erwachsenenalter niedrigere Cortisol-Spiegel auf als die Jungtiere der nicht manipulierten Mütter, die weniger leckten und putzten (Liu et al., 1997). Die Empfindlichkeit des Glucocorticoid-Rezeptors im Erwachsenenalter war bei den Nachkommen der manipulierten Mütter ebenfalls erhöht, was durch eine stärkere Cortisol-Suppression bei der Gabe von geringen Dosen Dexamethason gezeigt wurde (Cook, 1999). Gehirnstudien zeigten eine größere Anzahl an Glucocorticoid-Rezeptoren im Hippocampus (Francis, Diorio, Liu und Meaney, 1999) und eine stärkere Expression des Glucocorticoid-Rezeptor-Gens (Nr3c1) beim Nachwuchs der stärker leckenden und putzenden Mütter. Es konnte festgestellt werden, dass eine Hypomythelierung innerhalb der Promoterregion des hippocampalen Glucocorticoid-Rezeptors für seine stärkere Expression verantwortlich ist. Umgekehrt zeigten Jungtiere, die von ihren Müttern wenig geleckt und geputzt worden waren, eine stärkere Cytosin-Methylierung in der gleichen Promoterregion (Weaver et al., 2002). Die beobachteten biologischen Effekte und mütterlichen Verhaltensweisen wurden von den weiblichen Jungtieren auf die nächste, dritte Generation übertragen (Francis et al., 1999; Meaney und Szyf, 2005). Diese überzeugende Reihe von Studien weist eine eindeutige molekulare Verbindung zwischen frühen Umwelteinflüssen wie mütterlichem Verhalten und Genexpression nach, wobei es zu funktionellen biologischen Korrelaten bei endokrinen und bei Verhaltensreaktionen kommt, die mit der Stressreaktivität verbunden sind (Weaver, 2007). Diese Studien liefern einen Beweis für das Konzept der transgenerationalen Übertragung einer Vulnerabilität gegenüber Stress und beschreiben plausibel einen Mechanismus, um zu erklären, wie nega-
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tive Kindheitserlebnisse das Risiko für die Entwicklung einer PTBS nach traumatischen Erlebnissen im Erwachsenenalter steigern können (Seckl, 2008; Seckl und Meaney, 2006; Yehuda und LeDoux, 2007). Es war eindrucksvoll zu beobachten, dass die mit verstärktem Lecken und Putzen der Mütter verbundenen neuroendokrinologischen Befunde bei Ratten jenen entsprechen, die bei Menschen mit PTBS und einem erhöhten PTBS-Risiko verbunden sind (Yehuda und Bierer, 2008). PTBS und erhöhtes PTBS-Risiko wurden assoziiert mit relativ niedrigeren basalen Cortisol-Spiegeln, einer größeren Anzahl von Glucocorticoid-Rezeptoren auf Lymphozyten und stärkerer Cortisol-Suppression nach Dexamethason-Gabe – ein synthetisches Glucocorticoid, das oral verabreicht wird, um die Reaktivität des Glucocorticoid-Rezeptors der Hypophyse zu prüfen (Yehuda, 2001). Erwachsene Ratten, die von ihren Müttern stärker geleckt und geputzt worden waren, wiesen auch eine gedämpfte Cortisol-Reaktion auf Stress auf, was hauptsächlich als protektiv interpretiert wurde (Barha, Pawluski und Galea, 2007). Da niedrige basale Cortisol-Spiegel direkt nach einem traumatischen Erlebnis mit dem erhöhten Risiko der nachfolgenden Entwicklung einer PTBS in Verbindung gebracht wurden (Yehuda, McFarlane und Shalev, 1998), kann dies einen veränderten, durch Hypomethylierung hervorgerufenen endokrinen Sollwert widerspiegeln. Niedrigere Cortisol-Spiegel zur Zeit eines traumatischen Erlebnisses würden zu einer dauerhaften Erhöhung der stressbedingten Catecholamin-Spiegel führen, was die Konsolidierung traumatischer Erinnerungen und damit die Entwicklung von Intrusionen fördern würde (Yehuda, 2002). Im Gegensatz zu den mit PTBS assoziierten Befunden sind bei der Major Depression die Glucocorticoid-Rezeptoren weniger ansprechbar (Pariante und Lightman, 2008), ähnlich wie bei Rattenjungen, die wenig geleckt und geputzt werden – Veränderungen, die ebenfalls eine Glucocorticoid-Programmierung widerspiegeln könnten (Oberlander et al., 2008). Bei verstärkter Methylierung des Glucocorticoid-Rezeptor-Genpromoters würde eine verringerte Expression die Responsivität des Glucocorticoid-Rezeptors vermindern, was zu erhöhten CortisolSpiegeln führt. Eine verstärkte Methylierung – die in einer homologen Region des Glucocorticoid-Rezeptor-Gens bei Ratten beobachtet wurde, die als Jungtiere abweichender mütterlicher Fürsorge ausgesetzt gewesen waren – wurde post mortem im Gewebe des Hippocampus von Suizidopfern meist mit Major Depression festgestellt, die in der Kindheit traumatischen Erlebnissen ausgesetzt waren (McGowan et al., 2009). In einer Studie, in der Nabelschnurblut von Neugeborenen
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depressiver Mütter untersucht wurde, stellte man ebenfalls eine verstärkte Methylierung fest, welche die nachfolgenden Cortisol-Spiegel und Cortisol-Reaktionen auf Stress des Säuglings vorhersagte (Oberlander et al., 2008). In dieser Studie waren die Methylierungs-Spiegel linear mit den Cortisol-Reaktionen der Säuglinge korreliert.
Die Bedeutung der Epigenetik für die transgenerationale Weitergabe von PTBS Es gibt bisher keine empirischen Belege für epigenetische Veränderungen per se in Verbindung mit PTBS oder einem erhöhten PTBS-Risiko. Wir stellten jedoch bei den Nachkommen von Holocaust-Überlebenden fest, dass mütterliche und väterliche PTBS gleichermaßen mit einer erhöhten Prävalenz von Depressionen bei den Nachkommen verbunden war, aber nur eine mütterliche PTBS mit einer PTBS bei Nachkommen von Holocaust-Überlebenden assoziiert war (Yehuda et al., 2008). Die erhöhte Prävalenz von PTBS infolge mütterlicher PTBS wird untermauert durch die Beobachtung von niedrigen Cortisol-Spiegeln bei mütterlicher PTBS (Yehuda et al., 2007). Obwohl frühere Studien auf sowohl mütterliches als auch väterliches Traumaerleben als bedeutsamen Prädiktor für eine PTBS bei den Nachkommen verwiesen (z. B. Dijanic Plasc et al., 2007; Meijer, 1985), konnten bis jetzt nur wenige Studien untersuchen, welchen Einfluss es hat, wenn beide Eltern demselben traumatischen Erleben ausgesetzt waren. Wenn eine mütterliche oder väterliche PTBS zu vergleichbaren Effekten bei den Nachkommen führt, würde dies mit den gängigen Modellen der GxU-Interaktion übereinstimmen, bei denen beide Eltern gleichermaßen zu den genetischen Komponenten beitragen oder die umweltbezogenen Aspekte gemeinsam beeinflussen können. Auch wenn genetische Aspekte nicht als Erklärung eines erhöhten PTBS-Risikos bei den Nachkommen von Müttern mit PTBS, verglichen mit Vätern mit PTBS, ausgeschlossen werden können, würden epigenetische Mechanismen doch eine ausreichende Erklärung dafür liefern, dass eine mütterliche PTBS stärker zu einem erhöhten PTBS-Risiko bei den Nachkommen beiträgt (Maurel und Kanellopoulos-Langevin, 2008). Eine Erklärung für das mit einer mütterlichen PTBS verbundene erhöhte Risiko können Abweichungen bei der mütterlichen Fürsorge sein. Eine gestörte postnatale mütterliche Bindung mit nachfolgenden
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Defiziten bei der Entwicklung einer angemessenen emotionalen Regulation beim Säugling wurde in Verbindung mit einem erhöhten PTBSRisiko festgestellt (Charuvastra und Cloitre, 2008). Im Tiermodell, bei dem Abweichungen bei der mütterlichen Fürsorge mit der Glucorticoid-Programmierung in Verbindung gebracht wurden, wurde verstärktes Lecken und Putzen der Jungtiere als günstig interpretiert (Bartha et al., 2007). Diese positive Bewertung verstärkten Leckens und Putzens sollte aber der Übertragung dieses wichtigen Tiermodells auf die PTBS beim Menschen nicht im Wege stehen. Die anthropomorphen Feststellungen, dass häufigerer Körperkontakt mit den Jungtieren bei Ratten bessere elterliche Fürsorge bedeutet, wurden häufig durch die Feststellung gestützt, dass bei Jungtieren von stärker leckenden Müttern die Cortisol-Reaktionen auf Störungen und Stressoren niedriger waren als bei Jungtieren von wenig leckenden und putzenden Müttern. Diese Interpretation berücksichtigt jedoch nicht, dass das Anpassen einer Cortisol-Reaktion auf einen Stressor eine adaptive Reaktion ist (Yehuda und McEwen, 2004). Der Hauptgrund, das Phänomen der frühen mütterlichen Fürsorge bei Ratten mit der transgenerationalen Empfindlichkeit in Verbindung zu setzen, besteht darin, dass hier ein Mechanismus geboten wird, durch den Umwelteinflüsse zu fortdauernden Veränderungen in der Expression des Glucocorticoid-Rezeptors führen können. Diese Veränderungen liegen individuellen Unterschieden in den endokrinen Funktionen zugrunde, die stark jenen ähneln, die bei PTBS und erhöhtem PTBS-Risiko beobachtet wurden. Mütterliche PTBS kann zu erhöhtem PTBS-Risiko bei den Nachkommen führen, indem sie biologische Substrate verändert, die beeinflussen, wie die Nachkommen auf eine zukünftige umweltbedingte Herausforderung reagieren werden. Was programmiert wird, könnten einfach der Sollwert der Cortisol-Ausschüttung und eine erhöhte Responsivität der HPA-Achse sein. Außerdem muss das, was bei Tieren als protektives mütterliches Verhalten erscheint, nicht für menschliches Verhalten gelten. Die Nachkommen jener Mütter, die den Holocaust überlebt hatten und unter einer PTBS litten, beschrieben diese als überfürsorglich im Vergleich zu den Müttern, die den Holocaust überlebt, aber keine PTBS hatten; die Cortisol-Spiegel der Nachkommen waren umgekehrt mit mütterlicher Überfürsorglichkeit verbunden (Yehuda und Bierer, 2008). Nachkommen von Holocaust-Überlebenden beklagten häufig, dass sie zwar einerseits eine erhöhte Aufmerksamkeit ihrer Mütter erfahren hatten, dies aber andererseits deren stärkeres Zögern beinhaltete,
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sich freiwillig von den Kindern zu trennen – was zu weniger sicheren Bindungen führte (Yehuda, Blair, Labinsky und Bierer, 2007; Yehuda und Bierer, 2008). Die Nachkommen von Holocaust-Überlebenden berichten daher über Kindheitserfahrungen, die vielleicht vergleichbar sind mit denjenigen von exzessiv geleckten und geputzten Rattenjungen. Aber im Gegensatz zu Nagetieren können sie die subjektiven emotionalen Konsequenzen solchen Verhaltens artikulieren.
Intrauterine epigenetische Mechanismen und ihre Bedeutung für die PTBS Der Befund niedrigerer Cortisol-Spiegel im Speichel der Säuglinge von Müttern, die eine PTBS und niedriges Cortisol entwickelten, weil sie während der Schwangerschaft die Anschläge auf das World Trade Center miterlebten, verglichen mit den Cortisol-Spiegeln bei Säuglingen von Müttern, die das Gleiche erlebt hatten, aber keine PTBS entwickelten (Yehuda et al., 2005), kann ebenfalls auf eine Glucocorticoid-Programmierung zurückzuführen sein (Seckl und Meaney, 2006). Stresserleben im Mutterleib führt zu einer der Entwicklungsphase entsprechenden Programmierung der Gewebestruktur und -funktion, die mit Cortisol und Cortisol-Metabolismus beim Fötus und später erwachsenen Nachkommen assoziiert ist. Wenn man Tiere und Menschen während der Schwangerschaft Glucocorticoiden aussetzt, vor allem im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel, dann führt das zu einem reduzierten Geburtsgewicht (Drake, Walker und Seckl, 2005). Niedriges Geburtsgewicht korreliert mit der nachfolgenden Entwicklung von kardiometabolischen Störungen wie Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen (Kajantie, 2006; Seckl, 1994). Niedriges Geburtsgewicht infolge von mütterlichem Stress wurde auch mit der Entwicklung von Verhaltens- und psychiatrischen Problemen in Verbindung gebracht (Susser et al., 1996). Tatsächlich hatten Säuglinge von Müttern, die die Angriffe vom 11. September 2001 erlebt hatten, für ihr Schwangerschaftsstadium eine geringe Geburtsgröße (Berkowitz et al., 2003). Der beschriebene Effekt für Cortisol im Speichel von Neugeborenen von Müttern mit PTBS kann durch direkte Auswirkungen des traumatischen Erlebens in utero erklärt werden oder durch Faktoren wie zeitliche Nähe von Geburt und Trauma, die möglicherweise das
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mütterliche Verhalten beeinflusst und zu stärkeren Störungen in Bereichen der Bindung oder anderen Aspekten der mütterlichen Fürsorge geführt haben. Auf ähnliche Weise können das mit mütterlicher PTBS bei Holocaust-Überlebenden assoziierte erhöhte PTBS-Risiko und das erhöhte Cortisol mit intrauterinen Veränderungen erklärt werden. Auf jeden Fall können die biologischen Ergebnisse aus diesen beiden unterschiedlichen Stichproben von Nachkommen einen klinischen Beleg dafür liefern, dass die Beteiligung epigenetischer Mechanismen an einer PTBS-Vulnerabilität genauer untersucht werden sollte.
Zur Interaktion von Genetik und Epigenetik Wir wissen nicht, ob epigenetische Veränderungen in bestimmten Genvarianten wahrscheinlicher sind. Epigenetische Veränderungen könnten aber erklären, warum ähnliche »Risiko-Allele« ein gegensätzliches Ausmaß an Genexpression zeigen. Zum Beispiel kodiert das FKBP5Gen ein Protein, das ein Co-Chaperon des Glucocorticoid-Rezeptors ist und seine Responsivität beeinflusst. Der gleiche Polymorphismus dieses Gens wurde mit Depression assoziiert (Binder et al., 2004) und interagiert mit Missbrauchserlebnissen in der Kindheit, so dass das Risiko für PTBS beim traumatisierten Erwachsenen steigt (Binder et al., 2008; Yehuda et al., 2009). Bei Depression wurde jedoch eine erhöhte FKBP5-Genexpression beobachtet, die positiv mit erhöhten CortisolSpiegeln assoziiert war (Binder et al., 2004). Bei der PTBS wurde eine erniedrigte FKBP5-Genexpression in Verbindung mit niedrigen Cortisol-Spiegeln festgestellt (Yehuda et al., 2009). Dass ein Risiko-Polymorphismus zu funktionell unterschiedlichen Konsequenzen führen kann, zeigt, wie wichtig Informationen über molekulare Mechanismen sind, welche die Aktivität spezifischer Gene regulieren. Letztendlich wird es bedeutsam sein herauszufinden, wie Genotyp und epigenetische Veränderungen vieler Gene interagieren. Das wird zweifellos die scheinbar paradoxen Ergebnisse erklären, dass Missbrauch in der Kindheit ein Risikofaktor sowohl für PTBS als auch für Depression ist, aber zu Veränderungen der Glucorticoid-Programmierung in jeweils entgegengesetzte Richtungen führt. Noch verstehen wir nicht alles.
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Schlussfolgerung Der Hauptfortschritt bezüglich der Diagnose PTBS in den 1980er Jahren war die Betonung der Bedeutung von traumatischem Erleben als dem hervorstechenden ätiologischen Faktor bei der Entwicklung von chronischen Symptomen. Es ist wichtig, diesen Fortschritt zu wahren. Das wird auch dadurch bewirkt, dass die potentielle ätiologische Bedeutung jener Mechanismen festgestellt und bestätigt wird, durch die traumatische Erlebnisse die Genexpression verändern können. Epigenetische Veränderungen werden konzeptuell von GxU-Interaktionen unterschieden, welche die Betonung nicht auf das Erlebnis als grundsätzliche Quelle der Variabilität legen. Während die in Frage kommenden Gene wahrscheinlich durch eine Empfindlichkeit gegenüber traumatischen Erlebnissen oder sogar spezifischen Arten von Traumata identifiziert werden können, spielt der Genotyp bei der Empfindlichkeit gegenüber PTBS wohl keine Hauptrolle. Die Anwendung epigenetischer Methoden auf dem Gebiet der PTBS ist deswegen besonders spannend, weil sie den individuellen Unterschieden bei der Reaktion auf ein Trauma Rechnung tragen können, basierend auf Erlebnissen, welche zu dauerhaften Veränderungen der Genfunktion führen. Das bedeutet die Integration der Epigenetik in ein Modell, das frühen Erlebnissen eine zentrale Rolle bei der Untersuchung individueller Unterschiede zubilligt und im Einklang steht mit einer Entwicklungsperspektive der PTBS-Vulnerabilität. Das Verständnis von Mechanismen, die eine Genexpression nach aversiven Erfahrungen herbeiführen, modifizieren und verändern, bei welchen regulierende biologische Substrate bedeutsam für die PTBSPathophysiologie sind, kann künftig zur Feststellung biologischer Subtypen dieser Störung hilfreich sein.
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Susanne Hörz und Mary C. Zanarini
Zehn-Jahresverlauf der Posttraumatischen Belastungsstörung bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und bei Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen
Borderline-Persönlichkeitsstörung Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) handelt es sich um eine häufig auftretende psychiatrische Störung. In sieben sorgfältig durchgeführten epidemiologischen Studien zur Prävalenz von BPS bei Erwachsenen wurden relativ hohe Auftretenshäufigkeiten von BPS, besonders in den USA, gefunden (Coid, Yang, Tyrer, Roberts und Ullrich, 2006; Crawford et al., 2005; Grant et al., 2008; Lenzenweger, Lane, Loranger und Kessler, 2007; Samuels et al., 2002; Swartz, Blazer, George und Winfield, 1990; Torgersen, Kringlen und Cramer, 2001). Die Prävalenzrate der BPS lag in den beiden europäischen Studien bei 0,7 % (Coid et al., 2006; Torgersen et al., 2001), bei den fünf amerikanischen Studien wurden Raten von 0,5 bis 5,9 % (Median = 2,8 %) gefunden (Crawford et al., 2005; Grant et al., 2008; Lenzenweger et al., 2007; Samuels et al., 2002; Swartz et al., 1990). Die Borderline-Persönlichkeitsstörung kann in einem Kontinuum des Schweregrads gesehen werden: Bei manchen Personen mit BPS gehen die Symptome spontan zurück und sie sind nie in Behandlung, manche nehmen nichtintensive ambulante Therapie in Anspruch und werden nie stationär behandelt. Bei anderen ist die Störung stark ausgeprägt und sie nehmen viele Behandlungsformen in Anspruch, u. a. wiederholte stationäre Aufenthalte. Die letzte Gruppe hat für Generationen von Klinikern die BPS definiert. Bis vor kurzem haben sich die meisten Studien auf stationäre Patienten fokussiert. Diese Studie befasst sich mit dieser Gruppe der schwer gestörten Patienten.
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Susanne Hörz und Mary C. Zanarini
McLean Study of Adult Development (MSAD) Vom National Institute for Mental Health (NIMH) wurden zwei umfangreiche prospektive Studien über den Langzeitverlauf der Borderline-Persönlichkeitsstörung gefördert. Eine dieser Studien, die McLean Study of Adult Development (MSAD), begann vor 19 Jahren. Eine zweite Studie, die Collaborative Longitudinal Personality Disorders Study (CLPS), hat nun die Zehn-Jahres-Follow-up-Untersuchung abgeschlossen. Die MSAD-Studie von Zanarini und Kollegen (Zanarini, Frankenburg, Hennen und Silk, 2003) untersuchte eine Stichprobe von 362 Patienten mit Persönlichkeitsstörungen. All diese Frauen und Männer waren ursprünglich in stationärer Behandlung im McLean-Krankenhaus in Belmont, Massachusetts, und wurden über einen Drei-JahresZeitraum aufgenommen (1992–1995). Jeder Patient wurde anfangs einem Screening unterzogen, um sicherzustellen dass er oder sie: 1. zwischen 18 und 35 Jahre alt war; 2. einen bekannten oder geschätzten IQ von 71 oder höher hatte; 3. weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart Symptome einer Schizophrenie, schizoaffektiven Störung oder bipolaren Störung I zeigte oder eine körperliche Erkrankung die psychiatrischen Symptome verursachen konnte; und 4. flüssiges Englisch sprach. Nach einer sorgfältigen diagnostischen Untersuchung anhand von drei halbstrukturierten Interviews mit nachgewiesener Reliabilität ergab sich, dass 290 Patienten sowohl die Kriterien des DIB-R (Zanarini, Gunderson, Frankenburg und Chauncey, 1989) als auch die Kriterien des DSM-III-R der BPS (Zanarini, Frankenburg, Chauncey und Gunderson, 1987) erfüllten. Die restlichen 72 Patienten erfüllten die Kriterien für mindestens eine andere Persönlichkeitsstörung (aber nicht für BPS, weder anhand des DIB-R noch anhand der DSM-III-R- Kriterien). Zum jetzigen Zeitpunkt sind acht verblindete Follow-up-Untersuchungen komplettiert, was die Daten von 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14 und 16 Jahren beinhaltet. Die 18-Jahres-Untersuchung hat im Juli 2010 begonnen und die 20-Jahres-Untersuchung wird im Juli 2012 mit der Datenerhebung beginnen.
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Zehn-Jahresverlauf der Posttraumatischen Belastungsstörung
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Verlauf der BPS innerhalb von zehn Jahren Über zehn Jahre prospektiver Follow-up-Untersuchung ergaben sich die folgenden Ergebnisse. Als Remission wurde definiert, dass die diagnostischen BPS-Kriterien eines der hier eingesetzten Instrumente (DIB-R und DSM-III-R) während mindestens eines Zwei-JahresFollow-up-Zeitraums nicht mehr erfüllt waren. Als Wiederauftreten wurde definiert, dass die BPS-Kriterien in beiden Instrumenten während mindestens eines Zwei-Jahres-Follow-up-Zeitraums erfüllt waren, nachdem die Studienkriterien für eine Remission in einem davorliegenden Follow-up-Zeitraum erfüllt waren. 93 % erfüllten die Kriterien für eine Remission von einer BPS und 29,5 % erfüllten später die Kriterien des Wiederauftretens der BPS (Zanarini, Frankenburg, Reich und Fitzmaurice, 2010). Hinsichtlich vollendeten Suizids zeigte sich, dass sich nur zwölf Patienten mit BPS (4,1 %) ihr Leben nahmen, fünf im ersten Follow-up-Intervall, vier im zweiten, zwei im dritten, keiner im vierten und einer im fünften Intervall. Des Weiteren erfüllte keine Person aus der Vergleichsgruppe der anderen Persönlichkeitsstörungen zu einem Zeitpunkt der Follow-up-Untersuchungen die Kriterien einer BPS. Zusammengefasst deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass der Verlauf der BPS sich stark vom Verlauf der affektiven Störungen unterscheidet. Major Depression und bipolare Störungen remittieren relativ schnell und treten häufig wieder auf. Im Gegensatz dazu braucht die Remission bei der BPS relativ lange, aber das Wiederauftreten ist selten. Dieser Befund einer langsamen graduellen Genesung unterscheidet sich auch von der DSM-Definition, dass es sich bei einer Persönlichkeitsstörung um ein Muster maladaptiven Funktionierens handelt, das stabil und langdauernd ist. Aufgrund dieser Definition sind viele Kliniker und Theoretiker zu der Überzeugung gekommen, dass es sich bei der BPS um eine chronische Erkrankung mit wenig Chancen symptomatischer Besserung handelt. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Borderline-Persönlichkeitsstörung relativ stabil über die Zeit ist, beispielsweise im Vergleich zu den affektiven Erkrankungen, aber dass sie sich über einen längeren Zeitraum verändern kann.
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Susanne Hörz und Mary C. Zanarini
PTBS und BPS Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) tritt häufig mit der BPS komorbid auf. Es gibt einige querschnittliche Studien zur Prävalenz der PTBS in Stichproben von Patienten mit BPS (definiert nach DSM-Kriterien). In diesen Studien zeigte sich, dass die PTBS relativ häufig war, in einer Größenordnung von 25 bis 56 % (Golier et al., 2003; Grant et al., 2008; McGlashan et al., 2000; Mueser et al., 1998; Yen et al., 2002; Zanarini et al., 1998; Zimmerman und Mattia, 1999). Nur zwei längsschnittliche Studien haben den Verlauf einer komorbiden PTBS in Stichproben von Patienten mit BPS untersucht. In der CLPS-Studie remittierte die BPS im Lauf von zwei Jahren prospektiven Follow-ups schneller bei den Patienten, bei denen eine PTBS remittiert war, als bei den Patienten mit nichtremittierter PTBS (Shea et al., 2004). In unserer MSAD-Studie ging die Prävalenz der PTBS im Lauf von sechs Jahren prospektiven Follow-ups signifikant zurück, aber blieb bei Patienten mit BPS signifikant höher als bei Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen (Zanarini, Frankenburg, Hennen, Reich und Silk, 2004).
PTBS bei Patienten mit BPS in der MSAD-Studie Die nachfolgende Studie untersuchte die Prävalenz einer komorbiden PTBS bei Patienten mit BPS und Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen über einen Zeitraum von zehn Jahren. Innerhalb dieser zehn Jahre wurde bei Patienten mit BPS die Zeit bis zur Remission, die Zeit bis zu einem erneuten Auftreten und zu einem erstmaligen Auftreten einer PTBS überprüft (Zanarini et al., 2011). Die demographischen Daten zu Studienbeginn sind andernorts dargestellt worden (Zanarini et al., 2003). Zusammengefasst waren 77,1 % (N = 279) der Studienteilnehmer Frauen und 87 % (N = 315) waren weißer Hautfarbe. Das Durchschnittsalter lag bei 27 Jahren (SD = 6.3), der durchschnittliche sozioökonomische Status lag bei 3.3 (SD = 1.5) (wobei 1 das höchste Niveau und 5 das niedrigste Niveau darstellt) (Hollingshead AB, 1957), und der mittlere Global-Assessment-of-Functioning (GAF)-Wert betrug 39.8 (SD = 7.8). Hinsichtlich der Beibehaltung der Studienteilnehmer über die Zeit konnten 90,4 % (N = 309) der überlebenden Patienten bei allen fünf Folgeuntersuchungen interviewt werden. Genauer gesagt, wurden
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Zehn-Jahresverlauf der Posttraumatischen Belastungsstörung
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91,9 % der überlebenden Patienten mit BPS (249/271) und 84,5 % der überlebenden Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen (60/71) sechsmal untersucht (Baseline und fünf Follow-up-Zeitpunkte). Drei halbstrukturierte diagnostische Interviews wurden durchgeführt. Bei diesen diagnostischen Interviews handelt es sich um: 1. das »Strukturierte Klinische Interview für DSM-III-R-Achse-I-Störungen« (SKID-I, Spitzer, Williams, Gibbon und First, 1992), 2. das »Revised Diagnostic Interview for Borderlines« (DIB-R, Zanarini et al., 1989) und 3. das »Diagnostic Interview for DSM-III-R Personality Disorders« (DIPD-R, Zanarini et al., 1987). Die Interrater- und Test-Retest-Reliabilität dieser drei Instrumente wurde als gut bis exzellent befunden (Zanarini und Frankenburg, 2001; Zanarini, Frankenburg und Vujanovic, 2002). Bei jeder der fünf Follow-up-Untersuchungen im Abstand von 24 Monaten wurden Achse-I- und Achse-II-Störungen anhand der genannten Interviews erneut von klinisch erfahrenen Interviewern (Master- oder Bachelor-Absolventen) untersucht, die verblindet gegenüber den Baseline-Diagnosen waren. Nachdem ein Informed Consent eingeholt worden war, wurde die Diagnostik erneut durchgeführt (wobei das SCID-I nun auf die letzten zwei Jahre fokussierte und nicht wie zum Studienbeginn auf die Lebenszeit-Achse-I-Störungen). Die Follow-up-Interrater-Reliabiliät (innerhalb einer Generation der Follow-up-Rater) und Follow-up-Längsschnitt-Reliabilität (von einer Ratergeneration zur nächsten) dieser drei Instrumente waren ebenfalls gut bis exzellent (Zanarini und Frankenburg, 2001; Zanarini, Frankenburg und Vujanovic, 2002). Rater (zwischen Bachelor- und Doktoranden-Level), die verblindet gegenüber den Diagnosen waren, führten zu Studienbeginn zwei Instrumente zur Erfahrung von Widrigkeiten durch: Eines untersuchte Erfahrungen im Kindesalter (vor dem 18. Lebensjahr) – der Revised Childhood Experiences Questionnaire (CEQ-R, Zanarini et al., 1997) – und eines untersuchte erfahrene Widrigkeiten im Erwachsenenalter sowie den Schweregrad von sexuellem Missbrauch im Kindesalter – das Abuse History Interview (AHI, Zanarini, Frankenburg, Reich und Fitzmaurice, 1999; Zanarini et al., 2002). Für beide Interviews wurden gute Interrater- und Test-Retest-Reliabilität gefunden (Zanarini et al., 1997; Zanarini et al., 1999; Zanarini et al., 2002).
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Prävalenz der PTBS bei Patienten mit BPS und Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen im Zehn-JahresVerlauf Als Erstes wurde die Prävalenz der PTBS über zehn Jahre prospektiven Follow-ups bei Patienten mit BPS (Baseline: N = 290) und Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen (Baseline: N = 72) untersucht. Zur statistischen längsschnittlichen Auswertung der Prävalenz wurden Generalized Estimating Equations (GEE), mit Diagnose und Zeit als Haupteffekt, eingesetzt. Interaktionen zwischen Diagnose und Zeit wurden berechnet. Diese Analysen modellierten die Log-Prävalenz und ergaben eine adjustierte Relative Risk Ratio (RRR) und ein 95 % Konfidenzintervall für Diagnose und Zeit. Als Kovariate wurde Geschlecht eingesetzt, da Patienten mit BPS signifikant häufiger weiblich waren als die Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen. Als Ergebnis zeigte sich, dass 58,3 % (N = 169) der Patienten mit BPS und 25,0 % (N = 18) der Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen zu Studienbeginn die Kriterien einer PTBS erfüllten. Zum Zeitpunkt des Zehn-Jahres-Follow-ups waren die Anteile auf 20,9 % (N = 52) und 3,3 % (N = 2) in den beiden Gruppen gesunken. Die RRR-Auswertung ergab, dass Patienten mit BPS eine 2.14-mal höhere Wahrscheinlichkeit als die Patienten der Vergleichsgruppe aufwiesen, zu Studienbeginn eine solche Vorgeschichte zu haben. Die RRR-Auswertung über die Zeit offenbarte, dass die relative Veränderung von Studienbeginn bis zum Zehn-Jahres-Follow-up einen Abfall von ca. 88 % (oder [1–0.12] x 100 %) der Prävalenz der PTBS bei den Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen betrug. Im Gegensatz bedeutet eine signifikante Interaktion zwischen Diagnose und Zeit von 3.22, dass die relative Abnahme der PTBS von Studienbeginn bis zum Zehn-JahresFollow-up ungefähr 61 % (oder [1–0.12 x 3.22] x 100 %) für Patienten mit BPS betrug. Das heißt, die Prävalenz einer PTBS nimmt für Patienten mit BPS deutlich weniger steil ab als für Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen.
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Remission, erneutes Auftreten und erstmaliges Auftreten der PTBS bei Patienten mit BPS und Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen im Zehn-Jahres-Verlauf Es wurden auch die Remission, das erneute und erstmalige Auftreten der PTBS über einen Zeitraum von zehn Jahren bei Patienten mit BPS und Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen untersucht. Für diese Auswertung wurde als Remission jeder Zwei-Jahres-Zeitraum (jeglicher Follow-up-Zeitspanne), in dem die Kriterien einer PTBS nicht mehr erfüllt waren, definiert. Als erneutes oder erstmaliges Auftreten galt jede einmonatige Zeitspanne, in der die Kriterien einer PTBS erfüllt waren, nachdem entweder eine zweijährige Remission vorgelegen hatte oder zum ersten Mal auftrat. Als statistische Methode wurde die Überlebensanalyse nach Kaplan-Meier eingesetzt, um die Zeit zur Remission, Zeit zum erneuten Auftreten und Zeit zum erstmaligen Auftreten der PTBS auszuwerten.
Attributionen, Remission, erneutes und erstmaliges Auftreten der PTBS bei Patienten mit BPS Von den 163 Patienten mit BPS, die zu Studienbeginn eine PTBS aufwiesen, attribuierten 83,4 % (N = 136) ihre PTBS mit einer Vorgeschichte von sexuellem Missbrauch in der Kindheit, 46 % (N = 75) attribuierten ihre PTBS mit einem sexuellen Übergriff im Erwachsenenalter und 36,8 % (N = 60) attribuierten es mit beidem. Weitere zwölf Patienten, ohne sexuelles Trauma in der Vorgeschichte, attribuierten ihre PTBS mit einer Reihe anderer Gründe, z. B. damit, dass sie miterlebten, wie ein Elternteil ermordet wurde. Zum Zeitpunkt des Zehn-Jahres-Follow-up kam es bei 87 % der Patienten mit BPS, die zu Studienbeginn eine PTBS aufwiesen, zu einer Remission (N = 123). Bei 40 % der Patienten mit BPS, die eine Remission von einer PTBS hatten, trat die Diagnose erneut auf (N = 30). Bei 27 % der Patienten mit BPS, die zu Studienbeginn keine PTBS aufwiesen (N = 127), trat die Diagnose später erstmalig auf (N = 30). Es wurde auch untersucht, womit Patienten mit BPS dieses erstmalige Auftreten der PTBS in Verbindung brachten. Von diesen 30 BPS-Patienten mit erstmaligem Auftreten beschrieben 20 (66,7 %) ein verzögertes Auftreten der PTBS, das sie in Verbindung brachten entweder mit körperlichem/sexuellem Missbrauch in der Kindheit
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(16/20 = 80,0 %) und /oder einem körperlichen Angriff/einer Vergewaltigung im Erwachsenenalter (5/20 = 25.0 %), welche sie immer erinnert hatten und auch zu Studienbeginn berichtet hatten (Zanarini et al., 1997; 1999). Von den restlichen zehn Patienten verbanden neun das Auftreten einer PTBS mit einem traumatischen Ereignis, das innerhalb des Follow-up-Zeitraums stattfand. Genauer gesagt, berichteten sechs Patienten mit BPS eine Vergewaltigung, eine/r berichtete, von einem Liebespartner körperlich misshandelt worden zu sein, eine/r berichtete, bei der Arbeit körperlich angegriffen worden zu sein, eine/r berichtete, extreme körperliche Gewalt miterlebt zu haben. Nur ein Patient mit BPS verband das erstmalige Auftreten einer PTBS mit wiedergewonnenen Erinnerungen an einen sexuellen Missbrauch im Kindesalter.
Remission, erneutes und erstmaliges Auftreten (Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen) Nur 15 der Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen erfüllten zu Studienbeginn die Kriterien einer PTBS. Bei allen 15 kam es zu einer Remission und bei sechs von diesen 15 kam es zu einem erneuten Auftreten der PTBS. Hinsichtlich eines erstmaligen Auftretens ergab sich, dass nur bei fünf der Patienten von den 57, die zu Studienbeginn nicht die Kriterien erfüllten, eine PTBS erstmalig im Verlauf der Jahre der Folgeuntersuchungen auftrat.
Der Zusammenhang zwischen sexuellen Widrigkeiten und der Wahrscheinlichkeit einer Remission und eines erneuten Auftretens einer PTBS Bei der Untersuchung von Prädiktoren für die Zeit bis zur Remission einer PTBS bei den BPS-Patienten zeigte sich, dass sowohl sexueller Missbrauch in der Kindheit als auch die Schwere dieses Missbrauchs signifikante Prädiktoren waren. Im Vergleich mit Patienten ohne eine Vorgeschichte von sexuellem Missbrauch in der Kindheit war für Patienten mit einer solchen Vorgeschichte eine Remission von der PTBS nur halb so wahrscheinlich (HR = 0.53, 95 % CI = 0.30–0.93, z = –2.20, and p = 0.028). Im Vergleich waren weder die Vorgeschichte einer Vergewaltigung im Erwachsenenalter (HR = 0.69, 95 % CI =
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0.46–1.05, z = –1.71, p = 0.086) noch die Kombination eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und einer Vergewaltigung im Erwachsenenalter (HR = 0.68, 05 % CI = 0.44–1.05, z = –1.74, p = 0.082) statistisch erkennbare Prädiktoren für die Zeit bis zur Remission bei den Patienten mit BPS. Bei der Untersuchung der Baseline-Prädiktoren für die Zeit bis zum erneuten Auftreten einer PTBS bei den BPS-Patienten waren weder ein sexueller Missbrauch in der Kindheit (HR = 1.74, 95 % CI = 0.56–5.38, z = 0.96, p = 0.338) noch die Schwere dieses Missbrauchs (HR = 1.18, 95 % CI = 0.85–1.63, z = 1.00, p = 0.319) signifikante Prädiktoren der Wahrscheinlichkeit eines erneuten Auftretens. Allerdings waren die Vorgeschichte einer Vergewaltigung im Erwachsenenalter, festgehalten zu Studienbeginn, und die Kombination eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und einer Vergewaltigung im Erwachsenenalter beides signifikante Prädiktoren eines erneuten Auftretens. Genauer gesagt, verdoppelte sowohl eine Vergewaltigung im Erwachsenenalter (HR = 2.53, 95 % CI = 1.13–5.67, z = 2.25, p = 0.025) als auch die Kombination eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und einer Vergewaltigung im Erwachsenenalter (HR = 2.47, 95 % CI = 1.10–5.52, z = 2.19, p = 0.028) die Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens der PTBS. Hinsichtlich sexueller Widrigkeiten, die im Verlauf der Follow-upUntersuchungen auftraten, stellte sich heraus, dass diejenigen Patienten mit BPS, die im Verlauf der zehn Jahre einen sexuellen Übergriff erfuhren, fast elfmal (HR = 10.9, 95 % CI = 3.3–36.7, z = 3.87, p