Wortstellung und Informationsstruktur 9783111658469, 9783484303065

Over the past few decades, the book series Linguistische Arbeiten [Linguistic Studies], comprising over 500 volumes, has

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German Pages 363 [364] Year 1993

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Table of contents :
Vorwort
Fokus-Hintergrund-Gliederung und Satzmodus
Zu Satzspaltung (Cleft) und Langer Extraktion in germanischen Sprachen
Integration
Zu Syntax und Semantik deutscher Personalpronomina
Zur Pragmatik und Grammatik des TOPIK- Begriffes
Satzfügung und kommunikative Gewich tung. Zur Grammatik und Pragmatik von Neben- vs. Unterordnung am Beispiel 'implikativer' und-Konstruktionen im Deutschen
Wahlfreiheit mit Konsequenzen Scrambling, Topikalisierung und FHG im Dienste der Informationsstrukturierung
Das Mittelfeld im Gespräch
Anschriften der Autoren
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Wortstellung und Informationsstruktur
 9783111658469, 9783484303065

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Linguistische Arbeiten

306

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Wortstellung und Informations Struktur Herausgegeben von Marga Reis

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1993

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wortstellung und Informationsstruktur / hrsg. von Marga Reis. - Tübingen: Niemeyer, 1993 (Linguistische Arbeiten ; 306) NE: Reis, Marga [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-30306-9

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1993 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren

Inhaltsverzeichnis

vn

Vorwort Hans Altmann

Fokus-Hintergrund-Gliederung und Satzmodus

l

Sven-Gunnar Andersson

Zu Satzspaltung (Cleft) und Langer Extraktion in germanischen Sprachen

39

Joachim Jacobs

Integration

63

Jürgen Lenerz

Zu Syntax und Semantik deutscher Personalpronomina

117

Valeria Molnär

Zur Pragmatik und Grammatik des TOPIKBegriffes

155

Marga Reis

Satzfügung und kommunikative Gewichtung. Zur Grammatik und Pragmatik von Neben- vs. Unterordnung am Beispiel 'implikativer' wnd-Konstruktionen im Deutschen

203

Inger Rosengren

Wahlfreiheit mit Konsequenzen Scrambling, Topikalisierung und FHG im Dienste der Informationsstrukturierung

251

Susanne Uhmann

Das Mittelfeld im Gespräch

313

Anschriften der Autoren

355

Vorwort

In diesem Band werden wesentliche Aspekte des Verhältnisses von grammatischer, insbesondere linearer Struktur und Informationsgliederung ausführlich behandelt und teilweise neue Wege zur Erfassung der relevanten grammatischen und pragmatischen Phänomene vorgeschlagen. Allen Beiträgen gemeinsam ist eine im Prinzip modulare Sichtweise des Grammatik:Pragmatik-Verhältnisses und die damit eng verbundene Auffassung, daß das pragmatische Potential von Sätzen aus deren grammatischer Struktur herzuleiten ist. Ihrer grammatiktheoretischen Ausrichtung nach sind die Beiträge teilweise unterschiedlich: Die Mehrheit ist Modellen verpflichtet, die geschichtete (und damit abstraktere) Repräsentationen voraussetzen, insbesondere der Rektions-Bindungs-Theorie; aber auch die strikt oberflächenstrukturell orientierte Position ist vertreten. Es versteht sich von selbst, daß so unterschiedliche Orientierung auch zu einem Dissens über die Güte der unterschiedlichen Erklärungsalternativen führen kann; das schlägt sich an einigen Stellen deutlich nieder. Titel und Thematik des Sammelbands gehen zurück auf das Projekt "Wortstellung und Informationsstruktur", an dem alle Beiträger im Rahmen des von I. Rosengren geleiteten Forschungsprogramms "Sprache und Pragmatik" (1987-1992) mitgearbeitet haben. Die meisten Beiträge haben in der einen oder anderen Vorform von den engagierten und konstruktiven Diskussionen bei unseren regelmäßigen Projekttreffen profitiert. Allen Teilnehmern an diesen Diskussionen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken, auch und insbesondere den Projektmitgliedern, die in diesem Band nicht mit einem eigenen Beitrag vertreten sind: Hans Bernhard Drubig, Jorunn Hetland und Tilman N. Höhle. Herzlich danken möchte ich auch Inger Rosengren, die das Forschungsprogramm nicht nur initiiert und geleitet, sondern auch konstruktiv zur Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Projekten beigetragen hat Bei der Herausgabe dieses Bandes bin ich tatkräftig unterstützt worden: Olaf Önnerfors hat seine reiche redaktionelle Erfahrung zur Verfügung gestellt; Dirk Le Ciaire hat die Bibliographien betreut; beide haben darüber hinaus, ebenso wie Franz d'Avis, in den hektischen Tagen der Schlußredaktion wertvolle Hilfe geleistet. Dafür danke ich ihnen herzlich. Besonders herzlich danke ich jedoch dem Trio, das die Hauptverantwortung für die technische Endredaktion der Beiträge, sowie die Erstellung der Druckvorlage übernommen und mit unermüdlicher Sorgfalt und Kompetenz bewältigt hat: Reimar Müller, Christi Tschernitschek und Angelika Wittek, sine quibus non.

Tübingen, im Juni 1993 Marga Reis

Fokus-Hintergrund-Gliederung und Satzmodus Hans Altmann, München Ausgehend von einem FHG-Konzept, das als Funktion des Fokus den Alternativenausschluß fixiert, werden in einem ersten Schritt die formalen Eigenschaften geprüft, die beim meist ausschließlich untersuchten Verb-Zweit-Aussagesatz zum Ausdruck der FHG dienen, ebenso die vorgeschlagenen Testverfahren zur Fixierung der FHG. Im zweiten Kapitel wird die Übertragbarkeit des FHG-Konzeptes auf andere Satztypen im Satzmodussystem geprüft, z.B. durch Anpassung des Fragetests, durch Überprüfung der auftretenden formalen Merkmale, durch analogische Übertragung des FHG-Konzepts. Es zeigt sich, daß das vorgestellte FHG-Konzept ohne große Probleme auf die Satztypen im Aussage-, Frage- und Imperativmodus übertragen werden kann. Hingegen ist die Übertragung auf Wunsch- und Exclamativsätze äußerst problematisch. Es gibt deutliche Hinweise, daß diese Satztypen keine FHG-Gliederung aufweisen, doch sind zur Klärung noch eingehende Forschungen nötig.

0. 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.4.1. l .4.2. 1.4.3. 1.4.4. 2. 2.0. 2. l. 2.1.1. 2. l .2. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.2.6. 2.2.7. 2.3. 2.3. l. 2.3.2. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.5. 2.5. l. 2.5.2. 2.5.3. 3.

Thematik Grundlagen Fokus-Hintergrund-Gliederung (FHG) Topic-Comment-Struktur (TCS) Frage-Antwort-Test Formmittel zum Ausdruck der Fokus-Hintergrund-Struktur Akzent und FHG Fokus und Topologie Fokus und kategoriale Füllung Fokus und Kasusrollenverteilung Die Variation der Fokus-Hintergrund-Struktur relativ zum Satzmodussystem Satzmodussystem Aussagemodus Verb-Zweit-Aussagesatz Verb-Erst-Aussagesatz Fragemodus Verb-Erst-Fragesatz (Entscheidungsfragesatz) ofc-Verb-Letzt-Fragesatz Alternativfragesatz Assertive Frage w-Verb-Zweit-Fragesatz w-Versicherungsfragesatz w-Verb-Letzt-Fragesatz Imperativmodus Verb-Erst-/Verb-Zweit-Imperativsatz daß- (und ob-)Verb-Letzt-Imperativsatz Wunschmodus Verb-Erst-Wunschsatz daß- und wenn-Verb-Letzt-Wunschsätze Exclamativmodus Verb-Erst-/Verb-Zweit-Exclamativsätze dfljS-Verb-Letzt-Exclamativsatz w-Verb-ZweitWerb-Letzt-Exclamativsatz Zusammenfassung Literatur

2

0.

Thematik

Die Literatur zur Informationsstruktur (Thema-Rhema-Struktur, Fokus-Hintergrund-Gliederung usw.) von Sätzen ist so umfangreich, daß man eigentlich annehmen könnte, daß die Grundlagen zufriedenstellend geklärt und die thematischen Verknüpfungen mit benachbarten Problemfeldern wie der Satzmodusthematik weitgehend behandelt sind. Keine der beiden Annahmen ist aber zutreffend. So bezieht sich der weitaus größte Teil der einschlägigen Literatur auf die Unterscheidung von "bekannter" und "neuer" Information oder von ko(n)textuell (nicht)präsenten Referenten, obwohl in der Literatur (z.B. von Lötscher 1983:73ff., Jacobs 1988:97) anhand von überzeugenden Beispielen nachgewiesen wird, daß - in jedem Verständnis von "alt" und "neu", "bekannt" und "unbekannt" - diese Zuordnung zu Hintergrund und Fokus unzutreffend ist. Nach meiner Überzeugung bringt erst der Ansatz von Jacobs (1988) mit der Verallgemeinerung der Fokussierungsphänomene in der relationalen Fokusauffassung und der ziemlich abstrakten Beschränkung der Fokussierungswirkung auf Alternativenausschluß -

eine saubere Trennung von der Referenzproblematik, eine hinreichende Verallgemeinerung des FHG-Konzepts und damit eine Möglichkeit zur satzmodusunabhängigen Formulierung des Konzepts.

Gerade letzteres ist dringend erforderlich, da sich der größte Teil der einschlägigen Literatur mit der Untersuchung der Informationsstruktur in (Verb-Zweit-)Aussagesätzen befaßt, in vielen Fällen wohl, ohne sich dieser Beschränkung auch nur bewußt zu sein. So ging auch in zentrale Formulierungen wie "Mitteilungsschwerpunkt", "Aussagekern" usw. die Semantik des genannten Satztyps mit ein. Von einigen Autoren wurde dieser Mangel durchaus gesehen, so z.B. von Lötscher (1983), bei dem zwar auch der Verb-Zweit-Aussagesatz den weitaus größten Teil der Untersuchung bestimmt, doch immmerhin behandelt er auch Fragesätze, und zwar den Verb-Erst-(Entscheidungs-)Fragesatz (S. 246-251), die disjunktiven Fragesätze, worin er - in meiner Terminologie - Alternativfragesätze und Fragereihen zusammenfaßt (S. 252-256), die Ergänzungsfragesätze (w-Verb-Zweit-Fragesätze in meiner Terminologie) (S. 256-259), und in einem kurzen Abschnitt (S. 261-263) behandelt er auch Befehlssätze (Verb-Erst-Imperativsätze in meiner Terminologie). Wirklich angegangen wird die Problematik aber erst durch Jacobs (1988), der seine Erfahrungen aus der Untersuchung der gebundenen Fokussierung bei Negation und Gradpartikeln auf die Erscheinungen der freien Fokussierung (des Satzfokus) überträgt und die Problematik analog löst, indem er den Satzfokus als Fokus des Satzmodusoperators interpretiert. An dieser Lösung stört natürlich, daß dieser Satzmodusoperator (ein Element der Beschreibungssprache) keine lexikalische Entsprechung hat, jedenfalls nicht im Deutschen, wo der Satzmodus, genauer der Satztyp im Satzmodussystem, durch ein Bündel von grammatischen Merkmalen angezeigt wird (vgl. dazu Altmann 1987 et passim). Explizit genannt werden von Jacobs (1988) Aussagesätze, Fragesätze und Imperativsätze, gelegentlich werden auch die Verb-Erst-Wunschsätze erwähnt. - Eine gewisse Ausnahme bilden auch jüngere Untersuchungen zu Fragesätzen; so

etwa untersucht Rosengren (1991:192-199) explizit die FHG im w-Verb-Zweit-Fragesatz, Reis (1992:234f.) erforscht die Rolle der Fokussierung in Echo-w-Fragen (unter anderem auch in w-Verb-Zweit-Versicherungsfragen), und zwar beide in einer Weise, die nahtlos in das Konzept von Jacobs (1988) paßt, ohne allerdings eine Verallgemeinerung des FHG-Konzepts zu betreiben. Die in der Forschungstradition umstrittenen Satzmodi Wunschsatz und Exclamativsatz werden, abgesehen von m.E. unbefriedigenden Stellungnahmen in Rosengren (1992b, 1993a), ebenso ignoriert wie die Randtypen bei Aussage-, Frage- und Imperativmodus. Eine Ausnahme bildet hier nur die eingehende Untersuchung der Wunschsatztypen bei Scholz (1991), die in Abschn. 3.5. S. 160-208 auch die intonatorischen Eigenschaften und die möglichen Fokusakzente dieser Satztypen untersucht. Bei dieser Forschungslage müssen die Ansprüche an eine Untersuchung wie die vorliegende beschränkt sein: sie kann auf die Problematik aufmerksam machen, das Problem der Übertragung des Fokuskonzepts auf Satztypen außerhalb des Verb-Zweit-Aussagesatzes verdeutlichen, sie kann das dazu Vorhandene erschließen und zusammenfassen. Schon die Erfüllung dieser drei Punkte wird zeigen, daß es eine erstaunliche Zahl von Konstellationen gibt, von denen jede einzelne eine selbständige Untersuchung verdient hätte. Es wird sich weiter zeigen, daß in vielen Fällen das bislang vorliegende Untersuchungsmaterial bei weitem nicht für eine befriedigende Beschreibung ausreicht.

1.

Grundlagen

Vor der Behandlung der eigentlichen Thematik sind einige Bemerkungen zu den grundlegenden Konzepten der FHG notwendig. Wenn es allerdings, wie eingangs bemerkt, stimmt, daß die Satzmodusthematik bislang nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt worden ist, dann kann eine zufriedenstellende Klärung erst nach eingehender Sichtung der Satzmodusproblematik erwartet werden. In dieser Untersuchung wird von mir "Satzmodus" als eigenständige Thematik bewußt ausgeklammert. Ich setze vielmehr meine Darstellungen (Altmann 1984; 1987; 1988b) bzw. die Übersicht über den Forschungsstand in Altmann (1990), ergänzt um die seither erschienenen Titel, voraus. 1.1. Fokus-Hintergrund-Gliederung (FHG) Wie schon einleitend bemerkt, stütze ich mich hinsichtlich der FHG auf die Festlegungen, wie sie Jacobs (1988) getroffen hat, also auf die relationale Fokusauffassung, bei der der Satzfokus als der Fokus des Satzmodusoperators verstanden wird, der Hintergrund als die restlichen Ausdrücke (genauer: deren Bedeutung). Über die Ausdrucksmittel, die die FHG indizieren, nämlich kategoriale Struktur, bestimmte Aspekte der topologischen Struktur sowie der intonatorischen, v.a. der akzentuellen Struktur, und über mögliche operationale Festlegungen des Fokus, z.B. durch den Fragetest, wird in den folgenden Abschnitten noch zu verhandeln sein.

Sollte es Satztypen im Satzmodussystem geben, die keinen Fokus aufweisen (bzw. keine FHG), so müßte angenommen werden, daß bestimmte Satzmodusoperatoren nicht fokussieren (bzw. daß deren Eigenschaften so zu fixieren seien), ein nicht unwesentliches Problem. In den übrigen Fällen kann man sich vorläufig auf "Altemativenausschluß" als Semantik des Fokus festlegen, also nicht auf "neu", "unbekannt", "nicht vorerwähnt" etc. Denkbar sind dann folgende Konstellationen: a) b)

c)

d)

Ein Satz weist keinen Fokus, sondern nur Hintergrundsausdriicke auf (vgl. v. Stechow 1981). Bislang hat es dafür keine plausiblen Belege gegeben. Ein Satz weist nur Fokusausdrücke auf, keine Hintergrundsausdriicke. Es handelt sich meist um Textanfangssätze ("all new"-Sätze). Diese Möglichkeit ist, soweit ich sehe, unkontrovers. Ein Satz weist einen mehr oder minder großen Fokusausdruck auf, der nicht den ganzen Satz umfaßt. In diesem wie im vorausgehenden Fall kann, unter bestimmten Bedingungen, Fokusambiguität auftreten, also der Fall, daß bei unveränderter Satzgliedfolge und Akzentposition unterschiedliche Grenzen des Fokus (und damit unterschiedliche Kontexteinbettungen) möglich sind. Dabei bilden die möglichen Fokusausdrücke einen zusammenhängenden Komplex, der nicht durch Hintergrundsausdriicke unterbrochen wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie klein die kleinsten möglichen Foki sein können, und, damit zusammenhängend, ob es unterschiedliche Fokussorten (z.B. Kontrastfokus) mit unterschiedlichen Untergrenzen gibt (z.B. daß Normalfoki die Wortgrenze nicht unterschreiten dürfen, während Kontrastfoki auch diese Grenze noch unterschreiten dürfen). Ein Satz weist mehrere, räumlich voneinander getrennte Fokusausdrücke auf, zwischen denen Hintergrundsausdriicke plaziert sind. Soweit ich sehe, betrifft das nur zwei Fälle, nämlich den Fall diskontinuierlicher Fokuskonstituenten, wie etwa Partikelverben bei Verb-Erst- und Verb-Zweit-Stellung, die unproblematisch erscheinen, und die von J. Jacobs in mehreren Veröffentlichungen propagierten Fälle, bei denen entweder mehrere Gradpartikeln mit getrennten Foki auftreten oder aber gebundene Foki unterschiedlicher Art kombiniert mit einem Satzfokus. Alle diese Konstellationen möchte ich nicht grundsätzlich ausschließen; doch ist anzumerken, daß derart komplexe Fokusstrukturen semantisch sehr schnell an die Grenze der Akzeptabilität gelangen.

Die hier erwähnten Konstellationen würden, jede für sich, detaillierte Untersuchungen verdienen; sie werden hier aber nicht aus eigenem Recht erwähnt, sondern im Hinblick auf den Vergleich zwischen verschiedenen Satzmodi und Satztypen. In denjenigen Fällen nämlich, in denen eine direkte Übertragung der operationalen Festlegungen z.B. nicht möglich ist, muß geprüft werden, ob die von den "Normalfällen" (wie Aussagesatz) her bekannten Konstellationen auf diese Fälle übertragbar sind. Dabei können durchaus satzmodustypische Varianten und Einschränkungen auftreten, ohne daß das Gesamtkonzept gefährdet wäre. - Bei den bisherigen Festlegungen habe ich immer von Sätzen gesprochen. Dies ist aber eine unzulässige Vereinfachung, denn eine FHG weisen selbstverständlich nicht nur satzförmige Strukturen

auf, sondern auch satzwertige Strukturen ohne Satzform, z.B. Ellipsen, die meistens total fokal sind, oder die sogenannten infiniten Hauptsatzstrukturen (vgl. Fries 1983), die ebenfalls überwiegend total fokal sind. - Ferner muß hier noch daran erinnert werden, daß es möglicherweise Wörter in bestimmten Funktionen gibt, die nicht der FHG unterliegen, obwohl sie eventuell mit der FHG interagieren, z.B. fokusbindend sind, wie etwa Gradpartikeln und bestimmte Verwendungsweisen von Satzadverbialen und Negationslexemen, oder die in ihrem Positionsverhalten auf die FHG reagieren, wie es vermutlich die Modalpartikeln tun. 1.2. Topic-Comment-Struktur (TCS)1 Häufig wird die FHG über die Funktion der Einbindung eines Satzes in einen Kontext festgelegt, z.B. gerade über die Eigenschaft der Vorerwähntheit von Hintergrundsmaterial. Wenn man dagegen nur den Alternativenausschluß, basierend auf dem Fragetest, als Funktion annimmt, dann zeigt sich schnell, daß diese Art von Kontexteinbettung zwar eine Rolle für die FHG spielt (und zwar insofern, als vorerwähnte oder sonstwie in der Situation leicht erreichbare Referenten leichter als Hintergrundsausdrücke verwendet werden können - doch sagt diese Eigenschaft nichts über mögliche fokale Verwendung aus), aber nicht zentral ist. Die Kontexteinbettung wird vielmehr über mehrere, untereinander verknüpfte Systeme geleistet, z.B. über die Topic-Comment-Struktur; die Strukturebene hat allerdings den Nachteil, daß ihre Eigenschaften noch weniger unkontrovers sind als die der FHG. Immerhin kann man anhand von total fokalen Sätzen zeigen, daß die Anordnung der Satzglieder in ihnen keineswegs beliebig im Rahmen des grammatisch Möglichen variieren kann, sondern daß bestimmte Anschlußbeziehungen zum Vorgänger- und Folgesatz beachtet werden müssen; darauf hat m.W. als erste Renate Pasch (1983) aufmerksam gemacht. Einigermaßen klar und hinreichend diskutiert sind auch die Fälle von thetischen und kategorischen Aussagen (vgl. Sasse 1987; Jacobs 1992a; Drubig 1992). Die TCS muß hier deswegen erwähnt werden, weil sie im Deutschen wiederum nicht über bestimmte Lexeme indiziert wird, sondern, wie die FHG, über Wort- und Satzgliedstellung sowie über Akzente. Dabei kann man, vorläufig jedenfalls, festhalten, daß das Topic üblicherweise satzinitial angeordnet ist; dabei ist allerdings zu beachten, daß es auch satzinitiale enge Foki, nämlich im Vorfeld von VerbZweit-Sätzen, gibt, oft auch als "emphatische Foki" (Höhle 1983) bezeichnet. Der Versuch von J. Jacobs (1984), entsprechende Topic-Akzente ebenfalls als Fokusakzente des Fokusoperators FRAME zu erklären, ist von diesem in Jacobs (1988:115f.) selbst widerrufen worden. Es bleibt das Problem, Sätze mit mehreren Hauptakzenten in plausibler Weise zu analysieren. - Bei der Lösung der TCS-Problematik muß man seine Hoffnungen auf die Untersuchung von Sprachen richten, bei denen die TCS eindeutiger als im Deutschen (z.B. lexikalisch) indiziert wird (vgl. dazu Primus 1992:16).

1

Die Arbeiten von V. Mplnär (1991 und in diesem Band) konnte ich bei der Behandlung dieser Thematik leider nicht mehr berücksichtigen.

1.3. Frage-Antwort-Test Als Operationale Fesüegung der FHG wird üblicherweise der Frage-Antwort-Test (auch "Test der natürlichen Antwort" etc.) verwendet. Dabei wird festgestellt, daß bei einem Paar aus einem w-Verb-Zweit-Fragesatz (der keine Echo-Merkmale etc. aufweist) und der natürlichen Antwort darauf in Form eines Verb-Zweit-Aussagesatzes der dem Frageausdruck entsprechende Antwortausdruck im Aussagesatz den Fokus dieses Satzes darstellt, das übrige Material (das oft der Ellipse unterliegt) dagegen Hintergrundsausdruck ist. Dabei wird ein dialogischer Wechsel zwischen Frage und Antwort unterstellt. Soweit ich sehe, wird in den seltensten Fällen in der Literatur die Frage gestellt, warum gerade der Fragetest für die Operationalisierung der FHG geeignet ist. Mit der Festlegung "Altemativenausschluß" läßt sich das aber verdeutlichen: der w-Fragesatz präsupponiert (oder implikatiert konversationell), daß es jmdn. gibt, der die Tür zugesperrt hat: (I)

A: Wer hat die TÜR zugesperrt?

Der Fragefokus (eine etwas unglückliche Äquivokation) richtet sich auf den Ausdruck, der die offene Satzformel schließt und dadurch einen wahren Ausdruck erzeugt, also auf den Ausschluß aller Ausdrücke, die hier kategorial und semantisch möglich wären, aber einen falschen Satz ergeben würden. - Dabei ist zu beachten, daß auch der w-Verb-Zweit-Fragesatz eine FHG hat. Bei der Analyse dieser FHG wird nicht selten die Assertions-PräsuppositionsStruktur mit der FHG verwechselt (z.B. bei v. Stechow 1989; zutreffend hingegen bei Reis 1977 und Rosengren 1991, Kap. 4-6, S. 192-199). In Beispiel (1) könnte aufgrund der Akzentposition allein die Tür Fokus sein, oder hat die Tür zugesperrt oder der gesamte Satz. Vor allem letzteres erscheint zunächst unplausibel. Fokale Fragepronomina können vielleicht durch eine Sequenzverlängerung verdeutlicht werden: (I I )

B: Irgendjemand hat die TÜR zugesperrt. A: (Und) WER hat die Tür zugesperrt?

Hier muß aufgrund des Vorgängersatzes nur noch in der Subjektposition ein Altemativenausschluß stattfinden; das Fragepronomen bildet daher den engen Fokus und erhält den Fokusakzent. In der Literatur ist mehrfach auf die Probleme des Fragetests hingewiesen worden, so etwa sehr nachdrücklich von Lötscher (1983:65-68), aber auch von Jacobs (1988:98). Dabei schießt die Kritik von Lötscher m.E. deutlich über's Ziel hinaus, denn die Probleme übertreffen keineswegs das von Sprachtests her allgemein Gewohnte. An dieser Stelle sei vielleicht die Bemerkung erlaubt, daß sich Geisteswissenschaftler im allgemeinen von naturwissenschaftlichen Testverfahren, etwa in Chemie und Physik (und die sind wohl implizit der Vergleichsmaßstab), falsche Vorstellungen machen: auch dort wird meist indirekt getestet und gemessen, und die Randbedingungen spielen oft eine gewichtige Rolle. - So etwa sind die Beziehungen zwischen der Pragmatik von Frage-Antwort-Paaren und der Akzentuierung (Lötscher 1983:65) nicht mehr so unklar. Daß Texte i.d.R. eher aus Ketten von Aussagesätzen bestehen und nicht aus Frage-Antwort-Sequenzen, tut der Aussagekraft des

Testverfahrens ebenfalls keinen Abbruch. Gewichtiger ist der Einwand, daß zu jedem Fragesatz zwar ein passender Aussagesatz als Antwort gebildet werden kann, nicht aber umgekehrt, weil es z.B. im Deutschen keine passenden Frageverben gibt, für einige Typen von Adverbialen überhaupt keine Fragepronomina und für total fokale Sätze keine zielgenaue Frageformulierung. Für nicht zutreffend halte ich aber den Einwand, daß es für Foki, die nicht aus einfachen Konstituenten bestehen, sondern aus mehreren Konstituenten, wie etwa die VP, keine akzeptablen Frageformulierungen gibt: VP-Fragen sind zwar i.d.R. ungenau, aber mit entsprechender Vorsicht durchaus kontrollierbar. Auch mehrzielige Fragen, also w-Fragesätze mit mehreren Fragepronomina, halte ich keineswegs für unnormal (Lötscher 1983:66). Schwerer wiegt hingegen der Einwand von Jacobs, daß mit dem Fragetest nur die FHG von Aussagesätzen ermittelt werden kann (Jacobs 1988:98; die dort erwähnte fehlende Anwendbarkeit auf Sätze mit fokusbindenden Lexemen interessiert hier nicht weiter). Jacobs zeigt aber auch gleich die Gegenstrategie auf: so etwa schlägt er als Modifikation für die Analyse von Verb-Erst-Imperativsätzen (das ergibt sich aus den Beispielen; Jacobs selbst spricht von DIR = Satzmodusoperator) den jo//-Fragetest vor, für Verb-Erst-Fragesätze (Jacobs: ERO) den Nachfragetest. Beide Tests sind in der Praxis gut handhabbar, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. Ferner schlägt er als zusätzliches Testverfahren den Widerspruchstest vor. Dabei handelt es sich um kontrastierende Satzpaare, die mit nicht...sondern verbunden sind. Es wird sich zeigen, daß auch diese Erweiterungen der Testmöglichkeiten keinesfalls ausreichen, um alle Satztypen angemessen zu analysieren. In diesen Fällen bleibt aber die Möglichkeit der analogischen Übertragung der Konzepte: man prüft dabei, ob die von analysierbaren Satztypen her bekannten Erscheinungen in bezug auf die Anordnung der Satzglieder, die Akzentart und Akzentposition auch bei anderen Satztypen beobachtbar sind: dann kann man annehmen, daß auch die FHG übertragen werden kann. 1.4.

Formmittel zum Ausdruck der Fokus-Hintergrund-Struktur

Es empfiehlt sich, auch in diesem Fall die Denkvorstellung der syntaktischen Mittel zum Ausdruck syntaktischer Strukturen, wie sie u.a. von H.-H. Lieb in der integrativen Grammatik entwickelt wurde, anzuwenden. Dabei sind kategoriale Füllung, morphologische Markierung, Reihenfolgeerscheinungen und intonatorische Markierung zu überprüfen. Soweit ich sehe, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß die morphologische Markierung am Ausdruck der FHG beteiligt sein könnte. Der Akzent als intonatorisches Markierungssystem gilt fraglos als d a s Mittel zum Ausdruck der FHG. Auch Reihenfolgeeigenschaften werden diesen Mitteln zugerechnet. Bei der kategorialen Füllung hingegen kann ich keine entsprechende Übereinstimmung in der einschlägigen Forschung feststellen. Dabei ist es offenkundig, daß bestimmte Kategorienvertreter in bestimmten syntaktischen Funktionen entweder die Fokusstruktur lenken, z.B. Partikeln in Gradpartikelfunktion, auf sie reagieren, z.B. Partikeln in Modalpartikel-Funktion, aus der FHG-Struktur ausscheiden, z.B. Konjunktionen und andere reine Funktionswörter, oder in besonderer Affinität zum Fokus oder zum Hintergrund stehen: so sind z.B. Adjektive in prädikativer Funktion tendenziell fokal, ana-

g phorische Pronomina tendenziell Hintergrundselemente. Solche Feststellungen sind punktuell immer wieder getroffen worden, es fehlen aber weitgehend systematische Untersuchungen zu dieser Thematik, wenn man von Lötscher (1983) absieht. - Daneben gibt es spezifische fokusmarkierende Strukturen, wie etwa Cleft- und Pseudocleft-Sätze (Spalt- und Sperrsätze in deutscher Terminologie), die aber im Deutschen schwach entwickelt und in ihrer Verwendung hochgradig restringiert sind. - Herausstellungsstrukturen nach links wie Linksversetzung und Freies Thema habe ich selbst (Altmann 1981) als themamarkierende Strukturen (also Hintergrundstrukturen) bezeichnet. Es ist aber offenkundig, daß, wie Jacobs (1984:50) zeigte, z.B. linksversetzte Ausdrücke, wenn auch selten, fokal sein können: (2)

A: Du kannst doch die Johanna wegen ihrer schrillen Stimme nicht leiden. B: Aber nein, die BRIGITTE, DIE kann ich nicht leiden.

Unentschieden ist noch der Streit, ob diese Strukturen, die typischerweise in Verb-ZweitAussagesätzen auftreten, als Topikstrukturen zu klassifizieren sind, vgl. wiederum Jacobs (1984; 1988) und seine wechselnden Positionen zu dieser Frage. 1.4.1.

Akzent und FHG

Akzent2 hat prinzipiell Hervorhebungsfunktion. Allerdings kann sich Hervorhebung auf verschiedenste Aspekte beziehen. So etwa hat der Wortakzent in der Regel rein strukturelle Funktion, was schon die Art der Zuweisungsregel zeigt, die rein strukturell organisiert ist. Dabei sollte man aber nicht übersehen, daß dieser Wortakzent in einigen Bereichen auch Wortbildungstypen unterscheiden kann, z.B. Partikelpräfixverben und Partikelverben (vgl. Altmann 1989), im Fall komplexer Determinativkomposita vielleicht auch Fokus- und Hintergrundstrukturen. - Auf Phrasenebene ist eine Unterscheidung zwischen dem eher strukturell organisierten Normalakzent und den möglichen Funktionen der Kontrastierung und Restringierung (bei Attributen) notwendig. Ähnlich verhält es sich auf Satzebene. Hier soll in aller Kürze eine systematische Darstellung versucht werden, ohne daß auf Details eingegangen werden kann. Die Erscheinung des Akzents, also des Gehörseindrucks, daß eine bestimmte Silbe gegenüber anderen Silben hervorgehoben ist, wird offensichtlich durch das Zusammenspiel einer Vielzahl lautlicher Merkmale hervorgerufen: z.B. durch eine signifikante Tonhöhenänderung (steigender oder fallender Tonverlauf; die Richtung der Tonhöhenänderung ist für den Akzenteindruck irrelevant), durch eine deutliche Dehnung der hervorgehobenen Silbe gegenüber den Silbendauern in der unmittelbaren Umgebung, wahrscheinlich auch durch eine profiliertere segmentale Artikulation und durch einen Anstieg der Lautstärke. Zu letzterem muß man allerdings feststellen, daß Lautstärkenuntersuchungen bis vor kurzem mit einem vertretbaren Aufwand kaum möglich waren; hier könnten sich in nächster Zeit deutliche Fortschritte ergeben. Emstzunehmende linguistische Beschreibungsansätze vertreten die Position, daß in der Die Aussagen zur Intonation in den folgenden Abschnitten beruhen auf Ergebnissen von zwei DFG-Projeklen zur Modus- und Fokusintonation, vgl. Oppenrieder (1988b), Batliner (1989a/b).

Linguistik angesetzte Beschreibungseinheiten möglichst ein perzeptives Pendant haben sollten. Perzeptionstests haben ergeben, daß kompetente Sprecher sehr zuverlässige Urteile über die Tatsache und die Position eines Akzents abgeben, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, daß nach dem Satzakzent (dem am stärksten hervorgehobenen Teil eines Satzes) gefragt wird. Bei einigen Satztypen, die im weiteren Verlauf noch zu behandeln sind, ergeben sich aber signifikante Irritationen bei dieser Fragestellung. Läßt man mehrere Akzentstufen und -positionen zu, was aus der Sicht neuerer akzentphonologischer Theorien unumgänglich ist, so erhält man chaotische Ergebnisse, die nicht verwertbar sind. Auch aus anderen Untersuchungen erscheint der Schluß unumgänglich, daß der kompetente Sprecher nur zwischen akzentuiert und nicht-akzentuiert unterscheiden kann, wie er auch offensichtlich keine absoluten Töne, sondern nur Tatsache und Richtung einer Tonhöhenänderung wahrnehmen kann. Regelmäßig wird die letzte Silbe im Satz, die die oben erwähnten Hervorhebungsmerkmale aufweist, als d i e (Satz-)Akzentsilbe identifiziert, eventuell vorausgehende Akzentsilben werden als deutlich schwächer hervorgehoben wahrgenommen, auch wenn die akzentanzeigenden Merkmale, z.B. der Umfang der Tonhöhenänderung, deutlich stärker ausgeprägt sind. Allerdings sollte man darauf hinweisen, daß die Domäne der Akzentzuweisung nicht unbedingt der Satz ist. In komplexeren Sätzen kann bei nicht-integrierender Artikulation eine Zerlegung in einzelne intonatorische Phrasen erfolgen, wobei jeder Teilphrase ein Teilakzent zuzuweisen ist; dennoch ergibt sich bei dieser Artikulationsweise für den Hörer der Eindruck eines schlußendlich einzigen Akzents. - Das gleiche Vorgehen empfiehlt sich bei der Art des Akzents, obwohl bei neueren Akzenttheorien hier keine Unterscheidung vorgenommen wird. Hier werden Terme wie "Kontrast" und "Emphase" der Semantik oder Pragmatik zugewiesen, nicht der Lautstruktur. Nun zeigt sich aber, daß der Satzakzent in eindeutigen Kontrastkontexten i.d.R. sehr viel ausgeprägtere Parameterwerte im Sprachsignal zeigt, also z.B. einen größeren Umfang der Tonhöhenänderung. Perzeptionsexperimente zeigen jedoch, daß diese Tatsache in der Wahrnehmung wohl keine Rolle spielt, daß man also keinen Grund hat, auf der phonologischen Ebene zwei Akzentarten anzusetzen. Gleiches gilt für den "emphatischen Akzent". Dagegen können Sprecher/Hörer offensichtlich exclamative von nichtexclamativen Äußerungen unterscheiden, vermutlich aufgrund der An des Satzakzents (s.a. 2.5.), doch haben hier die Untersuchungen noch nicht die wünschenswerte Zuverlässigkeit erreicht. Für Hintergrunds- oder Topic-Akzente gibt es m.W. derartige Untersuchungen noch nicht, man hat also noch keine perzeptive Basis für eine Unterscheidung derartiger Akzente. - Es bleibt als Fazit, daß man - in der überwiegenden Zahl der Fälle - mit der Lokalisierung eines Starkakzents noch nicht sehr viel gewonnen hat: einmal deswegen, weil damit noch nicht entschieden ist, ob es sich um einen oder d e n Satzfokus-Akzent handelt oder z.B. um einen nichtfokussierenden Akzent, zum anderen deswegen, weil man selbst mit dem Wissen, daß es sich um einen Satzfokus-Akzent handelt, noch nichts über die Grenzen des Fokus weiß, da dieser durchaus mehr als nur die Fokussilben umfassen kann. Klein/v. Stechow (1982) haben nach lautlichen Entsprechungen der Fokusgrenzen gesucht, und zwar vor allem im Tonverlauf. Nach den Ergebnissen des Münchner DFG-Projekts (vgl. Batliner 1989a/b; Oppenrieder 1989) gibt es keine Anhaltspunkte im akustischen und perzeptiven Bereich, die diese An-

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nähme rechtfertigen würden. Am plausibelsten erscheint derzeit die Hypothese, daß die Fokusgrenzen durch die Position des Fokusakzents indiziert werden, und zwar spezifiziert nach rein topologischen Kriterien sowie nach der syntaktischen Funktion des akzenttragenden Ausdrucks, nach dessen kategorialer Füllung und nach dem Satzmuster, wobei letzteres feiner als üblich spezifiziert werden muß, nämlich nicht nur nach den Valenzen des regierenden Verbs, sondern auch nach der Anordnung der Kasusrollen. Um ein Beispiel von Höhle (1982), der diese Zusammenhänge aufgezeigt, wenn auch nicht im Detail behandelt hat, zu verwenden: (3)

Karl hat dem Kind den BALL geschenkt.

Hier ist der Satzfokusakzent auf dem letzten Satzglied im Mittelfeld eines Verb-Zweit-Aussagesatzes plaziert; dabei handelt es sich um ein Akkusativobjekt in der Form einer definiten NP, eingefügt in ein Satzmuster mit dreiwertigem Handlungsverb (Subj., Dat.Obj., Akk.Obj.), wobei eine normale Kasusrollenverteilung vorliegt (Agens im Subjekt, Benefaktiv im Dativobjekt, Patiens im Akkusativobjekt). Bei dieser Konstellation kann sowohl das Akk.Obj. allein, als auch dieses zusammen mit dem regierenden Verb, als auch die gesamte VP oder sogar der gesamte Satz Fokus sein; es liegt also Fokusambiguität vor, d.h. daß der Satz in mehrere Kontexttypen paßt. Für jeden Satztyp im Satzmodussystem ist also zu prüfen, ob der "normale" Variationsspielraum von Fokusakzent und Fokusausdehnung vorliegt, oder ob es spezifische Einschränkungen gibt.

1.4.2.

Fokus und Topologie

Wie oben schon angedeutet, spielen Reihenfolgegesetzmäßigkeiten eine wichtige Rolle in der Fokussierung. Das läßt sich am besten am topologischen Maximalmodell, dem Verb-ZweitSatz, zeigen. Der Fokusakzent kann auf einer Vorfeldsilbe plaziert sein; in diesem Fall kann, bei einer "normalen" Akzentposition innerhalb des Vorfeldausdrucks, der Vorfeldausdruck Fokus sein, oder ein Teil davon nach den üblichen Gesetzen, die durchaus noch im Detail zu erforschen wären, dagegen nie mehr als der Vorfeldausdruck. Als Problem müssen aber zweiakzentige Strukturen berücksichtigt werden (vgl. Jacobs 1984:50, Bsp. 52): (4)

ALLE Politiker sind NICHT korrupt.

Als nächstes ist eine Konstellation zu berücksichtigen, bei der der Satzfokusakzent auf dem finiten Verb in Zweitposition plaziert wird. Handelt es sich dabei um ein Hilfsverb, so ist die Faktizität fokussiert (VERUM-Fokus, siehe Höhle 1992) oder die Tempusstufe, ein Faktum, das zeigt, daß es bei der Fokussierung nicht um eine reine Formkategorie geht, sondern um den Ausdruck einer semanto-pragmatischen Kategorie. Handelt es sich um ein Voll- oder Modalverb, so steht entweder die Verbsemantik im Fokus, oder es handelt sich um einen VERUM-Fokus. - Sehr komplex ist die Situation, wenn der Satzfokusakzent auf einem Mittelfeldausdruck plaziert ist. Generell ist festzuhalten, daß bei Plazierung des Satzfokusakzents auf der Normalposition eines Satzgliedes sowohl enger Fokus (Kontrastierung nur der betref-

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fenden Silbe), als auch Fokusprojektion möglich ist. Ist dagegen der Primärakzent auf einer anderen Silbe plaziert, so ist nur Kontrastierung möglich, selbstverständlich unter Berücksichtigung der Bedingung, daß Alternativenbildung möglich sein muß. Bei mehr als einem Satzglied im Mittelfeld kann der Primärakzent prinzipiell auf dem ersten Mittelfeld-Satzglied plaziert sein. Die Bedingungen dafür sind, soweit ich sehe, noch nicht ausreichend erforscht, vermutlich ist aber nur enger Fokus auf diesem Satzglied möglich, keine Art von Fokusprojektion hingegen. - Eine Position des Primärakzents auf einem mittleren von drei oder mehr Satzgliedern erscheint nicht möglich. - Bei Position des Primärakzents auf dem letzten Mittelfeld-Satzglied, gleichgültig, ob das Mittelfeld mit einem oder mehreren Satzgliedern besetzt ist, hängt es von der syntaktischen Funktion dieses Satzglieds und von der kategorialen Füllung sowie vom Kasusrahmen des regierenden Verbs ab, ob nur dieses Satzglied fokussiert sein kann, oder ob Fokusprojektion stattfinden kann. Bei Plazierung des Primärakzents auf dem infiniten Vollverb als klammerschließendem Ausdruck (oder Teil davon) oder auf einer Verbpartikel ist das Verb allein fokussiert, Fokusprojektion ist nicht möglich. Liegt der Primärakzent bei einer Folge von mehreren infiniten Verbformen, z.B. hat...singen wollen, nicht auf der infiniten Vollverbform, so ist wohl nur Kontrastfokus möglich. Aber auch hier ist nach meiner Kenntnis der Forschungsstand unbefriedigend. - Bei der Position des Primärakzents auf einem ausgeklammerten oder extraponierten Satzglied sind mehrere Konstellationen zu unterscheiden: extraponierte Glied- und Gliedteilsätze erhalten regelmäßig den normalen Primärakzent, wobei allerdings bei den Gliedteilsätzen häufig gegen die Regel verstoßen wird, daß nur restriktive Attributsätze - und nur diese können den "Normalakzent" erhalten - extraponiert werden dürfen. Ansonsten hängt es von der syntaktischen Funktion ab, ob Fokusprojektion möglich ist: z.B. ist sie bei einem extraponierten Akkusativobjektsatz dann möglich, wenn das regierende Verb eine normale Kasusrollenverteilung aufweist; doch erscheint mir auch hier die Forschungslage noch unbefriedigend. - Bei ausgeklammerten einfachen Satzgliedern können üblicherweise freie Adverbiale nicht den Satzakzent erhalten, schon gar nicht, wenn sie mit Adverbien gefüllt sind. Ausgeklammerte Präpositionalobjekte erhalten dagegen den Normalakzent, von ihnen aus scheint Fokusprojektion möglich zu sein, doch ist auch hier ein Forschungsdefizit zu konstatieren. Vernachlässigen will ich die Fälle, in denen sonst nicht nachfeldfähige Satzglieder (Subjekt, Objekt, obligatorische Adverbiale) unter Sonderbedingungen (Koordination, Aufzählung usw.) nachfeldfähig werden. 1.43.

Fokus und kategoriale Füllung

In mehreren Fällen wurden im vorausgehenden Abschnitt schon Konstellationen erwähnt, in denen die kategoriale Markierung des Fokusexponenten (in der Terminologie von Höhle 1982) eine Rolle spielt. Z.B. bewirken Pronomina als Primärakzentträger, daß eine Fokusprojektion nicht möglich ist Aber auch dann, wenn sie selber keinen Fokusakzent tragen, wirken sie als Fokusbarrieren. Auch hier wären noch Detailuntersuchungen nötig. Insbesondere fällt auf, daß eindeutig anaphorische Pronomina nur unter Sonderbedingungen (z.B "Paarlesart"

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bei er/sie) den Fokusakzent erhalten können, daß dagegen (rollen)deiktische Pronomina Eigenschaften sowohl von anaphorischen Pronomina wie von definiten NPn auf weisen. Indefinitpronomina verhalten sich dagegen offensichtlich ganz anders (vgl. Hofmann 1992); sie können den "Normalakzent" erhalten und wirken wohl auch nicht blockierend auf die Fokusprojektion. - Zu den Verhältnissen bei Glied- und Gliedteilsätzen vgl. den vorausgehenden Abschnitt. 1.4.4.

Fokus und Kasusrollenverteilung

Auch dieser Zusammenhang wurde schon mehrfach erwähnt. Die Normalgesetze für Fokusakzentplazierung und Fokusprojektion gelten offensichtlich nur, wenn in dem betreffenden Satz eine normale Kasusrollenhierarchie vorliegt, also z.B. die Agensrolle im Subjekt, das Patiens im Akkusativobjekt kodiert ist. Bei unnormaler Kasusrollenverteilung ("Inversionsverben") scheinen diese Gesetzmäßigkeiten aufgehoben: (5)

Hohe BERge umgeben die Stadt./Die Stadt umgeben hohe BERge.

Auch hier sind noch umfangreiche Detailuntersuchungen notwendig. Die im Vorausgehenden skizzierten Regularitäten sind zu berücksichtigen, wenn man die Übertragbarkeit des FHGKonzepts auf alle Sätze im Satzmodussystem überprüfen will. Es versteht sich wohl von selber, daß das nicht im vollen Umfang in diesem Zusammenhang geleistet werden kann.

2.

Die Variation der Fokus-Hintergrund-Struktur relativ zum Satzmodussystem

2.0.

Satzmodussystem

In der weiteren Darstellung orientiere ich mich an der Systematik der Satzmodi und der darin enthaltenen Satztypen, wie ich sie in verschiedenen Veröffentlichungen auf der Basis herkömmlicher Ansätze entwickelt habe (Altmann 1984, 1987, 1990), und wie sie in verschiedenen Einzeluntersuchungen vorausgesetzt wurde (Luukko-Vinchenzo 1988; Winkler 1989; Scholz 1991; Oppenrieder 1987). Natürlich wurden auch einschlägige Untersuchungen anderer Autoren zur Kenntnis genommen, z.B. die Beiträge in Meibauer (Hg.,1987), Näf (1992), Reis (1992), Rosengren (1991; 1992b; 1993a), die Beiträge in Reis/Rosengren (Hgg., 1991) und Rosengren (Hg., 1992a).3 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Forschung verbietet sich leider in diesem Rahmen. Die Untersuchungen Rosengrens zu Exclamativen in Rosengren (1992b), zu Imperativen und Wunschsätzen in Rosengren (1993a) kommen, nicht zuletzt aufgrund einer völlig anderen Bewertung der Rolle der Intonation, zu ganz anderen Ergebnissen als ich. Ich sehe bislang keinen Grund, meine eigene Position aufgrund dieser Veröffentlichungen nachhaltig zu verändern, da ich sowohl in der Konzeption wie im Detail zahlreiche Einwände habe. Ich werde im weiteren Verlauf auf einige meiner Kritikpunkte eingehen, ohne eine detaillierte Auseinandersetzung und eine zutreffende Gesamtweitung zu beabsichtigen. Dies muß einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben.

13 2.1. Aussagemodus 2.1.1

Verb-Zweit-Aussagesatz

Das Konzept der FHG wurde an Verb-Zweit-Aussagesätzen entwickelt, häufig wurden die entsprechenden Untersuchungen auch auf diesen Satztyp beschränkt. Der Frage-Antwort-Test ist als Operationalisierung der FHG ohne Abstriche nur bei Verb-Zweit-Aussagesätzen anwendbar, soweit nicht Modalpartikeln mit anderen Bedingungen dagegenstehen. Diese Sätze gelten als prototypische Antworten auf w-Verb-Zweit-Fragesätze, sind dialogisch angelegt, erfüllen also die entsprechenden Antwortobligationen. Sie weisen obligatorisch mindestens einen Fokusakzent auf, der den oben dargestellten Gesetzmäßigkeiten gehorcht. Natürlich bleibt das Problem der Trennung des Fokusakzents von anderen Akzenten, z.B. Akzenten auf Hintergrundsausdrücken oder Topic-Akzenten. Exclamativakzente können in ihnen nicht auftreten. 2.1.2.

Verb-Erst-Aussagesatz

Bei diesem Satztyp handelt es sich um eine problematische Kategorie; in vielen Fällen wurde er als elliptische Variante des Verb-Zweit-Aussagesatzes eingeordnet, doch ist die angesetzte Vorfeldellipse bzw. deren Rekonstruktion mit einem vorfeldfüllenden es theoretisch nicht zwingend; außerdem ignoriert man damit die textuellen Sonderbedingungen, denen dieser Satztyp unterliegt: er tritt häufig in bestimmten Textsorten, z.B. dem Witz, auf, oder aber als konkludierender Schlußsatz in einer Argumentationssequenz. Genau deshalb kann er nicht als Antwort auf einen w-Verb-Zweit-Fragesatz verwendet werden. Eine passende Modifikation des Tests oder einen anderen passenden Test kann ich nicht anbieten. Doch zeigt der Satztyp die gleichen Variationsmöglichkeiten der Fokusakzentposition, wie auch vergleichbare Interaktionen mit den anderen Formmitteln zum Ausdruck der FHG; lediglich die Vorfeldkonstellationen entfallen. (6)

Hat doch Karl dem Kind den BALL geschenkt. (Normalakzent, normale Satzgliedfolge, maximale Fokusprojektion möglich) Hat doch KARL / Karl dem KIND / dem Kind den Ball geSCHENKT.

Eine plausible Konstellation für die Interpretation "VERUM-Fokus" sehe ich allerdings nicht. Daß es sich bei dem jeweiligen Hauptakzent um einen Nicht-Fokusakzent handeln könnte, kann man damit einigermaßen zuverlässig ausschließen; insgesamt dürfte die Übertragung des FHG-Konzepts durch Analogieschluß begründet sein. - Die Möglichkeit eines selbständigen Verb-Letzt-Aussagesatzes wird in Oppenrieder (1987) diskutiert. Wegen der unklaren Forschungslage wird aber hier eine weitere Analyse unterlassen.

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2.2. Fragemodus Dieser Modus wird in zwei Untergruppen aufgespalten: die eine Gruppe von Satztypen enthält einen w-Frageausdruck, die andere nicht. Zu den Fragesätzen generell stellt Lötscher (1983:246) fest, daß in ihnen "grundsätzlich [...] die gleichen Akzentuierungsregeln wie in den bisher behandelten Aussagesätzen" gelten. Allerdings nimmt er, aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen, an, "daß in Fragesätzen der Gegensatz zwischen stark und schwach akzentuierten Teilen nicht in genau der gleichen Weise mit dem Kontrast rhematisch-thematisch in Beziehung gebracht werden kann." Möglicherweise bezieht sich Lötscher damit auf seine unterschiedliche Festlegung der Rhemafunktion in Aussage- und Fragesätzen. Danach signalisiert das Rhema in Aussagesätzen, "daß der Sprecher an dieser Stelle eine seiner Meinung nach nicht genügende oder nicht korrekte Spezifikation neu fest [...] legt" (Lötscher 1983:248). Im Fragesatz dagegen formuliert der Sprecher diese Spezifikation nicht als eigene Stellungnahme, sondern als Vorschlag mit der Aufforderung, zu dieser Spezifikation positiv oder negativ Stellung zu nehmen. Diese Formulierungen zeigen deutlich, daß hier Merkmale der Satzmodusbedeutung in die FHG-Funktion hineinprojiziert werden, daß also die FHGStruktur nicht satzmodusneutral festgelegt wird. Mit der Festlegung auf "Alternativenauswahl" wird genau dieser Mangel vermieden.

2.2.1.

Verb-Erst-Fragesatz (Entscheidungsfragesatz)

Ein mögliches Beispiel hierfür könnte lauten: (7)

Hat Karl dem Kind den BALL geschenkt? / Hat KARL /Karl dem KIND / dem Kind den Ball geSCHENKT ? / Ja und HAT denn nun Karl dem Kind den Ball geschenkt?

Die Variationen zeigen, daß alle wesentlichen Akzent- und zugeordneten Fokuskonstellationen vorhanden sind, sogar der VERUM-Fokus. Als Test für diesen Satztyp schlägt Jacobs (1988:98) den Nachfragetest vor. Er ist von dem dort angebotenen Beispiel nicht ohne weiteres auf das hier (wegen der Vergleichbarkeit) gewählte Beispiel übertragbar, da das dort verwendete Verb heiraten sowohl absolut (ohne Akkusativobjekt) als auch spezifisch (mit Akkusativobjekt) verwendet werden kann, schenken dagegen nicht. (8)

(9)

A: Karl hat dem Kind etwas geSCHENKT. B: Hat Karl dem Kind den BALL geschenkt?

A: Karl hat etwas (Gutes) getan.

B: Hat Karl dem Kind den BALL geschenkt? Der Test ist aber nicht so eindeutig, wie das wünschenswert wäre. Dabei sehe ich eigentlich keine Probleme, den normalen w-Frage-Test in einer monologischen Variante anzuwenden. Dabei wird mit dem Entscheidungsfragesatz erfragt, ob eine bestimmte Antwort die richtige ist: (10) A: Was hat Karl dem Kind gegeben? Hat Karl dem Kind den BALL gegeben? (11) A: Was hat Karl getan? Hat Karl dem Kind den BALL gegeben?

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Die entstehenden Sequenzen erscheinen mir überhaupt nicht unnatürlich. Entsprechende Minimaltexte entstehen oft auch in normalen Gesprächen, etwa wenn der Frager auf eine Antwort drängt, der Gefragte aber zögert, z.B. weil er seine Schweigepflicht nicht verletzen will. Der Frager bietet dann eine mögliche Antwortformulierung an, so daß er als teilweise schon Wissender erscheint. Basierend auf dieser Sachlage kann man feststellen, daß der Verb-ErstFragesatz die normale FHG-Variation zeigt. - Kurz erwähnt sei noch die Frage nach der FHG der Antwort auf die erwähnten Entscheidungsfragen. Sie kann entweder mit ja oder nein erfolgen, über deren FHG nichts Plausibles ausgesagt werden kann. Oder sie kann durch Wiederholung des gesamten Satzes oder seiner fokalen Teile (Ellipse) erfolgen. Im Ansatz von Lötscher (1983:249f.) ist das ein erklärungsbedürftiges Faktum. Geht man von "Alternativenausschluß" als Funktion des Fokus aus, so ist zwar alles vorerwähnt, eine Alternative ist aber zu bestätigen oder zu verneinen. - Eine explizite Abgrenzung gegenüber nichtfokalen Akzenten scheint hier nicht nötig, da sich die Problemlage des Verb-Zweit-Aussagesatzes wiederholen würde, wenn man davon absieht, daß sich Linksversetzung kaum mit einem Entscheidungsfragesatz kombinieren läßt. Erwähnt werden sollen dagegen Fragereihen, die nach meiner Auffassung im Bereich des Satzmodus grundsätzlich von Alternativfragen unterschieden werden sollten, im Gegensatz zu Lötscher (1983:252-256), der beide Typen unter dem Terminus "Disjunktive Fragesätze" zusammenfaßt, obwohl er ihre intonatorische und semantopragmatische Verschiedenheit ansonsten klar erkennt. Unter Fragereihen verstehe ich die asyndetische oder syndetische Verknüpfung von Verb-Erst-Fragesätzen, wobei im Grenzfall nur das fokale Material verschieden ist und das Hintergrundsmaterial der Tilgung unterliegt. Das ist als "möglicherweise offene Aufzählung einzelner Elemente aus einer größeren Menge zu verstehen" (Lötscher 1983:254), damit ein schöner Beleg für die Auffassung der Fokusfunktion als Alternativenausschluß, wobei die Entscheidungsfrage in diesem Fall als Aufforderung zum Alternativenausschluß verstanden werden kann. Natürlich ist der Gefragte im Grenzfall an die angebotenen Alternativen nicht gebunden. (12) A: Hat Karl dem Kind den BALL gegeben oder (hat Karl dem Kind) die Eisenbahn (gegeben) oder... das STECkenpferd... B: (Karl hat dem Kind) Den BALL (gegeben)./Nein, (Karl hat dem Kind) Den JOYstick (gegeben).

2.2.2.

o*-Verb-Letzt-Fragesatz

Als selbständiger Paralleltyp zum indirekten Entscheidungsfragesatz ist dieser Satz geeignet zum Ausdruck von Problemfragen, von denen der Sprecher annimmt, daß im Augenblick keine befriedigende Antwort auf sie möglich ist. Sie werden daher auch oft monologisch, als innere Fragen, verwendet, bzw. sie setzen, bei Anwesenheit eines Hörers, keine Antwortobligationen. Die oben bereits vorgeschlagene Modifikation des Fragetests, nämlich in verkehrter Reihenfolge und monologisch, könnte damit auch auf diesen Fragesatztyp übertragbar sein. (13) A: Was hat Karl dem Kind gegeben? Ob Karl dem Kind wohl den BALL gegeben hat?

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In der vorliegenden Form passen aber vermutlich die textuellen Funktionen der beiden Satztypen nicht optimal zueinander. Günstiger erscheint die Hinzufügung von wohl, das (als Modalpartikel oder Satzadverbial) wesentlich den Charakter der Problemfrage bestimmt, ggf. auch noch die Umwandlung in einen selbständigen w-Verb-Letzt-Fragesatz: (14) A: Was Karl dem Kind wohl gegeben hat? Ob er ihm wohl den BALL gegeben hat? Im übrigen gibt es keine Anhaltspunkte, daß die vom Aussagesatz her bekannten Fokusvariationen (abgesehen von den Vorfeldkonstellationen) in diesem Fall nicht möglich wären. Die Übertragung des dort entwickelten FHG-Konzeptes ist also auch hier möglich. 2.2J.

Alternativfragesatz

Die Äußerung eines derartigen Fragesatzes ist als "abschließende Aufzählung aller Elemente einer vorgegebenen Menge" zu verstehen (Lötscher 1983:254). Nach Lötscher wird dies dadurch angezeigt, daß "die Akzente bei allen nicht-ersten Konstituenten um eine Stufe gesenkt" werden. Ich kann bei allen entsprechenden Beispielen nichts dergleichen beobachten; vielmehr vermute ich, daß die Beschränkung der Beschreibung auf Akzentposition und Akzentstärke und der vorgeschlagene Mechanismus der Akzentzuweisung (und Akzentabsenkung unter bestimmten Bedingungen) diese "Lösung" erzwungen hat. Plausibler erscheint mir, eine unterschiedliche Akzentrealisation anzunehmen, nämlich einen signifikanten Anstieg der Tonhöhe auf allen nichtletzten fokalen Elementen und einen signifikanten Abfall der Tonhöhe auf dem letzten fokalen Element. Dadurch mag bisweilen der Eindruck entstehen, daß nur einer der Akzente d e r Satzakzent ist (für mich ist das immer der letzte Akzent). Möglicherweise liegen hier auch individuelle Intonationsstrategien vor. - Die monologische Variante des Fragetests scheint auch in diesem Fall, wenn auch etwas umständlich und eingeschränkt durch die starken inhaltlichen Restriktionen, möglich zu sein. (15) A: Was (von diesen Sachen hier) hat Karl dem Kind gegeben? Hat Karl dem Kind die Eisenbahn oder den BALL oder das STECkenpferd gegeben? (16) A: Was hat Karl getan? Hat er dem Kind den BALL gegeben, oder hat er ihm die Eisenbahn genommen, oder hat er ihm das STECkenpferd gehalten? (17) A: Was war denn los? Hat Karl dem Kind den BALL geschenkt, oder hat Ria dem Armin die WAHRheit gesagt, oder hat Maja einen WUTanfall bekommen? Die angeführten Beispiele könnten den Eindruck erwecken, daß die normale Variationsbreite von Fokusstrukturen vorliegt. Tatsächlich finden sich aber fast nur Belege zur Version (15), d.h. daß ein Satzglied oder ein Teil davon (z.B. ein Attribut) im Fokus steht und die Alternativen durch oder und Koordinationsreduktion miteinander verbunden sind. Satztyp und FHG gehen hier absolut parallel. Diese Parallelität herrscht auch in den Konstellationen (16) und (17), bei denen sich die Alternativen auf VPn oder Sätze beziehen; mit der Komplexität nimmt aber die semantopragmatische Plausibilität drastisch ab. Situationen, in denen eine begrenzte Anzahl von Handlungen/Geschehnissen/Sachverhalten zur Auswahl stehen, dürften sehr selten sein; daraus folgt eine scheinbare Beschränkung der FHG, wo tatsächlich eine Beschränkung des Satztyps vorliegt. - Man muß dann noch einen Schritt weiter gehen und fra-

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gen, ob die Parallelität zwischen Satzstruktur und FHG aufgehoben werden kann, indem nicht die Alternativen fokussiert werden, sondern ein anderer Ausdruck: (18) A: Wer hat dem Kind die Eisenbahn oder den BALL oder das STECkenpferd gegeben? Hat KARL dem Kind die Eisenbahn oder den Ball oder das Steckenpferd gegeben? Wieder handelt es sich um einen sehr unplausiblen Fall, der aber in einer bloßen Kombinatorik nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Die Beurteilung wird noch viel schwieriger, wenn keine Koordinationsreduktion zugelassen wird. (19) A: ?Wer (alles) hat denn dem Kind den BALL geschenkt oder dem Armin die WAHRheit gesagt oder einen WUTanfall bekommen? Hat (etwa) KARL dem Kind den Ball geschenkt oder RIA dem Armin die Wahrheit gesagt, oder MAja einen Wutanfall bekommen? Als vorläufiges Fazit kann man feststellen, daß zwar die normale Variationsbreite der FHG bei diesem Satztyp nicht auszuschließen ist, daß aber doch die deutliche Tendenz zu einer Parallelität zwischen Altemativenbildung und FHG besteht. Dies würde auch Kontrastierung ausschließen. Dieser Sachverhalt ist von grundsätzlicher Bedeutung, denn das würde heißen, daß die Variationsbreite der FHG durch syntaktische, semantische und pragmatische Merkmale eines Satztyps eingeengt werden kann.

2.2.4.

Assertive Frage

Bei diesem Satztyp handelt es sich um eine umstrittene Kategorie, denn hier wirkt sich die Einstellung zur Rolle der Intonation im Rahmen der Grammatik unmittelbar aus. Weist man ihr, trotz überwältigender Kontraevidenz, keine grammatische Rolle zu, so handelt es sich um eine durch den Kontext bestimmte Variante des Aussagesatzes, also eine Folge einer allgemeinen Echostrategie (siehe Reis 1992). Behandelt man dagegen (Teile der) Intonation als normales grammatisches Mittel wie etwa Wortstellung, so handelt es sich um einen eigenständigen Satztyp, der Merkmale sowohl des Aussagesatzes wie des Verb-Erst-Fragesatzes aufweist (vgl. Oppenrieder 1991). Wie auch immer, Varianten dieses Satztyps zeigen die normale Fokusvariation, doch gibt es wohl keine Variante des Fragetests, die hier anwendbar wäre: (20) A: Was hat Karl dem Kind gegeben? B: Karl hat dem Kind den BALL gegeben? Allenfalls könnte man eine Dreiersequenz konstruieren: (21) A: Was hat Karl dem Kind gegeben? B: Karl hat dem Kind den BALL gegeben. A oder C: Was? Karl hat dem Kind den BALL gegeben?/? KARL hat dem Kind den Ball gegeben? Diese Dreiersequenz würde im übrigen eine der möglichen Verwendungen nachkonstruieren: die Rückfrage auf eine mitteilende (oder auch befehlende) Äußerung, die man in einem Teil

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nicht verstanden hat, oder die man für überraschend, unwahrscheinlich etc. hält. Durch die Sequenz sind dann die fokalen Eigenschaften festgelegt, wenn man auch berücksichtigen muß, daß es viele "irreguläre", durch den Kontext aber durchaus gedeckte Verläufe gibt, die für die Bestimmung der FHG-Eigenschaften dieses Satztyps wertlos sind. - Einschränkungen der Fokusvariation sind bei diesem Satztyp nicht erkennbar. 2.2.5.

w-Verb-Zweit-Fragesatz

Als zweite Gruppe von Fragesätzen sind nun diejenigen mit einem w-Fragewort zu behandeln. Der zentrale Typ mit Verb-Zweit, bei dem das Fragewort im Vorfeld steht, ist bezüglich seiner FHG ungewöhnlich oft Untersuchungsgegenstand gewesen. Dabei zeigte sich häufig, wie problematisch die Auswirkungen einer ungeeigneten Festlegung von Fokus- und Hintergrundsmerkmalen sein können. So etwa setzt Lötscher (1983:256-259) offenkundig Fragepräsupposition und Hintergrund in eins, wenn er resümiert: "Entsprechend enthält eine Ergänzungsfrage aber auch kein echt spezifiziertes Rhema;" "Alle spezifizierten Stellen in einem solchen Entscheidungsfragesatz sind deshalb effektiv als spezifizierte Stellen in einer Problemstellung mit thematischen Satzgliedern gleichzusetzen." (a.a.O. 256). Auffälligerweise verfällt Lötscher aber nicht auf die Idee, den "Fragefokus" mit dem w-Fragepronomen zu identifizieren. Dann bleibt aber das Problem, daß auch w-Fragesätze einen Primärakzent aufweisen. Lötscher zieht sich aus der Schlinge, indem er feststellt, daß nicht automatisch ein Thematischer Akzent gegeben ist, da es ja auch stark akzentuierte thematische Satzglieder gebe. Offensichtlich durch keinerlei empirische Daten untermauert ist aber seine Feststellung, daß "der notwendige stärkste Akzent in solchen Fällen nicht auf irgendeine Konstituente, sondern prinzipiell stets auf das finite Verb in Zweitstellung..." fällt. (a.a.O. 258). Das sei ein relativ neutraler Akzent, da er keinerlei thematische Kontraste impliziert (a.a.O. 259). Wenn dagegen der Primärakzent auf dem Fragewort liege, dann handle es sich um "Echo-Fragen". Auch diese letzte Feststellung ist nur die Hälfte der Wahrheit - Eine Analyse dieser Art ist in der Forschungstradition gar nicht so selten, vgl. etwa v. Stechow (1989). Die Gegenposition, die dem w-Verb-Zweit-Fragesatz eine normale FHG zuordnet, wird u.a. von Jacobs (1984; 1988; 1991) vorbereitet, wenn in den zitierten Veröffentlichungen auch kaum explizite und detaillierte Aussagen dazu zu finden sind. Die findet man hingegen in Rosengren (1991, Kap. 4-6,192-199). Rosengren trennt dabei, im Gefolge von Reis (1977, Abschn. 3.3., 212-227), in der wünschenswerten Klarheit zwischen Frage-Implikatur - über den Status der Frage-Präsupposition soll hier nicht weiter diskutiert werden - und Hintergrund, bzw. zwischen Fragefokus und Satzfokus. Daraus folgt u.a., daß der gesamte w-Fragesatz Satzfokus sein kann, also inklusive w-Frageausdruck, oder daß sogar dieser w-Frageausdruck im Vorfeld allein (enger, emphatischer) Fokus sein kann, oder daß der w-Frageausdruck nicht dem Fokus angehört. Dieser Sachverhalt ist aus mehreren Gründen problematisch: einmal deswegen, weil der Frageausdruck eben ein Pronomen ist (vgl. 1.4.3.). Ein Teil der möglichen Einwände könnte entkräftet werden, wenn man Fragepronomina als Indefinitpronomina klassifiziert; für einige von diesen scheinen die erwähnten Beschränkungen nicht oder nicht in vollem Umfang zu

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gelten (vgl. Hofmann 1992). Da die w-Pronomina in der Umgangssprache tatsächlich als Indefinitpronomina verwendet werden können, und da in zahlreichen Sprachen Indefinitpronomina wie Fragepronomina verwendet werden können, scheint diese Annahme nicht abwegig. - Es bleibt das Problem, daß durch die Plazierung des Frageausdrucks im Vorfeld, wenn es sich nicht gerade um einen Subjektausdruck handelt, die Normalabfolge der Satzglieder zerstört wird, so daß eigentlich keine Fokusprojektion mehr möglich sein dürfte. Der Augenschein spricht aber dagegen. Bevor die wichtigsten Fokuskonstellationen exemplifiziert werden, muß die Möglichkeit der Fokuskontrolle durch einen geeigneten Test geprüft werden. Der Fragetest in seiner Normalform ist hier nicht anwendbar. Aber man kann als notdürftigen Ersatz den Frageausdruck durch ein entsprechendes Indefinitpronomen ersetzen oder als umgangssprachliches Indefinitpronomen interpretieren, das Ganze als Verb-Zweit-Aussagesatz verstehen und dazu einen w-Frage-Test konstruieren. Zur Demonstration verwende ich Beispiele von Rosengren (1991:192ff.): (22) A: Was war los? B: Wer/Jemand hat ANgerufen. (maximaler Fokus = Satzfokus) Ein minimaler Fokus, der nur das Verb umfassen würde, erscheint hier nicht plausibel. (23) A: Wer hat angerufen? B: WER/IrgendJEmand hat angerufen, (minimaler Fokus auf dem w-Frageausdruck) Dies ist eine sehr komplizierte Konstellation, die offensichtlich durch den modifizierten Fragetest nicht sinnvoll erfaßt werden kann. Liegt der Primärakzent auf dem w-Frageausdruck im Vorfeld, so kann es sich um eine Echofrage handeln (siehe dazu den folgenden Abschnitt), oder es kann sich um eine nichterste Frage in einer Fragereihe handeln: (24) A: B: A: B:

Wann sind Sie geboren? Am ersten Mai zweiundneunzig. Und WO sind sie geboren? In P, Kreis D, Land B.

Natürlich kann die Fokussierung des w-Ausdrucks nicht auf solche Fragereihen beschränkt werden. Durch geeignete Kontexte, die allerdings nicht zu Tests ausgestaltet werden können, kann der gleiche Effekt erzielt werden (Beispiele 143-145 aus Rosengren 1991): (25) A: B: (26) A: B: (27) A: B:

Heute hat die ganze Zeit das Telephon geklingelt. Ah ja. Und WER hat angerufen? Was war los? (Irgend)Welche KUNden haben angerufen, (maximaler Fokus) Was haben (irgend)welche Kunden getan? (Irgend)Welche Kunden haben ANgerufen.

In Beispiel (27) soll nach Rosengren maximaler Fokus vorliegen. Dieser Ansicht kann ich nicht folgen. Offenkundig kann bei dieser Akzentposition nur enger Fokus auf dem Verb vorliegen. Allerdings ist die Verwendung der indefiniten Subjekt-NP im Test hochgradig kontraintuitiv.

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(28) A: Was war los?/Wem hat Peter irgendwas geSCHENKT? B: (Irgend)Was hat Peter seiner MUTter geschenkt. Wieder soll, nach Rosengren (1991:193) maximaler Fokus vorliegen, während ich hier nur das Dativobjekt im Fokus sehe. (29) A: Was war los? B: (Irgend)Wem hat Peter das BUCH geschenkt (maximaler Fokus) B: (Irgend)Wer hat der Mutter das BUCH geschenkt. (max.Fokus) Obwohl die von Rosengren angesetzten Fälle von maximalem Fokus m.E. dann nicht einer Überprüfung standhalten, wenn Dativobjekte den Satzakzent tragen, stimmt doch die grundsätzliche Feststellung von Rosengren, daß sich die FHG prinzipiell wie im Aussagesatz verhält. Ungeklärt ist aber noch die Fokusprojektion bei "gestörter" Satzgliedfolge und der Einfluß der Fragepronomina auf die Fokusprojektion. Dies muß aber weiteren Untersuchungen überlassen bleiben. - Zu prüfen bleibt hier vielleicht noch der VERUM-Fokus. Ich verwende dazu einen variierten Widerspruchstest im Sinne von Jacobs. (30) A: Peter hat seiner Mutter kein Buch geschenkt. B: Aber wer HAT denn nun Peters Mutter das Buch geschenkt? Diese Konstellation läßt sich bei beliebigen Beispielen wiederholen, doch kann kein verläßlicher Test dafür angeboten werden (vgl. dazu auch Höhle 1992:118f.). - Es bleiben nun noch die mehrzieligen Fragen zu erwähnen. Im Gegensatz zu Lötscher (1983:67) bin ich nicht der Ansicht, daß derartige Beispiele (31) Was hast du wem geschenkt? nur als Echo-Fragesätze erscheinen. Dies ist eine der möglichen Interpretationen, wenn die Fragepronomina den Hauptakzent tragen und wenn steigender Tonverlauf vorliegt (32) A: Ich habe meine Frau dem Altmetallhändler geschenkt. B: WAS hast du WEM geschenkt?? / Du hast WAS WEM geschenkt? Es kann sich aber auch um eine normale w-Frage handeln. (33) A: In meiner Verwirrung habe ich alles verschenkt. B: Oh Gott! Und WAS hast du WEM geschenkt? Vielleicht kann man es ja noch zunickholen. Liegt der Satzakzent hingegen nicht auf den Fragepronomina, so kann es sich nicht um eine Echofrage handeln: (34) A: Was war denn los? B: (Irgend)Wer hat (irgend)wem den BALL geschenkt. Diese Beispiele können vielleicht zeigen, daß (bei geeigneten Fragepronomina) sowohl die Fragepronomina selbst Fokus sein können und dann den Satzakzent tragen müssen, als auch Teil eines maximalen Fokus sein können und dann nicht den Satzakzent tragen, als auch Hintergrund sein können und dann natürlich ebenfalls nicht den Satzakzent tragen können. Aber auch hier sind noch detaillierte Untersuchungen nötig.

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2.2.6.

w-Versicherungsfragesatz

Dieser Satztyp wurde im Laufe dieser Untersuchung schon mehrfach erwähnt. Er zeichnet sich dadurch aus, daß er einen nicht an das Vorfeld gebundenen w-Ausdruck enthält, der obligatorisch den Hauptakzent erhält. Üblicherweise wird dieser Satztyp verwendet, um die nicht verstandenen, angezweifelten etc. Teile einer unmittelbar vorausgegangenen Äußerung zu erfragen, bzw. um partielle Gedächtnislücken zu füllen. Daraus folgt, daß alle Alternativen ausgeschlossen sind, abgesehen von den Alternativen an der Position des Frageausdrucks; also ist ausschließlich der Frageausdruck fokal. Reis (1991:61ff.) hat darauf verwiesen, daß in den entsprechenden Frageausdrücken, soweit es sich um komplexe Ausdrücke handelt, die neben einem w-Teil einen Präpositionalteil enthalten, der Akzent nicht, wie üblich, auf dem Präpositionalteil plaziert wird, sondern auf dem w-Teil (1991:61; 1992:235). Reis deutet dies, basierend auf ihrer Beschreibung dieses Satztyps, so, daß "in Echo-w-Phrasen [...] stets der Operator-Teil des w-Lexems minimal fokussiert" ist, eine Konstellation, die bei "normalen" w-Frage-Sätzen nie auftritt (Reis 1992:235). Sie ist auch nicht als kontrastiv zu interpretieren. Die Echo-Verhältnisse charakterisiert Reis (1992:235) in folgender Weise: "Bei diesen ist die Spezifik der Ortsangabe, Zeitangabe, Person-Identität, etc. bereits bekannt bzw. als bekannt hingestellt [...] also Hintergrund; allein fokussiert ist, daß die an sich bereits gegebene Spezifizierung (aus welchen Gründen auch immer) offen ist, also der O(perator)-Teil." (vergl. auch die entsprechende Formulierung in Reis 1991:61f.). An dieser Formulierung kann man nur die Verwendung von "bekannt" kritisieren. - Mögliche Beispiele mit unterschiedlicher Fokusstruktur sind: (35) A: B l: B2: B3: B4: B5:

Karl hat dem Kind den BALL geschenkt. WER hat dem Kind den Ball geschenkt? Karl hat WEM den Ball geschenkt? / WEM hat Karl... Karl hat dem Kind WAS geschenkt? / WAS hat Karl... Karl hat WAS getan? / WAS hat Karl getan? ?Karl hat dem Kind den Ball WAS?

Das Beispiel zeigt, daß die FHG der Vorgängeräußerung und der Echofrage nicht zusammenpassen müssen. Es versteht sich, daß entsprechende Frageformulierungen nur möglich sind, wenn ein geeigneter Frageausdruck vorhanden ist. Häufig wird der Frageausdruck genau an der Stelle plaziert, an der in der Vorgängeräußerung die entsprechende Konstituente stand; dadurch sind auch "irreguläre" Frageformulierungen möglich. - Bei Vorfeldposition eines einfachen Frageausdrucks treten Ambiguitäten mit Fragereihen auf. - Es zeigt sich also, daß die möglichen Fokusstrukturen durch den Satztyp extrem eingeschränkt werden, ohne daß der Bereich der FHG verlassen wird.

2.2.7.

w-Verb-Letzt-Fragesatz

Diese selbständige Entsprechung zu den w-Verb-Zweit-Fragesätzen ist pragmatisch wie der oft-Verb-Letzt-Fragesatz zu charakterisieren, nämlich als Problemfrage. Insofern ist er, wie dieser, nicht eindeutig hörerorientiert, damit auch nur schwer in dialogische Sequenzen ein-

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zubauen. Auch die beim w-Verb-Zweit-Satz vorgeschlagene Methode, den w-Ausdruck als Indefinitpronomen zu interpretieren, ist hier nicht anwendbar, da es keinen entsprechenden Verb-Letzt-Aussagesatz gibt. - Zunächst soll geprüft werden, ob der Frageausdruck fokussiert sein kann, eventuell ih Fragereihen. (36) A: Der Ball ist dem Kind geschenkt worden. B: ??Und WER wohl dem Kind den Ball geschenkt hat? (37) A: Ein interessanter Mann. Wann er wohl geBOren ist? Und WO er wohl geboren ist? Probleme ergeben sich hier offenbar nur durch satztypspezifische Sequenzierungsbeschränkungen. - Auch die Fokusvariabilität bei den Nicht-Frageausdrücken zeigt keine Auffälligkeiten: (38) Wer wohl dem KIND den Ball geschenkt hat/den Ball dem KIND geschenkt hat? (39) Wer wohl dem Kind den BALL geschenkt hat? (Fokusprojektion) (40) Wer wohl dem Kind den Ball geSCHENKT hat? Wie sich zeigt, ist die Einbettung in plausible fokuslenkende Kontexte denkbar schwierig. Das Fehlen des VERUM-Fokus entspricht den Verhältnissen beim ob-Verb-Letzt-Fragesatz. 2.3.

Imperativmodus

Für Befehlssätze konstatiert Lötscher (1983:261ff.), daß sie im allgemeinen den gewöhnlichen Akzentuierungsregeln gehorchen. Aus meiner Sicht ohne jede empirische Basis nimmt er jedoch an, daß das finite Verb, anders als in Frage- und Aussagesätzen, "grundsätzlich primären Akzent" erhält. Allerdings kann dieser Primärakzent dann rhythmischer Akzentsenkung unterliegen, während Ergänzungen thematischer Akzentsenkung unterliegen können. Mit der Tatsache, daß das Subjektspronomen unter bestimmten Bedingungen fehlen kann bzw. muß, beschäftigt sich Lötscher nicht. 2.3.1.

Verb-Erst-/Verb-Zweit-Imperativsatz

Zu den Konstellationen, unter denen Verb-Erst oder Verb-Zweit auftritt, verweise ich auf die einschlägige Literatur, insbesondere auf Winkler (1989:68-81). Entsprechende Sätze werden üblicherweise adressatenorientiert verwendet, können also leicht in dialogische Texte eingebaut werden. Schon Jacobs (1988:98) hat eine praktikable Modifikation des Fragetests vorgeschlagen, wobei grundsätzlich das Modalverb sollen eingefügt wird. Mit diesem Analysemittel kann man zeigen, daß die vom Aussagesatz her bekannte Variationsbreite von Akzentposition und davon abhängiger FHG auftritt. Zunächst soll die Akzentposition auf Satzgliedern im Mittelfeld und auf dem Vollverb überprüft werden: (41) A: B: (42) A: B:

Was soll ich tun?/Was soll ich dem Kind schenken? Schenk dem Kind den BALL! (Fokusprojektion) Wem soll ich den Ball schenken? Schenk den Ball dem KIND!

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(43) A: Was soll ich mit dem Ball und dem Kind tun? B: SCHENK dem Kind den Ball! Satz (41) kann einen Fokus aufweisen, der alle vorhandenen Ausdrücke, also den ganzen Satz umfaßt. Dabei ist aber der Subjektsausdruck, nämlich du, aufgrund des Kontextes Hintergrundsmaterial. Eine solche Behandlung würde voraussetzen, daß man Imperativsätze ohne Subjektsausdrücke als elliptisch, also eigentlich als vorfeldlose Verb-Zweit-Sätze einordnet, eine höchst unplausible Analyse.4 Um den FHG-Status des Subjektspronomens zu klären, kann man zweierlei versuchen: einen Kontext konstruieren, der auch den Subjektsausdruck als fokal fixiert (oder der seine Fokalität jedenfalls nicht ausschließt), und einen Kontext konstruieren, bei dem der Subjektsausdruck allein fokal sein muß. (44) A: Was soll geschehen/getan werden? B: Schenk du (da) dem Kind den BALL! / Schenkt ihr dem Kind den BALL! / Schenk einer dem Kind den BALL! / Schenken wir dem Kind den BALL! / Schenken Sie dem Kind den BALL! In allen diesen Fällen liegt Satzfokus vor, doch erfordert diese Interpretation, wenn also nicht klar ist, an wen sich der Imperativsatz wendet, daß das Subjektspronomen vorhanden ist Die Position des Vollverbs an erster oder zweiter Stelle im Satz und entsprechend die Position des Subjektspronomens im Vorfeld oder an erster Mittelfeldstelle verhindert offenkundig die Fokusprojektion zum ganzen Satz nicht. - In einem zweiten Ansatz wird durch den Kontext der Fokus auf das Subjektspronomen gelenkt: (45) A: Wer soll denn nun dem Kind den Ball schenken? B: Schenk DU dem Kind den Ball! / Jetzt schenk DU... / ?DU schenk dem Kind den Ball! / Schenke der PEter dem Kind den Ball! / ?Schenken WIR doch dem Kind den Ball! / Schenkt IHR doch dem Kind den Ball! / Schenken SIE doch dem Kind den Ball! Die Varianten legen den Schluß nahe, daß in diesem Fall das fokale Subjektspronomen nicht im Vorfeld stehen darf, daß es (wohl aus pragmatischen Gründen) kein Indefmitum sein sollte, daß Eigennamen antiquiert klingen, und daß das Adhortativ-w/r nicht gut in diesen Kontext paßt. Ansonsten aber zeigt sich, daß der Subjektsausdruck sehr wohl fokal sein kann. - Damit weist das Subjektspronomen in Imperativsätzen prinzipiell alle Möglichkeiten der FHG auf, wenn auch die Tendenz zum Hintergrundsausdruck (aufgrund der prototypischen Situation) offenkundig ist. Lediglich bei der 2.Ps.Sg./Pl. kommt als weitere Möglichkeit das Fehlen des Subjektspronomens hinzu, wenn dieses dem Hintergrund angehört. Dies ist bedingt durch die (relativ) eindeutige Verbmorphologie. - Zum FHG-Status des Vorfelds bei Verb-Zweit-Imperativsätzen hat sich Rosengren (1993a:6f.) geäußert. U.a. stellt sie fest, daß "Pronomina der 2.Ps.Sg. [...] - wenn überhaupt - wohl nur betont im Vorfeld" vorkommen. "Die Quantorenausdrücke [...] scheinen auch unbetont dort stehen zu können." Rosengren gibt nicht an, ob es sich dabei um einen Fokusakzent handelt. Vgl. zur Behandlung dieser Problematik im Paradigma von Government & Binding Rosengren (1993a:15ff.). Die dort angebotene Lösung erscheint mir aber unplausibel: nämlich daß ein Pronomen der 2Ps. in diesem Fall kein Subjekt, sondern ein Adjunkt zur VP ist (Rosengren 1993a: 17).

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(46) A: Wer soll denn nun dem Kind den Ball schenken? B: ?DU schenk dem Kind den Ball! / Schenk DU... Diese Konstellation scheint mir nur mit akzentuiertem du im Mittelfeld akzeptabel. (47) A: Was soll ich denn tun? B: Du halt / Halt du mal lieber den MUND! Nichtfokussiertes du im Vorfeld scheint wesentlich akzeptabler. Überhaupt ist der verbreiteten Ansicht zu widersprechen, daß Subjektspronomina in Imperativsätzen, wenn sie denn auftreten, hervorgehoben sind. Das gilt weder für die obligatorischen Subjektspronomina der 3.Ps. (meist Indefinite), der l.Ps.Pl. (Adhortativ) und des Sie-Imperativs, noch für die Pronomina der 2.Ps.Sg./Pl. Die meisten können im Mittelfeld fokal und als Hintergrundsausdruck auftreten. Die auch sonst stark beschränkte Vorfeldbesetzung bei 2.Ps.Sg. tendiert offensichtlich eher zum Hintergrund. Nach Rosengrcn (1993a:7) kann aber auch "minimale Fokussierung" vorliegen: (48) A: Wann soll ich meine alte Mutter mal wieder besuchen? B: Im SOMmer besuch deine alte Mutter mal wieder! Nach Rosengren (1993a:7f.) können solche Ausdrücke aber, mit rise-Kontur, als Topik der Äußerung gelten: (49) Die WAFfen laßt lieber im HAUS liegen! Die Möglichkeit des VERUM-Fokus in Verb-Erst-/Verb-Zweit-Imperativsätzen erörtert Höhle (1992:119) Bsp. (32a/b/c): (50) NIMM dir endlich einen Stuhl Nun HÖR doch damit auf LIES ihm mal die Leviten Höhle ordnet solchen Beispielen vorsichtig den VERUM-Fokus-Status zu. - Zusammenfassend kann man also feststellen, daß bei diesem Satztyp die normale FHG-Variabilität vorliegt; die Besonderheiten können dem Konto Imperativ-Modus zugeschrieben werden. 2.3.2.

daß- (und o*-)Verb-Letzt-Imperativsatz

Bei der daß-Variante handelt es sich um die selbständige Variante des indirekten Imperativsatzes, bei der oft-Version um eine idiomatische Variante des selbständigen oft-Verb-LetztFragesatzes. Da beide Typen gleiche und insgesamt unproblematische FHG-Eigenschaften zeigen, fasse ich sie hier zusammen. - Im Gegensatz zu den Verb-Erst-/Verb-Zweit-Imperativsätzen können diese Satztypen kaum dialogisch, etwa als Antwort auf eine so/fen-Frage, gebraucht weiden; dies liegt wohl daran, daß sie vorwiegend für drohende, ultimative Aufforderungen (Verwünschungen, Flüche) verwendet werden. Anders als der Grundtyp weisen sie auch obligatorisch ein Subjektspronomen auf, sowie ein Verb, das keine Imperativmorphologie zeigt. Dies erleichtert wohl die Satzfokus-Interpretation, scheint aber andererseits die Fokussierung des Subjektsausdrucks zu erschweren:

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(51) A: Was soll ich tun? / Was soll ich dem Kind schenken? B: ?Daß du mir JA/Ob du mir wohl dem Kind den BALL schenkst! Hierbei liegt übrigens auf der Modalpartikel ja ein Starkakzent, über dessen Charakter als Fokus- oder Topic-Akzent man keine begründeten Vermutungen anstellen kann. 5 (52) A: Wem soll ich den Ball schenken? B: ?Daß du mir JA/Ob du mir wohl den Ball dem KIND schenkst! In gleicher Weise beim Fokus Verb. In den bisherigen Fällen war der Subjektsausdruck nichtfokal. Nun soll versucht werden, seine Einbeziehung in den Fokus zu ermöglichen. (53) A: Was soll geschehen/getan werden? (Satzfokus) B: Daß du mir JA/Ob du mir wohl dem Kind den BALL schenkst! Daß mir JA/Ob mir wohl du dem Kind den BALL schenkst! Daß mir JA/Ob mir wohl einer dem Kind den BALL schenkt! ?Daß JA/Ob wohl wir dem Kind den BALL schenken! Daß mir JA/Ob ihr mir wohl dem Kind den BALL schenkt! Daß mir JA/Ob Sie mir wohl dem Kind den BALL schenken! Diese Testreihe bietet mannigfaltige Schwierigkeiten. Wie erwähnt ist der Fragetest kontextuell wenig geeignet. Dann dürfte die Position des Subjektspronomens vor den Modalpartikeln bewirken, daß sie zum Hintergrund gehören; die Position nach den Modalpartikeln ist aber mindestens ungewöhnlich, zudem die Einbeziehung in einen Satzfokus keineswegs eindeutig. Die Adhortatiwersion dürfte bei Verb-Letzt ohnehin obsolet sein. Insgesamt liegen aber wenigstens keine klaren Indizien gegen die Annahme eines Satzfokus vor. - Nun bleibt zu prüfen, ob das Subjektspronomen (eng) fokussiert werden kann: (54) A: Wer soll denn nun dem Kind den Ball schenken? B: Daß mir JA/Ob nur wohl DU dem Kind den Ball schenkst! Daß mir JA/Ob mir wohl irgendEIner dem Kind den Ball schenkt! Daß JA/Ob wohl WIR dem Kind den Ball schenken! Daß mir JA/Ob mir wohl IHR dem Kind den Ball schenkt! Daß mir JA/Ob mir wohl SIE dem Kind den Ball schenken! Daß nur JA/Ob mir wohl KARL dem Kind den Ball schenkt! Hier wiederholen sich weitgehend die Befunde aus dem vorausgehenden Test. Eine normale NP, die in diesem Satztyp als Subjekt möglich ist, erscheint als Fokus am akzeptabelsten. Der Adhortativ ist übrigens auch ohne die störenden dativus-ethicus-/ni> kaum akzeptabel. - Plausible Beispiele für Fälle von VERUM-Fokus kann ich bei diesem Satztyp nicht beibringen. 2.4.

Wunschmodus

Wunschsätze waren bis vor kurzem, wie die Exclamativsätze, eine sehr umstrittene Kategorie, nicht zuletzt deswegen, weil sie sich im segmentalen Bereich kaum von Aussage- und Fragesätzen unterscheiden lassen, dagegen relativ gut im Bereich der Intonation, aber auch Die Arbeit von Meibauer (1993), die diese Thematik aufgreift, erschien nach Abfassung dieser Arbeit und konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden.

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durch das fast obligatorische Auftreten von Modalpartikeln. Durch die detaillierte Untersuchung von Scholz (1991) können die verschiedenen Wunschsatztypen als gesichert unterstellt werden,6 die Exclamativsätze durch die Untersuchungen u.a. von Näf (1987; 1992). In dieser Untersuchung werden beide Satzmodi und die ihnen zugerechneten Satztypen als feststehend behandelt. - Beide Satzmodi unterscheiden sich von den zentralen Satzmodi Aussage, Frage und Imperativ in mehreren Ebenen: auf der Formebene durch die schwache Ausprägung der distinktiven Merkmale; durch das quasiobligatorische Auftreten von Modalpartikeln, die damit fast das Gepräge von Moduspartikeln erhalten;7 durch die Kürze fast aller Belege; durch die ungewöhnliche Position der Hauptakzente; auf der funktionalen Ebene durch die Tatsache, daß derartige Sätze Kundgaben und nicht Mitteilungen sind, daß sie also nicht informativ im engeren Sinn sind, zumal der Sachverhalt, auf den sie sich beziehen, meist offensichtlich ist. Ein Adressat scheint nicht konsumtiv zu sein, wenn auch die Verwendung von Anrede-Pronomina eine Art von Adressierung bewirken kann: (55) Wenn du dem Kind nur den Ball geschenkt hättest! Diese Art von grammatischer Expressivität, Nichtinformativität und Nichtadressiertheit scheint für viele Linguisten besonders schwer vorstellbar. Die genannten Eigenschaften spiegeln sich in Kategorisierungstests (vgl. Scholz 1991:175), bei denen funktional bedingte Fehlkategorisierungen v.a. zwischen Wunschsätzen und Exclamativen vorkommen, also zwischen den expressiven Satzmodi, kaum hingegen zwischen diesen und den formal so ähnlichen Aussage- und Fragesätzen. - Aufgrund der erwähnten Merkmale scheiden dialogische Testverfahren für die Fokuskontrolle wie der Fragetest von vornherein aus. Allenfalls könnte man sich monologische Kontexte vorstellen, in denen das Bekannte bzw. situativ Präsente versprachlicht wird.

Die Argumentation von Rosengren (1993a:35-4S) gegen einen eigenen Wunschsatzmodus erscheint mir in keinem Punkt überzeugend, doch muß ich mir hier eine detaillierte Auseinandersetzung mit ihren Gnmdannahmen und Folgerungen versagen. Hier sei nur festgestellt, daß parallele Eigenschaften mit dem Konditionaladverbialsatz in Konditionalgefügen zwar Plausibilitäten bzgl. der historischen Herkunft aus dieser Struktur beibringen, aber keineswegs diese Herkunft beweisen, für die Wertung in der Gegenwartssprache aber gar nichts besagen, so wenig wie bei den selbständigen Verb-Letzt-Sätzen. Rosengren scheint auch nicht behaupten zu wollen, daß es sich um elliptische KonditionalgefUge handelt. Ihre Rede von einem "selbständigen Konditionalsatz" (Rosengren 1993a:35) ist entweder ein Widerspruch in sich, oder aber sie bestätigt meine Position. Dann aber ist nicht einzusehen, warum diese Satztypen nicht einem selbständigen Satzmodus zugeordnet werden sollten, zumal Rosengren nicht leugnet, daß diese Satztypen regelmäßig zum Ausdruck einer Wunscheinstellung verwendet werden können. Auch hier halte ich die Einwände Rosengrens (1993a:36f.) nicht für stichhaltig. Sie argumentiert damit, daß auch Wunschsätze ohne Modalpartikeln, dann aber mit Interjektionen denkbar sind. Nun ist aber gerade für Wunsch- und Exclamativsätze typisch, daß zwar viele Konstellationen denkbar sind, daß aber in den Belegen nur wenige zentrale Typen auftreten, siehe etwa für die einleitenden w-Ausdrücke in Exclamativsätzen Näf (1992). Oder umgekehrt wenn man entsprechend marginale Exemplare Hörern zur Bewertung vorspielt, so werden sie signifikant schlechter beurteilt, häufiger anderen Satzmodi zugewiesen usw. Mit dem im Münchner DFG-Projekt entwickelten Prototypenkonzept läßt sich diese Datenlage, wie ich meine, angemessen beschreiben: Wunsch- und Exclamativsätze als schwache Prototypen - übrigens durchaus in Übereinstimmung mit der sonstigen Forschung zum Thema, vgl. Altmann (1990).

27 2.4.1.

Verb-Erst-Wunschsatz

Aufgrund der günstigen Forschungssituation kann ich mich darauf konzentrieren, die Ergebnisse der Untersuchungen von Scholz (1991) zu referieren und zu interpretieren. Scholz wertet dabei die Daten eines DFG-Forschungsprojekts aus, das auf dem Prinzip der intonatorischen Minimalpaare basiert (Näheres siehe Altmann/Batliner/Oppenrieder 1989 (Hgg.)). Die entsprechenden Testsätze mit ihren Kontexten lauten (Scholz 1991:169): (56)

Mein Gott! Steht dieser Rummenigge allein vor dem Torwart und bringt den Ball nicht ins Tor. Ach! Hätte er (doch) getroffen! (57) Ach! Wenn doch nicht immer nur die anderen glücklich wären! Wäre ich (doch) glücklich! Die Tests wurden in gleicher Weise mit den Versionen mit Modalpartikeln als auch ohne die Modalpartikeln durchgeführt, um den Einfluß der Modalpartikeln ermitteln zu können. Akzentposition: bei Satz (56) wiesen von den Testsatzrealisationen mit Modalpartikeln aufgrund der Akzentzuordnungstests 54% einen Hauptakzent auf hätte, 46% einen Hauptakzent auf getroffen auf, bei den Versionen ohne Modalpartikeln lauten die Zahlen 66% zu 34% (Scholz 1991, Tab. 8, S. 199). Bei Satz (57) wiesen in der Version mit Modalpartikeln 100% den Hauptakzent auf ich, bei der modalpartikellosen Version 82% den Hauptakzent auf ich, 12% auf glücklich, 6% aufwäre auf (ebda.). Scholz bewertet Akzente auf getroffen und ich bzw. glücklich als fokussierend, die Akzente auf den finiten Verben in Erstposition hingegen als nichtfokussierend, bzw. erstere als kontextgerecht, letztere als nicht kontextgerecht. Diese Aussage bedarf der Überprüfung. So könnte der Hauptakzent auf dem finiten Verb durchaus im Sinne des VERUM-Fokus interpretiert werden, allerdings hier, wegen des Konjunktiv II, im Sinne der Kontrafaktualität. Höhle (1992:120) neigt ebenfalls dieser Interpretation zu. Für beide Testsätze lassen sich Kontexte konstruieren, in denen die Nichtexistenz des jeweiligen Sachverhalts festgestellt bzw. mitgeteilt wird. (56a) A: Rummenigge hat mit dem Ball das Tor nicht getroffen. B: Ach! HÄTTE er doch getroffen! (57a) Ich bin leider gar nicht glücklich. WAR ich doch glücklich! (paralleler Aussagesatz: Ich WÄRE aber gern glücklich.) In beiden Fällen zeigt sich, daß trotz des eindeutigen Kontextes bei Wunschsätzen der Akzent auf dem finiten Hilfsverb nicht zwingend ist, während er bei parallelen Aussagesätzen zwingend erscheint. Die VERUM-Interpretation erscheint auch intuitiv nicht plausibel, allenfalls für den parallelen Aussagesatz. - Der mögliche Akzent auf getroffen kann in diesem Zusammenhang nicht als kontextgerecht, mithin fokal eingestuft werden, ebensowenig der Akzent auf glücklich bei Satz (57a). Doch kann man sicher sagen, daß diese Akzente bei einer durchaus möglichen kontextlosen Realisierung eher als fokal, ja sogar als Normalakzente eingestuft würden als die Akzente auf dem finiten Verb, die als hochgradig markiert gelten können. Der Akzent auf ich bei Satz (57) wird offensichtlich durch den Kontext erzwungen, er muß als Kontrastakzent, damit als eine Sonderform eines fokussierenden Akzents eingestuft werden. Im Hinblick auf die anderen Akzente ist es aber erstaunlich, daß ein so stark kontext-

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bestimmter Akzent bei diesem Satztyp überhaupt möglich ist. - Bezieht man nun die Hörerurteile über die Qualität der Testsatzrealisationen in die Überlegungen mit ein, so zeigt sich, daß Realisationen mit dem Akzent in "Normalposition" deutlich schlechter bewertet werden als Realisationen mit dem Akzent auf dem finiten Verb (Scholz 1991:174). In die gleiche Richtung weist auch die Tatsache, daß modalpartikellose Versionen, die aufgrund dieser Eigenschaft schlechter als Wunschsätze identifiziert werden können, deutlich häufiger den Hauptakzent auf dem finiten Verb aufweisen; mit dieser Akzentposition werden sie dann häufiger dem Wunschsatzmodus zugeordnet. Wird in Satz (57) ein Kontrastakzent auf ich realisiert, so steigen die Fehlzuordnungen auf SS %, wenn auch noch die typischen Modalpartikeln fehlen, und betragen immerhin noch 20 %, wenn Modalpartikeln vorhanden sind (Scholz 1991:175). - Daraus kann man folgende Schlüsse ziehen: Kontrastakzente sind für einen Verb-Erst-Wunschsatz untypisch, wenn auch vielleicht nicht völlig ausgeschlossen. Der Akzent auf dem finiten Verb in Erstposition wird deutlich präferiert, unabhängig vom jeweiligen Kontext; an seinem Charakter als fokaler Akzent muß deutlich gezweifelt werden. Typisch ist aber doch, daß bei konstantem Kontext mehrere Akzentpositionen möglich sind, wenn auch mit unterschiedlicher Bewertung. Vergleichbare Daten gibt es bei Aussage-, Frage- und Imperativsätzen nicht. Nun kann man die Frage stellen, ob diese potentiell nichtfokalen Hauptakzente auch von ihrer Realisation her als solche erkennbar sind. Die z.B. für Exclamativakzente beobachteten Verschiebungen von F0-Gipfel und Amplitudengipfel (der F0-Gipfel folgt dem Amplitudengipfel, vgl. Oppenrieder 1988b:193f.) sind bei Wunschsätzen nur in Ansätzen erkennbar (Scholz 1991:188). Die bei Exclamativsätzen beobachtbare Längung der Hauptakzentsilbe wie des gesamten Satzes ist ebenfalls bei Wunschsätzen nur teilweise erkennbar: bei den modalpartikellosen Wunschsätzen ist die Gesamtdauer im Vergleich zu segmental identischen Fragesätzen erhöht, wenn auch nicht so deutlich wie bei Exclamativsätzen (Scholz 1991:189), hingegen kaum noch wahrnehmbar bei modalpartikelhaltigen Wunschsatzversionen. Ähnlich verhält es sich bei der Dauer der Hauptakzentsilbe. Scholz (1991:191) faßt zusammen: "Sowohl die Gesamtdauer als auch die absolute und relative AI (=Hauptakzentsilben-)Dauer indizieren tendenziell eher Kategoriengrenzen zwischen den markierten Satzmodi EX- und WU-Satz als zwischen markierten (EX/WU) und nichtmarkierten (FR-Kategorien)". Überprüft man die bei Scholz (1991:192-196) vorgestellten Belege (605-608) und (613) sowie (616-619), die ausnahmslos überzeugend wirken, so findet man die obigen Aussagen bestätigt. Oppenrieder (1988b:176) schließt daraus: "Hier (bei Wunsch- und Exclamativsätzen) gibt es offensichtlich sprecherspezifische Strategien der Akzentuierung, die den akzentlenkenden Einfluß des Kontextes überspielen." - Sogar Realisationen mit zwei Hauptakzenten kommen vor, und zwar mit dem ersten Akzent auf dem finiten Verb, dem zweiten Akzent auf dem Fokusexponenten für den Normalakzent. - Unter diesen Voraussetzungen ist eine weitere Überprüfung der Akzentvariation, wie sie bisher durchgeführt wurde, nicht sinnvoll. Bei der derzeitigen Forschungslage muß davon ausgegangen werden, daß beim VerbErst-Wunschsatz das FHG-Konzept weder direkt noch analog übertragen werden kann, daß

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aber partiell der Eindruck entstehen kann, daß kontextbestimmte Hauptakzente nicht völlig ausgeschlossen sind.

2.42. dqß- und wenn-Verb-Letzt- Wunschsätze Diese selbständigen Verb-Letzt-Wunschsätze entsprechen wiederum den Indirektheitstypen von Verb-Erst-Wunschsätzen, wobei konzediert werden muß, daß Berichte über Wunschsatzäußerungen sehr kompliziert sind, daß also der Indirektheitsstatus schwierig nachzuweisen ist. Die Belege zeigen zudem, daß die daß-Varianten heute als antiquiert gelten müssen. Deshalb werden die beiden Subtypen hier zusammengefaßt. Als erster erwähnte vielleicht Jacobs (1984:38f.) einen wenn-Verb-Letzt-Wunschsatz im Hinblick auf unser Thema: (58) Wenn mich doch nur (jGERdasi) Schwester besuchen würde! Dabei konstatiert er eine Abhängigkeit der Fokuswirkung vom ülokutionstyp; das setzt aber doch Fokussierun g voraus. Auch die Anm. 30 (S. 54) deutet in diese Richtung: "[...] Existenz freier Fokussierung in Sätzen, die im allgemeinen nicht in irgendwelche diskurssemantische Relationen eingebunden sind, bei denen die Fokussierung aber wie in allen anderen Fällen bestimmte durch Postulate wie (19) - (21) erfaßbare Sprechereinstellungen zum Ausdruck bringt (z.B. in Optativsätzen)." Scholz (1991:170) stützt sich auf eine sehr schmale Testbasis, nämlich den Satz: (59) Ob die anderen kommen, ist doch eigentlich ziemlich egal. Wenn der Willi doch käme! Der könnte uns bestimmt helfen. Allerdings sind weitere Verb-Letzt-Wunschsätze im Testkorpus enthalten, doch konnten diese nicht allen Testkonstellationen unterworfen werden. Die Hörerbewertungen zeigen, daß die wenn-Verb-Letzt-Wunschsätze und vergleichbar die daß-Varianten als sehr natürlich bewertet werden und deutlich sicherer als die Verb-Erst-Varianten identifiziert werden (Scholz 1991:176). Nach Scholz wird der Hauptakzent ausnahmslos auf Willi plaziert; Scholz wertet dies aufgrund der Kontextvorgaben als eindeutig normalen fokussierenden Akzent. Ich möchte hier Zweifel anmelden, nicht zuletzt wegen der höchst ungewöhnlichen Position des vorgeblichen Fokusausdrucks am Mittelfeldanfang noch vor der Modalpartikel doch. Sicherlich ist Willi im Kontext nicht vorerwähnt, und die Person mit diesem Namen dürfte in der Äußerungssituation nicht präsent sein. Bei einer Umstellung wäre auch ein zwei akzentiges Muster plausibel: (59a) WENN doch der WILli käme! Wird Willi vorerwähnt, so könnte der Akzent auch auf käme fallen: (59b) Der Willi ist immer unser 14. Nothelfer. Und nun läßt er uns so lange warten. WENN doch der Willi KÄme! Vergleichbare Eigenschaften zeigen auch die von Scholz mitgeteilten Belege (629) und (6301):

30 (60) ... Ach, wenn/WENN Sie nur EINfluß auf ihn nehmen könnten! (61) ... WENN es ihm doch das Brot des LEbens geworden wäre! dachte sie traurig ... Damit ergäbe sich aber dann die gleiche Konstellation wie bei den Verb-Erst-Wunschsätzen. Der Akzent auf dem Subjunktor wenn/daß könnte als VERUM-Fokus interpretiert werden inhaltlich plausibel, kontextuell aber, wie dort, nicht; siehe dazu auch Höhle (1992:120), der die Akzeptabilität eines ausschließlichen Akzents auf wenn bezweifelt, damit auch die Möglichkeit einer VERUM-Fokus-Interpretation. - Wie bei den Verb-Erst-Wunschsätzen sei darauf hingewiesen, daß die weitgehend gleiche Wiederholung in diesen Fällen nicht zu einer Akzentverschiebung führt: (60a) Ich würde so gern EINfluß auf ihn nehmen. Ach WENN ich doch nur EINfluß nehmen könnte! Damit ist die Maxime der Relevanz hier offensichtlich aufgehoben, die Reaktion auf den Kontext muß als eher zufällig gewertet werden. 2.5. Exclamativmodus Die Satztypen im Exclamativmodus werden, vergleichbar den Fragesätzen, in zwei Gruppen aufgeteilt, wobei die Satztypen der einen Gruppe kein w-Element im Vorfeld oder als Subjunktor aufweisen, die anderen dagegen schon.8 - Im Hinblick auf die FHG-Struktur sind diese Satztypen relativ schlecht untersucht, aber das Bekannte ist etwas eindeutiger als bei den Wunschsätzen. 2.5.1.

Verb-Erst-/Verb-Zweit-Exclamativsätze

Die Verbstellung variiert hier frei, unterscheidet also keine Subtypen, die getrennt zu behandeln wären.9 - Eine detaillierte Untersuchung zur grammatischen Struktur von solchen Exclamativsätzen liegt bislang nicht vor, auch keine zur FHG-Struktur. Doch gibt es einige wichtige Anmerkungen dazu. Basierend auf Batliner (1988) hat z.B. Jacobs (1988:115) kurz dazu Stellung genommen, indem er für die folgenden Beispiele feststellt, daß eine Version der Akzentuierung "offensichtlich in keiner Beziehung zur FHG steht."

Die Anzahl und die Variationsbreite der Salztypen im Exclamativmodus ist keineswegs ungewöhnlich hoch, wie Rosengren (1992b:265) behauptet Sie ist sogar geringer als bei den Fragesätzen. Ich habe übrigens nirgendwo behauptet, daß es "den" Exclamativsatz als Satztyp gibt Zudem kann man leicht zeigen, daß Rosengren expressive V-2-Aussagesätze zu den Exclamativen zählt. Das führt natürlich zu einiger Verwirrung. Die Annahme von Rosengren (1992b: 2.1.1. und 2.1.2.), die Verb-Z weit-Variante sei eine exclamative Sonderform des Verb-Zweit-Aussagesatzes, die Verb-Erst-Variante eine exclamative Sonderform des Verb-ErstAussagesatzes, halte ich nicht für überzeugend. Rosengren stellt selbst die völlige Parallelität der grammatischen und funktionalen Eigenschaften beider Exclamativ-Varianten fest (a.a.O. 272), und dies, obwohl nach ihrer eigenen Aussage die Verb-Erst-Stellung "[...] bestens dafür geeignet (ist), die exklamative Funktion zu unterstreichen." (Ebenda, S. 273). Wie kommt die Verb-Zweit-Variante ohne dieses Hilfsmittel aus? Von einem weiteren Verb-Erst-Typ mit nicht sagt Rosengren (1992b:277) selbst abschließend: "Da keine rhetorische Uminterpretation vorliegt, verliert die tendenziöse Frage, wenn sie exklamativ verstanden wird, nicht ihren Fragecharakter.'' Es i s t eine Frage!

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(62) Bist DU aber schmutzig! (63) Wie siehst DU denn aus? Bei (63) handelt es sich allerdings um einen emphatisch akzentuierten w-Verb-Zweit-Fragesatz. Für (62) stimmt dagegen die Feststellung, daß durch den Akzent auf du "kein Bezug zu Alternativen hergestellt wird [...]". Bezweifeln muß man aber die Annahme von Jacobs, daß solche Akzente nur in exclamativen Sätzen vorkommen, doch dürfte zutreffen, daß solche "Exclamativakzente" zur "relativ frühen Stellung neigen." Darüber hinaus nimmt Jacobs an, daß nicht alle Akzente in Exclamativsätzen Exclamativakzente sind. Dafür führt er folgendes Beispiel an: (64) Hast du schon wieder das GRÜne Kleid angezogen (statt das ROte)! Satz (64) gehört aber nach meiner Überzeugung nicht zu den Verb-Erst-Exclamativsätzen, sondern zu den Verb-Erst-Aussagesätzen, allerdings in einer emphatischen Variante, die zum Ausdruck von Tadel, Vorwurf etc. verwendet wird. Solche Fehleinordnungen kommen, auch in der wissenschaftlichen Literatur, relativ häufig vor, da die Einordnungen nicht aufgrund der grammatischen Merkmale (hier z.B. die Modalpartikeln und der Hauptakzent) vorgenommen werden, sondern über (recht vage) funktionale Kriterien, wie etwa Expressivität. Und natürlich ist Expressivität nicht ein Monopol der Wunsch- und Exclamativsätze, dort ist sie lediglich auf eine bestimmte Weise grammatikalisiert. - Rosengren (1992b) befaßt sich relativ ausführlich mit exclamativen Strukturen, ersetzt aber m.E. keinesfalls eine ausführliche Studie. Zur FHG-Struktur der Verb-Erst-/Verb-Zweit-Exclamativsätze stellt sie z.B. (S. 270f.; ähnlich S. 273 und 277) fest, daß "Eine exklamative Äußerung [...] initiativ [ist] und meist auch in ihrer exklamativen Funktion voll rhematisch. Man bezieht sich mit ihr nicht auf etwas Vorhergehendes." Darin kann ich keine Begründung erkennen, schon gar nicht im Sinne des Alternativenausschlusses. Möglicherweise führt hier die Spur zurück auf Oppenrieder (1987:179f.), den Rosengren als Quelle für den "vollrhematischen Charakter der VerbErst-Deklarativsätze" erwähnt. An der angegebenen Stelle bezieht sich Oppenrieder aber nur auf eine bestimmte Verwendung von Verb-Erst-Aussagesätzen in Textanfängen, z.B. bei Witzen. - An anderen Stellen spricht Rosengren allerdings auch noch von der Möglichkeit einer "markiertefn] Fokussierung des Arguments" (S. 273), oder von einem "grammatisch gesehen [...] minimale[n] (emphatisch interpretierbare[n]) Fokus in einem Kontext [...], der meist eine vollrhematische Äußerung erwarten läßt." (S. 271). In dieser Widersprüchlichkeit ist diese Aussage für mich nicht verwertbar. - Einen praktikablen Ersatz für die fehlenden SpezialUntersuchungen bietet Scholz (1991), die nicht zuletzt aus Abgrenzungs- und Vergleichsgründen die Daten und Ergebnisse des Modus-Fokus-Intonationsprojekts zu den Exclamativsätzen in ihre Untersuchung miteinbezieht. Der zentrale Analysesatz lautet dabei (mit Kontext): (65) Situation: Sprecher und ein anderer. Sprecher: Was meinst du, wie ich mich über einen dicken Lottogewinn freuen würde. Wäre ich (vielleicht) glücklich!

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Dieser Satz ist direkt vergleichbar mit dem segmental identischen Verb-Erst-Wunschsatz, mit dem er ein intonatorisches Minimalpaar bildet. Akzentposition: von den 14 (bzw. 13) Testsatzrealisationen wiesen bei den modalpartikellosen Versionen 77% den Hauptakzent auf ich auf, 23% auf glücklich; bei den modalpartikelhaltigen Versionen lauten die entsprechenden Zahlen 86% und 14 %. Keine der Realisationen weist einen Hauptakzent auf wäre auf. In diesen Ergebnissen zeigen sich Ähnlichkeiten zu den Wunschsätzen, nämlich sowohl in der Tatsache der Plazierung des Hauptakzents auf ich und glücklich, wie auch annähernd in den Verhältniszahlen. In Bezug auf die Wirkung der Modalparükeln auf die Akzentposition zeigt sich aber eine inverse Tendenz: das Vorhandensein von eindeutigen Exclamativmodalpartikeln führt eher zu einem Anstieg der Akzente auf ich. Warum Scholz (1991:Tab. 8, S. 199) den Hauptakzent auf ich als fokussierend bezeichnet, den auf glücklich dagegen als schwach fokussierend, ist für mich im Hinblick auf den Kontext unerfindlich, ich ist vorerwähnt, und zwar in Relation zum Lottogewinn als Ursache des Glücklichseins, der Referent ist situativ präsent, und es geht mit Sicherheit nicht um eine Altemativenbildung, etwa i.S.v.: 'ich würde mich freuen, aber die ändern würden sich schwarz ärgern.' Ich sehe keinen Grund, ich nicht zu den Hintergrundsausdrücken zu rechnen. Zweifel möchte ich auch bei glücklich anmelden. Denn im Kontextsatz wird immerhin freuen in Relation zu ich gesetzt, es handelt sich also zumindest um eine inhaltliche Wiederholung, die durchaus auch noch deutlicher ausfallen könnte, ohne daß sich die Akzentposition ändern müßte. - Daß der vorliegende Satz relativ häufig dem Wunschmodus zugeordnet wurde (und umgekehrt), wurde in Abschn. 2.4.1. schon erwähnt. Das mag u.a. auch daran liegen, daß dieses Beispiel untypischerweise einen Konjunktiv II aufweist. Nun kann man konjunktivische Verbmorphologie für Exclamativsätze nicht völlig ausschließen. Es zeigt sich aber doch eine generelle Tendenz, die auch durch die Belegsuche von Näf (1992) bestätigt wurde: daß tatsächlich von den vielen denkbaren Konstellationen nur relativ wenige und dabei sehr eindeutige belegt sind. Die Konsequenzen dieser Tatsache, die sich auch bei der Akzentsetzung wiederfindet, müssen erst noch bedacht werden. Nun kann man, wie bei den entsprechenden Wunschsätzen, die Frage stellen, ob diese potentiell nichtfokalen Hauptakzente auch von ihrer Realisation her als solche erkennbar sind. Es zeigt sich, daß bei vorliegendem Beispiel der F0-Gipfel deutlich nach dem Amplitudengipfel liegt (vgl. Scholz 1991, Tab. 8, S. 199; ferner Oppenrieder 1988b:193f.; Batliner 1988). Außerdem ist die Dauer der Hauptakzentsilbe wie auch die Dauer der Gesamtäußerung deutlich erhöht, und zwar sowohl im Vergleich mit den entsprechenden Wunschsätzen wie auch den entsprechenden Fragesätzen. Von den akustischen Daten her wäre also die Annahme eines nichtfokussierenden Akzents zumindest bei Exclamativsätzen gut zu begründen. Aber auch von der Perzeption her findet sich keine Kontraevidenz, da kontext- und modalpartikellos dargebotene Realisationen dieser Sätze, obwohl segmental identisch, von den Testhörern sicher unterschieden und in hohem Maße zutreffend zugeordnet werden konnten. Da, wie erwähnt, segmentale Unterschiede nicht vorhanden sind, und da der Tonhöhenverlauf dieselben Charakteristika aufweist, da auch die Akzentposition identisch ist, kann nur die An der Akzentrealisation als distinktiv geweitet werden.

33 Zusammenfassend kann man also folgendes feststellen: Verb-Erst-/Verb-Zweit-Exclamativsätze zeigen typischerweise ein unmarkiertes Demonstrativum im Vorfeld oder am Mittelfeldanfang, oder einen vergleichbaren Ausdruck, der aufgrund der Verwendungssituation zweifelsfrei zum Hintergrund zählt. Der Akzent darauf kann nicht als fokaler Akzent gewertet werden, er unterscheidet sich auch akustisch und perzeptiv von normalen fokalen Akzenten. - Es verbleibt die Aufgabe, den möglichen zweiten Primärakzent (entweder alternativ oder zusätzlich zum Exclamativakzent) einzuordnen. Die Situation ist durchaus mit der bei den entsprechenden Wunschsätzen zu vergleichen. Typischerweise liegt dieser Akzent auf einem skalierbaren Lexem (z.B. einem prädikativen Adjektiv wie glücklich), das in anderen Sätzen den Normalakzent tragen würde. So etwa könnte der obige Text statt mit einem Exclamativsatz mit einem Aussagesatz fortgesetzt werden: (66) ... Dann wäre ich GLÜCKlich. Es bleibt aber das Problem, daß dieser Akzent durch den Kontext überhaupt nicht beeinflußbar ist. So etwa kann ein wortgleicher Aussagesatz (natürlich auch ein Exclamativsatz) vorausgehen, ohne daß der Akzent verlagert werden müßte: (67) Dann habe ich mich furchtbar über den Lottogewinn gefreut. Mein Gott, habe ICH mich geFREUT! Ich HAB mich vielleicht geFREUT! Die fokale Funktion der Alternativenbildung oder des Alternativenausschlusses kann also auch hier nicht vorliegen. - Es lassen sich aber untypische Exclamativsätze denken, z.B. ohne Demonstrativum und ohne ein skalierendes Lexem gegen Satzende. Hier lassen sich weitere Akzentvariationen konstruieren: (68) Der PEter hat/Hat der PEter vielleicht dem Kind einen (schönen) BALL geschenkt! /... dem KIND einen Ball geschenkt! /... einen Ball geSCHENKT! Sobald man nun einen Kontext hinzufügt, der die untypischen Akzentpositionen plausibel macht, findet ein Wechsel zum Aussage- oder Fragesatz statt: (68a) A: B: (68b) A: B:

Hat der Karl dem Kind einen Ball geschenkt? Der PEter hat (vielleicht) dem Kind einen Ball geschenkt! Der Peter hat dem Lehrer einen Ball geschenkt. Der Peter hat dem KIND einen Ball geschenkt. / Hat der Peter dem KIND einen Ball geschenkt?

Auch daraus folgt wohl, daß hierbei bereits der erlaubte Variationsraum von Exclamativsätzen verlassen ist. - Gründe gegen eine Einstufung akzentuierter Auxiliarverben in Verb-ErstExclamativsätzen als VERUM-Fokus finden sich in Höhle (1992:117). 2.5.2.

da#-Verb-Letzt-Exclamativsatz

Diese Variante wird von Rosengren (1992b:277-288) behandelt. Sie meint, daß bei diesem Satztyp "der denotierte Sachverhalt präsupponiert" ist (a.a.O. 278). Gründe für diese Einordnung, etwa ein elliptisches faktives Matrixsatzprädikat, werden nicht angegeben, ebensowe-

34 nig wird ein Schluß auf die FHG gezogen. - Die Möglichkeit eines VERUM-Fokus mit Plazierung des Satzakzents auf der Subjunktion daß wird als erwartbar, tatsächlich aber als "nicht gut möglich" (a.a.O. 280) bezeichnet. Eine Erklärung dafür wird nicht angeboten. Auch in dieser Variante kann ein skalierbares Lexem auftreten: (69) Daß der dem Kind (aber auch) (SO) einen (SCHÖnen) Ball geschenkt hat! (70) Daß ich DAS (aber auch) erleben muß! Wiederum sind zwei Akzentpositionen möglich: die eine am Mittelfeldanfang, bevorzugt auf einem unmarkierten Demonstrativpronomen, das keineswegs nur Subjektfunktion aufweisen darf. Für diese Akzentposition gilt alles, was schon oben darüber gesagt wurde: eine fokale Interpretation scheidet mit hoher Sicherheit aus. - Ein zweiter Akzent kann am Ende des Mittelfeldes oder auf dem klammerschließenden Element, also in typischer "Normalposition" realisiert werden, bevorzugt auf einem skalierbaren Element. Hier liegt der Verdacht nahe, daß es sich um einen Fokusakzent handelt. Doch auch hier schlagen alle Versuche fehl, durch geeignete Kontexte diesen zweiten Akzent steuern zu wollen. 2.5J.

w-Verb-Zweit-/Verb-Letzt-Exclamativsatz

Vgl. zu diesem Satztyp Rosengren (1992b:281-297). Die Verbstellung variiert hier völlig frei, unterscheidet also keine eigenständigen Satztypen. Die Annahme, daß der Verb-Letzt-Typ in der Gegenwartssprache der geläufigere ist, wurde von Näf (1992) unter Hinweis auf Belegmaterial in Zweifel gezogen. Die entsprechenden Sätze können, müssen aber nicht ein skalierbares Lexem enthalten; dieses kann auch Teil des w-Ausdrucks sein, wobei dieser komplexe w-Ausdruck topologisch aufgespalten sein kann; es kann aber auch am Satzende plaziert sein. (71) Was HAST du (aber auch) für SCHÖne Beine! Was für SCHÖne Beine hast du (aber auch)! Was du (aber auch) für SCHÖne Beine hast! (72) Was HAST du (aber auch) für BEIne! Was für BEIne hast du (aber auch)! Was für BEIne du (aber auch) hast! Ist ein skalierbares Lexem (z.B. schön) vorhanden, so kann es sowohl im Vorfeld als auch am Mittelfeldende (in "Normalposition") einen Primärakzent erhalten. Weist das Vorfeld kein skalierbares Lexem auf, dann kann das finite Verb in Zweitposition einen Primärakzent erhalten. Fehlt ein skalierbares Lexem überhaupt, dann kann der Primärakzent auf dem Fokusexponenten für den Normalfokus plaziert werden.10 In allen Fällen kann keine Alternativenbildung und damit auch keine Reaktion auf den relevanten Kontext beobachtet werden. Z.B. ist Rosengren (1992b:293) meint: "Die Akzentuierung unterscheidet sich nicht prinzipiell von der der entsprechenden Deklarativsätze ohne w-Phrase." Dabei setzt die Autorin wohl Akzentuierung und Fokussierung weitgehend gleich (vgl. ebenda. S. 296). Diese Aussage kann man bezweifeln, doch ist ein Vergleich der Ansätze kaum möglich, da die Fokussierungsmöglichkeiten nicht im Detail diskutiert werden, und da die Autorin die ExclamativsÄtze ganz anders abgrenzt So würde ich ihre Beispiele (281) - (286) als w-VerbLetzt-Fragesätze einordnen; zahlreiche andere Beispiele sind für mich nicht akzeptabel.

35 in jeder denkbaren Situation der Sachverhalt, daß der Angesprochene Beine hat, offenkundig, allenfalls hätte die Art der Beine Mitteilungswert. Doch genau dieser Aspekt muß gar nicht explizit ausformuliert sein. Auch hier kann wieder ein Aussagesatz mit gleichem propositionalem Gehalt vorausgehen, ohne daß sich etwas an der Akzentplazierung ändern müßte: (73) Ich möchte mal deine schönen Beine ansehen. Was für SCHÖne Beine du hast! / Was HAST du aber auch für schöne Beine! Wie bei den vorausgehenden Exclamativsatztypen muß man also bezweifeln, daß es sich dabei um fokale Akzente handelt.

3. Zusammenfassung Die Untersuchung des Zusammenhangs von Satzmodus und FHG hat, aus meiner Sicht, folgende Ergebnisse gebracht: a)

Das Konzept des Alternativenausschlusses als Basis der FHG erwies sich, zumindest bei den Satzmodi Aussage, Frage und Imperativ, als tragfähig, d.h. als satzmodusunabhängige Festlegung der FHG.

b)

Die Übertragung und Anpassung des Frage-Antwort-Tests als operationale Basis der FHG ist bei den genannten drei Satzmodi ebenfalls gelungen.

c)

In denjenigen Fällen, in denen eine modifizierte Anwendung des Frage-Antwort-Tests nicht gelang, war eine analogische Übertragung des FHG-Konzepts möglich, wenn die Überprüfung der Akzent- und Reihenfolgegesetzmäßigkeiten analoge Variationsmöglichkeiten ergab.

Daneben galt es, wenigstens in Ansätzen die zahlreichen Spezialprobleme bei den einzelnen Satztypen im Satzmodussystem anzusprechen. Hier zeigte sich, daß die FHG beträchtlichen Modifikationen unterliegen kann, insbesondere satztypbezüglichen Einschränkungen der Variationsmöglichkeiten. - Schließlich aber bleiben als großes Problem die Satztypen im Wunsch- und Exclamativmodus, für die eine adäquate Beschreibung unter dem Blickpunkt der FHG immer noch aussteht.

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Zu Satzspaltung (Cleft) und Langer Extraktion in germanischen Sprachen Sven-Gunnar Andersson, Göteborg In diesem Beitrag werden die beiden Konstruktionstypen im Deutschen, Englischen, Niederländischen und in skandinavischen Sprachen (vertreten durch Norwegisch und Schwedisch) untersucht. Im Mittelpunkt steht vor allem die Variation in bezug auf folgende grammatische Parameter: die Art der Beziehung zwischen Ober- und Untersatz, die Art der Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz, die Distribution der Konstruktionen und Konstruktionsvarianten im Hinblick auf die Hierarchie der Satzglieder, was die Zugänglichkeit für die Herausbewegung betrifft, für die Lange Extraktion auch die Zugänglichkeit verschiedener Nebensatztypen als Untersatz der Konstruktion. Im Bereich der Informationsstruktur wird auf die Funktion der herausbewegten Konstituente als Fokus und/oder Topik eingegangen, wobei für die Satzspaltung darauf hingewiesen wird, daß sie im Englischen und in den skandinavischen Sprachen nicht nur verwendet wird, um die Unikalität des Referenten der herausbewegten Konstituente zu kennzeichnen, sondern auch als präsentative Konstruktion mit schwacher, bis sehr schwacher Hervorhebungsfunktion fungiert. Für die Lange Extraktion wird "fokussiertes Topik" als Merkmal der herausbewegten Konstituente bestimmt. Das Englische und die skandinavischen Sprachen zeigen weitgehende Übereinstimmungen, jedoch keine volle Identität. Das Deutsche und Niederländische bilden eine deutlich andere Gruppierung mit sehr viel stärkeren Grammatikalitäts- und Gebrauchsfrequenzrestrik-tionen, wobei die deutsche Standardsprache wiederum die größeren Beschränkungen aufweist. Verschiedene typologische, charakterologische und soziolinguistische Faktoren werden diskutiert, die mit dem festgestellten Gefalle korrelieren.

1. 2. 2. l. 2.2. 2.3. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 4. 4. l. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.4. 5.

Ziel der Darstellung Grundlegende Charakteristika der beiden Konstruktionen Position des herausgestellten Elements Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz Zwischenbilanz Zur Satzspaltung Das Verhältnis des Kopulasatzes zum gewöhnlichen Existentialsatz Die Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz Zur Distribution der a- und b-Variante Zur Informationsstruktur der Satzspaltung Zur Langen Extraktion Zum Verhältnis zwischen Obersatz und Untersatz Die Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz Zur Distribution der Langen Extraktion Zur Syntax der Langen Extraktion Verwendungsbezogene Aspekte Zur Informationsstruktur der Langen Extraktion Schlußkommentar Literatur

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1. Ziel der Darstellung Die folgenden Ausführungen betreffen zwei Typen von Herausstellungskonstruktionen aus sprachvergleichender Sicht. Es sollen dabei sowohl gemeinsame als auch unterscheidende Züge der Konstruktionstypen behandelt werden, und zwar mit dem Ziel, die Frage einer Antwort näherzufuhren, warum die deutsche Standardsprache in bezug auf Bildungsweise, Bildbarkeit und Frequenz der Konstruktionen eine ziemliche Sonderstellung in der Germania einnimmt. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt im grammatischen Bereich gemäß der Annahme, daß die Grammatik den Rahmen definiert, innerhalb dessen Wortstellungsvarianten zu funktionalen Zwecken zulässig sind.

2. Grundlegende Charakteristika der beiden Konstruktionen Es handelt sich bei beiden Konstruktionen um eine Herausbewegung eines Elements nach links aus dem ursprünglichen Satz, wobei der Landeplatz sich in einem vorausgehenden finiten Satz befindet. In beiden Fällen bleibt die Position im ursprünglichen Satz phonetisch leer, vgl. (1) (2)

Montag ist es nicht, daß er kommt, sondern Mittwoch. (Satzspaltung) Montag glaube ich nicht, daß er kommt, aber Mittwoch ist er ganz bestimmt da. (Lange Extraktion)

Es wurde hier mit Absicht ein "minimales Paar" gewählt, weil ausgehend davon sich formale Unterschiede zwischen den Konstruktionen darstellen lassen. Diese betreffen für das Deutsche die Position des herausgestellten Elements und die Art der Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz.

2.1. Position des herausgestellten Elements Bei Satzspaltung ist im Deutschen das herausgestellte Element (persönliche Pronomina ausgenommen) positionell variabel. Vgl. (1) mit (l a) (3) (3a) (4) (4a) (4b) (4c)

Es ist nicht Montag, daß er kommt. Wenn es dein Freund ist, der angerufen hat... Wenn dein Freund es ist, der angerufen hat... Ich bin es, der es getan hat. *Es bin ich, der es getan hat. Wenn ich es bin, der es getan hat.. * Wenn es ich bin, der es getan hat...

Eine gewisse Variabilität ist auch in anderen germanischen Sprachen außer dem Englischen vorhanden, wie z.B. im Niederländischen:

41

(5)

Het is op maandag, dat hij komt. (Es ist am Montag, daß er kommt.) (Sa) Op maandag is het, dat hij komt. (Am Montag ist es, daß er kommt.)

und Schwedischen: (6)

Det är pä mändag (som) han kommen (Es ist am Montag (Rel. part.) er kommt.) (6a) Pä mändag är det (som) han kommer. (Am Montag ist es (Rel. part.) er kommt Bei der langen Extraktion dagegen kommt für das herausgestellte Element nur eine Erstposition als Landeplatz in Frage, und zwar nicht nur im Deutschen, sondern in allen Sprachen, die diese Konstruktion haben. Außerdem kann im Unterschied zur Satzspaltung eine Herausbewegung über mehrere dazwischenliegende Sätze erfolgen, zwar nicht im Deutschen, aber z.B. im Englischen, vgl. (7)

This ist the book, which 1 think that our teacher said that we should buy tely.

immedia-

oder Schwedischen, vgl. (8)

Det här är boken, som jag tror att han sade att han ville att vi skulle köpa (Das ist das Buch, das ich glaube, daß er wollte, das wir sollten kaufen.)

.

2.2. Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, daß bei der Satzspaltung der Untersatz erst mit der Konstruktion entsteht. So hat (1)

Montag ist es nicht, daß er

kommt.

als Ausgangsbasis etwa ( )

Montag kommt er nicht.

während in der Ausgangsbasis einer Langen Extraktion der Untersatz schon vorhanden ist. So hat (2)

Montag glaube ich nicht, daß er kommt,

als Ausgangsbasis (2')

Ich glaube nicht, daß er Montag kommt.

Der Untersatz wird bei der Satzspaltung entweder als Relativsatz gebildet oder durch einen Komplementierer wie dt. daß, engl. that, nl. dat, norw. at eingeleitet, wobei die Distribution der beiden Bildungsarten je nach Sprache unterschiedlich sein kann. Im Schwedischen z.B. kommt nur der Komplementierer som vor, der zugleich als Relativpronomen fungiert.

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Bei der Langen Extraktion kann in verschiedenen Sprachen aus verschiedenen Typen von Nebensätzen extrahiert werden. Es gibt eine Zugänglichkeitshierachie für die Extraktion, wobei daß-Sätze am zugänglichsten und Relativsätze am unzugänglichsten sind. Im Deutschen kann aus doß-Sätzen und sehr beschränkt aus Interrogativsätzen mit Verbletztstellung extrahiert werden. Im Schwedischen scheint es im Prinzip keine Begrenzung in bezug auf den Nebensatztyp zu geben, obwohl bei einigen davon eine Lange Extraktion nur in spontaner oder fiktiver Sprechsprache vorkommt. Die Besetzung der COMP-Stelle bei der Langen Extraktion ist also davon abhängig, wieviele und welche Nebensatztypen in der jeweiligen Sprache als Untersatz zulässig sind.

2.3. Zwischenbilanz Es wurde oben auf Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden Konstruktionstypen hingewiesen. Sie in einem Zusammenhang zu behandeln, heißt nicht, daß sie unmittelbar aufeinander bezogen werden sollen. Das ist wegen der schon angedeuteten augenfälligen Unterschiede nicht möglich. Zwar werden die Konstruktionen durch den gemeinsamen Faktor der Herausbewegung nach links zu solch funktionalen Zwecken genutzt, die mit einer Linksbewegung verbunden sind (Fokussierung, Anschluß an den Vortext und ähnliches), aber die Vorkommensweise der einen Konstruktion in einer Sprache läßt sich nicht kausal aus der Vorkommensweise der anderen ableiten. Wohl können aber Eigenschaften der einen Konstruktion mit Eigenschaften der anderen verglichen und womöglich durch diesen Vergleich auf allgemeinere Prinzipien zurückgeführt werden. Es wird sich im folgenden zeigen, daß die Art der Besetzung der COMP-Stelle sich als wichtiger typologischer Faktor beim Vergleich der Konstruktionen unter sich und in bezug auf ihre Vorkommensweise in verschiedenen germanischen Sprachen darstellt.

3. Zur Satzspaltung Die Satzspaltung in sprachvergleichender Sicht ist Gegenstand von Grewendorf/Poletto (1991), die Deutsch, Englisch und Italienisch miteinander vergleichen. Bei der Kontrastierung der oberflächensyntaktischen Charakteristika legen sie einen Kategorienraster als tertium comparationis zugrunde, anhand dessen dargestellt wird, wie erstaunlich groß die Unterschiede tatsächlich sind in bezug auf die Kongruenz der Kopula (seinlbelessere), die Realisierung und Plazierung des Expletivpronomens (eslitl-l) bei der Fokus-NP, die Art der Besetzung der COMP-Position des Untersatzes. Ein wichtiger Bestandteil der Diskussion von Grewendorf/Poletto sind Kasus und thematische Rolle der herausgestellten Konstituente, und zwar angesichts der Frage, wie die Verbindung mit dem COMP-Element und mit der phonetisch leeren Stelle im Untersatz zu sehen ist Es wird dabei von dem Begriff der Konnektivitätskette Gebrauch gemacht.

43

Der Begriff wird zweifach angewendet: zum einen für die Beziehung zwischen der herausgestellten Konstituente und der phonetisch leeren Stelle im Untersatz, zum anderen für die Beziehung zwischen dem COMP und der phonetisch leeren Stelle im Untersatz. In bezug auf beide Beziehungstypen gibt es Unterschiede zwischen den verglichenen Sprachen. Der von Grewendorf/Poletto benutzte Kategorienraster läßt in kontrastiver Sicht wesentliche Eigenschaften der Cleft-Konstruktion hervortreten. Im folgenden werden auch Schwedisch und Niederländisch in die Darstellung einbezogen, damit die Position des Deutschen innerhalb der germanischen Sprachen deutlicher hervortritt

3.1. Das Verhältnis des Kopulasatzes zum gewöhnlichen Existentialsatz Es soll von dem folgenden empirischen Befund ausgegangen werden: (Der gewöhnliche Existentialsatz)

(Der Kopulasatz in der Satzspaltung)

dt.

Ich bin es, wir sind es

Ich bin es (, den Sie suchen) Wir sind es (, die Sie suchen)

nl.

Ik ben het, wij zijn het

Ik ben het (, die U zoekt) Wij zijn het (, die U zoekt)

schw.

Det är jag, det är vi

Det är mig (/som/ ni söker) Det är oss (/som/ ni söker)

engl.

It is me, it is us

It is me (/who/m/that/you are looking for) It is us (/who/m/that/you are looking for)

it.

Sono

, siamo noi

me, ehe cerca, E noi, ehe cerca

Im Deutschen, Niederländischen und Englischen besteht (in den obigen Beispielen) keine Kettenbeziehung zwischen der Fokus-NP im Kopulasatz und dem Untersatz der Satzspaltung, wohl aber im Schwedischen und Italienischen, wo die Form des Kopulasatzes sich von der des gewöhnlichen Existenzialsatzes unterscheidet. In beiden Sprachen ist die Fokus-NP morphologisch als Objekt gekennzeichnet, was bedeutet, daß sie nicht wie im gewöhnlichen Existentialsatz von der Kopula ihren Kasus zugewiesen bekommt, sondern vom Hauptverb des Untersatzes, zu dem sie als Objekt steht. Es gibt also hier eine Kettenbeziehung zwischen der Fokus-NP und der phonetisch leeren Stelle im Untersatz. (In der Folge wird von den Verhältnissen im Italienischen abgesehen.) Das Englische hat neben Fällen des oben angeführten Typs, wo der Kopulasatz der Satzspaltung mit dem gewöhnlichen Existentialsatz übereinstimmt, auch Fälle, wo das nicht zutrifft, sondern eine Kettenbeziehung wie im Schwedischen vorliegt wie z.B. in It is to me (that) he will have to pay the money. Das Schwedische hat bei Herausstellung eines Personalpronomens als Objekt nur den oben angeführten Typ, was bedeutet, daß die Übereinstimmung .mit dem gewöhnlichen Existentialsatz in diesem Fall ausgeschlossen ist. Im Niederländischen und Deutschen ist es um-

44 gekehrt. Im entsprechenden Fall ist nur die Subjektsform als Fokus-NP und damit die Übereinstimmung mit dem Existentialsatz möglich, die Objektsform ist ausgeschlossen. Bei anderen Typen von Fokus-NP gibt es im Deutschen, Englischen, Niederländischen und Schwedischen zwei Konstruktionsvarianten mit und ohne Übereinstimmung mit dem Existentialsatz, vgl. (9)-(12). Sie haben in den drei letztgenannten Sprachen, aber nicht im Deutschen, die gleiche Akzeptabilität und kommen daher in der Kommunikation als ziemlich gleichwertige Ausdrucksvarianten vor. Im Deutschen wird die Variante entschieden bevorzugt, die mit dem Existentialsatz übereinstimmt und also keine Kettenbeziehung über die Satzgrenze hat. Die andere wird von den meisten Sprechern als "schlecht" bis "nichtakzeptabel" bewertet außer in den Fällen, in denen die erstere nicht realisiert werden kann. Beispiele (die a-Variante zeigt die Übereinstimmung mit dem Existentialsatz): Deutsch (9a) Es war sein Wagen, in dem wir dorthin fuhren. (9b) ?? Es war in seinem Wagen, daß wir dorthin fuhren. Englisch (lOa) It was his car in which we went there. ( ) we went there in. (lOb) It was in his car (that) we went there. Niederländisch (1 la) Het was zijn auto, waarin wij daarnaartoe reden, (lib) Het was in zijn auto, dat wij daarnaartoe reden. Schwedisch (12a) Det var nans bil (som) vi akte dit i. (12b) Det var i hans bil (som) vi akte dit. Aus (9)-(12) geht auch hervor, daß die a- und b-Variante im Deutschen, Englischen und Niederländischen, aber nicht im Schwedischen, sich nicht nur in bezug auf die Übereinstimmung/Nicht-Übereinstimmung mit dem gewöhnlichen Kopulasatz unterscheiden, sondern daß dieser Unterschied auch mit einem Unterschied in der Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz verbunden ist. Im Schwedischen wird durchgängig, vgl. auch (6), (6a) und das schwedische Beispiel am Anfang von Abschn. 3.1., der nicht flektierbare Komplementierer som verwendet, der auch als Relativum fungiert. 3.2. Die Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz Die in (9)-(12) für Deutsch, Englisch und Niederländisch bezeugte Variabilität bei der Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz führt zu Unterschieden in bezug auf Konnektivität nicht nur zwischen Obersatz und Untersatz, sondern auch innerhalb des Untersatzes selbst. Beim aTyp der Satzspaltung besetzt ein Relativum die COMP-Stelle (alternativ kann im Englischen

45

die COMP-Stelle phonetisch leer sein, wie in anderen Relativsätzen auch). Das realisierte Relativpronomen ist in allen drei Sprachen ein lexikalischer Operator, der als an die Erstposition bewegtes Element aufzufassen ist, was wiederum heißt, daß es keine phonetisch leere Spur an der ursprünglichen Stelle im Satz und damit keine satzinterne Konnektivitätskette gibt. Es gibt natürlich auch damit keine satzexterne Konnektivitätskette zwischen der herausgestellten Fokus-NP und einer (bei der a-Variante nicht vorhandenen) phonetisch leeren Spur im ursprünglichen Satz. Bei einem Verbargument wie z.B. einem direkten Objekt als Fokus-NP wird in der a-Variante die herausgestellte Fokus-NP in dem Untersatz durch das Relativpronomen vertreten, das als lexikalischer Operator seine thematische Rolle und ggf. seinen Oberflächenkasus von dem Verb des Untersatzes zugewiesen bekommt. Die Kasusrollenzuweisung erfolgt also innerhalb des Untersatzes, weil es dort eine NP gibt, die die Kasusrolle bekommen kann. (13) Meine Brüder sind es, die sie gesehen hat. (14) It is my brothers, whom she has seen. (15) Mijne broers zijn het, die zij gezien heeft. Bei der a-Variante im Deutschen, Englischen und Niederländischen hat der Kopulasatz die Struktur eines gewöhnlichen Existentialsatzes und der Untersatz die Struktur eines gewöhnlichen Relativsatzes (auch wenn er, wie Grewendorf/Poletto argumentieren, kein echter Relativsatz ist). In diesen Sprachen ist die a-Variante syntaktisch unmarkiert gegenüber der b-Variante, bei der Obersatz und Untersatz in einer viel engeren Beziehung zueinander stehen, und zwar durch die satzexterne Konnektivitätskette, die zwischen der Fokus-Phrase im Kopulasatz und einer phonetisch leeren Spur an der entsprechenden Stelle im Untersatz besteht. Die satzexterne Konnektivitätskette macht sich u.a. dadurch bemerkbar, daß die Fokus-Phrase die Form hat, die ihr als Konstituente des Untersatzes zukommt, vgl. Bsp. (1), (5), (6), (9b)(12b), wo die Fokus-Phrase im Kopulasatz als Angabe zur Prädikation im Untersatz funktioniert, sowohl semantisch als auch der Form nach. Eine solche Plazierung einer Konstituente in einem anderen als dem ihr eigentlich zukommenden finiten Satz läßt die b-Variante als gegenüber der a-Variante syntaktisch markiert erscheinen. Der Markiertheitsunterschied erklärt, warum die hier behandelten germanischen Sprachen in bezug auf die Realisierbarkeit der aVariante fast übereinstimmen, während bei der b-Variante in bezug auf Bildbarkeit und Akzeptabilität Unterschiede bestehen. Charakteristisch für die b-Variante ist, daß die COMP-Stelle im Untersatz keinen lexikalischen Operator hat, sondern durch einen rein formalen Komplementierer besetzt ist. Es hat seinen Grund darin, daß die in den Kopulasatz herausgestellte Fokus-Phrase nicht mit dem Expletiv-Pronomen (es/itlhet) kongruiert, sondern die Form hat, die ihr als Konstituente des Untersatzes zukommt. Rollenzuweisung an die Fokus-Phrase erfolgt dabei also vom Untersatzverb aus und kann nicht noch einmal an der COMP-Stelle markiert werden. Diese wird deshalb von einem konjunktionalen Komplementierer besetzt. Im Deutschen ist die a-Variante der Satzspaltung fast alleinherrschend. Grewendorf/Poletto fuhren dies darauf zurück, daß im Deutschen eine Fokus-NP im Kopulasatz mit

46

dem es für Nominativ koindiziert sei und damit keine Kasuszuweisung vom Verb des Untersatzes bekommen kann. Die Kasuszuweisung muß aber erfolgen und dabei kann eine Konjunktion an der COMP-Stelle nicht als Empfänger dienen. Deswegen werde die COMP-Stelle durch ein Relativpronomen ausgefüllt, das den zugewiesenen Kasus absorbieren kann. Bei "Adverb-Phrasen" als Fokus-Phrase, so Grewendorf/Poletto, sei, sofern sie nicht valenzabhängig sind, keine Rollenzuweisung vom Untersatzverb fällig und daher ein Untersatz mit daß möglich. Grewendorf/Polettos Erklärung ist im Prinzip zuzustimmen, sie bedarf aber einer gewissen Korrektur. Die Trennungslinie verläuft nämlich nicht zwischen herausgestellten Adverb-Phrasen und Nominal-Phrasen, also nicht zwischen in Wortanzugehörigkeit begründeten Größen, sondern zwischen herausgestellten adverbiellen Angaben egal welchen Phrasentyps und Herausstellung von oder aus Größen anderer Funktion. Das zeigen Beispiele wie (16) Es ist das letzte Mal, daß ich so etwas mache. (17) Einen ganzen Monat ist es schon, daß ich darauf warte.

gegenüber (18a) Es ist das letzte Mal, das hier von besonderer Bedeutung ist, nicht was dem alles vorausging. (19a) Ein ganzer Monat ist es schon, womit du dafür rechnen mußt. Nicht jede in den Kopulasatz der Satzspaltung im Deutschen herausgestellte Fokus-NP wird also mit dem es für Nominativ koindiziert, sondern nur solche, die (Teil) eine(r) ArgumentPhrase des Untersatzes sind. Grewendorf/Polettos Ausführungen deuten auch an (vgl. oben), daß im Deutschen nur freie Angaben für die b-Variante der Satzspaltung in Frage kommen. Es scheint aber, als ob die Trennungslinie eher zwischen adverbiellen Bestimmungen überhaupt (also freien wie valenzgebundenen) und anderen Größen verlaufen würde. Bei Subjekten, Kasusobjekten und Präpositionalobjekten als Fokus-NP's ist nur die a-Variante möglich, vgl. (18b) *Es ist das letzte Mal, daß hier von Bedeutung ist. (19b) *Mit einem ganzen Monat ist es schon, daß du dafür rechnen mußt. (20) "Meinen Bruder ist es, daß er kennt, mich nicht. Bei valenzgebundenen adverbiellen Bestimmungen gibt es viele Sprecher, für die Beispiele wie (21), (22) voll akzeptabel sind (man denke sich als Vortext etwa: "Also, ich würde sagen München"): (21) Dorthin ist es, daß du fahren müßtest. (22) Dort ist es nämlich, daß sich diese Plastiken jetzt befinden. 3.3. Zur Distribution der a- und b-Variante Im Schwedischen dominiert die b-Variante, da der Komplementierer som als Einleitungselement des Untersatzes verallgemeinert ist. Das flektierbare Relativpronomen vilken ist stilistisch markiert als 'sehr formell, gehoben, veraltet usw'. Es kommt überhaupt selten vor und

47 ist als Einleitungselement des Untersatzes in der Satzspaltung in den meisten Fällen nichtakzeptabel. Im Englischen sind die a- und b-Variante in den allermeisten Fällen austauschbar. Im Deutschen ist, wie im vorigen Abschnitt ausgeführt, die b-Variante eine marginale Erscheinung, die nur bei Fokus-Phrasen in adverbieller Funktion vorkommen kann und außerdem in den meisten Fällen als stilistisch schlecht bewertet wird. Die a-Variante wird entschieden vorgezogen. Diachronisch ist eine Entwicklung von der b-Variante weg und zu der a-Variante hin zu bemerken. Hermann Paul verzeichnet in seiner Deutschen Grammatik Belege bei Stolberg und Kleist, in denen die b-Variante bei Herausstellung eines Präpositionalobjekts bzw. einer valenzgebundenen adverbiellen Ergänzung verwendet wird: (23) Von wem ist's, daß er spricht? (24) Von ihr ist es, daß ich ihn erhalten habe, (vgl. Paul, Dt. Gr. III, §55, S. 64) Andresen kritisiert in seinem Antibarbarus über Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit im Deutschen die b-Variante, die er aus der Kölner Zeitung mehrfach belegt und als Nachahmung des Französischen bezeichnet. In einer Fußnote bemerkt er, daß "auch im Deutschen" mit dem Anfang es istX l X ist es hervorgehoben werde. Dabei folge aber ein Relativsatz und kein daß-Sztz (vgl. Andresen 1912:420f.). Auf einen die Verwendung der b-Variante verstärkenden Einfluß des Französischen in älterer Zeit weist auch Dyhr (1978:100) hin. Das Niederländische nimmt in bezug auf die Satzspaltung eine Mittelstellung zwischen dem Deutschen und dem Englischen ein. Die b-Variante ist im Niederländischen mit einem Subjekt oder direkten Objekt als Fokus-Phrase nicht verträglich. Der Grammatikalita'tsbereich ist also enger als im Englischen aber weiter als im Deutschen. Zum Unterschied von letzterem sind indirekte Objekte und Präpositionalobjekte als Fokus-Phrasen möglich, vgl. (25) Aan zijn broer is het, dat Dirk gisteren en fies genever gegeven heeft (25') *Seinem Bruder/An seinen Bruder ist es, daß Dirk gestern eine Flasche Genever gegeben hat. (26) Op dit feit is het, dat je bijzonder moet letten. (26') *Auf dieses Faktum ist es, daß du besonders achten mußt. Im Unterschied zum Deutschen, aber in Übereinstimmung mit dem Englischen gelten innerhalb des Grammatikalitätsbereichs die a- und die b-Variante als gleich akzeptabel. Nicht nur Grammatikalität und Akzeptabilität der a- und b-Variante sind von Belang, sondern auch ihre Gebrauchshäufigkeit Dabei gilt für Niederländisch und Deutsch, daß die Satzspaltung, sei es die a- oder die b-Variante, nicht besonders frequent ist, während sie im Englischen und Schwedischen, wie in den anderen nordgermanischen Sprachen, außerordentlich häufig vorkommt. Dyhr führt den von ihm festgestellten Häufigkeitsunterschied zwischen Deutsch und Dänisch auf das Kasussystem des Deutschen zurück (vgl. Dyhr 1978:189). Das Deutsche habe durch das Kasussystem eine größere Möglichkeit, innerhalb des Satzes zwischen Subjekt und Objekt formal zu unterscheiden, während im Dänischen in ambigen Fällen dies nur durch Zuhilfenahme der Satzspaltung getan werden könne. Angesichts der verhältnismäßig niedrigen Frequenz der Satzspaltung im Niederländischen (vgl. Geerts et al. 1984:1036) kann jedoch das Kasussystem kein ausschlaggebender Faktor sein. Kürzlich hat

48

Werner Abraham auf die Wortstellungstypologie als Faktor hingewiesen: "Eine weitere, empirisch gut begründete Korrelation ist auch, daß SVO-Sprachen zum Unterschied von SOVSprachen freie Linksversetzungen ("scrambling") weitgehend beschränken. Dies hat für den OV-Typ zur Folge, daß diskursfunktionalen Eigenschaften der linearen Abfolge viel stärker Folge innerhalb des einfachen Satzverbandes geleistet werden kann, wogegen SVO-Sprachen den einfachen Satzverband sprengen und Zuflucht zu Spaltkonstruktionen nehmen müssen" (Abraham 1992:494). Da Deutsch und Niederländisch beide OV-Sprachen sind, Englisch und Nordgermanisch nicht, ist zum mindesten die Korrelation mit der Wortstellungstypologie gegeben. Ein kausaler Zusammenhang wäre in der unterschiedlich langen Strecke links von dem Hauptverb zu sehen, die für Bewegungen ausgenützt werden kann. Bei der SVO-Struktur gibt es sehr wenige Positionen links von V, bei der SOV-Struktur sehr viele. Eine andere Korrelation, die mit dem Unterschied in der Gebrauchshäufigkeit der Satzspaltung zwischen einerseits Deutsch und Niederländisch, andererseits Englisch, Schwedisch und den übrigen nordgermanischen Sprachen einhergeht, ist der Umstand, daß in den beiden ersteren Sprachen die COMP-Stelle im Untersatz nicht phonetisch leer sein darf. In den anderen Sprachen ist die Besetzung der COMP-Stelle durch that/att/at bzw. durch das Relativpronomen oder die Relativpartikel fakultativ. Auf eine solche Korrelation weist Dyhr (1978:188f.) hin. Er sieht darin eine Bedingung für den Unterschied zwischen Deutsch einerseits und Dänisch, Englisch, Schwedisch andererseits. Es wird nicht näher ausgeführt, was der kausale Zusammenhang wäre, wohl weil er auf der Hand liegt: Bei obligatorischer Ausfüllung der COMP-Stelle wird die Grenze zwischen Ober- und Untersatz stärker ausgezeichnet als bei einer fakultativen, was Herausstellungen aus dem Unter- in den Obersatz als stärker markiert erscheinen läßt. Die Kombination der zwei Faktoren (durch die OV-Struktur bedingte größere Bewegungsmöglichkeit innerhalb des Satzes, obligatorische Besetzung der COMP-Stelle in den in Frage kommenden Nebensatztypen mit einhergehender stärkerer Markierung der Satzgrenze) wäre dann ein Grund für die relativ niedrige Frequenz der Satzspaltung im Deutschen und Niederländischen. Ein anderer Grund ist der engere Funktionsbereich der Satzspaltungskonstruktion im Deutschen und Niederländischen gegenüber Englisch und den skandinavischen Sprachen (vgl. Abschn. 3.4.). Zwischen Deutsch und Niederländisch besteht ein Unterschied in der Distribution der bVariante, d.h. der syntaktisch markierten Variante der Satzspaltung. Im Niederländischen sind adverbielle Bestimmungen, indirekte Objekte und Präpositionalobjekte für die bVariante zugänglich, im Deutschen nur adverbielle Bestimmungen. Ein ähnliches, wenn nicht völlig identisches Gefalle der Zugänglichkeit für eine Herausbewegung aus einem Untersatz in einen Obersatz liegt auch bei der Langen Extraktion vor, die mit der b-Variante der Satzspaltung in bezug auf Konnektivitätsketten übereinstimmt. Es wird bei der Erörterung der Langen Extraktion auf den höheren Grad der Begründetheit der deutschen Standardsprache in der Schriftlichkeit als einen denkbaren Faktor hingewiesen, der sich hinter der empirisch gut unterbauten Behauptung verbirgt, daß in bezug auf Linksbewegungen aus einem Satz in einen vorangehenden Obersatz die deutsche Standardsprache unter den germanischen Sprachen am restriktivsten ist.

49 3.4. Zur Informationsstruktur der Satzspaltung Die Satzspaltung gilt gemeinhin als eine Fokussierungskonstruktion. Die herausgestellte Konstituente wird entsprechend als "Fokus-Phrase" bezeichnet. Sprachvergleichend ist jedoch ein gewisser Unterschied im Stärkegrad der Fokussierung festzustellen. Im Niederländischen und Deutschen, wo die Satzspaltung mit niedriger Frequenz realisiert wird, wird die Fokus-Phrase durch die Satzspaltung mit stärkerer Emphase in den Vordergrund gestellt als in den anderen Sprachen und auch mit einem Kontrastakzent gesprochen. Starke Emphase und Kontrastakzent sind in den anderen Sprachen zwar auch möglich, aber die Satzspaltung wird dort daneben auch verwendet, wenn man im Deutschen und Niederländischen eine etwas schwächere Hervorhebung durch Verschiebung innerhalb des Satzes markiert. In der Praxis wirkt sich dies so aus, daß die Abbildung z.B. einer schwedischen Satzspaltung im Deutschen häufig als "viel zu emphatisch" empfunden wird, wie bei Übersetzungsexperimenten wiederholt festgestellt wird. Im Schwedischen kann die Satzspaltung auch als eine präsentative Konstruktion verwendet werden, wobei die Hervorhebung des herausgestellten Elements sehr schwach ist und der Hauptfokus des Satzgefüges auf einem Element des Untersatzes liegt. So kann man in Nachrichtensendungen im Rundfunk und Fernsehen regelmäßig Mitteilungen folgender Struktur hören: (27) Principerna för sjukförsäkringssystemet kommer att ändras. Det vor för dr sedan, som den davarande rege"ringen började överväga att ändra systemet, vilket alltsä nu kommer att ske. (Die Prinzipien der Krankenversicherung werden geändert. Es war vor drei Jahren, daß die damalige Regierung eine Änderung des Systems zu überlegen begann, die also jetzt durchgeführt wind /Für: Vor drei Jahren begann.../). Der Hauptfokus würde in (27) auf davarande (= damalige) liegen. Ähnliches gilt für das Norwegische (vgl. Venäs 1978) und das Englische (vgl. Quirk et al. 1985,18.26,19.48). Wie im Schwedischen ist es in diesen Sprachen von dem Kontext abhängig, ob der Hauptakzent, d.h. der Hauptfokus, im Satzgefüge auf der Konstituente im Kopulasatz oder auf einer Konstituente im Untersatz liegt. Bei schwach akzentuierter Konstituente im Kopulasatz habe, so Venäs, die Satzspaltungskonstruktion im Norwegischen eine rein informierende, keine hervorhebende Funktion und assortiere, daß in irgend einer Hinsicht ein Identitätsverhältnis zwischen dem im Kopulasatz und dem im Untersatz Mitgeteilten bestehe. Oft sei dabei die Information im Untersatz inhaltlich wichtiger. Im Kopulasatz werde zusätzliche oder nebensächliche Information verschiedener Art untergebracht, wie z.B. Angaben über Person, Ort oder Zeit, die in der Regel weniger wichtig seien als das Ereignis selbst. Mit diesem Identitätsverhältnis gehe einher, daß das im Untersatz Mitgeteilte nur für den Referenten der Konstituente im Kopulasatz gelte. Bei schwacher Akzentuierung sei allerdings die Unikalität nicht die Hauptfunktion. Entsprechende Angaben finden sich für das Englische in der Grammatik von Quirk et al., in der explizit auch ausgesagt wird, daß die Herausstellung einer Zeitangabe in den Kopulasatz mit ihrer Funktion als "scene-setter" für die im Untersatz mitgeteilte wichtigere Information zusammenhänge, und daß die Satzspaltungskonstruktion gerade diese Funktion als "scene-setter" unterstreiche.

50 Die oben besprochene Unikalität gibt Jacobs als eine der möglichen Funktionen von Spaltsätzen an (1988:112: exhaustive Fokusinterpretation). Für das Deutsche und Niederländische ist die Satzspaltung, wie es scheint, nur mit dieser Funktion verbunden, während für das Englische und die skandinavischen Sprachen auch eine Funktion eher präsentativer Art möglich ist.

4. Zur Langen Extraktion Unter "Langer Extraktion" (auch Satzverschränkung genannt) wird hier ein Wortstellungsphänomen verstanden, wie es im Bsp. (2), hier wiederholt als (28), vorliegt: (28) Montag glaube ich nicht, daß

er kommt (, aber Mittwoch ist er ganz bestimmt da).

Ein Element (Montag) ist aus dem Untersatz herausbewegt und an die Spitze des Obersatzes gestellt, wobei die ihm zukommende Stelle im Untersatz phonetisch leer ist, d.h. es ist dort durch keine pronominale Kopie vertreten. Die Funktion der Langen Extraktion hat mit kontextuellen und informationsstrukturellen Faktoren zu tun. Auffallig ist, daß das extrahierte Element fast immer durch den Vorkontext sehr gut vorbereitet und außerdem Träger einer in der Kommunikationssituation wichtigen Information ist. Letzterer Umstand zeigt sich u.a. darin, daß das extrahierte Element Bezugskonstituente des im Obersatz der Konstruktion verwendeten illokutiven Ausdrucks (glauben, meinen usw.) ist wie im Bsp. (28) oben (vgl. hierzu die Ausführungen in Andersson/Kvam 1984:23-31). Die Lange Extraktion ist stark in der Mündlichkeit verankert und kann mit dem besonders in spontaner mündlicher Kommunikation angewendeten Prinzip "Schnell heraus mit dem Wichtigsten" in Verbindung gebracht werden. In der deutschen Standardsprache ist Lange Extraktion nur im Rahmen strenger grammatischer Restriktionen möglich und kommt mit sehr niedriger Frequenz vor (vgl. Andersson/Kvam 1984, Andersson 1988). Dies im Unterschied zu den anderen germanischen Standardsprachen und deutschen Mundarten wie dem Bairischen und der niederdeutschen Gruppe, in denen die Bildungsmöglichkeiten größer (bis sehr viel größer) sind und die Gebrauchshäufigkeit durchaus sehr viel höher ist

4.1. Zum Verhältnis zwischen Obersatz und Untersatz Bei der Langen Extraktion gibt es keine pronominale Vertretung, d.h. keine phonetisch nichtleere Spur, des herausgestellten Elements in dem ursprünglichen Satz, vgl. oben Bsp.(2) sowie (29) Wieviel Geld meinst du denn, daß wir brauchen? (30) Wem willst du denn, daß wir es sagen?

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Die Lange Extraktion ist in bezug auf die Beziehung zwischen Ober- und Untersatz deshalb mit der b-Variante der Satzspaltung vergleichbar. Es besteht bei der Langen Extraktion eine satzexterne Konnektivitätskette zwischen der herausgestellten Konstituente und der phonetisch leeren Stelle im ursprünglichen Satz. Rollen- und Kasuszuweisung erfolgt vom Untersatzverb aus. Eine herausgestellte Angabe modifiziert den Inhalt des Untersatzes, nicht den Inhalt des Obersatzes, in dem sie topologisch steht. Die satzexterne Konnektivitätskette kann bei der Langen Extraktion - wenn auch nicht im Deutschen - viel länger sein als bei der b-Variante der Satzspaltung. Es ist z.B. im Englischen, im Niederländischen und in den nordgermanischen Sprachen möglich, ein Element aus einem tief eingebetteten Satz nicht an den Anfang des unmittelbar regierenden Satzes, sondern an den Anfang eines höher in der Subordinationskette stehenden Satzes, also über dazwischenliegende Sätze, herauszustellen, vgl. oben Abschn. 2.1. Beispiele (7), (8). Wie die b-Variante der Satzspaltung ist auch die Lange Extraktion eine markierte Konstruktion, da durch das Fehlen einer pronominalen Vertretung des herausgestellten Elements die Struktur des Untersatzes nach der Herausstellung verändert ist. Der Obersatz ist markiert, da das aus dem Untersatz herausgestellte Element nur topologisch, aber nicht als Satzglied eingeordnet ist, vgl. die Beispiele oben. In (29) ist Wieviel Geld kein Objekt von meinen, in (30) verstößt Wem gegen das Valenzprogramm von wollen, in (28) ist Montag keine modifizierende Angabe in bezug auf glaube ich.

4.2. Die Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz Wie in 2.2. schon angeführt, können sich Sprachen im Hinblick darauf unterscheiden, aus welchen Arten von Untersätzen eine Lange Extraktion vorgenommen werden kann. Auf diese und andere Tatsachen der Distribution wird in 4.3. eingegangen. Unten soll ausschließlich behandelt werden, ob die COMP-Stelle im Untersatz leerbleiben kann, d.h. ob bei daß-Sätztn und ihren Entsprechungen in anderen Sprachen sowie bei Relativsätzen die Nicht-Besetzung der COMP-Stelle möglich ist. In 3.3. wurde für die Satzspaltung festgestellt, daß im Deutschen und Niederländischen die COMP-Stelle im Untersatz obligatorisch besetzt werden muß, während sie im Englischen und Skandinavischen leerbleiben kann. Für die Lange Extraktion ergibt sich dieselbe Verteilung. Obligatorische Besetzung der COMP-Stelle ist für deutsche und niederländische Verb-letztSätze konsumtiv, d.h. es gibt keine Verb-letzt-Sätze mit einem leeren COMP als Alternative. Bei daßldat-Säizen, die von "psychologischen Verben", d.h. verba dicendi, sentiendi, putandi und voluntatis regiert werden, gibt es im Deutschen in vielen Fällen (jedoch im Niederländischen nie) die Möglichkeit, einen Verb-zweit-Satz zu benutzen. Dieser hat aber keine COMPStelle: Das finite Verb steht an der Stelle, wo im Verb-letzt-Satz die COMP-Stelle ist. Nun sind "psychologische Verben" typisch im Obersatz der Langen Extraktion. Eine solche ist aber nur möglich aus einem eingeleiteten Nebensatz, d.h. aus einem Verb-letzt-Satz, der ja konsumtiv eine besetzte COMP-Stelle hat. Vgl. (31) Montag glaube ich, daß er

gern kommt.

52

(31a) *Montag glaube ich, er kommt

gem.

wobei (3la) eine nicht mögliche Extraktion aus (3Ib) darstellen soll: (31b) Ich glaube, er kommt Montag gern. Der Status des zweiten Teilsatzes in (31b) als Objektssatz und Untersatz von ich glaube ist jedoch dubios, da im neutralen Register der Standardsprache die Negierung des Einstellungssatzes nicht voll akzeptabel ist: (31c) ?Ich glaube nicht, er kommt Montag gem. Dies deutet darauf hin, daß es sich in (31b) um die Parataxe zweier assertierter Hauptsätze handeln kann. Für die Lange Extraktion im Deutschen ist auf jeden Fall festzuhalten, daß sie nur aus einem eine besetzte COMP-Stelle enthaltenden Untersatz möglich ist. Für das Niederländische entfällt eine entsprechende Problematik, da Satzgefüge vom Typ (31b) völlig ungrammatisch sind. Es gibt also im Nl. nur die Verbindung mit einem Verb-letzt-Satz, in dem die COMP-Stelle besetzt ist. Neben der umänderten Abfolge: (32) Ik denk, dat hij graag op maandag komt. (Ich glaube, daß er gern am Montag kommt.) gibt es die Extraktion: (32a) Op maandag denk ik, dat hij graag komt. (Am Montag glaube ich, daß er gern kommt.) Im Nl. ist nicht einmal ein parenthetischer Einschub des Einstellungssatzes als Alternative zur Extraktion möglich: (32b) *Op maandag, denk ik, komt hij graag. (Am Montag, glaube ich, kommt er gem.) Dieser Typ von Alternativkonstruktion ist im Deutschen, Englischen und Skandinavischen völlig gebräuchlich: (32c) Montag, glaube ich, kommt er gem. (32d) On Monday, I think, he will be glad to come. (32e) Pä mandag, tror jag, kommer han gärna. (Am Montag, glaube ich, kommt er gem) Im Englischen kann die COMP-Stelle im Untersatz der Langen Extraktion leerbleiben: (33) On Monday I don't think (that) he will be glad to come. Bei assertiertem Einstellungssatz und nicht-besetzter COMP-Stelle besteht im Englischen fast eine Homonymie zwischen den Strukturen Lange Extraktion und Trägersatz mit eingeschobenem parenthetischem Einstellungssatz, vgl. (33a) und (32d): (33a) On Monday I think he will be glad to come. (32d) On Monday, I think, he will be glad to come.

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Unterscheidungsmerkmal ist nur die durch die Kommasetzung angedeutete Differenz der Intonation. Auch im Skandinavischen kann die COMP-Stelle leerbleiben, wobei jedoch eine mit dem Parenthese-Einschub übereinstimmende Abfolge wesentlich seltener ist als im Englischen. Ein Grund ist die Verb-zweit-Regel im Hauptsatz, die wie im Deutschen zur Inversion von Subjekt und Finitum führt, wenn das Vorfeld nicht durch das Subjekt besetzt ist. Ein anderer Grund ist die in der Nebensatzstruktur vorhandene Position für Satzadverbiale vor dem Finitum. Das führt dazu, daß Nebensätze mit einer leeren COMP-Stelle sich in der Regel von Hauptsätzen hinsichtlich der Elementabfolge unterscheiden. Man vergleiche die englischen Bsp. (32d), (33a) mit den entsprechenden schwedischen: (32e) Pä mändag, tror jag, kommer han gärna. (Parenthese) v s Advbl (Am Montag, glaube ich, kommt er gem.) (32f) Pä mändag tror jag han gärna kommer. (Lange Extr.) s Advbl v (Am Montag glaube ich er gern kommt.) Die Besetzung der COMP-Stelle ist im Englischen und in den skandinavischen Sprachen fakultativ, außer bei Extraktion des Subjekts. Im letzteren Fall muß im Englischen und in der schwedischen Standardsprache in Schweden die COMP-Stelle leerbleiben, während sie in der schwedischen Standardsprachvarietät in Finnland und im Norwegischen besetzt sein kann: (34) Engl.: I will read the text (which) Peter says (-) will then be sent to you. (34a) Schw. in Schweden: Jag skall läsa texten (som) Per säger (-) skall skickas till dig sedan. (Ich werde lesen den Text (der) Per sagt (-) wird werden geschickt zu dir dann.) (34b) Schw. in Finnland: Jag skall läsa texten (som) Per säger (att) skall skickas till dig sedan. (Ich werde lesen den Text (der) Per sagt (daß) wird werden geschickt zu dir dann.) (34c) Norw.: Jeg vil lese den teksten (som) Per sier (at) vil bli skikket til deg etterpä. (Ich werde lesen den Text (der) Per sagt (daß) wird werden geschickt zu dir dann.) Die Sonderregelung beim Subjekt als Extraktionsgröße geht auf den Sonderstatus des Subjekts unter den nicht-verbalen Satzgliedern zurück. Im Englischen und im Schweden-Schwedischen wird eine durch ein realisiertes COMP-Element errichtete ausdrucksseitige Barriere zwischen Obersatz und Untersatz als zu stark empfunden, um die Herausbewegung des Subjekts zu erlauben. Das ist bei anderen Typen von Extraktionsgrößen in diesen Sprach(varietät)en nicht der Fall. In den skandinavischen Sprachen kann eine Lange Extraktion aus einem Relativsatz vorgenommen werden. Dabei gelten dieselben Regeln für Besetzung/Nicht-Besetzung der COMP-Stelle des Relativsatzes wie für andere Relativsätze auch, d.h. Fakultativität außer wenn das Relativum Subjektsfunktion hat. Dann muß es stehen. In den schwedischen Beispielen (35, 35a) stellt das Relativum das indirekte Objekt dar, in (36, 36a) hat es Subjektsfunktion: (35) Det finns ingen (som) jag är skyldig pengar. (normaler Relativsatz) (Es gibt niemand, dem ich bin schuldig Geld.)

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(3Sa) Pengar finns det ingen (som) jag är skyldig. (Extraktion aus einem Relativsatz) (Geld gibt es niemand, dem ich bin schuldig.) (36) Det finns ingen som är skyldig mig pengar. (normaler Relativsatz) (Es gibt niemand, der ist schuldig mir Geld.) (36a) Mig finns det ingen som är skyldig pengar. (Extraktion aus einem Relativsatz) (Mir gibt es niemand, der ist schuldig Geld.) Die hier feststellbare Sonderregel für das Subjekt ist noch ein Indiz für dessen Sonderstatus unter den nicht-verbalen Satzgliedern. Die Einzelheiten der Distribution der Langen Extraktion sind Gegenstand des folgenden Abschnitts. 4.3. Zur Distribution der Langen Extraktion Es sollen im folgenden syntaktische und verwendungsbezogene Aspekte der Distribution aufgegriffen werden, und zwar welche Satzglieder und welche Typen von Sätzen der Extraktion zugänglich sind, bzw. in welchen Sprachverwendungssituationen und mit welcher Häufigkeit Lange Extraktionen vorkommen. Die Angaben im folgenden basieren 1. für die skandinavischen Sprachen teils auf meiner eigenen Kompetenz des Schwedischen, teils auf Engdahl/Ejerhed (1982) und Kvam (1983), 2. für das Englische auf Quirk et al. (1985/Stichwort:push-down/), 3. für das Niederländische auf Geerts et al. (1984) sowie auf eigenen Informantentests, 4. für das Deutsche auf Andersson/Kvam (1984). 4.3.1. a.

Zur Syntax der Langen Extraktion

w -Interrogativgefüge

Unter w-Interrogativgefügen werden hier Satzgefüge wie in (37) - (39) und ihre korrespondierenden Ausdrücke im Engl., Niederl. und in den skandinavischen Sprachen verstanden: (37) Wen meinst du, daß wir einladen sollten? (38) (Er sagte,) wen er meinte, daß wir einladen sollten. (39) Wen immer er auch meint, daß wir einladen sollten, (so müssen wir uns das erstmal überlegen). Die Extraktionsgröße ist (oder enthält) ein interrogatives/indefinites w-Element, das satzgliedmäßig zum Untersatz gehört. Dieser ist ein daß-Satz, während der Obersatz eine Einstellung in bezug auf die Proposition des Untersatzes bezeichnet. W-Interrogativgefüge nehmen eine Sonderstellung ein, insofern als in den berücksichtigten Sprachen das w-Element, also die Extraktionsgröße, satzgliedmäßig jedes beliebige Satzglied des Untersatzes im Prinzip vertreten kann (zu Ausnahmen im Deutschen, s.u.). Die untersuchten Sprachen stimmen also hier fast völlig überein. Wenn die Extraktionsgröße kein w-Element und/oder wenn der Untersatz kein daß-Satz (entspr.) ist, unterscheiden sie sich z.T. beträchtlich.

55 In bezug auf den Satzgliedstatus des w-Elements im Untersatz des w-Interrogativgefüges verhalten sich die untersuchten Sprachen folgendermaßen (zu vergleichen mit der entsprechenden Übersicht im Abschn. b. Übrige Satzgefüge): Dän./Norw./Schw.

Englisch

Niederl.

Deutsch

Adverbielle Bestimmung Indirektes Objekt Direktes Objekt Subjekt 1) Mit obligatorischer Nicht-Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz im Schwedischen und Englischen (vgl. 4.2.) 2) Im Deutschen ist das Subjekt als Extraktionsgröße nur möglich, wenn im Untersatz keine andere Kasusgröße als Ergänzung vorkommt, also: (40) Welcher Zeitraum glaubst du, daß dafür nötig wäre? aber nicht: (41) *Wer glaubte die Polizei, daß der Schuldige sei? (42) *Wer hat die Presse behauptet, daß das Spiel gewonnen hat? Vgl. zum Deutschen Andersson/Kvam (1984:58-62). b. Übrige Satzgefüge Um sie mit der Beschreibung des w-Interrogativgefüges zu verbinden, soll die Übersicht über die Zugänglichkeit verschiedener Satzglieder des Untersatzes als Extraktionsgröße an den Anfang gestellt werden: DänJNorw7Schw. Englisch

Niederl.

Deutsch

Adverbielle Bestimmung Indirektes Objekt Direktes Objekt Subjekt 1) Mit obligatorischer Nicht-Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz im Schwedischen und Englischen (vgl. 4.2.)

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Für das Deutsche haben Informantentests ergeben, daß ein direktes Objekt als Extraktionsgröße von gewissen Sprechern (allerdings nie von einer Mehrheit der Probanden) akzeptiert werden kann, wenn es flexivisch unmarkiert ist: (43) Neun glaube ich schon, daß du drin hast. (44) Ich komme um neun zum Frühstück, erinnere ich mich, daß er gestern gesagt hat. Vgl. Andersson/Kvam (1984:49-51). Die Erscheinung ist zu marginal, um in der Übersicht angeführt zu werden, muß aber erwähnt werden, um zu zeigen, daß es im Bereich der Langen Extraktion Gradationen der Akzeptabilität gibt. In den skandinavischen Sprachen und im Englischen ist die Zugänglichkeit eines Satzglieds als Extraktionselement unabhängig von dessen Realisationsform. Im Niederländischen besteht beim Subjekt ein Unterschied zwischen w-Elementen und anderen Realisationsformen, im Deutschen beim Subjekt, direkten und indirekten Objekt. Der Unterschied ist also im Deutschen am größten, wo außerhalb des w-Interrogativgefüges praktisch nur adverbielle Bestimmungen der Extraktion zugänglich sind. Historisches Material läßt für das Deutsche erkennen, daß die große Asymmetrie zwischen w-Interrogativgefügen und anderen Satzgefügen das Ergebnis einer Reduktion im letzteren Bereich ist: im geschriebenen Deutsch des 18. und 19. Jhs. kamen auch Objekte als Extraktionselemente vor, wie die Belegsammlungen bei Paul (Dt. Gr. IV § 497) und Behaghel (Dt. Synt. § 1219-1221) ausweisen. Im schriftsprachlichen Bereich war die Distribution im Deutschen früher also der im heutigen Niederländisch ähnlich. Zu der Beachtung, welches Satzglied der Langen Extraktion zugänglich ist, kommt als syntaktisches Faktum der Distribution, aus welchen Typen von Untersätzen extrahiert werden kann. Im Abschn. 4.2. wurde auf den Unterschied hingewiesen zwischen den skandinavischen Sprachen und dem Englischen einerseits und Niederländisch und Deutsch andererseits in bezug auf obligatorische/nicht-obligatorische Besetzung der COMP-Stelle in dajS-Sätzen und Relativsätzen, wobei für die beiden letzteren Sprachen die Besetzung obligatorisch ist. In der folgenden Übersicht wird gezeigt, aus welchen Arten von Untersätzen extrahiert werden kann. Daß dabei daß-Sätze zuoberst rangieren, folgt schon aus der oben in a. gegebenen Definition des w-Interrogativgefüges (w-Satz + daß-Satz), bei dem die Grammatikalität der Langen Extraktion in den berücksichtigten Sprachen fast identisch ist.

57 DänJNorw7Schw. Englisch dfl/3-Sätze (entspr.) ofe-Sätze (entspr.) Interrogative/ indefinite w-Sätze (entspr.) Relativsätze Konjunktionalsätze

Niederl.

Deutsch

+

+

+

+

+

(-)1)

+

(+)2)

+

-^

+ +

-3)

1) Vereinzelt möglich, wenn durch whether (nicht durch if) eingeleitet (vgl. Quirk et al. 1985, ll.lSAnm. a(iv)). 2) Nicht alle Typen von Adverbialen können aus ob-Sätzen extrahiert werden (vgl. Anders son/Kvam 1984:56-57) 3) Einige schwach akzeptable Fälle diskutiert Erteschik-Shir in Engdahl/Ejerhed (1982:182184) Sprachvergleichend läßt sich feststellen, daß der prototypische Fall in den berücksichtigten Sprachen die Extraktion aus einem daß-Satz (entspr.) ist. Wie bei dem Extraktionselement gibt es auch in bezug auf den Untersatz der Konstruktion in gewissen Fällen eine Gradation der Akzeptabilität innerhalb ein- und derselben Sprache. Das Gefalle zwischen den skandinavischen Sprachen und dem Englischen in bezug auf die Zugänglichkeit unterschiedlicher Typen von Untersätzen für die Lange Extraktion setzt Erteschik-Shir in Engdahl/Ejerhed (1982:185) mit dem Unterschied in Gebrauch und Markiertheit von Topikalisierung, d.h. von Spitzenstellung eines Elements/Satzglieds, in Verbindung. Im Englischen ist die Spitzenstellung von Objekten stärker markiert und seltener als in skandinavischen Sprachen. Dies wiederum hängt mit dem typologischen Unterschied zusammen, der darin besteht, daß das Englische Subjekt-Verb-Abfolge als ein topologisches Grundmuster hat, während die skandinavischen Sprachen (wie das Niederländische und das Deutsche) in Aussagehauptsätzen Verb-zweit-Struktur haben und eine "Subjekt-Verb-Inversion" durchführen, wenn ein anderes Element als das Subjekt den Aussagehauptsatz eröffnet. Der dadurch ermöglichte ausgiebigere Gebrauch der Topikalisierung in den skandinavischen Sprachen wäre demnach ein Faktor, der einen ausgiebigeren Gebrauch auch der Langen Extraktion mit ihrer Linksbewegung an die Spitze eines übergeordneten Satzes begünstigte. In bezug auf Topikalisierung an die Spitze des eigenen Satzes stimmen aber die skandinavischen Sprachen, Niederländisch und Deutsch überein, während die Zugänglichkeit unterschiedlicher Typen von Untersätzen im Nl. und Dt. noch beschränkter ist als im Englischen. Erteschik-Shirs Vorschlag einer Erklärung kann deshalb nur unter der Voraussetzung plausi-

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bei sein, daß es der SOV-Faktor ist, der die geringe Zugänglichkeit im Nl. und Dt. bewirkt. Dafür gibt es jedoch keine Indizien. Das Gefalle scheint eher mit der vielfach nachgewiesenen größeren Nähe von daß- und ob/w- Sätzen zu Hauptsätzen zusammenzuhängen. Man kann die Lange Extraktion als eine "Ferntopikalisierung " zu einer Position links von GOMP bezeichnen. Da im Hauptsatz das Finitum dort steht, wo im Nebensatz das COMP-Element steht, kann die Lange Extraktion als eine Parallele zu der Topikalisierung ins Vorfeld beim Hauptsatz gesehen werden. Von daher ließe sich erklären, warum die Arten von Nebensätzen, die auch sonst gewisse Hauptsatzeigenschaften annehmen können, leichter als andere der Langen Extraktion zugänglich sind. Zusammenfassend ergibt sich ein deutliches Gefalle: skandinavische Sprachen-EnglischNiederländisch-Deutsch, was die Distribution der Langen Extraktion im System der Satzgefüge betrifft, wobei die skandinavischen Sprachen die größte und das Deutsche die geringste Verbreitung aufweist. Der ausgesprochen enge Verwendungsbereich der Langen Extraktion in der deutschen Standardsprache im Vergleich zu deutschen Dialekten und dem typologisch nahestehenden Niederländisch läßt sich, wenn überhaupt, wohl nur durch die verhältnismäßig schwache Mündlichkeitsbasis der deutschen Standardsprache erklären. In der Einleitung zum Abschn. 4. wurde die Verankerung der Konstruktion in der Mündlichkeit hervorgehoben. Im Deutschen im Unterschied zu den anderen germanischen Sprachen entstand ja die überregionale geschriebene Varietät durch Ausgleichs- und Auswahlsprozesse, die zwischen regionalen Schriftdialekten stattfanden. Die Möglichkeit des Fortfalls typisch sprechsprachlicher markierter Strukturen und die Tendenz zur Einhaltung ordnender Prinzipien wie Logik der Beziehungen usw. könnte daher in der deutschen Standardsprache größer sein.

4.3.2.

Verwendungsbezogene Aspekte

Es handelt sich hier um Fakten der Sprachverwendungssituation und der Gebrauchshäufigkeit. In bezug auf beides ist dieselbe Dichotomic festzustellen wie in so vielen anderen Fällen dieser Studie: Die skandinavischen Sprachen und das Englische bilden eine Gruppe, denen Niederländisch und Deutsch gegenüberstehen, wobei letztere Sprachen wiederum viele Gemeinsamkeiten haben. Die Lange Extraktion wird in den skandinavischen Sprachen und im Englischen in geschriebenen Texten und in mündlicher Rede von hochformellen bis sehr informellen Situationen verwendet. Es vergeht kein Tag, ohne daß sie im Rundfunk und Femsehen, in Zeitungen und Zeitschriften benutzt wird. In deskriptiven Standardgrammatiken, die nicht von logisierender Sprachpflege beeinflußt sind, wird die Konstruktion entweder ohne Einschränkung in bezug auf Vorkommensbedingungen behandelt, wie für das Englische in Quirk et al. (1985/Stichwort:push-down/), oder mit dem Vermerk, daß gewisse Typen fast nur in gesprochener Sprache vorkommen, was für die Extraktion aus anderen Untersätzen als daß-, ob/wund Relativsätzen im Schwedischen zutrifft

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Im Niederländischen gilt die Lange Extraktion als eine Erscheinung der gesprochenen Sprache, vgl. Geerts et al. (1984:948). Sie wird, nach Aussage von Informanten, in gesprochener Sprache auch recht häufig realisiert, in geschriebener Sprache jedoch nur wenn spontane Sprechsprache abgebildet werden soll. Für die deutsche Standardsprache hat die Untersuchung von Andersson/Kvam (1984) nachgewiesen, daß die Lange Extraktion fast nur noch in gesprochener Sprache vorkommt und dabei sehr selten ist. Die Seltenheit bedingt, daß sie in den Grammatiken nicht behandelt wird (außer in Erben (1972, §580), wo sie als Beispiel für besonders in mündlicher Rede begegnende Anomalien beim Hauptsatz-Gliedsatz-Gefüge erwähnt wird.) 4.4. Zur Informationsstruktur der Langen Extraktion An anderer Stelle habe ich für die Lange Extraktion in der deutschen Standardsprache nachzuweisen versucht, daß die Konstruktion eine Informationsstruktur ähnlicher Art hat wie ein Satz mit einem Satzadverbial (vgl. Andersson/Kvam 1984, Kap 4.): Fokussierte Konstituente aus dem Satzi + Gültigkeitsangabe über den Satzi + Rest des Satzj. In (45) hat demnach glaube ich dieselbe Funktion wie vermutlich in (46): (45) Montag glaube ich daß er kommt, aber Dienstag nicht. (46) Montag kommt er vermutlich, aber Dienstag nicht. Die Parallelität beruht darauf, daß das Obersatzprädikat bei Langer Extraktion im Deutschen ausschließlich zu einer der semantischen Gruppen des Sagens, Fühlens, Meinens und Wollens gehört, zu denen typischerweise auch Satzadverbiale gehören. Es ließ sich nachweisen, daß die Extraktionskonstituente auf dieselbe Weise eine besondere Bezugskonstituente des Obersatzprädikats ist, wie eine Konstituente eines durch ein Satzadverbial einstellungsbewerteten Satzes eine besondere Bezugskonstituente des Satzadverbials und damit eine fokussierte Konstituente ist. Sie ist fokussiert in dem Sinne, daß sie nicht zu dem durch einen Negationstest feststellbaren vorausgesetzten Teil der Information des Satzgefüges gehört. Dies bedeutet, daß sie nicht unbedingt einen Fokusakzent trägt, z.B. nicht, wenn sie das Relativum im Relativsatzgefüge ist. Vgl. hierzu Andersson/Kvam (1984, Abschn. 4.2.2.4.) Diese Analyse läßt sich unschwer auch auf das Niederländische und Englische übertragen, da dort dieselbe Bedingung in bezug auf das Obersatzprädikat vorhanden ist (wegen der gleichen Restriktion in bezug auf für Extraktion zugängliche Untersatztypen). Für die skandinavischen Sprachen gilt die Bedingung in bezug auf das Obersatzprädikat nur bei Extraktion aus den Entsprechungen der deutschen daß- und ob/w- Sätze. Da aber auch aus Relativsätzen und adverbiellen Konjunktionalsätzen extrahiert werden kann, kommen auch ganz andere Typen von Obersatzprädikaten vor, wie z.B. die Entsprechung von dauern in: (47) Den här boken dröjde det länge innan jag förstod. (schw.) Denne boken tok det lang rid for jeg förstod. (norw.) (*Dieses Buch dauerte es lange, bis ich verstand.)

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Die Charakterisierung der Extraktionskonstituente als Bezugselement des Gültigkeitsausdrucks im Obersatz gilt demnach nur für "den prototypischen Fall", d.h. wenn aus einem daßoder aus einem ob/w-Satz (entspr.) extrahiert wird. Die anderen Fälle in den skandinavischen Sprachen haben typischerweise eine fokussierte Extraktionskonstituente wie die in (47). Die Fokussierung der Extraktionskonstituente wird in der Literatur zur Langen Extraktion in den skandinavischen Sprachen zusammen mit anderen Merkmalen erwähnt. Es wird daneben zum einen auf die starke Abhängigkeit vom Vorkontext als wichtigen Faktor hingewiesen, damit komplexe Extraktionsfälle akzeptabel erscheinen, zum anderen auf eine andere Eigenschaft der Informationsgliederung im Satzgefüge selbst: "Everything in the sentence except for the topicalized constituent must be interpretable as reasonable predication (comment) of the referent of the topicalized constituent" (Allwood 1982:28. Vgl. auch die Ausführungen und Beispiele von L.-G. Andersson 1982:40-44). Es wird also auch die Topik-KommentarGliederung für die Beschreibung der Informationsstruktur herangezogen. Ähnlich wird in Geerts et al. (1984:949) für das Niederländische verfahren, wobei zu bemerken ist, daß für das Niederländische dieselbe Restriktion in bezug auf das Obersatzprädikat wie für das Deutsche gilt: Ausdrücke des Sagens, Fühlens, Meinens, Wollens, die die Extraktionskonstituente als besondere Bezugskonstituente haben. Diese ist daher im Niederländischen fokussiert. Die beiden Charakteristika, Topik und Fokussierung, können einander natürlich überlagern: "Ich sage über i daß p", bzw. "Was betrifft, so p". Fokussiertes Topik ist also ein Merkmal der Extraktionskonstituente. Im Kommentarteil des Satzgefüges sind Elemente gut bezeugt, die im Vorkontext erwähnt sind und/oder als Träger vorausgesetzter Information funktionieren, also nicht fokussiert sind, obwohl im Kommentarteil fokussierte Elemente natürlich nicht ausgeschlossen sind.

5. Schlußkommentar In bezug auf die Satzspaltung und die Lange Extraktion ist für das Verhältnis zwischen Grammatik und Pragmatik deutlich zu sehen, daß die Grammatik den Rahmen definiert, innerhalb dessen eine Herausstellung zu funktionalen Zwecken stattfindet. Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, sind die Zulässigkeit/Nicht-Zulässigkeit von Konnektivitätsketten über die Grenze zwischen Obersatz und Untersatz, die Art der Besetzung der COMP-Stelle im Untersatz, die Zugänglichkeitshierarchie von Nebensatztypen und Satzgliedern für Herausstellung, die SOV/SVO-Struktur des Untersatzes. Das Gefalle zwischen den berücksichtigten germanischen Sprachen in bezug auf Grammatikalität und Gebrauchshäufigkeit der Konstruktionen ist vor allem auf diese Faktoren zurückzuführen.

61

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Integration Joachim Jacobs, Wuppertal

Die Integrationsrelation ist für verschiedene grammatische Fragestellungen relevant. In der Akzenttheorie ist sie zentral für die Analyse der Fokusprojektion und das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Betonungsmustern und Kopfposition. Außerdem erlaubt sie es nachzuweisen, daß Phrasen und Komposita denselben Betonungsregeln gehorchen. - In der Syntax hebt Integration die Beschränkung der Valenzvererbung durch das Kopfprinzip auf. Sie ist damit auch entscheidend für die Aufhebung von Bewegungsbarrieren, da Bewegung, als Merkmalsweitergabe interpretiert, denselben Perkolationslinien folgt wie Valenzvererbung.

0. 1. 1.1. 1.2. 1.3. 2. 2. l. 2.2. 2.3. 3. 3.1. 3.2. 3.3.

Einleitung Zum Begriff der Integration Beispiele Möglichkeiten der Explikation Bedingungen für Integration Integration und Akzentuierung Fokusprpjektion Abhängigkeit des Neutralakzents von der Kopfposition Phrasaler und Kompositums-Akzent Integration und Syntax Integration und Valenzvererbung Integration und Bewegung Integration als Bindeglied zwischen Syntax und Betonung Literatur

0. Einleitung Im folgenden will ich zeigen, daß eine bestimmte Beziehung zwischen Konstituenten grammatisch relevant ist. Das wesentliche Merkmal dieser Beziehung, die ich Integration nenne, ist, daß sie Schwesterkonstituenten zu semantisch kompakten Einheiten verschweißt, deren außersprachlicher Bezug nicht durch eine Verknüpfung mehrerer Verarbeitungsschritte, sondern in einem Zug hergestellt wird. - Die Relevanz dieser an bestimmten syntaktischen und semantischen Konstruktionsdetails erkennbaren Relation liegt darin, daß sich auf ihrer Basis Lösungen für zahlreiche grammatische Probleme formulieren lassen und dabei Phänomene miteinander vemetzt werden, zwischen denen bisher keine systematische Beziehung hergestellt werden konnte.. Der Aufsatz hat drei Teile: Zunächst wird der Begriff "Integration" eingeführt. Im zweiten Kapitel wird anhand dreier Problembereiche gezeigt, daß dieser Begriff für die Akzentlehre wichtig ist. Im dritten Kapitel wird die Rolle der Integration in der Syntax erörtert, nämlich bei der Analyse der Vererbung von Valenzen und der Restriktionen für Bewegung. Abschlie-

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ßend wind der phänomenverbindende Charakter der Integration, der sich aus den vorangehenden grammatischen Analysen ergibt, am Beispiel von Zusammenhängen zwischen dem Barrierenstatus von Konstituenten und ihrer Akzentuierung verdeutlicht. - Bei allen zu diskutierenden akzentologischen und syntaktischen Problemen werde ich viele Detailfragen ignorieren müssen. Ausführlichere Analysen finden sich in Aufsätzen, die im Literaturverzeichnis genannt sind.1

1. Zum Begriff der Integration Der erste Schritt in meiner Diskussion der Integration, die Begriffsbestimmung, ist zugleich der schwierigste. Das ist nicht überraschend. Die Fixierung eines zentralen theoretischen Begriffs ist immer problematisch, gerade, wenn man ihn nicht als Undefinierten Grundbestandteil der Theorie einführen will. - Ich gebe zunächst einige Beispiele, die die intendierte Deutung des Begriffs "Integration" illustrieren sollen. Danach werde ich die Aufgaben und Probleme einer adäquaten Explikation dieses Begriffs diskutieren, ohne zu versuchen, hier eine solche Explikation in allen Details durchzuführen. Abschließend gebe ich eine Liste von Bedingungen für Integration an, die es uns im Folgenden ermöglichen wird, diese grammatische Relation einigermaßen sicher zu diagnostizieren.2 1.1. Beispiele In jedem der folgenden Ausdrücke soll die mit "l" gekennzeichnete Tochterkonstituente in die mit "2" gekennzeichnete Tochterkonstituente integriert sein (aber nicht umgekehrt, da Integration asymmetrisch sein soll): (1) (2) (3) (4)

[Flüssig i treibstoffi] [[Ein Gewitter] i [zieht aufh] [[eineTüre]iöffnen2] [auf2 [dem Auto] i ]

Die für Integration konsumtive gemeinsame Eigenschaft von (l)-(4) ist die holistische Weise, in der der außersprachliche Bezug dieser Ausdrücke hergestellt wird: Obwohl sich ihre Bedeutung aus den Bedeutungen der beiden Tochterkonstituenten zusammensetzt, ist mit den Ausdrücken (l)-(4) nicht ein zweifacher Zugriff auf Außersprachliches verbunden. Vielmehr entspricht jeweils mindestens einer Teilkonstituente kein eigener semantischer Verarbeitungsschritt. So bezieht man sich mit dem komplexen Nomen (1) auf eine bestimmte 1

Nämlich für die drei akzentologischen Problembereiche in Jacobs (1991a, 1992a bzw. 1992b), für die Valenz- und Bewegungsproblematik in Jacobs (1992c,d).

2 Die Bezeichnung "Integration" entlehne ich aus Arbeiten von A. Fuchs (z.B. Fuchs 1987), die damit eine Relation benennt, die der hier einzuführenden Integrationsbeziehung ähnlich ist Die Unterschiede zu Fuchs* Theorie liegen vor allem in den Details der Einbindung dieser Relation in grammatische Analysen. (So gibt es bei Fuchs keine syntaktischen Anwendungen des Integrationsbegriffs.)

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Quantität von Flüssigtreibstoff, aber nicht zuerst auf eine bestimmte Quantität von Flüssigkeit, dann auf eine bestimmte Quantität von Treibstoff, um die beiden Entitäten dann zum Bezug auf eine Quantität Flüssigtreibstoff zusammenzusetzen. Die Teilausdrücke von (1), flüssig und treibstqff, sind in diesem Sinn semantisch nicht-autonom. - Entsprechendes finden wir in (2), obwohl das ein Ausdruck einer ganz anderen Kategorie ist, nämlich ein Satz. Der Bezug auf ein Ereignis vom Typ 'Aufziehen eines Gewitters* wird in einem Zug hergestellt, insbesondere ohne daß man sich zuerst auf ein bestimmtes Gewitter bezieht und dieses dann mit der Bedeutung des Verbs kognitiv zusammensetzt. - Auch in (3) manifestiert sich diese Form der semantischen Nicht-Autonomie von Teilkonstituenten: Es geht nicht um die Verknüpfung einer bestimmten Türe mit einem bestimmten Öffnungs-Vorgang. Vielmehr stellt diese Verbalphrase einen holistischen Bezug zu Tür-Öffnungs-Vorgängen her. - Und schließlich kann man auch bei (4) keine Zerlegung in zwei eigenständige Bezugsakte vornehmen. Diese Präpositionalphrase identifiziert eine bestimmte räumliche Position, nämlich eine Autooberseite, aber nicht, indem sie zunächst einen Bezug auf die abstrakte lokale Relation 'Auf und dann einen auf ein bestimmtes Auto herstellt. Die räumliche Relation wird von dem Gegenstand, auf den sie anzuwenden ist, nicht durch einen eigenen Bezugsakt getrennt. Die für Integration relevanten Gemeinsamkeiten von (l)-(4) werden noch deutlicher beim Vergleich mit Beispielen, in denen nach der intendierten Begriffsdeutung keine Integration vorliegt: (5) (6) (7)

[[der Bundeskanzler] i und [der Außenminister]^ [[Dieses Gewitter] \ [ist schrecklich^] [[aus Angst] i davonlaufe^]

Die klarste Form der für Nicht-Integration konstitutiven semantischen Autonomie von Teilkonstituenten ist jene bei Koordination. Mit (5) bezieht man sich zuerst auf den Bundeskanzler, dann auf den Außenminister, und bringt die beiden Bezugsgegenstände durch die dem Wort und entsprechende Operation zusammen. Keine der beiden Teilkonstituenten ordnet sich unter, indem sie ihr eigenes Potential zur Bezugnahme auf außersprachliche Entitäten unterdrückt, wie wir es bei (l)-(4) gesehen haben. - Mit (6) bezieht man sich zuerst auf ein bestimmtes Gewitter und schreibt ihm dann eine bestimmte Eigenschaft zu. Damit erfolgt die Herstellung der Gesamtbedeutung in zwei separaten Schritten, also ohne Integration. Daß es bei Sätzen dieser Art nicht möglich ist, die semantische Verarbeitung in einem Zug vorzunehmen, hat wohl etwas mit der Komplexität der außersprachlichen Situation zu tun, auf die der ganze Ausdruck verweist. Eine Situation des Typs "Schrecklichsein des Gewitters' ist kognitiv komplexer, ja von ganz anderer Art, als eine des Typs 'Aufziehen eines Gewitters'. Insbesondere ist sie kein Ereignis, da wir sie uns nicht als zeitlich-räumlich begrenztes Ganzes vorstellen können. Es scheint eine Voraussetzung für die semantische Verarbeitung in einem Zug, also für Integration, zu sein, daß die jeweilige Bezugsentität als zeitlich-räumlich begrenztes Ganzes (bei Sätzen: als Ereignis) konzeptualisiert werden kann. - Auch daß in (7) keine Integration vorliegt, könnte man auf die Unmöglichkeit zurückführen, dem Gesamtausdruck eine geeignete Bezugsentität zuzuordnen. Eine zeitlich-räumliche Begrenzung ist bei Situationen des Typs 'aus Angst davonlaufen' zwar gegeben, aber sie sind in einer Weise zu-

66 sammengesetzt, wie es z.B. 'eine Tür öffnen' nicht ist, vgl. (3). Mit 'aus Angst davonlaufen' identifiziert man nicht nur einen bestimmten Vorgang, sondern darüber hinaus einen Grund für diesen Vorgang. Die dadurch entstehende zusammengesetzte Entität scheint zu komplex für Integration zu sein. Generell führt die Hinzufügung von Informationen über die Umstände von Vorgängen/Ereignissen (Ursachen, Gründe, Lokalisierungen in Zeit oder Raum, Bewertungen durch den Sprecher u.a.m.) zu einer Blockierung von Integration. - Bezugsgegenstände, die Integration ermöglichen, scheinen also in gewisser Weise kompakt sein zu müssen. Wo es keine solchen kompakten Bezugsgegenstände für komplexe Ausdrücke gibt, muß die semantische Verarbeitung in mehreren Schritten erfolgen, also ohne Integration.

1.2. Möglichkeiten der Explikation Spätestens mit den Bemerkungen zu (7) haben wir uns weit aus dem Bereich herausgewagt, in dem es noch halbwegs klare Intuitionen über die mit sprachlichen Ausdrücken verbundenen Modi der Bezugnahme auf außersprachliche Entitäten gibt. Das spricht nicht gegen das Konzept der Integration, aber es zeigt, daß wir uns um eine theoretische Präzisierung dieses Konzepts bemühen müssen. Da es um Beziehungen zwischen sprachlichen und außersprachlichen Entitäten geht, liegt es nahe, diese Präzisierung in der Semantik anzusiedeln. In dem durch Frege, Carnap und Montague geprägten 'mainstream' der modernen linguistischen Semantik stellt man die außersprachliche Entität, die einem Ausdruck in einer bestimmten Verwendungssituation entspricht, durch die Extension dieses Ausdrucks in einem der Situation entsprechenden Modell dar. Zur Erfassung der für Integration relevanten Konstellationen sind Extensionen aber leider gänzlich ungeeignet. Es geht bei Integration, wie oben schon deutlich wurde, nicht primär um Dinge, auf die man Bezug nimmt, sondern um Bezugsafoe (die allerdings voraussetzen, daß es geeignete Bezugsentitäten gibt). Doch auch, wenn man diesen ontologischen Unterschied ignorierte, könnte man Integration nicht auf der Extensionsebene darstellen. Das sieht man schon an unserem ersten Beispiel. Eine Standard-Repräsentation der Weise, wie sich die Extension von (1) aufbaut, wäre (El), wobei ich die Extension einer Konstituente X mit fxl symbolisiere (und die Relativierung auf ein bestimmtes Modell vernachlässige): (El) [flüssig! n ftreibstoffl Nach (El) sind bei (1) drei Extensionen im Spiel: a) die Extension von flüssig, eine Menge von Quantitäten einer bestimmten Art, b) die Extension von treibstoff, ebenfalls eine Menge von Quantitäten, und c) die Extension von Flüssigtreibstoff, jene Menge von Quantitäten, die den Durchschnitt der beiden anderen Mengen bildet.3 Wenn wir den Begriff "Bezug im für Integration relevanten Sinn" mit dem Begriff "Extension" identifizierten, hätten wir hier also drei Bezüge - und das sind zwei zu viel. Die Eigenschaft, die (1) zu einem Paradebeispiel für

Eine äquivalente Repräsentation der Extension von (1) in einer gängigen logischen Notation ist [FLOSSIG(x) & TREmSTOFF(x)].

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Integration macht, ist ja gerade, daß der außersprachliche Bezug des Gesamtausdrucks ohne Zwischenstationen etabliert wird, insbesondere ohne daß für eine der beiden Teilkonstituenten ein eigener Bezug hergestellt wird (s.o.). Im Sinne der Integration sollten wir es also in (1) nur mit einem Bezug zu tun haben. Das kommt in (El) nicht zum Ausdruck. - Daß Extensionen für unseren Zweck ungeeignet sind, sieht man auch daran, daß es nicht möglich ist, durch sie einen typischen Integrationsfall wie (1) von einem typischen NichtIntegrationsfall wie (5) zu unterscheiden. Die Extension von (5) ist genauso aus zwei Teilexten sionen aufgebaut wie die von (1): (E5) [der Bundeskanzler! ® [der Außenministerl ("®" steht für die Deutung von und. Das kann -je nach Lesart - eine Operation sein, die die beiden Teilextensionen zu einem Kollektiv zusammenfaßt, es kann aber auch die Durchschnittsbildung sein.) Analoge Überlegungen zeigen auch für satzwertige Beispiele wie (2), daß Integration nicht auf der Extensionsebene zu erfassen ist. Die Extension von (2) ist (E2): (E2) [zieht auf! (fein Gewitter! ) Dem intransitiven zieht aw/" wird wie üblich als Extension eine Funktion von Dingen in Wahrheitswerte zugeordnet (die Funktion, die die Menge der Dinge charakterisiert, auf die zieht auf zutrifft), und diese Funktion wird auf die Extension von ein Gewitter angewandt.* Die vorliegende Integration kommt wieder deshalb nicht zum Ausdruck, weil zu viele Bezugseinheiten - qua Extensionen - ins Spiel gebracht werden, nämlich drei statt nur einer. Außerdem manifestiert sich die mangelnde Eignung zur Repräsentation der integrationsrelevanten Bezugskonstellationen auch hier darin, daß keine hinreichende Abgrenzung zu entsprechenden Ausdrücken ohne Integration hergestellt werden kann. Der Aufbau der Extension von (2) ist nicht von dem der Extension von (6) zu unterscheiden: (E6) fist schrecklich! ([dieses Gewitter! ) Auch hier haben wir es mit einer Gesamtextension zu tun, die sich aus der Funktionalapplikation der Extension des einen Teilausdrucks auf die Extension des anderen Teilausdrucks ergibt. Es gibt bei (E2) außerdem das Problem, daß das Bezugsobjekt nicht von dem ontologischen Typ ist, der für die Konstatierung von Integration vorauszusetzen ist. Wir sagten oben ja, daß mit (2) im Gegensatz zu (6) ein Bezug auf ein bestimmtes Ereignis hergestellt wird aber die durch (E2) und (E6) repräsentierten Extensionen sind Wahrheitswerte.

Alternativ könnte man ein Gewitter als generalisierten Quantor deuten, also als Funktion, die anderen Funktionen Wahrheitswerte zuordnet Dann wäre die Extension von (2) wie folgt zu repräsentieren: (i) fein Gewitterl (

[ [zieht aufl(x)])

Für die folgende Argumentation ist es unerheblich, welche der Darstellungen man wählt.

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Diese Schwierigkeit ließe sich allerdings beseitigen, wenn man eine extensionale Assoziierung von Sätzen mit Ereignissen zuließe, wie sie in jüngerer Zeit im Rahmen der Wiederbelebung der Vorschläge von D. Davidson (1967) diskutiert wurde.5 Doch auch dann bliebe das Problem der zu geringen Trennschärfe der Repräsentationen. Ich will nun einmal etwas darüber spekulieren, welche Art von semantischen Repräsentationen man zur Behebung dieser Schwierigkeit benötigte. Zunächst ist klar, daß man die Extensionsebene nicht ignorieren kann. Nach wie vor sind die leistungsfähigsten Theorien der Bedeutung natürlichsprachlicher Sätze solche, die auf rekursiven Regeln zur Bestimmung der Extensionen (oder aus Extensionen konstruierten Intensionen) komplexer Ausdrücke aus den Extensionen (bzw. Intensionen) ihrer Teilausdrücke beruhen. Wir brauchen also etwas, was zu den Extensionsrepräsentionen hinzukommt. Nehmen wir einmal an, wir würden durch Einklammerung einer Extensionsrepräsentation in nach unten weisende Pfeile anzeigen, daß mit der entsprechenden Konstituente ein Bezugsakt im für Integration relevanten Sinn verbunden ist. Dann könnten wir den Unterschied zwischen (1) und (5) so darstellen: (Eil)

Ifflüssigl n ftreibstoffU

(El5)

l«lTder Bundeskanzler!! ® ifder Außenminister^

Hier kommt zum Ausdruck, daß in (5), im Gegensatz zu (1), keiner der Teilausdrücke seine Bezugsautonomie zugunsten des Gesamtausdrucks aufgibt. Auch der Unterschied zwischen (2) und (6) wird nun repräsentierbar (El2)

Ifzieht auf! (fein Gewitterl)!

(El6)

4-Jfist schrecklich!! (ifdieses Gewitter!! )l

Diese Notation legt die Frage nach weiteren Konstellationen von Integration bzw. Nicht-Integration nahe. So würde man in (8) (8)

[[die hintere Türe] i öffnen2]

dem Objekt einen eigenen Bezugsakt wohl nicht absprechen. Seine semantische Definitheit weist gerade darauf hin, daß mit ihm ein eigener Schritt der Bezugnahme auf Außersprachliches hergestellt wird. Außerdem hat aber wohl auch die ganze Phrase eine Bezugsentität, nämlich einen bestimmten Vorgang. In der Pfeilnotation würde das so aussehen: (El8)

iföffnen! (ifdie Türeü )l

Nach dieser Darstellung hat hier nur das Verb keinen eigenen Bezug: öffnen visiert in (8) nicht einen eigenständigen Vorgang an, der erst in einem zweiten Schritt mit der Bezugsentität des Objekts zur Bezugsentität der ganzen Phrase zusammengesetzt wird. - Es kommt hier also zu einer n\a partiellen Unterordnung unter das Ziel der Herstellung eines Gesamtbezugs. Soll man hier noch von Integration sprechen? Nach Aufweis der sprachlichen Indizien für Vgl. z.B. Bauerle (1988). - Auch die Situationssemantik bietet entsprechende Möglichkeiten, vgl. Barwise/Perry (1983).

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Integration, die wir in den folgenden Kapiteln diskutieren werden, kann man diese Frage bejahen. Es gibt jedoch auch Indizien dafür, daß solche Fälle nicht ganz dem Prototyp der Integration, wie ihn (l)-(4) exemplifizieren, entsprechen. Fassen wir die verschiedenen Bezugskonstellationen, wie sie durch die Pfeilnotation anschaulich werden, noch einmal zusammen. Nach unseren bisherigen Beobachtungen liegt Integration bei den in (9) aufgelisteten Bezugsmustern vor, wobei und die jeweiligen Teilextensionen sind (Reihenfolge irrelevant) und für die Weise ihrer Verknüpfung steht, etwa für eine Boolesche Operation oder für Funktionalapplikation: (9)

a. ia ßl b. 44al ßi

Der Prototyp der Integration entspricht, wie schon angedeutet, dem Muster (9a), das durch (Eil) und (E>l2) exemplifiziert wird (wobei Durchschnittsbildung bzw. Funktionalapplikation ist). Das Muster (10) ist mit Nicht-Integration verbunden, vgl. (E-iS) und (Eio): (10) Uofcl Die Kombinatorik der Pfeilnotation würde unter anderem auch noch die folgenden Muster zulassen:

(11) a. iai

Ißl

b. ial c. a (l la) und (lib) müßten nach den obigen Überlegungen mit Nicht-Integration verbunden sein. Als Instanz von (lla) könnte man die Nebeneinanderstellung von Sätzen beim Aufbau von Texten interpretieren. Dabei werden zwar bestimmte semantische Verknüpfungsoperationen (meist logische Konjunktion) eingesetzt, aber es werden keine die einzelnen Sätze überspannenden Bezugsakte vollzogen. Entsprechendes finden wir, wenn zu im Verhältnis parenthetischer oder appositiver Modifikation steht.6 Die Frage, ob es Instanzen der anderen Muster in (11) gibt und ob (llc) gegebenenfalls der Integration oder der Nicht-Integration zuzuordnen ist, könnten wir nur dann beantworten, wenn wir unsere Notation für Bezugskonstellationen zu einer Explikation ausbauten. Dazu müßten wir Übersetzungsregeln formulieren, die sprachlichen Ausdrücken rekursiv (Ei)-Repräsentationen zuweisen, die wiederum von den für Integration sensitiven sprachlichen Prozessen (siehe Kap. 2 und 3) ausgewertet werden. Darüber hinaus müßten wir eine InterpretaDen Unterschied zwischen parenthetischer/appositiver und restriktiver Modifikation kann man nicht (jedenfalls nicht vollständig) auf der extensionalen Ebene erfassen. Das sieht man z.B. an indefiniten Nominalphrasen: (i) Vor der Tür wartete ein Scherenschleifer, der eine rote Mütze trug. (ii) Vor der Tür wartete ein Scherenschleifer, der übrigens eine rote Mütze trug.

(i) und (ii) haben dieselben Wahrheitsbedingungen: Beide sind wahr genau dann, wenn es eine (noch nicht in den Diskurs eingeführte) Entität gibt, die ein Scherenschleifer ist, eine rote Mütze trug und vor der Tür wartete.

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lion für die l-Notation entwickeln. Sie würde eine unabhängige Kontrolle des Einsatzes der Notation und der Voraussagen ermöglichen, die sich aus den Übersetzungsregeln ergeben, und uns zwingen, uns den einschlägigen ontologischen Problemen zu stellen. Auch die Frage, was es eigentlich heißt, daß für Integration geeignete Bezugsentitäten kompakt sein müssen (s.o.), kann sinnvoll erst im Rahmen einer solchen Explikation diskutiert werden. Dabei müßte man damit rechnen, daß manchmal der Mangel an Kompaktheit keine ontologischen Gründe hat, sondern auf die rekursive Anwendung der einschlägigen Übersetzungsregeln zurückzuführen ist: (12) daß [[das Kindh [eine Tür öffnet^] Nach Aufweis der zu diskutierenden sprachlichen Indizien ist das Subjekt von transitiven Sätzen wie (12) nicht in seine Schwester-Verbalphrase integriert. Das liegt aber wohl nicht daran, daß die von solchen Sätzen beschriebenen Ereignisse ontologisch zu komplex sind, um ohne Zwischenschritte semantisch verarbeitet werden zu können. Innerhalb der 2-Konstituente von (12) liegt Integration des direkten Objekts in das Verb vor (s.o.). Diese Konstituente muß also eine Repräsentation vom Typ (9) erhalten, nämlich diese: (El 122) If öffneti (feine Türl )l Damit muß aber eine kompositional aufgebaute Repräsentation des Gesamtsatzes (12) so aussehen: (El 12) llföffnetl (feine Tür] )l(lfdas Kind]l)l Das entspricht dem Muster (10) und ist damit ein Fall von Nicht-Integration. Diese Blockierung von Integration durch Einbettung einer bereits integrierten Struktur7 hängt übrigens nicht davon ab, daß die l-Konstituente definit ist und damit von einem eigenen l-Paar umgeben sein muß. Auch (13) mit der Repräsentation (El 13) würde keinem Integrationsmuster entsprechen: (13) daß[[einKind]i[eineTüröffnet]2] _, , (El 13) llföffnetl (feine Türl )l(fein Kindl)! (El 13) ist insbesondere keine Instanz von (9b). Das liegt an der Asymmetrie der Integrationsrelation, die wir bisher ignoriert haben: Bei Integration gibt es immer eine integrierte, also untergeordnete Teilkonstituente und eine, in die integriert wird und die in diesem Sinn übergeordnet ist. Die letztere ist immer diejenige, die den semantischen Typ des Gesamtausdrucks festlegt, also der Kopf. Diese Asymmetrie manifestiert sich unter anderem darin, daß das Integrationsmuster (9b) so zu verstehen ist, daß die Konstituente ohne eigenen Bezug die übergeordnete Konstituente, also der Kopf, sein muß. Deshalb ist (El 13) kein Integrationsfall

Der Leser möge sich selbst davon überzeugen, daß derselbe Effekt auch entsteht, wenn eine nicht-integrierte Struktur der Form (10) eingebettet wird, wie in (i): (i) weil [[das Kind] i [aus Angst davonläuft]^]

71 (und unsere obige Auflistung von Nicht-Integrationsmustern unvollständig: Auch iioti ßi ist ein Nicht-Integrationsmuster, wenn der Kopf ist). Leider würde der Versuch, die obige Forderung nach expliziten Übersetzungs- und Interpretationsregeln für die 4-Notation zu erfüllen, den Rahmen eines Aufsatzes sprengen, in dem nur gezeigt werden soll, daß die Integrationsrelation akzentologisch und syntaktisch relevant ist (s.o.). Vor allem die Interpretationsregeln wären problematisch, da es ja um Rezagsakte geht, d.h. um mentale Operationen beim Aufbau von Repräsentationen außersprachlicher Gegebenheiten. Das sind Entitäten, die nicht den gängigen Schemata der modelltheoretischen Deutung natürlichsprachlicher Strukturen entsprechen. Ob man sie dennoch modelltheoretisch behandeln kann oder ob man auf ganz andere Interpretationsmethoden ausweichen muß, will ich hier offen lassen. 1.3. Bedingungen für Integration Der Verzicht auf die Ausarbeitung einer semantischen Explikation entbindet mich nicht von der Pflicht, Kriterien anzugeben, nach denen im Folgenden in nicht-zirkulärer Weise Integration diagnostiziert werden kann. Ich werde versuchen, dieser Pflicht in Form einer Liste von Bedingungen nachzukommen, die den Begriff "Integration" auf eine Verknüpfung vertrauterer Begriffe zurückspielt und dabei den bisherigen Überlegungen so weit wie möglich Rechnung trägt, sie teilweise auch präzisiert: (Bedl) Konstituente Xi ist nur dann in Konstituente X2 integriert, wenn 1. - 4. gelten: 1. Xi und X2 sind Tochterkonstituenten derselben Konstituente und X2 ist Kopf von Y; 2. a) Xi ist ein Argument von X2 , oder b) ist ein Wort und Xi ist eine nähere Bestimmung zu X2; 3. falls Xi von X2 eine Situationsrolle zugewiesen bekommt, gilt: a) X2 schreibt Xi keine zeitlich nicht limitierte Eigenschaft zu, und b) Xi hat prototypische semantische Objekteigenschaften; 4. X2 enthält nicht mehr Teilkonstituenten als die folgenden: a) eine nicht-komplexe Kernkonstituente L, b) eventuell funktionale Elemente, die L erweitem. Einige Erläuterungen hierzu: 1.3.1. Bedingung l. legt die strukturelle Grundkonstellation und die Richtung der Integration fest: Integration besteht zwischen Schwesterkonstituenten und geht immer zum Kopf hin. (Entsprechend bezeichne ich Xi als integrierte Konstituente, X2 als Ziel-Konstituente.) Das sichert die Asymmetrie der Integrationsrelation. 1.3.2. Bedingung 2. von (Bedl) schließt bestimmte Formen des Aufbaus komplexer Ausdrücke aus, die grundsätzlich mit einer schrittweisen Herstellung des Gesamtbezugs verbun-

72 den sind. Die disjunktive Formulierung trägt Unterschieden zwischen der Satz- und der Wortebene Rechnung. Zunächst zur ersteren: Wenn Xi Argument von ist, dann kann Xi weder mit X2 koordiniert noch eine freie Angabe zu X2 sein. Für Koordination ist die Zerlegung in mehrere Verarbeitungsschritte konsumtiv: Wenn eine semantische Struktur der Form (14) gegeben ist,8

(14) ilTxill wobei eine Boolesche Operation ist und fXil und FXzl einer gemeinsamen Einordnungsinstanz untergeordnet sind, liegt Koordination vor.9 Das ist der prototypische Fall von NichtIntegration nach dem Muster (10) aus 1.2. Die ebenfalls durch Bedingung 2. ausgeschlossene Modifikation durch freie Angaben folgt einem der Muster in (15), alles Instanzen von Nicht-Integration:10

(15) a. . . b. UTXjIlC c. (15a) entspricht Beispielen wie dem hier wiederholten (7), (7)

[[aus Angst] i davonlaufe^]

(15c) solchen wie (16): (16)

[grünei Tomaten2]

Als Grund für die Integrationshemmung in (7) habe ich oben die mangelnde Kompaktheit der Bezugsentität vermutet. Ob sich das auch auf Fälle wie (16) übertragen läßt, ist mir unklar. Klar ist dagegen, daß auch hier nach Aufweis aller zu diskutierenden sprachlichen Indizien keine Integration möglich ist, und das stellt Bedingung 2. sicher. Die Abschwächung durch den Zusatz "oder ist ein Wort und Xi ist eine nähere Bestimmung zu X2" ist erforderlich, weil auf der Wortebene eine Argumentbeziehung zwischen Xi und X2 keine notwendige Bedingung für Integration ist. Eine semantische Struktur nach dem Muster (17)

(17)

2~

kann hier auch dann vorliegen, wenn Beispiele wie (1) oder (18):

nicht Applikation von fX2l auf

ist. Das zeigen

(18) [Grün i tomaten2] 8

Bzw. eine entsprechende Verallgemeinerung für mehr als zwei Tochterkonstituenten. 9 Genaueres hierzu in Lang (1988), der ausfuhrlich zeigt, daß eine adäquate Semantik der Koordination sich nicht mit einer Beschreibung der extensionalen, wahrheitskonditionalen Aspekte zufrieden geben darf: "The grammatical characterization of coordinate structures must be related to a suitably adapted model of cognitive processing, because this is the sphere in which coordinate conjoining [...] takes place" (ebd:8). 10 Bei appositiver Hinzufügung freier Angaben wären entsprechende Instanzen des Musters (l la) anzunehmen, s.o.

73 In solchen Fällen kommt die für Integration notwendige enge Verbindung dadurch zustande, daß die beiden Bestandteile zusammen einen komplexen Begriff bilden, bei dem der erste Bestandteil den zweiten näher bestimmt. Falls aus zwei Wortstämmen besteht, heißt das: muß ein Determinativkompositum sein. Das hier einschlägige Konzept von 'näherer Bestimmung' ist nicht auf der Extensionsebene zu erfassen. Dort würde man Xi als nähere Bestimmung zu X2 in betrachten, wenn in jedem Modell die Extension von eine Teilmenge der Extension von Xi ist (oder genereller: wenn nicht in allen Modellen die Extensionen von und X2 identisch sind). Das ist jedoch für unsere Zwecke zu liberal, wie man an Elativkomposita wie (19) sieht: (19) [Mords i problem2] Da nicht jedes Problem ein Mordsproblem sein muß, liegt hier exten sional gesehen eine nähere Bestimmung von problem durch Mords vor. 11 Im für Integration relevanten Sinn haben wir es hier aber gerade nicht mit einer näheren Bestimmung (und nach traditioneller Auffassung auch nicht mit einem richtigen Determinativkompositum) zu tun. Der erste Bestandteil steht nicht im Dienst der Herstellung eines Bezugs für den Gesamtausdruck. Die Entität, auf die sich dieser Ausdruck bezieht, ist vielmehr auch ohne den Zusatz Mords identifizierbar; dieser dient nicht der Aussortierung eines bestimmten Problems aus einer Menge von Problemen (beantwortet also nicht die Frage 'Was für ein Problem?'), sondern ordnet ein unabhängig identifizierbares Problem nach dem Grad seiner Schwierigkeit ein. In der i-Notation müßten wir also eine Repräsentation der Form (15a) zuordnen, d.h. eine Struktur, die mit Nicht-Integration verbunden ist (was die sprachlichen Eigenschaften solcher Komposita bestätigen, s. Kap. 2). Gleichzeitig sind Repräsentationen der Form (15a) kennzeichnend für Modifikation durch freie Angaben, s.o. Diese integrationshemmende Form der semantischen Gliederung gibt es also auch auf der Wortebene: Morphologische freie Angaben sind Konstituenten von Wörtern, die eine zur Herstellung des Gesamtbezugs nicht notwendige Modifikation der Kopfkonstituente beinhalten, diese also nicht im angedeuteten Sinn näher bestimmen. - Außerdem gibt es auf der Wortebene auch Koordination, vgl. (20): (20) [roti- grün2] Auch hier ist die erste Konstituente kein Argument und keine nähere Bestimmung der zweiten und damit nicht in diese integriert. Zusammenfassend kann man die Leistung der zweiten Bedingung in der obigen Liste also wie folgt charakterisieren: Sie schließt auf der Satz- und auf der Wortebene Fälle von Koordination und von Modifikation durch freie Angaben aus der Integrationsrelation aus. 1.3.3. Bedingung 3. von (Bedl) präzisiert die obige Vermutung, daß auch bei Argumenten die Integration durch mangelnde ontologische Kompaktheit von behindert werden kann, vgl. unsere Bemerkungen zu (6). Ein entscheidender Faktor ist hierbei, wie oben schon anklang, das zeitliche Profil der mit verbundenen außersprachlichen Situation. Insbesondere Darauf hat mich Dietmar Zaefferer hingewiesen.

74 ist die Integration eines Argument-Xi immer dann blockiert, wenn das Zutreffen von X2 auf Xl zeitlich nicht limitiert ist: (21) [Spaghettii [sind aus Hartweizengrießh] (22) [Fritz i [ißt Spaghetti mit Messer und Gabel^] (23) [Fritz i [istdummh] Generische Eigenschaftszuschreibungen wie in (21), Zuschreibungen von Dispositionen wie in (22) (in der präferierten Lesart) und Zuschreibungen von Eigenschaften, die nicht nur für bestimmte Stadien von XL sondern grundsätzlich gelten, wie in (6) oder (23), blockieren die Integration von Xi. Diese Aussageformen sind darüber hinaus in aller Regel mit einer TopikKommentar-Gliederung (TKG) verbunden: Mit Xi wird ein Gegenstand identifiziert, über den mit X2 etwas gesagt wird. In dieser traditionellen Charakterisierung kommt deutlich zum Ausdruck, daß für die TKG zwei selbständige semantische Verarbeitungsschritte konstitutiv sind. Eine TKG-Struktur wie (6) oder (23) hat entsprechend in der -l-Notation eine Repräsentation der folgenden Form (vgl. (E-lo)): (24) UTXzli (IfXili )l Die enge Verbindung von zeitlich nicht limitierter Prädikation und TKG - die besonders in topikprominenten Sprachen transparent wird, also solchen, die die Topikalität von Satzkonstituenten deutlich markieren, etwa morpholexikalisch oder durch vom Restsatz abgetrennte Topik-Positionen12 - legt die Vermutung nahe, daß der entscheidende Faktor für die Blockierung der Integration von Argumenten die TKG selbst ist. Tatsächlich habe ich in früheren Arbeiten das, was Bedingung 3. leisten soll, durch die Forderung nach Abwesenheit einer TKG zu erfassen versucht (vgl. Jacobs 1991 a - 1992d). Das erscheint mir nicht mehr ganz adäquat. Erstens ist eine solche Fassung der Bedingung 3. mit einer vermeidbaren Redundanz verbunden, weil sie auch Fälle ausschließt, die bereits gegen Bedingung 2. verstoßen. Eine TKG liegt oft auch dann vor, wenn X j kein Argument von X2 ist, sondern die Belegung freier Variablen in X2 vorschreibt. Zwei einschlägige Konstruktionen des Deutschen sind die Linksversetzung und das freie Thema (vgl. Altmann 1981): (25) [[Dieses Gewitter] i [das ist ganz schrecklich] 2] (26) [[Was dieses Gewitter betrifft] i [so ist es ganz schrecklich^] Die freien Variablen in der 2-Tochter, deren Belegung durch die l-Tochter fixiert wird, werden hier syntaktisch durch Pronomina (das bzw. es) realisiert. In anderen Fällen bleiben die Variablen unausgedrückt: (27) [[Was die Abschlußfeier betrifft] i [so ist alles vorbereitet]!] (28) [[Wenn ein Gewitter kommt] i [wird im Saal gefeiert^] In (27) fixiert die l-Tochter die Belegung einer versteckten Variable, die angibt, wofür Vorbereitungen getroffen wurden. In (28) wird durch die 1-Tochter die Belegung einer versteck12 wie das Japanische bzw. Ungarische, vgl. z.B. Kuno (1973), Molnar (1991), und sprachübergreifend Sasse (1987) (der nicht von Topik vs. Kommentar, sondern von Prädikationsbasis vs. Prädikation spricht).

75

ten Variable in der 2-Tochter festgelegt, die die Situation charakterisiert, in der im Saal gefeiert wird.13 TKG-Fälle wie (25)-(28) haben in der 1-Notation die semantische Struktur (29):

(29) UTxili => 4ix21il Dabei symbolisiert "=>" eine Operation, bei der [Xil die Belegung einer freien Variable in fX2l festlegt, eine Art verallgemeinertes Konditional.14 Da diese Operation impliziert, daß Xl kein Argument von X2 ist, werden einschlägige Fälle, wie gesagt, schon durch Bedingung 2. aus der Integrationsrelation ausgeschlossen. Ein weiteres und gravierenderes Problem der Formulierung von Bedingung 3. in TKGTermini ist, daß sie mit der Gefahr von Zirkularität verbunden ist, nämlich bei der Anwendung auf nicht-topikprominente Sprachen wie Deutsch und Englisch, bei denen die Anwesenheit einer TKG hauptsächlich an jenen sprachlichen Phänomenen erkennbar ist, die wir hier gerade mit Hilfe von (Nicht-)Integration erklären wollen, nämlich an bestimmten Mustern der Akzentuierung, Vererbung und Bewegung. Diese Zirkularitäts-Gefahr kann man zwar, wie ich es in den genannten Arbeiten versucht habe, durch Beschränkung auf Bonafide-Fälle der An- bzw. Abwesenheit einer TKG vermeiden, aber damit bleibt die Frage einer möglichen Integration für viele Beispiele unbeantwortet. Das Hauptproblem einer TKG-Formulierung von Bedingung 3. ist aber, daß sie nicht restriktiv genug ist. Häufig ist die Integrierbarkeit von Argumenten aus offensichtlich ontologischen Gründen beeinträchtigt, ohne daß man das auf Topikalität zurückführen könnte: (30) weil [[Gäste] i [hungrig waren] 2] (31) weil niemand [Politikern i vertraut2] Nach allen im folgenden zu betrachtenden Indizien sind in diesen Beispielen die 1-Konstituenten nicht in die 2-Konstituenten integriert: So ist weder eine von der l-Konstituente ausgehende Fokusprojektion möglich (vgl. 2.1.), noch kann aus der l-Konstituente etwas herausbewegt werden (vgl. 3.2.).15 Man kann dies aber nicht auf eine notwendige Topikalität der 1Konstituenten zurückführen. Nach Aufweis topikprominenter Sprachen können Subjekte, denen episodische Eigenschaften zugeschrieben werden, ohne weiteres nicht-topikalisch sein,

1

Daß Konditionalkonstruktionen universell mit dem Aufbau einer TKG verbunden sind, hat J. Kaiman entdeckt, vgl. z.B. Kaiman (1989).

14

Eine Operation dieser Art ist der in Jacobs (l984).vorgeschlagene FRAME-Operator, der insbesondere der Tatsache Rechnung zu tragen versucht, daß sich die mit der Struktur (29) verbundene Aufteilung in zwei Verarbeitungsschritte bis zur Ebene der illokutionaren Akte durchsetzt Das sieht man u.a. daran, daß sich in einschlägigen Fällen eine Änderung des Illokutionspotentials von \2 nicht notwendigerweise auf X] auswirkt, vgl. (i) - (ii): (i) Was dieses Gewitter betrifft, war es wirklich so schrecklich? (ii) Wenn ein Gewitter kommt, wird dann im Saal gefeiert?

J

5 Zu letzterem vgl. -'Was waren für Gäste hungrig? (vs. Was sind für Gäste gekommen?). - Dieses Faktum widerspricht übrigens den Voraussagen der von Diesing (1992) vorgeschlagenen Theorie über die strukturellen Positionen der Subjekte von 'stage-level predicates'.

76

vor allem wenn sie, wie in (30), indefinit sind.16 Entsprechendes gilt für indefinite Objekte von Verben wie vertrauen, mißtrauen, beneiden usw. Wenn diese im Skopus einer Negation stehen und damit unspezifisch sind, wie in (31), sind sie notwendigerweise nicht-topikalisch. Solche Fälle würde also eine Anti-TKG-Bedingung nicht erfassen - aber sie werden auch nicht durch Forderung a) der vorliegenden Formulierung von Bedingung 3. ausgeschlossen.17 Hier greift vielmehr Forderung b), die, so nehme ich an, einen anderen Aspekt der für Integration nötigen ontologi sehen Kompaktheit kennzeichnet: In den beiden fraglichen Fällen sind die l-Konstituenten semantisch keine prototypischen Objekte. Daß Xi prototypische semantische Objekteigenschaften hat, soll bedeuten, daß Xi ein semantisches Argument A spezifiziert, für das mindestens eine der folgenden Aussagen, die weitgehend Dowtys (1991) 'Proto-Patiens-Eigenschaften' entsprechen,18 aus der Satzproposition oder aus einer im Satz enthaltenen Proposition folgt: a. b. c. d.

A erfahrt eine Zustandsveränderung A ist inkrementales Thema19 A ist kausal beeinflußt durch eine andere Entität, von der im Satz die Rede ist A ist Bezugspunkt für die räumliche Lokalisierung einer anderen Entität, von der im Satz die Rede ist e. das Wahrgenommen-Werden oder die Existenz von A ist nicht unabhängig von der beschriebenen Gesamtsituation.

Mit dem der l-Konstituente in (30) entsprechenden semantischen Argument ist keine dieser Folgerungen verbunden, dafür aber Folgerungen, die konstitutiv für die Rolle 'Experiencer' sind (vor allem Dowtys 'sentience'20). - Auch in (31) ist die l-Konstituente semantisch kein prototypisches Objekt. Ihre semantische Rolle läßt sich am ehesten als 'Stimulus' charakterisieren, eine Entität also, die eine Empfindung oder ein kognitives Urteil bei einem anderen Partizipanten hervorruft (vgl. Dowty 1991:579ff.).

16

Vgl. für das Ungarische Molnar (1991:218f.) (Molnär subsumiert episodische Eigenschaftsprädikate allerdings irritierenderweise dem Begriff "Handlungsprädikat".)

17

Man beachte, daß es in (31) nicht um eine mentale Disposition von Politikern geht, sondern um eine gegenüber Politikern.

18

Vgl. Dowty (1991:572ff.) - Eigenschaft e. ist eine Verallgemeinerung der entsprechenden Bedingung bei Dowty, ansonsten sind die Listen inhaltlich gleich.

19

A ist inkrementales Thema ('incremental theme'), wenn das Ausmaß der Affiziertheit von A durch den in X2 beschriebenen Vorgang mit dem Ausmaß der Vollendung des jeweils beschriebenen Gesamtereignisses zusammenhängt (was voraussetzt, daß dieses Ereignis telisch ist, also einen intrinsischen zeitlichen Kulminationspunkt hat). So ist z.B. das Objektargument in (i) inkrementales Thema, nicht aber das in (ii); (i) Er trank das Glas Wasser aus. (ii) Er trank Wasser aus einem Glas. Vgl. Dowty (1991:567ff.), und Krifka (1989).

20

Vgl. Dowty (1991:572ff.).

77 Diese Bedingung läßt auch die Integration von Subjekten zu, insbesondere in den klassischen Beispielen für thetische Sätze (vgl. Sasse 1987) wie (2) und (32)-(34): (32) [[Ein Auto] i kommt2] (33) [[Ein Denkmal] \ [wird enthiil^]] (34) [[Ein HundJi bellt2] Die den ersten beiden Subjekten entsprechenden semantischen Argumente sind mit den Folgerungen a. und b. verbunden, und für alle drei Subjektargumente gilt (in der wahrscheinlichsten Lesart) die Folgerung e.: Das jeweilige Gesamtereignis bewirkt, daß die vom Subjekt bezeichnete Entität wahrgenommen wird. Das entspricht häufig gemachten Beobachtungen über die semantischen Eigenschaften typischer thetischer Sätze, und es erklärt über die in den folgenden Kapiteln zu besprechenden Korrelationen viele sprachliche Charakteristiken solcher Sätze.21 Man beachte, daß Bedingung 3. nicht ausschließt, daß integrierte Subjekte externe Argumente im Sinne der üblichen Kriterien (Agens, Perfekt mit haben, Partizip II nicht attributiv verwendbar etc.) spezifizieren. Das zeigte schon (34), und es wird noch deutlicher in (35): (35) weil mich [[ein Verwandter] i anriefi] Auch hier hat das Subjektargument die Eigenschaft e., und das Subjekt ist, weil auch die anderen Bedingungen erfüllt sind, integriert. - Nicht integriert ist dagegen das externe Subjekt von (36), (36) weil das Auto [[ein Verwandter] i repariert!) da es keine der oben aufgelisteten semantischen Objekteigenschaften hat. Das entspricht den Akzentuierungs- und Bewegungseigenschaften solcher Subjekte. Eigenschaft d. in der obigen Liste erklärt Kontraste wie den zwischen (37a) und (37b): (37) a. weil er [[in München] i wohnt2] b. weil er [[sehr luxuriös] i wohnt2] In beiden Fällen spezifiziert die l-Konstituente ein (Prädikativ-) Argument der 2-Konstituente (vgl. Jacobs, i.Vorb.). Nur im ersten Fall gibt es jedoch sprachliche Hinweise auf Integration (vor allem Fokusprojektion). Wir können das darauf zurückführen, daß in (37a), aber nicht in (37b), das fragliche Argument eine Objekteigenschaft hat, nämlich eben Eigenschaft d. Die komplizierte Formulierung, daß eine der Aussagen a. - e. aus der Satzproposition oder aus einer im Satz enthaltenen Proposition folgen soll (s.o.), trägt der Tatsache Rechnung, daß folgerungsblockierende Modifikationen, z.B. Negation, die für Integration nötige semantische Objekthaftigkeit nicht tangieren: 21

Vgl. ebd. - Es erweist sich vor diesem Hintergrund allerdings, daß konsumtiv für protoypische Thetizität nicht, wie oft angenommen wird, die Nicht-Topikaütät des Subjekts, sondern seine Integration ist Beispiele wie (i), die ein nicht-topikalisches, aber auch nicht-integriertes Subjekt haben, (i) Niemand schläft. entsprechen nicht dem iberischen Prototyp.

78

(38) Es stimmt nicht, daß [[ein Autoh kommt2] Die l-Konstituente ist hier genauso integriert wie in (32), obwohl (38) infolge der Negation keine der Eigenschaften a. - e. für das Xi-Argument impliziert. Es scheint ausreichend zu sein, daß die dem Nebensatz entsprechende Teilproposition, die den Skopus der Negation bildet, solche Folgerungen enthält Alle Forderungen der Bedingung 3. von (Bedl) gelten nur für den Fall, daß Xi von X% eine Situationsrolle zugewiesen bekommt. Das heißt, daß X2 ein Prädikat ist, das einen bestimmten Typ von Situationen kennzeichnet,22 und daß Xi angibt, wie ein für diesen Situationstyp konstitutiver Teilaspekt ausgeprägt ist. (Das entspricht in etwa der traditionellen Redeweise, daß Xi Partizipant von X2 ist.) Dadurch werden z.B. solche Komplexe aus dem Geltungsbereich der dritten Bedingung herausgehalten, bei denen X2 ein funktionales Element ist, z.B. eine Flexionsendung, ein Hilfs- oder Modalverb, ein Komplementierer oder ein Artikel. Solche Elemente charakterisieren keinen Situationstyp und weisen deshalb auch keine Situationsrollen zu. Entsprechend ist Xi, wenn es Argument eines funktionalen X2 ist, immer integriert, wenn die anderen Bedingungen von (Bedl) erfüllt sind. Ebenso sind die Komplemente von Adpositionen bei Erfüllung der anderen Bedingungen immer integriert, und das liegt wohl daran, daß auch Adpositionen keinen Situationstyp identifizieren, jedenfalls nicht im selben Sinn wie Verben: Es gibt keine Auf-, Nach-, Entlangoder Wegen-Situationen in dem Sinn, in dem es Schlafens-, Essens- oder Sich-Freuens-Situationen gibt. Zusammenfassend kann man die Leistung der dritten Bedingung von (Bedl) so charakterisieren, daß sie die Integration von mit einer Situationsrolle versehenen Argumenten ausschließt, wenn diese semantisch nicht ausreichend objektartig oder Ansatzpunkt einer zeitlich nicht limitierten Prädikation sind. 1.3.4. Während die zweite und dritte Bedingung von (Bedl) die Behinderung von Integration durch 'zerlegende' Konstruktionsmuster bzw. durch mangelnde ontologische Kompaktheit der jeweils beschriebenen Situation explizieren, soll Bedingung 4. jene Fälle erfassen, von denen wir in 1.2 vermutet haben, daß in ihnen Integration aufgrund der rekursiven Zuweisung von i-Strukturen blockiert ist, vgl. (12), (13) und (39): (39) weil [[ein Student] i [gestern den Professor zuhause anriefh] Die 2-Konstituente besteht hier aus Verb plus Objekt plus Adverbialen, also nicht nur aus einer nicht-komplexen Kemkonstituente - d.h. einem Lexem - und eventuellen funktionalen Zusätzen. Deshalb schließt Bedingung 4. dieses Beispiel aus der Integrationsrelation aus. Das entspricht den sprachlichen Eigenschaften solcher Sätze. (Übrigens wird (39) durch keine der anderen Bedingungen ausgeschlossen, insbesondere nicht durch Bedingung 3., vgl. (35).) 22

Wie oben schon deutlich geworden sein dürfte, verwende ich die Bezeichnung "Situation" in einem Sinn, der keine Festlegung auf ein bestimmtes zeitliches Profil beinhaltet. In diesem Sinn können Situationen Ereignisse oder Handlungen, aber auch Zustände, Dispositionen u.a.m. sein.

79

Bedingung 4. berücksichtigt außerdem die sich aus unseren Überlegungen in 1.2 ergebende Tatsache, daß nur die Komplexität der potentiellen Z/e/-Konstituente (also des Kopfes) Integration blockieren kann. Die integrierte Konstituente kann dagegen beliebig umfangreich sein: (40) [[ein Buch, das alle Kritiker verrissen haben] i kaufe^] (40) wird weder von Bedingung 4. noch von einer der anderen Bedingungen aus der Integrationsrelation ausgeschlossen. Daß Bedingung 4. neben einem Kernlexem auch flinktionale Elemente in X2 erlaubt, trägt der Tatsache Rechnung, daß sich Komplexe wie (41) daß [[ein Rugzeug] i [gelandet ist]2] in jeder Hinsicht integriert verhalten. Offensichtlich wirkt sich die Anwesenheit eines Hilfsoder Modalverbs in verbalen X2, anders als die Hinzufügung eines Objekts oder Adverbials (vgl. (39)), nicht als integrationsbehindernde Steigerung der Komplexität aus. - Das ist aus der Sicht der i-Notation überraschend, denn die syntaktische Verbindung eines funktionalen Elements mit anderem Material hat in Fällen wie (41) selbst die sprachlichen Merkmale von Integration, was unsere Bedingungen auch voraussagen (mit dem funktionalen Element als Ziel-Konstituente). Das ließe sich im Rahmen der 4-Notation mit der Integriertheit der Gesamtphrase nur durch die Annahme in Einklang bringen, daß in der 2-Konstituente von (41) Integration ohne den Aufbau einer äußeren i-Klammer vorliegt, daß es also noch andere semantische Integrationsmuster als (9) gibt (s. 1.2). Der einzige Kandidat für ein solches Muster wäre (= (l lc)), also die Abwesenheit jeglicher i (wobei Applikation ist). Damit will ich die Erläuterungen zu (Bedl) abschließen und noch kurz verdeutlichen, warum diese Bedingungsliste hinter den Anforderungen einer regelrechten Explikation etwas zurückbleibt. Zunächst ist unbefriedigend, daß durch (Bedl) eine Reihe von notwendigen Bedingungen, aber keine hinreichende Bedingung für Integration festgelegt wird. Das hat etwas damit zu tun, daß Sprecher einen gewissen Spielraum haben, integrierbares Material tatsächlich als integriert zu behandeln und dabei mit den sprachlichen Merkmalen der Integration zu versehen. Leider sind mir aber die Einzelheiten der Ausnützung dieses Spielraums unklar: Welche pragmatischen Faktoren können einen Sprecher von der Integration integrierbaren Materials abhalten bzw. zu ihr motivieren? Zu dieser Frage findet man viele interessante Beobachtungen in der Literatur zur TKG, wo oft festgestellt wurde, daß in bestimmten Fällen die Präsentation einer Konstituente als topikalisch - und damit als nicht-integriert, vgl. die Bemerkungen zu Bedingung 3. - von der Entscheidung des Sprechers abhängt. Nach Sasse (1987:529 u. passim) tendieren Sprecher insbesondere dazu, auch solche Argumente, die (in unserer Terminologie) integrierbar sind, als topikalisch zu behandeln, wenn sie annehmen, daß der Adressat Informationen über die entsprechende außersprachliche Entität erwartet. Das korreliert mit einem bestimmten Referenzmodus, nämlich mit semantischer Definitheit oder Spezifizität. - Das sind aber, wie gesagt, nur Beobachtungen. Eine Formulierung einschlägiger

80 pragmatischer Regeln, wie sie eine vollständige Explikation des Integrationsbegriffs voraussetzen würde, traue ich mir noch nicht zu. Ich werde deshalb in den folgenden Beispielen einfach immer davon ausgehen, daß integrierbares Material tatsächlich integriert ist (und natürlich davon, daß nicht-integrierbares Material nicht integriert ist). Damit werden sich in jedem Fall zumindest für eine Lesart die richtigen Voraussagen ergeben. Aber selbst diese Vereinfachung schafft noch nicht genügend Flexibilität. Ich wies schon in 1.2 daraufhin, daß sich definite Argumente weniger 'schön* integrieren lassen als indefinite (was sich z.B. im Bewegungsverhalten zeigt, vgl. Kap. 3). Die 4·-Notation weist einen Weg zum Verständnis dieses Faktums (vgl. die Bemerkungen zu (8)), aber in (Bedl) wird es ignoriert. Allgemein trägt diese Bedingungsliste der Tatsache nicht Rechnung, daß Integration (wie viele andere grammatische Relationen, z.B. Subjekt) um einen Prototyp zentriert ist, der durch Beispiele wie (1) und (2) exemplifiziert wird. - Einen Mangel an Flexibilität von (Bedl) könnte man auch darin sehen, daß nicht erfaßt wird, daß die Behinderung von Integration durch eine zu große syntaktische Komplexität von X2, wie sie in Bedingung 4. beschrieben wird, vom Umfang des Materials abzuhängen scheint, das zum Kemlexem von X2 als Argument oder freie Angabe hinzutritt. Wenn dieses Material sehr 'leicht' ist, scheint es wiederum nach Aufweis der zu diskutierenden sprachlichen Indizien - einer Integration in kaum im Wege zu stehen. Das gilt z.B. für pronominale Elemente, wie das Objekt in (42a), und für Partikeln, wie die Negation in (42b): (42)

a. daß [[ein Hundh [ihn anbellth] b. [[die Haare] i [nicht schneiden^]

Vielleicht muß man die Tatsache, daß solche Strukturen als (noch) integriert gelten können, auf Performanzfaktoren zurückführen.23 - Eine Diskussion der Frage, wie Prototypizität und der mögliche Einfluß von Performanzfaktoren in die Explikation einer grammatischen Relation eingebaut werden könnten, würde den hier gegebenen Rahmen bei weitem sprengen. Ich belasse es deshalb bei dem Hinweis auf diese Probleme. Unsere Bedingungsliste ist außerdem unvollständig, in dem Sinn, daß sie zu bestimmten Phänomenen einfach nichts sagt, z.B. zur Qualifikation: (43)

daß [[jeder Hund] i [bellteh]

Wir können (Bedl) hier nicht anwenden, weil unklar ist, ob ein quantifiziertes Subjekt ein Argument im Sinne der Bedingung 3. ist. Nach gängigen Annahmen fixiert der Quantor zwar die Besetzung der Subjekt-Argumentstelle der Verbalphrase, aber gleichzeitig fungiert diese Phrase als Argument des Quantors: (E43)

[jeder Hund! (

[ fbelltelix)])

Denkbar wäre aber auch eine Präzisierung des Begriffs "funktionales Element", nach der in (42), wie es von Bedingung 4. gefönten wird, talsächlich nur funktionale Elemente zum Kemlexem hinzukommen. (Dafür, daß Negationsträger funktionale Elemente sind, gibt es unabhängige Evidenz.)

81

Das eigentliche Problem ist aber nicht, in welcher Richtung hier die Argumentrelation verläuft, sondern ob wir, wie immer diese Frage beantwortet wird,2^ unsere Bedingungsliste so einrichten sollen, daß Strukturen wie (43) mögliche Integrationsfälle sind. Es gibt Hinweise darauf, daß Integration - erkennbar an ihrer typischen Akzentuierung, vgl. Kap. 2 - in solchen Sätzen zumindest weniger natürlich ist als in entsprechenden ohne Quantifikation (wie (S4)).25 Es bedürfte hier aber ausführlicherer Untersuchungen. Der gravierendste Mangel unserer Liste von Integrationsbedingungen ist, daß sie Zusammenhänge, die wir in unserer Erörterung der i-Notation herauszuarbeiten begonnen haben, nicht ausreichend transparent macht. Z.B. geht aus Bedingung 4. nicht hervor, daß die von ihr beschriebene integrationsblockierende Wirkung syntaktischer Komplexität wohl eine Folge der rekursiven Zuordnung bestimmter semantischer Strukturen ist. Das heißt natürlich auch, daß diese Bedingung aus der Sicht einer Explikation, wie wir sie in 1.2 anvisiert haben, überflüssig ist. Allgemeiner: (Bedl) macht nicht nur gewisse Aspekte der 'inneren Logik' der Integration nicht sichtbar, sondern ist darüber hinaus - und infolgedessen - auch recht unelegant. Dieser Mangel an Eleganz ist allerdings nichts, wodurch sich (Bedl) von vergleichbaren Begriffsfestlegungen unterscheidet, insbesondere nicht von den verschiedenen Bestimmungen des Barrierenbegriffs,26 mit dem der Integrationsbegriff in einer in Kap. 3 zu erläuternden Weise konkurriert. Darüber hinaus manifestiert sich in der großen Zahl der Bedingungen von (Bedl) wohl teilweise eine tatsächlich bestehende, irreduzible Komplexität des Phänomens Integration: Wenn es stimmt, daß diese grammatische Relation um einen Prototyp zentriert ist (s.o.), ist zu erwarten, daß für sie verschiedenartige Merkmale konstitutiv sind, die sich nicht vollständig auf einen einzigen Faktor zurückführen lassen.2?

24

Ich plädiere in Jacobs (i. Vorfo.) aus unabhängigen Gründen dafür, quantifizierte Subjekte und Objekte auf jeden Fall als Argumente zu betrachten.

25 Das kann man übrigens nicht darauf zurückführen, daß Quantaren topikalisch sind. Sie scheinen im Gegenteil eher 'Antitopiks' zu sein: (i) ??Was jeden Hund betrifft, so bellte er. Aufschlußreich hierzu ist auch, daß im Japanischen zumindest einige Quantoren nicht mit der Topikmarkierung -wa vertraglich sind, vgl. Kuno (1973:37ff.) - Andererseits werden durch Quantifikadonen wie in (43) Situationen beschrieben, die in ähnlicher Weise nicht-kompakt sind wie genetische oder Dispositionsaussagen. Insbesondere handelt es sich (in einer naheliegenden Lesart) nicht um ein einzelnes Ereignis. 26 2

Vgl. Chomsky (1986), Baker (1988), Stemefekl (1991).

? Zu den eben erwähnten Schwächen von (Bedl) kommen noch einige empirische Probleme hinzu, die aber wahrscheinlich durch eine Präzisierung der in (Bedl) verwendeten Begriffe behoben werden können. So sind die propositionalen Argumente von Verben wie glauben oder meinen integrierbar, ohne eine der oben genannten semantischen Objekteigenschaften zu haben. Das mag daran liegen, daß die von Dpwty übernommene Liste dieser Eigenschaften unvollständig ist Wahrscheinlicher scheint mir aber, daß bei einer geeigneten Präzisierung des Begriffs "Situationsrolle" gezeigt werden kann, daß den fraglichen Argumenten keine solche Rolle zugewiesen wird (und infolgedessen semanüsche Objekthaftigkeit irrelevant für ihre Integrierbarkeit ist). Ein Hinweis in dieser Richtung ist, daß solche Argumente keinem 'pied-piping' unterzogen werden können, einem Umstellungsprozess, der wahrscheinlich für die Anwesenheit einer Situationsrolle sensitiv ist, vgl. der Mann, den zu besuchen Peter versprochen hoi vs. llder Mann, den zu kennen Peter glaubte/meinte.

82

2. Integration und Akzentuierung Der Aufwand, mit dem wir den Begriff der Integration eingeführt haben, muß nun durch den Nachweis der grammatischen Relevanz dieses Begriffs gerechtfertigt werden. Ich will zunächst zu verdeutlichen versuchen, welche wichtige Rolle der Integrationsbegriff für die Lösung verschiedener Probleme der Akzenttheorie spielt. Ich stütze mich dabei auf einen theoretischen Rahmen, der mehrere Repräsentationsebenen vorsieht, die am Beispiel des Satzes (44) illustriert werden sollen. Vorausgesetzt ist die Lesart, in der das Subjekt Hintergrund, die Verbalphrase Fokus ist:28 (44) weil sie den schönen Schal verlor

(S44)

{V,..}

{N,nom,..}

{/{N,nom},V,..,[f])h {N,det,akk,..} {/{N},N,det,akk,..)h

{N,..}

{A,..}

sie

den

{/{N,nom}/{N,akk},V,..}h

schönen

{N,..}h Schal

(P44)

sie (R44)

den schönen

Schal

sie den schönen Schal verlor *

*

* *

*

* *

*

*

*

*

*

Wie in dem folgenden Dialog: A: Warum ist Gerda sauer? B: Weil sie den schönen Schal verlor.

verlor

verlor

83

(S44) ist eine syntaktische Struktur des Satzes. (Sie entspricht in etwa der S-Struktur der Prinzipien-und-Parameter-Theorie.) Die Kategorien sind Mengen von Merkmalen. Zunächst, falls einschlägig, eine Kennzeichnung der syntaktischen Valenz, in der die einzelnen Stellen durch Virgeln voneinander abgetrennt sind. So hat verlor zwei Valenzstellen, eine für ein Nominal im Akkusativ, eine für ein Nominal im Nominativ. Weiterhin enthalten die Kategorien eine Angabe der Wortart und der Unterklasse der Wortart, z.B. beim Artikel die Wortart N und die Unterklasse det. Außerdem sind die entsprechenden morphosyntaktischen Merkmale verzeichnet, z.B. der Kasus. Für das Folgende wichtig ist das Merkmal [f]. Es bedeutet 'fokussiert' und wird nach Maßgabe einer semantischen Repräsentation der FokusHintergrund-Gliederung (FHG), nämlich einer entsprechend strukturierten Proposition, zugewiesen.2^ Die Position der Merkmals [f] in (S44) zeigt an, daß den schönen Schal verlor im Fokus ist und sie den Hintergrund bildet. - Durch das Subskript "h" an der Kategorie wird schließlich eine Konstituente als Kopf gegenüber ihren Schwesterkonstituenten ausgezeichnet. (P44) ist eine Darstellung der relativen Prominenzverhältnisse im Satz (44) bei der gegebenen FHG, vergleichbar der ' strong-weak'-Notation der Metrischen Phonologic. "+" und "-" bedeuten jedoch nicht ganz dasselbe wie "s" und "w" in der Metrischen Phonologie. "+" heißt nämlich: 'prominenter als alle Minus-Schwesterkonstituenten und gleich prominent wie alle Plus-Schwesterkonstituenten'. Es wird also, im Gegensatz zur Metrischen Phonologie, zugelassen, daß Schwesterkonstituenten sich in ihrer Prominenz nicht unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist in (P44) das Prominenzverhältnis von schönen und Schal. In (R44) wird der Rhythmus des Satzes (genauer: eine bei der gegebenen Lesart mögliche Rhythmisierung) repräsentiert. Die Anzahl der Sterne unter jeder Silbe gibt an, wie stark der mit ihr verbundene 'Schlag' ist. (R44) entspricht also den Gitterdarstellungen der Metrischen Phonologie. Die Integration wird nun relevant in den Regeln, die solche Repräsentationen miteinander verbinden. Es gibt zunächst drei Regeln, die S-Strukturen wie (S44) auf Prominenzstrukturen wie (P44) abbilden, die P-Regeln. Außerdem gibt es ein Prinzip, das den Prominenzstrukturen rhythmische Strukturen wie (R44) zuordnet, das R-Prinzip: Syntaktische Struktur

ir

P-Regeln U Prominenzstruktur

tr

R-Prinzip

It Rhythmische Struktur Auf diese semantischen Repräsentationen kann ich hier nicht eingehen und verweise dazu auf Krifka (1992).

84 Integration ist ein zentraler Begriff in den P-Regeln, hat aber über den Umweg des R-Prinzips auch massive Auswirkungen auf den Rhythmus. Die P-Regeln haben die Form einer Zuweisung von "+" und "-" an die Elemente der Mengen von Schwesterkonstituenten, aus denen sich die syntaktischen Strukturen aufbauen. Am Beispiel von (S44): Den beiden Schwesterkonstituenten sie und den schönen Schal verlor weisen die P-Regeln "-" bzw. "+" zu. Den Schwesterkonstituenten den schönen Schal und verlor weisen sie "+" bzw. "-" zu, usw. Wenn diese Zuweisung beendet ist, werden an den einzelnen Knoten alle nicht-terminalen Symbole außer "+" und "-", also insbesondere die Kategorien, getilgt und außerdem werden die terminalen Knoten erweitert um die Angabe ihrer wortinternen, im Lexikon verzeichneten Prominenzstruktur. Das Resultat sind Bäume wie (P44). Es folgen die P-Regeln in einer Version, die unwichtige Details vernachlässigt (SK: eine Menge von Schwesterkonstituenten in einer syntaktischen Struktur): (P-Regel 1) Alle

SK, die das Merkmal [f] enthalten, erhalten "+".

Diese Regel steuert die Prominenzverhältnisse bei Anwesenheit des Fokusmerkmals. So vergibt sie in (S44) an die Konstituente den schönen Schal verlor ein "+", denn diese Konstituente enthält das Fokusmerkmal.30 Daß die Schwesterkonstituente sie "-" erhält, ergibt sich aus einem Default, der allen Konstituenten, die von der jeweils angewandten P-Regel kein "+" erhalten,"-" zuweist. Das ist aus der folgenden Darstellung der Ableitung von (P44) aus (S44) ersichtlich. Bei jedem verzweigenden Knoten wird die auf die Tochterknoten angewandte Regel bzw. die Herkunft des Prominenzmusters aus dem Lexikon verzeichnet:

(P44)

sie

den schönen

Schal

verlor

Dieser Baum exemplifiziert auch schon die Anwendung der beiden anderen Prominenzregeln: (P-Regel 2) Wenn kein betonbaren

SK das Merkmal [f] enthält, erhalten alle neutral SK "+".

30 Daß eine Konstituente X das Fokusmerkmal enthalt, heißt, daß dieses Merkmal Element der Kategorie von X oder einer von X dominierten Konstituente ist

85 Das ist die erste Regel für Fälle, in denen kein Fokusmerkmal die Prominenz an sich zieht, in denen also neutrale Akzentuierung vorliegt. Z.B. ist in der Konstituentenmenge [schönen, Schal] kein Fokusmerkmal vorhanden. Was soll man in einem solchen Fall hervorheben? Darauf antwortet P-Regel 2: alles, was man hervorheben kann, nämlich alles, was neutral betonbar ist. Der Begriff der neutralen Betonbarkeit läßt sich am besten ex negativo bestimmen: Nicht neutral betonbar sind Elemente, die höchstens dann prominent sein können, wenn sie das Fokusmerkmal tragen. Das gilt für 'kleine Wörter', z.B. für nicht-demonstrative Pronomina, funktionale Elemente (wie Artikel, Komplementierer und Hilfsverben), Indefinitpronomina (wie jemand und etwas) sowie für Ausdrücke, deren Bezugsgegenstände in bestimmter Weise kontextuell präsent sind (vgl. Jacobs 1988:128-132). - Die Konstituenten schönen und Schal sind jedoch neutral betonbar. Sie erhalten deshalb nach P-Regel 2 beide "+", werden also als gleich prominent repräsentiert. In der dritten P-Regel kommt nun die Integration ins Spiel: (P-Regel 3) Wenn kein SK das Merkmal [f] enthält und die Elemente von SK im Verhältnis der Integration stehen, dann geht"+" an die integrierte Konstituente, wenn diese neutral betonbar ist, andernfalls an die Zielkonstituente. Eine fokusfreie Menge von Schwesterkonstituenten, in der Integration vorliegt, ist in (S44) z.B. [den schönen Schal, verlor): Das zweite Element ist der Kopf, das erste Element ist ein Argument, das semantische Objekteigenschaften hat und dem keine zeitliche nicht-terminierte Eigenschaft zugesprochen wird. Außerdem ist das zweite Element syntaktisch nicht komplex. Also ist den schönen Schal in verlor integriert.31 Da das integrierte Element darüber hinaus neutral betonbar ist, erhält es nach P-Regel 3 "+", das Verb per Default "-". Wenn hier als Objekt ein nicht neutral betonbares Wort gewählt worden wäre, z.B. etwas, hätte das Verb "+" und das Objekt"-" bekommen. So ergibt sich, daß man bei der angegebenen Fokus-Hintergrund-Struktur betont weil sie den seh 'önen Schal verlor, mit deakzentuiertem Verb, aber weil sie etwas verlor, mit akzentuiertem Verb. Man wird fragen, wieso man im eben diskutierten Fall nicht auch P-Regel 2 hätte anwenden und damit die Akzentuierung weil sie den schönen Schal verlor hätte ableiten können, die intuitiv engen Fokus auf dem Verb oder Topikalisierung des Objekts signalisiert, also semantische Konstellationen, die nach Voraussetzung hier gerade nicht vorliegen. Tatsächlich hält uns nichts in der Formulierung der P-Regel 2 von ihrer Anwendung auf (den schönen Schal, verlor} ab. Wir können es dennoch nicht tun, denn die P-Regeln unterliegen dem Proper Inclusion Principle: Wo es logisch möglich ist, mehrere Regeln anzuwenden, kommt die Regel mit der eingeschränkteren Anwendungsdomäne zum Tragen. Das ist bei Neutralakzentuierung immer die P-Regel 3. Das Proper Inclusion Principle sichert also, daß P-Regel 3 Vorfahrt vor P-Regel 2 hat. 31

Ich erinnere daran, daß wir davon ausgehen, daß integrierbares Material immer integriert ist, vgl. 1.3.

86

Nun zum R-Prinzip, das Prominenzstrukturen rhythmische Gitter zuordnet (SK ist hier eine Menge von Schwesterkonstituenten in einer Prominenzstruktur): (R-Prinzip) 1. Die designierten Silben jedes ^-Elements von SK sind stärker als alle anderen Silben von SK. 2. Die designierten Silben aller +-Elemente von SK haben dieselbe Stärke. Dabei sind die designierten Silben einer Konstituente X eines Prominenzbaums jene in X enthaltenen Silben, die von den wenigsten Vorkommen von "-" in X dominiert werden. Z.B. sind die designierten Silben der Konstituente den schönen Schal in (P44) die Silben schönund Schal, da die anderen Silben in dieser Konstituente von einem Minuszeichen mehr dominiert werden. Das R-Prinzip legt also die rhythmische Stärke designierter Silben, repräsentiert durch die Höhe der entsprechenden Sternchen-Säule, im Verhältnis zur Stärke anderer Silben fest. Z.B. fordert der erste Teil des R-Prinzips, daß die Säulen unter schön- und Schal in (R44) höher sind als die Säule unter der Silbe -lor, weil von den beiden Schwesterkonstituenten den schönen Schal und verlor in (P44) die erste "+" und die zweite "-" erhält. Daß die Säulen unter schön- und Schal gleich hoch sein müssen, ergibt sich aus der zweiten Bedingung des R-Prinzips. Man mag einwenden, daß man den Satz in der angegebenen Lesart auch so betonen kann, daß Schal stärker betont ist als schön-, wie in (R44') dargestellt: (R441)

sie den schönen Schal verlor *

*

*

He *

*

*

*

*

*

*

He

*

Dazu ist zu sagen, daß der direkte Output des R-Prinzips noch nicht das Endprodukt des Akzentmoduls ist. Vielmehr bilden aus den Prominenzverhältnissen abgeleitete Rhythmusrepräsentationen wie (R44) die Eingabe für Operationen, die in begrenztem Umfang Veränderungen nach Maßgabe der Euphonie oder stilistischer Erfordernisse vornehmen. Von diesen Operationen ist im gegebenen Zusammenhang eine von besonderer Bedeutung: (Endakzentstärkung) Von mehreren rhythmisch stärksten Silben innerhalb einer Intonationsphrase erhält die letzte ein zusätzliches "*". Diese Regel, die ich aus Uhmann (1991) übernehme, transformiert (R44) in (R441). Es handelt sich um einen fakultativen rhythmischen Stärkungsprozess, dessen Anwendung von der Sprechgeschwindigkeit und stilistischen Faktoren abhängt. (Die Endakzentstärkung erinnert

87 an die 'Nuclear Stress Rule' der Generativen Phonologic, unterscheidet sich von dieser aber in wesentlichen Punkten: Erstens ist Endakzentstärkung optional, zweitens operiert sie ausschließlich auf der Rhythmusebene, und drittens ist sie nicht zyklisch, sondern auf Intonationsphrasen anzuwenden.)

2.1. Fokusprojektion Was leistet nun dieser auf Integration Bezug nehmende Regelapparat? Er liefert z.B. eine Erklärung für das bekannte Phänomen der Fokusprojektion, also für die Ambiguität bestimmter Akzentuierungen bezüglich der Position des Fokusmerkmals. So ist (P44)/(R44) nicht nur eine mögliche Betonung von (S44), sondern auch von (S45), also einer Struktur mit engem Fokus auf dem Objekt (vgl. weil sie den seh 'önen Schal verlor, nicht ihren Hut):

(S45)

{V,.} {N,nom,..}

{/{N,nom},V,..}h {/{N,nom}/{N,akk},V,..}h

{N,det,akk,..,[f]} {/{N},N,det,akk,..}h

(N,..)

{A,..}

sie

den

schönen

{N,..}h Schal

verlor

Die Ableitung einer P-Struktur aus (S45) zeichnet (P45) nach:

(P45)

sie

. den schönen

Schal

verlor

Das ist genau dieselbe Verteilung von "+" und "-" wie in (P44) (damit ergibt sich auch derselbe Rhythmus), obwohl hier, entsprechend der geänderten Lage des Fokusmerkmals, eine andere Ableitung vorliegt. Insbesondere mußte auf die Konstituentenmenge (den schönen Schal, verlor} hier P-Regel l statt P-Regel 3 angewandt werden, da das erste Element dieser Menge das Fokusmerkmal enthält. Das führt aber zum selben Resultat: Die Integration einer Konstituente X hat für die Prominenz denselben Effekt wie die enge Fokussierung von X,

nämlich, daß X gegenüber ihrer Schwesterkonstituente hervorgehoben wird. Das erzeugt eine Ambiguität zwischen enger Fokussierung und Integration, und dieses Phänomen ist es, das in den meisten Fällen von Fokusprojektion vorliegt. - Umgekehrt unterbleibt Fokusprojektion zumeist, wenn das Fokusmerkmal einer Konstituente zugewiesen wird, die nicht integriert wird, z.B. jener, die selbst das Ziel der Integration ist, wie dem Verb in (S46):

(S46)

{V,..} {N,nom,..}

{/{N,nom},V,..)h {N,det,akk,..}

{/{N},N,det,akk,..}h

{/{N,nom)/{N,akk},V,..,[f]}h

{N,..} {A,..}

sie

den

{N,..}h

schönen

Schal

verlor

Für (S46) ergibt sich die Prominenzstruktur (P46):

(P46) + P-R1

Lex

sie

den schönen

Schal

verlor

In (P46) wird nach P-Regel l das Verb gegenüber dem Objekt hervorgehoben. Entsprechend ergibt sich auch ein anderer Rhythmus, nämlich (R46):

(R46)

sie den schönen Schal verlor * * * * * * * *

Hier findet keine Fokusprojektion statt, weil (P46)/(R46) nicht kompatibel ist mit einer höheren Position des Fokusmerkmals: Wegen der vorliegenden Integration sind solche höheren Fokuspositionen immer mit einer Deakzentuierung des Verbs verbunden. Diese Analyse trägt vielen Phänomenen Rechnung, die in der Literatur zur Fokusprojektion beobachtet wurden. So erklärt sie, warum Fokusprojektion bei Kopf-Letztstellung (vgl.

89 2.2) nur vom kopfnächsten Argument ausgehen kann. Betrachten wir hierzu den folgenden, als ganzen fokussierten Satz:

(S47) {N.nom,..} {/{N,nom}/{N,dat},V,..}h

{N,dat,..}

{N,akk,..} er

Kindern

ein Buch

{/{N,nom}/{N,dat}/{N,akk},V,..}h schenkte

Hierfür ergibt sich mit unseren Regeln folgendes Betonungsmuster (wobei ich ab jetzt die rhythmischen Strukturen direkt an die Prominenzstrukturen 'anhänge', mit dem Resultat von Endakzentstärkung in Klammem):

(B47)

t i er Kindern

] . ein Buch

* * * (*)

Wichtig ist hier, daß auf (Kindern, ein Buch schenkte} P-R3 nicht angewandt werden kann, also P-R2 angewandt werden muß: Das indirekte Objekt ist nicht in seine Schwesterkonstituente integriert, da diese bereits ein weiteres Argument enthält, vgl. Bedingung 4. von (Bedl). Dies führt dazu, daß bei Anwendung von Endakzentstärkung das direkte Objekt, also das kopfnächste Argument, den stärksten Schlag erhält. Ein sehr ähnliches Prominenzmuster und die gleiche rhythmische Struktur wie bei Wahl der Endakzentstärkungsoption ergeben sich, wenn im selben Satz der Fokus so verengt wird, daß er nur noch das kopfnächste Argument trifft. In der Ableitung aus der entsprechend geänderten syntaktischen Struktur muß auf alle Konstituenten, die das direkte Objekt als echten Teil enthalten, P-Regel l angewandt werden, da alle diese Konstituenten das Fokusmerkmal enthalten:

90 (B48)

er Kindern * * *

* *

Damit erfassen wir, daß das direkte Objekt hier fokusprojektiv ist, genauer gesagt: daß die Zuweisung des stärksten rhythmischen Schlags an das direkte Objekt sowohl mit einer engen Fokussierung dieses Objekts, wie in (B48), als auch mit einer Fokussierung des ganzen Satzes, wie in (B47), kompatibel ist. Bei enger Fokussierung des indirekten Objekts erhalten wir dagegen ein von (B47) deutlich verschiedenes Betonungsmuster: (B49) + P-R1 + Lex -^\ - P-R3 + P-R3"

A 1

1

Kindern

A l

ein Buch

schenkte

Das Fokusmerkmal auf dem indirekten Objekt erzwingt die Anwendung von P-R1 auf alle dieses Objekt echt enthaltenden Konstituenten, mit dem Resultat, daß Kindern die rhythmisch stärkste Konstituente des ganzen Satzes wird. Dies ist nun aber keine der für Ganzsatz-Fokussierung möglichen Betonungsoptionen, vgl. (B47), und damit unterbleibt Fokusprojektion. Unsere Regeln erfassen darüber hinaus Zusammenhänge, die in der bisherigen Diskussion zur Fokusprojektion weitgehend ignoriert wurden, so die Tatsache, daß der Status einer Konstituente als kopfnächstes Komplement keine Garantie dafür ist, daß sie fokusprojektiv ist. Eine solche Konstituente ist insbesondere dann nicht fokusprojektiv, wenn sie keine semantischen Objekteigenschaften hat und damit nicht integriert ist. Außer auf Beispiele wie (30)(31) trifft das in der Regel auf Adjektivkomplemente zu:

91 (S50)

{N,dat,..}

{/{N,dat},A,..)h

den Deutschen

fremd

Da das Argument keine der in 1.3 aufgelisteten Objekteigenschaften hat (es trägt die Rolle 'Experiencer'), kann es nicht integriert sein. Damit ist in Abwesenheit des Fokusmerkmals nur die folgende Betonung möglich: (B50)

den Deutschen * * *

fremd

(*) Selten bemerkt wurde auch die Behinderung von Fokusprojektion durch Koordination der Kopfkonstituente: (S51)

{N,nom,..}

{/{N,nom},V,..}h {/{N,nom),V,..}h

die Vase

herunterfiel

die Vase * **

herunterfiel * * * *

{/{N,nom},V,..)h und zersprang

(B51)

und zersprang * * *

* * (*)

92 Entscheidend für diese mit der Intuition übereinstimmende Voraussage32 ist, daß das Subjekt hier nicht integriert sein kann, da seine verbale Schwesterkonstituente syntaktisch komplex nämlich eben koordiniert - ist. Also kann 'ganz oben' nicht P-R3 angewandt werden. Das erklärt den Unterschied zwischen (51) und weil die Vase herunterfiel bzw. weil die Vase zersprang, wo das Subjekt aufgrund seiner semantischen Objekthaftigkeit und der mangelnden Komplexität seiner Schwesterkonstituente fokusprojektiv ist.33 Ein konzeptueller Vorteil dieser Analyse der Fokusprojektion ist, daß sie dieses Phänomen nicht auf eine Perkolation des Fokusmerkmals zurückführt, wie es in Rochemont (1986)34 und in vielen anderen Arbeiten versucht wurde. Solche Perkolationsanalysen sind u.a. deshalb problematisch, weil die Vererbungslinien, die sie postulieren müssen, völlig andere sind als in Bona-fide-Fällen von Merkmalsperkolation.35 Das vorgestellte System von Akzentregeln beansprucht nicht, alle Probleme der Fokusprojektion zu lösen, sondern setzt diesbezüglich eine modulare Arbeitsteilung voraus. Insbesondere ist es nicht für Beschränkungen für die Position des Fokusmerkmals zuständig. Diese sind nicht in der Akzenttheorie, sondern in der Syntax oder in der Semantik zu erfassen. Z.B. kann das Fokusmerkmal komplexen Konstituenten oft nur dann zugewiesen werden, wenn sie intern normale Wortstellung aufweisen:36

(S52)

* {N,akk,..}

{/{N,akk),V,..}h {N,nom,..}

die Feuerwehr

der Hausmeister

{/{N,nom}/{N,akk},V,..}h angerufen hat

Die vorliegende Wortstellung (definites Subjekt nach definitem Objekt) fordert eine enge Fokussierung des Subjekts. Deshalb ist (S52) abweichend, und deshalb ist eine Hauptbetonung des verbnächsten Arguments hier nicht ambig bezüglich einer engen und einer weiten Fokussierung. Die weite Fokussierung ist ja wegen der Wortstellung unmöglich. - Die mangelnde Fokusprojektivität des verbnächsten Arguments in solchen Fällen durch Akzentuierungsbeschränkungen erfassen zu wollen, wäre wenig sinnvoll, genauso wie eine Behandlung des 32

Einige Informanten waren der Meinung, daß weil die Vase herunterfiel und zersprang als Neutralbetonung nicht völlig unmöglich ist Sie alle fanden (BS1) jedoch besser. 33 Ich habe offengelassen, welche Regel auf [und, zersprang] anzuwenden ist, da dazu geklärt werden müßte, ob koordinierende Konjunktionen ihre Schwestern als Argumente nehmen. Unabhängig von der Antwort auf diese Frage wird ein Minus-Plus-Muster zugewiesen: P-R2 deakzentuiert funktionale (und damit nicht neutral betonbare) Elemente, P-R3 deakzentuiert Zielkonstituenten von Integration. 34 Vgl. auch Lenerz/Klein (1988). 35 Genaueres hierzu in Jacobs (1991a). 36 Die Gründe hierfür werden in Jacobs (1988:107ff.) diskutiert

93

Problems in der Theorie der Integration. Das verbnächste Argument erfüllt hier alle Bedingungen von (Bedl). Entsprechend ist es in Fällen, in denen seine unmittelbar präverbale Stellung normal ist, auch fokusprojektiv, vgl. das hier wiederholte Beispiel (35), (35) weil mich ein Verwandter anrief dessen Betonung auf dem Subjekt auch einen Ganzsatz-Fokus signalisieren kann. - Eine vollständige Analyse der Fokusprojektion muß also Integrationsbedingungen, Akzentregeln und Regeln für die Verteilung des Fokusmerkmals trennen.

2.2. Abhängigkeit des Neutralakzents von der Kopfposition Mit unserem integrationssensitiven Apparat von Akzentregeln ergibt sich auch eine Erklärung für ein Phänomen, das in der Akzenttypologie einige Aufmerksamkeit erregt hat. Man hat dort festgestellt, daß kopffinale Syntagmen universal zu anderen Mustern neutraler (also nicht fokusanzeigender) Akzentuierung neigen als solche mit dem Kopf in erster oder zweiter Position, vgl. z.B. Harlig/Bardovi-Harlig (1988). Das illustriert der Vergleich von deutschen und englischen Sätzen: (53) weil er das Geschirr spült (54) because he is cleaning the dishes Kopffinale Strukturen zeigen in den Sprachen der Welt häufig Neutralakzentuierungen, bei denen der stärkste Schlag auf einem unmittelbar vor dem Kopf liegenden Element landet, wie in (53). Nicht-kopffinale Strukturen, wie (54), haben dagegen in der Regel den stärksten Schlag auf dem in der Reihenfolge letzten Element, wenn kein enger Fokus den Akzent nach vorne zieht. Man hat diese Korrelation in der Tradition der Prager Funktionalen Satzperspektive damit zu erklären versucht, daß das direkte Objekt aufgrund seines Status als 'unmarkiertes Rhema' den Hauptakzent an sich zieht (vgl. ebenfalls Harlig/Bardovi-Harlig 1988). Daraus ergibt sich der Kontrast zwischen (53) und (54), aber dennoch keine brauchbare Erklärung, denn andere einschlägige Daten werden nicht richtig prognostiziert. Insbesondere wird nicht vorausgesagt, daß bei kopffinalen Strukturen das in (53) exemplifizierte, quasi trochäische Muster von den internen grammatischen Relationen abhängt, während bei nicht-kopffinalen Strukturen das in (54) vorliegende, quasi jambische Muster die internen grammatischen Relationen völlig ignoriert. Wenn z.B. statt eines Objekts eine freie Angabe zu einem Verb tritt, dann verschwindet bei kopffinalen Strukturen das trochäische Muster, vgl. (55): (55) weil er im August zur'ückkehrt (Weil er im August zurückkehrt signalisiert engen Fokus.) - Im Kontrast dazu ist das jambische Muster von nicht-kopffinalen Strukturen resistent gegen einen Austausch des Objekts durch eine freie Angabe: (56) because he will return in 'August

94 (56) hat genauso einen Endakzent wie (54). Das wird von der erwähnten Theorie nicht erfaßt. Darüber hinaus macht sie falsche Voraussagen für Fälle wie (57), (57) because he will clean the dishes in 'August. denn nach ihr sollte der Hauptakzent von (57) auf dem Objekt liegen, was tatsächlich aber nur bei engem Fokus möglich ist (vgl. he will clean the dishes in August). Alle diese Daten folgen dagegen aus unserer integrationsbasierten Akzenttheorie, ohne daß man irgendetwas ändern oder hinzufügen muß. Man betrachte die folgenden Ableitungen der Betonungsmuster von (S53)-(S57):

(S53) {/{N,nom},V,..}h

{N,nom,..}

(N,det,akk,..} {/{N},N,det,akk,..}h er

{N,..} Geschirr

das

(S54)

{/{N,nom}/{N,akk),V,..}h

spült

{V,aux,..,ffl} {N.nom,..}

{/{N.nom} ,V,aux,pres,.. }h

{/{N,nom}/{V,prog),V,aux,pres,..}h {V.prog,..} {/{N,obj},V,prog,..}h

{N,det,obj,..}

{/{N},N,det,obj,..}h

he

cleaning

IS

the

(S55) {N.nom,..}

{/{N,nom},V,..}h {/{N,nom),V,..}h

(P,..) {/{N,dat},P,.}h er

im

{ ,.} August

zurückkehrt

{N,..} dishes

95 (S56)

{V,aux,..,[f]} (N,nom,..)

{/{N,nom) ,V,aux,pres,.. }h

{/{N,nom}/{V,inf},V,aux,pres,..}h {V,inf,..)h

he

return

will

(S57)

{P,.·}

August

m

{V,aux,..,[fl} {N,nom,..}

{/{N,nom},V,aux,pres,..}h

{/{N,nom}/{ V,inf} ,V,aux,pres,..

{/{N,obj},V,inf,..}h

{N.obj,..}

{N,det,obj,..}

{/{N},N,det,obj,..)h {N,..}

he

(B53)

will

clean

the

dishes

P-R2 + P-R3

spült

in

August

96

(B54) + P-R3

P-R2

(B55)

+ P-R2 + P-R3 - -^ ^+ Lex Λ r *

ϊ ! August

im * *

Lex Λ+ zur ckkehrt * * * * *

* * *

* (*)

*

P-R2

(B56)

P-R3

^\

+ P-R2

+ Lex

ie

will

*

*

*

Aϊ 1

return

X

+ P-R3 + Lex Λ

in

1i

August

* *

*

He

*

*

* * *

*

(*)

«ι

97 (B57)

+ P-R2 + P-R3

+ P-R3 ^^+Lex /\ he *

*

will *

clean *

the

dishes * * *

/

A

in * *

August * * * *

>Lex

(*) Hier wurde einfach in Übereinstimmung mit dem Proper Inclusion Principle P-Regel 3 überall angewandt, wo Integration vorliegt, und überall sonst P-Regel 2. (P-Regel l kommt nicht zum Tragen, weil alle Mengen von Schwesterkonstituenten fokusfrei sind.)·*7 Die Akzentuierungsasymmetrien zwischen kopffinalen und nicht-kopffinalen Strukturen erweisen sich mit dieser Analyse als Epiphänomene des Zusammenspiels zwischen Akzentuierung und Integration bei unterschiedlichen Kopfpositionen: Wenn wir von nicht neutral betonbaren Elementen absehen, bedeutet Integration wegen P-Regel 3 "+" auf dem integrierten Element, "-"auf dem Ziel der Integration. Da das Ziel der Integration der Kopf ist, ergibt das bei kopffinalen Strukturen "+" vor "-", also das trochäische Muster. Wenn bei kopffinalen Strukturen keine Integration stattfindet, wie in (55), ergibt das wegen der dann nötigen Anwendung von P-Regel 2 "+" vor "+", was wegen Endakzentstärkung in der Regel als jambisches Muster rhythmisiert wird. Deshalb gibt es also bei Kopffmalität zwei unterschiedliche Akzentuierungsmuster, je nach An- oder Abwesenheit von Integration. Bei nicht-kopffinalen Strukturen erzeugt Integration wegen P-Regel 3 ein Muster mit"-" vor "+", also ein jambisches Muster. Ein solches taucht aber in nicht-kopffinalen Strukturen spätestens auf der Rhythmusebene auch in Abwesenheit von Integration auf, wie in (56) oder (57): Die dann nötige Anwendung von P-Regel 2 ergibt"+" vor "+", durch Endakzentstärkung wird daraus ein Jambus. Ohne zusätzliche Annahmen erhalten wir damit auch eine Erklärung für Akzentuierungsunterschiede zwischen kopffinalen und nicht-kopffinalen Strukturen derselben Sprache, z.B. zwischen verbalen und nominalen Phrasen des Deutschen:

Man erinnere sich, daß die Komplemente von Auxiliarverben und Adpositionen integriert sind.

98 (S58)

{N,det,..} {N,..}

{N,det,..}h

die

(B58)

{/{N,gen),N,..}h

{N,gen..J

Entdeckung

Amerikas

{N.akk,..} durch

Kolumbus

P-R3 + P-R2 + P-R3

Daß in deutschen Nominalphrasen, im Gegensatz zu Verbalphrasen, der stärkste rhythmische Schlag in der Regel auf der letzten Konstituente liegt, auch wenn diese kein Argument und nicht kopfadjazent ist, folgt aus denselben Mechanismen, die den erläuterten Betonungsunterschieden zwischen deutschen und englischen Verbalphrasen zugrundeliegen: Wegen mangelnder Integration muß auf {Entdeckung Amerikas, durch Kolumbus) P-Regel 2 angewandt werden. Das ergibt nach Endakzentstärkung einen Jambus, also das gleiche Muster wie bei einem finalen integrierten Argument (z.B. die Entdeckung Am rikas)?* Natürlich folgen nicht alle Sprachen genau den oben eingeführten Betonungsregeln. So muß man mit einer parametrischen Variation bei der Stärkungsregel rechnen. Während Englisch und Deutsch in einer Reihe gleich starker Akzente den letzten stärken, tut dies das Ungarische mit dem ersten Akzent einer solchen Reihe. In Jacobs (1992a) umreiße ich, wie man die Satzakzentmuster dieser Sprache auf der Grundlage einer Erstakzentstärkungsregel und Ich wählte dieses Beispiel, weil es von Heüand (1992) zur Illustration der Behauptung herangezogen wird, die integrationsbasierte Erklärung der Zusammenhänge zwischen Kopfposition und Akzentuierung müsse davon ausgehen, daß in Nominalphrasen auch Adjunkte und nicht-verbadjazente Argumente integriert seien, um den Endakzent zu erklären (vgl. ebd.:2f.). Wie (BS8) zeigt, ist diese Behauptung falsch. Der entscheidende Punkt unserer Erklärung ist ja gerade, daß in nicht-kopffinalen Strukturen die (Nicht-)Integriertheit der letzten Konstituente keinen Einfluß darauf hat, ob sie den stärksten Schlag erhält

99 der P-Regeln 2 und 3 erfassen kann. - Schließlich gibt es sicher auch Sprachen, die keine Entsprechung zur P-Regel 3, also keine akzentuelle Markierung von Integration, haben, z.B. das Französische und andere romanische Sprachen. 2.3.

Phrasaler und Kompositums-Akzent

Das letzte akzentologische Anwendungsbeispiel für den Integrationsbegriff betrifft die Abgrenzung der Wortebene von der Satzebene. Eines der dafür kritischen Phänomene sind Komposita, und zwar nicht zuletzt unter lautlichen Gesichtspunkten. Es ist bekannt, daß Komposita in vielen Sprachen phonologische Eigenschaften haben, die ansonsten für syntaktische Phrasen typisch sind, z.B. die Unterlassung von Assimilationen (wie Vokalharmonie) zwischen den Tochterkonstituenten. Andererseits hat man sich daran gewöhnt, davon auszugehen, daß - zumindest im Deutschen und Englischen - Komposita einer ganz anderen Akzentuierungsregel gehorchen als Phrasen, einer Regel, die außerdem vielleicht auch für manche Formen der Derivation gilt, aber nicht für Simplex-Stämme. Man ging also von einer Dreiteilung aus: eine syntaktische Akzentuierungsregel (zumeist irgendeine Version der 'Nuclear Stress Rule'), eine Akzentregel für Komposita (eine Version der 'Compound Stress Rule'), sowie Wortakzentregeln (in verschiedenen Formaten und Versionen). Diese Dreiteilung zieht sich von Chomsky/Halle (1968) bis zu Selkirk (1984). Es gab allerdings Ausnahmen. So haben Liberman und Prince (1977) versucht, den Kompositums-Akzent und den Wortakzent aus derselben Regel abzuleiten, der 'Lexical Category Prominence Rule', und Prince (1983) hat vorgeschlagen, alle einschlägigen Phänomene einer einzigen Regel, der sog. 'End Rule', zu subsumieren. Diese Ansätze haben sich aber wegen erheblicher Probleme nicht durchgesetzt. (So setzt Princes Radikallösung ein unrestringiertes und damit unattraktives Konzept von Extrametrikalität voraus.) Auch hier soll ein Vereinheitlichungsvorschlag gemacht werden, und zwar, den Akzent von Komposita in Sprachen wie dem Deutschen und dem Englischen aus denselben Regeln wie den Phrasenakzent abzuleiten (wobei ich annehme, daß für den Simplexakzent in diesen Sprachen andere Gesetze gelten39). Grundlage hierfür ist, daß der Begriff der Integration so gefaßt ist, daß er auch auf Komposita zutreffen kann, z.B. auf (SS9): (S59)

{N,..} {N,..}

{N,..}h

Renten

gesetz

l

39

l

Vgl. dazu Vennemann (1991).

100 In (S 59) liegt Integration von Renten in gesetz vor: Renten ist nähere Bestimmung des Kopfes gesetz (vgl. Bedingungen 1. und 2. von (Bedl)) und außerdem adjazent zu diesem (Bedingung 4.).40 Wenn wir entsprechend P-Regel 3 anwenden, erhalten wir (B59):

P-R3

(B59)

^"»«

•»r

K 1

1

Renten

gesetz

* *

4< 4c

* *

Bei (S60) dagegen

Landes

{N,..}

{N,..}h

renten

gesetz

können wir P-Regel 3 nur auf das eingebettete Kompositum rentengesetz anwenden. Da dieses außer der Kernkonstituente gesetz noch eine nähere Bestimmung zu dieser Konstituente, nämlich renten, enthält, kann Landes wegen Bedingung 4. nicht in rentengesetz integriert sein, und es muß P-Regel 2 angewandt werden, was (B60) ergibt:

P-R2

(B60)

~~^.-+ P-R3 "\

+

t I

Landes

] renten *

4

J

|

gesetz * *

4i *

4i (*)

Nach Endakzentstärkung landet hier der stärkste Schlag auf der Silbe ren-. Das ist ganz analog zu den Verhältnissen in Verbalphrasen mit mehreren Objekten, die aufgrund von BedinBedingung 3. greift nicht, weil Renten durch gesetz keine Situationsrolle zugewiesen bekommt

101

gung 4. auf dem letzten dieser Objekte am stärksten betont werden. Man vergleiche hierzu (B47). Damit haben wir nun ein überraschendes Ergebnis erzielt, denn gerade für Muster wie (B59)-(B60) hat man in der Generativen Phonologic eine eigene, von den syntaktischen Akzentuierungsprinzipien abgetrennte Regel, eben die 'Compound Stress Rule' (CSR), postuliert, hier in der auf Prominenzbäume bezogenen Formulierung aus Liberman/Prince (1977): Compound Stress Rule (Liberman/Prince 1977): For any pair of sister nodes [Ni N2lL (where L is a lexical category): N2 is strong iff it branches. Auch diese Regel ergibt Bäume wie (B59) und (B60). - Wir können also die CSR quasi als Theorem ableiten, wenn wir davon ausgehen, daß Komposita und syntaktische Phrasen denselben integrationsbasierten Akzentregeln unterliegen.*! Darin scheint mir ein konzeptueller Fortschritt zu liegen. Vorteile ergeben sich auch in der Empirie. Die CSR geht davon aus, daß die Lage des Hauptakzents nur von der Baumgeometrie abhängt Die integrationsbasierte Theorie sagt, daß neben der Baumgeometrie inhaltliche Beziehungen eine Rolle spielen. Deshalb sind z.B. Fälle wie (S61) für uns kein Problem: (S61)

{A,..} {A,..} {A,..} rot - grün

Hier liegt Koordination, also keine Integration, vor, und deshalb müssen wir P-Regel 2 anwenden:

(B61)

(*)

Die CSR dagegen macht aufgrund ihrer ausschließlichen Berücksichtigung der Baumgeometrie die falsche Voraussage, daß der Hauptakzent hier auf rot landet.

Daß integrierte syntaktische Phrasen denselben Betonungsgesetzen wie Determinativkomposita gehorchen, wurde bereits von A. Fuchs (1987) vermutet

102

Näheres zu dieser Theorie des Kompositurns-Akzents findet sich in Jacobs (1992b). Dort wird u.a. erörtert, welche weiteren Formen der Wortbildung den syntaktischen Akzentuierungsregeln unterliegen. Es gehören dazu z.B. Inkorporationen, wie bei deutschen Partikelverben: (S62)

rv,.^

vor

(B62)

zeigen

^P-R3

vor zeigen * * * Dt

*

*

In dem erwähnten Aufsatz zeige ich allerdings auch, daß unsere Akzentregeln ergänzt werden müssen durch eine Abschottung der phrasalen von der morphologischen Domäne bei der Anwendung von (Bedl). Andernfalls bestünde z.B. die Gefahr, daß wir (S63) mit (B63) verbinden:

(S63) {N,..} {P,..} den Ausweis (B63)

| vor

{V,..}h l zeigen

^vP-R2 (wg- Bedingung 4.) + P-R3

(B63) entspricht nicht der intuitiven Neutralakzentuierung, bei der der stärkste Schlag auf dem Objekt landet. - Dieses Problem verschwindet, wenn wir annehmen, daß es von der jeweiligen Anwendungsdomäne abhängt, was für Bedingung 4. als 'nicht-komplexe Kernkonstituente' zählt: Auf der phrasalen Anwendungsdomäne gilt insbesondere jedes Wort als

103 nicht-komplex, auch wenn es morphologisch reich strukturiert ist. Damit ist vorzeigen in (S63) im relevanten Sinn nicht-komplex und kann als Zielkonstituente der Integration des Objekts fungieren. Auf dieser Basis erhalten wir die gewünschte Akzentuierung (B631): (B631)

P-R3

vor zeigen * ** * *

Bei einer Anwendung von (Bedl) auf Komposita bemißt sich, wie durch Beispiel (B60) schon illustriert, die Komplexität einer Konstituente daran, ob sie selbst ein Kompositum ist. Das beinhaltet auch, daß Derivate auf der Kompositum-Ebene nicht-komplex und damit mögliche Zielkonstituenten für Integration sind:42 {N,..} ——-

(S64)

{V,..} Auto

fahr

(B64)

{/{V,stamm},N,..}h

er

Die Behauptung, daß die Satz- und die Wortebene gemeinsamen integrationsbasierten Akzentregeln unterliegen, setzt also eine Schichtung von Regelanwendungsdomänen voraus, wie sie auch die Lexikalische Phonologic vertritt (vgl. z.B. Kiparsky 1982). Diese Schichtung entspricht allerdings - wie ebenfalls schon in der Lexikalischen Phonologie bemerkt wurde nicht genau der traditionellen Unterscheidung von Phrasen, Komposita, Derivaten usw. So muß die Komposita-Domäne wahrscheinlich nicht nur 'nach oben' (also zu den Phrasen) und 'nach unten' (also zu Derivaten und Simplizia) abgeschottet werden, sondern darüber hinaus

Man beachte, daß nach (Bedl) auch/aAr- in -er integriert ist (Näheres zur Anwendung unseres Regelapparats auf Derivate in Jacobs 1992b.)

104 intern in zwei Domänen aufgegliedert werden. Damit ergäbe sich jedenfalls eine Erklärung für Problemfälle wie (S65):

(S65)

(B65)

{N,..}

P-R3

{N,.. {N,.}

{N,..}h

bahn

hof

Güter

Der Analyse (B65) liegt die Annahme zugrunde, daß das Wort Bahnhof, wenn es innerhalb anderer Komposita vorkommt, infolge fortgeschrittener Lexikalisierung als Einheit einer niedrigeren Anwendungsdomäne, also nicht als Wort derselben Komplexitätsstufe wie Güterbahnhof, aufgefaßt wird. (Andernfalls würde sich kontraintuitiv Güterbahnhof ergeben.) Auf eine interne Gliederung der phrasalen Ebene in zwei Anwendungsdomänen weisen Beispiele wie das folgende hin:

(S66)

{/{N,nom},V,..,m} {/{N,akk}/{N,nom},V,..}h

{N,akk,..}

{/{N,akk}/{N,nom}/{dir},V,..}h ein Paket

zur Post

(B66)

bringt

P-R3 + P-R3

ein *

Paket **

*

zur *

Post *

bringt *

105 Die Ableitung (B66) ist nur möglich, wenn zur Post bringt auf der Anwendungsdomäne des obersten Knotens von (S66) als nicht-komplex gilt und damit das direkte Objekt integriert ist. Andernfalls müßte 'ganz oben' P-Regel 2 angewandt werden, womit sich ein Paket zur Post bringt ergäbe, was für viele Sprecher nur bei Fokusverengung möglich ist. Die durch solche Beispiele nahegelegte Untergliederung sowohl der Kompositums- als auch der phrasalen Ebene in je zwei Anwendungsdomänen für (Bedl) bedarf natürlich genauerer Untersuchungen.43 Sie steht aber auf jeden Fall nicht in Widerspruch zu unserer zentralen Behauptung, daß Integration der Schlüssel zur Lösung vieler Probleme der Akzenttheorie ist, sondern ist nur ein weiterer Beleg dafür, daß sich die volle Erklärungskraft der integrationsbasierten Akzentregeln erst im modularen Zusammenspiel mit anderen grammatischen Annahmen entfaltet.44

3.

Integration und Syntax

Die Unterwerfung von Phrasen und Wörtern unter gemeinsame Prinzipien ist auch ein wesentliches Resultat der Einbindung der Integration in die Analyse der Vererbung syntaktischer Valenzen. Basis ist eine allgemeine Theorie der Merkmalsvererbung, für die das Kopfprinzip zentral ist: (Kopfprinzip) Für alle komplexen Ausdrücke X, alle Tochterkonstituenten von X und für bestimmte Merkmale M gilt: Wenn in den Wert des Merkmals M bei X Information aus dem Wen von M bei übernommen wird, dann muß Kopf von X sein. Dieses Prinzip beschränkt die Merkmalsvererbung auf die Kopflinie. Die Merkmale M, für die es gilt, heißen Kopfmerkmale. Kopfmerkmale sind die meisten (wenn nicht alle) Merkmale, deren Werte durch den Transfer von Information von einem Tochtermerkmal in das entsprechende Muttermerkmal festgelegt werden, z.B. die Wortart und die morphosyntakti43

44

So wäre der Frage nachzugehen, ob diese Domänendifferenzierungen mit Hilfe der Komplexitätsstufen der X-bar-Theorie expliziert werden können. Ich vermute, daß diese Frage zu verneinen ist: Eine Zuordnung von Ausdrücken wie zur Post bringt zur untersten Komplexitatsstufe steht in Konflikt zu den für höhere Komplexitätsstufen typischen Eigenschaften solcher Ausdrücke, etwa dazu, daß sie eine Maximai-Projektion enthalten (hier, zur Post), die in einem Komplementierungsverhältnis zum Kopf steht G. Cinque (1992) schlägt eine Akzenttheorie vor, die die gleichen intendierten Anwendungen hat wie unsere integrationsbasierte Analyse (und etwa gleichzeitig und unabhängig von ihr entwickelt wurde). Cinques Theorie basiert, vereinfacht gesagt, auf der Annahme, daß bei Neutralbetonung der Hauptakzent der am tiefsten eingebetteten Konstituente zugewiesen wird. Damit macht Cinque für Fälle, in denen der Hauptakzent einer integrierten Konstituente zugewiesen wird, dieselben Voraussagen wie wir (da auch Integration wegen Bedingung 4. maximale Einbettungstiefe vorausetzt). In allen anderen Fallen weichen die Prädiktionen der beiden Theorien voneinander ab. Z.B. würden Cinques Prinzipien in Fällen wie die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus (unser Beispiel (58)) den Hauptakzent kontraintuitiv dem am tiefsten eingebetteten Nominal Amerikas zuweisen, oder in weil Bruno stundenlang schläft (ein Beispiel von Cinque, p.c.) dem NichtArgument stundenlang, was ebenfall nicht der intuitiven Neutralbetonung entspricht. - Das generelle Problem von Cinques Theorie scheint mir zu sein, daß sie mit der Einbettungstiefe nur einen der für die Plazierung des Hauptakzents relevanten Faktoren erfaßt Dies bedürfte aber einer genaueren Erörterung.

106

sehen Merkmale (Kasus, Numerus, Tempus usw.). Damit erklärt das Kopfprinzip z.B., warum (S67a) im Gegensatz zu (S67b) nicht wohlgeformt ist: (S67)

a. *

{N,gen,plur,...}

{N,nom,sing,..}h Nacht

b.

{N.gen.plur,..} der langen Messer

{N,nom,sing,..} {N,nom,sing,..}h {N,gen,plur,..} Nacht

der langen Messer

Die Integration kommt nun ins Spiel, wenn man genauer sagen will, was der Begriff "komplex" im Kopfprinzip bedeutet: (DefK) X ist komplex (im Sinne des Kopfprinzips) gdw. a) X mehr als eine bedeutungstragende Tochterkonstituente hat, b) die Tochterkonstituenten von X nicht im Verhältnis der Integration zueinander stehen. Daraus folgt, daß bei Integration die beschränkende Wirkung des Kopfprinzips suspendiert ist. Die Merkmalsvererbung kann auch von Töchtern ausgehen, die nicht Kopf sind. Das tut sie dann, wenn die Information, die sich am Kopf findet, nicht ausreicht für die Berechnung des Merkmals im Mutterknoten. Das ist eine Verallgemeinerung des Konzepts der 'relativierten Köpfe' aus DiSciullo/Williams (1987), die in Jacobs (1992c) ausbuchstabiert wird. Hier ein Beispiel aus DiSciullo/Williams (1987): (S68)

{A.dimin,...} {A,..} poqu-

{dimin,..}h -ita

Das span. Diminutivsuffix -ita hat keine Wortartspezifizierung. Deswegen holt sich der Mutterknoten die Wortartinformation von einem Tochterknoten, der nicht Kopf ist. Das ist kein Verstoß gegen das Kopfprinzip, weil hier wegen Integration des Adjektivstamms in das Suffix45 kein komplexer Ausdruck im Sinn von (DefK) vorliegt.

3.1. Integration und Valenzvererbung Die Brücke zur Valenzvererbung wird nun dadurch geschlagen, daß die Verarbeitung von Valenzinformationen innerhalb von syntaktischen Strukturbäumen, genau wie die von

Ich gehe davon aus, daß poqu- Argument von -ita ist. Damit sind hier alle Integrationsbedingungen erfüllt, was der Leser selbst überprüfen möge.

107

Wortart, Numerus usw., dem Kopfprinzip unterliegt. Es gibt drei Formen der Verarbeitung syntaktischer Valenzen: a.

Modifikation: {/{N,nom}/{N,akk},V,...} {Adv,..}

{/{N,nom}/{N,akk},V,...}h

oft

besucht

b. Komplementierung:

{N,akk,..}

{/{N,nom}/{N,akk},V,...}h

den Gottesdienst c.

besucht

Komposition: {/{N,dat}/{N,nom}/{N,akk),V,...} {/{N,nom}/{N,akk},V,inf,...} zu

besuchen

{/{N,dat}/{V,inf},V,...)h scheint

Bei Modifikation wird eine Valenz unverändert nach oben kopiert. - Bei Komplementierung wird eine Stelle einer Valenz durch eine Schwesterkonstituente gesättigt, eventuell verbleibende Stellen dieser Valenz wandern zum Mutterknoten. Voraussetzung für die Sättigung ist, daß sich die Kategorie der sättigenden Konstituente - des Komplements - der kategorialen Spezifizierung der zu sättigenden Valenzstelle subsumieren läßt. - Bei Komposition wird wie bei der Komplementierung eine Stelle einer Valenz gesättigt. Außerdem wandern hierbei nicht nur die restlichen Stellen dieser Valenz nach oben, sondern auch die Valenzstellen des Komplements, wobei letztere an erstere 'angehängt* werden, wie im Beispiel die Nominativund die Akkusativ-Stelle von zu besuchen an die verbliebene Dativstelle von scheint (vgl. weil mir Peter den Gottesdienst zu besuchen scheint). Diese Valenzvererbungsformen unterliegen, wie gesagt, dem Kopfprinzip, kurz: (Valenzprinzip 1) Valenz ist ein Kopfmerkmal.

108 Das erklärt z.B. die Unzulässigkeit der folgenden Valenzvererbungen:

(S69)

{V,...} {N.gen,..}

{/{N,gen},V,...}h {A,..}

der Mülldeponie

(S70)

{/{N,gen),V,...}h

vennutlich

wegen

demonstriert wurde

{V,...} {N,akk,..}

{/{N,akk},V,...}h {Adv,...}

* {/{N,akk},V,...}h

{/{N,akk},V,zu-inf,..} {N,nom,..} dieses Buch

leider

zu lesen

niemand

{/{N.nom}/{zu-inf}, V,...} h versucht hat

In (S69) verstößt der Teilbaum wegen demonstriert wurde gegen das Valenzprinzip l, in (570) tut das der Teilbaum zu lesen niemand versucht hat. In beiden Fällen wird die Valenz eines Nicht-Kopfes, nämlich der Postposition bzw. des Zu-Infinitivs, vererbt, im ersten Fall über Modifikation, im zweiten über Komposition.46 Hier stellt sich natürlich die Frage, wieso Valenzkompositionen wie in c. oben oder in (571) nicht ungrammatisch sind:

Dagegen verstößt es nicht gegen ein Valenzverarbeitungsprinzip, daß in (S70) die Subjektstelle vor der Infinitivstelle gesättigt wird (vgl. das akzeptable weil dieses Buch zu lesen noch niemand versucht hat). Die Reihenfolge der Sättigung von Valenzstellen wird von der Valenztheorie offengelassen. Die Resultate freier Sättigungsabfolge werden aber durch andere Prinzipien beschränkt, z.B. durch Wortstellungsprinzipien. Vgl. Jacobs (1992c). - Im übrigen ist die Verarbeitung der Valenz des Infinitivs in (S70) vereinfacht dargestellt; tatsächlich ist auch noch eine Subjektvalenzstelle des Infinitivs in diese Verarbeitung mit einbezogen (vgl. Jacobs i.Vorb.), was aber im gegenwärtigen Zusammenhang keine Rolle spielt

109 (S71)

{V,...} {N,akk,..}

{/{N,akk},V,...)h {Adv,...}

{/{N,akk),V,...}h {N,nom,..}

{/{N,nom}/N,akk},V,...}h

{/{N,akk},V,zu-inf,..} {/fN,nom}/{zu-inf},V,...}h dieses Buch

leider

niemand

zu lesen

versucht hat

Des Rätsels Lösung ist die Integration. In c. oben und (S71) ist das infinite Verb jeweils in das Finitum integriert.47 Damit unterliegen diese Fälle wegen (DefK) nicht dem Kopfprinzip, und eine Vererbung kann auch vom Nicht-Kopf ausgehen. Diese Theorie läßt erwarten, daß auch in integrierten morphologischen Komplexen die Valenzvererbung nicht durch das Kopfprinzip behindert wird, und genau das ist der Fall, vgl. die Analyse (S72) des Verbs graute (wie in weil ihr vor ihm graute): (S72)

{/{N,dat}/{P,vor},V,prät,sing,...} {/{N,dat}/{P,vor},V,stamm,..} grau-

{/{V,stamm},prät,sing,..)h

-te

Weil Stämme in Flexionssuffixe integriert sind, können Stammvalenzen mühelos nach oben wandern, obwohl Flexionssuffixe Kopfstatus haben. Man mag einwenden, daß Valenzvererbung nur bei Flexion problemlos ist, während sie in Derivaten und Komposita - die ja auch oft integrierte Komplexe sind (s. 2.3.) - häufig blokkiert ist, wie in (73), wo die Patiens-Valenzstelle des Verbstamms Planier- offensichtlich nicht vererbt wird: (73) ??der Planierarbeiter der Straße Solche Beispiele zeigen aber nicht, daß dem Kopfprinzip entschlüpfende Valenzvererbungen innerhalb von integrierten Wortstämmen nicht möglich sind, sondern nur, daß durch solche Vererbungen keine semantisch nicht wohlgeformten Wörter entstehen dürfen. Zu diesem Resultat kommt auch Fanselow (1991). Er erklärt (73) damit, daß die Bestandteile des Kompositums semantisch durch Konjunktion verknüpft werden müssen. Das setzt voraus, daß die Be47

Es besteht jeweils eine Argumentbeziehung, und die fragliche Konstituente ist adjazent zum Finitum. Die Forderung nach semantischen Objekteigenschaften ist im ersten Fall nicht einschlägig, weil scheint keine Situationsrolle zuweist Im zweiten Fall ist das infinite Objekt kausal affiziert.

110 standteile vom selben semantischen Typ sind, und das wiederum verbietet es, den ersten Bestandteil Planier- als ein Prädikat mit zwei offenen Valenzstellen zu interpretieren. Also kann eine solche zweite Stelle auch nicht vererbt werden, und deshalb ist (73) abweichend. - Dieser Analyse habe ich nur hinzuzufügen, daß der Unterschied zur Flexion sich daraus ergibt, daß Flexion keine semantischen Konstellationen schafft, die Valenzvererbungen blockieren können, z.B. keine logische Konjunktion wie in (73). 3.2.

Integration und Bewegung

Nun ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Anwendung des Integrationsbegriffs auf die Bewegungstheorie. Dieser Schritt besteht darin, einen leeren Knoten, der möglicher Ausgangspunkt einer Bewegung ist, durch eine zusätzliche Stelle in der Valenz der ersten verzweigenden Konstituente zu markieren, die den leeren Knoten dominiert, wie es (S74) exemplifiziert:48

(S74)

{V,reU} {P,auf,rel,..}

{/{P,auf},V,...}h {N,nom,..}

{/{N,nom)/{P,auf},V,...)h (P,auf)

auf dem

man

{/{N,nom},V,...}h sitzen kann

(Die spurenmarkierende Valenzstelle ist fett gedruckt.) Wenn man Bewegung so darstellt, sagt man voraus, daß sie den Prinzipien der Valenzvererbung unterliegt.4^ Das hat viele interessante Konsequenzen. So erhalten wir ohne Umwege eine Erklärung für die geringe Akzeptabilität von (S75):

Die Übernahme der kategorialen Information des leeren Knotens in die Valenz der Verbalphrase unterliegt nicht dem Kopfprinzip; dieses wäre nur einschlägig, wenn diese Information aus der Valeru des leeren Knotens Übernommen würde. (Zu Details dieses Repräsentationsformats für Bewegung vgl. Jacobs 1992d) - Im übrigen ignoriere ich hier die Frage, wie die Doppelfunktion der einleitenden Relativphrase als Satzglied und als Signal für Subordination erfaßt werden kann, da es hier nur um die Bedingungen der Bewegung dieser Phrase geht. Darin liegt der wesentliche Unterschied zur Bewegungsanalyse der Verallgemeinerten Phrasenstnikturgrammatik (GPSG), die ebenfalls leere Knoten durch ein syntaktisches Merkmal markiert, vgl. Gazdar et al. (1985). Die GPSG stellt keinen Bezug zwischen dieser Form der Repräsentation von Bewegung und der Valenzvererbung - also der Projektion von Subkategorisierungseigenschaften ins Syntagma - her und macht entsprechend ganz andere Voraussagen über Bewegungsbeziehungen (z.B. die, daß eine Adjunktbewegung wie in (S74) gar nicht möglich ist).

Ill

(S75) {P,über/el,..}

{/{P,über},V,...}h {/{P,über},V,...}h {/{P,über},N,nom,..}

über den vermutlich

das Buch e

V(N,nom},V,...}h viele Leute interessieren würde

Die Vererbung der Valenzstelle, die das leere Attribut zum Subjekt markiert, an die Phrase das Buch e viele Leute interessieren würde verstößt gegen das Valenzprinzip l, da das Subjekt nicht Kopf ist. - Wir haben also eine Erklärung dafür, daß die Phrase das Buch e viele Leute interessieren würde eine Bewegungsbarriere für das Subjektattribut ist. Gleichzeitig können wir erklären, warum es in (S76) keine Bewegungsbarrieren für das Attribut gibt: (S76)

{V/el,...}

{P,über,rel,..}

{/{P,über},V,...}h

{N.nom,..}

{/{N,nom}/{P,über},V,...}h {/{P,über},N,akk,..}

über den

niemand

ein Buch

e

{/{N,nom}/{N,akk},V,...}h gelesen hat

Die Vererbung der den leeren Knoten anzeigenden Valenzstelle an die Phrase ein Buch e gelesen hat verstößt nicht gegen das Valenzprinzip l, weil diese Vererbung nicht dem Kopfprinzip unterliegt. Das Objekt ist ja integriert, wie der Leser leicht selbst überprüfen kann. In (S75) ist das Subjekt dagegen nicht integriert. Erwartbar ist auf der Basis unserer bisherigen Überlegungen auch der Akzeptabilitätsunterschied zwischen den vorangehenden Beispielen und (S77):

(S77)

{V,reU}

{P.über^el,..}

{/{P,über},V,...}h

{ ,

?

{/{N,nom}/{P,über},V,...}h

{/{P,über},N,akk,..} über den

niemand

das Buch e

{/{N,nom)/{N,akk},V,...}h gelesen hat

112 (S77) ist nach meiner Intuition (und der der meisten meiner Informanten) weniger akzeptabel als (S76), aber akzeptabler als (ST5). Das können wir darauf zurückfuhren, daß hier das Objekt zwar integriert ist, aber aufgrund seiner Definitheit etwas vom Prototyp der Integration abweicht, vgl. 1.3.50 Integration erweist sich also als Schlüssel zum Phänomen der Barrierenöffnung. Allgemein kann man den Zusammenhang in folgendem Gesetz festhalten: (Barrierengesetz) X ist eine Barriere für eine Bewegung aus einem von X unmittelbar dominierten heraus, wenn weder Kopf von X noch integriert ist. Dieses Gesetz unterscheidet sich von den Barrierendefinitionen der Prinzipien-und-Parameter-Theorie (PPT)51 dadurch, daß es unter Voraussetzung der gewählten Repräsentation von Bewegung vollständig aus anderen Prinzipien folgt, nämlich aus jenen der Valenzvererbungstheorie. Unsere Bewegungsanalyse erklärt also, warum bestimmte Konstituenten Barrieren sind. Die PPT-Barrierendefinitionen stipulieren das dagegen. So stipulieren sie, daß Konstituenten, die in einer bestimmten kompakten Beziehung zu einer Schwester stehen von Chomsky L-Markierung genannt - unter Umständen keine Barrieren sind. Mit dieser Festsetzung sind durchaus in etwa die gleichen Phänomene anvisiert wie mit dem Integrationsbegriff, aber die PPT gibt, weil sie den Zusammenhang zwischen Kompaktheit und Barrierenöffnung definitorisch festlegt, keine Auskunft darüber, warum er besteht. Die hier entwickelte Theorie dagegen beantwortet diese Frage: Kompaktheit - nämlich Integration - öffnet Barrieren, weil sie das Kopfprinzip unwirksam macht und damit Vererbung von NichtKopf-Valenzstellen - ob sie nun lexikalisch determiniert sind oder leere Konstituenten markieren - ermöglicht.52 Unser Vorschlag hat nicht nur den Vorteil einer interessanteren deduktiven Struktur, sondern auch den größerer Einfachheit, eliminiert er doch ein ganzes grammatisches Modul, nämlich die 'bounding theory' der PPT. Diese wird vollständig in der (ohnehin benötigten) Valenzvererbungstheorie aufgehoben.53 - Zudem gibt es natürlich viele Unterschiede im Detail. So können wir z.B. der Tatsache Rechnung tragen, daß Bewegungen aus einem Subjekt

50 Der Unterschied zu (S76) kann dagegen nicht an einer Topikalisierung des Objekts in (S77) festgemacht werden. Konstituenten im Skopus einer Negation sind grundsätzlich nicht-topikalisch, vgl. ebenfalls 1.3. Eine andere mögliche Erklärung für den Einfluß der Definitheit haben Szabolsci und Zwarts (1990) vorgeschlagen. Nach ihnen ergibt die Vajenzkomppsition in (S77), aber nicht in (S76), eine Bedeutungskonstefiation, die Extraktion blockiert (nämlich eine nicht monoton zunehmende Funktion). Damit kann aber der Akzeptabilitätsunterschied zwischen (S77) und (S75) nicht erfaßt werden. Vgl. Jacobs (1992d). 51 Vgl. Chomsky (1986), Baker (1988), Sternefeld (1991). 52 Neben Nicht-Integration und Nicht-Kopf-Status gibt es noch andere Faktoren, die die Vererbung von Valenzstellen blockieren und damit Bewegungsbarrieren aufbauen, vgl. Jacobs (1992c,d). 53

Wie Übrigens auch die auf 'bar-levels' Bezug nehmenden Axiome der X-bar-Theorie, vgl. Jacobs (19920· Detailliert wird die valenztheoretische Aufhebung der "bounding theory' in Jacobs (1992d) dargestellt, wobei neben Subjekt- und Adjunkt-Insel-Effekten auch die Komplexe-NP-Beschränkung, der Komplementierer Spur-Effekt, Bedingungen für Kopfbewegung und parasitäre Lücken, 'Across-the-board'-Effekte u.a.m. diskutiert werden.

113 heraus auch dann grammatisch sein können, wenn das Subjekt extern (also nicht objektartig) ist:

(S78)

{Vjel,...}

{ ,

, ,..}

{/{P,von},V,...)h

{N,akk,..}

{/{N,akk}/{P,von},V,...}h {/{N,akk}/{P,von},V,...}h

{Adv,..}'

{/{P,von},N,nom,..} von der

mich

noch nie

{/{N,nom),V,...}h

ein Vertreter e

besucht hat

(Vgl. eine Firma, von der mich noch nie ein Vertreter besucht hat.) Das Subjekt ist hier wieder integriert, also ist keiner der es dominierenden Knoten eine Barriere für die Bewegung des Subjektattributs. Dagegen sind solche Beispiele problematisch für die in der PPT gängige Auffassung, daß externe Subjekte 'Inseln' sind, denn nach Ausweis unabhängiger Kriterien (Hilfsverbwahl, Attributverwendung des Partizips II u.a.m.) muß man hier von einem externen Subjekt ausgehen. 3.3.

Integration als Bindeglied zwischen Syntax und Betonung

Wichtig für die Abwägung der integrationsbasierten Bewegungsanalyse gegen die Barrierentheorie ist neben den eben umrissenen Unterschieden im Aufbau der Gesamttheorie, die unserem Ansatz eine größere Erklärungstiefe und Eleganz verleihen, die Tatsache, daß dieser Ansatz den (Nicht-)Barrierenstatus von Konstituenten mit anderen sprachlichen Phänomenen vernetzt, zu denen man bisher keinen systematischen Zusammenhang herstellen konnte, z.B. mit der Fokusprojektion. Diese Vernetzung manifestiert sich in Voraussagen über die Kookkurrenz dieser Phänomene. Es wird z.B. vorausgesagt, daß im Deutschen ein Verbbegleiter, aus dem nichts herausbewegt werden kann, auch nicht fokusprojektiv sein kann. Daß das tatsächlich zutrifft, sei abschließend am Beispiel eines invertierten direkten Objekts illustriert: (79) weil das Buch über Boris niemand gekauft hat Das Objekt das Buch über Boris ist aufgrund des obigen Barrierengesetzes eine Extraktionsinsel, vgl. (S80):

114

(S80)

{V/el,...}

{P.überjel,..} {/{P,übeiWakk,..}

i/{N,akk),V,...}h {N,nom,..}

über den

das Buch e

niemand

{/{N,nom}/{N,akk},V,...)h gekauft hat

Wegen mangelnder Integration des Objekts (die Folge einer Verletzung der Bedingung 4. ist) verstößt die Vererbung der spurenmarkierenden Valenzstelle an die Phrase das Buch e niemand gekauft hat gegen das Valenzprinzip 1. Das erklärt die Inakzeptabilität dieses Relativsatzes. Daß vom Objekt in (79) auch keine Fokusprojektion ausgehen kann, ist Resultat der sich mit unseren Regeln ergebenden Neutralakzentuierung:

P-R2

(B79)

P-R2

das Buch über Boris

Der wesentliche Punkt ist hier, daß die mangelnde Integration des Objekts die Anwendung von P-R2 auf die Konstituentenmenge (das Buch über Boris, niemand gekauft hat} erzwingt54 Damit ergibt sich eine völlig andere Akzentuierung als bei einer engen Fokussierung des Objekts (bei der der stärkste Schlag auf Boris landen würde). Es entsteht also keine Ambiguität zwischen Neutralakzentuierung und enger Objektfokussierung, d.h. eine vom Objekt ausgehende Fokusprojektion unterbleibt.55

54

Daß bei Anwendung von P-Regel 2 auf (niemand, gekauft hat) ein Minus-vor-Plus-Mustcr entsteht, liegt daran, daß niemand (wie jemand) nicht neutral akzentuierbar ist, vgl. 2.

55

Andererseits sagen unsere Regeln eine vom Hauptverb ausgehende Fokusprojektion voraus. Den Nachweis überlasse ich dem Leser.

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Zu Syntax und Semantik deutscher Personalpronomina1 Jürgen Lenerz, Köln Der folgende Aufsatz behandelt verschiedene Aspekte der Syntax und Semantik der deutschen Personalpronomina. Dabei wird zunächst (1.) ihre syntaktische Position am linken Rand des Mittelfeldes einer genaueren Betrachtung unterzogen. Daran schließt sich (2.) eine kategorielle syntaktische Analyse der Personalpronomina der 3. Person an. Es folgt eine Skizze der semantischen Analyse (3.) und eine kurze Charakterisierung der Pronomina der 1. und 2. Person (4.). Daran anschließend werden verschiedene aus der Literatur bekannte Vorschläge untersucht, die die Bewegung der Pronomina erklären könnten (S.). Es wird festgestellt, daß weder kasustheoretische noch bindungstheoretische Analysen der Pronomenbewegung als -Bewegung direkt auf das Deutsche übertragbar sind. Vielmehr zeigt sich, daß Pronomenbewegung durchaus als eine Instanz von Scrambling (XP-Bewegung) angesehen werden kann. Eine Begründung des syntaktischen Verhaltens steht dabei allerdings weiterhin aus. Es ist lediglich festzustellen, daß die besonderen referentiellen Eigenschaften der Pronomina mit ihren Stellungseigenschaften korreliert sind. Letztere sollten sich jedoch rein syntaktisch begründen. Ein Versuch, eine solche Analyse zu entwickeln, wird abschließend skizziert (6.).

1. 2. 3. 4. 5. 5.1. 5.1.1. 5. l .2. 5.1.3. 5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.2.3. 5.2.4. 5.2.5. 5.2.6. 6.

1.

Wo stehen Pronomina? Was sind Pronomina? Wie referieren Pronomina? Zu den Pronomina der ersten und zweiten Person Pronomenbewegung? Kppfbe wegung? Die kasustheoretische Erklärung Eine bindungstheoretische Erklärung? Weitere Argumente gegen Kopfbewegung Ist Pronomenbewegung Scrambling? Das erste Argument: IO>DO vs. do>io als unmarkierte Abfolgen Gilt die Abfolge do>io für Pronomina wirklich generell? Das zweite Argument: Extraktion über ein transitives AcI-Subjekt Weitere Argumente Fazit Vorfeldbesetzung Ein Lösungsvorschlag Literatur

Wo stehen Pronomina?

Auf den ersten Blick läßt sich die Stellung der Personalpronomina2 im Deutschen recht einfach beschreiben: Wie die Beispiele in (1) zeigen, stehen sie gewöhnlich am linken Rand des

Die vorliegende Arbeit stellt eine Überarbeitung einer früheren Version dar (Lenerz 1992); für Diskussion und hilfreiche Bemerkungen danke ich u.a. Priya Bondre-Beil, Daniel Büring und Horst Lohnstein. Bei der im weiteren vereinfachend gewählten Bezeichung der unbetonten Personalpronomina als "Pronomina'' wird von verschiedenen Arten von Indefinitpronomina (man, einer,.... w-Pronomina wie was, wen,

118

Mittelfeldes in der Abfolge Nominativ - Akkusativ - Dativ (fortan für Pronomina in Kleinbuchstaben: nom-akk-dat); phonologische Klitisierung des akk-Pronomens es an ein vorangehendes Pronomen ist dabei auch möglich (Ic), auch an ein dat-Pronomen (Id): 1l)

a. weil er es ihm ja wahrscheinlich gestern gegeben hat b. ... *er ihm es/*ihm er es/*es er ihm ... c. ... efs ihm ... d. ... er ihm's... Dabei treten Pronomina wohl meist vor den Modalpartikeln, Satzadverbien oder Temporaladverbien (z.B. ja wahrscheinlich gestern in (la)) auf, von denen man annimmt, daß sie am linken Rand der VP stehen. Zudem läßt sich feststellen, daß das Subjekt des Satzes, sofern es nicht selbst ein Personalpronomen ist, neben seiner Basisposition in [Spec,VP] (in (2a)) verschiedene Positionen außerhalb der VP einnehmen kann; als Pronomen muß es jedoch außerhalb der VP stehen (2e,f):3 (2)

a. b. c. d. e. f.

weil es ihm ja wahrscheinlich gestern ein Mann gegeben hat ?weil es ihm Paul ja. wahrscheinlich gestern gegeben hat ?weil es Paul ihm ja wahrscheinlich gestern gegeben hat weil Paul es ihm ja wahrscheinlich gestern gegeben hat *weil es ihm ja wahrscheinlich gestern er gegeben hat weil er es ihm ja wahrscheinlich gestern gegeben hat

Eine adverbielle Bestimmung kann gelegenüich vor den Pronomina auftreten. Diese Stellungsmöglichkeit werde ich im folgenden nicht betrachten: (3)

weil in der gegenwärtigen weltpolitischen Situation es ja tatsächlich von außergewöhnlicher Bedeutung ist,...

Stehen mehrere Pronomina vor der VP (d.h. vor Modalpartikel, Satzadverb oder Temporaladverb), dann können sie nur dann vor ein ebenfalls dort stehendes Subjekt treten, wenn dieses kein Pronomen ist. (4)

a. b. c. d.

weil er es ihm ja tatsächlich gestern gegeben hat weil Paul es ihm ja tatsächlich gestern gegeben hat ?weil es Paul ihm ... ?weil es ihm Paul...

e. *weil es er ihm... f. *weil es ihm er... Die Abfolge nom-akk-dat, von der häufig die Rede ist, gilt allerdings nicht so strikt, wie in der Literatur gelegentlich behauptet wird. (Vgl. dazu unten 5.2.2.) Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit für Pronomina, unmittelbar hinter dem VP-internen Subjekt aufzutreten, vgl. (5). etc. und d-Pronomina wie der, dem etc.) abgesehen. Behandelt werden also lediglich die sog. Personalpronomina ich, du, er, sie, es, wir, ihr und sie (pl) sowie ihre flektierten Formen. 3 Dabei ist wohl nur die Stellung der Pronomina in (2a), (2d) und (2f) völlig akzeptabel. (2b) und (2c) wirken möglicherweise leicht abweichend, jedoch nicht völlig ungrammatisch wie (2e). Zu (2a): Innerhalb der VP klingt eine indefinite DP besser als ein Eigenname, dto. für (5). Ich danke Daniel Büring für sein feines Sprachgefühl.

119

(5)

weil ja wahrscheinlich gestern ein Mädchen es ihm gegeben hat

All diese Beobachtungen legen es nahe, die Stellung der unbetonten Pronomina im Deutschen nicht eindeutig auf eine syntaktische Position festzulegen, wie es die häufig zu hörende Redeweise von der sog. "Wackernagel-Position" nahelegt. Vielmehr muß man wohl für Pronomina ebenso verschiedene Positionen annehmen wie für das Subjekt. Nun ist in letzter Zeit in der generativen Literatur verschiedentlich die Vorstellung geäußert worden, die Stellung der Pronomina im Deutschen sei in ähnlicher Weise zu beschreiben wie die der Klitika in den romanischen Sprachen (vgl. Schmidt 1992). Jaspers (1989) und Zwart (1991) haben für das Niederländische gezeigt, daß die schwachtonigen Pronomina dort als Klitika zu analysieren sind. Dabei weist das Ndl. sog. starke und schwache Pronomina mit unterschiedlicher Morphologie auf. Entsprechendes gilt für das Westflämische, vgl. Haegeman (1990, 1991). Nur die schwachen Formen klitisieren und stehen obligatorisch in der Abfolge akk-dat. Sie verhalten sich stellungsmäßig verschieden von vollen DPs und von den volltonigen Pronomina. Im Deutschen (jedenfalls in der schriftsprachlich orientierten hochdeutschen Standardsprache) scheint es nun keine derartige durchgängige morphologisch-phonologische Unterscheidung zu geben. Aus phonologischer Sicht spielen nur die schwachtonigen Varianten der Pronomina im Deutschen eine besondere Rolle, wie Prinz (1991) gezeigt hat. Allerdings sind nur wenige Pronomina schwachtonig; die unbetonten Pronomina dagegen unterliegen auch in ihren phonetisch reduzierten Formen den normalen Regeln, die allgemein im Deutschen für phonetische Reduktion oder Allegro-Formen gelten. Im Hochdeutschen ist wohl nur es eindeutig und stets als schwachtonige Form anzusehen; daneben können auch zu den Pronomina sie, ihn, wir, ihr, er und du schwachtonige Varianten gebildet werden ([za, an, VB, , , da]), wie Prinz (1991:85) zeigt. In den deutschen Dialekten gibt es allerdings zweifellos weitere schwachtonige Formen. Daraufhat insbesondere Abraham (1991a,b) hingewiesen, vgl. u.a. auch Abraham/Wiegel (1991) und Altmann (1984). Auch in anderen germ. Sprachen sind teilweise durchgängig zwei Paradigmen für starke und schwache Formen der Pronomina festzustellen. Dabei weisen offenbar nur die schwachtonigen Varianten besondere Stellungseigenschaften auf (vgl. für das Ndl. Zwart 1991). Wenn sie klitisieren, so muß dies wohl auch im Blick darauf analysiert werden, daß sie sich wie morphologisch gebundene Affixe verhalten, die - etwa im Sinne von Baker (1988) - durch sog. "Kopfbewegung" (head movement) an eine entsprechend geeignete syntaktische X°-Position adjungiert werden. Für das Standarddeutsche kann das nicht gelten, da die betreffenden Pronomina auch dann ihre besonderen Stellungseigenschaften haben, wenn sie nicht schwachtonig, sondern lediglich unbetont sind. In diesem Falle kann man sie nicht als gebundene Affixe ansehen, was sich auch daran zeigt, daß sie in ihrer Stellung variieren können. Ich werde also im folgenden nicht von "schwachtonigen" Pronomina im Deutschen reden, sondern von den unbetonten Formen der Pronomina, die zwar nicht im phonologischen Sinne Klitika sind, sich aber möglicherweise in gewissem Sinne syntaktisch in vergleichbarer Weise wie Klitika verhalten. Wenn es sich bei den Pronomina um X°-Elemente handelte, so wäre vorausgesagt, daß sie nicht im Vorfeld auftreten können, in einer Position [Spec.CP]

120

also, die allgemein als Position für eine maximale Projektion (XP) angesehen wird. Dies scheint auch für das Ndl. und das Westfläm. zu gelten. Was das Deutsche angeht, so war es in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren von besonderem Interesse, daß unbetonte pronominale Subjekte in initialer Position vor dem finiten Verb (V2) auftreten, vgl. (6a), ja sogar das schwachtonige Subjektpronomen es (6b); als Objektpronomen kann es nicht im Vorfeld stehen (6c,d). Betonte Pronomina, die auch "in situ", also in den jeweiligen Argumentpositionen in VP, stehen können (7a), sind dagegen im Vorfeld stets möglich (7b). (6)

a. Er hat es ihm gegeben. b. £«„0,11 hat es^ ihm gegeben.

c. * 5& hat er ihm gegeben. (7)

d. *ESML hat Paulno,,, ihm gegeben. a. Paulnat IHM das Buch gegeben, b. IHM hat Paul das Buch gegeben.

Die Stellungsmöglichkeit von Subjektpronomina im Vorfeld (6a,b) gab Anlaß für diverse Analysen in unterschiedlichen Versuchen zur Erklärung der Verbstellung im Deutschen (vgl. u.a. Travis 1984,1991 vs. Schwartz/Vikner 1989 und Schwartz/Tomaselli 1991). Diesen Ansätzen soll hier nicht im einzelnen nachgegangen werden. Sie legen jedenfalls entweder eine unterschiedliche Analyse für betonte Pronomina (etwa als XPs) und unbetonte Pronomina (möglicherweise als X°) nahe oder einen strukturellen Unterschied zwischen (6a,b) und (6c,d). Demgegenüber ist jedoch festzuhalten: Die oft geäußerte Behauptung, im Deutschen könnten im Vorfeld keine unbetonten Pronomina auftreten, die nicht Subjekte sind, trifft in dieser Verallgemeinerung nicht zu. Zwar sind bei der Vorfeldbesetzung durch Pronomina vermutlich eine Reihe unterschiedlicher Bedingungen (u.a. intonatorischer Art) zu beachten, aber generell ausschließen lassen sich Sätze wie (8) mit unbetonten Pronomina im Vorfeld m.E. nicht: (8)

a. b. c. d. e.

Mir gefallt das GAR nicht Mir kann KEINER so leicht was vormachen. Euch haben wir doch GESTERN schon gewarnt. Dich KENN ich doch! Ihm trau ich nicht über den WEG.

Lediglich für das schwachtonige es gilt, daß es als akk wohl nicht im Vorfeld (VF) auftreten kann, vgl. (6c,d). Der Befund der Vorfeldfähigkeit der Pronomina verlangte also insgesamt (und nicht nur für Subjektpronomina) eine besondere Erklärung, wenn man sie andererseits als X°-Klitika analysieren möchte, wie das etwa eine Übertragung der derzeit für das Ndl. erwogenen Ansätze auf das Deutsche nahelegen könnte und wie es auch schon für das Deutsche angenommen worden ist, vgl. Schmidt (1992). (Zu Einzelheiten s.u. 5.2.) Bei einer Analyse der Pronomina als X°-Klitika wäre ebenfalls vorhergesagt, daß sie nicht innerhalb der VP in den Argumentpositionen (DP) vorkommen können sollten, die ihren -Rollen und Kasus entsprechen. Das scheint insgesamt wohl zuzutreffen, wenn man auch hier beobachten kann, daß betonte Pronomina in allen entsprechenden DP-Positionen erscheinen können und folglich wohl stets als XPs anzusehen sind (s.o. (7a)).

121

Innerhalb der VP erscheinen allerdings auch unbetonte Pronomina, wie bereits angedeutet, wenn sie sich nur mindestens bis zum nicht-pronominalen (oder betonten) Subjekt nach links bewegen: (9)

a. *weil ja wahrscheinlich gestern er es ihm gegeben hat b. weil ja wahrscheinlich gestern ein Mann es ihm gegeben hat c. weil ja wahrscheinlich gestern ER es ihm gegeben hat

Ob die Position des Subjekts in (9b,c), auf Modalpartikel, Satzadverb und Temporaladverb folgend, tatsächlich als [Spec,VP] anzusehen ist, wie man zunächst vermuten möchte, bedarf allerdings einer genaueren Analyse. Immerhin wäre es ja auch vorstellbar, daß die vorangestellte Modalpartikel und das vorangestellte Temporaladverb außerhalb der VP an IP oder CP adjungiert sind wie vermutlich die adverbielle Bestimmung in (3), so daß das spätere Auftreten der Pronomina nicht unbedingt so gedeutet werden muß, als befänden sie sich innerhalb der VP. Sätze mit was /ür-Spaltung und mit sog. "split topicalization" zeigen nun aber, daß sich das Subjekt in (9b,c) in der VP befindet. Dies läßt sich folgendermaßen nachweisen: Nach gängiger Vorstellung sind Subjekt-Objekt-Asymmetrien im Extraktionsverhalten aus der Konfigurationalität der syntaktischen Struktur zu erklären. Fanselow (1987) argumentiert, daß das Deutsche deshalb als konfigurational angesehen werden muß, weil es lange SubjektExtraktion (lOb), was /ür-Spaltung (lib) und "split topicalization" (12b) von Subjekten gewöhnlich nicht erlaubt, wohl aber (zumindest in einigen Dialekten des Deutschen) lange Extraktion von Objekten.4 Die gängige Erklärung hierfür nimmt an, daß dies an einer Verletzung des ECP (empty category principle) liegt, welches verlangt, daß eine Spur ordentlich regiert ist. Ordentliche Rektion ist entweder unter Antezedens-Rektion (d.h. ohne Überwindung einer Barriere und ohne Verletzung der Minimalitätsbedingung) oder bei Rektion durch ein lexikalisches Regens gegeben. In einer konfigurationalen Syntax, die eine NP-VP-Gliederung besitzt, sind Objekt-DPs immer durch das sie seiegierende Verb ordentlich regiert, so daß Extraktion möglich ist. Subjekt-DPs in [SpecJP] dagegen sind normalerweise weder durch ein ordentliches (lexikalisches) Regens regiert noch antezedensregiert, wenn eine Bewegung aus der Subjekt-Position eine Barriere (CP) überwindet: (10) a. Wenj glaubst du daß Paul [yp t| getroffen] hat? b. *Werj glaubst du daß t, [yp meinen Vater getroffen] hat? Entsprechende Kontraste sind bei der sog. tvos/ur-Spaltung (den Besten 1989) und der "split topicalization" (van Riemsdijk 1989, Fanselow 1988) zu beobachten: Wie auch immer die Analyse für die entsprechenden Konstruktionen aussieht, so gilt, daß eine dem vorangestellten was bzw. eine dem vorangestellten nominalen Satzglied entsprechende "Lücke" in Objekt-DPs erlaubt ist, in Subjekt-DPs aber nicht. (Zu Einzelheiten verschiedener Analysen der gespaltenen Topikalisierung vgl. u.a. Tappe 1989a).

Müller (1992a) gibt eine kurze Zusammenfassung der verschiedenen Ansichten und Analysen zu (vermeintlicher?) Subjekt-Objekt-Asymmetrie.

122

(11) a. b. (12) a. b.

Was hast du denn [ t für Leute] gesehen? *Was haben [ t für Leute] denn deinen Bruder gesehen? Volvos habe ich ja [viele t ] in Schweden gesehen. "Volvos haben [viele t ] ja an dieser Rallye teilgenommen.

Auch in Objekt-DPs, die aus der VP herausgescrambelt sind, ist eine entsprechende Lücke nicht erlaubt (13). Die Modalpartikel (denn, ja) markiert dabei jeweils die linke VP-Grenze: (13) a. * Was hat [ t für Leute] denn Paul gesehen? b. *Volvos hat [viele t ] ja Paul gesehen. Dabei sind die betreffenden Sätze ohne wos/ür-Spaltung bzw. "split topicalization" durchaus grammatisch, wenn die einschlägigen Bedingungen für "scrambling" erfüllt sind;5 (14a) erfordert Betonung der ww/ör-Phrase, da der Satz wegen der nicht erfolgten Voranstellung des [+wh] -Elementes (was) nur als sog. Echo-w-Frage möglich ist (Reis 1992); (14b) ist wegen der Füllung der [Spec.CP] -Position durch ein [+wh]-Wort auch ohne Echo-Intonation möglich. (14)

a. b. c. d.

Du hast WAS für Leute ja getroffen? Wann haben was für Leute dich denn darauf angesprochen? Peter hat viele Volvos ja nur gesehen, denn hören kann man sie ja kaum. Dennoch hat viele Volvos ja PAUL gesehen.

Nun läßt sich aber leicht feststellen (vgl. auch Tappe 1989a:161f; Diesing 1990, 1992), daß was /ür-Spaltung und "split topicalization" entgegen dem ursprünglichen Befund (s.o. (lib) und (12b)) durchaus auch bei Subjekten möglich sind, wenn die entsprechende Subjekt-DP in der VP (in situ) steht, wie es durch eine vor dem Subjekt stehende Modalpartikel (oder ein Satzadverb) in den folgenden Sätzen markiert ist; zum Kontrast sind jeweils Sätze mit der Subjekt-DP außerhalb der VP beigefügt: (15) a. b. c. (16) a. b. c. d.

Was haben dich denn [ t für Leute] angesprochen? *Was haben [ t für Leute] dich denn angesprochen? *Was haben dich [ t für Leute] denn angesprochen? Volvos haben ja [viele t ] nach 80.000 km einen Kupplungsschaden. Volvos sind ja [viele t ] mehr als 80.000 km gelaufen. "Volvos haben [viele t ] ja nach 80.000 km einen Kupplungsschaden. "Volvos sind [viele t ] ja mehr als 80.000 km gelaufen.

Für die unbetonten Pronomina gilt nun, daß sie auch unmittelbar nach einem Subjekt innerhalb der VP stehen können, welches durch woy/ür-Spaltung als dort stehend ausgewiesen ist. Dabei ist es unerheblich, ob das Pronomen vor dem Subjekt steht (17c) oder auf es folgt (17) a. b. c. (18) a.

Was haben denn für Leute dir geholfen? "Was haben für Leute dir denn geholfen? "Was haben dir für Leute denn geholfen? Was haben denn für Leute dich gesehen?

3 Wegen des sog. "Spezifizitätseffekts" bei Scrambling muß viele Volvos in (14c) eine spezifische Lesart haben, wie es etwa die folgende Paraphrase andeutet: Von vielen (spezifischen) Volvos gilt, daß Peter sie gesehenhat.

123

b. *Was haben für Leute dich denn gesehen? c. *Was haben dich für Leute denn gesehen? Entsprechendes gilt fur "split topicalization": Auf ein Subjekt innerhalb der VP, das "split topicalization" erlaubt, können unbetonte Pronomina folgen; die Betonung der "Rest"-DP in [Spec.VP] ist dabei - wie stets bei gespaltener Topikalisierung - erforderlich: (19) a. Volvos haben ja VIELE mir gefallen. b. Volvos haben ja VIELE mich beeindruckt. Aus all diesen Überlegungen und Beobachtungen folgt, daß Pronomina durchaus innerhalb der VP stehen können; Bedingung ist lediglich, daß sie sich nach links zur Subjekt-DP begeben. Wenn sie jedoch unbetont in der VP verbleiben, ohne sich an ein VP-internes Subjekt "anzulehnen", so sind die betreffenden Sätze m.E. stark abweichend. Die naheliegende Annahme, die Pronomina in (20a-c) stünden in ihren jeweiligen Argumentpositionen, ist allerdings m.W. weder eindeutig nachzuweisen noch zu widerlegen. Aber selbst, wenn man annimmt, sie stünden in ihren Basispositionen, wenn sie hinter einer Modalpartikel auftreten (wie in (17a) und (18a)), bleibt unerklärt, wieso dies nur dann möglich ist, wenn sie unmittelbar auf ein VP-internes "volles" (d.h. autonom referierendes) Subjekt folgen (vgl. (9b,c)). (20) a. '''Keineswegs hat ja Paul dem Mann dich vorstellen wollen. b. "'Allerdings haben meine Schwestern ja es geglaubt c. *Dennoch sind die Gedichte ja ihr gewidmet worden. Die bislang illustrierte Behauptung, Pronomina müßten sich aus den betreffenden Argumentpositionen nach links mindestens bis zum VP-internen Subjekt bewegen, verlangt nun jedoch eine gewisse Ergänzung. Entsprechendes scheint nämlich auch für Pronomina erforderlich zu sein, die keine Argumente sind, wie z.B. dativus ethicus, commodi oder incommodi etc.: (21) a. b. c. d.

Daß du mir ja nicht zu spät kommst! wenn du mir ein Auto stiehlst wenn du ihm die Spaghetti wegfutterst wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst

Für den sog. dativus ethicus (21 a) läßt sich allenfalls argumentieren, daß er außerhalb der VP basisgeneriert ist, da er sich in vielem wie eine Modalpartikel verhält (vgl. dazu u.a. Jacobs 1991). Er kommt jedenfalls auch als "volle" DP nicht innerhalb der VP (d.h. nach einem Satzadverbial wie auf keinen Fall) vor, wie (22c,d) zeigen: (22) a. b. c. d.

Daß Paul mir auf keinen Fall zu spät kommt! Daß Paul seiner Mutter auf keinen Fall zu spät kommt! *Daß Paul auf keinen Fall seiner Mutter zu spät kommt! "'Daß auf keinen Fall Paul seiner Mutter/mir zu spät kommt!

Für die weiteren Fälle von sog. freien Dativen aber gilt, daß sie sich wie andere unbetonte Pronomina verhalten: Sie nicken mindestens bis zum VP-internen Subjekt nach links: (23) a. wenn Paul ja tatsächlich seinem Vater ein Auto stiehlt b. wenn ja tatsächlich Paul mir ein Auto stiehlt c. '"wenn Paul ja tatsächlich mir ein Auto stiehlt

124

(24) a. wenn nämlich tatsächlich Paul mir/seinem Vater die Spaghetti wegfrißt b. wenn nämlich tatsächlich Paul ihr/seiner Schwester auch nur ein Haar krümmt Insofern verhalten sich also alle Pronomina stellungsmäßig gleich, unabhängig davon, ob es Argumente oder Adjunkte sind. Auch sind mir keine Unterschiede im Stellungsverhalten bekannt, die mit den verschiedenen -Rollen zusammenhängen. Lediglich von einer Präposition abhängige Pronomina können in den Positionen der betreffenden PPs innerhalb der VP verbleiben; dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine Argument-PP (25a) oder um ein Adjunkt (25b) handelt. Voranstellung vor die VP durch Scrambling ist natürlich möglich (25c,d). (25) a. b. c. d.

weil ja Paul das Buch an sie geschickt hatte weil ja Paul seiner Schwester den Brief durch mich hatte schicken lassen weil Paul an sie ja das Buch geschickt hatte weil Paul durch mich ja seiner Schwester den Brief hatte schicken lassen

Aber auch bei den Pronomina in PPs ist ein Fall zu beachten, in dem sich das Pronomen nicht an seiner Basisposition findet: Das schwachtonige Pronomen der dritten Person Singular Neutrum wird durch da ersetzt, welches vor die zugehörige Präposition rückt, mit der zusammen es ein Won bildet (davon, damit, dafür etc.); diese Wörter können natürlich auch aus der VP herausbewegt werden (26c). (26) a. weil ja Paul nichts damit anfangen konnte b. weil ja Paul damit nichts anfangen konnte c. weil Paul damit ja nichts anfangen konnte Überraschenderweise ist das da- aus diesen Wörtern allerdings zudem extrahierbar und verhält sich dann in seiner Stellung weitgehend wie ein Pronomen (27a-c). (27)

a. weil ja Paul da nichts mit anfangen konnte b. weil Paul da ja nichts mit anfangen konnte c. Da konnte Paul ja nichts mit anfangen.

Die Tatsache, daß hier offenbar ein da- aus einem Wort extrahiert werden kann, widerspricht an sich der ansonsten gültigen Einschränkung, nach der Wörter Inseln für syntaktische Bewegungen darstellen. Insofern muß die Beziehung zwischen der Basisposition des betreffenden Pronomens (hinter der Präposition) und der Oberflächenposition (vor der Präposition oder gar von ihr weiter nach vorne bewegt) ein primär syntaktisch zu erklärendes Phänomen darstellen; die phonologisch/morphologische Klitisierung zu den Formen damit, dafür etc. kann folglich erst auf der Ebene der PF erfolgen, nicht jedoch schon lexikalisch vorliegen. Die Einzelheiten der hier skizzierten Analyse bleiben allerdings derzeit noch unklar.6 Zur Bewegung aus PPs und dem Phänomen des sog. "preposition stranding" vgl. van Riemsdijk (1978). Aufgrund der insgesamt vorgestellten Befunde läßt sich das Stellungsverhalten der Personalpronomina im Deutschen zusammenfassend wie folgt beschreiben: 6

Vgl. Wiese (1988) und Büring/Hartmann (1991:11). sowie Oppenrieder (1991).

125 Unbetonte Pronomina können nicht innerhalb der VP an den ihnen entsprechenden Argument- oder Adjunktpositionen stehen, sondern müssen mindestens bis zur Subjekt-DP nach links bewegt werden. Die Subjekt-DP kann dabei innerhalb der VP verbleiben, wenn sie ihrerseits kein unbetontes Pronomen ist. Dabei können die unbetonten Pronomina entweder vor oder hinter der Subjekt-DP (oder der entsprechenden leeren Position in [Spec,IP]) stehen; ein unbetontes pronominales Subjekt muß jedoch vor den anderen unbetonten Pronomina stehen. Im Vorfeld sind unbetonte Pronomina (außer dem Akkusativ-«) unter bestimmten (wenig erforschten) Bedingungen durchaus möglich, auch wenn ein unbetontes Subjekt-Pronomen auf das finite Verb folgt (8d).

2.

Was sind Pronomina?

Gängige Vorstellung ist es, Pronomina stellten "intransitive Determiner" dar (vgl. u.a. Bhatt 1990) - ein Gedanke, der auf Postal (1969) zurückgeht (vgl. die Kritik von Delorme/Dougherty 1972). Dies mag zunächst angesichts der Tatsache plausibel erscheinen, daß Formen wie er, sie nicht durch Nomina erweiterbar sind (*er Baum, *sie Tanne), andererseits aber funktional7 DPs vertreten können, also für DPs einzusetzen sind. Betrachten wir indessen Fügungen mit Pronomina der 1. oder 2. Person Plural wie wir Kölner, ihr Naturwissenschaftler, uns gewissenhaften Wählern der Regierungspartei usw., so wird sofort klar, daß Pronomina nicht generell als "intransitiv" zu bezeichnen sind. Dies gilt also, wenn überhaupt, nur für Pronomina der dritten Person. Auch in der 1. und 2. Person Singular sind Fügungen wie ich Idiot, du Schweinsbraten, aber auch du Süßer, ich Armer usw. möglich, die in der Regel eine besondere, bewertende (oft beschimpfende) Lesart aufweisen. Dies ändert jedoch nichts daran, daß sie syntaktisch als normale DPs zu analysieren sind, so daß auch in diesen Fällen nicht davon die Rede sein kann, die betreffenden Pronomina seien "intransitiv".8 Auch eine gelegentlich anzutreffende Redeweise, die Pronomina als Elemente mit der X-bartheoretischen Darstellung [-»-min, +max] anzusehen (vgl. Schmidt 1992:2, Anm.l folgt hier Muysken 1982:60), trifft den Kern nicht. Dies ist allenfalls als abkürzende Redeweise für Eigennamen hinzunehmen, aber m.W. in keinem Sinne expliziert. Um der kategorialen Bestimmung von Pronomina näher zu kommen, greife ich auf eine Analyse von Tappe (1990) zurück, der seinerseits Pollocks (1989) Vorschlag eines aufgespalPronomina sättigen eine -Rolle ihres Regenten und bekommen entsprechend Kasus zugewiesen. Insofern verhalten sie sich funktional wie volle DPs. nicht jedoch distributionell, da sie auf S-Struktur nicht in den Positionen entsprechender voller DPs auftreten! Die Beispiele zeigen noch etwas anderes: Häufig wird mit der Behauptung, Pronomina seien intransitiv, also nicht mit NPs verbindbar, die weitere (und in gewissem Sinne komplementäre) Behauptung verbunden, Nomina seien inhärent für die 3. Person markiert Dies kann angesichts von Beispielen wie wir Westdeutschen, ihr Kölner, du Ferkel usw. nicht zutreffen. Es macht auch keinen Sinn, Prädikatsausdrücken (wie es Nomina nun einmal sind) eine solche inhärente Eigenschaft zuzusprechen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß Nomina fur Personenmerkmak (1./2./3. Person) nicht spezifiziert sind, sondern eine derartige Spezifizierung (wenn überhaupt) erst durch Kongruenz mit einem Determinierer erhalten. Im übrigen ist es auch aus semantischer Sicht naheliegend, Determiner nicht als intransitiv anzusehen.

126

tenen Infl-Kopfes (split-Infl-analysis) übernimmt und auf die morphologischen Verhältnisse innerhalb deutscher DPs überträgt, indem er für die Zuordnung der jeweiligen (starken bzw. schwachen) Flexionsendungen an Det, Adj und N Kopfbewegung (head-movement) im Sinne von Baker (1988) verantwortlich macht.9 Demnach sind nicht nur in Sätzen funktionale Kategorien anzunehmen, die die Referenz festlegen (D°) und für Kongruenz zwischen den verschiedenen Phrasen innerhalb einer DP sorgen. So lassen sich die verschiedenen Flexionsendungen von Determinem, Adjektiven (stark, schwach) und Nomina durch die Köpfe entsprechender Agreement-Phrasen (DAGR° (determiner agreement), AAGR° (adjective agreement), NAGR° (noun agreement)) repräsentieren, die sich durch Kopfbewegung mit den entsprechenden lexikalischen Köpfen verbinden. Am Beispiel der DP der Frauen (Gen.Pl.) läßt sich das wie folgt veranschaulichen:

(28)

DP /\ D'

/\DAGRP

D° d-

DAGR' DAGR0 I AAGRP -er AP . NAGRP NAGR'

/\NP ' /\N -en

NAGR0

1

N« l Frau

Wenn wir diese Analyse zugrundelegen und uns dabei ins Gedächtnis rufen, daß Pronomina der 3. Person im Deutschen im wesentlichen mit den "Endungen" der Determinierer (d-Pronomina) identisch sind, dann liegt eine Analyse der Pronomina der 3. Person nahe, die sie als DAGR0 oder DAGRP ansieht, also gewissermaßen als d-Pronomina ohne den d-Bestandteil:

9

Auf die Gründe, DAGRP unterhalb von DP anzunehmen und NAGRP oberhalb von NP, gehe ich hier nicht gesondert ein. vgl. dazu Tappe (1990).

127

(29)

DP X\ 1 D

/\DAGRP I /\DAGR' 0

DO

/\

DAGR0

I

3.Ps.

:

Sg. mask

.

NP1

/\ N /\ N° 1

I

ea Diese Analyse bedarf sicher der weiteren Ausarbeitung und Begründung; was sich aus ihr aber (zunächst spekulativ) ableiten läßt, sind die für die Stellung der Pronomina im Deutschen wesentlichen Eigenschaften. Das in (29) als leeres Element gekennzeichnete Nomen [^ e ] unterliegt dem ECP. Dem ECP wird Genüge getan, da das Pronomen -er in DAGR0 alle relevanten -Merkmale trägt, die benötigt werden, um das leere N eindeutig zu identifizieren, und da DAGR0 das leere N auch ordentlich (antezedens-)regiert. Die hier wichtige Beziehung ist in (29) durch das Superskript i ausgedrückt. Über die DP, die DAGRP vermutlich dominiert, und die Eigenschaften des Kopfes D° kann ich derzeit nicht mehr sagen, als daß sie offenbar nur bei Betonung des Pronomens in irgendeiner Weise präsent sind und als deiktisch referierend gedeutet werden. Ansonsten scheint das D° nicht weiter spezifiziert zu sein.10

3.

Wie referieren Pronomina?

Mit dem (zugegebenermaßen derzeit noch reichlich spekulativen) Bild von der syntaktischen Struktur eines Pronomens ist es jedoch noch nicht getan. Was zu einem Verständnis der syntaktischen Position des Pronomens hinzukommen muß, sind genauere Vorstellungen über seine referentiellen Eigenschaften. Dazu ist folgendes auszuführen: Unbetonte Pronomina der 3. Person (DAGR) besitzen keine eigene "autonome" Referenz wie sie normale DPs qua D° aufweisen. Vielmehr beziehen sie sich im Regelfall auf im Diskurskontext präsente Individuen, die dort normalerweise durch Vorerwähnung bekannt sind oder jedenfalls (anaphorisch oder kataphorisch) als bekannt unterstellt sind. 10

Möglicherweise ist das mit einem leeren D° bei Massennomina (wie Wasser) oder bei generischen Nomina ( Menschen) zu vergleichen, welches per default als "spezifisch" oder "genetisch" interpretiert wird, aber selber keine entsprechenden Merkmale trägt

128 Dabei sind diese Individuen durch die mit ihnen verbundenen und ggf. im Kontext erwähnten nominalen Prädikate (durch die Nomina) zu identifizieren, also z.B. eine "Tanne" durch das Nomen Tanne, welches selber keine Referenz herstellen kann, sondern nur ein Eigenschaftsprädikat ist. Wichtig ist dabei, daß vorerwähnte Individuen im Diskurskontext nicht lediglich als solche präsent sind, sondern im grammatischen Sinne aufgrund der relevanten grammatischen Merkmale der Nomina, durch die sie identifiziert werden. Folglich ist auf die 'Tanne" wegen des Nomens Tanne durch ein Pronomen im Femininum Bezug zu nehmen.11 Um der semantischen Bestimmung von Pronomina näher zu kommen, bietet sich eine Beobachtung an, die Reis (1992) im Zusammenhang mit sog. Echo-w-Fragen gemacht hat. Echo-w-Fragen sind "Fragen" wie die folgenden in (30), deren "Frage"charakter in gewisser Weise ihrem durch Wortstellung etc. ausgedrückten, von der Frage abweichenden Satzmodus (z.B. Aussagesatz, Wunschsatz, Befehlssatz etc.) "übergestülpt" erscheint: (30) a. Du hast ja gestern WEN getroffen? [Echo-w-Frage zu einem Aussagesatz] b. Wenn Peter doch bloß WAS getan hätte? [Echo-w-Frage zu einem Wunschsatz] c. Schenk doch mal bitte WEM das Buch? [Echo-w-Frage zu einem Befehlssatz] Dieser Sichtweise entspricht es, daß die in den Echo-w-Fragen vorkommenden Modalpartikeln nicht in normalen Fragesätzen auftreten können, sondern nur mit dem Satzmodus der entsprechenden Sätze ohne betontes w-Wort verbindbar sind: (31)

a. Hast du (""ja/o^denn) gestern Paul gesehen? b. Schenk doch bitte Paul das Buch! c. Schenkst du (*doch/t*denn) Paul das Buch?

Reis geht davon aus, daß es sich bei den betreffenden Sätzen nur in zweiter Linie um "Fragen" handelt, die ihren Fragecharakter daraus beziehen, daß in ihnen ein w-Wort in situ steht. Dieses w-Wort erzwingt jedoch keine Voranstellung, wie dies in normalen w-Fragen (Ergänzungsfragen) erforderlich wäre. Auch kann dieses w-Wort nicht als w-Indefinitpronomen (wie in (32)) interpretiert werden: (32) a. Es soll doch mal bitte wer vorbeikommen, b. Kann ich auch mal was haben? Dies geht u.a. schon deshalb nicht, weil es zu bestimmten w-Wörtern in situ keine w-Indefinitvarianten gibt: So ist etwa warum ein w-Wort mit Frageeigenschaften, kein w-Indefinitpronomen. (33) Du hast ihn WArum verlassen? Als ein Indiz bei der Bestimmung des spezifischen Fragecharakters der in situ stehenden wWörter in Echo-w-Fragen zieht Reis deren Betonung heran: In Echo-w-Fragen sind sie - im 11

Entsprechendes gilt naturlich auch für Pronomina der 3. Person ohne explizit vorerwähntes N, vgl. etwa auch, daß die DP das Mädchen nicht als solche "pronominalisiert" werden kann, sondern daß das betr. Pronomen sich auf das bezeichnete Individuum bezieht, dessen natürliches Geschlecht dann für die Auswahl des Pronomens verantwortlich ist, so daß das Pronomen sie verwendet werden kann.

129 Gegensatz zu satzinitialen w-Wörtem - obligatorisch betont. Noch deutlicher zeigt sich der Unterschied zu den ebenfalls als w-Fragewörtern fungierenden und ansonsten völlig homonymen satzinitialen w-Wörtern bei zweigliedrigen w-Wörtern. Hier kann man zwischen einem von Reis so genannten "Operator-Teü" (dem mit w- beginnenden Teil) und dem sog. "Nicht-Operator-Teil" (dem Rest) unterscheiden, z.B.: (34) wo - mit: wo- = Operator-Teil (O); mit- = Nicht-Operator-Teil (NO) In Echo-w-Fragen ist nun stets der Operator-Teil betont, in w-Fragen dagegen der Nicht-Operator-Teil (35a,b).12 (35) a. Peter hat das WOmit/*woMIT gemacht? b. WoMIT hat Peter das gemacht? Diese Beobachtung interpretiert Reis so, daß offenbar der unbetonte Operator-Teil des wWortes seine Operator-Position in der satzinitialen, für [+w] ausgezeichneten Position in [Spec.CP] einnehmen muß, um seinen "Skopus" über den betreffenden Satz zu bekommen. Es erfolgt also im Einklang mit Rizzis (1990b) sogenanntem wA-Kriterium wh-Bewegung. Bei Betonung des Operator-Teils in Echo-w-Fragen hingegen, so Reis, scheint der Operator (w-Teil) seine Variable in situ binden zu können. Wie immer man sich diese Dinge im einzelnen erklären mag: Für uns ist in diesem Zusammenhang interessant, daß sich aus dieser Analyse eine interessante Parallele zu dem Verhalten der Pronomina ergibt, wie Reis (1992:244) selber anmerkt. Auch Pronomina können in situ verbleiben, d.h. in der Position der entsprechenden "vollen" DPs, wenn sie betont sind: (36) a. weil Peter ja gestern seltsamerweise IHM/*ihm geholfen hat b. weil mich ja gestern seltsamerweise ER/*er besucht hat c. weil ja gestern seltsamerweise SIE UNS geholfen haben Mit dieser Betonung geht eine deiktische oder kontrastive Lesart einher, eine Lesart also, die dem Pronomen offenbar eine eigene (autonome) Referenz verleiht. Auch dies könnte, so steht zu vermuten, mit bestimmten Operatoreigenschaften zu tun haben.13 Entsprechend läßt sich die semantische Analyse von w-Wörtern in (37) auf die sog. Determinierer, also d-Wörter, übertragen: Auch hier ist zwischen einem die Referenz vermittelnden Teil1*, dem sog. dOperator, zu unterscheiden und dem Teil, auf den sich der betreffende Operator bezieht, also die Variable, deren Referenz festzulegen ist. Entsprechend sind also wer und der parallel zu analysieren: Bei Betonung des Operatorteils eines satzinitialen w-Wortes (wie in (20)) liegt eine Echo-w-Frage zu einer (echohaft wiederholten) Ergänzungsfrage vor, nicht aber eine einfache Ergänzungsfrage, vgl. Reis (1992). (i) WOmit hat Peter das gemacht? OFF bezeichnet dabei den Frageoperator. Zu dieser Analyse kommen u.U. weitere Inhaltsbestandteile, von denen in der Darstellung hier abgesehen werden kann. So ist z.B. in w-er ein Bestandteil "Person" anzusetzen, in w-as dagegen "Ding, Sache" etc., vgl. auch Pasch (1991). Zur sog. Existenz-Implikatur vgl. u.a. Jacobs (1991). Hier als 5 notiert; es handelt sich wohl um das d-, welches einen entsprechenden Operator morphologisch markiert, vermutlich den sog. iota-Operator, vgl. Heim (1991) und Reinhan (1991).

130

(37) (38)

(OFFix(MIT(x))) a. (BESTIMMT ix (MIT (x))) (damit) b. (BESTIMMT ix (PERSON (x))) (der)

DPs referieren nun in einem gewissen Sinn "autonom". Damit können sie als DPs nicht nur die entsprechende -Rolle des sie regierenden Prädikats (z.B. eines Verbs) realisieren ( -Markierung, s.u.), sondern legen qua D° durch eine sortale Restriktion (Heim 1991) auch die Referenz auf entsprechende Individuen fest.15 Aus dem Gesagten ergibt sich für Pronomina, die ja nicht autonom referieren, daß sie die Möglichkeit der Referenz auf das durch [N e ] charakterisierte Individuum offenbar nicht in situ in der betreffenden -Position haben, sondern es im Diskurskontext suchen müssen. Dies scheint der Grund dafür zu sein, daß Pronomina sich gewissermaßen auf die Wanderschaft machen müssen, bis sie in einer Struktur ein Zuhause finden, die ihre referentielle Anknüpfung an den Diskurskontext ermöglicht. Diese knappen Bemerkungen bedürfen natürlich der Ausarbeitung. Insbesondere muß man unabhängig von der skizzierten semantischen Analyse eine syntaktische Begründung für die entsprechende S-strukturelle Bewegung der Pronomina finden. Zu einigen spekulativen Ideen s.u. 6.

4.

Zu den Pronomina der ersten und zweiten Person

Bisher wurden nur Pronomina der dritten Person betrachtet, die als DAGR (oder DAGRP) analysiert wurden. Nun läßt sich zweifellos auch bei den Pronomina der ersten und zweiten Person beobachten, daß sie, wenn sie unbetont sind, die gleichen Positionen einnehmen müssen wie die Pronomina der dritten Person. Nur ihre betonten Varianten können an den betreffenden Argument-Positionen verbleiben: (39) a. weil Paul es uns ja gestern seltsamerweise gezeigt hatte b. weil Paul es ja gestern seltsamerweise *uns/UNS gezeigt hatte Wenn man ihre morphologische Form betrachtet, sieht man, daß sie sich nicht in vergleichbarer Weise als DAGR-Elemente analysieren lassen, wie das für die Pronomina der dritten Person möglich erscheint. Die Nominativ-Formen ich, du, wir, ihr weisen keine erkennbare Ähnlichkeit zu den entsprechenden definiten (oder indefiniten) Artikeln auf. Für die flektierten Formen gilt zudem, daß es sich um Suppletivformen handelt, die morphologisch analysierbar sind: (40) a. b. c. d.

m-ir, m-ich d-ir, d-ich uns, uns-er eu-ch, eu-er

15 Das wifd in den gängigen Versionen der -Theorie nicht in der Weise klar dargestellt, da eine DP-Analyse nicht zur Verfügung stand bzw. nicht mit in die Ausarbeitung der -Theorie einbezogen wurde, vgl. Williams (1980,1987,1989). Higgüibotham (1985),Rappaport/Levin (1988).

131

Dazu kommen die Genitivformen der ersten und zweiten Person Singular, die wiederum insofern eine besondere Rolle spielen, als sie jeweils von einer weiteren Suppletivform gebildet sind: (41) mein-er, dein-er Es scheint, als könnten allenfalls die Endungen (-ir, -ich, -ch, -er in (40) und (41)) als Instanzen von DAGR° gedeutet werden. Demnach stellten die Pronomina der ersten und zweiten Person Elemente der Kategorie D° dar, welche bereits morphologisch mit den entsprechenden Formen von DAGR° verbunden sind. Für eine Analyse als D° spricht auch die oben bereits erwähnte Beobachtung, daß sich Pronomina der 1. und 2. Person gelegentlich wie Artikel verhalten, wenn sie in Fügungen wie wir überzeugten Kölner, ihr fleißigen Arbeiter im Weinberg des Herrn und du armer Kerl auftreten.16 Es erscheint also naheliegend, die Pronomina der ersten und zweiten Person als Instanzen von D zu analysieren. Wenn sie transitiv (also als Artikel) auftreten, referieren sie offenbar in ähnlicher Weise autonom wie die oben besprochenen DPs. Jedenfalls können sie innerhalb der VP in den betreffenden Argumentstellen auftreten, gescrambelt werden und ins Vorfeld treten wie normale DPs: (42) a. weil Paul ja uns Gartenbesitzer beneidet b. weil Paul uns Gartenbesitzer ja beneidet c. Uns Gartenbesitzer beneidet Paul ja. Die NP Gartenbesitzer, deren Determinierer etwa wir in wir Gartenbesitzer ist, stellt also ebenso eine Prädikation zur referentiellen Basis des Determiners (wir) dar, wie das für 'normale' DPs wie die Tanne anzunehmen ist. Wie steht es aber mit "intransitiv" auftretenden unbetonten Pronomina der ersten und zweiten Person? Die mit Pronomina der ersten und zweiten Person angesprochenen Individuen sind zwar nicht durch autonome Referenz benannt (wie "normale" Individuen durch DPs), aber andererseits auch nicht (wie Pronomina der dritten Person) durch Nomina im Diskurskontext repräsentiert, auf die sich ein "leeres" Nomen im Komplement beziehen könnte. Vielmehr wird die Existenz der durch Pronomina der ersten und zweiten Person bezeichneten Individuen zwar pragmatisch vorausgesetzt (insofern sind sie im Diskurskontext präsent), nicht aber explizit durch sprachliche Realisierung im Kontext markiert. Nun müssen sich aber auch diese Pronomina nach links aus ihren DP-Positionen bewegen. Folglich können sie ihre Referenz auf im Diskurs bereits als vorhanden unterstellte Individuen (Sprecher und Hörer sowie u.U. jeweils zu ihnen gehörige weitere Individuen) ebenfalls nur in einer Position außerhalb ihrer Argumentstellen realisieren.

Die Besonderheit der Genitivformen zeigt sich für alle Pronomina u.a. darin, daß sie keine Verwendung als Artikel zulassen, obwohl sie ja morphologisch eindeutig als Genitive markiert sind: (i) (ji) (iii)

wir Deutschen, *unser Deutschen (Gen.), uns Deutsche(n) (Dat., Akk.) ihr Englander, *euer Englander (Gen.), euch Engländerin) (Dat., Akk.) ich Idiot, '"meiner Idiot, mir Idioten, mich Idioten

132

Die hier skizzierte Lösung muß natürlich stipulieren, daß es zwei syntaktisch unterschiedene Bereiche der referentiellen Festlegung gibt:17 innerhalb von VP durch autonome Referenz (abgesehen von Reflexiva und anderen Anaphern) und durch nicht-autonome Referenz nur außerhalb von VP in einer AGRP (respektive auch in [Spec,VP]). Es wäre natürlich zu wünschen, daß sich diese Stipulation aus anderen und unabhängig begründeten Prinzipien deduzieren ließe. Zu einigen spekulativen Ideen s.u. 6.

5.

Pronomenbewegung?

Ich werde mich im folgenden vornehmlich mit den syntaktischen Aspekten der Stellung von Pronomina befassen. Dabei werden Analysen und Erklärungen zu diskutieren sein, wie sie sich aus der reichhaltigen Literatur über die Stellung von Pronomina in anderen Sprachen ergeben. Es wird sich zeigen, daß die gängigen Analysen, die Pronomina durch Kopfbewegung an eine satzinitiale Position (meist an das finite Verb) klitisieren, nicht auf das Deutsche übertragbar sind. Vielmehr stellt sich m.E. heraus, daß die Bewegung der Pronomina im Deutschen sich im wesentlichen so verhält wie "Scrambling" von DPs, so daß eine Analyse als XP-Bewegung naheliegt. Wenn es sich aber nicht um Klitisierung handelt, können auch die für die Pronomenbewegung herangezogenen Erklärungen (Kasustheorie, Bindungstheorie) nicht übertragen werden. Damit ergibt sich die unbefriedigende Situation, daß man zwar eine syntaktische Bewegung diagnostizieren kann, deren Erklärung aber auf den ersten Blick vermutlich im Bereich der spezifischen referentiellen Bedingungen von Pronomina zu suchen hat. Es wäre also erforderlich, eine prinzipielle Verbindung zwischen den semantischen und den syntaktischen Gegebenheiten zu entwickeln. Hier erscheint es mir angesichts neuerer Arbeiten, die sich mit der syntaktischen Grundlage der sog. Fokus-Hintergrund-Gliederung (FHG) befassen (vgl. Diesing 1990, 1992, zum Engl. jetzt Drubig 1992a,b) erfolgversprechend, die semantischen und pragmatischen Verhältnisse aus den syntaktischen Gegebenheiten abzuleiten. Dies erfordert natürlich, in der syntaktischen Gliederung auch Verhältnisse des referentiellen Bezugs auf den Kontext oder den Informationshintergrund zu repräsentieren. Wie ein entsprechender Ansatz im einzelnen aussieht, ist allerdings derzeit nur in Umrissen erkennbar (s.u. 6.).

5.1. Kopfbewegung? Recht weit verbreitet ist die Annahme, daß die Plazierung der unbetonten Pronomina im Deutschen in einer Weise erfolgt, die dem "clitic movement" entspricht, das sich in anderen Sprachen (etwa den rom. Sprachen) beobachten läßt. Zur Erklärung für eine derartige X°-Bewegung bieten sich insbesondere die Kasustheorie und die Bindungstheorie an. Beide Ansätze sollen im folgenden besprochen werden. Dabei 17

Vgl. dazu auch Diesing (1990,1992) sowie die Kritik in Krifka (1992) und Jäger (1992).

133

wird sich zeigen, daß sie nicht direkt auf das Deutsche übertragbar sind, ja, daß zudem Gründe gegen die Übernahme einer Analyse von Pronomenbewegung als X°-Bewegung sprechen. 5.1.1.

Die kasustheoretische Erklärung

Eine weit verbreitete Erklärung für die Klitisierung geht auf die Analyse zurück, die Borer (1984) vorgeschlagen hat. Aufgrund der Beobachtung, daß es in verschiedenen Sprachen in unterschiedlichen Konstruktionen gelegentlich die Möglichkeit des sog. clitic doubling gibt, schlägt sie vor, Klitikbewegung aus kasustheoretischen Gründen abzuleiten: Wenn ein Klitikum seinen (etwa vom Verb zuzuweisenden) Kasus nicht in situ erhalten kann, dann muß es an das jeweilige kasuszuweisende Element klitisieren, um Kasus zu bekommen. Evidenz dafür sieht Borer darin, daß evtl. zurückbleibende DPs in situ nicht den strukturell zu erwartenden Kasus aufweisen, sondern, z.B. im River Plate Spanish (Jaeggli 1982,1986:32), eine kasuszuweisende Präposition (a) erfordern: (43) Lo vimos a Juan (ihn sehen-wir Präp. Hans) Wir sehen ihn (den Hans) Dies ist jedoch aus verschiedenen Gründen für die unbetonten Pronomina im Deutschen problematisch: Erstens sind sie (bis auf die Betonung) identisch mit den morphologisch eindeutig kasustragenden betonten Pronomina , die in situ stehen und dort offenbar Kasus erhalten können. Eine kasustheoretische Erklärung setzte also voraus, daß man motivieren könnte, wieso unbetonte Pronomina in situ (d.h. in DP-Position) keinen Kasus erhalten können sollten. Dieser Zugang erscheint auf den ersten Blick folglich unmotiviert. Auch klitisieren die unbetonten Pronomina im Deutschen nicht an das Verb, sondern stehen unabhängig von der Stellung des Verbs oder des Finitums in "ihrer" Position nahe am Satzanfang: Dort könnten sie unter gängigen Vorstellungen der Kasuszuweisung überhaupt keinen Kasus vom Verb bekommen: Weder stehen sie hier adjazent zum Verb noch werden sie von diesem ckommandiert. Allerdings wären etwa auch alternative Möglichkeiten der Kasuszuweisung zu bedenken: Die Zuweisung struktureller Kasus geht nach neueren Auffassungen nicht nur für den Nominativ, sondern generell von funktionalen Köpfen aus. So werden ja nach Pollock (1989) und Chomsky (1989) aufgrund unabhängiger Evidenz (unterschiedliche Stellungsmöglichkeiten von finiten und infiniten Verben, Auxiliarverben und Adverbien etc.) anstelle der funktionalen Kategorie IP mehrere funktionale Projektionen oberhalb von VP angenommen, durch die u.a. die Tempusmorphologie des Verbs, die Negation etc. ebenso über "Kopfbewegung" (move , wobei = ^) definiert werden wie die Subjektkongruenz des finiten Verbs - und auch ggf. dessen Objektkongruenz. In diesem Zusammenhang sind Klitika in manchen Sprachen als Realisierungen entsprechender funktionaler Köpfe angesehen worden, die morphologische Kongruenz ausdrücken. Es besteht also generell Evidenz für die Annahme von AGRS° und AGRO° sowie der entsprechenden Projektionen AGRSP und AGROP. Wenn

134

dementsprechend schon AGRS° als Kasuszuweiser für den Nominativ angesehen werden kann, dann liegt es nahe, auch die Zuweisung anderer struktureller Kasus (Akkusativ, u.U. auch Dativ) durch funktionale Köpfe (AGRO°) zu erreichen. Daß dabei im Deutschen der Akkusativ (und der Dativ) bei normalen, vollen DPs normalerweise nicht durch deren Anhebung in die [Spec,AGROP]-Position zugewiesen wird, sondern offenbar durch "Senkung" (lowering) von AGRO° in die VP-interne DP-Position, bedarf angesichts von Chomskys (1989) Überlegungen zur Ökonomie von Derivationen der besonderen Erklärung (vgl. Schmidt 1991). Demgegenüber wäre eine Anhebung eines unbetonten Pronomens nach [Spee,AGROP] oder AGRO° wohl die ökonomischere und unter universellen Gesichtspunkten vorzuziehende Analyse. Was bei dem kurz skizzierten Lösungsweg zunächst allerdings für das Deutsche nicht recht einleuchten will, ist die kasustheoretische Begründung. Denn schließlich verhalten sich Dativ-Pronomina aller Art entsprechend, und zwar unabhängig davon, welche Rolle sie spielen: Ethische Dativ-Pronomina, dativus commodi/incommodi etc. treten in den gleichen Positionen außerhalb der VP auf wie pronominale Akkusativ- oder Dativ-Objekte (s.o. (22)). Andererseits können PPs auch dann in situ innerhalb der VP verbleiben, wenn sie unbetonte Pronomina enthalten; die Kasuszuweisung geschieht hier offenbar in gleicher Weise für die auf die Präposition folgende "volle" DP wie für ein Pronomen: (44) a. weil er ja den Brief an seine Schwester/an sie geschrieben hatte b. weil er ja seiner Schwester den Brief durch seinen Bruder/durch mich hatte zustellen lassen Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu klären, wieso sich das Pronomen der dritten Person Singluar Neutrum da (wie oben (26, 27) gezeigt) anders verhält und nicht in der auf die Präposition folgenden Position verbleiben kann.18 Da die Frage der Kasuszuweisung an Dativ-DPs etc. bislang weitgehend ungeklärt ist (vgl. aber Czepluch 1988,1991), soll der skizzierte Lösungsweg hier nicht weiter verfolgt werden. Vor allem spricht ja gegen ihn als Erklärung für das Stellungsverhalten der unbetonten Pronomina im Deutschen, daß diese sich eben nicht unbedingt aus der VP hinausbewegen müssen (vgl. (9b) etc.), nämlich dann nicht, wenn sie an das in der VP verbliebene Subjekt heranrücken. Allenfalls wäre hier zu erwägen, ob nicht auch dieses - wie alle DPs - schon in dieser vermeintlichen [Spec,VP]-Position in eine VP-exteme funktionale Kasusposition anAuch PPs mit schwach tonigen Pronomina sind stellungsmäßig auf bisher wenig verstandene Weise restringiert Insbesondere können sie wohl nicht im Vorfeld erscheinen (i); ob ein Ersetzen der PPs in (27a,b) etwa durch an [za], durch [q] möglich ist (u.a. iii.a), oder ob die PPs mit den schwachtonigen Varianten der Pronomina sich ebenso wie unbetonte Pronomina mindestens bis zum VP-internen Subjekt bewegen müssen, ist mir unklar. (i) (ii) (iii)

a. b. a. b. c. a. b. c.

* An [za] hatte Paul den Brief geschrieben. *Durch [ ] hatte Paul seiner Schwester den Brief zustellen lassen, ?weil er ja den Brief an [za] geschrieben hatte ? weil ja Paul an [za ] den Brief geschrieben hatte ?weil er an [za] ja den Brief geschrieben hatte ?weil er ja seiner Schwester den Brief durch [ ] hatte zustellen lassen ?weil ja Paul durch [q] seiner Schwester... ?weil er durch [9] ja seiner Schwester...

135

gehoben worden ist. Wenn man aber diese Variante annimmt, dann bleibt unklar, wodurch sich die VP-exteme Subjekt-Position (weiland [Spec.IP], unter der neueren Analyse wohl [Spec,AGRSP]) definiert. Einige Überlegungen zu AGRS und AGRO als kasuszuweisende Kategorien sowie zur Unterscheidung mehrerer AGRS-Positionen etc. finden sich in Schmidt (1991).

5.1.2.

Eine bindungstheoretische Erklärung?

Wenn es die besonderen referentiellen Eigenschaften von (unbetonten) Pronomina sind, die ihre Stellung bedingen, und wenn man dafür (weil es sich um eine syntaktisch zu definierende Stellung handelt, die zur Position der entsprechenden Argumente/Adjunkte innerhalb der VP in eine berechenbare Beziehung zu setzen ist) eine syntaktische Lösung sucht, bietet sich naheliegenderweise die Bindungstheorie als Möglichkeit zur Erklärung des Stellungsverhaltens der Pronomina an. Die folgenden Vorschläge, die auf den ersten Blick einen tragfähigen Ansatz zu bieten scheinen, lassen sich jedoch nicht direkt auf das Deutsche übertragen. Hestvik (1992), der seinerseits Vorschlägen von Pica (1987), Lebeaux (1983) u.a. folgt, nimmt an, daß Pronomina sich auf LF zu ihrer nächstgelegenen Operator-Position bewegen müssen, von der aus sie ihre Basisposition (nun eine Variable) c-kommandieren. Diese Vorstellung steht im Einklang mit der semantischen Analyse von Pronomina als durch einen iotaOperator gebundene Variablen (vgl. Reinhart 1991). Dabei sind nach Hestvik zwei Arten von Pronomina zu unterscheiden: -Pronomina (wie z.B. das norw. hans), welche andere Bindungsmöglichkeiten zeigen als XP-Pronomina (z.B. him im Engl.). Für das Norw. (aber auch für andere skandinavische Sprachen) läßt sich nämlich eine sog. Anti-Subjekt-Orientierung für die X°-Pronomina beobachten: In Sätzen wie (45a) kann das Possessivpronomen hans (sein) sich nicht auf das Subjekt des Satzes beziehen, während das für das engl. A/5 in (45b) durchaus möglich ist (vgl. Hestvik 1992:557): (45) a. Johnj liker [ hans*j/j bil ] b. Johnj likes [ hisj/j car ] Hestvik führt das darauf zurück, daß hans sich als X°-Pronomen auf LF nach 1° (Infl) bewegen muß, dem nächsten erreichbaren funktionalen Kopf. In dieser Position wäre es von der Subjekt-NP c-kommandiert. Bindung durch die Subjekt-NP ist aber nach Prinzip B der Bindungstheorie (nach Hestvik 1992:563): (B)

A pronoun must be free in its binding domain.

nicht zulässig, so daß hans nicht mit dem Subjekt John koreferent sein kann. Anders ist das bei his im Engl., das als XP-Pronomen nur bis zur nächsten erreichbaren Specifier-Position in [Spec,PP] bewegt wird, wo es nicht von der Subjekt-NP c-kommandiert wird, folglich auch nicht von ihr gebunden sein kann und deshalb (s. Prinzip B) mit ihr koindiziert werden darf.

136

Hestvik (vgl. schon Lebeaux 1983:726, Chomsky 1986:175) vergleicht die LF-Bewegung der X°-Pronomina explizit mit der Klitisierung in den rom. Sprachen und nimmt an, daß die betreffende Klitika bereits durch overte Bewegung auf der S-Struktur in die für LF erforderliche Position bewegt worden sind. Dies entspricht im Prinzip der Variation, die sich auch bei wh-Bewegung beobachten läßt: Manche Sprachen bewegen wh-Phrasen auf der S-Struktur in eine satzinitiale [Spec.CP]-Position, von der aus sie "Skopus" über den Satz erhalten, während andere Sprachen offenbar keine overte wh-Bewegung erfordern, u.U. sogar nicht zulassen (vgl. Huang 1982 für das Chinesische). Auch multiple wh-Bewegung ist - anders als im Deutschen - in manchen Sprachen in unterschiedlicher Weise schon auf der S-Struktur, also Overt' möglich (vgl. Rudin 1988 für das Poln., Tschech., Bulg., Rum.). In einer recht vagen und allgemeinen Weise könnte man sowohl wh-Phrasen wie Pronomina als "Operatoren" analysieren, die einen "Skopus" haben und jeweils eine "Variable" binden. Diesen Gedanken macht sich Hestvik zunutze, wenn er erwägt, auch die Parametrisierung der Pronomen-Bewegung (overt, nicht-overt) auf eine generalisierte Version des sog. wh-Kriteriums von Rizzi (1990b) zurückzuführen. Dieses wh-Kriterium besagt, daß ein [+wh]-Kopf zu einer [+wh]-Phrase auf LF in einer Specifier-Head-Relation stehen muß. Dieses Kriterium ist nach Rizzi danach parametrisiert, ob es bereits auf S-Struktur oder erst auf LF erfüllt sein muß. Entsprechend ergeben sich die verschiedenen Möglichkeiten bzw. Einschränkungen hinsichtlich unterbleibender, einfacher oder mehrfacher wh-Bewegung auf der S-Struktur. Rizzi (1990b) skizziert einen Versuch, das wh-Kriterium für alle funktionalen Spezifizierer-Kopf-Relationen zu generalisieren. Eine Deduktion dieses Kriteriums erscheint mir allerdings derzeit noch nicht gegeben, so daß das wh-Kriterium im wesentlichen stipulativ bleibt. 19 Diese Analyse, so faszinierend sie auf den ersten Blick auch scheinen mag, kann jedoch die Stellung der unbetonten Pronomina im Deutschen nicht überzeugend erklären. Zunächst ist es zweifelhaft, mit welchen Argumenten man den X^-Status der deutschen Pronomina nachweisen könnte. Das von Hestvik vorgebrachten Argument kann jedenfalls m.E. nicht auf das Deutsche übertragen werden. So sind restriktive Modifikatoren wie norw. han med röd hatt (dt. *er mit (dem) rotem Hut) m.E. im Deutschen nicht möglich; vielmehr vernähen sich deutsche Pronomina hinsichtlich dieses Tests, den Hestvik für die Unterscheidung in X°- und XP-Pronomina vorschlägt, so wie die engl. Pronomina, von denen er annehmen muß, daß sie XP-Pronomina seien. Insbesondere ist auch keine Anti-Subjekt-Orientierung der Pronomina im Deutschen vorhanden. Es wäre in diesem Zusammenhang allerdings zu erwägen, ob es sich bei der Bewegung der Pronomina im Deutschen, die offensichtlich XP-Pronomina sind, um overte XP-Bewegung an die jeweils nächste erreichbare Spezifizierer-Position handelt, also um das overte Gegenstück zu der im Englischen angenommenen LF-Bewegung. Dies ist zwar im Prinzip eine faszinierende Möglichkeit, bietet aber letztlich keine autonome syntaktische Erklärung: Wenn LF-Bewegung aus semantischen Gründen für Operatoren ohnehin erforderlich ist (und Zu differenzierteren Überlegungen zum sog. WH-Parameter vgl. jetzt Bondre-Beil (1992).

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zwar unabhängig davon, ob oder wohin sie auf der S-Struktur bewegt worden sind), dann ist daraus kein syntaktischer Grund für die S-strukturelle Bewegung ableitbar. Vielmehr sollte es unabhängige, rein syntaktische Gründe für eine Bewegung auf S-Struktur geben. Die Eigenschaft, ein Operator zu sein, die die Bewegung ja motivieren soll, ist eine inhärent semantische Eigenschaft, die keinen Einfluß auf die Syntax nehmen können sollte. Wie man bei anderen zweifelsfreien Operator-Operand-Verhältnissen sieht (etwa bei Quantoren), kann deren semantisches Verhalten auch in der Syntax weitgehend "unsichtbar" bleiben. Einschlägig ist hier vor allem die Tatsache, daß Skopusverhältnisse, die auf LF ja ebenfalls durch Voranstellung der betreffenden Quantoren dargestellt werden, in aller Regel nicht auf S-Struktur durch entsprechende hierarchische Verhältnisse vorweggenommen sind, häufig sogar nicht einmal direkt oder gar eindeutig aus der linearen Abfolge der betreffenden Quantoren ableitbar sind. Wenn also die Bewegung von Pronomina als eine Art von Operator'-Bewegung zu deuten ist, dann bedarf das Verhältnis von syntaktischer Sichtbarkeit und ihrer semantischen Motivation der besonderen Begründung. Insbesondere muß man sich ja fragen, wieso eine "Bewegung", die (auf LF) aus logisch-semantischen Gründen offenbar ohnehin zu erfolgen hat, überhaupt auf der Ebene der S-Struktur "sichtbar" gemacht werden soll. Zu diesem Komplex sind derzeit m.W. nur Spekulationen möglich (s.u.6.). 5.13.

Weitere Argumente gegen Kopfbewegung

Schmidt (1992) nimmt an, daß auch im Deutschen Klitikbewegung für die Stellung der Pronomina verantwortlich ist. Sie folgt einem Vorschlag von Haegeman (1991), in dem eine Rekursion von AGRPs angenommen wird, so daß jeder DP-Position eine entsprechende AGRPPosition entspricht. Dabei sind im Deutschen wohl nur zwei solcher AGRP-Positionen anzusetzen, wie unabhängig auch Cardinaletti/Roberts (1991) gezeigt hatten. Insofern könnte man die Analyse von Schmidt (1992) übernehmen und die Pronomenbewegung als Kopfbewegung von DAGR° in eine der AGR°-Positionen außerhalb der VP ansehen. Es gibt allerdings m.E. gewichtige Gründe gegen eine solche Analyse für das Deutsche. Für die Annahme von Kopfbewegung für die unbetonten Pronomina im Deutschen ergibt sich nämlich die Schwierigkeit, daß Koptbewegung nach gängiger und wohl begründeter Ansicht dem sog. "head movement constraint" (HMC) (Travis 1984) unterliegt, den Baker (1988) auf die durch das ECP bedingte Erfordernis des "proper government" zurückgeführt hat. Er konnte zeigen, daß eine durch Kopfbewegung entstandene Spur stets strikt antezedensregiert sein muß. Das heißt, daß in einer Kopfkette zwischen sämtlichen Positionen dieser Kette eine lokale Beziehung bestehen muß, die nicht durch andere, an dieser Beziehung nicht beteiligte Köpfe unterbrochen sein darf. Im strengen Sinne bedeutet das, daß sich ein Pronomen (DAGR°, wenn man Kopfbewegung annimmt) auf dem Weg nach AGR° zumindest durch die folgenden Kopfpositionen "hindurchbewegt" haben sollte: DAGR° - D° - V° AGRO.

138

Selbst wenn man von weiteren u.U. für das Deutsche plausibel anzunehmenden funktionalen Projektionen wie TP, NegP, AspP (Aspect-Phrase) und einer Differenzierung von AGRP in AGRSP (Subjekt-Agreement-Phrase) und AGROP (Objekt-Agreement-Phrase) (vgl. Schmidt 1991) absieht, ergeben sich mit der oben skizzierten Kopfbewegung aber verschiedene Probleme: Eine Bewegung nach VO ist zwar einerseits durch die gängigen Analysen der Klitikbewegung in den romanischen Sprachen möglich, aber für das Deutsche unwahrscheinlich. Erstens findet sich m.W. keine overte Evidenz dafür, daß ein DAGR°-Pronomen an V° adjungiert wird. Zweitens müßte eine solche Bewegung ja, wenn DAGR° obligatorisch nach AGR° weiterbewegt wird, wegen des HMC eine Spur in V hinterlassen. Die Annahme einer wortinternen Spur wird aber aus generellen Gründen abzulehnen sein. Wörter (und das seinerseits durch Kopfbewegung mit Affixen versehene finite Verb ist ein Wort) stellen nämlich Inseln für Bewegungen dar (vgl. dazu auch Baker 1988). Unter einer Bewegungsanalyse für die Stellung der unbetonten Pronomina bleibt also nur die Annahme einer geeignet relativierten Minimali tat für die Kopfbewegung, d. h. die Möglichkeit für DAGR°, sich unter Umgehung von V^ direkt nach AGR^ zu bewegen. Verschiedene Vorschläge dazu sind in der Literatur erwogen worden, vgl. Rizzi (1990a) etc., die jedoch jeweils andere Fälle betreffen und als für diese Fälle "maßgeschneidert" erscheinen, was ihre Allgemeingültigkeit fraglich erscheinen läßt. Eine Version, die die für Kopfbewegung relevante Minimalitätsbeschränkung in der für unseren Fall gewünschten Weise relativiert, ist von Baker/Haie (1990) vorgeschlagen worden: Danach "zählen" für die Bewegung funktionaler Köpfe nur die intervenierenden funktionalen Köpfe, von denen keiner "übersprungen" werden darf, während das "Überspringen" von lexikalischen Köpfen keine Minimalitätsverletzung darstellen würde. Generell scheint jedoch eine strikte Trennung in funktionale und lexikalische Kopfbewegung empirisch nicht haltbar zu sein: So bewegen sich lexikalische Köpfe zu funktionalen (V2-Stellung als Bewegung von V° nach 1° oder nach C°), lexikalische zu lexikalischen (klassischer Fall der Inkorporation, z.B. bei Nomen-VerbInkorporation) und evtl. auch funktionale Köpfe zu lexikalischen (clitic movement im Frz.) oder zu funktionalen (Klitikbewegung im Ndl.). Wenn man in dieser Situation annimmt, es fände überhaupt keine "Kopfbewegung" von DAGR° nach AGR° statt, so muß man von Basisgenerierung der DAGR°-Pronomina in AGR° ausgehen. Dann stellt sich aber die Frage nach dem Zusammenhang von Kasus-Zuweisung und -Rollen-Vergabe: Die traditionelle Annahme, struktureller obliquer Kasus (Akkusativ) werde vom Verb unter direkter Rektion an eine DP zugewiesen, kann dann nicht mehr aufrechterhalten werden. Nun kann man aber annehmen, strukturelle Kasuszuweisung gehe generell nur von funktionalen Köpfen (oberhalb der VP) aus, so wie das für die Zuweisung des Nominativs durch Infl stets angenommen worden war (vgl. Schmidt 1991). Dabei sind geeignete Mechanismen der Kasus-Weitergabe an DPs innerhalb der VP zu entwickeln, wie sie etwa seit den Besten (1981) im Prinzip zur Verfügung stehen. Im Deutschen muß nämlich Nominativzuweisung an "Subjekte" sog. ergativer (oder besser: unakkusativischer) Verben an die DP innerhalb der VP möglich sein, die eine Thema-Rolle trägt. Dies muß wohl insofern verallgemeinert werden, als ja auch nicht-ergative Subjekte im Deutschen innerhalb

139 der VP (in [Spec.VP]) stehen können. Wenn also, so der Gedankengang, Nominativ stets von einem funktionalen Kopf außerhalb der VP an die Subjekt-DP innerhalb der VP zugewiesen wird, und wenn man gleichzeitig Evidenz für mehrere funktionale Köpfe außerhalb der VP hat, dann liegt die Vorstellung nahe, daß auch der oblique strukturelle Kasus "Akkusativ" auf entsprechende Weise von einem AGRO-Kopf an die zugehörige DP zugewiesen wird (vgl. Schmidt 1991). Für DAGR°-Pronomina in AGR° bedeutete das, daß sie ihren Kasus schlicht von dem betreffenden AGR-Kopf erhalten. Allerdings bleibt dann die Frage offen, wie ihnen die vom jeweiligen Verb unter Rektion an eine VP-inteme Argumentposition vergebene Rolle zugewiesen werden kann.

5.2. Ist Pronomenbewegung Scrambling? Unter gängigen Vorstellungen wäre es also absurd, sämtliche Positionen, in denen Pronomina auftreten können, als "basisgeneriert" anzunehmen. Nehmen wir deshalb an, die Pronomina seien aus den betreffenden DS-Positionen, durch die ihre jeweilige Argument- und -Rolle definiert wird, in ihre S-strukturelle Position "bewegt" worden. Als bekannte Bewegungstypen sind generell XP-Bewegung und X°-Bewegung (Kopfbewegung) in Betracht zu ziehen. Um Kopfbewegung plausibel zu machen, wird zumeist (seit Jaspers 1989:241-245) argumentiert, daß Pronomenbewegung kein Fall von "Scrambling" sein könne. Die betreffenden Argumente werden von Zwart (1991:82,85) und Haegeman (1991) übernommen und von Schmidt (1992) auf das Deutsche übertragen. Hinter dieser Argumentation steht die folgende Logik: Wenn es sich bei der Pronomenbewegung um XP-Bewegung handeln sollte, dann kann es schon deshalb keine -Bewegung sein, weil es keine unabhängig motivierte -Position gibt, in die die Pronomina bewegt werden könnten. Es bliebe also für XP-Bewegung nur A'-Bewegung, also Adjunktion als Möglichkeit übrig. Scrambling ist der Paradefall von Adjunktion für DPs.20 Wenn man also ausschließen kann, daß Pronomenbewegung Scrambling ist, dann sollte es sich um Kopfbewegung handeln. Dies gilt jedenfalls solange, wie sich keine andere Evidenz dafür finden läßt, daß es sich um eine bislang nicht bekannte Form von -Bewegung oder A'-Bewegung handelt. Soweit ich sehen kann, sind die Argumente, die für eine Kopfbewegung sprechen, für die schwachtonigen Pronomina des Ndl. überzeugend. Ob sie sich jedoch, wie Schmidt (1992) behauptet, auf die Analyse der unbetonten Pronomina des Deutschen übertragen lassen, erscheint mir zweifelhaft.

5.2.1.

Das erste Argument: IO>DO vs. do>io als unmarkierte Abfolgen

Zunächst wird angeführt, daß sich die unmarkierte Abfolge der Argumente von IO>DO bei Pronomina zu do>io umkehrt (Jaspers 1989:243; Zwart 1991:83; Haegeman 1991:33f). Müller (1992b) diskutiert Argumente, die Scrambling als -Bewegung oder als A'-Bewegung analysieren, vgl. dazu u.a auch Webelhuth (1989) und (1990), Fanselow (1990), die Beiträge in Grewendorf/SlemcfeM (1990) und jetzt auch Fanselow (1992).

140

Schmidt (1992:1) argumentiert, daß Pronomina nicht nur an C° adjazent auftreten können, sondern auch in einer (zweiten) Klitikposition, auf das definite nicht-ergative Subjekt folgend. Cardinaletti/Roberts (1991) weisen mit Argumenten aus verschiedenen Sprachen nach, daß man aufgrund dieser und anderer Erscheinungen eine zweite Subjekt-AGRP anzunehmen habe. Dies paßt im übrigen auch mit der Beobachtung zusammen, daß die Abfolge von finitem Verb und den klitischen Pronomina sich sowohl in der Sprachgeschichte des Deutschen wie des Englischen ändert (vgl. Lenerz 1984, Schwartz/Tomaselli 1991 etc.). Schmidt (1992, Bsp. (3)) argumentiert nun, (46b) sei aus (46a) durch (Adjunktions-) Scrambling deriviert und sei gegenüber (46a) markiert. (Dies ist durch ein hochgestelltes m dargestellt.) (46) a. daß Peter seiner Frau die schlechte Nachricht nicht hat erzählen können b. mdaß Peter die schlechte Nachricht seiner Frau nicht hat erzählen können Demgegenüber sei die Abfolge der Pronomina in (47a) ihren DP-Positionen gegenüber der Anlagerung an die zweite Klitikposition (hinter dem Subjekt) in (47b) deutlich markiert (Schmidt 1992, Bsp.(4)): (47) a. mdaß Peter ihr es nicht hat erzählen können b. daß Peter es ihr nicht hat erzählen können Die in (47a) gewählte und dort als "markiert" bewertete Abfolge (do>io) sei jedoch nur möglich bei der Stellung der Pronomina in den DP-Positionen (in situ), nicht aber bei Klitisierung an C°, wie es nach ihrer Analyse in (48) vorliegen soll (Schmidt 1992, Bsp.(5)): (48) a. ??daß ihr es niemand hat erzählen können b. daß es ihr niemand hat erzählen können Ob sich allerdings zwischen der Bewertung der abweichenden Sätze als "m" (47a) und als "??" (48a) wirklich ein entscheidender Unterschied feststellen läßt, wird weder aus der Markierung noch aus dem tatsächlich empfundenen Grad der Abweichung klar. Folglich sind die unterschiedlichen Markierungen mit "m" vs. "??" lediglich theoriegebunden motiviert, aber wohl kaum empirisch begründet. Insbesondere gilt ja: Für "markierte" Abfolgen sollte sich zumindest ein Kontext finden lassen, in dem sie ohne 'hautgout* möglich sind (vgl. zur Diskussion des Markiertheitsbegriffes Lenerz 1977, Höhle 1982). Für die Abfolge (46b) erscheint das möglich, m.E. jedoch für Sätze wie (47a) und (48a) gleichermaßen nicht. Die Annahme, in (47a) stünden die Pronomina in den DP-Positionen innerhalb der VP, ist daher sehr zweifelhaft.21 Zudem spricht gegen sie, daß die Pronomina m.E. vor einer Modalpartikel auftreten können (49a) und dort lediglich als "??" (oder "m") zu beurteilen sind; stehen die Pronomina hinter einer Modalpartikel (also innerhalb der VP), dann erscheint mir der Satz mit jeder Abfolge (do>io wie ioxlo) gleichermaßen ungrammatisch:

Entgegen Grewendorf (1989) nimmt During (1992) an, daß die Negationspartikel "nicht" am linken Rand der VP steht Wenn dies der Fall ist, stehen die Personalpronomina in (47) außerhalb der VP!

141 (49) a. mweil Peter ihr es ja gezeigt hatte b. *weil Peter ja es ihr gezeigt hatte c. *weil Peter ja ihr es gezeigt hatte Daraus folgt, daß sich die Pronomina in (47a) nicht in den Basis-Positionen der DPs GO, DO) befinden können. Wenn der Satz aber dennoch nicht ungrammatisch ist (wie (49a)), dann folgt ebenso, daß die Pronomina aus ihren DP-Positionen herausbewegt worden sind. Dies legt wiederum nahe, daß bei der Bewegung der Pronomina zunächst deren endgültige Reihenfolge keine Rolle spielt. Damit kann generell die unterschiedliche Markiertheit der Abfolgen von vollen DPs (IO>DO, mDO>IO) und von Pronomina (do>io, mio>do) kein Argument dafür ergeben, ob Basisgenerierung (IO>DO, auch bei mio>do), Scrambling (DO>IO) oder Pronomenbewegung (do>io) vorliegt. Außerdem ist es zudem fraglich, ob die Abfolge (46b) wirklich, wie offenbar unterstellt, durch (Adjunktions-) Scrambling erzeugt wird. Es ist nicht zweifelsfrei festzustellen, ob die "gescrambelte" DP, das DO, an die VP adjungiert worden ist oder ob sie innerhalb der VP umgestellt wurde. Der Test mit der die VP links begrenzenden Modalpartikel (MP) bringt hier jedenfalls kein Ergebnis: Beide Möglichkeiten bleiben bestehen: (50)

a. daß Peter ja die schlechte Nachricht seiner Frau nicht hat erzählen können (IO auf die MP folgend, d.h.innerhalb der VP) b. daß/a Peter die schlechte Nachricht seiner Frau nicht hat erzählen können (dto.) c. daß Peter die schlechte Nachricht ja seiner Frau nicht hat erzählen können (IO vor der MP, also "außerhalb"22 der VP)

Damit ist der Wert des Arguments, das auf der unterschiedlichen Markiertheit der Abfolgen von DO und IO (bzw. do und io) basiert, für die Frage danach, ob Pronomenbewegung durch Scrambling erzeugt sein könnte, zumindest als strittig anzusehen. 5.2.2.

Gilt die Abfolge do>io für Pronomina wirklich generell?

Die häufig wiederholte Verallgemeinerung, Pronomina stünden obligatorisch in der Abfolge akk dat, ist bei näherem Hinsehen nicht so eindeutig haltbar, wie bisher angenommen.23 Beispiele mit der Abfolge dat akk scheinen durchaus unter verschiedenen Bedingungen möglich zu sein: (51) a. wenn ich mir dich so ansehe b. wenn Paul sich dich so ansieht c. weil Paul sich ihn so vorgestellt hatte Dies gilt, wie die Beispiele in (52) zeigen, nicht nur für Reflexivpronomina; auch die umgekehrte Reihenfolge bei Klitisierung des schwachtonigen es ist hier zu berücksichtigen:

22

"Außerhalb": an VP adjungiert, aber (im Sinne von Chomsky 1986): weder von VP "eingeschlossen" (not included), noch von VP "ausgeschlossen" (not excluded).

23

Vgl. aber Hoberg (1981:71); Lenerz (1977:69f., Anm.l) setzt sich in diesem Punkt wohl falschlich kritisch mit Engel (1970,1972) auseinander, der auch schon neben akk-dat die Abfolge dat-akk für möglich hielt.

142

(52) a. b. c. d.

wenn Paul mir ihn so beschreibt wenn Paul ihm euch nicht vorgestellt hätte weil er's mir ja gezeigt hat weil er mir's ja gezeigt hat

Wenn diese Beobachtungen zutreffen, dann muß die Regularität "akk vor dat" u.U. nur für bestimmte Pronomina (3. Person Singular?) formuliert werden und stellt jedenfalls keine generelle Eigenschaft der Abfolge aller Pronomina dar. Folglich ist diese Erscheinung unabhängig von der Eigenschaft "Pronomen" und unabhängig von der Eigenschaft "vorangestellt". Damit ließen sich also Scrambling und Pronomen-Voranstellung prinzipiell auf gleiche Art behandeln. Dafür spricht im übrigen auch, daß d-Pronomina, die sich in manchem ähnlich wie die hier behandelten unbetonten Pronomina verhalten, außerhalb der VP offenbar keine bestimmte Abfolge bevorzugen: (53) a. Ich habe dem das ja gestern gezeigt, b. Ich habe das dem ja gestern gezeigt.

5.2 J. Das zweite Argument: Extraktion über ein transitives AcI-Subjekt Die Sätze in (54) sollen zeigen, daß volle DPs nicht über ein transitives AcI-Subjekt extrahierbar seien, wohl aber Pronomina (Schmidt 1992:2, Bsp.(6); Jaspers 1989:245; Zwart 1991:83; Haegeman 1991:34,45): (54) a. *daß Peter [das Buch], Maria tj lesen sah b. daß Peter [es], Maria q lesen sah c. daß [es]j Peter Maria tj lesen sah Auch hier scheinen mir die Daten im Deutschen nicht so eindeutig zu sein, daß sie eine undifferenzierte Übertragung des Arguments aus dem Ndl. bzw. Westfläm. erlaubten. Wenn man die einschlägigen Bedingungen für die markierte Abfolge (hier: DO vor SU, wobei letzteres als AcI-Subjekt im Akk erscheint) beachtet, ist die entsprechende Abfolge m.E. durchaus möglich: (55) a. wenn du das Buch eine Kundin lesen läßt/siehst, die dir verdächtig vorkommt, dann... Dabei bleibt hier zudem offen, ob die Umstellung das DO tatsächlich aus dem eingebetteten Satz herauszieht (extrahiert), wie das für das Pronomen offenbar unterstellt wird.

5.2.4. Weitere Argumente Weitere Argumente, die einen Unterschied zwischen Scrambling und Pronomenbewegung beweisen sollen, zeigen m.E. lediglich, daß Pronomina nicht in den DP-Positionen innerhalb der VP verbleiben können, sondern bewegt werden müssen. Inwiefern daraus eine Unterscheidung zwischen Pronomenbewegung und Scrambling folgen soll, ist mir unklar. So wird (richtig) festgestellt, daß indefinite DPs auf temporale Adverbien folgen können, Klitika je-

143 doch nicht (Jaspers 1989:243; Zwart 1991:83; Haegeman 1991:40; Schmidt 1992:2; ich übernehme hier ihr Bsp.(7)): (56) a. hat Peter gestern einem Freund das Buch zurückgebracht b. *hat Peter gestern es ihm zurückgebracht c. ?hat gestern er es ihm zurückgebracht Abgesehen davon, daß mir (56c) ohne intonatorische Hervorhebung des Subjekt-Pronomens keineswegs akzeptabler erscheint als (56b), sehe ich in diesen Daten lediglich, daß das temporale Adverb offenbar (ebenso wie Modalpartikel oder Satzadverb) die linke Grenze der VP markiert und daß Pronomina aus den entsprechenden DP-Positionen herausbewegt werden müssen, während Scrambling für volle DPs fakultativ ist, wenn die entsprechenden Bedingungen (Spezifizitätseffekt) gegeben sind.24 Pronomenbewegung könnte also durchaus als eine Art von Scrambling angesehen werden, wenn sich eine zusätzliche Bedingung dafür namhaft machen ließe, die die Obligatorik der Bewegung von Pronomina erklärte. Zudem haben schon die Daten in (9) gezeigt, daß Pronomina keineswegs immer aus der VP herausbewegt werden müssen, sondern sich offenbar lediglich mindestens bis zum Subjekt bewegen müssen, also auch VP-intem stehen können. Weiter wird darauf verwiesen, daß Klitika nicht rechts von der Verb-Inversion verbleiben könnten (Jaspers 1989:244; Zwart 1991:84; Haegeman 1991:40; Schmidt 1992:2, ihr Beispiel (8)): (57) a. daß Peter dem Mädchen wohl wird Märchen erzählt haben b. '"daß Peter dem Mädchen/ihr wohl wird es erzählt haben c. daß Peter es ihr wohl wird erzählt haben Auch hier läßt sich nur schließen, daß Pronomina nicht in den Positionen voller DPs verbleiben können. Gegen eine Scrambling-Analyse der Pronomenbewegung sind diese Daten m.E. kein Argument. Auch die Feststellung, daß Klitika bei sog. VP-Topikalisierung ihre Abfolge io>do einhalten müssen, spricht nicht gegen die Möglichkeit einer Scrambling-Analyse (Beispiel von Schmidt 1992:3 (9)): (58) a. dem Freund das Buch zurückbringen wird Peter schon müssen b. (es ihm/*ihm es) zurückbringen wird Peter schon müssen Was diese Daten lediglich zeigen, ist, daß eine Analyse dieser Konstruktion als "VP-Topikalisierung" auf Probleme stößt, da man ja für die Pronomina annehmen muß, sie seien (da sie die Abfolge do>io zeigen) in jedem Fall aus ihren Argumentpositionen fortbewegt worden. Auch die Tatsache, daß Klitika über indefinite Subjekte bewegt werden können, volle DPs aber nicht (Jaspers 1989:245; Schmidt 1992:3), spricht nicht notwendigerweise für eine Differenzierung zwischen Scrambling (voller DPs) und Pronomenbewegung (Beispiel (10) aus Schmidt 1992):

Allerdings sieht Büring (1992) Argumente dafür. Scrambling als obligatorische Bewegung aufzufassen.

144 (59) a. ??es hat dem Mann jemand ein Buch besorgt b. es hat ihm jemand ein Buch besorgt

Der vermeintliche Unterschied in der Akzeptabilität ist, wenn er überhaupt mit dem Gegensatz "volle DP vs. Pronomen" zu tun hat, möglicherweise überhaupt nicht gegeben, vgl: (60)

wenn dem Bundeskanzler jemand vorgaukeln will, daß er...

Auch sind die Bedingungen für eine in (59) angenommene geringere Akzeptabilität der Bewegung einer vollen DP über ein indefinites Subjekt unklar. Alle weiteren Argumente (do-Klitika gehen dem IO voraus; (Objekts-)Klitika gehen floating quantifiers in Subjekt-Position voraus (Haegeman 1991:42; Schmidt 1992:3)) zeigen lediglich, daß Pronomina nicht in der entsprechenden DP-Position verbleiben können. 5.2.5.

Fazit

Damit ist insgesamt, zumindest für das Deutsche, eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Scrambling und Pronomenbewegung nicht nachgewiesen. Wie gesagt kann diese Aussage nicht ohne weiteres auf die Verhältnisse im Ndl. und Westfläm. übertragen werden, insbesondere deshalb nicht, weil sich in diesen Sprachen die sog. Klitikbewegung auf die seh wach tonigen Varianten der Pronomina bezieht. Die Vollformen der Pronomina scheinen sich auch im Ndl. und Westfläm. anders zu verhalten; eine genauere Analyse liegt aber m.W. nicht vor.

5.2.6. Vorfeldbesetzung Wie bereits oben gezeigt, können offensichtlich nicht nur Subjektpronomina im Deutschen unbetont im Vorfeld stehen, sondern auch Objektpronomina (ausgenommen es^^). Damit liegt es nahe, die unbetonten Pronomina des Hochdeutschen als XPs zu analysieren. Jede andere Analyse (vgl. Travis 1984, Schwartz/Tomaselli 1991 etc.) muß demgegenüber, wie gesagt, entweder eine Asymmetrie zwischen Sätzen mit Pronomen im Votfeld und solchen mit einer vollen XP im Vorfeld annehmen (Travis 1984,1991) oder für die vermeintliche "Klitisierung" der Pronomina verschiedene Analysen ansetzen, je nachdem, ob sie im Vorfeld stehen (links an C° adjungiert) oder auf C^ folgen (rechts an C° adjungiert). Dazu kämen im letzteren Fall noch weitere Adjunktionsmöglichkeiten wegen der "medialen" Stellung wie in (2d) und (5). Ich gehe deshalb davon aus, daß die unbetonten Pronomina im Deutschen XPs sind und ihre Stellung nicht angemessen durch eine X°-Bewegung beschrieben werden kann, sondern daß sie durch XP-Bewegung an die in Abschnitt 1. beschriebenen Positionen gelangen.

145

6.

Ein Lösungsvorschlag

Die Stellung der Pronomina vor Modalpartikeln etc. ist schon verschiedentlich (Abraham 1991a, 1992, Zemb 1986 etc.) mit der Beobachtung in Zusammenhang gebracht worden, daß in dem Bereich vor den Modalpartikeln nur thematisches Material stehe, während ihnen folgend rhematische Satzglieder aufträten (vgl. auch Diesing 1990). Unklar blieb bei dieser Beobachtung stets, wieso gerade die Modalpartikeln die Grenze zwischen Thema und Rhema markieren sollten. Wenn die angesprochene kommunikative Gliederung des Satzes tatsächlich so verläuft wie vermutet, dann sollte sie eine Erklärung finden können, die auf syntaktischen Verhältnissen beruht und von diesen ableitbar ist.25 Die folgenden Überlegungen zielen in diese Richtung. Zunächst ebenso vage wie die Bestimmung der Thema-Rhema-Gliederung (und möglicherweise mit dieser identisch) ist die Intuition einer Zweiteilung, der ich im weiteren nachgehen möchte und auf der eine Erklärung für die Thema-Rhema-Gliederung aufbauen könnte: In gewisser Weise kann man die der VP vorangehenden Pronomina so interpretieren, als legten sie (ggf. zusammen mit dem Subjekt) so etwas wie die (in (61) durch l_l abgegrenzte) "referentielle Basis" für die folgende Prädikation fest: (61) a. b. c. d.

deshalb deshalb deshalb deshalb

hat hat hat hat

l Paul l ja seinem Kind ein Bonbon geschenkt l er es l ja seinem Kind geschenkt l er ihm l ja das Bonbon geschenkt l Paul es ihm l ja geschenkt

Ähnlich wie in (61a) das Subjekt Paul die referentielle Basis für die Interpretation des Prädikats seinem Kind ein Bonbon geschenkt festlegt, so kann man sich die Folge er es in (61b) als komplexe referentielle Basis für die (entsprechend reduzierte) Prädikation seinem Kind geschenkt vorstellen; ähnliches gilt für (61c,d). Dieser zunächst zugegebenermaßen recht vage Gedanke soll am Beispiel der sog. "Possessiv"pronomina in der DP im Deutschen etwas näher veranschaulicht werden. Es zeigt sich nämlich, daß sich Pronomina nicht nur innerhalb von Sätzen (und teilweise in PPs: damit etc.) so verhalten wie eingangs beobachtet, also an den linken Rand streben. Auch in DPs, wo sich ja die (fakultativ auftretenden) Argumente rechts vom Kopf befinden, ist das der Fall. So können etwa relationale Nomina Argumente zu sich nehmen wie in (62), wobei hier nur der Fall interessiert, in dem das auf das Nomen folgende Argument ohne Präposition angeschlossen wird, also im Genitiv steht. In diesem Fall kann dem Nomen höchstens ein Argument folgen, welches z.B. entweder das Agens oder das Thema darstellt: (62) a. [ die} Entdeckung des Columbusj /Amerikas^ ]j b. *[ diej Entdeckung seiner^ ]j c. [ seine i+ ^ Entdeckung ],

25

Ein entsprechender Versuch liegt in Diesing (1990,1992) vor, vgl. Krifka (1992) und Jäger (1992) zur Kritik. Diesings syntaktische Analyse der betr. semantischen Verhaltnisse bleibt allerdings rein süpulativ.

146 Von anderen Realisierungsmöglichkeiten und von der Beschränkung pränominaler Genitive auf Eigennamen etc. wie in (63) soll hier abgesehen werden:26 (63)

a. Amerikas Entdeckung b. Columbus' Entdeckung c. die Entdeckung Amerikas durch Columbus

Dabei haben die gesamte DP (qua D° = die{) und die Argument-DPs des Columbus^ sowie Amerikas^ eine jeweils eigene Referenz, wie es durch die Subskripte ausgedrückt wird. Tritt nun ein Argument als Pronomen auf, so kann es nicht in der postnominalen Position stehen wie eine volle DP (62b), obwohl es durchaus morphologisch als Genitiv zu realisieren wäre. Damit fallen auch hier kasustheoretische Gründe als Begründung aus. Ein pronominal realisiertes Argument muß vor dem Nomen stehen, von welchem es regiert wird, vgl. (62c). In dieser Position drückt es nun in gewisser Weise gleichzeitig mehrere referentielle Bezüge aus: die Referenz der gesamten DP (i = die Entdeckung) und die Referenz des jeweils von ihm vertretenen Arguments (also entweder j = des Columbus oder k = Amerikas). Dies geschieht jedoch nicht durch simple Vereinigung der jeweils relevanten -Merkmale (wie es Olsen 1988,1989b:147 annimmt27), sondern durch eine interne Struktur, in der die relationalen Verhältnisse deuüich ausgedrückt bleiben. Es scheint - unabhängig von den Einzelheiten der anzusetzenden Analyse - jedenfalls so, daß auch innerhalb von DPs pronominale Argumente links an den Anfang der DP gestellt werden müssen, wo sie in gewisser Weise eine "komplexe" Referenz für die DP und ihr Argument ausdrücken. Damit verhalten sich Pronomina innerhalb von DPs im wesentlichen ähnlich wie in Sätzen. Was zu tun bleibt, ist also, eine Analyse für beide Fälle zu finden, die das parallele Stellungsverhalten erklärt Es ist schon mehrfach auf das Problem hingewiesen worden, daß die Stellungseigentümlichkeiten der Personalpronomina im Deutschen mit ihren referentiellen Eigenschaften korrelieren, also damit, daß sie nicht "autonom" referieren, sondern sich auf Individuen beziehen, die im Diskurskontext bereits präsent sind oder als präsent unterstellt sind. Unklar blieb dabei, wie sich die syntaktischen Stellungseigenschaften auf die referentielle Besonderheit der Pronomina zurückführen läßt, insbesondere, wenn man von der Grundannahme der Autonomie der Syntax nicht abrücken möchte. Für diese Annahme sprechen gewichtige Gründe, und zwar nicht nur genereller Art, sondern speziell im gegebenen Fall: Angesichts der zwischen verschiedenen Sprachen feststellbaren Variation von (Um-)Stellungsmöglichkeiten und angesichts der Tatsache, daß man auf der Ebene der LF ohnehin für jede Sprache entsprechende "Bewegungen" annehmen muß, bleibt ja unklar, wieso bestimmte Sprachen bestimmte Umstellungen bereits (und zwar obligatorisch) in der Syntax (auf SStruktur) vollziehen müssen. Dafür kann eine semantische Begründung nicht hinreichen, und

Die Restriktion, daß im Deutschen pränominal nur Eigennamen im Genitiv vorkommen können, paßt nach Tappe (1989b) zu ähnlichen, auch in anderen Sprachen weit verbreiteten Erscheinungen. Darauf weist auch Tappe (1989b) hin; auf einen entsprechenden Vorschlag von Fanselow verweist Olsen (1989a); vgl. auch Olsen (1987aJ>, 1989b, 1991a,b).

147

eine "Begründung" durch einen einzelsprachlich unterschiedlich zu wählenden Parameter (vgl. etwa den WH-Parameter, s.o.) ist rein stipulativ. In diesem Zusammenhang führen einige Überlegungen weiter, die sich u.a. auf die Arbeit von Bondre-Beil (1992) stützen (vgl. auch Müller 1992a). Demnach reduzieren sich Parametrisierungen zwischen Sprachen im allgemeinen darauf, auf welche Weise sie die relevanten Merkmale funktionaler Kategorien sichtbar machen. Im vorliegenden Fall sind die sog. Merkmale von DPs betroffen, diejenigen Merkmale also, welche die syntaktische Identifizierung der an einer Proposition beteiligten Argumente ermöglichen. Im einzelnen handelt es sich um Merkmale wie "Person, Numerus, Genus", welche durch entsprechende "Kasus" auf die Argumentstellen bezogen werden, deren -Rollen durch die betreffenden Argumente ausgedrückt werden. Nun werden entsprechende Merkmale dann in situ, also in den betreffenden Argumentpositionen "basisgeneriert", wenn dort eine "volle" DP mit einer NP steht, die ein Nomen als Kopf hat: Dieses Nomen besitzt die betreffenden -Merkmale "Numerus, Genus", und ein hinzutretendes D° steuert das Merkmal "Person" hinzu, so daß man DPs wie die folgenden in den Basispositionen vorfinden kann: (64) die Tanne, das Kind, der Wald ihr Zeitungsabonnenten, wir Kölner ich Idiot, du Radikalinski Kasus wird (entsprechend den gegenwärtig erwogenen Theorien) entweder durch das Verb unter strikter Rektion verliehen oder durch funktionale Kategorien wie AGRO (object-agreement), möglicherweise differenziert nach AGRDO, AGRIO (direct and indirect object agreement). Nimmt man letzteres an, dann muß man eine geeignete Version finden, die den entsprechenden Argumenten in den basisgenerierten Argumentpositionen von den Köpfen der funktionalen Kategorien Kasus zuweist, ohne daß dabei eine Barriere überwunden werden müßte. VP stellt nämlich generell eine solche Barriere dar: Als maximale Kategorie ist VP eine BC (blocking category), und da sie nicht L-markiert ist, ist sie eine Barriere für alle grammatischen Beziehungen, die über sie hinweg bestehen sollen. Eine Lösung ist denkbar, die - im Sinne der -Theorie, vgl. Higginbotham (1985) etc. die VP mit den vom Verb theta-markierten Argumenten koindiziert und somit für Kasuszuweisung an die Argumentpositionen durchlässig macht. Dies stellt die unmarkierte Version dar. Allerdings ist auch die Alternative denkbar, in der sich das Argument aus seiner Argumentposition hinausbewegt und an VP (möglicherweise letztlich an IP ?) adjungiert wird. In diesen Positionen (scrambling) ist es durch Kasuszuweisung von entsprechenden AGRKöpfen erreichbar, ohne daß eine Barriere überwunden werden müßte. Die Entscheidung für die eine oder andere Möglichkeit sollte dabei von generellen Ökonomiebedingungen (vgl. Chomsky 1989) abhängig sein. Der Fall, der uns im besonderen interessiert, ist allerdings von dem "autonom" referierender DPs unterschieden: Pronomina stellen eine Kongruenzbeziehung her zu einem Individuum, welches nicht satzintern durch ein entsprechendes Nomen identifiziert werden kann, sondern welches im Diskurskontext (also satzextem) repräsentiert ist, und auf das nur vermit-

148

tels der einschlägigen -Merkmale Bezug genommen werden kann. Dies wiederum kann man so deuten, daß es in einer Kongruenzbeziehung zu "seinem" AGR-Kopf stehen muß, mit dem es in den -Merkmalen übereinstimmen muß. Diese Überlegungen ermöglichen es, spekulativ einen Zusammenhang zwischen den referentiellen (semantisch-pragmatischen) Eigenschaften und den syntaktischen herzustellen, der durch die funktionalen Kategorien vermittelt wird, die sich in INFL verbergen, und die man seit Pollock (1989) auch syntaktisch differenziert behandelt: Eine Tempus-Phrase stellt den referentiellen Bezug einer Proposition her, zusätzlich wird durch Agreement-Phrasen (AGRS, AGRO etc.) der Bezug zu den an der Proposition beteiligten Individuen referentiell hergestellt, und zwar entweder dadurch, daß diese Agreement-Phrasen den referentiellen Index des betreffenden Arguments übernehmen, dem sie Kasus verleihen, oder dadurch, daß sie ihrerseits auf Individuen im Diskurskontext verweisen, deren referentielle Merkmale ( -Merkmale) sie auf die Argumentpositionen übertragen. Letzteres, so möchte ich annehmen, geschieht vermittels der Pronomina, deren einziger Gehalt ja diese -Merkmale (nebst dem von AGR kommenden Kasus) ist. So wäre ein Brücke geschlagen zwischen der kategoriellen Charakterisierung der Pronomina als DAGR-Elemente (determiner-agreement) und ihrer pragmatischen Funktion, den referentiellen Bezug zu Individuen im Diskurskontext herzustellen. Was noch fehlt, ist die Explikation der syntaktischen Verhältnisse. Dies stellt sich im Rahmen der hier nur spekulativ vorgetragenen Überlegungen folgendermaßen dar: Da Pronomina zwar -Merkmale besitzen, sie aber in situ (also in den Argumentpositionen) nicht mit einem Nomen verbinden können, können sie nicht in den betreffenden Argumentpositionen verbleiben. Offenbar ist die Barriere, die VP für eine Koindizierung mit ihrem jeweils entsprechenden AGR-Kopf darstellt, nicht in der für volle DPs üblichen Weise zu überwinden. Folglich bleibt für sie nur die oben bereits genannte Alternative: Adjunktion mindestens an VP, idealerweise aber Bewegung in die entsprechenden AGR-Positionen, wo ihre -Merkmale den Bezug zu den entsprechenden -Merkmalen der Nomina herstellen können, mit denen die im Diskurs präsenten Individuen assoziiert sind. Allein die Bewegung aus der VP heraus kann die einschlägigen Merkmale syntaktisch sichtbar machen. Erst dadurch lassen sie sich mit denjenigen Ausdrücken identifizieren, welche auf LF aufgrund semantischer Bedingungen (Skopus) in eine ihren Bezugsbereich dominierende Position bewegt werden müssen, wie man das nicht nur für Quantorenbewegung und wh-Bewegung, sondern entsprechend auch für Pronomina annehmen kann, die sich semantisch als von einem iota-Operator gebundene Variablen analysieren lassen (Reinhart 1991). Naturgemäß muß bei einer derart spekulativen und nur in einer groben Skizze dargestellten Analyse der Bewegung von Pronomina manches unklar bleiben. Insbesondere sind die jeweils anzusetzenden S-Strukturen nicht deutlich bestimmt. Vor allem aber bleibt es derzeit rätselhaft, wieso sich Pronomina nur dann hinter einer Modalpartikel befinden können, wenn sie unmittelbar auf ein ebenfalls hinter der Modalpartikel stehendes Subjekt folgen. In diesem Zusammenhang schwebt mir eine Analyse vor, die dies auf eine für das "autonom" referierende Subjekt und die Pronomina "gemeinsame" referentielle Basis zurückführt. Diese Über-

149

legungen machen erst Sinn in einer Theorie der Prädikation, die auch derartige "komplexe" Prädikationen zuläßt. Ansätze zu einer detaillierter ausgearbeiteten Prädikationstheorie liegen vor (Williams 1980, Rothstein 1983, Napoli 1983 etc.), bedürfen aber durchaus der weiteren Präzisierung. Ebenso müßte die -Theorie, wie sie in mehreren Arbeiten von Higginbotham (1985), Rappaport/Levin (1988), Williams (1980,1987,1989) und anderen bereits angedeutet ist, weiter ausgearbeitet werden. Hier muß vor allem das Verhältnis von -Maikierung eines Prädikats durch einen weiteren Prädikatsausdruck deutlicher von der Festlegung einer Referenz des Arguments unterschieden werden, und zwar auf der Basis einer syntaktischen Analyse, die auch funktionale Kategorien konsequent miteinbezieht. Erst so ist etwa auch die interne Struktur einer DP mit den verschiedenen Aspekten zu korrelieren, die bei der thematischen Sättigung eines Prädikats eine Rolle spielen. Lösungen zu all diesen Problemen sind erst in Ansätzen erkennbar. Erst, wenn aber diese Aspekte deutlicher geklärt sind, kann eine auch im einzelnen befriedigende und explizite Analyse des Stellungsverhaltens der Pronomina im Deutschen (und in anderen Sprachen) erarbeitet werden.

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Zur Pragmatik und Grammatik des TOPIK-Begriffes1 Valeria Molnär, Lund In dem vorliegenden Beitrag zur Analyse der grammatischen und pragmatischen Aspekte des Begriffes Topik wird versucht, dem Topik-Fokus-Verhältnis nachzugehen und die Komplexität der Topikalität zu erfassen. Die grundlegende Hypothese läuft darauf hinaus, daß das Topik als eine inhärent pragmatische Kategorie zu definieren ist und daß das Konzept des Worüber nur auf eine der drei Relationen der Äußerungssituation Bezug nimmt. Durch die Beachtung des vielfältigen Zusammenwirkens des Topiks mit anderen pragmatischen Kategorien und die Einschränkung des Wirkens der Fokusrestriktion können die wichtigsten Annahmen bezüglich des Topik-Konzeptes - (i) die Nicht-Reduzierbarkeit der TKG auf die FHG, (ii) die Notwendigkeit der Differenzierung der Fokusstruktur für die Einschätzung des Einflusses des Fokus auf die Topikalität, (iii) die funktionale Vielfalt und strukturelle Variabilität des Begriffes - theoretisch gestützt werden. Bei der Diskussion der für die Topik-Interpretation zuständigen grammatischen Mittel werden einige syntaktische und phonologische Aspekte des Ungarischen ausgewählt, die hinsichtlich der formalen Wiedergabe der topikrelevanten pragmatischen Beziehungen aufschlußreich sind.

1. 2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 4. 4. l. 4.2. 4.3. 5.

Einleitung Zur Terminologie und zur begrifflichen Abgrenzung Zur Pragmatik des Topiks Ein Definitionsvorschlag Das Diskursmodell TKG vs. FHG: Zum Topik-Fokus-Verhältnis TKG vs. FHG und TRG: Zur Komplexität des Topik-Begriffes Zur Grammatik des Topiks - Eine Analyse anhand des Ungarischen Strukturelle Besonderheiten des Ungarischen Topik-Syntax Topik-Phonologie Zusammenfassung Literatur

1.

Einleitung

Wenn man in der bisherigen linguistischen Forschung die Strukturierung der Information in Texten bzw. in den darin enthaltenen Sätzen zu ermitteln versuchte, so standen hauptsächlich die Regularitäten der Fokussierung im Zentrum des Interesses. Es galt, das Konzept des Fokus durch die Angabe der Abgrenzungskriterien gegenüber seinem Gegenstück, dem nichtfokussierten Teil des Satzes, in den Griff zu bekommen, wobei dieser Teil als Topik, Präsupposition, Thema oder Hintergrund bezeichnet wurde. Einige neuere Analysen zeugen jedoch Diese Arbeit wurde im Rahmen eines halbjährigen Forschungsstipendiums am Deutschen Seminar der Universität Tübingen vorbereitet und zum Teil auch verfaßt. An dieser Stelle sei dem Schwedischen Institut für die finanzielle Unterstützung und M. Brandt, J. Hetland, M. Reis, I. Rosengren und den Teilnehmern der Gruppe 2 des Projektes "Sprache und Pragmatik" für wertvolle Kommentare gedankt.

156

von der Erkenntnis, daß sich die Gegebenheiten der Informationsstruktur nicht auf eine einfache Dichotomic von Fokus und seiner komplementären Kategorie - vereinfacht: auf den Gegensatz von alter vs. neuer Information - reduzieren lassen. Dabei ist besonders auf die linguistische Relevanz der Topik-Kommentar-Gliederung hingewiesen und dafür argumentiert worden (Dahl 1974, Reinhart 1982, Jacobs 1984, Ulrich 1986, Sasse 1987, Drubig 1992, Krifka 1992), daß das Topik eigenständigen Gesetzmäßigkeiten der kommunikativen Gliederung gehorchend an der Schaffung eines Bezugsrahmens bzw. an der Etablierung eines sog. Aboutness-Verhältnisses - durch die Festlegung des Gegenstandes, über den eine Aussage gemacht wird - beteiligt ist. Als sprachliche Indizien für die Topikalität werden in der einschlägigen Literatur die in vielen Sprachen vorhandenen unterschiedlichen Topikalisierungskonstruktionen, vgl. (1) - (5), bzw. die nur in bestimmten Sprachen vorhandenen morphologischen Marker (z.B. im Japanischen, vgl. (6), (7)) angeführt, die nur mit Bezug auf eine Worüber-Kategorie sinnvoll erklärt werden können: (1) (2) (3) (4) (5) (6)

As for Matilda, she can't stand Felix. With Rosa, Felix went to the beach. Was Piter betrifft, so wird er dieses Jahr wohl kaum verreisen. Die Brigitte, die kann ich schon gar nicht leiden. Les cruditos, j'aime pas! 'Salate, ich mag (sie) nicht.' John wa sono hon o yonda. das

(7)

Tokyo

(Kuno 1972)

Buch liest

'John liest das Buch.' Nihon wa Tokyo ga sumi-yoi. Japan

(Reinhart 1982) (ebenda) (Jacobs 1984) (Altmann 1981) (Cadiot 1992)

(ebenda)

leicht-leben

'Was Japan betrifft, so ist es leicht, in Tokyo zu leben.' Weiterhin wird die entscheidende Rolle des Intonationsmusters für die Kennzeichnung der Topikalität hervorgehoben: Durch eine besondere, steigende Intonationskontur am Satzanfang (vgl. Jacobs 1984: "I-Topikalisierung") und eine sog. "isolierende" Akzentuierung (vgl. Uhmann 1991, F6ry 1992) werde nämlich auch beim Ausbleiben von morphologischen und syntaktischen Mitteln die Topik-Funktion des betreffenden Elements signalisiert (von F6ry werden zur Kennzeichnung der Akzentgipfel Versalien und zur Präzisierung der Akzenttöne L*H (low-high) bzw. H*L (high-low) verwendet, von Jacobs hingegen werden die Akzentgipfel mit einem Akzentzeichen markiert): L*H

(8) (9)

H*L

BEIDE Theaterstücke sind NICHT gespielt worden. Den Franz-Josef hat Petra nicht gewählt.

(F6ry 1992) (Jacobs 1984)

Trotz dieser ziemlich durchsichtigen sprachlichen Indikatoren sind zahlreiche Fragen der Topikalität ungelöst. Die wichtigsten und aktuellsten Fragestellungen beziehen sich auf die strukturellen und kommunikativen Bedingungen der Gliederung der Aussage in Topik und Kommentar und auf die differenzierte Beschreibung der Relation zwischen der Topik-Kommentar-Ebene und der Fokus-Hintergrund-Gliederung. Weiterhin stellt die Begründung eines einheitlichen Topik-Konzeptes angesichts der vielfältigen Funktionen, die topikalisierte Glieder offensichtlich erfüllen können, die Grammatiktheorie auf eine harte Probe. Damit hängt

157

auch die Problematik der Operationalisierung des Begriffes eng zusammen, die Identifikation und Abgrenzung wichtiger grammatischer - syntaktischer, morphologischer, semantischer und phonologischer - Topik-Kennzeichen, durch deren variierendes Zusammenwirken wesentliche Aspekte der Topikalität erfaßt werden können. Im folgenden versuche ich, der Klärung einiger Fragen näherzukommen, die der Forschung von jeher großes Kopfzerbrechen bereitet haben. Dabei werde ich auf zwei relevante Aspekte der Topikalität eingehen: Nach einigen einführenden Bemerkungen zur Terminologie und zur bisherigen linguistischen Explikation des Phänomens kommt es im ersten Schritt zu einer Begriffsbestimmung. Anschließend werden die Relationen des Topiks zu anderen pragmatischen Kategorien bzw. die diesbezüglichen Restriktionen eingehender untersucht. Bei der Analyse der innerpragmatischen Verhältnisse wird der Relation der Topik-Kommentar-Gliederung (TKG) zur FokusHintergrund-Gliederung (FHG) besondere Aufmerksamkeit gewidmet. In diesem Zusammenhang wird vor allem der Frage nachgegangen, inwiefern die verbreitete Annahme der Komplementarität des Topik-Fokus-Verhältnisses haltbar ist, und auf welche Weise diese These durch die Bezugnahme auf eine differenzierte Fokusstruktur modifiziert werden kann. Weiterhin wird bei der Untersuchung der pragmatischen Aspekte der Topikalität die Frage gestellt, wie die in der Literatur figurierenden verschiedenen, scheinbar widersprüchlichen Aspekte des Begriffes - Einbettung in den Kontext, Reidentifikation von kontextuell bekannten Elementen, Promotion zur Existenz, Wechsel von Informationsfokus, Kontrastierung, Klassifikation usw. (vgl. Cadiot 1992, auch Chafe 1976, F6ry 1992, Givon 1992) - auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Zur Differenzierung der Topik-Funktionen bzw. zur Einordnung der unterschiedlichen Aspekte der Topikalität in ein übergreifendes Konzept wird die Miteinbeziehung der Thema-Rhema-Ebene in die Analyse und die dadurch ermöglichte Berücksichtigung der vielfältigen Relationen innerhalb eines komplexen Informationsstrukturierungssystems vorgeschlagen. Im zweiten Schritt werden die wichtigsten grammatischen Korrelate der Topikalität identifiziert, dies völlig im Einklang mit der zentralen theoretischen Hypothese der Arbeit, derentsprechend die grundsätzlich pragmatisch bedingten Aspekte der Informationsstruktur aufgrund der Interdependenz von Grammatik und Pragmatik eine strukturelle Manifestation erhalten. Die Untersuchung wird anhand des Ungarischen durchgeführt, einer in diesem Zusammenhang besonders interessanten Sprache, in welcher die informationsstrukturell relevanten Verhältnisse - Topikalität und Fokussierung - auf eine besonders transparente Weise grammatisch fundiert sind.

2.

Zur Terminologie und zur begrifflichen Abgrenzung

Ein nicht geringes Problem bei der Erörterung der Informationsstruktur bedeutet einerseits die Vielfalt der Termini, die für die Benennung relevanter Konzepte im Umlauf sind, und andererseits die theoretischen Unklarheiten bezüglich der Differenzierung der Informations-

158

Struktur, der Anzahl und Typen der dazu notwendigen Begriffspaare. Obwohl auch nur eine skizzenhafte Darstellung der wichtigsten Vorschläge den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würde, ist es m. E. bei einem dermaßen kontroversen und ungeklärten Konzept wie dem Topik vonnöten, auf einige relevante Punkte der einschlägigen Literatur im Hinblick auf die Terminologie und auf den mit den einzelnen Termini verknüpften begrifflichen Inhalt einzugehen, um vor deren Hintergrund die theoretische Verankerung der hier vorgeschlagenen Topik-Definition verständlich zu machen. 2.1. Die Fragen der Informationsstruktur sind in der modernen Sprachwissenschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts diskutiert worden, seit der Erscheinung von Weils Monographie 1844, in der das von der altgriechischen Philosophie ererbte Problem der Parallelität zwischen der grammatischen und inhaltlichen Gliederung des Satzes erkannt und die Unterscheidung von "syntactic march" und "march of ideas" vorgeschlagen wurde. Der inhaltliche Aspekt der Subjekt-Prädikat-Dichotomie wurde im vorigen Jahrhundert aus der psychologischen Perspektive durch die Bezugnahme auf Begriffe wie "psychologisches Subjekt" und "psychologisches Prädikat" problematisiert (vgl. von der Gabelentz 1891, Paul 1970). Die Diskussion ist seit Ammanns Analyse (1928) dadurch nuanciert worden, daß der Vorrang unter den kommunikativ wichtigen Faktoren nicht dem im Bewußtsein des Sprechenden sich vollziehenden Vorgangs, d.h. der psychologischen Motivation, gegeben wurde, sondern dem interaktiven Charakter des Kommunikationsprozesses, der den Hörer nachdrücklich einbezieht. Der Wechsel der Perspektive spiegelt sich terminologisch in den von Ammann geprägten Termini "Thema" vs. "Rhema" wider, die "den Gegenstand der Mitteilung" vs. "das Neue, das, was ich dem Hörer über das Thema zu sagen habe" (Ammann 1928:3) bezeichnen sollten. Die Problematik bezüglich der auf diese Weise implizierten Doppelfunktion des Themas als Gegenstand der Mitteilung und gleichzeitig auch Gegenstück zum "Neuen" wurde lange nicht erkannt, wovon zahlreiche Analysen der funktionalen Satzperspektive (Mathesius 1975) innerhalb der Prager Schule zeugen. In der Analyse der Thema-Rhema-Gliederung und ihrer sprachlichen Manifestation wurde allerdings von den Prager Funktionalisten dem Kriterium der Kontextgebundenheit die zentrale Bedeutung zugeschrieben. Teils aufgrund der Vagheit dieses Kriteriums, teils aufgrund theoretischer Überlegungen kam man zu der Einsicht, daß dieses Kriterium allein unzulänglich ist und keineswegs alle informationsstrukturellen Aspekte erfassen kann. Der Vorschlag, daß zwei Begriffspaare in der Gliederung der Äußerung voneinander abgehoben werden sollen, wurde ursprünglich außerhalb des Prager Kreises, von Halliday (1967, 1970), gemacht. Er trennt die beiden voneinander unabhängigen, jedoch interagierenden Aspekte der textuellen Organisation, "the thematic structure" und "the information structure", die jeweils unterschiedliche Funktionen erfüllen und sich dabei verschiedener Ausdrucksmittel bedienen.2

Hallidays Vorschlag ist vergleichbar mit der von Sasse (1987) vorgeschlagenen Distinktion zwischen "communication perspective" (dem satzinternen Aspekt) und "information structure" (dem textuellen Aspekt).

159

Thema und Rhema als Elemente der thematischen Struktur beziehen sich nach Halliday auf die kontextunabhängige Gliederung innerhalb des Satzes, während die "given-new"-Distinktion der satzexternen, kontextuellen Abhängigkeit der Äußerung Rechnung trägt: "[...] while 'given' means 'what you are talking about' (or 'what I was talking about before'), 'theme' means 'what I am talking about' (or 'what I am talking about now') [...] The information systems, in other words, specify a structural unit and structure it in such a way as to relate it to the proceeding discourse; whereas thematization takes a unit of sentence structure, the clause, and structures it in a way that is independent of what has gone before." (Halliday 1967:212) In be zu g auf die grammatischen Formmittel unterscheiden sich die beiden Systeme folgendermaßen: Während die Aufteilung des Satzes in gegebene und neue Elemente seine Akzentverhältnisse, die Bildung von sog. "tone groups" und damit korrelierenden "information units" weitgehend beeinflußt, ist die enge Beziehung zwischen der "theme-rheme"Struktur und der Satzgliedfolge relevant. "Theme" als Ausgangspunkt der Mitteilung ist demnach in Hallidays Modell positionell, an die erste Stelle des Satzes gebunden, und wird "the peg on which the sentence is hung" (Halliday 1970:161) bzw. "the point of departure for the clause as a message" (Halliday 1967:212) genannt. An der Idee der Distinktion zwischen dem satzbezogenen und kontextbezogenen Aspekt der Gliederung ist in der späteren Forschung von zahlreichen Linguisten festgehalten worden. Um die beiden Typen der informationsstrukturellen Gliederung auch terminologisch unterscheiden zu können, hat sich ein von den auf den Bekanntheitsaspekt bezogenen "ThemaRhema"-Bezeichnungen abweichendes Begriffspaar eingebürgert. Einige Linguisten innerhalb der funktional orientierten Linguistik haben sich der seit Hockett (1958) bekannten Termini "Topik-Kommentar" für die Bezeichnung der satzinternen Strukturierung bedient, die sie den auf den Bekanntheitsaspekt bezogenen "given-new"-, "Thema-Rhema"- oder gegebenenfalls "Topik-Fokus"-Termini gegenüberstell ten. 3 2.2. Die Gegenüberstellung von Topik - der Kategorie des Worüber im Halliday sehen Sinne - und Thema wurde in den angelsächsischen Untersuchungen der 70er und 80er Jahre aus einer völlig neuen Perspektive aufgegriffen. In der von Dik (1978) entwickelten, sich in ihrer funktionalen Orientiertheit weitgehend auf die Prager Linguistik stützenden "Functional Grammar" (FG) ging man von der Annahme aus, daß der Topik-Begriff als Bestandteil einer pragmatischen Relation zu beschreiben ist, die nicht auf außerhalb dieser Relation liegende Kriterien zurückzuführen ist, sondern eher als ein linguistisches Primitivum aufgefaßt werden soll. Die Modifizierung dieser Theorie unter dem Einfluß der "Relational Grammar", die sich vor allem in der Betonung des "primitiven" und nicht "derivativen" Charakters der grundlegenden Relationen niederschlug, führte dazu, daß der früher so entscheidende Faktor der Die Termini zur Unterscheidung des satzbezogenen und des textbezogenen Aspekts der Informationsstruktur werden allerdings nicht von allen Linguisten auf diese Weise verwendet. Zu abweichenden Vorschlägen vgl. Halüday (1967), Kiefer (1977,1978).

160

Kontextgebundenheit als Definitionskriterium der pragmatischen Gliederung seine Bedeutung völlig verlor. Als Grundlage einer weiteren Differenzierung der pragmatischen Funktionen diente das Verhältnis zum Kern der Prädikation, "predication proper". Die TopikFunktion wurde in zwei Kategorien aufgespalten (vgl. de Groot 1981): (i) das "theme", das den Bezugsrahmen der Prädikation spezifiziert und dementsprechend auch außerhalb der Prädikation steht; (ii) das "topic", das das Aboutness-Verhältnis in der Prädikation zum Ausdruck bringt, was dann strukturell an seiner satzintemen Position zu erkennen ist. Dementsprechend sei dann der Ausdruck Paris in Satz (10) als satzexternes "theme" zu analysieren, während den Phrasen the Eiffel Tower in (10) und that man in (11) die satzinterne "topic"-Funktion zugeschrieben werden könne: (10) As for Paris, the Eiffel Tower is really spectacular. (11) That man I like.

(de Groot 1981) (Hoekstra 1981)

Durch diese neue Klassifizierung von pragmatischen Funktionen und die Bezugnahme auf die strukturelle Variation der einschlägigen Ausdrucksmittel ist auch das Problem der Komplexität der Topikalität angeschnitten worden. Daß die Frage der Verträglichkeit der Diskursfunktion des Topiks mit verschiedenen "Subfunktionen" bzw. die ihrer Ausdrucksmöglichkeit durch in verschiedenem Grade - syntaktisch und intonatorisch markierte Konstruktionen ihre Aktualität nicht verlor, zeigen auch die neuesten Untersuchungen zum Topik.4 Allerdings besteht keine Einigkeit darüber, welche syntaktischen Alternativen, Akzentuierungsmöglichkeiten und Interpretationen sich in den Topik-Begriff integrieren lassen. Das alte Dilemma, ob Topikalität auf die unmarkierten, unbetonten satzinitialen Subjekte^ bzw. auf einen Bezugsrahmen enthaltende Ausdrücke*» einzuschränken sei oder ob sie auch die akzentuierten, fokussierten Glieder - mit nicht selten einem kontrastierenden Effekt einhergehend ("emphatic topicalization"?, "focus of contrast"8) - umfassen sollte, bleibt so lange ungelöst, bis eine zufriedenstellende Analyse der Topik-Fokus-Relation vorliegt. 2.3. Wichtige Voraussetzungen für die differenzierte Darstellung der Möglichkeiten und Grenzen des Topik-Fokus-Verhältnisses sind in der modernen, strukturell orientierten Grammatik-Theorie geschaffen worden. Statt der ursprünglichen Fragestellung in der Generativen Grammatik (vgl. Hockett 1958, Chomsky 1965) - wobei für die Trennung der Topik-Kommentar-Gliederung von der syntaktischen Subjekt-Prädikat-Dichotomie und die Bindung des Topiks an die linksperiphere Position in der Oberflächenstruktur des Satzes argumentiert 4

Vgl. dazu Gundel (1985), Prince (1985), Hannay (1991), Prince/Ward (1991), Virtanen (1992) bzw. die in Linguistics (1992) erschienenen Arbeiten von Givon, Cadiot, Vasconcellos, Lötscher.

5

Vgl. Chafe (1976): "real topics".

6

Vgl. Chafe (1976): "topics, Chinese style".

7

Vgl. Dahl (1974).

8

Vgl. auch Chafe (1976): "topics, English style", Refer (1989): "kontrastives Thema", Kenesei (1989): "Kontrafokus".

161 wurde - bildet in der heutigen Theorie die Analyse der unterschiedlichen grammatischen Bedingungen der TKG Gegenstand der Untersuchung. Zu diesen Bedingungen werden nicht nur relevante semantische Faktoren, sondern - durch die Einführung eines abstrakten FokusMerkmals in die syntaktische Komponente - auch die Gegebenheiten der Fokusstruktur gerechnet. Obwohl in der neuerdings geführten Diskussion über den sog. "iberischen" vs. "kategorischen" Charakter der Sätze - bei denen es sich um synomyme Bezeichnungen für die Durchführung der TKG (vgl. "kategorisch") bzw. für ihre Unterlassung (vgl. "thetisch") handelt9 - vor allem die dieser Opposition zugrundeliegenden Strukturen beachtet werden, wird betont (vgl. Sasse 1987, Jacobs 1992a), daß die Entscheidung fUr die jeweilige Alternative eine grundsätzlich pragmatische Angelegenheit ist. Durch die Gegenüberstellung von thetisch-kategorisch wird in den Sprachen die Möglichkeit gesichert, entweder einen Sachverhalt über einen Aktanten "prädizierend", d.h. als eine zweigliedrige informatorische Struktur, zu präsentieren oder aber ein Faktum (ein Ding oder ein Ereignis) als Ganzes, in seiner Globalität eingliedrig, "feststellend", darzustellen. Vgl.: (12) The CAT is MIAOWing. (13) The CAT is miaowing.

(kategorisch) (thetisch)

(Sasse 1987) (ebenda)

Entscheidend für unsere Problemstellung ist jedoch, daß bei der Wahl zwischen den beiden Alternativen nicht die ebenfalls von kontextuellen Faktoren abhängige Realisierung der Fokus-Hintergrund-Gliederung ausschlaggebend ist. Festgelegt wird die Fokusstruktur nach der herkömmlichen Methode, durch den Fragetest10, mit dessen Hilfe die Einbettungsmöglichkeiten der Sätze in unterschiedliche Kontexte überprüft werden können. Zum Fokusbereich gehören nur diejenigen Elemente eines Antwortsatzes, die erfragt werden, während bereits spezifizierte Teile und Sachverhalte der Frage den Hintergrund bilden. Daß beide oben angeführten Beispielsätze (12) und (13) als eine adäquate Antwort auf die Frage Was stört dich? fungieren und demzufolge mit einem sich auf den Gesamtsatz erstreckenden Fokusbereich auftreten können, legt die Vermutung nahe, daß die jeweils realisierte Alternative keineswegs auf die FHG zurückzuführen ist. Während sich die neuesten Arbeiten zu dieser Frage auf die strukturellen, semantischen und pragmatischen Voraussetzungen der Thetizität konzentrieren (vgl. Drubig 1992, Winkler 1991a), wird die nachfolgende Diskussion aus der Perspektive der Topik-Kommentar-Gliederung geführt. Die Beobachtung, daß die TKG nicht (bzw. nicht direkt) aus Fokusstrukturen ableitbar ist, läßt darauf schließen, daß man die Topik-FokusRelation nicht auf eine bisher angenommene einfache Dichotomic reduzieren kann, sondern daß mit bestimmten Überlappungen, aber auch mit wesentlichen Einschränkungen gerechnet werden muß. Bei den Bedingungen, die die Durchführung oder Unterlassung der TKG

9

Es ist allerdings wichtig, darauf hinzuweisen, daß sich die beiden Oppositionen nur teilweise überlappen, da es auch kategorische Sätze ohne TKG geben kann (vgl. Sasse 1987).

10

Der Fragetest wird auf H. Paul (1970) zurückgeführt, von ihm wird er allerdings zur Lokalisierung des psychologischen Prädikats verwendet. Die Prager Linguistik zog diesen Test zur Trennung des Rhemas vom Thema heran, mit der die in den jüngsten Fokustheorien zum Testen des Fokus verwendete Methode weitgehend übereinstimmt.

162

motivieren, handelt es sich vermutlich um ein komplexes Faktorenbündel, welches die Bezugnahme auf unterschiedliche Aspekte der Grammatik und Pragmatik erfordert.

3.

Zur Pragmatik des Topiks

Obwohl viele der für die Topik-Kommentar-Gliederung relevanten Faktoren in der einschlägigen Literatur angesprochen wurden, ist die Forschung eine konsistente Analyse der Topikalität schuldig geblieben. Die topikbezüglichen Beobachtungen können aber erst dann theoretisch erklärt werden, wenn ein kohärentes System der Informationsstruktur entwickelt wird. In Frage kommt hier der von Motsch/Reis/Rosengren (1990) vorgeschlagene theoretische Rahmen, in dem dafür argumentiert wird, daß Grammatik und Pragmatik autonome und zugleich interdependente Module (bzw. Systeme von Modulen) bilden. Grammatik und Pragmatik sind insoweit als eigenständige sprachliche Kenntnissysteme zu betrachten, als sich ihre Gesetzmäßigkeiten nicht voneinander ableiten und aufeinander reduzieren lassen. Durch die Bezugnahme auf ihre Interdependenz kann jedoch dem Faktum Rechnung getragen werden, daß pragmatische Funktionen nur durch die Verwendung formaler Ausdrucksmittel realisierbar, grammatische Strukturen nur als pragmatische Kategorien aktualisierbar sind. Zur theoretischen Klärung der Topikalität innerhalb dieses Rahmens ist es demnach erforderlich, den Begriff in einem bestimmten Bereich "festzunageln" und seine Modulzugehörigkeit innerhalb des formalen oder funktionalen Moduls zu bestimmen. Dies setzt natürlich voraus, daß eine der obengenannten, in der Literatur bereits diskutierten Eigenschaften als "Basiseigenschaft" ausgewählt wird, eine Eigenschaft, die universell, d.h. in allen Sprachen mehr oder weniger identifizierbar ist. Eine nuancierte Diskussion der Topikalität erfordert jedoch - unter Beachtung des interdependenten Charakters der Module und Submodule -, daß auch die in anderen (Sub)modulen feststellbaren Korrelate systematisiert und modelliert werden. 3.1. Ein Definitionsvorschlag Im folgenden schließe ich mich an diejenige Auffassung innerhalb der Forschung an, derzufolge das Topik als tine pragmatische Kategorie zu definieren ist.11 Bei dieser funktional orientierten Sehweise wird die Aussage nach dem Mitteilungsaspekt aufgeteilt in: (i) das, worüber etwas gesagt wird; (ii) das, was darüber ausgesagt wird. Um den Status des Topiks im linguistischen System präzisieren zu können, ist es notwendig, die Relation des auf die oben angegebene Weise definierten Konzeptes zu anderen prag-

11

In da vorliegenden Darstellung geht es um "sentence-topics", die von "discourse-topics" zu unterscheiden sind (vgl. Reinhan 1982).

163 matischen Aspekten und strukturellen Merkmalen, die mit ihm assoziiert werden, zu bestimmen: (i) Das Topik ist eine universell vorhandene funktionale Kategorie, mit zum Teil sprachspezifisch variierenden grammatischen - syntaktischen, phonologischen, semantischen Korrelaten. Der Beitrag der verschiedenen grammatischen Mittel zur Kennzeichnung der Topikalität ist allerdings weiter zu differenzieren: Es lassen sich einerseits sprachübergreifend gültige Regularitäten hinsichtlich der Relation zwischen Topikalität und sprachlichen Strukturen feststellen, die darauf hindeuten, daß bestimmte Korrelate für die Kennzeichnung der Topik-Funktion obligatorisch sind. Bei zahlreichen strukturellen Merkmalen liegt allerdings eine große Variationsmöglichkeit vor und in bezug auf diese kann nur "Optionalität" angenommen werden. Unten wird für die Relevanz der positioneilen Festlegung des Topiks argumentiert, wobei jedoch betont wird, daß Satzinitialität nicht automatisch die Topikalität im funktionalen Sinne garantiert. (ii) Trotz seiner Bindung an die formalen Ausdrucksmöglichkeiten ist das Topik nämlich grundsätzlich ein pragmatisches Konzept, präziser formuliert: eine Kategorie einer eigenständigen Ebene innerhalb der Pragmatik. Das Topik ist eine der Komponenten der im pragmatischen Sinne gedeuteten Prädikation, wobei es sich um eine satzinterne Relation zwischen Satzgegenstand und Satzaussage handelt (vgl. Reinhart 1982: "pragmatic assertion")· Bestimmte Aspekte der Topikalität sind allerdings - trotz des satzbezogenen Charakters des Phänomens - nur durch den Bezug auf einen größeren Diskurszusammenhang zu klären. Bei der Abgrenzung, Identifikation und Typologie des Topiks sind sein aus der Literatur bekanntes funktionales Korrelat (das aufgrund der Kontextgebundenheit definierte Thema) und seine komplementäre funktionale Kategorie (der den Kern der Prädikation enthaltende Fokus) von Belang. Es ist allerdings zu betonen, daß das Topik keineswegs einen der Gegenpole innerhalb einer eindimensionalen informationsstrukturellen Dichotomic darstellt. Seine Verflechtung mit anderen kommunikativ relevanten Kategorien ist äußerst kompliziert und kann nur in einem theoretischen Rahmen beschrieben werden, der auf mehrere pragmatische Ebenen rekumert. 3.2. Das Diskursmodell Bei der Argumentation für die linguistische Relevanz des Topiks hat man sich in der Literatur teils auf sprachliche Strukturen berufen, teils Methoden zum Testen dieser auf einer tiefen Intuition beruhenden Kategorie des Worüber entwickelt.12 Es kann sich jedoch nur um operationalisierende Tests handeln, solange die sprachlichen Regularitäten nicht in eine grammatische Theorie eingebaut sind. Die Etablierung einer eigenständigen Topik-Kommentar-Ebene, seine Abgrenzung von anderen kommunikativ relevanten Gliederungen bzw. grammatisch definierbaren Strukturen ist nur innerhalb eines deduktiven theoretischen Modells möglich. Hierbei kann das Bühlersche Organonmodell (1934) als Ausgangspunkt dienen. Es ist das er12

Vgl. Kuno (1972), Sgall et al. (1973). Gundel (1977), Reinhart (1982).

164

ste durchdachte pragmatische Modell, das zwischen drei Funktionen des sprachlichen Zeichens unterscheidet. Diese greifen laut Bühler auf die drei "Relationsfundamente" in der Kommunikation zurück: 1. "einer", 2. "dem anderen", 3. "über die Dinge" (Bühler 1934:24). In bezug auf die Gegenstände und Sachverhalte läßt sich die Funktion der Darstellung, hinsichtlich des Empfängers die Funktion des Appells und unter Einbeziehung des SenderAspekts die Funktion des Ausdruckes feststellen. In Anlehung an Bühler werden - auf verschiedene Aspekte der Kommunikation rekurrierend - drei Ebenen der kommunikativen Strukturierung unterschieden: 1) Auf der sachbezogenen Ebene der "Darstellung" wird die Gliederung der Äußerung in das Topik und den darauf bezogenen pragmatischen Kommentar vorgenommen. 2) Auf der empfängerbezogenen Ebene des "Appells" wird der Kenntnisgrad des Adressaten und das damit zusammenhängende Kriterium "bekannt" vs. "neu" der Strukturierung zugrundegelegt. Die relevanten Konzepte dieser Ebene sind die von den Funktionalisten verwendeten, gerade an dieses Kriterium gebundenen Thema und Rhema. 3) Auf der senderbezogenen Ebene des "Ausdruckes" wird die Abgrenzung der Bereiche des Hintergrunds und des Fokus aufgrund der vom Sender entschiedenen "Relevanz" durchgeführt, die vom Kenntnisgrad des Adressaten relativ unabhängig ist. Das Modell kann schematisch folgendermaßen dargestellt werden: (14) 1. Darstellung:

->

TOPIK



KOMMENTAR (TKG)

2. Empfänger:

->

THEMA



RHEMA

(TRG)

3. Sender:

->

HINTERGRUND —

FOKUS

(FHG)

Für die Unterscheidung der drei Ebenen sprechen auch bestimmte sprachliche Daten. Wie von Halliday (1967, s.o.) hervorgehoben wurde, korrelieren die verschiedenen Aspekte der textuellen Organisation mit unterschiedlichen Formmitteln. Aus der umgekehrten Perspektive können wir auch sehen, daß bestimmte grammatische Strukturen nur durch die Bezugnahme auf einen der oben spezifizierten Aspekte der Mitteilung zu erklären sind. Bezüglich der TKG wurden bereits morphologische, lexikalische und syntaktische Merkmale und Strukturen angeführt, deren Funktion in dem Ausdruck der Kategorie des Worüber besteht. Auf die Gesetzmäßigkeiten der Denk- und Kommunikationsstrategien rekurrierend, wird in der einschlägigen Literatur weiterhin die Relevanz der Satzinitialität für das Topik erörtert. Die Opposition der vollwertigen Formen, d.h. Nomina und Verben, gegenüber den Proformen ist auf den Thema-Rhema-Charakter der Elemente zurückzuführen; die Thematizität bewirkt weiterhin in einem hohen Grad auch andere Variationen des Determinationsgrades, die durch das pronominale System und das Artikelsystem gekennzeichnet werden. Hinsichtlich der FokusHintergrund-Gliederung sind die intonatorischen Faktoren die zuverlässigsten formalen Mittel, wobei jedoch das komplizierte Verhältnis zwischen Prominenz und Fokusinterpretation zu beachten ist Ein wesentliches Merkmal der kommunikativen Strukturierung ist allerdings, daß die Gliederung aufgrund der für die einzelnen Ebenen relevanten Kriterien nur in prototypischen

165 Fällen durchzuführen ist. Auf jeder pragmatischen Ebene muß die zweifache Anforderung in der Kommunikation, der Kohärenz und der Informativität, in bestmöglicher Weise erfüllt werden.13 Obligatorisch ist aber nur das Glied auf jeder Ebene, das die Informativität der Äußerung sichert. In diesem Zusammenhang sind besonders die diskursinitialen Sätze aufschlußreich, weil für sie bezeichnend ist, daß sie weder über ein Thema noch über einen Hintergrund verfügen, da sie sowohl für den Empfänger als auch aus der Perspektive des Senders lauter informative, d.h. neue und relevante Elemente enthalten. Wie ich zu zeigen versuchen werde, besitzen diese Sätze jedoch nicht selten ein Topik, d.h. einen Gegenstand, auf den die Prädikation zu beziehen ist. Wenn sie es nicht tun, ist dies nicht als Konsequenz ihrer Diskursinitialität, sondern als Folge anderer formaler und pragmatischer Besonderheiten zu betrachten. Es wird weiterhin angenommen, daß die Gliederung auf den unterschiedlichen Ebenen nicht nur nicht zwangsläufig ist, sondern auch nicht notwendigerweise parallel verlaufen muß. Die Möglichkeiten der Divergenz zwischen den einzelnen Ebenen sind vielfältig, ihren Kombinationen sind jedoch Grenzen gesetzt. Obwohl es sich bei der TKG, der TRG und der FHG um autonome Ebenen der Informationsstrukturierung handelt, sind diese einerseits in einer bestimmten Mitteilungssituation interagierend, andererseits auch hierarchisch geordnet. Der Sender steuert die Mitteilung, die senderbezogene Ebene entscheidet letzten Endes darüber, ob das Topik realisiert werden kann bzw. welche thematischen Glieder dem Hintergrund zugeordnet und welche als Fokus interpretiert werden sollen. Die Möglichkeiten der Kooperation und der Divergenz der einzelnen pragmatischen Ebenen - die Diskussion bestimmter pragmatischer Restriktionen Inbegriffen - können deshalb nur unter gleichzeitiger Beachtung der relativen Unabhängigkeit der Ebenen und ihrer Hierarchie innerhalb des informationsstrukturellen Systems angegeben werden. 3.3.

TKG vs. FHG: Zum Topik-Fokus-Verhältnis

Die zentralen Aufgaben in bezug auf das Topik sind zweifelsohne die Rechtfertigung der linguistischen Relevanz dieses Begriffes und die Analyse der Relation zwischen der TKG und der FHG. TKG und FHG werden im folgenden als relevante pragmatische Gliederungen der Äußerung verstanden, der Annahme der modernen Sprachtheorie scheinbar widersprechend, wonach Fokus als eine inhärent grammatische - syntaktische oder semantische - Angelegenheit im Rahmen der Grammatik zu behandeln ist. Die grammatische Relevanz von pragmatischen Phänomenen wie Topik und Fokus wird aber durch diese Vorgehensweise keineswegs in Abrede gestellt (s.u. Abschnitt 4.).14 Es wird lediglich darauf hingewiesen, daß die Analyse der komplexen innerpragmatischen Relationen nicht nur für eine Klärung der kontrover13

Vgl. dazu auch Strawsons (1971) zwei Prinzipien: 1) Principle of presumption of knowledge; 2) Principle of relevance.

14

Die grammalische FHG und die pragmatische FHG werden demnach in diesem Ansatz auseinandergehalten. Obwohl eine weitgehende Korrelation zwischen ihnen anzunehmen ist, fallen sie nicht immer zusammen, weil die Realisierung der grammatisch bedingten Fokusstruktur auch von kontextuellen Gegebenheiten abhängt.

166

sen pragmatischen Aspekte von Fokussierung und Topikalität die Grundlage bildet, sondern auch zur Klärung gewisser Probleme der Fokus- und Topik-Grammatik beitragen kann. Bezüglich des Topik-Fokus-Verhältnisses werden folgende Hypothesen aufgestellt: (i) Topik und Fokus nehmen auf verschiedene Aspekte der Informationsstruktur Bezug. Die TKG ist nicht aus der FHG ableitbar, sie bildet eine eigenständige Gliederung innerhalb der Informationsstruktur. Zur Bestimmung des Topiks reicht es demnach nicht aus, auf die FHG zu rekurrieren. (ii) Topik und Fokus sind somit nicht komplementäre Kategorien. (iii) Die Kompatibilität von Topik und Fokus unterliegt jedoch bestimmten Restriktionen, die durch die Bezugnahme auf eine differenzierte FHG feststellbar sind. Die Realisierung des Topiks ist nicht obligatorisch, da sie entweder durch grammatische oder kontextuelle Gegebenheiten verhindert werden kann. 3.3.1. These (i) kann anhand folgender Beobachtungen untermauert werden: Der Beispielsatz (15), in dem die TKG durch eine entsprechende isolierende Akzentuierung (hier durch Kursive gekennzeichnet) besonders deutlich zum Ausdruck gebracht wird, kann nicht nur als Antwort auf die Frage (16) Was macht Peter? fungieren, sondern eine Frage ohne kontextuelle Spezifikation wie (17) Gibt's was Neues? beantworten. Eine Trennung des Topiks vom Kommentar ist demnach unabhängig von der jeweils kontextuell bedingten FHG - mit oder ohne Hintergrundbereich, vgl. (15') vs. (15") - durchführbar. (Topik- und Kommentar-, Hintergrund- und Fokus- bzw. die später unten zu diskutierenden Thema- und Rhema-Bereiche weiden im folgenden durch eckige Klammem angegeben, die mit entsprechenden Initialbuchstaben bzw. Buchstabenkombinationen - H, F, T, K, Th, Rh - indiziert sind.) (15) Peter besucht seinen Bruder. (16) Was macht Peter? (15') [Peter ] 7 = H [besucht seinen Bruder.]

_p

(17) Gibt's was Neues? (15") [[Peter ] T [besucht seinen Bruder.] K ] F 3 J.2. Durch die Annahme, daß TKG und FHG auf zwei unterschiedliche Aspekte des Kommunikationsprozesses Bezug nehmen und daß die Konzepte Topik und Fokus nicht auf der gleichen informationsstrukturellen Ebene figurieren, ist auch die wesentlichste theoretische Voraussetzung für die Überprüfung der These (ii) geschaffen. Dies kann allerdings erst nach einer Differenzierung der pragmatischen FHG durchgeführt werden, da die verschiedenen Typen der Fokussierung die Möglichkeiten und Grenzen der Verträglichkeit von Topik und Fokus weitgehend beeinflussen. Gegen die Hypothese, daß Topikalität und Fokussierung einander ausschließen, sprechen relevante empirische Daten. Die wichtigsten sind bestimmte Typen von diskursinitial verwendbaren Sätzen, deren informationsstrukturellen Besonderheiten nur durch die Annahme der Überlappungsmöglichkeit von Topik und Fokus Rechnung getragen werden kann. Aus

167

der mit ihrer Diskursinitialität korrelierenden, den Gesamtsatz umfassenden Fokusdomäne folgt natürlich (testbar durch Fragen wie (18)), daß auch das Topik-Glied als ein zum Fokusbereich des Satzes gehöriges Element zu betrachten ist: (18) Steht was Neues in der Zeitung? (19)

[[Politisch Verfolgte ]

[genießen Asylrecht] K ] p (Der Spkgel, 30. November 1992, S. 89)

(20) [[In Bayern] p ] j [[werden jetzt auch studentische Hilfskräfte auf ihre politische Gesinnung hin überprüft.] p ] K (Der Spiegel, 30. November 1992, S. 12) Diese Beispiele illustrieren gleichzeitig, daß die Art und Weise, wie die TKG mit der FHG interagieren kann, auch von grammatischen Eigenschaften der Sätze (von der Gliedstellung) beeinflußt wird. Die TKG kann wie in (19) in die FHG "eingebettet" sein; in diesen Fällen ist, worauf in der Literatur hingewiesen wird (Drubig 1991, Uhmann 1991, Winkler 1991a), die Bildung einer zusätzlichen Akzentdomäne zur Abgrenzung des Topiks optional. Die intonatorische Prominenz des kontextuell neue Elemente ausdrückenden Topiks und die markierte Trennung des Topiks vom Kommentar sind dagegen bei der Abweichung von der grammatischen Grundabfolge und der daraus resultierenden "Getrenntheit" des Fokusbereichs obligatorisch, vgl. (20). Sätze mit dem Topik im Fokusbereich - insbesondere die intonatorisch markierten Varianten - haben demnach die relevante theoretische Implikation, daß Topikalität und Fokussierung gemeinsam auftreten können. Der in der Literatur angenommenen oder unterstellten Komplementarität von Topik und Fokus widersprechen aber auch die zahlreichen anderen Fälle, wo, in einen Kontext eingebettet, bestimmte Teile des Satzes den Hintergrund bilden. Im Hinblick auf die hier relevante Fragestellung sind unter den Sätzen mit sowohl einem Hintergrund- als auch einem Fokusbereich besonders diejenigen Fälle von Interesse, in denen die Gliederung des Satzes in Topik-Kommentar bzw. Hintergrund-Fokus nicht parallel verläuft, und das Topik (2l1) oder ein Teil des Topiks (22*) nicht zum Hintergrund-, sondern zum Fokusbereich gehört (Fokusgipfel werden durch Versalien gekennzeichnet):15 (21) Was ist das für eine Demonstration? (2 ) [[UMweltschützer]F]T [[demonstrieren ]H [gegen den BRÜCKenbau.]p ]K (22) Kennst du alle drei Schwestern von Peter? (22') [Nur seiner [JÜNGsten]p Schwester ] j

[[bin ich auf einer PARty begegneL]p ]

3.3.3. Obwohl die bisherigen Beispiele den Schluß nahelegen, daß Topik und Fokus bei der funktionalen Gliederung des Satzes relativ unabhängig voneinander operieren und daß sich die von ihnen festgelegten Bereiche decken können, gilt die Hypothese der Kompatibilität dieser Begriffe jedoch nicht absolut. Es gibt nämlich wesentliche fokusstrukturelle Voraussetzungen dafür, daß ein fokussiertes und gegebenenfalls auch intonatorisch prominentes 15

Vgl. auch Jacobs (1984), Krifka (1992).

168 Element gleichzeitig auch als Topik fungieren kann.16 Für sämtliche Beispielsätze, die bisher zur Begründung der Kompatibilität von Topik und Fokus angeführt wurden, ist bezeichnend, daß die Fokuskonstituente, die auch den Gegenstand der Prädikation bildet, nicht das einzige fokussierte Glied des Satzes ist. Sie ist entweder in einen größeren Fokusbereich integriert oder tritt in einer mehrteiligen Fokusstruktur auf - in dem letzteren Falle mit einem obligatorischen zusätzlichen Akzent, innerhalb einer eigenen Akzentdomäne. Hingegen verletzen allein und minimal fokussierte Konstituenten am Satzanfang - die den "Satzfokus" bilden und den "Satzakzent" ("nuklearen Akzent") tragen - die fokusstrukturellen Bedingungen der Topikalität: In den Sätzen nämlich, wo der Sprecher nicht der unmarkierten, kognitiv am leichtesten zu verarbeitenden Strategie folgt - durch das Fortschreiten vom Bekannten zum Neuen -, und der informative Teil der Aussage auf den Satzanfang beschränkt ist17, kann das topikalisierte Glied nicht gleichzeitig die Aussage begründen und darüber etwas aussagen. Die "einzig minimale", auf die satzinitiale Konstituente beschränkte Fokussierung ist folglich mit der Topik-Kommentar-Gliederung nicht verträglich bzw. die Topikalität des im syntaktischen Sinne "topikalisierten" Elements wird trotz der Erfüllung wesentlicher syntaktischstruktureller Topik-Bedingungen ausgeschlossen: (23) Wen besucht Peter in Bonn? (23') [Seinen BRUder] p [besucht er.] H Für die Komplementarität von Topik und Fokus wird auch in der Literatur hauptsächlich anhand derjenigen Fälle argumentiert, in denen das topikalisierte Glied nur eine einzige minimale Fokuslesart zuläßt. Das einzige minimale Fokusglied wird mit Hilfe von Topik-Tests (Frage bzw. Paraphrase) in bezug auf die Möglichkeit seiner Topikalität überprüft und das Topik mit Fokus-Tests (die einen minimalen Fokus signalisierende Intonation bzw. cleft-construction) kontrolliert. Diese Tests liefern Evidenz dafür, daß das Topik mit einer gleichzeitigen Fokuslesart unverträglich ist, da sich Topiks nicht minimal fokussieren lassen (25), und minimale Foki nicht in den den Topik-Charakter eindeutig zeigenden Linksversetzungskonstruktionen auftreten können (26). Vgl. Gundel (1977:32; in ihrer Notation wird Fokussierung durch Unterstreichung signalisiert): (24) What about Archie? (25) a. * Archie rejected the proposal. b. *It was Archie who rejected the proposal. (26) b. *Concerning Archie, he rejected the proposal. c. *About Archie, it was he who rejected the proposal. Der entscheidende Faktor, der bei der Auswertung dieser Tests beachtet werden muß, ist wohl, daß das Topik-Fokus-Verhältnis nur in bezug auf den einzigen minimalen Fokus des 16

"Fokusstrukturell" ist hier allerdings im pragmatischen Sinne gemeint: Es hebt auf die Unterscheidung von minimaler Fokussierung, von einer sich über den ganzen Satz erstreckenden Fokussierung und von mehrfacher Fokussierung ab.

17

Vgl. Ammann (1928): "Mit-der-TUr-ins-Haus-Fallen", Behaghel (1932): "Bedarfsstellung", Hannay (1991): "Reactive Mode".

169

Satzes überprüft worden ist. Daraus zu schließen, daß Fokussierung bzw. (ein "kontrastiver") Akzent automatisch zur Aufhebung des Topik-Charakters führe (vgl. Chafe 1976, E. Kiss 1987, Kenesei 1989), ist jedoch weder empirisch haltbar18 noch theoretisch erforderlich. Die getesteten Fälle deuten lediglich darauf hin, daß bezüglich der Verträglichkeit von Topik und Fokus tatsächlich bestimmte Restriktionen gelten und die Fokusrestriktion des Topiks nicht ohne weiteres aufgegeben werden darf.19 33.4. Die vorläufige Bilanz im Hinblick auf die informationsstrukturellen Verhältnisse ergibt, daß durch die Differenzierung der Fokussierung eine adäquatere Einschätzung der Topik-Fokus-Relation erzielt werden kann. Es liegen zahlreiche Konstruktionen vor, in denen fokustheoretisch eine Art "Intersektion von Topik und Fokus" (vgl. Whitney 1984, Drubig 1991, auch Jacobs 1984) anzunehmen ist. Durch die Zuordnung der Konzepte Topik und Fokus zu unterschiedlichen, autonomen Ebenen der Informationsstruktur kann ihr Zusammenfallen theoretisch begründet werden, ohne zu "empirisch defiziten Theorien der funktionalen Satzperspektive" (vgl. Jacobs 1984:47) zu führen. Aufgrund der hierarchischen Ordnung der Ebenen innerhalb der Informationsstruktur, der zwischen ihnen bestehenden engen Beziehungen und der Dominanz des senderbezogenen Hintergrund-Fokus-Aspekts wird gleichzeitig verständlich, warum der Fokuscharakter in bestimmten Fällen die Topikalität überspielen kann. Vor diesem theoretischen Hintergrund halte ich es für berechtigt, die in der Literatur vorgeschlagene Fokusrestriktion des Topiks beizubehalten, diese jedoch nicht als eine einfache Komplementarität zwischen Topik und Fokus zu definieren, sondern die Fokusrestriktion auf den einzigen minimalen Fokus des Satzes (auf den sog. "Satzfokus") zu beschränkend

3.4. TKG vs. FHG und TRG: Zur Komplexität des Topik-Begriffes Obwohl die Analyse des Topik-Fokus-Verhältnisses auf die Komplexität des Topik-Begriffes schließen läßt, sind damit nicht alle funktionalen Aspekte der Topikalität erschöpft. Um dem breiten Spektrum der mit dem Topik verträglichen Subfunktionen und der Variation der diese widerspiegelnden grammatischen Ausdrucksmittel Rechnung tragen zu können, soll auf die 18

Der Topik-Marker "wa" wird im Japanischen u.a. bei kontrastiven Topiks verwendet. Vgl. Kuno (1972).

19

Außer der auf diese Weise modifizierten Fokusrestriktion ist aber eine weitere fokusstrukturelle Einschränkung hinsichtlich der Topikalität von Belang, die jedoch nur durch die Bezugnahme auf die strukturellen Aspekte der Fokusproblematik formuliert werden kann. In den neuesten grammatisch orientierten Untersuchungen zur Fokussierung (Drubig 1991, Rosengren 1991) wird darauf hingewiesen, daß bestimmte Sprachen - z.B. das Deutsche und Englische, für deren Phrasen und Sätze sonst in unmarkierten Fällen die nach rechts verlagerte Prominenz bezeichnend ist (vgl. Chomsky/Halle 1968 zur Nuclear Stress Rule (NSR)) Strukturen mit einem linksperipheren Satzakzent gerade als eines der Mittel zur Markierung der Thetizität zur Verfügung stellen. Da thetische Sätze per defuutionem nur bei kontextueller Unspezifiziertheit des Gesamtsatzes vorkommen und daher keinen Hintergrundbereich enthalten können, ist das topikalisiene Element in die satzumfassende Fokusdomäne integriert und erfüllt die Aufgabe des "Fokusexponenten". Topikalität ist in solchen thetischen Sätzen trotz der Nicht-Minimalität der Fokussierung nicht möglich. Um bei der Angabe der topikrelevanten Einschränkungen, die mit der Beschaffenheit der Fokusstruktur in Zusammenhang stehen, auch diese Fälle beachten zu können, soll die Fokusrestriktion des Topiks dahingehend modifiziert werden, daß sie nicht nur einzige minimale Fold, sondern auch Fokusexponenten umfassen kann.

20

Bzw. auf den Fokusexponenten des Satzes, vgl. Anm. 19.

170

Relationen zwischen sämtlichen postulierten Ebenen der Informationsstruktur - aus dem Blickwinkel des Topiks - näher eingegangen werden. Im Rahmen des oben vorgeschlagenen Modells der Informationsstruktur ist außer der TKG und der FHG die Thema-Rhema-Gliederung als die dritte Ebene anzusetzen, die sich auf den Empfänger-Aspekt bezieht und von den beiden anderen Gliederungen relativ unabhängig operiert. Die Miteinbeziehung der Thema-Rhema-Ebene in die Analyse setzt allerdings die Erörterung von zwei wesentlichen theoretischen Fragen - mit nicht unbedeutenden topikbezüglichen Implikationen - voraus: Zum einen ist es vor dem Hintergrund der in der Forschung verbreiteten Ansichten unerläßlich, auf einige Aspekte der Beziehung zwischen TRG und FHG einzugehen, um die verbreitete Annahme der Identität/Parallelität zwischen diesen beiden Ebenen zu widerlegen. Zum anderen können über die Relevanz der TRG im Hinblick auf den Charakter der Topikalität erst durch die Differenzierung des "Neuheitsbegriffs" Aussagen gemacht werden. 3.4.1. Äußerst problematisch scheint in der Forschung die Trennung der TRG von der FHG zu sein. Das Fokus-Konzept wird nämlich nicht nur in den traditionellen, funktional orientierten Fokustheorien häufig aufgrund des Neuheitskriteriums festgelegt, sondern der Fokus beinhaltet auch laut zahlreichen Vertretern der Generativen Grammatik "neue", im Kontext noch nicht vorhandene Information - auf eine mit der früheren Definition des Rhemas weitgehend übereinstimmende Weise (vgl. Sgall et al. 1986, Chomsky 1971, Jackendoff 1972, Williams 1981, teilweise Selkirk 1984, Drubig 1991, Uhmann 1991). In mehreren neueren Arbeiten zur Fokusproblematik (Rochemont 1986, Heiland 1992) wird jedoch die Ansicht vertreten, daß ein mit dem syntaktischen Merkmal (+Fokus) gekennzeichnetes Element kontextabhängig unterschiedlich - thematisch (vgl. Rochemont: "c-construable") oder rhematisch (nicht "c-construable") - interpretiert werden kann. Auch Jacobs (1983, 1988) allerdings mit Rekurs auf eine "relationale" Fokuskonzeption - argumentiert für die Lösung der FHG von einem "konstanten einheitlichen Effekt", nämlich von der Zuordnung "alter" Information zum Hintergrund, und entsprechender "neuer" Information zum Fokus. Nach den oben gemachten Annahmen erfassen die beiden Begriffspaare FHG und TRG hier jedoch pragmatisch definiert - trotz der engen Beziehung der parallelen Konzepte unterschiedliche Aspekte der Mitteilungssituation. Ihre Unterscheidung kann einerseits theoretisch durch den Rekurs auf das Bühlersche Modell begründet werden; andererseits sind sie grundsätzlich mit unterschiedlichen grammatischen Subsystemen verbunden. Das regelmäßige Zusammenfallen von Thema und Hintergrund bzw. Rhema und Fokus erhält seine natürliche Erklärung, wenn man den Kommunikationsprozeß als eine vom Sender beabsichtigte und als notwendig empfundene Informierung des Empfängers betrachtet. Was dem Empfänger bekannt ist, ist in der Regel im Hinblick auf die Information weniger wichtig, sichert primär die Kohärenz und Konnektivität der aufeinanderfolgenden Äußerungen und deutet den notwendigen Hintergrund der Informationsbearbeitung an. Die für den Empfänger neuen Elemente der Information bilden dagegen - auch aus der

171

Perspektive des Senders - den "relevanten" Teil, indem gerade diese Glieder der Erweiterung des Wissensvorrates des Empfängers dienen. Unproblematische Fälle im Hinblick auf den Gleichlauf von TRG und FHG sind Antworten auf explizit formulierte Fragen, wo die Bestandteile der Frage (außer dem Fragepronomen) in der Antwort (wortwörtlich, etwas modifiziert oder anaphorisch) wiederholt als bekannte, erwähnte und deshalb thematische Glieder den Hintergrund bilden und die neue Information tragende(n) Phrase(n) den "relevanten" Teil des Satzes (Fokus) darstellt/darstellen: (27) Wo wohnt Dein Sohn? (271) [Erwohnt] Th = H [in BerLIN. ] Rh = F Diese prototypische Korrelation wird jedoch in zahlreichen Fällen gestört. Daß auch thematische Elemente als Fokus des Satzes betrachtet werden können, zeigen u.a. bestimmte FrageAntwort-Sequenzen, bei denen in der Antwort die von dem Fragepronomen eröffnete "Lücke" durch ein thematisches Element geschlossen wird, vgl. (281). Von der Gleichzeitigkeit von Thema und Fokus zeugen auch Beispiele mit "kontrastiv" fokussierten Pronomina, die ja inhärent thematisch sind, vgl. (29'): (28) Wer spielt Klavier, Peter oder Eva? (28') [PEter] jj, _ F spielt Klavier. (Wenn ich mich nicht täusche, spielt EVa GEIge.) (29) Warum hast du dich bei Eva nicht entschuldigt? (291) [SIE] Th = F hat [MICH] -^ = F beleidigt. Darauf, daß ein bekanntes Glied den Fokus des Satzes bilden, d.h. kontrastiv oder emphatisch fokussiert werden kann, wurde bereits in zahlreichen früheren, innerhalb unterschiedlicher Theorien konzipierten Auffassungen zum Fokus hingewiesen. Halliday (1967) und Chafe (1974) betonen die Freiheit des Sprechers, bei der "Verpackung", der "Präsentation" der Information, Teile der Mitteilung unabhängig von ihrem Status als "given" oder "new" fokussieren zu können. In anderen Theorien wird die Fokussierung von thematischen Elementen auf ihre neue Zuordnungsbeziehung zum Rest des Satzes zurückgeführt (vgl. Kuno 1972, Dane§ 1974, Enkvist 1979, Weigand 1979, Bätori 1981, Höhle 1982). In den jüngsten grammatisch orientierten Untersuchungen zur Fokusproblematik wird die Möglichkeit der Verbindung des Fokus mit kontextuell präsenten Elementen auf weitere Fälle übertragen. Auf der Grundlage der Selkirkschen (1984) Fokustheorie können nämlich auch nicht direkt erfragte thematische Elemente (wie Gerd in Beispiel (30-B)) in die Fokusdomäne - allerdings nur deakzentuiert - integriert werden.21 Die Fokusdefinition im Sinne der FHG wird demnach wesentlich modifiziert: FHG-Strukturen bilden nur einen in speziellen Kontexten (Frage-Antwort-Sequenzen) vorkommenden Sonderfall, und die weitere (30) bzw. die "globale Fokuslesart" (Drubig 1991) ist als Normalfall zu betrachten (der Fokusbereich wird bei Jacobs 1988 durch tief gestellte Halbklammern angedeutet):

21

Vgl. dazu auch Drubig (1991) und Winkkr (1991b). Jacobs (1988) hält diese Idee ebenfalls für plausibel.

172

(30)

A: Was tat Petra, nachdem sie den Raum betreten hatte, in dem Gerd auf sie wartete? i B: Sie l begrüßte GerdJ. (Jacobs 1988) i

Sämtliche Beispiele zur Widerlegung des Fokusinhalts als "neue Information" regen zu der Vermutung an, daß es sinnvoll wäre, den rhematischen Charakter, der nur in bezug auf den Referenten selbst - aufgrund seines "neuen" Status - feststellbar ist, von der Fokussiertheit zu trennen. An dieser Distinktion wird auch im folgenden festgehalten: Fokussierung wird als relativ unabhängig von der Neuheit - dem Thema-Rhema-Status - der Referenten betrachtet, insofern sie vor allem auf die vom Sender beabsichtigte Relevanz des Gliedes innerhalb der Aussage hinweist, was entweder mit der "Neuheit" des Gliedes selbst oder nur mit seiner "neuen" Beziehung zur Umgebung korreliert. Auf diese Weise soll die Relevanz von "Neuheit" in bezug auf den im pragmatischen Sinne definierten Fokus nicht in Abrede gestellt werden, bei der Einschätzung dieses Faktors ist jedoch folgendes zu beachten: (i) Der Fokus, d.h. das aus dem Sender-Aspekt relevante Glied, kann nicht aufgrund der aus der EmpfängerPerspektive entscheidenden "Neuheit" definiert werden, (ii) Die gesetzmäßige Korrelation des Fokus mit dem Neuheitsfaktor ist auf die Relation des jeweiligen Gliedes zum Rest der Aussage zu beschränken, Neuheit (d.h. "Rhematizität") der Entität ist nur ein präferiertes, jedoch nicht obligatorisches Korrelat. 3.4.2. Die zweite kontroverse Frage bezüglich der TRG, die wegen ihrer Topikrelevanz kurz zu diskutieren ist, ist die Definition des Neuheitsbegriffes, da der Trennung des Rhemas vom Thema in der Regel dieses Kriterium zugrundegelegt wird. Im Einklang mit der obigen Analyse wird für Rhematizität nicht nur die Neuheit der Relation im Satzzusammenhang, sondern auch die Neuheit der Entität vorausgesetzt. Daß das "Neuheitskriterium" jedoch ein vages Instrument zur Unterscheidung von "neuen" und "alten" Entitäten ist, hat sich bereits in einem ziemlich frühen Stadium der Thema-Rhema-Forschung herausgestellt. Zur Überwindung der Vagheit versuchte man auf verschiedene - textuell, situationeil, psychologisch fundierte Aspekte des Neuheitsbegriffes: Erwähntheit vs. Bekanntheit (Heidolph et al. 1981), situative Gegenwärtigkeit vs. Abwesenheit im Bewußtsein des Empfängers (Chafe 1976: "on-stage" vs. "off-stage") zu rekurrieren. Den meisten Taxonomien ist allerdings trotz aller Unterschiedlichkeit gemeinsam, daß keine klare Distinktion zwischen Thema und Rhema vorgesehen ist und durch den Hinweis auf die graduellen Übergänge eher eine Trichotomie nahegelegt wird. Zwischen den beiden Polen von völlig neuen ("brand-new", nicht "c-construable") und völlig alten ("on-stage", textuell erwähnten oder Situationen direkt gegebenen, "evoked", "directly c-construable") Elementen wird eine Zwischenkategorie - aus "indirectly c-construable", "inferrable", "already activated" aber "off-stage", "bekannten aber nicht erwähnten" Elementen bestehend - vorgeschlagen.22

22 Die Termini "directly" und "indirectly c-construable" werden von Rochemont (1986), "on-stage", "offslage" und "brand-new" von Chafe (1976), "evoked" und "inferrable" von Prince (1981) eingeführt

173

3.4.3. Bei der folgenden Analyse des Einflusses der informationsstrukturellen Begriffe Thema und Rhema, Hintergrund und Fokus auf die Topikalität, sollen diese Begriffe mit Rücksicht auf ihre unterschiedlichen Interaktionsmöglichkeiten beachtet werden. Das sich daraus ergebende äußerst komplizierte Bild vom Topik spiegelt aber die Vielfalt der empirischen Daten wider und scheint im gegebenen Rahmen auch in theoretischer Hinsicht konsistent zu sein. Wir sind m.a.W. bei der Frage angelangt, was - im pragmatischen Sinne - unter einem "prototypischen" Topik zu verstehen ist bzw. welche (Sub)funktionen mit der Topikalität verträglich sind. Werden die optimalen Voraussetzungen für die Prädikation dadurch geschaffen, daß das Topik an thematische und referentiell leicht identifizierbare Elemente gebunden ist? Oder ist das Topik prototypischerweise eher an einem "foregrounding"-Prozeß beteiligt, durch eine Fokussierung des Interesses auf den Prädikationsgegenstand? Meines Erachtens sind beide genannten Dimensionen hinsichtlich der Topikalität in funktionaler Hinsicht gleichermaßen relevant. Abhängig vom Diskurszusammenhang werden diese beiden potentiellen Aspekte auf unterschiedliche Weise aktualisiert, was die unterschiedlichen Topik-Typen - und gleichzeitig auch ihre Nicht-Austauschbarkeit - erklärt. Die sich auf die kognitive Psychologie berufenden Erwägungen (vgl. Givon 1992) unterstützen interessanterweise auch die notwendige funktionale Heterogenität des Topiks: An beide relevanten kognitiven Systeme, d.h. sowohl an "short-distance-memory" als auch an "attention" gekoppelt, korreliert Topikalität auf eine gleichermaßen natürliche Weise mit Thematizität (Givon 1992: "referential accessibility") und Relevanz (Givon 1992: "thematic importance", "relevance"). 3.4.3.1. Die Meinungen in der Literatur im Hinblick auf die funktionalen Kriterien des Topiks gehen allerdings stark auseinander. Nicht selten gilt die Bindung des Topiks an das Thema (bzw. den Hintergrund) entweder als die prototypische oder die einzig mögliche Korrelation (Mathesius 1929, Kuno 1972, Davison 1984, Gundel 1977, Hannay 1991, Cadiot 1992). Ihr regelmäßiger Gleichlauf wird zum einen durch die Analyse von authentischen Diskursen bestätigt (Keenan-Ochs/Schieffelin 1976, Duranti/Ochs 1979), zum anderen rekuniert man auf die Gesetzmäßigkeiten der kognitiven Verarbeitung der Information: Die kontextuelle Verankerung bzw. Referentialität des Ausgangspunkts wird als notwendige Voraussetzung des Verarbeitungsprozesses betrachtet (Gundel 1977, 1985, Davison 1984). Daher verwundert es nicht, daß in vielen Theorien auch bezüglich der formalen Realisierung der Topikalität gerade die für die Thematizität bezeichnenden Mittel - die hohe Frequenz von pronominalen Formen und im Hinblick auf die prosodische Kennzeichnung die Unbetontheit, "low accent" (E. Kiss 1987, Krifka 1992) - angeführt werden. Durch die Wiederaufnahme von bereits aktivierten Elementen leistet das thematische Topik zweifelsohne einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Kohärenz im Diskurszusammenhang - Thematizität und Hintergrundcharakter sind starke, wesentliche und häufige Korrelate des Topiks: (31) Was hast Du gemacht? (3l1) [Ich ] , H = Th [habe eine SCHALLplatte gekauft. ] , F = Rh

174

3.4.3.2. Eine ständig wiederkehrende Beobachtung in der linguistischen Analyse der Topikalität ist, daß das Topik nicht selten an verschiedenen Typen des "foregrounding"-Prozesses beteiligt ist, die als "marking an open proposition" (Prince 1985), "contrastiveness" (Chafe 1976), "double-duty turn" (Turner 1976) bzw. "Fokussierung" (Whitney 1984) bezeichnet werden. Zu dieser Beobachtung führte vor allem die Untersuchung topikrelevanter syntaktischer Konstruktionen - z.B. LD (left-dislocation) oder TOP (topicalization) im Englischen (Chafe 1976, Prince 1985, Ward 1985, Prince/Ward 1991) und im Deutschen (Jacobs 1984) bei denen auch Funktionen wie die Schließung einer offenen Proposition (Prince 1985) bzw. Fokussierung, Kontrastierung (Chafe 1976) als charakteristisch angesehen wurden. Diese Analysen stehen völlig im Einklang mit der oben aufgestellten Hypothese bezüglich des Topik-Fokus-Verhältnisses. Die sich durch einen starken - dem Fokusakzent im Kommentarteil an Stärke nicht unterlegenen - Akzent auszeichnenden und/oder auch strukturell unterschiedlich markierten Topiks können auf der Grundlage einer Theorie mit autonomen informationsstrukturellen Ebenen bzw. deren variablen Verbindungsmöglichkeiten nicht nur als einfach akzentuiert - mit sog. "themamarkierenden" Akzenten versehen (vgl. Jacobs 198823) -, sondern auch als fokussiert betrachtet werden. Fokussierte Topiks sind in funktionaler Hinsicht jedoch nicht einheitlich, da sie sich bei der Etablierung der Prädikationsrelation sowohl mit thematischen als auch mit rhematischen Elementen verbinden lassen. In den meisten Arbeiten wird nur diejenige Variante von fokussierten Topiks empirisch und theoretisch anerkannt, die auch mit der Thematizitätsanforderung - in ihrer stärkeren oder schwächeren Deutung (Gundel 1985: "Topic-Familiarity" vs. "Topic-Identifiability Principle") - vereinbar ist.24 Aufgrund der Analyse prosodisch und syntaktisch markierter Konstruktionen setzt sich allerdings immer mehr die Auffassung durch, daß auch die in formaler Hinsicht nicht typischerweise auf thematische Elemente bezogenen - d.h. indefinite, akzentuierte - Topiks in irgendeiner Weise kontextuell verankert sein müssen (Prince 1985, Prince/Ward 1991). Im Diskurszusammenhang erfüllen diese fokussierten thematischen Topiks von den thematischen (Hintergrund)-Topiks wesentlich abweichende Funktionen: Sie dienen häufig bei Absatzeröffnung dem Topikwechsel ("reopening", "topic shift"), durch sie können kontextuell verankerte Entitäten in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Dies setzt jedoch nur den "inferierbaren", "kontextpräsenten" Charakter des Topiks voraus, und das Topik muß nicht notwendigerweise an ein in der unmittelbaren textuellen oder Situationellen Umgebung vorhandenes Element gekoppelt sein. Die Fokussierung von thematischen Topiks - dabei sind beide Varianten der Thematizität gemeint - ist nicht selten auch mit einem kontrastierenden 23

Jacobs versteht unter "themamarkierenden" Akzenten die Akzente, die nach der Terminologie dieser Arbeit der Markierung der Topikalität dienen. Vgl. Jacobs (1988:115): "Man kann hier von themamarkierenden Akzenten sprechen [...]. Dabei darf man aber den Terminus "Thema* nicht im Sinne unseres Terminus 'Hintergrund' verstehen. Alle FHG-Tests zeigen, daß dies verschiedene Dinge sind. Jacobs (1988:115) weist allerdings darauf hin, daß Themasetzungsphrasen auch eindeutig fokusmarkierende Akzente enthalten können.

24

Es wird auch darauf hingewiesen, daß sich diese Prinzipen konstruktionsabhängig unterschiedlich durchsetzen. Prince (1985) gelangt zu der Schlußfolgerung, daß TOP nur mit Chafe-given (d.h. "currently in the hearer's consciousness") Elementen verträglich ist, während dies für LD nicht gilt.

175

Effekt verbunden, vgl. (32), (331), oder bei unmittelbar wiederholten ("directly c-construable") Elementen auf die Kontrastierung zurückzuführen, vgl. (34): (32) A: You know this album? B: This song I know. (Overheard in conversation. University of Pennsylvania)

(Prince/Ward 1991)

(33) Was machen die Kinder heute nachmittag? (33') PEter arbeitet an seinem AUFsatz. PETra liest ein BUCH. (34) -

Was hast du da gekauft? Eine Flasche Whisky und einen Kriminalroman. Wozu brauchen wir solche Sachen?

-

Das Buch wollte ich meinem Vater schenken,

l

l

l

2

l

und den Whisky wollte ich zu den Vorräten tun.25

(Lötscher 1983)

Man könnte bei den angeführten thematischen, fokussierten Topiks, im Vergleich zum thematischen Hintergrund-Topik, von der markierten Variante der Topikalität sprechen. Dies wäre jedoch eher aufgrund der strukturellen Eigenschaften angebracht - sie sind prosodisch markiert (durch einen Primärakzent und die Bildung einer eigenen Akzentdomäne) - als aufgrund ihrer funktionalen Beschaffenheit. Die These der Gleichzeitigkeit von beiden Funktionen - (i) "mark an open proposition", (ii) "as either being already evoked or else in a salient set relation to something already evoked" (Prince 1985:70) - ist durch die Untersuchung von umfassendem empirischem Material (vgl. Ward 1985) überzeugend belegt worden. In theoretischer Hinsicht sind die Analysen der einschlägigen Literatur jedoch nicht völlig zufriedenstellend, da die Fokussierungsmöglichkeit der thematischen Elemente wegen der Ungeklärtheit des Thema-Fokus-Verhältnisses immer noch ein theoretisches Paradoxon bleibt. Dies ist natürlich nicht der Fall in einer Theorie mit autonomen informationsstrukturellen Ebenen und deren kontextuell bedingten unterschiedlichen Verbindungsmöglichkeiten. 3.4.3.3. Die Annahme, daß auch rhematische Elemente die Topik-Funktion erfüllen können, ist aus der umgekehrten Perspektive mit theoretischen Problemen verbunden und wird deshalb auch nicht einheitlich akzeptiert. In diesen Fällen ist nicht die Relation zwischen TRG und FHG inkongruent, sondern die von TKG und TRG. Daß Topiks notwendigerweise unter den thematischen Elementen gewählt werden müssen, ist jedoch sowohl theoretisch als auch empirisch widerlegbar. Bei der theoretischen Argumentation wird paradoxerweise nicht selten ebenfalls auf die kognitiven und psychologischen Faktoren rekurriert, die bei den Gegnern dieser Hypothese zur Begründung der notwendigen Korrelation zwischen Thema und Topik herangezogen werden. Die Einführung von neuen "Katalogeinträgen" zur Klassifizierung und Organisation der Information (Reinhart 1982) bzw. die an Topiks gekoppelte Funktion von "Activation" (Givon 1992) wird demnach als eine nur zeitaufwen25

Die Akzentstärke wird bei Lötscher durch Numerierung angegeben.

176

digere und keineswegs unmögliche Alternative der Topikalität dargestellt. Die empirische Argumentation zielt vor allem auf die Angabe derjenigen Kontexte und sprachlichen Indikatoren ab, bei denen nur die Schlußfolgerung auf den "brand new"-Charakter des Topiks tragfähig ist. Vgl. Gundels (1985) Beispiel (35), zitiert aus Minneapolis Tribune, 18. September 1983: (35) Larry White, president of L. V. White and Sons Construction Management, her boss, is one of the first private employers to take advantage of the program. Es muß jedoch eingeräumt werden, daß - wenn auch theoretisch möglich - "brand-new" Entitäten äußerst selten als Topiks eingeführt bzw. als natürliche Topiks empfunden werden. Das von Gundel (1985) angenommene "Topic-Identifiability Principle" scheint trotz alledem der bei den Daten zu beobachtenden starken Tendenz Rechnung zu tragen, wonach in einem Kulturkreis als bekannt angenommene, in das Allgemeinwissen der Kommunikationspartner inkludierte Elemente als Topik bevorzugt werden, auch wenn sie nicht situativ oder kontextuell gegegeben sind. Es bleibt jedoch offen, ob man in diesen Fällen von rhematischen Topiks sprechen sollte. Als Kandidaten für Rhema-Topiks könnten u.a. die oben angeführten Beispiele von diskursinitialen Sätzen betrachtet werden, vgl. oben (19), (20). Im Hinblick auf die Fokussierung und deren sprachliche Markierung sind jedoch die Variationen bei Sätzen mit RhemaTopiks erheblich (s.o.). In einem Satz mit normaler Abfolge - bei der Einbettung der TKG in einen den Gesamtsatz umfassenden Fokusbereich - ist der Fokus-Status des topikalisierten Elementes nicht obligatorisch an die intonatorische Markierung gekoppelt (vgl. das oben angeführte Beispiel (19)); diese Topiks sind deshalb nicht notwendigerweise zu der "markierten" Kategorie des Topiks zu rechnen. Die Bildung einer eigenständigen Akzentdomäne für das Rhema-Topik könnte jedoch aus grammatischen Gründen Abweichung von der normalen Gliedfolge und daraus resultierende isolierte Fokusstruktur (s.u.) - erforderlich sein. Es wird in der Literatur auch darauf hingewiesen, daß durch diesen Topik-Typ die optimalen Voraussetzungen für die Signalisierung eines Kontrasts geschaffen werden (vgl. Uhmanns 1991 Verweis auf Turners 1976: "double-duty turn"-Strategie). In prosodischer Hinsicht handelt es sich auch hier um markierte Strukturen, die, in diesem Falle funktional motiviert, zur Ankündigung eines zweiten Interpretationsrahmens (d.h. des Kontrasts) notwendig sind. Vgl. (36) und (37'): (36) F: Gibt's wasj Neues? A: Ja. [Fi [T XENja [K promoVIERT ),] (und Marianne heiratet.)

(Uhmann 1991)

(37) Was willst Du Deiner Mutter schenken? (37) BLUmen will sie NICHT haben. Ein BUCH dagegen würde sie vielleicht mit FREUde akzeptieren. 3.4.4. Bei der Zusammenfassung der Topik-Pragmatik ist festzuhalten, daß sich mit Rekurs auf die Autonomie der TKG und die variable Interaktion des Topiks mit anderen Ebenen der Informationsstruktur sämtliche aufgezählten Aspekte in die Topikalität integrieren lassen.

177

Thematische Hintergrund-Topiks sind demnach in pragmatischer Hinsicht genauso prototypisch wie thematische, aber gleichzeitig fokussierte Topiks. In bezug auf rhematische Topiks scheint jedoch ein gewisser Vorbehalt berechtigt zu sein, dies nicht nur, weil diese eben seltener vorkommende Varianten darstellen, sondern auch wegen der theoretischen Schwierigkeiten der Abgrenzung des Rhema-Begriffes. Die Kategorisierung des Topiks hob nicht zuletzt darauf ab, die Relevanz des Diskurszusammenhanges für die Topikalität zu beweisen. Obwohl dafür argumentiert wurde, daß das Topik als ein eigenständiges Konzept innerhalb der Pragmatik zu etablieren ist, kann hinsichtlich der Angemessenheitsbedingungen seiner Varianten die entscheidende Bedeutung des Kontextes - repräsentiert von TRG und FHG nicht in Abrede gestellt werden. Daraus folgt natürlich, daß die jeweils gewählte pragmatische Variante des Topiks nicht durch andere Typen ersetzt werden kann. Nicht zu vergessen ist jedoch, daß die Analyse der pragmatischen Aspekte der Topikalität via Bezugnahme auf die funktionale Heterogenität des Topiks für eine differenzierte Typologie des Topiks nicht ausreicht. Im Hinblick auf ihre Prototypizität und Markiertheit kann nämlich der Charakter der Topikalität auch von grammatischen Faktoren stark beeinflußt werden. Bei der Klassifikation des Topiks ist daher die Berücksichtigung der sich bei den strukturellen Ausdrucksmitteln zeigenden Variation und die Analyse der komplizierten Relationen zwischen den grammatischen Realisierungsmöglichkeiten und den einzelnen pragmatischen Alternativen in gleichem Maße erforderlich.

4.

Zur Grammatik des Topiks - Eine Analyse anhand des Ungarischen

Oben wurde von der Hypothese ausgegangen, daß das Topik als ein pragmatischer Begriff zu definieren sei und daß die TKG eine relativ selbständige Ebene innerhalb der Informationsstruktur bildet. Die pragmatische Funktion des Worüber ist - im Einklang mit dem interdependenten Charakter der Beziehung zwischen Grammatik und Pragmatik (vgl. Motsch/Reis/ Rosengren 1990) - durch formale Ausdrucksmittel zu realisieren, die an der formalen Kennzeichnung des Topiks in bestimmten Konstellationen beteiligt sind. Bisher sind einige morphologische, syntaktische und intonatorische Korrelate identifiziert worden, deren Funktion in der eindeutigen Signalisierung der Topik-Kommentar-Gliederung besteht. In der überwiegenden Mehrzahl der Sätze sind jedoch die formalen Voraussetzungen für eine derartig klare Abgrenzung des Topiks vom Kommentar (vgl. Dahl 1974: "de re"-Lesart, Sasse 1987: "kategorische" Lesart) nicht gegeben, und es muß theorieabhängig entschieden werden, welche formalen Charakteristika hinsichtlich der Topikalität als obligatorisch und welche als fakultativ zu betrachten sind. In der einschlägigen Literatur sind bezüglich der strukturellen Bedingungen der Topikalität besonders die syntaktische Position und die Möglichkeiten des Akzentmusters, bezüglich der Topiksemantik die Fragen der Referentialität, Präsupponiertheit und der damit zusammenhängenden Definitheit diskutiert worden. Die folgende Diskussion beschränkt sich auf

178 die syntaktischen und phonologischen Aspekte des Topik-Problems, und zwar anhand einer Analyse des Ungarischen. Diese Sprache erweist sich als besonders aufschlußreich, da in ihrer Syntax und Phonologie die "Topik-Fokus-Artikulation" einen außergewöhnlich breiten Spielraum hat In bezug auf die Topik-Grammatik wird im folgenden die Auffassung vertreten, daß das wesentlichste topikrelevante formale Merkmal die Satzinitialität ist (vgl. Halliday 1967, Chomsky 1971, Li/Thompson 1975, Allerton 1978, Malten 1992).26 Diese Annahme ist aus zwei Gründen plausibel: (i) Die durch die Informationsverarbeitung und -Vermittlung motivierten Sender-Empfänger-Strategien zur Perspektivierung, Einordnung und Klassifizierung der Information erfordern die möglichst frühe Identifizierung des Prädikationsgegenstandes, (ii) Die morphologischen und syntaktischen Mittel, die das Topik eindeutig explizieren, weisen einhellig auf die entscheidende Rolle der Peripheralität hin (vgl. Foley/van Valin 1984, 1985). In der Regel handelt es sich dabei um die linksperiphere Position, obwohl auch darauf hingewiesen wird (vgl. Dahl 1969), daß der Topik-Marker ang und si im Tagalog bzw. bestimmte markierte "Antitopik-Konstruktionen" bei kontextuell inferierbaren Topiks satzabschließend vorkommen können. Die positioneile Bindung des Topiks erfolgt jedoch nicht ohne wesenüiche Einschränkungen. Die Erstposition ist nämlich nur eine notwendige und keineswegs hinreichende Bedingung für die Topikalität, indem die Möglichkeit, als der im pragmatischen Sinne definierte Ausgangspunkt der Prädikation fungieren zu können, vom Mitspiel anderer struktureller Merkmale und von kontextuellen Gegebenheiten abhängig gemacht wird. Dabei wird unten besonders auf den Effekt der in der pragmatischen Analyse eingeführten "modifizierten Fokusrestriktion" eingegangen und die Relevanz der bei kontextueller Unspezifiziertheit möglichen Thetizität diskutiert. Nach der zentralen Hypothese über die Interaktion von Grammatik und Pragmatik haben diese grundsätzlich pragmatisch bedingten Aspekte eine strukturelle Manifestation, dank derer die Grammatik eine zuverlässige Prognose bezüglich der pragmatischen Topik-Kommentar-Gliederung liefern kann. Topik-Syntax und Topik-Phonologie werden im Rahmen der Rektions- und Bindungstheorie (GB-Theorie) erörtert: Die in dieser Theorie vorgenommene Zuordnung von syntaktischer Komponente, phonologischer Komponente und der semantisch-funktionalen Interpretation, sowie die für Phrasenstrukturen formulierten X-bar-Prinzipien und die vorgeschlagene Parametrisierung der Fokussierung ermöglichen es, die Topik-Position in die syntaktische Hierarchie einzuordnen und Aussagen über ihre Relation zur Fokussierung zu machen. Eine entscheidende Annahme der GB-Theorie zur Modellierung der Beziehung von Informationsstruktur und grammatischer Struktur ist die Übernahme von Jackendoffs Vorschlag (1972), ein abstraktes F(okus)-Merkmal auf der Ebene der Syntax anzusetzen (vgl. Selkirk 1984, Horväth 1986, Rochemont 1986, Drubig 1991, Rosengren 1991, Hetland 1992). Durch die Einführung des F-Merkmals wird in einem interpretativen Modell der notwendige ZusamDamit ist die erste kategoriak Position des Satzes gemeint In Anlehnung an Givon (1992) wird hier weiterhin die Ansicht vertreten, daß die Anzahl der Topikelemente auf eins zu begrenzen ist (vgl. Givons Argumente, die sich auf die Untersuchungen der kognitiven Psychologie berufen).

179 menhang zwischen seiner phonologischen Ausbuchstabierung und semantischen Interpretation gesichert. Die "topikrelevanten" pragmatischen Aspekte - die fokusabhängigen Möglichkeiten und Restriktionen - können im Rahmen der grammatischen Analyse des Topiks vor allem aufgrund dieses Merkmals bzw. aufgrund der Konstellationen dieses Merkmals mit anderen syntaktisch und phonologisch relevanten Eigentümlichkeiten berücksichtigt werden.27 Obwohl - wie oben behauptet - die wichtigste syntaktische Bedingung der Topikalität die Linksperipherialität ist, ist auch der syntaktische Status der satzinitialen Position bei der Diskussion des Topiks von Belang, dies in dreifacher Hinsicht: (i) Durch die Einordnung der linksperipheren Stelle in die syntaktische Hierarchie kann den sprachspezifischen Unterschieden in der Anzahl und den Typen der Topik-Position(en) und in der Variabilität ihrer Besetzung Rechnung getragen werden. (ii) Von besonderem Interesse im Hinblick auf unsere Fragestellung ist aber, daß sich die im X-bar-Rahmen vorgesehenen Typen von Positionen - Adjunkte vs. Spezifikatoren, teilweise auch von ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Projektionsstufen abhängig - in bezug auf ihre fokusstrukturellen Eigenschaften wesentlich unterscheiden.28 Im Einklang mit der modifizierten Fokusrestriktion des Topiks ist die Differenzierung der Fokusstruktur erforderlich, um Aussagen über die Topikalität des Satzanfangs machen zu können. (iii) Für die Trennung des Topiks vom Kommentar ist weiterhin wesentlich, daß das satzinitiale Element vom Rest des Satzes syntaktisch in einem gewissen Grade "isolierbar" ist. Die Involviertheit des Satzanfangs in die Integrationsphänomene, was nur in Abhängigkeit vom Status dieser Position bzw. durch die Bezugnahme auf den Typ des sie besetzenden Satzglieds bestimmt werden kann, bildet deshalb auch einen wichtigen Punkt bei der Diskussion der syntaktischen Voraussetzungen des pragmatischen Topiks. 4.1. Strukturelle Besonderheiten des Ungarischen Um die initiale Position des ungarischen Satzes auf die oben angegebenen topikrelevanten Aspekte - die Spezifizierung des Positionstyps und die Angabe der involvierten Projektionsstufe, ihre Charakteristik im Hinblick auf die Fokusstruktur und Integration - untersuchen zu können, sind folgende syntaktische Eigentümlichkeiten des Ungarischen zu berücksichtigen: 4.1.1. Die Variabilität der Gliedfolge betrifft sowohl die verbale als auch die nominale Sphäre. Die Stellung des finiten Verbs ist für die Festlegung der mit dem Satzmodus zusammenhängenden Satztypen nicht distinktiv. Mit einer für das Deutsche charakteristischen Verbzweitstellung in Deklarativsätzen ist im Ungarischen also nicht zu rechnen. Was die 27

28

In einigen neueren Arbeiten wird die Ansicht vertreten, daß auch für das Topik ein syntaktisches Korrelat ein [+topic] -Merkmal - anzusetzen ist (vgl. Fukui 1986, Mailin 1992), das teils einem funktionalen Kopf (COMP bei Fukui, INFL bei Malten), teils einem "c-construable" Element zugewiesen wird. Es wird angenommen, daß dieses Merkmal saturiert werden muß - in Einklang mit dem "Saturation Principle" -, wozu es nur durch die Etablierung der AGR-Relation zwischen Kopf und Spec, d.h. durch die Bewegung der jeweiligen [+topic]-Konstituente in die satzinitiale Spec-Position, kommen kann. Es zeigt sich dabei allerdings eine sprachspezifische Variation, die zu beachten ist

ISO

Oberflächen strukturelle lineare Abfolge betrifft, kann das Verb in allen denkbaren Positionen, satzinitial (38), (39), satzfinal (40), (41) und in der Mitte (42), (43), stehen; ein präverbales "Vorfeld" ist weder obligatorisch noch auf eine einzige Position beschränkt. Genauso flexibel ist die Anordnung der Argumente und Adjunkte des Prädikats; bezüglich ihrer Stellung gelten keine syntaktischen Restriktionen, wie z.B. bezüglich der Subjektstellung im Englischen: (38) VSO:

Ellenörzi

ajegyeket

akalauz.

kontrolliert

die Fahrkarten

der Schaffner

(39) VOS:

Ellenörzi

akalauz

ajegyeket.

(40) SOV: (41) OSV:

Akalauz Ajegyeket

ajegyeket akalauz

ellenörzi. ellenörzi.

(42) SVO: (43) OVS:

Akalauz Ajegyeket

ellenörzi ellenörzi

ajegyeket. akalauz.

"[...] impressionistically, Hungarian word order - or to be more precise, phrase order - is remarkably tree. As has often been noted, in a simple sentence, any permutation of the major constituents gives an acceptable sentence [...]" (Horvath 1986:9) Diese große Wortstellungsfreiheit im Ungarischen hat u.a. zu der Konfigurationalitätskontroverse Anlaß gegeben, die von Horväth und E. Kiss in Gang gesetzt wurde und, teils wegen theoretischer Schwierigkeiten bezüglich der Konfigurationalitätsfrage, teils wegen der Widersprüchlichkeit der empirischen Daten im Ungarischen, auch heute noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine plausible Lösung des Problems scheint jedoch die auch für andere Sprachen weitgehend angenommene sog. "VP-internal subject hypothesis" (vgl. LindhoutLengyel 1991) darzustellen, mit welcher sowohl die Parallelität zwischen Subjekt und Objekt in bezug auf das ECP29 (vgl. . Kiss 1987), als auch die Subjekt-Objekt-Asymmetrien bezüglich des c-Kommandos (vgl. Maräcz 1989) erklärt werden können. Auf die Wortstellungsfreiheit des Ungarischen ist auch bei einer anderen Parametrisierung in der modernen Grammatiktheorie Bezug genommen worden. Durch die Entlastung der Gliedfolge von der Aufgabe, syntaktische Relationen ausdrücken zu müssen (im Gegensatz z.B. zum Englischen), kann das Ungarische die kommunikativ relevante Fundierung der Prädikation - den "Mechanism of Topical Choice" (vgl. Marcantonio 1981) - ohne Einschränkungen zur Geltung kommen lassen und gehört dadurch zu den "topik-prominenten" Sprachen (vgl. Li/Thompson 1976, E. Kiss 1981b). 4.1.2. Eine weitere relevante Beobachtung bezieht sich auf die Regularitäten der Fokussierung. Während Fokussierung in den meisten Sprachen in einer beliebigen syntaktischen Position möglich ist, ist im Ungarischen das fokussierte, phonologisch prominente Element entweder die unmittelbar vor dem Verb stehende Konstituente oder das Verb selbst: 29

Im Ungarischen liegt nämlich kein "that-trace"-Effekt vor, d.h. Subjekt und Objekt sind gleichermaßen "properly governed .

181

(44) Akalauz

ELlenörzi

ajegyeket.

der Schaffher

kontrolliert

die Fahrkarten

(Verb-Fokus)

(45) AKAlauz

ellenörzi

ajegyeket.

(präverb. Fokus)

(46) * AKAlauz (47) *Akalauz

ajegyeket ellenörzi

ellenörzi. aJEgyekeL

(*keine V-Adjazenz) (*postverb. Fokus)

Daraus, daß sich die Fokussierung im Ungarischen auf die verbale Sphäre begrenzt, zog man bereits im 19. Jahrhundert den Schluß, daß im Ungarischen die Beziehung zwischen Informationsstruktur und syntaktischer Struktur besonders eng ist und daß die Bestimmung der Struktur des ungarischen Satzes nur mit Rekurs auf funktionale Kategorien wie "inchoativum - bulk"30 (Brassai I860), "topic - comment" (E. Kiss 1981b) erfolgen kann. Zur Darstellung der Differenz zwischen dem Ungarischen und denjenigen Sprachen (z.B. dem Deutschen und dem Englischen), in denen die Fokussierung nicht "konfigurational" geregelt ist, wurde im Rahmen der Prinzipien- und Parameter-Theorie von Horväth (1986) der Fokusparameter vorgeschlagen. Dieser Parameter sieht eine Option für die Sprachen vor, in denen das Verb inhärent das Fokusmerkmal trägt und dieses Merkmal einem zusätzlichen Satzglied nur in einer bestimmten Konfiguration - unter Beachtung der Adjazenz und der Rektion (auf eine mit der Kasuszuweisung im Englischen vergleichbare Weise) - zuweisen kann. Durch die so spezifizierten strukturellen Bedingungen der Fokussierung konnte gleichzeitig die merkwürdige Uniformität der für die Fokuskonstituente erforderlichen strukturellen Position in den sonst typologisch und genetisch ganz verschiedenen Sprachen (im Baskischen, wie im Ungarischen, unmittelbar vor dem Finitum, im Aghem unmittelbar nach dem Finitum) auf abstraktere Prinzipien der Theorie zurückgeführt werden. 4.1.3. Zu den Eigentümlichkeiten der ungarischen Satzstruktur mit topikrelevanten Implikationen gehört auch das sog. "komplexe Prädikat", dessen Struktur einerseits für die Fokussierungsregeln und dadurch indirekt auch für die Sicherung der syntaktischen Bedingungen der Topik-Interpretation Konsequenzen hat. Die Realisierungsformen des komplexen Prädikats sind andererseits auch für die Wahl zwischen Integration und Isolation (d.h. Unterlassung vs. Durchführung der TKG) von Belang. Der ursprünglich von Ackerman/Komlosy (1983) vorgeschlagene Ansatz einer "small VP" beinhaltet, daß die enge Zusammengehörigkeit bestimmter präverbaler Konstituenten auch syntaktisch, innerhalb des V'-Knotens, repräsentiert werden soll. Es handelt sich dabei um eine sehr heterogene Klasse von Prädikaten, die nach Ackerman (1984, 1987) in zwei Hauptkategorien einzuordnen sind: in Partikel und Verb-Konstruktionen (48), (49) bzw. in inkorporierte Argumente und Verb-Verbindungen (50), (51), (52):31

3° Der Vorschlag zur Übersetzung der von Brassai eingeführten Termini "inchoativum - zum" als "inchoativum - bulk" stammt von E. Kiss (1981b). 31

Zu weiteren Typen von inkorporierten Argumenten und V-bar-Strukturen vgl. Molnär (1991:139f.).

182

(48) kiolvas

[NPnom NPakk]

vs.

aus-liest (49)

(50)

[NPnom NPakk]

liest

bCOlvaS [NPnom NPdatl "dn-liest" = Vorwürfe macht

VS.

leveletfr

vs.

Brief

olvas

[NPnom NPdat]

schreibt

(51) utatnyit

ins-Kino

fr

NPakkl

[NPnomNPdat(NPakk)]

schreibt

NPdatl

vs.

Weg öf&iet

(52) moziba

OlvaS liest

nyit

FNPnom NPakkl

öffnet

megy

[NPnom]

vs.

geht

megy

[NPnom (NPui32)]

geht

Nicht alle Linguisten akzeptieren jedoch diesen Vorschlag. Die entgegengesetzten Auffassungen sind auf die Janusköpfigkeit der präverbalen Konstituenten "Verbal Modifier" (VM) (vgl. Ackerman/Komlosy 1983) zurückzuführen:33 In semantischer und morphologischer Hinsicht bilden sie mit dem Verb eine Einheit; für die Plausibilität der Annahme von komplexen Prädikaten werden von Ackerman/Komlosy vor allem Fakten der Thetarollenzuweisung angeführt, die zeigen, daß Partikeln und inkorporierte Argumente nicht nur zur Modifizierung bzw. zur Veränderung der Bedeutung beitragen, sondern gegebenenfalls auch die Subkategorisierungseigenschaften des Verbs abwandeln können, vgl. oben (49), (51). Die Komponenten des komplexen Prädikats beanspruchen aber gleichzeitig auch die syntaktische und damit korrelierend phonologische Selbständigkeit, indem sie sich im Hinblick auf ihre Stellungsmöglichkeiten - durch die unproblematische Distanzstellung von VM (Verbal Modifier) und Verb - wie "full-fledged" phrasale Kategorien (E. Kiss 1987) verhalten: VM

(53) Levelet Brief

Verb

Piter

TEGnap

frt.

Peter

gestern

schrieb

Verb

(54) PEter Peter

üt schrieb

VM

tegnap

levelet.

gestern

Brief

Das Merkwürdigste am Verhalten der komplexen Prädikate, das ihre Relevanz für die Fokusstruktur motiviert, ist vielleicht die komplementäre Distribution von VM und dem Fokus des Satzes (bzw. auch von den sich mit dem Fokus parallel verhaltenden Fragepronomina): Fokus

(55) PEter Peter

(56) TEGnap gestern

ment

YM moziba.

geht

ins Kino

Verb

frt schrieb

Poter

levelet.

Peter

Brief

32

Zur "Kasusbezeichnung" Motiv vgl. Tompa (1985:123).

33

Präverbale Konstituenten des komplexen Prädikats werden auch "Proverb" (Ackerman 1987), "Reduced Complement" (E. Kiss 1981a), "Modifikator" (Behrens 1982) genannt

183 (57) (58)

*Fokus *PEter

YM moziba

ment.

Peter

ins Kino

geht

Verb

*TEGnap levelet

fit

Pöter.

Gestern

schrieb

Peter

Brief

Die Verdrängung des VM-Elements aus der unmittelbar präverbalen Position bei Fokussierung hat insofern wesentliche Implikationen für die Fokusstruktur, als sie, abgesehen von bestimmten Restriktionen (vgl. Molnär 1991), darauf verweist, daß die Fokusprojektion34 blockiert ist und der Satz eine minimal (vgl. Kiefer 1967: "emphatisch") fokussierte Phrase enthält. In diesen sog. "korrektiven" Sätzen wie (55) und (56) kann die minimale Fokussierung entweder auf der präverbalen Konstituente - wie oben in (55) und (56) - oder auf dem Verb (551), (56*) realisiert werden:35 (551) Pöter Peter

(561) Tegnap gestern

Fokus=Verb

VM

MENT

moziba.

geht

ins Kino

IRT

Piter

levelet.

schrieb

Peter

Brief

4.1.4. Bevor man die Konsequenzen der angeführten Eigentümlichkeiten im Aufbau der ungarischen Satzstruktur beachten kann, ist es unerläßlich, auch auf die typologische Charakteristik des Ungarischen einzugehen, um einen in zahlreichen syntaktischen Analysen auftauchenden Fehler zu vermeiden. Die Annahmen bezüglich der Basisgliedfolge sind nicht immer durch unabhängige Evidenz abgesichert; ihre in der einschlägigen Literatur repräsentierten Varianten (SVO bei Horväth 1986, VOS bei Brody 1990, VXX bei E. Kiss 1987, SOV bei Marcantonio 1981, Szabolcsi 1981) deuten eher darauf hin, daß die Basisgliedfolge der jeweiligen Analyse nicht zugrundegelegt, sondern nicht selten aus ihr abgeleitet wird. Viele diesbezüglich relevante Daten sprechen allerdings für die Plausibilität einer SOV-Abfolge (alternativerweise SVO, vgl. Dez£ 1982). Weiterhin weist auch die lineare Abfolge der Elemente innerhalb der komplexen Prädikate - auch Modifikator vor dem Kopf - darauf hin, daß sich das Ungarische gemäß dem UG-Prinzip "uniformity of branchingness" (Ackerman 1984) als eine "left-branching"-Sprache (de Groot 1989: "Prefield-type") kategorisieren läßt. Die Annahme der SOV-Struktur wird auch von den sprachgeschichtlichen Fakten unterstützt, da die gemeinsame Ursprache der finnisch-ugrischen Sprachen, das Proto-Uralische, ebenfalls als SOV-Sprache klassifiziert wird (vgl. dazu Hajdu 1966, Marcantonio 1981).

34 Unter dem Terminus "Fokusprojektion" wird hier die Projizierungsmöglichkeit des grammatischen Fokusmerkmals bei der Fokussierung komplexer Phrasen verstanden. Der Terminus ist nicht mit derjenigen "Fokusprqjektion" (FP) zu verwechseln, die sich auf eine funktionale Projektionsstufe im Satz bezieht. 35 Siehe dazu die Diskussion des Unterschieds zwischen Korrektivität und Markiertheit bei Molnär (1991:152ff.).

184

4.2.

Topik-Syntax

Den zentralen Aspekt der ungarischen Syntax bildet allerdings nach der hier vertretenen Auffassung die syntaktisch "fest" geregelte Fokussierung. Durch die Beachtung der Adjazenzund Rektionsbedingung bei der strukturellen Fokuszuweisung bzw. durch deren Erfassung im X-bar-System werden die theoretischen Voraussetzungen dafür geschaffen, anderen Besonderheiten der Satzstruktur im Ungarischen Rechnung tragen zu können. Eine oberhalb der IPStufe (bzw. VP-Stufe) etablierte Fokusprojektionsstufe (FP) - mit ihrer Spezifikator-Position als Zielposition für die Fokusphrase - läßt dabei nicht nur die strukturelle Wiedergabe der Gesetzmäßigkeiten der Fokussierung zu. Durch die Annahme der obligatorischen Verbbewegung in die Kopf-Position von FP kann auch das paradoxale Verhältnis zwischen der typologischen Charakterisierung (SOV) und der in der Oberflächenstruktur häufig vorkommenden frühen Plazierung des Verbs bzw. der damit zusammenhängenden, nicht ungewöhnlichen Präsenz eines längeren postverbalen Bereichs erklärt werden. Die Annahme einer funktionalen Projektionsstufe mit den in ihr etablierten A-bar-Positionen ermöglicht weiterhin, sowohl die Variabilität bezüglich der Anzahl als auch des Typs (d.h. der variierenden Satzgliedfunktion) der präverbalen Elemente theoretisch zu erfassen. Die variable Besetzung des präverbalen Bereichs braucht damit nicht auf die Nicht-Konfigurationalität des Ungarischen zurückgeführt, sondern kann unabhängig von der Konfigurationalitätskontroverse begründet werden: Die variable Anzahl der präverbalen Positionen wird aufgrund der Adjunktionsmöglichkeit an die FP-Projektion garantiert, die als Nicht-Argument-Projektion - in Einklang mit Chomskys Adjunktions-Restriktion (1986) - durch Adjunktionen "erweiterbar" ist und eine beliebige Anzahl von präverbalen Elementen aufnehmen kann. Demnach schlage ich folgende Grundstruktur oberhalb der IP/VP-Projektionen für das Ungarische vor, in der die Konstituenten auf der S-Ebene als Resultat von Bewegungen erscheinen können:

(59) FP-Adj. TOPIK

Prototypischerweise nimmt der Fokus des Satzes die SpecF-Position ein (wenn nicht das Verb fokussiert wird), während das Topik in die satzinitiale FP-Adjunktionsposition zu bewegen ist. Eine derart modellierte Satzstruktur für die "Topik-Fokus-Artikulation" im Ungarischen ist aber in mehrfacher Hinsicht zu präzisieren, sowohl in bezug auf die Fokussierung als auch in bezug auf die Frage, wie in diese Struktur die in unserem Zusammenhang interessante Topik-Position integriert werden kann.

185

4.2.1. Was die Fokussierung betrifft, werden die Verhältnisse in einigen prominenten Analysen der ungarischen Satzstruktur stark vereinfacht, indem die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf diejenigen Fälle gelenkt wird, wo nur eine Konstituente, das Verb oder eine der Angaben/Ergänzungen, minimal fokussiert ist. Da in den meisten Vorschlägen für die Fokussierung in der syntaktischen Struktur nur eine einzige Position, die unmittelbar präverbale Stelle, vorgesehen ist (Horväth 1986, E. Kiss 1987, Lindhout-Lengyel 1991), ist der Verbfokus strukturell nicht erfaßbar. Dieses Problem wird durch die oben vorgeschlagene Fokusprojektion (vgl. Brody 1990, Molnär 1991) gelöst, da Verbbewegung in die Kopfposition der Projektion möglich ist. Problematisch bleibt dagegen die andere - implizit (E. Kiss, Horväth) oder explizit (Lindhout-Lengyel) - gemachte Annahme, daß Fokussierung und die damit einhergehende Prominenz im ungarischen Satz "unique" ist, indem sie nur entweder an die Konstituente in der "FOCUS-Position" (in der unmittelbar präverbalen Position) oder an das Verb gebunden auftreten kann. Bei einigen Linguisten finden sich allerdings Hinweise darauf (nicht selten durch Bezugnahme auf die Prominenzverhältnisse, s.u.), daß auch die mehrfache Fokussierung (Varga 1982, Brody 1990, bzw. E. Kiss' spätere Arbeiten), oder ein sich auf den ganzen Satz erstreckender Fokusbereich in den sog. "neutralen Sätzen" (vgl. Kaiman et al. 1986), denkbare Alternativen bilden. Obwohl bei der mehrfachen Fokussierung hauptsächlich an die zusätzliche Fokussierungsmöglichkeit unterhalb der FP-Projektion gedacht wird, sind diese Vorschläge bezüglich der Klärung der Relation zwischen Fokus und FP ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Sie deuten nämlich darauf hin, daß die bisher stillschweigend angenommene l:l-Relation zwischen Fokus und Fokus-Position in konfigurationalen Fokussprachen gelockert werden muß. Weiterer Klärung bedürfen jedoch folgende Probleme: (i) Die mehrfache Fokussierung innerhalb des FP-Bereiches wird in den meisten Arbeiten nicht problematisiert bzw. eine von der "Grundregel" abweichende Fokussierung wird nur im Hinblick auf die Quantorenreihenfolge im präverbalen Bereich angesprochen, (ii) Dadurch, daß unter Fokus meist nur minimale Fokussierung - mit einer "exhaustive listing"- (Szabolcsi 1980) bzw. "identification by exclusion"-Semantik (Kenesei 1989) - verstanden wird, ist es völlig unklar, wie man maximale bzw. mittlere Fokussierung handhaben soll. Die Unklarheit zeigt sich besonders deutlich in Brodys Annahme (1990), daß die Abwesenheit eines minimalen Fokus, die "Neutralität", als Fokuslosigkeit zu betrachten ist.36 4.2.2. Im Hinblick auf die Topik-Frage muß begründet werden, inwiefern die Ansetzung der Topik-Position innerhalb der Fokusprojektion theoretisch möglich ist. Diese Annahme könnte ohne die frühere Klärung des Topik-Fokus-Verhältnisses in der Pragmatik völlig absurd anmuten. In der Literatur wird diese Möglichkeit überhaupt nicht erwogen, da der Einfluß der Fokussierung auf die Topikalität nicht differenziert behandelt wird, und Topik und Fokus als Da Brody die Fokusbewegung (= Bewegung in die FP-Projektion) im Ungarischen als die in konfigurationalen Fokussprachen auf der S-Struktur durchgeführte Entsprechung des im Englischen und in anderen nichtkonfigurationalen Fokussprachen erst auf der LF-Ebene notwendigen Fokus-Raising betrachtet, schränkt er diese Bewegung (auf der S-Ebene) im Ungarischen konsequenterweise auf die Fälle mit minimaler Fokussierung ein.

186

komplementäre Kategorien gelten. Die Topik-Position(en) wird/werden von LindhoutLengyel und Horväth als IP-Adjunktion(en) betrachtet, eine Analyse, die an und für sich der mehrfachen Topikalisierung (im syntaktischen Sinne) bzw. der Topikalisierungsmöglichkeit in eingebetteten Sätzen - nach COMP - Rechnung tragen kann. E. Kiss etabliert die TopikPosition(en) in einer exozentrischen Struktur entweder als Schwester(n) von S' oder VP.37 In allen diesen Vorschlägen wird die Fokussierung auf eine einzige Position reduziert und in der syntaktischen Hierarchie rechts von bzw. unterhalb der Topik-Position(en) eingeordnet. M.E. läßt sich die Etablierung der FP-Projektion aufgrund der Konfigurationalität der Fokuszuweisung im Ungarischen motivieren. Eine Differenzierung der Fokusstruktur und die Beachtung der unterschiedlichen Fokustypen ergibt jedoch, daß Fokussierung nicht ausschließlich auf den FP-Bereich beschränkt bzw. nicht nur "konfigurational" möglich ist, sondern daß auch die Option der zusätzlichen "freien" Fokuszuweisung vorliegt. Dabei kann nicht nur der postverbale Bereich unterhalb der FP Fokus enthalten (entweder in eine größere Fokusdomäne integriert oder frei zugewiesen)38, sondern die FP-Projektionsebene kann selbst in fokusstruktureller Hinsicht auf vielfältige Weise realisiert werden (vgl. mehrfache Fokussierung, Integriertheit in einen größeren Fokusbereich, Auftreten ohne Fokusmerkmal). Auf dieser Grundlage kann die Relation zwischen Fokus und FP reformuliert werden: Als die einzige Regularität, die für konfigurationale Fokussprachen - dies jedoch auch nicht ohne Restriktionen39 - bezeichnend ist, gilt demnach, daß die FP-Projektion obligatorisch "Fokus" enthalten muß. Ob es sich dabei um den einzigen minimalen Fokus, um einen der Foki (bei mehrfacher Fokussierung) oder um den Fokusexponenten (bei einer mittleren oder maximalen Fokusdomäne) handelt, ist nicht entscheidend. Durch eine derartige Auflösung der Parallelität zwischen FP und Fokussierung sind die strukturellen Voraussetzungen für die Einordnung der Topik-Position in die FP-Prqjektionsstufe geschaffen. Das Resultat der pragmatischen Analyse des Topik-Fokus-Verhältnisses, daß nämlich TKG und FHG zwei autonome, interagierende Aspekte der Informationsstruktur, und Topik und Fokus miteinander kompatibel sind, machen es auch nicht erforderlich, das Topik in die Satzstruktur durch eine eigenständige, separate TP-Projektionsstufe zu integrieren, die sowieso nur mit weiteren Zusatzannahmen (bezüglich der Lizensierung der leeren Kopfposition) zu verteidigen wäre. Das einzige, was die syntaktische Hierarchie widerspiegeln muß, ist die Erfassung der (teilweise vorliegenden) Konfigurationalität der Fokussierung. Die Topik-Kommentar-Gliederung, welche die FHG überlagert, kann ohne weiteres auf der FP-Struktur "parasitieren", solange die pragmatischen Restriktionen bezüglich der Fokussierung und Integration beachtet sind.40 37

In der letzteren Variante der von . Kiss vorgeschlagenen Satzstruktur werden Topik und VP (Kommentar) als Bestandteile der sog. "primary predication" betrachtet.

38

Vgl. zur Fokussierung von Quantoren im postverbalen Bereich . Kiss (1986,1987-88,1991). zur Fokussierung von anderen Konstituenten im postverbalen Bereich und zum "Antifokus" Varga (1986,1987-88).

39

Zu beachten sind hier die von Varga (1981,1982,1986,1987-88) zitierten Fälle mit "Antifokus".

40

Durch diese Annahme wird auch ein bei . Kiss (1986, 1987, 1991) ständig wiederkehrendes, für entscheidend gehaltenes Kriterium zur Trennung der Topik-Position(en) vom Kommentar-Teil in Abrede gestellt, das auf die Prosodie des ungarischen Satzes Bezug nimmt, . Kiss argumentiert dafür, daß "topic" und "VP"

187

Die in Frage kommende Topik-Position soll demnach innerhalb der FP, als der obersten, linksperipheren Projektionsstufe (in Matrixsätzen), untergebracht werden, weil auf diese Weise die wichtigste syntaktische Bedingung der Topikalität - die Linksperipheralität - erfüllt wird. Den ungarischen Satz können alle drei im X-bar-Rahmen denkbaren Positionstypen der FP - F°, SpecF, FP-Adjunkt - einleiten; ihre Verträglichkeit mit der Topik-Interpretation hängt deshalb im wesentlichen davon ab, inwiefern in ihnen eine Verletzung der topikrelevanten Restriktionen vermieden werden kann. (In der folgenden Analyse wird allerdings nur auf die fokus- und integrationsbezüglichen Restriktionen Bezug genommen, zu weiteren grammatischen Einschränkungen der Topikalität vgl. Molnär 1991.) 4.2.3. Sätze mit F° am Satzanfang lassen eine Gliederung auf der Topik-Kommentar-Ebene nie zu. Durch sie wird nämlich par excellence ein Satztyp repräsentiert, in dem weder die fokusstrukturellen noch andere relevante grammatische Bedingungen der Topikalität erfüllt werden können. Verbinitiale Sätze kommen im Ungarischen, trotz der SOV-Basisgliedfolge, sehr häufig vor. Diese Abfolge ist besonders in den Fällen, in denen sie als Existentialsätze (61), präsentative Sätze (62) oder als Sätze mit einem Phasenprädikat (63) erscheinen - genau in den Fällen also, wo im Englischen und Deutschen besondere Strukturen und Intonationsmuster der Kennzeichnung der "Thetizität" dienen, vgl. (6 ), (62'), (63') - , völlig natürlich und unmarkiert (vgl. Sasse 1987). Ihre Unmarkiertheit wird auch verständlich, wenn man auf die syntaktischen Eigentümlichkeiten des Ungarischen rekurriert: In ungarischen Deklarativsätzen ist nämlich - im Gegensatz zum Deutschen - nur die Verbbewegung obligatorisch, und weitere Bewegungen in die FP-Projektion sind nur dann motiviert, wenn entweder fokussiert oder eine Trennung des Topiks vom Kommentar durchgeführt wird. Selbstverständlich können verbinitiale Sätze auch in entsprechende Kontexte eingebettet werden und mit Fokus-Hintergrund-Gliederung als kategorische Sätze vorkommen. Solche markierten Typen der satzinitialen Sätze (64), in denen das Verb minimal - emphatisch oder kontrastiv - fokussiert ist (wodurch auch der sog. "Verum-Fokus"41 signalisiert werden kann), verstoßen aber u.a. auch gegen die fokusstrukturellen Bedingungen der TKG:

(vergleichbar mit Kommentar) - in ihrem exozentrischen Modell beide vom S-Knoten dominiert - notwendigerweise separate phonologjsche und dadurch auch syntaktische Phrasen bilden. Wie in mehreren Analysen ausgeführt wird, basiert E. Kiss' Annahme auf einer vereinfachten Datenlage und klammert relevante Topik-Varianten aus. 41

Zum "VERUM"-Fokiis, d.h. zur Hervorhebung des Wahrseins des Gedankens, vgl. Höhle (1992).

188 (60)

(61) Volt war

egyszer

egykiräly

einmal

ein König

(621) Der ZUG kommt.

a vonat

(62) Jön kam

(6 ) Es war einmal ein König.

der Zug

(63) Ugat

(631) Der HUND bellt.

a kutya. der Hund

bellt

(64) OLvasta las

Piter

a könyveL

Peter

das Buch

(Was machte Peter mit dem Buch? Hat Peter das Buch wirklich gelesen?)

4.2.4. In Sätzen mit einer satzinitialen SpecF-Position sind die Verhältnisse wesentlich komplizierter. Bei diesen Sätzen ist die Differenzierung der Fokusstruktur und die Präsenz vs. Abwesenheit von komplexen Prädikaten entscheidend für die Kompatibilität dieser Position mit Topikalität. Die SpecF-Position ist gerade wegen ihrer Adjazenz zum und Regiertheit vom Verb die prototypische Fokus-Position, die die minimal fokussierte Phrase des Satzes (nach E. Kiss den sog. "Fokusoperator") zu enthalten berufen ist. Wie oben erwähnt, muß das präverbal stehende Element in korrektiven Satzmustern (komplexes Prädikat, seine Abfolge "V - VM") als minimaler Fokus realisiert werden, vgl. (66) vs. (661), während in nicht-korrektiven Satzmustem minimale Fokussierung in SpecF nur eine der Optionen repräsentiert, vgl. (67). In Fällen wie (66) und (67), wo SpecF den einzigen minimalen Fokus des Satzes enthält, wird die Möglichkeit der Topikalität wegen der Verletzung der Fokusrestriktion des Topiks überspielt:

(65)

FP [SpecF]F FOKUS 1

\ F t/^

k

T

(66) PETer

\

*w

^\ levelet. Brief

(66') *P6ter

fr schreibt fr

(67) PETer

telefonäl

Evänak.

telephoniert

Eva-mit

Peter

Peter

(min. Fokus, korrekt. Satz)

levelet. (min. Fokus, nicht-korr. Satz)

Die SpecF-Position ist aber nicht notwendigerweise als Fokus-Position (sog. "Operator-Position") zu realisieren, wenn man zugleich die Projizierung des Fokus und dadurch die Bildung eines maximalen oder eines mittleren Fokusbereichs in Betracht zieht. Für die Bezeichnung der präverbalen Position, die eine in eine größere Fokusdomäne integrierte fokussierte Konstituente enthält, wurde von Kaiman et al. (1986) der Terminus Hokus eingeführt. Da die modifizierte Fokusrestriktion in diesen Fällen die Kompatibilität von Topik und Fokus

189

(nämlich als Hokus) nicht ausschließt, ist die Topik-Interpretation der SpecF einnehmenden satzinitialen Elemente von der Fokusstruktur lizenziert:

(68) [SpecF TOPIK

(69) (70)

t

pO

XPfc

t

P6ter

olvas.

Peter

liest

^

Egy barätommal talälkoztam tegnap. ein Freund-mein-mit

(max. Fokus) (max. Fokus)

begegnete-ich gestern

Die Topik-Interpretation des SpecF-Elements wird jedoch bei komplexen Prädikaten erschwert. Dies gilt nicht nur dann, wenn VM nach V gestellt ein korrektives Satzmuster bildet und dies eine minimale Fokussierung des Satzglieds in SpecF zur Folge hat (s. oben (66)). Wird nämlich die unmarkierte lineare Abfolge beibehalten - durch das präverbale VM in SpecF - , steht die Integriertheit der Bestandteile des komplexen Prädikats (Inkorporation und Nicht-Referentialität des Arguments) der TKG im Wege:42 SnecF (71) Szinhäzba Ins Theater

E° ment

az egösz csaläd.

ging

die ganze Familie

(72) Vendogek

jöttek.

Gäste

kamen

4.2.5. Bei satzinitialen FP-Adjunkten kommt es, im Gegensatz zu SpecF-Gliedern, nur in ganz speziellen Fällen zu einem Verstoß gegen die topikrelevante Fokusrestriktion und die mit der Inkorporation zusammenhängenden grammatischen Bedingungen. Im Hinblick auf die Möglichkeit ihrer Topik-Interpretation an der linken Peripherie des Satzes treten demnach in der Regel nur selten Ambiguitäten auf. In dieser Position kann nur eine sehr begrenzte Auswahl von Elementen minimal fokussiert werden (der All-Quantor, bestimmte Gradpartikeln); aus Fokussierungsgründen können deshalb nur diese Elemente bezüglich der Topikalität problematisch sein.43 Der fokusstrukturelle Status der Elemente in dieser Position kann allerdings stark variieren und die phonologische Realisierung bzw. die weitere Differenzierung der Topik-Interpretation beeinflussen. Bei einer maximalen Fokusprojektion in der Grammatik kann das Element in der FP-Adjunkt-Position in einen komplexen Fokusbereich integriert sein, bezüglich der 42

43

Vgl. Sasse (1987:551): 'The event-central character of genuinely incorporated thetic statements results from the incorporated noun's losing its referentiality and hence its ability to denote an entity. Noun incorporation is therefore the clearest and most radical instance of event-central statements, because it entirely rules out the possibility of mentioning an entity." Außer diesen Fällen sind noch die "nicht-topikfähigen" Elemente zu erwähnen, die die Topikalität ausschließen. (S. dazu Molnär 1991, Kap. 5.2.2.1.)

190 Beibehaltung des "geerbten" Fokusmerkmals in der Pragmatik ist allerdings die Beschaffenheit des Kontextes ausschlaggebend. Ein "Fokuserbe"-Topik44 in dieser Position - in Sätzen, die als Antwort auf Fragen Was passiert? aufgefaßt werden können - ist ein nicht-markierter Fall von Topikalität:

(73) FP

[FP-Adj. TOPIK J

(74) (75)

SpecF /

\F >^v

pO

^XP]F

Piter

levelet

tfr.

^-H

Peter

Brief

schreibt

Pöter

tegnap dolgozott.

Peter

gestern

(max. Fokus) (max. Fokus)

arbeitete

Bei der Blockiertheit der Fokusprojektion - aufgrund des korrektiven Satzmusters (77) oder wegen der Abweichung von der unmarkierten Serialisierung der Argumente (78) - wird dem FP-Adjunkt am Satzanfang (durch Projektion) kein grammatisches Fokusmerkmal zugewiesen. Diese Sätze werden in der Regel als die "Idealfälle" für die informationsstrukturelle Gliederung im Ungarischen betrachtet, weil das nicht-fokussierte satzinitiale Topik-Element deutlich vom Fokus abgrenzbar ist:

(76)

FP FP-Adj. TOPIK

J,

j^\ / [SpecF]F ^^ F

.^X

pO

V

t

(77) (78)

M-1

Piter

EVänak

frt

levelet.

Peter

Eva-Dat

schrieb

Brief-Akk

Evänak

LEvelet

frt

Eva-Dal

Brief-Akk

schrieb

Piter.

(An wen schrieb Peter einen Brief?) (Was schrieb Peter an Eva?)

Peter

Dem satzinitialen Glied kann aber unabhängig von den grammatischen Möglichkeiten der Projizierung des Fokusmerkmals aus dem SpecF-F°-Bereich und von dem Thema-RhemaCharakter der Elemente ein eigenes Fokusmerkmal frei "minimal" zugewiesen werden; im 44

Als "Fpkuserbe" wird ein Element betrachtet, das nicht den Fokusakzent trägt, bei der grammatischen Fokusprojektion jedoch zum Fokusbereich gehört Demgegenüber ist der "Fokusexponent" dasjenige Element, dem das Fokusmerkmal zugewiesen wird und das dieses Merkmal (in Einklang mit bestimmten Vererbungsprinzipien) an andere Konstituenten vererben kann.

191

Satz kommt es auf diese Weise zu mindestens zwei Fokusgipfeln. Die Zuweisung des Fokusmerkmals in der grammatischen Komponente ist in zahlreichen Fällen nur fakultativ (80), sie kann aber durch bestimmte strukturelle Faktoren bedingt, obligatorisch sein, zum Beispiel bei einem korrektiven Satzmuster, wenn das VM-Glied in die satzinitiale FP-Adjunkt-Position bewegt wird (81). In FP-Adjunkt-Positionen stehend können inkorporierte Elemente jedoch nicht Partikeln - infolge ihrer "Verselbständigung" (vgl. Kiefer 1992), d.h. vom Verb sowohl intonatorisch als auch strukturell abgehoben, zur Verdeutlichung der TKG beitrav45 gen:

(79) [FP-Adj.]F TOPIK

(80) (81)

Pßterrel TEGnap

talälkoztam.

Piter-mit

traf-ich

gestern

(Wann hast du P. und E. getroffen?)

LEvelet EVänak firt

P6ter.

Brief

Peter

Eva-Dat

schrieb

4.2.6. Zusammenfassend ist als eine der wichtigsten topikrelevanten Annahmen im Hinblick auf die ungarische Satzstruktur die Einordnung der Topik-Position in die FP-Projektionsstufe hervorzuheben. Für die Plausibilität dieses Vorschlags spricht die oft fehlende Parallelität von Fokus und Fokusprojektionsstufe (FP); ihre Korrelation ist in einer konfigurationalen Sprache wie dem Ungarischen nur auf den obligatorischen Fokus in FP zu begrenzen. Weiterhin wird die Hypothese "Topik in FP" auch durch die pragmatisch fundierte Kompatibilität von Topik und Fokus unterstützt; insofern ist sie auch theoretisch plausibel. Außerdem wurden die Möglichkeiten der innerhalb der FP vorkommenden Positionen bezüglich der Topik-Interpretation analysiert. Als prototypische Topik-Position figuriert im Ungarischen die linksperiphere FP-Adjunkt-Position, die Topikalität der satzinitialen SpecF, der Entsprechung der sog. "Fokus"-Position, ist erwartungsgemäß auf bestimmte Fälle begrenzt. Die festgestellten Unterschiede sind darauf zurückzuführen, daß die hinsichtlich der Topikalität entscheidenden Restriktionen - die Fokusrestriktion und die Integration - bei den FP-Adjunkten nur in Ausnahmefällen greifen können, während die SpecF-Position von beiden Restriktionen betroffen ist.

45 VgL dazu auch Lölschers Analyse (1992) zu nicht-referentiellen Topiks.

192 4.3. Topik-Phonologie Die phonologische Kennzeichnung des Satzanfangs ist im Ungarischen ziemlich variabel, sowohl im Hinblick auf die Akzentstruktur als auch auf das Tonmuster. Dies rechtfertigt jedoch nicht automatisch die Annahme einer vielfältigen prosodischen Realisierungsmöglichkeit für das Topik, da es entscheidend von der Topik-Definition abhängt, welche phonologischen Alternativen mit der Topikalität vereinbar sind. In der oben durchgeführten Analyse der Topik-Pragmatik innerhalb eines mehrdimensionalen Diskursmodells wurde für die Komplexität des Topiks argumentiert. Es ist daher nicht verwunderlich, daß diese funktionale Komplexität mit struktureller Variabilität korreliert und durch vielfältige syntaktische und prosodische Mittel zum Ausdruck gebracht wird. 4.3.1. Der Analyse der Prosodie der topikrelevanten Positionen - der satzinitialen SpecF und FP-Adjunkt-Position - sind einige Anmerkungen zu den sprachspezifischen phonologischen Eigentümlichkeiten des Ungarischen vorauszuschicken. In der ungarischen Fachliteratur wird einhellig betont, daß die prosodischen Alternativen in hohem Maße von der syntaktischen Struktur des Satzes abhängen. Die oben analysierte festgeregelte Fokussierung und die damit korrelierende prosodische Prominenz im verbalen Bereich machen diese Behauptung verständlich. Der entscheidende Einfluß der Syntax auf die Phonologic ist besonders bei den sog. "korrektiven" Sätzen des Ungarischen deutlich nachweisbar. Die auf Brassai zurückzuführende und auch von E. Kiss anfänglich vertretene "extreme" Ansicht bezüglich der engen Beziehung zwischen Syntax und Phonologic (und der damit korrelierenden Informationsstruktur) - die eindeutige Zuordnung von Prominenz zur Fokusposition oder zum Verb, die obligatorische Abwesenheit von primärem Akzent in der Topikposition und im postverbalen Bereich (vgl. E. Kiss 1981 a) - wurde jedoch starker Kritik unterzogen und in mehrerer Hinsicht modifiziert. Von zahlreichen Linguisten wird demnach die Annahme abgelehnt, daß allen ungarischen Sätzen ein einziger Primärakzent zugewiesen wird; es wird behauptet, daß dadurch nur ein Bruchteil der tatsächlich existierenden und funktional relevanten Akzentuierungsmöglichkeiten erfaßt werden könnte. Dabei haben besonders die Beobachtungen zu den Prominenzverhältnissen von kontextlosen Sätzen und der Hinweis auf zusätzliche Akzentgipfel wesentliche Implikationen für die Akzentuierung und das Tonmuster des Topiks. Sätzen mit einem "emphatischen" Fokus, für die die sog. "eradicating prosody", das heißt eine alle anderen Akzente ausradierende Prosodie, charakteristisch ist, wird zum einen diejenige Alternative der Akzentuierung gegenübergestellt, die "level prosody" ("downdrift") genannt wird und die Neutralität des Satzes (bzw. die aspektuelle Opposition) zu signalisieren hat (vgl. Elekfi 1964, Wacha 1976, Kaiman et al. 1986, Brody 1990). Zum ändern ist aufgrund des in diesem Zusammenhang zitierten reichen Materials in der Literatur kaum zu bezweifeln, daß

193 Mehrfachfokussierung durchaus möglich ist und daß zusätzliche Foki bzw. diese signalisierende Akzentgipfel sowohl im prä- als auch im postverbalen Bereich vorkommen können.46 Einer weiteren Klärung bedürfen dagegen Fragen bezüglich der Akzentstärke und der Varianten des Tonmusters von Fokusgipfeln. Es besteht einerseits keine Einigkeit darüber, ob sich die Stärke der außerhalb des SpecF-F° -Bereichs gesetzten Akzente mit dem sog. Fokusakzent messen kann; andererseits ist eine Präzisierung der Tonmuster vonnöten. Zur Bestimmung der phonologischen Alternativen des Topiks sind deshalb sowohl empirische Untersuchungen als auch die Weiterentwicklung der theoretischen Grundlage notwendig, u.a. die Beachtung der Resultate der autosegmentalen Phonologic und ihre Anwendung auf das Ungarische (zur Zeit liegen nur Analysen im holistischen Modell vor, vgl. Varga 1983,1984, 1987-88). Auch der Vorschlag von E. Kiss (1987-88), der sich - im Gegensatz zu der von Chomsky/Halle (1968) vorgeschlagenen rechtsperipheren "Nuclear Stress Rule" (NSR) des Englischen - auf eine linksperiphere NSR des Ungarischen, mit dem obligatorischen und einzigen Primärakzent auf der ersten maximalen Kategorie der VP-Konstituente, beruft und erhebliche theoretische Modifikationen voraussetzt, kann erst nach eingehenderer Analyse des empirischen Materials bewertet werden. 4.3.2. Da sich Topikalität, wie auch die syntaktische Analyse gezeigt hat, mit variierenden Fokusstrukturen und unterschiedlichen Positionen am Satzanfang verträgt, sind auch die Varianten der Topik-Phonologie im Hinblick auf die verschiedenen Fokusstrukturen und syntaktischen Positionen weiter zu differenzieren. 4.3.2.1. Die SpecF- oder FP-Adjunkt-Position einnehmende Topik-Konstituente kann bei maximalen grammatischen Fokusstrukturen - in entsprechenden Kontexten, wie z.B. als Antwort auf die Frage Was gibt's Neues? verwendet - als ein nicht markiertes Fokus-Topik die sog. "level prosody" einleiten und sich nicht durch eine den anderen Gliedern überlegene prosodische Stärke auszeichnen47 (Akzente innerhalb der "level prosody" werden in der Literatur durch Akzentzeichen vor der akzentuierten Silbe angedeutet; der syntaktischen Analyse wird jedoch einheitlich - auch bei den zitierten Beispielen - die in (59) vorgeschlagene Satzstruktur zugrunde gelegt):

46

47

Zum diesbezüglich relevanten Material vgl. Joannovics (1889), Kicska (1891-92), Bulanyi (1944), Deine (1962), Hetzron (1980). Nach Varga (1983) kann das Topik innerhalb der "level prosody" mit dem Kommentar eine Tondomäne bilden, wobei E. Kiss (1987-88) für die TKG immer eine phrasale und tonale Gliederung vorsieht und die deutliche Markierung der Trennung des Topiks vom Kommentar - u.a. durch Pausen - für notwendig hält

194 FP-Adi.

(82)

SpecF-pO

'P6ter

'megvarta 'Marit

Peter-Norn

PERF-wartete Mari-Akk im Club

(83) Egy 'ismerösöm ein Bekannter von mir

SpscE (84) 'Jänos Janos

'aklubban.

"megbolondult.

(Kaiman et al. 1986) (Varga 1987-88)

ist verrückt geworden

E° 'sdtältatja

a 'kutyäjät

a 'parkban.

führt aus

seinen Hund

im Park

(Kenesei 1986)

4.3.2.2. In nicht-neutralen Sätzen, mit einem minimalen (bzw. mittleren) Fokusbereich und dem Primärakzent im SpecF-F°-Bereich, ist zwar Topikalität auf die satzinitiale FP- AdjunktPosition beschränkt, deren intonatorische Realisierung kann jedoch abhängig von der Fokusstruktur des Satzes bzw. von der damit zusammenhängenden pragmatischen Interpretation variieren. In zahlreichen Arbeiten zur Topik-Grammatik (E. Kiss 1987, Fe"ry 1992, Krifka 1992) wird behauptet, daß mit dem Topik typischerweise Unakzentuiertheit korreliert. Zu dieser auch in intonatorischer Hinsicht "unmarkierten" Kategorie gehören allerdings nur diejenigen Topiktypen, die in der Grammatik kein Fokusmerkmal erhalten und, als "thematische" Glieder in den "Hintergrundbereich" eingegliedert, der Sicherung der Kohärenz dienen (der Primärakzent auf dem Fokus wird bei E. Kiss durch Akzentzeichen vor der akzentuierten Silbe angegeben): (85)

Hogy

döntött a bizottsäg a tervezetek ügy6ben?

Wie

beschloß der Ausschuß Über die Pläne?

FP-Adj.

(85') Abizottsäg der Ausschuß

'elfogadta

ajavaslatot.

nahm an

den Vorschlag

(E. Kiss 1987-88)

Nicht zu vergessen ist jedoch, daß aus rhythmischen Gründen auch diese thematischen Topiks intonatorisch markiert und mit einem Primärakzent versehen werden können. Diesbezügliche Hinweise finden sich u.a. bei Deme (1962) und Varga (1983)4^, deren Annahme Uhmanns (1991) und F£rys (1992) Auffassung im Hinblick auf die von der Fokussierung unabhängige Bildung von Akzentdomänen entspricht. 43.2.3. Zu einer Akzentuierung der FP-Adjunkt-Position kann es jedoch nicht nur aus rein formalen Gründen kommen. Die zusätzliche Fokusmerkmalzuweisung bzw. eine diese zum Ausdruck bringende obligatorische Akzentzuweisung, und demnach die Bildung einer separaten Akzentdomäne (in Vargas Terminologie: "tone group", TG), ist auch bei bestimmten Fokusstrukturen bzw. für die Markierung bestimmter pragmatischer Funktionen

48

Varga (1983,1987-88) hält allerdings in diesem Zusammenhang nicht nur Primärakzente, sondern auch Sekundärakzente für möglich.

195 erforderlich.49 Der zusätzliche Primärakzent auf dem Topik, mit einer darauffolgenden Pause, kann der deutlichen Signalisierung der Topik-Kommentar-Gliederung dienen, vgl. (86'), und nicht selten - sowohl bei rhematischen (vgl. Turner 1976: "double-duty"-Funktion) als auch bei thematischen Topiks - einen Kontrast ausdrücken (87) - (88): 5° (86) Miujsäg? Was gibt's Neues? (86') FP-Adj.

v

mein Freund

hat geheiratet

(87) A'barätom (88)

SpecF-pO

A 'barätom

megnösült.

'megnösült,

(Varga 1983) v

,

nem.

mein Freund

hat geheiratet,

N

'elmegyek,

'övele vnem.51

mit dir

gehe ich weg,

mit ihr

Teveled

ich

(ebenda)

nicht

(ebenda)

nicht

Für die Beschreibung der bei diesen intonatorisch "markierten" Topiks vorliegenden Tonmuster und der mit ihnen verknüpften Funktionen sind weitere gründliche Analysen erforderlich. Die steigende Kontur am Satzanfang scheint sprachübergreifend - demnach auch im Ungarischen - hauptsächlich die Kontrastierung des Topiks zum Ausdruck zu bringen und ist insofern mit semantischen Konsequenzen verbunden, als sie die Skopusreduktion von Quantoren impliziert (vgl. Hunyadi 1981,1986, Kenesei 1989, E. Kiss 1991).52 Bei anderen Tonmustem ist dagegen hinsichtlich ihrer pragmatischen Interpretationen eine (noch) größere Unsicherheit zu beobachten. Varga weist allerdings darauf hin, daß die Realisierung der einzelnen Tonmuster auf dem Topik nicht primär (bzw. nicht nur) von semantischen und kommunikativen Faktoren (Thematizität, Kontrast usw.) abhängt, sondern daß sich dabei auch bestimmte formale Abhängigkeitsverhältnisse zwischen dem Tonmuster des Topiks und dem des Kommentars geltend machen.53

49

Als die wichtigsten Verwendungsgründe für Primärakzente beim Topik gibt Varga (1983. 1986, 1987-88) außer rhythmischen Gründen die Bildung separater Tongruppen, die Kontrastierung und die Einführung von "neuen" Topiks an. 50 In Vargas Notation werden die Akzentstufen durch unten (für Sekundärakzente) vs. oben gesetzte Akzentzeichen (für Primärakzente) unterschieden. Zur Differenzierung der CH-tones ("Character-tones") verwendet Varga (1983) in seinen Beispielen folgende Zeichen: ' (Primärakzent ohne Spezifikation des Tonmusters),' (rising), * (falling). 51 Für das thematische Topik sind bei Varga auch Sekundärakzente (zur Kontrastierung bzw. aus rhythmischen Gründen) vorgesehen. Vgl. (86") als eine von Varga vorgeschlagene alternative Realisierung von (88): (881)

.Teveled

elmegyek,

.övele

~nem

32 Aufgrund ihres besonderen semantischen Verhaltens bzw. aufgrund der Abweichung von der dem Topik vorbehaltenen prosodischen Alternative (d.h. Unakzentuiertheit) klammert E. Kiss topikalisierte Glieder mit einem steigenden Tonmuster aus der Satzstruktur aus und analysiert sie als Linksversetzungskonstniktionen. Auf die pragmatischen Konsequenzen einer solchen Analyse geht sie jedoch nicht ein. 53 Vgl. dazu die von Varga (1983:137f.) vorgeschlagenen "CH-tone dependencies" zwischen "topic TG" und "comment TG".

196

4.3.3. Durch die phonologische Analyse des Topiks sollte gezeigt werden, daß die Phonologic im Ungarischen zwar stark von syntaktischen Faktoren abhängt, daß aber auch das Ungarische durch die beiden Typen der Topik-Positionen verschiedene Varianten der prosodischen Realisierung des Topiks zuläßt. Es wurde angenommen, daß Primärakzent, genauso wie Fokussierung, mit Topikalität durchaus verträglich ist. Die Variation bezüglich der Akzentstärke, gleich ob Primärakzent vorliegt oder nicht, bzw. die Vielfältigkeit des Tonmusters ist insbesondere bei der prototypischen Topik-Position, der FP-Adjunkt-Position, zu beobachten, wodurch die syntaktisch und pragmatisch bedingten Varianten der Topikalität differenziert zum Ausdruck gebracht werden können.

5.

Zusammenfassung

Eines der Anliegen dieses Aufsatzes war, eine pragmatikinterne Definition des Topiks, mit einem "geschichteten" Pragmatikmodell als Bezugsrahmen, zu entwickeln. Durch Rekurs auf das BUhlersche Modell wurden die theoretischen Voraussetzungen für die Etablierung der TKG als einer eigenständigen Ebene der Informationsstruktur geschaffen und der Beobachtung Rechnung getragen, daß die TKG nicht aus den fokusstrukturellen Verhältnissen erschließbar ist. In diesem Rahmen konnten auch die Daten, die von der Gleichzeitigkeit von Topik und Fokus zeugen, theoretisch erfaßt werden, das heißt: Topik und Fokus - auf verschiedene Aspekte der Informationsstruktur Bezug nehmend - wurden miteinander für kompatibel gehalten bzw. ihre in der Literatur nicht selten behauptete Komplementarität wurde in Abrede gestellt Die Analyse der komplexen Verhältnisse innerhalb der Pragmatik hat allerdings zu dem Schluß geführt, daß die Verträglichkeit von Topik und Fokus bestimmten Restriktionen unterworfen ist: Durch die modifizierte Fokusrestriktion des Topiks wurden Fälle mit einem einzigen minimalen Fokus am Satzanfang aus der Topikalität ausgeklammert. Weiterhin war bei bestimmten kontextlosen Sätzen mit einer maximalen Fokusprojektion die Realisierung der TKG nicht möglich oder nicht obligatorisch, wobei jedoch nicht die Fokusstruktur ausschlaggebend war, sondern die Entscheidung des Senders in bezug auf die Perspektivierung unter Beachtung von semantischen und strukturellen Faktoren. Durch die Einordnung des Topik-Begriffs in ein kohärentes System der Informationsstruktur konnte auch der Heterogenität der Topikalität und der damit zusammenhängenden strukturellen Variabilität Rechnung getragen werden. Die Komplexität des Topik-Begriffes ist daher kein Grund, das Topik als ein "verwirrendes" Konzept aus der linguistischen Diskussion zu "verbannen" (vgl. Schlobinski/Schütze-Cobum 1992), sondern sie läßt sich, aus den vielfältigen Relationen innerhalb des Systems ableitbar, erklären. Die Frage der Beziehung zwischen Informationsstruktur und grammatischer Struktur wurde anhand der Analyse der wichtigsten syntaktischen und prosodischen Korrelate der Topikalität und der Fokussierung im Ungarischen problematisiert. In die nach den Prinzipien der X-bar-Theorie konzipierte Satzstruktur des Ungarischen wurde eine Fokusprojektions-

197

stufe (FP) (bereits auf der Ebene der D-Struktur) eingeführt, mit deren Hilfe nicht nur die positioneil strikt festgelegte Fokussierung zu erfassen war, sondern auch Aussagen in bezug auf die Topik-Kommentar-Gliederung gemacht werden konnten. Da es sich bei der FP um eine fokusstrukturell motivierte funktionale Projektionsstufe handelt, konnte eine Erklärung dafür gegeben werden, warum im Ungarischen nur die Verbbewegung obligatorisch ist. Die strukturelle Realisierung des Topiks wurde daher auf Fälle eingeschränkt, wo sie aus pragmatischen Gründen erforderlich ist. Dadurch wurde verständlich, warum thetische Sätze gerade mit VS-Abfolge eine derart häufige und unmarkierte Option im Ungarischen - trotz der SOVBasisabfolge - darstellen. Als eine weitere strukturelle Alternative für thetische Sätze wurde die Füllung der SpecF-Position durch inkorporierte Elemente diskutiert: In diesen Fällen konnte die Isolierung des Topiks vom Kommentar aufgrund der lexikalischen und intonatorischen Integriertheit des satzinitialen Gliedes mit dem Verb nicht in Frage kommen. Die modifizierte Fokusrestriktion, die nur in speziellen Fällen gültige Komplementarität von Topik und Fokus, führte zu der Annahme, daß keine eigene Topik-Projektionsstufe aufzustellen ist; das Topik kann in der Regel als Adjunktionsposition, seltener als SpecF-Position, innerhalb der FP realisiert werden. Auf die Fokusrestriktion des Topiks rekurrierend wurde allerdings dafür argumentiert, daß satzinitial stehende "einzig minimale Foki" in der SpecFPosition (und in Ausnahmefällen in der FP-Adjunkt-Position) von der Topikalität auszuschließen sind. Zuletzt wurde festgestellt, daß die große Variation der phonologischen Realisierungsmöglichkeiten, besonders im Hinblick auf die prototypische Topik-Position, die FP-Adjunkt-Position, die pragmatische Komplexität des Topiks besonders deutlich widerspiegelt.

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Satzfügung und kommunikative Gewichtung Zur Grammatik und Pragmatik von Neben- vs. Unterordnung am Beispiel 'implikativer' und-Konstruktionen im Deutschen1 Marga Reis, Tübingen t/n^-Konstruktionen, die mit Infinitiv-Konstruktionen konkurrieren, widersprechen auf den ersten Blick der gängigen Annahme, daß die Satzfügung mit kommunikativer Gewichtung korreliert. In diesem Beitrag wird am Beispiel der mit implikativen Infinitivkonstruktionen (IIK) gleichwertigen 'implikativen' w/ui-Konstruktionen (IUK) im Deutschen dafür argumentiert, daß sich dieser Widerspruch auflösen läßt: Aufbauend auf einer eingehenden Analyse der Syntax, Semantik und Pragmatik beider Konstruktionen wird gezeigt, daß ihre Gleichwertigkeit aus der Interaktion der je beteiligten sprachlichen Mittel folgt, und sich ihre Konkurrenz gerade aus der Wirksamkeit der in Frage stehenden Korrelation begründen läßt.

1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 4. 4. l. 4.2. 4.2. l. 4.2.2. 5.

1.

Gegenstand und Problemstellung Zur Grammatik der IUK: IUK und normale und-Koordinationen im Vergleich Zur S yntax normaler Koordinationen IUK sind normale und-Koordinationen Die Struktur der IUK Folgerungen für die Semantik von IUK Zur Grammatik der IIK: Worin IUK und IIK parallel sind 'Implikative' Prädikate Zur Syntax der Zur Semantik von : Die Einfachheit implikativer Sachverhalte Die Implikativität von IUK: Semantisch-pragmatische Herleitung Die Fusionsinterpretation von IUK Die Implikativität von IUK Implikative Bezüge als konversationelle Implikaturen: Quasi-implikative Fälle Warum Implikativität bei IUK ist, was sie ist , IUK und kommunikative Gewichtung Literatur

Gegenstand und Problemstellung

1.1. Das folgende versteht sich als ein Beitrag zur Grammatik und Pragmatik der Satzfügung. Meine Ausgangsthese ist, daß die syntaktische Fügung pragmatische Korrelate hat, und insbesondere, daß der syntaktischen Neben- vs. Unterordnung von Sätzen eine kommunikative Gewichtung der darin enthaltenen Informationen entspricht. Diese These soll überprüft und Meine Überlegungen zu diesem Thema habe ich bei verschiedenen Treffen im Rahmen des Programms "Sprache und Pragmatik" und bei Veranstaltungen in Trondheim, Madison und Berkeley zur Diskussion stellen können. Den Teilnehmern an diesen Diskussionen danke ich für viele konstruktive Hinweise. Mein besonderer Dank gilt I. Rosengren, die mehrere Vorfassungen dieser Arbeit ausführlich kommentiert hat und mit der ich viele Einzelfragen intensiv diskutieren konnte.

204

erhärtet werden am Fall eines wenig beachteten Typs von u/irf-Konstruktionen im Deutschen (l),2 der in Konkurrenz zu Infinitivkonstruktionen wie (2) auftritt: (1) (2)

a. b. c. a. b. c.

Hans war so nett und besuchte sie. Tu mir den Gefallen und geh weg! Wird Hans es wagen und Petra verlassen? Hans war so nett, sie zu besuchen. Tu mir den Gefallen wegzugehen! Wird Hans es wagen, Petra zu verlassen?

Für eine Sprache wie das Deutsche, in der die Unterscheidung von Koordination vs. Subordination (Komplementation) klar ausgeprägt ist,3 ist ein solches Konkurrenzverhältnis überraschend: Normalerweise sind koordinierte Konjunkte voneinander nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch unabhängig, vgl. etwa (3), und wann immer zwischen Teilsatzpropositionen ein Prädikat-Argument-Verhältnis wie in (2) besteht, ist die syntaktische Fügung subordinierend; eine Überlappung zwischen Koordination und Subordination (Komplementation) sollte von daher ausgeschlossen sein. (3)

a. Eva schreibt Briefe und Karl bereitet das Abendessen vor. b. Mein Sohn spielt Volleyball, singt im Kirchenchor und ist aktiver Pfadfinder.

Die M/u/-Konstruktionen (1) versteht man jedoch völlig analog zu den Infinitivkonstruktionen (2): Das Zweitkonjunkt fungiert genau wie der Infinitivausdruck als Argument des jeweiligen Prädikats im ersten Teilsatz, das heißt, es liegt beidemale der gleiche 'subordinative' Teilsatzbezug vor. Damit haben wir bei (1) eine Diskrepanz zwischen Syntax und Semantik der Satzfügung, die üblichen Annahmen widerspricht. Darüber hinaus gibt es keinen gravierenden Gewichtungsunterschied zwischen (1) und (2) und jeweils stärkeres Gewicht auf dem zweiten Teilsatz, was meiner - ebenfalls nicht unüblichen - Ausgangsthese über Syntax und Pragmatik der Satzfügung widerspricht. Kurz: Die Gleichwertigkeit der und- und Infinitivkonstruktionen (l)-(2) ist ein Problem für alle, die an die Korrelierbarkeit semantischer oder pragmatischer mit syntaktischen Gegebenheiten im Bereich der Satzfügung glauben. Im folgenden will ich zeigen, daß dieser Glaube, wenn modular verankert,4 die Prüfung durch (l)-(2) nicht nur bestehen, sondern dadurch sogar gestärkt werden kann. Das Mittel dazu ist eine eingehende Analyse der Syntax, Semantik und Pragmatik beider Konstruktionen, die zeigt, daß ihre Gleichwertigkeit aus der regulären Interaktion der je beteiligten besonderen sprachlichen Mittel folgt, und sich ihre Konkurrenz gerade aus der Wirksamkeit der Korrelation von Satzfügung und kommunikativer Gewichtung begründen läßt.

Verwertbare Belege und Diskussion hauptsächlich bei Behaghel (1905, 1928:317f.), Paul (1919:181 f.), Grimms DWb (1936[11]:411,421), Bech (1957:56), Sitta (1971:64), Boettcher (1972:93f.), Matzel/Ulvestad (1978:173-177). Zum Verhältnis von Koordination und Subordination in anderen Sprachtypen s. Van Valin (1984), Kaiman/ Thompson (Hgg.) (1988), zu seriellen Konstruktionen s. insbesondere Kühn (1991). Zum hier zugrundegelegten Modell des Grammatik-Pragmatik-Verhältnisses s. Motsch/Reis/Rosengren (1990), Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992); zur daraus resultierenden Untersuchungsstrategie s. Reis (1992).

205 1.2. Bevor ich auf den Gang der Untersuchung näher eingehe, will ich einem naheliegenden Einwand gegen ihren Gegenstand vorbeugen: i/nd-Konstruktionen wie (1) gehören vor allem der Umgangssprache bzw. der gesprochenen Sprache an;5 auch bei den schriftsprachlichen Belegen ist der Anteil von Redezitaten auffallend hoch. Selbst erstrangige Grammatiker behandeln sie eher als Fehler denn als grammatikalisierte Randerscheinung: Für G.Bech (1957:56) sind sie Zeichen "wenig sorgfältiger Rede", und H. Paul bemerkt "zuweilen werden Sätze mit und verbunden, von denen eigentlich der zweite von dem ersten abhängig gemacht werden sollte" (1896:487[1966:707], s. auch 1919:181). Kann man also diese und-Konstruktionen überhaupt grammatisch-pragmatisch emstnehmen, bzw. kann man das Problem mit (l)-(2) nicht schlicht dadurch erledigen, daß man Fälle wie (1) als bloße Performanzfehler, 'Kontaminationen' einstuft? Man kann nicht: Zum einen hält das normative Vorurteil einer Überprüfung an gegenwartssprachlichen Belegen (vgl. Matzel/Ulvestad 1978:173ff.) nicht stand; manchmal erscheinen die u/ui-Konstruktionen sogar besser als die Infinitivkonstruktionen: (4) (4')

Sei so gut und tu das für mich. Sei so gut, das für mich zu tun.

Entscheidend ist jedoch folgendes Argument: Nicht zu allen Infinitiv-Komplement-Konstruktionen treten und-Varianten auf, vgl. (5)-(5'), (5) (5')

a. b. c. a. b.

Er steht unter dem Zwang, bis 1.7. die Doktorarbeit abgeben zu müssen. Herbert bedauert es, nur 1.60 m groß zu sein. Herbert ist zu intelligent, auf diesen Trick hereinzufallen. *Er steht unter dem Zwang und muß bis 1.7. die Doktorarbeit abgeben. *Herbert bedauert es und ist nur l .60 m groß.

c. *Herbert ist zu intelligent und fällt auf diesen Trick herein, [ebenso gilt: Interpretation von Sa-c * Interpretation von 5'a-c]

sondern nur zu einer Teilklasse von 'implikativen' Komplementkonstruktionen (im Sinne von Karttunen 1971,1975), die sich präzis charakterisieren läßt, s.u. 3.1. Wenn aber der Gebrauch von und-Varianten so offensichtlich grammatisch determiniert ist, ist die Rede von Performanzfehlern müßig. Die betreffenden 'implikativen' wnd-Konstruktionen (fortan: IUK) sind also, egal ob Randerscheinung oder nicht, innerhalb der Grammatik zu beschreiben. Damit ist klar, daß man um das Problem mit (l)-(2) nicht herumkommt, und sich folgenden Fragen in Bezug auf IUK und implikative Infinitivkomplementkonstruktionen (fortan: IOC) stellen muß: -

(i) Wie erklärt sich, daß augenscheinlich koordinierte Strukturen wie (1) kontextunabhängig die gleiche Interpretation wie die syntaktisch subordinierten Strukturen (2) haben? (ii) Wie erklärt sich, daß trotz unterschiedlicher syntaktischer Fügung das kommunikative Gewicht von IUK und IIK weitgehend gleich (und dabei endlastig) ist ?

Das gilt offenbar auch für die anderen Fälle von 'Pseudokoordination* in enger verwandten Sprachen, vgl. Coseriu (1966), Josefsson (1991), Ekberg (1993).

206 1.3. Überlegen wir uns zunächst einen erfolgversprechenden Ausgangspunkt für (i). Der auf den ersten Blick einzig mögliche scheint (Hl), (Hl) IUK sind syntaktisch keine Koordinationen, sondern Einbettungskonstruktionen, wenn man die grundlegenden Fakten über IUK im Auge hat: -

a) IUK sind mit äquivalent, und IIK haben, entsprechend ihrer syntaktisch subordinativen Fügung, eindeutig eine eingebettete Propositionsstruktur, b) in IUK tritt stets ein implikatives Prädikat auf (einschließlich eines 'korrelativen' Elements: es, so, definite NP); seine Argumentstruktur wird in puncto propositionales Argument durch das u/ui-Konjunkt erfüllt; c) drei für normale Koordinationen fakultative Strukturmerkmale sind bei IUK obligatorisch: cl) Anwesenheit von und, s. (6) vs. (10); c2) Abwesenheit des Subjekts, s. (6) vs. (9); c3) informationsstrukturelle Einheit der koordinierten Struktur (was mit genau einer FHG korreliert), s. (7) vs. (8):

-

-

(6) (7) (8) (9) (10)

Hans hat KOPFweh, (und) (er) ist depriMffiRT und (er) haßt seine UMwelt. Hans singt und SPIELT dazu. - Hans SINGT und (er) SPIELT dazu. Hans war so nett und beSUCHte sie. - ??Hans war so NETT und beSUCHte sie. *Hans war so nett und er beSUCHte sie. - ??Hans war so NETT und er beSUCHte sie. *Hans war so nett, beSUCHte sie und schenkte ihr BLUMen.

Dabei ist (b) das zentrale Faktum, das zusammen mit (a) die syntaktische Deutung der IUK als Komplementkonstruktion zu erzwingen scheint; anders scheint das Thetakriterium nicht erfüllbar. Die Fakten in (c) ergeben insofern ein zusätzliches Argument, als der angenommenen besonderen Bedeutung der unrf-Konstruktion bei IUK nun auch Besonderheiten in der Form entsprechen.6 Ausgehend von (Hl) wäre also die Antwort auf (i), daß IUK und IIK deshalb äquivalent sind, weil sie von vornherein die gleiche Einbettungsstruktur haben, wobei man annehmen muß, daß eben nur implikative Prädikate / -'Komplemente' alternativ zu Infinitivkomplementen syntaktisch selegieren. An dieser Lösung ist jedoch mehreres unattraktiv: Erstens macht sie die Äquivalenz von IUK und IIK synchron zu einem bloßen, strukturellen Zufall, wobei der Bedarf an semantischer Erklärung nur aufgeschoben, nicht aufgehoben ist.7 Zweitens ist sie mit der Hypothek belastet, die syntaktischen Koordinationseigenschaften der sogenannten und-Komplemente s. vor allem (c2): fehlendes Subjekt trotz Finitheit - erklären zu müssen, und eine entsprechende synchrone Kontaminations- oder Analogietheorie gibt es nicht. Drittens trägt diese Lösung überhaupt nichts zur Beantwortung von Frage (ii) bei, der ich mich jetzt kurz zuwenden will:

7

Vgl. Josefsson (1991:131), die genauso hinsichtlich ihrer schwedischen 'Pseudo-Koordinationen* argumentiert. Seit Grimshaw (1979) besteht die Erwartung, daß sich syntaktische Selektion ('c-Selektion') mindestens im Kern auf semanu'sche Selektion ('s-Selektion') zurückführen laßt

207

Daß IUK und IIK - nehmen wir als Beispiele (la), (2a), die hier wiederholt sind - bemerkenswerte Gewichtungseigenschaften haben, wird am deutlichsten beim Vergleich mit der Satzadverbial-Konstruktion (11) und der faktiven Konstruktion (12) (zu diesen s. Bartsch 1978): (11) (12) (la) (2a)

Hans hat sie netterweise besucht. Es war nett von Hans, sie zu besuchen, Hans war so nett und besuchte sie. Hans war so nett, sie zu besuchen.

In jeder dieser Konstruktionen werden grob gesprochen zwei Teilinformationen zum Ausdruck gebracht, (11) (12)

Hans besucht sie Hans ist in Hinsicht auf (Ii) nett

die jedoch intuitiv deutlich je unterschiedliches kommunikatives Gewicht aufweisen (d.h. unterschiedlich kommunikativ zugänglich sind, s.u. S.): In (11) geht es primär um (Ii), und (12) bleibt im Hintergrund, in (12) primär um (12), und (Ii) bleibt im Hintergrund. Dabei ist offensichtlich, daß diese Gewichtungsunterschiede (angedeutet durch W vs. w in (ll')-(12')) mit der Satzfügung korrelieren: Die jeweils prominente Information steckt im (nuklearen) Hauptsatz. Betrachten wir nun unter dieser Perspektive (la)-(2a): Für implikative Konstruktionen wie die (2a) ist konstitutiv, daß bei Assertion des Gesamtsatzes auch das Komplement assertiert ist (s. u. 3.1.), und für IUK (la) gilt offensichtlich genau das gleiche. Insoweit ist (Ii) bei IUK und IIK, genau wie in der Adverbialkonstruktion (11), im Vordergrund. Anders als bei (II) ist jedoch (12) nicht (so sehr) im Hintergrund, denn diese Informationsgehalte sind von Assertion, Negation, Protest, etc. bezüglich (la)-(2a) mitbetroffen. Das heißt, das Gewicht von (12) nähert sich in IIK und IUK dem von (Ii) (angedeutet durch die fast gleiche W-Auszeichnung in (la')-(2a')): IIl 1 ) (12*) (la1) (2a')

Adverbial-K. faktive K. IUK: IIK:

w W W W

(fe) (12) (12) (12)

< > [ynjemand nach Hause kommt] und Q2 da [ji stehtj [ der Gerichtsvollzieher vor der Tür t; ] ]] ] ]] (31) [cm wenn [ji e [ym jemand [yi [ 1nach Hause kommt] und [ji siehtj [ym da den Gerichtsvollzieher vor der Tür ti ] ]] ]]] (vgl. Höhle I990:225ff.) Ob diese Zusammenfassung berechtigt ist, ist durchaus problematisch,17 spielt aber, wie wir sehen werden, in unserem Zusammenhang keine Rolle. Für die Durchführung des Vergleichs mit IUK genügt es, im Auge zu behalten, daß das Muster der F-Koordination sich (auch bei subjektlosem Zweitkonjunkt) zweifelsfrei manifestiert einerseits in asymmetrischer Verbstellung, wobei die Hinzufügung des Subjekts in der Regel (mit genau beschreibbaren Ausnahmen) möglich ist (32), (32) a. wenn jemand nach Hause kommt und (er) sieht den Gerichtsvollzieher vor der Tür b. wenn du helfen willst, aber (du) weißt nicht, wie andererseits darin, daß im Gegensatz zu symmetrischer Koordination (33) und typischer SLFKoordination (34), und-Ersparung unmöglich ist (35) (die Beispiele beschränken sich auf Fälle mit subjektlosem Zweitkonjunkt): (33)

wenn ich [[nach Hause komme], [den Gerichtsvollzieher vor meiner Tür sehe] und [die Nachbarn erregt tuscheln höre]] (34) gestern kam ich [[nach Hause], [sah den Gerichtsvollzieher vor meiner Tür] und [hörte die Nachbarn erregt tuscheln]] (35) a. wenn ich [[nach Hause komme] und [sehe den Gerichtsvollzieher vor meiner Tür] und [höre die Nachbarn erregt tuscheln]] b. *wenn ich [[nach Hause komme], [sehe den Gerichtsvollzieher vor meiner Tür] und [höre die Nachbarn erregt tuscheln ]]

Weiterhin ist festzuhalten, daß auch für zweifelsfreie F-Koordinationen (i) die Fügungseigenschaft (a) und die fundamentale Eigenschaft (b) von Koordinationen gilt, ebenso (d)-(e); Ein Problem für diese Analyse, auf das Wunderlich (1988:313) verweist, ist ungleiches Verhalten hinsichtlich Negationsskopus und möglichem Auftreten von Subjekten in Sätzen wie (i): (i) a. * Wenn uns keiner willkommen heißt und er schließt uns in die Arme... b. * Wenn uns keiner willkommen heißt und schließt uns in die Arme... c. Uns heißt keiner willkommen und schließt uns in die Anne, (i') *Keiner heißt uns willkommen und er schließt uns in die Arme. Da die symmetrische Koordination (i') ebenfalls ungrammatisch ist, liegt nicht nur der Schluß nahe, daß SLF-Koordination und F-Koordination mit subjektlosem Zweitkonjunkt verschieden sind (s. (ic) vs. (ib)>, sondern auch, daß die sich gleich verhaltenden F-Koordinationen (ia), (ib) eher sententialen (symmetrischen) Koordinationen vergleichbar sind. (s. auch Kathol 1992). Ein weiteres ernsthaftes Problem ist die Existenz von Koordinationen wie (ii), in denen mit einem Verbletzt-Konjunkt sowohl ein subjektloses als auch ein subjekthaltiges F-Konjunkt verbunden ist (ii) wenn du nach Hause kommst und siehst den Gerichtsvollzieher vor der Tür und die Nachbarn tuscheln schon erregt Nach Hohles Theorie müßten sie ungrammatisch sein, da die Forderung nach gleichem Saturationsgrad der Konjunkte in keiner Weise zu erfüllen ist (weder summen die F-Konjunkte darin überein, noch kann das erste Konjunkt gleichzeitig den verschiedenen Saturationsgraden von Zweit- und Drittkonjunkt entsprechen). Auch hier scheint eine strukturelle Deutung, die F-Koordinationen von SLF-Koordination trennt und näher an die sententialen (symmetrischen) Koordinationen heranrückt, erfolgversprechender. Schließlich ist auch das Verhalten bei Konjunktions-Erspaning unterschiedlich, s. die o.a. Daten (33)-(35).

214

(ii) es keinerlei schlüssige Anzeichen dafür gibt, daß ihre Semantik von der normaler symmetrischer Koordinationen abweicht. Kurz einzugehen ist noch auf einen für F-Koordinationen gegenüber normalen symmetrischen und SLF-Koordinationen distinktiven pragmatischen Effekt: Die Konjunkt-Sachverhalte werden nicht parallel interpretiert, sondern als Teile eines Gesamtgeschehens, wobei der im F-Konjunkt ausgedrückte Sachverhalt im Vordergrund der Präsentation steht, und der im Erstkonjunkt ausgedrückte Sachverhalt demgegenüber herabgestuft, 'quasi-subordiniert', erscheint ('Wenn bei meinem Nach-Hause-Kommen der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht/...). Dem entspricht, daß die F-Koordination nicht in Kombination mit Elementen auftreten kann, die solche Parallel-Interpretationen erzwingen (oder, auch, sowohl-als auch, einerseits-andererseits, u.a.m.), vgl. (36), und umgekehrt nur in solchen Ko- und Kontexten alternativ zur symmetrischen Koordination möglich ist, die eine solche 'dramatisierende', quasi-subordinierende Gesamt-Interpretation erlauben, vgl. (37)-(38): (36) a. ??Wenn Paul überarbeitet ist oder Ute ist frustriert vom Hausfrauendasein, gibt's Krach, b. *Wenn Peter einerseits überarbeitet ist und (er) hat andererseits auch keine Lust,... (37) a. Ob Karl die Fahrkarten holt und Heinz packt ein oder ob Heinz die Fahrkarten holt und Karl packt ein, ist mir völlig egal, a'. *Zu ermitteln ist, ob Karl die Fahrkarten holt und und Heinz packt seine Sachen ein. b. Also es war so, daß Karl nach Hause kam und seine Frau stand vor der Tür und ließ ihn nicht herein. b1. *Als mildernder Umstand wurde berücksichtigt, daß Karl nach Hause kam und das spätere Opfer stand vor der Tür und ließ in nicht herein. (38) "'Wann holt jeder die Fahrkarten und jeder packt sein Zeug ein? (vgl.: Wann holt jeder die Fahrkarten und packt jeder sein Zeug ein?) Zweifellos geht dieser Effekt auf die Voranstellung des Verbs im Zweitkonjunkt zurück. Wie er sich im einzelnen aus den semantisch-pragmatischen Korrelaten von Verbzweit-Strukturen ableiten läßt, ist eine offene und hier ebensowenig zu lösende Frage, wie die, ob die F-Koordination darüber hinaus noch eine besondere strukturelle Basis hat.1** Wichtig ist jedoch, daß die deklarative Semantik von Verbzweit-Strukturen eine intuitiv plausible Ableitungsbasis für diesen Effekt darstellt, so daß die stets quasi-subordinierende Interpretation von FKoordinationen nicht nur mit (i), sondern auch mit (ii) verträglich ist. Eine Spekulation möchte ich mir jedoch erlauben: Aus der vorgehenden Anm. geht (zusammen mit der in (32) demonstrierten Fakultativität der Setzung eines konjunktgemeinsamen Subjekts) hervor, daß man bei FKoordination von sententialer Koordination eines beliebigen Erstkonjunkts mit einem Verbzweitkonjunkt ausgehen könnte, wobei das Subjekt im Vorfeld unter Identität mit dem Subjekt des Erstkonjunkts im allgemeinen ausgelassen werden kann. Damit ließe sich die deklarative Semantik von Verbzweit-Sätzen (s. dazu Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann 1992:36ff.) - ihr 'assertives' Potential - einheitlich zugrundelegen, die plausibel für den Vordergrund-Effekt verantwortlich zu machen wäre; daß die F-Konjunkte als im Bereich von wenn, als. ob und anderen Satzmodus tragenden Strukturelementen liegend interpretiert weiden, wäre dann genau so zu deuten wie die Adverbialfalle (s. Anm. 16). Daß man damit Ambiguitaten bei Verbzweit-Strukturen zwischen symmetrischer und F-KoordinatipnsStruktur vorhersagt (diese Vorhersage ist bei Annahme asymmetrischer F-Koordinationsstruktur im Sinne Hohles unvermeidlich), halte ich (im Gegensatz zu Kathol 11992) für keinen Nachteil, da es VerbzweitKoordinationen mit und ohne diesen Effekt gibt, vgl. (i) vs. (i ): (i) Heute wollt ich was Schönes kaufen und hatte kein Geld dabei, (i') Heute wollt ich was Schönes kaufen und hatte kein Geld dabei und mußte deshalb erst noch zur Bank.

215

2.2.

IUK sind normale zirnf-Koordinationen

Wenden wir uns nun den IUK zu: Sind sie in Wirklichkeit Komplementkonstruktionen oder sind sie das, was sie äußerlich zu sein scheinen, nämlich Koordinationsstrukturen? Letzteres ist der Fall, wie man in jeder relevanten Hinsicht zeigen kann: 2.2.1. IUK verhalten sich topologisch genau wie normale u/uf-Koordinationen, und nicht wie Komplement-Konstruktionen, vgl. (39)-(4 ): Wie man sieht, hat das 'implikative' und-Konjunkt nur die Stellungsmöglichkeit nach dem Erstkonjunkt (39), genau wie ww^-Konjunkte in zweifelsfreien Koordinationen; einbettungstypische Stellungen im Vorfeld und Mittelfeld des ersten Teilsatzes, wie sie für Infinitivkomplemente (auch und insbesondere in IIK) prinzipiell möglich sind, sind ungrammatisch. (39) a. b. (391) a. b. (40) a. b. (40') a. b. (41) a. b. (4 ) a. b.

Hans tat ihm den Gefallen und goß die Blumen, Hans war so nett und goß die Blumen. Hans tat ihm den Gefallen, die Blumen zu gießen, Hans war so nett, die Blumen zu gießen. *Den Gefallen und goß die Blumen tat Hans ihm gern. *So nett und goß die Blumen war Hans immer, wenn man ihn fragte. Den Gefallen, die Blumen zu gießen, tat Hans ihm gern. So nett, die Blumen zu gießen, war Hans immer, wenn man ihn fragte. *Hans hätte ihm gern den Gefallen und hätte die Blumen gegossen, getan. *Hans wäre schon so nett und hätte die Blumen gegossen, gewesen. Hans hätte ihm gern den Gefallen, die Blumen zu gießen, getan, ?Hans wäre schon so nett, die Blumen zu gießen, gewesen.19

2.2.2. Umgekehrt treten in IUK die koordinationstypischen Ellipsen auf; Gapping (42) und Linkstilgung (43), die für eingebettete Strukturen, auch und insbesondere IIK, ausgeschlossen sind: (42) a. b. (43) a. b.

Würdest du so nett sein und hier mal aufräumen? Er hätte dir sicher den Gefallen getan und hier mal aufgeräumt. Wenn Peter doch mal so nett sein und aufräumen würde. Da Peter ihm den Gefallen getan und öffentlich gebadet hat, ...20

Daß Sätze wie (4 ) weniger akzeptabel sind, hängt vermutlich mit dem korrelatähnlichen Status von so zusammen, s. u. 3.2.3. Den hier relevanten Punkt tangiert das nicht. Gewisse IUK sind mit und ohne Reduktion nicht besonders gut, vgl. (i): (i) a. ?wenn man so klug ist und ändern behilflich ist, [=Wenn man so klug ist, ändern behilflich zu sein] b. ??wenn man so klug und ändern behilflich ist b. ??wenn man so klug ist und ändern behilflich Trotzdem besteht ein erheblicher Unterschied zu den IIK-Varianten dieser Fälle (ii), den einzigen IIK, für die man die Eingangsbedingungen morphologischer Identität für Linkstilgung erfüllen kann: (ii) a. *Er pflegt so klug , mir behilflich zu sein. b. *Ich glaube, er wird so klug , mir behilflich zu sein. Da Gapping, das nur an finiten Fallen testbar ist, in fmiten Einbettungskonstruktionen unmöglich ist, vgl. (iii), ist der hier gemachte Punkt über IUK zweifelsfrei gültig, (iii) *Hans hat natürlich das Gefühl, er Recht.

216

2.2.3. In IUK ist und syntaktisch ebenso transparent wie in normalen Koordinationen, insbesondere sind Verbstellung und ±Finitheit des implikativen und-Konjunkts ausschließlich abhängig vom Satztyp der Gesamtkonstruktion: (44) a. b. c. d.

wenn Hans ihm den Gefallen tut und die Blumen gießt Ach, hätte Hans doch den Mut und käme mal unangemeldet zu Besuch. Der und so nett sein und Blumen gießen! Man forderte ihn auf, so klug zu sein und Abstinenz zu üben.

Im Gegensatz dazu sind bei zweifelsfrei subordinierten Sätzen diese Eigenschaften durch das einleitende Element ( /zu, daß, ob, etc.) bestimmt. In IUK fungiert und also nicht als Komplementierer, sondern wie sonst auch als nebenordnende Konjunktion, oder anders gesagt: Das fundamentale Koordinationsprinzip (b), s.o. 2.1.1., ist nach wie vor erfüllt. 2.2.4. IUK treten in allen syntaktischen Varianten normaler Koordination auf, die in 2.1. skizziert wurden: Einerseits gibt es IUK im Muster normaler symmetrischer Koordination, wofür neben der Möglichkeit symmetrischer Strukturierung der Konjunkte Auftreten in Verbletzt-Sätzen und Linkstilgung beweisend sind, s.o. und (45): (45) a. Hans [[war so nett] und [besuchte Anna]] b. weil Hans gestern [[so nett war] und [Anna besuchte]] c. weil Hans [[es gewagt ] und [Anna besucht hat]] Andererseits gibt es IUK, die unter das eindeutige SLF-Muster fallen, vgl. die zu o. (21) parallelen Beispiele (46): (46) a. b. c. d.

Hoffendich ist keiner so blöd und fällt auf ihn rein. Wann schon ist jemand mal so nett und schenkt einem was? Tat er ihr den Gefallen und ging weg? Dem Kerl; hat Peter den Gefallen getan und *(ihmj) öffentlich geschmeichelt.

Wie man leicht sehen kann, weisen diese nicht nur die konsumtiven SLF-Merkmale der Subjektlücke und der Verbvoranstellung auf, sondern erfüllen auch die anderen in 2.1.2. aufgelisteten Indizien, insbesondere die Unmöglichkeit der Objektauslassung im Zweitkonjunkt bzw. des grammatischen Bezugs auf die Vorfeldkonstituente. (Zu w-Extraktion s.u.) Schließlich gibt es bei IUK auch die asymmetrische F-Koordinationsvariante, vgl. (47), und zwar unter den gleichen syntaktischen und pragmatischen Umständen, unter denen F-Koordination auch sonst alternativ zu normaler symmetrischer Koordination auftritt (s.o. 2.1.3.): (47) a. Wenn Hans so nett ist und gießt die Blumen tatsächlich,... b. Wenn Karl den Mut hätte und ginge direkt zu ihr,... c. Wenn der Kerl so blöd ist und machts,... Dieses Vorkommen in allen syntaktischen Varianten normaler Koordination ist wohl der nachdrücklichste Beweis dafür, daß IUK 'durch und durch' syntaktischen Koordinationsstatus hat. Zugleich zeigt es definitiv, daß man IUK nicht auf eines der 'asymmetrischen' Muster (wenn es sie tiefenstrukturell geben sollte) reduzieren kann. Damit ist auch klar, daß die suggestiven punktuellen Affinitäten von IUK zu SLF-Koordination einerseits (obliga-

217

torische Subjektlücke), und zu F-Koordination andererseits (obligatorischer Erhalt der Konjunktion), oberflächlicher Natur sind; auf jeden Fall sind sie nicht spezifischen strukturellen Gemeinsamkeiten der IUK mit diesen 'asymmetrischen' Koordinationen geschuldet 2.2.5. Bleibt ein möglicher Einwand: IUK verhalten sich gegenüber dem"Coordinate Structure Constraint' plus ATB nicht so strikt bzw. nicht genau so wie normale und-Koordinationen. So lassen IUK im symmetrischen und im SLF-Muster Extraktionen allein aus dem linken Konjunkt mehr oder minder zu, vgl. (48)-(49); da es sich um w-Interrogativsätze handelt, ist das auch fürs SLF-Muster erstaunlich. (48) a. b. (49) a. b.

Laß hören, wem, Peter [[ ti den Gefallen tat] und [(*tj) abhaute]] Laß hören, wemj Peter [[ t, den Gefallen tat] und [(?ihirii) öffentlich schmeichelte]] Wemj tat Peter ti den Gefallen und [haute (*tj) ab] Wem; tat Peter ti den Gefallen und [schmeichelte ?*(ihmj) öffentlich]

Zum ändern gibt es, vor allem bei IUK mit so+Adjektiv-Prädikaten, recht gute Extraktionen aus dem rechten Konjunkt, die bei normaler Koordination weder für symmetrische noch für asymmetrische Varianten akzeptabel sind: (50) a. b. c. d. e. f.

Für wem war Hans so nett und hat die Blumen t; gegossen? Zu diesem Treffeni ist Hans sicher so nett und t, kommt. ??Wem, war Hans so klug und hat t; nicht widersprochen? HWohini war Hans so dumm und ließ sich ti versetzen? l*Wohini tat ihm Hans den Gefallen und reiste allein ti ? *Wohim wagte es Karl und reiste allein ti ?

Es ist allerdings bekannt, daß CSC/ATB nicht nur gegenüber syntaktischen, sondern auch gegenüber semantischen bzw. (besser) pragmatischen Parallelismuseigenschaften sensitiv ist. So finden sich 'ausnahmsweise' Extraktionen allein aus dem linken Konjunkt auch bei syntaktisch symmetrischen normalen Koordinationen (51), wobei die naheliegende Erklärung ist, daß das Zweitkonjunkt nichtparallel, als dem ersten 'adverbial subordiniert1 interpretiert wird (s. Goldsmith 1985): (51) Zu fragen ist, wieviele Stunden; unsere Assistenten [t, unterrichten rechtzeitig ihre Habilschrift vorlegen können].

] und [trotzdem

'Ausnahmsweise' Extraktionen allein aus dem rechten Konjunkt außerhalb von IUK sind im Deutschen selten (52),21 jedoch z.B. im Englischen nichts Ungewöhnliches (53)-(54) (s. hierzu Hutchinson 1975, Kac 1985), und vor allem wieder daran gebunden, daß die Konjunkte pragmatisch nicht parallel interpretiert werden; vielmehr muß stets die Interpretation

Daß die Extraktion aus Konstruktionen mil Bewegungsverben im Deutschen bei weitem nicht so gut ist wie im Englischen hat wohl zwei überlappende Gründe: Zum einen stehen die betreffenden u/id-Konjunkte, zu denen es ebenfalls Infinitivvarianten (mit und ohne zu) gibt, zum Erstkonjunkt in einem eher 'finalen', also adverbialen Verhältnis (s. die mögliche Paraphrase mit usn-Infiniüv); aus Sätzen mit Adverbialstatus kann man aber im Deutschen nicht extrahieren. Zum ändern ist die go (and) V-Konstruktion, an die sich die anderen Fälle anschließen, im Englischen weit stärker auxiliarisiert als im Deutschen.

218

als ein 'unitary event* (mit automatisch komplementärer statt paralleler Interpretation der Prädikate) möglich sein: (52) a. b. (53) a. b. (54) a.

??Wieviel Whiskyj mußt du gehen und ti einkaufen? ??Der Whisky, denj er hinging und tj kaufte,... Whoi did she run and kiss tj? The man whoi she ran and kissed ti,... Who, did she load the gun and shoot tj?

b. The man whoj she loaded the gun and shot ti,... (Beispiele (53)-(54) nach Hutchinson 1975)

Damit ist aber auch klar, wie sich das CSC/ATB-Verhalten von IUK erklärt: IUK, das war die Ausgangsbeobachtung, werden 'subordiniert' interpretiert, damit sind die Extraktionen aus dem linken Konjunkt analog zu o. (51) verständlich. Andererseits werden mit IUK, wie gleich deutlich werden wird, stets 'unitary events' beschrieben, damit sind die Extraktionen aus dem rechten Konjunkt analog zu o. (52) verständlich. Dafür, dieses Sonderverhalten gegenüber CSC/ATB auf eine besondere 'nichtkoordinative' Struktur zurückzuführen, gibt es hier wie dort keinen guten Grund.22 Allenfalls wird durch (52)-(53) - wo Subjekte im Zweitkonjunkt akzeptabel sind, allerdings dann auch der CSC/ATB voll greift - ein komparatives Argument dafür geliefert, daß die syntaktische Subjektgemeinsamkeit für die Deutung der IUK zentral ist 2.2.6. Wenden wir uns auf diesem Hintergrund den in 1.3. genannten obligatorischen Strukturmerkmalen von IUK zu: a) Anwesenheit von und, b) Subjektlücke, c) FHG-Einheit. Daß sie tatsächlich obligatorisch sind, ist unbezweifelbar, vgl. hinsichtlich (a) (55), wo und-Ersp&rung/Asyndese bzw. Austausch mit anderen Konjunktionen die betreffenden IUK ungrammatisch macht, (55) a. b. c. d.

Hans ist so klug und kümmert sich um seine Tante. *Hans ist so klug, kümmert sich um seine Tante (und spart auf ein Auto). *Hans ist so klug, aber/oder kümmert sich (nicht) um die Erbtante. *weil Hans sowohl so klug ist als auch sich um seine Tante kümmert

e. *weil Hans weder so klug ist noch sich um seine Tante kümmert [* in der zu (SSa) parallelen Interpretation]

und hinsichtlich (c) (56)-(57), die die Notwendigkeit der l:l-Korrelation zwischen IUK und FHG-Einheitenbildung unterstreichen: Sobald, wie in (57), zwei Fokusdomänen vorliegen,23 sind die betreffenden IUK ungrammatisch.

22

Goldsmith setzt für die zu (51) analogen englischen Falle eine Subordinationsstruktur an (1985:141f.), aber mit ganz ungenügender unabhängiger Rechtfertigung. Schon die in (51) statthabende Linkstilgung wäre von einer solchen Struktur her nicht zu erklären.

23

Zu einer näheren Erläuterung des Begriffs Tpkusdomäne' s. Uhmann (1991:221ff.) und Rosengren [in diesem Band, Abschn. 4.]. Daß der bloße Verweis auf Hauptakzente nicht ausreicht, ergibt sich nicht nur aus der stets vorhandenen Möglichkeit weiterer Phrasierungsakzente, sondern auch aus der Möglichkeit mehrteiliger Foki - auch bei IUK, vgl. HANS ist so nett und besucht MaRIa, und FRITZ ist so neu und besucht EVa, sowie Sei so nett und gib die GRÖSZTen Stücke den KLEINSten.

219

(56) a. b. c. d. e. (57) a. b. c.

Hans war so nett und hat MaRIa besucht. HANS war so nett und hat Maria besucht. Hans WAR so nett und hat Maria besucht. Hans war so nett und hat Maria beSUCHT. Hans tat mir den Gefallen und gab IHR Blumen. *HANS war so nett und hat MaRIa besucht. *Hans WAR so nett und HAT Maria besucht. *Hans tat MIR den Gefallen und gab IHR Blumen.

Auch bei (b) sind die Verhältnisse letztlich eindeutig, da man für die einzigen prima-facieAusnahmen - Imperativ-IUK (58) und S/e-IUK allgemein (59) - geltend machen kann, daß die betreffenden Pronomina nicht als syntaktische Subjekte i.e.S. fungieren:24 (58) a. b. c. (59) a. b.

Seien Sie doch bitte so nett und machen (Sie) das Fenster auf. Tu mir den Gefallen und spül DU heute. Seid so klug und gebt IHR IHM nach, statt aufs Umgekehrte zu warten. Sind Sie so lieb und kommen (Sie)? Tun Sie ihm den Gefallen und kommen (Sie)?

Dies vorausgesetzt, gilt ausnahmslos, daß jede Setzung eines Subjektausdrucks im Zweitkonjunkt ansonsten einwandfreie IUK ungrammatisch macht, vgl. (60): (60) a. *Hansi war so nett und erj goß die BLUMen. b. *Hansj hatte das Pech und erj/der arme Kerl, wurde entlassen. Wie ist nun diese Obligatorik von (a)-(c), in der allein eine Art 'Struktur'-Besonderheit von IUK gegenüber normalen Koordinationen liegt, zu deuten? Da (a)-(c) alles Optionen normaler Koordinationen sind, und sich, wie in 2.2.1.-2.2.5. gezeigt, IUK syntaktisch genau wie diese ihre 'normalen' Entsprechungen verhalten, ist es von vornherein unplausibel, daß (a)(c) IUK als eine syntaktische Unterklasse normaler Koordinationen ausweist. Bleibt die alternative Annahme, daß (a)-(c) semantisch-pragmatisch begründet ist, das heißt, daß die semantisch-pragmatischen Korrelate (a')-(c') von (a)-(c) für IUK in dem Sinne notwendig sind, daß die vom implikativen Prädikat im Erstkonjunkt induzierte implikative Interpretation nur in der Konstellation (a')-(c') überleben kann. Daß dies die erfolgversprechendere Alternative ist, ist an den u/id-Daten (55), komplettiert durch (61), (61) a. weil er so dumm ist und vorlaute Fragen stellt,... b. *weil er so dumm ist und außerdem/auch vorlaute Fragen stellt,... c. *weil er so dumm ist UND vorlaute Fragen stellt,... [* in der zu (61a) parallelen implikativen Interpretation]

mit Händen zu greifen: Daß trotz und IUK mit eingefügtem außerdem, auch, u.a., ungrammatisch sind, und sich und nicht betonen läßt, ist bei syntaktischer Deutung von (a) nicht zu erwarten. Eine gemeinsame nichtsyntaktische Deutung für diese und die ändern und-Fakten Dafür daß du/ihr in Imperativsäuen nicht Subjekte i.e.S., sondern Adjunkte sind, wird mit guten, unabhängigen Gründen in Rosengren (1993a:15ff.) argumentiert - Die Setzung des Höflichkeitspronomens in koordinierten Imperativen ist normativ gefordert, seine Auslassung jedoch gerade in den hier interessierenden Fällen durchaus üblich, vgl. Matzel/Ulvestad (1978:172ff.). - Im übrigen treten parallele Ausnahmen für Sie-'Subjekte1 auch bei der SLF-Koordinalion mit obligatorischer Subjektlücke auf: Das Auto zeigen Sie dem Onkel und bieten (Sie) ihm zum Verkauf an.

220

(55) bietet sich hingegen an: Die für IUK konsumtive implikative Interpretation setzt 'unitary event'-Interpretation voraus; deshalb dürfen in IUK keine grammatischen Mittel auftreten, die parallele Interpretation der Konjunkte (i.S.v. zwei koordinierten Sachverhalten) erzwingen bzw. voraussetzen; das erfaßt den Ausschluß von Asyndese, Konjunktionen wie oder, aber, etc., von auch, außerdem, etc. und unrf-Betonung gleichermaßen. Ich werde also im weiteren, nach Erledigung der noch notwendigen Zwischenschritte, diese zweite Alternative verfolgen (Abschnitt 4.). Das Fazit dieses Abschnitts ist auf jeden Fall völlig eindeutig: IUK sind syntaktisch Koordinationsstrukturen wie alle anderen auch. 2.3. Die Struktur der IUK Nach den Ergebnissen von 2.2. ist klar, daß IUK eine koordinative Struktur im Sinne von (13) haben, und daß unterhalb des beiden Konjunkten gemeinsamen Subjekts koordiniert wird. Zu klären ist nun, soweit für die weitere Argumentation notwendig, der syntaktische Status dieser Konjunkte. Einfachheitshalber beschränke ich mich dabei auf symmetrisch koordinierte IUK. 2 J.l. Offensichtlich werden in IUK verbale Konstituenten koordiniert, wobei zweierlei gilt: (i) reine V°-Koordination ist ausgeschlossen, s. (62a) vs. (62b); (ii) die Verbkomplemente müssen im jeweiligen Konjunkt overt vorhanden sein, s. (63a) vs. (63b): (62) a. *weil Hans mir den Gefallen [[tut] und [verweigert]] (* in lUK-Lesart, vgl. b;) b. weil Hans [[mir den Gefallen tut] und [(mir) den Gefallen verweigert]] (63) a. *weil er Fritz [[den Gefallen tat] und [schmeichelte]] *weil Fritz es [[wagte] und [auf einen Krach ankommen ließ]] b. weil er [[Fritz den Gefallen tat] und [ihm schmeichelte]] weil Fritz [[es wagte] und [es auf einen Krach ankommen ließ]] Das bedeutet, die IUK-Lesart ist daran gebunden, daß das zweite Konjunkt semantisch den Status eines einstelligen Prädikats (S/N) hat; in diesem Sinn liegt bei IUK Prädikatskoordination vor. Das erlaubt, daß sich die IUK-Konjunkte mit Adjunkten jeder Art anreichem lassen, und genau das finden wir, vgl. fürs zweite Konjunkt (64)-(65): (64)

weil Hans [[so nett ist]/[es wagt]/[mir den Gefallen tut] und [(im Kinderladen (heute)(statt meiner)(für die Kleinen) den Nikolaus spielt]] (65) a. weil Hans [[so nett ist] und [halt jedem hilft]] b. weil Hans [[so nett ist] und [mir nämlich/doch hilft]] c. wenn Hans [[so klug wäre] und [vielleicht das Zeug früher abholen würde]] Die Frage, welche syntaktischen Konstituententypen den in IUK koordinierten Prädikaten entsprechen, ist nicht leicht definitiv zu beantworten: Bei Annahme der üblichen X-barkonformen VP-Struktur (Komplemente unter V, Subjekt in Spec V) folgt aus (i)-(ii), daß die Konjunkte mindestens V'-Status haben. Geht man weiterhin davon aus, daß Modalpartikeln

221 und Satzadverbiale die höchsten basisgenerierten VP-Adjunkte sind,25 sind die Zweitkonjunkte in IUK wie (65) (mindestens) vom Status VP, folglich handelt es sich bei (65) um VPKoordinationen, wobei Bewegung des Subjekts aus seiner Basisposition heraus anzunehmen ist, vgl. (651): (65') weil Hansi [yptvpti [v so nett ist ]] und [yp halt offenbar [yp tj [y jedem hilft]]]] Da jedes Zweitkonjunkt von IUK seiner overten Struktur nach (auch) eine VP-Analyse zuläßt, ist die naheliegende Generalisierung, daß IUK allgemein VP-Koordinationen sind. Dem widersprechen jedoch prima facie IUK wie (66), in denen Modalpartikeln bzw. Satzadverbiale im ersten Teilsatz oberhalb des Subjekts vorkommen: Da dies unter o.a. Annahmen auf Position des Subjekts innerhalb VP (also SpecV) verweist, ergeben sich S-strukturell symmetrische Konjunkte nur bei Annahme von V'-Koordination, vgl. (661). (66) a. b. c. (661)

weil ja Hans [[so nett ist] und [jedem hilft]] wenn doch Hans [[es wagen _J und [Eva absagen würde]] da offenbar niemand [[Ute den Gefallen tut] und [das Geschirr spült]] weil ja [yp Hans [[v so nett ist ] und [v1 jedem hilft]]]

Da diese Deutung auf Annahmen zu vielen, teilweise sehr unklaren Phänomenen beruht, gibt es viele Möglichkeiten, gegen sie, und dabei zugunsten einer einheitlichen Deutung von IUK als VP-Koordination, zu argumentieren (z.B. via Annahme anderer VP-Strukturierung, variable Positionsannahmen für die betreffenden Adjunkte). Dem kann ich hier nicht nachgehen, zumal für meine Gesamtargumentation davon wenig abhängt. Hinweisen will ich aber darauf, daß der Schluß auf V'-Koordination bei (66') von der strikt S-strukturellen Auslegung der Symmetriebedingung für Konjunkte (s.o. (c) in 2.1.1.) abhängt, die möglicherweise falsch ist: So ist bekannt, daß bewegte Pronomina wie in (67) oberhalb des konjunktgemeinsamen Subjekts stehen können, obwohl sie nur zum Erstkonjunkt gehören, und daß Adverbiale u. ä. Elemente, obwohl sie im Erstkonjunkt stehen, Bezüge zu beiden Konjunkten aufweisen können, vgl. (68). In anderen Worten: Die Pronomina in (67) werden interpretiert, als ob sie an ihrem möglichen Platz im Erstkonjunkt stünden, vgl. (67'), und die Adverbiale etc. in (68), als ob sie in einer - ihnen ebenfalls normal zugänglichen - Position oberhalb des Erstkonjunkts wären, vgl. (68'): (67) (68) a. b. (67') (68') a. b. c. d.

weil es ihm Hans [[gestern hatte zeigen wollen] und [kein Glück hatte]] weil Hans [[Fritz hoffentlich morgen alles zeigt] und [sich zivil benimmt]] weil Hans [[dem Fritz ja nichts gönnt] und [nur für sich selbst sorgt]] weil Hans [[es ihm gestern hatte zeigen wollen] und [kein Glück hatte]] weil Hans hoffentlich morgen [[Fritz alles zeigt] und [sich zivil benimmt]] weil hoffentlich Hans morgen [[Fritz alles zeigt] und [sich zivil benimmt]] weil Hans ja [[dem Fritz nichts gönnt] und [nur für sich selbst sorgt]] weil ja Hans [[dem Fritz nichts gönnt] und [nur für sich selbst sorgt]]

Vgl. Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992:66ff.), sowie die, teilweise zu abweichenden Annahmen führende Diskussion bezuglich Satzadverbien bei Heiland (1992), bezüglich Modalpartikeln bei Meibauer (1993: Kap.2). Zu VP-abschließenden Adjunkten allgemein s. Rosengren [in diesem Band].

222

Wenn das aber so ist, dann kann man auch für Fälle wie (66) eine 'als ob'-Interpretation nicht ausschließen, in der Modalpartikel und Satzadverbiale zum Erstkonjunkt rechnen, dieses also VP ist, und für Fälle wie (69) wird das geradezu erzwungen, da das Zweitkonjunkt eindeutig auf VP-Koordination verweist, also das Erstkonjunkt gar nicht V sein kann. (69) a. weil ja Peter [[so nett ist] und [tatsächlich die Blumen gießt]] b. weil offenbar niemand [[Ute den Gefallen tut] und [halt hier mal saubermacht]] Welchen Restriktionen diese Lockerung der S-strukturellen Symmetriebedingung unterliegt, ist hier nicht einmal annähernd zu klären. Mindestfazit ist dennoch: Eine einheitliche Deutung von IUK als VP-Koordination ist sehr wohl möglich. Darüber hinaus hat sich gezeigt, daß a) der Konstituentenstatus von Koordination primär vom Zweitkonjunkt her zu bestimmen ist, b) man bei der Bestimmung des Erstkonjunkts für Fakultatives verschiedener Art (fakultative Wackernagelposition der Pronomina, fakultative Adjunkte mit variabler Position) mit 'rekonstmktions'-ähnlichen Effekten rechnen muß. 2.3.2. Nun zur Rolle funktionaler Projektionen. Sie müssen in IUK-Koordination involviert sein, weil IFinitheit und Stellung des Verbs durch Bezug auf eine oder mehrere funktionale Kopf-Position(en) (sei es in Form von Bewegungs- oder Prüfmechanismen) gedeutet werden, und die Verben im Erst- und Zweitkonjunkt von IUK diesbezüglich parallel sind. Diese Parallelität läßt sich in zwei Weisen gewährleisten: Koordination oberhalb der betreffenden Kopf-Position(en), dann sind diese Teil der jeweiligen Konjunkte, oder Koordination unterhalb der betreffenden Kopf-Position(en), bei gleichzeitiger Annahme einer parallelen Prüf- bzw. Lizenzierungsbeziehung zu den Verbformen in beiden Konjunkten. Eine Diskussion dieser Alternativen - die ja nicht nur IUK, sondern V-Projektionen im allgemeinen betreffen - kann ich hier nicht fuhren; ich setze einfach voraus, daß beide denkbar sind. Damit zu den IUK-Fakten, in deren strukturelle Einordnung die Frage der funktionalen Projektionen bzw. der Landeposition des Verbs mithineinspielt: (i) IUK haben stets einen beide Konjunkte übergreifenden Satzmodus, vgl. (70), auf dem gegebenenfalls eine stets einheitliche illokutive Interpretation aufbaut: (70) a. Hans ist so nett und gießt die Blumen. [deklarativer Satzmodus, einheitliche assertive oder auch direktive, etc. Interpretation]

b. Ist jemand so nett und gießt die Blumen? [interrogativer Satzmodus, einheitlich erotetische oder auch weitergehend direktive Interpretation] c. Sei so nett und gieß die Blumen. [imperativischer Satzmodus, einheitlich direktive oder, bei Fortsetzung z.B. mit und du hast einen Freund im Haus gewonnen, konditionale Interpretation]

(ii) IUK erlauben nur einen Verum-Fokus, vgl. (71) vs. (72), der in F-Sätzen stets am Verb des Erstkonjunkts realisiert wird, vgl. (71) vs. (73): Minimalfokussierung des zweiten Verbs ist zwar möglich, hebt aber dann den Bedeutungsgehalt des Verbs hervor (besuch- vs. etwa (ihr) schreib-, entfern- vs. hinhäng-, geh- vs./aAr- u.a.). (71) a. Aber Hans WAR so nett und besuchte sie. b. TAT er ihr den Gefallen und entfernte das Bild? c. Ach, WÄRe er doch so vernünftig und ginge zur Arbeit.

223 (72) a. b. c. (73) a. b. c.

?*Aber Hans WAR so nett und beSUCHte sie. ?*TAT er ihr den Gefallen und entFERNte das Bild? ?*Ach, WÄRe er doch so vernünftig und GINGe zur Arbeit. Aber Hans war so nett und beSUCHte sie. Tat er ihr den Gefallen und entFERNte das Bild? Ach, wäre er doch so vernünftig und GINGe zur Arbeit.

Das erste Faktum ist weniger IUK-spezifisch als das zweite (s. hierzu die inhaltliche Diskussion in Abschnitt 4.), beide aber sind ein Beschreibungsproblem: So verschieden die gängigen Ansätze zur Vermittlung von Satzstruktur und Satzmodus auch sind, so wird doch Satzmodus stets mit den obersten Positionen assoziiert, zu denen die Finitumsposition gehört, und ebenso wird das Verum-Element, egal was man darunter versteht, stets mit dieser Position assoziiert.26 Man würde also erwarten, daß bei konjunktgemeinsamem Satzmodus und Verum-Fokus das Verb außerhalb der Konjunkte liegt, oder, wenn schon, daß die beiden Konjunktverben, wie beim Verum-Fokus möglich, parallel markiert werden; aber das ist nicht der Fall. Offensichtlich muß man, um hier zu einer Lösung zu kommen, den Zusammenhang zwischen Satzmodus-/Verum-Element, dem finiten Verb als deren normalem Träger, und der Verbbewegung flexibler gestalten. Mein Vorschlag dazu sieht, anknüpfend an die Überlegungen zu Satzstruktur und Satzmodus in Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992), so aus:

Agr1

Agr1

/\ VP ' /\

/\ Agr° VP

AIjrO

' /\ V /\

vo

1

V

/\vo 1

In der genannten Arbeit haben wir dafür plädiert, daß die Position des Finitums in Verberstund Verbzweit-Sätzen 1° ist, daß die Merkmale, die die I-Projektion kennzeichnen, SatzmoZu Theorien des Satzmodus vgl. die Übersicht bei Altmann (1990), sowie Brandl/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992). Zum Verum-Fokus vgl. Höhle (1992).

224

dusmerkmale sind, und der sogenannte Verum-Fokus den mit 1° stets assoziierten 'deklarativen' Satzmodus(anteil) '3e(...)' hervorhebt (s. hierzu auch Rosengren 1993b:256-258). Ich behalte hier diese Annahmen bei, nehme aber zusätzlich unterhalb der I-Projektion eine funktionale Agr-Projektion an,27 durch die hindurch sich das Verb nach 1° bewegt, vgl. (74). Damit scheint im Ansatz alles abgedeckt, was man abzudecken hat: (i) Die Konjunkte umfassen eine funktionale Projektion, in die Verbbewegung möglich ist, und wo die Finitheitsmerkmale zugewiesen bzw. geprüft werden; damit ist die Verbvoranstellung insbesondere im Zweitkonjunkt erfaßt.28 (ii) Die I-Projektion befindet sich oberhalb der Koordination, damit ist die Einheitlichkeit des Satzmodus und des Verum-Fokus sowie dessen linke Position erfaßt, (iii) Für die Bewegung des Verbs aus dem Erstkonjunkt nach 1°, die wegen der Realisierung des Verum-Fokus an diesem Verb vorauszusetzen ist, gibt es einen guten unabhängigen Grund: Satzmodusmerkmale müssen sichtbar gemacht werden (s. Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann 1992:26), und keine schlüssigen Gegengründe aus der Koordinationstheorie, wenn man sich die Erkenntnisse (a)-(b) von 2.3.1. vor Augen hält.29 Fazit: Die Struktur (74) hat genügend für sich, um die Basis fürs Folgende zu sein. Gesamtfazit von 2.1.-2.3.: IUK sind syntaktisch normale Koordinationen, vermutlich VPbzw. Agr'-Koordinationen. Nichts spricht dafür, daß ihre weiteren charakteristischen Eigenschaften: (i) obligatorisches und, (ii) obligatorisch fehlendes Subjekt, (iii) obligatorische FHG-Einheit, syntaktische Untertyp-Eigenschaften sind. Damit ist (H2) bestätigt. 2.4. Folgerungen für die Semantik von IUK Wenn die vorgehende Analyse von IUK korrekt ist, dann müssen wir für IUK wie (75a) die für normale u/u/-Koordinationen angesetzte Boolesche Semantik (75b) postulieren, (75) a. [SQ[SI Hans war so nett] und [s2 besuchte sie]] b. S0 = S i & S 2 : Wenn So wahr, dann Si und 82 wahr, und umgekehrt. Wenn So falsch, dann S\ oder 82 oder beide falsch, und umgekehrt. das heißt: Die Konjunkte, gleich ob reduziert oder nicht, entsprechen Propositionen, die als solche wahrheitsfunktional voneinander unabhängig sind. Der spezifische Bedeutungsbeitrag von und (vs. Asyndese einerseits, Konjunktionen wie aber, etc. andererseits) liegt in seiner 'zusammenfassenden Funktion' (vgl. Posner 1979): Die beiden Konjunktsachverhalte werden durch und als zusammengehörig, einen Einheitskomplex bildend, dargestellt. Nicht undenkDafür, daß man an der Annahme einer solchen Projektion zwischen I- und V-Projektion aus unabhängigen Gründen nicht vorbeikommt, vgl. die Arbeiten von Lenerz und Rosengren [in diesem Band]. Ob in IUK Agr' oder AgrP koordiniert wird, ist in meinem Zusammenhang unerheblich. Imperativische IUK stellen nur auf den ersten Blick ein Problem für die vorgeschlagene Struktur dar, denn daß der Saumodus in der Verbform mitausgeprägt ist und entsprechend auch im Zweitkonjunkt eine imperativische Verbform vorkommt, muß nicht heißen, daß sich auch diese in I°-Position befindet Eine entsprechende auf die I°-Merkmale bezogene Lizenzierungsbedingung sollte genügen.

225 bar scheint darüber hinaus, daß man die von IUK vorausgesetzte, noch weitergehende Interpretation als 'unitary event', d.h. die beiden Konjunkte beschreiben zwei Seiten desselben Sachverhalts, auf eine verfeinerte semantische Analyse von Prädikatkoordinationen, analog zu der mono-referentieller NF-Koordinationen wie (76), zurückführen könnte:30 (76) a. Sein alter Freund und zukünftiger Herausgeber seiner Werke ... b. Ihr Freund und Lehrer Karl Schlüter,... Aber wie auch immer: Die inhaltliche Unabhängigkeit der beiden Konjunktpropositionen bleibt erhalten, und damit auch das Hauptproblem der IUK: Die Erklärung des implikativen Konjunktbezugs. In anderen Worten und 2. zusammenfassend: Der implikative Bezug hat weder eine syntaktische Basis (die 'Subordination* gewesen wäre), noch läßt er sich (allein) aus den semantischen Korrelaten des speziell vorliegenden Koordinationstyps (Prädikatskoordination mit und) ableiten. Damit bleibt nur eine Alternative: Der implikative Bezug muß sich aus den semantisch-pragmatischen Korrelaten der Gesamtkonstellation erklären lassen, die für IUK charakteristisch sind: Dazu gehören einerseits die koordinative Struktur, andererseits die am Ende von 2.3.2. aufgeführten Eigenschaften (i)-(iii), vor allem aber die Besetzung des Erstkonjunkts mit einem 'implikativen' Ausdruck selber. Dessen Eigenschaften wollen wir uns im nächsten, den implikativen Infinitivkonstruktionen gewidmeten Abschnitt zuwenden.

3.

Zur Grammatik der IIK: Worin IUK und IIK parallel sind

Ich habe bisher einfach unterstellt, daß die Infinitivkonstruktionen, mit denen wnd-Konstruktionen konkurrieren, stets 'implikativ' sind. In diesem Abschnitt will ich zum einen diese Unterstellung präzisieren und begründen (3.1.), zum ändern die Syntax und Semantik der soweit skizzieren, wie es für das übergeordnete Ziel - Erklärung der Äquivalenz zwischen IUK und IK - erforderlich ist (3.2., 3.3.). 3.1. 'Implikative' Prädikate Implikativa im Sinne von Karttunen (1971:341ff.,1975:252f.) sind komplementsatzfähige Prädikate, die eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür ausdrücken, daß es zu dem im Komplementsatz beschriebenen Ereignis kommt (77i). Daraus folgt, daß zwischen dem entsprechenden Gesamtsatz und Komplementsatz die logischen Beziehungen (77ii-iii) gelten: Vorschläge zu der (nicht-booleschen) semantischen Behandlung solcher NPs finden sich unter dem Stichwon 'apposiüonal conjunction' in Hoeksema (1988). - Die Idee, daß es hier etwas auf Prädikatskoordination zu übertragen gäbe, basiert darauf, daß hier wie dort in der Regel unterhalb der referentiell relevanten funktionalen Projektion koordiniert wird. Allerdings sind die NP-Verhältnisse noch viel zu wenig erforscht (Hoeksema zitiert englische mono-referentielle DP-Koordinationen, die im Deutschen, wohl aus Flexionsgründen, nicht möglich sind; andererseits ist das deutsche Beispiel (76a) oben auch keine echte NPKoordination, u.a.m.), um daraus irgendwelche sicheren Schlüsse, geschweige denn sichere Analogieschlüsse zu ziehen.

226

(77) a. v ist ein implikatives Prädikat gdw. gilt: (i) v drückt eine (notwendige und hinreichende) Voraussetzung vP für das Eintreten des Komplementsachverhaltes Sk aus. b. Die (i) entsprechenden Bedeutungspostulate für Implikativa: (ü) Ist der Gesamtsatz S [= v(Sk)] wahr, ist auch der Komplementsatz Sk wahr. [v(S k )->S k ] (iii) Ist der Gesamtsatz S [= v(Sk)] falsch, ist auch der Komplementsatz Sk falsch. > -iSk]

Diese Definition illustrieren die Beispiele in (77'): (771) a. v = wagen, so mutig sein, den Mut haben Sk = Hans blieb weg. (i) (Notwendige und hinreichende) Voraussetzung vP für Sk ist der Mut von Hans. (U) S: Hans wagte es/war so mutig/hatte den Mut, wegzubleiben. S->S k . (iii) -iS: Hans wagte es nicht/war nicht so mutig/hatte nicht den Mut, wegzubleiben. S -> -Äkb. v = so glücklich sein, das Glück haben, jem. wird das Glück zuteil Sk = Hans wird bemerkt. (i) (Notwendige und hinreichende) Voraussetzung vP für Sk ist Glück von Hans. (ii) S: Hans war so glücklich/hatte d. G./wurde d. G. zuteil, bemerkt zu werden. S->S k . (iii) -iS: Hans war nicht so glücklich/hatte nicht d. G./wurde nicht d. G. zuteil, bemerkt zu werden. S -» -iS* . Offensichtlich ist der Bedeutungsbeitrag (i) des jeweiligen Implikativums von der Negation in (iii) nicht betroffen, er ist also 'präsuppositionaT. 'Prepositional' (im Sinne von Karttunen 1971:352), das heißt u.a. assertierbar und entsprechend negierbar, ist lediglich, ob die in (i) beschriebene Voraussetzung vP vorliegt, vgl. die entsprechende schematische Repräsentation der Gesamtbedeutung implikativer Sätze von Karttunen (1971:352): (78) Präsupposition: v(Sk) ist eine notwendige und hinreichende Bedingung für SkProposition: v(Sk). Zu den Prädikaten, die nach Definition (77) Implikativa sind, gehören u.a. die Verben in (79a)-(80a-a"), die .so+Adjektiv+sein-Prädikate in (79b)-(80b) und die Funktionsverbgefüge mit definiter NP in (79c)-(80c): (79) a. (es) wagen, s. unterstehen, s. erdreisten, s. erkühnen, s. erfrechen, s. herablassen, s. aufschwingen, s. aufraffen, ... b. so nett/lieb/gut/edel/frei/klug/doof/blod/gescheit/bescheuert/selbstlos/anständig/ kühn/dumm/töricht/eiteVriicksichtslos/vernünftig/intelligent/gnädig ... sein c. die Frechheit/Geneigtheit/Güte/Stirn/Tollkühnheit/den Mut ... haben; sich die Blöße geben; jem. die Freude/das Vergnügen machen; den Schimpf antun; die Torheit begehen; den Gefallen tun; ... (80) a. (*es) geruhen, es s. erlauben, (*es) s. beehren, (*es) s. beeilen, ...; (es) schaffen, fertigbringen, hinkriegen, ...; (anfangen, anheben, beginnen) a', glücken, gelingen, belieben, passieren a", s. begeben, geschehen b. so glücklich/begünstigt/privilegiert, ... sein c. die Ehre/Freude/das Vergnügen/Privileg/den Vorteil/Vorzug. . . haben, ...; (das Pech/Glück/ . ..haben)

227

Wie man sieht, haben Implikativa in der Regel (nicht immer, vgl. (80a">) ein Agens- oder Experiencer-Argument, das Träger der Voraussetzung vP für den Komplementsachverhalt S^ ist und oft (nicht immer, vgl. u.a. die Erfolgsverben) am Komplementsachverhalt als Subjekt beteiligt ist. Der propositionale Gehalt ist entsprechend nicht nur, ob vP erfüllt ist, sondern ob vP vom persönlichen Argument erfüllt wird. So besagen die negierten Sätze (iii) in (77') jeweils (auch), daß Hans nicht den Mut oder das Glück hatte, der/das nötig ist, um St wahrzumachen. Ebenso prädizieren persönliche Implikativa in gewisser Weise über ihre beiden Argumente gleichzeitig: So wird in (77'a/b) nicht nur dem Subjekt die Eigenschaft zugesprochen, mutig bzw. glücklich (in Hinblick auf St) zu sein, sondern auch dem Komplementsachverhalt, das heißt, die Sätze (ii) in (77'a/b) geben jeweils auch (77"a/b) zu verstehen: (77") a. Hansens Wegbleiben war mutig/ein mutiger Akt (von Hans). b. Daß Hans bemerkt wurde, war Glück/ein glückliches Ereignis (für Hans). (77"a/b) folgt aber offensichtlich aus (77i) und muß deshalb nicht eigens vermerkt werden. Von den in (79)-(80) aufgeführten Implikativa lassen nun nur die Prädikate in (79) auch IUK zu, die Prädikate in (80) nicht, vgl. etwa (81): (81) a. Er war so privilegiert/hatte das Privileg, Erbe reicher Eltern zu sein. * ??Er war so privilegiert/hatte das Privileg und war Erbe reicher Eltern, b. Dem Gefangenen gelang es zu fliehen. *Dem Gefangenen gelang es und floh. Implikativität ist also nur eine notwendige Bedingung für Prädikate,31 die genau parallele Infinitiv- und Krtd-Konstruktionen erlauben, keine hinreichende. Die Bedingungen, die ein IUKfähiges Implikativum darüber hinaus erfüllen muß, scheinen hauptsächlich semantische zu sein: Es muß a) ein persönliches Agens-Subjekt, b) ein Handlungs-Komplement haben, in dem der gleiche Agens Subjekt ist, und c) dem Subjekt eine 'innere' (d.h. [nur] von diesem aktivierbare) Qualität zuschreiben (direkt, oder aus dem verwendeten Prädikat erschließbar), die dieses durch Vollzug der Komplement-Handlung manifestiert. Diese innere Qualität ist die Voraussetzung für den Vollzug der Komplementhandlung im Sinne von (77i), wobei die gleichzeitige Prädikation über Subjekt und Komplement bei IUK-fähigen Prädikaten darauf hinausläuft, sie d) gleichzeitig zu bewerten. Daß (a)-(d) bei IUK-fähigen Implikativa stets erfüllt sind, ist leicht zu überprüfen, vgl. etwa (77a), (82a). Die IUK-unfähigen Implikativa verstoßen in der Regel gegen (a)-(c) gleichzeitig, auch die, die (d) erfüllen,32 vgl. etwa (77'b), oder (82b) (mit automatischer Interpretation von treffen als nichtagentives Prädikat):

Das wird durch Fälle wie (i)-(ii) nicht widerlegt, da bei ihnen die Bedeutung von IK und UK grundsätzlich nur bei nichtassertiver Verwendung konvergiert, und bei imstande sein zusätzlich noch Umdeutung in eine subjektive Qualität (ähnlich wie bei u. (86)-(87)) vorliegen muß: (i) Geh zum Bäcker (um) Brötchen (zu) holen. - Geh zum Bäcker und hol Brötchen. Wenn man hingeht (um) sich zu erkundigen,... - Wenn man hingeht und sich erkundigt,... (ii) Der ist glatt imstande, uneingeladen zu kommen. - Der ist glatt imstande und kommt uneingeladen. Insofern stehen sie den IUK-fähigen Implikativa am nächsten, was verständlich macht, wieso von ihnen teilweise IUK bildbar sind (Er hatte das Pech und verlor, aber *Er hatte das Vergnügen und gewann, etc.)

228

(82) a. Er machte ihm die Freude, Lisa zu treffen. - Er machte ihm die Freude und traf Lisa, b. Er hatte die Freude, Lisa zu treffen. - ?*Er hatte die Freude und traf Lisa. An dieser möglichen Redundanz will ich mich jedoch nicht stören, zumal man vielleicht bei den gleich genannten Fällen auf (a)-(c) eher einzeln zurückgreifen muß. Auf den ersten Blick gibt es auch syntaktisch formulierbare Restriktionen für IUK-fähige Implikativa. Nicht in Frage für IUK kommen - Implikativa mit Objektkontrolle, vgl. (80a'); - Implikativa mit daj3-Komplementen, das sind unpersönliche Verben (80a"), sowie persönliche nichtagentive Verben (80c) und die Erfolgsverben ((es) schaffen/fertigbringenihinkriegen), die daß-SStee (mit obligatorisch referenzverschiedenem Subjekt) zulassen: (83) a. Hans hatte das Glück, daß sie verreiste. * Hans hatte das Glück und sie verreiste, b. Der Kerl schafft es/bringt es fertig/kriegt es hin, daß du kündigst. * ??Der Kerl schafft esfaringt es fertig/kriegt es hin und du kündigst. - tendenziell korrekt- bzw. explikatlose Implikativa, vgl.(84)-(85): (84) Er geruht/beehrt (*es) sich, die Verlobung seiner Tochter anzuzeigen. * *Er geruht/beehrt sich und zeigt die Verlobung seiner Tochter an. (85) Er wagt (es) zu kommen. - Er wagt *(es) und kommt. Ich denke jedoch, daß alle drei auf die genannten semantischen Restriktionen zurückführbar sind: der erste Fall primär auf (a)/(d) (wobei (b) insofern erfüllt sein kann, als z.B. gelingen agentive Komplemente erlaubt: mit letzter Anstrengung gelingt es ihm zu fliehen), der zweite Fall primär auf (c)/(d), denn überall da, wo daj3-Sätze möglich sind, scheint das Matrixprädikat keine 'innere' Qualität des Subjekts auszudrücken, die zwingend nur in eigenen Handlungen zum Tragen kommt. Tatsächlich sind auch die subjektidentischen IUK von Erfolgsverben, die ja (a) und (b) erfüllen, oft marginal (86a), und die Charakterisierung des Bedeutungsbeitrags dieser Verben (86b) zeigt auch, warum: Das Aufwenden von Mühe, Anstrengung ist eine zielgerichtete Tätigkeit auf den Komplementsachverhalt hin, nicht eine subjektive Qualität im Sinne von (c)-(d). Daß Fälle wie (87) akzeptabel sind, unterstreicht das nur, denn hier sorgt der Kotext dafür, daß den Anstrengungen des Subjekts eine subjektive Grundlage (z.B. schlechter Charakter) unterstellt wird. (86) a. Der Schüler brachte es fertig/schaffte es, zwei Aufgaben zu lösen. ?*Der Schüler brachte es fertig/schaffte es und löste zwei Aufgaben, b. Bedeutungsbeitrag von fertigbringen/schaffen: (Notwendige und hinreichende) Voraussetzung für den Komplementsachverhalt ist Anstrengung/Mühe des Subjekts. (87) Der Kerl schafft es/bringt es fertig und haut hier ab, bevor die Arbeit richtig losgeht, du wirst sehen. Ähnliches gilt wohl auch für den dritten Fall, zumal korrelatlose Verben wie s. erdreisten, s. unterstehen, u.a. aus (79a), die zweifelsfrei (c)-(d) erfüllen, auch in IUK auftreten. Trotzdem ist anzuerkennen, daß da, wo ein Korrelat möglich ist, es in IUK auch gesetzt wird.

229 Fazit ist also: In IUK treten genau die implikativen Prädikate auf, die die zusätzlichen semantischen Bedingungen (a)-(c) erfüllen. Daraus resultieren die eben diskutierten syntaktischen Restriktionen, die die mit IUK zu vergleichenden implikativen Komplement-Konstruktionen auch zu einer syntaktisch homogenen Gruppe machen: Es handelt sich ausschließlich um implikative Infinitiv-Konstruktionen (daher IIK), und zwar solche mit 'Subjekt-Kontrolle.' Auf diese werde ich mich im folgenden konzentrieren. 3.2.

Zur Syntax der IIK

3.2.1. Aus 3.1. geht hervor, daß bei den uns interessierenden implikativen Prädikaten stets das erste Argument die Agensrolle hat, das zweite eine Handlungsproposition ist, wobei Identität zwischen Matrix- und Komplement-Subjekt gilt, und zwar sogar Thetarollen-Identität. Damit ist die syntaktische Realisierung von IIK völlig vorhersagbar, denn Agensrollen werden im Deutschen obligatorisch als Subjekt (Nominativ-NP) realisiert, und für das propositionale Argument gilt der 'Like Subject Constraint': Komplemente, deren Subjekt mit einem Matrixsubjekt in gleicher Thetarolle identisch ist, werden obligatorisch im Infinitiv realisiert.33 Auch die Realisierung des bei manchen Verb-NP-Gefügen zusätzlich vorkommenden Benefaktiv-Arguments (z.B. jem. den Gefallen tun) ist vorhersagbar. Die syntaktische Form von ist also völlig normal. Daß sich die IIK-Infinitive auch in sonstigen Hinsichten (Topologie, Gapping, Linkstilgung, etc.) wie normale eingebettete Sätze verhalten und nicht etwa pseudo-koordinierend, ergibt sich bereits aus 2.1., wo zum Vergleich mit IUK stets herangezogen wurden. Don nicht erwähnte Besonderheiten, wie die teilweise eingeschränkte Vorfeld- und Mittelfeldfähigkeit von HK-Infmitiven, die in (88)(89) zu beobachten ist, haben ihren unabhängigen Grund in den gleichzeitig im Mittelfeld stehenden 'Korrelaten' bzw. 'Explikaten'; unter vergleichbaren Umständen sind eingebettete Konstruktionen jeder Art ungrammatisch, vgl. (90)-(91). (88) a. b. c. (89) a. b. (90) a. b. (91)

c. a. b.

Zu kommen wagte Hans nicht. - *Zu kommen wagte Hans es nicht. *Zu kommen war Hans nicht so lieb. - So lieb zu kommen war Hans nicht. *Zu kommen tat er mir ja den Gefallen. - Den Gefallen zu kommen tat er mir ja. *weil er es zu kommen wagte - weil er es wagte zu kommen *weil er zu kommen so lieb war/?*weil er so lieb zu kommen war - weil er so lieb war zu kommen *Zu arbeiten hatte Hans es satt *Hierher zu kommen, war er stolz (darauf)· - Darauf, hierher zu kommen, war er stolz. *Mehr zu arbeiten, gefiel mir die Idee. - Die Idee, mehr zu arbeiten gefiel mir. "'weil Hans es zu arbeiten satt hatte *weil Hans wie Fritz so groß war

33 Diese Version des 'Like-Subject-Constraint' mit Bezug auf Thetatrollen-Identität ergibt sich aus Daten wie (i) (vgl. Höhle 1978:86) und wie (ü): (i) a. Karl] möchte/will/wünscht, daß erj gewählt wird/ daß erj ändern gefällt.

b. *Karli möchte/will/wünscht, daß erj den Leuten hilft/daß erj ihr ein Geschenk gibt, (ii) a. Karli bringt es fertig, daß erj gewählt wird/daß erj ändern gefällt b.

*Karlj bringt es fertig, daß erj den Leuten hilft/daß erj ihr ein Geschenk gibt.

230

Was hier noch zu besprechen ist, sind vor allem zwei Punkte: 3.2.2. Der erste betrifft den kategorialen Status der -Infinitive: Sind sie satzwertig (CP/IP) oder VPs? Ausgehend davon, daß es für Infinitive im Deutschen grundsätzlich beides geben kann, ist der Befund für IIK folgender: Nichts macht die Annahme einer Projektion über VP (bzw. Agr'/AgrP, zur Prüfung der Verb-Supinform zu ...-en) hinaus notwendig oder wahrscheinlich: Es gibt keine Alternation mit do/?-Sätzen, die Subjektidentität für Matrix- und Infinitivprädikat gilt strikt (inklusive Thetarolle); auch andere gute Gründe zur Annahme höherer Projektionen (z.B. vom Matrixsatz verschiedener Satzmodus) fehlen. Auch der fürs Deutsche naheliegende Test auf kohärentes (VP) vs. nichtkohärentes (IP/CP) Verhalten der Infinitive34 erbringt nichts anderes: Zwar sind nur wenige IIK-Prädikate - diejenigen ohne Korrelat/Explikat, was nur bei den Verben aus (79a) möglich ist - stets fakultativ kohärent konstruierbar. Daß sich IIK darüber hinaus wie nichtkohärente Konstruktionen verhalten, kann man jedoch auf das in der Regel obligatorisch vorhandene Explikat/Korrelat zurückführen, das auch sonst kohärentes Verhalten blockiert (und im übrigen auch die Rattenfängerkonstruktion - ein Teil des nichtkohärenten Verhaltensmusters - unmöglich macht). Selbst wenn man kohärentes Verhalten als hinreichendes Kriterium für VP-Status und inkohärentes Verhalten als notwendiges Kriterium für sententialen Status von Infinitiven ansieht, ist also das Verhalten der UK-Infinitive mit VP-Status vereinbar. Darüber hinaus spricht nichts Prinzipielles dagegen, als Bezugsgrößen für Korrelate/Explikate neben satzwertigen Kategorien auch VP zuzulassen. Fazit: Man kann durchaus von VP-(bzw. Agr'-)Status für die Infinitive in IIK ausgehen. Das heißt, die Parallelität zum Zweitkonjunkt in IUK besteht nicht nur an der Oberfläche. 3.2 J. Der zweite Punkt betrifft den funktionalen Status des IOC-Infinitivs: Handelt es sich um Komplemente oder Adjunkte? Eine einheitliche Antwort liegt nicht auf der Hand: Für die implikativen Verben wie (79a) ist der Komplementstatus des Infinitivs eindeutig und eine andere Einstufung auch nie erwogen worden. Für die Infinitive bei implikativen Gefügen mit definiter NP (79c) liegt jedoch die Deutung als attributiver Infinitiv zu dieser NP nahe, was prinzipiell Komplement- und Adjunktstatus zuließe. Folgt man den bei Fabricius-Hansen/v.Stechow (1989) vorgeschlagenen Kriterien zur Abgrenzung adnominaler Adjunkte vs. Komplemente (lexplikativer Bezug zum N-Kopf), ergibt sich für (79c)-Fälle wie (92) Einstufung als Komplement, für (79c)-Fälle wie (93) Einstufung als Adjunkt (s. auch ihre Analyse des in Karttunens Sinn implikativen Gefüges er hatte die Ehre,..., ebd.:197f.), vgl. die unterschiedliche Möglichkeit explikativer Paraphrasen in (92>(93'): (92) Nur er hatte den Mut/die Güte/die Intelligenz, ihre Angelegenheiten zu ordnen. (92') *Dire Angelegenheiten zu ordnen war ein Mut/eine Güte/Intelligenz, die nur er hatte.

Vgl. die Zusammenstellung bei Haider (1991), sowie Rosengren (1992). - Die faktischen Indizien, die Jones (1991:79ff.) für sententialen vs. VP-Status von Infinitiven im Englischen heranzieht, sind im Deutschen (insbesondere bei IIK) nur teilweise verfügbar.

231

(93) Er beging gestern die Torheit/machte ihr die Freude/tat ihr den Gefallen, ihre Angelegenheit zu ordnen. (93') Ihre Angelegenheiten zu ordnen, war eine Torheit, die er gestern beging/ war eine Freude, die er ihr machte/ war ein Gefallen, den er ihr tat. Für die implikative so+Adjektiv-Konstruktion (79b) ist die Sache ebenfalls unklar, weil für das Verhältnis des -Elements zum Infinitiv Deutung als Explikat-Explikant-Verhältnis (i.S.v. Bech 1957:13f.) naheliegt bzw. die Abgrenzung gegenüber konsekutiven so-Konstruktionen, wo so als Gradwort wie als Korrelat für den Konsekutivsatz fungiert, nicht leicht ist. Bech etwa behandelt sie unterschiedslos im Abschnitt mit, der der "konsekutive[n] supinumkonstruktion", als "besondere[r] abart der explikativen konstruktion" gewidmet ist (ebd.:5366), geht also in doppelter Hinsicht von ihrem Adjunktstatus aus. Sitta (1971:63ff.) und Boettcher (1972:91ff.), die als m.W. erste und einzige diesem Problem intensiver nachgegangen sind, trennen hingegen die uns interessierende So-Konstruktion von der konsekutiven soKonstruktion mit Infinitiv ab, und ordnen sie als Inhaltssatzgefüge (alias: Komplementkonstruktion) unter dem Inhaltsbezug 'Tatsachenbewertung' ein. Diesem rechnen sie auch (von ihnen nicht sogenannte) implikative Verben und Gefüge mit definiter NP wie (79c) zu. Dabei nehmen sie sowohl für die letztere wie auch für die so-Konstruktion an, daß der Infinitiv vom gesamten Matrixprädikat abhängig ist. Ich denke, daß Sitta und Boettcher mit ihrer einheitlichen Einordnung aller IIK-Infinitive als Komplemente zu komplexen Prädikaten recht haben, und man auch zeigen kann, daß die Analyse als attributive/explikative Infinitive bzw. Adjunkte bei IIK vom Typ (79b) und (79c) zu kurz greift: Hauptevidenz dafür ist hinsichtlich Typ (79c), daß klare Selektionsbeziehungen zwischen dem Infinitiv und dem ganzen Verb-NP-Gefüge auch im augenscheinlichen Adjunktfall bestehen: Obwohl in (94)-(97) jeweils die gleiche definite NP vorliegt, ist bei (97) attributiver daß-Satz und Infinitiv möglich, bei (94)-(96) nur der Infinitiv. Darüber hinaus treten semantische Unterschiede auf, vgl. einerseits den schon oben erwähnten ±Agentivitätsunterschied bei (94) vs. (95), und die verschiedenen logischen Beziehungen zwischen Gesamtsatz und Infinitiv, denen entsprechend man je verschiedene Einflußmöglichkeit der Negation anzunehmen hat: In (97) ist die Beziehung faktiv, in (94)-(95) implikativ, in (96) negativ-implikativ. (94) (95) (96) (97)

Er machte mir (nicht) die Freude, Lisa zu treffen. Er hatte (nicht) die Freude, Lisa zu treffen. Er verzichtete (nicht) auf die Freude, Lisa zu treffen. Die Freude, daß Peter da ist/Peter zu sehen, wurde mir durch sein Benehmen (nicht) sofort verdorben. Dies ist unerklärlich, wenn der Infinitiv adnominales Adjunkt ist, also ausschließlichen und damit stets gleichen Bezug zur NP hat, aber sehr wohl erklärlich, wenn er vom gesamten Prädikatsausdruck einschließlich Verb abhängt. Da er gleichzeitig obligatorisch ist, und die inhaltlichen Verhältnisse hier im Prinzip dieselben sind wie bei einfachen implikativen Verben, ist die Einordnung des Infinitivs als Komplement zum komplexen Prädikat praktisch zwingend.

232

Die Hauptevidenz für Komplementstatus der Infinitive in implikativen So-Konstruktionen liefert der Vergleich mit konsekutiven so-Konstruktionen wie (98). Diese unterscheiden sich von den implikativen so-Konstruktionen wie (99) zunächst einmal inhaltlich: In (99) drückt der Infinitiv eine Tatsache aus, mit einer entsprechenden Umkehrung des Wahrheitswerts durch Negation, vgl. oben (77i-ii). Bei (98) hingegen besteht zwischen Gesamtsatz und Infinitiv ein bloßer 'Eignungsbezug', wobei der Infinitiv eine Möglichkeit, keine Tatsache ausdrückt. Letzterem entspricht, daß man das Modalverb können ohne Bedeutungsänderung in den Infinitiv einfügen könnte, und daß (98) mit der finiten Konsekutivkonstruktion mit Modalverb (100) inhaltlich äquivalent ist. (98) a. b. (99) a. b. (100) a. b.

Inzwischen war sie so alt, den Posten von Meier zu übernehmen. So alt, einmal allein zu Hause zu bleiben, ist er doch wirklich schon. Sie war so klug, den Posten von Meier zu übernehmen, Sie war so nett, dem Kind ein Buch zu schenken. Inzwischen war sie so alt, daß sie den Posten von Meier übernehmen konnte. So alt, daß er einmal allein zu Hause bleiben könnte, ist er doch wirklich schon.

Die Adjektive, die in der implikativen So-Konstruktion auftreten, sind prinzipiell auch in der konsekutiven so-Konstruktion möglich,^ so daß es zu Ambiguitäten wie (101) kommen kann, die erst der Kotext disambiguiert: Fortsetzung a. legt die konsekutive Lesart nahe, Fortsetzung b. die implikative. (101) Sie jedenfalls war so intelligent, auch Meiers Posten zu übernehmen, [Fortsetzung:] a. obwohl dieser höchste Ansprüche stellte. b. obwohl er bescheiden war und sie eigentlich unterforderte. Es ist nicht zu sehen, wie man diese Ambiguitäten rein pragmatisch rekonstruieren könnte. Schon das spricht dafür, daß die implikative vs. konsekutive Lesart auf einen strukturellen (mindestens lexikalischen) Unterschied zurückgeht. Schlüssige Evidenz hierzu liefert das Verhalten unter Extraktion: Lange Extraktion aus dem Infinitiv implikativer so-Konstruktionen ist möglich (102), aus dem Infinitiv konsekutiver so-Konstruktionen hingegen nicht (103); bei langer Extraktion in ambigen Sätzen bleibt entsprechend nur die implikative Lesart erhalten (104). Da im Deutschen lange Extraktion aus Komplementinfinitiven möglich, aus Adjunktsätzen jedoch generell verboten ist, liegt die Deutung auf der Hand: Die implikativen Infinitive sind Komplemente, die konsekutiven Infinitive sind Adjunkte, aus denen genauso wenig extrahiert werden kann wie aus finiten Konsekutivsätzen (105): (102) a. b. (103) a. b. (104)

Den Posten/Was war sie so klug, von Meier zu übernehmen. Das Buch/Was war sie so nett, dem Kind zu schenken. *Den Posten/* Was war er so alt, von Meier zu übernehmen. *Die Gefahr war sie so erfahren, abschätzen zu können. Meiers Posten war sie jedenfalls so intelligent, zu übernehmen.

Über die in implikativen so-IIK möglichen Adjektive informiert Pusch (1971); vergleichende Angaben zu konsekutiven io+Adjeküv-Konstruktionen verdanke ich Jetzek (1978). S. auch Boettcher (1972:98ff.).

233

(105) a. *Den Posten war er so alt, daß er von Meier übernehmen konnte. b. *Die Gefahr war sie so erfahren, daß sie abschätzen konnte. Wie der strukturelle Unterschied genau beschaffen ist, lasse ich hier offen. Interessant für unseren Zusammenhang ist jedoch, daß sich konsekutives und implikatives so+Adjektiv+(sem) formal sehr verschieden verhalten: Im Gegensatz zur konsekutiven Lesart ist bei implikativer Lesart a) Betonung von so, b) (hervorhebende) Umstellung von so+Adjektiv ins Vorfeld, c) Wegfall von sein unmöglich, vgl. (10 ), wo jeweils die konsekutive Lesart von (101) dominiert (vgl. Boettcher 1972:92f.). Nimmt man d) das/aif-Indiz (106) für den gradanzeigenden Charakter von so ausschließlich bei konsekutiver Lesart hinzu,36 (10 ) a. b. c. (106)

So intelligent, auch Meiers Posten zu übernehmen, war sie damals noch nicht. So intelligent war sie damals durchaus, auch Meiers Posten zu übernehmen. Sie erwies sich als so intelligent, auch Meiers Posten zu übernehmen. Sie war damals schon fast so intelligent, auch Meiers Posten zu übernehmen.

kann man den Unterschied strukturell so deuten: In der infiniten Konsekutivkonstruktion ist so korrelatives Gradwort zum Adjektiv, wie in anderen Konsekutivkonstruktionen auch, wo es ebenfalls hervorgehoben und graduiert werden kann; der Infinitiv kann, wie konsekutive do/3-Sätze, korrelativ auf so bezogen werden. In der implikativen Konstruktion dagegen ist so Teil des komplexen Gesamtprädikats so+Adjektiv+sein. Daß dieses als ganzes die implikative Geltung trägt, kann man auch daran sehen, daß die gleichen Adjektive in anderen komplexen Prädikatstypen auftreten, die alle nicht implikativ sind: (107) Es war klug von ihm zu kommen, (faktiv) (108) a. Er war zu klug zu kommen, (neg-wenn) b. Er war klug genug zu kommen, (wenn) Damit ist aber auch die Annahme zwingend, daß der Infinitiv in so-UK vom komplexen Gesamtprädikat abhängt, und keinen ausschließlichen Bezug zu so hat. Daß so sich auch in IIK in mancher Hinsicht korrelatähnlich benimmt, (s.o. 3.2.1.f.), kann man aufgrund der historischen Zusammenhänge anerkennen, ohne daß es das Argument pro Komplementstatus des Infinitivs in so-UK und dessen Abhängigkeit vom Gesamtprädikat schmälert. Fazit: Infinitive in IIK sind Komplemente zum jeweiligen Gesamtprädikat. Syntaktische Deutungen als korrelative oder explikative Konstruktionen sind auch für Teilklassen von nicht haltbar, und damit sind die syntaktischen Deutungen ausgeschlossen, die man semantisch als Konjunktion der beteiligten Propositionen übersetzen könnte. Das heißt, daß eine syntaktisch basierte Erklärung der IIK-IUK-Äquivalenz auch von IIK-Seite her nicht in Frage kommt, IOC sind offenbar bona fide Einbettungsstrukturen. Das Fazit von 3.2. insgesamt ist also, daß IIK und IUK zwar syntaktisch in manchem parallel sind: so in der Abfolge der relevanten Konstituenten (bei IIK ist der Infinitiv in der ReMan beachte, daß auch Adverbien wie wieder sich in infiniten Konsekulivkonstruktionen im Gegensatz zu jo-IIK nur auf den Matrixsatz beziehen, was mindestens die verschiedene strukturelle Durchlässigkeit unterstreicht: (i) Inzwischen war er wieder so kräftig, die anstrengende Reise auf sich zu nehmen. (ii) Sie war wieder so dumm, die anstrengende Reise auf sich zu nehmen.

234

gel extraponiert, s. 3.2.I.), im VP-Status der zweiten Konstituente (s. 3.2.2.), im Status als FHG-Einheit, den alle Komplementgefüge haben (s. Brandt 1990), so auch . Aber der entscheidende syntaktische Unterschied bleibt: In IUK werden die VP miteinander koordiniert, in die eine VP in die andere eingebettet. Diesem Unterschied entspricht auch die semantische Interpretation: Nach allem in 3.1. Gesagten ist der implikative Bezug ein Prädikat-Argument-Bezug, wie er für Einbettungen typisch ist; mit semantischer Koordination hat er nichts zu tun. Damit ist eine syntaktisch basierte Erklärung für die Äquivalenz von IIK und IUK endgültig ausgeschlossen. 3.3. Zur Semantik von IIK: Die Einfachheit implikativer Sachverhalte Bevor wir uns auf den alternativen semantisch-pragmatischen Erklärungsweg begeben, der schon oben angekündigt wurde (2.2.6.), noch ein Blick auf die implikative Proposition und die damit korrespondierenden FHG- und 'Sachverhalts'einheiten: Komplementstrukturen haben semantisch eine eingebettete Propositionsstruktur, die eine pragmatisch unauflösbare Einheit bildet: Sie ist stets eine Informationseinheit, insofern sie Domäne der Informationsgliederung ist (insbesondere der FHG) und stets nur propositionaler Gehalt einer einzigen illokutiven Kraft.37 Dabei entsprechen Matrix- und Komplementproposition in der Regel voneinander unabhängige 'S achverhalte' (oder 'Ereignisse'), was sich u.a. an der Möglichkeit unterschiedlicher Raum- und Zeitangaben festmachen läßt. So ist in (109) der Sachverhalt p, daß Meier das Auto entwendete, verschieden vom Sachverhalt, daß Meier p gesteht, was die unterschiedlichen Zeitangaben unterstreichen; ähnlich (l 10)-(111): (109) (110) (111)

Am 12.2.1993 gestand Meier endlich, daß er das Auto am 3.1.1992 entwendet hatte. Bei der Talkshow schlug der Gast vor, doch selbst nach Somalia zu fahren. Ich hab ihn gerade überredet, morgen Mia ins Kino zu begleiten.

Diese verschiedenen Sachverhalte sind natürlich durch das Matrixprädikat in einen Zusammenhang gebracht bzw. zu einer komplexen Sachverhaltseinheit verschweißt, deren Eigenart das Matrixprädikat bestimmt; sie sind 'Fusionseinheiten'. IIK dagegen sind Sachverhaltseinheiten in einem noch strikteren Sinn, nämlich 'einfache' Einheiten, wie man leicht an der adverbialen Modifikation sehen kann: Einerseits ist unterschiedliche Modifikation von Matrixsatz und Komplement unmöglich (112), andererseits beziehen sich Adverbiale im Matrixsatz stets auch aufs Komplement, und in der Regel auch umgekehrt (113)-(113') (vgl auch Karttunen 1971:345ff.): (112) a. '"Gestern war Hans so nett, sie heute zu besuchen, b. *In Bonn war Hans so nett, sie in Köln zu besuchen. (cf. Gestern in Bonn war Hans noch bereit, sie heute in Köln zu besuchen) (113) Hans war so nett, sie gestern zu besuchen, (l 13') Gestern war Hans so nett, sie zu besuchen. [(l 13) w (l 131)] 3? Vgl. Brandt (1989,1990.1993). In eine differenzierte Diskussion dieses wichtigen Begriffs kann ich leider nicht eintreten.

235

Das heißt: setzen nicht zwei Sachverhalte miteinander in Beziehung, sondern beschreiben genau einen, nämlich den Sachverhalt, der der Komplementproposition entspricht. In Karttunens Worten: "All that takes place when John manages to do something is that he does it [...] it is the same event." (1971:350). Die Matrixproposition thematisiert einen bloßen Teilaspekt des gleichen Sachverhalts: eine Eigenschaft, die man dem Agens unterstellen muß, der den betreffenden Sachverhalt zustandezubringt. Für diese komplette 'Fusion' in einen 'einfachen' Sachverhalt scheint nichtsententialer bzw. VP-Status des Komplements zumindest notwendige Vorbedingung zu sein; daraufkomme ich gleich in 4.1. zurück. Es ist offensichtlich, daß koordinierte Strukturen ganz anders sind: Zwar entspricht ihnen ebenfalls eine komplexe Proposition, aber die voneinander logisch unabhängigen Teilpropositionen können qua Struktur je eigenständige Informationseinheiten bilden (bzw. müssen das sogar bei sententialer Koordination), unterschiedlichen illokutiven Kräften unterliegen und sind prinzipiell auf Koordination verschiedener Sachverhalte ausgelegt. Die semantisch-pragmatischen Korrelate von syntaktischer Struktur als solcher könnten also bei IDC und IUK verschiedener nicht sein. Die Verhältnisse sind, wie man unschwer sehen kann, in IUK nicht anders. Das bedeutet: Was es im folgenden bei IUK zu rekonstruieren gilt, ist nicht nur der implikative Bezug, der zwischen Matrix- und Komplementproposition besteht, sondern auch die 'Einfachheit' der implikativen Proposition.

4.

Die Implikativität von IUK: Semantisch-pragmatische Herleitung

Man kann das Ergebnis des letzten Abschnitts auch so formulieren: Implikative Beziehung zwischen zwei Propositionen ist eine Fusionsbeziehung besonderer Art. Entsprechend gliedert sich die Herleitung der Implikativität von IUK in zwei Teilprobleme: Wie kommt es zur Fusionsinterpretation von IUK? (4.1.), Wie kommt es zur spezifisch implikativen Fusion bei IUK? (4.2.) 4.1. Die Fusionsinterpretation von IUK Hier wird wichtig, daß IUK drei obligatorische Eigenschaften haben: Subjektlücke, Anwesenheit von und, Status als FHG-Einheit (s.o. 2.2.6.). Was ergibt sich, wenn diese Eigenschaften miteinander in normalen Koordinationen vorkommen? Die Antwort ist klar: eine fusionierte Interpretation, vgl. (l 14)-(115) mit (l 14')-(115'): (114) (114') (l 15) (115')

Hoffenüich sieht uns keiner und zeigt uns keiner an. Hoffenüich sieht uns keiner und zeigt uns an. Hans geht in Buchhandlungen und er liest Neuerscheinungen. Hans geht in Buchhandlungen und liest Neuerscheinungen.

Während bei (114) und (115) die Konjunktsachverhalte nicht notwendig als zusammenhängend interpretiert werden, wird bei (114') und (115') das Bestehen eines natürlichen Zusam-

236

menhangs unterstellt: "Bei [(l 14)] richtet sich die Hoffnung darauf, weder gesehen noch angezeigt zu werden; bei [(l 14')] richtet sie sich darauf, nicht aufgrund des Gesehenwerdens angezeigt zu werden." (Höhle 1983:20). Und in (115) werden zwei unabhängige Indizien für Hansens Bildungshunger (oder eine andere gemeinsame Einordnungsinstanz im Sinne von Lang 1991) mitgeteilt, in (l 15') nur eines, d. h. (l 15') beschreibt nur einen, komplexen Sachverhalt mit finalem bzw. lokalem Bezug zwischen den Konjunkten.38 Die subjektlosen Varianten (l 14')-(115') haben je nur eine FHG (bei Normalbetonung mit Hauptakzent auf an bzw. Neuerscheinungen]). Die Möglichkeit dazu hängt syntaktisch von der Subjektlücke bzw. der damit einhergehenden VP-Koordination (s.o. 2.3.) ab - sententiale Koordination würde zwei FHGs verlangen -, ist aber eine davon unabhängige Voraussetzung für fusionierte Interpretation, vgl. (114")-(115"): Erzwingt man zwei FHGs, ist der Satz entweder ungrammatisch oder die Konjunkte werden als Beschreibung paralleler oder kontrastiver Sachverhalte aufgefaßt, beides das Gegenteil einer fusionierten Interpretation. (114") ?*Hoffentlich SIEHT uns keiner - und zeigt uns AN! (115") a. Hans geht in BUCHhandlungen und liest NEUerscheinungen. b. Hans GEHT in Buchhandlungen und LIEST Neuerscheinungen. Ähnliches gilt für die Anwesenheit von und. Andere Konjunktionen bzw. Asyndese erzwingen in der Regel parallele oder kontrastive Interpretation der Konjunkte (bzw. damit einhergehende Doppel-FHG) oder machen den Satz ungrammatisch. Da aber auch bei Fällen mit (einschließendem) oder fusionierte Interpretation möglich scheint, (116)

a. Wenn uns keiner sieht oder anzeigt, (haben wir Glück.) b. Vielleicht ist Hans ja so, daß er in Buchandlungen geht oder Neuerscheinungen liest.

38 Zur fusionierten Interpretation von VP-Koordinationen vgl. auch Hutchinson (1975), Josefsson (1991), Ekberg (1993), Höhle (1983). Allerdings wird stets nur auf Subjektlosigkeit als entscheidender Faktor abgehoben, wobei Höhle einen Unterschied zwischen SLF- und symmetrischer [bei ihm sogen, 'phrasaler'] Koordination behauptet "SLF-Koordinationen haben immer eine Interpretation, die einen unmittelbaren natürlichen Zusammenhang zwischen Prädikaten supponiert. Bei wiederholten Subjekten (in der Koordination vollständiger Sätze und bei phrasaler Koordination) ist diese 'fusionierte' Interpretation unmöglich; bei phrasaler Koordination mit dem Subjekt als gemeinsamer Bezugskonstituente der Konjunkte ist sie i.a. nicht notwendig" (ebd.:20) M.E. erweist sich der Unterschied jedoch als nur scheinbar, wenn man die FHG-Verhältnisse mitbeachtet: So tritt sowohl bei der SLF-Koordination (i) als auch bei der symmetrischen Koordination (ii). mitinduziert durch den Nachsatz, nichtfusionierte Interpretation auf, - aber nur wenn in beiden Fällen die Konjunkte getrennte FHGs haben. Und umgekehrt machen skopusfähige lexikalische Elemente wie Quantoren oder entsprechende Adverbiale die fusionierte Interpretation bei beiden Arten subjektloser Koordination praktisch zwingend und 'streichfest', vgl. (iii), bilden aber dann in jedem Fall auch eine FHG-Einheit (i) Dann [sind sie herumgetollt] und [haben Blumen gepflückt], - was eben Kindern so alles einfällt. (ii) Siei [sind (dann) tj herumgetollt] und [haben ti Blumen gepflückt], - was eben Kindern so alles einfällt (iii) a. Hoffentlich haben uns heute nicht alle gesehen, bei denen wir uns bewerben wollen, und ihre Meinung geändert. b. Nicht allei [haben uns hoffentlich t; heute gesehen, bei denen wir uns bewerben wollen] und [ tj ihre Meinung geändert]. c. Daß hoffentlich nicht alle heute [Fritz gesehen ] und [ihre Meinung über ihn geändert haben]. Vgl. auch o. (114") (SLF) und die Unmöglichkeit von symmetrischem ?* KEINer hat uns gesehen - und zeigt uns AN. Fazit: Für fusionierte Interpretation spielt Subjektlosigkeit an sich eine Rolle, nicht worauf sie hier eventuell syntaktisch beruht, - verknüpft mit FHG.

237 ist die notwendige Bedingung für fusionierte Interpretation bei normaler Koordination nur die oder und und gemeinsame zusammenfassende Funktion. Daß IUK auch die spezifische Bedeutung von und voraussetzen, hat also einen davon unabhängigen Grund (s.u.). Der Schluß ist klar: Wenn die Eigenschaften - Subjektlücke, (VP-Koordination), FHGEinheit, Anwesenheit einer 'zusammenfassenden' Konjunktion - fusionierte Interpretation von normalen Koordinationen bewirken, dann sind sie auch für die fusionierte Interpretation von IUK verantwortlich. Damit ergeben sich bereits eine ganze Reihe von 'komplement-nahen' Eigenschaften der IUK von selbst, insbesondere das Vorliegen nur einer Illokution und Einstellung (und entsprechend harmonierender Indikatoren) für beide Konjunkte (117), und die Bereichsausdehnung insbesondere der Negation39 im Erstkonjunkt aufs Zweitkonjunkt (118): All das geht mit fusioniertet Interpretation bzw. der sie verursachenden Faktorenkonstellation auch bei normaler Koordination einher (s.o. 2.1.2.), bzw. damit, anders ausgedrückt, daß die betreffende Koordinationsstruktur eine Informationseinheit bildet (117) a. b. c. d. e. (118) a. b. c. d. e.

Hans ist hoffentlich/eventuell/möglicherweise so nett und tut das. Hans wird schon so nett sein und kommen. Tu ihm JA den Gefallen und komm, ... Wer war denn so lieb und hat ihm die Hemden gewaschen? Wer ist schon so lieb und wäscht ihm die Hemden? Ich bin doch nicht so blöd und geh dorthin. Er wird sich doch nicht die Blöße geben und nachfragen. Sei bloß nicht so dumm und komm. Hoffentlich ist keiner/er nicht so dumm und kommt. Niemand ist so dumm und macht das freiwillig.

Aber IUK sind mehr als eine Fusion zweier Sachverhalte. Genau wie bei entsprechen die Propositionen, zwischen denen der implikative Bezug besteht, nur einem 'einfachen' Sachverhalt, wie man an der notwendig einheitlichen adverbialen Modifikation und dem möglichen Rückwärtsbezug von Adverbialen u.a. sehen kann (119)-(120'): (l 19) (120) a. b. c. (120') a. b. c.

""Hoffentlich ist heute keiner so gemein und zeigt uns morgen an. (vgl. Hoffentlich sieht uns heute keiner und zeigt uns morgen an). Gestern war Hans so nett und besuchte mich. Aber der Hans, der ist halt so nett und kommt. Hans ist vermutlich so nett und kommt. Hans war so nett und besuchte mich gestern. Aber der Hans, der ist so nett und besucht mich halt. Hans ist so nett und kommt vermutlich. [(120)^(120')]

Die spezifische Implikativität von IUK ist also noch zu erklären. Damit zu 4.2.

Man beachte, daß gerade bei zweifelsfreien Faktenberichten, vgl. z.B. (i), der Negationsbezug aufs Zweitkonjunkt oft schlecht bis unmöglich ist. Unter genau welchen nichtassertiven Umständen die Bereichsausdehnung der Negation erfolgen kann, ist mir noch unklar, (i) a. Hans war nicht so klug und kam. b. Er wagte es nicht und kam. c. Er tat ihm nicht den Gefallen und kam.

238 4.2. Die Implikativität von IUK Welche Faktoren für die Implikativität von IUK verantwortlich sein müssen, ist von vornherein klar: Die lexikalische bzw. inhaltliche Spezifik der Konjunkte - implikatives Prädikat vom Typ (79) im Erstkonjunkt, Handlungsprädikat im Zweitkonjunkt - und die Semantik von und. Nun ist wohlbekannt, daß bei und-Koordinationen auf der Basis von Konjunktbedeutung und -reihenfolge Inhaltsbezüge verschiedenster Art auftreten können, die über bloße Verknüpfung hinausgehen, vgl. die Beispiele mit 'subordinativem' (temporalem, kausalem, konzessivem) Bezug in (121): (121) a. Willi füllte sein Glas und öffnete eine zweite Weinflasche. b. Hans kritisierte seinen Chef öffentlich und wurde prompt entlassen. c. Hans lobte seinen Chef öffentlich und wurde entlassen! Der gängige Weg ist es, diese Bezüge als konversationelle Implikatur im Sinne von Grice (1975) zu rekonstruieren. Da das gelingt, kann man bei der Annahme bleiben, daß syntaktisch-semantisch normale u/id-Koordinationen vorliegen, denn die grammatischen Grundlagen, auf denen die Implikatur-Erklärung beruht, sind die wörtliche Bedeutung der und-Sätze (also der Konjunkte und und) und die Reihenfolge der Konjunkte, sonst nichts. Das legt nahe, es mit einer Implikatur-Erklärung für die Implikativität von IUK zu versuchen. 4.2.1.

Implikative Bezüge als konversationelle Implikaturen: Quasi-implikative Fälle

Es gibt Fälle, die den IUK auf den ersten Blick sehr nahestehen, wo das gelingt: (122) a. Hans hatte Pech und verlor seinen Job. b. Gestern war Hans leichtsinnig und achtete nicht auf die Vorfahrt. c. Hans tat mir einen Gefallen und ging einkaufen. Es handelt sich um subjeküose und-Koordinationen, die eine einheitliche FHG zulassen; sie haben also genau wie IUK eine fusionierte Interpretation. Die besondere Nähe zu IUK liegt darin, daß man, in Behaghels Worten, "die zweite Tatsache als Ausfluß der ersten" (1905:368) begreift, der Unterschied darin, daß die Beziehung gleichzeitig als 'explikativ' verstanden wird, so daß folgende (Teil-)Paraphrasen etwa für (122a) möglich sind: (122') a. Hansens Pech bestand darin, daß er seinen Job verlor, b. Seinen Job zu verlieren, ist (ein Fall von) Pech. Nennen wir diese Beziehung zwischen Erst- und Zweitkonjunkt 'quasi-implikativ'. Daß sie sich als konversationelle Implikatur rekonstruieren läßt, sei am Beispiel (122a) bzw. dessen quasi-implikativer Interpretation (122') illustriert: Sie ist abhängig von Kontext und Kotext (d.h. passender Bedeutung des Zweitkonjunkts), vgl.(122a) vs. (123) und (124), sie tritt auch bei bloßer Juxtaposition auf (125), hängt also semantisch von der bloßen Booleschen Verknüpfung ab, nicht der speziellen Konjunktion; damit ist auch das Kriterum der Abtrenn-

239

barkeit erfüllt. Last not least, ist die quasi-implikative Beziehung auch in der üblichen Weise (via Relevanzmaxime) rekonstruierbar. Es handelt sich also zweifelsfrei um eine konversationelle Implikatur. (123) (124) a. b. c. d. (125)

[Auch wenn ein Banker Spekulationsverluste macht, ist das oft nicht Versagen, sondern nur Pech. Nun ja:] Hans hatte Pech und verlor seinen Job. Hans hatte Pech und haderte mit seinem Schicksal. Hans hatte gestern Pech und heute großes Glück. Hans hatte Pech und gewann trotzdem. Hans hatte Pech und schimpfte darüber. Hans hatte Pech: Er verlor seinen Job.

Die konversationellen Implikaturen von u/wf-Koordinationen, die wir an (121) beobachtet haben, waren nicht von einer einheitlichen FHG (und genaugenommen auch nicht von vorhandenem und und Subjektlosigkeit) abhängig. Es überrascht von daher nicht, daß das bei näherem Hinsehen auch bei der quasi-implikativen Implikatur so ist. Einerseits gibt es Fälle wie (125), wo trotz zweier FHGs und fehlendem und die quasi-implikative Interpretation durchkommt. Anderseits gibt es Fälle wie (124), wo sie trotz und und FHG-Einheit unmöglich ist, da die Bedeutung des Zweitkonjunkts gegensteuert und andere Konjunktbeziehungen induziert. Schließlich ist die quasi-implikative Interpretation nicht einmal ausgeschlossen, wenn das Zweitkonjunkt ein overtes Subjekt hat (126): (126) a. Hoffentlich hat Hans Glück und der Brief kommt an. b. Vielleicht tut Petrus den Bauern einen Gefallen und es regnet morgen. Die Ähnlichkeit zwischen den quasi-implikativen Mrtd-Fällen und IUK ist also nicht so groß, wie man auf den ersten Blick denken könnte. Das rechtfertigt nicht nur, daß wir sie von vornherein aus dem betrachteten Typ von «/^/-Konstruktionen ausgeschlossen haben, sondern legt auch nahe, daß man ein ähnlich 'konversationelles' Ergebnis für IUK nicht erwarten sollte.

4.2.2.

Warum Implikativität bei IUK ist, was sie ist

Das bestätigt sich, wenn wir uns bona fide lUKs wie (127) zuwenden. Wenn die implikative Beziehung zwischen Erst- und Zweitkonjunkt, die ich in (127') möglichst nah am quasi-implikativen Bezug formuliert habe (die eigentliche Formulierung ist natürlich mit Definition (77) gegeben), eine konversationelle Implikatur ist, sollte man das an ihrem Verhalten erkennen können, das heißt, sie sollte wesentlich abhängen vom Kontext (vielleicht sogar Streichbar sein), vom Kotext (der spezifischen wörtlichen Bedeutung der Konjunkte und von und), und insofern auch abtrennbar sein, darüber hinaus auch rekonstruierbar. (127) (127')

Hans war· so dumm und kaufte das Buch. Hansens B uchkauf war ein Zeichen/eine Konsequenz seiner Dummheit.

All das aber ist nicht gegeben: Wie unbeeinflußbar der implikative Bezug vom Kontext ist, zeigen Fälle wie (128):

240 (128) a. [A: War Hans so dumm, dem Mann zu trauen?] B: Hans war so dumm und KAUFte das Buch [=(127)] b. [A: Hat Hans dem Mann denn getraut?] B: Hans war so dumm und KAUFte das Buch. In (128a) bildet die Frage einen Kontext, der eigentlich dazu führen sollte, in der Antwort das so dumm auf dem Mann zu trauen zu beziehen und die Handlung des Buchkaufens als Konsequenz dieser dummen Vertrauensseligkeit zu interpretieren, womit der direkte implikative Bezug (127') gestrichen wäre. Aber die so gut wie einzige Intepretation für (127) in diesem Kontext ist nach wie vor diejenige, in der die Handlung des Buchkaufens direkt auf Hansens Dummheit bezogen wird. Das bestätigt sich an (128b), wo die Antwort an der Frage vorbeizugehen scheint, und zwar aus dem gleichen Grund: der erste Teil der Antwort (Hans war so dumm) kann nicht für sich genommen und als implizite Antwort auf die Frage bezogen werden, so daß diese keine angemessene Antwort hat. Daß auch weitgehende Unabhängigkeit vom Kotext besteht, zeigen Fälle wie (129), wo die Variation im Zweitkonjunkt einen ganz anderen Effekt hat als im quasi-implikativen Fall (124): Dort führte veränderte Besetzung des Zweitkonjunkts, Tempusverschiedenheit zwischen Erst- und Zweitkonjunkt, anaphorischer Rückbezug vom Zweit- aufs Erstkonjunkt nur dazu, daß die quasi-implikative Interpretation (eventuell zugunsten einer anderen) verschwindet. Bei (129) hingegen bleibt entweder die implikative Geltung erhalten, mit dann automatischem Ausschluß einer anaphorischen Beziehung zwischen den unterstrichenen Elementen in Erst- und Zweitkonjunkt (d.h. die anaphorischen Bezüge gehen aus dem Gesamtsatz hinaus), - dies teilweise auch gegen unser Weltwissen (129a) - oder die Konstruktion wird ungrammatisch. (129) a. Der Hans ist (glatt) so dumm und besiegt ihn trotzdem. b. Der Hans war so dumm und schimpfte deshalb. c. Der Hans war gestern so dumm und schob das aufs Wetter, a-c: t * J d. *Der Hans war gestern so dumm und versuchte es heute noch einmal. In anderen Worten, nicht nur hat die Konjunktbedeutung keinen Einfluß auf die implikative Interpretation, sondern diese beeinflußt umgekehrt die Konjunktinterpretation. Dies ist besonders offensichtlich in Fällen wie (130)-(131): Im quasi-implikativen Fall (130) werden die nichtagentiven Prädikate im Zweitkonjunkt als solche interpretiert, was den quasi-implikativen Bezug abschwächt bzw. gar nicht aufkommen läßt; im implikativen Fall (131) werden die Prädikate im Zweitkonjunkt automatisch agentiv interpretiert bzw. uminterpretiert, was die Priorität des implikativen Bezugs beweist; der Zusatz nichtagentiver Adverbien ist entsprechend ungrammatisch. (130) a. b. (131) a. b.

Das Das Das Das

Mädchen Mädchen Mädchen Mädchen

war nett und errötete (unwillkürlich) bei der Anspielung, war dumm und traf auch noch die falschen Leute. war so nett und errötete (""unwillkürlich) bei der Anspielung. war so dumm und traf auch noch (*zufällig) die falschen Leute.

241 Damit ist klar, daß der implikative Bezug bei IUK nicht als konversationeile Implikatur aufgefaßt werden kann. Als was dann? Die entscheidenden Hinweise liefern folgende Unterschiede zwischen IUK und den quasi-implikativen Fällen: Im Gegensatz zu quasi-implikativen Fällen ist das Erstkonjunkt bei IUK für sich genommen sowohl syntaktisch als auch semantisch unvollständig, wobei sich die Ergänzungsbedürftigkeit in der Regel formal manifestiert (es, so, definiter Artikel). Die Erstkonjunkte von IUK können also so gut wie nicht frei vorkommen, vgl. (132), (132) a. ??Hans wagt (es)/ untersteht sich. b. ??Hans tut mir den Gefallen/hat die Stirn/hat die Frechheit. c. ??Hans ist so dumm/so nett/ so unbedacht/ so leichtsinnig/... zum großen Teil auch dann nicht, wenn die fehlende Ergänzung kontextuell gegeben ist. Das wurde bereits deutlich anhand der Unmöglichkeit rückweisend anaphorischer Fälle wie (128), die bei vorauszusetzender FHG-Einheit für FHG jeder Art gilt, und es zeigt sich auch in Fällen elliptischen Gebrauchs wie (133)-(134). Besonders die so-Fügungen sind merkwürdig, bzw. der Eindruck von 'mock'-Antworten, der bei (133) nirgendwo ganz fehlt, ist hier am stärksten. Die Ausnahme so frei sein ist praktisch ein Idiom.40 (133) a. b. c. (134) a. b. c. d.

Tust du mir den Gefallen und räumst auf? - Ich tu dir den Gefallen. Wagt er es wirklich und sagt ab? - Er wagt es. Wird er so klug sein, das für sich zu behalten? - ?Er wird so klug sein, glaub mir. Sie wollte, daß Hans aufräumte. - Hans tat ihr den Gefallen. Hat er abgesagt? - ??Er hat es gewagt. Hat Hans die Blumen für sie gegossen? - ??Er war so nett. Nehmen Sie sich doch noch ein Stück Kuchen! - Ich bin so frei.

In ändern Worten: Die Erstkonjunkte von IUK sind in der Regel auf eine nachfolgende explizite Ergänzung angewiesen; der Ausnahmefall, daß Vorgängersätze die Ergänzungsforderung befriedigen (im wesentlichen beschränkt auf Fälle implikativer Prädikate mit definiter NP), setzt eine getrennte FHG voraus. Aber bloße Nachstellung eines entsprechenden Komplements genügt auch nicht, vgl. (135) (marginal akzeptable Bewertungen ergeben sich nur, wenn man einen (135) entsprechenden Vorgängersatz voraussetzt): (135) a. ?*Hans war so klug: Er behielt seine Meinung für sich. b. ?*Hans tat ihr den Gefallen: Er ging weg. c. ? Hans wagte es endlich: Er gestand Petra seine Gefühle. Man beachte, daß diese 'Doppelpunkt-Konstruktionen* zwei FHGs verlangen, und bereits als 'Text', nicht mehr als komplexer Satz einzustufen sind. Daß die Texte in (135) schlecht sind, bestätigt natürlich erneut, daß IUK von den quasi-implikativen Fällen tatsächlich verschieden sind (und daß keine konversationelle Implikatur vorliegt: der implikative Bezug ist offenbar

Auch Falle wie: Mach das, sei so gut, Kommt bitte, seid so lieb, etc. sind quasi-idiomatische Sonderfalle, da im wesentlichen auf einige wenige so+Adjektiv-ImpIikativa und auf den Imperativ beschränkt

242 von der w«ii-Konstruktion unabtrennbar). Vor allem aber bestätigt es, daß das Argument, das das implikative Prädikat in IUK verlangt, überhaupt nicht textuell gesättigt werden kann. Das heißt, der implikative Bezug ist in nichtinfinitivischen Konstruktionen darauf angewiesen, daß das implikative Prädikat und die als sein Argument fungierende Konstituente formal durch und verbunden sind und sich innerhalb der gleichen Fokusdomäne befinden. Dies nun ist der Knackpunkt der ganzen Rekonstruktion. Muß man aus diesem Ergebnis schließen, daß der implikative Bezug bei IUK 'konventionelle Implikatur' ist, also unhintergehbar von den besonderen Formgegebenheiten von IUK (und, FHG-Einheit, die ihrerseits bedingt/ermöglicht ist von VP-Koordination bzw. Subjektlücke) abhängt? Dieser Schluß, der auf eine Neuauflage von (Hl) hinausführen würde, ist nur vermeidbar, wenn man zeigen kann, daß die genannten Mittel von ihrer inhaltlichen Seite her ausreichen, die Erfüllbarkeit der Argumentstruktur für implikative Prädikate in Form von IUK zu erklären. Ich denke, daß das in sehr natürlicher Weise möglich ist: Wie oben gezeigt, induziert das Vorliegen einer FHG (generell, aber in jedem Fall bei der subjektlosen VP-Koordination) fusionierte Interpretation. Ergo erhält auch eine FHG-Einheit mit einem ungesättigten implikativen Prädikat im Erstkonjunkt eine solche Interpretation, das heißt, es wird ein Zusammenhang zwischen den von Erst- und Zweitkonjunkten beschriebenen Sachverhalten unterstellt. Aus der Natur des Erstkonjunkts folgt, daß a) dieser Zusammenhang implikativ sein muß, b) seine Herstellung nur gelingen kann, wenn das Zweitkonjunkt die selektionalen Grundbedingungen für das noch offene Argument des implikativen Prädikats erfüllen kann: propositionaler Status, die Bedeutungsbeziehungen (77ii-iii) zwischen Gesamtsatz und Komplementsatz, syntaktische Realisierung als VP. Das ist nur bei mit und angeschlossenen VP-Konjunkten der Fall: Sie repräsentieren eine Proposition, sie haben syntaktisch VP-Status, und die Bedingungen (77ii-iii) lassen sich aufgrund der Semantik von und (im Gegensatz zum ebenfalls fusionsfähigen oder) nachspielen: Wenn der unJ-koordinierte Gesamtsatz wahr ist, ist auch das Zweitkonjunkt wahr, wenn er falsch ist, ist aufgrund der implikativen Beziehung zwischen Erst- und Zweitkonjunkt stets (auch) das Zweitkonjunkt falsch. Über diese selektionalen Grundbedingungen hinaus ist für das propositionale Argument implikativer Prädikate vom Typ (79) Handlungsstatus gefordert.41 Offensichtlich können wnd-VP-Konjunkte auch diese Bedingung erfüllen. Wenn sie das tun, liegen u/ui-Konstruktionen vor, in denen alle Selektionsbedingungen des implikativen Prädikats erfüllt sind, das heißt: IUK.

Warum IUK auf diesen Typ implikativer Prädikate beschränkt sind, ist mir noch nicht klar. Als ausschlaggebend vermute ich jedoch, daß nur bei ihnen die Subjektlosigkeit bzw. der VP-Status des Komplements, der für die Ableitung von IUK relevant ist, bereits selektional garantiert ist. - Für die stärkere Tendenz zur Setzung des Korrelats (s.o. 3.1.) wäre eine mögliche Erklärung das (ikonische) Bedürfnis, die Ergänzungsbedünu'gkeit des implikativen Prädikats, die bei IIK durch die Infinitivform des Arguments mitindiziert wird, zu kennzeichnen, eventuell aber auch die Überlegungen in der folgenden Anmerkung (die Setzung der Korrelate macht die Thetarollen-zuweisende Größe auf jeden Fall zu einem komplexen Prädikat!).

243

Fazit: Die Erfüllung der Argumentstruktur ist bei implikativen Prädikaten kein Privileg syntaktisch einbettender Konstruktionen; sie ist auch in der für IUK charakteristischen Faktorenkonstellation möglich.42 Damit sind alle wesentlichen Übereinstimmungen zwischen IIK und IUK auf der Basis von (H2) abgeleitet.

5.

IIK, IUK und kommunikative Gewichtung

Ergebnis von 4. ist, daß IUK und IIK äquivalent sind, insofern in beiden Fällen der implikative Bezug, den das implikative Prädikat auf seine Umgebung projiziert, erfüllt wird, wenn auch auf verschiedene Weise: direkt bei IIK, d.h. auf der Basis der syntaktischen Relation, indirekt bei IUK, d.h. auf der Basis der IUK-spezifischen Faktoren, deren inhaltliches Zusammenwirken zum gleichen Ergebnis führt. Da auch im letzteren Fall nur grammatische Mittel den implikativen Bezug tragen, ist dieser beidemale kontextunabhängig. In diesem Sinn kann man sagen, daß IUK und IIK semantisch äquivalent sind. Kommen wir nun zur Frage des kommunikativen Gewichts, die bereits in 1.3. andiskutiert wurde: Sind IUK und IIK auch in dieser Hinsicht äquivalent? Wir wissen von Fällen wie (136X136·), (136) (136')

a. b. a. b.

Häberle wohnt in Tübingen und arbeitet in Stuttgart. Häberle, der in Tübingen wohnt, arbeitet in Stuttgart. Häberle arbeitet in Stuttgart und wohnt in Tübingen. Häberle, der in Stuttgart arbeitet, wohnt in Tübingen.

daß Satzfügung gewichtungsrelevant ist: Während in den koordinativen Konstruktionen (136a)-(136'a) die beiden Informationen über Häberle gleichgewichtet sind (vom Effekt der Linearisierung einmal abgesehen), sind sie in den subordinierten Konstruktionen (136b)(136'b) deutlich gestuft: die jeweilige Hauptsatzinformation steht im Vordergrund, die Nebensatzinformation im Hintergrund, was mit je unterschiedlicher kommunikativer Zugäng-

Auf die Fragen und Perspektiven, die sich daraus fürs Thetakriterium ergeben, kann ich hier nur andeutungsweise eingehen: Was das o A. Ergebnis zunächst einmal besagt, ist, daß die Domäne, innerhalb derer das Prädikat die Komplement-Thetarolle zuweist, die Fokusdomäne ist, in der es sich befindet. Diese Formulierung trifft auch auf die normalen Fälle von Thetazuweisung zu, da Komplementgefuge stets eine FHG-Einheit bilden. Da die Bildung von Fokusdomänen ihrerseits von der syntaktischen Struktur determiniert ist, muß das keineswegs auf eine 'funktionale' Deutung hinauslaufen; da in IUK auftretende implikative Prädikate stets komplex sind (d.h. die ganze VP ausmachen) und als solche die KomplementThetarolle zuweisen, müßte man eigentlich eine Rektionsdefinition finden können, die den Normalfall IIK und IUK gleichzeitig deckt Andererseits wäre eine solche funktionale Auflockerung des Thetakriteriums auch nichts Unerhörtes, denn andere Fälle pragmatischer Erfüllung der Argumentstruktur sind wohlbekannt, vgl. (i)-(ii): (i) a. der russische Angriff auf China b. Hans wird polizeilich gesucht c. Der Verdächtige wurde zwischen den Agenten abgeführt d. Er verlas das Pamphlet im Parlament (ü) Ich hab mich entschlossen: ich fahre mit. (ii) zeigt, daß unter günstigen Bedingungen pragmatische Erfüllung von Argumentstruktur sogar über Fokusdomänengrenzen hinweg möglich ist; um so weniger sollte man über die IUK-Fälle überrascht sein.

244 licheit (für Assertion, Infragestellung, Widerspruch, etc.) korreliert und darüber testbar ist.43 - Darüber hinaus machen Fälle wie (136)-(136') klar, daß unterschiedliche kommunikative Gewichtung direkt mit der syntaktischen Struktur korreliert, denn die semantische Struktur von koordinativen und appositiven Konstruktionen ist gleich. Nun handelt es sich bei (136)-(136') um Strukturen, in denen beide Teilsätze unabhängige Fokusdomänen, also unabhängige Informationseinheiten sind, während die uns interessierenden koordinierten vs. subordinierten Strukturen - VP-Koordination vs. Infmitivkomplementgefüge - nur eine einzige Informationseinheit bilden. Ob für diese die gleichen Gewichtungsunterschiede gelten,44 ist nicht leicht zu entscheiden, da der Hervorhebungseffekt des Fokusakzents interferiert, der auf jeden Teil der Informationseinheit, auch das zweite Konjunkt bzw. das Infinitivkomplement fallen kann. Ebenso interferiert Linearisierung, die ebenfalls einen Einfluß auf kommunikative Prominenz von Informationen (z.B. im Sinne der Zugänglichkeit für direkte kommunikative Reaktionen) hat. Da aber im Prinzip jeder Teil einer Informationseinheit fokussierbar ist, auch der Matrixsatz in Komplementgefügen (wobei dieser ja auch bei Normalposition des Akzents im Komplement im Fokus liegt), und jede Linearisierung der relevanten Teile möglich ist, handelt es sich um unabhängige Faktoren. Daß sie die Gewichtung beeinflussen, hindert nicht, daß es die Satzfügung ebenfalls tut, und die Konzentration der illokutions- und einstellungsanzeigenden Mittel auf den Matrixsatz spricht eine deutliche Sprache. (Vgl. auch Sadock 1984). Ich gehe also davon aus, daß ceteris paribus auch bei Strukturen, die nur eine Informationseinheit bilden, unterschiedliche Satzfügung unterschiedliches kommunikatives Gewicht bewirkt: koordinierte Teilinformationen sind kommunikativ gleichgeordnet, subordinierte sind kommunikativ untergeordnet. Wenden wir uns nun unter dieser Perspektive der 'normalen' implikativen Konstruktion zu, den IIK. Hier finden wir eine Situation vor, die dem gerade Gesagten völlig zu widersprechen scheint, denn in praktisch allen kommunikativen Hinsichten erscheint die eingebettete Proposition als primär bzw. die Matrixproposition als sekundär: Erstens ist die eingebettete Proposition illokutives Zentrum des Satzes, nicht die Matrixproposition, vgl. (137): (137) a. Hans ist so nett zu kommen. b. Wird Hans so lieb sein, mir zu helfen? c. Sei so lieb, mir zu helfen!

- a'. - b'. - c'.

Hans kommt. Wird Hans mir helfen? Hilf nur!

Wer (137a) assertiert, assertiert auch und vor allem, daß Hans kommt (137a'), wer die Frage (137b) stellt, fragt auch und vor allem, ob Hans ihm hilft (137b'), wer die Bitte (137c) äußert, bittet auch und vor allem um Hilfe, etc. Dies war natürlich aufgrund von (77) und dem in 3.3. 43

Das verallgemeinert die bei Posner (1972) maßgebliche Bestimmung des kommunikativen Gewichts und läßt sich mit dem Begriff der kommunikativen Salienz von Tomlin (198S) in Bezug setzen. Vgl. auch Brandt (1990). Eine genaue Bestimmung des Begriffs der kommunikativen Gewichtung und ihres - m.E. ikonisch herzustellenden - Bezuges zur Satzfügung (s. hierzu auch Kaiman 1985, Sadock 1984) muß einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben.

44

Nach Brandt (1990:128f.. vgl. auch ebd.:26ff.)ist das nicht der Fall, da nur ganze Informationseinheiten gegenseitig gewichtet sein können.

245

Gesagten bereits zu erwarten, denn daß der implikativ stets 'einfache* Sachverhalt der Komplementproposition entspricht, besagt im Grunde auch, daß diese die eigentliche sprechaktsensitive Proposition darstellt. Zweitens ist der Bedeutungsbeitrag der implikaüven Matrixprädikate, wie schon in 3.1. erwähnt, weitestgehend präsuppositional. Da Präsuppositionen per defmitionem 'Hintergrund', nicht Gegenstand unserer kommunikativen Aktivitäten bilden, heißt das, daß der Matrixsatz hauptsächlich Hintergrund-Information beisteuert. Das erklärt, weshalb die illokutive Kraft die Matrixproposition einfach überspringen kann, und macht die richtige Vorhersage, daß der Bedeutungsgehalt des Prädikats sich überhaupt nicht hervorheben läßt, weder durch fokussierende Betonung (138), noch durch (mit Hervorhebung verbundene) Umstellungen ins Vorfeld wie (l39): (138) a. *Hans ist so NETT zu kommen. - *Hans ist SO nett zu kommen, b. *Hans WAGTe es/ war so MUTig/hatte den MUT, wegzubleiben. (139) *So nett war Hans, die Blumen zu gießen. Vermutlich eine weitere Folge ihres nur präsuppositionalen Bedeutungsgehalts ist auch, daß implikative Prädikate weder appositiv vorkommen (140a), noch i.e.S. prädikativ (140b) (vgl. o. (101'c)): (140) a. *Hans, so feige abzusagen und später deshalb gescholten,... (vs. Hans, zu feige abzusagen und später deshalb gescholten,...) b. *Hans kam mir so feige vor abzusagen. Darüber hinaus enthalten so gut wie alle implikaüven Prädikate, die in IIK und IUK auftreten, wertende Komponenten, die eine Verwendung dieser Prädikate zum Ausdruck rein subjektiver Sprechereinstellungen zum behaupteten, geforderten oder befürchteten Geschehen (bzw. seinem Agenten) begünstigen, was sie endgültig aus der sprechaktsensitiven Proposition ausgliedert. Das rückt sie in die Nähe von Satzadverbialen, deren Bedeutungsbeitrag ja ähnlich außerpropositional figuriert (vgl. Lang 1983), und für diese Nähe gibt es ein suggestives Indiz: Implikative Prädikate können nicht unter finden auftreten (141), wie Pusch (1971:38) beobachtet hat; eben dies teilen sie aber mit Satzadverbialen (142). (141) a. b. vs. c. d. (142)

*Ich finde, er war so nett/ so mutig zu kommen. *Ich finde, er hatte den Mut/wagte zu kommen, Ich finde er ist nett/mutig/wagt etwas,... Ich finde, es ist nett/mutig von ihm, zu kommen ... *Ich finde, er ist netterweise/mutigerweise gekommen.

Da Satzadverbiale kommunikativ ungewichtig sind, unterstreicht das nur den Gesamtbefund: Nach allen Dimensionen kommunikativer Gewichtung ist der Matrixsatz von IIK sekundär und der Komplementsatz primär. Trotzdem handelt es sich bei dem dafür verantwortlichen Element eben nicht um ein Satzadverbial, sondern um ein Prädikat, das ein propositionales Argument fordert und somit Kem eines Matrixsatzes ist. Als solcher bleibt er der Ort für die Markierungen der illokutiven Kraft (einschließlich Verum-Fokus, Modalpartikeln), für Einstellungsausdrücke, für Negation, die

246 sich auf den Gesamtsatz beziehen soll, und hat insofern, auch wenn sich die Wirkung dieser Mittel nur auf die Komplementproposition bezieht, ein gewisses kommunikatives Gewicht. Vor allem aber drückt das Prädikat eben die notwendige und hinreichende Voraussetzung für die Verwirklichung der Komplementproposition aus, und insofern ist das Komplement dem Matrixsatz tatsächlich auch inhaltlich subordiniert. Damit ergibt sich für die IIK folgende Situation: Einerseits spiegelt die syntaktische Subordination genau die semantische, nämlich den implikativen Prädikat-Argument-Bezug. Andererseits ist das kommunikative Gewicht zwischen Matrixsatz und Infinitiv so verteilt, daß falls.cs eine Korrelation zwischen Satzfügung und kommunikativer Gewichtung gibt - vor allem die Komplementproposition einen in dieser Hinsicht völlig unangemessenen subordinierten Status hat. IUK weisen natürlich den gleichen implikativen Bezug zwischen Erst- und Zweitkonjunkt auf. Weiter kann man leicht sehen, daß Erst- vs. Zweitkonjunkt in den gerade beschriebenen kommunikativen Gewichtungseigenschaften völlig parallel zu Matrixsatz vs. Komplement von IIK sind. Aber was die Korrelation zwischen Satzfügung und kommunikativer Gewichtung angeht, sind IUK die weit besseren Konstruktionen, denn hier sind beide Propositionen aufgrund der Koordination gleichgewichtet, womit auch den unterschiedlich begründeten Ansprüchen beider Propositionen auf Hauptsatzstatus Rechnung getragen werden kann. Aus dieser Perspektive läßt sich nun auch verstehen, warum sich IUK als Konkurrenzformen zu IIK in verhältnismäßig breitem Umfang etabliert haben und in einigen Fällen sogar die Standardform bilden: Anders als in IIK kann in IUK die normale Korrelation zwischen Satzfügung und kommunikativem Gewicht der gefügten Sätze verwirklicht werden. Aber wenn diese Korrelation die Usualisierung eines Konstruktionstyps begründen kann, dann ist das ein gutes Argument für ihre Existenz, also für (H3). Und zu genau diesem Schluß wollte ich kommen.

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Wahlfreiheit mit Konsequenzen - Scrambling, Topikalisierung und FHG im Dienste der Informationsstrukturierungi Inger Rosengren, Lund Das Deutsche zeichnet sich durch seine variable Wortfolge aus, die ihrerseits systematisch mit der Fokus-Hintergrund-Gliederung (FHG) zusammenwirkt. Dadurch entsteht ein Strukturpotential, das wiederum mit informationsstrukturellen Gliederungen wie der Thema-Rhema-Gliederung (TRG) und der Topik-Kommentar-Gliederung (TKG) systematisch kooperiert. Die Variabilität in der Wortfolge kann aufgeteilt werden einerseits in Umstellungsmöglichkeiten im Mittelfeld (Scrambling), andererseits in alternative Besetzung des Vorfelds durch Konstituenten aus dem Mittelfeld (Topikalisierung). In diesem Beitrag wird dafür argumentiert, daß Scrambling mit keiner der traditionellen Bewegungen zu identifizieren ist. Es handelt sich um eine optionale Bewegung (Adjunktion) innerhalb einer lexikalischen XP. Topikalisierung wird demgegenüber primär als Bewegung einer maximalen -w-Phrase in die oberste Spec-Position des Verb-zweitSatzes definiert. Beide Bewegungen hinterlassen im Mittelfeld eine Kopie. Schließlich wird eine Fokustheorie entworfen, die sich durch ihren Top-down-Charakter prinzipiell von der bisher präferierten Bottom-up-Perspektive unterscheidet. An authentischem Material wird in einem letzten Abschnitt das Zusammenwirken von Scrambling, Topikalisierung und FHG mit der Informationsstruktur des Textes illustriert.

1. 2. 2. l. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 5.

Abgrenzung des Problemfeldes Was ist Scrambling? Präzisierung der Fragestellung Scrambling, Thetarollenraster und syntaktische Grundabfolge Welches ist der Scramblingbereich? Was alles kann man scrambeln? Was hinterläßt Scrambling in der Basisposition der gescrambelten Konstituente? Scrambling in LF, SF und IF Definition von Scrambling Was ist Topikalisierung? Präzisierung der Fragestellung Lösungsvorschläge Definition von Topikalisierung Was ist Fokussierung? Fokussierung als grammatisches Phänomen Fokusprojektion als Top-down-Projektion Minimaler Fokus Definition von Fokussierung und Fokusprojektion Das Zusammenwirken von Scrambling, Topikalisierung und FHG - einige authentische Beispiele 5.1. Scrambling und FHG 5.2. Topikalisierung, Scrambling und FHG 5.3. Zusammenfassung 6. Anhang: Die akustischen Abbildungen der authentischen Beispiele Literatur Der hier vorliegende Beitrag ist im Rahmen des Projekts "Informationsstrukturierung in deutschen Texten" (Lund) entstanden. An dieser Stelle möchte ich den Kollegen und Doktoranden am Germanistischen und Nordischen Institut, Lund, sowie den Teilnehmern an dem Programmtreffen des Forschungsprogramms

252 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. As a mother comforts her son, so will I myself comfort you. Säsom en moder tröstar sin son, skall jag trösta Eder. Jes.66:13

1. Abgrenzung des Problemfelds Wir wissen, daß es im Deutschen einen Zusammenhang zwischen Scrambling, Topikalisierung und FHG gibt. Die folgenden authentischen Beispiele illustrieren dies:2 (1) (2) (3) (4) (5)

Da standen hinter den BLUmenvasen dann AUCH immer MikroFOne. Im Krankenhaus arbeitet LOHnend praktisch nur der CHEFarzt. Über EINen PUNKT sind sich alle Beteiligten EINig. Aber TAUSend Mark müßte man denen SCHON GEben. Aber warUM soll ein PRffiSter eine FRAU NICHT Lffiben dürfen?

Ohne näher auf die einzelnen Beispiele einzugehen, können wir feststellen, daß die Abfolge der Satzglieder nach üblichen Annahmen markiert ist, d.h. von der Grundabfolge abweicht. Wir finden Mittelfeldabfolgen, in denen das Subjekt weit hinten steht (l)-(3). Im Vorfeld treten entsprechend neben unmarkierten Adverbialen wie in (1) und w-Phrasen wie in (5), Adverbiale des Ortes wie in (2) und Objekte wie in (3)-(4) auf. Die Abfolgen scheinen außerdem mit der Betonung im Satz informationsstrukturell zu kooperieren. Bestimmte Teile der Äußerungen werden hervorgehoben auf Kosten anderer. Aber auch wenn wir ein intuitives Gefühl dafür haben, daß Abfolge und Betonung zusammenwirken, über die genaue Arbeitsteilung wissen wir wenig. Um das Zusammenwirken systematisch studieren zu können, müssen wir eine theoretisch gut fundierte Scrambling-, Topikalisierungs- und FHG-Theorie haben. Ich werde im folgenden als grammatisches Modell die Rektions- und Bindungs-Theorie (GB) zugrundelegen und auf dessen Hintergrund sowohl Scrambling, Topikalisierung als auch FHG definieren. In einem ersten Abschnitt wird Scrambling als eine optionale Bewegung (Adjunktion) einer Konstituente innerhalb einer lexikalischen XP festgelegt. Diese Bewegung ist ihrerseits gegenüber den semantischen Eigenschaften der gescrambelten Konstituenten blind, hat aber bei Scrambling von Quantoren bestimmte semantische Konsequenzen. In einem weiteren Abschnitt wird die Topikalisierung als eine Bewegung einer maximalen "Sprache und Pragmatik" in Rendsburg (1992) und an der AG "Was determiniert Wortstellungsvariation?" in Jena (1993) herzlich für konstruktive Kritik und wertvolle Hinweise danken. Mein besonderer Dank richtet sich an Margareta Brandt, Hubert Haider, Valeria Molnar, Jürgen Pafel, Christer Platzack, Marga Reis, Ilse Zimmermann, mit denen ich detailliert Einzelprobleme und/oder ganze Vorversionen diskutiert habe. Für wertvolle Hilfe bei der Interpretation der akustischen Graphen danke ich Gösta Bruce und Eva Garding. Das authentische Material wurde von Mikael Nystrand und Elisabet Ormelius zusammengestellt, gespeichert und akustisch abgebildet Auch ihnen möchte ich hier herzlich danken. 2 Die Hervorhebungen werden durch Versalien gekennzeichnet. Eine genauere Analyse der Äußerungen findet sich in Abschnitt 5.

253 -w-Phrase in die oberste Spec-Position des Verb-zweit-Satzes definiert. Schließlich werde ich in einem letzten theoretischen Abschnitt ein Fokussierungsmodell entwerfen, das sich prinzipiell durch seinen Top-down-Charakter von der bisher präferierten Bottom-upPerspektive unterscheidet. Im Fokus liegen alle Projektionen, die sich unterhalb eines dominierenden Fokusmerkmals +F befinden. Durch Scrambling und Topikalisierung kann man den Fokusbereich einschränken, was bestimmte informationsstrukturelle Konsequenzen hat. In einem abschließenden Abschnitt soll dann das Zusammenwirken von Scrambling, Topikalisierung und FHG mit der Informationsstruktur an authentischen Beispielen illustriert und diskutiert werden.

2.

Was ist Scrambling?

2.1. Präzisierung der Fragestellung Die markierte Wortstellung im Mittelfeld, die wir in Beispielen wie (l)-(5) vor Augen haben, wird oft auf Scrambling zurückgeführt. Was Scrambling eigenüich ist, weiß man trotz intensiver Forschung immer noch nicht genau. Einigermaßen einig ist man sich in der Literatur jedoch bezüglich folgender Eigenschaften (s. v.Stechow/Sternefeld 1988, Grewendorf/Sternefeld 1990b, Haider/Bierwisch 1991a/b): (a)

Scrambling ist ein Mittelfeldphänomen

(b) (c)

Scrambling ist "clause-bound" Scrambling ist Adjunktion

Schon bei (c) ist die Einigkeit nicht vollständig. Kein Konsens besteht in der Literatur darüber, was man scrambeln kann, wohin man scrambeln kann und welchen syntaktischen Status Scrambling hat. Fast alle Erklärungsalternativen, die im Rahmen der GB-Theorie möglich sind, wurden schon diskutiert. Keine davon ist theoretisch befriedigend und hat bisher alle empirischen Fakten unterbringen können. Die Erklärungsalternativen sind (s. hierzu u.a. v.Stechow/Sternefeld 1988 und Grewendorf/Sternefeld 1990b): (i) (ii) (iii)

-Bewegung (NP-Bewegung) A-bar-Bewegung (w-Bewegung)3 Basisgenerierung

(iv)

Ein dritter Typ von Bewegung

Ad (i): Gegen A-Bewegung (= NP-Bewegung) spricht: Scrambling hat nichts mit Kasuszuweisung zu tun. NP-Bewegung betrifft auch nur eine Konstituente pro Zyklus, von der man 3 Theoretisch müssen A- und A-bar-Bewegung natürlich nicht mit NP- und w-Bewegung zusammenfallen. In der aktuellen Diskussion tun sie das aber meist, weshalb ich hier beide Begriffe anführe.

254

bisher außerdem angenommen hat, daß sie in eine Spec-Position geht. Nichts spricht dafür, daß Scrambling Bewegung in eine Spec-Position ist. Ad (ii): Gegen A-bar-Bewegung (= w-Bewegung) spricht: (a) Satzgebundenheit: (6)

a. Ich weiß nicht, welches Buch er gesagt hat, daß Peter gelesen hat. b. *Ich glaube, daß ein Buch er gesagt hat, daiß Peter gelesen hat.

(b) VP kann man topikalisieren aber nicht scrambeln (Bsp. aus Haider/Bierwisch 1991b): (7)

a. Diesen Satz produziert hat bis heute keiner. b. *wenn diesen Satz produziert bis heute keiner hat.

(c) Partikeln und NPs in Funktionsverbgefügen (FVG) können im Vorfeld auftreten, jedoch nicht gescrambelt werden (Bsp. (9)-(10) aus Haider/Bierwisch 1991b): (8)

a. b. a. b.

Zum Schweigen wirst du Peter nie bringen. *daß du zum Schweigen Peter nie bringen wirst. (9) In Betracht sollte der Grammatiker in diesem Zusammenhang auch ziehen, daß ... "'daß der Grammatiker in Betracht in diesem Zusammenhang auch ziehen sollte, daß... (10) a. Fest steht sein Entschluß in dieser Sache zwar schon lange, aber... b. *wenn fest sein Entschluß in dieser Sache schon lange steht,... Ad (iii): Die Idee der Basisgenerierung (ohne Spuren, s. Fanselow 1992) ist an sich attraktiv. Fanselow (1992) argumentiert dafür, daß es Scrambling als Operation gar nicht gibt. Jede Abfolge im deutschen Satz ist gleich gut oder anders ausgedrückt: Es gibt keine Grundabfolge der Argumente: "Alle Argumente können in beliebiger Reihenfolge in der Basis mit dem Verb verbunden werden." Zumindest folgende vier Fakten sind mit einer solchen Theorie jedoch schwer erklärbar: (a)

Wir fassen bestimmte Abfolgen als markiert auf.

(b)

Bestimmte Abfolgen blockieren die sogenannte Fokusprojektion.

(c)

Eine bestimmte syntaktische Abfolge (also nicht irgendeine beliebige Abfolge) der Einheiten in einer Äußerung muß der semantischen Komposition in SF zugrundeliegen.

(d)

Bestimmte Bindungsverhältnisse und Skopusambiguitäten sind ohne die Annahme einer Grundabfolge und einer abgeleiteten Abfolge schwer erklärbar.

Diese Fakten sind nicht ohne weiteres mit einer Theorie, die alle Abfolgen gleich behandelt, kompatibel. Dagegen lassen sie sich sehr wohl aus einer Theorie ableiten, die Scrambling als eine Operation beschreibt, die eine von der Grundabfolge abweichende Reihenfolge schafft. Ad (iv): Damit bleibt nur noch die vierte Möglichkeit: Scrambling ist ein dritter Typ von Bewegung. Man stellt natürlich sofort die Frage, was unter einem dritten Typ von Bewegung zu verstehen sein könnte. Versuche, eine solche Bewegung abzugrenzen und zu charakterisieren, liegen vor. So schlägt Webelhuth (1992) vor (s. auch Saito 1992, der ähnliche Gedanken fürs Japanische verfolgt), daß Scrambling nie eine Bewegung in eine Spec-

255

Position, sondern immer Adjunktion ist. Folglich kann eine gescrambelte Phrase sowohl ein A- als auch ein A-bar-Binder sein. Eines seiner wichtigeren Argumente sind die Bindungsverhältnisse bei Schmarotzerlücken (Webelhuth 1992:174ff.): (11) a. * weil jemand [ohne PRO vorher ei zu untersuchen] ihni operierte, b. weil ihnj jemand [ohne PRO vorher ej zu untersuchen] tj operierte. In (lla) kann die Schmarotzerlücke nicht lizensiert werden, in (lib) wird sie lizensiert. Webelhuth schließt daraus, daß eine gescrambelte Phrase ein A-bar-Binder sein kann. Wie unten gezeigt werden soll, gibt es jedoch keinen Grund, davon auszugehen, daß das Pronomen ihn in (lib) gescrambelt ist. Es steht in einer besonderen Position (der Wackernagelposition), die sicherlich keine Scramblingposition ist und von wo aus es - wenn auch nicht besonders gut Spuren binden kann. Da es sich also nicht um Scrambling handelt, kann man diesen Fall nicht als Stütze dafür anführen, daß es sich um eine A-bar-Bindung einer Spur durch ein gescrambeltes Element handelt, wie Webelhuth es tut. Der Widerspruch, der in seiner Definition implementiert ist, indem eine gescrambelte Phrase zugleich ein -bar- als auch ein A-Binder sein soll, löst sich also auf, wenn man Pronomenbewegung und Scrambling trennt. Webelhuths Versuch ist trotzdem interessant, da er die "Zwischenstellung" von Scrambling zwischen -bar- und -Bewegung damit erklären will, daß Scrambling genau nicht Bewegung in eine Spec-Position, sondern Adjunktion ist. Ich will die sich aus dieser grundlegenden Annahme ergebenden Konsequenzen weiter verfolgen und zu zeigen versuchen, daß Scrambling keine Mischung der beiden anderen Bewegungstypen, sondern tatsächlich eine dritte Art von Bewegung ist. Dabei sollen folgende Fragen beantwortet werden: (a) (b) (c) (d) (e)

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Scrambling, Thetarollenraster und syntaktischer Grundabfolge? Welches ist der Scramblingbereich? Was alles kann man scrambeln? Was hinterläßt Scrambling in der Basisposition der gescrambelten Konstituente? Ist Scrambling in LF und SF sichtbar?

2.2. Scrambling, Thetarollenraster und syntaktische Grundabfolge Zuerst zum Begriff der syntaktischen Grundabfolge: Mindestens zwei Ausgangspunkte für eine Definition sind möglich (s. Fanselow 1992). Es kann sich um eine Abfolge handeln, die sich aus der Kasuszuweisung, oder aber um eine Abfolge, die sich aus der ThetarollenZuweisung ergibt. Keine dieser Alternativen kann jedoch allein für die Abfolgemöglichkeiten im deutschen Mittelfeld verantwortlich gemacht werden. Im Deutschen gibt es bei unmarkierter Abfolge keinen absolut festen Bezug zwischen Kasuszuweisung und Serialisierung: (12) daß Peter einen Brief an seine Mutter geschrieben hat. (13) daß Peter seiner Mutter ein Buch geschenkt hat. (14) daß der Lehrer den Schüler der Prüfung unterzogen hat.

256

(15) daß Peter den Stuhl zum Fenster hinausgeworfen hat (16) daß Peter sich gründlich die Zähne geputzt hat (17) daß Peter seine Freundin schlecht behandelt hat. Dies bedeutet nicht, daß die Kasustheorie keinen Einfluß auf die syntaktische Abfolge der Konstituenten hat. Eine wichtigere Rolle spielt aber vermutlich die Thetatheorie. Ein mögliches Szenario soll hier skizziert werden: (a) Ehe auf die Frage eingegangen werden soll, wie die Thetarollenzuweisung auf die syntaktische Grundabfolge einwirkt, müssen wir eine Auffassung davon haben, wie die VP aufgebaut ist. Die traditionelle, d.h. dem Modell von Chomsky (1986) entsprechende VP hatte eine Kopfposition, eine Spezifikatorposition und eine oder mehrere Komplementpositionen. Mit dem Larsonschen Modell (1988) erhalten wir demgegenüber eine VP mit geschichteten VP-Schalen. Frey/Tappe (1991) (s. auch Frey 1990) schlagen ein etwas anderes Modell vor, in dem die VP nur einen Kopf hat:

(18)

VP

/\ XP

VP

/\ /\ /\ /\

XP

VP

XP

VP

XP

V

XP

VO

In diesem Modell können bestenfalls eine Schwester von V° und von V vorkommen. Andere Phrasen sind dann Schwestern, d.h. Adjunkte, von VP. Das Modell impliziert natürlich, daß man syntaktisch nicht mehr zwischen basisgenerierten Adjunkten und verbselegierten Argumenten unterscheiden kann, wenn die letzteren als Adjunkte auftreten. Da das Lexikon aber über den Argumentstatus informiert, scheint dies kein Problem zu sein.4 Ich werde im folgenden von diesem Modell aus argumentieren. Auch wenn man aber ein Modell Larsonscher Prägung zugrundegelegt hätte, würden vermutlich die Ergebnisse im Prinzip dieselben sein. (b) Die nächste Frage, die zu beantworten ist, ist nun die Frage, was die Besetzung der oben vorgeschlagenen Struktur determiniert. Ich will annehmen, daß das Deutsche eine syntaktiEin ganz anders orientiertes Modell findet sich bei Zwart (1993). Er schlägt in Anlehnung an Kayne (1992) vor, daß alle Sprachen - auch die sogenannten SOV-Sprachen - den verbalen Kopf links im Baum haben und damit das DO als Komplement rechts vom Kopf. Mit diesem Vorschlag, der dann voraussetzt, daß das DO in die SpecAGRo auch immer oven angehoben wird, kann er einige der bisher nicht gelösten Probleme der SOV-Sprachen ausbügeln. Es ist jedoch noch zu früh, um zu entscheiden, ob das Modell andere Regularitäten ebenso elegant erklärt.

257

sehe Hierarchie der Argumente und Adjunkte aufweist und daß diese von dem Thetarollenraster im Lexikon (mit)determiniert wird (Voraussetzung ist dabei Dekomposition der Verben, s. hierzu vor allem Bierwisch 1988 und Wunderlich 1992, der die wichtige Rolle der Verben bei der Determinierung der syntaktischen Eigenschaften und Skopuseigenschaften betont). Das Verb entscheidet darüber, wieviel Argumente vorkommen können bzw. müssen. Damit ist auch das Problem tangiert, daß einige der Argumente optional sein können, was also so zu verstehen ist, daß sie nicht realisiert zu werden brauchen. Bierwisch (1988) geht kurz darauf ein, ob man in einem Fall wie nach fahren ein optionales Argument (des Typs S/N) oder einen Modifikator annehmen soll. Das semantische Ergebnis der Komposition ist an sich dasselbe. Er entscheidet sich für die letztere Lösung. Ich bin von dieser Lösung nicht überzeugt. Syntaktisch scheint es zwischen einem obligatorischen und nicht obligatorischen direktionalen Adverbial (dirAdv) keinen Unterschied zu geben. Vieles spricht deshalb dafür, sie gleich zu behandeln. Wenn das obligatorische dirAdv ein Argument ist, sollte das optionale dirAdv ebenfalls ein Argument sein. Ich will deshalb von dieser Annahme ausgehen (wobei ich mich der Tradition innerhalb der Valenztheorie anschließe). Im übrigen will ich mich des lexikalischen Modells, so wie es in Bierwisch (s. u.a. 1988) aufgebaut und von Wunderlich (1992) weiter ausgeführt wird, im Prinzip anschließen (vgl. auch Haider/Bierwisch 1991a/b). Dies bedeutet, daß der Rang der Argumentrollen im Lexikon sich aus ihrer Position relativ zu dem Verb ergibt: , , Xy, , [...], wobei e,5 x, y, z vom Typ N sind, X vom Typ S/N und das designierte Argument ist. Diese Ordnung wird auch im syntaktischen Baum wiedergespiegelt, indem die semantische Struktur auf die syntaktische Hierarchie projiziert wird (s. hierzu vor allem Haider/Bierwisch 1991a/b), wobei auch bestimmte syntaktische Mechanismen mit ins Spiel kommen (z.B. die Rolle der Präposition für die syntaktische Hierarchie bei Präpositionalobjekten). Das Thetarolleninventar des einzelnen Verbs im Lexikon und damit seine syntaktisch morphologische Realisierung ist verb- bzw. verbklassenspezifisch. Das Modell von Frey/Tappe (1991) stellt uns nun vor das Problem, welche Argumente Schwestern von VP und welche Schwestern von V und V° sind. Ich will annehmen und dabei im Prinzip Frey/Tappe (1991) folgen, daß Argumente, denen struktureller Kasus zugewiesen wird, Schwestern von VP sind. Andere Argumente sind dann Schwestern von V und V°. Das Präpositionalobjekt (PO) (s. Bierwisch 1988 und Wunderlich 1992) unterscheidet sich von einer Präpositionalphrase (PP) als dirAdv dadurch, daß die Präposition leerläuft und die Thetarolle dem PO direkt zugewiesen wird, während das dirAdv vom Verb selegiert ist, indem dies ein ±DIR verlangt, dessen Präposition aber die Thetarolle vergibt. Das dirAdv scheint damit semantisch näher mit dem Verb verbunden zu sein als das PO. Ich will deshalb annehmen, daß das PO eine Schwester von V und das dirAdv eine Schwester von V° ist. Auch das Genitivobjekt (GO) (oder zumindest das GO bei bestimmten Verbklassen, vgl. un: Ereignisvariable, s. hierzu auch Brandl/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992) [=BRRZ].

258

ten) soll eine Schwester von V sein.6 Mit diesem Ansatz können nun einige andere Eigenschaften von POs und GOs ebenfalls erklärt werden, u.a. ihre Beziehung zur Negation und dem damit verbundenen Spezifizitätseffekt (s. unten (e)). Obligatorische Artadverbiale (ArtAdv) sind sicherlich auch Schwestern von V^. Unklar sind die Verhältnisse bei obligatorischen Adverbialen des Ortes (OrtAdv) (z.B. bei Verben wie stehen und wohnen). Ich will tentativ annehmen, daß auch sie Schwestern von V sind. Bisher wurde nur nebenbei auf die frei in der Syntax basisgenerierten Adjunkte eingegangen. Unklar ist, ob sie nur an einer syntaktischen Position auftreten oder ob man annehmen soll, daß sie an mehreren Positionen basisgeneriert werden können (vgl. hier auch Haider/Bierwisch 1991b). Ich will von der Annahme ausgehen, daß die Abfolge MP>SatzAdv>temp/kausAdv>Subjekt die Grundabfolge ist, d.h. daß die freien Adverbiale, die sich auf die das Subjekt inkludierende VP beziehen, auch oberhalb des Subjekts ihre Grundposition haben. Unterhalb der Subjektposition finden wir dann die OrtAdv, Art/GradAdv, dirAdv. Hier ist die Grundabfolge nicht so klar wie bei den anderen Adverbialen. Es ist auch nicht ohne weiteres klar, wo sie relativ zu den Objekten stehen. Es soll jedoch angenommen werden, daß auch sie eine Grundposition haben. Die näheren Regularitäten sind aber noch herauszufinden. Der folgende Baum illustriert die Grundpositionen der Argumente (die natürlich nicht alle auf einmal auftreten können).

(19)

VP

/\

XP SU

VP /\ XP VP

10

/\ XP DO

VP /\ XP V PO/GO/OrtAdv//\ XP V° dirAdv/ArtAdv

Nicht behandelt wurden sogenannte Sekundärprädikationen (s. hierzu u.a. Winkler 1991 und Frey/Tappe 1991). Sie sind m.E. keine Argumente in dem hier definierten Sinn. Ich werde unten kurz auf sie zurückkommen. (d) Das Subjekt scheint in mehrerer Hinsicht eine Sonderstellung einzunehmen. Man ist sich heute prinzipiell einig, daß es seine Grundposition unter VP hat. Zugleich gibt es aber GrünEs gibt sicherlich auch POs und GOs, die sich eher als Schwestern von V° oder VP (das letztere gilt nur für POs) beschreiben lassen.

259

de, anzunehmen, daß es in dieser Position nicht gern bleibt. Ich will anschließend an Pollock (1989) und vor allem Chomsky (1992) annehmen, daß es eine funktionale Projektion AGRgP gibt, in dessen Spec-Position das Subjekt im Deutschen schon overt gehen kann, jedoch nicht immer gehen muß. In AGRsP wird nämlich die Kongruenz zwischen Subjekt und Verb geprüft, was ich als die wichtigste (möglicherweise alleinige) Aufgabe der AGRsP-Projektion betrachte.7 Diese Position wird jedoch nicht nur von Argumenten angepeilt, die die designierte Thetarolle erhalten, sondern auch von Argumenten mit anderen Thetarollen, die aber oberflächlich als Subjekt auftreten, z.B. von dem Subjekt bei nicht-akkusativischen und passivierten Verben. Bei diesen Verben ist dann auch eine Art Wettbewerb zwischen der Grundabfolge IO>SU und der derivierten Abfolge (sogenannte NP-Bewegung) SU>IO zu erwarten. (20) a. daß dem Lehrer der Aufsatz imponierte, b. daß der Aufsatz dem Lehrer imponierte. Die Annahme einer eigenständigen Subjektposition hat Konsequenzen für unsere Voraussagen über das Verhalten des Subjekts bei Scrambling. Wir können jedoch vorerst feststellen, daß, wenn Scrambling Adjunktion ist, bei der Bewegung des Subjekts nach SpecAGRs nicht Scrambling vorliegen kann, da es sich um eine Spec-Position handelt. (e) Schließlich noch ein Wort zur Negation. Die präferierte Oberflächenposition der Negation weit unten im syntaktischen Baum muß erklärt werden. Erklärungen, die davon ausgehen, daß die Negation dort ihre Grundposition hat, wo auch die übrigen Satzadverbiale anzusetzen sind, sind problematisch. Fürs Deutsche folgt aus einer solchen Annahme meist auch die Annahme von obligatorischem Scrambling (s. hier z.B. Moltmann 1991), was selbstredend nicht wünschenswert ist. Jacobs (1982, vgl. auch 1991 a) lehnt den Gedanken einer Grundposition ab. FreyA"appe (1991) unterscheiden zwischen zwei Positionstypen der Negation. Da ich die Satzstruktur von Frey/Tappe (1991) zugrundelege, will ich ihren Vorschlag bezüglich der syntaktischen Position der Negation etwas eingehender diskutieren. Ich nehme mit Frey/Tappe (1991) an, daß die Negation (die keine NegP ist) an mehreren Positionen basisgeneriert werden kann. Ihr Vorschlag läuft darauf hinaus, daß die nicht-kontrastierende Negation immer Spezifikator, die kontrastierende Negation dagegen immer Adjunkt einer maximalen Phrase ist. Wie sie hervorheben, kann man mit dieser Hypothese einige der bisher unlösbaren Probleme gut lösen.8 Es gibt bei dieser Theorie aber andere weniger leicht zu lö7

Ob außerhalb der VP auch noch weitere funktionale Projektionen anzunehmen sind (s. hierzu Chomsky 1992), kann hier nicht diskutiert werden und spielt für das aufgegriffene Problem auch keine entscheidende Rolle. Ich will in diesem Zusammenhang nur auf das in BRRZ entwickelte Modell hinweisen, wo für die besondere Funktion der I-Projektion als Satzmodusträger argumentiert wurde. Ich bin selbst der Meinung, daß man versuchen sollte, nur mit der I- und AGRs-Projektion auszukommen, da die Argumente für die übrigen Projektionen bisher nicht zwingend sind.

8 Vor allem ist ihre Analyse von kein verlockend. Da es aber neben kein auch andere Elemente gibt, die eine Negation enthalten (z.B. nie), die nicht so ohne weiteres durch die Annahme einer Plazierung der Negation in der Spezifikatorposiüon erklärt werden können, sind die Vorteile bei der Erklärung von kein doch nicht so groß, daß man die ganze Analyse der Negation auf sie aufbauen möchte.

260

sende Probleme, ganz abgesehen davon, daß es irgendwie kontraintuitiv ist, die Satznegation als Spezifikator einer maximalen Phrase zu betrachten. Auf einige dieser Probleme soll im folgenden eingegangen werden. Nach Frey/Tappe (1991) hat (21) bevorzugt eine Kontrastlesart, was darauf zurückzuführen sei, daß die XP im Vorfeld keine Negation als Spezifikator stranden kann, die Negation also Adjunkt der VP sein muß: (21) Viele Bücher gelesen hat er nicht. Das Beispiel kann jedoch nicht ohne weiteres als Stütze für die Spezifikatorhypothese verbucht werden. Es falsifiziert sie nur nicht. Die Kontrastlesart, die ja außerdem nur die bevorzugte Lesart ist, ist mit einer Theorie kompatibel, die die Negation in (21) als Adjunkt betrachtet (s.u.). Interessanter in diesem Zusammenhang ist aber die Behandlung des PO (dieselbe Argumentation trifft auch auf das GO zu). Es ist etwas unklar, wo Frey/Tappe (1991) das PO ansetzen. Der Text muß wohl aber so gelesen werden, daß sie es wie ein normales Objekt behandeln. Demnach müßte es eine Position als Schwester einer VP haben. Bei Frey (1990:219) ist es jedoch eindeutig eine Schwester von V°. Wenn man die Satznegation als Spezifikator einer maximalen Projektion betrachten will und im Fall eines DO mit vorangehender Negation immer eine Kontrastlesart ansetzt (also ein Adjunkt der VP), sind die POs so oder so problematisch. In (22a) und (22b) handelt es sich nämlich nach Frey/Tappe (1991) um dieselbe neutrale Satznegation: (22) a. Hans hat nicht auf Maria gewartet, b. Hans hat auf Maria nicht gewartet. Dies versuchen sie zu erklären dadurch, daß sich in (22a) die Negation in der Spec-Position des PO, in (22b) dagegen in der Spec-Position der VP befindet. Abgesehen davon, daß dieser positionelle Unterschied zwischen den beiden Negationen sich irgendwie semantisch bemerkbar machen sollte, weisen (22a) und (22b) m.E. aber einen anderen relevanten Unterschied auf: Nur in (22a) liegt Grundabfolge vor. In (22b) ist die Abfolge informationsstrukturell markiert. Eine Abfolge wie (22b) erlaubt auch eine andere FHG als (22a), was sich kaum aus der Annahme der unterschiedlichen Position von nicht ableiten läßt, sondern eher mit Scrambling des PO in Verbindung zu bringen ist. Wenn es sich in (22b) aber um Scrambling des PO über die Negation hinweg handeln sollte (s. auch unten 2.4.), ist dies natürlich nur dann möglich, wenn die Negation selbst eine Schwester von VP ist und sich nicht in der Spec-Position des PO befindet, denn es ist nicht anzunehmen, daß aus der negierten PP heraus die PO in die VP hinaufscrambeln und die Negation stranden kann (s. hierzu die Argumentation von Frey/Tappe 1991 in einem ähnlichen Zusammenhang, Beispiel (21) oben). Dies spricht also vorerst dafür, die Negation in (22a) nicht in der Spec-Position des PO anzusiedeln, sondern für beide Beispiele dieselbe Position vorzusehen, die dann eher eine Schwesterposition der VP sein wird. Es gibt aber auch andere Gründe, die Satznegation als Schwester von VP zu betrachten. Moltmann (1991) hat darauf hingewiesen, daß die Position vor oder nach z.B. einem DO mit

261 einem Spezifizitätseffekt verbunden ist.9 So kann ein DO im Skopus einer Negation immer nur unspezifisch sein, während ein DO links von der Negation sowohl spezifisch (der Normalfall) als auch unspezifisch sein kann. Dies gilt sowohl von definiten als auch von indefiniten Phrasen: (23) a. ??weil Hans nicht ein gewisses Buch gelesen hat. b. weil Hans ein gewisses Buch nicht gelesen hat. In (23a) und (23b) wird eine spezifische Interpretation durch gewiß erzwungen. Deshalb kann das DO nicht im Skopus der Negation stehen. In (24a) und (24b) handelt es sich demgegenüber um eine unspezifische Lesart. Hier liegen beide Abfolgemöglichkeiten vor: (24) a. weil Hans nicht die Lösung dieser Aufgabe herausbekam, b. weil Hans die Lösung dieser Aufgabe nicht herausbekam. Die Position der Negation in (24a) und (24b) hat also keinen Einfluß auf die Unspezifizität des DO. Dagegen scheint mir (24b) eher eine markierte Abfolge zu sein als (24a), was wiederum am besten durch Scrambling des DO über nicht hinweg erklärt werden könnte. Damit korreliert nun auch ein möglicher Akzentton auf nicht und dem Verb (s. unten). Wenn es sich aber in (24b) um Scrambling handelt, kann sich nicht wiederum nicht in der Spezifikatorposition der DP befinden (vgl. die Argumentation bei (21) oben). Moltmann (1991) diskutiert nun auch u.a. das PO und GO und kommt zu dem Schluß, daß sie innerhalb oder außerhalb des Skopus der Negation stehen können, ohne daß dies Konsequenzen für ihre Spezifizität hat. Dies ist i.E. darauf zurückzuführen, daß keines der Objekte einen strukturellen Kasus zugewiesen bekommt und der Nicht-Spezifizitätsconstraint (d.h. eine DP ist immer nicht-spezifisch, wenn sie im Skopus der Negation liegt) nur bei strukturellem Kasus sichtbar ist. Ich habe oben dafür argumentiert, das PO in der Spezifikatorposition der untersten VP anzusetzen. Dies wäre natürlich nicht möglich, wenn, wie Frey/Tappe (1991) meinen, dort die Negation stünde. Wenn die Negation aber nie tiefer steigen kann als bis zur Adjunktposition der untersten VP, würden wir einerseits eine Erklärung dafür erhalten, daß die Negation bei den Objekten mit strukturellem Kasus, die also Schwestern von VP sind, sowohl oberhalb (s. Alternative (a) in (25)) als auch unterhalb (s. Alternative (b) in (25)) des Objekts ihre Grundposition haben kann und damit Skopuskonsequenzen verbunden sind,10 andererseits aber auch daß sie bei dem PO und GO nur oberhalb der VP ansiedelbar ist (26), was dann natürlich auch nur eine Skopusrelation ergeben kann.

9

10

Sie geht davon aus, daß die Negation immer ein Adjunkt der (obersten) VP ist, was eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich führt, u.a. zu der Annahme von obligatorischem Scrambling führt, aus dem die Spezifizitätseffekte abzuleiten sind. Diesen Weg werde ich hier nicht verfolgen. Ich kann aber erst in einem anderen Zusammenhang auf die damit zusammenhängende Problematik eingehen. Hier werde ich vor allem die Daten über (Nicht-)Spezifizität aufgreifen. Über nicht in Position (a) kann die XP dann scrambeln, s. (24b).

262

(25)

VP

/\ XP Peter

VP / /\

XP VP seiner Mutter /\ (a) Neg VP nicht

/\^ XP VP viele Bücher //f\^ (b)

Neg nicht

VP V0

geben (26)

VP

/\ VP

XP Peter

Neg nicht

VP

XP auf Maria

V I V0

warten Die Annahme, daß die Satznegation Adjunkt einer VP ist, hat also eine größere Erklärungskraft als die, daß sie in der Spezifikatorposition einer maximalen Projektion steht. Vor allem erlaubt sie uns, Scrambling als einen optionalen Prozeß zu sehen. Ich will deshalb von dieser Annahme ausgehen, was zur Folge hat, daß die Negation wie jedes andere Adjunkt behandelt und damit zu den Konstituenten unter VP gezählt wird, über die hinweg gescrambelt werden kann. 2.3. Welches ist der Scramblingbereich? Hier soll nun genauer diskutiert werden, in welchem Bereich gescrambelt werden kann. Es besteht Konsens darüber, daß Scrambling "satzgebunden" ist. Dies gilt sowohl für ganze Sätze als auch für Infinitivkonstruktionen. Vgl.: (27) a. *Peter hat [das Buch]i seine Schwester gebeten, daß sie ihm tj schickt. b. *Peter hat seine Schwester [das Buch] i gebeten, ihm tj zu schicken.

263

Aus Infinitiven kann man folglich auch nur in kohärenten Konstruktionen scrambeln (die Beispiele (28)-(29) stammen aus Grewendorf/Sabel 1993):n (28) daß [den Hundji keiner tj zu füttern versuchte, (hier kohärent konstruiert) (29) *daß [den Film] i jeder ti verpaßt zu haben bedauerte, (nicht-kohärent) (30) daß [dem Bruder]j Peter tj ein Buch gegeben zu haben scheint. In (28) und (30) handelt es sich um ganz gewöhnliches Scrambling innerhalb einer und derselben VP, da die beiden Verben in einer kohärenten Konstruktion eine Einheit bilden (wobei es nicht relevant ist, wie diese Einheit zustandekommt, s. hierzu verschiedene Erklärungsversuche in Grewendorf 1987, Fanselow 1989, Haider 1991, Rosengren 1992c). Wir finden auch die erwartbare Korrespondenz bei Infinitivkonstruktionen: (31) *daß [ihn zu besuchen] i Peter öfter ti scheint. (32) *daß [den alten Mann das Haus anstreichen^ Peter t; ließ. Sie bilden keine Konstituente unter VP und lassen sich deshalb auch nicht bewegen. Ein Vergleich mit folgenden Beispielen zeigt nun aber, daß Infinitive vielleicht generell nicht scrambeln können (zu den Infinitivkonstruktionen im Mittelfeld, s. auch Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann 1992 [= BRRZ]:llff.): (33) daß [ihn zu besuchen] i Peter/er immer wieder tj gezögert hat. (34) Es war mir schon klar, daß [ausgerechnet Hans um Hilfe bitten zu müssen] j Christine/sie eigentlich ti vermeiden wollte. (Tri ssler 1991) (35) daß [ihn zu besuchen], er nicht glaubt, daß er ti sich leisten kann. Diese Konstruktionen weisen gewisse Ähnlichkeiten mit Rattenfängerkonstruktionen auf (zu der Rattenfängerkonstruktion, die Scrambling widersteht, s. Grewendorf/Sternefeld 1990b:13, zu der Infinitivbewegung in (33)-(35), s. Trissler 1991:128). Sie als Scrambling zu verbuchen, ist aus mehreren Gründen nicht besonders attraktiv. Zum ersten ist es merkwürdig, daß die Position links vom Subjekt unmarkiert ist, da wir sonst immer eine Tendenz finden, das Subjekt in die AGR$P gehen zu lassen und wir deshalb eigentlich erwarten, daß die Stellung des Subjekts links vom Infinitiv die unmarkierte Abfolge ergibt. Zum zweiten zeigt das Pronomen er bzw. sie in (33)-(35), daß die Position des Infinitivs nicht innerhalb der VP anzusetzen ist (zu den Pronomen, s. unten). Zum dritten finden wir in (35) (s. hierzu Reis 1991) lange Bewegung aus einem eingebetteten Satz heraus, was also nicht Scrambling sein kann. Diese Fakten zusammen sprechen deshalb m.E. eher dafür, daß es sich in (33)-(35) um eine Art Topikalisierung im Mittelfeld handelt, d.h. das genaue Gegenteil zur ebenfalls möglichen Extraposition. Daß Scrambling von Infinitiven tatsächlich nicht bzw. schlecht möglich ist, zeigt auch das folgende Beispiel, wo es sich sicher um Adjunktion innerhalb der VP handelt: (36) ??daß Peter gestern [ihm zu helfen], Anna ti gebeten hat.

11

Ich muß aus Platzgründen auf eine Diskussion der in Grewendorf/Sabel (1993) vorgeschlagenen theoretischen Analyse dieser Beispiele verzichten, werde aber in einem anderen Zusammenhang darauf zurückkommen.

264

Der Infinitiv kann damit aus der weiteren Diskussion ausgeschlossen werden. Dasselbe gilt von fmiten Sätzen: (37) *weil er gestern [daß Peter hierherkommt] j seiner Schwester mitgeteilt t; hat. Sie können auch sonst kaum im Mittelfeld bleiben (s. hierzu BRRZ:1 Iff.), sondern werden normalerweise extraponiert. Eher möglich, jedoch wenig akzeptabel, scheint auch hier die obige Topikalisierungsposition zu sein: (38) ?weil [daß Peter das Haus anstreichen wird] j sie schon gestern tj mitgeteilt hat. Wir können also feststellen, daß man aus dem Satz nicht herausscrambeln kann. Es ist weiter anzunehmen, daß Infinitive und Sätze selbst nicht scrambeln können. Die in der Überschrift gestellte Frage ist damit aber noch nicht beantwortet. Wir müssen dazu Stellung nehmen, innerhalb welcher XPs gescrambelt werden kann. Ich will den Scramblingbereich generell auf den Bereich der lexikalischen Projektion (der VP, NP, AP) beschränken. Zuerst zu der VP: Man fragt sich natürlich, weshalb Scrambling auf die VP als lexikalische Projektion beschränkt ist und es nicht möglich sein sollte, aus der VP heraus in eine funktionale Projektion weiter oben im Baum hineinzuscrambeln. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Vielleicht können wir sie aber indirekt angehen, indem wir uns überlegen, was Scrambling aus einer lexikalischen Projektion heraus eigentlich für eine Art von Bewegung wäre. Projektionen außerhalb der VP sind als funktionale Projektionen selbst Anlaufstellen für Bewegungen, die man nicht als Scrambling betrachten möchte, denn Scrambling ist allem Anschein nach Adjunktion. Scrambling an eine funktionale Projektion wäre damit Adjunktion an eine Projektion, die selbst eine bewegte Konstituente (z.B. das Subjekt) enthält. Da alle XPs in funktionalen Projektionen prinzipiell auch in situ bleiben können, könnte man eine solche Bewegung nicht mehr von derselben Bewegung innerhalb der VP unterscheiden. Sie wäre damit ökonomisch auch nicht motiviert. Diese Überlegungen führen zu der Frage über, was Scrambling innerhalb der VP eigentlich ist. Scrambling ist eine relative Umstellung von zwei basisgenerierten XPs, d.h. keine Bewegung einer XP in eine bestimmte Position. Deshalb ist Scrambling auf die VP beschränkt, denn nur in ihr finden wir die XPs in ihrer Grundposition. Scrambling ist weiter nicht rekonstruierbar, denn die Umstellung hat semantische und informationsstrukturelle Gründe und darf nicht rückgängig gemacht werden. Darauf kommen wir in Abschnitt 2.6. und Abschnitt 4. zurück. Das bedeutet auch, daß es nicht möglich sein soll, durch mehrmaliges Scrambling eine relative Umstellung wieder aufzuheben. Scrambling ist somit eine dritte Bewegung, die sich voll und ganz von anderen Bewegungen wie w-Bewegung, NP-Bewegung, Bewegung in die Wackernagelposition etc. unterscheidet, Bewegungen, die auf funktionale Projektionen abzielen und aus ganz anderen Prinzipien abzuleiten sind. Es ist eine finite und insofern einmalige Operation innerhalb der VP. Wir haben bisher nur Scrambling innerhalb der VP diskutiert. In diesem Abschnitt soll nur noch kurz die Frage behandelt werden, ob Scrambling auch innerhalb von anderen XPs möglich ist. Zunächst zur AP:

265

(39) der [seiner Studienh in höchstem Maße ti überdrüssige Student (Grewendorf/Sternefeld 1990b) (40) die [in Berlin]] seit Jahren ti wohnhafte Studentin (41) Die Passage findet sich in einem [an seine Mutter]j unmittelbar nach dem Ereignis ti abgeschickten Brief. Wir dürfen annehmen, daß der Genitiv und die beiden PPs ihre Grundposition direkt vor dem Partizip haben. In (39)-(41) handelt es sich dann um Scrambling innerhalb des erweiterten Attributs. Auch hier liegt also eine markierte Abfolge vor, insofern von der Thetaabfolge abgewichen wird. Ich werde im folgenden diesen marginalen Fall nicht weiter berücksichtigen. Zu vermerken ist nur, daß es sich auch hier um Bewegung innerhalb einer lexikalischen Projektion unter Abzug ihrer möglichen funktionalen DgrP-Projektion handelt. Nun zur NP: Nach v.Stechow/Sternefeld (1988) ist Scrambling in NPs und PPs ausgeschlossen. Sie führen folgende Beispiele an: (42) a. *[NP meines Vaters] [NP das Auto t] b. *weil er [pp Maria] [pp mit t] gesprochen hat Hier wird aber offensichtlich aus der NP und PP herausbewegt. Es handelt sich also nicht um Scrambling, wenn man Scrambling als Bewegung innerhalb einer lexikalischen Projektion definiert. Fanselow (1992) diskutiert die Rektion der Spuren an folgendem Beispiel, wobei (43a) grammatisch und (43b) ungrammatisch sei: (43) a. daß [über Logik]; leider [alle Bücher t|] ausgeliehen waren, b. *daß [alle Bücher]j leider [ti über Logik] ausgeliehen waren. Auch hier gibt es jedoch keinen Grund, anzunehmen, daß es sich um Bewegung innerhalb der NP handelt. Möglicherweise könnte es sich jedoch in folgenden Fällen um Scrambling handeln: (44) a. b. (45) a. b.

eine intensive Arbeit an diesem Buch von zwei Tagen eine intensive Arbeit tj von zwei Tagen [an diesem Buch]j die Fahrt bis Hamburg mit Peter die Fahrt tj mit Peter [bis Hamburg]!

Ob es sich um Scrambling nach rechts oder Extraposition handelt, ist jedoch nicht leicht zu entscheiden. Auch diesen marginalen Fall will ich deshalb nicht weiter berücksichtigen. Zusammenfassend können wir also feststellen: Scrambling ist Adjunktion innerhalb einer lexikalischen Projektion (im Falle der VP und AP Linksadjunktion, im Falle der NP - wenn es sich um Scrambling handelt - Rechtsadjunktion). Dies unterscheidet Scrambling kategorisch von anderen Bewegungen, die in funktionale Positionen außerhalb einer lexikalischen Projektion führen.

266

2.4. Was alles kann man scrambeln? Infinitivkonstruktionen und Sätze wurden schon oben ausgeschlossen. Zuerst zu den nicht"sententialen" verbselegierten XPs: Subjekt, IO und DO können scrambeln. Oft findet man die Behauptung, daß POs nicht scrambeln können (s. u.a. Haftka 1989). Dies ist jedoch nicht ganz korrekt, wie die folgenden authentischen Beispiele aus dem Freiburger Korpus12 zeigen: (46) (47) (48) (49) (50) (51) (52) (53) (54)

und damit komme ich [zu der Frage]j von Herrn Burger nochmal t\ zurück. 002:002 Ich möchte [auf das Indianerspiel]i nochmal ti eingehen. 003:001 Sie haben [über die Frage der Regierungsbildung]; hier einiges ti gesagt. 016:02713 (es war richtig,) [auf die Behandlung eines weiteren wichtigen Tagesordnungspunktes]! heute tj zu verzichten, ..„017:001 daß [an diesem Notartag]j auch einige namhafte Vertreter der Sprachwissenschaften ti teilnehmen. 023:003 daß Marx und Engels und sogar Lenin [von Landwirtschaft]! ja nichts ti verstanden haben. 005:013 daß Washington [an eine politische Lösung]j nicht mehr recht ti glaube. 026:001 Ich möchte mich hier [ins Detail]} mit ihnen gar nicht tj einlassen. 011:005 Ich will [auf die außenpolitischen Dinge] i jetzt nicht mehr tj eingehen 016:028

Die Beispiele zeigen zumindest, daß Scrambling eines PO die Äußerung nicht notwendigerweise ungrammatisch macht. Die Beispiele (46)-(49) scheinen mir jedoch nicht besonders gut zu sein. Man könnte annehmen, daß die Abfolge darauf zurückzuführen ist, daß der Sprecher nicht immer weiß, wie er fortfahren wird. Am besten scheinen mir (50), wo an einem Subjekt vorbeigescrambelt wird, und (51)-(54), die alle eine Negation enthalten. Dies könnte in diesen Fällen dann auch auf einen erzielten informationsstrukturellen Effekt zurückgeführt werden (zu der Negation, s. 2.2.(e), zum Subjekt, s. Abschnitt 5. und 6.), der Scrambling ökonomisch machen könnte. Wie dem auch sei: POs scrambeln nicht gern, und wenn sie scrambeln, ergibt sich daraus eine sehr markierte Abfolge. Auch dies stützt die obige Annahme, daß POs unterhalb der untersten VP anzusetzen sind. GOs werden womöglich noch seltener gescrambelt. Einige der folgenden konstruierten Beispiele sind aber m.E. nicht so schlecht, daß man Scrambling von GOs kategorisch ausschließen sollte: (55) (56) (57) (58)

*daß das Gericht [des Mordes]i den Angeklagten tj bezichtigen wird. Daß sich Peter [seiner Mutter] i früh schon nicht mehr tj erinnern konnte, ist bekannt. Weil wir [der Toten]; morgen im Rahmen des Gottesdienstes tj gedenken werden. Daß der Vorschlag [seiner Zustimmung] i heute noch ti bedarf, ist doch wohl klar.

Möglicherweise muß man davon ausgehen, daß bestimmte GOs, z.B. die Objekte bei Gerichtsverben wie bezichtigen, eine engere Beziehung mit dem Verb eingehen als andere. Sie könnten Schwestern von V° sein. OrtAdv können unter Umständen scrambeln: 12

Die Ziffern sind unsere Kennzeichen im Computer.

13 in (48) und (51) könnte es sich eventuell um "DP-Spaltung" handeln. Der Vorfeldtest spricht jedoch eher gegen eine solche Analyse.

267

(59) Da standen [hinter den Blumenvasen]i dann auch immer Mikrofone ti. 006:004 (60) Daß Peter [in Italien] j seine Ferien tj verbringen muß, verstehe ich nicht. (61) ?daß Peter [in Lund]j sein ganzes Leben lang ti gewohnt hat. Dies scheint jedoch bei dirAdv und ArtAdv nicht ohne weiteres möglich zu sein, worauf schon öfter in der Literatur hingewiesen wurde (s. u.a. v.Stechow/Uhmann 1986, Haftka 1989 und Frey/Tappe 1991): (62) (63) (64) (65) (66)

*Daß Peter [nach Berlin]j in den nächsten Tagen tj fährt,... *Daß Peter [auf den TischJi das Buch tj legte,... *Daß Peter [an die Wand], die Vase ti warf,... *Daß Peter [schlecht^ seine Frau tj behandelt hat,... *Daß Peter [schön]i das ganze Leben lang ti gewohnt hat,...

Die Idee, daß Scrambling immer "strukturerhaltend" wäre (s. hierzu auch Frey/Tappe 1991), indem eine VP-Schwester an eine neue Position als VP-Schwester adjungiert wird, kann also nicht ohne weiteres aufrechterhalten werden. Wichtig zu betonen ist jedoch, daß Scrambling von V°-Schwestern kaum vorzukommen scheint. Problematischer ist es, die Frage zu beantworten, ob auch basisgenerierte Adjunkte scrambeln können. Ich bin oben davon ausgegangen, daß die Adjunkte eine Basisposition im Baum haben, der vom Typ des Adjunkts determiniert wird. Wenn dies so ist, ist auch zu erwarten, daß sie scrambeln können. Genau wie es sich diesbezüglich verhält, muß jedoch noch untersucht werden. Nicht scrambeln können dann definitionsgemäß die Modalpartikeln, da sie ihre Grundposition am oberen Ende der VP haben. Dagegen können z.B. Zeitadverbiale über Modalpartikeln hinwegscrambeln. Bisher wurde stillschweigend davon ausgegangen, daß am Subjekt vorbei gescrambelt werden kann. Dies ist jedoch immer eine sehr markierte Bewegung, was vermutlich auf die sich dabei ergebende doppelte Markiertheit (s. oben) zurückzuführen ist, indem Scrambling teils an sich markiert ist, teils aber in diesem Fall auch die Bewegung des Subjekts nach SpecAGRs blockiert. Denn, wenn eine gescrambelte Phrase links von einem Subjekt steht, kann das Subjekt ja nicht zugleich in der SpecAGRS-Position stehen, da Bewegung in eine funktionale Projektion Bewegung aus der VP heraus ist, während Scrambling innerhalb der VP stattfindet. In Abschnitt 5. soll diese Frage an authentischem Material wieder aufgegriffen werden. Bisher haben wir nur Scrambling von ganz gewöhnlichen DPs und PPs, die Argumente oder Adjunkte direkt unter VP sind, diskutiert. Im folgenden sollen ein paar Phrasentypen behandelt werden, die bezüglich Scrambling ein Sonderverhalten aufweisen. Es handelt sich vor allem um w-Phrasen und persönliche Pronomen. Es wird immer wieder behauptet, daß w-Phrasen nicht scrambeln können. Dies ist nur bedingt korrekt (s. hierzu auch Reis 1992: Fn. 19 und Geilfuß 1991:29ff.): (67) (68) (69) (70)

Ich weiß nicht, wann Trude wen welcher Tante vorgestellt hat. Ich weiß nicht, wann Trude welcher Prüfung wen unterworfen hat. Ich weiß nicht, wer wen gestern besucht hat. Ich weiß nicht, wann wem was Trude vorgelesen hat.

268 Was nicht möglich oder schlecht möglich ist, ist die Plazierung des Objekts links vom Subjekt: (71) ??Ich weiß nicht, wann wen Trude welcher Tante vorgestellt hat. (72) ??Ich weiß nicht, wann welcher Prüfung Trude wen unterworfen hat. Solche Strukturen, wo am Subjekt vorbeigescrambelt wird und dieses zwischen zwei Objekten "hängenbleibt", sind aber auch sonst mehr oder weniger unakzeptabel, was sicherlich mit der Sonderstellung des Subjekts (s. oben) und der notwendigen ökonomischen Begründbarkeit von Scrambling zusammenhängt. Geilfuß (1991) weist darauf hin, daß ein Satz wie: (73) Ich weiß nicht, wann Karl was dem Kind vorgelesen hat. nicht gut ist, jedoch besser wird, wenn man z.B. die w-Phrasen und Kind akzentuiert: (74) Ich weiß nicht, WANN Karl WAS dem KIND vorgelesen hat. Dies ist jedoch nur eine der Möglichkeiten, die Foki in diesem Satz zu verteilen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir daraus etwas über Scrambling schließen können. Soweit ich sehen kann, kann man w-Phrasen im Prinzip ebenso scrambeln wie andere Phrasen. Scrambling verhindert auch nicht, daß sie in LF in die Operator-Position gehen können.14 Besonders interessant sind die unbetonten persönlichen Pronomen. Lenerz (in diesem Band) kommt zu dem Schluß, daß nichts dagegen spricht, die Bewegung der Pronomen als Scrambling zu betrachten, also auch dann, wenn sie diese Bewegung in die sogenannte Wakkernagelposition, am weitesten links im Mittelfeld führt. Sein Ausgangspunkt dabei ist, daß die persönlichen Pronomen in der entsprechenden Basisposition des Arguments generiert werden. Er nimmt weiter an, daß sie aufgrund ihrer mangelnden autonomen Referentialität, die sie im Diskurskontext suchen müssen, aus ihrer Grundposition herausmüssen und sich im Normalfall nach AGR$/oP bewegen, "wo ihre -Merkmale den Bezug zu den entsprechenden -Merkmalen der Nomina herstellen können, mit denen die im Diskurs präsenten Individuen assoziiert sind". Sie können auch unterhalb von VP bleiben, wenn sie sich an ein Subjekt anlehnen können. Unabhängig davon, ob die Argumentation Lenerz' empirisch und theoretisch haltbar ist, würde aus der hier vorgeschlagenen Definition von Scrambling folgen, daß die Bewegung in eine AGRP-Position nicht Scrambling sein kann. Wenn es sich aber nicht um Scrambling handelt, sondern um eine durch andere Prinzipien determinierte Bewegung in eine Position, relevant genau für Pronomen, wäre es jedenfalls nicht unerwartet, wenn die Voranstellung der Pronomen in die Wackernagelposition eine unmarkierte Abfolge ergibt, ja sie sogar dort ihre Normalposition haben. Genau dies scheint auch der Fall zu sein. Wenn das Pronomen unterhalb von VP bleibt und nicht in situ steht, handelt es sich dann natürlich um Scrambling. Ob es zuweilen auch in situ bleiben kann, soll hier nicht diskutiert werden. Ich will dies jedoch nicht ausschließen, s. unten Abschnitt 5. 14

Es ist klar, daß diese Daten gegen das von Müller/Stemefeld (1990) vorgeschlagene PUB-Prinzip sprechen.

269

Schließlich noch ein Wort zu den pronominalen PPs. Lenerz (in diesem Band) weist darauf hin, daß sie unbehindert in ihrer Grundposition bleiben können. Sie können auch scrambeln. Sicherlich hat dies etwas mit dem präpositionalen Kopf zu tun. Wie dem auch sei: Wenn die pronominale PP sich anders verhalten sollte als die anderen persönlichen Pronomen, müßte sich diese Eigenschaft auch darin spiegeln, daß sie nicht in die Wackernagelposition geht. Können wir diese These stützen? Ein Vergleich mit Pronominaladverbien, die strukturell zumindest anders zu erklären sind als die pronominalen PPs, weist auf einen Unterschied hin: (75) weil sich daran/??an ihn Peter halt wieder einmal erinnert. (76) weil daran/??an sie Peter ja nicht mehr denkt. Mir scheint die Position vor dem Subjekt und der Modalpartikel zumindest sehr markiert zu sein. Auch die indefiniten Pronomen verhalten sich anders als die persönlichen Pronomen. Das ist wohl auch zu erwarten, da sie keine Referenzprobleme haben. Sie sollten deshalb auch die Basisposition bevorzugen und nicht in die Wackemagelposition hinaufkönnen. Dies scheint auch richtig zu sein: (77) daß es/??etwas ihm halt Peter immer wieder vorwirft. (78) daß ihn/??jemanden ihr (= Prüfung) der Lehrer in zwei Tagen aussetzen wird. Ähnliche Daten finden sich in Haider/Bierwisch (1991b). Sie zeigen, daß indefinite w-Pronomen zwar unter Umständen gescrambelt werden können, jedoch nicht in derselben Position zu stehen scheinen wie die persönlichen Pronomen: (79) a. b. c. (80) a. b. c.

ob jemand die Filme schon mal wo gesehen hat. *ob wo jemand die Filme schon mal gesehen hat. ob dort jemand die Filme schon mal gesehen hat. ob wer wen wo wiedersehen möchte. *ob wen wo wer wiedersehen möchte. ob ihn dort wer wiedersehen möchte.

Für alle Pronomen gilt jedoch, daß sie in Fokuszusammenhängen eine Sonderposition einnehmen (s. unten). Sie können nie Fokusexponent sein. Ob sich dies auch aus ihrer Struktur ableiten läßt, soll hier jedoch nicht diskutiert werden. Als letztes soll schließlich noch kurz auf zwei Typen von Kategorien eingegangen werden, die in Scramblingdiskussionen nicht immer sauber von den verbselegierten Argumenten getrennt werden. Es handelt sich um die sogenannten Sekundärprädikationen und um das prädikative Attribut. Zu den Sekundärprädikationen: (81) *daß Peter [weich]j das Ei tj ißt. (82) *daß Peter [weich], das Fleisch t, kocht. (83) *daß Hans [rotjj das Haus tj anstreicht. Wie dieser Typ genau zu beschreiben ist, ist nicht klar (s. hierzu die Diskussion bei u.a. Winkler 1991). Welche Lösung auch immer hier die richtige ist, eines scheint klar zu sein: Es

270

gibt keinen Grund anzunehmen, daß das Adjektiv (Sprachen wie Englisch und Schwedisch zeigen, daß es sich nicht um ein Adverb handeln kann), eine Schwester von VP oder V ist. Damit ist auch nicht zu erwarten, daß das Adjektiv scrambeln kann. Etwas anders verhalten sich die prädikativen Attribute. Da es bei diesen völlig unklar ist, wo sich ihre Grundposition befindet, kann man auch nicht entscheiden, wann Scrambling vorliegt. Grewendorf/Stemefeld (1990b) führen zwar folgendes Beispiel an: (84) weil [betrunken] i niemand ti hineinkommt. Dies ist aber aus mehreren Gründen kein gutes Beispiel: Es könnte sich so verhalten, daß betrunken sich in einer Topikalisierungsposition befindet (vgl. hier die recht ähnlichen Fälle in BRRZ:10 und Reis/Rosengren 1992:109). Möglich ist aber auch, daß es an VP oberhalb des Subjekts basisadjungiert ist. Auch das folgende Beispiel, wo das prädikative Attribut sich sicher innerhalb der VP befindet, ist nicht ganz eindeutig: (85) weil Peter gestern rasend seiner Freundin den Spüllappen ins Gesicht warf. Nichts spricht jedoch unmittelbar gegen die Annahme, daß hier Scrambling vorliegt. Ich werde im folgenden diese beiden Fälle nicht weiter berücksichtigen. 2.5. Was hinterläßt Scrambling in der Basisposition der gescrambelten Konstituente? Die beiden Annahmen, daß Scrambling vor allem informationsstrukturellen Zwecken dient, indem eine markierte Abfolge geschaffen wird, und daß die semantische Komposition der Einheiten der Äußerung davon abhängig ist, daß die Einheiten in ihrer Grundposition verarbeitet werden können, können am besten miteinander verbunden werden, wenn wir davon ausgehen, daß sich in der Grundposition der gescrambelten Einheit eine Kopie (im Sinne von Chomsky 1992) der gescrambelten Konstituente befindet Scrambling wird auch nicht rekonstruiert (s. oben 2.3.), was bestimmte Konsequenzen vor allem für gescrambelte Quantoren hat 2.6. Scrambling in LF, SF und IF Offensichtlich spielen c-Kommandoverhältnisse eine Rolle sowohl für Quantorenbindung als auch für den relativen Quantorenskopus. Dagegen hat Scrambling von Nicht-QuantorenPhrasen keinen semantischen, sondern nur einen informationsstrukturellen Effekt. Welche Rolle spielt nun LF in diesem Zusammenhang? In dem minimalistischen Programm (Chomsky 1992) wird LF eine wichtigere Rolle eingeräumt als früher. In LF müssen zuletzt alle funktionalen Positionen besetzt sein, damit Kongruenz, Kasus etc. geprüft werden können, während die Abzweigung nach PF nur eine Bedeutung für SPELL-OUT hat. Das Verhältnis zwischen LF und der Semantischen Form (SF) ist aber weiterhin unklar. Ich will konsequent davon ausgehen, daß LF eine syntaktische Komponente ist, in der syntaktische Operationen stattfinden, die dann erst in u.a. SF ausgewertet werden. Ich gehe weiter davon

271

aus, daß es neben SF eine informationsstrukturelle Komponente (IF für Informationsstrukturelle Form) gibt, in der Scrambling informationsstrukturell ausgewertet wird. Wir erhalten also im Prinzip folgendes Grammatikmodell:

(86)

IF

\

SF

LF

/

PF

Lexikon Mit diesem Modell ist nun zu erwarten, daß Scrambling in LF generell sichtbar ist, jedoch in SF nur dann interpretiert wird, wenn semantische Konsequenzen damit verbunden sind. Dies letztere ist der Fall bei Quantorenbindung und Skopusambiguitäten. Zuerst zur Quantorenbindung: Vgl. das eingangs angeführte Bibelzitat: (87) wie [einen]i seinei Mutter tj tröstet. Hier nimmt ein gescrambeltes DO durch c-Kommando Skopus über ein possessives Pronomen in einem Subjekt. Vgl. weiter die folgenden Beispiele (vgl. Frey 1990:93ff. und Grewendorf/Stemefeld 1990b): (88) a. b. (89) a. b. (90) a. b.

weil ich jedemi Professor seinei neue Sekretärin vorstellte. *weil ich [seinei neue Sekretärin]j jedemi Professor tj vorstellte. *weil ich seinen neuen Sekretärin jedenj Professor vorstellte. weil ich [jedenj Professor^ seinerj neuen Sekretärin tj vorstellte. * weil seinei Lehrer jedeni fürchten. weil [jedendj seine Lehren tj fürchten.

Wie die Beispiele zeigen, erhält man nur dann in (88)-(90) Bindung, wenn der Quantor das Pronomen c-kommandiert. Vgl. dagegen: (91) daß [seinei Eltern]) jeden tj liebt. Wenn der Quantor ein Subjekt ist, kann er anscheinend das Pronomen binden, auch wenn er es nicht c-kommandiert (s. Frey a.a.O.). Frey weist eine einfache Rekonstruktionstheorie als unplausibel zurück und versucht, die Asymmetrie durch den Begriff des I-Subjekts zu erklären. Vermutlich könnte man hier aber auch ohne diesen Begriff auskommen, wenn man die Asymmetrie aus der Existenz der AGRsP ableitet. Denn spätestens in LF muß das Subjekt in die SpecAGRs hinaufbewegt werden. In dieser Position hat es dann Skopus über das Objekt Wie man am besten diese Asymmetrie erklärt, ist jedoch von geringerer Bedeutung in diesem Zusammenhang. Für uns wichtig ist, daß die Position des gescrambelten Quantors einen Einfluß auf die Bindungsverhältnisse hat.

272

Im Falle der Skopusambiguitäten ist die Lage eine etwas andere. Auch hier gibt es Subjekt-Objekt-Asymmetrien. Nur (92b), wo Scrambling vorliegt, erlaubt zwei Skopuslesarten: mindestens eine Frau weist sowohl engen als auch weiten Skopus auf. (Der Verum-Fokus soll garantieren, daß keine der Quantorenphrasen fokussiert ist, was Konsequenzen für die Skopusverhältnisse hätte): (92) a. DASS viele Männer mindestens eine Frau hofierten. b. DASS [mindestens eine Frau] i viele Männer ti hofierten. Frey (1990:19Iff.) bindet die Skopusambiguität in (92b) an die Abweichung von der Grundabfolge, durch die eine Kette gebildet wird, deren Kopf einen Quantor c-kommandiert. Dieser c-kommandiert seinerseits wiederum die Spur nach der bewegten Konstituente. Bei zwei Objekten verhält es sich entsprechend: (93) a. DASS er mindestens einem Gast viele Geschenke überreichte. b. DASS er [mindestens ein Geschenk^ fast jedem Gast ti überreichte. Nur in (93b) liegt Skopusambiguität vor. Bei "ergativen" Verben verhält es sich wieder anders (s. Frey 1990:2 lOff., der jedoch nur Verb-zweit-Sätze diskutiert): (94) a. daß fast jedem meiner Freunde wenigstens ein Film entgangen ist. b. daß [wenigstens ein Film]j fast jedem meiner Freunde ti entgangen ist. Nach Frey (a.a.O.) sind beide Beispiele skopusambig. Dies führt er bei (94b) wieder auf die Spur und bei (94a) auf das I-Subjekt zurück. Auch hier könnte man eventuell jedoch die Ambiguität in (94a) durch die Bewegung des Subjekts nach SpecAGRs erklären. Geilfuß (1991) führt folgende Beispiele an: (95) a. b. (96) a. b.

daß er fast jedem Gast mindestens ein Geschenk überreichte. daß er [mindestens ein Geschenk] i fast jedem Gast ti überreichte. daß er mindestens einen Bewerber fast jedem Test unterzog. daß er [fast jedem Test]i mindestens einen Bewerber ti unterzog.

Die beiden b-Sätze sind nach Geilfuß (1991) skopusambig, während die beiden a-Sätze dies nicht sind. Auch hier scheint die Spur zu entscheiden, ob Skopusambiguität vorliegt oder nicht. Nach Pafel (m.K.) liegt aber in folgendem Fall keine Skopusambiguität vor: (97) daß [jeden von den Roten]j einer von den Grünen t, besiegt hat Hier soll nur eine Lesart (jed>ein) möglich sein. c-Kommando einer Spur + Subjekt wären also nicht ausreichend, um Skopusambiguität zu garantieren. Der Quantortyp sei entscheidend. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob dieses Verhältnis auch unter Verum-Fokus besteht. Wie dem auch sei: Scrambling korreliert offensichtlich oft, vielleicht immer, mit Skopusambiguität. Dies kann man am besten erklären, wenn man von der Annahme ausgeht, daß die gescrambelte Phrase bewegt wird und eine Kopie in situ hinterläßt, die im Skopus des Quantors liegt und die zweite Lesart ermöglicht. Damit haben wir aber auch erklärt, wie die semantische Komposition in SF trotz Scrambling möglich ist. Sie operiert auf der Kopie und

273

nicht auf der gescrambelten Konstituente, da die Kopie sich in der Position befindet, wo die Bedeutung der Phrase integriert werden muß. An der gescrambelten Konstituente andererseits orientiert sich IF.

2.7. Definition von Scrambling Da ich hier nicht dazu Stellung genommen habe, wie die NP und AP strukturell aussehen und Scrambling innerhalb dieser Konstituenten sowieso nur marginal von Interesse ist, definiere ich Scrambling nur für die VP. Die Definition kann aber prinzipiell auch auf andere lexikalische Projektionen appliziert werden: Def. 1: Scrambling ist Adjunktion an VP. NurXPs innerhalb von VP, die Schwestern von VP oder V sind, können scrambeln. Durch Scrambling wird eine Kette mit der gescrambelten XP als Kopf und einer Kopie als Basis gebildet. Kopf und Kopie sind nicht adjazent. Die Definition wird durch (98) illustriert:

(98)

VP

/\ XP VP [seiner Mutter]j/X\^ XP Peter

VP y^\^ XP

«

VP

/\V

XP das Buch

| V0

geschenkt hat Die Definition macht keinen Unterschied zwischen Scrambling weit unten und weit oben. Es scheint jedoch so zu sein, daß je weiter nach oben gescrambelt wird, desto markierter die Abfolge wird, d.h. daß Scrambling oberhalb einer Modalpartikel markierter ist als unterhalb des Subjekts.

274

3.

Was ist Topikalisierung?

3.1.

Präzisierung der Fragestellung

Topikalisierung soll hier vorläufig folgendermaßen verstanden werden: Eine XP, die nicht selbst eine Interrogativ- oder Relativphrase ist, in der obersten Spec-Position des Verb-zweitSatzes.^ Eine Interrogativ- oder Relativphrase in einer solchen Position blockiert also Topikalisierung (nach BRRZ ist die Spec-Position in diesem Fall Specl und wird durch ein Operatormerkmal ausgezeichnet). Topikalisierung unterscheidet sich damit von Scrambling u.a. dadurch, daß die Topikalisierungsposition eine Basisposition (dabei eine Spec-Position) ist, die besetzt sein muß. Es handelt sich somit um Substitution, nicht um Adjunktion. In dieser Position steht in einem informationsstrukturiert unmarkierten Satz entweder das Subjekt oder ein Adverbial, das seine Grundposition in der VP oberhalb des Subjekts hat (Satzadverbial, temporales, kausales etc. Adverbial). Die unmarkierte Vorfeldbesetzung spiegelt damit die unmarkierten Abfolgen im Mittelfeld.1^ Wenn dagegen im Vorfeld eine andere Konstituente als die eben genannten auftritt, liegt immer eine markierte Abfolge vor, d.h. eine Abfolge, die von der relativen syntaktischen Grundabfolge der Konstituenten abweicht: (99) a. Seiner Mutter hat Peter gestern ein Buch geschenkt. b. Ein Buch hat Peter seiner Mutter gestern geschenkt. c. Ein Buch geschenkt hat Peter gestern seiner Mutter. Dies verbindet wiederum Topikalisierung mit Scrambling. Topikalisieren kann man im Prinzip alle XPs unter VP. (100) (101) (102) (103) (104) (105) (106)

Gespielt hat er den ganzen Tag. Schlecht hat er seine Freundin behandelt. Auf den Tisch hat er das Buch gelegt. Seiner Mutter erinnert er sich nicht mehr. Zum Schweigen wirst du Peter nie bringen. Fest steht sein Entschluß, daß... Freiwillig das Auto verkauft hat Peter bestimmt nicht

Es wird also (vgl. auch FreyAappe 1991) angenommen, daß das Partizip in (100) eine VP ist. Nicht aufnehmen kann das Vorfeld V° selbst: (107) *Gelegt hat Peter das Buch auf den Tisch. (108) *Behandelt hat er seine Mutter schlecht. Daß V° nicht topikalisiert werden kann, folgt somit direkt aus der Annahme, daß im Vorfeld nur eine XP auftreten kann.

15

Eventuelle Topikalisierung im Mittelfeld wird nicht berücksichtigt.

16

Das Subjekt kann ja sowohl oberhalb (in SpecAGRg) als auch unterhalb der Satzadverbiale (in der VP) stehen.

275

Das Vorfeld kann in der Regel nur durch eine Konstituente besetzt werden. Zu den Ausnahmefällen, wo mehrere nominale XPs, die keine Konstituente bilden, topikalisiert zu sein scheinen, s. vor allem van der Velde (1978). Sie sollen hier nicht weiter diskutiert werden, da sie für unsere Hauptfrage nur von marginalem Interesse sind. Fälle wie (109)-(110), wo ein Partizip mit einem Objekt ins Vorfeld geht, sind jedoch interessant: (109) [seiner Mutter tj geschenkt^ hat Peter nie [ein Buch]} tj. (110) [Erstkläßler tj aussetzen]j wird er [einer solchen Prüfung], nie tj. Man hat sie dadurch zu erklären versucht, daß man eine Spur in der topikalisierten Konstituente nach einer schon im Mittelfeld herausgescrambelten XP angenommen hat. Auch wenn diese Hypothese die Daten decken sollte, hätte man dann noch zu erklären, wie es möglich ist, daß im Vorfeld eine unregierte Spur stehen kann. 3.2. Lösungsvorschläge Haider (1990) versucht nun zu zeigen, daß die Hypothese mit einer Spur nach einer gescrambelten Phrase sowohl zu stark als zu schwach ist, also sowohl über- als untergeneriert. Seine Argumente sind jedoch nicht ganz überzeugend. Als Evidenz für eine Übergenerierung führt er folgenden Fall an: (111) *Ein Außenseiter gewonnen hat dieses Jahr noch nie das Derby, (l 12) Ein Außenseiter gewonnen hat (es) dieses Jahr noch nie. Er geht davon aus, daß für (l11) "a perfectly well-formed scrambled base variant as a source for topicalization" (Haider 1990:102) existiert. Er erhält sie auf folgende Weise: (113) a. daß ein Außenseiter dieses Jahr noch nie das Derby gewonnen hat. b. daß das Derby ein Außenseiter dieses Jahr noch nie gewonnen hat. c. daß dieses Jahr noch nie das Derby ein Außenseiter gewonnen hat. Ausgegangen wird von (l 13a), das nach der hier vertretenen Theorie eigentlich schon ein bewegtes Subjekt enthält. In (113b) wird dann das Derby gescrambelt, in (113c) wird schließlich nochmals über die gescrambelte XP hinwegbewegt. Ein solches die relative Umstellung aufhebendes Scrambeln ist mit dem hier entwickelten Modell nicht möglich. Dagegen können wir eine Struktur wie die folgende erhalten: (114) [Ein Außenseiter tj gewonnen]j hat [das Derby]i dieses Jahr noch nie tj. Die so erhaltene Struktur ist m.E. auch grammatisch akzeptabel, zumindest akzeptabler als (111), was besonders deutiich wird bei Akzentuierung von nie.11

17

Grewendorf (s. Haider 1991:Fn. 6) weist auch darauf hin, daß Betonung von Derby in (i) möglich ist: (i) Außenseiter gewonnen haben das DERby hier noch nie. Hier handelt es sich dann zwar um einen Kontrastfokus. Zur Fokussierung, s. unten.

276

Das Objekt kann also unter bestimmten Bedingungen im Mittelfeld bleiben, nämlich dann, wenn es deutlich ist, daß es gescrambelt wurde, d.h. wenn es klar ist, daß es sich nicht um Grundabfolge handeln kann (Scrambling ist nie string vacuous, s. oben Def. 1). Bei fehlendem Scrambling ist der Satz dann ungrammatisch. Wenn diese Überlegungen richtig sind, kann (111) nicht als Argument gegen Topikalisierung mit Spuren angeführt werden. Das Beispiel ist genau deshalb ungrammatisch, weil das Objekt in seiner Grundposition verbleibt und das, was im Vorfeld steht, damit auch keine XP bilden kann. Daß wiederum (112) besser als (l 14) ist (wenn dies tatsächlich der Fall sein sollte), ließe sich vielleicht daraus ableiten, daß das Pronomen hier in der Wackernagelposition steht, einer nicht-markierten Position. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob (112) tatsächlich besser als (114) ist. Nach Haider (a.a.O.) ist die Scramblingthese aber nicht nur zu stark. Sie ist s.E. auch zu schwach (die Beispiele (l 15)-(117) stammen aus Haider a.a.O.): (l 15) (l 16) (117) (118)

Briefe geschrieben hat sie mir bis jetzt nur drei traurige, Bücher gelesen hat sie nur eines. Briefe geschrieben hat sie nie welche. Außenseiter gewonnen haben hier nie welche.

Es ist klar, daß es für (l 15) keine Variante gibt, in der drei traurige allein gescrambelt ist, eine Voraussetzung für eine Topikalisierungstheorie, die nur auf Scrambling aufbaut. Haider schließt aus diesen und anderen Fällen, daß Topikalisierung nicht das Resultat einer Bewegung sein kann. Sein eigener Vorschlag läuft darauf hinaus, daß die topikalisierte Phrase eine maximale Projektion mit dem Status eines intransitiven Prädikats ist. Dieses Prädikat ist mit einer Lücke eines intransitiven Prädikats im Mittelfeld koindiziert. Da die Lücke im Mittelfeld immer eine Lücke einer V°-Kategorie sein muß, erhalten wir bei diesem Ansatz keine Identität zwischen einer komplexen Konstituente im Vorfeld und der Lücke im Mittelfeld. Die topikalisierte Konstituente wird in LF auch in der Vorfeldposition ausgewertet. Gegen diese Theorie gibt es mehrere Einwände. Unklar ist u.a. der Status der Lücke im Mittelfeld. Sie ist zumindest keine Spur. Es ist weiter keineswegs klar, wie die topikalisierte Phrase, wenn sie im Vorfeld basisgeneriert wird, in die Bedeutung des Satzes integriert werden kann. Ich werde deshalb eine andere Analyse versuchen, die die Vorteile der Haiderschen Analyse im Auge behält. Es soll davon ausgegangen werden, daß der topikalisierten XP im Mittelfeld eine Kopie (im Sinne von Chomsky 1992) entspricht. Der Kopie bzw. der oder den Argumenten in der Kopie weist das Verb eine bzw. mehrere Thetarollen zu (vgl. hierzu Chomsky 1992:60). Sie liegt auch der semantischen Verarbeitung in SF zugrunde. Diese Grundhypothese soll nun an dem obigen Fall mit einer komplexen XP im Vorfeld (vgl. (115)(118)) illustriert und geprüft werden. Zuerst werden solche Fälle behandelt, wo im Mittelfeld overtes Material vorliegt. Bei einem Beispiel wie (115) handelt es sich offensichtlich um einen Teil der Vorfeldkonstituente. Ich will annehmen, daß dieser Teil in situ steht. Beispiele wie (116)-(118) zeigen weiter, daß es sich nicht einfach um einen im Mittelfeld verbleibenden Teil der bewegten Konstituente handelt. In (l 16) ist der Determinierer stark flektiert, in (l 17)-(118) wiederum handelt es sich

277 um ein indefinites Pronomen welch, das die ganze nominale Konstituente im Mittelfeld vertritt und damit sozusagen ein Platzhalter der nominalen Vorfeldkonstituente im Mittelfeld ist. Overt betrachtet liegt in gewissem Sinn eine Doppelbesetzung derselben Argumentposition vor. Wie die folgenden Beispiele zeigen, darf jedoch keine Verdoppelung von lexikalischen Elementen vorkommen: (119) *Einen Brief geschrieben hat sie nur einen traurigen. (120) *Auf einen Berg gestiegen ist sie auf einen hohen. Man kann dies auch nicht dadurch "reparieren", daß man z.B. alles, was doppelt ist, im Vorfeld wegstreicht: (121) *Brief geschrieben hat sie nur einen traurigen. (122) *Berg gestiegen ist sie auf einen hohen. Wie (116) zeigt, muß die nominale Konstituente im Vorfeld im Plural stehen. Möglich im Vorfeld ist ein singulares Nomen nur dann, wenn dies eine Eigenschaft ausdrückt oder eine Mengenbezeichnung ist: (123) Doktor braucht der keinen mehr. (124) Hemd trägt er keins. (Fanselow 1992:62) (125) Milch trinkt er nie wieder welche. Es handelt sich somit offensichtlich nicht um eine einfache Aufteilung einer Konstituente auf Vorfeld und Mittelfeld. Die nominale Konstituente im Vorfeld bildet mit dem Verb zusammen eine prädikative Einheit. Ich will nun annehmen, daß dies dadurch ermöglicht wird, daß die nominale XP schon im Mittelfeld mit dem Verb eine Einheit bildet ungefähr der Art wie Rad + fahren in radfahren eine Einheit bilden. Nur handelt es sich nicht um eine im Lexikon gebildete Einheit (zu diesem Fall s. Stiebeis/Wunderlich 1992), sondern um eine syntaktische "Inkorporierung" des nominalen Kopfes (vgl. hier auch Frey/Tappe 1991, die daraufhinweisen, daß solche nominalen XPs nicht gut scrambeln können). Das Ergebnis ist also ein Prädikat, d.h. eine VP, die aus zwei Köpfen besteht. Die pluralische Form der nominalen Konstituente, wenn sie nicht eine Mengen- oder Eigenschaftsbezeichung ist, wird damit zusammenhängen, daß ein singulares Nomen sonst immer overt einen Determinierer verlangt. In der Grundposition im Mittelfeld befindet sich eine overte Einheit mit den relevanten grammatischen Merkmalen. Diese kann einen lexikalischen Teil der vollen nominalen XP ausmachen oder aber der overte Vertreter der ganzen nominalen XP sein. 18 Entsprechend findet sich im Mittelfeld in der Grundposition eine Kopie des lexikalisch nicht vertretenen Materials oder eine Kopie der ganzen Konstituente. Der Position im Mittelfeld wird dann auch die Thetarolle zugewiesen. Alle overten XPs im Mittelfeld scheinen also eine Funktion

Haider (a.a.O.) akzeptiert auch ein Beispiel wie das folgende: (i) Außenseiter gewonnen hat es bis jetzt nur ein einziger. Mir scheint (i) aber nicht ganz akzeptabel. Dies könnte darauf hinweisen, daß die hier angenommene "Inkorporation", wenn in der Grundposition lexikalisches Material sozusagen stehenbleibt, nur bei Objekten möglich ist. Anders z.B. in (l 18), wo welche die ganze Kopie vertritt.

278

gemeinsam zu haben: Sie zeichnen die Grundposition der Vorfeldkonstituente aus.19 Daß dies richtig ist, wird dadurch gestützt, daß die Konstituente nicht scrambeln kann: (126) *Bücher gelesen hat sie eines nie. (127) *Briefe geschrieben hat sie welche nie. Bisher haben wir nur Beispiele mit overtem Material in der Kopienposition im Mittelfeld diskutiert. Wenn wir die Hypothese nun auch auf solche Beispiele ausdehnen, bei denen im Mittelfeld kein overtes Material vorliegt, und annehmen, daß diese ebenfalls eine Kopie im Mittelfeld haben, ist zu erwarten, daß die nominale Konstituente im Vorfeld die ganze overte Last tragen muß. Mit anderen Worten: Die DP oder PP kann dann nicht mehr ein Kopf sein. Wie die folgenden Beispiele zeigen, trifft diese Vorhersage zu: Im Vorfeld treten dann auch indefinite DPs und PPs im Singular auf: (128) Ein Buch gelesen hat sie noch nie. (129) Ein Außenseiter gewonnen hat hier noch nie. Die Annahme, daß eine topikalisierte Konstituente immer eine Kopie in der Grundposition im Mittelfeld hinterläßt, kann uns nun auch helfen, das Problem mit den unregierten Spuren im Vorfeld zu lösen. Die Kopie im Mittelfeld spiegelt die Konstituente im Vorfeld exakt wider, d.h. daß sie auch die Spur (die ihrerseits eine Kopie ist) nach der gescrambelten Konstituente enthält. Da die gescrambelte Konstituente sich damit sozusagen auch im Mittelfeld befindet, erhalten wir die nötige Kette in der VP: Die gescrambelte Konstituente regiert die Spur (d.h. die Kopie) in der Kopie. Diese Lösung erlaubt (als Nebenergebnis) auch, die gescrambelte XP - wie immer bei Scrambling - dort semantisch zu integrieren, wo die Vorfeldkonstituente ihre Grundposition hat. Die folgenden Bäume (vgl. (115)-(117) und (109)) illustrieren die verschiedenen Typen von Vorfeldbesetzungen:

Es scheint klar zu sein, daß die overte Besetzung der Grundposition im Mittelfeld durch lexikalisches Material informationsstrukturelle Konsequenzen hat. Ich will deshalb annehmen, daß die Miuelfeldbesetzung in IF interpretiert wird.

279 (130)

IP Specl [Briefej geschrieben^ 1°

AGRsP

hatm SpecAGRs Peterj

AGRS' AGRS° tm

VP XP

VP

tj

XP

VP

drei traurige (tj)

tk -»: [Briefej geschrieben])

(131)

n> Specl [Bucherj gelesen]k 1°

AGRSP

hatm SpecAGRs Peteri

AGRS'

AGRS° tm

VP NegAdv nie

VP XP tj

VP XP

a) eines (t b) welche (tp f

VP

t* + t * m heij gelesen]) (tk: [Büch

280

(132) IP

Specl [seiner Mutter tj geschenktlk

1° I

AGRSP ^s^*^^

hatm SpecAGRs Peten

AGRS'

AGRS° tm

VP

NegAdv

[ein Buch] Die vorgeschlagene Theorie sagt somit voraus, daß ein Subjekt + Kopie + Prädikat dann im Vorfeld auftreten können, wenn die XP von eventuellen Objekten durch Scrambling geleert wurde. Warum sind dann folgende Beispiele deutlich schlechter als z.B (114)? (133) (134) (135) (136) (137)

??Wölfe getötet haben das Lamm gestern nicht. ??Kinder gegessen haben das Eis nicht. ??Maler anstreichen werden dieses Haus nie. ??Ein Raubvogel getötet hat den Vogel bestimmt nicht. ?Ein Raubvogel getötet hat ihn bestimmt nicht.

Dies könnte mit dem Status des Subjekts bei diesen Verben zusammenhängen. Es handelt sich immer um das Argument, dem eine agentive Thetarolle zugewiesen wird. Bei Verben wie gewinnen hat das Argument diese Rolle nicht. Damit vergleichbar sind Zusammensetzungen wie die folgenden:20 (138) Außenseitergewinn (139) *Kinderessen (140) *Raubvogeltöten In (139M140) führt ein agentives Argument ebenfalls zur Ungrammatikalität. Weshalb dies so ist, ist schwer zu erklären. Wir können hier nur feststellen, daß es sich so verhält.

Auf diesen Parallelfall hat mich Marga Reis hingewiesen.

281

Es stellt sich noch die Frage, ob man im Vorfeld ebenfalls scrambeln kann. Wenn es informationsstrukturelle Gründe dafür gibt, sollte dies nicht ausgeschlossen sein. Die Bedingungen wären dann dieselben wie bei Scrambling im Mittelfeld: (141) [Das Buch]i seiner Mutter ti geschenkt hat Peter erst heute. (142) [Einer Prüfung]! den Schüler ti unterzogen hat er nun doch nicht. Ehe wir diesen Abschnitt verlassen, muß schließlich noch zu der Frage Stellung genommen werden, inwiefern das Vorfeld, auch wenn es keine Relevanz für die semantische Komposition hat, relevant für die Skopusverhältnisse ist. Bekannt ist, daß im Vorfeld plazierte Quantoren Skopus über solche im Mittelfeld haben. S. hierzu u.a. Frey (1990) und Pafel (1991). Ich will annehmen, daß die Skopusverhältnisse bei Topikalisierung auf dieselbe Weise berechnet werden wie im Mittelfeld. D.h., daß LF die relativen Skopi an SF weiterleitet, wobei sich zuweilen ambige Lesarten ergeben. Interessant ist dabei, daß die Topikalisierung eher zu einer ambigen Lesart einlädt als Scrambling, was vielleicht auf die Selbständigkeit des Vorfelds zurückgeführt werden kann. Im übrigen soll angenommen werden, daß auch das Vorfeld in IF ausgewertet wird. 3.3. Definition von Topikalisierung In der folgenden Definition wird nur Topikalisierung ins Vorfeld berücksichtigt. Def. 2. Topikalisierung ist Besetzung des Vorfelds durch eine XP, die keine Interrogativphrase oder Relativphrase ist oder enthält. Sie hinterläßt im Mittelfeld eine Kopie.

4.

Was ist Fokussierung?

4.1. Fokussierung als grammatisches Phänomen Die Begriffe Fokus und Fokus-Hintergrund-Gliederung werden in der linguistischen Literatur unterschiedlich definiert. In einer Tradition wird Fokus/Hintergrund mit neuer/alter Information gleichgesetzt (so Chomsky 1971, Fuchs 1976, gewissermaßen auch Höhle 1982, Uhmann 1991). Die Probleme, die durch diese Gleichsetzung entstehen, u.a., daß es nicht möglich ist, von fokussierten thematischen Konstituenten zu sprechen, sind bekannt (s. Jacobs 1988, Heüand 1992a, Rosengren 1991, Molnär 1991, Hetland/Molnär 1993). Ich werde im folgenden an eine andere, rein modulare Tradition anknüpfen (vor allem Selkirk 1984, Rochemont 1986, Culicover/Rochemont 1983, Hetland 1992a, Rosengren 1991), in der die Fokusdefinition rein syntaktisch basiert wird. Es soll angenommen werden, daß bestimmten syntaktischen Strukturen (die aus mehreren Sätzen bestehen können, s. unten) (mindestens) ein Fokusmerkmal (ich werde es +F nennen) frei zugewiesen wird und unter bestimmten Bedingungen, auf die unten näher eingegangen werden sollen, "projezieren" kann. Das Merkmal grenzt eine Fokusdomäne ab und wird durch mindestens eine Akzentdo-

282 mäne (zu dem Begriff, s. Uhmann 1991) mit mindestens einem Akzentton in PF realisiert. Konstituenten, die nicht innerhalb einer Fokusdomäne liegen, bilden den Hintergrund. Ich definiere die FHG also rein grammatisch. Damit ist auch nicht a priori zu erwarten, daß es eine l:l-Beziehung zwischen FHG und Thema-Rhema-Gliederung (TRG) gibt Die am weitesten rechts liegende Fokusdomäne - bzw. die Fokusdomäne, wenn es nur eine gibt - bildet nach dem Prinzip der NSR (s. Chomsky 1971) den Nuklearbereich, der dann den oder gegebenenfalls die Nuklearakzente beinhaltet Ich werde im folgenden eine solche Einheit, die einen Nuklearbereich enthält, Intonationseinheit (vgl. Uhmann 1991) nennen. Sie ist das prosodische Korrelat der Informationseinheit im Sinne von Brandt (1990). Die FHG hat somit keine direkte Beziehung zum Satz und seinem Modus, was sich auch darin zeigt, daß die Informationseinheit, die sich also in Fokus und Hintergrund gliedert, aus mehreren Sätzen bestehen kann (s. hierzu Brandt 1989 und 1990). Es ist deshalb auch nicht zu erwarten, daß es einen direkten Bezug zwischen Fokus und Satzmodus gibt, was in der Fokusliteratur nicht immer klar gesehen wird (s. hierzu die Ausführungen in Altmann [in diesem Band] vor allem zur Exklamation).21 Die Intonationseinheit und damit auch die Informationseinheit wird also nicht mit Hilfe von Grenztönen (wie bei z.B. Uhmann 1991) definiert, sondern läßt sich prinzipiell aus der Baumstruktur und aus der Plazierung von +F innerhalb des Baumes ableiten und wird - wenn überhaupt - durch die Kombination von auch sonst auftretenden prosodischen Merkmalen wie Akzentuierung, Tonhöhenverlauf und Pausierung indiziert.22 Wie schon angedeutet, kann die Fokusdomäne u.U. mehrere Akzentdomänen enthalten (von Uhmann 1991:230ff. isolierende Akzentuierung genannt). Oft zeichnet sie sich aber nur durch eine Akzentdomäne aus (integrierende Akzentuierung, s. Uhmann a.a.O.). Dies bedeutet, daß jedes +F zumindest durch einen Akzentton realisiert werden muß, jeder Akzentton aber nicht immer je ein +F realisiert (vgl. hier auch Uhmann 1991:222, 228ff., 236). Es versteht sich von selbst, daß es äußerst schwierig sein kann, nicht nur zu entscheiden, ob über21

22

In Rosengren (1991) meine ich gezeigt zu haben, daß der Deklaraiivsatz und der w-Interrpgativsatz genau dasselbe FHG-Potential aufweisen. Auch wenn man dies akzeptiert (s. z.B. Altmann [in diesem Band]), so versucht man doch immer wieder, den sogenannten Exklamativakzent an einen Satztyp und einen Satzmodus zu binden (s. Altmann [in diesem Band]). Genau dies führt aber in eine Sackgasse, weil die grammatische FHG nie etwas mit Satztyp und Satzmodus zu tun hat In Rosengren (1992b) habe ich gezeigt, daß man die Exklamation mit fast jedem Satztyp (Ausnahme: dem Imperativsatz) realisieren kann. Der Exklamativakzent, der selbstredend ein Fokusakzent ist, bezieht sich auch nicht auf den Satztyp und seinen Satzmodus im Falle der Exklamation, sondern auf die pragmatische Funktion der verwendeten Sätze, d.h. die Exklamation selbst Das, was fokussiert wird, ist das, worüber exklamiert wird. Die Exklamation zeigt damit nicht nur, daß Satzmodus und FHG nichts miteinander zu tun haben, sondern auch, daß es keine l ^-Beziehung zwischen FHG und neuer/alter Information gibt, denn in der Exklamation geht es nicht um die Distinktion neu/alt. Der Akzentton befindet sich selbstredend dort, wo etwas hervorzuheben ist (mit anderen Worten: es handelt sich um einen minimalen Fokus, s. weiter unten). Im Falle des sogenannten Wunschsatzes (des selbständig verwendeten Konditionalsatzes, s. Rosengren 1993b) kann es deswegen auch keinen Wunschakzent geben, denn die auf diese Weise realisierte Wunschäußerung enthält in keiner Weise irgendeine lexikalische Realisierung des Wunsches, die betont werden könnte. Wie auch die FHG haben natürlich die im Offset-Teil der Äußerung vorkommenden Tonhöhenbewegungen nichts mit dem Satzmodus zu tun. Sie indizieren bestenfalls Hiokutionstypen und weisen wie bekannt keine l:l-Korrelation mit den einzelnen Illokutionstypen auf (s. hierzu BRRZ). Der Begriff des Grenztons ist m.E. nur ein theoretisches Konstrukt, dem im Deutschen kein obligatorischer Ton entspricht (vgl. auch F6ry 1992).

283 haupt ein Akzentton vorliegt, sondern auch, ob ein Akzentton allein ein +F realisiert. Ich will deshalb in der empirischen Analyse davon ausgehen, daß jede relative Abweichung im FQWert von der erwartbaren Basislinie (vgl. hier auch Uhmann 1991 und ihre Diskussion von Pierrehumberts 1987 Grundlinienprinzip und Bewertungsregeln) des jeweiligen Sprechers ein Akzentton und damit ein potentieller Fokus ist. Nur theorieintern ist dann zu entscheiden, ob es sich um eine eigenständige Fokusdomäne oder um einen Akzentton neben anderen innerhalb einer Fokusdomäne handelt. Es ist klar, daß eine Äußerung mit Grundabfolge, die mehrere Akzenttöne aufweist, u.a. auch einen auf dem potentiellen Fokusexponenten, als Fokusdomäne zu betrachten ist. Interessant wird die Frage aber in dem Augenblick, wo die Grundabfolge nicht eingehalten wird. Die grammatische FHG hat eine pragmatische Grundfunktion, nämlich bestimmte Teile einer Informationseinheit oder zuweilen auch die ganze Informationseinheit hervorzuheben. Der Hervorhebungseffekt ist damit das pragmatische Pendant der FHG (was natürlich nicht bedeutet, daß der Sprecher nicht auch auf andere Weise hervorheben kann). Hervorheben kann ein Sprecher nun aus mehreren Gründen. Weshalb er hervorhebt, ist meist erst im Kontext entscheidbar: Zu den wichtigeren Aufgaben der Hervorhebung gehört sicherlich, Thematisches Material eindeutig von thematischem zu unterscheiden. Wie die authentische Analyse aber zeigt, wird auch öfter gescrambeltes thematisches Material hervorgehoben. Die Gründe hierfür können ganz unterschiedlich sein. Auch das Topik im Vorfeld kann hervorgehoben werden. Zum sogenannten Verum-Fokus, dessen Funktion wiederum eine ganz andere ist, s. Höhle (1992), Hetland (1992a), Rosengren (1993c). Fokussiert bedeutet also keineswegs immer rhematisch. Unklarer ist das Verhältnis zwischen Hintergrund und thematisch. Ich finde vorläufig keinen Grund anzunehmen, daß Thematisches Material immer fokussiert sein sollte. Fokussierung ist somit die Akzentsetzung (hier als Metapher zu verstehen) des Sprechers, durch die er unterschiedliche informationsstrukturelle Effekte erzielt. 4.2. Fokusprojektion als Top-down-Projektion Wie schon oben festgestellt, bildet eine - zuweilen die einzige - Fokusdomäne der Intonationseinheit den Nuklearbereich. Dabei kann es sich um minimale Fokussierung oder projizierende Fokussierung handeln. Zuerst zum Nuklearbereich mit projizierender Fokussierung: Es wurde bisher in der generativen Fokustheorie meist angenommen, daß eine bestimmte Konstituente Träger eines projizierenden (nach oben perkolierenden) Fokussierungsmerkmals sein kann.23 Eine solche Sichtweise ist aber insofern problematisch, als es nicht erklärbar ist, wie ein Fokusmerkmal nach oben perkolieren kann (s. Jacobs 199Ib, 1992a), da es im Normalfall nicht auf dem Kopf der Kopflinie liegt. Damit verbindbar ist auch das Problem, daß die parametrisierte Verbstellung, d.h. ob die Sprache eine SOV- oder eine SVO-Sprache ist, zumindest in einigen dieser Sprachen keinen Einfluß auf die Wahl des Fokusexponenten hat. Der Fokus23

Anders z.B. bei Uhmann (1991) und vor allem Jacobs (1991b, 1992a), der zwar ein anderes Modell zugrundelegt, jedoch das Fokusmerkmal eindeutig an der oberen Grenze des Nuklearbereichs ansetzt.

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exponent scheint im Englischen, Schwedischen und Deutschen dieselbe XP zu sein. Es spielt auch keine Rolle, ob rechts von dieser XP z.B. ein temporales Adverbial vorkommt.24 Dies bedeutet konkret, daß z.B. eine DP oder PP als Satzadverbial, temporales Adverbial oder kausales Adverbial im Englischen, Deutschen und Schwedischen nicht allein Fokusexponent sein kann, auch dann nicht, wenn es ganz rechts steht:25 (143) (144) (145) (146)

(Was freut dich denn so?) Daß Peter gestern das BOOT verkauft hat. That Peter sold the BOAT yesterday. Att Peter sälde BÄTen igar.

Ich werde deshalb eine andere Perspektive anlegen. Ich werde davon ausgehen, daß das Fokusmerkmal +F nicht dem Fokusexponenten zugewiesen wird, sondern dem höchsten dominierenden Knoten des relevanten Fokusbereichs. Statt Perkolation von unten nach oben soll also angenommen werden, daß das Fokusmerkmal alles, was unter ihm steht, in den Fokus rückt. Ich nenne die Projektion Top-down-Projektion, um sie von dem gängigen Bottom-upBegriff der Fokusprojektion (der also eigentlich eine Perkolation ist) zu unterscheiden und zugleich den Begriff der Projektion beibehalten zu können, der sich eingebürgert hat. Das relevante Prinzip ist also das der Dominanz, über das schon allein erklärt ist, weshalb alle Konstituenten unterhalb einer mit +F versehenen Konstituente - also auch das Verb - fokussiert sind. Dem dominierenden +F entspricht ein Prominenzmerkmal +P auf dem Fokusexponenten, der in PF meist einen - unter Umständen aber auch mehrere - Akzenttöne auslöst. Diese Akzenttöne müssen keineswegs - und tun es meist auch nicht - den höchsten FQWert der Intonationsphrase aufweisen. Das Prinzip der Dominanz ist nicht einfach die umgekehrte Sichtweise des Prinzips der nach oben verlaufenden Perkolation. Durch die freie Zuweisung von +F an eine XP auf der Kopflinie wird einerseits garantiert, daß nicht mehr der Fokusexponent, sondern +F über die Ausdehnung des Nuklearbereichs entscheidet und dem Fokusexponenten nur noch die Aufgabe zukommt, Träger des notwendigen Akzenttons zu sein. Andererseits wird sauber zwischen Fokussierung von XPs auf der Kopflinie, was immer Fokusprojektion zur Folge hat, und anderen XPs unterschieden, was bei einem Modell, das dem Fokusexponenten die Fokusprojektion anlastet, nicht möglich ist. Am wichtigsten ist aber das sich aus dieser Sichtweise ergebende Zusammenwirken der Fokussierung mit Scrambling. Durch Zuweisung eines +F an eine maximale XP (z.B. eine VP) auf der Kopflinie wird der Nuklearbereich nach oben abgegrenzt. Durch Scrambling wird dieser Bereich wiederum eingeschränkt, was einerseits zur Folge hat, daß nur noch die Konstituenten - oft handelt es sich um diskontinuierliche Konstituenten - im Nuklearbereich liegen, die als besonders wichtig hervorgehoben werden 24

Ganz anders liegen die Dinge natürlich in einer Sprache wie Ungarisch, das eine FP hat. S. Molnär (1991 und [in diesem Band]).

25

Jacobs (1992a) behauptet zwar, daß das Englische sich vom Deutschen darin unterscheidet, daß bei neutraler Betonung das letzte Element im Satz betont wird. Dies ist jedoch nicht korrekt. Das von Jacobs angeführte Beispiel mit einem rechtsstehenden Adverbial mit Nukleärakzent ist insofern schlecht gewählt, als es ein Adverbial des Ortes ist Dies kann sowohl im Englischen als auch im Deutschen unter Umständen Fokusexponent sein, was jedoch auf seine Position im Baum zurückzuführen ist.

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sollen, andererseits eine Aufspaltung in zwei Fokusdomänen ermöglicht wird, deren Akzenttöne sonst eine Domäne gebildet hätten. Nicht die "Abweichung von der normalen linearen Ordnung innerhalb des Fokusbereichs verlangt die Aufspaltung des Fokusbereichs in Akzentdomänen" (so Uhmann 1991:226), sondern die Aufspaltung eines Nuklearbereichs in zwei oder mehrere Fokusdomänen wird durch Scrambling ermöglicht. Eine solche Aufspaltung hat auch meist einen informationsstrukturellen Grund, wie wir an den authentischen Beispielen unten sehen werden. Als Rezipienten scheinen wir einigermaßen gut entscheiden zu können, ob der Sprecher mit seiner Akzentuierung etwas besonders hervorheben will oder nicht. Unsere Interpretation gründen wir teils auf unser grammatisches Wissen, teils aber auch auf die prosodische Realisierung, u.a. auf die FQ-Werte. Wir neigen aber auch dazu, nicht mehr Information zu rezipieren als nötig und bestimmte FQ-Werte einfach nicht zu hören. Außerdem influiert uns unser ko- und kontextuelles Wissen bei der Interpretation. Es ist deshalb zu erwarten, daß ein Sprecher, der sichergehen will, bezüglich seiner Hervorhebungen richtig verstanden zu werden, sich der verschiedenen informationsstrukturierenden Angebote bedient (u.a. Scrambling, Topikalisierung und FHG), um den Rezipienten in dessen Interpretation zu determinieren. Hier stellt sich nun die Frage, was alles Fokusexponent, d.h. den Nuklearakzent tragende (oder genauer +P erhaltende) Konstituente sein kann.26 Diese Frage soll hier vorerst aus der Perspektive des einfachen Satzes behandelt werden. Weiter unten werde ich dann auch die Fokusexposition im komplexen Satz diskutieren. Selkirk (1984) hat als erste vorgeschlagen, daß der Fokusexponent immer ein Argument ist. Wie v.Stechow/Uhmannn (1986), Uhmann (1991), Rosengren (1991), Molnär (1991), Hetland (1992a) zeigen, reicht dies jedoch nicht aus, um die Rechtsbündigkeit in Sprachen wie dem Deutschen zu erklären.27

26

Ich sehe hier davon ab, daß der eigentliche Träger des Fokusakzents nicht der ganze Fokusexponent ist, sondern wiederum ein Fokusexponent innerhalb des Fokusexponenten. Der Fokusexponent muß natürlich, um Fokusexponent sein zu können, selbst maximal fokussiert sein. Davon gehe ich im folgenden aus. Die Regeln der Fokusexposition innerhalb einer DP, PP etc. verlaufen etwas anders als innerhalb eines Satzes, sind aber im Prinzip vergleichbar.

27

Nicht leicht zu erklären ist, weshalb das Verb nicht (bzw. nur unter bestimmten Bedingungen) Fokusexponent sein kann, da es ja ohne Zweifel im Deutschen weit rechts steht. Ich werde hier auch nicht näher auf diese Frage eingehen, sondern nur ein paar spekulative Anmerkungen machen. Es scheint mir, als gäbe es ein konträres Verhältnis zwischen Fokussierung und verbaler Projektion, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt Bei Fokusprojeküpn werden ganze Sachverhalte (inklusive die abgebundene Ereignisvanable) oder Teilausschnitte aus ihnen in ihrer Eigenschaft als Teilausschnitte hervorgehoben. Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, daß +F bei Top-down-Projeküon, d.h. dann, wenn es nicht um einen minimalen Fokus (s. unten) geht, durch einen Akzent auf einer der hervorgehobenen Entitäten eines solchen Sachverhalts oder Teilausschnitts realisiert wird, wobei das NSR-Prinzip ins Spiel kommt Prädikate sind keine solchen Entitäten. Verben können deshalb auch nicht Fokusexponenten sein. Dagegen können Prädikate natürlich minimal hervorgehoben werden (s. unten). Man bezieht sich dann aber gerade nicht auf einen Sachverhalt, sondern auf das Prädikat selbst Es folgt aus dieser Annahme, daß das Verb im Prinzip nur dann Fokusexponent sein kann, wenn es allein einen Sachverhalt oder Teil eines Sachverhalt bezeichnet. Ein Beispiel für einen solchen Fall sind Äußerungen wie in (i): (i) EsREGnet. Wenn diese Hypothese richtig ist, hat sie auch Konsequenzen für die Unterscheidung zwischen thetischen und kategorischen Sätzen. Ich werde in einem anderen Zusammenhang auf diese Frage zurückkommen und will es bei diesen spekulativen Anmerkungen belassen. Es soll nur noch darauf hingewiesen werden, daß das

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Offensichtlich sind bestimmte Argumente geeigneter als andere, Fokusexponenten zu sein (s. v.Stechow/Uhmann 1986, Uhmann 1991, Rosengren 1991, Molnär 1991, Heiland 1992a) (und dies gilt sowohl für die Abfolge SOV als für SVO, s. oben). Es ist damit anzunehmen, daß die Beziehung zwischen Verb und Argument im Lexikon und die sich daraus ergebende syntaktische Grundabfolge für die Wahl des Fokusexponenten ausschlaggebend ist. Außerdem kann ein Nuklearbereich keine gescrambelte Konstituente enthalten, dann verunglückt die Projektion. In einer Sprache wie dem Deutschen bedeutet dies, daß der Fokusexponent (der Träger von +P) immer das unterhalb von +F stehende am weitesten rechts liegende unterste verbselegierte Argument in einer Schwesterposition zu VP oder V ist, wenn es ein solches gibt. Im Falle eines Pronomens, das nicht Träger des Exponentenakzents sein kann, wird der Akzentton auf dem Verb realisiert. Wenn es kein verbselegiertes Argument in der genannten Position gibt, muß eine andere Strategie gewählt werden. Wenn Art/Grad/Ort/dirAdv vorkommen, werden diese (oft zuammen mit dem Verb) Fokusexponenten (s. hierzu Rosengren 1991). Vgl. Uhmann (1991:226), die in einem solchen Fall von notwendiger Aufspaltung in zwei Akzentdomänen spricht, weil kein Fokusexponent bestimmt werden kann. Die exakten Regularitäten sind jedoch noch nicht erforscht. Wir werden uns unten ein paar authentische Fälle ansehen. Bisher wurde stillschweigend vom einfachen Satz ausgegangen. Wie steht es aber mit komplexen Sätzen, die zusammen eine Informationseinheit bilden. Das Top-down-Modell sagt aus, daß alles, was sich unterhalb von +F befindet, fokussiert ist. Bei maximaler Projektion muß deshalb auch der extraponierte Konstituentensatz im Fokus liegen (vgl. hier auch Brandt 1990), was übrigens durch eine Perkolationstheorie längs der Kopflinie nur bei unter VP eingebetteten Konstituentensätzen möglich wäre. Wir sind oben bei der Festlegung des Fokusexponenten davon ausgegangen, daß es sich in erster Linie um ein rechtsliegendes Argument handelt. Wo finden wir aber den Fokusexponenten bei komplexen Sätzen mit einem extraponierten Konstituentensatz? Möglicherweise erwarten wir, daß der Fokusexponent sich in der VP des Matrixsatzes finden läßt. Dies trifft trivialerweise bei einem eingebetteten daßSatz auch zu, von dem man dann sagen könnte, daß er Fokusexponent sei. Dann müßte aber z.B. ein außerhalb der VP adjungierter Adverbialsatz oder ein Relativsatz, der Adjunkt eines Subjekts ist, nicht den Fokusexponenten bereitstellen können. Wie sich aber zeigt, trifft diese Voraussage nicht zu. Der Fokusexponent befindet sich bei allen extraponierten Konstituentensätzen, die zusammen mit dem Matrixsatz eine Informationseinheit bilden, in dem Konstituentensatz, der oft selbst nicht Fokusexponent sein kann. Ein paar Beispiele sollen das verdeutlichen: (147) Peter hat allen Kollegen eine Kopie gemacht, die darum geBEten haben. (148) Peter hat seine Mutter nicht besucht, als sie im KRANKenhaus lag.

Verb vielleicht gerade deshalb, weil es nicht selbst Fokusexponent sein kann, als Träger von Nuklearakzenten Dienste leistet, wenn es keine geeigneten Exponenten gibt (s. unten).

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Beide Äußerungen können als maximale Projektionen aufgefaßt werden. In (147) handelt es sich um ein Attribut eines Dativobjekts, das selbst nicht Fokusexponent sein könnte; in (148) liegt der Fokusexponent innerhalb eines temporalen Adverbials, das ebenfalls nicht Fokusexponent sein könnte. Wir sehen also hier, daß die Hierarchie in der letzten VP darüber entscheidet, welche Konstituente Fokusexponent sein soll. Dies bedeutet mit anderen Worten, daß rechts von einem Fokusexponenten keine weiteren VPs auftreten dürfen, die einen potentiellen Fokusexponenten bereitstellen können. Wenn man im Matrixsatz fokussiert, dann immer mit einem minimalen Fokus als Folge: (149) Peter hat allen Kollegen eine KoPIE gemacht, die darum gebeten haben. (150) Peter hat seine MUTter nicht besucht, als sie im Krankenhaus lag. Es gibt damit auch keinen Grund, bei einem extraponierten daß-Saiz etwas anderes anzunehmen, als daß eine XP in seiner VP Fokusexponent ist. Dies ist ein interessantes Ergebnis, das eigentlich nur unter der Annahme der Top-downProjektion in Kombination mit der NSR erklärt werden kann. Es wurde schließlich von Jacobs (1988) daraufhingewiesen, daß thematische Konstituenten nicht Fokusexponent sein können (s. das Gerd-Beispiel in Jacobs 1988): (151) Was tat Petra, als sie in das Zimmer trat, in dem sich Gerd befand? Sie beGRÜSSte Gerd. Hier handelt es sich um eine der Handlungsalternativen: nämlich die Alternative, daß Petra Gerd begrüßte. In einem solchen Fall kann die thematische Konstituente, die eigentlich Fokusexponent sein sollte, nicht den Nuklearakzent tragen. Bei einer An wort wie in (152): (152) Was tat Petra als sie in das Zimmer trat und Gerd begrüßte? Blöde Frage: Sie begrüßte GERD. wird Gerd Fokusexponent, obwohl es thematisch ist. 4.3. Minimaler Fokus

Minimaler Fokus bedeutet, daß +F einer Konstituente, die nicht auf der Kopflinie des Verbs liegt, zugewiesen wird. Es kann sich dabei um eine Konstituente in situ oder um eine bewegte Konstituente handeln. Minimale Fokussierung ist also damit klar abgrenzbar von Fokusprojektion. Beide können in derselben Informationseinheit vorkommen. Wenn die minimal fokussierte XP die letzte fokussierte XP der Informationseinheit ist, wird der Akzent als Nuklearakzent interpretiert und die XP macht den Nuklearbereich aus. In einem solchen Fall kann vor der minimal fokussierten XP keine Fokusprojektion auftreten, da Fokusprojektion ja als Top-down-Projektion definiert wurde und +F deshalb alles umfaßt, was unterhalb von +F liegt. Dagegen können links von einer minimal fokussierten Konstituente weitere minimale Foki auftreten, s. unten. Wenn umgekehrt rechts von einer minimal fokussierten Konstituente Fokusprojektion vorliegt, kann die minimal fokussierte Konstituente nicht den Nuklearakzent tragen. Es wird sich bei der

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Analyse des authentischen Materials zeigen, daß der Nuklearbereich oft der wichtigste Informationsbereich der Äußerung ist. Damit haben wir also theoretisch zwei Typen von nuklearen Fokusbereichen identifiziert: (a) Zuweisung von +F an einen dominierenden Knoten auf der Kopflinie der am weitesten rechts liegenden VP (mit Top-down-Projektion als Folge), (b) Zuweisung von +F an andere Konstituenten (minimale Fokussierung). Die folgenden Beispiele demonstrieren die Möglichkeiten unter (a) und (b): (153) p[Peter hat dem großen Jungen einen APfel geschenkt], (max) (154) Peter hat p[dem großen JUNgen] einen Apfel geschenkt, (min im Satz) (155) Peter hat dem p[GROßen] Jungen einen Apfel geschenkt, (min in der fokussierten DP und min im Satz) Es versteht sich von selbst, daß die Eindeutigkeit einer Fokussierung zuweilen von der Abfolge der Konstituenten abhängig ist. Der Wunsch nach Eindeutigkeit kann - worauf schon oben hingedeutet wurde - ein Auslöser für Scrambling und Topikalisierung sein. In diesem Zusammenhang soll noch darauf hingewiesen werden, daß mit diesem Modell jeder pränukleare Akzentton als Fokusakzent interpretiert wird. Es wird also nicht wie in Uhmann (1991) und F6ry (1992) davon ausgegangen, daß es nicht-fokussierende Akzenttöne gibt (Föry nennt sie rhythmische Akzente). Uhmann (1991) und Fe"ry (1992) werden aufgrund ihrer Gleichsetzung von FHG mit neu/alt zu dieser Annahme gezwungen. Sie führt aber zu merkwürdigen Konsequenzen (s. hierzu auch Hetland/Molnär 1993). Das hier vertretene Modell erlaubt somit, daß ein pränuklearer Akzentton auf einer thematischen Konstituente oder auf einem Topik ein fokussierender Akzent ist 4.4. Definition von Fokussierung und Fokusprojektion Die folgende Definition berücksichtigt nur Fokussierung und Fokusprojektion auf der Ebene der Informationseinheit, also nicht innerhalb von DP, PP, AP etc., bei denen aber ähnliche Prinzipien gelten. Es soll nochmals darauf hingewiesen werden, daß Fokusprojektion auf der Ebene der Informationseinheit selbstredend Fokusprojektion auf jeder niedrigeren Ebene voraussetzt. Def. 3: (a) Fokussierung: Ein Fokusmerkmal wird einer syntaktischen oder morphologischen Konstituente frei zugewiesen. Mit dem Merkmal +F korrespondiert ein Prominenzmerkmal +P, das in PF einen oder mehrere Akzenttöne auslöst, die die overte Kennzeichnung von +F sind. Das Merkmal +F kann unter bestimmten Bedingungen projezieren. Wenn es nicht projizieren kann, ist das Ergebnis ein minimaler Fokus. (b) Fokusprojektion: Das Fokusmerkmal +F projiziert nach unten, wenn es einer dominierenden XP auf der Kopflinie des verbalen Kopfes zugewiesen und die relative Grundabfolge (d.h. die Basishierarchie der von +F dominierten Konstituenten) eingehalten wird. Es umfaßt alles, was in seinem Dominanzbereich liegt. Das korrespondierende Merkmal +P liegt auf

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dem Fokusexponenten. Der Fokusexponent ist die am weitesten rechts liegende unterste verbselegierte Schwester von VP oder V, wenn es eine solche gibt. Sonst wird +P nach bestimmten Prinzipien anderen XPs in VP zugewiesen. Bei Fokusprqjektion wird also durch das Zuweisen eines +F an eine XP auf der Kopflinie der Nuklearbereich nach oben abgegrenzt, der sowohl mehr als auch weniger als die oberste VP umfassen kann. Was oberhalb von einem zugewiesenen +F steht, liegt außerhalb des nuklearen Bereichs und kann alles Hintergrundmaterial sein, wenn sonst keine Fokusdomäne vorkommt. Was unterhalb von +F steht, muß entsprechend fokussiert sein. +F kann also die ganze Äußerung, das ganze Mittelfeld oder aber auch nur Teile des Mittelfelds umfassen. Maximaler Fokus setzt Zuweisung von +F an den ganzen Satz voraus. Da Fokusprojektion im Mittelfeld nur bei Grundabfolge der unterhalb von +F stehenden Konstituenten möglich ist, kann ein projizierendes +F auf der Kopflinie keine gescrambelte Konstituente mit umfassen. Dieselben Einschränkungen gelten selbstredend nicht bei Topikalisierung: Es ist z.B. möglich, daß sowohl die Konstituente im Vorfeld als auch das ganze Mittelfeld separate Fokusbereiche ausmachen, wobei dann immer die am weitesten rechts liegende Fokusdomäne Nuklearbereich wird. In der Definition oben wurde von Grundabfolge gesprochen. Es soll nochmals darauf hingewiesen werden, daß bestimmte Bewegungen wie w-Bewegung, Pronomenbewegung in die Wackernagelposition, Subjektbewegung in SpecAGRs oder Specl und Verbbewegung in einen funktionalen Kopf keinen Einfluß auf die Fokusprojektion (s. Rosengren 1991) haben. Das Resulat dieser Bewegungen wird also nicht als Abweichung von der Grundabfolge aufgefaßt. +F kann somit die bewegte Phrase umfassen, obwohl sie nicht in ihrer Grundposition steht (s. hierzu Rosengren 1991).

5.

Das Zusammenwirken von Scrambling, Topikalisierung und FHG - einige authentische Beispiele

Im folgenden soll an einigen ausgewählten authentischen Beispielen28 die aufgestellten Hypothesen geprüft und der pragmatische Effekt des Zusammenwirkens zwischen Scrambling, Topikalisierung und FHG auf die Informationsstrukturierung demonstriert werden. Ich habe nur einfache Sätze untersucht. Komplexe Sätze unterscheiden sich aber nicht prinzipiell von einfachen Sätzen. Wie schon oben festgestellt, ist es oft schwer zu entscheiden, ob ein Akzent ein +F realisiert, wenn er vor dem Nuklearbereich auftritt, oder anders ausgedrückt: ob der Sprecher mit seiner Akzentuierung eine Konstituente informationsstrukturell hervorheben will. Ich bin (s.

Die Beispiele stammen aus dem Freiburger Korpus, das mir das Institut für deutsche Sprache freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, wofür ich mich hier bedanke (die Ziffern sind unsere Kennzeichen im Computer). Die einzelnen Sprecher werden durch eine Kennziffer bezeichnet Durch w/m wird das Geschlecht angegeben. Jedem Beispiel entspricht ein Graph in Abschnitt 6.

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oben) von der Annahme ausgegangen, daß relative Frequenzabweichungen gegenüber dem umgebenden Kontext Hervorhebungen des Sprechers signalisieren (vgl. die Diskussion in Uhmann 1991:72ff. zu dem System von Pierrehumbert 1979 und 1987). Wo ich deutliche relative Frequenzunterschiede finde - die ich dann auch auditiv kontrolliert habe bzw. habe kontrollieren lassen29 - wird eine Fokusdomäne abgegrenzt und durch eine Klammer gekennzeichnet, vor der +F steht Wie schon mehrmals festgestellt, kann eine Fokusdomäne mehr als eine Akzentdomäne umfassen (s. Uhmann 1991:221ff.). Versalien indizieren den oder die Akzenttöne der Fokusdomäne. In der Analyse der Beispiele werde ich zuweilen auch auf die Kontur des Akzenttons eingehen (wobei ich die folgende Notation verwende: T*+H, H*+T, T*, H*; s. Uhmann 1991:158). Da Fokussierung ein rein grammatisches Phänomen ist und nicht an die TRG gebunden wurde, ist mit der Markierung von Fokusdomänen noch nichts über die Sonderfunktion(en) der Fokussierung ausgesagt. Wir wissen nur, daß der Sprecher die fokussierte Information hervorheben will. Weshalb er hervorhebt, können wir im Prinzip erst aus dem Kontext ablesen. Nichts spricht dagegen, daß eine Hervorhebung mehrere Funktionen zugleich hat. Eine wichtige Funktion ist sicherlich die Unterscheidung zwischen thematisch und rhematisch (zu diesen Begriffen, s. Molnär 1991). Daß dies nicht die einzige Funktion ist, zeigt das Material jedoch deutlich. Es kann zuweilen auch schwierig sein, zu entscheiden, ob eine Konstituente thematisch oder rhematisch ist (vgl. den Begriff "c-construable" bei Rochemont 1986). In den Beispielen wird Thema durch th und Rhema durch rh bezeichnet. Um dem Leser selbst eine Entscheidung zu erlauben, werden Teile des Kontexts abgedruckt. Außer der Klammerung um die Fokusdomäne herum kommen keine Klammerungen (also keine syntaktischen oder pragmatischen Klammerungen) vor. Scrambling und Topikalisierung werden nur durch Indizierung der am weitesten rechts liegenden Konstituente der relevanten Phrase gekennzeichnet. Oft fällt diese Grenze mit der Grenze einer Fokusdomäne zusammen. Andere Bewegungen werden nicht indiziert (also auch nicht die Verbbewegung in Verb-erst- und Verb-zweit-Sätzen), da sie keinen Einfluß auf die Fokusprojektion haben. Es wird sich zeigen, daß Scrambling oft die Aufgabe hat, den Nuklearbereich einzuschränken, um den Informationsteil, der sich in ihm befindet, gesondert hervorzuheben und außerdem nach hinten zu rücken. Damit ermöglicht Scrambling aber auch - wie schon oben festgestellt wurde - daß noch eine Fokusdomäne gebildet wird oder anders ausgedrückt: daß aus einer Fokusdomäne zwei Fokusdomänen werden mit je eigener informationsstruktureller Funktion. 5.1.

Scrambling und FHG

In dem folgenden Beispiel wird aus dem Nuklearbereich, der das Subjekt umfaßt, das verbselegierte OrtAdv (in der SpecV der untersten VP, vgl. Baum (19)) herausgescrambelt:

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Teils haben die Teilnehmer des Projekts "Informalionsstrukturierung in deutschen Texten", teils drei nicht dem Projekt angehörende Muttersprachler die Beispiele auditiv beurteilt

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(156) (... in seinem Schornstein ... da waren Abhörgeräte und n Tonbandgerät drin ... und immer wenn er in ein Hotel kam ...) da standen +pi hinter den BLUmenvaseni]rh +f[dann {AUCH immer] [MikroFOne f,77r/, und so 006:004 Graph 1. Spr. l, m. Kommentar: Völlig neu ist in diesem Beispiel eigentlich nichts. Die einzelnen Wörter Blumenvase und Mikrofon sind jedoch bisher nicht gefallen. Ich habe sie deshalb als rhematisch bezeichnet. Durch Scrambling schränkt der Sprecher den Nuklearbereich auf das tempAdv + Subjekt (+Verb) ein, wodurch die aus informationsstrukturellem Gesichtspunkt wichtigen Mikrofone den Nuklearakzent erhalten, was sonst nicht möglich wäre. Wo die Mikrofone stehen, ist in diesem Fall also weniger interessant als daß es sie überhaupt gibt. Wir werden sehen, daß es eine gewöhnliche Strategie ist, den Nuklearbereich auf das wichtigste Informationsmaterial zu beschränken. Ein weiteres, anschließendes Beispiel aus demselben Text: (157) (hat dann also furchtbaren Klamauk gemacht... deswegen und er hat sich nun ... beworben um andere Stellen als Chefarzt und wenn die Wahl also da nun losging), ging +f[JEDesmal]rh +F[VORher]rh +Ffdurch diese WAHLversammlungJth +Ffein ZETtel tiJrh (Herr Oberarzt Doktor NN kann nicht gewählt werden.) 006:005 Graph 2. Spr. l, m. Kommentar: In diesem Beispiel wird ein Adverbial (eine V'-Schwester laut Theorie: gibt den Weg, nicht das Ziel an) über das Subjekt hinweggescrambelt und an die VP, die das Subjekt beinhaltet adjungiert. Es wird also nicht weiter als nötig gescrambelt, um den Nuklearbereich einzuschränken. Damit steht die neue Information (hier durch Indefinitheit gekennzeichnet) am Ende des Satzes und wird, indem sie den Nuklearakzent erhält, als die wichtigere Information speziell hervorgehoben. Zugleich ist das OrtAdv fokussiert. Ich habe hier Wahlversammlung als thematisch gekennzeichnet, da schon im Vorkontext von der Wahl gesprochen wurde. Ob thematisch oder rhematisch ist jedoch von geringerem Interesse, da der Sprecher sicherlich andere Gründe hat, die Wahlversammlung hervorzuheben: Es handelt sich nicht eigentlich um eine Versammlung, in der frei gewählt werden kann. Die Hervorhebung ist emphatisch. Schließlich gibt es weiteres rhematisches Material links von der intervenierenden thematischen Konstituente, das ich als fokussiert betrachtet habe. Wie der Graph zeigt, fällt die Fo-Kurve nicht direkt hinter dem Nuklearakzent ab. Dies hat mit dem weiteren Teil der Rede zu tun, in dem mitgeteilt wird, was auf dem Zettel steht. Man kann sich hier natürlich fragen, ob das Subjekt vielleicht gar nicht die Informationseinheit abschließt. Syntaktisch würde eine solche Lösung sich jedoch nicht anbieten. Was hier prosodisch passiert, ist, daß der Sprecher, nachdem er den Nuklearakzent gesetzt hat, vor einem "Doppelpunkt" nicht abfällt, sondern progredient direkt eine weitere Intonationseinheit und Informationseinheit anschließt, worauf auch eine kurze Pause, die hier als (optionales) Grenzsignal gelten kann, hinweist. Ein Beispiel mit einem DO als Fokusexponent: (158) (der Zinsertrag wäre so groß, daß sie allein daraus den ganzen Rentenballast zahlen könnte ... dann wäre dann wäre Ihr rechnerischer Zinsertrag so hoch,) daß man aus [DIEsem] [ZINSertragJiJth +p[die RENten ti zahlen könnte]^ +p[[alLEIN] (folglich kann diese Rechnung nicht stimmen.) 007:043 Graph 3. Spr. 2, m. Kommentar: Diese Äußerung ist eindeutig vollthematisch, was zur Folge hat, daß ein thematisches Element (die Renten) Fokusexponent sein muß. Dabei ist die Renten zugleich auch das Texttopik. Die Informationsstrukturierung hat damit nicht die Aufgabe, Thema von Rhema abzugrenzen. Sie hat andere Gründe. Es geht von seiten des Sprechers um die merkwürdige Tatsache, daß man allein aus dem Zinsertrag des Rentenkapitals alle Renten zahlen können sollte. Er fährt fort: folglich kann diese Rechnung nicht stimmen. Dabei scrambelt er die PP (inklusive Gradpartikel) über das DO hinweg und adjungiert sie an die

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VP oberhalb des DO, wodurch das DO und das Verb allein den Nuklearbereich ausmachen und damit auch eindeutig gegen aus diesem Zinsertrag kontrastiert werden können, was sonst nicht gut möglich wäre. Auch das Verb weist einen hohen Fo-Wert auf, wobei es sich jedoch nicht um einen Fokus handelt, sondern klar signalisiert wird, daß der Sprecher direkt fortfahren will (heftiges Einatmen ist hörbar), was er jedoch nicht tut. Es handelt sich also um eine Ansteigung, die die Brücke zu einer folgenden Äußerung bilden soll. Ein Beispiel mit einem gescrambelten DO: (159) (hier hier eben muß doch also auch der Blick über die über die katholische Kirche nicht nur hinausreichen, sondern es müssen also auch doch konkrete Schritte unternommen werden zu (Spr. 3) .... Verzeihung .. eben das habe ich gemeint... ) denn wir +F[HAM]rhJa +F[die ProBLEmeJth +rllSCHON] /,· {vor der HAUStür]]rh (zum Beispiel in der Frage der Gastarbeiter kommt das ganze internationale Problem ... auf uns zu). 002:003 Graph 4. Spr. l, m. Kommentar: Auch hier wird gescrambelt und fokussiert zugleich, wie der relativ höhere Wert auf Probleme zeigt, das also nicht wegen Rhematizität hervorgehoben wird. Der Sprecher will sagen, daß er sich der Tatsache bewußt ist, daß es Probleme gibt. Durch die Bewegung wird es zugleich möglich, das tempAdv mit dem OrtAdv in einer Domäne zu vereinen und hervorzuheben. Es handelt sich um einen T*-Akzentton. Zugleich könnte ein Verum-Fokus auf harn vorliegen. Schließlich ein Beispiel, in dem das DO über das IO hinweggescrambelt und an die VP oberhalb des IO adjungiert wird: (160) (es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der entsprechende Minister auf der Regierungsbank die gleiche Redezeit angehängt bekommt.) Ich erteile +F[NUNmehr] rh das +p[[dem ABgeordneten] {DORN] /,7rA 016:023 Graph 5. Spr. 4, m. Kommentar: Hier liegen (mindestens) zwei Fokusdomänen vor: Das thematische DO wird außerdem gescrambelt, wodurch der Nuklearbereich wieder eingeschränkt wird, wiederum mit dem Ergebnis, daß die wichtige Information am Ende der Äußerung steht. Zwischen Wort und dem liegt außerdem eine Pause, die dazu beiträgt, den Nuklearbereich deutlich abzugrenzen und hervorzuheben. Durch die Handlung des Worterteilens an den Abgeordneten Dom ändert sich das Szenario. Ein neuer Sachverhalt wird geschaffen. Deshalb das fokussierte nunmehr. Die Kombination aus Pause und dem Abgeordneten Dorn als Nuklearbereich wäre nicht möglich, wenn die Grundabfolge beibehalten würde. In dem folgenden Beispiel ist die unterste VP fokussiert: (161) (daß mit den Bauern gemeinsam sogar über die Entwicklung der Preise gesprochen wird ... wenn man überhaupt Entwicklungsprobleme gemeinsam mit ihnen beraten würde ... daß unsere Partei der Arbeiterklasse, daß) +F[unsere ReGIErung]th +F[REgelmäßig]rh mit den Bauernnh diese Entwicklungsprobleme th +F"[geMEfNsam f; öh beSPRICHT] th> (ich meine echter kann die wahre Demokratie nicht zum Ausdruck kommen.) 005:017 GRAPH 6. Spr. 5, m. Kommentar: In dem Beispiel tragen das Adv und das Verb beide den Nuklearakzent. Rhematisch ist hier bestenfalls regelmäßig. Ausgehend von dem obigen Modell würden wir am ehesten annehmen, daß die PP aus ihrer Position (ob vor oder nach gemeinsam ist unklar) herausgescrambelt wurde und damit der Nuklearbereich nur noch das Adv und das Verb umfaßt. Da der Nuklearbereich kein Argument enthält, das Fokusexponent sein kann, ist nach der obigen Theorie Doppelbetonung (hier also nicht isolierende Akzentuierung) zu erwarten,

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sonst wäre gemeinsam minimal fokussiert. Wie der Graph aber zeigt, verbleibt der Ton oben und führt damit weiter zu der folgenden Äußerung. Das folgende Beispiel enthält ein sogenanntes unakkusativisches Verb: (162) (besonders schlimm ist es ist es in konfessionellen Krankenhäusern ... da sind also Ordensschwestern. Die leiten ne Station. Und die haben oft mehr zu sagen als die Ärzte), weil ja +p[ diesen ORdensschwesternJ th öh effektivrh ti das Krankenhausih +FlgeHÖRTJrh (ne?). (Dieser Orden stärkt sie.) 006:009 Graph 7. Spr. 6, m. Kommentar: Wie der Graph zeigt, liegen zwei hohe Akzenttöne (H*+T) auf Ordensschwestern und gehört und mehrere deutliche weitere Akzenttöne vor. Es geht dem Sprecher offensichtlich um die sich aus der Äesißsituation der Ordensschwestern ergebende MacAfposition, gegen die nicht einmal die Ärzte ankommen können. Dies wird durch Scrambling von Ordensschwestern unterstrichen. Da es sich um ein unakkusativisches Verb handelt, könnte man annehmen, daß das Krankenhaus in seiner Grundposition steht, jedoch aufgrund seines thematischen Charakters nicht Fokusexponent sein kann. Der hohe Gipfel auf gehört spricht aber eher für eine emphatische Hervorhebung gerade des Verbs (= minimale Fokussierung). In dem folgenden Beispiel handelt es sich auch um minimale Fokussierungen: (163) (Die Synode ist bekannt, aber nur bei einem kleinen Kreis von Katholiken bekannt. In den Pfarreien wird sie noch nicht diskutiert... (Spr. 8, w) Ich darf an die Statistik erinnern) daß ein so rechtes +p[VerHÄLTnis] zur Ortsgemeindej//, eigentlich ja nur noch (sagen wir) im Schnitt +F[dreißig ProZENT]rh der Kirchensteuer zahlenden und getauften Katholikenth ti hat. (was ist mit den übrigen siebzig Prozent?) 002:001 Graph 8. Spr. l, m. Kommentar: In dem Beispiel Hegen zwei minimale Fokusdomänen vor. Gescrambelt wird ein indefinites DO (das mit haben zusammen eine Art Verbeinheit ausmacht) und an die oberste VP adjungiert. Damit bleibt hinten im Satz nur noch das Subjekt (in seiner Grundppsition) stehen, innerhalb dessen die minimal fokussierte Konstituente zu finden ist. Auch hier wird also durch Scrambling erreicht, daß der Nuklearakzent auf dem Subjekt zu liegen kommt, und wir zugleich noch eine Fokusdomäne erhalten, die deutlich vom Nuklearbereich getrennt ist. Es geht dem Sprecher um die Beziehung zwischen ein rechtes Verhältnis haben und 30 Prozent. Zu vermerken ist, daß das finite Verb einen T*+H-Akzentton erhält. Der Sprecher fährt auch gleich fort. Auch in (164) wird minimal fokussiert: (164) (aber wir sollten uns gegenseitig hier kein neues Brandmal aufprägen, indem man in einer manchmal oft doch sehr wenig befriedigenden Selbstgerechtigkeit dem anderen dann etwas aufdrückt, was ihm dann einen Stempel verleiht,) der +f/i/n INlanderfrh +/ / //, ti in die Nähe falscher FREUNde druckt] rh und +f[im AUSlandej]rh +p[eben dann [sowieSO] tj lÄRger anrichtet]]rh· 016:003 und 004 Graph 9. Spr. 9, m. Kommentar: In dieser Äußerung ist im Prinzip alles rhematisch. Kontrastiert werden vor allem Inland und Ausland, beide gescrambelt: Es handelt sich also um gescrambelte freie Adjunkte. Sie tragen auch die höchsten FQ-Werte. Der Kontrast ist letztendlich der Grund für die Aufteilung in zwei Fokusdomänen pro Konjunkt. In den Kontrast mit einbezogen sind aber auch die beiden übrigen Teile der Konjunkte: Das persönliche Pronomen bleibt in situ und damit im Nuklearbereich. Die Plazierung des Pronomens kann auf das Bedürfnis zurückgeführt werden, die beiden kontrastierenden Konstituenten im Satz zu parallelisieren.

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5.2. Topikalisierung, Scrambling und FHG In diesem Abschnitt werde ich ein paar nicht allzu triviale Fälle von Topikalisierung, zuweilen in Kombination mit Scrambling aufgreifen. Nicht illustrieren werde ich Vorfeldbesetzungen mit Subjekt, bestimmte Adverbiale und es. Durch Topikalisierung wird der Satz sozusagen in zwei Teile aufgeteilt, die bezüglich Fokussierung gewissermaßen unabhängig voneinander sind. Die Topikalisierung hat mehrere Aufgaben, unter denen eine die Einschränkung des Nuklearbereichs sein kann. Sie schafft aber auch eindeutige Topiks und verbindet die Äußerung mit anderen Äußerungen im Kontext. Eine topikalisierte Konstituente kann wie zu erwarten fokussiert sein. Besteht sie aus mehreren Konstituenten, kann sie auch Fokusprojektion aufweisen. Es ist theoretisch sogar möglich, innerhalb von ihr zu scrambeln. In (165) liegt Topikalisierung eines PO vor: (165) (Wenn wir heute die Rentenanwartschaften kapitalisieren wollten, brauchten wir dafür ein Kapital von mehr als sechshundert Milliarden D-Mark.) Für ein +p[SOLches] Kapitalth hat +p[[unsere VOLKSwirtschaft]th [ÜberHAUPT]rh [keine Ve keine VerWENdung tJrhJ 7:16 Graph 10. Spr. 10, m. Kommentar: Es handelt sich um ein thematisches Objekt, durch das an den Kontext angeschlossen wird. Zugleich wird aber auch solch fokussiert, was auf das Konto des Sprechers geht, der offensichüich das Bedürfnis hat, die Art des Kapitals besonders hervorzuheben. Das Subjekt steht vermutlich in SpecAGRs und kann sehr wohl innerhalb der Projektion liegen (es handelt sich dann um isolierende Akzentuierung). Fokusexponent ist jedenfalls das DO, das auch emphatisch hervorgehoben wird (hoher Fo-Wert). Im Vorfeld befindet sich ein OrtAdv: (166) (...die meisten machen eben auf privater Basis ihre eigene Praxis. Und ins Krankenhaus will keiner... (Spr. l, m) Wenn du eine Privatpraxis hast, wirst du wahrscheinlich auch sehr viel arbeiten müssen. Aber das wird auch honoriert. Im Krankenhaus wird man genau soviel arbeiten müssen, aber das wird dann nicht entsprechend honoriert (Spr. 6, m)) Im Krankenhaus^ arbeitet +F[LOHnendj]th +F(prakiisch nur der CHEFarzt r, tj]rh 006:008 Graph 11. Spr. l, m. Kommentar: Das Adverbial ist zugleich Thema, Topik und Texttopik und schafft dadurch den Anschluß and den Vorkontext. Das ArtAdv ist gescrambelt und fokussiert. Es handelt sich dabei um einen Kontrastfokus: Im Text geht es um sich lohnende Privatpraxen und nicht-lohnende Krankenhausarbeit. Lohnend arbeitet im Krankenhaus also nur der Chefarzt. Auch hier liegt übrigens eine T*+H + H*+T-Kontur auf lohnend und Chefarzt vor. Im nuklearen Fokusbereich liegen nach meiner Notation das Satzadverbial, die Gradpartikel und das Subjekt. Der Chefarzt ist prinzipiell rhematisch, insofern von ihm vorher nicht gesprochen wurde. Da es sich offensichtlich auch hier um einen Kontrast handelt: Chefarzt gegenüber anderen Ärzten, spielt die Entscheidung, ob rhematisch oder thematisch, keine Rolle. Das Beispiel demonstriert gut, wie Vorfeldbesetzung durch thematisches Material dazu beitragen kann, den Nuklearbereich einzuschränken, zugleich aber andere Aufgaben erfüllen kann. In dem folgenden Beispiel wird ein DO topikalisiert: (167) (man müßte den Schwestern tausend Mark im Monat geben. Dann wäre er der Beruf, obwohl er immer noch hart ist, vielleicht attraktiv.) (Aber) +p[TAUSend] Mark;th [müßte man deneni [SCHON] r, tj [GEben]]th. 006:010. Graph 12. Spr. l, m.

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Kommentar: Die ganze Äußerung ist wieder thematisch. Der Sprecher verbindet sie mit der früheren Äußerung durch die Topikalisierung von tausend Mark. Interessant ist die Fokussierung von tausend, wodurch gewissermaßen hervorgehoben wird, daß es sich um eine bedeutende Summe handelt. (Der Graph weist einen Sprung auf Mark auf, der sich auditiv nicht bestätigen läßt.) Wie der Graph zeigt, handelt es sich um einen sehr flachen Tonverlauf. Die kleine Ansteigung auf geben garantiert, daß die Äußerung einen Nuklearakzent hat. Dieser Akzent wird auditiv deutlich wahrgenommen. Auch die Modalpartikel wird vermutlich akzentuiert. Zu der Funktion von betontem schon, s. Ormelius (1993). Im folgenden Beispiel liegt Fokussierung der untersten VP vor: (168) (Heute sind aber Jugendliche sehr ungeduldig und Sie können Jugendliche nicht mehr damit vertrösten, daß Sie sagen, in vierzig oder fünfzig oder sechzig Jahren wird es so sein.) In der +F[ökuMEnischen] Frage/ah wird heute die Kircheith von den Jugendlichenjth +F[[schon LÄNGST] r,· tj f* (wie wir sagen) [LINKS überHOLTJ]rh 002:006 Graph 13. Spr. 8, w. Kommentar: Eine thematische PP ist topikalisiert und zugleich Topik und Texttopik, wodurch u.a. der Anschluß an den Vorkontext geschaffen wird. Das Subjekt steht wohl nicht in SpecAGRs- Dies spielt aber in diesem Zusammenhang keine größere Rolle. Ich habe desweiteren Scrambling der thematischen von-Phrase angenommen, was eine Einschränkung des nuklearen Fokusbereichs auf Thematisches Material mit sich führt. Die Akzentuierung spricht ihr deutliches Wort, nämlich daß es keinen natürlichen Fokusexponenten gibt: Beide Konstituenten unterhalb der letzten VP erhalten einen Nuklearakzent (s. hierzu oben). Hier kann man also nicht von isolierender Akzentuierung sprechen (das Konturmuster ist T*+H + H*+T). Es ist einigermaßen unklar, ob man auch bei längst einen Akzentton ansetzen soll. Ich habe dies hier getan (s. hierzu den entsprechenden Graphen). Das subjektive Prädikativ wird topikalisiert: (169) (Herr Kollege W., Sie werden sich darüber klar sein, daß das Schreiben von Briefen oder Nichtschreiben nicht so entscheidend ist als Form.) +F[EntSCHEIdendi]th ist +F[vielmehr [der KonTAKT] [von ReGIErung zu ReGIErung]tiJrh. 16:31 Graph 14. Spr. 11, m. Kommentar: Das Prädikativ im Vorfeld wird gegen ein entsprechendes nicht entscheidend im Vorkontext kontrastiert. Durch die Plazierung im Vorfeld kann auch hier direkt an den Kontext angeknüpft werden. Die Topikalisierung eines Prädikativs ist immer markiert, insofern es sich um einen verbnahen Teil handelt (eigentlich um das Prädikat selbst). Wir erhalten also deutlich zwei informationsstrukturelle Schwerpunkte in der Äußerung: Prädikat und Subjekt (in dem letzteren liegt isolierende Akzentuierung: Kontakt und von Regierung zu Regierung vor). Die beiden letzten PPs (die beiden Regierung) bilden eine Konstituente, weshalb es sich auch nicht um isolierende Akzentuierung handelt, sondern um Akzentuierung zweier Konstituenten, die zusammen den Fokusexponenten ausmachen. Beide weisen auch den typischen H*+T-Akzentton auf. Noch ein Prädikativ im Vorfeld: (170) (Alle diese Gesetze sind von Männern gemacht. Wer hat den Mann zum Richter der Frau bestellt?). (Grotesk) +F[Unendlichrh [unENDlich]th [groTESK]t(Ji scheint mir die Situation^ ti (ich darf hier ein persönliches Erinnerungsbekenntnis ablegen ...). Graph 15. Spr. 12, m. Kommentar Nur unendlich ist rhematisch (der Graph ist bezüglich des Akzenttons des ersten unendlich unklar). In dieser Äußerung macht also das Vorfeld den Nuklearbereich aus. Dadurch entsteht eine äußerst markierte Abfolge, die das Engagement des Sprechenden zum

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Ausdruck bringen soll, wobei die Emphase auf dem zweiten unendlich Hilfe leistet. Situation ist als thematisch aufzufassen, da es sich auf den vorher beschriebenen Saphverhalt bezieht. Die Ansteigung auf Situation (s. den Graphen) ist deshalb auch eher als progrediente Weiterführung zu betrachten. Der Sprecher will noch weiterfahren, indem er "ein persönliches Erinnerungsbekenntnis ablegen" will. Das folgende Beispiel demonstriert den oben (Abschnitt 2.6.) diskutierten Fall mit Quantorenskopus: (171)

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[EINen] [PUNKT]i]rh sind +F[sich alle Beteiligten r/ ElNig]th Spr. 13, m. (Keineswegs darf die Herabsetzung der Altersgrenze die materielle Sicherheit... gefährden. Spr. 14, m) 007:001 Graph 16.

Kommentar: einig trägt den Nuklearakzent. Wir finden wieder das Muster T*+H + H*+T (auf dem topikalisierten Objekt und auf einig), ein hat Skopus über alle (schon semantisch durch einig sein festgelegt). Es ist also dem Sprecher wichtig, hervorzuheben, daß zumindest in einem Fall Einigkeit besteht. In dem folgenden Beispiel wird das PO aus dem Nuklearbereich herausbewegt und topikalisiert: (172) (Wir wissen, daß ein Fünftel der in der Wirtschaft tätigen Arbeitnehmer heute fünfzig bis fünfundsechzig Jahre alt ist.) Und + F[auf [DIEses] [PotentiAL]i]th, +F[auf [DIEses] [ArbeitskräftepotentiAL]i]th +F[[KANN] [die WlRTschaft]th lNICHT]rh r, [verZICHtenJrfJ. (sie kann es um so weniger...) 007:024 Graph 17. Spr. 2, m. Kommentar: Das PO ist Thema und Topik zugleich. Die Akzentuierung von dies soll sicher signalisisieren, daß es sich um ein besonderes Potential handelt. Unklar ist, wo der Nuklearbereich nach oben abzugrenzen ist. Die auditive Analyse stützt jedoch die Annahme, daß das ganze Mittelfeld im Fokus liegt (isolierende Akzentuierung). Noch ein Beispiel mit einer Negation: (173) ((zweitens) warum verlangt die offizielle Kirche ausgerechnet die Ehelosigkeit des Priesters? Warum nicht in der selben Schärfe die Armut? die Machtlosigkeit? die Barmherzigkeit? Warum kann ein Karrieremacher Priester sein?) Aber +F[waRUM]rh soll +F[ein PRIESter]th kleine FRAUJth +Fl[NICHT] ti [UEben] dürfen] thl (Drittens ...) Graph 18. Spr. 15, m. Kommentar In dieser Äußerung ist mit Ausnahme der fokussierten w-Phrase insofern alles thematisch, als es in der Diskussion genau um dieses Thema geht, wobei jedoch allgemein von dem Zölibat des Priesters gesprochen wird. Nach der oben vorgeschlagenen Einordnung der Negation liegt hier Scrambling einer unspezifischen DP über nicht vor. Durch Scrambling wird es möglich m'c/if+Verb zusammen hervorzuheben, jedoch auch das DO separat zu fokussieren. Ohne Scrambling würde dies nicht möglich sein. Wir finden wieder die Brückenkontur T*+H + H*+T. Sicher fokussiert ist das w-Wort, wie der Graph zeigt: Es weist einen klaren H* +T-Akzentton auf, der einen relativ gesehen hohen Fo-Wert hat. Der Sprecher will die Frage als Frage hervorheben. Noch ein Beispiel mit einer Negation: (174) (Bisher muß grundsätzlich der Arbeitnehmer bis zum fünfundsechzigsten Lebensjahr arbeiten, ehe er einen Rentenanspruch hat. Das gilt jedenfalls für die Beschäftigten in der Privatwirtschaft.) +F[Für BeAMteJrh gilt dasth +F[bekanntermaßen [NICHT] tiJrh(was wir hier heute abend diskutieren ...) Graph 19. Spr. 16, m.

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Kommentar: In diesem Beispiel wird ein Thematisches Element, das seine Grundposition im Skopusbereich der Negation hat, topikalisiert und zugleich gegen Beschäftigte in der Privatwirtschaft kontrastiert. Pragmatisch gesehen handelt es sich um ein Topik. Wir finden also hier ein Thematisches Topik. Die Kontur steigt erst wieder bei nicht an, um dann auch oben zu bleiben. Hier liegt offensichtlich der Nuklearakzent. Daß der Tonhöhenverlauf oben bleibt, hat mit der folgenden Äußerung zu tun. Zu der möglichen Fokusassoziation zwischen einem Satzadverbial und einer Fokuskonstituente, s. Hetland (1993). In dem folgenden Beispiel liegt ein linksversetzter wenn-S&tz. vor, in dem ein DO gescrambelt wird: (175) (Herr Klute sagt, das Spiel an sich und hier in der Form des Sich-Erschießens ... sei eben darin gegeben, daß man sich behaupten lerne ... (Spr. 17, w)) wenn wir mal +Ffäas BILDiJth unsjth +F[nochmal tj ti vor Augen RUfen]rh (und die Gesichtsausdrücke der beiden Jungens nochmals vor uns vornehmen, bekommen wir da vielleicht nich doch ein ändern Einblick und ein ändern Eindruck von dem Spiel?) 003:003 Graph 20. Spr. 18, m. Kommentar: Es handelt sich um Scrambling eines thematischen DOs aus der Spec-Position der zweiten VP von unten über ein ebenfalls gescrambeltes Pronomen hinweg (was als besonders markiert zu gelten hat). Der Nuklearbereich enthält dann nur noch Thematisches Material. Ein Richtungsadverbial ist Fokusexponent. Die Ansteigung auf dem Verb ist eher als weiterführendes Signal denn als Fokusakzent zu betrachten. Auch das DO ist offensichtlich separat fokussiert, wie der Graph zeigt. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn es in situ geblieben wäre: Es ist thematisch, und mehrfache Akzentuierung würde als isolierende Akzentuierung empfunden werden. Vor allem interessant ist hier aber, daß die Linksversetzung des we/w-Satzes die Möglichkeit eröffnet, ihm eine eigene FHG zu verleihen, was bei Extraposition schlecht möglich gewesen wäre, da er in dieser letzteren Position den Nuklearakzent der ganzen Äußerung hätte tragen müssen. 5.3.

Zusammenfassung

Wie die Beispiele zeigen, spielen Scrambling und Topikalisierung also eine entscheidende Rolle für die Ausbreitung des Nuklearbereichs. Mit ihrer Hilfe kann man teils den nuklearen Fokusbereich einschränken, teils aber auch mehrere Fokusdomänen nebeneinanderstellen. Das enge Zusammenwirken zwischen Scrambling und FHG folgt ganz den aufgestellten Prinzipien für die Fokusprojektion. Topikalisierung hat ihrerseits neben der Aufgabe, den nuklearen Fokusbereich einzuschränken, die vielleicht noch wichtigere Aufgabe, thematisches Material kontextuell an den Vorkontext anzuschließen und eindeutige Topiks zu schaffen. Wir finden aber auch zuweilen Thematisches Material im Vorfeld. Zusammen ergeben Topikalisierung, Scrambling und FHG dem deutschen Satz seine besondere informationsstrukturelle Flexibilität.

298

6.

Anhang: Die akustischen Abbildungen der authentischen Beispiele

Die folgenden Graphen sind mit Hilfe des Programms Lund Prosodic Parser (© Lars Eriksson) im Phonetischen Institut der Universität Lund von Mikael Nystrand und Elisabet Ormelius erstellt worden. Im oberen Teil findet sich ein Oszillogramm, in dem mittleren ist der Intensitätsverlauf abgebildet, und der untere Teil enthält den FQ-Verlauf, der der Analyse der authentischen Beispiele zugrundeliegt. Auf der vertikalen Achse ist die Frequenz in Hz angegeben, auf der horizontalen die Zeit. Ein Frame entspricht zehn Millisekunden. Es wurde eine Zeitskala von 150 - 250 Frames gewählt, um die Fo-Kurve deutlich hervortreten zu lassen. Dies bedeutet, daß einige Beispiele auf mehrere Graphen aufgeteilt werden mußten. Zuweilen überlappen sich die Graphen auch ein wenig. Elisabet Ormelius hat die Graphen im Computer bearbeitet und irrelevante Oktavensprünge korrigiert sowie auch akustische Störungen entfernt. Sie hat weiter alle Graphen mit dem Beispieltext versehen, wobei durch einen computergesteuerten Vergleich Laut und Bild exakt aufeinander bezogen wurden.

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X (X: eine von Agens verschiedene Argumentrolle) (P2) DATIV > FATTENS (Dativ: Semantische Rolle wie Rezipient, Adressat, Benefaktiv oder belebtes Ziel) (P3) PPRO > VOLL-NP (P4) DEFINJT > INDEFINIT (P5) HINTERGRUND > FOKUS

(3) (2) (3) (2) (1)

Die Gewichtungen sind so zu verstehen, daß z.B. eine Verletzung von (Pl) dreimal so gravierend wie eine von (P5) ist. Das Wirken der Prinzipien demonstriert Jacobs anhand der Beispiele (2) bis (7): (2) (3) (4) (5) (6) (7)

(a) (b) (a) (b) (a) (b) (a) (b) (a) (b) (a) (b) (c) (d)

weil Boris dem Fan [p seinen SCHLÄger ] geliehen hat ?weil dem Fan Boris [p seinen SCHLÄger ] geliehen hat weil [p BOris] einem Fan einen Schläger geliehen hat ?weil [p BOris] einen Schläger einem Fan geliehen hat weil [p BOris] ihn dem Fan geliehen hat ?weil [p BOris] dem Fan ihn geliehen hat weil [p BOris] seinen Schläger einem Fan geliehen hat ?weil [p BOris] einen Schläger seinem Fan geliehen hat weil Boris einen Schläger [p einem FAN ] geliehen hat ?weil Boris [p einen SCHLÄger ] einem Fan geliehen hat weil Boris dem Fan [p einen SCHLÄger] geliehen hat *weil [p einen SCHLÄger] Boris dem Fan geliehen hat ?weil Boris einen Schläger [p dem FAN] geliehen hat weil Boris seinen Schläger [p einem FAN] geliehen hat

In den Beispielen (2) bis (6) wird jeweils ein Prinzip verletzt. So ist die geringere Akzeptabilität von (2b) auf die Verletzung von (Pl) zurückzuführen, da hier das agentivische Subjekt auf ein Objekt folgt. (3b) ist weniger akzeptabel als (3a), weil die NP mit der semantischen Rolle DATIV nicht wie von (P2) gefordert vor der PATIENS-NP steht. Durch Verletzung von (P3) steht in (4b) das Personalpronomen hinter einer Voll-NP. Das Prinzip (P4), das die Reihenfolge DEFINIT vor INDEFINIT verlangt, wird in (5b) verletzt. In (6b) liegt eine Verletzung von (P5) vor (der Fokusbereich wird durch F-indizierte eckige Klammem notiert).

316

Modelle dieser Art haben den Vorteil, daß sie differenzierte Akzeptabilitätsaussagen über eine Vielzahl von Abfolgen machen können. Erreicht wird dies durch die unterschiedliche Gewichtung der Prinzipien und die Möglichkeit ihrer Interaktion, wie sich anhand der Beispiele (7) (a) bis (d) demonstrieren läßt. Wenn nämlich in einem bestimmten Satz mehrere Präzedenzprinzipien einschlägig und auch verletzt sind, lassen sich aus Anzahl und Gewicht der verletzten Prinzipien verschiedene Grade der Akzeptabilität oder Inakzeptabilität ableiten. So ist (7b) deutlich inakzeptabler als (7c), denn in (7b) sind die Prinzipien (Pl), (P2), (P4) und (P5) verletzt, während in (7c) nur (P2) und (P4) nicht beachtet wurden. Ein kaum merklicher Akzeptabilitätsverlust ist bei (7d) im Gegensatz zu (7a) zu beobachten - hier ist nur (P2) verletzt, aber gleichzeitig wird (P5) erfüllt. Jacobs (1988a:23ff.) diskutiert jedoch auch die Frage, ob die Heterogenität der Prinzipien nicht darauf hindeutet, daß hier eine Generalisierung übersehen wurde und die genannten Prinzipien nicht vielleicht aus einem übergeordneten Prinzip folgen, das u.U. auf die Nähe des Arguments zum Prädikat Bezug nimmt.3 2.2. Ein Komplexitätsmodell Wenden wir uns nun dem Modell von Hawkins (1990,1992)4 zu, das durch Eindimensionalität gekennzeichnet ist und auf das das Problem der Heterogenität damit nicht zutrifft. Hawkins' zentrale These ist, daß Faktoren wie semantische Rollen und Informationsstruktur, die in der Literatur zur freien Wortstellung als verantwortlich für bestimmte Abfolgestrukturen diskutiert wurden, von sekundärer oder zu vernachlässigender Bedeutung sind, und daß der entscheidende Faktor bei der linearen Anordnung der Wortfolge die syntaktische Komplexität der betroffenen Konstituenten ist. Die Abfolge der unmittelbaren Konstituenten (ICs) eines Satzes oder einer komplexen Phrase basiert seiner Meinung nach auf einem hörerorientierten Produktionsprinzip, mit dem der Sprecher versucht, so viel relevante Information wie möglich so früh wie möglich zu produzieren, um dem Hörer ein möglichst rasches und effizientes Parsen von links nach rechts zu ermöglichen. Zunächst ein Beispiel aus dem Englischen (Hawkins 1992:197): (8) (a) I vp[ introduced pp[ to Mary ] Np[ some friends that John had brought to the party ]]. I I 1 2 3 4 (b)

introduced Np[ some friends that John had brought to the party ] PP[ to Mary ]]. I 1

2

3

4

5

6

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8

9

10

I 11

In diesem Beispiel besteht die VP nach Hawkins aus drei ICs. Je nach Positionierung ist der Abstand zwischen dem Verb, der ersten 1C, und der Präposition to bzw. dem determinierenAuch psycholinguistisch scheint das Modell nicht sehr plausibel zu sein. Ein weiteres Problem stellt das Vorkommen von mehr als einem Personalpronomen dar. Hier werden nämlich wieder die grammatischen Kategorien und nicht die semantischen Rollen wirksam. Vgl. dazu auch Lenerz (1977). Da ich mich hier auf das Deutsche beschränken will, lasse ich typologische Aspekte unberücksichtigt

317 den some unterschiedlich groß. Hawkins' (1992:198) zentrales Konzept zur Beschreibung der Abfolgeregularitäten ist die Constituent Recognition Domain: (9)

Constituent Recognition Domain (CRD) "The constituent recognition domain for a phrasal mother node M is the ordered set of words in a parse string that must be parsed in order to recognize all ICs of M, proceeding from the word that constructs the first 1C on the left, to the word that constructs the last 1C on the right, and including all intervening words."

Diese Domäne ist in den Beispielen (8a) und (8b) angegeben. Für die Bestimmung der Domänengrenzen ist ein weiteres Prinzip nötig, das Hawkins (1992:198) unter dem Stichwort Mother Node Construction einführt: (10) Mother Node Construction "In the left-to-right parsing of a sentence, if any syntactic category uniquely determines a phrasal mother node M, in accordance with the PS-rules of the language, then M is constructed over this category, immediately and obligatorily." In den oben angeführten Beispielen wären die syntaktischen Kategorien, die die Konstruktion ihrer Mutterknoten erlauben, das Verb für die VP, die Determinatoren für die NPs und die Präpositionen für die Präpositionalphrasen. Im Fall der VP ist das Verb zugleich der Kopf. Je größer also die Constituent Recognition Domain ist, umso länger braucht der menschliche Parser, bis er alle unmittelbaren Konstituenten der betreffenden Domäne identifiziert hat und umso stärker wird Hawkins' (1992:198) Prinzip der Early Immediate Constituents verletzt: (l la) Early Immediate Constiutens (EIC) "The human parser prefers to maximize the left-to-right IC-to-word ratios of the phrasal nodes that it constructs." (1 Ib) The Left-to-Right IC-to-Word Ratio "The left-to-right IC-to-word ratio for a constituent recognition domain is measured by first counting the ICs in the domain from left to right (starting from 1), and then counting the words in the domain from left to right (starting form 1). For each word and its dominating 1C, the 1C total is divided by the word total at that point, and the result is expressed as a percentage [...]. The higher the percentage, the more loaded and informative is the constituency information at that point. An aggregate IC-to-word ratio for the whole constituent recognition domain is then calculated by averaging the percentage for all the words in the domain. The higher the aggregate, the more optimal is that order of words for processing. The IC-to-word ratio for a whole sentence can be defined as the average of the aggregate IC-to-word ratios for all constituent recognition domains in the sentence, i.e. for all phrasal categories that the sentence dominates." Für das Beispiel (8a) und (8b) folgt aus (lib), daß (8a) mit der aus 4 Wörtern5 bestehenden recognition domain einen höheren Durchschnittswert erhält (nämlich 86%), während (8b) mit

Ein problematischer Aspekt seines Algorithmus könnte jedoch sein, daß die Berechnung auf dem Zahlen von Wörtern auf einer orthographischen Basis beruht In einer Sprache wie dem Deutschen mit sehr komplexen Komposita könnte das psycholinguistisch inadäquat sein. Vgl. dazu die Beispiele (61) und (68) in Abschnitt

318

11 Wörtern einen wesentlich geringeren Wert (47%) erreicht. Die Domäne mit dem höheren aggregate IC-to-word ratio sollte präferiert sein, da sie das Prinzip (l l a) optimal erfüllt. (81) (a) I vp[ introduced PP[ to Mary ] Np[ some friends that John had brought to the party ]]. I I 1/1 2/2 2/3 3/4 100% 100% 67% 75% (b) I vp[ introduced NP[ some Mends that John had brought to the party ] pp[ to Mary ]]. I I 1/1 2/2 2/3 2/4 2/5 2/6 2/7 2/8 2/9 2/10 3/11 100% 100% 67% 50% 40% 33% 29% 25% 22% 20% 27% Die von Hawkins ausgewerteten Daten bestätigen sein Prinzip (l la) auf beeindruckende Weise. Je ungünstiger die Wortstellung für ein möglichst effizientes Parsen von links nach rechts ist, umso seltener sind die Fälle, in denen solche Abfolgen auftreten. Aus Hawkins Modell folgt also nicht, daß in der Performanz keine Wortfolgen beobachtet werden können, die das Prinzip (l l a) verletzen, es verlangt aber, daß nicht-optimale EIC-Folgen nicht häufiger als optimale vorkommen (Hawkins 1992:200): (12) EIC's general performance prediction "For alternative grammatical orders of {ICi, ICj... ICn) within a CRD, [...], EIC-preferred orders will be more (or equally) frequent in performance, more or equally acceptable according to native speaker judgements, [...] in direct proportion to die degree of preference." Hawkins (1992:201) unterscheidet jedoch für die Analyse von Vorkommenshäufigkeiten in Texten zwischen solchen Varianten von Satzgliedfolgen, die das Resultat einer "grammatical rearrangement rule" sein sollen, und solchen, die er als "grammatically free" bezeichnet. Entsprechend diesen beiden Typen von Variation wird (12) in (12a) und (12b) reformuliert: (12a) EIC prediction for rearrangement transformations "For any weight-sensitive rearrangement transformation, R, applying to grammatical categories, ci, cj, etc, the greater the EIC preference for transformed versus untransformed orders across all sets of word total assignments to these categories, the more (or equally) frequent will be R's rate of application in performance." (12b) EIC predictions for grammatically free word orders "For grammatically free orders of categories, ci, cj, etc, the ElC-preferred order(s) within each set of word total assignments will be more (or equally) frequent in performance than any single less preferred order(s) [vertical prediction]; and across all sets of word total assignments, the greater the EIC preference for certain orders, the more (or equaly) frequent the rate of occurence for the preferred order(s) within a set [horizontal prediction]." Für diesen zentralen Teil seiner Theorie gibt Hawkins (1992:200f.) jedoch keine unabhängigen Kriterien an, sondern verweist darauf, daß die Zuordnung nicht immer leicht zu treffen sei. Nach Hawkins ist (12a) die einschlägige Vorhersage für Heavy NP Shift, und sie sagt voraus, daß die Häufigkeit von Heavy NP Shift mit steigenden EIC-Werten zunimmt. (12a) trägt damit der Beobachtung Rechnung, daß aufgrund der von Hawkins angenommenen

319 Grammatikalisierung der Abfolge NP > PP im Englischen nicht die Mehrzahl der Strukturen als PP > NP realisiert werden, sobald die NP komplexer als die PP ist. Nach Hawkins wird die Mehrzahl der NPs erst dann nach der PP realisiert, wenn die Differenz zwischen NP und PP vier Wörter beträgt. (12b) beinhaltet die Vorhersage von (12a) (horizontal prediction), sagt aber zusätzlich voraus, daß bei grammatisch freier Anordnung bereits geringe Differenzen zu einer Anordnung führen, die das unterschiedliche Gewicht der Konstituenten reflektiert; EIC-präferierte Abfolgen sollten also häufiger sein als die nicht-präferierten Abfolgen (vertical prediction). Hawkins diskutiert grammatisch freie Wortstellung an der Abfolge von zwei PPs im Englischen und zeigt, daß sowohl die horizontale als auch die vertikale Vorhersage erfüllt werden. Hawkins (1992:209) kommt zu dem Schluß, daß sein EIC-Prinzip primär verantwortlich für die Satzgliedfolge ist und daß andere, z.B. pragmatische Prinzipien allenfalls dann eingreifen, wenn aufgrund fehlender oder sehr geringer Komplexitätsunterschiede das EIC-Prinzip an Bedeutung verliert.6

3.

Das Mittelfeld in natürlichen Konversationen

3.1. Das Mittelfeld als Hauptfeld? Ich möchte nun Transkripte von natürlichen Konversationen betrachten und versuchen, Hawkins' Hypothesen7 und Jacobs' Präzedenzprinzipien einem solchen Korpus gegenüberzustellen. Datengrundlage für die Analysen sind vier natürliche Konversationen - eine Face-toFace-Interaktion und drei Telefongespräche. Die Aufnahmen wurden nicht zum Zweck der hier vorgestellten Analyse gemacht. Die aufgenommenen Personen, vier Frauen und ein Mann, sind zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt und sprechen standardnahe Varietäten des Deutschen als Muttersprache. Aus diesem Datenmaterial wurden insgesamt 290 Redezüge oder Teile von Redezügen isoliert, die ein identifizierbares Mittelfeld auf weisen. Wie eingangs erwähnt, wird das Mittelfeld aufgrund seiner grammatischen Eigenschaft, sämtliche nichtverbalen Stellungsglieder aufnehmen zu können, auch als "Hauptfeld" bezeichnet. Diese Eigenschaft weisen Mittelfelder in natürlichen Konversationen jedoch nicht unbedingt auf. Die Konversationsteilnehmer machen nämlich von dieser Möglichkeit nur in sehr eingeschränktem Umfang Gebrauch. Wenn sie Satzglieder im Mittelfeld realisieren, dann sind diese häufig pronominal besetzt: Von den untersuchten 290 Mittelfeldern enthalten fast zwei

Auch bei Hawkins zeichnen sich also Ansätze in Richtung auf ein Modell ab, in dem mehrere Prinzipien wirksam sind. Es ist jedoch nicht klar, ob pragmatische Faktoren seiner Meinung nach sowohl bei "grammatical rearrangement transformations" als auch bei "grammatically free word orders'' eingreifen. Dazu muß ich - for all practical purposes - einmal annehmen, daß ich auch im Deutschen eindeutig bestimmen kann, welche Konstituenten - seien es Köpfe oder nicht - für die eindeutige Konstruktion von Mutterknoten verantwortlich sind und damit die relevanten Großen für die Bestimmung der Constituent Recognition Domain darstellen. Für die VP im Deutschen liegt hier durch die verschiedenen Stellungsvarianten des finiten Verbs und die Verbklammer ein besonderes Problem vor. Problematisch ist darüber hinaus die Zuordnung der Abfolgen zu (12a) oder (12b).

320

Drittel (186) mindestens eine Pro-Form.8 Das sind immerhin 64%! Und sucht man gar nach Mittelfeldern, die mehr als ein nicht-pronominal realisiertes Argument enthalten, so ist die Ausbeute wahrhaft kläglich. Von 290 Mittelfeldern weisen lediglich 10 Mittelfelder diese Eigenschaft auf- das sind lediglich 3,4 %! Doch auch wenn man die nicht-pronominal realisierten Stellungsglieder mitberücksichtigt, die nicht als Argumente, sondern als Modifikatoren des Verbs im Mittelfeld realisiert werden, ist das Ergebnis sehr Überraschend. Denn auch mit dieser Erweiterung des Phänomenbereichs erhöht sich die Anzahl einschlägiger Mittelfelder, die mindestens zwei Stellungsglieder9 mit diesen Eigenschaften aufweisen, nur auf insgesamt 38 Fälle (13%). Und mehr als zwei nicht-pronominale Stellungsglieder im Mittelfeld sind in dem gesamten Korpus nur in 4 Redezügen (1,3%) zu finden. Diesen Befund darf eine Theorie, die in einem interessanten Sinne Produktions- und Perzeptionsbedingungen berücksichtigt, nicht vernachlässigen. 3.2. Komplexität oder Wettbewerb? Was können die beiden vorgestellten Modelle von Jacobs und Hawkins zu Daten aus natürlichen Konversationen sagen? Ein Abfolgemuster, das bei Jacobs als Prinzip (P3) formuliert wird, ist PPRO > VOLL-NP. Nach Hawkins (1992:212) ist diese Abfolge im Deutschen grammatikalisiert, wenn es sich um zwei Nicht-Subjekt-NPs handelt. Hawkins argumentiert darüber hinaus dafür, daß Jacobs' Präzedenzprinzip aus dem EIC-Prinzip folgt, weil Personalpronomina und andere Pronomina aus einem einzigen Wort bestehen, während nichtpronominal besetzte NPs diese Eigenschaft in der Regel nicht aufweisen. In dem untersuchten Korpus ist (P3) ein sehr häufiges Abfolgemuster: (13) China 20 395 I: und 'dann und und eh ehm (0.27) -» 396 ich hab das dann dem 'Michael geschrieben, (14) Hundertfünfzig 6 12 X: wenn ich das gewußt hätte —» 13 härteste mir mal deine Aufzeichnungen geben können= (15) Legag 13 —» 06 X: vielleicht 'kann=man ihm 'Gerion 'auch noch bringen; (16) Legag4 —» 03 S: jja; oke (.) 'gut=also: du bist 'sicher daß er die Nummer hat? (17) China 12 234 T: Es kann natürlich sein, -> 235 daß 'die auch das Hotel 'nicht bezahlen wird;

° Die Referenz auf Sprecher und Hörer ist in natürlichen Dialogen sicher eine Ursache für die hohe Anzahl von Pronomina. 9 Nicht berücksichtigt werden bei dieser Zählung die nicht extraponierbaren Konstituenten wie Negationspartikeln, Satzadverbien, Modalpartikeln und ähnliches.

321

(18) China l OS T: —»06 07 -» 08

=un=erst nachdem 'wir nochmal 'nachgefragt harn, ob 'sie denn nicht die Er'Öffnungsrede halten will, 'kam se nochmal, daß se ja ein 'Vortrag halten wollte

(19) Hundertfünf zig 21 02 X: ja der macht jetzt sein Examen n= es kommt drauf an (.) -»03 wo er ne Referendarstelle beantragt ne, (20) Hundertfünfzig 11 -> 02 H: hasse Richard mitgenommen? (21) Verliebt 14 -> 06 H: und seitdem (.) eh (.) steh ich auch mal wieder vor zwei Uhr auf Das einzige Gegenbeispiel mit der Abfolge Voll-NP > PPRO konnte ich im Transkriptausschnitt (22) finden. Die Abfolge von Subjekt-NP und PPRO ist nach Hawkins ein Beispiel für "grammatically free word order". Trotz geringerer Komplexität wird das Pronomen hier aber nicht der Voll-NP vorangestellt, was zu einer Verschlechterung der EIC-Werte führt: (22) China 4 61 T: vor=allem=auch =in=dem='Ton.= —> 62 =°in dem0 (0.41) die Vera se 'angesprochen hat. (22') (a) [jp die Vera se angesprochen hat ] l/l 1/2 2/3 3/4 100% 50% 66% 75% =72% (b) [jp se die Vera angesprochen hat ] l/l 2/2 2/3 3/4 100% 100% 66% 75% =85% Auf der Suche nach dem Grund für die gewählte Abfolge zeigt sich, daß aufgrund der morphologisch uneindeutigen Kasusmarkierung die Abfolge Voll-NP = Subjekt = AGENS > Personalpronomen = Objekt = ADRESSAT die einzige Möglichkeit ist, die gewünschte Interpretation sicherzustellen. Diese Reihenfolge erfüllt somit (Pl): AGENS > X (X = eine andere von Agens verschiedene Argumentrolle). (Pl) ist ein ebenso starkes Prinzip wie das verletzte (P3). Jacobs' Wettbewerbsmodell kann damit erklären, warum (P3) in einem Fall wie (22) ohne Akzeptabilitätseinbußen verletzt werden kann. Nach Hawkins (1992:213) folgt jedoch auch (Pl) aus dem EIC-Prinzip: Da agentivische NPs typischerweise kürzer als nicht-agentivische NPs sind, hat dies - wie bei der Voranstellung der Pronomina - zur Grammatikalisierung dieser Abfolge im Deutschen geführt. Damit ist für die Vorhersage des Stellungsverhaltens von Subjekten10 wiederum das Prinzip (12a) verantwortlich, und die Grammatikalisierung der Voranstellung des Subjektes führt nach Hawkins zu einer stärkeren Insensitivität für die Forderungen von EIC. Hawkins führt deshalb an, daß eben aufgrund der Grammatikali10

Wie andere Autoren geht auch Hawkins (1992:212) davon aus, daß die hohe Korrelation zwischen Agentivilät und nominativischer Kasusmarkierung eine Gleichsetzung erlaubt Vgl. aber Beispiele (25) und (26).

322

sierung von Subjekt-NP > Objekt-NP das Vorkommen von Abfolgen, in denen NominativNPs trotz größerer Komplexität Nicht-Nominativ-NPs vorangestellt werden, nicht ausgeschlossen werden. Da es sich um das einzige Gegenbeispiel handelt, kann es die einschlägigen statistischen Aussagen von Hawkins* Modell also nicht erschüttern. Hawkins steht bei einem Fall wie (22) dennoch vor dem Problem, daß hier seine beiden Typen der Variation zugleich einschlägig sind. Und eine Erklärung oder eine Vorhersage, wann und unter welchen Umständen das EIC-Prinzip unterliegt, oder ob bei konkurrierender Einschlägigkeit (12a) oder (12b) den Vorrang hat, bietet sein Modell ebensowenig wie unabhängige Kriterien für die Zuordnung zu den Variationstypen (12a) und (12b). Wie steht es mit anderen Vorkommen von agentivischen bzw. nominativischen NPs? Die einzigen Beispiele des gesamten Korpus, in denen eine nicht pronominal besetzte agentivische Argument-NP und ein anderes, ebenfalls nicht pronominal besetztes Argument im Mittelfeld vorkommen, sind (23) und (24) - betrachtet man wie Hawkins (1992:212) die nominativische Kasusmarkierung (vgl. Anm. 10), so können auch (25) und (26) berücksichtigt werden. Diese Beispiele gehorchen sowohl Hawkins' als auch Jacobs' Prinzipien, da die SubjektNPs den nicht-agentivischen NPs vorangestellt sind und zugleich die ersteren weniger komplex oder gleich komplex wie die letzteren sind: (23) China 21 401 I: ehm(0.14) -» 402 da hatte en en son amerikanischer Journal 'ist (l .0) -* 403 ehm halt son paar 'schwarze Stu'denten da inter'viewt, (24) Hundertfünfzig 2 —» 05 X: also soll:eh:- Rogers Schwester mal am besten an die Uni schreiben; (25) China 18 —> 356 I: da kam ein Afrikaner an die 'Bar,= (26) Verliebt 3 14 H: ja ich war jetzt (.) fünf Tage hier. (.) ne, —> 15 H: weil meine Eltern nämlich im Urlaub sind Das Prinzip (P2) DATIV > PATTENS, das Hawkins ebenfalls darauf zurückfuhrt, daß DativNPs in der Regel syntaktisch weniger komplex als Akkusativ-NPs sind,11 ist mit dem analysierten Datenmaterial kaum zu überprüfen, weil es nur ein einziges Mittelfeld gibt, das sowohl ein PATTENS als auch ein DATIV- Argument enthält. Man sollte hier ja nur nichtpronominal besetzte Stellungsglieder zur Analyse heranziehen, denn wenn man, wie Hawkins (1992), auch pronominal besetzte NPs berücksichtigt, besteht die Gefahr, daß die Einflußfaktoren nicht isoliert werden können. (27) folgt Jacobs' Präzendenzprinzip, das DATTV-Argument ist aber syntaktisch etwas komplexer als das PATTENS-Argument. (27) China 24 474 T: aber is doch 'selten, 475 weil sonst ist=s doch grad 'umgekehrt, -* 476 daß 'wir den Ki'nesen Stipendien geben, Auch hier ersetzt Hawkins die semantischen Rollen durch morphologischen Kasus.

323

Hawkins' Hypothese, daß Präpositionalargumente - auch diese sind typischerweise komplexer als -Argumente - zu einer relativ späten Stellung im Mittelfeld tendieren, bestätigen die Beispiele (28), (29)12 und (30), nicht aber (31) und (32). Sowohl (31) und (32) als auch (27) folgen jedoch dem Präzedenzprinzip (P4): DEFBMIT > INDEFINIT: (28) Legago —> 08 S: =ja. also:: (...)=der hat schon'drei verschiedene'Bögen -> 09 bei 'alln möglichen 'Leuten bestellt= (29) China 25 490 I: und und deshalb 'machen die das vielleicht auch um (0.4) 0 —> 491 °'gute Kontakte zu den afriTcanischen 'Ländern zu halten. (30) China 28 545 I: ahn. Ich müßte mir des über'legen. ehm -> 546 Vielleicht (0.6) könnt=ich 'eine Strecke mit=em 'Zug machen. (31) Legag23 -> 01 S: musste mal früh genuch hier in de Stadtzeitung —» 02 ne 'Anzeige setzen; (32) Legag23 —» 05 X: ich wollte so an der 'Uni und im 'Frauenzentrum —» ein paar 'Zettel hinhängen; Mit den Beispielen (23) bis (32) habe ich alle Mittelfelder präsentiert, die mehr als ein nichtpronominal realisiertes Argument enthalten. Der Untersuchungsbereich kann jedoch — wie bereits gesagt - um 28 Fälle erweitert werden, wenn man auch die nicht-pronominal realisierten Stellungsglieder berücksichtigt, die als Modifikatoren des Verbs im Mittelfeld realisiert werden. Nach Hawkins (1992:209) sind im Deutschen die Abfolgen NP > PP und PP > NP im Mittelfeld "grammatically free", daher sollten sich nach seinem Prinzip (12b) schon vergleichsweise geringe Komplexitätsunterschiede (l Wort) auf die Abfolge einwirken. Diese Abfolgen traten in dem untersuchten Korpus in 3 weiteren Mittelfeldern auf: (33) China 20 -> 399 I: genau in der Zeit gab's en Ar'tikel in 'News Week (34) China 16 315 I: das die die Fdee kommt mir "grad erst, —> 316 daß ich ja in Peking noch diesen (0.47) U'mari kenne, (35) China 10 196 T: 197 198 -* 199

'hh weil d- 'des: war ja 'so,= =daß die Frau "Mutz:, 'mich ge'fragt hat, ob=ich nich en paar Tage in 'Peking bleiben wollte,

Es konnte sich im Beispiel (29) jedoch auch um ein einziges, komplexes Argument handeln.

324 Die Beispiele (33) und (34) enthalten sowohl eine NP als auch eine PP mit je zwei Wörtern.13 In (33) wurde die Abfolge NP > PP und in (34) die Abfolge PP > NP gewählt. Aufgrund des fehlenden Komplexitätsunterschieds ergeben sich auch bei Veränderung der Abfolge keine abweichenden EIC-Werte. In (35) hingegen gibt es einen geringen Unterschied. Die NP besteht aus 3, die PP hingegen nur aus 2 Wörtern. Entgegen der Erwartung, daß sich bei grammatisch freier Abfolge bessere EIC-Werte direkt durchsetzen, folgt die PP auf die NP: (351) (a)

(b)

[yp en paar Tage in 'Peking bleiben wollte ] l/l 1/2 1/3 2/4 2/5 3/6 100% 50% 33% 50% 40% 50% =53% [ypin 'Peking l/l 1/2 100% 50%

en paar Tage bleiben wollte ] 2/3 2/4 2/5 3/6 66% 50% 40% 50% =59%

Nach Hawkins' Prinzip (12) sollte gerade für die grammatisch freie Abfolge gelten, daß sich nicht nur die besseren EIC-Werte durchsetzen, sondern die Abfolgen mit den besseren Werten auch als gleich akzeptabel oder sogar grammatisch akzeptabler eingestuft werden als die mit den schlechteren Werten. Dies ist in Beispiel (35) aber nicht der Fall, da die gewählte Abfolge NP > PP deutlich besser ist. Hier könnte Hawkins natürlich wieder sagen, daß es sich vielleicht doch nicht um grammatisch freie Abfolge, sondern um "rearrangement transfomations" handelt. Die Abfolge PP > NP findet sich in Beispiel (34). Es wäre also interessant, ob es bei Jacobs ein Präzedenzprinzip gibt, das für diese Abfolge verantwortlich gemacht werden kann. Auf der Suche nach einem solchen Prinzip möchte ich das Beispiel in seinem Kontext betrachten: (34) China 16 (verkürzt) ((Thema: Übernachtung in Peking ohne offizielle Betreuung)) 240 I: 'dann würd ich versuchen:, (0.6) •

244

versuchen bei 'irgendwelchen Leuten zu (0.4) zu übernachten,=

256 I: 257

ich kenn ich hab Tcenn 'auch ein: (0.52) ehm (0.98) den Tcenn ich aber nur sehr 'flüchtich? ((Komplizierte Beschreibung der Person ohne Namensnennung))

307 I: 308 309 310 311 T: 312 313 I: 314

'wenn: dann: würd ich den::: (1.25) halt (0.5) irgendwann in den 'nächsten Tagen 'anschreiben,= =weil das 'eilt ja dann auch, ne? (1.5) Triffst du den (.) wenn du in 'Peking bist? °(Duweißt-)0 ich 'hab an- ich hab den to'tal ver'gessen;

ich denke, daß eine rein orthographische Zahlung von Wörtern, die aufgrund des Eigennamens in (33) auf 3 Konstituenten in der PP käme, auch nicht in Hawkins' Sinn wäre.

325

->

315 316 T: 317 3181:

das l die die H'dee kommt mir "grad erst, l°hmhm° I (0.5) daß ich ja in Peking noch diesen (0.47) U'mari kenne,

Erst in diesem Kontext wird nämlich deutlich, warum die Abfolge PP > NP gewählt wird. Die Nominalphrase ist hier zugleich der Abschluß einer langen, aber endlich erfolgreichen Suche nach dem Namen der Person, über die T und I sprechen. Es ist während des ganzen Abschnitts von den "Übernachtungsproblemen in Peking" die Rede. Das letzte Mal wird Peking von T in Zeile 312 erwähnt. In Zeile 318 ist die PP in Peking immer noch als Hintergrundinformation verfügbar, der Name der Person, bei der T vielleicht übernachten kann, wird an dieser Stelle jedoch zum ersten Mal genannt. Diese Anordnung folgt also dem Präzedenzprinzip (P5): HINTERGRUND > FOKUS. Umstellungen zur Disambiguierung der Fokus-Hintergrund-Struktur kommen in dem untersuchten Korpus auch in anderen Mittelfeldern vor. Besonders deutlich ist das Beispiel (36). (Die fokussierte Konstituente wird durch F-indizierte eckige Klammern angegeben): (36) LegagSf 12 X: 13 14 S: 15 X: 16 S: 01 X: 02 03 04 S: —> 05

'hh 'Was gibt es denn sonst Neues bei Euch; (0.5) (och) eigentlich nnix 'Neues ne=E'xam machn we alle (so). 'Ihr "auch; jeja; 'hh (.) 'h (s)ja ne ziemliche 'Aufregung; (.) 'h habt er euch schon des angetan (da=diese:) (.) 'Bögen auszufüllen oder; ach neui:: (n) das- das lass ich das eh: (.) die 'Angst davor macht im Augenblick sich [F 'Werner];

Die in diesem Abschnitt vorgestellten Beispiele erlauben keine eindeutige Bewertung der diskutierten Modelle. Wenn überhaupt zeichnet sich jedoch ein leichter Vorsprung für Jacobs' Modell ab. Doch wenn die Beispiele Hawkins' Prinzipien auch nicht eindeutig stützen, so widerlegen sie sie andererseits auch nicht. Das liegt vor allem daran, daß Hawkins* Prinzipien statistische Vorhersagen machen. Ein besonderes Problem bei Hawkins ist aber die Zuordnung der Abfolgen zu den Variationstypen (12a) und (12b). Betrachtet Hawkins nämlich eine bestimmte Abfolge als "grammatikalisiert", so folgt aus der einschlägigen Vorhersage für "rearrangement transformations" (12a), daß Grammatikalisierung, die zunächst auf syntaktischer Komplexität basiert, diese dann wieder neutralisieren kann. Grammatikalisierung führt so zu einer Insensitivität für geringe Komplexitätsunterschiede, und ElC-präferierte Abfolgen setzen sich in diesem Fall erst bei sehr deutlichen Komplexitätsunterschieden durch (z.B. bei Heavy NP Shift im Englischen erst ab vier Wörtern). Da sich in dem untersuchten Korpus nur wenige Beispiele und niemals solche mit einem Komplexitätsunterschied von vier und mehr Wörtern in den einschlägigen Konstituenten finden ließen, lassen sich Hawkins' Vorhersagen in diesem Bereich nur eingeschränkt überprüfen. Aussagekräftiger müßten also solche Abfolgen sein, die nach Hawkins' Prinzip (12b) als "grammatisch frei" klassifiziert werden können. Doch auch die Diskussion der Abfolge NP > PP und PP > NP zeigt, daß neben der gerin-

326

gen Vorkommenshäufigkeit vor allem die fehlenden unabhängigen Kriterien für die Zuordnung die Überprüfung von Hawkins' Modell erschweren. Jacobs' Modell kann vor allem mit Beispielen wie (22) einen Vorsprung gegenüber Hawkins erzielen. Seine interagierenden Präzedenzprinzipien erklären fehlende Akzeptabilitätseinbußen, während in Hawkins' Modell nicht eindeutig festgestellt werden kann, welcher Variationstyp für die Abfolge einschlägig ist Die Gegenüberstellung der Modelle von Jacobs und Hawkins in diesem Abschnitt hat aber auch gezeigt, daß Konversationsteilnehmer von der Möglichkeit, mehrere Stellungsglieder im Mittelfeld zu plazieren, nur in eingeschränktem Umfang Gebrauch machen. Stellungsglieder im Mittelfeld, so konnte gezeigt werden, werden oft pronominal realisiert. Doch nicht nur häufige Pronominalisierungen kennzeichen die Mittelfelder in natürlichen Konversationen. Das Mittelfeld wird auch häufig entleert, indem nicht-satzwertige, mittelfeldfähige Satzglieder erst im Anschluß an das Mittelfeld nach der rechten Klammer produziert werden. Solche Konstruktionen der Mittelfeldentleerung wurden als Nachträge, Ausklammerungen oder Rechtsversetzungen klassifiziert und beschrieben.14 Ich möchte nun zeigen, auf welche Weise Konversationsteilnehmer die Mittelfelder ihrer Redezüge entleeren und welche Faktoren hierfür verantwortlich gemacht werden können. 3.3.

Formale Aspekte der konversationeilen Mittelfeldentleerung

Zur Mittelfeldentleerung greifen die Konversationsteilnehmer des untersuchten Korpus insgesamt 72 mal (25%). In etwas weniger als der Hälfte dieser Konstruktionen (35 mal) enthält das Mittelfeld keine Pro-Form. Damit werden Mittelfeldreduktionen durch Pronominalisierungen und andere Pro-Formen sowie Mittelfeldentleerungen durch Realisierungen von mittelfeldfähigen Satzgliedern im Anschluß an das Mittelfeld in dem Korpus 224 mal (77%) gewählt Welche Formen der Entleerung des Mittelfeldes durch Realisierung von nicht-satzwertigen, mittelfeldfähigen Satzgliedern im Anschluß an die rechte Satzklammer wurden von den Konversationsteilnehmem in dem untersuchten Korpus verwendet? Die hier vorgeschlagene Klassifizierung der Formtypen nimmt Bezug auf zwei Ebenen der Grammatik: Es werden sowohl syntaktische als auch intonatorische Eigenschaften zur Klassifizierung herangezogen.15 Eine zentrale formale Unterscheidung zwischen den verwendeten Strukturen ergibt sich über den Einsatz der Intonation: Sprecher haben die Möglichkeit, die dem Mittelfeld entzogenen Satzglieder als eigenständige Intonationsphrasen (IP) zu produzieren, oder aber sie als Teil der Intonationsphrase des Mittelfeldes zu realisieren. Mit Begriffen wie IntonationsZur Definition und Terminologie vgl. Altmann (1981). Hier findet sich auch eine ausführliche Diskussion der Literatur und eine detaillierte, auf syntaktisch-morphologischen, prosodischen und semantisch-funktionalen Kriterien basierende Systematik von Herausstellungsstrukturen. Vgl. dazu auch Auer (1991). Im Gegensatz zu Altmann (1981), aber auch zu Auer (1991), gehe ich davon aus, daß sich die Unabhängigkeit von Syntax und Intonation in der Grammatik auch in vollem Umfang bei den Formen der Mittelfeldentleerung widerspiegelt Dies ist bei Auer und wahrscheinlich auch bei Altmann nur ein empirischer, aber kein theoretischer Gegensatz.

327

phrase, Tongruppe oder Phrasierungseinheit versucht man zu erfassen, daß bestimmte Abschnitte von Äußerungen aufgrund besonderer interner und flankierender prosodischer Eigenschaften auditiv identifizierbare und phonologisch relevante Einheiten bilden. Das wichtigste akustische Korrelat ist der Grundfrequenzverlauf, die F0-Kontur. Für die Analyse der Binnenstruktur und der Grenzen von Intonationsphrasen gibt es in der Literatur im wesentlichen zwei konkurrierende Modelle,16 die jedoch die Einsicht teilen, daß Intonationsphrasen obligatorisch mindestens eine prosodisch besonders prominente Position (eine akzentuierte Silbe = Nukleus = Akzentton17) enthalten müssen und daß Intonationsphrasen idealiter durch eine Pause voneinander getrennt sind. Empirisch ist diese Definition allerdings unbefriedigend, da - zumindest im Deutschen - sowohl Pausen innerhalb von Intonationsphrasen möglich sind, als auch zwei aufeinanderfolgende Intonationsphrasen, die nicht durch eine Pause von einander getrennt sind. Gerade bei höherer Sprechgeschwindigkeit ist zu erwarten, daß keine Pausen auftreten, sondern die Phrasierungsgrenzen durch andere prosodische Mittel markiert werden. Was die Anzahl der prosodisch besonders hervorgehobenen Silben pro Intonationsphrase anbetrifft, so gibt es besonders bei der Analyse natürlicher Konversationen eine große Variation, die ebenfalls die Einteilung in Intonationsphrasen erschwert. Im dem analysierten Material werden drei Stufen der Akzentuierung transkribiert: emphatischer Akzent ("), Primärakzent (') und Sekundärakzent (')· Wichtiger als das Vorhandensein von Pausen, die durch Sekundenangaben in Klammern notiert werden, ist der Nachweis eines Grenztons1** bei der Festlegung der finalen Grenze der Intonationsphrase. Auch hier ist die auditiv wahrnehmbare Intonationskontur entscheidend. Im Gegensatz zu den F0-Veränderungen, die für die Wahrnehmung von Akzenten erforderlich sind, finden sich die für die Phrasierung relevanten Intonationskonturen auch auf unakzentuierten Silben. Im Deutschen ist ein intonationsphrasenfmaler Grenzton obligatorisch, der initiale Grenzton ist fakultativ. Folgende Notationen finden bei der Tanskription des Endes der Intonationsphrase Verwendung: Stark fallend (.), fallend (;), steigend (,) und stark steigend (?). Auf der syntaktischen Ebene ist das wichtigste Kriterium für die formale Differenzierung, ob das nach der rechten Satzklammer realisierte Satzglied im Mittelfeld ein Bezugselement in gleicher syntaktischer und semantischer Funktion hat. Ist ein solches Bezugselement vorhanden, bezeichne ich das Verhältnis zwischen dem Bezugselement und dem nach der rechten Satzklammer realisierten Satzglied als potentielle syntaktische Substitution. Wenn es sich bei dem Bezugselement um Pronomina oder andere Pro-Formen handelt, spricht man von 16

Zum einen gibt es den Ansatz der Britischen Schule, der auch von vJissen (1964) eingeführt und von Pbeby (1980) und Kohler (1977) für die Beschreibung des Deutschen übernommen wurde. In Konkurrenz dazu stehen Intonationsanalysen im Rahmen der autosegmentalen Phonologic, als deren prominenteste Vertreterin Pierrehumbert (1987) gelten kann. Zur Entwicklung eines autosegmentalen Modells für die Analyse deutscher Intonationskonturen auf der Basis der Fokus-Hintergnind-Gliedening vgl. Uhmann (1988,1991).

17

Akzenttöne sind das phonologische Korrelat des Fokusmerkmals und die F0-Kontur ihr wichtigstes phonetisches Korrelat

18 Grenztöne sind die phonologischen Korrelate der Phrasierungsregeln. Zusammen mit dem letzten Akzentton bilden sie die Gnindfrequenzkontur am Ende der Intonationsphrase. Statt der in Uhmann (1988) und (1991:Kap. 3.5) vorgestellten binaren Notierung der finalen Grenze (H%,T%) wird hier die in der Konversationsanalyse übliche vierstufige Notation verwendet, deren Motivierung jedoch noch zu leisten ist.

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Rechtsversetzungen. Diese Rechtsversetzungen können als eigenständige Intonationsphrasen mit eigenem Akzent und einem intervenierenden Grenzton realisiert werden: (37) ChinaS 90 T: und 'da hat se das 'auch noch mal er'wähnt,= —» 91 =so die Diskrepanz zwischen 'Gre:ts Vortrag und 'Krachmanns. (38) China 29 570 T: ich hab 'hier gewohnt; -» 571 in Tort'Dixon. Rechtsversetzungen können aber auch prosodisch integriert werden. Hier wird das rechtsversetzte Satzglied zwar schwach akzentuiert, aber es gibt keinen intervenierenden Grenzton, der das Ende der ersten Intonationsphrase prosodisch festlegt: (39) China 15 -» 285 T: mal'sehn was das er'gibt das Ge'sprach. (40) China 40 -» 800 T: °und die 'Nasti kennt die 'auch°= °°die Tlodi00. Wie die Beispiele (41) bis (44) zeigen, können auch andere Bezugselemente als Pro-Formen zu der Konstituente außerhalb der Satzklammer im Verhältnis potentieller syntaktischer Substitution stehen. Und auch hier zeigt sich die prinzipielle Unabhängigkeit von Prosodie und Syntax. Es ist möglich, das Bezugselement und die Konstituente mit gleicher syntaktischer und semantischer Funktion in einer Intonationsphrase zu realisieren: (41) China 39 -» 778 T: Ich 'schreib da 'vorher: (0.9) der 'Frau: der- der 'Rodi (0.5) Allerdings sind die Fälle häufiger, in denen Sprecher zwei Intonationsphrasen bilden: (42) China 26 505 T: ich hab son 'ganz 'tolles 'dickes 'Buch über 'Malaysia;= -* 506 =son 'Bilderbuch. (43) China 29 574 T: ehm da=s gibts "wahnsinning 'tolle 'Strande; (1.5) —» 575 also=richtige 'Bilderbuch'strande. (44) China 38 741 T: und die 'liegen dann meistens 'toll; -» 742 'mitten in der 'Stadt. Rechtsversetzungen und potentielle syntaktische Substitutionen in einem weiten Sinne rinden sich in dem untersuchten Korpus in 15 Fällen. ^ Ein Bezugselement, zumindest in einem ge-

Hier wurden auch 7 Fälle mitberechnet, in denen das koreferente Bezugselement durch einen Infinitivsatz realisiert wurde. (Vielleicht sollt ich das (.) Richards Schwester ja dann doch auch mal empfehlen; nach Petersburg zu gehen).

329 wissen Sinn, findet sich auch in dem Beispiel (45),20 in dem ein attributives Adjektiv als eigene NP außerhalb der Satzklammer realisiert wird. Die semantische Beziehung zwischen dem Bezugselement und seinem Attribut ist jedoch nicht durch potentielle Substitution, sondern durch Spezifizierung bzw. Modifkation gekennzeichnet: (45) China 51 1012 T: es wurde in den letzten Jahren schlimmer, -> 1013 also durch die Islami'sierung die 'starke; Ein Beispiel, in dem eine solche Konstruktion in zwei Intonationsphrasen realisiert wird, findet sich in dem untersuchten Korpus nicht. Meiner Meinung nach ist eine solche Realisierung aber ohne Akzeptabilitätsverlust möglich: (45') —»

Es wurde in den letzten Jahren schlimmer; also durch die Islami'sierung; (.) die 'starke.

Die meisten Fälle von Mittelfeldentleerungen im untersuchten Korpus sind jedoch solche Konstruktionen, in denen potentielle Satzglieder des Mittelfeldes außerhalb der Satzklammer realisiert werden, ohne daß im Mittelfeld ein Bezugselement im beschriebenen Sinne zu finden ist. Konstruktionen dieser Art wurden in 56 Redezügen gewählt. Auch hier haben Sprecher wieder die Möglichkeit, diese Satzglieder prosodisch zu integrieren oder die Satzglieder außerhalb der Satzklammer als eigene Intonationsphrase zu realisieren. Prosodische Integration,21 d.h. keine eigene Intonationsphrase für die Satzglieder außerhalb des Mittelfeldes, wählen die Konversationsteilnehmer in 30 Redezügen. Einige Beispiele: (46) Hundertfünfzig l —» 06 X: Hast du 'angerufen da? (47) China 46 —» 909 T: und dann ist sie ge'schieden ohne 'Anspruch; (48) Legag21 —> 10 U: der'zieht jetz aus im Oktober (49) China 6 —> 104 I: Und=es war zuwenig'festgemacht an Text'bei'spielen. (50) China 31 610 T: als die 'aus (0.6) eh 'fuhren nach Ma'laysia; (51) Hundertfünfzig 12 —> 15 X: der is jetz'fertig mim'Examen;

20 Altmann (1981:70) klassifiziert solche Konstruktionen als "nur durch Tilgung entstandene stark elliptische satzwenige Ausdrücke". Er bezeichnet sie als "nachgetragene attributive Adjektive" und nicht als Appositionen. Eine Komplikation ergibt sich im Beispiel (45) dadurch, daß es sehr wahrscheinlich ist, daß schon die Bezugskonstituente durch die Islamisierwg außerhalb der Satzklammer realisiert wird. 21 Nach Altmanns Klassifizierung handelt es sich um Ausklammerungen.

330 (52) China 34 672 T: ehe=ansonsten von Kuala'lumpur bis (.) Cota 'Baro sinds=so (0.1) 673 's:echs acht 'Stunden °mim (53) Hundertfunfzig 4 -» 14 X: aber (0.8) ich bin 'vollkommen 'fertig mit den 'Nerven; (54) Legag21 -> 05 X: du weißt 'auch 'niemanden der mit mir 'wohnen möchte=noch vier Monate; (55) Legag2 06 X: 'weißt du:=hat er vielleicht erzählt -» 07 daß er den Trelitz gesehn hat in der Zwischenzeit? (56) Hundertfunfzig 21 -» 1 1 X: nein nein ich meine ob er (.) 'griffbereit für dich is im 'weitesten 'Sinne; (57) Legag3 -> 03 X: wenn er mit dem Trelitz gesprochen hat über meine Prüfunkh, (58) China 22 428 T: in 'Malaysia is des so, -> 429 daß die 'Inder rüberkamen als "Gastarbeiter praktisch, (59) China3 -> 48 T: als 'die sie auf den Vortrag 'angesprochen hat "während der Tagung0. (60) China 51 998 T: man schickt dann die zweite Frau eh=*die=erste*=Frau meistens weg, 999 in irgendnen (0.3) en 'Haus in der Um'gebung= -> 1000 T: =das man da 'kauft für die 'Frau und für die 'Kinder (61) China 9 -» 176 T: Ich 'muß übrigens heut noch zum 'Köhlersen °um 'drei°,= -» 177 =weils 'Schwierigkeiten gibt mit dem 'PeTcing'auf 'ent Tialt. Fast ebenso häufig (26 mal) werden zwei Intonationsphrasen22 produziert. Es gibt einen intervenierenden Grenzton und mindestens einen Akzent für die Konstituente außerhalb des Mittelfeldes: (62) China 33 -» 644 T: während die Ostküste noch relativ 'unberührt is; (0.2) 645 'da'von. (63) China 21 41 1 I: "weil 'er (.) sich er'dreistet hatte, 412 eine 'Chi'ne'sin zum Tee 'einzuladen; -» 413 'nachmittags (64) China 3 1 614 I: Wie 'weit is des ent'fernt? (.) -» 615 von Port 'Dixon? 22

In Altmanns Terminologie handelt es sich um Nachträge, Beispiel (65) ist das einzige, das die für Altmanns Nachträge typische Floskel und zwar aufweist.

331

(65) China 20 382 I: da 'wurden 'Weiße nach Vorne geschoben, —> 383 und- und zwar Vor 'einj 'Schwarzen; (66) China 21 409 I: Der 'eine (0.5) war ma verdroschen worden, —> 410 vonner 'ganzen (0.3) 'Horde chi'nesischer Kommili'ton;; (67) China 50 999 T: man schickt dann die 'zweite Frau eh=die='erste=Frau meistens 'weg, -> 1000 in 'irgendnen (0.3) en 'Haus in der Um'gebung (68) China 11 206 T: un=da hab ich das ge'bucht, (0.4) -» 207 mit Vier Tage 'Aufenthalt in 'Peking, (69) China 13 240 I: 'dann würd ich verbuchen:, (0.6) -» 241 ehm über die A'dresse von der'He:dwig zum Beispiel 242 versuchen bei irgendwelchen Leuten zu (0.4) zu übernachten, = Dieses Muster kann auch wiederholt angewendet werden: (70) China 7 133 T: die muß:te (.) ja nach 'Freiburg; 134 (0.7) —> 135 'hh zum 'Kultusministerium^ -> 136 =°wegen der SlaVistik.0 Kombinationen von prosodischer Integration und prosodischer Selbständigkeit zeigen folgende Beispiele. In Beispiel (71) haben die beiden nach der Satzklammer produzierten Satzglieder die gleiche syntaktische und semantische Funktion und fast dieselbe Bedeutung. Die Beispiele (72) und (73) zeigen, daß die nicht integrierte Intonationsphrase auch von einem anderen Sprecher produziert werden kann. (71) Hunderfünfzig 7 -> 03 X: ihr habt (.) eh: en 'Seminar gehabt zu Van de Velde,= -> 04 ='nur zu Van de Velde? (72) Legag22 02 X: da werd ich nämlich im Oktober dann noch —» 03 jemanden 'suchen müssen=ganz schnell, 04 (1.0) -» 05 S: 'uu (.) für Vier Monate; (73) China 12 —» 226 I: das Tcannse dir=auch 'selber 'anle I sen vorher, l -» T: l mit nem l 'Stadtführer oder so. Unter Berücksichtigung der Unabhängigkeit von Syntax und Intonation ergeben sich also vorläufig die folgenden acht unterschiedlichen Strukturtypen der Mittelfeldentleerung:

332 (74) Formen der Mittelfeldentleerung INTONATION

SYNTAX

[+ Bezugselement] C potentielle Substitution \ [+ Bezugselement] Modifikation [- Bezugselement]

Pronomina u. Pro-Formen Andere Konstituenten attributive Adjektive

<
06 X: bitte? 07 H: ( 2.0 ) ((Störung der Verbindung durch Verkehrslärm)) -> 08 X: ich versteh dich nich, du mußt en bißchen, 09 H: letztes Se'mester gemacht van der 'Velde 10 X: ja?= 11 H: =ja; 12 X: wenn ich das gewußt hätte hätteste mir mal deine Aufzeichnungen geben können 13 *d-ich mir viel l'leicht* 14 H: l (...) (die ersten die Mal) dagewesen 15 (1.5) 16 H: (is) nich viel aufgezeichnet, -»7/ 01 X: bitte? 02 H: hab ich nich viel aufgezeichnet. -> 03 X: ach so ihr habt (.) eh en 'Seminar gehabt l zu 'van deVelde,= -> 04 H: l jaja -» 05 X =nur zu van de Velde? 06 H: Ja nich nur über ihn aber er kam da ziemlich häufig drin vor. 07 X: ah ja ha. (1.0) Betrachtet man den sequentiellen Kontext, so zeigt sich, daß X dreimal eine Reparatur initiiert, weil sie H aufgrund von störendem Verkehrslärm nicht verstehen kann. H führt die Reparaturen durch, und aus der Tatsache, daß sie diese das Gespräch aufhaltende Aktivität für X ausführt, ergibt sich für X die konversationeile Verpflichtung, den Erfolg von Hs Bemühungen und damit den Abschluß der Reparatursequenz in dem Augenblick zu signalisieren, indem das Verständigungsproblem gelöst ist. In Zeile 03 signalisiert sie Verstehen (ach so) und damit den Erfolg von Hs Reparaturbemühungen. Weil ach so Verstehen aber nur behauptet und sowohl X als auch H nicht sicher sein können, ob wechselseitiges Verstehen tatsächlich vorliegt, stellt X ihr Verstehen auch unter Beweis, indem sie ihre Version von Hs Beitrag

343

formuliert und H zur Bestätigung vorlegt. Bei dieser Aktivität, die wie die Reparatur die Fortsetzung des Gesprächs immer noch aufhält, ist nun H gehalten, so früh wie möglich den Erfolg von Xs Bemühungen anzuzeigen. H tut dies in Zeile 04, nachdem X mit der rechten Satzklammer das Ende einer Konstruktionseinheit und damit eine übergaberelevante Stelle erreicht hat. Wie in Abschnitt 3.4.1. gezeigt wurde, kommt diese Erfolgsmeldung zu früh, und es ergeben sich die beschriebenen Ambiguitäten, die durch die Wiederholung in Zeile OS aufgelöst werden. Im Lichte der lokalen Produktion von Xs Redezug im Rahmen einer Reparatursequenz beantwortet sich nun auch die Frage, warum X einer prosodisch integrierten Konstituente nach der Satzklammer ein zweites Satzglied in gleicher syntaktischer und semantischer Funktion, aber mit spezifizierter Bedeutung in einer selbständigen Intonationsphrase folgen läßt. Es handelt sich bei dieser Wiederholung nämlich um die Reparatur einer Reparaturerfolgsformulierung. Mithilfe von Mittelfeldentleerungen können Konversationsteilnehmer also sowohl fremdinitiierte als auch selbstinitiierte Selbstreparaturen durchführen, wobei erstere in zwei und letztere in einer Intonationsphrase realisiert werden. Als subtile Technik der Fremdinitiierung von Reparaturen wurden verzogene Reaktionen der Rezipienten identifiziert. Schweigen ist zwar für den Produzenten des Reparandums das für die Lokalisierung des Problems am wenigsten hilfreiche Ausdrucksmittel, es kann jedoch zugleich die unauffälligste Möglichkeit zur Fremdinitiierung einer Reparatur sein, wenn nämlich zwischen dem Ende der Konstruktionseinheit und der angeschlossenen Reparatur nur einige Bruchteile von Sekunden verstreichen, und es dem Sprecher gelingt, eine syntaktische und prosodische Verbindung herzustellen. Auf der prosodischen Ebene kann die Verbindung dadurch hergestellt werden, daß das Offset-Niveau der ersten Intonationsphrase mit dem Onset-Niveau der zweiten Intonationsphrase übereinstimmt.30 (42) China 26

Offset

Onset

«V'\ "fr«ti ich hab son g a:: n:: z

t o:ll:e s dickes

Buch über Malysia

son Bilder buch

Auf syntaktischer Ebene sind potentielle Satzglieder des Mittelfeldes, die erst im Anschluß an die rechte Satzklammer produziert werden, ein idealer Konstruktionstyp, um die Reparaturen syntaktisch anzubinden. Gleiches Offset- und gleiches Onset-Niveau beim Übergang zwischen zwei Intonationsphrasen könnte das akustische Korrelat des latching-Symbols (=) in der konversationsanalytischen Transkriptionsnotation sein. Vgl. dazu Uhmann (i.V.). Die F0-Messungen wurden mit einem Kay: Visi-Pitch 6087/Tektronix: Storage Oszilloscope vorgenommen. Die Oszillomink-Konturen wurden über einen Scanner in ein Zeichenprogramm Übertragen.

344 3.4 J. Mittelfeldentleerungen und Informationsstruktur Die bisherige Analyse hat ergeben, daß Mittelfeldentleerungen in zwei potentiell konfligierende Systeme der Gesprächsorganisation eingebunden sind. Für die Organisation des Sprecherwechsels sind Mittelfeldentleerungen problematisch, aber bei der Reparaturorganisation sind sie ein idealer Konstruktionstyp, da sie gleichermaßen für fremd- und selbstinitiierte Selbstreparaturen eingesetzt werden können. Sowohl für die Organsiation des Sprecherwechsels als auch für die Reparaturorganisation sind lokal regulative Systeme verantwortlich. So regelt das System der Redezugübernahme immer nur den Übergang von einem Redezug zum nächsten. Auch die Organisation von Reparaturen hat einen begrenzten Anwendungsbereich, der sich über zwei Sprecherwechsel hinweg von dem Redezug des Sprechers A mit dem Reparandum über den nächsten Redezug des Sprechers B bis zu einem dritten Redezug wiederum von Sprecher A erstreckt. Gesprächsteilnehmer in Konversationen sind aber nicht nur damit beschäftigt, ihre Redezüge in eine geordnete lineare Abfolge zu bringen und Verständigungsprobleme aus dem Weg zu räumen. Im Zentrum ihrer Interaktion stehen vielmehr die verschiedenartigsten verbalen Aktivitäten. Gesprächsteilnehmer berichten, erzählen, streiten; sie klatschen, flirten, erzählen Witze oder halten eine Konferenz ab. Und sie tun unendlich viel mehr als das. Ihre Gespräche dienen - so kann man auf der Suche nach einer Generalisierung vielleicht festhalten - der Übermittlung und dem Austausch von Informationen in einem weitest denkbaren Sinne. Diese Informationen müssen auf den verschiedensten Ebenen strukturiert werden, wobei die Produktionen eines versprachlichten und dialogisch produzierten Textes der letzte Schritt einer hoch-komplexen kognitiven Leistung sind.31 Damit diese Aktivitäten erfolgreich durchgeführt werden können, müssen die lokal regulativen Organisationsprinzipien durch allgemeine sowie durch parallel wirkende, übergreifende Systeme ergänzt werden. Ein zentrales allgemeines System ist das des rezipientenspezifischen Zuschnitts (recipient design). Es regelt u.a., daß Sprecher ihre Äußerungen auf den speziellen Wissens- und Kenntnisstand des Rezipienten zuschneiden und so dem Rezipienten die Dekodierungsarbeit erleichtern. Übergreifende Systeme müssen dagegen u.a. regeln, wie die verschiedensten Aktivitäten eröffnet und beendet werden. Sie sind jedoch nicht nur für die 'Ränder', sondern auch für die Binnenstruktur der Aktivitätstypen verantwortlich. Ein solches, übergreifendes System ist das der thematischen Organisation von Gesprächen, es regelt Aufbau und Strukturierung der zu übermittelnden Information. In der Sprachwissenschaft wird mit dem Begriff der Informationsstruktur^· die Dimension der funktionalen Gliederung von Sätzen erfaßt, die mit dichotomischen Unterscheidungen wie "Thema - Rhema", "Hintergrund - Fokus", "Topik - Fokus", "psychologisches Subjekt - psychologisches Prädikat", "Präsupposition - Fokus", "alte Information - neue Informa-

31 Vgl. dazu z.B. Klein/von Stutterheim (1991) und Motsch/Reis/Rosengren (1990).

32 vgi dazu aucn den von Jacobs (1992) herausgegebenen Sammelband zum Thema 'Informationsstruktur und Grammatik', der Einblick in den aktuellen Stand der Forschung gibt

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tion" sowie "Topik - Kommentar" oder unter dem Stichwort "communicative dynamism" als skalare Eigenschaft beschrieben worden ist. Durch zahlreiche Arbeiten konnte gezeigt werden, daß die Fokus-Hintergrund-Gliederung einer der wichtigsten und ein vergleichsweise gut beschriebener Parameter der Informationsgliederung ist33 Ich will in diesem Abschnitt die Mittelfeldentleerungen im Lichte der Fokus-Hintergrund-Gliederung, der thematischen Organisation und des rezipientenspezifischen Zuschnitts näher betrachten, wobei die intonatorische Realisierung eine zentrale Rolle spielen wird. Ich beginne mit der Analyse der prosodisch integrierten Mittelfeldentleerungen. Schon bei der Auflistung der in der Literatur diskutierten Ebenen der Informationsgliederung kommt eine Idee zum Ausdruck, die die lineare Abfolge der Strukturierungselemente betrifft. Viele Autoren gehen nämlich davon aus, daß in der Regel, d.h. im unmarkierten Fall, der Hintergrund vor dem Fokus realisiert wird. Diese Ansicht vertritt auch Jacobs (1988a) in dem Präzendenzprinzip (P5).34 Betrachtet man Informationsstrukturierung - und hier besonders die Mittelfeldentleerungen - aber im Lichte der Organisation des Sprecherwechsels, so zeigt sich, daß die Befolgung dieses Präzedenzprinzips dem Sprecher systematisch Nachteile verschaffen kann. Fokussierte Satzglieder kommen in dieser Position in einen Bereich, der durch das Erreichen des Endes einer Konstruktionseinheit (rechte Satzklammer) vor der Produktion in Überlappung nicht mehr sicher ist. Sprecher nutzen daher diese Position regelmäßig aus, um Hintergrundinformation zu übermitteln, deren eventuelle Überlappung interaktiv unproblematischer wäre. Hintergrundinformation in Überlappung mit einem Rezipientensignal wird zum Beispiel in dem Redezug (59) produziert (vgl. Abschnitt 3.4.1.). (59') [H als die sie auf den Vortrag] [p angesprochen hat] [H während der Tagung ] Betrachtet man die prosodische Realisierung solcher Beispiele, so zeigt sich, daß Sprecher bei dieser Abfolge in optimaler Weise von dem internen Aufbau der Intonationsphrase Gebrauch machen können: Im Gegensatz zu der Position vor der bzw. den fokussierten Konstituenten können Hintergrundkonstituenten aufgrund eines Prominenzerhaltungsprinzips für Fokuskonstituenten und einer obligatorischen Endakzentstärkung bei mehr als einem Akzentton innerhalb der Intonationsphrase dann keinen eigenen Akzentton mehr erhalten, wenn sie nach der Fokuskonstituente realisiert werden (Uhmann 1991:227f.). Die F0-Kontur einer Intonationsphrase zeigt in einem solchen Fall durch Akzenttöne hervorgerufene F0Veränderungen auf den akzentuierten Silben bis zur Fokuskonstituente, danach ist die Kontur bis zum Grenzton flach:

33

Vgl. z.B. Jacobs (1988b) und Uhmann (1991).

^ Als kohärenzstiftendes Prinzip auf der Textebene wird diese An der Linearisierung unter dem Stichwort "Anschlußfunktion" auch in Motsch, Reis und Rosengren (1990:117f.) diskutiert. Für die umgekehrte Informationsverteilung argumentiert dagegen Givon (1988).

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(59) China 3 /N.

* als die sie auf den vortrag a: n ge sprechen hat während derTagung Hintergrundinformation enthalten auch die prosodisch integrierten Rechtsversetzungen mit einem pronominalen Bezugselement im Mittelfeld: (39) China l If und China 15 11/208 T: und jetz meinte die Frau Mutz, 209 ich müßt "dringend mit Hern 'Köhlersen reden, ((ausführliche Diskussion, warum das Gespräch notwendig geworden ist)) 15/283 T: *ich 'frag dich dann nochmal,* 284 weil: *nachher 'treff ich mich mit dem TCöhlersen*= -> 285 =mal 'sehn was das er'gibt das Ge 'sprach. Der Aufbau der Intonationsphrase erlaubt es aber auch, daß potentielle Konstituenten des Mittelfeldes zwar prosodisch integriert, nicht aber deakzentuiert werden. So können Sprecher die Fokuskonstituente, und damit die prominenteste Konstituente der Intonationsphrase, erst nach der Satzklammer produzieren: (58) China 22 428 T: in 'Malaysia is des so, —» 429 daß die 'Inder rüberkamen als "Gastarbeiter praktisch, Diese Konstituenten könnten vor möglichen Überlappungen geschützt sein, da in diesen Redezügen mit der Satzklammer zwar das Ende einer Konstruktionseinheit, aber nicht das ebenfalls antizipierbare Ende der Intonationsphrase erreicht ist (vgl. Auer i.E.). Darüber hinaus kann dieser Punkt oft auch aus semantischen Gründen nicht für einen möglichen Sprecherwechsel genutzt werden. Werden obligatorische Argumente im Anschluß an die rechte Satzklammer produziert, so kann diese vermutlich nicht einmal als Ende einer Konstruktionseinheit interpretiert werden: (49) China 6 -> 104 I: Und=es war zu wenig 'festgemacht an Text T>ei 'spielen. Auf der Suche nach Funktionen im Bereich der Informationsstrukturierung fällt auf, daß prosodisch integrierte, akzentuierte Konstituenten nach der Satzklammer, die in dieser Position zum Fokusbereich gehören müssen, als 'Fokusprojektionsverhinderer' fungieren können und isolierende Akzentuierung, d.h. die Bildung von zwei Akzentdomänen (AD), auch in den Fällen erzwingen, in denen bei der Position innerhalb des Mittelfeldes Integration zu erwarten wäre (Uhmann 1991:230ff.). (49') (a) [H Es ] [p [AD i war zu wenig 'festgemacht] [^2 an "Textbeispielen ]]. (b) EH Es ] [p [fij) war zu wenig an 'Textbeispielen festgemacht]].

347

(49'b) ist aber, wenn man von der Akzentuierung ausgeht, bezüglich der Fokus-HintergrundGliederung ambig. Bei dieser Akzentuierung (eine Akzentdomäne mit Akzentuierung des Fokusexponenten) ist auch die enge Fokussierung des Fokusexponenten eine mögliche Strukturierung. Die Akzentuierung in (49'd) hingegen ist nicht zulässig, weil über die Regel der Endakzentstärkung eine andere Konstituente als der Fokusexponent (hier festgemacht) zur stärksten Konstituente der Intonationsphrase würde: (49') (c) [H Es war zu wenig [F an 'Textbeispielen ] [H festgemacht], (d) *[H Es ] [p [ADI war zu wenig an 'Textbeispielen ] [^02 "festgemacht ]]. Die gewählte Form vermeidet Ambiguitäten der Fokus-Hintergrund-Gliederung und wird der Argumentation von I optimal gerecht. Eine weitere Möglichkeit zur Informationsstrukturierung, die von dem internen Aufbau der Intonationsphrase optimalen Gebrauch macht, findet sich in dem gerade diskutierten Beispiel (49) sowie in (61). Es handelt sich um die emphatische Hervorhebung fokussierter Konstituenten in Zeile 177: (61) China 9 —> 176 T: Ich 'muß übrigens heut noch zum 'Köhlersen °um 'drei°,= —» 177 =weils 'Schwierigkeiten gibt mit dem 'PeTdng'auf 'ent Tialt. Die über die Fokussierung hinausgehende besondere emphatische Hervorhebung dieser Konstituente und ihre besondere Relevanz für den Rezipienten und die Entwicklung des Themas wird durch ihre prosodische Realisierung "kontextualisiert".35 In Uhmann (1991:258f.) wurde gezeigt, wie durch eine intonationsphonologische Erhöhung der metrischen Prominenz phonetische Effekte, nämlich die Erhöhung des Tonumfangs des Akzenttons, erzielt werden können. Die Erhöhung der metrischen Prominenz kann nur auf einer Silbe durchgeführt werden, aber sie kann besonders am Ende der Intonationsphrase auch auf allen Silben der fokussierten Konstituenten angewendet werden. Als Resultat erhalten alle diese Silben einen eigenen Tonakzent. Auditiv wird eine so realisierte Konstituente mit silbenzählendem Rhythmus und mit besonders langsamer Sprechgeschwindigkeit wahrgenommen.36 Doch auch das Gegenteil kann durch prosodische Gestaltung erreicht werden: Sprecher können eine zum Fokusbereich gehörende Konstituente als weniger relevant für den Rezipienten und für die Weiterentwicklung des jeweiligen Themas kontextualisieren. Dies geschieht durch Deakzentuierung und Senkung der Lautstärke. Die Deakzentuierung wird über eine Absenkung der metrischen Prominenz und über den Verzicht auf die Zuteilung eines Akzenttons erreicht.

Mit dem Konzept der Kontextualisierung haben Cook-Gumperz/Gumperz (1976) einen Forschungsansatz entwickelt, in dem Kontext und Kontextwissen keine von der Interaktion unabhängigen Entiläten sind, die unidirektional auf die Handelnden Einfluß nehmen, sondern die Interaktanten bauen den Kontext mitnilfe von "Kontextualisierungshinweisen" (Prosodie, Code-switching etc.) zusammen mit ihren Handlungen auf und machen diese interpretierbar. Vgl. dazu auch Gumperz (1992). Zur Unterscheidung von akzent- und silbenzahlendem Rhythmus vgl. Auer/Uhmann (1988), zum Konzept der Relevanz vgl. Sperber/Wilson (1986) und zur Kontextualisierung vori Relevanzunterscheidungen durch Veränderung der Sprechgeschwindigkeit vgl. Uhmann (1992).

348 Beide Kontextualisierungsverfahren werden in dem Beispiel (61) nacheinander verwendet - als Teil desrezipientenspezifischenZuschnitts von Äußerungen und zur Erleichterung der Dekodierungsarbeit des Rezipienten: (61) China 9: 176 (niedrige Relevanz: -Emphase)

A. y ich muß heut übrigensnochzum Köh ler sen um

drei:

(61) China 9: 177 (hohe Relevanz: +Emphase)

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weite Schwierigkeiten gibt mit dem P e: :

k i n g a u f e n t halt

Ich möchte nun solche Mittelfeldentleerungen betrachten, die in einer eigenen Intonationsphrase realisiert werden. In diesem Fall ist die völlige Deakzentuierung nicht möglich, da der Aufbau einer wohlgeformten Intonationsphrase mindestens eine akzentuierte Silbe mit einem Akzentton erfordert. Sprecher haben aber auch hier die Möglichkeit, Stufen von Relevanz zu kontextualisieren. Sie tun dies, wie die Beispiele (82) und (68) zeigen, über die Ausdehnung des Tonumfangs (pitch range) der Intonationsphrase. Dabei stuft eine Verengung des Tonumfangs die Relevanz herab, während eine Erweiterung sie erhöht: (82) China 2 (enger Tonumfang: -Relevanz)

da·war ich zufällig im Ei:: s "ca:: f e::::

(0/5)

mitdem Kars ten

349 (68) China 11 (weiter Tonumfang: +Relevanz)

' ftl€V\f 4 unda habich das ge b u :: cht (0.4)

mit

vier Tage

Aufenthalt·

l , ·- f V ·» Pe : k i n g

Wie aber in Abschnitt 3.4.1. mit Beispiel (63) und in Abschnitt 3.4.2. mit den Beispielen (70) und (44) gezeigt wurde, sind gerade die in einer eigenen Intonationsphrase produzierten fokussierten Konstituenten durch das Erreichen der rechten Satzklammer überlappungsgefährdet. Doch auch hier zeigt eine genauere prosodische Analyse, daß mögliche Überlappungen dieser fokussierten Konstituenten mit dem Beginn eines nächsten Redezugs systematisch vermieden werden können. Das ist nämlich dann möglich, wenn die Konstituenten außerhalb der Satzklammer von den Sprechern, wie in den Beispielen (82) und (68), nicht in direktem Anschluß an die Satzklammer, sondern erst nach einer kurzen Pause produziert werden. Nach dieser Pause ist der übergaberelevante Zeitraum verstrichen, ohne daß ein anderer Geprächsteilnehmer über Selbstwahl einen nächsten Redezug begonnen hat (vgl. Regel (Ib) in Abschnitt 3.4.1.). Nach den Regeln der Redezugverteilung hat der gegenwärtige Sprecher nun die Möglichkeit, seinen Redezug fortzusetzen (vgl. Regel (Ic) in Abschnitt 3.4.1.). Darüber hinaus ist auch die Wahl des intonationsphrasenfinalen Grenztons wichtig. Betrachtet man nämlich das in Abschnitt 3.4.1. vorgestellte Beispiel (63) und die Beispiele (70) und (44) aus Abschnitt 3.4.2., so zeigt sich, daß Überlappungen genau dann vorkommen, wenn die Sprecher potentielle Konstituenten des Mittelfeldes nach einem tiefen Grenzton in einer eigenen Intonationsphrase in direktem Anschluß realisierten: Ohne Pause zwischen den Intonationsphrasen werden sie im übergaberelevanten Raum und in Überlappung mit dem Beginn des nächsten Redezugs produziert.

4.

Zusammenfassung

Ein erstes Ziel dieses Beitrags war die Beantwortung der Frage, inwieweit die von Jacobs und Hawkins entwickelten Modelle zur Analyse von Wortstellungsabfolgen im Mittelfeld auch für den Bereich konversationeller Daten aus natürlichen Konversationen einschlägig und aussagekräftig sind. Zu diesem Zweck wurden 290 Mittelfelder quantitativ ausgewertet und in bezug auf ihre Mittelfeldbesetzung analysiert. Es zeigte sich, daß Mittelfelder in natürlichen Konversationen Eigenschaften aufweisen, denen die anhand von Beispielsätzen oder literarischen Texten entwickelten Modelle nicht gerecht werden. So enthalten 64% aller Mittelfelder mindestens eine Pro-Form, während nur 3,4% mehr als ein nicht-pronominal realisiertes Ar-

350 gument enthalten. Auch unter Mitberücksichtigung der Modifikatoren erhöht sich die Anzahl nur auf insgesamt 13%. Mehr als zwei nicht-pronominale Stellungsglieder im Mittelfeld sind in dem gesamten Korpus nur in 4 Redezügen (1,3%) zu finden. Potentielle Satzglieder des Mittelfeldes werden statt im Mittelfeld in 25% der untersuchten Redezüge erst im Anschluß an die rechte Satzklammer realisiert. Während sich Jacobs' Modell auf diesen Datenbereich nicht mehr anwenden läßt, müßte sich Hawkins mit seinem produktions- und perzeptionsorientierten Modell gerade an solchen Extrapositionsdaten aus natürlichen Konversationen messen lassen. Seine These, die syntaktische Komplexität und die Verbesserung der EIC-Werte mit dem Ziel, dem Rezipienten ein möglichst effizientes Parsen zu ermöglichen, sei der entscheidende Faktor bei der Realisierung der linearen Abfolge der Stellungsglieder, müßte auch für Mittelfeldentleerungen einschlägig sein. Die Analyse der Daten hat ergeben, daß von 56 Mittelfeldentleerungen in 52 Fällen eine Verbesserung der EIC-Werte erzielt wird, diesen stehen jedoch 39 Fälle gegenüber, bei denen die Sprecher auf eine mögliche Mittelfeldentleerung und damit auf die Möglichkeit zur Verbesserung der EIC-Werte verzichtet haben. Hawkins' Hypothese, die Verbesserung der EIC-Werte sei die treibende Kraft bei der Veränderung der linearen Abfolge von Stellungsgliedem, konnte für diesen Datenbereich nicht bestätigt werden. Der zweite Teil der Untersuchung sollte über die Analyse der spezifischen interaktiven Bedingungen natürlicher Konversationen eine Antwort auf die Frage geben, warum Konversationsteilnehmer Mittelfeldentleerung vornehmen oder warum sie darauf verzichten. Mit der rechten Satzklammer - so konnte gezeigt werden - hat der Redezug eines Sprechers das Ende einer Redezugkonstruktionseinheit und damit einen konversationellen Ort erreicht, an dem ein Sprecherwechsel aufgrund der Antizipierbarkeit des Endes von Konstruktionseinheiten in "recognitional terminal overlap" (Jefferson 1980) vollzogen werden kann, wenn nach der Satzklammer weitere potentielle Konstituenten des Mittelfeldes produziert werden. Dieser Nachteil wird aber durch Funktionen im Bereich der Reparaturorganisation und der Informationsstruktur ausgeglichen. Die Vielfalt dieser Funktionen zeigt sich allerdings erst bei einer sorgfältigen Analyse der prosodischen Realisierung. Die in der Übersicht (74) in Abschnitt 3.3. vorgenommene einfache Unterscheidung zwischen Mittelfeldentleerungen, die in einer eigenen Intonationsphrase realisiert werden, und solchen, die prosodisch integriert werden, muß für die Konstruktionstypen, die kein Bezugselement im Mittelfeld aufweisen, weiter differenziert werden, weil prosodisch integrierte deakzentuierte und prosodisch integrierte akzentuierte Konstituenten außerhalb des Mittelfeldes funktional nicht äquivalent sind. Bei der prosodischen Selbständigkeit wird der Tonumfang der Intonationsphrase zur Funktionsdifferenzierung ausgenutzt. Wie die Übersicht (83) zeigt, lassen sich den neun verschiedenen Formtypen erst durch eine genaue Intonationsanalyse konversationsanalytische Funktionstypen zuordnen:

351

(83) INTONATION

SYNTAX g ^ 8 y/^ 13 uo X 3 \ pg