Wort und Geschichte: Kleine Theologie des Hebräerbriefs [1 ed.] 9783666516429, 9783525516423


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Wort und Geschichte: Kleine Theologie des Hebräerbriefs [1 ed.]
 9783666516429, 9783525516423

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Joachim Ringleben

Wort und ­ Geschichte Kleine Theologie des Hebräerbriefs

Joachim Ringleben

Wort und Geschichte Kleine Theologie des Hebräerbriefes

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.de abrufbar.

 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-51642-9

Scrutamini scripturas1

Vorwort

Die vorliegende Theologie des Hebräerbriefs versucht, den auctor ad Hebraeos als einen (neben Paulus und Johannes) theologisch hochkarätigen Denker ernst zu nehmen und zwar als sprachtheologischen Denker des Redens Gottes in H.Schrift und (Heils-)Geschichte. In meiner systematischen Interpretation sollen die theologischen Implikationen des Eingangssatzes (Exordium) 1, 1 und 2a sachlogisch expliziert werden, die im Text eher sukzessiv bzw. an späteren Stellen des Schreibens vorkommen2 ; dabei fällt die theologische Sachlogik im Hebr weitgehend mit einer Logik des Sprachlichen zusammen3 ; das wird insbes. bei dem Verfahren der Typologie bemerkbar werden, das hier ganz worttheologisch begriffen werden soll. Nach meiner Jesus-Darstellung (2008) und der Deutung des Vierten Evangeliums (2014) lege ich einen weiteren Versuch vor, das Verfahren einer „sprachlichen Auslegung“ (in gewissem Unterschied zu der historisch-philologischen Exegese) zu erkunden4. In einer Auslegung von der Sprache her geht es um die Sprachlichkeit von (theologi1

Inscriptio des Siegels der Theologischen Fakultät Kiel. Diesem Motto entspricht im Hebr insbes. c. 11. 2 Cf. z. B. D. Wider, Theozentrik und Bekenntnis (1997), 16 u. 21. 3 Das zu beachten, bedeutet u. a., gewisse in der Forschung bei der „Typologie“ leitende Alternativen (wie z. B. Einheit / Überbietung; Abwertung / Bejahung) von der Einsicht in die sprachliche Logik her zu überholen. Ganz unsprachlich fällt hingegen die Exegese von D. Wider aus, der nur abstrakt von „worttheologisch“ redet. 4 Von den Fachleuten für das Neue Testament kommt ihr m. E. Adolf Schlatter noch am nächsten. Cf. hier einschlägig: Der Hebräerbrief (19983); (Erläuterungen zum Neuen Testament. 2. Teil).

6

Vorwort

schen) Gedanken als solche5. In einer solchen Auslegung, wie der von mir versuchten, begegnen sich Dogmatik als „historische Disziplin“ (F. Schleiermacher)6 und Exegese als „konsequente Exegese“ (E. Jüngel), die in solcher Begegnung es wirklich wird. Was meint „sprachliche Auslegung“ (1.) und inwiefern ist sie beim Hebr angezeigt (2.)? (1.) Diese Auslegungsweise will mehr sein als die rein historischphilologische, die weithin von der Erklärung einzelner Wörter (Begriffe) und deren historisch-theologischen Zusammenhängen ausgeht. Das sprachliche Auslegen geht grundlegend den innersprachlichen Bezügen von Sätzen nach und ist so verstehender Nachvollzug der bestimmten Textgestalt als einer immanenten Artikulationsbewegung der Sache selber, um die es geht7. Zugleich ist es ihm darum zu tun, die sprachlich bedingten, gedanklichen Zusammenhänge so verdichtet wie möglich zu begeifen8. Es ist damit spezifisch textnah, weil genuin auf die sprachliche Verfasstheit seiner Texte (und so ihrer theologischen Themen) bezogen. Es kommt darauf an, das Gesagte „beim Wort zu nehmen“ und so den Gedanken zu erfassen9. Sprachliche Auslegung ist „hörende Vernunft“ (cf. 1Kön 3, 9). 5

Dabei ist die Sprachlichkeit alles Denkens vorausgesetzt bzw. die Gedanklichkeit des Sprechens, und eben dies macht die biblischen Texte systematisch anschlußfähig. 6 Dies durch ihren Ausgang von der Sprache der Bibel und der Tradition. Cf. meine diesbezügliche Auseinandersetzung mit Schleiermachers These in: ZNThG (JHMTh) 16 (2009), 155–180. 7 Die hier intendierte sprachliche Auslegung gehorcht einem Denken, das sich beispielsweise auf W. v.Humboldt berufen kann; die historisch-kritische Exegese bleibt dem als ein vorläufiges Moment eingeordnet. Spricht O. Michel mit Bezug auf J.Chr.K. v.Hofmann von dem „Versuch, … aus einem Sachzusammenhang heraus einen Text zu verstehen“ (Meyers Krit.-exeg. Kommentar (19559), 71), so ist jener freilich nur aus diesem Text zu erheben bzw. in diesem dargestellt, aber doch in ihm von ihm zu unterscheiden. 8 Dem entspricht, dass der Hebr eine „im ganzen NT nach Intensität und formaler Ausgefeiltheit vergleichslos dastehende Schriftauswertung“ bietet (Goppelt, Theologie des Neuen Testaments (Hg. J. Roloff; 19853), 580). 9 S. beispielsweise u. 13.2.7.1. (zu 10, 1). Für das „beim Wort Nehmen“ ist

Vorwort

7

Bei diesem Auslegungsverfahren gewinnen die sprachlich zugänglichen und jeweils in Rede stehenden Sachverhalte selber sprachlichen Charakter. In der Sprachlichkeit der Auslegung reflektiert sich die ihrer Themen, d. h. deren Logos-Charakter10. (2.) Eine solche dezidiert sprachliche Auslegung ist der Theologie des Hebr spezifisch angemessen11. Denn sein eigentliches Thema ist das Reden Gottes in H.Schrift (Alten Testamentes), Gottesgeschichte und christlicher Gegenwart. Es geht ihm in im NT einzigartiger Konzentration darum, wie göttliches Wort und seine Geschichte das Christusereignis theologisch zu denken ermöglichen12. In diesem Sinne will der Hebräerbrief „Erkenntnis der Wahrheit“ sein (10, 26). Eben darum setzt dies Schreiben auch gleich zu Beginn mit einer programmatischen Aussage über das göttliche Sprechen in der Geschichte ein; bei ihr hat unsere Interpretation zu beginnen13, und von ihr aus gewinnt sie selber den sprachlichen Fokus dieser eigentümlichen Wort-Theologie. Göttingen, 2017–2018

J.R.

freilich auch die Einsicht von M. Theobald von Relevanz, nach der die eigentliche und erste Wirklichkeit des Gesprochenen (hier) etwas Ewiges ist, noch jenseits der Vertextung, und die Textualisierung (als zugleich Kontextualisierung) nur eine abgeleitete Aussage, wie z.B. Hebr 10, 5c (die Inkarnation ist hier im davidischen Psalm sekundär), (Theobald, Vom Text zum „lebendigen Wort“ (BZNW 86), 786). 10 Die theologische Voraussetzung dabei ist: Gott entspricht sich selber in seinem Wort, sprachlich. 11 „Der Hebr erfordert ein bemerkenswertes Zutrauen zur Sprache, genauerhin zur griechischen Sprache“ (M. Karrer, Ök. Taschenbuch-Kommentar zum NT 20/1 (2002), 11 u. 60) 12 Dies gilt freilich in anderer Weise auch für den „Logos“ des Vierten Evangeliums. 13 Cf. meinen früheren Aufsatz: Wort und Geschichte im Hebräerbrief; in: J.R., Arbeit am Gottesbegriff I (2004), 263–278; zu Hebr 1, 1 u. 2a bes. 262f u. 265.

Inhalt

Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz) . . . . . . . . 1. og qeo´&: Hebr 1, 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 ‚ 2. en uig w2 : Hebr 1, 2a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Logik der Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 13 15 19

II. Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Worthafte Existenz (Gottes Menschensohn) . . . . .

27 27

III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube . . . . . . . . . . 5. Der redende Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der wortbezogene Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Der ewige Herr des Glaubens (12, 2) . . . . . . . . . . . 8. Die Wolke der Zeugen (12, 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Wort und Glaube in ihrer Geschichte (11, 4–38) . .

43 43 55 67 71 73

IV. Eschatologie des Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Geschichtliche Existenz als eschatologisches Unterwegssein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

I.

V.

Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie) . . . . . . . . . 11. Typologie als geschichtliches Wort . . . . . . . . . . . . . 12. Systematische Näherbestimmungen . . . . . . . . . . . . 13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10) . . . . . . . .

93 119 120 122 136

Ausgewählte Literatur zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

I. Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz)

Der Hebr beginnt damit, dass er in einem kunstvollen Satz die Theologie der Bibel zusammenfasst und so die grundlegende theologische Erkenntnis des Alten Testamentes und des Neuen Testamentes – in ihrem wirklichen Unterschied und ihrem wahren Zusammenhang – systematisch rekapituliert. Das besagt, er beginnt mit einem Resümee der Offenbarungsgeschichte, d. h. der Geschichte als Offenbarung bzw. der Offenbarung als Geschichte in biblischer Sicht. Mit Hebr 1, 1f wird allem Folgenden ein dezidiert theologischer Satz vorangestellt, der Gott als den Redenden bestimmt (deus loquens). Dieser Gott wird sogleich (1, 2a) als der Gott des christlichen Glaubens (der Gott des Sohnes) identifiziert, und nur so – als im AT und in Jesus Christus Redender – kommt Gott zur Sprache, d. h. exklusiv. Damit ist schon das eine große Sachthema des ganzen Hebr benannt: der wahre Gott in seinem Wort bzw. im Sprechen dieses Wortes, Gott in seinem Reden zu uns1. So stellt der Hebr auch sein 1

Die vom Hebr als Wort Gottes ausgezeichneten Sprachereignisse haben vielfache (miteinander zusammenhängende) Redesubjekte und sind 7 daher im Text selber polume1w& kai` polut1o´pw&. Als Sprecher werden 7 ‚ 7 ausgewiesen: I. og qeo´& selber (1,1f; 12, 25): 1. toi& pat1a´sin en toi& p1ofh´tai& (1, 1; 8, 8ff); 2. zum Sohn (5, 8. 10–13) bzw. über ihn (6); 3. zu ‚ 7 ‚ den a´ ggeloi (1, 7); 4. zu „uns“ en uig w2 (1, 2a); 5. Gott durch den ku´1io& (für ‚ uns), (2, 3b); 6. durch Mose (9, 19f: enetei´lato); 7. Gott zusätzlich durch ‚ sein Handeln (2, 4); II. der göttliche lo´go& durch die a´ ggeloi (zu uns), (2, 2 u. 1); III. der ku´1io& (2,3b); IV. ein biblischer Autor (ti&), (2, 6); V. der Sohn: 1. zu Gott (2, 12 u. 13); 2. zu „uns“ (2, 12); VI. der H.Geist (3, 7; 10, 15) bzw. ‚ dieser en Daui´d (4, 7); VII. die Engel (2, 2); VIII. die „Lehrer“ des Wortes Gottes in der Gemeinde (13, 7); VIII. Mose (21, 21b); IX. der Hebr selber

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I. Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz)

eigenes, hier beginnendes Reden in den Horizont von Gottes eige7 7 nem Reden: als qeologi´a vom lo´go& tou qeou2. Grundsätzlich gilt dabei: Das, wovon alles theologische Reden, alle Verkündigung und Paraklese auszugehen hat, ist der grundlegende Sachverhalt, dass Gott definitiv in Jesus Christus geredet hat – mit letztgültiger Bedeutsamkeit3. Doch die Unmittelbarkeit, mit der dies ausgesprochen und zur Geltung gebracht wird, ist – wie die mit dem Nebensatz v. 1 anfangende und dann erst zur Hauptaussage v. 2 übergehende Satzkonstruktion an ihr selber zeigt – vermittelt durch eine lange Vorgeschichte göttlichen Redens. Dabei begreift der Hebr das einstige Reden Gottes vom gegenwärtigen aus und umgekehrt das gegenwärtige Geredethaben (im Sohn) als inneres Ziel des vergangenen. Die Gegenwart des lebendigen Gottes erschließt sich von einer spezifischen (alttestamentlichen) Vorgeschichte aus, an die anknüpfend und von der sich abstoßend das gegenwärtige christliche Selbstverständnis zu seiner Identität findet4. Demgemäß hat Gott in seiner Offenbarung zur Geschichte (insbes. Israels und der Christen) ein sprachliches Verhältnis, indem er durch sie und in ihr in Vergangenheit und Gegenwart zu und mit dem Menschen redet. Das ist die erste und für alles weitere grundlegende Mitteilung des Hebr. Gott ist als Gott der 7 redende Gott (og lalwn, 12,25)5. (speziell) an die Leser (2, 5; 4, 13; 5, 11; 6, 1; 11, 32: le´gw). Sein lo´go& (pe1i` 7 C1istou, cf. 5, 11 u. 6, 1) ist nicht automatisch oder unwiderstehlich wirksam, sondern eine entscheidende „hermeneutische“ Bedingung dafür 7 ‚ 7 ist, dass die Angeredeten nicht nwq1oi` tai& akoai& sind. 2 Dem entsprechend kann gesagt werden: „Das Heilsgeschehen als solches ist Logos“ (E. Grässer, EKK 17/1 (1990), 50). 3 Die pa1a´klhsi& ist auch immer worthaft (cf. 12, 5; 13, 22b). 4 Auch hier gilt ein wechselseitiges Sichbestimmen: „diese Identitätsdeutung vollzieht sich wie jeder Gewinn von Identität im Medium der Aneignung einer Vergangenheit unter Deutung dieser Vergangenheit mittels eines vom Ergebnis dieser Vergangenheit (der Gegenwart) her bestimmten Schlüssels“ (N. Slenczka, Die Kirche und das Alte Testament; in: E. Gräb-Schmidt / R. Preul (Hgg.), Das Alte Testament in der Theologie. Marburger Jahrbuch Theologie XXV (2013), 112). ‚ 5 Cf. auch og lalh´sa& (5, 5) und og epaggeila´meno& (10, 23; 11, 11b). Wie

1. og qeo´&: Hebr 1, 1

13

1. og qeo´&: Hebr 1, 1 Von dem einen Gott des biblischen Glaubens ist die Rede und von ihm – noch bevor er traditionell als Schöpfer oder Vater bestimmt wird – mit dem partizipialen, wesentlichen und alles bestimmenden Prädikat des Redenden (lalh´sa&)6. Sein Reden ist mithin auch ein von sich Reden, sich sprachlich Erschließen, und Gottes Offenbaren bzw. Sichoffenbaren ist entscheidend im Wort zu vernehmen7. Die Einheit des redenden Gottes mit sich wird indes als eine in sich differenzierte Einheit bestimmt8, indem die zwei Perioden göttlichen Redens (in Vergangenheit und in der Gegenwart) in einer in sich differenzierten „Periode“ (1, 1–2a) zum Ausdruck gebracht werden. Systematisch ist dieser Zusammenhang (1 u. ‚ im ersten Satz die Verbformen lalh´sa& und ela´lhsen dominieren (1 u. 2a), so ist auch alles sonstige Handeln Gottes (z. B. sein Wirken in Israel, die Sendung des Sohnes, Wundertaten etc.) spezifisch von seinem Reden her gedacht. Das ist verdichtet in dem Doppelsinn des hebr. Wortes L5)¦7), an7 gelegt (= Wort und Geschehen; cf. Lk 2, 15: to` 1g hma to` gegono´&). Weil Gottes Wort immer schaffendes Wort ist, gilt: „Er spricht und es geschieht“ 7 (Ps 33, 9; cf. auch Hebr 1, 3b; hier interpretieren sich 1g hma und du´nami& ‚ gegenseitig). Auch die auf ela´lhsen (2a) unmittelbar folgenden Verbfor‚ ‚ men (e´qhken (2b) und epoi´hsen (2c)) sind als Handeln Gottes nach innen und nach außen in Einheit mit seinem Sprechen zu verstehen. Sofern dies auch sein Sprechen im Sohn ist, ist dessen Werk und Sein tendentiell schon Gottes letztes Wort, und sein Reden spricht Gottes Wort zuende, indem er sein Wort zuendeführt und sich dabei „ausredet“. So ist Christus in Person „Gottes Wort“ schlechthin als Inbegriff alles seines Tuns. Alle diese Aus‚ sagen über Gott wie sein Reden selber sind wesentlich auf akoh´ bezogen (4, 2; cf. 5, 11; Gal 3, 12; Röm 10, 17). 7 6 Mit lalein (und nicht le´gein = erzählen, inhaltlich aussagen) ist programmatisch das Sprechen und die Sprachfähigkeit (im Unterschied zum Schweigen) betont, d. h. der Akt worthaften Aussichheraustretens Gottes (ThWbNT III, 586 (Oepke) und IV, 75f (Debrunner)). 7 Nach K.Ph. Marheineke ist es die ursprüngliche Bestimmung Israels gewesen, „das horchende Ohr der göttlichen Offenbarung“ zu sein (Grundlehren der christlichen Dogmatik (18272), 85; § 143). 7 7 7 7 ‚ ‚ 8 Cf. Kol 1, 25: kata` th` n oikonomi´an tou qeou …. ei& ug ma& plh1wsai 7 7 to` n lo´gon tou qeou.

14

I. Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz)

2a) – sprachlich und theologisch – als nur ein Gotteswort zu begreifen, nämlich als die kontinuierliche Sequenz von Gottes Sprechen in einem göttlichen „Satz“9. Die Einheit des Redens des ewigen Gottes stellt sich über die sukzessive Entfaltung von 7 ‚ 7 Unterschieden (polume1w& kai` polut1o´pw& … en toi& ‚ p1ofh´tai&, 1a) her10 und bestimmt dabei vom Ende her (ep’ ‚ esca´tou…, 2a) auch den Anfang dieses Satzes definitiv ; dies entspricht genauestens der Dialektik eines sprachlichen Satzes11. Die Einheit des göttlichen Redens ist hier „artikuliert“ (!) als Prozess der Ausbildung von Vielfalt (1a), die auf eine letzte zusammenfassende Einheit hinläuft (2a), so dass der göttliche Satz als Darstellung der sukzessiven Integration eines Ganzen zu denken ist, das sich dabei (dialektisch) herausbildet. In diesem sprachhaften Sinn erscheint hier Gottes ewiges Wort als Geschichte12.

9 Es geht als nicht um zwei Gottesworte! Zur Auffassung von Sätzen als singuläres Wort bei B.H. Smart cf. HWbPh 12, 1027f. 10 Die Unterschiede des polu´… gehen dabei zurück in den einen Un7 ‚ terschied von pa´lai und (einmal) en uig w2 . Der Diskontinuität zwischen den Propheten und Vätern einerseits (1, 1) und dem Kommen des Sohnes (2a) entspricht typologisch dann der Bruch in der Genealogie des Priestertums (7, 13f; cf. auch Act 13, 32f), wodurch das Priestertum von der Erde in den Himmel verlagert wird (c. 8, 4f). Zu den Propheten s. u. II. Anm. 73. 11 Zur Dialektik des Satzes cf. genauer J. Stenzel, Philosophie der Sprache; in: Handbuch der Philosophie (SD 1934), 14ff; 44f u. 48f. 12 Nach Bonaventura zerlegt sich das ewige Wort in den Worten der Propheten bis hin zur Inkarnation (I Sent. d.15, p.2, q.1 ad 3.; Opera I, 271). Sachlich zutreffend, aber unsprachlich heißt es bei K.Barth zu Hebr 1, 1f: dass die Offenbarung „bei aller Verschiedenheit auch als Einheit zusammen gesehen wird … Gottes Sprechen, die Väter und wir als seine Adressaten – das ist offenbar ein geschlossner Kreis“ (KD IV/3 (1.Hälfte), 104). Sprachnäher : „er tat es [sc. zu sprechen], indem kraft der Einheit und Einzigkeit dieses Abschlusses [sc. im Sohn] auch das Vielmalige und Vielfältige seines zuvor anhebenden Sprechens als ein Einziges bestimmt und sichtbar ist“ (ebd.).

7 ‚ 2. en uig w2 : Hebr 1, 2a

7 ‚ 2. en uig w2 : Hebr 1, 2a

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Mit dem „Sohn“ ist der Höhepunkt und Abschluss der einleitenden Satzkonstruktion des Hebr erreicht. Weil Jesus Christus das endgültige Wort Gottes ist, ist die Gottesrede hier strukturell christologisch13. Christus ist gleichsam das letzte Wort des einen göttlichen Satzes, in dem dieser Satz seinen definitiven Sinn findet14. Erst der Sohn ist Gottes letztes, eschatologisches Wort, und mit ihm hat Gott sich vollendend und vollendet ausgesprochen15. Gottes Reden „im Sohn“ wirft im Rückblick ein klärendes 7 Licht auf das polume1w& kai` polut1o´pw& des Anfangs (1a), das sich im einfachen Reden am Ort des Sohnes abschließend konzentriert16. Die Polymorphie und Polyphonie von Gottes vorausgehendem „anthropomorphen“ Reden gewinnt den entscheidenden Fokus als Reden Gottes in seinem Sohn als „theomorph“ (1, 3a). V. 2a setzt ein Reden Gottes voraus, als dessen Wahrheit es im Sohn zu sich kommt (10, 7) – eine Wahrheit, die von Gott selber heraufgeführt worden ist (cf. 8, 2) und als solche erkannt werden kann17. So kann die Logik des auf sich Zulaufens 13

Cf. H.F. Weiß, Meyers Krit.-exeg. Kommentar (1991), 140. Das Verständnis von 1, 1–2a als eines ganzen Satzes göttlicher Rede ist u. a. auch dadurch im Text des Hebr begründet, dass Jesus zugleich der „Anfänger“ und „Vollender“ des Glaubens ist (12, 2), also das bei den Vätern verborgene (cf. 1, 1 mit 11, 25) und bei uns offenbar gewordene, eine und ewige Wort Gottes selber in Person, auf das deren und unsere pi´sti& in Wahrheit bezogen ist (4, 2 u. 6b; cf. 11, 39). Das entspricht der Weise, wie das letzte Wort einen ganzen Satz sinnbestimmend übergreift: eben so übergreift Jesus Christus die Vergangenheit und Gegenwart göttlichen ‚ ‚ ‚7 Redens (ecqe` & kai` sh´me1on) für alle Ewigkeit (ei& tou` & aiwna&, 13, 8). ‚ 15 Es ist die a1ch´ der swth1i´a (2, 39). Mit 1, 1 korrespondiert die ‚ Schwäche des no´mo& (bzw. der entolh´), von der 7, 18 u. 19a die Rede ist; dem steht gegenüber die Stiftung der k1ei´ttwn diaqh´kh durch Jesus als ‚ ihren mesi´th& (8, 6b) und e´gguo& (7, 22). 16 Demgemäß ist auch Gottes Reden in den Propheten ug po´deigma kai` 7 ‚ skia´ seines Redens im Sohn, d. h. eines Redens twn epou1ani´wn (8, 5; cf. 10, 1); cf. auch 9, 9: pa1abolh´. 7 ‚ ‚ 17 Cf. 10, 26: epi´gnwsi& th& alhqei´a&. Die Rede von Wahrheit bzw. von Wahrem tritt im Hebr (etwa im Vergleich mit Joh) nicht allzu häufig auf, 14

16

I. Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz)

von Gottes eigenem Wort als solchem (bzw. Gottes in seinem Wort) formuliert werden: „Mein Sohn, in allen Propheten erwartete ich dich, daß du kämest und ich in dir ruhte“18. Das „vielfältige und vielgestaltige“ und auf „vielerlei Weise“ ereignete Reden Gottes (1a) besagt nicht nur eine quantitative Mannigfaltigkeit, sondern entspricht dem äußeren und inneren Reichtum des AT. So wird gleich zu Beginn des Hebr der redende Gott als lebendig (3, 12; 9, 14 u. ö.) charakterisiert; dies ist er auch darin, dass er ebenso in Vergangenheit wie in der Gegenwart sein – selber „lebendiges“ (4, 12) – Wort gesprochen hat und spricht, sowie weiterhin darin, dass er einen „Sohn“ hat (2a). Dieser Reichtum schließt ein, dass es auch auf verschiedene Art und Weise so etwas wie „Wort Gottes“ gibt; die grundlegenden Modi im Hebr sind (1) der Modus des verbalen Redens (durch Schrift und Propheten, im Sohn u. a.) und (2) der Modus geschichtlicher Figurationen; d. h. der „Typologie“ als sprechendes göttliches Handeln in der realen Heilsgeschichte. Der Hebr denkt das Christusereignis als Gottes endgültiges, d. h. eschatologisches Wort in Jesus (cf. 1Petr 1, 20b). So ist dieser als der „Erbe von allem“ (2b) das letzte Wort und so unüberbietbar das Wort, d. h. er ist das, was der lo´go& von Joh 1,1 u. 14 7 7 bzw. der lo´go& tou qeou von Apc 19, 13 ist. Er ist, im Unterschied zu Gottes mannigfaltigem Reden im Alten Bund, das letztgültige Wort und so ein nur einmal ergehendes Wort, d. h. aber, er ist das ‚ Wort efa´pax (cf. 7, 27; 9, 12; 10, 10 u. ö.)19. Einmal und so ein für allemal ist er, was er ist, durch sein Leiden und seinen Tod am aber 1. an für dessen Theologie signifikanten Stellen und so 2. auch unter der Textoberfläche für das Gesamtverständnis wichtig und sogar unverzichtbar (Typologie). Jedenfalls wird sich mehrfach zeigen: es handelt sich bei diesem Wahrheitsanspruch um ein integrales Motiv des Hebr. 18 Hebr.-Evangelium, Bruchst. 2 (Wort des H. Geistes bei Jesu Taufe); in: W.Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen I (19906), 146. Cf. Sir 24, ‚ 7 7 u. Hebr 1, 1a: en toi& p1ofh´toi&. Zur kata´pausi& (Hebr 3) cf. u. 10.7. 7 19 Gilt vom theologischen Reden des Hebr über ihn: polu` & hg min og lo´go& 7 (5, 11a), so ist das kein erneutes polume1w& kai` polut1o´pw&; sondern der christologische lo´go& ist einer, d. h. wesentlich einfach, aber wegen seiner eschatologischen Fülle unerschöpflich reich, und deren Ausdruck sind z. B. 7 7 ‚ 7 7 auch die stoiceia th& a1ch& twn logi´wn (5, 12b u. 6, 1f).

7 ‚ 2. en uig w2 : Hebr 1, 2a

17

Kreuz (cf. 9, 26) und so das wirkliche zeithaft-geschichtliche Reden des ewigen Gottes (cf. 2, 3). 7 ‚ ‚ Indem Jesus Christus Gottes Wort (für uns) ep’ esca´tou twn 7 hg me1wn tou´twn gewesen ist (2a), ist er in Person das eschatologische Reden des lebendigen Gottes, und mithin entspricht 7 ‚ seinem Erscheinen die suntelei´a twn aiw´nwn (9, 26; cf. 10, 20 37) . Von dem „letzten dieser Tage“ ist hier auch im Unterschied ‚ zu bzw. im Bezug auf ta` & hg me´1a& ekei´na& die Rede (cf. 8, 10a; 10, 16; Jer 31, 33). Dieser „letzte Tag“ göttlichen Sprechens nahm ‚ seinen Anfang (a1ch´)mit Jesu eigenem Reden (cf. u. zu 2, 3), und das Kommen Christi ist die wahre Erfüllung des göttlichen Willens (10, 9a u. 7a)21. Wegen der Unüberholbarkeit des eschatologischen Gotteswortes im Sohn22 hat das pa´lai (vorzeiten, ehemals, seit alters) von Gottes vorchristlichem Reden (im AT) auch den Index des 7 Alten23. Das pa´lai der Gottesrede schlägt am Ende um zum nun „am letzten dieser Tage“ als dem Erscheinen des Sohnes24. Somit sind die pate´1e& (1a) Väter, weil „wir“ in der Geschichte des göttlichen Redens von ihnen herkommen; sie sind auch die p1esbu´te1oi (11, 2). Fragt man, was der Übergang von Gottes Reden durch die Propheten zum Reden im Sohn für sein Reden als Reden bedeutet, so ist zweierlei schon hier festzuhalten. Einerseits (formal) bringt im eigenen Sohn als seinem letzten Wort Gott als das Subjekt seines Redens sich in diesem Reden (als einer Selbstunterscheidung) selber zur Wirklichkeit, d. h. er offenbart sich definitiv als selbst der Sprechende und mit seinem 20

g´ pax (9, 26) entspricht das große „Heute“ (cf. 3, 7) bzw. der Seinem a ‚ entscheidende kai1o´& (9, 9f); cf. auch 2, 3. Es bzw. er wird eingeleitet ep’ 7 7 ‚ ‚ esca´tou twn hg me1wn tou´twn und gilt kaq’ eg ka´sthn hg me´1an, a´ c1i& …to´te, d. h. bis das Eschaton kommt (3, 13). Im Weitersprechen als Wort des H.Geistes bleibt es präsent (cf. 3, 7 u. 15). 7 21 Von da aus muss auch die Opposition p1wton – deu´te1on (9b) verstanden werden; s. u. 3.1. ‚ 22 Cf. 7, 24: apa1a´baton (mit 1, 11a u. 12 c). 23 Das aber nicht im rein chronologischen Sinn; s. u. zu 8, 13b: palaiou´menon (3.2.) u. 10, 9b (3.1.). 24 Dies Umschlagen entspricht der Dialektik von Satz und letztem Wort.

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I. Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz)

Reden ganz Identische. Denn in seinem Sohn ist Gottes Reden unüberbietbar mehr sein eigenes bzw. ihm „eigentümlicher“ als im Medium anderer Sprecher (wie z. B. den Propheten); hier nun redet er als er selber und redet selbst – im eigenen Sohn. Die Voraussetzung für dieses Reden in dem starken Sinn von Gottes selbsteigenem Wort in seinem wahren Sohn ist dessen Inkarna7 tion (10, 5b). Gott ist jetzt endgültig selber og lalwn (12, 25a). Andererseits (inhaltlich) redet er, statt „zu den Vätern“25 jetzt „zu uns“ durch den Sohn – als selber „der Vater“. Mithin begegnet er „uns“ nicht mehr nur vermittelt durch die „Väter“, 7 sondern im Sohn als der Vater selbst für uns (cf. ug pe` 1 hg mwn)26. 7 7 ‚ ‚ Genau in dieser Hinsicht markiert das ep’ esca´tou twn hg me1wn tou´twn die Vollendung des göttlichen Redens als solchen27. Im Hebr ist der Sohn Gottes Jesus von Nazareth als das wahre „Siegel der Propheten“, und dies worttheologisch, begriffen (und nicht Mohammed)28. Darum gilt auch hier : „Dies ist mein geliebter Sohn, auf den sollt ihr hören“ (Mk 9, 7b parr.). 7 Diese Zielrichtung bestimmt das hg min (2a)29. Damit bestimmt der Hebr als theologischen Grund des Selbstbewußtseins der christlichen Gemeinde deren definitive Stellung in der Geschichte göttlichen Redens und zwar am Ort des letztgültigen (eschatologisch entscheidenden) Wortes Gottes. Von diesem Ort her soll sich – das ist der Sinn des ersten, grundlegenden Satzes des ganzen Schreibens (1, 1 u. 2a) – das Selbstverständnis der Gemeinde in ihrer Gegenwart begründen. Ihre Gegenwart kann 25

Die „Väter“ entsprechen dem „alten Bund“ (8, 9 mit Jer). Durch den Sohn werden wir zu seinen Söhnen (s. u. 10.4.), und im Sohn erkennen wir den Vater vollkommen, wie 8, 11b mit Jer verheißt. Die „Brüder“ (8, 11b) werden es durch Christus (2, 11b u. 12f). 7 7 ‚ 27 ‚ ep’ esca´tou twn hg me1wn tou´twn (2a) zielt eschatologisch auf die göttliche kata´pausi& (4, 1. 3. 11) als den endgültigen „Siebten Tag“ (4, 4) bzw. auch unsern sabbatismo´& (4, 9). 28 Cf. C. Colpe, Jesus und die Besiegelung der Prophetie. BTh 24 (1987), 2–18. 29 Der Bezug auf „uns“ (2a) entspricht der Solidarität des Gottessohnes mit uns (2, 14; 4, 15), der uns den Zugang zum Vater eröffnet (cf. 4, 16), und betrifft uns als Menschen überhaupt (2, 14a), sowie als dem Tode Verfallene (2, 14b u. 15) und insbes. als Sünder (2, 17). 26

3. Die Logik der Aufhebung

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mithin strukturell nicht ohne die Geschichte des Redens Gottes, und d. h. nicht ohne die alttestamentliche Bundesgeschichte30, begriffen werden31. Der grundlegende Satz 1, 1–2a erfordert zunächst zwei weitere Präzisierungen, die einerseits der im Verhältnis von v.1 und v.2a gedachten Aufhebungsfigur genauer nachzugehen (3.), andererseits die eschatologische Auszeichnung und Exklusivität des „Sohnes“ näher zu bestimmen haben (4.).

3. Die Logik der Aufhebung Die Aufeinanderfolge von Gottes vormaligem Reden zu den „Vätern“ (1, 1: pa´lai) und seinem die Gegenwart prägenden 7 7 ‚ ‚ Reden zu „uns“ durch seinen Sohn (2a: ep’ esca´tou twn hg me1wn tou´twn) ist bestimmt von einer Figur der Ablösung bzw. Überbietung, die der Hebr. an verschiedenen Stellen ausdrücklich macht. Drei sind dafür besonders signifikant.

3.1 Hebr 10, 9b 7 ‚ 7 10, 9b heißt es: anai1ei to` p1wton gi´na to` deu´te1on sth´sh2 32. Im „Aufheben“ des Ersten durch sein „Kommen“ erfüllt der Sohn den Willen Gottes von weither (cf. 9a mit 7a)33. Das Erste ist noch 30

Indes auch für deren Zeit mag 6, 7f gelten. Zu genau dieser geschichtlichen Selbstverortung im göttlichen Wort passt das typologische Verfahren: es entspricht ihm geschichtstheologisch. 32 Als Rede des Sohnes, der sein Kommen als Erfüllen des göttlichen Willens begreift (9a). Das „Erste“ entspricht hier inhaltlich dem traditionellen Tieropfer (cf. 8, 7 mit 19, 5f u. 8), das „Zweite“ ist das Selbstopfer 7 ‚ Christi. to´po& meint 8, 7b: statt epi` gh& (8, 4) im Himmel (1). ‚ 7 33 Bei der Frage nach dem Subjekt des anai1ei sind die grammatische und die theologische Frage zu unterscheiden, um eine falsche Alternative zu vermeiden: letztlich ist es Gott selber, der sich in der Sendung Jesu als Urheber erweist. Jesus ist grammatisch das Subjekt in 10, 8 u. 9a (cf. in‚ 7 haltlich 7b u. 9a!). Aufheben (anai1ein) hat hier wohlgemerkt den sprachlichen Sinn des Weitersprechens zum letzten Wort, der den Sinn aller 31

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I. Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz)

nicht das Vollkommene (gewesen), sondern etwas Vor-läufiges, und das Weitertreiben zum Zweiten als dem Endgültigen entspricht einer Logik der Vollendung durch einen geschichtlichen Prozess, der aber keine „natürliche“ Entwicklung ist34, sondern, wie der Übergang von 1, 1 zu 2a festhält, ein sprachlich-schöpferischer Vorgang (cf. 8, 13)35. Dabei setzt das Vollkommene das noch nicht zur Vollendung Gelangte sich voraus, um von daher zu sich selbst zu kommen (cf. 1Kor 15, 45). Das Vollkommene ist das durch Aufhebung dessen, was es noch nicht (bzw. was noch nicht es) ist, sich selber Realisierende; Vollendung wird im Hebr, wie sich immer wieder zeigt, als Werden zu sich begriffen. Mithin besagt „Aufhebung“ nicht die abstrakte Negation zugunsten eines unbestimmten, bloßen Andersseins, sondern bezieht sich auf die Werdebedingung wirklicher Vollendung36 und impliziert 7 eine Neuqualifizierung des p1wton37. Diese Zielgerichtetheit der Intention göttlichen Redens überhaupt kommt im gi´na zur Sprache; ein entsprechendes gi´na ist (als Ausdruck von Gottes Willen)38 für das Weitersprechen von 1, 1 zu 2a vorauszusetzen. Weil Gott a gesagt hat, will er auch w sagen, um so sein Reden zum endgültigen Abschluss zu bringen. Wie die Schöpfung überhaupt nicht am ersten Tag bzw. mit dem ersten Wort Gottes (Gen 1, 3) vollendet ist, sondern erst am „Sabbat“ (Gen 2, 2), so auch sein Weiter- und Neuschaffen erst in der zweiten Phase: eschatologisch als ewiger Sabbat (Hebr 3, 11; 4, 1 u. 9).

vorausgegangenen in sich bewahrt und erfüllt. Zur Aufhebung im positiven Sinn cf. 11, 40. 34 Entsprechend dem allgemeinen philosohischen Satz, den auch Luther (im Anschluss an Aristoteles, Thomas, Tauler, Occam u. a. kennt: „generacio unius est corruptio alterius“ (WA 57 H 143,13). 35 Hier (10, 9a) im Wort Jesu selber im Namen Gottes. 36 Wie der Tod Christi Werdebedingung unseres Heils ist (cf. 9, 16f). ‚ 37 10, 9b entspricht der aqe´tesi& (7, 18) bzw. meta´qesi& des Nomos (7, 12); s. u. 5.2.4. 38 to` qe´lhma´ sou (9a). Der Wille Gottes ist ein sich geschichtlich verwirklichender und vollendender bzw. erfüllender ; sein Medium ist das göttliche Wort.

3. Die Logik der Aufhebung

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Entsprechend ist mit dem Ziel gi´na … sth´sh2 etwas Ein-deutiges und Unverwechselbares „zu Stande“ gebracht39, das un‚ überholbar endgültig (efa´pax, 10)40, weil für alle Ewigkeit be‚ steht (ei& to` dihneke´&, 13).

3.2 Hebr 8, 13a ‚ 7 In sachlicher Nähe zu 10, 9b heißt es schon 8, 13a: en tw2 le´gein kainh` n [sc. diaqh´khn] pepalai´wken th` n p1w´thn. Damit begreift der Hebr die göttliche Verheißungsrede des AT (8, 8–12; Jer 31, 31ff) als performativ, d. h. als wirkliche Neuschöpfung: Gottes schöpferisches Weitersprechen als Neues setzendes Sprechen41, das als solches das Vorige überholt und insofern „veralten“ lässt42. Das bedeutet, diese Neuschöpfung (im Sohn) „schafft“ auch Vergangenheit als solche, und Gott gibt sich selber – sich hervorbringend – eine Geschichte (mit einem Ziel)43. So konstituiert er absolut Anfang und Ende bzw. sich als den Ersten und Letzten (Apc 21, 6; cf. 22, 13). Im Bestimmen des „Alten“ als solchen (pepalai´wken) bzw. als seine eigene Vergangenheit (nämlich die seines Redens als Geredethaben) vollzieht Gott, weitersprechend und das Neue schlechthin in seinem Wort sagend, auch eine Neubestimmung seiner selbst, bestimmt sich redend selber neu44. Insofern handelt Hebr 8, 13a von Gottes eigener meta´qesi& (cf. 7, 12 u. dazu u. 10.8. 39 Cf. die sta´si&, die der p1w´th skhnh´ nur vorläufig zukommt (9, 8). Zum ewigen Bestehen des „Zweiten“ cf. Christi diame´nein (1, 11) bzw. die me´nousa po´li& (13, 14) sowie 10, 34b u. 12, 27f (dazu s. u. 10.8.). 40 Das hängt mit Christi Erleiden und Überwindung des Todes zusammen; cf. 2, 9 u. 14f (s. u. 4.8.2. u. 10.4.2. u. 3.). 41 Zu le´gein kainh´n ist zu bemerken: Reden als solches schon heißt immer, zu sprechen „anfangen“ (bzw. ist ein Anfangen, spontan), und häufig auch, etwas Neues sagen. Es geht in der Sache um die Ab-folge des göttlichen Redens (1, 1–2a), das ein neues „Heute“ setzt. 42 Zu palaio´w s. schon 1, 11b! 7 7 ‚ ‚ 43 Nämlich (zunächst) ep’ esca´tou twn hg me1wn tou´twn (1, 2a). 44 Luther zur Einsetzung des Neuen Testamentes durch Christus: „Cum dicitur ,novum‘, abolescit vetus ac prorsus abrogatur, ut novum succedat proprio sanguine obsignatum“ (WA 4, 618,30–32; zu Lk 22, 20).

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I. Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz)

sowie 12, 26), die sich im Überholen der Vergangenheit (seiner und unserer) ereignet. Daher besagt pepalai´wken (cf. pa´lai, 1, 1) ein „Veralten“ in dem Sinne, dass Gott sein vorheriges Reden hinter sich lässt, und sein früheres Wort bleibt – vom neuen her gesehen – zurück45. Gleichwohl wird es im Weitersprechen mitgeführt, weil es, wenn auch „aufgehoben“ in den Fluss göttlichen Redens, von dessen Ende her rückwärts neu qualifiziert wird46. Dies impliziert eine ‚ bestimmte Negation: das Altgewordene und Überlebte ist eggu` & 7 ‚ afanismou (13b)47, was seinen unmittelbaren Sinn und das ihm entsprechende Selbstverständnis angeht (cf. entsprechend Joh 3, 30). Seine Unmittelbarkeit ist zu überschreiten bzw. von Gott selber schon überschritten, und sie hat sich ihrer Wahrheit, in der auch sie über sich hinaus zur Erfüllung gelangt48, nach vorn und insofern gegen sich selber zu öffnen.

3.3 Hebr 11, 40 Die Vollendung als „Aufhebung“ des Vorhergegangenen findet ihren konzentriertesten Ausdruck in der Kurzformel: mh` cw1i`& 7 hg mwn (11, 40b). Zu ihrem genaueren Verständnis ist der ganze Vers zu betrachten, der die Gestalten der alttestamentlichen Glaubensgeschichte (11, 4ff) zu den Christgläubigen der Ge7 7 7 genwart ins Verhältnis setzt: tou qeou pe1i` hg mwn k1ei´tto´n ti 7 7 p1obleyame´nou, gi´na mh` cw1i`& hg mwn teleiwqwsin (11, 40). Dieser theologischen Hauptaussage, was das Verhältnis von Altem und Neuem Bund angeht, wird v. 39 die Feststellung vorausgeschickt, dass die Glaubenden des Alten Bundes, obwohl sie im Glauben Gottes Zeugnisse empfangen haben (ma145

Cf. Barth, KD III/1, 127f. Hier das Neue als „der Sabbat“. Das erfordert das Verständnis der geschichtlichen, einheitlichen Redesequenz Gottes als ein Satz, ohne dass dabei die Diskontinuität des Neuen zum Alten zu kurz kommen muss. 47 Hier durch Gottes neues Wort, was Paulus allgemeiner als Vergehen der Weltgestalt benennt (1Kor 7, 31b). 48 Cf. 11, 40 (dazu s. 3.3.). 46

3. Die Logik der Aufhebung

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qu1hqe´nte&)49, gleichwohl die Erfüllung des schon ihnen Ver‚ heißenen (th` n epaggeli´an) nicht erhalten bzw. erfahren haben50. Dies Noch-Nicht an ihrer pi´sti& ist für den Hebr der Index dessen, dass diese auf etwas noch Ausstehendes bezogen war und ihre eigentliche Erfüllung erst jenseits des Alten Bundes zu erlangen war – auch für dessen Gläubige selber. Jene – und zwar gerade als der ne´fo& ma1tu´ 1wn (12, 1) – erhielten Zugang zu dem Verheißenen nicht früher, als bis Gott sich voll-endet ausgesprochen und vollständig aus-artikuliert hatte51. ‚ ‚ ouk ekomi´santo (39) spricht von geschichtlichen Negativitäten52 als dem Ausstehen von … bzw. Offensein für die sich eschatologisch hervorbringende und vollkommene Fülle des von Gott Verheißenen, das erst in seinem Sohn Realität wird. Die Ontologie des Noch-nicht-seins ist für den Hebr der Vorschein des Eschaton. Insofern hat das gi´na (40b) auch einen christologischen Sinn und meint: Damit Christus wirklich der (einzige) ‚ „Erbe von allem“ sei (1, 2b)53. So wird auch eingelöst: ex eg no` & pa´nte& (2, 11a). Dass Gott den Glaubenden im Alten Bund das Heil noch nicht unmittelbar gewährt, sondern ihnen bis zum Kommen Christi 7 vorläufig vorenthalten hat, auch dies geschah schon pe1i` hg ma& (40a), damit uns ein to´po& im Hause Gottes offenstände (cf. 7 Lk 14, 23). Umgekehrt aber gilt: so sehr mit pe1i` hg ma& das Christusereignis unmittelbar und zunächst „für uns“54 vorgesehen ist, ebenso sehr ist es auch mittelbar, von unserm eschato49

Das wird im ganzen Kap. 11, 4–38 ausgeführt; dazu s. u. 9. ‚ ‚ ouk ekomi´santo besagt: nicht vor Vollendung der Heilsgeschichte. 51 Cf. Hamanns wunderliche Paraphrase von Hebr 1, 1f: „Nachdem GOTT durch Natur und Schrift, durch Geschöpfe und Seher, durch Gründe und Figuren, durch Poeten und Propheten sich erschöpft, und aus dem Othem geredt hatte: so hat er am Abend der Tage zu uns geredt durch Seinen Sohn, – gestern und heute! – bis die Verheißung seiner Zukunft … auch erfüllt seyn wird“ (Ästhetica in nuce (1762). Sämtliche Werke (Nadler) II (1950), 213,6–11); cf. auch Mt 23, 34 u. Hebr 13, 8. 7 ‚ ‚ 52 Cf. 8, 13b: eggu` & afanismou. 53 Umgekehrt gilt: nur wenn 40b gilt, ist der Sohn wirklich der Erbe von „allem“. 7 54 Cf. hg min (1, 2a). 50

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I. Die übergreifende Sprachfigur (Gottes Satz)

logischen kai1o´& aus, auch für die früheren Glaubenden (gemäß 7 4ff) gültig55. Darum ist das uns aufgesparte k1eitto´n ti (40a) auch darin „besser“56, dass es rückgreifend auch für jene Früheren bzw. die „Väter“ (1, 1) die Vollendung bedeutet57. In „uns“ sind sie zugleich mit–vollendet bzw. die Vollendung für uns „am letzten dieser Tage“ (1, 2a) ist zugleich noch ihre Vollendung. 7 Dass auch sie teleiwqwsin (40b), besagt: der Abschluss göttlichen Redens durch die Geschichte von den Vätern bis in die christliche Gegenwart bedeutet überhaupt die Vollendung aller gläubigen Hörer dieses Redens, und sie erlangen von Christus her rückwirkend, was den früheren von ihnen zunächst vorenthalten blieb bzw. zu bleiben schien (39b). gi´na (40b) spricht von der göttlichen Intention auf Vervollkommnung auch der Frommen des Alten Bundes (im Zusammenhang mit unserer Vollendung) als von Anfang an durch Gott gewollt58. Sein Reden sollte sich als Reden in seinem Sohn zu „uns“ so vollenden, dass es auch die früheren Hörer von Gottes Wort mit–vollendet. Die Vollendung seiner Redesequenz zu einem zusammenhängenden (zeitlich-ewigen) Satz bedeutet, dass dessen seinen Gesamtsinn konstituierendes Ende zugleich

7 mh` cw1i`& hg mwn schließt ein: also mit uns zusammen doch (cf. 11, 35c), was der paulinischen Kirche aus Juden und Heiden entspricht (cf. Röm 11, 25). „Nicht ohne uns“ bedeutet auch unsere gewisse Abhängigkeit von ihnen. 56 Dies Bessere ist keine Auszeichnung, die irgendeinen Grund in „uns“ hätte. „Wir“ sind nur der geschichtliche Ort der Vollendung von Gott her, die aber rückwirkend auch alles Frühere mit sich qualifiziert bzw. in sich hineinnimmt („aufhebt“). 57 Die Verzögerung diente gerade der Vervollkommnung der Erfüllung; 7 daher hat teleiwqeisin einen überschwänglichen Sinn und entspricht der Rede von der „Ernte“ in den Evangelien. 7 58 qeou p1osbleyame´nou (40a) meint das zu Ende Reden (Wollen) seines neuschaffenden Wortes. Das stiftet den Zusammenhang der göttlichen Redegeschichte (nach 1, 1 u. 2a) als der eines Satzes, in dem schon das anfängliche Sprechen Gottes auf das abschließende Wort im Sohn zielte bzw. nur um dieses vollendenden Redens willen geschah. Cf. auch die 7 ‚ ‚ 7 Wendung vom ameta´qeton th& bou´lh& autou (6, 17). 55

3. Die Logik der Aufhebung

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auch dessen Anfang und alles in ihm vorhergehend Gesagte rückwirkend zur Vollendung bringt59. Damit ist auch gesagt: Hebr 11, 40b ist spezifisch in einem sprachlichen Sinn zu verstehen. Ehe das göttliche Reden selber nicht zum Abschluss gekommen war, konnten auch die es früher 7 Vernehmenden nicht vollendet werden. mh` cw1i`& hg mwn bezeugt also ein gemeinsam Vollendetwerden der Gläubigen des Alten und des Neuen Bundes – wenn auch von diesem her60 – in einer ewigen, die geschichtlichen Unterschiede übergreifenden bzw. integrierenden Gemeinschaft zwischen ihnen61

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Der Dialektik eines Satzes entsprechend hat hier die Bewegung nach vorn zugleich auch die Richtung zurück in sich. Diese Figur eines Werdens zu sich spiegelt sich auch in der Dialektik von Gottes p1osble´pein (40a) 7 und seinem teleioun (40b). 60 Nach O. Michel erhält das Volk Gottes erst in der neutestamentlichen Gemeinde die Möglichkeit, vollendet zu werden (cf. a. a. O. 244). 61 Streng genommen gilt: nicht „wir“ als solche sind von Gott als das 7 Umwillen des k1eitton auserwählt, sondern nur, weil das Bessere und Endgültige sein sollte (Röm 11, 32b), kommen auch wir in Betracht: als Ort, an dem und für den es sich realisieren würde. „Wir“ sind mithin, was wir sind, nur im Zusammenhang mit denen, die uns im Glauben vorausge7 gangen sind und haben möglich werden lassen. Cf. pe1ikei´menon hg min ne´fo& ma1tu´1wn (12, 1; Hervorh. J.R.).

II. Christologie

4. Worthafte Existenz (Gottes Menschensohn) Damit die eschatologische Vollendung im Sohn verstehbar wird, muss dieser ausführlicher charakterisiert werden; das geschieht schon Hebr 1, 2bff.

4.1 Der Erbe (1, 2b) So wird der uig o´& als das letzte Wort Gottes (2a) in einem unmittelbar angeschlossenen Relativsatz als umfassendes Ziel ‚ göttlicher Vorsehung bestimmt: og `n e´qhken klh1ono´mon pa´ntwn (2b)1. Nur als der Erbe von allem ist der Gottessohn auch Inbegriff von Gottes Sprechen zur Welt: Ihm ist alles zu-gesprochen (zugedacht und zubestimmt), so dass Alles ihm gehört2. Sein Sein als der Erbe schlechthin schließt auch ein, dass ihm der „höchste Name“ (1, 4b) zuteil wird (cf. Phil 2, 9). Als der „Erbe“ ist der Sohn auch der Vollender der göttlichen Wortgeschichte (gemäß 1 u. 2a)3, wie dann 11, 40b ausdrücklich gemacht wird (s. o. 3.3.)4. Erbe „von Allem“ (pa´ntwn) zu sein, schließt aber das All der Schöpfung mit ein: wenn er Ziel der 1

Er ist definitiv abschließend und zugleich durch das Vorausgehende mitbedingt. So vollendet er als Gottes „letztes Wort“ dessen ewigen „Satz“. 2 Nach Luther ist ihm alle Kreatur unterworfen (WA 10/1, 1, 150). 3 Zur Wortgeschichte Israels cf. Luther, WA 14, 567,1–6 (19–26 Dr.). 4 Der Vollendende ist zugleich der absolut Anfangende (2c); cf. 2, 10b: 7 ‚ a1chgo´& …. teleiwsai.

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II. Christologie

sprachlichen Vollendung göttlichen Redens überhaupt ist5, dann auch die Vollendung der Schöpfung, die mit und in ihm schon begonnen hat (2c; s. u. 4.2.) und von ihm auch erhalten wird (3b; s. u. 4.4.). Er ist das wahre Ziel von allem, weil er auch der Anfang davon ist. Im Ende erreicht sich der Anfang bzw. in ihm wiederholt sich der Ursprung neu6 und das besagt ein Werden zu sich: Derselbe in Bewegung (cf. 12, 2).

4.2 Der Schöpfungsmittler (1, 2c) 7 Hebr 1, 2c sagt daher von Gott bezüglich des Sohnes sofort: di’ oug ‚ ‚7 kai` epoi´hsen tou` & aiwna& (cf. auch 1,10)7. Demnach ist der Sohn als Vermittler der göttlichen Rede auch der Vermittler göttlichen Schöpfungshandelns8. Und als Schöpfungsmittler und die Schöpfung Erhaltender (3b)9 ist er auch (bzw. kann sein) der Mittler (mesi´th&) der Versöhnung (1, 3c) und Erlösung (2, 3; 9, 15). 7 Damit der Sohn der wahre Erbe sein könne, ist er der, di’ oug Gott die Äonen geschaffen hat10 : der Schöpfungsmittler ist auch 7 11 ´ das Schöpfungsziel (telo&) von allem . Das di’ oug impliziert ein di’ og´ n12 Indem die Schöpfung im Sohn endgültig zu sich kommt, ist er als ihr Prinzip zugleich ihr „Erbe“. Indem alles auf diesen Erben zuläuft, ist die Bewegung vom Anfang auf ihn als ihr Ende ‚ Daher auch efa´pax. Wenn wieder der Anfängliche kommt, ist das Ende da. ‚7 7 Der im Judentum gebräuchliche Ausdruck aiwn bedeutet soviel wie den Kosmos. Redet 1, 2b vom Zielpunkt der Geschichte, so 2c von voranfänglicher Ewigkeit. 8 Handeln 1, 1 u. 2a von der Geschichte, so 2c und 3a u. b von der Ewigkeit. 9 Hinter dem Handeln des Sohnes steht aber zuletzt doch die Macht des Vaters (2, 10a). ‚ 7 10 Zum vergleichbaren di’ autou (Joh 1, 3a) cf. J.Ringleben, Das philosophische Evangelium (2014), 33ff. 11 Weil von Gott zum Universalerben eingesetzt, kann er auch der Testator des neuen „Testaments“ sein (cf. Hebr 9, 16f). 12 Cf. di’ og´ n von Gott: 2, 10b. 5

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29 7 ‚ (e´scaton) zu ein Werden zu sich. Insofern impliziert das di’ oug : 7 7 ‚ ‚ wie Gott nun ep’ esca´tou twn hg me1wn tou´twn „durch den ‚ ‚ 7 Sohn“ geredet hat (2a), so auch schon en a1ch2 (10). Mit Hebr 1, 2c wird die Geschichte göttlichen Redens mit der Welt bis hin zu „uns“ (1 f) eingezeichnet in die Geschichte der Schöpfung vom Anfang bis zum Ende als Werden des göttlichen Wortes zu seiner Vollendung (cf. 1, 3b). 4. Worthafte Existenz (Gottes Menschensohn)

4.3 Schöpfung im Wort (11, 3a) Ehe die Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes weiter darzulegen ist (4.4.), ist das Verständnis der Schöpfung selber zu betrachten. Es findet sich Hebr 11, 3a als Aussage im engsten Zusammenhang 7 mit dem Schöpfungsglauben: pi´stei nooumen kath1ti´sqai tou` & 7 7 ‚ aiwna& 1g h´mati qeou13 7 7 Mit dem 1g hma qeou14 ist die Sprachlichkeit der (protologischen) Schöpfung gemäß Gen 1, 3 unübersehbar festgestellt. 7 Wenn von ihr gilt, dass wir sie nur pi´stei nooumen (cf. Röm 1, 20), d. h. im selber wortbestimmten Glauben, so ist die Wortkonstitution des Glaubens ineins mit der Wort-Konstituiertheit auch 7 ‚7 twn aiwnwn erfasst und begriffen. Beide verdanken ihre Genesis 7 (cf. 11, 3b: gegone´nai) dem göttlichen Reden (1g hma) bzw. von dem einen her (der pi´sti&) erschließt sich auch die andere (kath1ti´sqai)15, d. h. im Einzelnen das Allgemeine (sc. von Begründung; cf. 2Kor 4, 6). Der wortvermittelte Glaube ist es, in dem bzw. von dem her (cf. ‚ ‚ ei&) sich erfassen lässt: to` mh` ek fainome´nwn to` blepo´menon gegone´nai (11, 3b). Das nicht unmittelbar Erscheinende bzw. vor Augen Liegende (faino´menon) entspricht völlig dem Unsicht13

Als Gegenstand des Schöpfungshandelns werden auch schon 1, 2c ‚7 tou` & aiwna& genannt; möglicherweise sind darin auch die Geschichtszeiten einbegriffen. 14 Derselbe Ausdruck 1, 3b bezüglich Christi (s. u. 4.4.) 15 Die pi´sti& eröffnet den Blick für bzw. eine spezifische Einsicht 7 (nooumen) in die Wort-Verfasstheit des Geschaffenen.

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II. Christologie

‚ baren von 1b (ou blepome´nwn)16. Wie schon als Schöpfungs17 glaube , so auch als Zukunftsglaube (11, 1a) ist die pi´sti& in jedem Fall Glaube an das göttliche Wort, das als solches nicht zu „sehen“ ist – wie Gott selber (11, 27b)18. Sich an den Unsichtbaren zu halten, „als sähe er ihn“ (27b), das heißt konkret zu hören, also 7 ihn in seinem Reden (Wort) selber zu vernehmen (noein)19. 7 7 Daher ist das 1g hma qeou auch bestimmend für alle Glaubensphänomene, die 11, 4–38 zur Sprache kommen. Der Über‚ gang vom mh` fainomenon zu to` blepo´menon (3b) ist durch 7 dieses 1g hma vermittelt20 wie auch das Verhältnis zwischen der unsichtbaren Ewigkeit (2Kor 4,18b) und der sichtbaren, irdischen Wirklichkeit. pi´sti& ist der menschliche Ort dieser Vermittlung bzw. Ort dieses Übergangs (cf. 2Kor 5, 7)21.

4.4 Das Schöpfungswort (1, 3b) Mit den Aussagen von 11, 3 ist die christologische Prädikation zusammen zu denken, die sich schon zu Beginn des Hebr über 7 7 den Sohn findet: fe´1wn te ta` pa´nta tw2 1g h´mati th& duna´mew& ‚ 7 autou (1, 3b)22. Mit fe´1wn wird hier zum ersten Mal eine eigene Aktivität des Gottessohnes benannt. Sie betrifft ein lebendig begleitendes und 16 Dogmatisch gesprochen: der creatio ex nihilo. Zum Zukunftssinn von 7 „Unsichtbarkeit“ im Hebr cf. u. 6.1. (zu 11, 1); cf. auch 11, 7a: pe1i` twn mhde´pw blepome´nwn. 17 Die Glaubensgeschichte, von der Hebr 11, 4ff ausführlich die Rede ist, beginnt im ATmit Gen 1 – als dem Zeugnis von Gottes Schöpfung im Wort. 18 „Wort“ entspricht der Transzendenz des nicht-sichtbaren Gottes als Grund der Welt. 19 Cf. kalou´meno& … ug ph´kousen (11, 8). 20 Cf. c1hmatisqei´& (11, 7a). Eine nähere Voraussetzung bezüglich ‚ Gottes ist, og´ ti e´stin (11, 6b). Diese kurze Formulierung läßt alledings Ex 3, 14 (LXX) anklingen! 21 Darum spielt (in eschatologischer Perspektive) der Begriff og do´& eine große Rolle im Hebr. ‚ 7 ‚ 7 22 autou bezieht sich unmittelbar auf Gott (cf. autou 3a.b), ist aber der Sache nach gleichermaßen auf den Sohn, der das „Wort“ ist, zu beziehen.

31 7 7 gründendes Mitgehen des schöpferischen Wortes (1g hma qeou), 23 dessen du´nami& lebenschaffende Macht ist , und sie erstreckt sich auf ta` pa´nta, weil vom Sohn 1, 2b u. 2c gelten. Genauer ist zu sagen: der Sohn „trägt“ alles in seinem geschöpflichen Eigensein; d. h. 1. lässt es (es erschaffend) überhaupt sein (2c)24, 2. erhält (unterhält) es in diesem Sein und trägt es 3. dem Ziel der Schöpfung, d. h. seiner Vollendung im Eschaton entgegen 7 (cf. 2b). Das tut er tw2 1g h´mati, denn er ist der Logos selber. Dabei erfordert das fe´1ein die ganze du´nami& des schöpferischen 7 7 Wortes. Das 1g hma qeou ist die das All durchwirkende und im Sein erhaltende Macht (conservatio mundi); denn Gottes Wort enthält die Seinsmacht Gottes selber. Des Sohnes „Tragen“ des Alls ist dessen Durchdringen25 (als Schöpfungsmittler) und Bewegen (auf das Ende zu) durch die „Kraft“ (du´nami&) des göttlichen Wortes, das als solches schon selbst du´nami& ist26. Das „Wort seiner Kraft“ ist an sich selber die „Kraft seines Wortes“. Das bedeutet, in Wahrheit ist das Wort selbst die göttliche du´nami& bzw. Gottes wirksame Dynamis27, eben sein schöpferisches Wort28. Heißt es hier aber ausdrücklich nicht: „die Kraft seines Wortes“, sondern „das Wort seiner Kraft“, so ist damit diese du´nami& als wortförmig charakterisiert. Schließlich qualifiziert v. 3b auch 1, 1 u. 2a. Denn wegen 1, 3b (u. 2b) ist auch das 2a Gesagte von letztgültiger Mächtigkeit. Gott hat „am letzten dieser Tage“ eben durch den „Sohn“ geredet ‚ (ela´lhsen), der „mit dem Wort seiner Kraft“ überhaupt alles gründet, trägt und bewegt. 4. Worthafte Existenz (Gottes Menschensohn)

7 ‚ Cf. du´nami& zwh& akatalu´tou (7,16). Hebr 1, 3b lässt den Rückschluss zu: auch die Schöpfung selber (2 c) 7 7 ‚ 7 ist durch das 1g hma th& duna´mew& autou, welches sie auch erhält. Nach Augustinus gilt: „Initium omnis operis, verbum“ (De contin. 2, 3; MPL 40, 350); cf. auch J. Sir. 37, 20 (V). 25 Das Wort Gottes durchdringt alles unwiderstehlich mit seiner Kraft (4, 13). 26 Die grundlegende Stelle über die du´nami& des göttlichen Wortes ist Röm 1, 16b. 7 ‚7 27 Gottes 1g hma selbst hat die duna´mei& des me´llonto& aiwno& in sich (6, 5). 28 Die Begründung wird 1, 3a formuliert. 23 24

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II. Christologie

4.5 Gott von Gott: der Sohn 4.5.1 Hebr 1, 3a Zu den in einem weiteren Relativsatz direkt auf den „Sohn“ (1, 2a) als den Erben von allem (2b) und Schöpfungsmittler (2c) bezogenen Aussagen gehört die auf höchstem, quasi trinitarischem ‚ ‚ 7 Niveau formulierte von 1, 3a: og `& w`n apau´gasma th& do´xh& kai` 7 ‚ 7 ca1akth` 1 th& ug posta´sew& autou. Mit diesen Formulierungen ist die Beziehung des „Sohnes“ zum innersten Wesen Gottes zum Ausdruck gebracht29. Nach 3a.a entstammt er unmittelbar der göttlichen do´xa (als ewigem Für-sich-Sein Gottes), und diese wird als eigene Lichtfülle Gottes ‚ begriffen30. Demgemäß ist apau´gasma als ein Lichtungsgeschehen zu denken, das das gottheitliche Wesen für die Welt erschließt und vermittelt, d. h. Gottes do´xa ist eine sich verdoppelnde und nach außen mitteilende31. Die Ausstrahlung der reinen Lichtsubstanz Gottes lässt den „Sohn“ als „Licht vom unerschaffenen Lichte“ sein und so in flüssiger Kontinuität bzw. einer soz. mehr passiven Teilhabe an der Herrlichkeit des Va7 ters32. Als ca1akth` 1 th& ug posta´sew& Gottes (3a.b) bildet er zugleich so etwas wie die eigene Struktur der göttlichen Substanz ab33, diese als ewiges Aus-sich-Sein bzw. als eigene Seinsfülle Gottes begriffen. ca1akth´1 ist ein ewiges Formmoment (Hofius: ‚ Von do´xa und ug po´stasi& aus sind apau´gasma und ca1akth´1 zu interpretieren. 30 Cf. auch 1Joh 1, 5a u. 9; Jac 1, 17 sowie für den Sohn Joh 1, 5; 8, 12. Luther bezieht splendor zunächst auf Gott selber zurück: „similitudo gloriae Dei, in qua se ipsum pater cognoscit, non nobis, sed Deo sibique ipsi relucet” (WA 57 H 99,15–100,1). 31 Sehr schön hat – im Sinne solcher Selbstunterscheidung – Clemens 7 7 Alex. von Christus als dem og `lo& fw& pat1w2 on gesprochen (strom. 7, 2, 5, 5). 32 Licht ist die spezifische Metapher eines substratlosen, nicht-substantiellen Selbstunterschiedes (cf. Anselm von Canterbury, Monol. 6), und entspricht dem Erzeugen von Rede, indem das ausgesprochene Wort so etwas ist wie „Reflexion“. 33 Auch figura wird von Luther zunächst auf Gott selber zurückbezogen: „quod solus Deus suam formam in ipso cognoscit“ (WA 57 H 110,9f). 29

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„Ausprägung“), das das göttliche Wesen auch im Verhältnis zur Welt bestimmt und ausprägt, so dass Gottes ug po´stasi& als immanent gestaltete und gestalthafte auch im Bezug nach außen in sich bleibend ist34. Die strukturelle Formung, die mit der Wendung 3a.b behauptet wird, lässt den Sohn in einer relativen Selbständigkeit und so aus einem soz. mehr aktiven Geprägtsein existieren. Der Zusammenhang von Licht (3a.a) und Form (3a.b) entspricht dem Wesen des göttlichen Wortes (cf. Gen 1, 3) oder auch: er entspricht dem Begriff der göttlichen du´nami& (3b; s. o.), und das heißt: dem ewigen Wort als dem Gottes Reden zur Welt bestimmenden (Wortwerdung). ‚ Wird das endgültige Wort Gottes im Sohn (1, 2a) als apau´gasma und ca1akth´1 von Gott selber her verstanden, so erschließt Gott in seinem letzten Wort auch seine ganze do´xa und ug po´stasi&35 und der Sohn ist die vollkommene Selbsterschließung, mit der Gott „am letzten dieser Tage … uns“ anredet. Gottes Wort ist dadurch in einem unüberbietbaren Sinne unmittelbar sein eigenes, d. h. nicht bloß aus seinem Innern stammend (und real durch die Propheten vermittelt), sondern mit seinem eigenen Innern identisch36. Der Sohn ist so gemäß 3a.a u. b der absolute Ort der Offenbarung Gottes selber (a) und zum göttlichen Wesen wesenhaft zugehörig (b), und ist das in der Zeit ergehende Wort (Reden) Gottes selbst. Derart steht v. 3a systematisch zwischen Gottes Reden zum Sohn selber (1, 5; s. u. 4.6.) und seinem Reden zu uns im Sohn

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Vielleicht lässt sich ug po´stasi& einfach als Sein (bzw. Seinsweise) Gottes auffassen und ca1akth´1 im Sinne eines geprägten Bildes (bzw. ‚ Abbildes). Cf. 11, 6: og `ti e´stin und dazu ausführlich W.Eisele, Ein unerschütterliches Reich (2003), 402ff (BZNW 116). 35 Bei Luther heißt es vom Vater: „transfundit suam essentiam in verbum“ (WA 39 II, 322,14f). Auch Augustinus hat den splendor gloriae sprachlich verstanden: „splendore sapientiae fulgere, hoc est dicere“ (In Ioan. 20, 13; MPL 35, 1563). ‚ 36 Kommt der Sohn (als apau´ gasma) aus dem Innersten Gottes (und seiner do´xa) selber, so ist er kein äußerliches Medium oder Instrument, und das gilt spezifisch für den Sohn als Gottes allereigenstes Wort.

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II. Christologie

(2a)37. Inhaltlich formuliert 3a den letzten Inbegriff des SohnSeins und zwar als Gott-Gleichsein seines Sohnes (og moou´sio&). 4.5.2 Hebr 1, 8a u.9b Genau dies wird noch im 1.Kap. des Hebr ausgesprochen, indem der Hebr die Gottgleichheit des Sohnes mit Ps 44, 7f (LXX) dadurch explizit macht, dass Gott diesen als og qeo´& anredet (1, 8a u. 9b)38. Das entspricht genau 1, 3a39. Der Vater ist für ihn „sein Gott“ (9b), d. h. für ihn als dem, der selber auch qeo´& ist: Deus verus de Deo vero. Solche Anrede (le´gei, 7a), bestimmt das ewige Verhältnis zwischen Vater und Sohn als ein innergöttliches Gespräch40 und unterstreicht dessen sprachlichen Charakter, der in 1, 5a u. b als konstitutiv beschrieben wird41.

4.6 Der Sohn: sprachlich konstituiert (1, 5a) 7‚ ‚ ` sh´me1on Mit dem Zitat von Ps 2, 7 (LXX) uig o´& mou ei su´, egw 42 gege´nnhka´ se (1, 5a; 5, 5) wird deutlich: Gott spricht sich nicht 37

Wie sich innergöttlich der ewige Abglanz zum göttlichen Licht selber verhält, so entsprechend geschichtlich der Typos (oder auch skia´) zum Antitypos (als der Wahrheit). In diesen Differenzierungen legt sich das Leben des „lebendigen Gottes“ aus. 38 Was Gott einst zu den „Vätern“ über sich selbst hat sagen lassen, sagt er hier und jetzt zum Sohn und uns über den Sohn. 39 Dem und seinem Status als „Erbe von allem“ (1, 2b) entspricht, dass er nicht nur den göttlichen Thron „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ innehat (8a), sondern auch seine basilei´a das Reich Gottes des Vaters ist (cf. 8b mit 12, 28). 40 „Dieser Spruch zwingt auf zwei Personen“ (Luther, WA 10 I/1, 176,11). 41 Die göttliche Anrede Jesu Christi als Logos Gottes impliziert inhaltlich, wie H.Hübner zu Recht hervorhebt, eine Christo-logie (Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band 3 (1995), 27). Indes: Kann Gottes Wort (als Wort) letztlich überhaupt einen anderen als einen christologischen Sinn haben? 42 Was Gott zum Sohn sagt, haben die „Väter“ im AT lesen können (Ps 2, 7; 2Sam 7, 14); auch das wurde ihnen von Gott vor Zeiten gesagt (1, 1).

4. Worthafte Existenz (Gottes Menschensohn)

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nur definitiv im Sohn aus (2a), sondern zuvor schon (und als Voraussetzung dessen43) ist die Hervorbringung des Sohnes als solchen selber ein sprachlicher Vorgang – wie auch seine ewige Bestimmung (8f) –, soz. ein ewiges Sprachereignis44 als Selbstunterscheidung45. „Du bist mein Sohn“ zu sagen, ist ein göttliches Performativ (cf. auch 5, 10) und bedeutet: indem ich dies sage, bist du es bzw. „habe ich (eodem actu) dich damit gezeugt“. Diese direkte Anrede (su´) ist für das Sein des Sohnes konstitutiv46, und 47 hat 7‚ somit ein für alle Zeit bleibend gültiges Ergebnis . „Du bist“ (ei su´) gilt, weil und indem Ich als der ewige Vater sh´me1on gege´nnhka´ se, d. h. jetzt und in diesem meinem Reden auf immer48. Zugleich bestimmt sich auch Gott selber für alle Ewigkeit (neu) als Vater (dieses Sohnes), indem er diesen sein lässt: Der „Gott der Väter“ (1, 1) wird zum „Gott des Sohnes“ (1, 2a). ‚ ` … gege´nnhka´ se bedeutet nicht ein neutrales Emanatiegw onsgeschehen, und „der Sohn“ zu sein, ist nicht ein objektiver Status, der mit der göttlichen Wesensnatur unmittelbar (wie ein

43 Nur weil Gott diesen Sohn als den seinen selber „gezeugt“ hat – das ewige Wort –, konnte er auch in ihm sein eschatologisches Wort sprechen (2a). 44 Es ist bemerkenswert, dass dies erste Schriftzitat im Hebr ein Reden Gottes zum Sohn ist; cf. daraufhin 10, 7. Zum „Heute“ cf.: to` de` sh´me1on ‚ ‚ ‚ ‚ ‚ … ou p1o´sfaton, all’ a ´dion: i to` sh´me1on a´ c1onon, p1o` pa´ntwn aiw´niwn (Cyrill von Jerusalem, Cat. 11, 5) sowie J.A.Quenstedt: „Vox ,hodie‘ notat diem immutabilis aeternitatis“ (Theol. Did.-polem. (1685), I, c. 9, sect. 1, th. 15). 45 Cf. M. Karrer : Gott „bewahrt durch den Wortakt die Unterscheidung zwischen sich (dem Sprechenden) und dem Sohn (dem Angesprochenen) und bekundet seine Einzigkeit und Selbigkeit doch im Wortakt zugleich ganz und gar am Sohn“ (Karrer, a. a. O. 144; Hervorh. J.R.). 46 Zum „Du“ als einer spezifisch sprachlichen Instanz bei Humboldt cf. J. Ringleben, Arbeit am Gottesbegriff 2 (2005), 341f. 47 Cf. inhaltlich entsprechend Joh 5, 26! Die leise anklingende Evokation von Ps 2, 7 muss auch in Gottes Reden bei der Taufe Jesu als konstitutiv für dessen ganzes Sein in Anschlag gebracht werden (Mk 1, 11b parr. (cf. auch 9, 7). Ps 2, 7 gilt spezifisch auch von der Auferweckung Jesu zum Vater (Act 13, 33). 48 Cf. die Zukunftsdimension 1, 5b und 4, 7: „solange es Heute heißt“.

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II. Christologie

ewiges Faktum) gegeben wäre49, sondern verdankt sich einer eigenen, unableitbaren göttlichen Setzung. Dabei ist das „Heute“ das zeitübergreifende Jetzt der Ewigkeit50, in welchem „habe ich …“ und „du bist …“ simultan zusammenfallen, d. h. Seinlassen und schon Sein eins sind. Im göttlichen Redevollzug (1, 5a u. b) ist der Sohn ewig als der, als der er an- bzw. ausgesprochen wird; das Perfekt (gege´nnhka) ist unmittelbar – kraft göttlicher du´nami& – das Schon-sein; es bezeichnet also nicht einen vergangenen Sprechakt, der dem Ergebnis zeitlich vorherginge. Vielmehr gilt: Wenn sh´me1on die ewige Selbstgegenwart Gottes bedeutet, handelt es sich bei gege´nnhka´ se um eine immanente Selbstdifferenzierung bzw. Selbstunterscheidung Gottes und den Ausdruck seiner ewigen ‚ Lebendigkeit (cf. Joh 5, 26); so sich artikulierend in egw´ und su´ ist er lebendig. Insofern ist im Genitiv uig o´& mou das mou spezifisch qualifiziert51: gege´nnhka´ se besagt keinen zeitlichen Vorrang, sondern nur den Ursprung der Initiative in Gottes eigenem Selbst bzw. dass er in seiner Aseität (ug po´stasi&) selbsthaft genetisch ist. Was er „heute“ in sich sein lässt, bestimmt sein ewiges Sein als solches, und was er so ewig in sich „zeugt“52, gehört (als Selbstunterscheidung) wesentlich zu ihm. 7‚ ‚ ` Außerdem unterstreicht die Voraussetzung des ei su´ im egw gege´nnhka´ se die konstitutive, bleibende Abhängigkeit des Seins des Sohnes vom Willen des Vaters zu diesem Sein; Sohn-sein bedeutet hier, ständig aus dem Willen des Vaters zu existieren: von ihm begründet, durchdrungen und in jedem Augenblick bestimmt. Daher gilt: wie der Vater für alle Zukunft Vater dieses Sohnes bleiben wird (5b.a), so existiert der Sohn unwiderruflich

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Wie 1, 3a missverstanden werden könnte. Über das „Heute“ als zugleich göttliche (d. h. ewige) und menschliche (d. h. zeitliche) Zeugung bzw. Geburt cf. Luther, WA 57 H 102f. Zum zeitlich-ewigen sh´me1on cf. auch 3, 7 u. 13 (s. o. I. Anm. 14 sowie u. 7.2.). 51 Nur als der spezifisch eigene Sohn kann er überhaupt dieser Sohn sein. 52 Das „Zeugen“ des Sohnes ist immanentes Moment von Gottes ewigem „Sicherzeugen“. 50

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‚ ‚ ‚ als sein Sohn: kai` auto` & e´stai moi ei& uig o´n (5b.b)53. Hebr. 1, 5 formuliert die Begründung des in Zeit und Ewigkeit dauernden und bewährten Verhältnisses zwischen Gott und Jesus als ein liebendes Vater-Sohn-Verhältnis.

4.7 Der ewige Sohn (1, 11a u.12c) ‚ Ihm als dem, der kat’ a1ca´& Himmel und Erden geschaffen hat (1, 10), kommt, während alles Geschaffene als endlich-zeitlich Daseiendes wieder vergehen wird (11)54, wesenhaft die Unvergänglichkeit des „Sohnes“ und Schöpfungsmittlers von Ewigkeit zu Ewigkeit zu – wie Gott selber : su` de` diame´nei& (11a.b). Er ist ‚ ‚7 der, von dem to` me´nein … ei& to` n aiwna (7, 24) gilt55. Als wahrer Gott vom wahren Gott hat er sein Sein (ge´gonen) vom lebendigen 7 ‚ Gott selber : kata` du´namin zwh& akatalu´tou (7, 16)56. Anders 7‚ ‚ formuliert: Weil Christus zwh` n en eg autw2 e´cei (Joh 5, 26b), ist auch von ihm als dem ewigen Gottessohn bzw. Logos zu sagen: 7 7 ‚ ‚ mh´te a1ch` n hg me1wn57 mh´te zwh& te´lo& e´cwn (7, 3b). Dass er kata` th` n og moio´thta zu „Melchisedek“ existiert (7, 15b) heißt: 7 7 von ihm gilt absolut, og `ti zh2 (7, 8b) bzw. dass er pa´ntote zwn ist (25b) – in zeitüberwindender und zeitdurchdringender Ewigkeit. Überzeitlich lebendig (1, 12c.b) hat 7‚ er eine in Gottes Leben ‚ gegründete Identität: su` de` og auto` & ei (12c.a). Das bekennt Hebr 7 ‚ 13, 8 mit siegelhafter Prägnanz: ’Ihsou& C1isto` & ecqe` & kai` ‚ ‚ ‚7 sh´me1on og auto` & kai` ei& tou` & aiwna& (s. u. 7.2.). Hebr 1, 11 und 12 formulieren in der Opposition von ewigem Bleiben des Gottessohnes und unaufhaltsamer Vergänglichkeit alles Geschaffenen eine eschatologische Perspektive, die „Ewig53 Das reflektiert sich im Bewusstsein des Sohnes ausdrücklich; cf. 2, 13; 10, 5 u. 7 (s. u. 4.8.1.). 54 Wie mit den großartigen Bildern von Jes 50. 9; 51, 6 u. 34, 4 (LXX) ausgemalt wird. palaio´w (11b) kehrt 8, 13 spezifisch wieder. ‚ ‚7 55 Dem entspricht göttliche Neuschöpfung: ei& to` n aiwna teteleiwme´non (7, 28b). ‚ 56 Gottes zwh´ akata´luto& ist eine in der Selbstunterscheidung – ganz wie Joh 5, 26. ‚ ‚ 7 57 Weil er schon en a1ch2 war (Joh 1, 1a).

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keit“ als im Sichabstoßen vom Zeitlich-Irdischen sich endgültig durchsetzend begreift; das wird 12, 26f ausdrücklich thematisiert58.

4.8 Die Antwort des Sohnes 4.8.1 Der vertrauende Sohn (2, 13a) Existierend im „zeugenden“ Wort des Vaters (1, 5) richtet er sein seinsbestimmendes Vertrauen auf diesen bzw. dieses, aus dem er ‚ ‚ ‚ ‚ 7 ` e´somai pepoiqw ` & ep’ autw2 (2, 13a)59. sein Leben empfängt: egw ‚ Weil er (sein Ich: egw´) Gottes eigenes Wort in Person ist, vertraut 7 er Gottes Reden überhaupt60, und so ist er pisto´& … tw2 poih´‚ santi auto´n (3, 2a)61. In dieser Seinsverfassung ist er, und kann ‚ sein, pisto` & a1cie1eu´& (2, 17b)62. Dazu ist er von Gott im Leib erschaffen (10, 5c)63, und er ist nur gekommen mit der Intention 7 7 tou poihsai og qeo` & to` qe´lhma´ sou (10, 7c u. 9a). Beides bestimmt definitiv seine Sohnschaft (cf. 1, 5; 3, 6a) bzw. seine Le7 benswirklichkeit. Dass er sich leibhaft von Gott empfängt (swma de` kath1ti´sw moi, 10, 5c)64, bzw. seine Inkarnation (cf. Joh 1, 14), ist Bedingung der Selbsthingabe (seines Sich-Opferns) im Un58

Cf. „Himmel und Erde“ (26b) und mei´nh2 (27b). Dazu s. u. 10. 8. Daraus entspringt die Übernahme seiner Bestimmung, cf. 2, 13b. Wie sein „ins Wort gefasstes“ (Luther) Ich sprachlich allgemein ist („kommunikativ“), gehören ta` paidi´a von Gott her zu ihm. ‚ 60 Gott selber ist (wie auch der Sohn) pisto` & og epaggeila´meno& (10, 23b); cf. 11, 11b. 7 ‚ 61 Wie Mose pisto´& … ei& ma1tu´1ion twn lalhqhsome´nwn (3, 5). Darf Mose hier – wie im Judentum überhaupt – als der größte „Prophet“ (im Sinne von Hebr 1, 1!), im Unterschied zu dem Priester Aaron, verstanden werden (cf. Act 3, 27; 7, 37)? Nach 7, 23 verhalten sich oig pate´1e& (im Glauben) objektiv zu Mose wie die „Väter“ (1, 1) zum „Sohn“ (1, 2a); auch steht Mose Abraham als größ7ter pat1ia´1ch& (7, 4) gegenüber. ‚ 7 ‚ 62 Dies im Blick auf to` n oikon autou (sc. Gottes; 3, 6a). 63 V. 5 b u. c wiederholen Ps 40, 7–9 (cf. Mt 9, 13) im Munde Jesu (le´gei, 5a) als Anrede an seinen himmlischen Vater. 7 64 Statt swma (LXX) hat MS „Ohr“! 59

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terschied zum passiven Geopfertwerden von Tieren; so kann es 7 7 7 zur p1osfo1a` tou sw´mato& ’Ihsou C1istou kommen (10, 10)65 und der Funktion seiner sa´1x als des für uns offenen „Vorhangs“ (10, 20; cf. auch Hebr 5, 7)66. Von daher ist sein „Kommen“ als ein Ereignis uralter religiöser ‚ Erwartung zu begreifen: en kefali´di bibli´ou ge´g1aptai pe1i` ‚ 7 emou (10, 7b; cf. Joh 5, 46). Dieser Satz aus dem AT wird in einer 7 Weise angeeignet, die das lalein (Geredethaben) Gottes gemäß Hebr 1, 1 inhaltlich qualifiziert. Damit ist zweierlei theologisch festzuhalten: 1. Der Hebr identifiziert Jesu Erscheinen als Er7 füllung und Einlösung des im AT Voraus-Gesagten. Das g1afein ist als auf Dauer gestellte Rede die Ermöglichung des typologischen Verfahrens (im Rückblick sowie sh´me1on, 3, 13). 2. Für den Hebr hat Jesus selber schon sich aus der h.Schrift bzw. von ihr her und mithin als sprachlich verfasst identifiziert67, indem er das AT als göttliche Rede, die letztlich spezifisch auf ihn zielte, verstand68. Dies ist auch ein Indiz dafür, wie nach dem Hebr Jesus selbst sein Sohnsein (nach Ps 2, 7 u. 2Sam 7, 14) begriffen hat (1, 5). Damit ist die christologische Begründung der typologischen Erkenntnis gegeben.

4.8.2 Der redende Sohn (2, 3b) Entsprechend dem Dargelegten wird im Hebr auch Jesu eigenes Reden als das Wort des Sohnes einbezogen. Jesus spricht selber – in alttestamentlichen Zitaten (2,12f; 10, 5–8)! Damit wird die 7‚ Und nicht nur der von aima allein (cf. 9, 7. 12f. 20–22. 25; 10, 4; 11, 28; 13, 11); von da aus müssen die (traditionellen) Stellen (9, 12 u. 14; 10, 19 u. 29; 12, 24;7 13, 12 u. 20) aufgefasst werden. 7 7 ‚ 66 Cf. oiko& tou qeou (10, 21; 3, 6). Auch der Leib Christi ist ein „Tempel“ (Joh 2, 21; Joh 1, 14a u. b hat die Doppelheit von sa´1x und do´xa). In einer Art Überdeterminierung verweist das möglicherweise auf den Topos vom himmlischen Tempel. ‚ 67 Entsprechend ist für den Hebr auch die ekklhsi´a die der p1wto‚ ‚ ‚ 7 to´kwn apogeg1amme´nwn en ou1anoi& (12, 23a; cf. Kol 3, 3), mithin sprachlich konstituiert: im eschatologischen „Buch des Lebens“. 68 Cf. o. Anm. 22. 65

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II. Christologie

Verknüpfung zum Grundsatz des Hebr gegeben: Gott spricht im Sohn zu uns (1, 2a), indem dieser als der ku´1io& (2, 3b) selber redet. In Übernahme von Ps 21, 23 (LXX) \;verkündigt“ er 7 ‚ (apaggelw) den „Namen“ Gottes (2, 12a) als des gnädigen Vaters (cf. 13b) seinen „Brüdern“ (12a), die es eben dadurch sind69. ‚ Als dieser Gott Verkündigende und Preisende ist Jesus og apo´stolo& schlechthin (3, 1b; cf. Joh 3, 34)70. Das Wort des eigenen Sohnes Gottes ist für uns definitiv die swth1i´a (2, 3a), und die kam im Menschenwort Jesu in die Welt: 7 7 ‚ 7 hg´ ti& a1ch` n labousa laleisqai dia` tou ku1i´ou (3b.a)71; das entspricht genauestens 1, 2a. Immer geht es dabei um den lo´go& 7 ‚ 7 th& akoh& (4, 2b; cf. Röm 10, 17)72, und das gilt auch schon für ‚ den di’ agge´lwn lalhqei`& lo´go& (2, 2), der auf das kommende Heil bezogen war (cf. 1, 14)73. Jesus hat die Wahrheit seiner Sohnschaft und seines Wortes mit seinem Heilstod besiegelt; auf diese Weise ist er der Stifter des 7 Neuen Bundes geworden: diaqh´kh& ne´a& mesi´th& ’Ihsou&, des7 7 sen vergossenes Blut „stärker schreit“ (k1eitton laloun) als einst das des getöteten Abel (12, 24; cf. 11, 4d)74. So ist der Christus im Leben und Sterben der „Mittler“ zwischen Gott und ‚ Sie sind die ekklhsi´a, durch die und in der Gott von Christus gepriesen wird (ug mnh´sw se, 12b). 70 Er ist Gottes „Bote“: in Person der Überbringer seines Wortes, und in 7 ihm hat Gott selber geredet (1, 2a). Und als solcher auch der „Apostel“ th& 7 og mologi´a& hg mwn (1b). ‚ 71 Diese a1ch´ ist auf das Heil für „uns“ in unserer Gegenwart bezogen. 7 Es wird uns von seinen ursprünglichen Hörern weitervermittelt: ug po` twn 7 ‚ ‚ ‚ akousa´ntwn ei& hg ma& ebebaiw´qh (3.b), aber Jesus Christus bleibt mit 7 ‚ seinem Wort der a1chgo` & th& swth1i´a& (2, 10b). 72 Zu dieser für den Glaubensbegriff wichtigen Stelle s. u. III. bei Anm. 41 u. 104. ‚ 73 Das Reden der a´ ggeloi verhält sich zum eigenen Wort Jesu wie 1, 1 zu 1, 2a. Überhaupt gilt: wie der Sohn auf Erden (1, 2a) sich zu den Propheten (1, 1) verhält, so schon im Himmel zu den Engeln (1, 4). Daher kann man die prophetischen Geister des AT in gewisser Analogie zu dem Wirken der Engel sehen (cf. 1, 7 u. 14 (pa´nte&) mit 13, 2b). Aber den Propheten ist mehr die Verheißung zukünftigen Heils zugeordnet (1, 14), hingegen den Engeln das göttliche Gesetz (2, 2). 7 74 Im nächsten Vers (12, 25) ist von Gott absolut als og lalwn die Rede. 69

4. Worthafte Existenz (Gottes Menschensohn)

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Mensch verkündigend, d. h. in wortvermittelter Weise (cf. 8, 6). ‚ Hatte das Heil seine a1ch´ im redenden Jesus, so findet der Hebr auch am Ende (te´lo&) seines Erdenlebens für den von ihm gestifteten endgültigen „Bund“ ein sprachliches Bild: das der diaqh´kh, was – so nur griechisch möglich – bekanntlich „Testament“ und „Bund“ bedeutet75. Mit diesem Doppelsinn arbeitend (9, 16f) kann hier einerseits zum Ausdruck gebracht werden, dass ein Testament (als schriftlich verfasstes Wort)76 erst durch den Tod seines Urhebers zu sich selber (9, 17)77 bzw. zu seiner gültigen Erfüllung kommt78. Andererseits besteht genau darin der Neue Bund in Christus, bzw. dieser ist sein „Testament“, ‚ dessen Bürge (e´gguo&) er selber ist (7, 22).

4.8.3 Das Werk des Sohnes (1, 3c u. d) Vorausgreifend wird schon 1, 3c das dem Sohn eigentümliche 7 7 Werk der Erlösung benannt: kaqa1ismo` n twn ag ma1tiwn poih‚ sa´meno&79. Eben dadurch ist er für uns eleh´mwn kai` pisto` & ‚ ‚ a1cie1eu` & ta` p1o` & to` n qeo` n ei& to` ig la´skesqai ta` & ag ma1ti´a& 7 7 tou laou (2, 17b.b). Damit ist die soteriologische Bedingung dafür genannt, dass er alles „trägt“ (1, 3b) und dass er der „Erbe“ von allem ist (1, 2b). kaqa1ismo´& bezeichnet die durch den Sohn erwirkte Erlösung als von Gott inaugurierte neue Schöpfung. Infolge dieses seines Heilswerkes nimmt der verherrlichte Sohn den höchsten Platz „zur Rechten Gottes“ ein (1, 3d u. 13)80. 75

Der Hebr. nimmt hier Jer 31, 31ff LXX auf (8,8ff). Es ist als „letzter Wille“ unabänderlich bzw. unwandelbar (cf. 12, 26f!). ‚ 77 Dem entspricht in 9, 18: oude` … cw1i`& aig´mato&. ‚ 78 In vorhergehenden v. 15 ist von hg aiw´nio& klh1onomi´a die Rede, womit Gottes bzw. Christi Eigentum (eschatologisch) benannt wird – ist Christus doch der „Erbe“ von allem (1, 2b). Cf. auch „Blut“ (9, 18 u. 20–22), g´ pax). weitergeführt 9, 27 (a 79 Dazu cf. Luther, WA 10/I, 1, 160f. Nach Grässer ist der Vers der Schlüsselsatz des ganzen Hebr (a. a. O. 64). Zu den Einzelheiten der Soteriologie s. u. 10.4. 80 1, 3c u. 3d sind in 4, 14 aufgenommen. 76

42

II. Christologie

Das ist für den Hebr das kefa´laion aller seiner Aussagen über den „Hohepriester“ Jesus Christus (8, 1). In dieser die Sünde überwindenden, allmächtigen Durchsetzung des Schöpfungszieles wird im Sohn am Ende von allem der wahre Anfang von allem erreicht bzw. wiederhergestellt. So gehört er als der Erbe von allem (1, 2b) in die göttliche Weltregierung (die „Rechte Gottes“) integral hinein (1, 8; 10,12) und vermittelt diese in der ‚ 7 Endvollendung mit ihr selber (en ug yhloi&, 3d). In diesem Sinne wird mit 1, 3d eine Rückkehr zu 3a vollzogen. So wird auch hier unterstrichen, dass der ewige Sohn kein „Zwischenwesen“ (wie die Engel) ist, sondern dass er ins eigene 7 ‚ Sein Gottes hineingehört (en dexia2 ). Das betont abschließend v. ‚ 481. Denn das höchste o´noma, das er „erbt“ (4b), ist Inbegriff des durch sein Sein und Tun in der Welt erworbenen Mittler-Status für Gottes Weltverhältnis. Im „Ererben“ dieses Namens realisiert sich, dass er „der Erbe“ überhaupt ist (1, 2b).

81

Aus 1, 3d u. 4 folgt 1, 7.

III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

5. Der redende Gott 5.1 Das gehörte Wort 5.1.1 Der Gott des Wortes Auch für den Hebr ist Gott der Allumfassende und Alldurchwaltende und so schlechthin der lebendige Gott (3, 12; 9, 14; 10, 31; 12, 22). In diesem Sinne kann 7 er hymnisch gepriesen werden als der, di’ og `n ta` pa´nta kai` di’ oug ta` pa´nta (2, 101; cf. Röm 11, 36). Beides ist er lebendig in Einem2 : das Umwillen, der absolute Endzweck von allem, und das absolute Woher, der Ursprung schlechthin3. Alles ist letztlich um Seiner selbst willen4. Mit allem, was er verwirklicht (di’ 7 oug ), verwirklicht er immer auch sich selber (di’ og `n): er ist als ein Umweg zu sich, bzw. außer sich (im Unterschied von sich) ist er 7 zuletzt auch bei sich. Zugleich gilt: di’ oug musste Alles (das All) sein, 7 damit es auch di’ og `n sein konnte, und7di’ og `n ist Alles, was di’ oug wurde, und so allein bleibt es das di’ oug Gewordene5. Somit kann es auch von ihm heißen: og de` pa´nta kataskeua´sa& qeo´& (3, 4b). Diese lebendige Schöpfertätigkeit 7‚ di’ ou heißt es 2, 10a von Gott, und ebenso 1, 2c vom Sohn. ‚ Daher könnte ebenso wie: ex eg no` & pa´nte& (2, 11) auch gesagt werden: ‚ ex eg no` & pa´nta. 3 Was ist, ist um seinetwillen und ist durch ihn oder von ihm her. 4 Auch was nicht er (er nicht) ist, ist nur in Bezug auf ihn bzw. auf ihn hin. 5 Von daher gehört die Eschatologie unverzichtbar zum Gottesgedanken des Hebr. 1 2

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

übt er spezifisch durch sein „lebendiges Wort“ aus (4, 12)6. 7 Darum heißt er im Hebr absolut og lalwn (12, 25a; von Jesus: Joh 4, 26; cf. 4, 10)7. Das ist gemäß 1, 1 und 2a die theologische Grundwahrheit von allem8. Diese absolute Bestimmung Gottes folgt – wie die og c1hmati´zwn (25b) – ebenso aus Hebr 11 (s. u. 9.) wie aus 1, 1f. Sie qualifiziert den redenden Gott als einen, der 7 ‚ früher (cf. pa´lai, 1, 1) epi` gh& zu vernehmen war (25b), jetzt aber 7 ‚ ‚ („heute“)9, und zwar eschatologisch, ap’ ou1anwn (25b). Der 7 lalwn schlechthin zu sein, qualifiziert die Gottheit Gottes. Gott ist der „lebendige Gott“ (3, 12) in seinem lebendigen Wort 7 7 7 ‚ und durch es: zwn ga` 1 og lo´go& tou qeou kai` ene1gh´& (4, 12a.a; cf. 1Thess 2, 13). Eben dies ist das göttliche Wort wie Gott selber in seinem Sein10. Sein lo´go& ist seine wesentliche Lebensäuße7 rung bzw. die Artikulation seines eigenen Lebens11. Als zwn kai` ‚ ene1gh´& erwies sich dieses „Wort Gottes“ auch schon in der Geschichte des lebendigen Redens Gottes gemäß 1, 1f – dies 7 besonders im Bewirken des polume1w& kai` polut1o´pw& bzw. im Erwecken immer neuer Propheten12 – und in den Hebr 11 6 2, 4 benennt die Taten und Wirkungen, durch die Gott sein Wort zusätzlich bezeugt und zeichenhaft zur Geltung bringt. Es ist überhaupt ‚ ene1gh´& (4, 12a). 7 D. h. der in jeder Gestalt selber Redende (s. u. 5.2.). Unmittelbar wird das auch gemäß v. 24b formuliert, und das besagt auch, dass 11, 4c im „Reden“ von Abels Blut (möglicherweise durch die Schrift vermittelt) auch schon Gott selber redet. 7 ‚ 8 Man kann erwägen, ob das göttliche Reden epi` gh& (12, 25b) 1, 1 7 ‚ ‚ entspricht und ap’ ou1anwn (25c) 1, 2a. 7 9 Cf. nun de´ (26). Für die Gemeinde ist das sh´me1on verschärft, weil zu es 7 7 ‚ ‚ ‚ ep’ esca´tou twn hg me1wn tou´twn gehört (1, 2a; cf. a´ c1i&, 3, 13b). 10 Für Luther gilt bezüglich Hebr 3, 5 die allgemeine theologische Voraussetzung: „quia sine fide impossibile est Deum nobiscum esse aut operari, cum ipse non nisi verbo operetur omnia“ (WA 57 H 143,1–3; cf. auch die bekannte Stelle WA 6, 516,30–32). 7 11 Was hier zwn heißt, stimmt sachlich mit Joh 5, 26 überein. Als „lebendig“ entfaltet das Wort Gottes Licht im Hörer eine eigene Dynamik: als Wahrheitsmacht im Innersten doch gegenüber (cf. Lk 2, 19). Es bringt die Eigenwirksamkeit des lebendigen Gottes am Ort alles Geschaffenen als dessen letzte Wahrheit zur Geltung: eschatologisch. 12 Dabei auch als k1itiko´& (4, 12c) in deren Droh- und Gerichtsworten,

5. Der redende Gott

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‚ berichteten Konstellationen13. Das Prädikat ene1gh´& interpretiert 7 14 hier zwn und meint seine geschichtliche du´nami& (cf. 1, 3; 2, 4; 6, 5) bzw. göttliche Lebensdynamik (cf. 7, 16), die in der Einheit von Sprechen und Wirken (Ps 33, 9) absolut performativ ist15. Des Weiteren besteht die Göttlichkeit dieses Wortes in seiner unwiderstehlich durchdringenden Schärfe, die ins Verborgene dringt16. Dieser Schärfe entspricht die Rede von dem richtenden Gott (12, 23: k1ith` & pa´ntwn) als einem „verzehrenden Feuer“ (12, 29; cf. 10, 27 sowie 1, 7c). Mit seiner unvergleichlichen „Eindringlichkeit“17 ist das Wort Gottes schlechthin k1itiko´& (4, 12b) bezüglich auch des verborgensten menschlichen Innern (ka1di´a, cf. 10,27; 3, 8 u. 4, 13c)18. Weil die unentrinnliche Macht des göttlichen Wortes alles Verborgene, und d. h. faktisch auch noch unsere geheimste Sünde, aufdeckt19, begreift 4, 13 es als das ‚ alles durchdringende Licht20, vor dem kein Geschöpf afanh´& die die faktischen religiösen Gegebenheiten und sozialen Verhältnisse im ‚ ‚ 7 Lichte des Vor-Gott-seins (enw´pion autou, 4, 13a) bzw. des göttlichen 7 ‚ 7 ‚ 7 Blicks (toi& ofqalmoi& autou, 13b) zur Sprache brachten. 13 Zur hierbei sich ereignenden Kondeszendenz schreibt Schlatter : „Gott scheidet sich nicht von seinem Wort. … Sein bleibt es, auch wenn es zu uns kommt in unser Ohr, in unser Herz, in unsern Mund, in unser Buch“ (a. a. O. 93; cf. 2Thess 2, 13). Zur göttlichen zwh´ in uns cf. 2Kor 4, 12b. ‚ 14 Zu ene1gei´a cf. 1Kor 12, 6 (Gott; cf. 12, 11; Eph 1, 11, Phil 2, 13); Eph. 1, 19; 3, 7 u. Kol 1, 29 (mit du´nami&); cf. Phil 3, 21; Gal 3, 5; Eph 3, 20; 1Kor 12, 10. Als „Energie“ der Auferweckung: Eph 1, 20; Mt 14, 2. 15 S. o. 4.6. 7 ‚ 16 tomw´te1o& ug pe` 1 pasan ma´cai1an di´stomon kai` diiknou´meno& a´ c1i 7 7 me1ismou yuch& kai` pne´umato& (4, 12a.b). ma´cai1a lässt an ein Richtschwert denken. Andererseits spricht Clem. Alex. vom pantepo´pth& 7 7 lo´go& (paed. 3, 8; 44, 1) und von Christus als og `lo& nou&, og `lo& fw& pat17 7 ‚ ‚ ‚ 7 w2 on, og `lo& ofqalmo´&, pa´nta og 1wn, pa´nta akou´wn, eidw& pa´nta, 7 ‚ duna´mei ta` & duna´mei& e1eunwn (strom. 7, 2, 5, 5). 17 Mit Jer 23, 23f schreibt Luther vom göttlichen Wort in augustinischer Tradition: „quia intimior et praesentior omnibus quam res ipsae sibi“ (WA 57 H 161,1f). 18 Cf. auch 8, 18b u. 10, 16b: ka1di´a und dia´noia. Man denkt an das augustinische „interior intimo meo“ (Conf III 6,11). 19 Darin ist es jedem bloß menschlichen Priester spezifisch überlegen. 20 Der Allwissende ist der Allsehende. Allerdings entspricht dem

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

bleiben kann, sondern in seinen Augen „bloß“ liegt21. Darum wird unser Logos22 im Gericht auf den Logos Gottes selber bezogen, und an seiner Wahrheit bemisst sich die unserige (4, 13c: ‚ 7 p1o` & og `n hmin og lo´go&). 5.1.2 Das mitgehende Wort 7 Weil es in vielfältiger Weise lebendig (zwn) ist, gilt es in diesem 7 7 Leben vor allem, das kalo` n qeou 1g hma zu „schmecken“ (geu´esqai, 6, 5a)23. Dabei erweist sich Gottes Wort als die eschatologische Lebensmacht; denn was sie zu schmecken gibt, sind – in ‚7 der Teilhabe am H.Geist (4c) – die duna´mei& me´llonto& aiwno& (5b; cf. 4b u. 19b)24. Diesem Weg-Charakter von Gottes Wort25 entspricht seine 7 7 7 ‚ 7 7 innere Stufung, die von den stoiceia th& a1ch& twn logi´wn tou 7 26 qeou (5, 12b) – als den Grundzügen des göttlichen Redens im ATund in Jesus27 – bis zu zum lo´go& dikaiosu´nh& (5, 13; cf. 6, 10) reicht28, den die te´leioi wahrnehmen, d. h. die, die dia` th` n eg´ xin ‚ ‚ ta` aisqhth´1ia gegumnasme´na e´conte& (5, 14)29. Das ist der Weg des Glaubens vom Anfang bis zum Ziel (3, 14), wie ihn der Durchleuchtetwerden, weil Gottes Wort Licht ist, auch das Positive eines ‚ ‚ durch es Erleuchtetwerden (fwtisqe´nte&, 6, 4). Cf. zu ouk … afanh´& (4, 7 7 7 7 ‚ ‚ 13) bei Aristoteles: fw& de estin hg tou´tou ene´1geia, tou diafanou& hg2 diafane´& (De anim. II, 7; 418 b 9f). ‚ 7 21 Die „Augen“ des Logos sind Gottes eigene (autou). Cf. S. Kierkegaard: „Denn die christliche Wahrheit hat … selber Augen, damit zu sehen, ja, sie ist wie lauter Auge“ (Einübung im Christentum. Nr. III, VI; Gesammelte Werke (Hirsch), 26. Abt. (1962), 225). 22 Im Sinne von „Rechenschaft“ (cf. Lk 16, 2). 23 Cf. Ps 34, 9 u. 1Petr 2, 3. 24 Vermittelt durch Christi „Schmecken“ des Todes ug pe` 1 panto´& (2, 9). 25 Zum og do´& s. u. 10. 4. und Anm. 133; 141; 143 sowie nach Anm. 158 u. IV. nach Anm. 111 und V. bei Anm. 126. 7 7 7 26 Plural! Dem entspricht schließlich og th& tou C1istou lo´go& als qeme´lion metanoi´a& (6, 1). 27 Was die Typologie des Hebr impliziert. 28 Er ist durch Jesus Christus vermittelt. 7 29 Ihre teleio´th& (6, 1) besteht in der Fähigkeit p1o` & dia´k1isin kalou 7 te kai` kakou im Gottesverhältnis (5, 14b).

5. Der redende Gott

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7 ‚ 7 lehrmäßige Weg des Hebr von den stoicei´a th& a1ch& bis zum lo´go& der endgültigen Gerechtigkeit nachvollzieht. Zu solchem Weg gehört (bzw. er setzt voraus), dass das ewige ‚ ‚ „Heute“ göttlicher Anrede mitgeht: kaq’ eg ka´sthn hg me1an, a´ c1i& 7 7 oug to` sh´me1on kaleitai (3, 13). So verzeitlicht sich das „lebendige“ Wort (4, 12) in Gottes Reden in der Geschichte, und schon vormals galt nach langer Zeit (d. h. der Wüstenwanderung ‚ bzw. des Josua: 4, 8) erneut: palin tina` og 1i´zei hg me´1an, sh´me1on ‚ (4, 7a), dann nämlich, als Gott en Daui`d sprach (le´gwn, 4, 7b, 7 (4, 7c)).

5.2 Die Vielgestaltigkeit göttlichen Redens 5.2.1 Gestalten des Redens I (allgemein) Eine erste Weise von Gottes Reden (nach dem Schöpfungswort)30 ‚ ist sein epagge´lesqai. Ein solcher von Gott mit seiner Verhei‚ ßung Begnadeter (epaggeila´meno&) war bereits Abraham (6, 13)31. Dieses eigene Sprechen Gottes (og qeo´&, 13a; le´gwn, 14) 7 gehört prominent in die Reihe des polume1w& kai` polut1o´pw& von Hebr 1, 1. Sodann gehört in die Verheißungsgeschichte ganz wesentlich der Ausblick auf einen Neuen Bund, wie ihn der Prophet Jeremia (Jer 31, 31–34) für den Hebr verkündet hat (8, 8ff). Schließlich hat die göttliche Verheißung eine eschatologische Dimension, sofern in solchem Wort irdische und himmlische pat1i´& unterschieden werden (cf. 11, 15 u. 16a). 7 Eine zweite Weise ist die Berufung durch Gott (kalein). So war schon Abraham ein im Glauben kalou´meno& (11, 8a)32. Entsprechend empfangen auch alle Berufenen (keklhme´noi) die ‚ epaggeli´a „des ewigen Erbes“ (9, 15c). Spezifisch war Aaron wie 30

S. o. 4.3. Zum „Schwur“ Gottes bei diesem Verheißungswort (6, 13b) s. u. 5.2.3. ‚ 7 32 Nahe verwandt damit ist der göttliche Segen (eulogein); cf. 6, 14 sowie 6, 7; 12, 17; 7, 6. Auch bezüglich des Segens ist Christus damit „mehr“ begabt als etwa Abraham (cf. 7, 7; Joh 8, 58), steht ihm doch Melchisedek entscheidend viel näher. 31

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

7 7 später jeder Hohepriester kalou´meno& ug po` tou qeou (5, 4)33, ‚ ‚ d. h. ex anq1w´pwn lambano´meno& und „eingesetzt“ für die Menschen, was ta` p1o` & to` n qeo´n betrifft (5, 1). Analog wurde ‚ auch Christus von Gott zum a1cie1eu´& „berufen“ bzw. „eingesetzt“ (gemäß 5, 1a) und so von Gott selber „verherrlicht“ ‚ ‚ (edo´xasen), indem dieser lalh´sa& p1o` & auton (5, 5a). Gott sagt ‚ ‚7 dabei (gemäß Ps 110, 4): su` ig e1eu` & ei& to` n aiwna (5, 6)34. Bei dieser göttlichen Anrede durch den Vater im Himmel (cf. auch p1osago1euqei´&, 10) handelt es sich aber um ein unvergleich7 liches, spezifisches kalein: Denn Gott konstituiert den ange-7 ‚ sprochenen Jesus zugleich als seinen ewigen Sohn: uig o´& mou ei ‚ 35 ` sh´me1on gege´nnhka´ se (5, 5b; wie 1, 5) . Indem er su´, egw diesen Menschen als seinen Sohn und zugleich als den Hohe‚ priester kat’ exoch´n ins Sein ruft, ist Gottes Reden hier (p1osago1eu´ein, 10)36 als inkarnatorisch zugleich auch soteriologisch (5, 9). Als dritte Weise göttlichen Redens wird die Verlautbarung des Evangeliums (bzw. seiner Vorformen) ausgezeichnet37. So begreift der Hebr die pate´1e& (3, 9) als oig p1o´te1on ‚ euaggelisqe´nte& (4, 6) und die gegenwärtige christliche Begnadung mit dem Evangelium in einer gewissen Kontinuität mit dem an jene ergangenen Gotteswort der Verheißung: kai` ga´1 ‚ ‚ ‚ 7 esmen euhggelisme´noi kaqa´pe1 kakeinoi (4, 2a; cf. 6)38. Die Verheißung an jene fällt unter das Hebr 1, 1 behauptete Reden 7 Gottes toi& pat1a´sin, sofern sich in jenem ersten Reden schon dessen Ziel ankündigte. Wegen dieser Kontinuität des Wortes gilt das 11, 40 Gesagte39 – gerade obwohl die Väter es nicht wirklich

33 Levi war durch Mose (stellvertretend für Gott?) kalou´meno& (cf. 5, 4 mit 7, 14b). 34 Das bzw. dieser Bezug auf Melchisedek wird Hebr 7 weitergeführt. 35 Das gilt für Aaron und die anderen Hohepriester nicht. 36 Dies Verb kommt neutestamentlich nur im Hebr vor. ‚ 37 Der Begriff euagge´lion selber findet sich im Hebr freilich nicht. 38 Daher auch 4, 1b die Mahnung, nicht hinter der noch gültigen Verheißung zurückzubleiben (ug ste1hke´nai). 39 S. o. 3.3.

5. Der redende Gott

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ergriffen haben (cf. 4, 2b mit 3, 7–11 u. 12)40. Aber zu hören war es 7 ‚ 7 damals wie in der Gegenwart als der göttliche lo´go& th& akoh& (4, 2b)41. In diesem aber macht sich die „Stimme“ (fwnh´) Gottes selber vernehmbar (3, 7b. 15; 4, 7b)42. So ist der Glaube sprachlich verfasst: als Hören auf Gottes lebendiges Wort43.

5.2.2 Gestalten des Redens II (geistvermittelt) Für den Hebr redet Gott auch in seinem Heiligen Geist, bzw. `& dieser Geist Gottes ist sprachlich verfasst wie Gott selber : kaqw 7 g´ gion (3, 7). Der H.Geist redet hier in le´gei to` pneuma to` a der h.Schrift (Zitat von Ex 15, 23 ; 17, 7; Dtn 6, 16 ; Num 14, 21–23; cf. Ps 95, 11) bzw. aus ihr als Gottes eigenem Wort44. So ‚ spricht er auch en Daui´d (4, 7; Ps 95, 7f)45 oder in einem ungenannten biblischen Autor (ti&, 2, 6), der den göttlichen Autor vertritt, sowie im Propheten Jeremias (10, 15). Gott ist ja über7 7 haupt path` 1 twn pneuma´twn (zhn 12, 9b; cf. 1, 14) und bezeugt sich daher auch in der Mitteilung des pneu´mato& ag gi´ou (2, 4). 7 Auch im Verdeutlichen (dhloun) der typologischen Bezüge erweist sich der H.Geist als die darüber aufklärende Instanz (9, 8). 7 g´ gion das Schließlich wird dem Geiste Gottes als to` pneuma to` a 7 Bezeugen (ma1tu1ei) der Einmaligkeit von Christi Heilstod (10, 14; 9,28) zugeschrieben und mit dem Reden Gottes selber iden‚ tifiziert (meta` to` ei1hke´nai … le´gei ku´1io&, 10, 15 u. 16)46. 7 7 40 Dem „lebendigen lo´go& tou qeou“ (4, 12a) sich zu versagen, heißt: 7 7 7 ‚ ‚ aposthnai apo` qeou zwnto& (3, 12). ‚ ‚ ‚ 7 ‚ 41 Cf. Röm 10, 17: a´ 1a hg pi´sti& ex akoh&, hg de` akoh` dia` 1g h´mato& 7 C1istou. 42 Cf. auch Hebr 12, 19 u. 26. Nach Luther ist das Einzige und Wichtigste, was Gott von allen Menschen fordert, „ut audiant vocem eius“ (WA 57 H 142,19). 43 S. u. 6.2. u. 3. 44 Unter Anspielung auf Hebr 1, 1 heißt es im 3.Artikel des NicaenoConstantinopolitanischen Symbols vom H.Geist: „qui locutus est per 7 7 7 prophetas“ (to` lalhsan dia` twn p1ofhtwn); BSLK 27,4f (bzw. 26u.). 45 Ab 4, 3 ist dies Reden nicht mehr von dem Gottes zu unterscheiden. 46 Wieder im Schriftzitat (Jer 31, 33f).

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

Wie besonders an der Stelle 3, 7 deutlich wird, entspricht das 7 g´ gion (7a) dem sh´me1on Sich-vernehmen-lassen des pneuma a (7b), das seinerseits in der nur aktuell lebendigen fwnh´ (7b) konkret wird. In diesem Gefüge des Textes von „Heute“, göttli7 cher „Stimme“ und „Geist“ wird der qeo` & zwn (3, 12) so vergegenwärtigt, dass er auch den Lesern des Hebr und ihrer Gegenwart in einem Kairos nahe kommt47, für den die (immer mitge7 ‚ sagte) Mahnung gilt: kaq’ eg ka´sthn hg me´1an, a´ c1i& oug to` 7 sh´me1on kaleitai (3, 13)48.

5.2.3 Gestalten des Redens III (speziell: Der Schwur) Zu Gottes eigenem Reden gehört das Schwören bei sich selbst (cf. 7, 12 u. 28: lo´go& (Ps 110, 4) mit 3, 11. 18; 4, 3b). Die übliche Funktion eines Schwurs, allen Zweifel oder Widerstreit durch Anrufung eines „Größeren“ (6, 13) definitiv zu beenden (6, 16), wird vom Hebr im Falle Gottes durch eine eigentümliche Potenzierung seiner Rede als unverbrüchlich qualifiziert. Gott schwört zur unbedingten Bekräftigung seine Verheißung an 7 Abraham kaq’ eg autou (6, 13)49. Das besagt eine ausdrückliche Zu- bzw. Aneignung des mit der Verheißung Gesagten, nämlich an sich selbst sein Wort als absolut sein eigenes zu bestätigen50. Auch im Falle der Einsetzung Jesu zum Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks (7, 15–17) instauriert Gott sie – perfor‚ 7 Nach Heraklit reicht (exikneitai) die durch die Sibylle vermittelte 7 7 Stimme Gottes (thi fwhi dia` to` n qeo´n), durch tausend Jahre (cili´wn ‚ 7 etwn); (Diels / Kranz I, 172,4f (B 92); nach Plutarch, de Pyth. or. 6). 48 Damit werden 3, 8b und die 40 Jahre der Wüstenwanderung (10a) aktualisiert. 7 49 D. h. auch in gewisser Weise kata` tou mei´zono& schwören (6, 16a)! Denn Gott verdoppelt so gleichsam sein Wort bzw. sich in seinem Wort (6, 18a). Cf.: „Gott schwört bei seinem Leben, / er dich nicht lassen will“ (Lob Gott mit Singen, Str. 3; EG 243). ‚ ‚ 50 Daher gilt auch hier gesteigert: pa´sh& … antilogi´a& pe´1a& ei& ‚ bebai´wsen og o´1ko& (16b). Der göttliche Schwur begründet so in der Tat eine „bessere Hoffnung“ (7, 19b). 47

5. Der redende Gott

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mativ – für alle Ewigkeit durch seinen Schwur (og 1kwmosi´a)51. ‚ Dadurch wird auch hier Gottes letztgültige Selbstbeteiligung (ei& ‚7 to` n aiwna) bzw. sein absoluter Selbsteinsatz52 sprachlich ins 7 ‚ Spiel gebracht und dokumentiert, was 6, 17b to` ameta´qeton th& 7 ‚ 7 boulh& autou genannt wird53. 5.2.4 Gestalten des Redens IV (speziell: Der Nomos) Stellt Gottes Schwur das Beispiel für ein verheißungsbezogen potenziertes Reden Gottes dar54, so der göttliche no´mo& das für ein von Gott selber produktiv zu überbietendes Gotteswort55. Der Hebr reflektiert damit im Rahmen seiner Theologie die Ablösung des alttestamentlichen „Gesetzes“ durch das neutestamentliche Evangelium (als die „bessere diaqh´kh aufgrund besserer Verheißungen, 8, 6), das von alters her verheißen war56. Dabei ist als selbstverständlich vorausgesetzt: der Autor des „neuen“ no´mo& im Neuen Bund ist Gott (8, 10a u. c), weil er und wie er es schon bezüglich des „alten“ war57. Das gilt auch da, wo das „Gesetz“ als durch Mose vermittelt und insofern als „sein“ 7 6, 13b ist eine Vorabschattung des lo´go& th& og 1kwmosi´a& (7, 28b). Cf. auch 6, 18f u. 7, 22 (diaqh´kh). 53 Cf. dazu genauer u. zu 12, 26ff (IV. 10.8.). 6, 18a spricht von den dia` ‚ du´o p1agma´twn ametaqe´twn, d. h. dem im Reden Gottes selber (durch ‚ den Schwur) „unwankend“ Gemachten, was in iscu1a´n (18c) aufgenommen wird. 7 ‚ 54 Nach 7, 28b installiert der lo´go& th& og 1kwmosi´a& … uig o` n ei& to` n ‚7 aiwna teteleiwme´non. Im Gegensatz dazu steht 7, 19a. 55 Das Verhältnis von no´mo& und lo´go& entspricht dem von Hebr 1, 1 u. 2a. Cf. dazu die Bemerkung S. Kierkegaards: „das Gesetz gleicht einem nur mühsam Sprechenden, der trotz Anstrengung doch nicht alles sagen kann, aber Liebe ist die Erfüllung“ (Der Liebe Tun. Gesammelte Werke (Hirsch / Gerdes), 19. Abt. (1966), 116); cf. dazu Hamann, zit. o. I. Anm. 51. 7 56 Auch für den Hebr ist so das Gesetz pa1eishlqen (Röm 5, 20). Die ‚ Formulierung von 8, 6c: epaggeli´ai& nenomoqe´thtai enthält in nuce die „Metathesis“ des Nomos (s. u.). 57 Auch hier gilt der zweite Satz der vorigen Anm. Es ist eine bemerkenswerte Eigenart des Hebr, den Nomos im Rahmen des Bundes Gottes mit seinem Volk zu begreifen (cf. Goppelt, Theologie, a. a. O. 590). 51

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

Gesetz erwähnt wird (9, 19; 10, 28). Der bisher gültige Nomos regelte grundlegend das Priestertum (7, 28a; cf. 7, 5)58 und die von diesem zu verwaltende Opferpraxis (8, 4 u. 22; 9, 19; 10, 8c)59. Aber die bloße Erfüllung des no´mo& durch ein äußeres Tun (10, 4) findet nicht das göttliche Wohlgefallen (10, 8; cf. 5f). Darum ‚ erweist sich an der asqenei´a seiner menschlichen Diener die eigene Schwäche des no´mo& selber60. Denn es ist an „fleischliche“ 7 ‚ Gebote geknüpft (entolh& sa1ki´nh&, 7, 16)61. Wie diese ist auch ‚ ‚ das Gesetz selber asqene` & kai` anwfele´& (7, 18) und daher jedenfalls nicht absolut vollkommen. Denn es steht für den Hebr ‚ ‚ fest: oude` n ga` 1 etelei´wsen og no´mo& (7, 19a, cf. 11; 10, 1b. 2 u. 14), und daher bringt es uns Gott nicht wirklich näher (nahe, 19b)62. Darum kann der bisherige no´mo& nur als eine Vorab7 7 ‚ schattung des kommenden Heils (twn mello´ntwn agaqwn)63 ‚ und nicht schon als dessen Wesensabbild oder -inbegriff (auth` n

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Der no´mo& ist mit dem Priestertum Levi verbunden (7, 11), denn er hat das Levirat eingesetzt. 59 Der Zusammenhang von Bund, Opferdienst und Gesetz (9, 19) verdichtet sich im Thema der Sündenvergebung (cf. 9, 20 mit 22 und 8, 12 mit 7 ‚ 10, 18); und die Rede von der aqe´thsi& th& ag ma1ti´a& (9, 26b) entspricht der 7 ‚ von der aqe´thsi& tou no´mou (7,18). 9, 20 (Ex 24, 8) gilt gesteigert und exklusiv vom Neuen Bund (Mt 26, 28f; cf. Hebr 7, 22). 7 ‚ 60 Wie es hier vom Gesetz: oude´pote du´natai … teleiwsai (10, 1c.b) 7 ‚ heißt, so bei Paulus: to` adu´naton tou no´mou (Röm 8, 3). 61 ‚ entolh´ hängt engstens mit dem no´mo& als seine konkrete Zuspitzung zusammen; cf. 7, 5a. 18; 9, 19. Zu seiner „Fleischlichkeit“ cf. auch das Entsprechende 9, 22 u. 10, 4. 8. 62 Dies Wort steht – gemäß 8, 10c – für die vollendete, wahre Gemeinschaft mit Gott; cf. Joh 14, 6; für den Hebr ist Jesus Christus der mesi´th& schlechthin (9, 15; cf. 1, 5; 2, 12 u. 13b). Eben dass sie das bewirkt, macht die Überlegenheit der „besseren Hoffnung“ aus (7, 19b), die der besseren diaqh´kh entspricht (22). Der Begriff des mesi´th& ist für den Hebr (im Vergleich zum sonstigen NT) relativ zentral. Vielleicht kann man ihn, der bei Paulus für Mose gebraucht wird (Gal 3, 19), als Gegenüber zu Gott als „verzehrendem Feuer“ (Hebr 12, 29) verstehen, so dass die beiden „Gesichter“ Gottes verteilt wären auf den richtenden Vater und den versöhnenden Sohn. ‚ ‚ 63 Die me´llonta agaqa´ sind die geno´mena agaqa´ von 9, 11.

5. Der redende Gott

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‚ th` n eiko´na) begriffen werden (10, 1a u.b)64. Das Gesetz gibt noch ‚ nicht Anteil am eigenen Leben Gottes, das akata´luto& ist (7, 16)65. Eine solche telei´wsi& kann nicht aus ihm kommen (cf. 7,11; 4, 8), sondern allein von einem neuschaffenden Weitersprechen Gottes (28b: lo´go&)66. Dadurch, dass es noch nicht vollkommen ist, dient das Gesetz aber doch zur Vorbereitung des Vollendeten, von der sich das Neue abstoßen kann (7, 14), bzw. es ist notwendig „vor-läufig“ (p1oagou´sh&, 18)67. Gemäß der „Schwäche“ des levitischen Priestertums68 ergibt sich die Notwendigkeit eines anderen (cf. eg´ te1on ig e1e´a, 7, 11b), und mit dessen Ablösung (metatiqeme´nh&)69 ist zwangsläufig ‚ ‚ auch die des Gesetzes verknüpft: ex ana´gkh& kai` no´mou meta´qesi& gi´netai (7, 12)70. Das bedeutet einerseits im zeitlichen Sinne, dass der endgültige Heilsschwur Gottes „nach“ dem Gesetz erfolgt: meta` to` n ‚ Genauer : der Nomos „hat“ nur (e´cwn) einen Schatten davon (sc. an ‚ sich), d. h. aber ist nicht völlig nur ein solcher. eikw´n bedeutet hier : das Aussehen bzw. die Gestalt (Erscheinung) bzw. wirkliche Gestalt der Dinge selbst (Grässer), während p1a´gmata diese Sache selber meinen – das Wesen im Unterschied zu einem Schatten davon. ‚ ‚ ‚ 65 oude` n ga` 1 etelei´wsen og no´mo& (7, 19). Cf. auch: oude´pote du´natai 7 … teleiwsai (10, 1c; cf. 9, 9). ‚ 66 Cf. 7, 13: ef’ og `n ga` 1 le´getai (mit 5, 6 bzw. 6, 20 u. 7, 17). Aus 7, 11. 12. 19a ergibt sich: auch für den Hebr ist Christus das te´lo& des Gesetzes (Röm 10, 4) – durch ein Weitergesprochenhaben Gottes (gemäß 1, 1). 67 Erinnert sei an das o. entwickelte Verständnis von Hebr 1, 1f als eines ganzen, zu Ende gesprochenen Satzes (I.1. u. 2.). 68 Dazu s. u. V. 13.2.5. 69 Vom Wechsel des Hohepriestertums als meta´qesi& spricht Jos. Ant. 12, 382. 7 70 Das entspricht dem Gotteswort von 8, 10b u. c. Die meta´qesi& tou 7 no´mou ist auch an der gleitenden Bedeutung des Wortes nomoteqeisqai selber zu veranschaulichen; cf. 7, 11b (legem accipere) mit 8, 6c! Diese „Metathesis“ ist auch darin impliziert, dass 8,10b u. 10, 16 von einem neuen „Gesetz“ die Rede ist, das insofern keins mehr ist, als es den Menschen nach innen, ins Herz geschrieben wird und so der Abstand zwischen Gott und Mensch endgültig beseitigt ist. Zum grammatischen Sinn von Metathesis (transpositio) cf. E.Jenni, Lehrbuch der Hebräischen Sprache des Alten Testaments (20094), 165. 64

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

no´mon (7, 28). Die „Metathesis“ ist andererseits auch die Aufhebung des Gesetzes im logischen Sinne einer verändernden Wiederholung unter neuen Bedingungen71. Das impliziert eine be‚ stimmte Negation, denn meta´qesi& ist immer auch aqe´thsi& (7, 18)72. Damit wird an dieser Stelle die 8, 13 und 10, 9b formulierte Logik der Aufhebung auch hier geltend gemacht73 ; zugleich wird absehbar, dass der dem Hebr eigentümliche Begriff der meta´qesi& auch eine eschatologische Valenz besitzt (cf. u. 10.8. zu 12, 27). 5.2.5 Gestalten des Redens V (absolut: Der Sohn) Der Hohepriester Jesus Christus ist als das endgültige Wort Gottes zu begreifen, wie schon 1, 2a angekündigt hat. Dieses Wort ‚ stammt nicht aus dem Nomos und seiner entolh` sa1kinh´, sondern hat seine spezifische Genese (ge´gonen) in der zwh´ ‚ akata´luto& Gottes selber (7, 16; cf. Joh 5, 26)74. Dessen du´nami& (1, 3b) ist auch die „Energie“ des göttlichen Wortes (4, 12)75, und aus dieser kommt die no´mou meta´qesi& (7, 12)76. Gottes eigenes Leben hat das Wort in sich selber und ist in Ewigkeit sprachlich verfasst (cf. Joh 1, 1); daher ist Christus der neue und vollkom-

71 Cf. auch 10, 16b. Fragt man nach dem Verhältnis der Metathesis (7, 15) zum unwandelbaren Gotteswillen (6, 17), so ist zu sagen: Gottes Wille erreicht und realisiert seine Unwandelbarkeit durch eine ewige Neubestimmung (cf. 12, 26f und dazu u. 10.8.), so wie sein eines Reden sich in zwei Sequenzen darstellt (gemäß 1, 1 u. 2a). D. h. seine Selbstübereinstimmung ‚ ist lebendig: zwh` akata´luto& (7, 16). 72 Der Begriff nur noch 9, 26 (von der Sünde). 73 S. o. I. 3. Nach Grässer ist die abrogatio legis ein „unerhörter Gedanke“ (a. a. O. 47). 74 „Leben“ steht hier in Antithese zum „Gesetz“; cf. 2Kor 3,6 u. Röm 8, 3. 75 Das entspricht der paulinischen Rede von der du´nami& des Evangeliumswortes (Röm 1, 16). 76 Luther zitiert zur meta´qesi& bezüglich des Neuen Bundes das Sprichwort: „Novus rex, nova lex“ (WA 57 H 39,17).

6. Der wortbezogene Glaube

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‚ ‚7 mene Priester ei& to` n aiwna (7, 17)77 – in Gottes Wort „gefasst“ 7 (ma1tu1eitai).

6. Der wortbezogene Glaube Es bezeugt die systematische Verfassung der Theologie des Hebr, dass nicht nur häufig in wesentlichen Aussagen vom Glauben die Rede ist, sondern dass sich in ihm auch eine explizite Wesensbestimmung des Glaubens findet (s. u. 6.1. u. 2.) – die einzige im NT. Der Begriff der pi´sti& verlangt an sich schon wegen seiner grundlegenden Bedeutung als spezifischer Inbegriff des christlichen Gottesverhältnisses und derart als religiöser Grundbegriff überhaupt eine systematische Klärung78. Eine solche Thematisierung des Glaubens als solchen ist freilich für eine WortTheologie, wie der Hebr sie entfaltet, nicht nur konsequent, sondern strukturell unverzichtbar. Daher sind hier auch Aussagen über das gegenseitige Verhältnis von Wort und Glaube zu erwarten79. Wenn Gott „der Redende“ ist, ist der Glaube an ihn notwendig wortbezogen, d. h. sprachlich verfasst. Wenn mithin der Hebr durchweg und wesentlich als eine Theologie des göttlichen Wortes zu bestimmen ist, so gehört dazu unvermeidlich, dass er auch eine eigene Theologie des Glaubens entfaltet. Denn „Glaube“ ist die spezifische „Antwort“ des Menschen auf das Hören des göttlichen Wortes (Röm 10, 17). Indem das Wort Gottes einerseits eine Geschichte hat (1, 1 u. 2a), muss der Hebr auch eine Geschichte des Glaubens (s. u. 9.) kenntlich machen80. Da andererseits das Wort Gottes, damit zu77

Cf. ausführlich o. 4.7.: Der ewige Sohn. Zur spezifisch-christlichen Bedeutung von „Glauben“ (pisteu´ein) cf. G. Ebeling, Jesus und Glaube; in: Wort und Glaube, Band I (1967), 203ff. 79 Dass hier die – aus der reformatorischen Theologie bekannte – Korrelation von Wort und Glaube stark gemacht werden kann, hängt damit zusammen, dass u. a. auch M. Luther in seiner frühen Hebr.-Vorlesung von 1517/18 (WA 57 H) auf diese Zusammenhänge aufmerksam geworden ist. 80 Auch wegen der geschichtlichen Entwicklung und Vielgestaltigkeit des Glaubens in der biblischen Tradition – wie sie der Hebr 11, 4ff selber im 78

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

sammenhängend, eine eschatologische Kraft ist (du´nami&), gehört zum Glauben an dies Wort wesentlich auch Zukunftsbezogenheit bzw. Hoffnung (s. u. 6.1.1. u. 1.3.).

6.1 Das Wesen des Glaubens (11,1) Die fundamentale Wesensbestimmung dessen, was der (christliche) Glaube als solcher (nach seinen formalen Grundzügen) ist, ist unmittelbar motiviert durch die Gewißheit der Glaubenden, ‚ nicht für die Verdammnis (apw´leia) bestimmt zu sein, sondern eben durch den Glauben zur heilvollen Erwerbung und Bewah7 rung bzw. Errettung der Seele (10, 39: pe1ipoi´hsi& yuch&. Cf. 38a)81. Sie ist so umfassend formuliert, dass alle geschichtlich aufgetretenen Varianten biblischen Glaubens von ihr aus theologisch erhellt werden können82. Mit dieser zweigliedrigen Formel werden die konstitutiven Momente von pi´sti& im Sinne des Hebr und vor dem Hintergrund seiner Wort-Theologie benannt, wie zu zeigen ist. Entsprechend eröffnet 11, 1 einen (von v. 3 bzw. 4 an ausgeführten) Durchblick durch die biblische Geschichte des Gottesvolkes, den Blick hat – ergab sich für diese Theologie die Notwendigkeit, eine definitionsartige Bestimmung des Glaubensbegriffs systematisch zugrunde zu legen (11, 1). Zu berücksichtigen war dabei auch, dass der Glaube als ein geschichtlich bedingtes, menschliches Verhalten immer auch die Möglichkeit und Wirklichkeit des Verfehlens seiner Wahrheit eröffnet; daher die mannigfaltigen Ermahnungen und Paraklesen im Hebr. Denn schon das ‚ 1, 1f Gesagte enthält die doppelte Möglichkeit, der api´stia (s. u. 6.3.2.) und der pi´sti& (s. u. 6.3.1.). So sagt E. Grässer, der ganze lo´go& pa1aklh´sew& bleibe „in jeder Phase grundgelegt und rückbezogen auf das exordium“ (1, 1 u. 2a). 81 Wegen des Anschlusses von 11, 1 an 10, 39 besagt das de´ in 11, 1a eine ins Grundsätzliche ausweitende Begründung (etwa: „nämlich“ oder : „indes“). 82 Für Thomas schließt Hebr 11, 1 alle anderen Glaubensdefinitionen in sich: „Omnes autem aliae definitiones, quaecumque de fide dantur, explications sunt huius quam Apostolus ponit“ (Thomas von Aquin, STh II/2, q.4, a.1. resp.). Nach L. Goppelt geht es hier nur „um das formale Wesen dieses Glauben“ (a. a. O., wie u. V. Anm. 1, 211); cf. aber u. Anm. 143.

6. Der wortbezogene Glaube

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‚ 11, 2 ankündigt (ema1tu1h´qhsan), als eine Geschichte des Glaubens, deren Grundstruktur bereits 1, 1 programmatisch formuliert hat83. 6.1.1. V. 11, 1a bestimmt den Glauben durch ein spezifisches ‚ Verhältnis zu den elpizo´mena, und dies Erhoffte findet er in den ‚ epaggeli´ai des göttlichen Wortes (cf. 8, 6b) bzw. Christi (10, 23; cf. 11, 11b). So ist – letztlich wegen der eschatologischen Bewegtheit des kommenden Gottes84 – der christliche Glaube zu‚ gleich immer auch Hoffnung auf ihn85 (elpi´&, cf. 3, 6; 6, 11 u. 18c; 7 7, 19b)86. Als Hoffende stellen sie tou` & me´llonta& klh1onomein swth1i´an dar (1, 14b). 7 ‚ Ist der Wortbezug des Glaubens über den lo´go& th& akoh´& ‚ (4, 1f; cf. Röm 10, 17) bzw. die epaggeli´ai (4, 1f) bzw. die ‚ elpizo´mena vermittelt, so ist das identisch damit, dass das Wort 7 ‚ Gottes 1g hma von den ou blepo´mena (cf. 11, 3 u. 7a) handelt87. Dem Glauben eignet als solcher Hoffnung auf das Verheißene eine substantielle Gewißheit (cf. ug´ pa1xi&, 10, 34b): ug po´stasi&. Sie entspricht ebenso der Gewißheit der Errettung der Seele (10, 39; s. o.) wie dem „sicheren und festen Anker“ der Seele, den die

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11, 40 fasst diese Geschichte von ihrer Vollendung gemäß 1, 2a nach ihrem Sinn zusammen (cf. o. 3.3.3.). ‚ 84 S. u. IV. Cf. auch 10, 37b: og e1co´meno& hg´ xei. ‚ 85 Die pi´sti& epi` qeo´n (6, 1b) – in diesem Sinne – gehört zum qeme´lion des christlichen Glaubens. Cf. (mit Bezug auf Hebr 11, 1) M. Theunissen, Die Hoffnung auf Gott und der Gott der Hoffnung; in: Internat. Zeitschr. f. Philos. 2 (1999), 258–273. 86 Diese bessere Hoffnung ist es deswegen, weil sie die Glaubenden 7 7 ‚ wirklich dem kommenden Gott näherbringt (7, 19b: eggi´zomen tw2 qew2 ); sie ist wesentlich Christus-bezogen, weil durch ihn vermittelt (cf. 7, 22 mit 25). 87 Glauben bedeutet wegen des sich im Nicht-Sichtbaren durch das Wort vernehmlich Machenden soviel wie Hören: „quod verbum non erit ostensio praesentium, sed testimonium non apparentium. Idcirco opus est, ut audias, quod videre et capere non poteris“ (Luther zu Hebr 3, 5; WA 57 H 138,23–139,2). Zu 11, 3 s.o. genauer 4.3.! Dies vermittelt einen „Vorgeschmack“ des Kommenden (cf. 6, 5).

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

Glaubenshoffnung bedeutet (6, 19a)88. Damit kann das Wort ug po´stasi& an dieser Stelle als das „wirk-liche“ Wesen bzw. die „Verwirklichung“ des Glaubens verstanden werden89, der selber so etwas wie die vorlaufende Gegenwart des Geglaubten darstellt90. Er ist der Ort, wo die Vollendung sich vorweg schon da ist und insofern nicht bloß subjektive Antizipation91. Die Glaubensdefinition des Hebr impliziert: der Glaube soll sich ihr ‚ gemäß verstehen: als Statthalter (ug po´stasi& bzw. e´legco&) dessen, worauf er sich richtet. Er kann dies mit Gewißheit sein, weil der durch die Engel ihm zugesprochene lo´go& be´baio& ist (2, 2a) 7 ‚ ‚ und als eigenes Wort des Kyrios ei& hg ma& ebebaiw´qh (2, 3b)92. 6.1.2. V.11,1b fügt dem als zweite Grundbestimmung den Bezug ‚ des Glaubens auf die ou blepo´mena hinzu, die das 1a Gesagte weiterführt. Dies Nichtsichtbare ist zunächst das Wort (als nur zu Hörendes)93 und sodann das, was dieses verheißt: Gottes eigenes

88 Dieser Anker trägt, christologisch vermittelt, ins ewige Heil (6, 19f). Seine Sicherheit und Festigkeit begründet die Gewißheit des Glaubens als eine extra nos. Zur „Befestigung“ cf. auch 2, 3 u. 13, 9b. Sie schließt das ug poste´llein aus (cf. 10, 38b). 89 Cf. auch 1, 3; Diogn 2, 1 sowie Bauer, Wörterbuch 1675 (mit weiteren Belegen). 90 Luther begründet die Aussage, bezüglich der rerum sperandarum sei der Glaube „ipsum eorum essentia“, mit Verweis auf sein Verhältnis zur Auferstehung: „Ut puta, resurrectio nondum facta est necdum est in substantia, sed spes eam facit subsistere in anima nostra“ (cf. WA 57 H 228,4–7). 91 Daher kann Jesus auch als „Anfänger“ des Glaubens bezeichnet werden (12, 2; s. u. 7.3.), und der Glaube hat selber etwas Anfängliches („quasi quoddam inchoativum“; Thomas z.St.). 92 Dass der Glaube be´baio& ist, reflektiert sich in den Begriffen ug po´‚ stasi& und e´legco&. 93 Luther : „Idcirco opus est, ut audias, quod videre et capere non poteris“ (WA 57 H 139,1f); so gilt auch von Evangelium: “solo auditu percipitur et fide creditur, quod nulla alia via nec sensu nec ratione cognos‚ citur” (a. a. O. 139,14–16). Entsprechend ist Gott im Hebr : og ao´1ato& (11, 27; cf. 6b).

6. Der wortbezogene Glaube

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Kommen (cf. 11, 7a)94. Der wesentliche Bezug des Glaubens auf das Unsichtbare entspricht also der nicht fixierbaren Bewegtheit ‚ des „lebendigen“ Gottes. e´legco& besagt: Als Hinausgehen über alles Sichtbare und Gegenwärtige hält der Glaube den Ort der kommenden, noch unsichtbaren Wirklichkeit (des Eschaton) offen und ist selber ihr „Beweis“, in welcher Gestalt sie (es) sich mit ihm ankündigt. Daraus ergibt sich unmittelbar die Konse‚ quenz, dass ou blepo´mena keinesfalls im platonischen Sinne zu verstehen sind (cf. 2Kor 4, 18), sondern wesentlich christlich als 7 eschatologisch von: twn mhde´pw blepome´nwn (11, 7a)95. Das Nicht-Sichtbare ist für den Hebr. als solches sprachvermittelt und ‚ nur so überhaupt zugänglich. e´legco& ist so etwas wie ein Taterweis für die wortvermittelte Gegenwart des Noch-nicht-Sichtbaren: ein bewährendes Zeugnis für die Vergegenwärtigung des Zukünftigen96. Dabei ist der Glaube selber nichts eigentlich Sichtbares, sondern etwas nur im Bekennen sich vernehmbar ‚ Machendes und insofern auch ein „Erweis“ der ou blepo´mena. ‚ 6.1.3. ug po´stasi& und e´legco& (11, 1a u. b) bezeichnen jedenfalls die wirksame Präsenz des Geglaubten am Ort des Glaubens selber, d. h. „Glaube“ (als fides, qua) wird von seinen Gegenständen (fides, quae) her begriffen, die sich in ihm so reflektieren, dass sie ihn überhaupt als Glauben konstituieren. pi´sti& ist für den Hebr die spezifisch angemessene Art und Weise, wie die göttlichen ‚ ‚ elpizo´mena und ou blepo´mena menschlich zur Wirklichkeit kommen können97. Derart ist der Glaube ein existierendes, eschatologisch ausgerichtetes Wirklichkeitsverhältnis. ‚ Es ist – gleich, wie ug po´stasi& und elegco& zu übersetzen sind – gemäß der Struktur von 11, 1a u. b ausgespannt zwischen 94 Als auf das mit Gott zu Erhoffende gerichtet, gilt vom Glauben daher Lk 9, 62. 7 ‚ 7 95 Cf. 2, 8a: nun de` ou´pw og 1wmen. ‚ 96 Darin schwingt das Moment des „Überführtwerdens“ (elegmo´&) – Überführtwerden von der Wahrheit (cf. das Passiv 11, 2) – als kontrafaktisch zu allem Sichtbaren mit; Schlatter spricht von der „Stimme des Unsichtbaren“ (a. a. O. 221). Cf. auch 11, 7: kate´k1inen to` n ko´smon. 97 Cf. Luthers „Gott und Glaube gehören zuhauff“ (BSLK 560, 21f).

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

„schon“ und „noch nicht“, und eben diese Zukunftsbezogenheit stiftet dem Glauben das Moment wesenhafter Hoffnung ein98 ; allerdings keine „Hoffnung“ im prinzipiell offenen, soz. absoluten Sinn99, sondern die im Gottesglauben begründete und inbegriffene eschatologische Hoffnung auf die noch kommende, endgültige Vollendung des Glaubens selber und aller Dinge durch Gott, die im Erscheinen des Gottessohnes (als existierendem Gotteswort) schon antizipiert ist (cf.Kol 1, 5). Damit ist auch gesagt: Die Glaubensdefinition von Hebr 11, 1 enthält eine gewisse Spannung zwischen den unverfügbaren „Gegenständen“ des Glaubens und dessen Bestimmung durch die uneingeschränkt affirmativen Termini ug po´stasi& und ‚ ‚ ‚ e´legco&, und zwar dergestalt, dass die in elpizo´mena und ou blepo´mena impliziten Negationen100 am Ort der pi´sti& eine (vorläufige) positive Instantiierung erfahren101. Das gibt dem Glauben einen paradoxen Zug mit102.

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Cf. 1Kor 13, 13a (in anderer Reihenfolge als Hebr 6, 10–12). Also nicht im Sinne von E.Blochs Hoffnungsdenken. Gleichwohl wird der Glaube im Hebr doch eingezeichnet in eine Art „Ontologie des Nochnicht-seins“. Indem auch vom Hebr. gilt, was Luther zu Röm 8, 19 („expectatio creaturae“) formulierte: „Aliter Apostolus de rebus philosophatur et sapit quam philosophi“ (WA 56, 371,1f). ‚ ‚ 100 Wobei elpizo´mena mehr positiv formuliert, was ou blepo´mena mehr negativ ausdrückt. 101 Das entspricht dem Verhältnis von „Schon“ und „Noch-nicht“. Im ‚ Übrigen gilt: elpizo´mena bewahrt in eschatologischer Ausrichtung die ‚ Formulierung ou blepo´mena vor einem platonisierenden Missverständnis; umgekehrt verhindert diese Formulierung ein Missverstehen des „Gehofften“ als innerweltliches Hoffnungsziel, indem es die Hoffnung des Glaubens auf den kommenden Gott ausrichtet (cf. 2 Kor 5, 7). 7 102 Cf. wg & og 1wn (11, 27b). Für Calvin gilt hier vom Vf. des Hebr : „loquitur acsi diceret evidentiam non apparentium rerum, visionem earum quae non videntur, perspicuitatem obscurarum, praesentiam absentium, demonstrationem occultarum“ (Inst. III, 2, 41); cf. dazu K. Barth, KD IV/1, 366. 99

6. Der wortbezogene Glaube

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6.2 Glaube und Wort (4, 2) Ist die Wesensbestimmung des Glaubens 11, 1 ganz von dessen Wortbezug her zu verstehen, so lässt sich von genau diesem Bezug auf „Verheißung“ und „Evangelium“ aus 4, 1f noch eine weitere, plastische Veranschaulichung dessen gewinnen, was mit ‚ ug po´stasi& und elegco& auch gemeint ist103. Hier wird in einer bemerkenswerten Formulierung gesagt, dass 7 ‚ 7 der lo´go& th& akoh& (4, 2b.a)104 nur dann seine Kraft wirksam ‚ 7 7 entfaltet (wfelein), wenn er bei den ihn Vernehmenden (toi& 7 ‚ akou´sasin) mit ihnen „im Glauben“ (bzw. durch ihn: th2 pi´stei) „zusammengewachsen“ ist (4, 2b.b: sugkeke1asme´nou&)105. Dies meint unmittelbar eine wirkliche Vereinigung und unlösbare Verbundenheit106, ja Teilhabe am im Wort gegenwärtigen Christus107, kann aber der Sache nach mit der Metapher des „Zusammenwachsens“ angemessen wiedergegeben werden108, weil so das innige Durchdrungenwerden und –sein vom lebendigen Wort (lo´go&) zum Ausdruck kommt109. Betont wird damit das lebendige Einsgewordensein in einer Lebensform des eige‚ Zu 4, 1 ist zu sagen: Solange das ou´pw gilt (2, 8b; cf. 1Joh 3, 2), ist ‚ ‚ auch kataleipome´nh& epaggeli´a& in Kraft (cf. 4, 3a u. 3, 13b: a´ c1i&). Ihr gegenüber kommt es darauf an, nicht ug ste1hke´nai (cf. auch 12, 15). 104 Die Wendung fasst in nuce den engen Zusammenhang, der im Glauben zwischen Logos und Hören besteht; cf. auch ug pakou´ein (5, 9). Luther : „Wort der Predigt“ (cf. auch Röm 10, 17). 7 ‚ 7 105 Die Textvariante toi& akousqeisin (App.) besagt: durch jene mit dem Gehörten (hier dann besser : „durch den Glauben“ verbunden); cf. 2, 1. 106 Hier ist nicht mehr zu trennen, „was Gott zusammengefügt hat (sune´zeuxen)“, (Mk 10, 9). 7 7 107 Im Glauben sind wir me´tocoi tou C1istou (sc. im Unterwegssein: 3, 7 ‚ 14; bzw. auch am H.Geist (6, 4) bzw. an der klhsi& epou1a´nio& (3, 1; cf. 2, 5a); cf. 1, 9). Der Grund dafür ist das Kreuz Jesu (12, 2), und wir haben an ihm selber teil im Vernehmen (cf. 3, 16) von Gottes Reden im Sohn (1, 2a). ‚ ‚ Durch sein Wort wird Jesus Christus uns ai´tio& swth1i´a& aiwni´ou, wenn wir ihm „gehorchen“ (5, 9). 108 Das Simplex ke1a´nnumi bedeutet u. a. „verschmelzen“, 109 Cf. tomw´te1o& … (4, 12). Vergleichsweise hieß es über J.G. Hamann, er sei vom Wort der h.Schrift „imprägniert“. 103

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

nen glaubenden Selbst (cf. Gal 2, 20)110. Sprachspezifisch ist zu sagen: weil das im Glauben Gehörte Wort ist, muss es, indem dieses als solches von außen kommt (extra nos), „zusammenwachsen“, aber weil es als Wort zugleich ganz innerlich vernommen wird (pro nobis), kann es auch „zusammen-wachsen“111. Überdies hat die organologische Metapher des „Zusammenwachsens“ theologisch den Vorteil, eine sachgemäße Beziehung zu Joh 15, 1–8 heraus zu stellen: Zusammengewachsen wie die Rebe mit dem Weinstock, der der Logos selber ist112. Damit ist unterstrichen: die Lebenskräfte des Wortes werden im Glauben zum eigenen Lebensmittel113 – aufgrund der „Keimkraft“ des schöpferischen Gotteswortes114. Man kann auch formulieren, dass der lo´go& des Evangeliums (der Promissio) uns mitnimmt 7 in das eschatologische Endziel (4, 3!)115, denn er ist zwn kai`

110

Cf. bei Luther : „Haec autem adhaesio est ipsa fides verbi, imo illa [sc. ipsa] copula desponsationis [cf. Hos 2, 20; 1Kor 6, 17]“ (WA 57 H 151,9f; Hervorh. J.R.) und: „ex his tribus fit unum: fide, verbo, corde. Fides est glutinum seu copula, verbum et cor sunt extrema, sed per fidem unus spiritus, sicut vir et mulier ,una caro‘“ (WA 57 H 156, 20–157,3). Luther sprach ähnlich auch vom „ins Wort gefasst“-Sein bzw. auch vom Wort als „Form“ der Seele oder ihrem wahren „Kleid“. Man kann auch an seine Rede vom „im Wort Gefangensein“ (Worms) denken. 7 111 Von hier aus ließe sich hg min og lo´go& (5, 11) auch auf diesen selber (und nicht nur auf den des Hebr) beziehen. 112 Auch hier, sowohl für Joh 15 wie für Hebr 4, 2, gilt: „Er muss wachsen ‚ (auxa´nein), ich aber abnehmen“ (Joh 3, 30). 113 Erinnert sei an das Bild vom Verspeisen der Schrift (Ez 3, 2f) und daran, dass der Begriff der „Aneignung“ ursprünglich das Essen meint. 6, 5 ist vom „Schmecken“ des Gotteswortes die Rede (geu´esqai). 114 Cf. das Goethesche: „geprägte Form, die lebend sich entwickelt“. Es geht um einen lebenslangen Prozess inkraft des H. Geistes, der hier quasinatürlich ausgedrückt wird. 115 Cf. 10, 38 u. 3, 8. Es geht nicht um so etwas wie eine „Belohnung“ am Ende, sondern der Glaube ist an ihm selber transitus (cf. Luther von Christi Passionsweg: „Phase“, WA 57 H 118,17 u. 218,5). Nur der Glaube erlangt das Heilsziel, weil das endgültige Wort Jesu (bzw. in Jesus) auf das Eschaton ausgeht, d. h. selber in die Vollendung (kata´pausi&) führt, und der Glaube

6. Der wortbezogene Glaube

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‚ ene1gh´& (4, 12)116. So ist die pi´sti& ein Zusammenwachsen mit dem göttlichen Wort bzw. ein Sichhineinleben in das ewige Leben als eschatologische kata´pausi& (4, 3). Schließlich lässt sich im Kontext der Metapher des Zusammenwachsens diese auch mit der sowohl Hebr 6, 7 und 13, 15 als auch Joh 15, 2 u. 4f vorkommenden Rede von der „Frucht“ des Glaubens kombinieren117.

6.3 Glaube und Unglaube Vor diesem Hintergrund können die Beschreibungen des ‚ Hebr, was die pi´sti& und die apisti´a angeht, verstanden werden118. 6.3.1 pi´sti& 7 Zum Glauben kommt es nur, wenn der lo´go& th& pa1aklh´sew& angenommen wird (13, 22). Dadurch ereignet sich, dass ca´1iti 7 bebaiousqai th` n ka1di´an (13, 9b)119. Denn eben in der vollendet sich in der eschatologischen Teilhabe am Geglaubten (s. o. 6.1. zu 11, 1 u. cf. 3, 6). 116 Wer sich Gott vertrauensvoll hingibt, der wird „leben“ (cf. 12, 9) und an seiner Heiligkeit teilgewinnen (12, 10; cf. 14b). 117 Zu diesen Glaubensfrüchten gehört unmittelbar auch das 6, 11 Ge‚ sagte (cf. auch 12, 11c: ka1po` n ei1hniko´n und dikaiosu´nh&). Der Ge‚ ‚ gensatz dazu ist das ouk wfe´lhsen (sc. vom gehörten Wort; 4, 2b), das ohne Glauben eben keine Frucht erbringt; Nichtglauben heißt, sich das gehörte Wort nicht „aneignen“ zu können. Die paidei´a Jesu wird 5, 7 beschrieben, und der Gegensatz von lu´ph und ca1a´ (12, 11a) erinnert an Joh 16, 21. 118 Weitere Näherbestimmungen ergeben sich in 11, 4ff (s. u. 9.). 119 Dabei kommt es zugleich zu einer solidarischen Gemeinschaft mit Jesus (13, 13; dazu cf. u. 10.4.5.; koinwni´a: 13, 16), auf den der Glaube sich zurückführt (12, 2; s. u. 7.). Diese Gemeinschaft ist auch immer eine (besonders enge; cf. 4, 2) mit den Verkündigern und Lehrern des Glaubens, zu deren „Nachfolge“ (mime´omai) daher aufgerufen werden kann (cf. 6, 12 u. 13, 7c). Das geistliche Sichausrichten an ihnen, um ihrem Glauben zu

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

‚ plh1ofo1i´a pi´stew& wird die alhqinh` ka1di´a begründet (10, 22). So bringt der Glaube die Errettung der Seelen mit sich (10, 39b). Indem der Glaube an Gott als Gott, d. h. der Glaube, der ihn Gott sein lässt (11, 6), das Fundament gläubiger Existenz ist (qeme´lion, 6, 1), kann man ohne ihn Gott nicht „gefallen“ (11, 6). Entsprechend lehrt der Hebr auch eine Rechtfertigung im 7 Glauben120 mit eschatologischem Ziel: „Erbe“ zu werden th& kata` pi´stin dikaiosu´nh& (11, 7c). So wird der Glaubende durch seinen Glauben – mit dem Ausüben von Gerechtigkeit (11, 33)121 – ‚ vollendet (12, 23) in die „ewige Ruhe eingehen“ (eise´1cesqai) (4,3)122. Dazu zitiert der Hebr Hab 2, 4b (LXX): og de` di´kaio´& ‚ mou ek pi´stew& zh´setai (10, 38; cf. 11, 4 u. Röm 1, 17; 3, 21f. 28; Gal 3, 11)123.

‚ 6.3.2 apisti´a Der Unglaube wird als das strikte Gegenteil zur pi´sti& gefasst. Macht dieser das menschliche Herz „wahr“ (10, 22), so qualifiziert jener es als pone1a´ (3, 12; cf. 3, 10b)124. Gelangt man im rechtfertigenden Glauben ins ewige Leben (4, 3), so wird es di’ ‚ ‚ apisti´an bzw. durch apeiqei´a verhindert, darin „einzugehen“ entsprechen oder gleichzukommen, ist darin begründet, dass sie den 7 7 ‚ Glaubenden ela´lhsan to` n lo´gon tou qeou (13, 7b; cf. 17) und ihrerseits durch Glauben und geduldiges Ausharren (mak1oqumi´a) die Verheißungen ererben (6, 12b). 120 Cf. lo´go& dikaiosu´nh& (5, 13). 121 Der Gegensatz sind die „toten Werke“, die gegen den „lebendigen Gott“ stehen (9,14b; cf. 2Kor 3, 6b); dieser wird in einer Textvariante zu 9, ‚ 14 auch als alhqino´& bezeichnet. ‚ 122 Das ist durch Christi eigenen ei´sodo& vermittelt (cf. 6, 19f; 9, 12 u. 24; 10, 19). Unser „Exodus“ (3, 16b) muss daher vom rechten Hören auf die Stimme Gottes (16a) begleitet werden, um „Eishodos“ in Gottes Ruhe zu sein (18). 123 Der Hebr hat mou statt (wie Hab) als Gen. obj. zu pi´sti& als Gen. possessivus auf „Gott“ bezogen und entsprechend umgestellt. 7 7 124 planasqai th2 ka1di´a2 (3, 10b) ist das Gegenteil zu einem „hörenden Herzen“ (1 Kön 3, 9).

6. Der wortbezogene Glaube

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(3, 19 u. 4, 6b)125. So wie der Glaube im Hören auf das Wort zustande kommt, so der Unglaube als pa1akoh´ (2, 2b)126. Dem Verständnis des Hebr vom wortbezogenen Glauben entsprechen die mehrfachen Ermahnungen oder Warnungen, das göttliche Reden nicht zu „überhören“: mh` pa1aith´sesqe to` n 7 7 7 ‚ ‚ lalounta (12, 25)127. Denn das bedeutet, aposthnai apo` qeou 7 7 zwnto& (3, 12; cf. 3, 10b: planwntai; 4, 12 u. 12, 25c)128, und d. h. faktisch, die Richtung auf den Tod wählen (cf. 3, 17). Es gilt also, 7 dass wir mh´pote pa1a1uwmen (2, 1b)129. Wenn wir uns darin verhärten (3, 8: sklh1u´nein ta` & ka1di´a&), können wir uns nicht ‚ mehr offenhalten für das Verkündigte (3, 16: akou´sante&); allein ein „hörendes Herz“ (1Kön 3, 9)130 könnte uns aber den Zugang ‚ zur göttliche Ruhe eröffnen (cf. 3, 11b; 19 (= apisti´a; cf. 12); 4, ‚ 3). Wer indes überhaupt a´ pei1o& lo´gou (dikaiosu´nh&) ist (5, 13a)131, muss auch die Gnade verlieren (12, 15: ug ste1e´w. Cf. 4, 16; ‚ 13, 9) und damit des Heils verlustig gehen (2, 3: amelh´sante& swth1i´a&). Es kommt also darauf an, nicht ungläubig „zurückzuweichen“ (ug poste´llein, 10, 38), sondern am Geglaubten 7 ‚ „festzuhalten“ (als Werden zu sich: 3, 14b: th` n a1ch` n th& ug posta´sew& me´c1i te´lou& bebai´an kata´scwmen, cf. 6, 18c u. 125 Vielleicht entspricht dem Nichtglauben ein „Vergehen“ (cf. 11, 31a: 7 ‚ ou sunapwleto). 126 pa1a´basi& und pa1akoh´ interpretieren sich gegenseitig. Deren ‚ 7 ‚ 7 genaues Gegenteil ist das pe1issote´1w& p1osecein … toi& akousqeisin 7 7 (2, 1a), dem das kata´scwmen (3, 6) bzw. k1atwmen th& og mologi´a& (4, 14b 7 u. 10, 23) und ungefähr auch ka1te1ein (11, 27b) entsprechen. 2, 1 wird mit 7 dia` touto eingeleitet wegen des Hintergrundes und Inhaltes des in 1, 2b–14 über das Reden Gottes in Jesus Christus Gesagte, das uns im Hören des ‚ 7 göttlichen Wortes (akousqeisin) vermittelt wird. 127 Cf. 3, 16a u. 18b; 4, 4. 128 „A Deo vivo disceditur, dum a verbis eius disceditur, quod est vivum et omnia vivificans [4, 12], imo Deus ipse” (Luther, WA 57 H 148,12–14). 129 Das besagt: am lebendigen Wortgeschehen vorbeitreiben (oder von ihm weg fortgerissen werden) – vielleicht wegen 2, 15b bzw. der Gewalt des 7 7 dia´bolo& –, das zugleich aber unentrinnlich ist (cf. 2, 3a: pw& hg mei& ‚ ekfeuxo´meqa; cf. 12, 25b). Demgegenüber meint p1ose´cein (2, 1): am ewigen Wort in der vergänglichen Welt. 7 ‚ 7 130 Und nicht: nwq1o` & tai& akoai& zu sein (5, 11b). 7 7 ‚ 131 Cf. 6, 1: afi´hmi to` n … tou C1istou lo´gon.

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

10, 23)132. Darum gilt es, sich mit nicht nachlassendem Eifer im Glauben (gemäß 2, 1 u. 3, 12 f) zu bemühen (4, 11: spouda´swmen). So sollen wir auf dem Weg des Glaubens „lau7 ‚ 7 fen“ (12, 1c: t1e´cwmen to` n p1okei´menon hg min agwna, cf. 4 und 1Tim 6, 12; 2Tim 4, 7; Phil 1, 30)133. Das geht freilich nicht ohne Gehorsam (ug pakoh´, 5, 9)134 und Geduld (ug pomonh´, 12, 1b; 10, 36)135.

6.4 Jesus Christus als pisto´& Dass der Glaube an Christus und seinem Wort ein Fundament (6, 1: qeme´lion) und einen festen und sicheren „Anker“ (6, 19) findet, ist darin ewig begründet, dass Jesus Christus selber schlechthin pisto´& und so der absolute Anhalt für die pi´sti& ist. Dafür ist entscheidend, dass er pisto´& zunächst Gott selber, seinem Schöpfer, gegenüber ist (3, 2; cf. 2, 13 u. 10, 7c) – als ‚ dessen Sohn (3, 6) – und von daher für uns pisto` & a1cie1eu` & ta` p1o` & to` n qeo´n (2, 17)136. Auch in diesem Sinne gilt von ihm: ‚ hga´phsa& dikaiosu´nhn (1, 9)137. Mithin ist er wie Gott selber ‚ pisto´& als og epaggeila´meno& (10, 23b; cf. 11, 11)138. 132

Cf. 3, 6c und zu bebai´an 2, 3c. Zu t1e´cwmen cf. auch 12, 12f. Gemeint ist die eschatologische Existenz, die dem neuen og do´& entspricht (10, 20). Ihr Kampf ist uns ebenso „aufgegeben“ (p1okei´menon) wie uns zugleich die Wolke der Zeugen tröstlich „umgibt“ (pe1ikei´menon). 134 Diese ist Nachfolge im Gehorsam Christi selber (5, 8) und besteht 7 ‚ 7 darin, poihsai to` qe´lhma autou (13, 21) und so Gott zu gefallen (cf. 11, 6) – um Christi willen. 135 Die Geduld ist Ausdruck der Erwartung des Glaubens.7Es gilt darum: 7 ‚ 7 pa1akaleite eg autou& kaq’ eg ka´sthn hg me´1an, a´ c1i& oug to` sh´me1on 7 kaleitai (3, 13a). Cf. die erbauliche Rede von S. Kierkegaard: „Seine Seele erwerben in Geduld“ (Gesammelte Werke (Hirsch), 7. Abt. (1956), 57ff). 136 Als dieser kann er auch og poimh` n … og me´ga& genannt werden (13, 20; cf. Joh 10, 12). 137 Als eine Art Typos Christi wird der Name „Melchisedek“ als basi‚ ‚ leu` & dikaiosunh& und ei1h´nh& gelesen (7, 2). 138 Für die noch ohne Christus Frommen des alten Bundes gilt 11, 39. 133

7. Der ewige Herr des Glaubens (12, 2)

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7. Der ewige Herr des Glaubens (12, 2) Jesus Christus wird im Hebr in einer alles Wesentliche umfassenden bzw. einschließenden Formulierung in dem Begriff, 7 ‚ th& pi´stew& a1chgo` & kai` teleiwth´& (12,2) zu sein, gefasst.

‚ 7.1 a1ch´ und te´lo& ‚ ‚ 7 Dies kann er nur sein, indem er schon en a1ch2 war (Joh 1, 1 u. Hebr 1, 10 u. 2c; cf. Apc 3, 14) und das te´lo& überhaupt realisiert (cf. Joh 19, 28 u. 30: tete´lestai; cf. auch Röm 10, 4)139. Als „Vollender“ ist er zugleich auch der „Erste“ (sc. der Auferstehung)140, und als „Anfänger“ zugleich auch der „letzte Adam“ (1Kor 15, 45; Röm 5, 12ff). Hebr 12, 2 wird er indes nicht nur als Anfänger und Vollender der geschaffenen Welt, sondern spezifisch auch des Gottesglaubens141 – als Verhältnis zu ihm und zur Wahrheit von allem (cf. 10, 26; Joh 14, 6) – begriffen142. Er ist ‚ nicht nur dessen a1chgo´& und teleiwth´&, sondern begründet für den Glauben überhaupt dessen Möglichkeit und stiftet ihm die Ausrichtung auf das endgültige Erreichen seines Zieles ein143 ; 7 ‚ d. h. er ist der a1chgo` & th& swth1i´a& (2, 10b)144.

139 Anders als wir Menschen, die nach Alkmaion sterblich sind, weil für ‚ sie Anfang und Ende auseinanderfallen; cf.: tou` & anq1w´pou& fhsi`n ’A. dia` 7 7 ‚ ‚ ‚ touto apo´llusqai, og´ ti ou du´nantai th` n a1ch` n twi te´lei p1osa´yai 6 (Diels / Kranz, Fragmente der Vorsokratiker I (1951 ), 215; Frgm. 2). 140 Der von Gott Auferweckte (13, 20) ist uns „vorausgegangen“ (cf. 6, 7 20: p1o´d1omo& ug pe` 1 hg mwn) als unser Anführer im Glauben und zugleich der eigentliche p1wto´toko& der Glaubenden (cf. 12, 23 sowie Röm 8, 29; Kol 1, 15 u.18 und Apc 1, 5, Act 26, 23; 1Kor 15, 20; Apc 3, 14). 141 Er umgreift die Geschichte der pi´sti& (13, 8) und ist als a und w „der Weg“ (Joh 14, 6). 142 Zum Glauben in diesem Zusammenhang s. u. 7.3. 143 Jesus ist der Glauben (im spezifischen Sinne von pisteu´ein) ermöglichende Initiator und sein zielführender Begleiter. Als Begründer des Glaubens 7 7 und Vollender von dessen Weg – vom stau1o´& zur dexia2 qeou (cf. o.

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

7.2 Hebr 13, 8 Seine umfassende Wirksamkeit als Anfänger und Vollender kann Jesus Christus indes nur wahrnehmen, weil von ihm auch zu sagen ist: ‚ ‚ ‚ ‚7 ecqe` & kai` sh´me1on og auto` & kai` ei& tou` & aiwna& (13, 8). Vorbereitet ist dieses siegelhaft formulierte Bekenntnis durch die Aufforderung zur Erinnerung an die früheren Lehrer von Gottes Wort (mnhmoneu´ete, 12, 7). Die Einheit dieses Wortes ist aber in Jesus Christus begründet, so dass sich der Blick vom Gestern ‚ (ecqe´&) zum Heute (sh´me1on) in Verbindung mit dem Herrn und existierenden Gotteswort wie von selbst ergibt, die dann v. 8 ausspricht (gleichsam als Voraussetzung für die Ermahnung von v. 7). Im Nacheinander der wechselnden früheren Lehrer bleibt Er mit seinem Wort doch stets Derselbe145. Ihnen zu entsprechen 7 (mimeisqe th` n pi´stin, 7)146, kann daher nur heißen, unverändert mit Jesus Christus im Glauben verbunden zu bleiben. In 13, 8 ist offensichtlich von der Ewigkeit Jesu Christi (als dem göttlichen Grund des Glaubens) die Rede (cf. 7, 3)147, aber dies im Zuge der Unterschiedenheit der drei Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart, ewige Zukunft, mithin von einer lebendigen Ewigkeit, wie es ja auch die eschatologische Gesamtausrichtung des Hebr systematisch fordert. Jesus als der Christus kommt aus ‚ der Vergangenheit (ecqe´&)148 als er selber149 in unsere Gegenwart Anm. 115) – ist er gleichermaßen „Grund“ der pi´sti& und ihr „Gegenstand“ 7 ‚ und „Inhalt“ (cf. afo1wnte&): ihr lebendiges Wodurch und Woran. 7 ‚ ‚ 144 Als solcher ist er der, der pollou` & uig ou` & ei& do´xan agagwn ist (2, 10). 145 Entsprechend weiß der Verf. des Kol, dass er dazu bestimmt ist, kata` 7 7 7 7 7 ‚ ` thn oikonomi´an tou qeou … plh1wsai to` n lo´gon tou qeou (Kol 1, 25). ‚ 146 Wenn man sich deren Lebensende (e´kbasi&) vergegenwärtigt ‚ ‚ (anaqew1e´w), so weist ihr Lebenswandel (anast1ofh´) in der Nachfolge ‚ ‚7 Christi über sich hinaus, und das heißt letztlich: ei& tou` & aiwna&. 147 S. o. I. bei Anm. 34 u. u. 166 sowie u. IV. Anm. 28. Zur Sprachlichkeit dessen s. o. I. Anm. 14. 148 Ehemals war er auch schon wirksam da – gemäß 1, 1 (cf. 10, 7 und u. Anm. 498). ‚ 149 Denn er ist an und für sich stets Derselbe: og auto´& (1, 12c; s. o. 4.7.).

7. Der ewige Herr des Glaubens (12, 2)

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bzw. das jeweilige Heute (sh´me1on, cf. 3, 13) und seine Diesel7 ‚7 ‚ bigkeit ist, weil in die Ewigkeit reichend (ei& tou& aiwna&, cf. 7, 24), nicht auf diesen Zusammenhang beschränkt. Auch seine eigene Gegenwart in der Vergangenheit war schon aus einer „Vergangenheit“ bzw. einem Zuvor herkommend bestimmt, nämlich bei Gott als dessen ewiger Sohn (cf. 10, 5)150. Er ist, was er ist (bzw. war), als aus einer Voraussetzung seiner selbst zu sich kommend. Er ist nur darum Derselbe für alle Ewigkeit, d. h. auch zukünftig, weil er es schon rückwärts in alle Ewigkeit war bzw. aus dieser kommt (cf. 1, 3). 13, 8 redet also nicht von einer unbewegten Selbstgleichheit (soz. einer unlebendigen Identität), sondern wegen 1, 11a.b (cf. 12) vom lebendigen Sichgleichbleiben im Sichunterscheiden von (und in) allem Wechsel (cf. sh´me1on, 3, 13). Anders kann seine ewige Dieselbigkeit auch schon wegen der durchgängigen Geschichtlichkeit des göttlichen Wortes im Hebr (1, 1f) überhaupt nicht begriffen werden151. Das ewige Sein Jesu Christi darf also nicht abstrakt überzeitlich, sondern muss im Zusammenhang einer in sich selber bewegten Ewigkeit gedacht werden, d. h. seine Vergangenheit („gestern“), seine Gegenwart („heute“) und seine absolute Zukunft („in alle Ewigkeit“) sind als sich wechselseitig ineinander reflektierend und so seine lebendige Identität konstituierend zu verstehen. Das Heute erschließt das Gestern und umgekehrt, die kommende (für uns bevorstehende) Ewigkeit erschließt auch das Gestern von der Ewigkeit her und richtet das Heute auf sie aus; Gestern und Heute sind soz. der Weg der Ewigkeit zu sich, indem diese sie ebenfalls durch sich qualifiziert.

150

Auch 10, 5–7 ist so etwas wie ein innergöttliches Gespräch. ‚ Sie entspricht dem ameta´qeton bei Gott (6, 17), in dem Jesus Christus seine Identität hat. 151

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

7.3 Anfänger und Vollender des Glaubens Blickt man von dem 13, 8 über die lebendige Ewigkeit Jesu Christi Gesagten noch einmal auf 12, 2 zurück152, so wird deutlich, er ist nicht nur Anfang und Ende übergreifend oder sie umfassend er selber, er ist es zugleich auch in sich differenziert: unterschieden bzw. entzweit in Anfang und Ende. Das bestimmt klarerweise auch die Dynamik des Glaubens, deren Grund und Gegenstand er ist. Dessen Bewegung hat er ja zuerst auch in bzw. an sich selber, als sein Werden zu sich153. Unser Glaube aber soll an ihm „fest‚ halten“: von der a1ch´ bis zum te´lo& in Festigkeit (bebai´an, 3, 14b; cf. 3, 6 u. 10, 23), denn das göttliche Heilswort nahm eben im ‚ Reden des Herrn seine a1ch´ (2, 3b; cf. 6, 1a)154. ‚ Er ist für unsern christlichen Glauben der a1chgo´& schlechthin, insofern er zugleich auch teleiwth´& allen Glaubens der „Wolke der Zeugen“ (12, 1)155 vor ihm ist. Er ist so Vollender des Glaubens überhaupt, indem er auch alle „Anfänge“ der Glaubenden in sich vollendet; er übergreift die ganze Geschichte des Glaubens (cf. Joh 8, 58) – als sich vorlaufende Geschichte (1, 1 im Verhältnis zu 2a) und als seine eigene Lebensgeschichte156 sowie schließlich als Vollendung dieser ganzen Geschichte in seiner endgültigen Erhöhung157. Unser (wesentlich auf ihn bezogener und an ihm ausgerichteter) Glaube ist – mit seinem Anfangen, Sichvertiefen und aufs endgültige Ziel Bezogensein – eingelassen in den Weg seines Glaubens, d. h. in menschlich-endlicher Brechung daran teilhabend und daraus seine eigentliche Lebendigkeit empfangend und darin „aufgehoben“158. Er ist der Weg (Joh 14, 6) auch als Weg für 152

S. o. 7.1. Als schmachvolle Passion und Tod am Kreuz sowie als Auferstehung und Erhöhung (sessio ad dexteram patris). 154 An uns vermittelt und bekräftigt durch die, die ihn hörten (2, 3b). 155 S. u. 8. 156 Cf. o. Anm. 91 u. 143. 157 Er setzt die Glaubensgeschichte (sich) voraus (11, 4ff) und seine Vorläufer (cf. z. B. 11, 26a) finden in ihm ihre Vollendung. 158 ‚ a1chgo´& besagt: als Erster Glaubender ist Jesus nicht nur Zeuge des 153

8. Die Wolke der Zeugen (12, 1)

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uns, und als in seinem Sein selber der absolute Weg trägt er uns (1, 3b) in unserm unfertigen Unterwegssein. Weil wir in „Geduld“ im uns verordneten „Kampf“ doch 7 7 ‚ ‚ ‚ afo1wnte& sind ei& to` n th& pi´stew& a1chgo` n kai` teleiwth` n 7 ’Ihsoun (12, 2a) oder doch sein können159, ist unser Glaube in einer „besseren“ Situation und hat das schlechthin Bessere (11, 7 40a: k1eitton) vor Augen, nämlich mit seinem ewigen Grund als ‚ a1chgo´& und seiner ewigen Vollendung durch seinen teleiwth´&160, und daran unmittelbar Anteil (cf. 2, 10; 5, 9 mit 7, 7 ‚ 19). So ist Jesus der wahre Hohepriester für uns: der a1chgo` & th& 7 zwh& (Act 3, 15; cf. 5, 31). Damit ist wiederum gesagt: der christliche Glaube ist der als Glaube vollendete Glaube, weil er seines wahren Grundes ansichtig geworden und Glaube nur als Glaube an diesen ist.

8. Die Wolke der Zeugen (12, 1) Sie ist für die Theologie des Hebr eine wesentliche Bestärkung der Glaubenden in ihrem Unterwegssein. Insofern sie insbes. auf die Frommen des Alten Bundes zu beziehen ist, die Gottes Reden in der Geschichte des Gottesvolkes erreichte (1, 1)161, ist sie „über“ uns, den gegenwärtig Glaubenden, „im Himmel“, und das besagt, sie ist nicht nur eine vergangene Instanz (soz. „hinter uns“ liegend), sondern auch gegenwärtig vor unsern Augen, so dass unser Glaube in ihrer Betrachtung sich selbst vergewissert162, und sie ist zugleich dem Glauben auf seinem Weg vorhergehend wie Glaubens, sondern auch Grund bzw. Urheber und Anführer unseres Glaubens – zum Heil (2, 10), wie auch inneres Ziel alles früheren Glaubens. 159 „Lasst uns aufsehen“ entspricht dem t1e´cwmen (12, 1c) ; cf. 7 katanoein (3, 1) und die Rede vom p1o´d1omo& (6, 20). 160 Er ist das Ziel des t1e´cein (12, 1c). 7 161 Sie sind ma´1tu1e&, weil sie alle ma1tu1hqe´nte& dia` th& pi´stew& waren (11, 40a). Als ein warnendes Beispiel wird später Esau genannt (12, 16f). 162 Das wird 11, 4ff exemplarisch vorführen, im Rückblick worauf es hier 7 heißt: tosouton; die „Wolke“ ist nicht strikt zu begrenzen (cf. 32).

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

sie auch als „Wolke der Zeugen“ (ne´fo& ma1tu´1wn)163 dem Erscheinen Christi vorangeht – so wie die Gotteswolke einst dem Volke Gottes (cf. Dtn 1, 33; Ps 78, 14)164. So stand und steht diese Wolke für die verhüllte Gegenwart Gottes (cf. Ex 14, 20 u. 24; 16, 16; 34, 5; Lev 16, 2; Num 11, 25 u. ö.; cf. 1Kor 10, 1). Die Zeugen sprechen noch im Heute zu uns165. Auch aus einer „Wolke“ kommt die göttliche Stimme für den Sohn, der so in der Gemeinschaft mit Mose und Elias ist (Mk 9, 7parr) – ganz im Sinne von 1, 1166. 7 Weil jene „Wolke der Zeugen“ eine ist, die pe1ikei´menon hg min (12, 1) da ist und uns umfängt167, sind die gegenwärtig Glaubenden in sie „eingemeindet“. Nur daraufhin bzw. vor diesem Hintergrund konnte 11, 40b ausgesagt werden168 ; aber auch 7 umgekehrt ist festzuhalten: ihr Noch-nicht (sc. cw1i`& hg mwn) kommt spezifisch „uns“ zugute. Schließlich ist wahrzunehmen, dass ne´fo& eine strukturelle Ähnlichkeit mit der skia´ (cf. Hebr 8, 5; 10, 1) hat169 : erst durch das endgültige Licht der wahren Sonne, die Christus ist, werden Wolke (der Zeugen) und Schatten (des Zukünftigen) durchleuchtet und erhellt, d. h. im Blick des christlichen Glaubens, für 7 den sie da sind (pe1ikei´menon hg min).

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Vom Zeichen des Bundes (Gen 9, 13) redet Ps 89, 38 in Luthers kombinierender Übersetzung als dem „Zeugen in der Wolke“ (LXX 88,38b: 7 ‚ ‚ ma´1tu& en ou1anw2 pisto´&). 164 Gott kommt nicht nur mit dieser Wolke (cf. Apc 1, 7), sondern redet selbst aus ihr ; cf. Dtn 5, 19 u. Ps 99, 7. Bei Pindar schickt Zeus eine helle 7 ‚ Wolke: xanqa` n agagwn nefe´lan (Ol. VII, 49; cf. 45). 165 Wie Abel nach 11, 4c. 166 So ist Christus selber og ma´1tu& og pisto´& (Apc 1, 5); cf. ebenso Apc 3, 7 7 7 ‚ ‚ 14b (pisto` & kai` alhqino´&, hg a1ch` th& kti´sew& tou qeou). 7 167 So sind sie indes nicht nur hg min, was sie sind; vielmehr gilt auch vor ‚ 7 7 Gott: pa´nte& ga` 1 autw2 zwsin (Lk 20, 38b). 7 168 Auch das k1eitton (40a); s. dazu o. 3.3. 169 S. u. V. 13.2.7. (1. u. 2.).

9. Wort und Glaube in ihrer Geschichte (11, 4–38)

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9. Wort und Glaube in ihrer Geschichte (11, 4–38) Hebr 11 geht die h.Schrift des AT nach hervorstechenden Vorbildern des Glaubens im biblischen Sinne durch (dihgou´menon, 11, 32). Alle in 11, 4ff beigebrachten Zeugnisse – aus der „Wolke der Zeugen“ (12, 1) er-lesen – sind im Lichte der 11, 1 grundsätzlich formulierten Wesensbestimmung von pi´sti& zu sehen170 ; diese ist es, welche die vom Hebr gepflegte „Erinnerungskultur“ beherrscht. Daraus folgt eine grundlegende Einsicht bzw. These: c. 11 ist nicht einfach nur ein „Hoheslied des Glaubens“, sondern dieses als eines wesentlich wortbezogenen171. Denn es gilt für ‚ ‚ diesen Glauben gemäß 1, 1: en tau´th2 ga` 1 ema1tu1h´qhsan oig p1esbu´te1oi (11, 2)172. Primär hat dann 11, 3 mit dem Schöpfungsglauben die grundlegende Bedeutung des Glaubensbegriffs für das biblische Gottesverständnis und auch für das Christentum festgehalten173. Im Folgenden sind die vom Hebr in den Blick 170

S. o. 6.1. Das Gegenbeispiel findet sich ebenfalls aus dem AT Hebr 3, ‚ 7–18 vorgeführt (19: apisti´a). 171 Das ist eine für die Gesamtkonzeption des Hebr entscheidend wichtige Akzentsetzung, die beispielsweise in der Darstellung von L. Goppelt, a. a. O., wie u. V. Anm. 1, unterbelichtet bleibt (cf. 211). Treffend hingegen O.Michel: „letzten Endes eine Geschichte des Wortes Gottes, die von der Schöpfung an [11, 3] einer Erfüllung entgegengeht“ (a. a. O. 244). Sie wird sich bei der Betrachtung von 11, 4–38 immer wieder nachweisen lassen. Auch weitere Querverbindungen zwischen dieser Passage 11, 4ff und anderen Stellen des Hebr lassen sich aufzeigen. 172 Die Gestalten der pi´sti& sind systematisch als Gestalten des Ergehens und Empfangens göttlicher Rede in ihrer Vielgestaltigkeit zu verstehen: 7 polume1w& kai` polut1o´pw& (1, 1). Hinzu zu denken ist sicher auch das 2, 4 Erwähnte, insbes. was die pneu´mato& ag gi´ou me1ismoi´ betrifft: „ut verbi 7 Dei esset sigillo“ (Calvin, CR 83, 23). Es entspricht dem polume1w& kai` polut1o´pw& unter den Bedingungen des Christusereignisses als ein zu7 sätzlich bekräftigendes Zeugnis (sunepima1tu1ounto&) für Jesu und der 7 ihm Glaubenden Verkündigung (cf. auch 5, 11: polu` & hg min og lo´go&), deren Rede so in Vorsprachliches eingebettet wird. 7 173 Mit dem Plur. der 1. Person (nooumen) reiht der Hebr (11, 3) die gegenwärtig Glaubenden in die sich in der „Wolke der Zeugen“ bekundende Geschichte göttlichen Redens ein, die mit Abel beginnend (4), über Enoch (5), Noah (7), Abraham (8ff u. 17ff), Sara (11f), die Nachkommen

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

genommenen Paradigma biblischen, auf Gottes Wort bezogenen Glaubens kurz vorzustellen.

9.1 Abel Am Anfang dieser catena aurea der Glaubenszeugen steht Abel (11, 4). Es war der stärkere Glaube (cf. pi´stei plei´ona qusi´an, 4a), der seinem Opfer in Gottes Augen den Vorzug gab (cf. Gen. 4, 4f)174. Von Gott wurde ihm sein Opfer mit diesem Glauben durch Gottes eigenes Wort175 zur Gerechtigkeit angerechnet: 7‚ ‚ ema1tu1h´qh einai di´kaio& (4b)176. Gottes Reden zu ihm setzt sich darin fort, dass er selber durch diesen seinen Glauben (di’ ‚ ‚ 7 auth&), obwohl ein Toter, auch heute noch zu uns redet (e´ti 7 lalei, 4c)177. Das bezeugt die lebenschaffende Macht des göttlichen Wortes.

9.2 Henoch v.5f nimmt in Fortsetzung von v. 4 das Thema Glaube und Transzendierung des Todes im Blick auf Henoch auf; für die letztere steht auch hier der spezifische Terminus der „Metathesis“ als Handeln Gottes (5a.a: metete´qh, 5a.b: mete´qhken … og qeo´&, 5b: meta´qesi&)178. Ähnlich wie Abel empfing auch er durch Gottes Wort seine Bestätigung und wurde in die Gemeinschaft mit ihm 7 7 ‚ aufgenommen (5c: eua1esthke´nai tw2 qew2 ). Dass dies der Glaubensgerechtigkeit gleichkommt, spricht 6a direkt aus, indem hier in Übereinstimmung mit 10, 38 die Regel aufgestellt wird, dass keiner ohne Glauben Gott „gefallen“ kann. Denn um Gott zu Abrahams (13ff), Isaak (20), Jakob (21) und Josef (22) bis zu Mose (23ff) führte. 174 Seine qusi´a ist auch die „bessere“ gegenüber den Opfern des Alten Bundes, denen ihrerseits (typologisch) das Selbstopfer Christi gegenübergestellt wird; s. u. 10.4.3. u. V. 13.2.5. 7 7 ‚ 7 ‚ 7 7 175 11, 4b: ma1tu1ounto& epi` toi& dw´1oi& autou tou qeou. 176 Zur Glaubensgerechtigkeit cf. 10, 38a und s. o. 6.4.1. 7 177 Nur das Blut Jesu redet noch stärker (k1eitton) als das Abels (cf. o. II. bei Anm. 74). 178 Cf. dazu o. 5.2.4. und u. 10.8.

9. Wort und Glaube in ihrer Geschichte (11, 4–38)

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„nahen“ (p1ose´1cesqai, cf. auch 7, 19), ist, an ihn zu glauben (pisteu´ein), unabdingbar. Das wird 6b zweifach konkretisiert: ‚ zum einen als Glauben, og´ ti e´stin. Das meint: obwohl er un‚ sichtbar ist, also an ihn als den ou blepo´menon (cf. 11, 1b)179. Es geht dabei weniger um die abstrakte Annahme der „Existenz“ Gottes als solche, als vielmehr um seine dem Glauben vorgeordnete lebendige Wirklichkeit, die sich in seinem Reden zur Geltung bringt (12, 25a), von der dieser sich hervorgebracht und abhängig weiß. Zum anderen geht es (daher) um das Gott im ‚ Glauben gemäß 11, 1 „Suchen“ (ekzhte´w)180, und dies, sofern er der ist, von dem (als misqapodo´th&) eschatologisch die Vergeltung und/oder Belohnung – dies primär : in Erfüllung des Geglaubten (cf. 26b)181 – zu erwarten ist.

9.3 Noah Hieran anschließend exemplifiziert v. 7 an der Gestalt des Noah ‚ den Gehorsam des Gottesglaubens (eulabe´omai). Er ist das klassische Paradigma der pi´sti& im Sinne des Hebr (cf. 11, 1), sofern er auf des unsichtbaren Gottes Wort (c1hmatisqei´&) hin 182 die Arche so die Errettung (swth1i´a) seiner Fa7‚ erbaut und 183 milie (oiko&) ermöglicht . Die Unsichtbarkeit Gottes und seines Zieles im Reden zu Noah wird dabei ausdrücklich – und gleich7 sam prä-eschatologisch – auf die Zukunft bezogen: pe1i` twn mhde´pw blepome´nwn (7a). Mit seinem Gottvertrauen überführt Noah nach 7c den (nahezu johanneisch aufgefassten) ko´smo& (als bloß dem Sichtbaren verhaftet) seines tiefen Unglaubens (kate´k1inen). Vor allem aber wird er selber zum „Erben“ der 7 Gerechtigkeit aus Glauben (th& kata` pi´stin dikaiosu´nh&)184. 179

Cf. 11, 27b und 7a (Noah). ‚ Cf. auch 11, 14 u. 13, 14: epizhte´w. 181 Wie im Falle Abels und Henochs. 182 kateskeu´asen weist schon voraus auf Gottes eigenes Errichten der eschatologischen po´li& (11, 10). 7 183 ‚ oiko& könnte typologisch aufgefasst werden, denkt man an 3, 6. 184 klh1ono´mo& ist im Hebr eschatologisch konnotiert. Zu dikai´o& s. o. 9.2. 180

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

9.4 Abraham: Der Vater im Glauben 9.4.1. In den folgenden drei Versen (11, 8–10) wird die Existenz Abrahams als Inbegriff eschatologischen Glaubens mit ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die Theologie des Hebr dargestellt185. 7 Die erste Aussage ist (8a), dass er im Glauben kaloumeno& war (d. h. die Rede Gottes vernehmend) und dem ug ph´kousen (gehorsam nachkam); d. h. er existierte „ins Wort gefasst“ (Luther): ein Leben zwischen göttlicher Anrede und gläubigem sich davon Bestimmenlassen186. Dieser Gehorsam gegen die speziell ihm zuteilwerdende göttliche Berufung bedeutete für Abraham die große Unterbrechung seiner Lebensunmittelbarkeit, nämlich den „Exodus“ ins Unbekannte und Ungesicherte187. Ihm wird als Aufenthaltsort ein völlig neuer to´po& in Aussicht gestellt, ein 7 unbestimmtes pou (8b), der seine endgültige Bestimmung be‚ inhaltet und ihm für die Zukunft zubestimmt ist: og `n h´mellen 7 7 188 lamba´nein Es geht heilsgeschichtlich um die wahre gh& th& ‚ ‚ epaggeli´a& (9a). Dies Ziel nennt hier die elpizo´mena von 11, 1a. ‚ Sein eschatologischer Status ist mit ei& klh1onomi´an umschrieben189, und Abrahams pi´sti& ist reiner Verheißungsglaube an den lebendigen Gott (cf. Röm 4, 20f). Die zweite Aussage (8b) macht es ausdrücklich, dass, weil Abraham zum Exodus berufen war und diesem Ruf sich fügte, er ‚ 7 ihn auch tatsächlich vollzogen hat: exhlqen. Dies tat er ohne Absicherung im Sichtbaren, und indem von ihm galt: mh` 7‚ ‚ epista´meno& pou e´1cetai, entsprach sein Gottesglaube völlig ‚ den ou blepo´mena von 11, 1b190. Wie v. 9a den Gedanken fortsetzt, bestimmt sein Sein im Glauben (pi´stei) nicht nur Abrahams Sichaufmachen und Un185

Abraham als Träger der Verheißung überhaupt: 7, 6; cf. auch 6, 13–15. ‚ In ug pakou´w ist akou´ein enthalten. Cf. insbes. Röm 10, 14. 7 187 ‚ exelqein kommt in v. 8 zweimal vor. 188 Dieser to´po& ist letztlich die eschatologische „Stadt Gottes“ (11, 10). 189 Das Erbe der Verheißungen (Hebr 6, 12) ist ein ewiges Erbe (9, 15) und betrifft auch unsere swth1i´a (1, 14); cf. Röm 4, 13. 190 Bzw. den mhde´pw blepo´mena (11, 7). 186

9. Wort und Glaube in ihrer Geschichte (11, 4–38)

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terwegssein ins verheißene Unbekannte (8, cf. 8, 13), sondern darüber hinaus, dass er auch weiterhin die Vorläufigkeit seiner irdischen Bleibe an- und übernahm191. Für diese steht der Terminus seiner pa1oiki´a, der besagt, dass Abraham – im Glaubensgehorsam wortgeleitet – stets nur als eigentlich Fremder sich 7 7 (vorläufig) aufhielt, wo er sich aufhielt192. Auch die gh& th& ‚ ‚ epaggeli´a& hatte er nur wg & allo´t1ia inne193 ! Er existierte auf Erden wg & mh´ (1Kor 7, 31; cf. Röm 12, 2). Das wird von v. 9b unübersehbar durch den Umstand unterstrichen, dass auch sein Wohnen in der Sicht des Hebr eine Art ‚ 7 Vorläufigkeit kennzeichnete: en skhnai& katoikh´sa&. Das nomadische Leben in Zelten steht im Gegensatz zum endgültigen Bleiben in der po´li& von v. 10, dem eschatologischen to´po& bei Gott194. Außerdem signalisiert skhnh´ auch den typologischen Bezug des vorläufigen (p1w´th) auf das endgültige Heiligtum (cf. 9, 2f. 6. 8 mit 11 u. 24)195. Dazu passt, dass Abraham sich zu den sugklh1o´menoi derselben Verheißung (Isaak und Jakob)196 so verhält wie Christus zu den Seinen (cf. 2, 11; 5, 9 u. ö.), deren er sich als „Samen Abrahams“ annimmt (2, 16). Damit ist auch gesagt: dieser Vater bleibt nicht hinter den neuen Generationen zurück, sondern geht ihnen soz. stets voraus. Er ist „Erzvater“ auch als weiterführender „Ursprung“, weil schon seine wahre Heimat noch vor ihm liegt (cf. 11, 14: pat1i´&) und daher auch für seine Söhne197. ‚ V. 10 spricht mit exede´ceto den Hoffnungscharakter des Glaubens aus: dem Exodus entspricht die bleibende Erwartung

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Überhaupt kann man sagen, dass 11, 8–10 den Raum (und das Sichbewegen in ihm) in Zeit, d. h. eine zeitliche Geschichte übersetzt, die eschatologisch ausgerichtet ist. Das gilt auch für das Verhältnis von to´po& (8) zu po´li& (10). 192 Cf. xe´noi kai` pa1epi´dhmoi (11, 13). ‚ 193 Das entspricht ihrer Zukünftigkeit: to´pon og `n h´mellen lamba´nein (8a). 194 Eine skhnh´ hat keine qeme´lioi (10); cf. Apc 21, 14 u.19. 195 Genaueres dazu s. u. V. 13.2.6. 196 Zu diesen s. u. 9.6.2. (11, 20f). 197 Darin sind wir einbegriffen, cf. Röm 4, 17.

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

(cf. 10, 13)198. Sie richtet sich absolut auf die endgültige po´li&, die „Gottesstadt“ (12, 22b), zu der hin der Glaube im biblischen Sinne wesentlich unterwegs ist. Sie ist von Gott selber entworfen und errichtet (tecni´th& kai` dhmiou1go´&, cf. 16c u. 8, 2 mit 2Kor 5, 1b) und die typologische Erfüllung des to´po& von v. 8a. Sie ist als solche in ihren qeme´lioi unerschütterbar (cf. 12, 27)199. Der Glaube an diesen kommenden Gott gehört zu den „Fundamenten“ der pi´sti&200. Damit ist in 11, 8–10 der Inbegriff biblischen Glaubens im Sinne des Hebr umschrieben; er ist eschatologisch gefärbt und gilt so auch für uns, die gegenwärtig Glaubenden (13, 14!). Abraham stellt eine Existenz in diesem Glauben vor Augen, der gemäß 11, 1 strukturell bezogen ist auf ein (noch) nicht Sichtbares und nur zu Erhoffendes. Seine Glaubensexistenz ist somit das zentrale Paradigma eschatologischen Unterwegsseins201 auch der Christen und er als der „Erwartende“ schlechthin der „Vater des Glaubens“ (Röm 4, 11b). 9.4.2. Im Blick auf die unübersehbare Nachkommenschaft, den „Samen Abrahams“ (2, 16), ist auch seine Frau Sara eine Zeugin aus der Wolke der Zeugen (11, 11f). Durch ihren Glauben an die ‚ göttliche Verheißung geschah es, dass sie du´namin … e´laben (12a), d. h. die wirksame Kraft, die das Unerwartete, Unbere‚ chenbare (ana1i´qmhto&, 12b.b) und Unausdenkbare (pa1a` kai1o´n, 11a.b) ermöglichte. In diesem Sinne gilt von dieser ‚ Zeugin: pi´stei … pisto` n hg gh´sato to` n epaggeila´menon (11b)202. V. 12 begründet (dio´) entweder, dass, weil der Verhei‚ Mit exede´ceto ga´1 ist der eigentliche Grund für v. 9 genannt. Wenn das Begründungsverhältnis so liegt, dann muss die „endgültige Stadt“ im Wort der Verheißung auch irgendwie schon enthalten (gewesen) sein und das eigentliche und letztgültige Ziel von Abrahams Exodus (cf. 22). 199 Cf. auch 1Kor 3, 11; Röm 15, 20. 200 Auch die Menschwerdung und Auferstehung des Gottessohnes gehören zu der absoluten Grund-legung des Heils, wie Gott allein es bewirken kann. 201 Das gilt unmittelbar für 11, 13–16. 202 Wie Gott selber ist auch sein Sohn pisto´& schlechthin (s. o. 6.4.). Die 198

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ßende pisto´& ist, das Wunder der Nachkommenschaft geschah, oder, weil Abraham und Sara Gott als pisto´n glaubten. In der Sache ist freilich beides verbunden. Von dem Einen203 geht, trotz seiner „Erstorbenheit“ (nenek1wme´nou)204, eine unvorstellbare Fülle aus (12b)205. Etwas verallgemeinernd ließe sich von 11, 11f sagen: Die pi´sti& hier bedeutet, eine göttliche du´nami& zu empfangen (cf. Röm 1,16b u. Hebr 11, 34b).

9.5 Eine allgemeine Feststellung 11, 13–16 formuliert ein theologisches „Zwischenergebnis“ von grundsätzlicher Bedeutung für den Hebr. Auch die aus Abrahams Samen vernahmen die Verheißungen ‚ des göttlichen Wortes, aber sie starben (ape´qanon, 13a)206, ohne dass sie das Verheißene zu ihren Lebzeiten auf Erden erfahren hätten207: mh` labo´nte&208. Sie lebten und starben aber im Glauben (kata` pi´stin) an deren zukünftig kommende Erfüllung, d. h. im Noch-nicht verharrend und in bleibender Erwartung: po´11wqen ‚ ido´nte& (13b)209. So waren sie in der Sicht des Hebr im Leben und im Sterben ‚ voller Hoffnung (aspasa´menoi, 13b) und verstanden ihre endliche Gegenwart im Licht des Kommenden, von dem sie selber unmittelbar ausgeschlossen blieben – wie Mose vom gelobten etymologische Verwandschaft von pi´sti& (11a) und pisto´& (11b) markiert den Glauben als Reflex der Treue Gottes. ‚ 203 Cf. ähnlich 2, 10: ex eg no` & pa´nte&. ‚ ‚ 7 ‚ 204 ` n e´ti lalei. Cf. auch anschließend 11, 13: ape´Cf. 11, 4: apoqanw qanon. 205 Das gleicht dem Wunder der Auferstehung: 11, 19 u. 35. 206 Ihr Sterben entspricht typologisch der Endlichkeit der Priester ; cf. 7, 23. 207 Die eschatologisch-jenseitige Erfüllung wird 11, 19 explizit gemacht. Goppelt formuliert: „Sterbende, die auf das Leben warten“ (Typos, 211). 208 Das greift vor auf 11, 39; dazu s. o. 3.3. 209 D. h. „nicht sehen und doch glauben“ (cf. Joh 20, 29b; 2Kor 5, 7).

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

Land (Dtn 34, 4)210. Gleichwohl gehören sie zur „Wolke der Zeugen“, weil sie mit ihrer eschatologischen Existenz diese auch ‚ ‚ bezeugen: og mologh´santo og `ti xe´noi kai` pa1epi´dhmoi eisin epi` 7 7 th& gh& (12b)211. Durch ihr „sprechendes“ Verhalten brachten auch 7 ‚ sie schon zur Darstellung (toiauta le´gonte& emfani´zousin, 14a), dass wir hier keine „bleibendes Stadt“ haben (13, 14a). Auch sie „suchten“ noch die kommende Stätte bei Gott (13, 14b), d. h. das wahre Vaterland (pat1i´&, 14b). Der Glaube ist, weil eschatologisch, nicht regressiv, wie v. 15 betont (cf. Lk 9, 62), und das Eschaton keine restitutio in integram. Damit ist theologisch der Vorrang des Neuen, vor den Glaubenden Liegenden, d. h. der Zukunft212, unterstrichen213. Die eschatologische Existenz steht in der Spannung zwischen der unmittelbaren Übermacht der Vergangenheit und der Hoffnung des Glaubens214. Anstatt sich durch die Vergangenheit festhalten zu lassen, trachten die Glaubenden ‚ sehnsuchtsvoll (o1e´gontai)215 nach dem „Besseren“, als ihre Herkunft es bietet, dem „himmlischen“ Vaterland (16a). Gottes „Antwort“ auf diesen auch die unmittelbare Nichterfüllung des Erhofften aushaltenden Glauben besteht in seinem unverbrüchlichen sich Bekennen zu den Glaubenden216, seiner 210

Cf. aber 11, 40 und dazu o. 3.3. Ganz wie Abraham; cf. 11, 9 u. dazu o. 9.4.1. Von dieser Erde ist die 7 7 ‚ gh& th& epaggeli´a& (11, 9) zu unterscheiden. 212 Dass der Glaube etwas Nicht-Platonisches ist, geht auch aus dem ‚ verneinten emnhmo´neuon (15a) hervor. Statt eine Art „Anamnesis“ zu sein, ist er nach vorn orientiert, wie S. Kierkegaard in den „Philosophischen Brocken“ herausgearbeitet hat; cf. auch im „Begriff Angst“ und in der „Wiederholung“. 7 213 Das (an Paulus erinnernde) nun de´ (16a) deutet die Zäsur bzw. Unterbrechung an, die mit dem Empfangen von Gottes Verheißung verbunden ist. ‚ 214 Auf dem „Weg“ anaka´yai (15b) wäre als Nichtdurchhalten dieser Spannung tendenziell zugleich Misstrauen gegen Gott 215 Während nach griechischem Verständnis, die Menschen von Natur 7 ‚ ‚ aus „nach Wissen streben“ (tou eide´nai o1e´gontai), wie Aristoteles meint ‚ (Met. A 1; 980 a 21; zu epi´stamai cf. Hebr 11, 8). Auch für den Hebr gilt: „Apostolus aliter philosophatur“ (cf. o. Anm. 99). 216 Bzw. den auf ihn gemäß 11, 14 u. 16a Hoffenden; cf. das Jesus-Wort Mt 22, 32. 211

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‚ 7 Treue: in spezifischem Sinne „ihr Gott“ (qeo` & autwn) zu heißen 217 (16b) , d. h. seiner definitiven Selbstbindung mit seinem eigenen Leben an sie218. Er ist der Gott der Zukunft, der kommende Gott, dessen Sein der eschatologische Glaube entspricht219. Dies verhält sich so, weil (und indem) sie an ihm hoffend festhielten und von ihm her sich in ihrem unfertigen Unterwegssein definierten. Indem sie auf sein Kommen sich ausstreckten, mithin allein ihm glaubten, gehörten sie im Glauben zu ihm selber und seinem Leben. Das erfüllt sich letztlich darin, dass Gott es von seiner Seite her bewahrheitet und verwirklicht, was jene ersehnten, und zwar spezifisch für sie (pro nobis; cf. 11, 40). Er hat ihnen (und uns) das eschatologische Ziel von allem „bereitet“, d. h. aus und mit sich selbst gemacht (11, 10): die zukünftige, endgültig „bleibende“ po´li& (16c), zu der auch wir unterwegs sind (13, 14) und die soz. auf uns wartet (cf. Kol 3, 3). pi´sti& ist für den Hebr hier und überhaupt das antizipierende Ergreifen des von Gott selbst den Glaubenden eschatologisch Zugedachten; in diesem Zusammenspiel erweist sich der lebendige Gott als „ihr Gott“. Soweit resümiert der Text an dieser Stelle die eschatologische Verfasstheit des Glaubens – auch schon ante Christum natum220.

9.6 Die Väter des Glaubens 9.6.1. Nach dem grundsätzlichen Ausblick in die Eschatologie kehrt der Hebr noch einmal zu den Erzvätern, d. h. Abraham und seinen Söhnen zurück, d. h. seiner wahren Nachkommenschaft, 7 ‚ den te´kna th& epaggeli´a& (Röm 9, 8b). Zunächst ist die Überlieferung von Isaaks Opferung Thema (11, 17–19). Auch sie konnte von Abraham nur pi´stei durchstanden werden – sah es 217

Man denkt an Luthers Betonung von „mein Gott sein“. ‚ ‚ ‚ 7 ouk epaiscu´nei autou& (16b.a) deutet Gottes liebevolle Kondeszendenz an; cf. 2, 11. ‚ 219 Dieser als ug po´stasi& und elegco& (11, 1). 220 Zur Eschatologie als Grundmuster des Hebr überhaupt s. u. IV. 218

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

doch so aus, als durchstreiche Gott seine eigene Verheißung, die Nachkommenschaft und ein großes Volk in Aussicht gestellt hatte221. Abraham sollte den monogenh´& „opfern“222, obwohl er Träger einer einzigartigen, auf diesen Sohn bezogenen Verhei‚ ‚ ßung (18) war (og ta` & epaggeli´a& anadexa´meno&, 17b); d. h. nicht weniger als dass Gott selbst hier in den Widerspruch zu sich selber bzw. mit seiner zugesagten Treue zu geraten scheint. Abrahams pi´sti& potenziert sich in dieser Situation zum absoluten Gehorsam: seine ug pakoh´ (8a) erweist sich jetzt als reiner, unbedingter Gehorsam und soz. blindes Gottvertrauen gegen allen äußeren Augenschein und durch eine extreme „Versuchung“ erprobt und bewährt (pei1azo´meno&, 17a)223. Dieser gesteigerte Glaube ist für den Hebr über alles Bisherige hinaus „Hoffnung wider alle Hoffnung“ (Röm 4, 18): Glaube an die ab7 ‚ solute Wundermacht Gottes: logisa´meno& og `ti kai` ek nek1wn ‚ egei´1ein dunato` & og qeo´& (19a; cf. Röm 4, 17)224. Dies war zugleich ein (typologischer) Vorschein der Totenauferstehung (cf. 11, 35 sowie Röm 4, 24; 1Petr 1, 21)225 ; und dass Abraham den Sohn 7 ‚ gleichnishaft (en pa1abolh2 )226 wiedererlangte (19b), war ebenfalls nichts anderes als ein vorweg-ereignetes Gleichnis der Auferweckung Jesu Christi selber. 9.6.2. Hebr 11, 20–22 führt die Vätergeschichte unter dem Aspekt des Glaubens weiter fort. Der Segen Isaaks über seine Söhne ist im gläubigen Vertrauen (pi´stei) auf das Zukünftige im Sinne der göttlichen Verheißung (pe1i` mello´ntwn) gesprochen worden 221

Zu dieser Verheißung an Abraham cf. 6, 13ff (u. 7, 6b); s. o. 5.2.3. In der allgemeinen Opferterminologie des Hebr. wird hier (p1osfe´1ein, 17 a u. b) von Abraham ausgesagt, dass er tendenziell handelt wie Gott selber an Jesus (monogenh´&, cf. Joh 3, 16) mit seinem Selbstopfer (Hebr 9, 14; 10, 10). Jesus ist in dieser Theologie der ins Absolute gesteigerte Isaak. 223 Cf. pei1a´zesqai ähnlich von Christus; 2, 18; 4, 15b; (der Sache nach: 5, 7 Gethsemane)! Cf. dazu 4, 15. 224 Es geht um die sich auch durch Negation und Tod hindurch erweisende Macht des Wortes Gottes (cf. 7, 16b). 225 V. 19 stellt auch eine Steigerung von v. 11 dar. 226 Der Ausdruck typologisch 9, 9. 222

9. Wort und Glaube in ihrer Geschichte (11, 4–38)

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(20)227. Von ihnen wird wiederum Jakob zugeschrieben, als er im ‚ Sterben lag (apoqnh´2 skwn), seine Enkel, die beiden Söhne Josefs, pi´stei gesegnet zu haben (21a)228. Ebenfalls ist der sterbende 7 Josef (teleutwn) im Glauben ganz der Zukunft zugewandt und ‚ „gedachte“ (emnhmo´neusen)229 des bevorstehenden Exodus der Kinder Israel (22; cf. 8 u. 13f) – erneut eine Verbindung von Ende und Neuanfang (cf. 11, 12. 19. 21)230. Vielleicht darf man von einem erinnernden Eingedenken231 des Unterwegsseins in Kraft göttlicher Verheißung sprechen232. Beim Lebensende geht der Blick Josefs darüber hinaus auf ein noch ausstehendes Ziel der gegenwärtig unabgeschlossenen Geschichte seines Volkes.

9.7 Mose Er ist die neben Abraham zweite überragende Gestalt des Alten Bundes, hier in überraschender Perspektive und ganz vom typologischen Bezug auf Christus bestimmt vorgestellt. In der Sicht des Hebr wurde und war Mose durch den Glauben (pi´stei), was er für das Volk Israel und in der Gottesgeschichte war. ‚ 7 Zu eulogein cf. auch 6,7 u. 14; 7, 1 u.6f u. bes. 12, 17. Zu Esau cf. o. Anm. 161 (2. Satz). 228 Zu der schwer zu erklärenden Wendung 21b (Gen 47, 31 LXX) cf. die Deutung bei Grässer als Gebet im Vertrauen auf Gott (EKK 17/ 3 (1997), 158f); G.von Rad versteht die Geste von der Dankbarkeit her (ATD 2/4 (19647), 362). 229 mnhmoneu´ein hat hier nicht den rein rückwärts gerichteten, erinnernden Sinn wie in v. 15, vergegenwärtigt aber wohl doch auch den Exodus Abrahams (8) als den vorvergangenen Aufbruch im Horizont eines zukünftig noch Kommenden. 7 ‚ 230 Cf. die Spannung zwischen teleutwn und e´xodo&. Mit dem Exodus 7 wird die Rede von twn mello´ntwn (20) konkretisiert. 231 Analog dazu, wie Hebr 1, 1 die Vergangenheit im Lichte des Neuen (1, 2a) erhellt. Der paradigmatische Exodus Abrahams nimmt in solcher Sicht individuell vorweg, was Gott in Zukunft dem ganzen Volk zugedacht hat. 7 Den (einzelnen) pat1a´sin von 1, 1 entspräche dann das kollektive hg min von 2a. 232 Hier verbinden sich gleichsam v. 13 u. 19. 227

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

9.7.1. Nach v.23a war der eigene Glaube des Mose schon bei seiner 7 Geburt (gennhqei´&) vom Glauben twn pate´1wn vorbereitet und getragen233. Dadurch wurde er zunächst allen Nachstellungen ‚ entzogen, d. h. „verborgen“ (ek1u´bh)234 – wie das Jesuskind bei der Flucht seiner Eltern nach Ägypten (Mt 2, 14f). Weil sie dessen ‚ 7 inne waren, dies Kind Mose sei asteion (23b.a)235, fürchteten sie bei ihrem Tun (sc. des Verbergens) nicht236 to` dia´tagma237 des Königs (23b.b)238. Die Väter hören, anstatt den Anordnungen des Pharao zu gehorchen, pi´stei auf die Verheißungen Gottes und retten den von Gott für den Exodus auserwählten Führer des Gottesvolkes (cf. 27). 9.7.2. Der erwachsene Mose selber hat pi´stei239 die Kette der ‚ ‚ natürlichen Abstammung durchbrochen240 : h1nhsato le´gesqai uig o` & qugat1o` & Fa1aw´ (24)241. Mose ist in Wahrheit nicht und wollte nicht sein der natürliche Sohn der Pharaostochter, so wie 7 7 Jesus in Wahrheit uig o` & tou qeou war (1, 5; 5, 5). 11, 24 bis 26 formulieren eine Art Kondeszendenz, die entfernt Phil 2, 6f vergleichbar ist242.

233

Das entspricht für „uns“ dem Verhältnis Jesu Christi zum gläubigen Hören der Väter : 1, 1 u. 2a. 234 ‚ ek1u´bh von Jesus: Joh 8, 59b. 235 Im Sinne von: „wohlgefällig“ (Bauer, Wörterbuch 233)! Act 7, 20 hat: 7 7 ‚ 7 asteio& tw2 qew2 . 236 Cf. Mt 2, 8 u. 12. 237 Var.: do´gma, cf. Lk 2, 1. 238 Der Pharao erinnert an Herodes (Mt 2, 16). Von einem ganz anderen basileu´& ist Hebr 7, 2 die Rede! basileu´& (Fa1aw´, 23 u. 24) steht in 7 Opposition zu Gott (cf. 27), und das ägyptische Königshaus zu og lao` & tou 7 qeou (25). 239 Von ihm galt: kec1hma´tistai (8, 5b), und er war pisto´&, d. h. treu und gehorsam (wie Jesus; s. o. 6.4.). Zu Mose als „Zeuge“ cf. o. II. Anm. 61. 240 Anders als 11, 11f. ‚ 241 Cf. 7, 6 und 7, 3: amh´tw1. ‚ ‚ 242 h1nh´sato (24) entspricht in gewisser Weise ouc ag 1pagmo` n hg gh´sato (Phil 2, 6).

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9.7.3. Die freigewählte Alternative zu einer irdischen Machtstellung war für Mose eine Vorform der Passion Christi: sugka7 7 7 7 7 kouceisqai tw2 law2 tou qeou (25a), d. h. eine vorbehaltlose Solidarität im Leiden243 mit dem „wandernden Gottesvolk“244. ‚ Dem zeitlichen Wohlergehen oder Glück (apo´lausi&)245 zog er, um Sünde gegen Gott (und seine Verheißung) zu vermeiden, die kommende Ewigkeit vor, d. h. dem Vorübergehenden, Vergänglichen (p1o´skai1on)246 als etwas Sichtbarem das noch nicht Sichtbare247, Zukünftige (25b). ‚ 9.7.4. In eschatologischer Erwartung (ape´blepen, 26b) hielt er für einen „größeren Reichtum“ als die Schätze Ägyptens to` n 7 7 ‚ oneidismo` n tou C1istou (26a)248 und entsprach so schon dem, was Christus absolut realisierte (cf. 12, 2b: ug pe´meinen stau1o` n ‚ aiscu´nh& kataf1onh´sa&)249. Wie Christus, so entäußerte sich auch Mose seines Reichtums, um freiwillig arm zu sein (cf. 2Kor ‚ 8, 9). Seine Gründe liegen in der Zukunft Gottes: ape´blepen ga` 1 ‚ ei& th` n misqapodosi´an (26b). Damit überlässt er den Maßstab für alles Gott selber und wartet auf einen Ausgleich von Gott her ; er hat nicht das Unmittelbare, sondern den Weg Gottes im 7 Auge, soz. statt des irdischen plouto& das eschatologische

243

Cf. von Christus 2, 17; 4, 15 u. bes. 5, 17f. und von den Christen 13, 2a. Cf. auch 11, 13f. und 35b–37. 38b (36: kakoucou´menoi) sowie unter christlichen Bedingungen 10, 32–34. ‚ 245 Cf. auch: eupe1i´staton ag ma1ti´an (12, 1b) und qhsau1oi´ (11, 26). Ähnlich von Christus selbst: 12, 2b. 246 Cf. 1Kor 7, 31b. 247 Cf. 2Kor 4, 18b.a. ‚ ‚ 248 Dessen Schmach (o´neido&) oder Schmähung (oneidismo´&; cf. Röm 15, 3) sollen auch die Christen auf sich nehmen (13, 13), cf. 10, 33. Die Schmach des Volkes Israel ist auch die Schmach Christi (Schlatter, a. a. O. 236). 249 Das 11, 26 Gesagte ist schon christomorph, und die Rede von der „Schmach“ Christi (13, 13) hat einen quasi-typologischen Vorlauf (cf. 13, 8: ‚ ecqe´&). Das aber heißt, in 13, 8 ist die Typologie auch spezifisch christologisch begründet. 244

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

plh´1wma250. Mit seiner eschatologischen Erwartung entspricht Mose Christus typologisch: im Glauben an die Negativität von Gott her (in Gestalt von Passion und (bei Christus) Kreuz) als Versprechen der sub contrario abscondita kommenden Herrlichkeit. Hierbei ist das Verb ka1te1e´w (27b: „Aus- bzw. Durchhalten“ (oder auch „Sich Halten an“, Luther) nahezu identisch mit pi´sti& (cf. 10, 35). 9.7.5. In diesem Glauben leitet Mose dann für sein Volk den Exodus aus Ägypten ein (kate´lipen)251 und löst sich – ähnlich wie ‚ 7 Abraham: 8 (exelqein) – von allem, was ihn in der Vergangenheit bindet (27a). Das geschieht in Furchtlosigkeit gegenüber dem 7 Pharaonenkönig und dessen Zorn (mh` fobhqei`& to` n qumo` n tou basile´w&)252. Er folgt der gläubigen Maxime: „Man muss Gott 7 mehr gehorchen (peiqa1cein) als Menschen“ (Act 5, 29). Der basileu´& ist hier der irdische Pharao im Unterschied zu Gott, dem unsichtbaren, ewigen König (cf. 1Tim 1, 17 u. 2Kor 4, 18b.b). 7 ‚ Der Grund dafür (27b : to` n ga` 1 ao´1aton wg & og 1wn ‚ eka1te´1hsen) steht geradezu definitorisch für das Wesen der pi´sti& – gemäß 11, 1b und 7a. Glaube ist nicht schon die eschatologische Schau (2Kor 5, 7), aber deren existenzbestimmende ‚ Antizipation253. Das theologisch wichtige ekate´1hsen254, das seine Furchtlosigkeit begründet, kann mithin so wiedergegeben werden: „den Unsichtbaren hatte er dauernd gleichsam (näml. im Glauben) vor Augen“255.

250

In der misqapodosi´a Gottes (cf. 11, 6b.b u. 2, 2) besteht der mei´zwn 7 plouto&. Cf. insbes. Röm 8, 18! 251 Cf. wiederum Mt 2, 19. 252 Damit entspricht er einerseits der Furchtlosigkeit seiner „Väter“ (23b.b), andererseits der von Christus vor Pilatus (Joh 18, 28ff). ‚ 253 Darum auch e´legco& (11, 1b). Das wg & ist hier kein skeptisches, sondern ein proleptisches „Als ob“. 254 Dazu s. o. 9.7.4. (Ende); cf. auch J.Sir 2, 2. Das Wort hat sachlich eine gewisse Nähe zu p1ose´cein (2, 1). 255 Bauer, Wörterbuch 801.

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9.7.6. Auch mit der Einrichtung des Passah (Ex 12, 21) und der Besprengung durch Ysop mit Blut (Ex 12, 22)256 hat Mose (auf göttliche Weisung; Ex 12, 24 u. Hebr 8, 5; 9, 20) nach v. 28 ty7 pologisch Christi Werk vorabgebildet. Denn der p1o´scusi& tou aig´mato& (Hebr 11, 28a) entspricht in ihrer Vollendung Christi eigenes Selbstopfer (7, 27b; 9, 12b u. 14; 10, 14), durch das wir 1g e1antisme´noi sind (10, 22) – durch die aig matekcusi´a (9, 22) mit dem „Blut des Bundes“ (10,29), das vom Passah her das des „Lammes“ ist (Apc 7, 14). Und wie Mose durch die Besprengung die p1wto´tokoi des Gottesvolkes vor dem „Verderber“ ‚ (oloq1eu´wn) bewahrte (28; cf. Ex 12, 23), so der Gottessohn 7 (cf. 1, 6) durch sein Blut (9, 14; 12, 24: aig´mati 1g antismou) in alle ‚ Ewigkeit die ekklhsi´a p1wtoto´kwn (12, 23; cf. 2, 11b; 12 u. 13b). 9.7.7. Nur im Glaubensgehorsam konnte das von Mose geführte Gottesvolk die wunderbare Rettung erfahren (29a)257, während dasselbe Meer den Ungläubigen zum Verderben gereichte (29b). Der pi´sti& wurde in radikaler Gefährdung Gottes Treue zu seiner Verheißung für das Volk heilvoll zuteil.

9.8 Jericho und Rahab In Hebr 11, 30f sind zwei Glaubenszeugnisse mit einander verschränkt. Zunächst wird in v. 30 der wunderbare Fall der Mauern von Jericho (Jos 6, 14–16 u. 20) auf ein ähnliches Gottvertrauen, das an der Zusage Gottes ausgerichtet war (Jos 6, 5 u. 16d), zurückgeführt, wie es sich z. B. Ps 18, 30 und 2Sam 22, 30 ausspricht258. Sodann hebt der v. 31 die in die Jericho-Geschichte eingelagerte Erinnerung (Jos 6, 17b; 22–25) an den Glauben der Hure Rahab hervor: Sie blieb wegen ihrer pi´sti& am Leben und 7 ‚ wurde nicht mit den anderen Ungläubigen (toi& apeiqh´sasin) 256

Hebr. 9, 19f wird Ex 24, 8 zitiert. Sie erinnert, denkt man an Ex 14, 27, an Jesu Macht über das Meer bei der Sturmstillung (cf. Mk 4, 35ff u. Mt 14, 22ff; bes. 30f). 258 Man fühlt sich an Jesu Wort über den Glauben Mk 11, 23par erinnert. 257

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

‚ umgebracht (ou sunapw´leto, cf. Jos 6, 25)259, denn sie hatte – in eben demselben Glauben260 – die Kundschafter Israels mit Frie‚ den (met’ ei1h´nh&) bei sich aufgenommen (dexame´nh) und „verborgen“ (Jos 6, 17c: chaba; V: abscondit)261. Ihr schlug die gläubige Aufnahme der Boten als von Gott gesandt zum Guten aus (cf. Jac 2, 25 (als rechtfertigendes gutes „Werk“) sowie auch Hebr 13, 2). Diese po´1nh gehört mit ihrem Glauben nicht zufällig in den Stammbaum Jesu (Mt 1, 5)262.

9.9 Weitere Zeugen und Märtyrer des Glaubens 9.9.1 Glaubenshelden und Propheten Für die ausführliche Darstellung weiterer biblischer Glaubenszeugen reicht dem Hebr-Autor die Zeit bzw. der Raum seines Schreibens nicht aus (32a)263 ; er kann sie nur namentlich aufzählen (32b)264. Sie stehen als Vorbilder der pi´sti& in der Richterund Königszeit, erscheinen mithin durch die ganze Geschichte Israels hindurch. Dass in dieser Reihe dann schließlich auch oig p1ofh´tai genannt werden, zeigt, dass sie, die Empfänger und Hörer des göttlichen Wortes, indem sie es an die „Väter“ weitergaben (1, 1), zugleich auch dessen Zeugen waren.

259

Eine ähnliche Teilung wie v. 29 zwischen dem Gottesvolk und den Ägyptern (s. o. 9.7.7.). ‚ ‚ 260 ´ leto wie auf dexame´nh pi´stei ist hier sinngemäß sowohl auf ou apw zu beziehen. ‚ 261 Cf. Hebr 11, 23: ek1u´bh. 262 Cf. auch Lk 7, 37f u. 47. 50 (Glaube). 263 ‚ epilei´yei me ga` 1 dihgou´menon og c1ono& lässt an die Steigerung Joh 21, 25 denken; cf. auch Hebr 5, 11. Der Autor hier hat nur kurz (dia` b1ace´wn) geschrieben (13, 22b). 264 Gideon, Barak, Samson, Jephtha, David und Samuel.

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9.9.2 Kämpfer im Glauben Es folgt die Nennung von exemplarischen Taten in Kraft (33f) und Leiden infolge des Glaubens (35b–38) aus der Geschichte des Gottesvolkes, d. h. den Schicksalen derer aus der „Wolke der Zeugen“ (ma´1tu1e&), die zum Teil auch dessen „Märtyrer“ wurden. Es handelt sich immer um solche, die „durch den Glauben“ (dia` pi´stew&) Verheißungen erlangten (33c)265, und so (d. h. durch den Glauben gerechtfertigt)266 auch Gerechtigkeit üben konnten (33b). So konnten sie den „Kampf des Glaubens“ (12, 1 u. 4; 10, 32; cf. 1Tim 6, 12; 2Tim 4, 7) auch gegen Königreiche führen267. Denn sie wurden aus ihrer Schwachheit heraus in der ‚ ‚ Kraft des lebendigen Gottes stark gemacht (edunamw´qhsan apo` ‚ ‚ ‚ asqenei´a&, egenh´qhsan iscu1oi´, 34c); cf. 2Kor 12, 10268. So auch in lebensbedrohenden Gefahren: Löwen (33d), Feuer (34a), Schwert (b), Krieg (d) und besiegte fremde Heere (e).

9.9.3 Märtyrer Unter diesen trugen sich auch schon Auferstehungswunder zu (35a), vielleicht als Vorzeichen der endgültigen Totenauferstehung. Anderen aber wurden nur die Martern des Gefoltertwer‚ dens zuteil (etumpani´sqesan, 35b) – ohne Erwartung einer ir‚ ‚ dischen Befreiung (ou p1osdexa´menoi th` n apolu´t1wsin)269. Der Hebr sieht dahinter eine göttliche Absicht: gi´na k1ei´ttono& ‚ 7 anasta´sew& tu´cwsin (35b.b)270. Das entspricht dem k1eitto´n ti von v. 40 (cf. 16). Sofern auch diese ihr Geschick pi´stei hinnahmen (cf. 39), verkörperten sie mit ihrem Martyrium die 265

Wenn auch im Ganzen für deren Erfüllung gilt, was 39b festhält. S. o. 6.3.1. 267 Cf. 11, 23 u. 27. 268 Letztlich geht es um die ermächtigende Kraft des Wortes: cf. 1, 3b; 6, 5 (mit 7, 16) und 11, 11 (Sarah; dazu o. 9.4.2.). Für Christen gilt 4, 15. 269 Anders 10, 34. 270 Cf. ähnlich bei Mose: 26. Zum gi´na cf. o. I. bei Anm. 38. 266

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III. Gottes Wort und der vernehmende Glaube

‚ eschatologische Hoffnung (11, 1a: elpizo´mena) bzw. die Erwartung des Eschaton. Wieder andere hatten weitere negative ‚ 7 Erfahrungen zu machen (pei1an e´labon), nämlich eine Passion zu durchleiden, die der „Schmach Christi“ (cf. 26) ähnlich war : Spott, Geißelung, Fesselung und Gefängnis (36)271. Hinzu kamen Steinigung272, zersägt, durchs Schwert umgebracht Werden oder Entbehrungen, Bedrängnisse und Mißhandlungen (37)273. Derart verfolgt zogen sie in äußerster Notdurft herum274 : 7 pe1ihlqon (37b). Das war die bittere Wirklichkeit ihres „Exodus“ im Glauben: planw´menoi – in Wüsten, Gebirgen, Höhlen und Erdlöchern herumirrend unterwegs zu sein (38b), da gezwungenermaßen ebenso ortlos wie obdachlos.

9.9.4 Versagen des Kosmos Von allen diesen wegen ihres Glaubens (pi´stei!) extremer Negativität ausgesetzten Glaubenden stellt der7 Hebr mit eschato‚ ‚ ‚ logischer Wahrheit fest, dass ihrer ouk hn a´ xio& og ko´smo& 7 ‚ (38a)275. Dies gilt, weil sie ek qeou waren, d. h. es standhaft „aushielten“276, als die p1wto´toka (28b) zum wahren Gottesvolk 7 7 (lao` & tou qeou, 25) zu gehören – von Gott berufen aus äußerster Erniedrigung und Schmach zu seiner Herrlichkeit (cf. 1Kor 1, 26–28)277. So zählen sie in eschatologischer Perspektive zu Gottes auserwählten eigenen Kindern und werden zuletzt seinem ewigen Reich angehören (cf. Röm 8, 18). Die Welt erwies sich ihrer 271

Von entsprechenden christlichen Erfahrungen reden 11, 33ff. In manchem erinnert die ganze Aufzählung auch an das, was dem Apostel Paulus widerfahren ist; cf. 2Kor 11, 23–27 sowie 22! 273 Zu kakoucou´menoi cf. 25a. 274 Nämlich ohne ordentliche Kleider und nur in Schaf- und Ziegenfellen (37b), die für äußerste Armut und das Ausgeschlossensein von aller Zivilisation (cf. 13, 13) stehen. 275 Auch hier hat ko´smo& einen johanneischen Klang; cf. Joh 1, 5 u. 10f. 276 S. o. bei Anm. 209. 277 Jesu Christi als des Sohnes in der Passion aufhörende Herrlichkeit verhält sich zu seiner bleibenden etwa wie „Buchstabe“ und „Geist“ im Sinne von 2Kor 3, 6 u. 11. 272

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nicht wert, weil sie deren „Wert“ nicht „erkannte“ (cf. Joh 1, 10c), sondern sie zu beseitigen versuchte. Damit aber bekämpft der ko´smo& und verwirft in ihnen das von Gott her ewig Wertvolle ‚ (a´ xio&), d. h. seine Wahrheit, und beweist so seine eigene Unwürdigkeit vor Gott (cf. Act 13, 46) und mithin seine letzte Unwahrheit. 9.9.5 Offene Geschichte 7 Alle aus dieser „Wolke der Zeugen“ (oug toi pa´nte&), die die biblische Überlieferung „uns“ aufbewahrt, blieben freilich unmittelbar (als Glaubende) von der Erfüllung der Verheißung und ‚ ‚ ihrer Hoffnung noch ausgeschlossen (ouk ekomisa´nto th` n ‚ epaggeli´an)278, waren aber gleichwohl solche, denen das Glauben erweckende göttliche Wort unverlierbar zuteil geworden war : ma1tu1hqe´nte& dia` pi´stew& (39; cf. 2). Genau darum jedoch konnten sie in Gemeinschaft mit „uns“, den an Christus Glaubenden, an dem „Besseren“ teilgewinnen, das Gott für uns alle gemeinsam vorgesehen hatte (40)279 : die eschatologische Erfüllung.

278

Cf. 13, vielleicht im Sinne von 12, 5f; anders 10, 36. Cf. o. bei Anm. 210 (Dtn 34, 4). Wenn Goppelt vom „Bruch der Weltzeiten“ spricht (a. a. O., wie u. V. Anm. 1, 211), ist gleichwohl zu betonen, dass sich dieser im schöpferischen Weiter- und Zuendesprechen Gottes im Sohn vollzieht, und ebenso ist der „Hereinbruch einer neuen ,himmlischen‘ Welt in diese Zeit“ (215) durch das neue, endgültige Wort des einen lebendigen Gottes heraufgeführt worden, als eine Zäsur im göttlichen Reden zur zeitlichen Welt. 7 279 Dies k1eitton ist Jesus selber als der Sohn (1, 4; 3, 6) und „Mittler des besseren Bundes“ (8,6). Zu 11, 39f s. genauer schon o. 3.3.

IV. Eschatologie des Wortes

Erst durch die Offenbarung in Jesus Christus, durch Gottes eschatologisches Reden in seinem Sohn, wird die Geschichte des göttlichen Wortes zu einer wirklichen Geschichte, d. h. Heraufführung einer neuen und alles neu bestimmenden Epoche1. Geschichte fällt für den Hebr wesentlich zusammen mit der Geschichte vom Proton zum Eschaton.

10. Geschichtliche Existenz als eschatologisches Unterwegssein 10.1 Die Wende Von Beginn an macht der Hebr deutlich, dass mit dem definitiven Reden Gottes in seinem eigenen Sohn eine endzeitliche Wende 7 7 ‚ ‚ eingeleitet wird: ep’ esca´tou twn hg me1wn tou´twn (1, 2a). Außerdem wird dieser sogleich als klh1ono´mo& pa´ntwn eingeführt (1, 2b; cf. 4b)2. Gleichwohl beherrscht die Theologie des Hebr eine unübersehbare Spannung zwischen der Endgültigkeit, d. h. 1 Hebr 11, 4ff zählt eine Reihe von Glaubensparadigmen auf – und interpretiert sie theologisch (s. o. 9.) –, die im Laufe der biblischen Überlieferung in Erscheinung getreten sind, die aber an sich selber keine zusammenhängende, eigentliche Geschichte bilden; ihre Kontinuität liegt theologisch allein im (ihnen allen gemeinsamen) glaubenden Hören auf Gottes Wort bzw. dessen Reden. 2 Das Stichwort des „Erben(s)“ und „Erbes“ spielt daher eine auffällige Rolle (s. u.).

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IV. Eschatologie des Wortes

eschatologischen Letztgültigkeit, des Christusereignisses und dem Noch-Ausstehen des Eschaton selber (im Sinne ewiger Vollendung). Man könnte sagen: Alles steht hier unter dem (so freilich nur nach Christus möglichen) eschatologischen Vorbehalt: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden“ (1Joh 3, 2). Das gilt allerdings in je verschiedenem Sinn, je nach dem, ob es für die „Väter“ im Glauben (1, 1 u. 11, 4ff) oder für die Christgläubigen ausgesagt wird3. Das Ausgespanntsein auf eine noch ausstehende Vollendung als Erfüllung aller Verheißungen trifft indes für die Existenz aller – sowohl der ante wie der post Christum natum – dem lebendigen Gott Glaubenden zu. Ihre pi´sti& bedeutet ein spezifisches geschichtliches Unterwegssein. Dessen theologische Strukturmomente sind hier auseinander zu legen.

10.2 Der Vorgeschmack Die entscheidende, alles bestimmende Wirklichkeit ist für den Hebr die eschatologische Triebkraft des göttlichen Wortes selber4, hat sie doch auch mit dem Erscheinen Christi „den letzten dieser unserer Tage“ (1, 2a) heraufgeführt und bestimmt die weitere Geschichte5. Alle, die (im H.Geist: 6. 4b.b) das kalo` n 7 7 qeou 1g hma „geschmeckt“6, d. h. wahrhaft vernommen haben, ‚7 haben eben damit auch die duna´mei& me´llonto& aiwno& zu schmecken bekommen (6, 5)7, d. h. seinen eschatologischen „Geschmack“.

3

Es gilt sogar in speziellem Sinn für Jesus Christus selber ; s. u. 10.6.4. 7 ‚ D. h. seine ureigenste dynamis: zwn … kai` ene1gh´& (4, 12). Cf. o. I. Anm. 5 u. III. Anm. 10. 7 7 5 Spezifisch für die me´tocoi tou C1istou (3, 14), für die das 10, 37f ‚ ‚ Gesagte gilt. Cf. auch: eggi´zousan th` n hg me´1an (10, 25c). Cf. Joh 14, 19: e´ti mik1o´n. Übrigens erinnert 10, 24f an eine von Luthers Bestimmungen des Evangeliums: „per mutuum colloquium et consolationem fratrum [sororumque]“ (ASm III; BSLK 449,12f). 6 Cf. Ps 33, 9 u. Joh 8, 52. 7 „Schmecken“ bedeutet hier meto´cou& pneu´mato& ag gi´ou sein. Auch 4

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10.3 Die Berufung 7 Es geht Gott bei den Glaubenden um tou` & me´llonta& klh1onomein swth1i´an (1, 14b). Als solche sind sie „Erben der Verheißungen“ (6, 12b u. 17). Das ihnen zubestimmte „ewige Erbe“ (9, 15c) heißt ‚ (eher formal) ta` me´llonta agaqa´ (10, 1; 9, 11), hg dw1ea` hg ‚ 7 ‚ epou1a´nio& (6, 4), k1eitton epou1a´nion (11, 16) – beides ent7 ‚ spricht der klhsi& epou1a´nio& (3, 1) – oder (mehr inhaltlich) 7 ‚ k1eitton ana´stasi& (11, 35c), hg me´llousa po´li&, die als wahrhaft bleibende (13, 14)8 noch „gesucht“ wird bzw. Gottes end‚ gültige basilei´a asa´leuton ist (12, 28)9. Ihr gottheitlicher Inbegriff ist do´xa (2, 10b). Unübersehbar eignet allen in 10.3 genannten Formulierungen ein futurischer bzw. eschatologischer Index10. Mit ihnen wird in letztgültiger – und sogar letztbegründender – Weise erfasst, was mit Christus gekommen bzw. im Kommen begriffen ist und seitdem Leben und Zukunft aller Glaubenden von Gott her bestimmt. Seinem Leben und Sterben als der eschatologischen Wende schlechthin ist nun die Aufmerksamkeit zu widmen.

10.4 Soteriologie und Eschaton Der Weg Jesu Christi von der Inkarnation bis zu Auferstehung und Erhöhung ist das Integral des Weges (Gottes) von der Schöpfung bis zum Eschaton – dieser immer als Geschichte von Gottes Reden begriffen. In diese Bewegung ist die Soteriologie des Hebr eingezeichnet. Der Christus Gottes ist folgerichtig im Gottesvolk, d. h. als Jude, erschienen (cf. Joh 4, 22)11, d. h. (auch im Sinne des Hebr gemäß 1, das Stichwort me´llein ist im Hebr häufig und in seiner Zukunftsbezogenheit eschatologisch konnotiert (s. u.). ‚ 8 Die Glaubenden sind dessen inne, dass sie e´cein k1ei´ttona ug´ pa1xin kai` me´nousa (10, 34b). 9 Dazu genauer u. 10.8.3. 10 Zur für den Hebr wesentlichen, hier ebenfalls einschlägigen Rede von der kata´pausi& s. u. 10.7. 11 Cf. auch 7, 14.

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7 ‚ ‚ 1f): ei& to` bebaiwsai ta` & epaggelli´a& (Röm 15, 8). Daher auch nahm er sich – instar omnium credentium (cf. 11, 8f) – der wahren ‚ Nachkommenschaft Abrahams an (epilamba´netai, 2, 16) als der Kinder der Verheißung (Röm 9,8b; cf. Hebr 6, 17).

10.4.1 Inkarnation als Kondeszendenz (1.1.) Vom menschgewordenen Gottessohn als solchem gilt, dass er gleichermaßen wie wir alle (pa1aplhsi´w&) an der elementaren condition humaine uneingeschränkt teilhatte: kekoinw´nhken (bzw. mete´scen) aig´mato& kai` sa1ko´& (2, 14a; cf. Joh 1, 14; Röm 8, 3)12. Durch dies Eingehen in die wirkliche 7 leibhafte Existenz, die notwendig war, um kata` pa´nta toi& 7 ‚ 7 adelfoi& og moiwqhnai (2, 17a)13, lebte er in völliger Solidarität ‚ ‚ ‚ mit allen Menschen auch im Leiblichen: wg & kai` autoi` o´nte& en sw´mati (cf. entsprechend 13, 3b vom Mit–Leiden). Dazu hat Gott 7 ihm sein swma zubereitet (kata1ti´sw mou, 10, 5c)14, und die 7 Fleischwerdung geschah nach dem Willen Gottes (10, 7c: tou 7 poihsai og qeo` & to` qe´lhma´ sou), eben um der (so auch einma7 ligen: 10, 12) p1osfo1a` tou sw´mato& willen (10, 10). Wegen dieser wesentlichen Leiblichkeit des Erlösers allein wurde auch 7 7 ‚ ‚ 7 die ei´sodo& twn ag gi´wn en tw2 aig´mati ’Ihsou (10,19) möglich15. Als wirklicher Mensch war der Gottessohn fähig, konkret 7 7 7 ‚ sumpaqhsai tai& asqene´iai& hg mwn (4, 15a)16. Und so konnte er 12

Das war die elementarste Bedingung dafür, um den Tod wirklich zu überwinden (cf. 2, 14b (ig´na) und u. 10.4.2.). 13 kata` pa´nta meint bis in die Körperlichkeit von Leib und Blut hinein, sodann aber auch die Versuchlichkeit (2, 18; s. u.); cf. auch u. Anm. 18. ‚ 14 Der hebr. Text hat „Ohren“ (Ps 40, 7; LXX y 39, 7b: wti´a). 15 Zu 13, 20 s.u. 10.4.4. Luther sagt: „Humanitas enim illa sancta scala est nostra, per quam ascendimus ad Deum cognoscendum [Gen 28, 11ff; Joh 14, 6b]” (WA 57 H 99,3f). 16 D. h. (wegen 4, 14a) kondeszendent. Zugleich fängt wegen dieser Nähe auch die schonungslose Enthüllung des richtenden göttlichen Wortes ‚ (gemäß 4, 12f), das er selber ist, mit ihm an. Zur asqenei´a Jesu cf. 5, 7 (s. u. V. bei Anm. 93). Zu 4, 15 cf. S. Kierkegaards Predigt „Der Hohepriester“ (Gesammelte Werke (Hirsch), 25. Abt. (1957), 137ff.

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durch seine sa´1x für uns alle die ganz neue og do` n p1o´sfaton 7 kai` zwsan eröffnen (10, 20; cf. 6, 19b u. 9, 8)17 bzw. der neue „Weg“ sein (6, 20). Mit dem allen ist die unbedingte Solidarität des unser Menschenlos restlos mit uns teilenden Jesus Christus ausgesprochen18. (1.2.) Sie gründet in der wirklichen Kondeszendenz von Gottes eigenem Sohn, die von Gott her, also auch als dessen Selbsther‚ ‚ ablassung erfolgte; mit Ps 8, 6a heißt es: hla´ttwsa& auto` n ‚ b1acu´ ti pa1’ agge´lou& (2, 7 u. 9)19. Das geschah mit Christi „Exodus“ in die Passion (cf. 13, 12), an dem wir teilhaben sollen (13, 13); durch ihn aber ist er uns unüberbietbar als helfender Beistand „nahe gekommen“ (cf. 13, 5b u. 6), und wir sind es Gott (7, 19)20. So wurde die heilvolle Nähe zu Gott in seinem Sohn von Gott selber hergestellt und jede „religiöse“ (vom Menschen ausgehende) Annäherung an ihn radikal überboten21. (1.3.) Zur Menschlichkeit als ganzer gehört auch bei Jesus seine Versuchlichkeit, und dem entsprechend gilt er als pepei1asme´non kata` pa´nta, gemäß seiner Gleichheit mit uns (kaq’ og moio´thta); in dem allen aber blieb der Gottessohn cw1i`& ag ma1ti´a& (4, 15b). Für ihn als Gottes Menschensohn galt immer : 7 7 ‚ idou` hg´ kw … tou poihsai og qeo` & to` qe´lhma´ sou (10, 7; cf. 2, 13a). Aber nur, weil er auch Versuchungen erlitt, konnte er den von Versuchungen beirrten Menschen wirklich helfen (2, 18 u. 14a; cf. 4, 16b). Als Höhepunkt schonungslosen Ausgesetztseins an extreme Not mit den Versuchungen von Todesangst und 17

In p1o´sfato& könnte etymologisch noch ein „frisch geschlachtet“ oder (weniger wahrscheinlich) p1os-fhmi mitklingen (ThWbNT VI, 767 A. 1 (Maurer)). 18 „In unser armes Fleisch und Blut / verkleidet sich das ewig Gut“ (M.Luther ; EG 23, 2). Man ist an den „fröhlichen Wechsel“ erinnert; Luther in der Hebr.-Vorlesung: „Igitur nostra ita suscepit et egit, quasi nesciret sua“ (WA 57 H 136,11f). 19 D. h. den, der an sich unendlich weit über den Engeln stand (cf. 1, 4.5.7 u. 13); cf. u. V. Anm. 89. 20 Cf. o. III. Anm. 62. 21 Das führt die zentrale Typologie detailliert aus; s. u. V. 13.2.5.

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wirklicher Todesnähe, an denen er wie alle Menschen teilnahm, gilt dem Hebr die Gethsemane-Szene, die – in gewisser Nähe zu Lk 22, 44 – drastisch Jesu geschöpfliche Abhängigkeit und Bedürftigkeit veranschaulicht: Jesu, „der in den Tagen seines 7 ‚ 7 Fleischseins (th & sa1ko` & autou ) 22 Bitten und und Flehen um Hilfe mit lautem Schreien und Tr ä nen dem darbrachte (p1osene´gka&)23, der ihn aus dem Tode erretten konnte“ (5, 7; cf. Joh 12, 27)24. So „lernte er, obwohl der Sohn, an dem, was er menschlich erlitt, noch einmal Gehorsam (dem Vater gegenüber)“ (5, 8)25. Darin indes wurde er wegen seiner Frömmigkeit 7 ‚ ‚ ‚ von Gott erhört (eisakousqei`& apo` th& eulabei´a&, 5, 7) und bewährte sich in beidem, dem Erleiden echter Todesangst und dem Gehorsam, vollendet26 als der (mit uns solidarische: cf. 4, 15a) Priester in Ewigkeit für uns (5, 6 u. 9f). 10.4.2 Die Passion Mit Gethsemane begann die eigentliche Passion, d. h. das Leiden bis zum Tode. (2.1.) Dieser ist das eigentliche Heilsereignis27. Gottes eigener 7 Menschensohn hat die paqh´ mata tou qana´tou und schließlich den wirklichen Tod ug pe` 1 pa´ntwn28„geschmeckt“ (geu´shtai, 2, 22 Seine ewige Bestimmung wird (kondeszendent) menschlich, d. h. ‚ ‚ zeitlich-irdisch realisiert, kai´pe1 w`n uig o´&, e´maqen (5, 8a). 23 Damit beginnt schon sein Selbstopfer (cf. 9, 14: ewiger Geist) – statt 7 dw1a´ te kai` qusi´a& (5, 1b). 24 Was mit der Auferweckung des „guten Hirten“ dann geschah; cf. 13, 20. 25 Als der gehorsame Sohn ist er pisto´& (2, 13 u. 17b; s. o. 6.4.), denn der Vater ist „größer“ als er (cf. Joh 10,29; 14, 28. Zum Glauben als Gehorsam cf. Hebr 5, 9). Der Hebr nimmt im Text auseinander, was die Synoptiker in der Gethsemane-Szene zusammen bringen: Anfechtung (5, 7) und Willensergebung (10, 7b u. 9a); cf. aber 5, 8 (ug pakoh´). ‚ ‚ 26 Als dergestalt teleiwqei´& ist er ai´tio& swth1i´a& aiwni´ou (5, 9). 27 Zum Kreuz s. auch 10.4.3. 7 28 Das geschah uns zugute und insofern (ca´1iti qeou, 2, 9; cf. 5, 4f). Das

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9)29. Genau dadurch hat er den Tod aber besiegt (cf. 1Kor 15, 54f): indem er gerade durch sein, des Gottessohnes, Sterben die Macht gebrochen hat (ig´na kata1gh´sh2 ), die im Tode enthalten ist, d. h. 7 die Macht des dia´bolo& (2, 14c u.d). dia` tou qana´tou besagt: er hat dies durch die freie Übernahme des eigenen Todes am Kreuz (cf. Phil 2, 8) erreicht30 – in Kraft der ewigen du´nami& seines unauflöslichen Lebens (7, 16), das den Tod in sich verwindet31. Und eben durch sein Aufsichnehmen des Todes erweist sich Christi k1a´to& (2, 14c) als das entschieden größere gegenüber dem des Diabolos. (2.2.) Durch eine solchen Tod allein konnte das „Neue Testament in meinem Blut“ (1Kor 11, 25b) realisiert werden, denn erst der Tod setzt eine diaqh´kh in Geltung und Kraft (9, 16ff; cf. Ex 24, 8 u. Hebr 9, 20)32. Die Folge ist die endgültige Befreiung ‚ (apalla´xh2 ) von der das ganze menschliche Leben beherrschenden und sich entfremdenden (doulei´a) Todesfurcht (2, 15), die ihrerseits in der Sünde gründet (cf. Röm 6, 23). (2.3.) Der Neue Bund hat demgemäß unmittelbar das Ziel, von den unter dem ersten geschehenen Übertretungen (des Gesetzes) ‚ ‚ durch Christi Tod zu erlösen (ei& apolu´t1wsin, 9, 15)33. Wesentlich besteht aber die Sünde im Sichverhärten gegen Gottes Heil wird auf diese Weise zuletzt von Gott selber, dem Schöpfer und Vollender, Grund und Ziel von allem, bewirkt, di’ og `n ta` pa´nta (2, 10), aber mit dem te´lo& von 2, 8, und d. h. Christus zum „Erben“ von allem zu machen (1, 2b), in dem sich Gottes Reden vollendet. 29 Anders unser geu´esqai (6, 4f). ‚ 7 30 Im Unterschied zu uns, die wir e´nocoi douleia& sind bzw. waren (2, 15b). 31 Cf. das paulin. katapi´nesqai (1Kor 15, 54 u. 2Kor 5, 4). Luther : „ita mors absorpta et devorata est in vita“ (WA 57 H 129,12). 32 S. o. 4.8.2. (bei Anm. 75–78). Das trägt der Bedeutung des Blutes im Alten Bund Rechnung (cf. 9, 18 u. 20): als einer Bedingung von Sündenvergebung (9, 22). 33 Damit kommt dieser Tod uns zugute als den zu einem „ewigen Erbe ‚ Berufenen“ (9, 15c) und der aiw´nia lu´ t1wsi& teilhaftig Gewordenen (9, 12b).

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‚ Wort überhaupt (3, 7ff u. 16ff), d. h. in apisti´a (3, 12f; 4, 6b u. 7 34 11) . Da Christi Heilstod einen völligen kaqa1ismo` n twn 7 ag ma1tiwn erwirkt hat, wie es von Anfang an heißt (1, 3c)35, d. h. ‚ ein Abtun der Sünde (aqe´tesi&, 9, 26b) bzw. ein ig la´skesqai der ‚ Sünden (2, 17b.b), gibt es bei Gott jetzt keine ana´mnhsi& der Sünden mehr (cf, 10, 3 u. 17). Das bedeutet eine vollendete Befreiung für uns, weil die Reinigung durch ihn, der gänzlich ohne Sünde war (4, 15b), ein für allemal bewirkt wurde (9, 26b). 10.4.3 Kreuzesopfer und Auferstehung (3.1.) Nach der alten Logik des Opfers muss ein Priester etwas ‚ haben, das er Gott darbringen kann: e´cein ti … og ` p1osene´gkh2 (8, 3b). Dies war – nach Gottes unveränderlichem Willen (6, 17) – in der eschatologischen Wende Jesus Christus selbst. So wurde ‚ ‚ wahr : efa´pax eg auto` n anene´gka& (7, 27c), und das durch die 7‚ Hingabe seines Lebens: dia` de` tou idi´ou aig´mato& (9, 12)36. Damit aber vermochte er, durch sein eigenes Opfer seiner selbst die ‚ Sünde endgültig (cf. 10, 12) aufzuheben (aqe´thsi&, 9,26b; 37 cf. 28) . Ermöglicht wurde das dadurch, dass sein Selbst-Opfer absolut rein war, weil in keiner Hinsicht irgendwie für ihn selber dargebracht. Er war vollkommen cw1i`& ag ma1ti´a& (4, 15b) und so ‚ 7 7 mit seinem Sich-Darbringen a´ mwmon tw2 qew2 (9, 14b)38. (3.2.) Der Ort dieser äußersten Erniedrigung seiner selbst und des (in Freiwilligkeit) Hingegebenwerdens durch den Vater (Joh 3, 16) war das Kreuz (12, 2)39, das er auf sich nahm und bis 34

S. o. 6.3. Dem Glauben entspricht hingegen die og mologi´a (cf. 4, 14c u. 3, 1b). 35 Zur mit dieser Reinigung (cf. auch 9, 14b: Gewissen) verbundenen „Heiligung“ s. u. 10.4.5. 36 Cf. o. II. Anm. 65. ‚ 37 Statt des Gerichtes (9, 27b) gab es nun die entscheidende Richtung ei& swth1i´an (28). 38 Zu der plerophoren Beschreibung dessen s. u. 10.4.4. (4.2.) zu 7, 26. 39 Einzige ausdrückliche Nennung im Hebr. Gleichwohl handelt es sich bei dieser Theologie durchaus um eine Art von theologia crucis (cf.Grässer,

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ans Ende ausharrend – und zwar von Sündern (12, 3)! – erlitt, ‚ ohne der Schande zu achten: ug pe´meinen stau1o` n aiscu´nh& kataf1onh´sa& (12, 2b)40. Dadurch gelangte er aber zur höchsten Ehre, nämlich zur Rechten Gottes selber (12, 2b.b)41. Der Hebr hat dafür einmal auch den Terminus der Auferweckung durch 7 ‚ ‚ ` n ek nek1wn to` n poime´na …(12, 20). Gott: og anagagw 10.4.4 Der eschatologische Hohepriester42 (4.1.) Indem Jesus Christus durch sein unschuldiges Leiden und Sterben Gott und die Menschen miteinander versöhnt hat – er, der die „Gerechtigkeit liebte“ (1, 9a) und „König der Gerechtigkeit“ wie auch des „Friedens“ ist (7, 2b u. c; cf. „Gott des Friedens“, 13, 20a) –, ist er, der Gottessohn, der Mittler schlechthin, indem Gott in ihm den Sünder annimmt und wir Menschen Zugang zu Gottes heilvoller Nähe erlangen : diaqh´kh& kainh& mesi´th& (9, 15 ; 12, 24), des endgültig „besseren Bundes“ (k1ei´ttono& diaqh´kh&, 8, 6b). Seinem helfenden Beistand (13, 5b u. 6) – er tritt vor Gott immer für uns ein (7, 25b)43 – verdanken wir, dass wir nicht an den furchtbaren Berg des Gesetzes (12, 18–21)44, einem Bild des sonst unentrinnlichen (12, 25b) Gerichtes im ersten Bundesschluss und zornigen Gottes (cf. 29)45, EKK 17/1, 155), wenn auch durch den besonderen Zusammenhang mit der Opferterminologie inhaltlich spezifisch akzentuiert. 6, 6b findet sich noch die ü bertragene Wendung vom wiederholten Kreuzigen 7 ‚ Christi (anastau1ounta&). 40 Dabei verzichtete er auf die ihm zustehende ca1a´ (12, 2b; cf. 11,25f (s. o. 9.7.) sowie Phil 2, 6f. 41 Zur Erhöhung s. u. 10.4.6. 42 Zur Hohepriester-Christologie cf. Goppelt, Theologie, a. a. O. 580–590 und zur typologischen Deutung des Hohepriesters im Hebr s. u. V.13. 43 Zur Wirkungsgeschichte der intercessio pro nobis in der Alten Kirche cf. K.Barth, KD IV/1, 346–348. 7 44 Im Gegensatz zum tötenden Berg cf. 1Petr 2, 4: li´qo& zwn mit Hebr 7, 25. 45 Das Stichwort pu´1 verbindet 12, 18 mit 29 u. 10,27; zu fobe1o´n (12, 21) cf. 10, 31; cf. auch sa´lpigx (19). fwnh` 1g hma´twn meint also unerträglich schreckliche (20) Gerichtsworte. Zum Gericht s. u. 10.6.

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endgültig scheitern, sondern in der großen Antithese dazu (18: ‚ ‚ ou – 22: alla´) unsere Zuflucht am Zion der Gnade (12, 22) finden können (p1ose´1cesqai), dem „himmlischen Jerusalem“ als der Stadt des lebendigen Gottes (12, 22) – als die panh´gu1i& ‚ kai` ekklhsi´a p1wtoto´kwn (12, 22b/23a)46. (4.2.) Dieser Mittler zwischen Gott und uns ist Christus durch sein (alle religiösen Opfer beendendes: 10, 18) Selbstopfer und so ‚ der endzeitliche Hohepriester (a1cie1eu´&), die Vollendung alles irdischen Priestertums schlechthin47. Sein besonderes „Pries7 tertum“ ist aufgrund seines ewigen Lebens (pa´ntote zwn) ein ‚ `2 zein ei& to` pantele` & du´natai, unvergänglich-heilbringendes (sw ‚ 7, 25). Das will sagen: er ist nicht nur Priester in alle Ewigkeit (ei& ‚ ‚7 to` n aiwna, 6, 20b; cf. 5, 6; 7, 21), sondern, sofern hier a1ch´ mitzuhören ist48, auch von Ewigkeit – wie Melchisedek49. Gottes ‚ Sohn, Jesus Christus, als der a1cie1eu´& bedeutet nichts Geringeres, als dass Gott selber die Religion (insbes. als alttestamentliche Opferreligion) zu seiner eigenen Sache macht und zum Ort seines Sichgebens. Daher gilt exklusiv von diesem Hohepriester, dass er „untadelig vor Gott“ (9, 14b) und Priester wie kein menschlicher ist, nämlich, weil selber „ohne Sünde“ (4, 15b), auch „unterschieden von den Sündern“ (7, 26b) und dies alles in ‚ ‚ absoluter Vollkommenheit: og´ sio& a´ kako& ami´anto& (7, 26b). Er, der selbst „die Himmel durchschritten hat“ (4, 14a; cf. 8, 1), tritt ‚ 7 7 7 mit seinem ganzen Sein vor Gott (di’ autou tw2 qew2 ) bittend für ‚ ‚ 7 ‚ uns ein: ei& to` entugca´ nein ug pe` 1 autwn (sc. die zu Gott Kommenden, 7, 25a u. b; cf. 1Joh 2, 1; Röm 5, 2; 8, 34)50. So haben wir an ihm, was unser Verhältnis zu Gott angeht (ta` p1o` & to` n qeo´n), ‚ ‚ ‚ Diese sind apogeg1a´mmenoi en ou1anoi´& (cf. o. II. Anm. 67) und sollen zu den pneu´mata di´kaia tetelew´menoi gehören (12, 23). 47 Dieser Hoheitstitel ist für den Hebr spezifisch, weil er Christi Heilstod (typologisch) von der Logik des Opfers her denkt (s. u. V.13.). Es sei erinnert, dass auch die klassische protestantische Dogmatik soteriologisch zentral das officium sacerdotale Christi behandelt. ‚ 48 Cf. von ihm als a1chgo´& (kai` teleiwth´&) 12, 2 u.o. 7.3. 49 cf. Hebr 7, 3. 7 ‚ 7 7 7 7 7 50 ´ pw2 tou qeou ug pe` 1 hg mwn. Cf. 9, 24b: nun emfanisqhnai tw2 p1osw 46

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‚ ‚ den eleh´mwn kai` pisto` & a1cie1eu´& schlechthin (2, 17b)51. Jesus Christus, für uns gestorben und endgültig zu Gott erhöht, ist der eschatologische Priester, der unser Gottesverhältnis heilvoll ‚ ‚ vermittelt: apo´stolo& kai` a1cie1eu´&, dem als Träger und Exekutor des versöhnenden Gotteswortes unser Bekenntnis entspricht (3, 1; cf. 4, 14b). (4.3.) Für diesen unsern Mittler und Hohepriester, den ku´1io& Jesus, nimmt der Hebr abschließend auch das evangelische Bild 7 des „guten Hirten“ auf: og poimh` n twn p1o´batwn og me´ga& (13, 20; cf. Joh 10, 11; Lk 15, 4–6). 10.4.5 Teilhabe (5.1.) In der Person des Mittlers sind wir, die Glaubenden, 7 7 me´tocoi tou C1istou (3, 14a; im Glauben: 14b) – und dies auch in Gottes Augen, weil er sich vor Gott zu uns bekennt. Durch ihn werden wir „Söhne“ bzw. Gotteskinder (2, 10b u. 13b)52, und von 7 ihm sind wir zu „Brüdern“ berufen worden (kalein, 2, 11b.b u. 12)53. Denn er wollte den Glaubenden als seinen Brüdern gleich sein (2, 17a). (5.2.) Als diese seine geliebten Brüder, „trägt er alles [und alle] durch das Wort seiner Kraft“ (1, 3b), die hier als deren „Reinigung“54 oder „Heiligung“ bestimmt wird. Durch seine Hingabe

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Dies Formulierung von einem Hohepriester überhaupt: 5, 1. Christus ist „barmherzig“, indem er uns „helfen“ wird in den Versuchungen (2, 18b; 4, 15). 52 Vom p1wto´toko& her (1, 6a) die Gemeinde der p1wtoto´kwn (12, 23). 53 Wir die Nicht-Heiligen, deren er sich nicht „schämt“ (2, 11b). Er will ‚ so in ihrer Mitte den göttlichen Namen verkündigen (apaggelw 7 ´ , 2, 12a; cf. ‚ Ps 22, 23) und Gott 7preisen (ug mnh´sw) als den Einen, ek oug pa´nte& (cf. 2, ‚ 11a). Sie sind sein oiko& (3, 6). 54 Insbes. des Herzens bzw. Gewissens (10, 22 (cf. 2); 9, 14), so dass es zu ‚ einer ka1di´a alhqinh´ kommt (10, 22; cf. 10, 16b u. 8, 10b) bzw. vollendetem Glauben. Wie 9, 13 und 14b zeigen, lassen sich christlich auch dabei

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7 7 ‚ am Kreuz gilt für uns: hg giasme´noi esme` n dia` th& p1osfo1a& 7 7 7 ‚ tou sw´mato& ’Ihsou C1istou efa´pax (10, 10; cf. 14), und so ‚ gehören wir nicht mehr zu den ecq1oi´ im vor-eschatologischen Stand der Dinge (10, 13). Durch sein eigenes Blut hat er uns geheiligt (13, 12), was mehr ist als eine bloße Entsühnung, er, der ‚ ‚ selber og´ sio& ist (7, 26a)55, und so sind wir oig ag giazo´menoi ex eno` & pa´nte&, dem einzigen, der der ag gia´zwn von Gott her ist (2, 11)56. Diese Heiligung ist die entscheidende Bedingung, um Gott im ‚ Eschaton zu schauen (oyesqai, 12, 14b; cf. 11, 6).

10.4.6 Der Erhöhte 4.6.1. Im Anschluss an die Aussage über den „in Ewigkeit vollendeten Sohn“ (7, 28b.b) erklärt der Hebr es als die Hauptsache (kefa´laion) aller seiner Ausführungen, dass „wir einen solchen ‚ Hohepriester (a1cie1eu´&) haben, der sich zur Rechten des ‚ Thrones der Erhabenheit in den Himmeln gesetzt hat (eka´qisen)“ (8, 1). Ähnlich betont er bereits am Anfang seines Schreibens, dass der Sohn sich zur Rechten Gottes gesetzt habe (1, 3d)57. Weitere, hier kurz zu betrachtende Erhöhungsaussagen durchziehen wie ein roter Faden den ganzen Hebr. Die Prominenz der sessio ad dexteram patris für seine Theologie erklärt sich wohl aus dem doppelten systematischen Anliegen, 1. das 1, 2a über die eschatologische Bedeutung von Gottes Reden im Sohn Gesagte in seiner Endgültigkeit zu behaupten, und 2. ständig 7 7 „Fleisch“ und Gewissen nicht trennen, wie auch nicht aigma und swma (13, 11); cf. o. Anm. 13. 55 Sein Heiligsein ist eine „kommunikative Eigenschaft“. 7 56 ‚ ex eg no´& besagt: als von dem Einen, der zunächst polume1w& (1, 1) und dann abschließend ein für alle Mal (1, 2a) geredet hat. Gott ist nach 2, 11 lebendig Einer, und der für ihn Handelnde (ag gia´zwn) und die, an denen dieser handelt (oig ag giazo´menoi), sind alle (pa´nte&) von ihm her, was sie sind – als dem einen letzten Ursprung. 57 Diese Aussage schließt sich unmittelbar an die feierlichen Prädikationen Christi als des Erben von allem (1, 2b), des Schöpfungsmittlers (2c), der Ausstrahlung und des Wesensbildes Gottes (1, 3a), des Allerhalters (3b) und des Erlösers von den Sünden (3c) an.

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daran zu erinnern, dass Jesus Christus alles, was er jetzt und immerdar für die Glaubenden bedeutet, vom Himmel her58 und d. h. im Namen Gottes selber wirkt59. 4.6.2. Dass Christus „sich“ für immer zur Rechten Gottes „gesetzt“ hat (1, 3d; 10, 12; 12, 2b.b), meint eindeutig: er selber konnte diesen höchsten Platz zusammen mit dem Vater nur deswegen einnehmen, weil ihn Gott dazu mit eschatologischer Relevanz „berufen“ hat (1, 13; cf. 2, 5). Er hat sich diese do´xa der ewigen Sohn- und Priesterschaft also nicht selber genommen, sondern verdankt sie einzig und allein dem (sie performativ verleihenden) „Zuspruch“ Gottes selber (5, 5: og lalh´sa& p1o` & ‚ auto´n). Der ewige Gott ist es, der ihn „mit Herrlichkeit und Ehre 7 ‚ gekrönt“ hat (do´xh2 60 kai` timh2 estefanwme´non, 2, 9a.b)61. Die Voraussetzung dafür war Christi Erniedrigung bis ans Kreuz: dia` 7 to` pa´qhma tou qana´tou (2, 9a.a)62. So konnte ihn Gott dia` 7 paqhma´twn teleiwsai (2, 10b.b). So ist die Erhöhung Jesu keine unmittelbare, sondern (soz. „dialektisch“) durch ihr Gegenteil vermittelt, d. h. die theologia gloriae durch die theologia crucis. 4.6.3. Mit seiner Erhöhung hat der Herr „die Himmel durchschritten“ (4, 14a), um so im Himmel zu sein (9, 24b), nämlich bei Gott selbst mit seiner Rechten (9, 24b), was zugleich auch be58 Erinnert sei an die Aussage der Lutherischen Bekenntnisschriften, dass der Mensch Jesus im Himmel regiert (FC (SD VIII, 70); BSLK 1040,29ff; cf. Mt 28, 18b u. 20b), was J.G. Hamann aufgegriffen hat (Briefwechsel (Ziesemer / Henkel) I (1955), 394,4). 59 Das gibt auch der durchgängigen Paraklese des Hebr theologisch ihren Nachdruck (cf. auch 4, 16). 60 Cf. 13, 21. 7 61 Was Joh in dem einen Wort „erhöht werden“ (ug ywqhnai) in eins gefasst hat, unterscheidet der Hebr ähnlich, wie Phil 2, 8 u. 9 es tun. ‚ estefanw´menon erinnert aber noch an die Dornenkrone (Mt 27, 29; Joh 19, 5). 62 Die Krönung mit höchster Herrlichkeit und Ehre zur „Rechten Gottes“ machte seinen Tod universal zugänglich: og´ pw& … ug pe` 1 panto´& (2, 9b). Bei Horaz heißt es: „Valet ima summis // Mutare et insignem attenuat deus / obscura promens“ (Od. I, 34,12–14).

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deutet: höher (ug yhlo´te1o&) als die Himmel (7, 26b.b)63. Hier hat 7 er wie der Vater den „Thron der Gnade“ inne (q1o´no& th& ca´1ito&, 4, 16a). Hier waltet er seines ewigen Priestertums (7, 24) und führt das „Zepter seiner Basileia“ (1, 8b; cf. 9, 4)64. 4.6.4. Mit seiner Regentschaft im Himmel ist für den Erhöhten die Zusage Gottes verbunden, zuletzt alle seine Feinde ihm zu un7 7 terwerfen (ug popo´dion twn podwn sou, 1, 13c, Ps 109, 1.LXX; cf. protologisch: Ps 8,7) bzw. ihm überhaupt Alles zu untergeben (2, 8a)65, so dass nichts ihm nicht untergeordnet ist (2, 8b). Das aber ist der noch zu erwartende Stand der letzten Vollendung im Eschaton. Denn in der Gegenwart des Heute gilt, trotz Christi Sieg 7 ‚ 7 ‚ 7 über den Tod (2, 14c) faktisch66 : nun de` ou´pw og 1wmen autw2 ta` pa´nta ug potetagme´na (2, 8c). So steht der Erhöhte selber noch ‚ zwischen dem eschatologischen Schon (efa´pax) und dem ‚ Noch-nicht (ou´pw)67, und von ihm selbst sagt der Hebr aus, um 7 seinen Status des „Zwischen“ (sc. nun und te´lo&) zu bezeichnen: ‚ to` loipo` n ekdeco´meno&, nämlich bis Gottvater ihm seine Feinde endgültig unterworfen haben wird (10, 13; cf. 1Kor 15, 25). So vollendet sich auch die Soteriologie des Hebr eschatologisch.

‚ Wohl insofern, als sie die Sphäre der a´ ggeloi sind (cf. 1, 6). Zur basilei´a cf. auch 12, 28. Zu 1g a´bdo& (1, 8b) heißt es bei Luther : „Nulla enim potestate alia regit Christus ecclesiam quam verbo“ (WA 57 H 108,17–109,1). ‚ 65 „Alles“ dürfte, weil er der „Erbe“ ist, neben der oikoume´nh (1, 6), auch die Engel einschließen (cf. 1,7 u. 14) und insbes. den Tod (mors mortis; 1Kor 15, 26) bzw. den dia´bolo& (2, 14c). Vielleicht ist in dem pa´nta auch 7 Gottes früheres Reden (polume1w& kai` polut1o´pw&, 1, 1) – jedenfalls in den Augen Gottes – mit einbegriffen zu denken. 66 D. h. für unsere Augen; cf. Kol 3, 3f u. 1Joh 3, 2. Alles, was „jetzt“ noch ‚ anupo´takton ist, ist dies aber mit der Bestimmung zu jenem Ziel (cf. 1Kor 15, 27) und ist mithin im Werden zu sich. ‚ 67 Zum ou´pw cf. auch 11, 7. 63

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10.5 Kosmos und Eschaton Durch die heilvolle Wende der Geschichte in Tod und Auferstehung Jesu kommt in sie definitiv die eschatologische Ausrichtung ‚ auf Vollendung von Allem: a´ c1i te´lou& (6, 11). Die alles verändernde Zäsur bzw. Peripatie der göttlichen Redegeschichte (gemäß 1, 2a) lässt das Wort vom Anfang und das eschatologische Wort im Sohn so unterscheidend aufeinander bezogen sein, dass dieses sich von jenem abstößt: als Antizipation des Endes, d. h. dass der Schöpfungsmittler (1, 2c) zum Universalerben wird (1, 2b). Das Heiligtum Christi ist nicht von dieser Welt (cf. Joh 18, 36; 7 ‚ Apc 21, 3b), d. h. aber : ou tau´th& th& kti´sew& (9, 11b)68. Die Protologie wird in der Eschatologie aufgehoben und die Schöpfung (cf. katabolh` ko´smou, 4, 3c; 9, 26a) in Christus vollendet. Der Anfang von Allem geht mit ihm auf die Vollendung zu: die 7 ‚ ‚ sunte´leia twn aiw´nwn (9, 26b) in der oikoume´nh hg me´llousa (2, 5)69. Mit Christus ist in diese Geschichte des kommenden Eschaton auch jeder Glaubende eingelassen, und ganz auf das „Nochnicht“ (11, 7) ausgerichtet70. Denn weder Josua (der erste 7 „’Ihsou&“)71 hat die endgültige Ruhe für das Gottesvolk bringen können (4, 8) noch das (levitische) Priestertum die telei´wsi& (7, 11). Weil so im Alten Bund alles noch vorläufig blieb und Christi endgültiges Erscheinen auch für uns noch aussteht (c. 10, 13)72, 68 Die Verheißung einer Vollendung der Schöpfung für uns schließt deren an sich schon Abgeschlossensein bei Gott (4, 3c) nicht aus; daher kann, vermittelt durch die Erwägung von 4, 6a u. b und 7, schließlich v. 9 formuliert werden (s. u. 10. 7.). 69 Damit ist das Heilsziel bezüglich der Menschenwelt akzentuiert, und ‚ daher ist es dem uig o` & anq1w´pou anheimgegeben (2, 6b), der leidensfähig ist und den Tod für die Sünder auf sich nehmen kann (2, 9). 70 Wie es erst recht für die Glaubenden des Alten Bundes galt (cf. 11, 39 u.o. 9.3. u. 9.9.5.). 71 In Josua (Jos 22, 4) läuft sich Jesus voraus. ‚ ‚ 7 ‚ 72 Zur Parousie cf. 9, 28 : e k deute´ 1ou … ofqh´setai toi & auto` n ‚ ‚ apekdecome´noi& ei& swth1i´an; d. h.: ihn als das Eschaton selbst darin sehen (cf. 1Joh 3, 2). Möglicherweise ist so auch 1, 6a zu verstehen (cf. p1wto´toko& (unter vielen Brüdern; cf. Röm 8, 29; Kol 1, 18) mit 12, 23:

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haben wir im Glauben an ihn und das Ein-für-alle-mal seines Lebens und Sterbens (7, 27c; 9, 7. 12. 26) eine eschatologische 7 Existenz als Unterwegssein: oig pe1ipatounte& (13, 9c)73. Mit der dem Glauben eigenen Geduld (ug pomonh´) streben wir im Kampf gegen alle Widerstände (in und außer uns) weiter auf dem Weg 7 eschatologischer Hoffnung74 : t1e´cwmen to` n p1okei´menon hg min ‚ 7 agwna (12, 1c)75. Unsere leidenschaftliche Suche gilt dabei der kommenden „ewigen Stadt“, die Gott selber errichten will (cf. 11, 10; 8, 2b; 9, 11 u. 24): weil wir hier keine „bleibende“ Stätte haben können, gilt immer noch: th` n me´llousan [sc. po´lin] 7 ‚ epizhtoumen (13, 14)76. Vorläufig aber bleibt es auch für uns bei dem eschatologischen „Status“77: solange wir hier nach dem wahren ‚ 7 Vaterland (pat1i´&) suchen (epizhtein, 11, 14), sind auch wir auf ‚ ekklhsi´a p1wtoto´kwn); pa´lin würde dann bedeuten: nach der Auferweckung Jesu und in der dadurch befestigten Sohnschaft (cf. Act 13, 33). 73 Sie dürfen sich nicht mit solchen „vielgestaltigen und vielfärbigen“ 7 Lehren aufhalten, die nicht das polume1w& kai` polut1o´pw& (1, 1) meinen und vor allem nicht den einen Jesus Christus (gemäß 13, 8) zum zentralen Thema haben; nur das apostolische Wort selber zählt. ‚ 7 74 Cf. auch 6, 11: spoudh` … a´ c1i te´lou&. Der k1eittwn diaqh´kh (7, 22; cf. 8, 7ff u. 10, 16) als einer „neuen“ (9, 15) entspricht auch – wie k1ei´ttone& ‚ 7 ‚ epaggeli´ai (8, 6) – eine k1eittwn elpi´& (7, 19b). 75 Cf. 1Kor 9, 24f; Phil 1, 29f sowie 1Tim 6, 12. 76 Mit diesem unvergeßlichen Satz hat der Hebr zum Ende noch einmal die eschatologische Ausgespanntheit der gläubigen Existenz mit unüber‚ bietbarer Prägnanz formuliert. Das „Suchen“ ist die Gestalt des exe´1cesqai ‚ 7 im Glauben (cf. ou wg de me´nousan), für das das Endgültige noch aussteht (4, 9) und das den „Exodus“ auf den leidenden Christus hin realisiert (13, 13a). Dessen eigener Exodus (13, 12) ist als Stiftung des Neuen Bundes die des „ewigen Bundes“ (13, 20) bzw. „ewigen Erbes“ (9, 15), und sie begründet das 13, 14 Gesagte. Die gesuchte neue Polis – zu me´llousa cf. 2, 5 – ist nicht das irdische (alte), sondern das himmlische Jerusalem als Stadt des lebendigen Gottes (cf. 12, 22 u. Apc. 12, 22). 77 Zeitlich vorläufig ist die irdische Gegenwart (auch der christlichen ‚ Gemeinde): og kai1o´ & og enesthko´& (9, 9), aber zugleich auch im eschatologischen Sinne vor-läufig, sofern nämlich die Unerfülltheit bzw. das Weiterdrängen des göttlichen Werkes immer wieder ein neues Heute der 7 ‚ 7 Verheißung freisetzt: a´ c1i& oug to` sh´me1on kaleitai (3, 13; cf. 4, 1: ‚ p1o´d1omo&). Die a´ llh hg me´1a von 4, 8 (cf. 7a) ist der Tag von 1, 2a.

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Erden nichts als Gäste und Fremdlinge (xe´noi kai` pa1epi´dhmoi)78, die das Verheißene sehnsüchtig erwarten – wenngleich auf dem durch Christus erneuerten, ganz neuen und lebendigen Weg (10, 20)79.

10.6 Das Gericht 10.6.1 Der Anlass Mit dem Hiergewesensein Jesu Christi stellt sich unausweichlich die Frage nach Glaube oder Unglaube. Dieser besteht in der ‚ ‚ ausdrücklichen ei& eg auto` n antilogi´a durch die Sünder, die er auszuhalten hat (12, 3b)80. An dieser Alternative ist der eschatologische Gedanke des Gerichtes im Hebr orientiert, der für ihn mit zum Fundament (qeme´lion) christlicher Lehre gehört (6, 2b.b). Es erreicht uns als Endgericht nach dem Tode (9, 27). 10.6.2 Der Richter Der lebendige Gott, Schöpfer, Erlöser und Vollender, ist auch der Richter aller (k1ith` & qeo` & pa´ntwn, 12, 23b), und er hat sich selber das Gericht über alle ausdrücklich vorbehalten und wird richten (10, 30a u. b)81. Dabei ist er, Inbegriff der dikaiosu´ nh ‚ ‚ (cf. 5, 13) – und der Liebe –, nicht ungerecht: ou ga` 1 a´ diko& og qeo´& (6, 10a)82. Das Gericht vollzieht er durch sein lebendiges und ‚ dynamisch-machtvolles (ene1gh´&), unentrinnliches Wort (4, 12f)83, das Wort des lebendigen Gottes als k1itiko´&. Es ist un7 Cf Petr 1, 17b: c1o´no& th& pa1oiki´a&. 7 79 Lebendig (zwn) vom Auferstandenen her. 80 Cf. Lk 2, 34. ‚ ‚ 81 Wenn es hier heißt: oi´damen to` n eipo´nta, so wird dieser Redende als der Herr der Welt, das absolute Subjekt des Wirklichkeitsgeschehens und seiner Wahrheit verstanden. Er ist der, der sagt, wer er ist, und sagt, dass er der ist, der sich in aller Wirklichkeit durchsetzt. 82 Er vergißt nicht die Liebe der Menschen und ihre Werke (6, 10b). Cf. 13, 7b. 83 S. o. 5.1.1. Zu den schrecklichen Gerichtsworten s. o. bei Anm. 44. 78

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7 7 ‚ 7 ‚ 7 ausdenklich fobe1o` n to` empesein ei& cei1a& qeou zwnto& (10, 7 ‚ 84 31, d. h. nach dem Tode: 9, 27) – gerade im Versuch, aposthnai 7 7 ‚ apo` qeou zwnto& (3, 12). Denn dann erweist der allmächtige und heilige Gott sich als eine verzehrende und nichtende Macht. Der Hebr bringt sie in die metaphorische Chiffre des Feuers; danach 7 ist unser Gott ein pu1 katanali´skon (12, 29; cf. Dtn 4, 24; 9, 3)85. So stehen unsere schlechten „Früchte“ unter einem Fluch und ihr 7 7 ‚ ‚ te´lo& ist ei& kausin (6, 8b), dem k1ima aiw´nion (6, 2). 10.6.3 Die Strafe ‚ Der eigentliche Grund des Verderbens im Gericht (apw´leia) ist aber der Unglaube (10, 39). So erlangt schon der Unglaube gegenüber dem Wort der Engel (als pa1akoh´ und pa1a´basi&)86 ‚ zur Strafe die „gerechte Vergeltung“ (e´ndikon misqapodosi´an, 2, 2b)87. Ähnlich zog sich bereits die Herzensverbitterung und -verhärtung gegenüber der Verheißung von Gottes Wort (bzw.) des Gottesvolkes bei der Wüstenwanderung den göttlichen Zorn und den Verlust der kata´pausi& Gottes zu (3, 11 mit 7ff); jene ‚ wird vom Hebr als apisti´a (eines schlechten Herzens) begriffen, die im Abfall vom lebendigen Gott besteht (3, 12 u. 19; cf. 4, 6b). Für uns bzw. alle die, die nach der empfangenen Erkenntnis ‚ ‚ ‚ der christlichen Wahrheit (epi´gnwsi& th& alhqei´a&) noch mutwillig (eg kousi´w&) sündigen, kann es nach Christi Kreuzestod kein neues, sühnendes „Opfer“ mehr geben (10, 26)88 ; daher ‚ bleibt nur eine schreckliche Erwartung (fobe1a´ ti& ekdoch´) des Gerichts und mit ihm des Eifers zukünftigen Feuers (pu1o` & … 84

Denkt man 9, 27 und 28 zusammen, so entspricht die k1i´si& Christi Tod und der swth1i´a seine Parousie. 85 Die pu1o` & flo´ga stehen im dienstbar zu Gebote (1, 7c). 86 Cf. dazu o. III. Anm. 126. 87 Um wieviel mehr dann bei uns, wenn wir das im Wort des Herrn uns angebotene und von seinen Zeugen bekräftigte Heil (swte1i´a) vernachlässigen (2, 3). 88 Jesu Gehorsam gegenüber Gottes Willen bis zum Tode am Kreuz (cf. 10, 9a mit Phil 2, 8) begründet nach Grässer die Kultkritik des Hebr (a. a. O. 222).

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me´llonto&), das die Widersacher (tou` & ug penanti´ou&)89 wegen ihres Rückfalls in Unglauben verzehren wird (10, 27). 10.6.4 Die Parousie So wird die endgültige Wiederkunft Christi, seine Parousie90, für die im Glauben Christus Erwartenden zum Heil gereichen (9, 28b), für die Anderen aber – gemäß 10,27b – zum Gericht, da ja Christus bei diesem zweiten Mal nicht wegen der Sünde (d. h. um sie wegzunehmen) erscheint. So ist das Gericht gegenüber der Zeit des Mose verschärft (cf. 10, 28f)91 weil inzwischen die Zeit der Gnade angebrochen ist92.

10.7 Ewige Ruhe bei Gott Beim ersten Exodus des Gottesvolkes (der Wüstenwanderung: 3, 16b) wurde das Heilsziel nicht erreicht (3, 11; 4, 3b)93, und erst in der Sendung von Gottes eigenem Sohnes, d. h. aufgrund einer neuen göttlichen Initiative, kam es durch dessen schöpferischen Tod und seine Erhöhung zu dessen Realisierung. Da auch Josua 7 (’Ihsou&)94 das Volk noch nicht zur endgültigen „Ruhe“ zu bringen vermochte (4, 8a: kate´pausen), hat Gott durch sein Weitersprechen einen anderen, neuen Tag bestimmt (4, 8b), der der endgütige sein sollte (1, 2a).

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Cf. o. bei Anm. 80. Sie wird als nah ausgesagt (10, 25c u. 37). 91 Cf. o. 10.6.3. zu 10, 26f. 92 Cf. 4, 16 u. 2, 9b. 93 Damit war die Strafe eines fruchtlosen Todes verbunden (3, 17b). 94 Er ist (typologisch) nur ein Vorläufer Jesu Christi. 90

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IV. Eschatologie des Wortes

10.7.1 Schöpfung und Sabbat Der Hebr fasst das Heilsziel in Anknüpfung an Ps 95, 11 (cf. Num 14, 22f) als die göttliche kata´pausi& (3, 11b. 18; 4, 1. 3. 5. 10f)95. Damit nimmt er ausdrücklich Gen 2, 2 auf (4, 4)96, wonach der Schöpfer am siebten Tag von allen seinen Werken „ausruhte“ (4, 10b; cf. Gen 2, 3). Das besagt: Gott ist in ihnen bei sich und kommt aus ihnen zu sich selber97. Diese kata´pausi& ist einerseits die Vollendung der Schöpfung für Gott98 und als endgültiger „Sabbat“99 die eschatologische Vollendung der Schöpfung für uns. Andererseits ist sie als sabbatismo´& (4, 9) die ewige Wahrheit des irdischen Lebens und Tuns (cf. 4, 10; cf. Apc 14, 13b). Wir sollen im Glauben (pisteu´sante&) eingehen in die ewige Ruhe (4, 3a; cf. 3, 18f)100. Das besagt: das te´lo& des Glaubens ist Gottes eigene Ruhe (kata´pausi´& mou, 3, 11u.ö.)101, und wir werden, in sie hineingenommen, Anteil bekommen an Gottes Eigenleben102. Weil er der „lebendige Gott“ ist, ist seine „Ruhe“ 95

Das Wort meint die Ruhe schlechthin sowie auch den Ort der Ruhe (Ruheplatz: to´po&, cf. Act 7, 49b.b mit Jes 66, 1). Zu to´po& s. o. I. bei Anm. 54, III. bei Anm. 188, 194, 129; Anm. 191 u. vor Anm. 199. 96 Cf. Ex 31, 17b. 97 Gott ist in seinen „Werken“, d. h. seiner lebendigen Tätigkeit, ewig in sich zurückreflektiert (cf. 4, 3c). Damit hängt die ausdrückliche Affirmation der Schöpfung als „sehr gut“ (Gen 1, 31) eng zusammen. Der „siebte Tag“ wird dementsprechend von Gott gesegnet und geheiligt (Gen 2, 3). 98 Die Unerfülltheit des Schöpfungszieles (4, 3c) sollte deswegen zur vollständigen Erfüllung gebracht und so in ihrer göttlichen Vollkommenheit wiederhergestellt werden (cf. 4, 7). 7 99 Cf. Ex 20, 8–11. Der Sabbat ist hg th& katapau´sew& hg me´1a (2Makk 15, 1. LXX). 100 D. h. nicht mehr „laufen“ und „kämpfen“ (12, 1c; cf. 12, 4 u. 12f; s. o. Anm. 75); sondern unser Herz ist nur solange ruhelos, „bis es Ruhe findet in Gott“ (Augustinus, Conf. I 1,1). Für Luther gilt: „hic dies septimus non habet vesperam“ (WA 57 H 159,23f; cf. Augustinus MPL 34, 302 u. 42, 1003). 101 Luther zitiert zu Hebr 4, 4 Augustinus: „,Requies Dei recte intelligentibus hec est, qua nullius indiget bono seipsoque beatus es“ (WA 57 H 158, 12f; cf. De Genesi ad literam IV 16, 27; MPL 34, 306). 102 Der siebte Tag werden wir auch selber sein, heißt es bei Augustinus (De civ. Dei 22, 30, 4; MPL 41, 803).

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ein in sich kreisendes Leben in ewiger Bewegtheit und unser ewiges Leben kein Stillstand, sondern ein Sein in der bleibenden 7 po´li& des qeo` & zwn (12, 22). In dem neuen „Heute“ (cf. 3, 7 u. 15)103 Christi und seines Wortes redet Gott noch einmal und endgültig (cf. 1, 2a). Daher ‚ ‚ gilt als conclusio alles Vorhergehenden: a´ 1a apolei´petai 7 7 7 7 sabbatismo` &104 tw2 law2 tou qeou (4, 9; sc. als ganzem (gemäß ‚ 11, 40)). Diese Verheißung des apolei´petai105 deren Folge 13, 14 ausgesprochen wird106, begründet die notwendige Selbstvollendung Gottes in Gemeinschaft mit seinem Volk bzw. denen, die an Christus Anteil haben (cf. 3, 14).

10.7.2 Exodus und Eishodos Ein besonderer systematischer Aspekt der Rede von der endgültigen „Ruhe“ ist hier noch wahrzunehmen. Der Hebr bringt in c. 3 und 4 das Erreichen bzw. Nicht-Erreichen des Heilsziels der kata´pausi& sprachlich (und mithin auch sachlich) mit dem Thema des „Exodus“ bzw. Eishodos in Verbindung107. Denn ei‚ nerseits kommt das „Eingehen“ (eise´1cesqai)108 in die Gottes‚ ‚ ruhe während des Exodus aus Ägypten (3, 16b: exelqo´nte& ex ‚ Aigu´ptou) wegen des Unglaubens des Volkes nicht zustande (3, 11b u. 18). Andererseits (und umgekehrt) gehört zum Eingehen in die kata´pausi& im (Christus-)Glauben (4, 3 u. 11) der neue ‚ ‚ ‚ „Exodus“ mit Christus (13, 13: exe1cw´meqa p1o` & auto` n e´xw)109. 103

Es wird durch Gottes eschatologisches Reden konstituiert (cf. auch 4, 3 u. 4). 104 Das Wort meint die Sabbatruhe oder auch „Sabbatfeier“ (Schlatter). ‚ 105 Cf. noch einmal 4, 6. Es entspricht der kataleipome´nh& epaggeli´a& (4, 1). 106 Cf. auch „Erwarten“: 9, 28b.b (cf. 11, 10). Bei E. Bloch findet sich ein entferntes Echo: „Der siebente Schöpfungstag steht noch offen“ (Das Prinzip Hoffnung, II, 590). Für Epiphanius ist Christus selber der große Sabbat (Pan. haer. 30, 32,6ff; nach Strobel). 107 Der „Exodus“ spielt schon 11, 8ff eine auffallende Rolle. 108 Es ist aus Ps 94, 11 (LXX) hierher übernommen. 109 Dazu s. o. 10.4.1. (1.2.) u. Anm. 76.

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IV. Eschatologie des Wortes

Durch diese Verknüpfung von Ex- und Eishodos wird das eschatologische Thema, für das hier der Begriff der kata´pausi& bzw. des sabbatismo´& steht, explizit in den Zusammenhang der Geschichte Gottes mit seinem Volk und der Menschheit eingeschrieben – als einer Geschichte seines Redens zur Welt und dessen Vollendung. In der Verkettung von gelingendem oder ‚ misslingendem eise´1cesqai im Rahmen des Exodus110 bringen sich – so oder so – die „Wege Gottes“ (og dou´& mou) zur Geltung, die z. B. die Nicht-Glaubenden sündhaft verkannten (3, 10c)111. Die Wege Gottes haben sich daher erst in dem „neuen und lebendigen Weg“, der Christus selber ist (10, 20), vollendet. Diese Wege bzw. dieser endgültige Weg sind der Weg des Wortes Gottes durch die Geschichte

10.8 Gottes letztgültiges Wort (12, 26–28) Systematisch ist Gott im Hebr von Anfang an als der Redende 7 schlechthin bestimmt: og lalwn (12, 25a)112. Indes hat vielleicht an keiner Stelle wie dieser eine Mahnung wie: mh` pa1aith´shsqe 7 to` n lalounta, d. h. die Warnung vor dem Überhören oder 7 ‚ ‚ Missachten des göttlichen Wortes und Redens ap’ ou1anwn (25b) in der Wirklichkeit, einen solchen Nachdruck und Ernst wie angesichts des über seine weltbewegende Wucht 12, 26f Gesagten113. 10.8.1 Die göttliche Stimme Die eigene „Stimme“ Gottes (fwnh´)114 hat in der Vergangenheit (to´te) schon einmal sich erderschütternd bzw. -bewegend ver110

Dies Thema konkretisiert den Eingangssatz 1,1 u. 2a im Hinblick auf die Alternative von Glaube und Unglaube. 111 Mit der Folge, dass ihnen das Eingehen in die Ruhe verwehrt blieb (3, 11). 112 Cf. schon o. I. bei Anm. 5. 113 Cf. aber 2, 2 u. 10, 28f. 114 Cf. auch 3, 7. 15; 12, 19.

10. Geschichtliche Existenz als eschatologisches Unterwegssein 115

nehmen lassen (12, 26a), nämlich in der Zeit der „Wüstenwanderung“ (cf. Ps 68, 8f mit Ex 13, 21; 19, 16–18 (dem entspricht 7 Hebr 12, 18–21); Ri 5, 4 f sowie Ps 114, 7 u. 77, 1). Jetzt aber (nun de´) ergeht (als ein Wort-Wechsel) ein weiteres (und letztes) Mal ‚ die eschatologische Verheißung (eph´ggeltai le´gwn)115 : 7 ‚ ‚ ‚ ‚ ‚ ` sei´sw117 ou th` n ghn118 alla` kai` to` n ou1ano´n119 (12, 26b). g´ pax116 egw e´ti a

7 Der Hebr liest (cf. 27a: dhloi) diese schlechthin allumfassende göttliche „Revolution“ und Erneuerung aus dem Prophetenwort Hagg 2,6 u. 21 heraus120. sei´w oder saleu´w (26a u. 27) bedeutet: erschüttern (wie durch ein Erdbeben), zum Wanken bringen und impliziert sachlich auch ein grundstürzendes „Bewegen“121. Es geht hier um die unwiderstehliche, dynamische Macht des göttlichen Wortes, seine „Allwirksamkeit“122, die alles erneuernd und revolutionierend durchwirkt123. Das unüberbietbar neue und letzte Wort des ewigen Gottes verändert die ganze Schöpfung und qualifiziert „Himmel und Erde“ eschatologisch neu: zu einem 115 Es handelt sich um das absolut Alles entscheidende Wort dessen, der 7 og lalwn ist, und sich nun definitiv aus-spricht, d. h. sein gesamtes Reden vorher vollendet und so sich selber aus-artikuliert haben wird. 116 Das erläutert der Hebr selber in v. 27 (s. u.); gemeint ist: ein letztes Mal. 117 Das Futur entspricht der Verheißung; 7 7 ‚ 118 Cf. die gh& th& epaggeli´a& (11, 9). Wegen der Relevanz des escha7 tologischen Handelns Gottes für die ganze Schöpfung ist hier von gh& und nicht nur von den Menschen die Rede; cf. die folgende Anm. ‚ 119 Cf. oig ou´1anoi saleuo´menoi (1Klem 20, 1 u. Mt 24, 29par.). „Erde und Himmel“ meinen (wie schon Gen 1, 1) die gesamte geschaffene Wirklichkeit in ihrer Ganzheit bis in die höchsten Sphären (cf. Hebr 1, 10b). 120 Auch das Ende überhaupt im eschatologischen Sinn war also schon ‚ 7 den „Vätern“ en toi& p1ofh´toi& (1, 1) angesagt worden. Ganz im Sinne des Hebr ist auch der folgende Vers bei diesem Propheten: kai` sussei´sw ‚ 7 ‚ 7 ‚ pa 7‚´ nta ta`7 e´qnh, kai` hg´ xei ta` eklekta` pa´ntwn twn eqnwn, kai` plh´sw to` n oikon touton do´xh&, le´gei ku´1io& pantok1a´tw1 (Hagg 2, 7; cf. 9). ‚ 121 Sc. hin zu etwas schlechthin Anderem, den novissima bzw. e´scata. 122 Ähnlich wie Luther vom „inqietus actor“ spricht (WA 18, 711,1). 123 Cf katanali´skon (12, 29) u. dazu u. 10.8.4.

116

IV. Eschatologie des Wortes

neuen Himmel und einer neuen Erde (cf. Jes 65, 17; 66, 22: me´nei ‚ enw´pio´n mou; 2Petr 3, 13; Apc 21, 1)124.

10.8.2 Noch einmal ‚ 7 g´ pax (12, 27a) interpretiert (dhloi) der Hebr als Speziell das e´ti a endgültiges Ein-für-alle-Mal und nimmt hier das christologische ‚ efa´pax (7, 27; 9, 12; 10, 10 u. ö.) eschatologisch auf. „Noch einmal“ als definitives Sich-Neubestimmen Gottes (am Orte Christi) im Eschaton besagt systematisch, dass die Metathesis (27b; s. u.) auch eine in Gott selber bzw. auch seine eigene ist: 7 dass er, der als der p1wto& von Allem ist, sich hier auch als der ‚ ‚ g´ pax erweist e´scato& erweist (Apc 1, 8; 21, 6; cf.22, 13). Im e´ti a Gott sich wahrhaft als der „lebendige Gott“, d. h. als zwh´ ‚ g´ pax entspricht seiner Einzigkeit akata´luto& (7, 16), und das a (cf. 2, 10f) bzw. seinem mit sich Eins-sein, insofern er im Eschaton vollkommen mit sich eins ist.

10.8.3 Metathesis Die Rede ist von einer totalen, schöpferischen Umwandlung alles 7 Bestehenden: twn saleuome´nwn meta´qesi& (27a). Mit ta` saleuo´mena wird die fragile, erschütterbare gegenwärtige Welt charakterisiert (cf. 1Kor 7, 31b), die ausdrücklich als die geschöpfliche bezeichnet wird (wg & pepoihme´nwn, sc. aus dem Nichts; Hebr 12, 27a)125. Sie wird als durch das Wort des lebendigen Gottes geschaffen (11, 3) auch durch dessen endgültiges Wort umgeschaffen und das protologische Reden durch das 7 Cf. to´te … nun (26); damit ist ein dialektischer Umschlag bezeichnet (cf. auch o. I. Anm. 24): die Bewegung hin zum Unbeweglichen, d. h. Bleibenden und Ewigen, vom Vorläufigen zum Endgültigen (cf. 1Kor 13, 10). 125 Die Erschütterbarkeit des geschöpflichen Seins (ta` saleuo´mena) entspricht der Vorläufigkeit alles Geschaffenen. Dieses ist durch das Wort gegründet (11, 3a), wird durch das Wort erschüttert (26b; cf. 18) und wird im Wort vollendet (27b). 124

10. Geschichtliche Existenz als eschatologisches Unterwegssein 117

eschatologische Wort überholt126. Das „Aufheben“ des Geschaffenen in Gottes unzerstörbarem, ewigem Leben Gottes ist die Vollendung der Schöpfung. Das definitive neuschöpferische Wort Gottes wird (wieder)127 mit dem Begriff der meta´qesi& („Verwandlung“) beschrieben128. Es geht der Sache nach im Zuge des göttlichen Handelns um eine Art von dialektischem Umschlagen129 vom Wandelbaren zum Unwandelbaren (ta` mh` saleuo´mena, 27b), der kata´pausi& Gottes (4, 4 u. ö.)130, oder auch: vom irdisch Vergänglichen in der Geschichte zur ewigen ‚ basilei´a asaleu´ton (28a)131, Gottes eschatologischem Reich (cf. 1, 11 u. 12). Die umstürzende Erschütterung des Zeitlichen ist der endgültige Einbruch der Ewigkeit in die so verwandelte Schöpfung132, und die göttliche meta´qesi& (als eschatologische Wende) die Erschaffung des ewig Unvergänglichen (cf. 1Kor 15, 42b; 43 u. 53)133. Nach 12, 27b erfolgt die Metathese zum Eschaton – identisch 7 ‚ mit der suntelei´a twn aiw´nwn (9, 26b) – mit dem Ziel, gi´na mei´nh2 ta` mh` saleuo´mena („damit schließlich … übrigbleibt“)134. Mit 126 „Mit dem Worte fing er an und mit dem Worte endet er“ (Schlatter, a. a. O. 258). 127 Der Hebr kennt – in Entsprechung zu der hier in Rede stehenden auch eine meta´qesi& vom no´mo& (7, 12b) zum neuen, besseren Bund (7, 22; s. o. 5.2.4.) bzw. vom irdischen Priestertum zum ewigen (7, 11b) des ku´1io& (7, 14 u. 15) sowie die meta´qesi& vom Tod zum Leben (11, 5f; s. o. 9.2.). ‚ ‚ 128 Nach Ps.Aristoteles gilt: og qeo´& oudemi´an epideco´meno& … meta´qesin (Peri kosm. 400 b 28f). 129 Cf. die ähnlich zu denkende Rede von der meta´basi& Joh 5, 24. 130 S. o. 10.7. 131 Zu ihr besteht jetzt noch ein Glaubensbezug: lat1eu´wmen ‚ ‚ eua1e´stw& (cf. 11, 6) und meta` eulabei´a& kai` de´ou& (28b). 132 Für das menschliche Individuum bedeutet Gottes saleu´ein in der Zeit insbes. sein Sterben, d. h. das eigene Ende als eine Art Antizipation des Eschaton (cf. 9, 27). 133 Cf. zu diesem Umschlagen: „dass sie vom Gewordenen zum Ungewordenen übergingen“ (Philo; Fug 59). Logisch begriffen heißt das: „Das Nichtsein des Endlichen ist das Sein des Absoluten“ (Hegel, Werke in zwanzig Bänden. 6, 80). Cf. auch zu 12, 25–29: W.Eisele, Ein unerschütterliches Reich (2003), 113–125 (BZNW 116). 134 Das unvergänglich Bleibende ist die „bleibende“, ewige Stadt von 13,

118

IV. Eschatologie des Wortes

diesem teleologischen gi´na135 ist also eine Negation des Nichtigen gedacht, ein dialektisches Umschlagen zum wahrhaft beständigen Ewigen136. Die beschriebene Bewegung der meta´qesi& ist in Wahrheit nichts anderes als das endgültige Sichdurchsetzen von 7 ‚ ‚ 7 Gottes ewigem Willen, dem ameta´qeton th& bou´lh& autou (6, 17b). 10.8.4 Das Nichtige Zum saleu´ein als Verzehren alles bloß Irdisch-Vergänglichen und von der Nichtigkeit der Sünde Durchsetzten gehört für den 7 Hebr. auch die anschließende Charakterisierung Gottes als pu1 katanali´skon (12, 29; cf. 10, 27)137, womit der Gedanke des Gerichtes verbunden ist138. Ihm entspricht de´o& als Furcht und Ehrfurcht (28b). Der Hinweis dient der Begründung von v. 28 und unterstreicht abschließend noch einmal die Bedeutung der Zuflucht für uns (22ff): von Gott zu Gott, vom Zornigen zum Gnädigen (28: ca´1i&).

14, die nicht mit menschlichen Händen, sondern von Gott selber erbaut ist (8, 2b; 9, 11; 11, 10. 16c): der endgültige to´po& (s. o. I. bei Anm. 54, III. 188, 191, 194, 199 u. V. 133). Zum me´nein (1, 11a u. 12c) s. o. 4. 7. 135 Zu einem theologisch gedachten gi´na s. o. nach 3.1. (I. bei Anm. 37) u. bei III. Anm. 270. 136 Das ist auch ein nicht-platonisches Verhältnis7 von Zeit und Ewigkeit. 7 ‚ ‚ ‚ ‚ 137 Cf. Heraklits Rede vom pu1 aei´zwon, das hn kai` e´stin kai` estai (Frgm. 30, Diels / Kranz I, 158). 138 S. o. 10.6.2.

V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

Keine Schrift des NT macht so ausführlich und detailliert einen theologischen Gebrauch von der Typologie wie der Hebr1. Damit entspricht diese Schrift freilich nur in besonders intensiver Weise dem, was – aus spezifischen Gründen – für das NT überhaupt eigentümlich und theologisch bezeichnend ist2. Kein systematisches Verständnis der Theologie des Hebr kommt daher ohne ein Begreifen dessen aus, worum es bei dem „Typologie“ genannten Verfahren eigentlich geht3. Dazu sind hier zunächst einige grundsätzliche Feststellungen zu treffen, die durchaus neue Akzente setzen und dem hier vorgetragenen Gesamtverständnis des Hebr Rechnung tragen.

1

Cf. die klassische Monographie von L. Goppelt: Typos. Die typologische Deutung des Alten Testaments im Neuen (1939; 1990), 193. 2 Nach Goppelt ist die Typologie „in dem Grundanliegen des NT“ verwurzelt (a. a. O. 248), denn es hat sein Wesen in dem heilsgeschichtlichen Zusammenhang (ebd., cf. 249), und sie ist daher „die im Schriftgebrauch des NT vorherrschende und für ihn charakteristische Deutungsweise“ (sc. des AT; 239). Sie entspricht überhaupt dem biblischen Denken (cf. 6 u. 20 A. 1). Zum entsprechenden Geschichtsbegriff des NT cf. 248. 3 Dieser neue Versuch nötigt im Folgenden auch zu präzisierenden Korrekturen an der Darstellung von Goppelt, die trotz vieler feiner Beobachtungen zum Hebr oft nur referierend bleibt und den hier herausgearbeiteten Schwerpunkt im Ganzen vernachlässigt.

120

V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

11. Typologie als geschichtliches Wort Das typologische Verfahren des Hebr dient – so meine grundlegende These – in angemessener Weise einer Einlösung der Eingangsbehauptung 1, 1 u. 2a4. Gottes Reden wird demgemäß typologisch als ein sich vollkommen aus– bzw. bis zu Ende artikulierendes Reden zur Darstellung gebracht. Die Typologie ist für den Hebr das Sichauseinanderlegen (bzw. sprachlich gedacht: Sich-Artikulieren) der Ewigkeit Gottes in ihrem Verhältnis zur geschichtlichen Zeit5, oder anders gesagt, sie ist Gottes SichEntsprechen in seinem Ersten und Letzten Wort (als AT und NT) – von der Schöpfung bis zum Eschaton. Genauer gesagt, Gott entspricht überhaupt sich selbst: primär in seinem Sohn als seinem ewigen Wort. Eben so entspricht er sich in seinem Reden (Sprechen dieses Wortes zu uns) selber : im Wort zu den Vätern (1, 1) wie im Wort zu uns (1, 2a); d. h. Gottes letztes Wort entspricht seinen früheren Worten (pa´lai) so wie das Eschaton der Schöpfung entspricht. Oder auch: Gott entspricht seinem Wort zu den Vätern im Wort des Sohnes so, dass dieses jenes zu vollendeter Erfüllung bringt; das aufzuweisen, ist das Anliegen der Typologie. Typologie ist im Sinne des Hebr nur möglich, weil das göttliche Wort geschichtlich wirksam ist (1, 3b). Diese Typologie muss also als eine christliche Geschichtstheologie begriffen werden, deren Möglichkeit darin begründet ist, dass der redende Gott sich in seinen Worten entspricht – und zwar so, wie es Wort der Schöpfung und Wort der Vollendung tun6. Daher bringt der Hebr einen wesentlichen und unlösbaren Zusammenhang von göttlichem Wort und Geschichte in Anschlag und findet ihn in seiner 4 Das geschichtliche Reden Gottes in den tu´poi des AT konkretisiert das 7 polume1w& kai` polut1o´pw& von 1, 1. 5 S. o. Anm. 9 (Vorwort). 6 Damit ist unmittelbar gemeint, dass Gottes Wort sich selber entspricht, um einen ganzen (zeitlich-ewigen) „Satz“ zu bilden; s. o. I. 1. u. ö.; mittelbar wird man aber Gottes Selbstentsprechung in seinem lebendigen Sein davon nicht abtrennen können; denn die Vollendung von Allem kann ihn selber nicht unbetroffen sein lassen.

11. Typologie als geschichtliches Wort

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notwendigen Orientierung an der biblischen Überlieferung. So muss es verstanden werden, wenn es heißt: „Der Hbr hält von der geschichtlichen Heilsgegenwart ausgehend die Geschichtlichkeit und damit grundsätzlich auch den Wortsinn des Schriftwortes fest“7, und es gilt das Eine, weil jeweils auch das Andere gilt, denn Gottes eigenes Wort ergeht (gemäß 1,1) in der Geschichte und führt sie seinerseits herauf (gemäß 1, 2a). Es geht hier also nicht um eine soz. geschichtsimmanent zu verstehende Struktur, d. h. um keine bloß faktische historische Kontinuität, sondern um eine offenbarungstheologische Formation (Offenbarung als Geschichte), und so gehört sie zum (sprachlichen) Sichdarstellen Gottes in der Geschichte. Gott gebraucht geschichtliche Ereignisse, und nur um solche ist es der Typologie zu tun, zu seiner Selbstvergegenwärtigung8. Wegen solcher geschichtsbezogenen Worttheologie ist die Typologie des Hebr auch primär keine künstlich-formelle, für sich schon feststehende, hermeneutische Methode9, sondern eher als ein im Bezug von Wort und Geschichte begründetes, „pneumatisches“ Verfahren zu charakterisieren10.

7

Goppelt, a. a. O. 194. Zum Wesensunterschied zwischen Typologie als wörtlicher Auslegung einerseits und Allegorie und Symbol andererseits cf. a. a. O. 19 u. A. 1. Luther bevorzugte deswegen entschieden die Typologie gegenüber der Allegorese (7 u. A. 5)! An der Grenze zur Allegorese steht nach Goppelt nur Hebr 13, 12f (204f) 8 Von da aus ist letztlich auch die Logik typologischer Vollkommenheit als eine von göttlicher Selbstoffenbarung zu verstehen; zu jener s. u. 12.8. 9 So zu Recht Goppelt, a. a. O. 242 u. 244. 10 A. a. O. 244 (nicht mit der sog. pneumatischen Exegese zu verwechseln). Es geht um so etwas, wie „eine hinter und unabhängig von der formalen Durchführung bestehende pneumatische Betrachtungsweise“ (195) – dies aber nur als worttheologische (cf. 9, 8).

122

V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

12. Systematische Näherbestimmungen 12.1 Geschichtliches Tatwort Wort und Geschichte finden im Hebr zusammen, weil dabei ein Verständnis des göttlichen Wortes im Sinne des hebräischen dabar vorausgesetzt ist, das Wort und Geschehen ineins sieht11. Gerade deswegen sind auch im Hebr Gegenstand der Typologie nur geschichtliche (historisch reale) Fakten (Sachverhalte, Ereignisse, Personen, Handlungen und Einrichtungen) und Worte, insofern sie auch von solchen handeln12 ; das will sagen: auch wenn die „Fakten“ nur sprachlich zugänglich sind (in den Kontexten der h.Schrift, die von ihnen berichten) und diese ihrerseits als Zugangsmöglichkeit dazu (als „Quelle“) angesehen werden. Sie werden typologisch gedeutet, „wenn sie als von Gott gesetzte, vorbildliche Darstellungen, d. h. ,Typen‘ kommender und zwar vollkommenerer und größerer Fakta aufgefaßt werden“13. Von Gott gesetzt besagt: nicht geschichtsimmanent, sondern als Vollzug seines geschichtlichen Worthandelns in der Welt und in der Religion, hier speziell in der Geschichte des Alten Bundes14. Die biblisch überlieferten „Fakten“ sind also nicht aus sich selber zureichend verstehbar, sondern werden es allererst im Horizont des lebendigen Gottes. Damit ist die Typologie ein spezifisch theologisches Verfahren, denn sie lebt von der Voraussetzung: Gott handelt selbst in der Geschichte und mit ihr, und er handelt dabei sprachlich15. Daher „entnimmt“ die neutestamentliche

11

Dazu schon o. I. Anm. 5. Cf. Goppelt, a.a.o. 18; cf. auch 19 (zit. u. bei Anm. 19). 13 A. a. O. 18f. Zur Einheit von Faktum und Deutung (mit Bezug auf die Schrift), die es als das sein lässt, was es ist, cf. 239 u. 240 (zu Jesus selber). 14 Im Hebr wird die Typologie nicht zufällig in der Religionsgeschichte Israels, sofern deren religiöse Phänomene in der Bibel als „Ausdruck eines Gottesverhältnisses“ (Goppelt, a. a. O. 244; cf. 245) dokumentiert sind, wahrgenommen. Es geht hier wesentlich um das wahre Verhältnis von Gott und Mensch, und „die Antitypen sind … Grundzüge des vollendeten Gottesverhältnisses“ (244). 15 Das impliziert auch Sinn und eine gewisse Logik: der worthaft han12

12. Systematische Näherbestimmungen

123

Typologie die Heilsgeschichte „der bloß kontingenten Faktizität und stellt sie unter den ewigen Heilsrathschluß Gottes“16. Sie „stellt“ aber die Fakten „unter“ diesen, indem sie sie von Gottes Reden in der Geschichte her begreift. Dergestalt reflektiert der Autor des Hebr 10, 7b die (christologische) Ermöglichung seines eigenen typologischen Verfahrens. Das wiederum schließt eine in Gottes lebendigem Sein und Tätigsein liegende Teleologie bzw. Zukunftsausrichtung in sich; es geht um „kommende Fakta“, die selber wieder auch geschichtliche sind. D. h. „Eschatologie“ ist ein notwendiger Wesenszug des göttlichen Seins selber. Sofern es sich dabei um „vollkommenere“ Fakta handeln soll, muss ihnen eine nachvollziehbare Logik der Vervollkommnung innewohnen17.

12.2 Wort und Heilige Schrift Wenn das bisher Gesagte zutreffend ist, ergibt sich wegen der exklusiven Ausrichtung an der Worthaftigkeit des jeweils Geschehenen ein der reformatorischen Theologie wahlverwandter Zug18 : „Die Geschichtlichkeit des Berichteten und damit der Wortsinn des Textes ist … für die Typologie … Grundlage“19. Der 7 delnde Gott tut dies zugleich tupikw& (geschichtlich; cf. 1Kor 10, 11) und 7 logikw& (sprachlich) in einem. 16 Goppelt, a. a. O. 243. 17 Inhaltlich s. u. 13.2. 18 Cf. o. Anm. 7 (Luther). 19 Goppelt, a. a. O. 19; cf. auch das o. bei Anm. 7 Zitierte (194). Beispiele für das Interesse des Hebr an bestimmten wesentlichen Worten: a. a. O. 209. O. Hofius sagt, dass der Hebr die von ihm christologisch gedeuteten Psalmen ausschließlich darum in Anspruch nehmen kann, weil er diese Texte „in einer Weise wörtlich nimmt, die über das ursprünglich Gemeinte weit hinausgeht“ (Biblische Theologie im Lichte des Hebräerbriefs; in: S. Pedersen (Hg.), New Directions in Biblical Theology (1994), 113 (NT.S 76). Das ist möglich, sofern jedes Reden immer mehr sagt, als der Redende selber meint bzw. meinen kann: die für alles Sprechen konstituitive Allgemeinheit. Es gibt auch insbes. eine spezifische immanente Produktivität und Selbsttranszendenz religiöser Sprache und ihrer Texte. Auch

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

Hebr versteht wie das NT dem entsprechend auch die alttestamentliche Ordnung „als eine wirkliche, ihrem Wortsinn nach von Gott stammende, aber eben vorlaufende Heilsgeschichte“ (cf. 1, 1)20. Im Sinne der Typologie ist die h.Schrift (nicht etwa nur eine Ansammlung von Belegstellen, sondern) „lebendiges … gegenwärtiges Wort“21, nämlich Anrede des selber lebendigen Gottes. Dabei ist im vorliegenden Falle entscheidend wichtig, „daß der gesamte Gedankengang des Hbr die Schrift grundsätzlich heilsgeschichtlich auffaßt und typologisch auf die Gegenwart bezieht“22. Das freilich ist nur von Gottes Reden her möglich und notwendig, wie es sich schon 1, 1 u. 2a ausspricht23. In diesem Sinne hat der Hebr eine „ausgesprochen heilsgeschichtliche Schriftauffassung“, nach der, weil die Heilsgeschichte eine göttliche Redegeschichte ist, immer neu ein „Heute“ angesagt ist24. Zwar ist historisch-kritisch nicht zu übersehen, dass es in bestimmtem einzelnen Fällen dabei nicht ohne eine „starke Umdeutung des geschichtlichen Sinnes abgeht“25 ; aber für den Hebr ist wichtiger als der unmittelbare, (soz. empirisch) „historische“ Sinn der sprachliche Kontext, in dem er auftritt und sich artikuliert26. Damit wird hier realisiert, dass überhaupt Worte immer mehr sagen, als sie (bzw. die sie Sprechenden) unmittelbar meinen; das ist Bedingung ihrer eigenen Geschichtlichkeit. In M.Theobald spricht diesbezüglich von einer „Hermeneutik der Wörtlichkeit“ (a. a. O., wie o. (Vorwort) Anm. 9, 785 A. 123). 20 Goppelt, a. a. O. 244. 21 A. a. O. 239. Deswegen, d. h. um den Rede-Charakter des göttlichen 7 Wortes (die Schrift als lo´go& zwn) zu betonen, werden die Schriftzitate ` & ge´g1aptai, sondern sehr oft mit nicht (wie etwa bei Paulus) mit kaqw le´gei eingeführt (cf. einzig 10, 7). 22 A. a. O. 195; cf. 212. 23 „Die Schrift enthält das vorlaufende Heilszeugnis Gottes, das jetzt am Ende der Zeit zur erfüllenden Vollendung gekommen ist“ (a. a. O. 195). 24 Cf. a. a. O. 207 25 Das betrifft unmittelbar die direkt messianische Deutung der Königspsalmen; cf. a. a. O. 194 u. A. 1; zu einzelnen Ungenauigkeiten s. 202 A. 3. 26 S. auch o. (Vorwort) Anm. 9.

12. Systematische Näherbestimmungen

125

dieser Perspektive bleibt für den Hebr der „Wortsinn“ verpflichtend27.

12.3 Das Wort des Lebendigen Wenn die Typologie des Hebr in einem worthaften Handeln des lebendigen Gottes gründet, dann ist die Einheit von Wort und Tat (s. o. 12.1.) bzw. göttlichem Reden und dadurch qualifizierter Geschichte theologisch nur im Horizont einer Schöpfungs- und Erhaltungslehre zu verstehen, die dezidiert christologisch bzw. soteriologisch zu begreifen28, die selber aber, wie gezeigt, nur sprachtheologisch zu fassen sind. Allererst so entsprechen diese dem „lebendigen Gott“ im Sinne des Hebr29. Zugleich stellt sich damit die Frage, wie Gottes Lebendigkeit gedacht werden muss, damit so etwas wie das Verhältnis bzw. die Bewegung von Typus und Antitypus in ihr zu erhellen ist. Das impliziert wiederum Annahmen über die Beziehung des göttlichen Lebens zur Geschichte, d. h. über das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit. So erst ist ein vertieftes theo-logisches Verständnis von Typologie zu erreichen – über den bloß literarischen Befund hinaus.

12.4 Typus als vorläufiges Wort Der Hebr bringt mithin in Gestalt der Typologie ein spezifisches Wirklichkeitsverständnis in Anschlag, nach dem unter geschichtlichen Bedingungen nichts schon in seiner Wahrheit ist, sondern es auf sie, die sich unmittelbar erst anbahnt30, erst noch zugeht und dafür offen ist31. Damit ist insbes. die eigenartige 27

Cf. o. bei Anm. 7. Weil christlich für die Geschichte „der tragende Mittelpunkt … die absolut geschichtlich einmalige Realität des Kreuzes“ ist (a. a. O. 202), hat hier die Typologie des Hebr ihren Fokus. 29 Cf. o. II. Anm. 24 u. 4.1. u. 2. 30 Es geht dem Hebr (gerade auch in der Geschichte) wesentlich um die 7 ‚ ‚ epi´gnwsi& th& alhqei´a& (10, 26; cf. Joh 8, 32). 31 Von hier aus lassen sich auch Formulierungen deuten wie die Tho28

126

V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

„Vorläufigkeit“ bzw. Vorstufigkeit des tu´po& zu erklären, dem schon lexikalisch auch das Merkmal des noch Ungenauen und Unfertigen zukommt32. Ist der Charakter des AT als eines „Vorbildes“ selber nur geschichtlich aufzufassen, so der des Typus als der einer „Vorausdarstellung des Kommenden in einer vorlaufenden Geschichte“33, die der „Vorbereitung“ der künftigen Erfüllung dient34. Die „Dialektik“ von Vorbild und Gegenbild35 ist also zeitlich als eine „heilsgeschichtliche Aufeinanderbezogenheit“ aufzufassen36, d. h. als ein Verhältnis von realem Vor-schein und vollkommener Verwirklichung – beides in der Geschichte37. Das besagt weiterhin: auch im Hebr ist – wie im NT überhaupt – immer eine eschatologische Spannung mit zu berücksichti-

lucks, die Weissagung im AT sei „die aus der Vergangenheit selbst heraufkeimende Zukunft“ (nach Goppelt, a. a. O. 12) oder die v.Hofmanns, der das Heil im AT „als ein seiner wesenhaften Verwirklichung entgegengehendes“ auffasst (a. a. O. 13) oder auch die Rede Beyschlags von einem wirklichen „Vorspiel, … Keim und Ansatz“ (a. a. O. 194 A. 3); Vergangenheit und Zukunft lassen sich so als ein Werden zu sich begreifen. 32 So auch a. a. O. 5 A. 3. Besonders für den Hebr gilt, „daß schon die atl Weissagung von den unzulänglichen Vorbildern weg auf die Vollendung hinweise“ (241). Das ist selbstverständlich im Einzelnen nach seiner Logik aufzuweisen. 33 So schon bei Paulus (cf. a. a. O. 5), aber nicht weniger vom Hebr geltend; zum Unterschied s. u. Anm. 66. Der Typus als eine Vorausdarstellung (so auch 215) ist mehr als ein bloßes Vorzeichen (cf. 6 A.). Von praesignificare spricht der Gerhard-Schüler Sal. Glassius (cf. a. a. O. 7f). Luther bevorzugte (für das AT) die Ausdrücke „Figur“ oder „Fürbild“ (a. a. O. 7); zur Typologie überhaupt cf. WA 10/1, 1, 413–421. 7 ‚ 34 Cf. a. a. O. 240. Die Wendung ei& ma1tu´1ion twn lalhqhsome´nwn (3, 3b; Futur!) kann so als Prinzip der Typologie begriffen werden, indem sie auf einen Sprachzusammenhang verweist, in dem zeitlich (geschichtlich) Späteres das Frühere weiter– und zuendespricht, das seinerseits jenes schon „bezeugt“, d. h. anbahnt und verständlich macht. 35 So O. Schmitz (nach Goppelt, 18; cf. 240). 36 A. a. O. 240; Hervorh. J.R. 37 So hat schon nach 4, 8 Jesus in Josua einen Vorläufer seiner selbst: der alttestamentliche ’Ihsou& ist der neutestamentliche im Werden zu sich.

12. Systematische Näherbestimmungen

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gen38. Der theologische Zusammenhang von Typus und Antitypus indes macht die Heils-Geschichte wahrhaft zur HeilsGeschichte.

12.5 Typus und Antitypus Zur Typologie gehört strukturell die Unterscheidung des „Typus“ als eines wesentlich über sich hinaus weisenden Phänomens und des „Antitypus“ als dessen geschichtlich spätere Erfüllung. 12.5.1 Der Typus weist über sich hinaus Dass der tu´po& an sich selber über sich hinausweist, bedeutet für den Hebr, im alttestamentlichen Geschehen jeweils eine über es hinausgehende (eschatologische) Triebkraft zu entdecken. Das AT enthält, auch wenn es als Weissagung verstanden wird, „den unmittelbaren Hinweis auf die Vollendung“39 und weist selbst über sich hinaus40 – jedenfalls in der Perspektive des Hebr verstanden41. Um wirklich über sich hinauszuweisen, muss – das ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung der Typologie – diese Selbsttranszendenz an wesentlichen Momenten des Typus aufweisbar sein42. Dass dieser über sich hinaus 38 A. a. O. 212; cf. 248. Ein Beispiel ist 4, 9, quasi-typologisch verstanden: ‚ apolei´petai sabbatismo´&. Man kann auch hier den Überschuss bzw. Mehrwert des Antitypus gegenüber dem Typus, d. h. das noch Unabgegoltene und Noch-Ausstehen der Wahrheit finden. 39 Die Unzulänglichkeit des ersten Bundes, der veraltet und im Verschwinden begriffen ist (8, 13), wird im AT selber z. B. in der (verbalen) Weissagung eines neuen, besseren (Jer 31, 31.34), anerkannt (cf. Hebr 8, 8–12), so dass der Hebr den Sinaibund als Typus einer neuen Gottesord‚ nung auffassen kann (Goppelt, 200). Dass hg me´1ai e´1contai (8, 8) wird „am letzten dieser Tage“ (1, 2a) als ein neues „Heute“ eingelöst, und das Ziel davon ist das Kommen der zukünftigen Welt (cf. 2, 5; 9, 11; 2Kor 6, 16; Apc 21, 3). 40 A. a. O. 199. 41 So gilt: „der alte Bund weist selbst auf dies Größere [sc. des Antitypus im NT] hinaus, das ihn aufheben soll“ (242; cf. 215, 245, 284). 42 Daher gilt: „Der tu´po& steht nicht für vollständige Identität, sondern

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

weist, setzt eine ihm anhaftende, wenn auch unmittelbar verborgene Negativität, einen Mangel voraus, dem er in sich nicht genügen kann; so aber ist er an sich offen für eine Ergänzung von außerhalb seiner, die ihm erst noch folgen muss. Letztlich aber weist der Typus genau darum über sich hinaus, weil er seine Realität nicht aus sich selber hat, sondern durch Gottes Handeln, das ihn unendlich überschreitet und so auf einen Weg einstellt. Jedenfalls muss jeder Typus, um im Antitypus vollendet werden zu können, sich nach seinem letzten Sinn entzogen sein und dadurch seine eigene Wahrheit verfehlen. Er ist in der typologischen Perspektive durch eine wesentliche Unausgeglichenheit bzw. Diskrepanz zwischen Intention (oder Zweck) und faktischer Realisierung charakterisiert. 12.5.2 Typus vom Antitypus her gedacht Stellt der Typus objektiv ein Desiderat (etwas noch Ausstehendes) dar oder eine Unvollkommenheit, so bedarf es eines auf ihn spezifisch bezogenen Anderen als seines „Zieles“, von dem her er sich als über sich hinaus und auf es hin verweisend enthüllen kann. Dies Andere ist der Antitypus. Da der Typus, um zu sein, was er unmittelbar ist, nicht selber seiner Wesensgrenze inne sein kann, kann er immer nur im Nachhinein als ein solcher erkannt werden43. Umgekehrt muss der Antitypus eine schöpferische Weiterführung und abschließende Vollendung des im Typus potentiell schon Vorliegenden sein, d. h. seine Erfüllung. Von hier aus erst erschließt sich dessen Vor-läufigkeit, und er selber verliert, indem er als Typus erkennbar wird, seine selbständige Bedeutung44. Weil erst vom Antitypus aus der Typus als solcher identififür die Übereinstimmung des Vergleichsaspekts“ (K.-H. Ostmeyer, RGG4, Band 8 (2005), 678). 43 „Von diesem abschließenden Reden her wird das vorher Gesagte gehört und auch verändert“ (Goppelt, Theologie, a. a. O. 576). 44 Cf. Typos, a. a. O. 215. Dieser Umstand begründet die Distanz der neuen Gottesgemeinde vom alten Bundesvolk, wie Goppelt mit Bezug auf Hebr 1, 12f feststellt (a. a. O. 205; cf. 212).

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zierbar wird (bzw. die Verheißung erst von ihrer Erfüllung her als Verheißung)45, gilt schon formal vom Typus als solchem, dass er für sich unvollständig ist und so auf eine externe Ergänzung angewiesen46. Aber sein Zukunftspotential zeigt sich vollständig nur rückwärts betrachtet, d. h. von einer inzwischen eingetretenen Gegenwart her, in deren Licht er sich allererst als Vor-Bild (im zeitlichen Sinn von Vor-schein) zu erkennen gibt. Somit gilt: „Ausgangspunkt und Ziel der Typologie ist die Heilsgegenwart“47, so dass der Gang und Verlauf der Heilsgeschichte im christlichen Sinn durch ihren Zielpunkt bestimmt sind48. In diesem Sinn kann man sagen: Die Typologie fasst die gottbestimmte Geschichte als ein Werden zu sich, und im Verhältnis des Antitypus zum vorausgehenden Typus entspricht Gott sich in seinem eigenen Wort: das eschatologische Wort (1, 2a) entspricht seinem früheren Reden in der Geschichte (1, 1), indem es dieses sinnhaft zu Ende führt. Die Deutung des früheren Typus von einer durch die neutestamentliche Heilsgegenwart gegebenen Beziehung her49 bedeutet, dass dieser Gegenwart die ihr spezifisch zugehörige Vergangenheit beigesellt wird, damit sie sich in deren Horizont bzw. sich davon abstoßend als das 45

„Nicht abgesehen von Christo, sondern erst in der Vergleichung mit ihm erhält … alles Bedeutsamkeit“ (144). A. Schöne zitiert aus einem Briefe Goethes an Carus und d’Alton, „daß die Ankündigung erst durch das Angekündigte [sc. wenn es eintritt] klar wird, wie die Weissagung durch die Erfüllung“ (was einschließt, dass die Erfüllung auch die Ankündigung erst zu einer solchen macht) und fügt hinzu: „daß die Zeit weiterschreibt an den großen alten Texten“ („Von vorn die Schöpfung anzufangen“ – Goethes Humunculus; in: N. Elsner / H.-L. Schreiber, Was ist der Mensch? (2003), 56). 46 So bemerkt Luther schon zu Hebr 3, 7ff: „ex hoc textu patet, quod prophete in gestis filiorum Israel cognoverunt figurari futura“ (57 H 141,15f; Hervorh. J.R.). 47 Goppelt, 243. 48 Wie schon v.Hofmann festgestellt hat (bei Goppelt, a. a. O. 13). 49 Dazu Goppelt, 242. Allgemein ist das für das Schriftverständnis (bezüglich „Moses und der Propheten“) Lk 24, 27 (die1mhneu´w) und 32 (dianoi´gw) zum Ausdruck gebracht; zu der entsprechenden Stelle Lk 24, 45 cf. Bonaventura, Hexam. III, 11.

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erfassen kann, was sie ist50. Typologie ist also ein „Mittel, um die Gegenwart mit der vergangenen Heilsgeschichte in Beziehung zu setzen“, und jene ist die „messianische Vollendung des vorlaufenden Heilsgeschehens“51. Darin ist das Einbegriffensein des eigenen Heute in ein von weither kommendes göttliches Handeln gesetzt, das auf diese Gegenwart in heilvoller Absicht hinzielt52. 12.5.3 Werden zu sich Derart stiftet die Typologie dem Geschichtszusammenhang eine spezifische Zielgerichtetheit ein (bzw. bringt diese zur Geltung): nämlich eine auf endgültigen Sinn zielende Steigerung (Potenzierung) Desselben53. Das Neue (Testament) ist nicht ein abstrakt Anderes oder ein beziehungslos Noch-nie-Dagewesenes, sondern die wesentliche Erfüllung des Alten (Testaments). Das zu behaupten, setzt, wie gesagt, eine Art gestalthafter Prägnanz (Identifizierbarkeit) sowohl des Typus wie auch des Antitypus voraus, und dies gilt gerade auch, wenn jener erst von diesem her erkennbar wird. Man kann also sagen: der Antitypus wiederholt – im Sinne Kierkegaards – den Typus unter den Bedingungen seiner vollkommenen Ausgestaltung54. Diese „Wiederholung“ 50

Goppelt weist daher darauf hin, dass die typologischen Aussagen in erster Linie solche über das neutestamentliche Heil, nicht aber über das AT, an ihm selber und für sich genommen, sind (a. a. O. 242). 51 Ebd. Cf. auch: „Alle Typologie geht durch Christus und hat in ihm Bestand“ (a. a. O. 244); cf. Eph 4,10. 52 Cf. die zugespitzte Frage bei P. Handke: „Göttliches, oder du, jenes ,Mehr als ich‘, das einst ,durch die Propheten‘ sprach und danach ,durch den Sohn‘, sprichst du auch in der Gegenwart, pur durch den Tag?“ (Versuch über den geglückten Tag (1991), 71). Cf. auch zu Apc 1, 8b: „Warum läßt sich das nicht, wie seinerzeit von ,dem Gott‘, von meinem heutigen Tag sagen?“ (ebd.). 53 Von „typologischer Steigerung“ spricht auch Goppelt, a. a. O. 240. Eine vergleichende Steigerung findet sich bei der für den Hebr bezeichenden 7 ‚ Figur ei ga` 1 … po´sw2 mallon (9, 13f; 10, 25; cf. 12, 9. 25 u. ö.; ähnlich 2, 2). 54 Daher war, wie Calvin unterstreicht, der alte Opferdienst keinesfalls überflüssig, denn er wies bereits auf etwas Höheres hin (CR 83, 98; bei Grässer, 92 A. 138).

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entspricht dem Zusichselbstkommen Gottes und seines Wortes in geschichtlicher Konstellation55. Der Typus ist erst vom Antitypus her als solcher wahrzunehmen, und das heißt, die zwischen beiden spielende Bewegung ist kein rein historischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Da die Dynamik des geschichtlichen Zusammenhangs beider schöpferisch von Gott geordnet ist, nämlich als ein Redezusammenhang („Satz“), kann man auch von einem Gezogenwerden des Typus vom Antitypus auf diesen (als seine Erfüllung) zu sprechen56. Jedenfalls handelt es sich um das zweistellige Erscheinen eines einheitlichen, dynamischen Zusammenhangs. Diese Doppelheit als sukzessive Erscheinung einer in sich bewegten Einheit – das ist der Logos der typologischen Struktur. 12.5.4 Erfüllung Von der „Erfüllung“ ist an dieser Stelle, ohne sie inhaltlich zu bestimmen, nach allem Bisherigen nur noch Weniges zu sagen. Die Erfüllung am Ort des Antitypus ist spezifisch und präzis auf 55

Cf. o. Anm. 6. Es handelt sich keineswegs um eine einfache Wiederholung Desselben im gewöhnlichen Sinne. Eine Art „Wiederholungszwang“ des Gleichen herrscht hingegen beim Typus des alttestamentlichen Opfers; s. u. 56 Cf. Joh 12, 32. E.Schaeder hat sehr schön gesagt, das NT „zieht“ das AT „an sich heran“ (Das Wort Gottes (1930), 121). Für dies Ziehen findet sich bei A. Gryphius 1666 das „figurale“ Bild vom Eisen und Magneten, wobei jenes die figura (der Typus) und dieser ihre (seine) Erfüllung ist, wonach die Figura als ein „mit dem Magnet vermähltes Eysen die Krafft des Magnets (ob es gleich in seinem eigentlichen Wesen verbleibet) an sich nimmt / und dessen Wirckungen nachahmet“ (zitiert bei A. Schöne, Säkularisation als sprachbildende Kraft (1958), 72; angeführt von D. Sölle im Kapitel über die „figurale Methode“ in: Realisation. Studien zum Verhältnis von Theologie und Dichtung nach der Aufklärung (1973), 52 (Slg. Luchterhand 124). Ins eschatologische Bild vom wahren Licht gewendet schreibt W.Benjamin: „Wie die Blumen ihr Haupt nach der Sonne wenden, so strebt kraft eines Heliotropismus geheimer Art das Gewesene der Sonne sich zuzuwenden, die am Himmel der Geschichte im Aufgehen ist“ (Über den Begriff der Geschichte, These 4; Gesammelte Schriften I/2, 694f).

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die Begrenztheit des Typus zu beziehen, und nur so kann sie als das im Typus Angelegte, aber noch nicht Erreichbare zu vollständiger Ausführung bringend dargestellt werden, d. h. als dessen Wahrheit57. Mit der Erfüllung im Antitypus meint der Hebr die abschließende Vollendung des göttlichen Redens in der Geschichte mit Gottes endgültigem (eschatologischem) Heilswort58. Dieses bedeutet zugleich die Transformation des geschöpflich Unfertigen, wozu auch der Typus gehört, ins Unveränderbare und Ewige (12, 26 f)59. Gott erfüllt dabei das Vorausgehende mit seinem eigenen Leben im Sohn, was Gericht und Vollendung zugleich bedeutet. Die Einheit des göttlichen Lebens- und Redevollzugs bringt sich in dem „dialektisch“ zu nennenden Spannungsbogen60 zur Geltung, der im unterscheidenden Bezug von Entsprechung und Überlegenheit bzw. Erfüllung und Aufheben konkret da ist61. In solcher dynamischen Verbundenheit mit seinem Typus erscheint der Antitypus immer „teils als positive Vollendung …, teils als antithetisch“62. Unter dem für die Typologie stereotyp in Anspruch genommenen Begriff der „Aufhebung“63 ist, versteht man ihn genau, die Dialektik von Negieren und Aufbewahren, das zugleich eine Steigerung impliziert, zu denken64. Gerade die

57 Wahrheit verstanden als die Erfüllung des Begriffs (bzw. eigentlich Gemeinten) einer Sache. Zur Erfüllung des Begriffs eines wahren Priesters in Christi Selbstopfer cf. K.Barth, KD IV/1, 305. 7 7 7 58 Cf. plh1wsai to` n lo´gon tou qeou (Kol 1, 25; cf. auch Mt 1, 22; Mk 14, 49; LK 1,20); „erfüllen“ von Gott: Act 3,18; typologisch: Lk 22, 16. 59 Dazu s. o. 10.8.3. 60 S. o. bei Anm. 35. G. von Rad sprach von „der rätselhaften Dialektik von gültig und abgetan“ bei dem nicht ausgelöschten, sondern im Neuen Gegenwärtigsein der Heilsereignisse (zit. bei Goppelt, 284). 61 Cf. Goppelt, 200 u. 203. 62 A. a. O. 244. 63 A. a. O. 215; 242; 245 u. ö. „Aufhebung“ ist hier immer auch sprachlich zu verstehen! 64 Cf. o. Anm. 53. Luther : „servat enim rem cum figura“ (WA 57 H 35,14).

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spezifischen Übereinstimmungen von Typus und Antitypus65 verlaufen in einer Antithetik66.

12.6 Der Typus als Struktur Es ist für alle Typologie kennzeichnend, dass sie sich nicht auf mehr oder weniger zufällige inhaltliche Momente am Typus bezieht, sondern dass sie sich, um sich explizieren zu können, auf dessen strukturelle Wesenszüge als eines „Musters“ konzentrieren muss. Nur an diesen kann die Logik im Verhältnis des Antitypus zum Typus prägnant aufgewiesen werden. Darum ist – dies gilt auch beim Hebr – für das Verständnis bzw. die Nachvollziehbarkeit der Typologie die „Form, in der sie auftritt“, so entscheidend67. Der „Typus“ ist selber, vom „Antitypus“ her gesehen, nur die „Grundform“68, d. h. eine Ausgangs-Form, die auf ihre eigene Wahrheit angelegt und so für ihren wahren Grund, der vor ihr liegt, noch offen ist.

65

Dass der Gott des AT einfach mit dem Vater Jesu Christi identisch sei (Goppelt, 244), ist zu unmittelbar affirmativ gesagt (cf. anders o. Anm. 43); freilich ist die Frage, was es für Gott selber bedeutet, diesen Sohn gezeugt zu haben, keine, die der Hebr eigens reflektiert. 66 Nach Goppelts Ansicht hat die Typologie des Hebr „nicht wie bei Paulus antithetisches, sondern mehr komparatives Gepräge“ (212; cf. 215), und der Typus ist hier angeblich „nicht der nach Aufhebung [!] rufende Gegensatz, sondern mehr das auf das Vollkommene weisende Unzulängliche“, aber „qualitativ abgestuft“ (213). Diese quantitativen, gedankliche Schärfe umgehenden Formulierungen („mehr“) werden den wichtigen Stellen wie Hebr 8, 13 u. 10, 9 nicht gerecht (s. o. I. 3.1. u. 2.). Goppelt selber schreibt über den Hebr : „Das Neue hebt das Alte ganz auf“ (212). Vielleicht ist es angemessener zu sagen: Typus und Antitypus verhalten sich im Hebr so zueinander wie in der Bergpredigt in gewisser Hinsicht die „Thesen“ („zu den Alten ist gesagt“; cf. Hebr 1, 1) zu Jesu „Antithesen“ („Ich aber sage euch“). 67 Goppelt, 239. 68 Goppelt spricht von „Grundzügen“ (199), „wesentlichen Zügen“ (205) oder auch „ursprünglicher Wesensgestalt“ (196).

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

12.7 Das Nacheinander von Typus und Antitypus Fragt man systematisch nach dem Grund der Typologie, d. h. stellt sich die Frage: Warum folgt auf einen Typus der Antitypus erst noch, bzw. warum gibt es die Vollendung nur in einer geschichtlichen Abfolge von Typus und Antitypus? Es handelt sich, anders gesagt, um die Frage: Warum bedarf das eschatologische Geschehen einer „Vorausdarstellung“ (s. o. 12.4.) – und ist nicht soz. auf einen Schlag immer schon da? Die Antwort ergibt sich unter drei Gesichtspunkten. 7.1. Typologie gehorcht der Logik einer Vollendung, die als solche nicht nur muss theologisch nachvollzogen werden können, sondern sachlich das „Eschaton“, das als ein Letztes sich notwendig ein Erstes voraussetzen muss, aufhebend an eine zeitliche Geschichte (bzw. Abfolge) anknüpft: als deren wirkliche Voll-endung69. 7.2. Gottes Reden ereignet sich geschichtlich, als Vollzug in der Geschichte, und ist nur so (von uns Menschen, an die es gerichtet ist) sprachlich aufzufassen. 7.3. Die Selbstoffenbarung Gottes geschieht – wie auch die Schöpfung – als eine Geschichte; in ihr stellt sich Gott als das sich verwirklichende Subjekt von Allem dar ; das geht nur an deren Ende. 7.4. Fasst man die unter 7.1. – 7.3. genannten Aspekte zusammen, lässt sich sagen: Der alles vollendende Antitypus kann nicht unmittelbar antizipiert werden, sondern muss durch eine Vorgeschichte vermittelt auftreten, weil er nur so als wirkliche (im „Werden zu sich“ sich selbst verwirklichende) Wahrheit 69 Luther stellt allgemein (im Sinne des hebr. dabar, s. o. I. Anm. 5 u. bei Anm. 11) fest: „Denn die heilige schrifft helt sich mit reden, wie Gott sich helt mit wircken. Nu schafft Gott alle wege, das die deutung odder gleichnis [= Typus] zuvor geschehen und darnach folge das rechte Wesen und erfullunge der gleichnissen [= Antitypus]“ (WA 26, 382,25–28). Entsprechend soll „das newe testament … eine erfullung und liecht sein gegen das alte testament“ (a. a. O. 395,26f), und daher heißt es von der Typologie nach Mose: „Wie uns die Epistel zu den Ebreern solche gleichnis meisterlich zeiget“ (a. a. O. 394,26f).

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7 ‚ ‚ realisiert ist. Und um die epi´gnwsi& th& alhqei´a& geht es dem Hebr (10, 26).

12.8 Logik der Vollendung Diese Dimension der Wahrheitserkenntnis bzw. der Logik von Typologie wird ausgeblendet, wenn abstrakt behauptet wird, der Hebr habe keinerlei „spekulatives Interesse“70. Ist für dessen Theologie zentral, dass in Jesus Christus die wahrhafte „Vollendung“ (telei´wsi&, cf. 7, 11) von allem erschienen ist71, so schließt das, um mehr als ein bloßer „Absolutheitsanspruch“ zu sein, eine Sachlogik ein, die es aufzuzeigen gilt72. Denn die „Typo-logie“ expliziert den Logos der Typen als ihre Wahrheit, auf die hin sie erst noch unterwegs sind; sie ist in diesem Sinne ein speculum salvationis („Heilsspiegel“). Solche Aspekte einer Logik der Vollendung des Typus im Antitypus seien für den Hebr hier im Vorblick nur eben formell schon genannt; es geht um die wichtigsten, den Begriff einer wirklichen Vollendung auslegenden Duale: Viele / Einer ; wiederholbar / einmalig; äußerlich / innerlich; eigenbedürftig / nur für Andere; Vergangenheit / Zukunft; vorläufig / eschatologisch; zeitlich / ewig; fleischlich / geistlich; menschlich / göttlich; irdisch / himmlisch. Die inhaltliche Ausführung hat dem im Detail der Texte nachzugehen (13.2.).

12.9 Zur Terminologie des Hebr Es ist unübersehbar, dass der Hebr sich im Rahmen seiner typologischen Ausführungen terminologisch nicht der einfachen, 70

So Goppelt (a. a. O. 204), der im Hebr nur eine „lockere Gedankenfolge“ erkennt (197) und dessen Theologie entschieden auf die Paränese abgestellt sieht (204; cf. 205; 207). 71 So auch Goppelt, 195; er führt aber hier Beispiele dafür nur als formelle Behauptungen an. 72 Das ist gegen die Behauptung zu sagen: „Die Existenz eines überbietenden Antityps ist Postulat“ (Ostmeyer, RGG4, Band 8 (2005), 678).

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

theologisch eingebürgerten Opposition von „Typus“ und „Antitypus“ (im auch hier leitenden Sinn) bedient, ja dass er überhaupt für die entsprechenden Sachverhalte keine feste Terminologie hat, sondern die herkömmlichen beiden Begriffe z. T. anders als üblich gebraucht oder z. T. überhaupt noch andere, traditionelle und bildliche Begriffe verwendet73. So finden sich im ‚ Text einschlägige Ausdrücke wie pa1abolh´, skia´, eikw´n, ug po´‚ deigma, tu´po&, anti´tupo&, deren spezifische Bedeutung jeweils am Ort ihres Gebrauchs zu klären und zur Typologie in Bezug zu bringen ist (s. u. 13.2.7.).

13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10) 13.1 Der Hohepriester Jesus (Vorbereitung und Kontext) Auch wenn der historische Jesus selber sich nicht als ein Hohepriester hat verstehen können oder gar wollen, so ergab sich – wollte einerseits das frühe Christentum sein Verhältnis zum Alten Bund des Gottesvolkes konkret reflektieren, und geht man andererseits von Jesu Opfer der definitiven Selbsthingabe mit Leib und Blut im Letzten Mahl74 bzw. am Kreuz (Phil 2, 8) aus75 – die theologische Aufgabe, seine Stellung zur institutionellen Verfassung der Religion der Väter (bzw. des AT) im Horizont göttlichen Geschichtshandelns systematisch zu bedenken. Diese Aufgabe hat im NT allein der Hebr in spezifischer (und so einzigartiger) Weise in Angriff genommen76. 73

Cf. Goppelt, 213f. Ist der Hohepriestertitel bezüglich des Abendmahlssakramentes quasi mehr kultisch getönt, so steht dem gleichsam mehr seelsorgerlich die Wendung vom „Hirten und Bischof eurer Seelen“ (1Petr 2, 25b) zur Seite; cf. Hebr 13, 20. 75 Überhaupt hat der Hebr wie kein anderer neutestamentlicher „Brief“ sich auf Jesu Lebensbild bezogen (bes. 5, 5ff): So ist dieser als einer aus unserer Mitte zugleich der ewige Hohepriester, und so ist er der „Anfänger und Vollender des Glaubens“ (12, 2). 76 Auch der Begriff des „Hohepriesters“ erfährt hier eine Metathesis; er ist im Grunde unkultisch, denn Gott selber ist im Sohn da, und außerdem 74

13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10)

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Mit der Charakterisierung Jesu Christi als Hohepriester kommt der Hebr. zur „Hauptsache“ (kefa´laion) seiner theologischen Ausführungen (8, 1)77 bzw. wendet sich der „Vollen‚ dung“ (epi` th` n teleio´thta) seiner Lehre zu (6, 1b). Demgemäß ist dieser theologische Leitgedanke im Brief auf ‚ vielfältige Weise vorbereitet, indem der Begriff des a1cie1eu´& auch sonst schon betont gebraucht wird. Jesus Christus ist der barmherzige und treue Hohepriester, der die Sünden des Volkes sühnt (2,17; cf. 3,1 u. 6)78 und dieses von der Todesknechtschaft erlöst (3, 1). Die Inanspruchnahme des Hohepriester-Titels ist mithin spezifisch durch den religiösen Zusammenhang von Sünde und Opfer sowie von Sündenvergebung und hohepriesterlichem Amt motiviert79. Christus aber sitzt als ein solcher im Himmel zur Rechten Gottes (4, 14; 8, 1 u. ö.)80, denn er ist Gottes Sohn und ewig (5,5; 6, 20; 7, 3 u. 16).

wird nicht Gott gnädig gemacht, sondern er hebt in Gnaden die Sünde auf (so zu Recht Hegermann, Theol. Handkomm.z.NT 16 (1988), 80); cf. Röm 5, 10 u. 2Kor 5, 18f. Von Christus als Hohepriester ist auch 1Clem 61, 3 u. 36, 1 die Rede. 77 Calvin spricht vom „scopus“ des Hebr und Luther von der „summa et conclusio omnium, quae dicta sunt cap. 6. et 7.“ (WA 57 H 43,6f; cf. 195,8). 78 Das “Volk“ ist hier zunächst Israel. Jesu ig la´skesqai ta` & ag ma1ti´a& (2, ‚ 17b.b) definiert auch für die Christen das sh´me1on und die im a´ c1i& anklingende Grenze (cf. 3, 13b). 79 Für den Hebr gehört der Hohepriester Christus ins christliche Bekenntnis (3, 1b; cf. 4, 14). Es sei nochmals daran erinnert, dass auch die altprotestantische Dogmatik und ebenso Schleiermacher (GL2 § 104) im Rahmen ihrer christologischen Ämterlehre von Christi „munus sacerdotale“ gehandelt haben (cf. 1Tim 2, 6). Im Kirchenlied: „Hoherpriester Jesu Christ, der du eingegangen bist in den heilgen Ort zu Gott“ (J.Heermann, 1630: Treuer Wächter Israel); in: Evangelisches Kirchengesangbuch (1954), 210; Str. 3, 1 (weggelassen: EG 248). 80 Auf Erden wäre er als Priester eher überflüssig; cf. 8, 4a. Cf. auch Mk 12, 36; 14, 62.

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

In diesem Horizont dient es der Vorbereitung81 der Typologie von Christus als dem endgültigen Hohepriester82, dass er nicht nur (als selber ein Mensch) so wie jeder Priester (und wie wir alle) an der Endlichkeit des Daseins – frei von Sünde – gelitten hat, sondern dass in seinem Mitleiden mit uns gerade sein potenziertes Priestersein bestand (4, 15), so wie in der Befreiung von der Todesknechtschaft (2, 14ff) und in seinem Eintreten für uns (7, 25b; 9, 24; cf. 5, 1; 6, 20)83. Dies nötige, neue und andere Priestertum (7, 11c; 8, 7) löste definitiv das unvollkommene levitische ab, das keine Vollendung schaffen konnte. Daher ist in dem auf Christus kat’ exochen bezogenen Titel des ‚ a1cie1eu´& unendlich viel mehr zusammengefasst als der traditionelle Hohepriester erbringen konnte (cf. 5, 3): Er bringt die endgültige Sündenvergebung (1, 3c; 9, 26b u. 28b); er heiligt die Seinen (2, 11; 10, 10 u.29), erlöst (9, 12 u. 15b; cf. 2, 15) und macht selig (7,25); er ist der Anfänger des ewigen Heils (2, 10b, 5, 9) und so im umfassenden Sinn der „Mittler“ (8, 6; 9, 15; 12, 24)84.

13.2 Die Durchführung der Typologie im einzelnen Da dem „Typus“ im Sinne einer geschichtstheologischen Typologie historische Faktizität zukommen soll, ist diese unausweichlich in den Dimensionen irdischer Wirklichkeit bzw. an diese anknüpfend zu artikulieren. Diese betreffen im Wesentli81

Die Gegenüberstellung Mose – Jesus (3, 1–6) sieht Goppelt („spitzfindige Exegese“) als eine eher vorbereitende Typologie an (cf. a. a. O. 7‚ 207f); zur Grenze dieser Typologie cf. 7, 14. Der oiko& Gottes (3, 2ff) erscheint wieder 10, 21 als das Gotteshaus (für uns), dessen „großer Priester“ Jesus Christus ist. 82 Melchisedek (7, 1ff) begreift Goppelt nicht als einen Typus Christi (cf. a. a. O. 198). Jenem als einem Archetypus des Priesters (cf. 7, 7) steht Abraham als Glaubender gegenüber 7 7 83 ug pe` 1 hg mwn erfüllt das hg min von 1, 2a. 84 Der Philosoph B.Liebrucks bemerkt: „Das Opfer des Herrn stand in der Methexis mit seinem Vater“ (Sprache und Bewußtsein. Band 7 (1979), 459).

13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10)

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chen die vier Dimensionen von: Subjekt, Objekt (Gabe), Raum und Zeit.

13.2.1 Das Subjekt in Typus und Antitypus Jeder Hohepriester ist als hier in Frage kommendes Subjekt des 7 ‚ Typus ein wirklicher Mensch unter Menschen85 : pa& … ex ‚ anq1w´pwn lambano´meno& (5, 1a.a)86. Sein Wirken ist wesentlich auf die Menschen bezogen, „für“ die (an deren Stelle: ug pe` 1 ‚ anq1w´pwn) er „vor Gott“ eingesetzt ist, betreffend ta` p1o` & to` n qeo´n (5, 1a.b)87. Er ist dazu eingesetzt (ig´na), um Gott „Gaben und 7 Opfer“ darzubringen, und dies naturgemäß ug pe` 1 ag ma1tiwn (5, 1b). Diese Aufgabe, zu der er spezifisch befähigt ist, konstituiert ‚ ihn als a1cie1eu´&. Sofern er selber nichts als auch ein Mensch ist, kann er darüber hinaus soz. naturwüchsig Mitgefühl mit den anderen Menschen, insbes. ihrer Unwisssenheit und Verirrtheit 7 7 7 ‚ haben: met1iopaqein duna´meno& toi& agnoousin kai` planwme´noi& (5, 2a)88. Diese zwischenmenschliche Solidarität (oder auch Nachsicht) unterscheidet sich aber in einem unendlichen qualitativen Abstand davon, wie der menschgewordene Gottes‚ Weil er nur Mensch ist, kann der normale a1cie1eu´& nicht Mittler oder Erlöser der Sünder sein; anders der Gottessohn (5, 5f), der zugleich wirklicher Mensch (5, 7) und Gottes eigener Sohn war (5, 8a). 86 Eine partielle Übereinstimmung mit dem ewigen Hohepriester Jesus besteht darin, dass auch dieser von Gott „berufen“ ist, wie Aaron (5, 4; cf. 7, 11c) und die levitischen Priester (7, 9). 87 Cf. 2, 17b (von Christus). Goppelt schreibt: Der Typus „zeigt einen Grundzug im Verhältnis zwischen Gott und Mensch, der erst in Christus erfüllt wurde“ (a. a. O. 213; cf. auch 244f). Das kann dieser leisten, weil vom Hebr das Gott-Mensch-Verhältnis als ein wesentlich sprachliches und Christus als Abschluss göttlichen Redens zum Menschen begriffen wird. Demgemäß ist, wie o. dargelegt, der Typus ein Vor-wort, das bloß erste Wort eines göttlichen „Satzes“, der die Zeit in Ewigkeit übersetzt. Nur so kann vom Hebr Wahrheit für den Antitypus beansprucht werden (cf. 10, 26). 88 Nach 9, 7b opfert er auch für die „unerkannten“ bzw. unwissentlichen Sünden. 85

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

‚ sohn als wahrer a1cie1eu´& (4, 14)89 einer ist, der duna´meno& ist, 7 7 7 ‚ sumpaqhsai tai& asqenei´ai& hg mwn (4, 15)90, ohne ihnen einfach zu unterliegen91. Mit der Menschlichkeit des Hohepriesters im Alten Bund sind indes drei weitere Merkmale verbunden, die ihn von Christus unterscheiden92. Zum einen unterliegt er auch selber den „Schwächen“, für die er bezüglich anderer Menschen durch sein priesterliches Handeln Abhilfe schaffen soll, und hat daher Verständnis für sie: kai` ‚ ‚ auto` & pe1i´keitai asqenei´an (5, 2b)93. Das aber hat zum anderen die strukturell unaufhebbare Folge, dass er selber dessen tief bedürftig ist, was gerade sein Tun für andere beseitigen soll; ‚ a1cie1eu´& me´ga& ist der Gottessohn als unüberbietbar gottunmittelbar und zugleich wahrer Mensch. Als durch Gottes Anrede zum Hohepriester konstituiert (5, 4f) ist er zugleich in die Herrlichkeit eingesetzt (5, 5 u. 7). Als der, der in den Himmel gehört (4, 14a), war er – anders als jeder nur menschliche Priester – selber schon da, wohin er die Gläubigen vermittelt (cf. 6, 20). Gott selbst ermöglicht und bestimmt im Sohn ein gereinigtes Verhältnis zu ihm; daher ist dieser Ziel der Religion und wahrer Weg zu diesem Ziel. 90 Das entspricht seiner Barmherzigkeit und gleicht dem synoptischen splagcni´zesqai. 91 Diese Anteilnahme an unseren „Schwächen“ geht bis zur Versuch7 lichkeit (2, 18; 4, 15b). Jesu sumpaqein mit uns vollendet sich in seiner Passion. 92 Der bei Jesu Prozess und Verurteilung maßgeblich beteiligte Hohepriester (Kaiphas) ist kein „Typus“ des wahren Hohepriesters, sondern nur dessen Feind und reines Gegenteil (cf. Hebr 12, 3a); cf. Mk 14, 60–64; Mt 26, 57–66. Lk 22, 63ff kommen Hohepriester nur im Plural vor. Der Hebr ist am Bild des Priestertums nach dem Pentateuch (und insbes. an Aaron: 5, 4) ausgerichtet und dementsprechend nicht an Jerusalem und seinen Institutionen (wie dem Tempel), sondern an der Stiftshütte (skhnh´), wie Goppelt herausstellt (a. a. O. 196); beides zeigt auch, dass es ihm um die Wortgeschichte geht. 93 Es ist dabei das „Gesetz“, das als Hohepriester Menschen einsetzt, die natürlich „Schwachheit“ an sich haben (7, 28a), während hingegen der eigene Sohn Gottes als wahrer Hohepriester vollkommen und ewig ist (cf. 1, 12b; 7, 3. 8. 25 u. 13, 8). Über den Zusammenhang von Priestertum und Nomos in ihrer Unvollkommenheit cf. 7, 11ff u. 8, 4b; dazu s. o. III. 5.2.4. 89

13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10)

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‚ mithin gilt, dass es ihm stets nötig ist (ofei´lei), wie für das Volk, so auch für die eigenen Sünden Opfer darzubringen: kai` pe1i` 7 ‚ 7 autou p1osfe´1ein pe1i` ag ma1tiwn (5, 3; 7, 27; 9, 7b). Als selber ein sündiger Mensch steht er nicht über der Situation, die sein Opferhandeln verändern sollte, sondern bleibt ihr zweideutig verhaftet. Jedenfalls kann so das Tun, dessen Subjekt er ist, nicht grundlegend das bewirken, was es doch sollte; denn wie könnte er als Sünder das unbedingt bereinigen, in das er selber verstrickt ist: die Sünde, die er auch bei seinem Tun an sich hat? In beiden Hinsichten ist Christus als Hohepriester jenem unendlich überlegen. Denn einerseits bringt er bei seiner vollständigen Menschwerdung (2, 14) seine Gottessohnschaft mit und ist nur in einer vorübergehenden Erniedrigung (2, 6f u. 9)94 freiwillig als solcher solidarisch mit den Menschen und ihrer Schwachheit (2, 16 u. 17; 4, 15)95. Andererseits ist er schlechthin ohne Sünde (4, 15b) und so als Hohepriester die Vollkommenheit ‚ ‚ selbst: og´ sio& a´ kako& ami´anto&, und in dieser Hinsicht kec7 7 ‚ w1isme´no& apo` twn ag ma1twlwn (7, 26b). Zum dritten schließlich ist der Hohepriester wie jeder andere Priester auch als ein endlicher Mensch sterblich (9, 27), so dass der Tod sie nicht in ihrem Amte bleiben ließ (7, 23; cf. 8a: ‚ ‚ apoqnh´2 skonte& a´ nq1wpoi). Daher kann kein menschlicher Priester den Tod überwinden, wie der Menschgewordene es konnte (2, 14)96. Schon darin ist der ewig Lebendige (7, 25) für ‚ immer (ei& to` pantele´&) die Rettung (24) und sein Priestertum ‚ ‚ ‚7 unübertreffbar, weil unvergänglich (ei& to` n aiwna apa1a´baton ‚ e´cei th` n ig e1wsu´nhn, 24) – nach seinem Kreuzestod für die seinen und seiner Auferweckung und Erhöhung97. ‚ Bzw. Herablassung; cf. 4, 15 u. 2, 17. Mit a´ nq1wpo& (2, 6; Ps 8, 5) wird der anthropologische Horizont der Christologie mitgeführt, der auf Gottes filanq1wpi´a (Tit 3, 4; cf. Hebr 2, 16) bezogen ist. 95 Cf. insbes. Röm 15, 8, wo gesagt wird, Jesus sei ein „Diener“ des Alten 7 ‚ Bundes (pe1itomh´) geworden, um der alh´qeia qeou willen und um so die 7 7 ‚ epaggeli´ai twn pate´1wn zu bestätigen (bebaiwsai). 96 Luther zur Stelle: „se solum appelat proximum nostrum in parabola Samaritani Lucae 10“ (WA 57 H 127,2f). 97 S. o. 10.4.3. u. 4.6. 94

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

13.2.2 Die Logik von Vielheit und Einzigkeit Wegen ihrer Sterblichkeit sind die Priester und Hohepriester zwangsläufig viele (7, 23: plei´one&). Dieser Vielheit als Ausdruck unvermeidlicher Endlichkeit98 steht der, weil einzig wahre, nur Eine Hohepriester Christus gegenüber (cf. 2, 11)99. Nur wenn ein Einziger allein die Versöhnung bewirkt, kann es diese „ein für alle ‚ mal“ (efa´pax) geben100. Die Vollendung des Typus im Antitypus besagt somit auch die Überführung unabsehbarer Vielheit in eine endgültige Einheit101, und in diesem ist definitiv erreicht, was jener in seiner Wechselhaftigkeit prinzipiell nicht erreichen konnte102. Die faktische Vielheit stellt sich vom Antitypus her als unerfüllte Suche nach letzter Einheit heraus. Auch der Übergang von 1, 1 zu 1, 2a spricht schon von dem Weg von der Vielheit zur Einheit (in gewisser Weise auch Gottes selber). Die „eine“ Selbsthingabe des einen Gottessohnes (10, 14: mi´a, cf. 9, 28) steht für Vollendung.

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Einer – mit Hegel zu reden – schlechten Unendlichkeit. Zur Abwertung der Vielzahl gegenüber der Einzahl cf. auch 10, 1 u. 2 sowie zum qualitativen Vorzug der Einzahl: 7, 27; 9, 25–28; 10, 11–14. 100 Zur Ablösung der end- und fruchtlosen Wiederholungen cf. 7, 27; 9, ‚ 12. 26b u. 28; 10, 2b. 10 u. 12. Dies efa´pax entspricht 1, 2; es ist aber durch die Unwiderruflichkeit von Jesu Tod (cf. 9, 27a mit Röm 6, 10) realisiert: der neue, endgültige Versöhnungstag ist der Karfreitag. So kann Jesus Christus der eschatologische „Erbe“ sein (cf. 1, 2b mit 9, 26b) und zugleich ist er ‚ ‚7 durch seinen Tod ei& to` n aiwna teteleiw´meno& (7, 28) und zur Rechten des Vaters erhöht (s. o. 10.4.6.). Von diesem Weg des Sohnes gilt: erst durch ihn „wird der ,Sohn‘ zum Sohn vollendet“ (Goppelt, Theologie, a. a. O. 582). 7 101 Was das polume1w& kai` polut1o´pw& (1, 1) angeht, so lässt sich der Satz J.A. Bengels hier anwenden: „In utroque est antitheton ad unam totalem et perfectissimam Dei erga nos communicationem in Jesus Christus“ (Gnomon, 858). Auch die Doppelheit von „Heiligem“ und „Allerheiligstem“ (9, 2f; dazu s. u. 13.2.6.1.) wird vom Antitypus überholt. ‚ 102 Es soll sich durchsetzen: ex eg no` & pa´nte& (2, 11a). 99

13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10)

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13.2.3 Die fortwährende Wiederholung des Typus Mit der Vielheit von Priestern ist – als Symptom der Unvollendbarkeit – eine Art „Wiederholungszwang“ der Opfer ver‚ ‚ bunden: ouk … epau´santo p1osfe1o´menoi (10, 2)103. Umgekehrt fordert die Notwendigkeit der Wiederholung des Opfers immer neue, d. h. unbestimmt viele Priester104. Überhaupt muss jedes Opfer hier wiederholt werden, weil a) die Opfernden selber Sünder sind (s. o. 13.2.1.), b) diese, weil sterblich, notwendig Viele sind (s. o. 13.2.2.) und c) die Opfergabe selber unzureichend ist, weil ganz äußerlich (10,4), (s. u. 13.2.5.)105. Diese endlose Wiederholung des Opfers (cf. 10, 1c) hält eben das in Erinnerung bzw. wach, wogegen es gerichtet ist, aber zu schwach, ‚ es wirklich zu überwinden: das Gedächtnis der Sünden (10, 3: en 7 106 ‚ 7 ‚ autai& ana´mnhsi& ag ma1tiwn) , und dies Jahr für Jahr aufs Neue ‚ (kat’ eniauto´n). Hier gibt es keine endgültige Vergebung der Sünden und kann es sie auch nicht geben. Damit bleibt die ständige Wiederholung der Opfer durch einen Abgrund von der lebendigen Gegenwart Gottes und seines Entgegenkommens getrennt107. Der ‚ menschgewordene, sich für uns efa´pax hingebende Gottessohn hat es nicht nötig, so wie der Hohepriester immer wieder „jährlich“ ‚ ‚ Cf. 10, 1c.b: ei& to` dihneke` & oude´pote du´natai. Cf. o. Anm. 55. 104 Für die Priester wie für ihre Opferdarbringungen gilt: „varietatem fuisse imperfectionis notam“ (Calvin, CR 83,9f). 105 Zur Problematik des Opfers im Judentum im Verhältnis zu Sünde und Versöhnung cf. S. Kierkegaard, Der Begriff Angst (Gesammelte Werke (Hirsch), 11. Abt. (1958), 106f). Die Kritik an der Wiederholung des Opfers Hebr 9, 12ff u. 25 haben die Reformatoren gegen das römische Messopfer gewendet (cf. a. a. O. 261 A. 171), das sich seinerseits an 10, 12: „offerens hostiam, in sempiternum sedet“ (V) orientiert. 106 Diese Anamnesis ist nicht nach vorne gerichtet; anders Gottes Gedenken: 8, 12; 10, 17 (Jer 31, 34). 107 Die Vermittlung des Heils geht von Gott selber aus (cf. 8, 1ff). Auch Goppelt spricht von der nötigen Wiederholung als einem Index für das „Versagen des Alten“ (mit Hinweis auf 9, 9; 10, 2 u. 4) und unterstreicht, dass es sich dabei nicht um eine allgemeine Behauptung handele, sondern typologisch in Christi vollkommenem Opfer begründet sei (Typos, 203; mit Hinweis auf 9, 25–28 u. 10, 10ff). 103

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

das Versöhnungsopfer darbringt108, dass er polla´ki& p1osfe´1h2 eg auto´n (9, 25a)109. Er ist, was er ist, für alle Ewigkeit110.

13.2.4 Typologie und die Ordnung der Zeit Für den Hohepriester Jesus besteht nicht die Notwendigkeit ‚ (ana´gkh), und dies täglich (kaq’ hg me´1an), wie die menschlichen Hohepriester auch für die eigenen Sünden – und dies sogar p1o´te1on und sodann für das Volk – Opfer darzubringen (7,27a); er ist der Sündlose schlechthin ( 7, 26; 4, 15b). Auch die anderen Priester haben das „täglich“ zu tun, und sie bringen auch polla´ki& ‚ ihre Opfer und zwar immer wieder die gleichen (ta` & auta´&, 10, 11a). Mit dieser Unmöglichkeit, das Nacheinander und Sich-immerGleiche der Zeit zu überwinden, hängt mithin auch die letzte Unkräftigkeit ihres Tuns zusammen: sie sind nur ein vorläufiger Typus ‚ des Endgültigen, weil diese ständig zu wiederholenden Opfer ou7 de´pote du´nantai pe1ielein ag ma1ti´a& (10, 11b)111. Haben die Priester „allezeit“ ihren Dienst zu versehen (9, 6: dia` panto´&), so betritt der Hohepriester, und er allein (mo´no&)112, das Allerheiligste ‚ kaq’ eniauto´n (9, 25b). Auch dies „einmal im Jahr“ widerspricht, weil an bestimmte Fristen gebunden, mit solcher Zeithaftigkeit der Ewig‚ keit des einen Gottes, der nur das efa´pax des Sohnes gerecht werden kann. Zum „ein für alle Mal“ des Selbstopfers Christi cf. auch F.W.J.Schelling; Philosophie der Offenbarung. 2. Band (ND 1966), 79 u. 67 (zum Judentum: 137ff). 109 Vom täglichen Opfern der Priester : 10, 11. Im Verhältnis von g´ pax (26b u. 28) reflektiert sich nochmals das von polla´ki& (9, 25) und a Vielheit und Einheit (s. o. 3.2.2.), das bereits 1, 1 und 1, 2a anklingt. 110 Wenn Christi Selbsthingabe im „Wort der Versöhnung“ (2Kor 5, 19b) in christlicher Zeit immer wieder zu wiederholen ist, so ist hier die „Wiederholung“ die Aufhebung seines Selbstopfers ins Wort; wie auch die Verkündigung seiner als des „Hohepriesters“ im Hebr aufgehobenes Opfer ist. 111 Dass dies auch mit der Art ihrer Opfergaben zusammenhäng, ist u. darzulegen (13.2.5.). 112 Der Plural der Priester (9, 6) entspricht typologisch den „Propheten“ von 1, 1; der eine Hohepriester (9, 7) dem einzigen „Sohn“ (1, 2a). 108

13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10)

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7‚ 7 g´ pax tou eniautou)113, um für sich und das Volk „einmal im Jahr“ (a 114 zu opfern (9, 7) . Beide Gruppen bleiben aber damit im Verhältnis zum ewigen Gott der zeitlichen Abfolge verhaftet. Nur der in der Zeit die Zeit überwindende, sich ein für alle mal durch sein einmalige Selbstopfer (10, 14) darbringende wahre Hohepriester (7, 27b) vermag die Kette endloser Wiederholungen zu durchbrechen und sowohl die Opferpraxis endgültig zu vollenden (10, 14: tetelei´wken 7 ‚ ‚ ei& to` dihneke´&)115 als auch überhaupt die suntelei´a twn aiwni´wn heraufzuführen (9, 26b)116. 13.2.5 Typologie und die Ordnung der Gabe (Das vollkommene Opfer) Der Hohepriester braucht wie jeder Priester, um Gott Opfer darbringen zu können, bestimmte Gaben, die dazu dienen sollen (8, 3a); diese Logik gilt auch noch bei seinem Antitypus, Jesus (3b). Hier greift diese Notwendigkeit aber gerade nur soweit, dass sie überwunden werden kann, d. h. sich in diesem besonderen Vollzug als solche aufhebt. Hinter jenem Satz steht die allgemeine (religionsgeschichtliche) Voraussetzung, dass religiöse Verfehlungen nur durch eine kultische Praxis und insbes. die des Opfers entsühnt 113

g´ pax weist dieser Hohepriester auf den Antitypus Durch das a Christus voraus (cf. 9, 26b u. 28; 12, 26 sowie o. Anm. 86. Seltsamerweise gilt von der römischen Messe in einem bestimmten Sinne, dass hier der Zelebrant „nach dem Vorbild des Hohepriesters im Alten Testament … in das Allerheiligste ein(tritt), um das Opfer darzubringen“ (D. Wendebourg, Reformation und Gottesdienst; ZThK 113 (2016), 356 (mit Berufung auf J.A. Jungmann, Missarum Solemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, Band 2 (1949), 169)). 114 Zur Unvollkommenheit dessen s. u. zu 10, 1 (13.2.7.1.). 115 Christus ist teleiwqei´& als gehorsamer, den Willen des Vaters auch menschlich vollziehender Sohn (cf. 5, 9 u.o. IV. Anm. 22 u. 58). Dem ‚ efa´pax des Hebr entspricht im Vierten Evangelium tete´lestai (Joh 19, 7 30), was auch hier einschließt: gi´na teleiwqh2 hg g1afh´ (Joh 19, 28b). 7 7 ‚ ‚ 116 Das ist Gottes abschließendes Wort ep’ esca´tou twn hg me1wn tou´twn (1, 2a). Es sei festgehalten, dass auch die paulinische Rede vom 7 plh´1wma tou c1o´nou in Christus (Gal 4, 4) impliziert, vorher sei die Zeit noch nicht „erfüllt“ gewesen bzw. das Maß dafür noch nicht erreicht.

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

werden können. Da der Sünder nicht selbst und von sich aus seine Sünden überwinden kann, muss er die Entlastung an andere Instanzen delegieren. Das führt zu einer grundsätzlichen Äußerlichkeit im Verhältnis zwischen (durch einen Priester vermittelt) opferndem Subjekt und seiner Opfergabe117, in der es von sich entzweit bzw. sogar entfremdet wird118. Denn die sündigen Subjekte sind als solche nicht selber (soz. von innen her) dabei, wenn es um die Berichtigung ihres Gottesverhältnisses geht. Vielmehr entlasten sie sich vom eigenen Sündersein, d. h. von ihrem Selbstsein. Schon darum hat Gott „kein Gefallen an Brandopfern und Sündopfern“ (10, 5f), wie Jesus mit Ps 40, 7–9 in den Mund gelegt wird (cf. Mt 9, 13 = Hos 6, 6)119. Diese Äußerlichkeit erreicht nicht wirklich versöhnend das „Gewissen“ der Betroffenen (9, 9b.b; cf. 14c). Dies um so weniger, als der religiöse Mensch hierbei Tiere zu Stellvertretern der eigenen Seinsproblematik macht („Sündenbock“). Diese reine Äußerlichkeit des Typus entspricht dem, was der Hebr mit dikaiw´mata sa1ko´& als vorläufig kritisiert (9, 10; cf. 7, 16) – bis zum Kairos der „besseren Ordnung“, d. h. der endgültigen. Dass „das Blut von Böcken und Kälbern“ absolut nicht dazu taugt, die Sünden hinweg zu nehmen (10, 5; cf. 9, 13), wird kompromißlos herausgestellt, um den konstitutiven Widerspruch zwischen Intention und Ergebnis bzw. Mittel und Zweck beim Typus aufzudecken. Wahre Sündenvergebung kann so nicht erlangt werden, denn sie kann eben nicht wie beim Opfer vom Menschen ausgehen, sondern der Typus erfüllt sich absolut nur, indem Gott in Gestalt des Antitypus ihm von sich her entgegenkommt120. Nur so kann das – im Opferkult noch verstärkte – Entzweiungs- bzw. Entfremdungsverhältnis zu Gott in lebendige Einheit überführt werden. Freilich spielt sowohl beim Typus wie dann auch beim Antitypus (hier freilich anders; s. u.) das Blut eine besondere Rolle. Schon der erste Bund war nicht ohne Blut gestiftet (9, 18), und gerade der 117

Immerhin ist darin die Ahnung enthalten, dass kein fehlbarer Mensch allein von sich aus Gott zu versöhnen vermag. ‚ ‚ 118 Cf. die bezeichnende Wendung: en aig´mati allot1i´w2 (9, 25). 119 Woran Gott in Wahrheit Gefallen hat, steht 13, 15f. 120 S. u. zu 10, 18.

13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10)

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Hohepriester vollzieht blutige Opfer (9, 7; cf. 22 (Gesetz) u. 25b). Das hat mit dem Verhältnis von Sünde und Tod zu tun (Röm 6, 23). Spezifisch aber geht es um „Blut“, weil es sich bei der Sünde Gott gegenüber letztlich um Tod und Leben handelt: das verdorbene Leben der Sünder, das als Leben vom lebendigen Gott kommt, kann nach dieser Logik nur durch (anderes) Leben entsühnt werden (cf. 13, 11)121. Jesu Selbstopfer am Kreuz von Golgatha ist zu dem allen der Antitypus122. Denn zum einen ist es nur einmal geschehen, und dies für immer und ewig (9, 26; 10, 12), und genau so ist es für uns die vollendete Heiligung (10, 10 u. 14)123. Diese endgültige Sündenvergebung im Christusgeschehen macht jegliche Wiederholung (weitere) Opfer nicht nur unmöglich, sondern auch überflüssig (10, ‚ 18)124. Mit seinem eigenen Blut125 hat Gottes Menschensohn efa´pax den Weg ins Heiligtum ewiger Erlösung eröffnet (9, 12; cf. 13, 12126) und die wahre Reinigung der Gewissen bewirkt (9, 14c)127.

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Hierin ist die Äußerlichkeit des Opfers begründet. Es vereinigt die priesterliche und die prophetische Opfervorstellung des AT (Goppelt, 103). Für diese steht die 10, 5–7 u. 8f zitierte Weissagung von Ps 40, 7–9 (als Hauptstelle prophetischer Opferkritik, a. a. O. 204), und ihr entspricht Gott in der Menschwerdung. 123 So hat Gott die prophetische Weissagung des neuen, vollkommenen Bundes (Jer 31) in der Sicht des Hebr erfüllt (10, 15–17). 124 Die Sündenvergebung steht für die Vollendung des Gottesverhältnisses im Eschaton ein; sie realisiert den Jer 31, 33f geweissagten Neuen Bund (Hebr 10,16f). 125 S. dazu aber o. 10.4.1. (bei Anm. 13) u. Hebr 10, 20. 126 Die Textpassage 13, 11–13 ruft noch einmal die heilsgeschichtliche ´ 1ion, 10) – pa1embolh´ (13) – ihr einUnterscheidung: skhnh´ (qusiasth 7‚ ‚ ‚ g´ gia – e´xw gelagert die Dualität von aima und ta` sw´mata (11) – bzw. ei& ta` a (13) in Erinnerung (cf. o. 10.7.2.). Vor dem Hintergrund dieser Opposition ist das dio´ (12) zu begreifen: Jesus hat das „Esoterische“ des Priestertums überwunden, und dies durch sein eigenes Blut statt der Opferung anderer ‚ g´ gia durch sein Wesen (11). So ist er e´xw die wahre „Wiederholung“ der a ‚ ag gia´zein … to` n lao´n (12) als der wahre a1cie1eu´& (11), bzw. es ist ein neues Allerheiligstes gestiftet: „exoterisch“ und „profan“. Der Exodus 7 ‚ (exe1cwmeqa geschieht nun (toi´nun) unter den neuen Bedingungen des ‚ Christusglaubens bzw. der endgültigen Versöhnung (13). Das exe´1cesqai 122

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

Sein Tod war ein Selbstopfer (7, 27; 9, 14b); d. h.: nicht irgendein Tier wird geopfert, sondern der Mensch und Gottessohn hat sich für uns hingegeben, an dem wir als wir selber im Glauben teilhaben können (1, 9b; 3, 1 u. 14) und der uns bei Gott vertritt (7, 25; 9, 24; cf. Röm 8, 34). Nicht ein von ihm äußerlich unterschiedener Anderer opfert ihn – auch nicht Gott der Vater128 –, sondern Jesus bringt sich selbst129 und dies für andere dar. Dieser Hohepriester ist zugleich als der selber Sündlose130 auch selbst das Opfer, und überwindet so das entfremdete, äußerliche Verhältnis zwischen Geber und Gabe, das den Typus beherrscht. In seinem Selbstopfer stimmen Form und Inhalt (der Opferlogik) absolut überein131. Sein sich für uns Opfern ist das vollkommene Opfer, und zugleich hebt es die bisherige religiöse Opferpraxis aus den Angeln: Der sich selber in den Tod hingebende Gottessohn ist definitiv das „Ende aller Opfer“ (10, 18 u. 26b). Opfert sich der Hohepriester selber, so wird das traditionelle Opfer in der Religion dialektisch: es ist nur noch so Opfer, dass es eo ipso Ende der Notwendigkeit von Opfern überhaupt ist132. Das besagt für die Typologie: der Antitypus ist nur im Sich-Abstoßen vom Typus noch gleich mit ihm. ‚ p1o` & auto´n, um mit ihm seine „Schmach“ zu tragen (cf. 11, 26), bestimmt 7 den Glauben als teilnehmende Solidarität (cf. 13, 7: mimeisqe u. 1Kor 11, 1). 7 127 Hier gründet die Logik des k1eitton (cf. z. B. 7, 22; 8, 6 u. ö.); Jesu „Blut der Besprengung“ redet stärker als das Abels (cf. 12, 24b mit 11, 4). 128 So ist auch Joh 3, 16 nicht zu verstehen; cf. J.R., Das philosophische Evangelium (2014), 276ff. 129 Er ist dabei nicht passiv-fremdbestimmt, sondern gibt sich freiwillig hin (7, 27a), und auch insofern ist er das Ende aller Opfer. Auch das 5, 7 Gesagte gehört zur Selbsthaftigkeit der Passion. ‚ 130 Er ist selber die perfekte Gabe; cf. 9, 14b: eg auto` n … a´ mwmon (cf. 7, ‚ 26), während das Opfer des Alten Bundes wie dieser selbst nicht a´ mempto& war (8,7a; cf. 7, 18); zugleich ist er auch der unüberbietbare Opfernde, weil er nicht auch für sich selber ein Opfer zu bringen hat, wie jeder Hohepriester sonst (5, 2f; s. o. 13.2.1.). 131 Das meint die Rede von den „besseren Opfern“ (9, 23b). 132 Das Christentum verlässt die Religionen der Völker und bleibt trotzdem zugleich auch Religion; cf. dazu M. Karrer, Kommentar, a. a. O. 20/1, 88 u. 89.

13. Die Hohepriester-Typologie (Hebr 5–10)

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13.2.6 Typologie und die Ordnung des Raumes ‚ Wäre der erste Bund (diaqh´kh) schon vollkommen (a´ mempto&) gewesen, hätte es nach der Logik des Hebr, wie im Gotteswort des 7 Propheten Jeremia, nicht die „Suche“ (zhtein) nach einem zweiten, besseren Ort (to´po&) für diesen anderen gegeben (8, 7)133. Die Typologie wird hier zur Topologie, denn sie hat es mit geschichtlichen, d. h. raum-zeitlichen Phänomenen zu tun. 6.1. Konkret wurde dieser Topos im Typus des „Bundeszeltes“ bzw. der Stiftshütte134 als der „ersten“ skhnh´ (cf. 8, 5; 9, 2f. 6. 8. g´ gion kosmiko´n 21). Dies war freilich für den Hebr erst nur ein a 7 (9, 1) bzw. es war noch von tau´th& th& kti´sew& (9, 11b)135. Ihm wird im Ganzen antitypisch das himmlische Heiligtum bzw. die (durch Golgatha vermittelte) „zukünftige, bleibende Stadt“ (13, 14) gegenübergestellt136, die für Gottes neue Schöpfung bzw. das Eschaton steht137. Freilich ist – diese Typologie vorbereitend bzw. verstärkend – dem Typus hier schon eine Differenzierung eingestiftet, die den Antitypus in ihm selber soz. antizipiert: die g´ gion als der p1w´th skhnh´ (9, 12)138 und Unterscheidung von to` a der „zweiten“ skhnh´, dem „Allerheiligsten“ (’´Agia ag gi´wn, 9, 3)139. Diese(s) ist der eigentliche Typus, dessen ewige Wahrheit 133

Dieser to´po& ist der „Raum“ des Himmlischen (8, 1; 12, 23 u. ö.) bzw., von Gott selber gestiftet, der Instantiierung des Antitypus (in Jesus Christus). 134 Diese(s) als Vor-Bild des Tempels, an dem die Priester Gott „dienten“ (13, 10; cf. Joh 2, 19–22). 135 Erstes und zweites Zelt (s. u.) bleiben irdisch (und mithin Himmel und Erde qualitativ unterschieden), und auch das vormalige Allerheiligste war nur erst ein Abbild. 136 Diesen to´po& hat Jesus uns bereitet, indem er dahin vorausgegangen ist (Joh 14, 2b). 7‚ 7 7 137 Die andere räumliche Metapher ist die vom oiko& tou qeou, das wir sind (10,21; cf. 3, 6b u. Joh 8, 35; Eph 2, 19; 1Tim 3, 15). 138 Vom üblichen Sprachgebrauch abweichend nennt der Hebr das 7 ‚ 7 ‚ Vorzelt (’´Agia) allerdings (statt tu´po&) anti´tupa twn alhqinwn (9, 24b.b); dies etwa im Sinne von (irdischem) „Abbild, Gegenbild“ der himmlischen Wahrheit. Es entspricht etwa dem ug po´deigma (23a). 139 Durch diese soz. protypologische Differenz des Typus in ihm selber

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

Christus ist, denn ins Allerheiligste durfte überhaupt nur der Hohepriester, und dies nur einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, eintreten (9, 7)140. Dazu passt, dass mehrfach betont wird, der antitypische Topos sei „nicht von Menschenhand gemacht“ (8, 2; 9, 11 u. 24; cf. 11, 10; 31, 3 u. 2Kor 5, 1b.b)141. Somit ist der Gottessohn Jesus Christus Hohepriester der „größeren“, weil schlechthin vollkommenen (telei´ote1a) skhnh´ (9, 11). Sie ist theologisch als der wahre Topos zu begreifen: hg skhnh` hg ‚ alhqinh´ (8, 2a). D. h. die wahre skhnh´ ist auch als die (sie vollendende) Wahrheit der alttestamentlichen irdischen skhnh´ zu verstehen. Noch einmal wird sichtbar : Die Typologie des Hebr versteht die Wahrheit als eine geschichtlich auf sich zulaufende ‚ (cf. 9, 24)142. Darum ist die skhnh´ alhqinh´ eine gewordene wird die Potenzierung zum endgültigen Antitypus proleptisch (cf. 9, 8: mh´pw) intern schon verstärkt (und damit diese Typologie überhaupt): wie die skhnh´ bereits in sich gestuft ist, so dann auch geschichtlich im Nacheinander von Altem und Neuem Bund. Der Gen. ’´Agia ’Agi´wn meint die innerste Wahrheit (soz. den eigentlichen „Kern“) des Heiligtums. 140 Das Räumliche wird hier vom Zeitlichen überformt. Es handelt sich nicht um eine „Allegorie“ oder ein bloßes Symbol (was eine willkürliche Deutung wäre); sondern das räumliche Hintereinander von Vorheiligtum und Allerheiligstem muss durchschritten werden: es geht um ein Eintreten in die und Heraustreten aus der p1w´th skhnh´ und ein „Eingehen“ in die deute´1a (cf. 9, 12b u. 24; 7). So gewinnt die räumliche Struktur selber schon eine zeitliche Bedeutung, indem sie als „Weg“ zu realisieren, zu „begehen“ ist. Das besagt: ein Anhalt der geschichtlichen Bewegung vom Typus zum Antitypus bzw. vom Vorläufigen zum Endgültigen (Eschatologischen) ist am Typus selber real gegeben. Die typologische Deutung ist in diesem Falle die Absolutsetzung des Weg-Motivs (cf. 9, 8), d. h. der Befreiung der Geschichte aus der Herrschaft des Raumes (cf. dazu P. Tillich: Der Widerstreit von Raum und Zeit; Gesammmelte Werke VI (1963), 140–148). ‚ 141 Vielmehr durch Gott: in der Zeugung des Sohnes, die die aiw´nia lu´t1wsi& ermöglicht hat (9, 12). 142 Bzw. Wahrheit als sich voraus erscheinend und in der Zukunft mit ‚ ‚ sich zusammengehend; diese stellen auta` epou1a´nia dar (9, 23b). S. o. Anm. 89 u. 139 und zum Werden zu sich o. 12.5.3. Nivellierend spricht hingegen R.Bultmann hier von einem hellenistischen Verständnis der Wahrheit als „das einzig wirkliche Seiende“ (ThWbNT I, 250f). Das Wahre ist aber für den Hebr nicht in einen einfachen Dualismus (z. B. von „oben“

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Wahrheit; denn in Gottes geschichtlichem Reden (cf. 8, 13a) ereignet sich die göttliche Neuschöpfung (9, 11; cf. 8, 5b). In diesem 7 ‚ ‚ Sinne ist für den Hebr die epi´gnwsi& th& alhqei´a& eine theologische (10,26; cf. Joh 8, 32)143. 6.2. Die typologische Topologie des Hebr spitzt sich zu in der neutestamentlich überhaupt prominenten Metapher des „Weges“, in der Raum und Zeit übereinkommen. Die Rede vom Weg ist hier mit dem Topos des „Zeltes“ vermittelt durch die liminale Figur144 des „Vorhangs“ (katape´tasma), der das vordere Heilige vom Allerheiligsten trennt (9, 3). Christus als der neue Hohepriester ist durch diesen hindurch, jegliche Trennung aufhebend, in das Innere des Heiligtums dahinter vorangegangen (6, 19)145. Solange der Typus der p1w´th skhnh´ mit der festen Abscheidung des Heiligen vom Allerheiligsten noch Bestand hatte, war das ein Indiz dafür, dass „der Weg ins [sc. wahre] 7 Heiligtum“ (hg twn ag gi´wn og do´&)146 noch nicht offenbar geworden war (9, 8)147. Erst durch Christus und seinen Tod steht uns die und „unten“) eingezeichnet, sondern hat einen typologisch-heilsgeschichtlichen bzw. eschatologischen Sinn. Wahrheit ist, was aus dem Vorläufigen zu sich kommt, d. h. hier : die eigene Wahrheit des irdischen Zeltes (heraufgeführt von Gott: 9, 24a; cf. auch 9, 10: dio´1qwsi&). 7 143 ‚ epi´gnwsi& entspricht in gewisser Weise dem fwtisqei& (6, 4a) und 7 7 ‚ alh´qeia dem qeou 1g hma (6, 5). 144 Von einer „liminalen“ Theologie des Hebr überhaupt spricht M. Karrer, Kommentar, a. a. O. 20/1, 48–53 u. ö. 145 Cf. Mt 27, 51! Das räumliche Hintereinander von vorderem Zelt und eigentlichem Inneren der Stiftshütte erscheint 6, 19 typologisch selber als ein „Weg“. 146 Sachlich wäre auch die Übersetzung: „der Weg des Heiligen (selber)“ denkbar. 147 Indem dies durch den H. Geist verdeutlicht bzw. offenbart worden ist (dhlo´w), gehört die typologische Bewegung zu seinem Walten; so auch deren Erfüllung in Christus (9, 14). Der H. Geist ist die Offenheit für das im Werden bzw. Kommen Begriffene und dessen Beförderung. Christi Selbsthingabe im H. Geist (bzw. „durch“ ihn), d. h. unmittelbar in gehorsamer Gemeinschaft mit Gott, seinem himmlischen Vater, geeint, vollendet das geschichtliche Wirken des H. Geistes (cf. 10, 7b), sofern sie dem ewigen 7 7 Ratschluss Gottes entspricht (cf. 6, 17). Das lat1eu´ein qew2 zwnti (9, 14c) ist durch den Tod Christi vermittelt.

152 V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie) 7 ‚ ei´sodo& twn ag gi´wn offen (10, 19). Denn er hat diesen für uns bereitet „als einen neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist sein Fleisch“ (10, 20)148. Dieser Weg des endgültigen Heils ist „neu und lebendig“, da im Alten Bund die wahren Wege des lebendigen Gottes nicht bekannt waren (cf. 3, 10d = Ps 95, 10), weil Gott sein letztes Wort noch nicht gesprochen hatte149. 13.2.7 Der Typus zwischen Vergangenheit und Zukunft 13.2.7.1 Schatten der Zukunft (10, 1) Das Gesetz des Alten Bundes und der von ihm bestimmte Opferkult (10, 1; cf. 8, 4) ist in der typologischen Sicht des Hebr nur ‚ ein „Schatten der zukünftigen Güter“ (10, 1a: skia` n ga` 1 ecwn … 7 7 150 ‚ twn mello´ntwn agaqwn) oder hat nur einen Schatten davon an sich151. Bei dieser Formulierung ist es wichtig, die eigentümliche Verwendung der Metapher vom Schatten zu erkennen: Hier wirft das Kommende (als das wahre Licht)152 seinen Schatten

7 7 ‚ 7 enekai´nisen hg min og do` n p1o´sfaton kai` zwsan dia` tou katape7 ‚ 7 ‚ 7 ta´smato&, tout’ e´stin th& sa1ko` & autou. Man sieht hier zum einen, dass auch der trennende „Vorhang“ als ein Typus des Leibes Christi aufgefasst wird, zum anderen dass Fleisch (10, 2) und Blut (19) zusammengehören. 149 Zu Christus als letztem Wort Gottes cf. Luther, WA 12, 598, 19f u. 21f; die Kinder Israel halten am vorletzten Wort fest: WA 10/I, 1, 146,1–9. 7 150 Auch Kol 2, 17 ist vergleichbar von der skia` twn mello´ntwn die Rede. Cf. F.G. Klopstock: „Und es verschwand dein Schatten vor dir, vollbrachte Versöhnung!“ (Der Messias XI, 52). 151 Ein Schatten ist das schlechthin Unselbständige, und was er zeigt, ist ein einfacher Umriß sowie zugleich ein verdunkeltes Abbild. Er fällt von woanders (bzw. außen) her und berührt (als Schein) die Erde – vom 7 Himmel aus. Kol 2, 17 wird Christus als das eigentliche swma des „Schattens“ benannt. 152 Sofern die Typologie in die Geschichte göttlicher Offenbarung gehört, kann diese von hier aus als ein Erhellungsgeschehen begriffen werden 7 7 (cf. 9, 8: dhloun u. 26: fane1ousqai). Diese eher verborgene Licht-Metaphorik (cf. auch 4, 13; 11, 3b u. u. Anm. 159) beginnt mit der Rede vom 7 ‚ ewigen Wort als apau´gasma th& do´xh& (1, 3a) und führt hier bis zur Rede 148

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zeitlich voraus153 Das entspricht völlig der eschatologischen Gesamtperspektive des Hebr154. Der Typus ist nur erst ein Vorschein des Zukünftigen (cf. Kol 2, 17a), das als Antitypus dessen vergangenes Wesen in sich „aufhebt“155, oder anders: Die Zukunft entbirgt sich, wenn sie kommt, als die Wahrheit der Vergangenheit156. Damit korrespondiert, dass der „Schatten“ damit charakterisiert wird, nicht (bzw. noch nicht) das wahre „We7 ‚ ‚ sensbild“ der Dinge selbst zu sein (10, 1b: ouk th` n eiko´na twn p1agma´ twn). 13.2.7.2 Abbild des Himmlischen (8, 5) Ein zweites Mal ist vom Schatten auch 8, 5a die Rede: die irdischen Priester dienen (gemäß 8, 2a u. 4) nur ug podei´gmati kai` 7 7 ‚ skia2 twn epou1ani´wn157. Auch hier ist die Wendung letztlich von der eschatologischen Vollendung her zu begreifen (cf. 9, 11 u. 24)158, so dass beide Ausdrücke etwas Vorläufiges bezeichnen159. 7 Nun werden allerdings die ug podei´gmata 9, 23 als solche von twn ‚ 7 ‚ 7 en toi& ou1anoi& bezeichnet und als (zu reinigende) Typoi von von der skia´ : der Gottessohn als der Antitypus schlechthin wirft im Typus seinen Schatten voraus (cf. o. Anm. 56 (Benjamin)). 153 So hatte schon der Gerhard-Schüler S. Glassius (Philologia sacra, 1623) den „Typus“ dadurch charakterisiert, dass „res gestae V.T. praesignificant seu adumbrant res gestas N.T.“ (zit. bei Goppelt, a. a. O. 8; Hervorh.n J.R.). 154 S. o. IV. 10. Dazu gehört ein eigentümliches, zeitbezogenes Verständnis von Ewigkeit: sie kommt aus der Zukunft und strahlt in die Geschichte hinein. So ist sie selbst als Werden zu sich. 155 Das Endgültige setzt sich zeitlich einen Vorschein seiner selbst voraus, um sich in dessen Erfüllung lebendige Realität zu geben. 156 S. o. 12.5.2. 157 ug po´deigma (exemplar) kann so etwas wie Muster, Vorbild oder Beispiel (so eher 4, 11b) bedeuten. 8, 5 kann man als Abbild (im Sinne einer Nachbildung) verstehen; Bauer (Wörterbuch 1669) schlägt „Schattenbild“ vor, so dass hier ein Hendiadyoin vorläge. Für 9, 23 reicht die Bedeutung (bloßes) „Abbild“ (im Sinne des vorläufigen Typus). 158 Diese skia´ ist nur der Schatten des wahren (himmlischen) Kultes. 7 ‚ ‚ 159 Cf. 8,13: eggu` & afanismou.

154 V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie) ‚ ‚ auta` ta` epou1a´nia abgehoben160. Gleichwohl muss im Ganzen 161 des Hebr ein deutlich nicht-platonisches, sondern entschieden christlich-eschatologisches und in diesem Horizont auch typologisches Verständnis systematisch in Anschlag gebracht werden162. 13.2.7.3 Das Vorbild (8, 5) Was die terminologische Lockerheit der Begriffsbildung im Hebr angeht, so folgt ein weiteres Beispiel dafür 8, 5b u. c. Die göttliche Weisung zur Errichtung der künftigen Stiftshütte erging (nach Ex 25, 40; im Hebr zitiert; cf. Act 7, 44) mit dem Auftrag, dabei alles kata` to` n tu´ pon auszuführen, der ihm zuvor auf dem Berge gezeigt worden war. Der Begriff des tu´po&, hier freilich aus der Exodus-Stelle übernommen, meint so etwas wie das himmlische 160

Zu einer „idealistischen“ Konzeption von Schatten und Urbild bei Philo (conf. 190) cf. die Zitate bei Theobald, a. a. O., wie o. (Vorwort) Anm. 9, 789 A. 136. Der „Himmel“ ist für den Hebr nicht einfach „oben“ gegenwärtig, sondern zugleich vor uns (im eschatologischen Sinne) und entspricht damit dem lebendigen Gott. Auch Goppelt betont, das Verhältnis: irdisch-himmlisch müsse im Hebr heilsgeschichtlich verstanden werden (Typos, 210); das Himmlische ist das zuletzt Bleibende (12, 27), und „die Erscheinung der Antitypen bedeutet den Hereinbruch einer neuen, ,himmlischen‘ Welt in diese Zeit“ (a. a. O. 215). 161 Cf. o. 12.2.5.2. 162 Cf. dazu schon o. 6.1.2. (zu Hebr 11, 1) u. III. Anm. 212. Allenfalls die eine Stelle 9, 23 könnte (für sich genommen) im „vertikalen“ (d. h. platonisch-philonischen), statt im heilsgeschichtlich-horizontalen Sinne aufgefasst werden; aber diese Formulierung wird nur als „Hilfslinie“ verwendet (Goppelt, Typos, 201; cf.Theologie, a. a. O. 579). In der Sache geht es hier um das Zugleich von „Schon“ (bei Gott: 4, 4 u. 9f) und „Noch nicht“ (für uns: 4, 11 u. 6f): Christus ist erschienen und kommt noch, das Heil gegenwärtig und zukünftig (a. a. O. 202). So wäre auch 9, 23 in die heilsgeschichtliche Typologie einzuordnen. Statt um eine „höhere Welt“ ist es dem Hebr im Ganzen um eine neue Gottesordnung in der Geschichte zu tun (a. a. O. 201; cf. so auch M.Karrer, Kommentar, 20/1, 80 (gegenüber Philo)), und ihr entspricht der „Glauben an die Wirklichkeit der ,Vollendung‘ und die Hoffnung auf ihre zukünftige Erscheinung“ (Goppelt, a. a. O. 202; cf. 11, 1 u. 13, 14; Phil 3, 2b). Gegen dualistische Tendenzen betont auch H.F.Weiß, a. a. O. 179 die geschichtliche Kontinuität.

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Urbild der irdischen Stiftshütte – als solches von Gott selber entworfen163. Damit entspricht dieser „typos“ dem, was sonst in der Typologie als Antitypus bezeichnet wird164 ; im Sprachge7 ‚ brauch des Hebr ist er aber in seinem Sinn dem anti´tupo& twn 7 ‚ alhqinwn von 9, 24b (s. o.) gleich. In der Sache ist etwas anderes wichtiger : Der an Mose vermittelte tu´po& ist zwar ein Urbild (bzw. geht darauf zurück), aber von Christus her gesehen handelt es sich doch nur um den Typus im typologischen Sinne; er zieht die Suche nach einem anderen to´po& (als Raum des Endgültigen) nach sich (8, 7b). Der für Mose bestimmte typos wurde ihm von Gott gezeigt und sprachlich vermittelt (kec1hma´tistai, 8, 5b bzw. fhsin, 5c), war also auch schon Gottes Wort (und nicht bloß menschliche Einrichtung). Auch an diesem göttlichen Wort ersieht man: die Figuren der Typologie selber sind ebenfalls im göttlichen Reden gemäß 1, 1 (Mose)165 inbegriffen. Indem Mose sprach (9, 19f), ‚ sprach durch ihn Gott (enetei´lato, 20). 13.2.7.4 Die Parabole (9, 9) Von der ersten Stiftshütte (p1w´th skhnh´, 9, 8) – oder ihrem ‚ ersten Teil – heißt es, sie sei pa1abolh` ei& to` n kai1o` n to` n ‚ enesthko´ta (9, 9). Somit ist sie dem sehr ähnlich, was der „Typus“ meint166 und eigentlich nur ein variierender Ausdruck des Hebr. Sie hat ihren Sinn als Hinweis über die „gegenwärtige Zeit“ hinaus, sofern diese eine noch vor Christus und nicht eschatologisch bestimmt war, meint also auch etwas Vorläufiges167. 163

Man könnte dies höhere Urbild auch als den „Archetypus“ der Stiftshütte bezeichnen. 164 Die für 8, 5 anzunehmende strikte (vertikale) Unterscheidung von ‚ 7 ‚ Irdischem (en tw2 o´1ei) und Himmlischem (tu´po&) ist für die vor-escha‚ tologische Weltzeit spezifisch. anti´tupo& im üblichen Sinne: 1Petr 3, 21. 165 Cf. o. II. Anm. 20. 166 11, 19 bedeutet: Gleichnis (cf. 11, 19), Sinnbild, Symbol oder auch Hinweis (wie wohl hier 9, 9); Goppelt übersetzt typologisch mit „schattenhaftes Vorbild“ (a. a. O. 212). 167 Sie ist Inbegriff der dikaiw´mata sa1ko´& (9, 10).

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V. Gottes Wort entspricht sich (Die Typologie)

13.2.8 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich über die eigentümliche Stellung des Typus zwischen Vergangenheit und Zukunft sagen: der tu´po& ist nicht nur geschichtlich, sondern auch logisch immer schon vergangen, weil vom lebendigen Gott für alle Ewigkeit überholt; auch als (zu seiner Zeit) noch gegenwärtig ist er schon – mit einer Wendung Hegels – „zeitlos vergangen“. Die Geschichte wird, typologisch gedeutet, in Kraft des göttlichen Wortes zu dem Ort, an dem sich die Ewigkeit hervorbringt und vollendet. Dadurch 7 ‚ ‚ wird der Hebr zur genuin theologischen epi´gnwsi& th& alhqei´a& (10,26).

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T. Lewicki: „Weist nicht ab den Sprechenden“. Wort Gottes und Paraklese im Hebräerbrief (2008), (Paderb.ThSt 41). H. Löhr : „Heute, wenn ihr seine Stimme hört“. Zur Kunst der Schriftanwendung im Hebräerbrief; in: M. Hengel / H. Löhr (Hgg.), Schriftauslegung im antiken Judentum und Urchristentum (1994), 226–248 (WUNT 73). 7 7 G.R. Smillie: og lo´go& tou qeou in Hebr 4, 12–13. NT 46 (2004), 338–359. G.R. Smillie: „The One Who Is Speaking“ in Hebr 12, 25. Tyn B 55 (2004), 275–294. G.R. Smillie: The Other lo´go& in Hebr 4, 12f. NT 47 (2005), 19–25. I. Swetnam: Jesus est Lo´go& in Hebr 4, 12f. Bib 62 (1981), 214–224. M. Theobald: Vom Text zum „lebendigen Wort“ (Hebr 4, 12); in: C. Landmesser / H.J. Eckstein (Hgg.), Jesus Christus als Mitte der Schrift (1997), 751–790 (BZNW 86). D. Wider : Theozentrik und Bekenntnis. Untersuchungen zur Theologie des Redens Gottes im Hebräerbrief (1997), (BZNW 87).

Bibelstellen

Hebr 1, 1 f 11 f, 13 f, 15, 44, 47, 48, 49, 51, 56, 57, 69, 70, 72, 73, 83, 84, 88, 95 f, 106, 114, 115, 120, 121, 124, 129, 142, 144, 155 1, 2a 13 f, 15ff, 31, 93, 94, 104, 107, 120, 121, 127, 145 1, 2b 27 f, 34, 93, 99 1, 2c 28 f 1, 3 13, 30 f, 32 f, 41 f, 69, 71, 100, 103, 104, 105, 120, 152 1, 4 27, 42 1, 5a 34ff 1, 6a 107 f 1, 8a 34 1, 9b 34 1, 11a 37 1, 12c 37 2, 3b 39ff, 70 2, 7 97 2, 8 106 2, 10 43, 67 2, 11 104, 142 2, 13a 38 f 2, 14 96, 99 2, 17 41, 66, 103, 137, 139 3,1 137 3, 3b 126

3, 4b 3, 7 3, 11 3, 12 3, 13 3, 16

43 f 50 112 64 f 47, 50 64, 113

4, 1 61 4, 2 61 f 4, 3 62 f, 64 4, 7 47 4, 8 107, 111, 126 4, 9 f 112, 113, 127 4, 12 f 44 f, 49, 54, 62 f, 109 4, 15 96 f, 100, 102, 138 5, 1–3 139ff 5, 5 f 48 5, 7 f 98 6, 5 46, 94 6, 13 50 6, 19 f 57 f, 66, 67 7, 1 ff 138 7, 2 66 7, 3b 37 7, 11 ff 51ff 7, 16 31, 37, 54, 82, 99, 116 7, 23 142

160

Bibelstellen

7, 27 148 8, 2a 150 8, 3 145 8, 5a 153 f 8, 5b 154 f 8, 7 149 8, 13a 21 f, 133 9, 3 149 f, 151 9, 9 f 140, 155 9, 12 149 9, 17 41, 99 9, 23 f 149, 150, 153, 154 9, 28 111 10, 1 f 10, 5 f 10, 7b 10, 9b 10, 13 10, 14 10, 18 10, 19 f 10, 24 f 10, 26 156

52 f, 143, 152 f 69, 146 123, 124 19ff, 133 106 142 148 96 f, 144 94 15 f, 125, 135, 139, 151,

11, 1 56ff 11, 1a 57 f, 90 11, 1b 58 f

11, 3a 29 f, 57, 73 11, 4 74 11, 4–38 73ff 11, 6 30, 33, 64, 74 f 11, 7 75 11, 8–10 76ff 11, 11 f. 78ff 11, 13–16 79ff 11, 17–19 81 f, 155 11, 20–22 82 f 11, 23–29 83ff 11, 27b 86 11, 30 f 87 f 11, 32 88 f 11, 33 f 89 11, 35–38 89, 90 11, 39 22 f, 91 11, 40 22ff, 48, 57, 72, 89, 91 12, 1 70, 71 f 12, 2 67ff, 86 12, 18–22 78, 101 f, 113 12, 25 12, 18, 40, 44, 114, 151, 156 12, 26–28 114ff, 132 13, 8 68 f, 85 13, 11–13 113, 147 13, 14 78, 80, 108, 113, 149 13, 20 66, 103, 136

Namenregister

Alkmaion 67 Anselm von Canterbury 32 Aristoteles 20, 46, 80, 117 Augustinus 31, 33, 112 Barth, K. 4, 22, 60, 101, 132 Bauer, W. 58, 84, 86, 153 Bengel, J.A. 142 Benjamin, W. 131, 153 Beyschlag, K. 126 Bloch, E. 60, 113 Bonaventura 14, 129 Bultmann, R. 150 Calvin, J. 60, 73, 130, 137, 143 Clemens Alexandrinus 32, 45 Cyrill von Jerusalem 35 Ebeling, G. 55 Eisele, W. 33, 117 Epiphanias 113

Gryphius, A. 131 Hamann, J.G. 23, 51, 61, 105 Handke, P. 130 Heermann, J. 137 Hegel, G.W.F. 117, 142, 156 Hegermann, H. 137 Heraklit 50, 118 Hofius, O. 32, 123 Hofmann, J.Chr.K. v. 6, 126, 129 Hübner, H. 34 Humboldt, W. v. 6, 35 Jenni, E. 53 Jungmann, J.A.

145

Karrer, M. 7, 35, 148, 151, 154 Kierkegaard, S. 46, 51, 66, 80, 96, 130, 143 Klopstock, F.G. 152

Liebrucks, B. 138 Glassius, S. 126, 153 Luther, M. 20 f, 27, 32–34, 36, 38, Goethe, J.W. 129 41, 44 f, 49, 54 f, 57–62, 65, 72, Goppelt, L. 6, 51, 56, 73, 79, 91, 101, 76, 81, 86, 94, 96 f, 99, 106, 112, 119, 121–124, 126–130, 132 f, 115, 121, 123, 126, 129, 132, 134, 135 f, 138–140, 142 f, 147, 137, 141, 152 153–155 Grässer, E. 12, 41, 53 f, 56, 83, 100, Marheineke, K.Ph. 13 Michel, O. 2, 15, 73 110, 130

162

Namenregister

Ostmeyer, K.-H.

128, 135

Philo Alexandrinus 117, 154 Pindar 72 Quenstedt, J.A. Rad, G. v.

35

83, 132

Slenczka, N. 12 Smart, B.H. 14 Sölle, D. 131 Stenzel, J. 14 Theobald, M. 7, 124, 154 Theunissen, M. 57 Tholuck, A. 126 Thomas von Aquin 56 Tillich, P. 150

Schaeder, E. 131 Schelling, F.W.J. 144 Schlatter, A. 5, 45, 59, 85, 113, 117 Weiß, H.F. 15, 154 Schleiermacher, F. 6, 137 Wendebourg, D. 145 Schmitz, O. 126 Wider, D. 5 Schöne, A. 129, 131