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German Pages 117 [152] Year 1960
K U R T BADT WOLKENBILDER U N D W O L K E N G E D I C H T E DER ROMANTIK
KURT BADT
WOLKENBILDER UND
WOLKENGEDICHTE
DER ROMANTIK
WALTER DE G R U Y T E R & CO 1960
·
BERLIN
Alle Redite, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopiej zu vervielfältigen.
© i960 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung J. Guttentag Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner - Veit & Comp. · Berlin W 35 Printed in Germany - Archiv-Nr. 35 17 60
Satz und Drude : Otto von Holten in Berlin
Inhalt Seite
I. Wolken in Religion und Kunst II. Goethe und Luke Howard III. Carl Gustav Carus und die Dresdener Maler
9 18 33
IV. Johan Christian Clausen Dahl, Karl Ferdinand Blechen, Johann Georg von Dillis, Johann Jakob Ulrich V. John Constable VI. Constable und die Meteorologen VII. Naturwissenschaft und Kunst VIII. Das bescheidene Leben in der Natur
45 57 65 75 85
IX. Wordsworth und Constable
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X. Romantisches Naturgefühl
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Anmerkungen Bildanhang Bildernachweis
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I am the daughter of Earth and Water, And the nursling of the Sky; I pass through the pores of the ocean and shores; I (hange, but I cannot die. For after the rain when with never a stain The pavilion of Heaven is bare, And the winds and sunbeams with their convex gleams Build up the blue dome of air, I silently laugh at my own cenotaph, And out of the caverns of rain, Like a child from the womb, like a ghost from the tomb, I arìse and unbuild it again. Aus dem Gedicht »The Cloud« (Die Wolkel von Percy Bysshe Shelley, veröffentlicht im Jahre 1820.1
I.
Wolken in Religion und Kunst
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Daß die Wolken dem Heil, der Seligkeit, der göttlichen Vollkommenheit verbunden sind, ist uns als christliche Bildvorstellung geläufig: Gott selbst schwebt auf Wolken, auf ihnen knien die Engel und lagern sich die Heiligen. So erscheint der Schöpfer auf den Mosaiken von Santa Maria Maggiore in Rom in einem Felde purpurroter und tiefblauer Wolken, die durch ihre Farben die Majestät und die Herrlichkeit verkünden, während ihre wellig bewegten Formen auf unbestimmt gewordene Erinnerungen wirklicher Erfahrung zurückgehen. Und es erscheinen in Santa Pudenziana auf dem Apsismosaik bereits das Kreuz und die Evangelistensymbole in den Wolken, während in San Apollinare in Classe in Ravenna auch Christus selbst vor die Wolken gesetzt ist. Das sind Beispiele aus dem vierten, fünften und sechsten Jahrhundert. Den Grund dieser Bildvorstellungen bilden die großen Visionen des Alten Testaments. Eine Wolkensäule war es, in der der Herr vor den Juden einherzog, als er sie aus Ägypten nach Kanaan führte, und eine Wolke bedeckte die Hütte des Stifts, wenn Er darin weilte2. — Und nachdem sich die Wolke aufhub von der Hütte, so zogen die Kinder Israels weiter; und an welchem Ort die Wolke blieb, da lagerten sich die Kinder Israels3. — Der Herr aber schaute aus der Wolke4. — Für so wesentlich wurde die Erscheinung gehalten, in welcher Gott seinem Volke verborgengegenwärtig gewesen war, so stark wirkte sie auf die Einbildungskraft, daß noch Paulus daran erinnerte, »unsere Väter sind alle unter der Wolke gewesen«6. Und von Christus heißt es in der Offenbarung Johannis: »Siehe, er kommt mit den Wolken«8. War die Wolke bei den Juden die Hülle der Erhabenheit ihres Gottes und daher eine mit Ehrfurcht betrachtete Himmelserscheinung, so bedeutete sie den Ägyptern Verdüsterung und Unheil. »Die ganze Nacht«, sagt Frazer7, »bekämpfte der Sonnengott Ra Haufen von Dämonen..., aber manchmal sandten die Mächte der Dunkelheit sogar bei Tag Wolken in den blauen Himmel Ägyptens, sein Licht zu verdüstern und seine Macht zu schwächen.« Auch für die Griechen war die Wolke nicht dem höchsten Göttlichen verbunden. Dies sahen sie im lichten Tageshimmel verkörpert. In Zeus haben sie das Licht verehrt, das für ihre Sitte und Sittlichkeit die höchste Bedeutung hatte, und Zeus thronte auf der lichten Höhe des Olympos
hoch über dem Wolkenkranz8. Nur in seinem Zorn trat der Göttervater zu den Wolken in Beziehung, wenn er durch ihre aufgetürmten Massen im Gewitter seine Donnerkeile schleuderte. Jedoch bereits etwa 60 Jahre vor Christi Geburt hat der Römer Lukrez (Titus Lucretius Caras) in seiner Dichtung >De rerum natura< es unternommen, die über die Himmelserscheinungen bestehende »ignorantia causarum«, d. i. das Nichtwissen der Ursachen (VI, 54), zu zerstören und den Glauben und Schrecken, den sie einflößten, durch vernünftige Einsicht in das Wesen, »naturae species ratioque« (VI, 41), zu überwinden. Er erklärte den Donner aus dem Zusammenprall von in der Höhe fliegenden Wolken, ebenso Blitz, Hagel und Sturm; doch gab er von der Verschiedenheit ihrer Formen keinen klaren Begriff: »ramosa videmus nubila saepe modis multis atque aspera ferri,« sagte er (VI, 133/134): in vielfacher Weise verästelt und rauh geformt sehen wir oft Wolken dahingetragen. Ihrer Bewegung schrieb er das Krachen, Dröhnen, Brüllen, Rascheln, Zischeln usw. zu, das Wind oder Sturm hervorbringt; er verstand es als Ausbrüche der ihnen einwohnenden Natur. Damit waren die Wolken von der Rolle eines religiösen Phänomens herabgekommen und sind für eine Naturerscheinung genommen worden. Und so ist ihr Zauber von ihnen gewichen,· doch hat es lange gedauert, bis das menschliche Auge frei genug blicken konnte, um die in ihrer Natur mitgegebene Schönheit zu entdecken. Durch Jahrhunderte scheint der Geist auch der Augenmenschen, die Lukrez nicht kannten, von dem regellosen Wechsel ihrer Formen verwirrt, gebunden durch die in der Bibel überlieferten Auslegungen ihres Anblicks. Und indem er sie betrachtete, ohne sie zu verstehen, wandelten sie sich ihm von etwas Erhabenem ins Schreckliche; die kontemplativen Geister vergaßen, was in Hiob 37, 12—13 gesagt war: »Er kehrt die Wolken, wo er hin will, daß sie s c h a f f e n alles, was er ihnen gebeut, auf dem Erdboden,· es sei zur Züchtigung über ein Land oder zur Gnade, läßt er sie kommen.« Sie sahen die Wolken mit Jesaja® als Gleichnis der Missetat, als Verdunklung des Lichtglanzes, wie Shakespeare, bei dem es heißt: »Denn je kristallner sonst der Himmel glüht, Je trüber scheint Gewölk, das ihn durchzieht.«10 Die Maler, die sie in vielen biblischen Darstellungen zu verwenden hatten, fragten sich nicht, wie Hiob 11 gefragt worden war, »weißt du, wie sich die Wolken ausstreuen, die Wunder des, der vollkommen ist an Wissen?« Sie beobachteten nicht die Gesetze ihrer Bildungen, sondern
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begnügten sich mit der Feststellung ihrer eindrucksvollsten Formen. Christus hatte gesagt: »Von nun an wird's geschehen, daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels 12 .« Daher war für die Darstellung des Tetramorphs und der Trinität die Aufnahme von Wolken geboten. Sie übertrug sich von hier auf viele andere im Himmel sich abspielende Vorgänge, Marienkrönungen, Himmelfahrten, Heiligenvisionen. War die Anwesenheit Gottes darzustellen, so erschien in den Kunstwerken statt Seiner Gestalt, deren Wiedergabe verboten war, die aus dem Himmel sidi herausreckende Hand im Wolkenkranz. Jedoch, mit wie wenig wirklichem Verständnis hat man Wolken veranschaulicht. Im Norden sowohl als im Süden macht es den Eindruck, als habe man sie eigentlich nur im Morgenrot oder im Abendglanz g e s e h e η ; sonst hat man sie traditionsgemäß wiederholt, immer mechanischer kompiliert und abstrakter wiederholend erdacht. Wie schwimmen sie fade und formlos, zerfetzt oder geballt, streifig oder flockig, durchsichtig wie Schleier oder gleich Watteballen, plastisch wie Monumente oder wie Architekturen in der Luft, immer aber viel zu gegenständlich und ohne Ordnung, ohne ein Gesetz der Erscheinungen erkennen zu lassen, ohne natürliche, auf ihre Natur hinweisende, aus ihr hervorgehende Regel. Mit seltsamer Unbekümmertheit hat man ihre Wandelbarkeit benutzt, um sie in etwas zu verwandeln, was sie nicht sind und nicht sein können: Bänder, Wellen oder Schaumkämme. So noch Dürer, oder in Italien Masolino und Piero della Francesca.
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Auch als das Interesse der Künstler sich schon darauf richtete, Naturformen genau zu bestimmen, erfuhren die Wolken eine stiefmütterliche Behandlung. Leonardo da Vinci, der so viel über Licht und Atmosphäre zu sagen wußte, hat kaum etwas Charakteristisches über sie mitgeteilt. Seine Aufzeichnungen über Wolken sind überraschend dürftig13. Doch hat sich aus seinem Kreise eine merkwürdige Wolkenzeichnung erhalten (Abb. i). Die F e d e r Zeichnung, wie sie uns vorliegt, kann nicht von Leonardo selber stammen. Dazu ist ihre Strichführung zu plump, zu grob. Wohl aber könnte die unter den Federstrichen sichtbare S t i f t Zeichnung, bestehend aus flüchtigen, aber prägnanten Linien, von ihm herrühren. Dafür sprechen zwei Momente. Erstens geben sie drei genau voneinander unterschiedene Wolkenbildungen, Cirrus, Stratus und Cumulus, in höchst charakteristischer Weise wieder, wie das damals einzig durch Leonardo geschehen konnte; zweitens beschränken sie sich auf diese Wolken. Die Landschaft hat erst derjenige hinzugefügt, der die leichten Stiftlinien mit schwererer Hand nachzuziehen versuchte. Wir hätten demnach im ursprünglichen Zustand des Blattes eine rein wissenschaftlich feststellende Notiz von Leonardo vor uns, sei es in einer Kopie oder von seiner eigenen Hand, j edenfalls aber aus seinem Geiste.
Daß das Interesse der Maler für die Wolken in der damaligen Zeit zu erwachen begann, berichtet Vasari. Piero di Cosimo, schreibt er, habe sich stundenlang der Betrachtung der Wolken und ihres wechselreichen Spieles hingeben können. Je mehr die Landschaftsmalerei sich dann, und zwar durch Männer, die aus den Wolkenländern kamen, entwickelte, desto mehr Aufmerksamkeit wurde von diesen großen Entdeckern der Natur mit Notwendigkeit auch den Wolken zugewandt. Im 16. Jahrhundert feierten sie ihre Auferstehung in der Malerei. Tizian und, von ihm abhängig, Rubens, Poussin und Claude Lorrain haben alle ihre spezifische Schönheit empfunden. Von Tizian erweckt war auch das Auge jenes großen ersten Literaten Europas, des Pietro Aretino (1492—1556), der in einem Briefe an den Meister schrieb: »Und als die Scharen mit fröhlichem Beifall wieder ihres Weges gingen, siehe, da wandte ich — wie ein Mensch, der sich selbst zuwider ist und der nicht weiß, was er mit seinem Fühlen und Denken anfangen soll — die Augen plötzlich zum Himmel, welcher, seitdem ihn Gott schuf, niemals von einem so entzückenden Gemälde von Licht und Schatten verschönt war. Das gab der Luft eine Färbung, die gern diejenigen zum Ausdruck bringen möchten, die Euch um Eure Kunst beneiden. Zunächst schienen die Häuser, obwohl aus wirklichen Steinen, aus einer künstlichen Substanz geformt. Sodann stellt Euch die Luft vor, die an einigen Stellen rein und frisch, an anderen trüb und tot war. Erwägt das Wunder, das ich in den von dichter Feuchtigkeit erfüllten Wolken schaute, die halb auf den Dächern der Häuser zu liegen schienen und halb in Feuchtigkeit verschwammen, denn rechter Hand war alles in einen schwarzgrauen Dunst gehüllt. Ich staunte über die Verschiedenheit des Kolorits der Wolken. Die nächsten lohten in den Flammen des Sonnenfeuers und die entfernteren glimmten zinnoberrot. Oh, mit was für einer schönen Linienführung dehnte der Pinsel der Natur die Luft in die Weite und hob sie ab von den Palästen in der Art, wie es Vicellio in seinen Landschaften macht.« So wenig Aretino die Wolken f o r m e n gesehen hat, sondern nur an ihrer Farbigkeit sich berauschte, so wenig haben Tizian und Rubens, Poussin oder Claude sie eingehender studiert; keiner von ihnen hat das von Leonardo Beobachtete aufgegriffen oder fortgesetzt. Was jener wohl als etwas nicht in den Bereich des Künstlerischen Gehöriges angesehen hat, haben sie nicht einmal wahrgenommen. Claudes Wolken sind unbestimmt in den Formen, sie sind flach, flächig und den Notwendigkeiten der Bildkomposition bis zur Entstellung ihres Wesens angepaßt; Leitmotive für die Augen der Betrachter (Abb. 2)14. Tizian gab majestätische Wolkenarchitekturen, ebenso Poussin. Beide erfaßten wenig von der spezifischen Wolkensubstanz, ihrer eigentümlichen Leichtigkeit und — Schwere,· sie vereinfachten die Strukturen, vergrößerten die Formen bis
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zum Unmöglichen. Bei Tizian gibt es Cumuluswolken, die auch an der unteren Seite einen Ballenkontur zeigen, was in der Wirklichkeit nicht vorkommt und nicht vorkommen kann. Und Rubens steigerte die »luftigen Gebilde« in eine so hohe dramatische Aktivität, daß ein wichtiger Teil ihres Charakters dabei verlorenging, ihre Tatenlosigkeit, ihr Folgedasein, ihre Getriebenheit, ihre wesentlidh bewirkte Natur. Vielleicht hätte er mit Recht sagen können, daß er der Welt zum ersten Male gezeigt habe, »was für vornehme Wesen diese Wolken sind und mit welchen Gefühlen wir sie nach dem Willen ihres Schöpfers betrachten sollten«, indem er so durch seine Phantasie vorausnahm, was Ruskin durch Beweise darzutun hoffte 15 . Allein Rubens war ein zu gewaltiger und durch Gewalt getriebener Mann, als daß er jenen gelassenen Blick hätte haben können, der allein dem stillen Wesen der Wolken — auch noch der drohendsten — gerecht zu werden vermag; ein solch verweilendes Auge besaßen die Holländer des 17. Jahrhunderts, vor allem der schwermütige Jacob Ruisdael und der sanfte Aelbert Cuyp. Sie waren vielleicht die ersten, die mit intensivem Interesse Wolken künstlerisch beobachteten, das einzelne an ihnen feststellend und zugleich sie im Zusammenhange erfassend und gestaltend, nicht nur gesonderte Gebilde, sondern Himmelsl a n d s c h a f t e n , das Wort in seiner Bedeutung der Vereinheitlichung durch den Geist verstanden. Diese Einstellung ging im achtzehnten Jahrhundert weitgehend wieder verloren, wo man in mehr konventioneller Weise mit den Erscheinungen von Himmel und Atmosphäre umging. Damals ermangelte es der notwendigen Kühnheit im Künstlerischen, um tatsächlich »nach den Wolken zu greifen«. Man begnügte sich mit den Bildern und hielt sich, nachsprechend, in dem von ihnen schon Erreichten.
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Als Beispiel dafür können die Wolkenstudien des Engländers Alexander Cozens (1717—1786) gelten. (Abb. 3. 4.) Sie erinnern an das, was erst im neunzehnten Jahrhundert verwirklicht wurde, sind aber substantiell von den Versuchen der Späteren ganz verschieden. Cozens studierte Wolken, um sie effektvoll in seinen komponierten Landschaften zu verwenden, nicht um in sachlicher Weise ihrer Formen habhaft zu werden, sie aus ihren Formen zu verstehen16. Dieselbe Auffassung läßt sich auch für die französische Malerei belegen. In einem etwa 1770 gehaltenen Vortrage über das Kolorit sagte der Maler Desportes: »On fait encore usage avec succès des ombres accidentelles, c'est-à-dire dont la cause est hors du tableau, pourvu qu'elles soient vraisemblables, comme dans le paysage où les nuées produisent naturellement ces effets qui servent à faire fuir les divers terrains17.« Ein unmittelbares und in einem neuen Sinne wahrhaftiges Interesse für die Wolken begann zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zu entstehen, wissenschaftlich und künstlerisch, zuerst getrennt, dann sich verbindend und aus der Verbindung neue Kraft zu höherer Einsicht gewin-
nend, von der Gesetzmäßigkeit des Wirklichen zur Schönheit des Wahren aufsteigend. Der Antrieb hierzu lag in der allgemeinen Weltauffassung der R o m a n t i k , in ihrem Verlangen, ihrer Sehnsucht nach der Ferne, dem Unerreichbaren, dem sich Wandelnden, Unbestimmten, dem, dessen Form es ist, jede bestimmte Form zu negieren, immer alles Mögliche sein zu können, ihrer süchtigen Liebe zu alledem, das sie als Symbol der U η e n d l i c h k e i t verstand. Ein solches Interesse hatten die Epochen, deren Kunst und deren Weltbild auf Vollendung in der Klarheit und der Begrenzung, in der festen Form und der Plastizität gerichtet waren, nicht haben können. Dagegen, der aufs Verströmen ins Unendliche gerichtete Geist der Romantiker fand ein Entzücken an den Wolken, an ihren Gestalten und an ihrem Wesen, einen Genuß halb philosophischer halb sinnlicher Art, der sie dann aber bei dem Studium derselben auf das zurückbrachte, was sie am wenigsten erwartet hatten, eine Gesetzmäßigkeit, die sich audi hier und sogar im Gewände der scheinbar unbeschränkten Zufälle erwies. Beide Motive sind wirksam geworden, das scheinbar Grenzenlose der Wolken wie ihre Gesetzmäßigkeit. »Es macht mir großes Vergnügen«, schrieb Shelley am 10. Juli 1818 an Mr. und Mrs. Gisborne, »hier den Wechsel der Atmosphäre zu beobachten, das Wachsen der Gewitterschauer, die oft zu Mittag heraufkommen und die gegen Abend auseinanderbrechen und sich in Flocken und zarte Wölkchen auflösen.« In solchen Beobachtungen ist bereits unter dem Wandel der Erscheinungen das Gesetzmäßige gesehen oder wenigstens geahnt; unter der Anziehungskraft, die jene Vorgänge in ihrem Doppelaspekt ausübten, entstanden dann Kunstwerke: die Wolkengedichte von Coleridge, Shelley und Goethe sowie die Wolkenstudien von Turner, Constable, Dahl und Blechen, um nur die ersten zu nennen, die sich damit abgaben. In ihren Werken erschienen Wolken nicht wie früher innerhalb von Landschaften, nicht bloß als Staffage noch als Stimmungsträger oder im Dienste von Beleuchtungseffekten, sondern als zentrale, oft auch als einzige Motive, entdeckt und geformt eben durch die Originalität des romantischen Blickes. Aber auch die Geschichte und die theoretische Wissenschaft hat sich damals der Wolkenprobleme bemächtigt. Ruskin war es, der sie aufgriff. Im Inhaltsverzeichnis von >Modern Painters< nehmen die Angaben unter dem Stichwort »clouds« (Wolken) fast drei Seiten ein ; in vier von den fünf Bänden dieses Werkes finden sich längere Abhandlungen über die Wolken und ihre Darstellung in Malerei und Literatur. Am Leitfaden der Ruskinschen Anmerkungen kann man sich durch die Wolkendarstellung in der Malerei der verschiedenen Epochen durchtasten — bis zu Turner; selbstverständlich bedürfen Ruskins Urteile oft der Berichtigung und Ergänzung. Wenn er darüber klagte, daß »die wahren Wolken« bisher von den Malern vernachlässigt worden seien, kann man sich eines ge-
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wissen ironischen Gefühles nicht erwehren, schrieb er doch etwa im Jahre 1840. Sicherlich wußte er von Constables Bemühungen um die wahre Darstellung von Wolken. Wenn er seine Studien nicht gesehen hat, (was möglich wäre), so mußte er doch aus Constables großen Bildern die Ergebnisse dieser Studien kennen. Jedoch, Ruskin hatte keine Sympathie für Constables Kunst, »die dem Klecksen und Pfuschen der Moderne Vorschub leistete«18, und zudem, auch auf diesem Gebiete sollte seinem Helden Turner das ausschließliche Verdienst und der Ruhm bleiben. Ruskins Stellungnahme war aber nicht ganz und gar subjektiv. Sie enthielt auch ein allgemeines historisches Moment. Der große Kritiker gehörte nicht mehr zu jener Generation der Romantiker, die noch aus dem achtzehnten Jahrhundert stammte. Er leitete schon zu jener Spätphase über, die ihren Höhepunkt in Richard Wagner fand, auch er ein großer Wolkenverehrer und -liebhaber. Diese Späteren hatten eine Einstellung zu ihren eigenen Neigungen und Kräften, die sehr verschieden war von derjenigen der Frühromantiker. Sie gaben sich ihren Gefühlen hin, bis ihr Ich sich darin auflöste, sie zielten auf die äußersten Extreme des Erlebens, auf eine auflodernde oder schmelzende Überwältigung, während die Älteren versuchten, ihre Gefühlserlebnisse zu fassen, die Verwirrung derselben in wechselnden Bildern zu beherrschen und das Chaos durch eine, wenn auch oft nur lose Ordnung zu überwinden. Dieser Unterschied bedeutet viel für die historische Verschiedenheit von Turner und Constable,· Turner gehörte zu dem jüngeren, Constable zu dem älteren Typus der Romantiker, wiewohl auch Constable am Ende seines Lebens in eine Art von Chaos geriet, nicht mehr fähig, in seinen Werken eine klare Ordnung aufrechtzuhalten. Dennoch war die Grundtendenz seines Schaffens eine andere, sie war dem Chaotisch-Extremen, dem Elementar-Stofflichen entgegengesetzt. Wie wichtig die Wolken als ein ästhetisches Phänomen für die Epoche waren, daß sie nämlich zum Range eines beherrschenden Kriteriums sich erhoben, kann man aus folgenden Sätzen Ruskins entnehmen, die 1856 veröffentlicht wurden. Sie stehen an derjenigen Stelle, an der Ruskin begann, die Unterschiede zwischen mittelalterlicher und moderner Landschaftsdarstellung auseinanderzusetzen. Dort heißt es von der modernen Landschaft: das erste, das uns an ihr auffallen wird oder auffallen sollte, ist ihre Wolkigkeit (cloudiness). »Aus der vollkommenen Helle und der bewegungslosen Luft der mittelalterlichen Kunst finden wir uns plötzlich unter dunklem Himmel und in treibenden Wind versetzt; während unstete Sonnenstrahlen uns ins Gesicht blitzen oder wir von Regenschauern durchnäßt werden, sind wir dazu gezwungen, die wechselnden Schatten auf dem Grase aufzuspüren oder die Spuren der Dämmerung zwischen bösen Wolken zu beobachten. Und wir finden, daß die ganze Lust der mittelalterlichen Menschen in der Stetigkeit, Bestimmtheit und Licht-
haftìgkeit lag, während wir uns nun an der Dunkelheit und am Wechsel erfreuen sollen; wir sollen unser Glück in Dingen finden, die in jedem Augenblick sich ändern oder vergehen; wir sollen die äußerste Befriedigung und Belehrung von dem erwarten, was man nicht halten kann und was schwer zu begreifen ist. Wir finden jedoch zusammen mit diesem allgemeinen Genuß an Wind und Dunkelheit eine große Aufmerksamkeit für die wirklichen Formen der Wolken und ein gewissenhaftes Darstellen von Nebel oder Dunst, derart, daß das Erscheinen der Gegenstände darin für uns zum Gegenstand einer Wissenschaft wird. Der gewissenhaften Wiedergabe dieses Erscheinens ist unter dem Namen Luftperspektive höchste Wichtigkeit beigemessen. Der Anblick von Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, zusammen mit allen sie begleitenden Erscheinungen von Wolken und Dunst, werden aufmerksam geschildert, und in einer gewöhnlichen Tageslichtlandschaft wird der Himmel für so wichtig angesehen, daß eine Hauptgrappe von Laubmassen oder der ganze Vordergrund ohne Zögern in Schatten gelegt wird, nur um die Form einer weißen Wolke herauszuheben. Wenn man also einen allgemeinen und charakteristischen Namen für die moderne Landschaft brauchte, so könnte dafür kein besserer erfunden werden als >Wolkendienst< (the service of clouds).«19 Ruskins Darstellung im allgemeinen zeigt nun jene doppelte Tendenz, welche die Spätromantik als eine Gesamteigentümlichkeit auszeichnet: Gefühlsüberschwang und Rationalismus. Beide stellten eine Reaktion der künstlerischen Fähigkeiten der Epoche auf das immer stärker sich entwickelnde und sich ausbreitende naturwissenschaftliche Denken und Auffassen vor, dem auch der Kritiker unterlag, der ja in diesem besonderen Falle außergewöhnlich künstlerisch begabt war. Für die Künstler wie für die Dichter war es unmöglich geworden zu produzieren, ohne sich in irgendeiner Weise mit naturwissenschaftlichen Methoden und Resultaten auseinanderzusetzen, hatte doch die Gesamtauffassung des Lebens und seiner Grundlagen sich unter dem Einfluß der Wissenschaft bereits weitgehend geändert. Wie nun aber die romantische Epoche in ihren verschiedenen Abschnitten eine verschiedene Stellung zum Gefühl und zur Verstandestätigkeit einnahm und sich dadurch chronologisch in Gegensätze zerlegte, so zeigten ihre Vertreter in ein und demselben Zeitabschnitt wiederum scharfe Gegensätze, je nachdem, ob in ihrem Wesen das Gefühl oder der Verstand überwog und herrschte. Aus solchem Grunde stand Ruskin in seltsamem Widersprüche zu seinem »Helden« Turner. Des Theoretikers Natur drängte über alle Gefühlserlebnisse hinweg auf die rationale Seite des Auffassens, während der schaffende Maler in diesem Falle seine Ausdrucksform gerade in der affektvollen, in der stimmungsvollen Interpretation der Wirklichkeit und in einer Uberladung des Natürlichen mit
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der Stimmung der Hingegebenheit, des Sich-verflüchtigens im Unendlichen fand. Und nun versuchte Ruskin mit allen Mitteln, in Turners Formauflösungen und Lichthalluzinationen die Wahrheit, die Treue zur Natur herauszustellen, gerade sie als deren besonderen Wert herauszustreichen. Es liegt auf der Hand, daß er bei diesem Bemühen in große Schwierigkeiten betreffs der Idee der Wahrheit in der Kunst geraten mußte, da er zuviel zu beweisen unternahm,· entsprachen doch Turners Landschaften eben durchaus nicht denjenigen Vorstellungen von der Dinglichkeit der Natur, welche im allgemeinen als wahr empfunden wurden, der Bestimmtheit der Phänomene, unterworfen den Prinzipien der Objektivität, der Normalität und des Typischen. Das, was Ruskin bei Turner suchte oder in seinen Werken zu entdecken glaubte, wurde, von ihm unbemerkt, in einer anderen Strömung der späteren Romantik geleistet. Dort unternahmen es Maler wie Dichter — mit ganz anderen Mitteln als Turner und aus einer anderen Gesinnung heraus —, wahr in der Kunst zu sein. Sie versuchten, ihre Empfindungen und Vorstellungen an den wissenschaftlich erarbeiteten Einsichten in Naturphänomene zu entwickeln, an diesen als einer allgemeinen und unumstößlichen Erfahrung ihre subjektiven Gefühle zu kontrollieren und ihr ahnendes Vermögen des Unendlichen mit Hilfe wissenschaftlich gesicherter Gesetzmäßigkeit zu erweitern. Die Männer, die dieser Richtung angehörten, waren es, für die die Wolken ein besonderes, geradezu ein paradigmatisches Problem bildeten. Betrachtet man diejenigen Kunst- und Dichtwerke der Romantik, die sich ausdrücklich mit dem Wolkenstudium befaßten, in Hinsicht darauf, ob sich ein geistiger Zusammenhang in ihrer Entstehung aufweisen lasse, so tritt hinter dem Vordergrundaspekt, welcher die Wolkendarstellungen dieser Zeit aus romantischem Unendlichkeitsdrang versteht, ein zweiter, geradezu entgegengesetzter hervor. Es zeigt sich als Antrieb ein Streben, der ungewissen, grenzenlosen Formenmannigfaltigkeit der Wolken, ihrer Wandlungen und Geheimnisse durch das Erkennen einer in ihnen wirksamen Gesetzmäßigkeit Herr zu werden, und zwar im Anschluß und auf Grund einer aus den nüchternsten Überlegungen und aus dem klassifizierenden Geiste des achtzehnten Jahrhunderts hervorgegangenen wissenschaftlichen Leistung, welche in den ersten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts von London aus bekannt gemacht wurde.
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II.
Goethe und Luke Howard Durch nicht gewöhnliche Umstände sind wir über das Entstehen dieser Arbeit, welche die wissenschaftliche Grundlegung einer neuen Forschungsdisziplin darstellte, genau unterrichtet. »Mein Freund Allen und ich gehörten zu einer auserlesenen philosophischen Gesellschaft, welche vierzehntägig im Winter in London zusammenkam; jedes Mitglied war verpflichtet, der Reihe nach einen Versuch zur Prüfung vorzulegen oder eine Buße zu zahlen. Dieser Veipfliditung gemäß fand ich mich veranlaßt, der Gesellschaft unter andern weniger originellen Papieren den V e r s u c h ü b e r d i e W o l k e n vorzulegen. Man hielt ihn öffentlicher Mitteilung wert, und er ward in Tillochs Philosophischem Magazin abgedruckt, dessen Herausgeber zu unseren Mitgliedern gehörte. Umstände haben längst diese kleine Brüderschaft aufgelöst, die, solange sie bestand, sich die Askesian Society nannte, von άσκηση exercitatio...« Der Verfasser des Essays >On the modifications of clouds«, der diese Zeilen in einer autobiographischen Skizze, datiert vom 21. Februar 1822, schrieb, war Luke Howard. Sein Name ist den Historikern der Meteorologie bekannt; doch wäre er kaum in irgendeinem Zusammenhang mit Poesie und Malerei erwähnt worden, hätte nicht Goethe, der auch die eben zitierte Stelle übersetzte20, sein Andenken weithin sichtbar bewahrt. Goethes Gedichte, welche so unpoetisch Stratus, Cirrus, Cumulus und Nimbus überschrieben sind, und das vorangesetzte Gedicht, genannt »Howards Ehrengedächtnis«, sind es, die das Verdienst eines Mannes überliefert haben, der »als erster die luftigen, immer veränderlichen Wolkengebilde in Begriffen festgehalten, das Unbestimmte, nicht zu Haltende nodi zu Erreichende eingeschränkt und treffend benannt« habe, des Mannes, »der Wolken unterschied«. In Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« ist eine Abteilung M e t e o r o l o g i e , die im Zusammenhange mit Howards Arbeiten verfaßt worden ist. Sie enthält einen Artikel > W o l k e n g e s t a l t n a c h H o w a r d « von 1820, geschrieben schon i8r7, zusammengesetzt aus Mitteilungen von H o w a r d s T e r m i n o l o g i e , einem T a g e b u c h einer Badereise, in welchem Wetterbeobachtungen nach Howards Methode aufgezeichnet sind; es folgt eine E r l ä u t e r u n g sowohl der Howard-
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sehen Begriffe als der ihnen entsprechenden Erscheinungen, und als Schluß sind die erwähnten Gedichte, nebst einleitenden und beschließenden Verszeilen abgedruckt. Wie sehr ihn Howards Lehre beschäftigte, gab Goethe launisch zu verstehen, wenn er, zu sich selbst sprechend, dichtete: Du Schüler Howards, wunderlich Siehst morgens um und über dich, Ob Nebel fallen, ob sie steigen, Und was sich für Gewölke zeigen. Auf Berges Ferne ballt sich auf Ein Alpenheer, beeist zu Häuf, Und oben drüber flüchtig schweifen Gefiedert weiße luftige Streifen; Doch unten senkt sich grau und grauer Aus Wolkenschicht ein Regenschauer. Und wenn bei stillem Dämmerlicht Ein allerliebstes Treugesicht Auf holder Schwelle dir begegnet, Weißt du, ob's heitert? ob es regnet?
Welch großen Wert Goethe den atmosphärischen Studien Howards beilegte, geht aus einem seiner Briefe an Zelter, datiert Marienbad, den 24. Juli 1823, hervor. Darin schrieb Goethe: »Wie ich mit der Erdkunde mich vielleicht mehr als billig beschäftigt habe, so fange ich jetzt auch mit den Atmosphärischen Reichen an,· und war's nur um zu erfahren, wie man denkt und denken kann, so ist das schon ein Vorgewinn. Man weiß recht gut, daß der Mensch Alles, Gott selbst und das Göttliche an sich heranziehen, sich zueignen muß; aber auch dieses Heranziehen hat seine Grade, es gibt ein hohes und ein gemeines.« Die Gedichte, in welchen die Wolkengebilde auf »hohe« Weise von Goethe aufgefaßt waren, lauten:
Atmosphäre »Die Welt, sie ist so groß und breit, Der Himmel auch so hehr und weit; Ich muß das alles mit Augen fassen, Will sich aber nicht recht denken lassen.«
Dich im Unendlichen zu finden, Mußt unterscheiden und dann verbinden,· Drum danket mein beflügelt Lied Dem Manne, der Wolken unterschied.
Howards
Ehrengedächtnis
Wenn Gottheit Kamarupa, hoch und hehr, Durch Lüfte schwankend wandelt, leicht und schwer, Des Schleiers Falten sammelt, sie zerstreut, Am Wechsel der Gestalten sich erfreut, Jetzt starr sich hält, dann schwindet wie ein Traum: Da staunen wir und traun dem Auge kaum. Nun regt sich kühn des eignen Bildens Kraft, Die Unbestimmtes zu Bestimmtem schafft: Da droht ein Leu, dort wogt ein Elephant, Kameeies Hals, zum Drachen umgewandt; Ein Heer zieht an, doch triumphiert es nicht, Da es die Macht am steilen Felsen bricht; Der treuste Wolkenbote selbst zerstiebt, Eh' er die Fern' erreicht, wohin man liebt. Er aber, Howard, gibt mit reinem Sinn Uns neuer Lehre herrlichsten Gewinn: Was sich nicht halten, nicht erreichen läßt, Er faßt es an, er hält zuerst es fest, Bestimmt das Unbestimmte, schränkt es ein, Benennt es treffend! — Sei die Ehre dein! — Wie Streife steigt, sich ballt, zerflattert, fällt, Erinnre dankbar deiner sich die Welt.
Stratus Wenn von dem stillen Wasserspiegel-Plan Ein Nebel hebt den flachen Teppich an, Der Mond, dem Wallen des Erscheine vereint, Als ein Gespenst, Gespenster bildend, scheint, Dann sind wir alle, das gestehn wir nur, Erquickt', erfreute Kinder, o Natur!
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Dann hebt sidi's wohl am Berge, sammelnd breit An Streife Streifen; so umdüstert's weit Die Mittelhöhe, beidem gleich geneigt, Ob's fallend wässert oder luftig steigt. Cumulus Und wenn darauf zu höhrer Atmosphäre Der tüchtige Gehalt berufen wäre, Steht Wolke hoch, zum herrlichsten geballt, Verkündet, festgebildet, Machtgewalt, Und, was ihr fürchtet und auch wohl erlebt, Wie's oben drohet, so es unten bebt. Cirrus Doch immer höher steigt der edle Drang! Erlösung ist ein himmlisch leichter Zwang. Ein Aufgehäuftes,flockiglöst sich's auf, Wie Schäflein trippelnd, leicht gekämmt zu Häuf. So fließt zuletzt, was unten leicht entstand, Dem Vater oben still in Schoß und Hand. Nimbus Nun laßt auch niederwärts, durch Erdgewalt Herabgezogen, was sich hoch geballt, In Donnerwettern wütend sich ergehn, Heerscharen gleich entrollen und verwehn! — Der Erde tätig-leidendes Geschick. Doch mit dem Bilde hebet euren Blick: Die Rede geht herab, denn sie beschreibt; Der Geist will aufwärts, wo er ewig bleibt. W o h l zu m e r k e n !
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Und wenn wir unterschieden haben, Dann müssen wir lebendige Gaben Dem Abgesonderten wieder verleihn Und uns eines Folgelebens erfreun.
So, wenn der Maler, der Poet, Mit Howards Sondrung wohl vertraut, Des Morgens früh, am Abend spät Die Atmosphäre prüfend schaut, Da läßt er den Charakter gelten; Doch ihm erteilen luftge Welten Das Ubergängliche, das Milde, Daß er es fasse, fühle, bilde21. Ein zweiter Artikel der Abteilung >Meteorologie< in Goethes Werken gibt dann jene Autobiographie Howards wieder, der meine einleitenden Sätze entnommen waren, von Goethe selbst, unter dem Titel >Luke Howard an GoetheGestaltung großer anorganischer Massen< (1824) ganz ausdrücklich. Durch diese Begriffe »kommt auch der Zeichner ganz allein zur Fähigkeit«, die Gebilde »richtig und wahrhaft darzustellen, indem er das Unsichtbare durch das Sichtbare sich verdeutlicht und den allgemeinen Charakter im Kleinen wie im Ungeheuren durchzuführen vermag. D i e U r g e s t a l t u n g wird ihm klar«. Goethe hatte dabei eine Wirklichkeitswiedergabe im Auge, welche mit ihren künstlerischen Mitteln auch den wissenschaftlichen Erkenntnissen genügt und die von der Wissenschaft erforschte Gesetzmäßigkeit der Natur zur Anschauung bringt. Er ging dabei von einer Vorstellung aus, analog derjenigen, welche sich die Renaissancemaler vom Wert der Einführung der wissenschaftlichen Perspektive machten: ein erhöhtes Verständnis der Wirklichkeit, welches fähig war, »das Ganze in der Anschauung gewissermaßen zu beherrschen«, sollte in beiden Fällen sich ergeben und sich darstellen. Es gab da aber einen bedeutsamen Unterschied. Das wissenschaftliche Verständnis der Realität zur Zeit der Renaissance bezog sich auf den Raum, Goethes dagegen wesentlich auf die Zeit, es war genetisch. Wie die räumlich erscheinenden Phänomene z u s t a n d e g e k o m m e n seien, das war es, was er vom Maler verstanden wissen und verständlich dargestellt sehen wollte. Wenn es gelang, im zeitlichen Wechsel konstante Formen aufzudecken, so hatte man — nach seiner Meinung — Urges tal tungen vor sich, in denen das Wesen der betreffenden Erscheinungen unmittelbar zutage trat. Von dem wissenschaftlichen Interesse der Renaissance-Künstler aber war Goethes Einstellung noch in einer anderen Hinsicht verschieden. Das Bestreben von Männern wie Leonardo da Vinci oder Piero della Francesca ging dahin, die Malerei zum Range einer Wissenschaft zu erheben, die ihre Erkenntnisse von Optik, Anatomie, Bewegung demonstrierte,· Goethes Absicht jedoch war, Kunst und Wissenschaft aus ihrer Vereinzelung zu lösen, sie füreinander fruchtbar zu machen und wechselseitig zu fördern, aus der Uberzeugung, daß Künstler wie Forscher die Aufgabe hätten, »die Erscheinungen der Außenwelt mit sich in Harmonie zu setzen«. So war es Goethe gleich wichtig, Howards Entdeckung durch Künstler auf wissenschaftlichen Tafeln anschaulich machen zu lassen und sie für die Verbesserung der Darstellung von Wolken auf Gemälden nutzbar zu machen. Dies letztere lag ihm vielleicht noch mehr am Herzen. Denn es ist zu bedenken, daß dem greisen Goethe die Ausbildung von Künstlern zu einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit geworden war, und zwar im Zusammenhange mit dem Wohle des ganzen Volkes. Außerhalb seiner Dichtung, von der er wußte, daß sie nicht populär wer-
den würde, gedachte er am besten auf die deutsche Nation zu wirken, wenn er begabte junge Leute dazu erzog, ihr Anschauungsvermögen zu bereichern, zu ordnen und zu veredeln, damit sie durch Kunstwerke der Ordnung und des Maßes dem Hang des Volkes zu maßlosem Schweifen in Gedanken und zu pathologischem Fühlen entgegenwirkten. Unter diesen Gesichtspunkten studierte er dann selbst die Natur, wie er ausdrücklich in der Einleitung zu den >Propyläen< sagte, wo es heißt: »Wenn wir nun Bemerkungen und Betrachtungen über Natur vorzulegen versprechen, so müssen wir zugleich anzeigen, daß es besonders solche sein werden, die sich zunächst auf bildliche Kunst, sowie auf Kunst überhaupt, dann aber auch auf allgemeine Bildung des Künstlers beziehen«. Obwohl es nicht fraglich ist, daß die künstlerische Darstellung durch wissenschaftliche Erkenntnisse in bestimmter Weise gefördert werden kann, wie die Resultate der Anatomie, der Perspektive, der Physiologie und der Optik dies getan haben (diese Wissenschaften >verbessern< die Kunst zwar nicht, eröffnen ihr aber neue Felder der Betätigung, beunruhigen die Konvention), unter dem Einflüsse Goethes hat kaum ein Maler aus wissenschaftlichen Bestimmungen die von dem Dichter gewonnene und für die darstellenden Künste von ihm herbeigesehnte neue Höhe erreicht; keiner der Jüngeren, der mit diesen Ideen Goethes bekannt wurde, hatte die Kraft, sie in seiner Kunst zu verwirklichen. Wenn es aber einem oder dem anderen in einer gewissen Beziehung gelang, so versagte er doch dem Ganzen gegenüber. Dafür ist Joseph Anton Koch (1768—1839) ein Beispiel. Dieser aus Tirol gebürtige, vorwiegend in Italien arbeitende, klassizistische Landschaftsmaler faßte den Naturzusammenhang auf als ein gesetzmäßig gestaltetes plastisches Gebilde der Erdoberfläche, besaß geognostische Kenntnisse und legte diese seinen Naturdarstellungen zugrunde. Wie er die Struktur der Erdoberfläche wissenschaftlich verstand, so suchte er diese in seinen Landschaften klarzulegen, und ließ deshalb Vegetation nur soweit zu, als sie den Bau des Geländes nicht verbarg. Solche Klarheit hat auch Goethe für die Malerei gewünscht. Wenn er nun aber mit der Forderung auftrat, auch die Wolken wissenschaftlich verstanden zu malen, so versagte Koch in dieser Hinsicht durchaus. Er wendete seine Erd-»prinzipien« nicht auf den Himmel an. Seine Wolken sind nicht auf ihre Charaktere hin beobachtet, nicht prinzipiell durchschaut, sondern sehr allgemein gehalten, sie sind dramatisiert und zum Aufbau der Bildkomposition in eine solche Beziehung gebracht, als hätten sie keinen eigenen Gesetzen zu gehorchen; seine Cirrus- und Cumuluswolken stellen oft nichts anderes als eine angemessene Füllung der Bildfläche vor, wie das ein Maler auffassen mochte, der in seinen >Gedanken über ältere und neuere Malerei< schrieb: »Das Schöne und das Erhabene sind die Vorwürfe der bildenden Kunst, aus der Natur wird die grobe Materie genommen und wird in ein Kunstwerk umgebildet34«.
Blickt man dann auf die ausgesprochen romantischen Stimmungsmaler jener Zeit, so waren sie im allgemeinen jedem Eindringen wissenschaftlicher Resultate und wissenschaftlicher >Richtigkeit< in die Sphäre ihres künstlerischen Gefühles abhold. So war es erfolglos, daß Goethe versuchte, den Maler Caspar David Friedrich in Dresden auf die Howardsche Wolkenlehre hinzuweisen. »In den Briefen der Luise Seidler an Goethe (von 1816) lassen sich diese Wolkenaufträge, die wie Geheimnisse behandelt werden, trefflich verfolgen. Entrüstet berichtet die Malerin, wie >der Unartigeideale< Stimmimg zu geben, die von »Urgestaltungen« nichts ahnte und nichts wissen wollte, sondern sich der verfallenden Zeit verschrieb. Der ganze Gegensatz der Auffassungen Goethes und Caspar David Friedrichs kam an solchem Problem zum Ausdrude, ein Gegensatz viel weniger des Stiles als der Naturen, der Persönlichkeiten. Gegenüber dem Augenmenschen Goethe, dessen Ideal es war, gegenständlich zu denken, trat hier ein Maler auf, der niedergeschrieben hat: »Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest ein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen37«, ein schrankenloser Subjektivist, der jede objektive Bindung ablehnte, jedem Sein gegenüber die Wirkung, jedem Gesetz gegenüber sein Gefühl in die Waagschale warf, ein Maler, der glaubte, »die einzig wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines reinen, kindlichen Gemütes«, und der predigte: »hütet euch vor kalter Vielwisserei, sie tötet eure Seele37.« Unter kalter Vielwisserei verstand er aber auch jene für Goethe so wichtige Gesetzmäßigkeit in den Objekten, die zu Ende gebrachte Einsicht, die sich in der vollendeten Form, klar begrenzt, ausspricht und sich mit anderen klar begrenzten Formen verbindet. Sie gerade wollte Friedrich überspringen, um »das Göttliche, Unendliche« zu erreichen, das ihm als des Menschen »Ziel« erschien. So verschloß er sich der wissenschaftlich-überwissenschaftlichen Er-
kenntnis der Wolken, die Goethe ihm zuteil werden lassen wollte. Und doch hatten ihn als Romantiker Wolken in so hohem Grade angezogen und interessiert, daß er schon früher besondere Wolkenstudien gefertigt hatte. Das waren zwar keine selbständigen Gemälde, sondern nur kleine gezeichnete oder getuschte Studien. In einem Skizzenbudi38 finden sich von ihm eine Anzahl Wolkenblätter aus den Jahren 1806 und 1807. Sie scheinen in Loschwitz bei Dresden entstanden und geben meist Abend- oder Nachtstimmungen wieder, Wolken in dämmriger oder Mondbeleuchtung, also eine besondere Art Lichtwolken, viel mehr Lichtphänomene als atmosphärische Bildungen. Gerade in Hinsicht auf die Formen sind sie äußerst schwach und uncharakteristisdi. Uber diese ist Friedrich gleidi zum Stimmungsmäßigen fortgegangen — ein Blatt hat die Beischrift: Abend stille Luft —, gerade das Morphologische hat er darüber verabsäumt. Zu ihnen hat sich Ludwig Grote38 folgendermaßen geäußert: »Manchen Zeichnungen hat er (Friedrich) durch Sepialavierung Stimmung und räumliche Tiefe gegeben. Am schönsten sind die beiden Mondscheinhimmel. Der eine hat dramatischen Charakter: eine dunkle Wand droht von unten her den Himmel zu verschlingen, eine andere Wolke hängt von oben herein, und in der Lücke zwischen beiden schwebt tröstend die volle Scheibe des Mondes. (Abb. 9.) Auf dem anderen Blatte steht der Mond über einer dunklen Bergsilhouette. . . . Diese Studien lassen erkennen, daß für Friedrich die Wolken nicht ein >ungeregeltes Ungefähr< sind, sondern ihm >hohen Sinn und ewige Bedeutung< offenbaren. Das Leben seiner Seele spiegelt sich ihm im Leben des Himmels wider.« Das ist sehr zutreffend gesagt, allerdings (im Gegensatz zu Grote) gar nicht im Sinne von Caras zu verstehen, wie sidi zeigen wird. Denn dieser, der in der Betrachtung und Auffassung der Wolken von Goethe abhing, war durchaus gegen jede symbolische oder gleichnishafte Auslegung derselben, die sich nicht vorher aufs genaueste ihrer charakteristischen Formen versichert hätte. Wenn Carus schrieb39: »Alles, was in der Menschenbrust widerklingt, ein Erhellen und Verfinstern, ein Entwickeln und Auflösen, ein Bilden und Zerstören, alles schwebt in den zarten Gebilden der Wolkenregionen vor unseren Sinnen«, so wollte er das an den Wolken aus jener Gesetzlichkeit begriffen wissen, die Howard erkannt und Goethe dichterisch gedeutet hatte. Das aber trat erst über zehn Jahre nach der Entstehung von Friedrichs Wolkenskizzen ein.
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Was dieser hier geschaffen hat, besitzt durchaus die Eigentümlichkeit einer unentwickelten Empirie, die ihren Gegenstand und seine Formen noch nicht aus den Bedingungen seines Seins begreift. Diese Wolken, meist von Stratus-artiger Struktur, flach gestreckt, doch auch wieder mit den Rundungen der Cumuli, bisweilen nebelartig verlaufend, sind im Grunde als Flächenornamente mißverstanden; ihr Bau ist nicht gesehen und daher ignoriert, und ihre Massen sind in einem gleich-
mäßigen grauen Ton gehalten, wie sie der Bleistift bei mechanischem Schraffieren hervorbringt. Manche dieser Blätter tragen Hinweise auf die Färbung des Himmels, aber nicht der Wolken, ζ. B. »der ganze Himmel bewölkt mit etwas hell gelb«, oder so vage Indikationen wie »blau, helle Wolken«. Im ganzen zeigen die im Licht stehenden Wolkenbildungen hin und wieder eine einigermaßen charakteristische Form, die dunklen da-; gegen sind nur als Tonwert gegeben. In einem höheren Sinne für Caspar David Friedrich charakteristisch ist dann eine ölskizze der Hamburger Kunsthalle >Ziehende WolkenNebel im Elbtak (Beide abgebildet in Herbert von Einems >Caspar David Friedrich^ Abb. 71 und 74.) Die Schwächlichkeit und Schüchternheit, mit der sie dargestellt sind, lassen ermessen, was Friedrich verlor, als er Goethes Rat ausschlug, sich der Hilfe der Howardschen Unterscheidungen zu bedienen; durch sie zu einer Vollständigkeit des Begreifens im Einzelnen und des Zusammenhanges der Erscheinungen herangeführt, hätte er Wolken mit ganz anderer Kraft, mit ganz anderem Zugriff, plastisch statt silhouettierend, darstellen können, — sofern allerdings die theoretische Erkenntnis ihn nicht, wie er befürchtete, als künstlerisches Talent zerstörte, in einem anderen Sinne allerdings als er vermeinte. Die Theorie, um die es hier ging, hätte ihm zum Bewußtsein gebracht, daß er bislang nicht die Kraft besaß, das Plastische und das Graphische zu versöhnen, daß er nicht den Sinn sondern bloß den Stimmungszusammenhang der Dinge erfaßte, den er von einem einzelnen Objekte her, das ihn bewegte, als Mitte seiner Bildvorstellung entwickelte, bis er in jene Unbestimmtheit verströmte, welche ihm als Ausdruck der Unendlichkeit galt.
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III.
Carl Gustav Carus und die Dresdener Maler Goethes Anregungen folgten in der hier in Frage stehenden Hinsicht unmittelbar der hauptsächlich in Dresden tätige Norweger Johan Christian Clausen Dahl, historisch in doppelter Hinsicht bedeutsam als einer der hervorragendsten Landschaftsmaler der deutschen Romantik und als Begründer der norwegischen Landschaftsmalerei, und, im Anschluß an Dahl, Karl Blechen, Mitglied der Berliner Akademie seit 1835. Die Verbindimg zwischen Dahl und Goethe wurde hergestellt durch Carl Gustav Carus, von dem nun zuerst die Rede sein muß. Dahl hat die Bekanntschaft dieses inmitten des Kunstlebens stehenden Mannes bald nach seiner Ankunft in Dresden, im Jahre 1818 gemacht. Carus (1789—1869) war Physiologe, Psychologe, Naturphilosoph, Literat und Maler, ein Dilettant hohen Ranges, einer der gebildetsten Männer seiner Zeit. Er hatte in Leipzig Medizin studiert und war 1814 als Professor der Entbindungskunst und Direktor des Gynäkologischen Instituts nach Dresden berufen worden. 1827 wurde er zum Leibarzt des sächsischen königlichen Hauses ernannt. Neben seinen Berufsinteressen besaß er eine ausgesprochene Vorliebe für Kunst und Dichtung und veröffentlichte zahlreiche Schriften teils naturwissenschaftlichen, teils ästhetischen Charakters. In den letzteren zeigte er sich von Schelling und von Goethe beeinflußt; und es war dieser Einfluß, den er an die Dresdner Künstler weitergab. Innerhalb der wissenschaftlichen Resultate, die er übermittelte, spielte die Howardsche Wolkenterminologie und Wolkenscheidung, wie sie von Goethe interpretiert worden war, keine geringe Rolle, da sie ja zwei Seiten von Carus' Wesen ansprach und betraf. Carus veröff entlich te im Jahre 1831 >Neun Briefe über die Landschaf tsmalerei40< mit einem Briefe von Goethe als Einleitung. Sie wurden zwischen 181 s und 1824 geschrieben. Darin heißt es: »Hingeführt werde . . . der junge Landschaftsmaler auf Beachtung des Zusammenhanges, welcher notwendigerweise gewisse Gebirgsformen mit der inneren Struktur ihrer Massen in Ubereinstimmung setzt, und auf die Notwendigkeit, mit der wieder diese innere Struktur aus der Geschichte dieser Gebirge folgt, ferner auf die Notwendigkeit einer gewissen Vegetation für gewisse Standorte, auf den inneren, durchaus regelmäßigen und gesetzmäßigen Bau des Vegetabile, auf die Umstände, welche die Entwicklung der Pflanze, des
Baumes, des Strauches bald so, bald so modifizieren, auf die verschiedene Natur und die verschiedene Bewegung der Gewässer, aufgeklärt werde er über die eigentümlichen Gesetze der atmosphärischen Erscheinungen, die verschiedenartige Natur der Wolken, ihrer Bildung und Auflösung, wie ihrer Bewegung.« Dies waren genau die Goetheschen Forderungen, und zwar, wie bei diesem, auf alle natürlichen Erscheinungen ausgedehnt. Wenn Carus sie an die Maler stellte, so hatte das bei ihm noch seinen besonderen Grund darin, daß er, als Naturwissenschaftler, sich gedrängt fühlte, von der Kunst, welche Natur darstellte, Richtigkeit der Wiedergabe zu verlangen. Damit allerdings blieb er weit hinter und unter dem Gedankengange Goethes zurück. »Es ist in Wahrheit merkwürdig«, so führte er aus, »daß bei dem bisherigen Unterricht in Landschaftsmalerei man die Notwendigkeit eines naturwissenschaftlichen Teiles so ganz übersehen konnte, da man in anderen Zweigen bildender Kunst die Unerläßlichkeit des Zuziehens naturwissenschaftlicher Studien so bald einsah und zum Beispiel für die Darstellung menschlicher Gestalt recht gut gewahr wurde, wie große Aufklärung man von dem Studium des Gliedbaues menschlicher Gestalt, Beachtung ihrer Knochen- und Muskelbildung usw. für das richtige Auffassen und Wiederhervorbringen des Typus einer rein menschlichen Form erwarten dürfte.« Aber auch vom künstlerischen Gesichtspunkt gelangte er zu der gleichen Forderung. Er lehnte sowohl die Landschaftsmalerei ab, welche nach berühmten Mustern arbeitete und Bilder hervorbrachte, »die immer nur wieder an Bilder und niemals an die eigentliche Natur erinnern«, als auch jene, der es um nichts anderes zu tun war als »tun kenntliche Darstellung eines für Geschichte oder Politik wichtigen Ortes« (die Vedutenmalerei); die Künstler sollten »die große irdische, uns umgebende Natur« darstellen, nicht aber, wie manche seiner Zeitgenossen taten, aus dumpfer Ahnung oder eingebildetem, in die Erscheinungen hineingeheimnistem Wissen heraus. Dergleichen verwarf er als »abergläubische Mystik, welche irgendein durch Konvention und Tradition gegebenes Symbol in den Kreis der lebendigen Kunst einschwärzen möchte.« Die große Zeit der naiven Naturdarstellung, so setzte Carus auseinander, ist vorüber, das siebzehnte Jahrhundert nämlich, in welchem »uns echter landschaftlicher Natursinn entgegentritt«; — wenn nun die Frage sich ihm aufdrängte, »wie die unschuldig reine Auffassung der Kindheit jener Kunst in diesem Verstandeszeitalter bewerkstelligt werden sollte«, so stand, nach seiner Meinung, auch dem minder reich Begabten noch ein Weg offen, zum Urquell der Natur vorzudringen, und dieser Weg hieß Wissenschaft. »Alle bildende Kunst wird äußerlich bedingt durch zwei Organe, durch Auge und Hand, empfängt innerlich aber vom Eingeborenwerden göttlicher Ideen in ein reines Gemüt ihr eigentliches Leben«; — nun: »das Auge soll die Formen der Naturdinge nicht als ein willkürliches, unbestimmtes, gesetzloses und
deshalb sinnloses, sondern als ein durch göttliches Urleben bestimmtes, ewig gesetzmäßiges und höchst sinnvolles auffassen lernen.« »Wenn nicht eine kräftig und schön aufstrebende Seele« das Auge anleitet, so vermag das nur »eingreifende Wissenschaft«. Daher verlangte Carus aus Gründen einer höchsten Kunstpädagogik in der Landschaftsmalerei Ubereinstimmung der Kunstwerke mit den Ergebnissen naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Die Aufgabe war für ihn, im Gesehenen auch das Erforschte zu zeigen, im Kunstwerk Gefühl und Wissen zu vereinigen, zu identifizieren. Auf diese Weise sollte das einzelne Naturphänomen als Beispiel und Ausdruck des Naturgesetzes in seiner allgemeinen Bedeutung erfaßt und endlich jene letzte Einheit anschaulich gemacht werden, welche »allem..., was wir empfinden und denken, allem, was ist und was wir sind, zugrunde liegt.« Diese metaphysische Absicht seiner Lehre wird besonders deutlich, wenn Carus an der oben zitierten Stelle (die wie alle übrigen dieses Abschnittes aus den >Briefen über die Landschaftsmalerei< stammt) fortfährt: »Sind ihm (dem Landschaftsmaler) aber so die tieferen Elemente der Erde, des^Wassers, der Luft, wie sie die Grundlage der verschiedenen Erscheinungen des Erdenlebens bilden, zugänglicher geworden, so mögen nun insbesondere die Lebenswirkungen des vierten und geistigsten Elementes, des Feuers, des Lichtes . . . ihm erläutert werden; die Gesetze des Sehens, die verschiedenen Brechungen und Spiegelungen des Lichtes, die Entstehung der Farbe, damit er ein Nachbilden bei aller Freudigkeit und Heiterkeit nicht unternehme ohne Ehrfurcht, ja nicht ohne Andacht.« Denn es handelte sich, auch beim Malen der einfachsten Landschaft, um ein Zeugnis jener »ewigen, höchst unendlichen Einheit«, welche »die Sprache mit dem Worte: Gott andeutet«. Forderte Carus von dem Maler außer dem lebendigen Gefühl noch ein wissenschaftliches Verstehen der Natur, so tat er dies schließlich, um seinem Pantheismus noch auf andere Weise Gerechtigkeit und Ehrfurcht widerfahren zu lassen, um den Maler die objektive Seite der Dinge zu lehren und ihm das Verhältnis seines eigenen Ich zur Natur in einem höheren Verständnis zu eröffnen. Wohl kann man die Natur und das Leben im Gefühl unmittelbar und wahr ergreifen und beide so bis zum Grunde erleben; wieviel höher und tiefer jedoch gelangt derjenige, der eine klare Erkenntnis von den Dingen und von sich selbst besitzt, in der Schau der letzten Urgestaltungen und Urgesetze. Dies muß nicht nur auf Forschung und Philosophie sondern auch auf die Kunst zutreffen. Eine Ahnung dieser Einsicht hatte sich allmählich in Carus gebildet, sie »schwebte« als ein »Gefühl« in ihm, wollte sich aber lange nicht in Worte fassen lassen. Schließlich aber nahm die Idee eine klare Form an, und zwar gerade aufgrund der Lektüre von Goethes Wolkengedichten und
Wolkenbetrachtungen. Somit lieferten diese das entscheidende Prinzip von Carus' pädagogischer Theorie für die Landschaftsmalerei. Während vieles von dem, was er sonst über diesen Zweig der Kunst zu sagen wußte, aus den Meinungen herrührte, welche die Landschafter des Dresdener Kreises untereinander entwickelten, oder aus der Anwendung allgemeiner philosophischer Ideen seiner Zeit auf dies besondere Gebiet entstand, in diesem Punkte stellte Carus den Künstlern eine neue Lehre und eine neue praktische Methode vor. Er war mit seinen allgemein-ästhetischen Betrachtungen zu Ende gekommen und fand sich vor die Frage gestellt, »wie ein landschaftliches bedeutendes Kunstwerk in jetziger und künftiger Zeit . . . entstehen könnte.« Hier versagten seine Kräfte, er wußte keinen Rat, jedenfalls keinen deutlichen. Da kam ihm Goethe zu Hilfe. Er entband in ihm die Idee der »Hervorbringung von neuerer Kunst aus Wissenschaft«. So hat er dies selbst ausgesprochen: »Ungefähr auf gleiche Weise glaube auch ich über jenen Zustand der Landschaftsmalerei in neuerer Zeit meine Gedanken entfesselt gefunden zu haben, seit ich in Goethes 3. Heft zur Naturwissenschaft zuerst seine Betrachtungen über die Wolkenformen und dann das angefügte schöne Gedicht (Howards Ehrengedächtnis) zu guter Stunde gelesen hatte. Fragst du, was eben in diesem Gedichte mich so wunderbar bewegt hat, so wüßte ich mich darüber nur etwa auf d i e Weise auszusprechen: — Wenn wir im tätigen Leben gewahr werden, daß die vollkommene Reinheit des Handelns nur in zweierlei Zuständen hervortritt, einmal in naivem, ursprünglichem Zustande, wo das dunkle Gefühl des uns einwohnenden Göttlichen ohne alles weitere Bedenken unmittelbar auf das Wahre und Rechte hinweist, ein andermal dann, wenn nach manchen Abirrungen des Lebens eine klare Erkenntnis unserer Verhältnisse zu Gott und Welt sich erschließt und nun jene frühere, ihrer selbst unbewußte Reinheit mit Klarheit und Bewußtsein im Leben ausgeprägt wird, so leitet dies alles zu der Ahnung, daß in der Kunst wohl eine ähnliche Zwiefachheit innerer Vollkommenheit gedacht werden könne.« »Von dem ersten Pol der naiven ursprünglichen Kunstvollendung habe ich mancherlei Gedanken in früheren Briefen verfolgt; eben dieses Goethesche Gedicht aber führte mir mit einem Male recht lebhaft die Idee einer zweiten, auf höherer Erkenntnis gegründeten Kunstschönheit vor, und eben von Goethe haben wir aus seinen späteren Zeiten noch mehrere ähnliche Dichtungen erhalten, in denen die reinste und die vollkommene wissenschaftliche Erkenntnis gewisser Lebensvorgänge die Seele des Dichters durchdrungen hat, um nun zu poetischer Anschauung und Auffassung in höherer geistiger Wiedergeburt sich zu verklären.« »Daß dieses Gedicht über die Wolken entstehen konnte, dazu bedurfte es langer, ernster, atmosphärischer Studien, es mußte hier beobachtet, be-
urteilt, gesondert werden, bis nicht nur die Kenntnis der Wolkenbildung, wie sie einfache sinnliche Anschauung gewährt, sondern die Erkenntnis, welche allein Frucht wissenschaftlicher Forschung ist, erreicht war. Nach alle diesem faßte nun das geistige Auge alle gesonderten Strahlen des Phänomens zusammen und spiegelte den Kern des Ganzen in künstlerischer Apotheose zurück. — In diesem Sinne gefaßt, erscheint dann die Kirnst als Gipfel der Wissenschaft klar erschaut und anmutig umhüllt, im wahren Sinne mystisch oder, wie Goethe sie auch genannt hat: orphisch.« Mit solchen Sätzen war die Goethesche Vorstellung vom Verhältnis von Wissenschaft zur Kunst bereits verwandelt. Goethe war ausgegangen von der naiven Beobachtung, und die wissenschaftliche Feststellung und Erkenntnis diente seiner Kunst als ordnendes Prinzip. Wissenschaftliches Begreifen von Naturphänomenen gewährte ihm eine klarere Unterscheidung von Formen, ermöglichte ihm deutlichere Begrenzung als die bloße, unmethodische Beobachtung. Und das Verlangen nach Trennung der Phänomene in der Anschauung, nach reinen Formen und scharfen Umrissen, war in ihm ein klassischer, ein klassizistischer Zug. War in seinem Wesen mit Notwendigkeit, zufolge der Epoche, der er angehörte, etwas Romantisches, so war doch seine Natur auf einen Ausgleich mit der klassischen Formenklarheit und ihrem Formenbewußtsein gerichtet. Um der Enge des Gefühls zu entgehen, aus dem er bisher gelebt hatte, war er nach Italien gegangen. Dort hatte er die Freiheit und Sicherheit gefunden, welche nur die große, klare und bestimmte Form gewährt; darüber hinaus aber hatte er erfahren, wieviel Wissen dazu gehört, um überhaupt etwas begreifend zu erleben, historisches und naturwissenschaftliches Wissen, das die Dinge um uns herum erst zum Scheinen ihres wahren Wesens bringt. Fraglich blieb allein die A r t dieses Wissens. Und hier entschied Goethe im Gegensatz zu der sich entwickelnden zeitgenössischen Physik und Chemie, daß es sich nur um solche wissenschaftliche Einsicht handeln könne, die im Bereich der sinnlichen Wahrnehmung verblieb, nicht aber eine solche, die die Phänomene der Wirklichkeit auf meßbare Abstraktionen, auf hypothetische Einheiten zurückführte, mit deren Hilfe es möglich wurde, Naturgeschehen in seinen möglichen Abläufen vorauszuberechnen und vorauszusagen. Goethe wehrte sich ausdrücklich, einen solchen Standpunkt in s e i n e r Wissenschaftlichkeit einzunehmen, indem er der Uberzeugung war, der Blick allein, »erkennend und empfindend, anschauend und ahnend, genau, scharf und doch phantasiebeflügelt«·, allerdings soweit wie möglich vertieft und erhöht, ausgebreitet und konzentriert, sei imstande, im fruchtbaren Ergreifen des Augenblicks zu wahren Ergebnissen in der Kenntnis des tatsächlich Vorhandenen zu führen. Diese Uberzeugung war bei ihm darauf gegründet, daß nur an der »anschauenden Urteilskraft« der Mensch ein wahres Erkenntnisvermögen besitze, jener Urteilskraft aus der Schau, in die der Mensch als ganzer, als
vollständige Persönlichkeit eingeht und tätig ist. Und nur dieser Schau konnte die Welt als ein zusammenhängendes, sinnvolles Ganzes aufgehen, da Natur und Person, als Charaktere unauflöslich aneinander gebunden, sich in ihrem Wesen und in den Bedingungen ihrer Existenz, und so auch als Erkanntes und Erkennendes entsprächen. Bei Carus dagegen stand als erste Weise der Welt- und Lebensergreifung »das dunkle Gefühl des uns einwohnenden Göttlichen«; es vermittelt die »reinste« Erkenntnis und bringt die »naive ursprüngliche Kunstvollendung« hervor. Anzunehmen, daß das im siebzehnten Jahrhundert in Holland der Fall gewesen sei, war ein historischer Irrtum, wie er Goethe nicht passierte. Und ebensowenig hätte er wohl gutgeheißen, wenn Carus nun annahm, daß auf jene Zeit »die vollkommene wissenschaftliche« Einsicht folgte, eine Einsicht aus Naturwissenschaft im weitesten Sinne, nach den Methoden, welche ihm als Arzt und Forscher geläufig waren. Schließlich konnte, nach seiner Auffassung, das Verstehen noch eine letzte und höchste Stufe erreichen, indem jene Einsicht noch »die Seele des Dichters und Künstlers durchdrungen hat«; dann »verklärt die poetische Anschauung und Auffassung beide in höherer geistiger Wiedergeburt«. Das waren große und schöne Worte, eingegeben von der Wirkung Goethescher Gedichte auf Carus, und gewiß ganz aufrichtig gemeint, aber leider waren sie nicht imstande zu sagen, worin die Verklärung in höherer Wiedergeburt bestehe, worauf sie beruhe und was sie bedeute. Wenn schließlich Carus »die Kunst als Gipfel der Wissenschaft« erschien, so konnte Goethe auch diese Ansicht nicht teilen; er hat sie auch nicht in den »Orphischen Urworten« geteilt, die Weisheit enthalten, nicht Wissenschaft. An Carus' Darstellung ist noch ein anderer Punkt bemerkenswert. Er spricht nämlich von einer zwiefachen »Kunstvollendung«, von der naiven ursprünglichen und von der auf höherer Erkenntnis gegründeten Kunstschönheit. Da die erste auf das reine Gefühl, die zweite aber auf die Beherrschung und Steigerung, Ausweitung und Läuterung des Gefühles durch Wissen gegründet ist, haben wir hier eine erste Formulierung eines für die Romantik (und die Folgezeit) überaus charakteristischen Zuges vor uns, jene für viele romantische Maler so bezeichnende Aufspaltung ihres Gesamtwerkes in ursprüngliche Visionen, gewöhnlich >Studien< genannt, und in ausgeführte und durchgeführte Arbeiten. Es bedeutet demgegenüber nichts, daß Carus die zwei Gattungen historisch falsch auf das 17. Jahrhundert und seine eigene Zeit verteilte. Wichtig ist, daß er die Unterscheidung machte; und das konnte er nur aus den faktischen künstlerischen Gegebenheiten der Kunst seiner Zeit heraus. In allen europäischen Ländern gab es damals schon diese Trennung der Werke, die ganz etwas anderes ist als Entwurf (Skizze) und Ausführung etwa bei Rubens oder gar Vorzeichnung (Karton) und Ausführung bei älteren Meistern. Die romantische Spaltung der künstlerischen Tätigkeit beruht auf einer
inneren Spaltung der Künstler jener Zeit, sie ist wesentlich^ reißt die Werke ihrem Sinn, ihrer Bedeutung nach auseinander, während sie doch auf dem Wege von Entwurf oder Vorzeichnung zum ausgeführten Bilde hintereinander liegen, sich in einer Richtung des Geistes fortsetzen. Jenes neue Romantische trat am stärksten wohl bei John Constable, dem großen englischen Landschafter, in die Erscheinung, sie findet sich auch bei den englischen romantischen Dichtern, vor allem bei Wordsworth, erörtert und in ähnlicher Weise wie bei Carus begründet. Darin zeigte sich ein allgemeiner Grundzug der romantischen Haltung gegenüber der Natur an: aus einer Abtrennung seiner Individualität von der Natur stand ihr der romantische Künstler, Dichter wie Maler, in einem Doppelerlebnis gegenüber, dem eine zwiefache >Kunstvollendung< entsprach. Denn, um hier nur die Constablesche Art zu charakterisieren, seine >Urvisionen< hatten nicht den Charakter vorbereitender Studien für die Ausführung einer freien Erfindung, sie stellten vielmehr die e i η e Art seines Verhaltens zur Natur dar, sie gaben nicht, wie sonst Studien, Einzelheiten der Natur, sondern gerade Gesamtvorstellungen, sie waren auch nicht Skizzen, Entwürfe, Vorläufiges, sondern hatten eine für sie spezifische und in charakteristischer Weise >abgeschlossene< Vollendung. Sie waren ganz und gar subjektiv in ihrer Auffassimg, aus dem Gefühl heraus entstanden, mit dem der Künstler die Natur ergriff und mit dem sie ihn ergriff; sie waren im Verströmen des Gefühles hingewühlt, hinverspritzt, hingewischt, und sie bezeugten das unverhüllt. Daneben aber gab es für Constable wie für Carus noch eine zweite Aufgabe der Kunst mit einer zweiten besonderen Art der Vollendung, die aus der anders gerichteten Absicht dieser Werke hervorging. Sie tendierten darauf, objektive Bilder der Natur zu geben, und erschienen, äußerlich gesehen, als durchgeführte Arbeiten, in denen das Moment der Zeit, das als Kategorie der Erkenntnis darin auftreten sollte, mit einem zeitraubenden Ausführen von Einzelheiten identifiziert wurde. Was Carus von ihnen sagte, war ein erträumtes Ideal einer zukünftigen Malerei, dem zu seiner Zeit keine Erfüllung folgte. Jedoch, schon wenige Jahre nach seinem Tode (1869) wurde eine Prophezeihung, die er gemacht hatte, verwirklicht: »Es werden einst Landschaften höherer, bedeutungsvollerer Schönheit entstehen, als sie Claude und Ruisdael gemalt haben, und doch werden es reine Naturbilder sein, aber es wird in ihnen die Natur, mit geistigem Auge erschaut, in höherer Wahrheit erscheinen.« Er hat die Erscheinung höchst großartig ausgemalt: » Was ist erhabener als die Erfassimg des geheimnisvollen Lebens der Natur? und wird der Künstler, durchdrungen von Erde und Feuer und Meer und Luft, nicht gewaltiger durch seine Darstellung zu uns reden, wird er nicht reiner und freier die Seele des Beschauenden aufschließen, daß auch er erkenne, kein ungeregeltes, leeres Ungefähr bestimme den Zug der Wolken und die Formen der Gebirge, die Gestalt der Bäume und die Wogen des Mee-
res, sondern es lebe in alledem ein hoher Sinn und eine ewige Bedeutung?« An einer anderen Stelle kam Caras dann noch einmal auf die Wolkengedanken von Howard und Goethe zurück; sie zeigt die symbolischmetaphysische Auffassung von Kunst, die ihm vorschwebte, sehr deutlich. »Wie unendlich mannigfaltig und zart«, so schrieb er, »sind nicht die atmosphärischen Erscheinungen! — Alles, was in des Menschen Brust widerklingt, ein Erhellen und Verfinstern, ein Entwickeln und Auflösen, ein Bilden und Zerstören, alles schwebt in den zarten Gebilden der Wolkenregionen vor unseren Sinnen; und auf die rechte Weise aufgefaßt, durch den Kunstgenius vergeistigt, erregt es wunderbar selbst d a s Gemüt, an welchem diese Erscheinungen in der Wirklichkeit unbemerkt vorübergleiten ...« Hier hat Carus die Wolken umfassender, vielfältiger symbolisch gesehen als Goethe selbst, doch auch nicht aus eigener Begnadung, sondern unter dem Eindruck Goethescher Frühgedichte über Wasser und Wind, in denen dieser damals seine Seele im Gleichnis erblickt hatte. Es ist in hohem Grade bemerkenswert, daß, ausgehend von der Voraussetzung, die Natur in all ihren Erscheinungen sei durchgehend von bedeutungsvollem Leben erfüllt und in dieser Lebendigkeit geeint, für Carus die Landschaft in einem ganz neuen Sinne Gegenstand der Malerei geworden ist. Nicht mehr als Idealgebilde noch als Stimmungseinheit, nicht mehr als Gegenstand eines spielerischen Vergnügens oder eines erhabenen Schreckens wollte er sie betrachtet sehen, sondern als Ausdruck des Lebendigen. Von einer Kunst, die auf solcher Auffassung gegründet wäre, erwartete er eine neue Art der Wirkung. »Sollte denn, wenn im Künstler von den mächtigen, sich unendlich durchkreuzenden Lebensregungen der Erde, von ihrer Atmosphäre, ihrem Gewässer und ihren lebendigen Einzelwesen eine tiefere Anschauung lebte, dadurch das landschaftliche Kunstwerk nicht einen besonderen Charakter, eine neue eigentümliche Wirkung auf das Gemüt des Betrachtenden erhalten?« So fragte er. Dann ging er dazu über, diese zukünftige Kunst genauer zu bestimmen. Die neue Landschaftskunst soll das L e b e n der Erde zum Gegenstande haben, nicht ihre starren Formen,· und dies Leben muß nicht etwa in »gigantischen Szenen« zur Anschauung gebracht werden, nicht in »Seestürmen, Vulkanausbrüchen oder Wasserstürzen inmitten großer Gebirgswaldungen«, nein — und dies war nun ein neuer Gedanke — »der stillste Waldwinkel, der einfachste Rasenhügel« wird das Leben der Erde am schönsten darstellen, »wenn er nur mit der Seele erfaßt wird«. Dies war nun ein Programm, dem man sein Herkommen aus der Goetheschen Abneigung gegen das Katastrophale (bei ihm hauptsächlich im geologischastronomischen Bereich wirksam) und seine Hinneigung zu dem Ideal Stifters und Eichendorffs anmerkt. Für die Malerei bedeutete es, daß der Gegenstand der Naturstudien, das sanfte Gesetz des Wachsens und We-
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bens der Lebensregungen, zum ausreichenden Objekte eines vollgültigen, in seiner Eigenart selbständigen Kunstwerks erklärt wurde. Damit faßte Caras etwas in Worte, was in der Praxis sich erst gerade zu entwickeln begann. »Ferner aber«, heißt es bei ihm weiter, »soll auch nicht gesagt sein, daß ein Bild vom Leben der Erde bloß Gegenstände reiner, freier Natur, ohne alle Spuren des Menschenlebens, aufnehmen soll; der Mensch ist ja das schönste Erzeugnis der Erde, und die Erde ohne den Menschen ist so wenig vollkommen, als der Mensch als Mensch vollkommen gedacht werden kann ohne die Erde. Zeugnisse des Menschheitslebens vervollständigen also erst das Erdenleben und seine künstlerische Darstellung, und somit können Menschen und Menschenwerke gar wohl in einem echten Erdlebenbilde erscheinen, nur daß die Schilderung des Erdlebens vorherrsche, wie es die Einheit eines Kunstwerks fordert, welches nicht mehrere Aufgaben zugleich erfüllen kann. Allerdings müssen aus letzterem Grunde Menschen und Menschenwerke im Erdleben als durch die Erdnatur bestimmt erscheinen.« In diesem Programm ist nun genau diejenige Landschaftsmalerei beschrieben, die John Constable als erster ausgebildet hat, die Landschaftsmalerei der kleinen, unbedeutenden Lebensmotive. Es ist darin aber auch die Art und Weise angegeben, in der Constable seine Figuren auffaßte, der neue Sinn, den die Staffage für ihn erhielt. Die Menschen seiner Landschaften sind meistens Bauern oder Schiffer, ohne Sentiment gesehen, die sich nicht bloß in einer Landschaft aufhalten, sondern »durch die Erdnatur bestimmt« sind, indem sie arbeiten. Jedoch die Ubereinstimmung geht noch weiter. Caras schrieb: »Ganz vorzüglich aber muß bemerkt werden, daß unter den Vorstellungen landschaftlicher Natur vorzüglich diejenigen den Regungen des Gemütes entsprechen, welche auf die Art der Witterung sich beziehen; ja man könnte wohl sagen, daß der Wechsel verschiedener Stimmungen der Atmosphäre (des Wetters] sich genau so für das Naturleben zeige wie der Wechsel verschiedener Stimmungen des Gemütes für das Seelenleben.« Dies möchte Constable durchaus gebilligt haben; er hätte es vielleicht so ausgedrückt, daß die Witterung, und vor allem der W e c h s e l des Wetters, ganz besonders stark an sein »sentiment« appellierten. Wäre das nicht so gewesen, hätte er nicht mit solcher Vorliebe Wetter- e p i s o d e n gemalt. In dieser Vorliebe aber war enthalten die Entsprechung, von der Caras sprach. So verstanden, erhält Constables Interesse für die Witterung, das wir später weiter aus seinen eigenen Aussagen wie aus seinen Bildern aufzuklären haben werden, eine höchst einleuchtende Deutung. Dies Interesse war kein äußerliches, bloß auf die visiblen Erscheinungen gerichtetes (so wenig wie später bei den Impressionisten), sondern es stammte aus dem Gemüt, aus der unbeständigen Empfindung, die Con-
stable heimsuchte. Ich nenne es »unbeständig« wegen seiner Offenheit für alle möglichen Eindrücke und Einflüsse, wegen seiner Passivität und seiner Leere, weil es erst von der umgebenden Natur seinen Gehalt und damit einen fortwährend veränderten Inhalt empfing. In sich selbst, vom menschlichen Subjekt her, war ja diese Art romantischen Gefühls fließend-formlos, indem es aus nichts anderem als Bereitschaft, Sehnsucht, verlangender Hingabe nach irgend etwas bestand. Zu etwas Festem, Geformtem wurde es erst, sobald die Natur in irgendeiner Weise es ansprach und sich in seine unbestimmte Leere ergoß. Auch dies für Constable so eminent Charakteristische kannte Carus, wenn er es auch etwas anders ausdrückte. Im fünften seiner >Briefe< gab er eine begeisterte Deutung der Landschaftskunst von Claude und Ruisdael. In ihren Bildern fand er sein eigenes Naturerlebnis ausgedrückt und die Bedeutung der Natur erfaßt, wie er sie erfaßte. »Hier«, so schrieb er von den »Stammvätern echter Landschaftskunst«, »könne man sagen, daß der innere Sinn des Künstlers sich wahrhaft objektiviert hat, man wird durchdrungen von der Uberzeugung, daß beide Künstler das schöne große Naturleben rein in sich aufgenommen hatten, daß es alle ihre Adem und Nerven durchdrang, und daß sie es darum vermochten, in der Sprache der Natur zu uns zu reden und als klare, reine Spiegel die urschönen Bildungen zurückzustrahlen. Darum nur fühlen wir uns so frei, so wohl vor diesen Bildern, denn wir werden eine schöne menschliche Individualität gewahr, welche die innere Art ihres Seins uns anschauen läßt im Spiegel des wahren göttlichen Wortes, das ist in der wahrhaften Natur, und zwar ganz frei und ruhig, ohne uns zu irgendeiner bestimmten Ansicht hinleiten zu wollen, sondern ruhend in vollem seligen Genügen und eben dadurch uns selbst anregend, einmal alles Kleinliche, bloß unserer Einseitigkeit Angehörige von uns zu tun, um den Frieden des Künstlers in seinem Leben in Gott zu teilen.« Man sehe von der poetischen Diktion ab, man reduziere diese etwas pathetischen Worte auf ihren nüchternen Inhalt; man wird weder die Kunst Claudes noch die Ruisdaels damit beschrieben finden, jedoch etwas, das in wesentlichem Bezüge Constable nahekommt. Er war es, der »in der Sprache der Natur zu uns zu reden vermochte«, im Gegensatz zu Claude, der ein Ideal aufbaute, das er als ein Lyriker besang, und Ruisdael, der in der Natur die düsteren Aspekte stimmungsgewaltig, pathetisch und tragisch enthüllte; Constable war es, »der ganz frei und ruhig, ohne uns zu irgendeiner bestimmten Ansicht hinleiten zu wollen«, in seinen großen Werken »ruhend in vollem Genügen« die Natürlichkeit der lebendigen Natur wiederzugeben unternahm. Da weder Carus von Constables Kunst noch Constable von Carus' Schriften etwas wußte, da also ein >Einfluß< nicht in Frage kommt, läßt
sich in dieser Übereinstimmung ein tiefer Wesenszug der Romantik als allgemein-europäischer Erscheinung erkennen. Es zeigen sich hier Folgerungen aus der Stellung Rousseaus zur Natur, gezogen von Menschen in der Vereinzelung, welche nun in keiner Weise mehr naiv und optimistisch in Harmonie mit der Natur zu existieren vermochten. Jene neue Situation, in welcher der romantische Mensch sich gegenüber der Natur fand, jene Sentimentalität, hervorgerufen durch die Enttäuschung, daß an ihrem »Busen« auch nicht einmal mehr in der Verkleidung als Schäfer Platz für ihn war, leitete ihn zu einer neuen Art von Objektivität. Und zwar allenthalben im Umkreis der europäischen Kultur. Im achtzehnten Jahrhundert hatte man Natur gezähmt, sie den strengen Regeln der gradlinigen Planungen unterworfen, hatte die Büsche beschnitten und Seen abgezirkelt, um sich in dem so geschaffenen klar und bestimmt disponierten Naturraum um so freier und anmutiger bewegen zu können. So hatte man geglaubt, sich ihr anzuvertrauen und sie ganz nahe seinem Herzen zu haben. Doch dieser Traum war nun ausgeträumt; er war als Traum, als Illusion offenbar geworden. Nun war der Mensch erwacht, und seine Augen gewahrten die Natur rein, groß, gewaltig, in sich vollendet, harmonisch und chaotisch zugleich, jedenfalls des Menschen ganz und gar unbedürftig, ununterwerfbar, ihm gegenüberstehend und in einem unendlichen Abstand. Er fühlte die Notwendigkeit, um leben zu können, diesen zu überbrücken, und versuchte es durch das Gefühl, dem er sich anvertraute, ein Gefühl, das von jeder egoistischen Beziehimg der Natur auf ihn selbst völlig frei war. Was immer Natur war, wirkte auf dies Gefühl und wurde in diesem ergriffen, wenn auch auf verschiedene Weisen, und zwar, nach Cams' außerordentlich zutreffenden Worten, »nach dem Sinne des Lebens, welches in ihnen sich offenbart; das Unorganische als erkältend, das sich Bildende als erregend, das Vollendete als beruhigend.« Man blicke einen Augenblick zurück auf die Naturinterpretationen des sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, gemalte oder gedichtete, um die Originalität dieser Auffassimg zu würdigen. Die Maler des neunzehnten Jahrhunderts bestätigten aber Carus' Feststellung in ihrer Praxis, indem jeder, je nach seiner Anlage, e i n e Seite dieses Natürlichen bevorzugte. Wenn Carus sagte, daß die eine davon erkältend, die andere erregend, die dritte beruhigend wirkte, so waren alle diese Empfindungen dodi nur als Nuancen des »in vollem Genügen Ruhens« aufzufassen. An jeder dieser verschiedenen Erlebnisweisen konnte ein romantischer Maler sein Genügen finden. Uns interessiert, zufolge unseres Gegenstandes, die Gruppe derjenigen, welche das »sich Bildende« in der Natur bevorzugten, d. h. die fruchtbare Erde mit der sich fortwährend erneuenden und im Anblick wandelnden Vegetation und den Himmel mit seinen wechselnden Wolkengestalten.
Wenn nun Caras von der besonderen Wirkung des Himmels auf das Gemüt sprach, so gab er einen aufschlußreichen Kommentar zur Themenwahl jener großen Künstlergruppe der Gesamt-Romantik. »Der Himmel hinwiederum in voller Klarheit, als Inbegriff von Luft und Licht, ist das eigentliche Bild der Unendlichkeit; und wie schon bemerkt wurde, daß das Gefühl in der Richtung auf das Unendliche seinem Wesen nach begründet sei, so deutet nun auch dieses Abbild die Stimmung eines von ihm überwölbten landschaftlichen Ganzen tief und mächtig an, ja, macht sich zum unerläßlichsten und herrlichsten Teil der Landschaft überhaupt.« Diese letzten Worte finden sich fast wörtlich in einem Briefe Constables, von dem später die Rede sein wird. Sie zeigen, wie weit die Ubereinstimmung der romantischen Künstlereinstellung zur Natur in den verschiedenen Ländern ging, wie aus den gleichen Voraussetzungen die gleichen Folgerungen von Angehörigen verschiedener Völker gezogen wurden.
IV
Johan Christian Clausen Dahl, Karl Ferdinand Blechen, Johann Georg von Dillis, Johann Jacob Ulrich Unmittelbar aus Carus' eigenem Munde und aus seinen Schriften muß die gesamten eben erläuterten Gedanken Johan Chr. Dahl erfahren haben, der seit 1818 in Dresden lebte und arbeitete. Sehr wahrscheinlich gehörte er zu denjenigen, in deren Händen das Manuskript der >Briefe über die Landschaftsmalerei< gewesen war, bevor es an Goethe geschickt wurde. Dieser sandte es im April 1822 bereits an den Verfasser zurück, seine hohe Anerkennung nicht verhehlend. Dahl andererseits gehörte zu den Freunden von Carus, wie in seinen >Lebenserinnerungen< bestätigt ist. »Er hat sich«, heißt es dort, »mir über drei Jahrzehnte im Leben, und für (Caspar David) Friedrich noch weit über das Grab hinaus als solcher fest bewährt41.« Da Carus' Briefe nur der Niederschlag seiner Unterhaltungen mit den Dresdner Malern waren, müßte man schon deshalb annehmen, daß Dahl ihre Hauptideen kannte; seine Malereien aber bewiesen es unumstößlich. Denn in ihnen wurde sein geologisches, sein naturwissenschaftliches Interesse ganz deutlich. Schließlich aber gibt es von ihm eine stattliche Anzahl reiner Wolkenstudien, deren Existenz sich nicht anders als durch die Auseinandersetzungen von Carus (im Anschluß an Goethe) verstehen läßt. Als Dahl in Dresden eintraf, war er dreißig Jahre alt. Er war r788 in Bergen in Norwegen geboren, hatte zuerst in der Werkstatt eines Dekorationsmalers gearbeitet und war an die Akademie in Kopenhagen gekommen. Jedoch soll er gesagt haben, daß er mehr als Autodidakt vor der Natur und von Bildern der alten Holländer gelernt habe als auf der Akademie. Da diese Anstalten sich damals insgesamt wenig um Landschaftsmalerei kümmerten, die dort in geringem Ansehen stand, scheint das durchaus wahrscheinlich. In seinen Jugendarbeiten zeigte sich Dahl unsicher in Hinsicht auf das Ziel seiner Kunst. Er malte heroische Landschaften, in welchen der Einfluß Everdingens, der selbst Norweger war, erkennbar ist, daneben aber auch schon Bilder des dänischen Landes, getreu der Wirklichkeit, wie er sie um sich sah. Nach den Worten seines Biographen Andreas Aubert wurde für Dahl seine Reise nach Italien in den Jahren 1820—21 und besonders sein Aufenthalt in und um Neapel von entscheidender Bedeutung. Er ging dorthin, nachdem er schon ungefähr zwei Jahre in Dresden gewesen und Mitglied der Dresdner Kunst-
akademie geworden, war. Dort lebte er in demjenigen Kreise, der damals gerade die Idee einer E r n e u e r u n g der Landschaftsmalerei gefaßt hatte, im Gegensatz zu der bislang im Schwange gewesenen Tradition, große Vorbilder nachzuahmen und zu erreichen, seien es nun Holländer oder Italiener. Er Schloß sich vorbehaltlos der neuen Richtung an, und innerhalb derselben folgte er den Goetheschen Weisungen mehr als irgendein anderer Maler, insbesondere viel mehr als sein Freund Caspar David Friedrich. Das bewiese schon das Faktum der Italienreise; mehr beweist es noch, was er dort malte. Die Reise selbst hatte, sozusagen, die Sanktion des Goethe der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der damals den traditionellen Italienfahrten der Nordländer einen neuen umfassenden Bildungssinn gegeben hatte,· dagegen, wie Dahl in Neapel gemalt hat, das bezeugt den Geist von Goethe in den Jahren zwischen 1810 und 1820, d. h. jenen, der den Enthusiasmus für die klassische Kunst durch naturphilosophische Ideen vervollständigt hatte, dessen Kunstideal nun nicht mehr ausschließlich durch das antike Vorbild bestimmt, sondern auch auf eine bestimmte Art der Naturbetrachtung, auf eine Natur>gnosisgesundet< und hat durch treue, für die höhere Bedeutung aufgeschlossene Naturbeobachtung den paradoxen Kontrast zwischen weicher Empfindsamkeit und harter Wiedergabe von Einzelheiten vermieden, wie ihn die Werke seines Freundes Caspar David Friedrich aufweisen, jenen Kontrast, der bei diesem Maler durch die bloße Innerlichkeit seines Schaffens hervorgerufen wurde. Friedrich fehlte leider jene aufgeschlossene Hingabe an die Phänomene der Welt, aus der heraus Goethe souverän gelebt hat; er war einerseits in sein Empfinden verschlossen, andererseits versucht, die Dinge kläubelnd bis ins letzte charakterloseste Detail zu begreifen, um sie so von innen zu erfassen, war daher aus ein und demselben Grunde zu weich und zu hart zugleich. Dahl dagegen drang zu einer Freiheit vor, in welcher die Dinge für ihn zusammen zu klingen begannen. »Mit seinen Landschaftsstudien nimmt er nun die erste Stellung auf dem Kontinent ein, der Vorläufer Corots, ein norwegischer Constable, ohne daß doch irgendeine Verbindung zwischen ihnen bestanden hätte«, schrieb Andreas Aubert. Es wird zu zeigen sein, daß es dennoch eine solche Verbindung gab, wenngleich sie anderer Art war, als man gemeinhin bei >Beeinflussungen< vermutet. Wenn sie zarter war als in anderen Fällen, so hatte sie um so tiefere Folgen. Dennoch, Dahl hat nicht jenen Grad der Freiheit erreicht, der Constable zu einem Bahnbrecher der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat. Er blieb jenem gegenüber konventioneller. Aber Carus hat seine Kunst doch nicht ganz richtig eingeschätzt, wenn er schrieb44: »Im Auffassen der Landschaft war er purer Naturalist, nur das Detail der Felsen und Bäume und Kräuter und Wiesen, aber dies mit ganz eigentümlicher Meisterschaft er-
greifend, mit außerordentlicher Festigkeit arbeitend, aber vieles dem Zufall anheim gebend, schien er oft an das Objektive sich zu sehr zu verlieren.« Wenn auch Dahl noch sehr weit ins Detail ging, so hat er die Objekte nicht bloß von außen ergriffen und sie »beschrieben«; was Cams bei ihm als seine »ganz eigentümliche Meisterschaft« empfand, das umschließt vielleicht seine Fähigkeit, im Verstehen derselben »zu höherer Sphäre« aufzusteigen. Daß er trotzdem nicht der von Goethe und Carus ersehnte Maler war, — darüber bedarf es keines Wortes. Er hatte aber, worauf Carus gar nicht eingeht45, eine hervorragende koloristische Begabung. Sie zeigt sich am besten in seinen Studien, weniger in seinen ausgeführten Bildern. Aber gerade, was nun das Verhältnis von Studie zum durchgeführten Bilde betrifft, in dieser bahnbrechenden Hinsicht (das neunzehnte Jahrhundert läßt ja das traditionelle Bild eingehen und erhebt die Studie zum B i l d ! ) stand er Constable nahe. Auch Dahl ergriff die Natur im unmittelbar gesehenen >Motiv< wie in der durchdachten Komposition, und die letztere war für ihn nur eine »verklärte« Rückerinnerung an die erste. Daneben malte er auch Studien im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes, d. h. kleinere Bilder, in denen er sich Rechenschaft über Naturformen gab. Unter diesen stehen seine Wolken in erster Reihe. Sie sind oft mit dem Tagesdatum der Entstehung versehen, woraus deutlich wird, wie sehr es den Künstler interessierte, zu wissen und sich zu erinnern, in welchem Monat, zu welcher Jahreszeit der Himmel diese oder jene bestimmte Konfiguration aufwies. Jedoch, auch diese Studien sind nicht »pur naturalistisch«; ein bescheidener Versuch zur Verklärung ist immer in ihnen lebendig. Denn sie stammen doch von dem vor Edvard Munch größten Landschaftsmaler Norwegens. Durch Dahl angeregt, begann das Studium der Wolken auch der Berliner Maler Karl Eduard Ferdinand Blechen (1798—1840), ein Künstler, der unter den deutschen Frühromantikern gegenwärtig das größte Ansehen genießt, da sein Werk jene kurze Blüte eines von Frankreich unabhängigen, vielmehr von England her inspirierten Impressionismus in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts einleitete. Von seiner Hand befinden sich in der Nationalgalerie Berlin fünfzehn Wolkenstudien46, die in seinem Oeuvre von außergewöhnlicher, wenn auch nicht erkannter Bedeutung sind. Blechen war eine zwiespältige Natur, zugleich romantisch und realistisch, eine Tatsache, die sich in seiner Kunst selbst durch einen antithetischen Wechsel der Bildthemen wie der Darstellungsarten aussprach. In seinen Wolkenbildern kamen diese beiden gegensätzlichen Richtungen zur Auseinandersetzung. Ganz am Anfang seiner kurzen künstlerischen Laufbahn besuchte der junge Blechen im Jahre 1823 Dahl in seinem Atelier in Dresden und hatte Gelegenheit, während dreier Monate dessen Naturstudien eingehend zu
betrachten. Unter diesen müssen sich auch die Wolkenstudien befunden haben, die Dahl kurz vorher in Italien gemalt hatte. So wurde ihm hier das eigentümliche und neuartige Bildmotiv gegeben. Außerdem mag Blechen dort gelegentlich Zeuge der Diskussionen geworden sein, welche zwischen Carus und den ihm befreundeten Malern im Gange waren. Die Folge war, daß er sich radikal von den Methoden der Landschaftsmalerei abwandte, die er auf der Berliner Akademie gelernt hatte. Von der Vedutenmalerei nach erprobten Rezepten ging er zu einer genauen Beobachtung der wirklichen Natur über und lernte sogleich, diese als eine gesetzmäßige zu verstehen. Wenn Blechen in Dresden auch außer Dahl Caspar David Friedrich begegnete, so wurde doch Dahl für ihn bestimmender als dessen melancholischer, schwer zugänglicher Freund. Nicht folgte er dessen trockener Zeichenmanier und peinlicher Genauigkeit, sondern dem für die Phänomene von Licht und Luft offenen Auge und dem auf ein reines Erfassen der Dinge gerichteten Geiste Dahls. Jedoch, diese Tendenz vermochte nicht, sich ungestört bei ihm zu entfalten. Indem er einen Ruf als Theatermaler annahm, wurde Blechen gezwungen, sich dem romantischen Geiste des damaligen Schauspiels und der Oper zu verschreiben. Als er nach Aufgabe seiner Stellung am Theater im Jahre 1828 ein großes Landschaftsbild mit Staffage, das Semnonenlager (National Galerie, Berlin) ausstellte, wurde das darin vorkommende große Wolkengebilde in der Vossischen Zeitung folgendermaßen kritisiert47: »ein trüber nördlicher Himmel erzeugt zwar oft ähnliche Wolkengebilde, doch wollen w i r . . . nachgeben, daß die Wolke etwas zu flach, ohne Rundung und Vertiefung gehalten ist, und daß ihre Umkrümmung am Ende nicht frei genug erscheint.« Von anderer Seite wurde eingewendet48: »Das Gewitter im Süden lastet, seiner allegorischen Bedeutimg entsprechend, zwar schwer und drückend, es ist jedoch dabei zugleich so massenhaft, daß es einer Bergkette nicht unähnlich sieht. Der Bogen ferner zur Rechten in den oberen Wolken macht keine gute Wirkung.« Beide Kritiken bestehen zu recht; die von Blechen hier gemalten Wolken sind reines Theaterrequisit, mit wenig Verständnis für die möglichen Wolkenbildungen gemalt; einerseits stimmungshaftausdrucksmäßig, andererseits als pure Eckenfüllung erfunden oder den Konturen der Fichtenkronen angepaßt. Erst ein zweiter Aufenthalt Blechens in Dresden im Jahre 182,8 und die daran sich anschließende Reise nach Italien brachte ihm den entscheidenden und endgültigen Umschwung, bis allerdings eine einsetzende geistige Umnachtung ihn wieder in das Reich der Geister, Dämonen und in eine phantastische Stimmungswelt zurückriß. Die Wiederkehr nach Dresden hat Blechen für seine Italienreise vorbereitet, indem sie ihn strikt von den vielen Bereichen romantisch verstiegener Phantasien wegwies. Ein sechs Monate langer Aufenthalt in Rom, eine eilende Reise bis nach
Neapel, dann der Rückweg über Assisi, Perugia, Florenz, usw. bis Mailand und Como, sie bildeten den Höhepunkt seines Lebens wie seiner künstlerischen Produktion, die sich audi in den folgenden Jahren aus den Erinnerungen an diese Fahrt nährte. Aus den erhaltenen Skizzen und Studien wird deutlich, daß Blechen zuerst den Eindrücken des historisch Sehenswürdigen und Berühmten verfiel, dann aber allmählich auf echte Bildmotive hingeführt wurde, die einer in sich selbst bestehenden Bildgestaltung fähig waren. Und gerade in diesen begannen die Wolken eine bedeutsame Rolle zu spielen. So gibt es zum Beispiel eine Abendlandschaft aus der Campagna (Nat. Galerie Nr. 234), nichts weiter darstellend als ein Haus und einen Zaun im Vordergrund, dahinter einen Höhenzug. Fast die Hälfte des Blattes ist vom Himmel eingenommen, über den horizontalgestreckte Wolken ziehen. Ähnlich zwei Blätter mit Aquädukten der Campagna (Nat. Galerie 836 und 837); auf einem derselben sind die sich voreinander schiebenden Wolkenformationen deutlich und mit vollem Verständnis ihrer Struktur unterschieden. Ferner existiert von der Rückreise eine ölstudie auf Papier (Nat. Galerie Nr. 200), die über niedrigem dunklem Horizont verschiedene Wolkenbildungen aufweist, welche offensichtlich um ihres formalen Gegensatzes und der wechselnden Beleuchtung willen gemalt worden sind; datiert: Perugia Sept. 2g49. Wenn es auch zutrifft, daß solch ein Blatt wie viele »Werke Blechens, die in Italien entstehen, an malerischer Qualität alles hinter sich zurückläßt, was, soweit uns bekannt, von deutschen Künstlern bis 1829 geschaffen worden ist«, und wenn auch »eine Reihe von Studien und die meisten nach 1829 entstandenen Bilder davon Zeugnis geben, daß bei Blechen zu den Anregungen, die der Künstler von Dahl empfangen, der Eindruck tritt, den der Anblick von Werken Turners bei ihm hinterläßt60«, so ist doch gegenüber einer solchen Wolkenstudie gerade auch das zu betonen, was sie von Turners Verschwommenheiten abhebt, ihre Strukturfestigkeit bei aller malerischen und improvisierenden Behandlung, die auf einem klaren Verständnis der in der Natur beobachteten Wolkenformen beruht. Der an Blechen seit jeher gerühmte Blick für das Charakteristische, das Wahre, seine Naturtreue, die noch um 1830 als etwas Neues von der Kritik hervorgehoben wurde, machten sich in seinen Wolkenstudien ganz besonders geltend und enthüllten an ihnen ihren Ursprung, die Einsicht in das Wesen, wie es Goethe und nach ihm Carus und Dahl gelehrt und dargestellt hatten. Sie zeigten das Besondere jener »sehr genialen Art der Naturauffassungen, die«, nach den Worten Schinkels 51 , »junge Gemüter aufs lebhafteste für eine, der Trivialauffassung entgegengesetzte Naturanschauung begeisterte«. Und doch ist Blechens N a t u r a u f f a s s u n g , wie sie sich am Problem der Wolken zeigt, von der Goethes grundverschieden gewesen.
Bei jenem wie bei diesem war sie der Spiegel des die Natur betrachtenden Geistes. Goethe hatte mit gelassener Hand die einzelnen Wolkenformen zu Symbolen geistigen Verhaltens emporgeformt; Blechen ergriff sie zwar verstehend aber gewaltsam, am Äußeren haftend, doch, nicht durchdringend, sie mit Verve, mit der Unruhe seiner eigenen Seele bezwingend, ohne aber an ihnen zur Wirkimg der Gesetzeserfahrung aufzusteigen. Durch die artistische Kühnheit, nicht durch Vollendung ist er dazu gelangt, ihren sinnlichen Eindruck zur geistigen Anregung zu erheben. Das hat zur Folge gehabt, daß seine Wolkenstudien (Abb. 17, 18, 19) auf sehr verschiedenes künstlerisches Niveau zu stehen kamen. Wir zeigen es an drei Beispielen. Einmal ist das Cirrusgewölk bloß in seinem Schweifen, seiner Duftigkeit gesehen, ohne daß daraus eine in sich geschlossene Bildtotalität entstünde; wo die Anschauimg und die Gestaltungskraft nachließ, hat Blechen (am unteren Rande) das Fehlende durch den interessanten Pinselstrich ersetzt; ein anderes Mal, an dem er über einer italienischen Stadt mit zwei Kuppeln (Florenz?) Wolkenformationen verschiedener Art, Cumulus und Stratus, zeigte, kam er über einigermaßen grobe Andeutungen in den Farben hellblau, weißgrau und blaugrau nicht heraus. Hier erwies es sich, daß »die zarte Bewegung der Ubergänge«, die ein Kritiker an seinen Landschaften vermißte62, wirklich zur Steigerung des Ausdrucks hätte führen können, nämlich durch die intensivere Bewältigung der Formen. Wohl sind auch hier Licht und Schatten mit größter Wahrheit getroffen, der farbige Reiz der Erscheinungen ist erfaßt, nicht aber das in ihren Formen sich ausdrückende Wesen. Solche Blätter Blechens haben etwas Oberflächliches, eine Eigenschaft, die auch sein sonstiges Werk kennzeichnet. Dagegen steht aber nun ein drittes Blatt, »violett und bläulich getönte Wolkengebilde« (National Galerie, Berlin, Kat.Nr. 874) — die Hauptfarben des Blattes sind graublau, blaßviolett und elfenbein —, eine in sich geschlossene Komposition dramatischen Charakters. Diese darf man in ihrer frappierenden Großartigkeit nicht als romantisch verstiegen und phantastisch auffassen; sie ist romantisch aber doch auf der Realität des Wirklichen fest aufruhend, gesehen, nicht erträumt, und in den Einzelheiten zutreffend. Auf sie scheint ein Satz von Bettina von Arnim anwendbar, den sie in einem berühmten Briefe über Blechen geschrieben hat: »In jedem kleinen Gegenstand (den er malt) spiegelt sich die Aufregung des Gemüts, in dem die Natur wühlt, um ihm begreiflich zu werden.« Zwar war in diesem Falle der Naturgegenstand nicht klein, um so mehr zeigt er die Aufregung seines Gemütes, welche der Anblick, das Erlebnis der Natur in seiner Seele hervorrief. Diese Erregung aber, die die menschliche Natur Blechens erfuhr, brachte die Hand des Malers in Gefahr, und dieser brauchte seine ganze Energie, um seine Pinselzüge frei zu setzen und zu zügeln. Das hatte zur Folge, daß er im Gegensatz zu Dahl und (wie sich zeigen wird) zu John Constable vor der Aufgabe ver-
sagte, den in ihren Gegensätzen von ihm starr fixierten Wolkengebilden äußere Bewegung und innere Bewegtheit zu verleihen. In diesem Blatt wird nun aber noch eine andere für Blechen charakteristische Eigentümlichkeit deutlich, seine Faszination durch das Licht. Als Lichtmaler ist er seinen Zeitgenossen vor allem erschienen, als der treue Maler des italienischen nüchternen Sonnenlichtes. So tritt er uns auch hier entgegen. Und doch ist das Licht als Naturphänomen ein strikter Gegensatz zu den Wolken, nicht nur im lichtblauen klaren Himmel, sondern auch als formzerstörende, die Umrisse der Dinge verschwimmen lassende Kraft. Lichtbeschienene Wolken sind oft gemalt worden; sie erfordern, daß die Lichtquelle unsichtbar bleibt. Licht aber zwischen Wolken, durchbrechend, sie für unseren Blick von rückwärts anstrahlend, erscheint wohl immer im Kampf gegen die klaren Bildungen der Wolken. Der Gefahr solcher Formzerstörung war auch das Motiv ausgesetzt, das sich Blechen hier gewählt hat; er hat sie zu vermeiden gewußt; und in der Spannung zwischen dem Licht und den festen Wolkenformen beruht die dramatische Kraft dieses Blattes, in ihrer Bewältigung und Verschmelzung zu einer kompositorischen Einheit sein außerordentlicher Wert. Sonnenlicht und Wolkenschatten besitzen in ihren Gegensätzen hier die höchste Wahrheit: sie sind aus ihren Wesenheiten einander entgegengesetzt. Indem dies Blatt sich Aussagen auf so hoher Ebene nähert, nimmt es im Werke Blechens eine Ausnahmestellung ein; nicht oft ist ihm Ähnliches gelungen. Und niemals in einem großen, lang durchdachten und ausgearbeiteten Gemälde. Dieser Umstand rührt an sehr tiefe Probleme der Kunst. Das Versagen Blechens vor den großen Wahrheiten der Kunst war durch das Schauspielertum verursacht, mit dem er seine glänzenden Skizzen und Studien bestritt. In sie warf er seine ganze Subjektivität, seinen ganzen Geist, der in ihnen brillierte, der aber seiner Natur nach nicht mehr als eben dieses vermochte. Sich frei und großartig gebend, konnte er den kleinen und unbedeutenden Naturmotiven ebenbürtig scheinen, ohne es zu sein. Er war aber nicht imstande, die Natur groß, das heißt in ihrer Gesetzmäßigkeit zu fassen,· denn ihrer Größe war er nicht gewachsen. Das hat damals in Deutschland kein Maler vermocht sondern einzig der Dichter Goethe, und in bedeutendem Abstand von ihm später Novalis, Jean Paul, Eichendorff und Stifter. Bemerkenswert aber bleibt, daß der gewöhnlich zwischen klassischer und romantischer Naturauffassung konstruierte Gegensatz nicht in einer reinen Antithese sich erschöpfte. Die Maler der Epoche bezeugten das, nicht zum mindesten Karl Blechen. Als Fritz Strich53 schrieb: »Romantisch waren die Wolken, die gleich Träumen in die Ferne ziehen, diese phantastischen, gesetzlosen, ineinanderfließenden und sich verwandelnden Gebilde, die von romantischer Phantasie geschaffen scheinen. Als Goethe aber in seiner Sammlung >Gott und Welt< eine Reihe von Gedichten auf
die Wolken sang, da tat er es, weil die wissenschaftliche Erkenntnis auch sie und ihren Gestaltenwechsel nach Typen, Formen und Gesetzen gesondert bestimmt, begrenzt und benannt hatte: Stratus, Cumulus, Cirrus, Nimbus«, da vereinfachte er die geistige Situation allzu sehr. Denn schon gab es den Durchbruch von der Romantik zum Realismus und Naturalismus der kommenden Jahrzehnte, in dem die Natur gesetzmäßig angeschaut wurde, allerdings nicht länger auf die Gesetzmäßigkeit ihres Formenaufbaus hin, sondern auf die alles begründende Gesetzmäßigkeit ihrer Erscheinungen aus den Erscheinungsgesetzen des Lichtes. Das hat schon Blechen geahnt; deshalb wurden alle Dinge und auch ganz besonders die Wolken für ihn visuelle Probleme, und seine Beschäftigung mit ihnen führte zu Licht- und Perspektivstudien, die zum Leben des Menschen in keiner Beziehung mehr standen. An Stelle dieser Beziehung trat für Blechen bereits die von Künstlers Gnaden gewährte Belebung durch die farbige Materie, die damit mehr und mehr zum Mittelpunkt des künstlerischen Interesses gemacht wurde. Sie kam auch in seinen Wolkenstudien und in der Wolkenauffassung seiner Bilder zur Erscheinung, oft genug eine bloß »beschreibende Rede« (um Worte Goethes auf ihn anzuwenden) mit Mühe verhüllend.
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Noch eines dritten deutschen Wolkenmalers muß hier gedacht werden. Es ist der wenig bekannte, fast vergessene Johann Georg von Dillis (1759 bis 1841), der sich als Persönlichkeit von den bisher besprochenen Künstlern merkwürdig abhebt. Neben Dahl und Friedrich, die die Dresdner Schule repräsentieren, neben dem Berliner Blechen, tritt er als Angehöriger des Münchner Kunstkreises hervor. Im Gegensatz zu jenen, die von Beruf Maler und nichts als Maler waren, erscheint Dillis als vielseitig begabter und tätiger Mann, Geistlicher, Maler, Zeichner, Radierer, Reisebegleiter eines Fürsten, Kunstkenner und -historiker, Sammler und — im Auftrage seines königlichen Herren — Galeriegründer; der Schöpfer und erste Direktor der Münchner Pinakothek, auch der Verfasser ihres ersten Katalogs. Sein Leben war bestimmt durch Fürstendienst im Interesse der Kunst, die er zugleich ausübte und als historisch sich schulender Kenner studierte. Dieser Sohn eines Försters aus Oberbayern widmete sich der Theologie, wurde Priester und vollzog doch nie eine seelsorgerische Tätigkeit. Vielmehr wandte er sich der Malerei zu, indem er zugleich seinen Lebensunterhalt als Zeichenlehrer adliger Kinder verdiente. Er kam mit dem Münchner Hof in Verbindung und benutzte nun seine künstlerischen Fähigkeiten nach dessen Wünschen, als Vedutenmaler, Reisebegleiter des kunstbegeisterten Kronprinzen, späteren Königs Ludwig I., für den er interessante Orte aus Italien, Frankreich, der Schweiz und anderen Ländern aufnahm, und zur Befriedigung von dessen Sammlerleidenschaft er sich kunsthistorischen Studien zuwandte, mußte er doch bedeutende
Kunstwerke für diesen aufspüren, beurteilen und erwerben. Für diesen Zweck hat er einen großen Teil seines langen Lebens auf Reisen verbracht, auf denen er immer Kunst und Natur als Kenner und Künstler studierte54. Seine Werke sind Landschaften mit Staffage, deren Sujets nicht aus künstlerischen Gesichtspunkten sondern mit Rücksicht auf das Interesse seiner Besteller gefunden wurden: Ausblicke aus den Fenstern der Wohnung seines Herrn, historisch wichtige Punkte oder berühmte Ansichten der Bildungswelt seiner Zeit, auch Begebenheiten der gemeinsamen Reisen, anekdotischer oder komischer Art. Sie dienten, nach freier hingeworfenen Skizzen säuberlich ausgeführt, als Erinnerungsblätter, nicht anders als heutzutage Photographien. König Ludwig, der sich gern an seine Kunst- und Entdeckungsfahrten in Italien gemahnt fühlte, ließ viele von ihnen in seinem Schlosse Nymphenburg aufhängen oder verleibte derartige Zeichnungen von Dillis der königlichen graphischen Sammlung ein. Diese Arbeiten sind hauptsächlich in den Jahren von 1788 bis 1820 entstanden. Danach aber, als sich seine Tätigkeit immer mehr auf die Errichtung und den Ausbau der Sammlungen des Königs zu konzentrieren hatte und Dillis fast nur noch als Zeichner tätig sein konnte, begann er den Himmel und die Wolken zu studieren, und zwar von den Fenstern seiner Dienstwohnung als Inspektor der neuen Galerie im Hofgarten von München. Das ist daraus zu ersehen, daß dreizehn dieser merkwürdigen Blätter die Kuppel und die Türme der Theatinerkirche zeigen, wie sie von den Hofarkaden aus sichtbar sind. Ihre Architektur ist oft das einzige Irdische, das auf ihnen zu sehen ist; sie dient als point de départ, als fester Punkt, von dem die Zeichnung sich abstößt, deren Thema die Wolken sind. Doch gibt es von Dillis auch zahlreiche Tuschzeichnungen, die nichts als Wolken enthalten, wiederum auch etliche mit etwas ausführlicherer Andeutung des Terrains. Einige dieser Blätter, mit Deckweiß auf blauem (Ingres-)papier gemalt, die stilistisch sehr stark übereinstimmen, weisen Daten von 1819 bis 1824 auf. Waren auf den Veduten der Italienreise von 1817/18 bereits Anzeichen einer freieren Auffassung zu erkennen, die sich über die biedermeierlichen Konventionen seiner Frühzeit erhob, so zeigen die kurz danach begonnenen Wolkenstudien (Abb. 20) Dillis in einer durchaus neuen Haltung gegenüber der Natur. In Italien hatte er auf jenen freieren Bildern Wolken noch ohne Einsicht in ihre Struktur gegeben; das änderte sich nun. Dillis bemühte sich ausdrücklich, die Wolkenarten in ihren Verschiedenheiten zu erfassen. Der Anlaß zu dieser Änderung der Einstellung und zum besonderen Studium von Wolken, die offensichtlich nicht als Färb- und Licht-Schattenphänomene gesehen, sondern auf ihre Formenunterschiede hin betrachtet
sind, läßt sich bei der geringen Kenntnis, die wir von der inneren Entwicklung von Dillis haben, nicht mit Sicherheit feststellen. Jedoch spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß er durch Goethes meteorologische Studien, die zwischen 1817 und 1823 erschienen, dazu angeregt wurde. Nicht nur war Dillis ein sehr gebildeter Mann, der sich selbstverständlich mit allem beschäftigte, was von Goethe erschien, er hat sich auch Goethe angenähert, wenn es ihm auch nicht gelungen ist, ihn kennenzulernen. Schon aus dem Jahre 1815 gibt es eine Goethesche Briefstelle (an S. Boisserée, 21. Dez. 1815), wo es heißt: »Des Herrn Dillis Aussagen bemerk ich mir«; und am 6. Nov. 1828 ist in den Tagebüchern notiert; »Landschaften von Dillis«. Betreffend diese Landschaften schrieb Goethe an Joseph Carl Stieler am 20. Nov. 1828: »Herrn Inspektor Dillis bitte ich für die mitgetheilten Radierungen verpflichtet zu danken. Gerade solche, kaum bedeutend scheinenden Gegenstände, glücklich aufgefaßt und mit Geschmack wiedergegeben, setzen mich in die angenehmste Empfindung; man gelangt zum Mitgefühl, wie der Künstler, indem er sich mit dergleichen beschäftigte, einer wünschenswerten Gemüthsruhe genossen und solche der Landschaft, dem Himmel, der Erde, den Bäumen und Baulichkeiten, nicht weniger dem Wasser mitzutheilen gewußt habe.« Eine milde Zustimmung der höchsten Kunstautorität des damaligen Deutschlands, die auch vorzüglich auf die Wolkenstudien von Dillis, wie wir sie heute sehen, paßt. Denn die etwa einhundertfünfzig Blätter mit Wolkenstudien, die von ihm erhalten sind und im Archiv der Stadt München bewahrt werden, zeigen weder Tiefe noch Größe, wohl aber eine glückliche Auffassung und viel Geschmack in der Anordnung der Phänomene,· sie machen wirklich den Eindruck, als seien sie mit Gemütsruhe geschaffen worden, als habe ihr Urheber sich in voller Gelassenheit der Darstellung der so rasch sich wandelnden Himmelserscheinungen hingegeben, da er auf eine sichere Führung bei seiner Arbeit vertrauen konnte. Sie zeigen, mit anderen Worten, einen heiteren Abglanz der Altersweisheit Goethes.
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Deutlich erkennbar sieht man auf diesen Blättern Cumulus, Cirrus und Stratus, doch ist bei allen Formen das Flockig-Leichte betont, und die Anordnung ist so, als ob ein letzter Hauch des Rokoko-Ornaments sie belebte, wie es die Kunst beherrschte, in die Johann Georg von Dillis hineingeboren wurde. Zu der Gruppe der Deutschen trat dann, wenn auch nur vorübergehend in die Sphäre des Wolkenstudiums hineingezogen, der Schweizer Johann Jakob Ulrich (1798-1877) 65 . Unter den deutsch-schweizerischen Landschaftsmalern zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war er einer der originelleren, dennoch nur von lokaler Bedeutung. Ein Altersgenosse von Blechen, war er in seinen Anfängen jedoch eher französisch als deutsch orientiert, da er seit 1816 in Paris lebte und dort zusammen mit Corot bei Bertin, ferner bei Gudin und den
Brüdern LePrince studierte. Als selbständiger Maler ist er seit 1825 aufgetreten. Im Jahre 1828 ging er nach Italien, nach Neapel, Rom und Sizilien und hielt sich bis 1830 im Süden auf. Er erreichte Rom erst, als Corot die Stadt verlassen hatte, kann dort aber sehr wohl noch mit Blechen zusammengekommen sein. Wahrscheinlich wurde er durch diesen zu den wenigen Wolkenstudien (Abb. 21) angeregt, die von seiner Hand existieren56. Denn diese scheinen ihren Sujets und ihren intensiven Farben nach in Italien gemalt zu sein,· sie gehören auch stilistisch dem Frühwerk des Künstlers an, der später vor außergewöhnlicheren Wagnissen zurückschreckte und in recht gewöhnlicher und sentimentaler Routine als Heimatmaler endete, nachdem er in den vierziger Jahren in Zürich eine Zeichenakademie eröffnet hatte und 1855 Professor für Landschaftszeichnen am Eidgenössischen Polytechnicum in Zürich geworden war. Ulrichs Interesse an den Wolken scheint schnell erloschen zu sein; er hat sich später mehr mit Seemotiven und — darin Stifter verwandt — auch mit Erdbildungen sehr im einzelnen befaßt, mit Steinen, Blöcken, Geröll; letzteres übrigens auch schon in Italien, als er noch jung war. Da er nur mit schwacher Phantasie und geringer Auffassungskraft begabt war, hat er sich mehr an die bleibenden Phänomene gehalten als an die sich wandelnden; und auch bei jenen ist er den farbigen Eindrücken eher gerecht geworden als den gewachsenen Formen, die er nicht verstand. Daher müssen ihm die Wolken im tieferen Verständnis fast unzugänglich gewesen sein, die sich ihrer Natur nach seiner Nüchternheit und jeglichen farbigen Nettigkeiten entzogen.
V.
John Constable Wie in der Literatur der zwanziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts Goethes Wolkengedichte als etwas Besonderes an Bedeutung, Gehalt, geistigem Gewicht und Geschlossenheit hervorragen, so stehen in der Malerei derselben Zeit John Constables Wolkenstudien da, deren wichtigste in den Jahren 1821—22 gemalt worden sind. Auch sie eine Gruppe außer Vergleich an Bedeutung und geistigem Gehalt, welche der Künstler entsprechend wertete, und die er in seinen Briefen vom September und Oktober 1821 in diesem Sinne erwähnte 67 . Auch der Maler Charles Robert Leslie, der sie wohl als erster zu sehen bekam, hat das Außergewöhnliche dieser Studien sogleich empfunden. Er hat mitgeteilt, daß er zwanzig von Constables Himmelsstudien aus diesem Sommer besaß. Unter ihnen sei keine, »in der auch nur eine Spur Landschaft eingeführt ist. Sie sind in ö l gemalt, auf großen Stücken dicken Papiers, und alle datiert, außerdem mit der Tageszeit und der Windrichtung und anderen Notizen auf dem Rücken. Auf der einen steht beispielsweise geschrieben: r. August 1822, 1 1 Uhr morgens, sehr heiß, mit großen aufsteigenden Wolken unter der Sonne, westlicher Wind« (Abb. 23).
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Daneben aber hat Constable auch Wolkenstudien gemalt, die wenigstens einen schmalen Streifen von Erdboden enthalten (Abb. 22), — man möchte sagen, Landschaften mit ungewöhnlich, ja mit unmöglich tief genommenem Horizonte, in denen die Erde wie die Basis einer Statue verwendet ist, als fester Halt oder als Kontrast zu den >Figuren< des Himmels; dann gibt es von ihm noch andere, Blicke auf einen nahen Horizont, der von Bäumen gebildet ist, hinter deren Wipfeln sich die Wolken erheben (Abb. 24). Alle diese Studien haben die unverkennbare Absicht, neben der Wiedergabe der Objekte das Raumproblem zu lösen, den scheinbaren Zusammenstoß von Nähe und Ferne im Räumlichen. Ihre Hauptproblematik liegt an der Berührungszone von Himmel und Erde, dort wo die Schwere des Irdischen, etwa der Laubmassen oder des Bodens selbst, angerührt wird durch die Leichtigkeit der Atmosphäre des Himmels. Doch auch auf diesen Blättern ist das Hauptinteresse auf den Himmel konzentriert, und er nimmt auch den größten Teil der Bildfläche ein, so daß kein Zweifel entstehen kann, daß man es mit Wolkenstudien zu tun hat. Die Gruppe dieser Blätter, diese Variationen über das Thema Wolken,
wurde in einem Zuge, in einer konzentrierten Anstrengung geschaffen, wie unter einer besonderen Inspiration, auf Grund einer besonderen Veranlassung; sie nimmt wegen ihrer Eigenart auch eine besondere Stellung durch das ein, was in ihr geleistet ist, verglichen mit anderen Wolkenund Himmelsbildern aus früheren und späteren Jahren des Malers. Sie hebt sich künstlerisch aus Constables Gesamtwerk heraus. An Reinheit der Konzeption, Ehrlichkeit der Mittel wie im Durchhalten der dichterischen Verklärung ist sie vielleicht das Größte, was er geschaffen hat. Dabei kann kein Zweifel darüber bestehen, daß diese auf Papier gemalten ölstudien nur zu Übungszwecken gemalt worden sind. Sie waren nicht als selbständige Kunstwerke gemeint. Studien dieser Art sind in die Hände Leslies gelangt, nachdem er Constable seine Verlegenheit geklagt hatte, wie er in einem Bilde den Himmel malen solle. Damals hatte Constable sie ihm als Vorlagen überlassen, wie er sie auch selbst als Vorlagen gebraucht hat. »Ich sende Dir«, heißt es in einem Briefe vom 26. März 1836, »ein paar Himmel, die, denke ich, zu Deinem Bilde passen werden.« Die beiden Maler hatten also ein angefangenes Bild Leslies betrachtet, bei dem der Himmel nicht gelungen war oder Leslie nicht wußte, wie er ihn ausführen sollte, und Constable gab aus seinem Vorrat, was Leslie brauchen konnte. Als Studien für die Himmel seiner großen Bilder, »der sechs Fuß Leinwände«, wie er sie nannte, hatte Constable diese Studien ausgeführt, wegen der Schwierigkeiten, die auch er bei der »Komposition und Ausführung« von Himmeln gefunden hatte, als Übungen der Augen, der Hand, des Gedächtnisses und der Vorstellungskraft68. Nun genügt ein Blick auf Constables Landschaften und die seiner Zeitgenossen, um zu sehen, daß es bei ihm mit dem Malen von Himmeln seine besondere Bewandtnis hatte. Constable hatte einen größeren Ernst dabei, nahm die Sache wichtiger als seine Kollegen. So erklären sich die Studien in ihrem Vorhandensein. Aber nicht in ihrem Wesen. Denn an ihnen ist etwas Auffallendes, jene Merkwürdigkeit, daß darin mehr gelang als beabsichtigt war. Und nicht nur mehr, sondern eigentlich etwas ganz anderes. Betrachtet man sie als Werke unter seinen Werken, so fallen sie gerade nicht durch das Naturstudienhafte auf, nicht durch eine vorwaltende Treue in den Einzelheiten, welche die Inspiration, die gestaltende Phantasie des Künstlers zurückgehalten hätte,· nein, im Rahmen der Fähigkeiten Constables zeichnen sie sich gerade durch ein kühnes und sicheres Erfassen des Wesentlichen in großen Zusammenhängen aus, verbunden mit einer Organisation der Bildfläche und einer Empfindung für Raumwerte, wie sie sonst kaum so klar, so prägnant, so ohne Mißton in seinem Schaffen vorkommt. Die Tatsache, daß diese Wolkenstudien so eminent >richtig< aussehen, erweist sich als Folge ihrer künstlerischen Wahrheit
(Abb. 25—27). Nicht sind sie Naturabschrift nodi Naturwiedergabe, sondern Komposition, geplanter Aufbau aus der Einsicht in das Wesen des darin Darzustellenden; sie beschreiben nicht Wolken noch Himmel, sondern machen diese, um in der Ausdrucksweise der Romantiker zu sprechen, »poetisch«; oder, um auf unsere zeitgenössische philosophische Einsicht, nämlich Heideggers58, zurückzugreifen, sie »dichten« sie, indem sie sie Stück für Stück in rhythmischer Bändigung, in Ubereinstimmung der Klänge und der Formen wie in den Gegensätzen derselben aufbauen, jede Einzelheit der Bedeutung im Wirklichen daraufhin ansehend, abwägend und von daher ihren Platz und ihr Gewicht im Bildgedichte bestimmend. Enthält die Naturstudie unter allen Arten künstlerischer Arbeit das meiste an Zufälligkeit, wie es die Wirklichkeit durch den Streit ihrer Kausalketten hervorbringt, so zeigen Constables Wolkenstudien genau das Gegenteil, das Wesen, das Leben des Lichtes, der Wolken und des Himmels, empfunden, verstanden und aus beiden heraus zurDar-stellung, in die »scheinende Schönheit« des Wahren (im Sinne Hegels) gebracht. Um ihr Wesen noch genauer zu fassen, ist es angebracht, Constables Arbeiten in jene vier Gruppen eingeteilt zu betrachten, welche gewöhnlich bei den Malern vorkommen. Diese finden sich bei Constable sogar in auffälligerer Verschiedenheit, stärker getrennt als bei älteren Meistern, und ihre Besonderheiten haben sich verschoben, die charakteristischen Unterschiede auch wieder zum Teil verwischt. Die Beziehungen zwischen Entwurf, Skizze, Studie und fertigem Werke — um sie handelt es sich — sind bei Constable nicht mehr, was sie früher, was sie noch bei allen Akademikern seiner Zeit waren. Ein anderes geistiges Verhalten verbindet sie. Bei den echten Studien, die zur Ergreifung wirklicher Verhältnisse und Formen von Einzelobjekten gemacht sind, scheint die künstlerische Teilnahme vollständig abwesend, andere wieder lassen sich von Entwurf und Skizze kaum trennen, und zwar sind das diejenigen vor der Natur entstandenen, in denen größere Zusammenhänge zu fassen gesucht sind; und die fertigen, die großen ausgeführten Bilder schließlich scheinen nicht diejenigen Intentionen zuende zu führen, zur Voll-endung zu bringen, um die es dem Maler in den Entwürfen zu tun gewesen ist. Da ist zuerst die Masse der Bleistiftstudien und -skizzen, mehr mit suchendem als mit findendem, d. h. phantasiebegabtem Geiste hergestellt. Mit scharf gespitztem, hartem Stifte sauber gezeichnet, geben sie entweder kleine Bildmotive oder genaue Einzelheiten von Bäumen, Pflanzen, Häusern, so treu wie möglich und so billig wie möglich, mit konventionellen Strichen und in konventioneller Auffassung80. Die Linien in ihnen sind meist wenig empfunden, und sie entbehren der Ausdruckskraft. Die von den Dingen gegebenen Ansichten sind die gewöhnlichen, die jedermann sieht, oder die von älteren Malern durchgeprobten. In seltenen Fällen
nur zeigen gezeichnete Blätter von Constable die Kraft einer originalen Vision, geben einen künstlerischen Zusammenhang, und in ihnen allein kleben seine Linien nicht am Umriß der Dinge, sondern fassen die Erscheinungen im freien Spiele der Phantasie zu etwas zusammen, was mehr als eine schwächliche Reproduktion der Wirklichkeit ist. Constable war im großen und ganzen kein Zeichner,· in seinen guten Momenten sah er die Wirklichkeit in Flecken und Flächen, darstellbar allein durch eine flächig ausbreitbare Substanz — und dazu brauchte er den Pinsel. Die zweite Gruppe der Werke Constables enthält seine heut berühmtesten Schöpfungen, die in öl, selten in Wasserfarben gemalten Landschaftsskizzen. Mit ihnen brachte er ein neues genus von Gemälden hervor, welches für die Malerei des neunzehnten Jahrhunderts charakteristisch geworden ist, Bildentwürfe, die vor der Natur entstanden sind. Sie sind Skizzen und Studien in einem, waren auch nicht als mehr gemeint, zählen aber heute als vollgültige, endgültige Werke. Durch sie wurde der früher allgemein anerkannte Begriff der Bild - V o l l e n d u n g außer Kraft gesetzt und ein neuer, rein eindrucksmäßiger, subjektiver eingeführt. Das Wort Vollendung bekam einen neuen Sinn, indem es als Gegensatz zum Fertigmachen der Einzelheiten zu gleichmäßiger Deutlichkeit empfunden wurde. Constable allerdings teilte solche Ansichten nicht, er stand hier einem Problem gegenüber, dessen Lösung er auf anderem Wege suchte. Diese kleinen Bilder sind eigentlich Skizzen, nicht Studien, weil sie, obwohl nach der Natur gearbeitet, in ihrem Wesen Gebilde der malerischen Phantasie sind, Improvisationen von zu Bildern zusammengefaßter studierter Natur wie die frei erfundenen, komponierten Skizzen der älteren Meister. Jede solche Skizze stellt eine Komposition vor, welche der Natur entnommen, auf einer Auswahl und auf einer Verbindung natürlicher Erscheinungen beruht, die sich von einem bestimmten Platze aus den Augen des Malers darboten. Sie behandeln >Naturmotiveinteressanten< Landschaftsaufnahmen von Paul Sandby bis zu John Robert Cozens und zu Girtin. Constables Landschaftsskizzen zeigen einen hohen Grad von Inspiration, eine lebendig und wahr gestaltende Phantasie; sie sind belebt nicht von Sach-, sondern von malerischen Einzelheiten; sie sind im Angesicht der Natur frei erfundene Ausdrucksbilder derselben — was man leicht erkennt, wenn man sie mit der wirklichen englischen Landschaft vergleicht. Sie sind einfache und leise vorgetragene >Gedichte< über dieselbe. Auf diesen Landschaften begegnet man nun den Wolken nicht eigent-
lieh; denn diese sind nicht dargestellt; es ist auf sie nur verwiesen durch wild hinfahrende Bänder, Flecken, Kränze oder Ballen und Klumpen aus weiß und grau, welche bloß die Gestaltlosigkeit, das Veränderliche, Unruhige und Unbestimmte des am Himmel dahergetriebenen Gewölbes anzeigen. Das da Gemalte zeigt keine ausgesprochenen Naturformen (Abb. 28). Als dritte Gruppe der Werke folgen Constables große, ausgeführte und abgeschlossene Gemälde, Galerie- und Ausstellungsbilder, im Atelier nach den Regeln der Kunst komponiert, bedacht und berechnet. In ihnen zeigt sich am meisten Constables Zusammenhang mit der Tradition der holländisch-flämischen und der italienischen Landschaftsmalerei, vor allem mit dem von ihm so bewunderten Claude Lorrain. Durch einen weiten Abstand von den Skizzen getrennt, sind diese Bilder still, ruhig, und das Gefühl ist in ihnen durch Gedanken gebändigt, durch Gedanken über die Bildkomposition sowohl als Gedanken an die Alltagserscheinungen der Natur. In ihnen ist viel konventionelles Sehen, viel Unterwerfung unter angeblich geheiligte Forderungen der kunstverständigen Menschheit. Was die Darstellung des Atmosphärischen betrifft, so zeigen diese Gemälde sehr naturgetreue Abbildungen von Wolken aller Art, ein ängstliches Bemühen, sie richtig zu malen. Als eine vierte Gruppe sehe ich dann Constables Wolkenstudien an, die in keine der bisher erwähnten sich ohne Zwang einordnen lassen, und zwar vorzüglich jene, die in den Jahren i82r—22 entstanden sind. Sie nehmen eine Mittelstellung zwischen den Landschaftsskizzen und den vollendeten Gemälden ein, wenn man den in ihnen ausgedrückten Gefühlszustand und den Grad ihrer Wirklichkeitswiedergabe ins Auge faßt. Sie bilden eine besondere Gruppe nicht so sehr wegen ihres Gegenstandes als wegen des in ihnen sich aussprechenden Verhaltens zur Natur. Sie sind weder so flackernd-fahrig erregt wie jene noch so beruhigt wie diese; sie werden der Wirklichkeit gerecht, ohne bloß getreu und ausführlich zu sein. Jedoch das Naturgefühl in ihnen ist nicht bloß von >mittlerer Temperatur^ es ist auch reicher und dadurch jenem Aspekt der Wirklichkeit mehr geöffnet, welcher vollständig wirkt durch Andeutungen, die >poetisch< ausgewählt und gefügt sind. Sie sind vor der Natur gemalt und doch — erfunden; kein Widerspruch, sondern ein bestimmtes, sehr konsequentes Verfahren, wie man es früher beim Porträt schon kannte, bei welchem der malerische Geist im Betrachten seines Modells über dessen äußere Erscheinung hinaus geht und es in seinem Wesen ausfindet, auffindet, entdeckt; so etwa verhält es sich auch mit Constables Wolkenstudien, nur daß die Erfindung bei ihnen beherrscht ist von bestimmten typischen Vorstellungen von der Atmosphäre, von Vorstellungen der Gesetzmäßigkeit, die deren ständigen Wandlungen und Verwandlungen zugrunde liegt. Sind sie Constables Landschaftsskizzen am nächsten verwandt, so unterscheiden sie sich von ihnen durch eine
besondere Art von Sachlichkeit, welche in diesem Falle nicht auf die nüchternen Vorstellungen der alltäglichen Wirklichkeit gegründet ist, sondern auf eine Einsicht in die u r s ä c h l i c h e n Zusammenhänge der Erscheinungen. Selbst mit Ruisdaels Wolken verglichen, vielleicht den natürlichsten, den wolkenhaftesten, die vor Constable gemalt worden sind, erscheinen dessen Wolken noch um einen Grad wahrhaftiger, wesensgemäßer, und zwar darin, daß sie ein bestimmtes Wetter, eine Phase, eine Entwicklung der Witterung zur typischen Anschauung bringen. Ruisdael hat Wetter-zustände gemalt, einen Gewitterhimmel, eine dicke Wolkendecke oder zerstreute Wolken, durch welche die Sonne hindurchbricht, charakteristisch, aber doch noch in einer Verallgemeinerung bloß gewisser ins Auge fallender Bildungen; Constable hat die Wolken in höherem Zusammenhange begriffen, er malte typische Witterungs-entstehungen und -entwicklungen, >lebendiges< Wetter (wenn solch ein Ausdruck gestattet ist, — bereitwillig aufgenommen, sagt er das Gemeinte durchaus treffend aus), spezifisches Wetter mit den dazu gehörigen Wolken, so eindeutig, daß ein Meteorologe es aus ihnen bestimmen könnte. Eine Bestätigung dafür liegt vor. Ein Sekretär der königlichen meteorologischen Gesellschaft in London schrieb62: »Constables Himmel sind in hohem Grade wirklich, durch und durch wahr und voll kräftiger Bewegimg.« — »Constables Wolken ragen auch durch ihre Bewegtheit hervor und durch die Art, wie sie ihre Veränderungen spüren lassen. Darin liegt vielleicht ihre größte Qualität.« »Als dem Schreiber ein Bild von Constable gezeigt wurde, ohne daß er den Maler kannte, kehrte er zu wiederholten Malen dazu zurück, weil der Himmel ihm in so schneller Veränderung begriffen schien, die eine Kette von Folgeerscheinungen andeutete.« In gewissen Bildern, sagte derselbe Autor, »sehen wir nicht nur einen wirklichkeitsgetreuen und typischen, sondern auch einen so lebendigen Himmel, daß dem geistigen Auge der durch die Farben festgehaltene Moment zugunsten der angedeuteten Folgen von Veränderungen verlorengeht. So finden wir auf dem Bilde >Hütte in einem Kornfeld« (Victoria and Albert Museum, London) eine ruhige Darstellung starker Mittagshitze im Juli oder August und erhalten einen mächtigen Eindruck schnell wachsender Cumuluswolken. Dieses einsame Haus neben dem reifenden Korn wird heute nachmittag kaum einem krachenden Gewitter entgehen!« Der Verfasser hat dann für eine Anzahl Constablescher Bilder die Wolkenformen wissenschaftlich genau benennen können und sein Urteil so zusammengefaßt: »Die große Leistung John Constables als Landschafts-meteorologe beruht in folgendem: er zeigte auf der Leinwand mit höchster Vollendung unsere mannigfaltigen und wechselvollen englischen Sommerhimmel in ihrer ganzen vielfältigen Schönheit.« Daß dies nicht von außen in sie hinein interpretiert ist, daß vielmehr Constable selbst derartiges wollte und ausdrücklich im
Sinne hatte, geht aus einer Notiz von ihm hervor, welcher er einer Reproduktion eines seiner Gemälde zur Erklärung beigab. Das betreffende Bild enthielt einen Himmel, der auf die in Frage stehenden Wolkenstudien zurückging. Es handelt sich um die Erklärung, die Constable dem Blatt >Frühling< aus einer Folge von Mezzotintos nach seinen Landschaften83 beifügte: »Das Blatt mag vielleicht eine Erinnerung an einen jener hellen, silbrigen Frühlingstage wachrufen, an dem mittags große, grelle mit Hagel oder Schloßen geladene Wolken ihre breiten Schatten über die Felder, Gehölze und Hügel fegen und durch ihre tiefen Töne die lebhaften Grüns und Gelbs verstärken, die für diese Jahreszeit so charakteristisch sind. Die Naturgeschichte dieser Himmel, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, die so besonders durch die Hagelböen gekennzeichnet sind, ist folgende: Die Wolken häufen sich zu sehr großen Massen und scheinen wegen ihrer Höhe sich nur langsam zu bewegen: unmittelbar auf diesen großen Wolken erscheinen zahlreiche dunkle Flecken; dies sind kleine Wolken, die schnell an jenen vorbeiziehen und aus vereinzelten Teilen bestehen, die wahrscheinlich von der größeren Wolke abgetrennt sind. Da diese kleinen viel näher der Erde schweben, stoßen sie vielleicht auf eine stärkere Windbewegung, die sie, da sie auch verhältnismäßig leichter sind, veranlaßt, sich mit größerer Geschwindigkeit zu bewegen,· daher werden sie von Windmüllern und Seeleuten Boten genannt und zeigen immer schlechtes Wetter an. Sie fliegen in der Mitte dessen, was man die Wege der Wolken nennen könnte; deshalb haben sie einen fast gleichartigen Schattenton, da sie nur reflektiertes Licht von dem klaren blauen Himmel dicht über ihnen empfangen. Wenn sie an den hellen großen Wolken vorbeiziehen, erscheinen sie dunkel; dort, wo sie an den beschatteten Teilen vorüberfliegen, nehmen sie einen grauen, bleichen oder fahlen Ton an.« In dieselbe Richtung eines, wenn auch populär gehaltenen meteorologischen Interesses weisen nun auch die Notizen, die Constable auf den Rückseiten seiner Wolkenbilder anbrachte, von denen eine angeführt worden ist. Folgende Tatsachen ergeben sich: Constable schuf eine große Anzahl von Wolkenstudien, deren Hauptmenge auf zwei Jahre seines Schaffens zusammengedrängt ist. Diese bezeugen — neben anderen Eigenschaften — ein besonderes Verständnis des Malers für die typischen Wolkenformationen, wie sie bei verschiedenem Wetter auftreten, und für die Zusammengehörigkeit und den wettermäßigen Zusammenhang unterschiedlich geformter Wolken. Sie sind meteorologisch richtiger als — das darf man wohl sagen — alle anderen Wolken, die je vor ihm gemalt sind. Sie tragen zudem Notizen, die ein meteorologisches Interesse unzweideutig anzeigen. Constable wurde also zu einem ganz bestimmten Zeitpunkte zu intensivstem Studium von Wolken angeregt, intensiver und konzentrierter als
je vorher (obwohl er sich von Jugend auf besonders mit ihnen abgegeben hatte), und in den Studien, welche er zu diesem Zwecke machte, bewies er ein Verständnis typischer Wolkenformen, von dem vorher bei ihm keine Rede war. Auf die Fragen, ob Constable gerade um 1821—1822 aus eigenem Suchen und Forschen zu diesem größeren Verständnis von Wolken durchdrang und zu jenen meteorologischen Beobachtungen hinfand, oder ob beides durch fremde Anregung erfolgte, ferner, wenn ein anderer ihn anregte, wer es war und auf welche Weise die Anregung zustande kam, auf diese Fragen geben zwei Umstände Antwort, welche beide, voneinander unabhängig, im selben Sinne beweiskräftig sind, zuerst einer seiner Briefe, dann die E n t w i c k l u n g seiner Wolkendarstellungen während seiner gesamten Schaffenszeit.
VI.
Constable und die Meteorologen In dem in Frage kommenden Briefe64 heißt es: »Ich sende das Buch zurück, das Du mir vor so langer Zeit geliehen hast. Meine Beobachtungen über Wolken und Himmel stehen auf Zetteln und Papierfetzen; ich habe sie noch nie zu einem Vortrag zusammengestellt, will das aber tun und darüber im nächsten Sommer in Hampstead sprechen... Willst Du mehr über die Atmosphäre wissen und kann ich Dir dabei behilflich sein, so schreibe mir. Das beste Buch darüber ist Forster; in vieler Hinsicht hat er nicht recht, hat aber das Verdienst, das Feld erschlossen zu haben.« Das Buch, das Constable hier im Sinne hatte, heißt Researches about atmospheric phenomena< (Forschungen über atmosphärische Erscheinungen), von Thomas Forster, F. L. S., M. D.®5 und war zuerst 1812 und in dritter Auflage 1823 erschienen. Es enthält eine nahezu wortgetreue Wiedergabe der Howardschen >Wolken-Klassifizierungen< (Classifications of Clouds) unter dem Titel >Von der Theorie des Herrn Howard über den Ursprung und die Veränderungen der WolkenEinteilungen< (classifications) zuerst einem breiteren Publikum mitteilte, >Das Klima von London Versuch über Wolken< (Essay on clouds) bildete das erste Kapitel des ersten Bandes. Das Nächstliegende und Wahrscheinlichste ist es also, zu denken, daß es dieses Werk war, durch das Constable die entscheidende Anregung für seine Wolkenmalerei empfing. Dagegen spricht nicht, daß er Howard in seinem Briefe nicht erwähnte. Dort handelte es sich um die Erklärung atmosphärischer Vorgänge, nicht um Malerei; für jene mochte Forster der bessere sein, für diese kommt ausschließlich Howard als wichtig in Betracht. So ist es doch wohl mehr als wahrscheinlich, daß das intensivste Studium des Himmels, die Schaffung besonderer Wolkenbilder bei Constable unter dem Eindruck jener Arbeit einsetzte, welche auch Goethe »das Unbestimmte, nicht zu Haltende, noch zu Erreichende eingeschränkt hat«, und die ihm »einen Faden darreichte, seine zahlreichen Einzelbeobachtungen in einsichtiger und einleuchtender Weise zusammenzustellen«. Ein letzter Beweis für diese Annahme wird dann durch die Entwicklung von Constables Wolkendarstellungen geboten, wenn man sie chronologisch betrachet66. Befriedigende Darstellungen von Himmel und Wolken wollten ihm lange nicht gelingen. Im Jahre 1804, in einem Alter von 28 Jahren, malte er Wolken noch in der Art von Ruisdael. i8ri zeigte er dann schon eine eigene Art, Wolken zu behandeln. In den Skizzen >Mühlbach< und >Schleuse und Hütten am Flusse Stour< (Abb. 29) überschwemmte er den Himmel mit wilden Wolkenhaufen und -fetzen, in der spürbaren Absicht, den Eindruck von Wind hervorzurufen. Das gelang ihm auch, aber er hatte dafür die wirkliche Gestalt der Wolken, preiszugeben. Um der Wir-
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kung willen kam die Anschauung zu kurz. Die Wolken hatten weder die ihnen eigentümlichen Formen noch ein selbständiges Leben. Sie figurierten im Bilde bloß nach den Erfordernissen der Komposition, als Gegenstimme, als Kontraste gegen die dunklen Baumsilhouetten. Wo die dunklen Partien von großer Ausdehnung waren, fanden sich große Wolkenballen ein, hinter schmaleren Laubmassen kleinere Wolken; die leere Himmelsfläche, die übrigblieb, wurde mit geflockten Wolkenkränzen gefüllt. Merkwürdig, wie sie mit ihren hellen Flächen und den licht konturierten Graus an Tintorettos Wolken erinnern; und, wie wenig war solch spiritualistische Ubersteigerung von Naturerscheinungen hier am Platze. Das waren keine Wolken, wie sie bei starkem Wind von der See her über dieses Land getrieben werden. Constable war sich dessen wohl bewußt, noch mehr aber beunruhigte ihn ein anderer, rein maltechnischer Mangel. Seine Wolken kamen im Bilde nach vorn, sie hielten sich nicht in der Ferne, wie es die Natur der Dinge erforderte. Das tritt sehr hervor auf dem Bilde >Die Bucht von WeymouthWolkenschatten wandern über Land und Meer< kommt deshalb nicht recht heraus. Constable bemühte sich hier offensichtlich um die Plastizität der Wolkenmassen, er versuchte diese durch starke Gegensätze von Hell und Dunkel hervortreten zu lassen. Dabei überschätzte er aber die Gegensätze von Licht und Schatten, er nahm sie viel zu stark; deshalb ging die Luftperspektive, die alle Gegensätze ausgleicht oder verringert, verloren, und die Wolken kamen im Bildraum zu weit nach vorn. Sie verloren auch alle Leichtigkeit, das Schwebende, das sich so charakteristisch in ihren Formen ausdrückt. In den Skizzen zum >HeuwagenDie Kathedrale von Salisbury, von den Wiesen her gesehen< mit dem abziehenden Gewitter und dem Regenbogen malte er den Himmel nicht bloß besser als die Bäume und das Wasser, nicht zu reden von der Kirche, sondern von einer ganz anderen geistigen Ebene als jene. Der Wechsel in der Behandlung von Himmel und Wolken, der in und mit den Wolkenstudien in Constables Malerei eintrat, kann schwerlich als das Ergebnis seiner eigenen Bemühungen aufgefaßt werden. Dazu vollzog er sich zu plötzlich. Und, wenn Constable die nötige Einsicht aus Eigenem erreicht hätte, wozu hätte es dann noch so vieler Arbeit bedurft, sich ihrer praktisch zu versichern? Nein, kein anderer Erklärungsgrund als ein äußerer Anstoß allein kann gefunden werden, um begreiflich zu machen, daß Constable sich genötigt sah, die Menge der Wolkenstudien auf einen Sitz zu malen. Er hat sich das Verständnis nicht >ermaltsogar ihre Himmel scheinen mit ihren Bildthemen mitzufühlen und übereinzustimmen^ Oft hat man mir geraten, meine Himmel als >eine weiße Fläche anzusehen, die hinter meinen Gegenständen sich ausdehnen Sicherlich ist es schlecht, wenn der Himmel sich aufdrängt, wie das bei mir der Fall ist; wenn er aber umgangen ist, wie das bei mir nicht vorkommt, so ist das noch schlechter; bei mir soll und muß er immer einen wirksamen Teil der Komposition ausmachen. Es ist schwer, eine Klasse von Landschaften namhaft zu machen, bei denen der Himmel nicht den Grundton, den Maßstab und den Hauptträger des Gefühls abgibt. Danach kannst du Dir vorstellen, was ich mit einer >weißen Fläche< anfangen könnte, da ich von diesen Vorstellungen erfüllt bin,· und sie können nicht falsch sein. In der Natur ist der Himmel die Quelle des Lichtes und beherrscht alles; sogar unsere täglichen gewöhnlichen Wetterbeobachtungen sind von ihm bestimmt. In der Malerei sind die Himmel sehr schwierig, sowohl hinsichtlich der Komposition wie der Ausführung, weil sie bei aller ihrer Leuchtkraft nicht nach vorn kommen dürfen; sie sollten so aussehen, als ob sie in größter Ferne wären. Das allerdings trifft nicht für Erscheinungen oder zufällige Wirkungen des Himmels zu, weil diese immer besonders fesseln. Ich weiß sehr gut, was ich tue, und daß meine Himmel nicht vernachlässigt sind, obwohl ihre Ausführung oft zu wünschen übrig läßt, ohne Zweifel aus Uberängstlichkeit; denn sie allein zerstört jene Leichtigkeit der Erscheinung, welche die Natur in allen ihren Bewegungen zeigt.« Daraus geht einwandfrei hervor, daß Constable mit den Ergebnissen seiner bisherigen Himmels- und Wolkenmalerei, wie sie sich auf Grund seiner unsystematischen Beobachtungen entwickelt hatte, unzufrieden war. Offenbar war das, was er als Windmüller zu sehen gelernt hatte und was ihn seine Malerfahrung gelehrt hatte, gerade nicht imstande gewesen, ihm eine Grundlage für die Ausführung seiner Himmel zu geben, wie er sie wollte. Mit Recht wies er darauf hin, daß der Himmel in der Landschaftsmalerei immer einen wesentlichen Teil in der Bildkomposition ausmacht. Jedoch nicht nur dies, »der Himmel ist auch der Grundton, der Maßstab und der Hauptträger des Gefühls«. Ferner »scheinen« bei den großen Malern »die Himmel mit ihren Bildthemen mitzufühlen und übereinzustimmen«. Dies sind vier verschiedene Tatsachen. Sie in Uber-
einstimmung miteinander zu bringen, das war das Problem Constables, und es war auch ein wesentliches, n e u e s Problem. Wie denn hatten Tizian, Salvator Rosa oder Claude Lorrain es fertiggebracht, daß der Himmel mit ihren Bildthemen, d. h. mit der dargestellten Landschaft oder sogar mit den Vorgängen in solcher Landschaft, in Ubereinstimmung kam? Sie hatten den Himmel der Stimmung und der Struktur des Gegenständlichen untergeordnet, die Landschaft war bei ihnen der Grundton, der Maßstab und der Hauptträger des Gefühles. Der Himmel vollendete bloß die Stimmung, Serenität oder Düsterkeit. Constables Zeitgenossen und vor allen Dingen seine Kollegen in der Königlichen Akademie hatten sich damit begnügt, in ihren Himmeln eine zusätzliche Wirkung zu ihren Kompositionen zu geben. Hiermit konnte Constable weder vom Standpunkt seiner Kunstauffassung noch nach seinem Wissen um die wirklichen Naturerscheinungen zufrieden sein. Ein sachliches und ein künstlerisches Zusammenstimmen zwischen Himmel und Erde mußte nach seiner Meinung in einer Landschaft gezeigt werden. Die Frage war, wie er diese »Sympathie« herstellen sollte, ausgehend von der Vorstellung, daß der Himmel »alles beherrscht«, womit er das in aller früheren Landschaftsmalerei angenommene Verhältnis zwischen Himmel und Erde geradezu umdrehte. Wenn Constable nun in seinem Briefe schrieb, der Himmel sei deshalb so wichtig, weil auch »unsere gewöhnlichen alltäglichen Wetterbeobachtungen von ihm bestimmt sind«, so scheint mir das ein Hinweis mehr auf den Einfluß von Howards Buch, das er, wenn meine Vermutung richtig ist, damals schon gekannt haben muß. Wie wird denn ein Maler, wenn er Landschaft malt, von selbst auf so etwas kommen? Was kann es ihm für seine Bilder ausmachen, daß man vom Aussehen des Himmels darauf schließt, wie das Wetter werden wird? Hat denn das überhaupt etwas mit dem zu tun, was er vorhat? Er mußte doch den Himmel als malerisches Phänomen, als Form- und Farbenproblem ansehen, und damit hatte er genug zu tun. Er wird ja auch von sich aus den Wuchs der Bäume und die Färbung der Pflanzen nicht mit der Bodenstruktur in Verbindung bringen. Solche Abschweifungen vom eigentlich Malerischen und Künstlerischen deuten auf Beeinflussung von außen her. Der Brief wurde, das muß nun in die Erinnerung zurückgerufen werden, geschrieben, als Constable schon an der Serie seiner Wolkenstudien arbeitete, die ihre Wettervermerke auf dem Rücken tragen; mit anderen Worten, als er ihn verfaßte, war er schon im Besitz des Schlüssels zu jenen Problemen, die er aufzählte. In seiner Klarheit war dieser Brief eine Art Rückschau. So mag man es sich ausmalen, wie Constable in London in dem neu erschienenen Werke seines Landsmannes von den verschiedenen Wolken-
typen und ihren charakteristischen Formen im Zusammenhange mit Feuchtigkeit und Wind las, wie er seine eigenen Beobachtungen an Hand der ihm gelieferten Systematik zu klären und zu ordnen anfing und wie er aus der frisch erworbenen wissenschaftlichen Einsicht heraus es unternahm, so als wäre er ganz allein von dieser Sache absorbiert, die Wolken nach Howards Klassifikationen mit dem Pinsel zu studieren, während Goethe — genau zur selben Zeit — als Howards Schüler im fernen Deutschland Wolken zu beobachten und über sie nachzusinnen begann, und in Neapel der junge Dahl unter demselben Einflüsse malte. Was aber Constable fernerhin betrifft, so ging der Einfluß jenes Buches bei ihm weiter. Nachdem er einmal Hilfe für seine Kunst bei der Wissenschaft gefunden hatte, entwickelte sich bei ihm ein allgemeineres Interesse für die wissenschaftliche Betrachtung der Natur, für die Naturphilosophie, um einen Ausdruck seiner Zeit zu gebrauchen. Dafür gibt es einige Belege in seinen Briefen. Im Jahre 1824 berichtete er: »Ich traf einen höchst intelligenten und eleganten Mann, Herrn Philipps. Er ist Botaniker, und alle seine Bücher über Naturgeschichte sind lehrreich und unterhaltend, geschrieben für Kinder aller Altersstufen; seine Geschichte der Bäume ist entzückend.« Mehr noch scheint sich Constable für Geologie interessiert zu haben. Am 17. Juli 1832 wohnte er mit seinen Söhnen einem Vortrag bei; »er war über Vulkane«, wie er schrieb, »wirklich höchst interessant«; und am 10. November 1835 sagte er in einem Briefe: »Nach dreißig Jahren muß ich sagen, daß die Schwesterkünste weniger Einfluß auf meinen Geist bei seinen gelegentlichen Abschweifungen von meiner eigenen Beschäftigung haben als die Naturwissenschaften, besonders das Studium der Geologie, das mehr als irgendein anderes meinen Geist zu befriedigen scheint.« Von einem Einflüsse dieser Beschäftigung mit Naturwissenschaften auf Constables Malerei ist keine Spur zu sehen; sie scheint in der Tat auf »gelegentliche Abschweifungen« beschränkt geblieben zu sein. Nur für die Meteorologie bekundete er eine wirklich intensive Teilnahme, wie aus dem früher zitierten Briefe vom Dezember 1836 hervorgeht, in welchem er von seinen eigenen Notizen über Wind und Wetter sprach und sagte, daß er die Erklärungen, welche Forster und andere (wahrscheinlich Howard) von verschiedenen atmosphärischen Erscheinungen gegeben hatten, nicht überzeugend fand. Seine eigenen Ansichten vorzutragen, wie er beabsichtigte, hat ihn der Tod gehindert, und leider hat sich von seinen Aufzeichnungen nichts erhalten. In jener allgemeinen Wendung von der N a t u r b e t r a c h t u n g zur Natur W i s s e n s c h a f t , welche in den zwei letzten Dezennien seines Lebens bei Constable stattgefunden hat, wie sporadisch sie immer äußer-
lidi in die Erscheinung getreten sein mag, drückte sich eine Art Ermüdung und Erkältung seines Gefühles für die Natur aus. Constable war ein Zug zur Sachlichkeit, eine Nüchternheit der Auffassung angeboren. Er empfand das und empfand sich damit im Gegensatz zu den Malerkollegen seiner Zeit. Er sah seine Aufgabe darin, deren nach Regeln komponierte Landschaften und ihre effektvollen Erfindungen zu überwinden. »Ich werde bestrebt sein, eine reine und ungezierte Darstellung zu erreichen. Es ist Platz genug für eine natürliche Malerei«, und er fand, es gäbe nur »wenige Bilder, die die Natur dem Geiste nahe bringen, und die sie mit jener Wahrheit darstellen, welche unvoreingenommene Köpfe fordern.« Er war sich auch klar bewußt, wo die Wahrheiten lagen, die er als erster in der Natur gesehen hatte. Voller Stolz rühmte er an seinen Bildern: »Mein Licht, mein Tau, mein Wind, mein Blühen und meine Frische, das alles sind Werte, von denen bisher keiner von irgendeinem Maler der Welt auf der Leinwand erreicht worden ist.« Und doch war seine Sachlichkeit ursprünglich eine Sachlichkeit aus der Hingabe an das eigene Gefühl. Indem er ohne Voreingenommenheit, ohne Erinnerung an die konventionellen Einstellungen seiner Zeit, ohne rationales Denken und ohne >Geschmack< bei der Betrachtung den intimen Erfahrungen seines eigenen Gefühles sich anvertraute, wie dies von der Landschaft, dem Himmel, der Luft, dem Wetter berührt und bewegt wurde, erschloß sich ihm in der Anschauung die Schönheit der Natur und, was vielleicht noch wichtiger war, zeigten sich ihm die Dinge, wie sie >wirklich< waren. Durch die natürliche Hingabe an diese entdeckte er, nach seiner Meinung wenigstens, die wahre Natur in einem doppelten Sinne, erstens sachlich wahr im Gegensatz zu den über sie verbreiteten Vorurteilen, zweitens in ihrer wahren Bedeutung, Würde und Gleichniskraft, welche den gewöhnlichen Menschen verborgen bleibt. Wenn er die Natur beobachtete und ihrer Betrachtung sich hingab, stellte sich bei ihm in schöpferischen Momenten das Empfinden einer religiösen Berührung ein. Je mehr und eindringlicher er die Natur studierte, sei es selbständig oder unter fremder Anleitung, desto mehr glaubte Constable den Geist Gottes zu erkennen. Aus einem Brief vom Jahre 1802 ist die folgende Stelle: »Ich bin so viel interessierter an diesem Studium, als ich erwartete, und fühle meinen Geist dadurch so allgemein bereichert, daß ich mich zu dem Vorzug beglückwünsche, diesen (anatomischen) Vorlesungen beigewohnt zu haben. Abgesehen von der Astronomie, von der ich nur wenig verstehe, glaube ich, kein Studium ist in der Tat so erhaben oder vermag mehr, den Geist des göttlichen Architekten zu vermitteln. In der Tat, die ganze Maschine, die es Gott zum Fortkommen des wirklichen Menschen zu schaffen gefallen hat, der Geist, ist während seiner Prüfung in diesem Tal der Tränen ebenso wundervoll wie seine Betrachtung ergreifend.« Das Erblühen der Natur im Frühling
wendete seine Gedanken zu Christus. »Alles scheint irgendwie in voller Blüte, und bei jedem Schritt, den ich gehe, und von jedem Ding, zu dem ich meine Augen wende, scheint es, als ob jener erhabene Ausdruck der Schrift >Ich bin die Auferstehung und das Leben< zu mix gesprochen werde« (Mai i8ig). Er schrieb auch vom Sonnenschein, dem Blühen der Felder und Bäume, vom Rauschen der Wälder als von »Gottes Werken« in einer Weise, als wenn ihm solche Gedanken und Empfindungen ganz selbstverständlich gewesen wären, ein anderes Mal vom »Tageslicht des allmächtigen Gottes«. Jedoch scheint sein religiöses Gefühl ziemlich konventioneller und flacher Art gewesen zu sein und sein Denken nicht weiter beschäftigt zu haben. Constable hatte den angeborenen Instinkt des Malers, sich nicht mit spekulativen Gedanken zu belasten, die seine künstlerische Energie niedergehalten hätten und die nur den stärksten Geistern die gestaltenden Kräfte beflügeln. his spirit drank The spectacle: sensation, soul, and form, All melted into him; they swallowed up His animal being; in them did he live. in such high hour Of visitation from the living God, Thought was not; in enjoyment it expired. Wordsworth, Excursion, Buch I e8 Vom Wirken Gottes in der Natur hatte Constable sicherlich nur eine vage Vorstellung und fand darin auch keinerlei Schwierigkeiten; da er in der Natur sich wohlfühlte, ohne Gründe dafür zu verstehen, bewunderte er sie; da er sein Wesen mit ihr in Harmonie empfand, war er überzeugt von einer durch Gott in die Welt eingeführten Ordnung, welche mit der Ordnung, zu der der menschliche Geist hinstrebt und die er bis zu einem gewissen Grade in sich vorfindet, übereinstimmt. Das Problem der Einheit von Ich, Natur und Gott, das Constables Zeitgenossen Coleridge so sehr beschäftigte69, wie nämlich jener schmelzende Zustand des schöpferischen Moments zu verstehen sei, in dem diese Einheit gefühlt und fast geschaut wird, ein Problem, das auch in anderen Ländern die romantischen Geister erregte, bekümmerte Constable nicht. Im Hinblicken auf die Natur, im Auffassen mit den Augen fand er sein Gefühl zugleich erregt und befriedigt. Es gewährte ihm »nicht endende Freude« und führte ihn unmittelbar zu seinem Gotte hin. Die Kontemplation jedoch, die bisweilen in ihm zu religiöser Gestimmtheit sich verstieg, scheint Constable der Natur gegenüber auf die Dauer nicht Genüge getan zu haben; oder sie wurde improduktiver, sie verlor an ent-
hüllender Kraft. Daher griff er denn zu anderen Mitteln, um Natur zu erfassen, Mitteln, deren Wirkungen er auch in der Malerei anerkannt wissen wollte. Darauf deuten Äußerungen aus seinen späteren Jahren wie: »In einem solchen Zeitalter wie diesem sollte die Malerei nicht nur mit blinder Verwunderung betrachtet noch ausschließlich als dichterischer Versuch angesehen, sondern als rechtmäßiges, wissenschaftliches und mechanisches Vorhaben verstanden werden.« Auf dasselbe deutet auch ein Excerpt Constables aus Whites >Naturgeschichte von SelbomeWolkenbilder und Wolkengedichte< werden mußte, lag daran, daß nur für die Himmels- und Wolkendarstellungen das historische Material für dieses Problem in eindeutig sprechender Form vorhanden ist. Nachdem es sich gezeigt hat, daß es Meteorologen waren, die hier für Dichtung wie Malerei wichtig geworden sind, müssen diese Männer neben die Maler und Dichter gestellt und mit ihnen geistesgeschichtlich verbunden werden, um den gemeinten Gesamtvorgang im Zusammenhang der europäischen Geistesgeschichte siditbar zu machen. Howard und Forster gehörten wohl mit zu den letzten jener v i r t u o s iKönigliche Gesellschaft nach London. Meist waren sie wohlhabende Leute, Männer mit bescheidenen Ansprüchen, sie lebten still und zurückgezogen, hatten
nicht übermäßig viel berufliche Verpflichtungen und fanden es angenehm, ihre freie Zeit dem Studium der Natur zu widmen. Sie bildeten eine eigene, überall anerkannte Aristokratie als Mitglieder der europäischen internationalen Gelehrtenrepublik. Ein berühmter Mann dieser Art in England war der Hochwürdige Herr Gilbert White gewesen, der das Leben der Tiere in dem Örtchen Selborne beobachtete, in dem er lebte. Howard und Forster befaßten sich in ähnlicher Weise wie er mit den Erscheinungen des Himmels, Howard ausschließlicher, während Forster viele andere Gegenstände bearbeitete, Howard mehr wissenschaftlich begründend, während Forster eher amateurartig herumfragte, sammelte oder sich in geschichtlichen und anderen Spekulationen erging. In ihren Arbeiten erscheint für uns die Meteorologie als gesonderte Wissenschaft zum ersten Male. Wurden ihre Werke als wissenschaftliche Leistungen auch bald überholt, so blieb doch die grundlegende Leistung bestehen und verschaffte sich Weltgeltung, nämlich die Herausarbeitung der Typen und die Einordnung, die Klassifikation der Wolken, eine Leistung, die allein auf Howard zurückgeht. Nun ist es von Wichtigkeit, klar zu erkennen, daß es gerade diese erste Stufe der wissenschaftlichen Arbeit war, welche für die Maler und Dichter bedeutsam wurde, jene Wissenschaftlichkeit, die im Bereich der einfachen Anschauung verblieb. Was Howard und Forster im Anschluß an die Theorien ihrer Zeit an wissenschaftlichen Erklärungen vorbrachten, im Rückgang auf unsichtbare Faktoren, Kräfte und Gesetzmäßigkeiten, das hatte für Goethe so wenig fruchtbares Interesse wie für Constable. Aber in ihrem Streben nach Ordnung und Faßlichkeit im sinnlich Erfahrbaren begegneten sich Maler und Dichter mit diesen Wissenschaftlern. Es war ein allgemeiner Zug des Geistes jener Zeit, nach Sicherheit und Regelmäßigkeit im Verständnis der sinnlichen Erscheinungen zu suchen. Das unbegrenzte Vertrauen zur Natur, der Enthusiasmus, in ihr ein Reich analog idealen menschlichen Verhältnissen zu finden, voll Friede und Freiheit, war geschwunden, nicht zum wenigsten unter dem Eindruck der französischen Revolution, die man als einen Ausbruch entfesselter, gesetzlos gewordener elementarer N a t u r k r ä f t e verstand. Der einzelne Mensch empfand nun die Natur nicht mehr so sehr als Befreierin seiner eigenen ursprünglichen und unkorrumpierten Natürlichkeit, sondern fühlte sich im Gegensatz zu ihr, wurde zwar zu ihr hingezogen, war sich aber doch der Andersartigkeit ihrer Erscheinungen bewußt. Die Natur war weder einfach noch einheitlich, sie war voller Geheimnisse und Widersprüche, welche sich nur auflösten, wenn sie »die regelmäßige und folgerichtige Form der Wissenschaft« angenommen hatten, wie Howard das nannte. Noch ein zweites Moment machte sich geltend. Man begann zu spüren, daß die Natur, wie sie sinnlich-anschaulich in der Fülle ihrer Erschei-
nungen wahrgenommen wurde, außer in ihrer Gesetzmäßigkeit auch in ihrer Geschichtlichkeit verstanden werden könne, in ihrer zeitlichen Entfaltung und Entwicklung. Ich habe auf diese Auffassung bei Goethe hingedeutet, sie findet sich auch bei Howard, der eine >Geschichte unseres Klimas< begründen wollte,· sie findet sich auch bei Constable. Dieser Zug wird gewöhnlich beim Betrachten seiner Landschaften nicht mehr verstanden und soll deshalb hier hervorgehoben werden, zumal er es ist, der die besondere Art der Hinneigung des Malers zur Naturwissenschaft und zur Meteorologie erklärt. Verschiedene schriftliche Äußerungen Constables weisen darauf hin. Zuerst eine Stelle aus seinen >Vorlesungen über Landschaftsmalerei«70. Constable zeigte auf eine Kopie einer kleinen winterlichen Abendlandschaft von Ruisdael und sagte: »Diese Landschaft stellt das Herannahen von Tauwetter dar. Die Erde ist mit Schnee bedeckt und die Bäume sind noch weiß; da sind aber nahe der Mitte zwei Windmühlen,· die eine hat die Segel eingerollt und befindet sich in der Stellung, woher der Wind wehte, als die Mühle zu mahlen aufhörte, die andere hat die Segel aufgezogen und steht in einer anderen Richtung, was auf ein Umspringen des Windes deutet; die Wolken öffnen sich in dieser Richtung, die sich zufolge eines Scheins im Himmel als Süden anzeigt (der Ort der Sonne im Winter auf unserer Halbkugel), und dieser Wechsel wird noch vor nächsten Morgen Tauwetter bringen. Daß diese Einzelheiten auf dem Bilde vorkommen, zeigt, daß Ruisdael v e r s t a n d , was er malte. Hier hat er eine Geschichte erzählt.« Gleichgültig ob diese Auslegung richtig ist oder nicht, sie zeigt, daß Constable in einem Landschaftsbilde nach einer zeitlichen Entwicklung suchte, in welcher die simultanen Erscheinungen >verstanden< werden könnten. Hierauf hätte er kaum kommen können, wenn er nicht in seiner Kunst dasselbe unternommen hätte. Er wollte nicht einzelne Momente zeigen noch eine der Zeitlichkeit, dem Vergehen entrückte Gegenwart, (das Anliegen des Klassizismus), sondern gerade den Ablauf der Zeit, wie er sich durch verschiedene Anzeichen auf einem Landschaftsbilde erkennen läßt. Dies war wohl die Bedeutung seiner Idee, die Erde vom Himmel her zu verstehen, der ja am deutlichsten das Schicksal der Natur >in der Zeit< sichtbar macht. So beschrieb er selbst eines seiner Bilder von Hampstead Heath als »heiterer Nachmittag mit Sonnenschein nach Regen und schweren Wolken, die fortziehen71«, und fragte bei jemand, der ihn zu einem Bilde anregen wollte, »was sagen Sie zu einem Sommermorgen? Juli oder August, um acht oder neun Uhr, nach einem leichten Nachtregen, um den Tau in den beschatteten Teilen des Bildes zu steigern«72? So versah er schließlich seine Wolkenstudien mit Bemerkungen über Wind und Temperatur, weil aus deren vorausgehender Veränderung sich die verschiedenen Wolkenformen erklärten. Indem Constable dann ganz präzise Wolkenbilder
in seinen Gemälden darstellte, machte er für jemand, der Bescheid wußte, das vorausgegangene Wetter wie die weitere Wetterentwicklung mit sichtbar. Was ihm also Howards Wolkenklassifizierungen lieferten, waren spezifische Strukturen z e i t l i c h e r Erscheinungen und Vorgänge, die »eine Geschichte erzählten«, wobei zu bemerken ist, daß für Constables Naturvorstellung nur dasjenige eine mitteilenswerte Geschichte war, was im Himmel seinen Ursprung hatte, in Feuchtigkeit und Wärme, Wolken und Wind. Er hat weder wie Gainsborough Anekdoten aus dem Leben der Landleute erzählt noch etwa wie Poussin und Claude Lorrain geschichtliche Begebenheiten in eine Landschaft versetzt, sondern hat die Natur als eine in der Witterung und deren Wechsel >immer geschichtl i c h verstanden. Es besteht kein Zweifel, daß er damit der Natur seiner Heimat ihren charakteristischen Ausdruck gab; ein Maler, der nicht unter dem unausgesetzten Witterungswechsel Südenglands (oder Hollands) lebte, wäre wohl nicht darauf gekommen, darin die Geschichtlichkeit der Natur zu finden und als Verstehender zu genießen73. Ich komme nun auf Howards Naturstudium und seinen Beitrag zur >Naturphilosophie< zurück. Wie er selbst sagte, befand er sich dabei in einer besonders glücklichen Lage. »Auf keinem Gebiet der Naturerkenntnis ist das Feld weniger beackert oder die Gelegenheit für eine erfolgreiche Anwendimg der Urteilskraft zur Aufstellung allgemeiner Grundsätze größer als in der Meteorologie in ihrem gegenwärtigen Zustande. Es gibt in der Tat gegenwärtig nur wenige, von denen man sagen kann, daß sie diesen Gegenstand studieren, verglichen mit der Anzahl von Liebhabern der Chemie, Astronomie, Elektrizität usw.« Um nun allgemeine Grundsätze für die Entstehung, das verschiedene Schweben und die Auflösung von Wolken zu entwickeln, fand es Howard zuerst nötig, ihre Formen (modifications) festzulegen, d. i. nach seinen Worten »einfach die Gestalt oder die Weise der Anhäufung«. Die Wolken »sind gewissen, deutlich bestimmten Formentypen unterworfen, die von allgemeinen Ursachen hervorgebracht sind, welche alle Verschiedenheiten der Atmosphäre bewirken«. »Es gibt drei einfache und deutlich unterscheidbare Formen. Außer diesen einfachen Formen muß man Zwischen- und zusammengesetzte Formen zulassen.« Diese nannte Howard Cirrus, Cumulus, Stratus, ferner Cirro-cumulus, Cirro-stratus, Cumulo-stratus und Cumulo-cirro-stratus oder Nimbus. Das letzte ist die Regenwolke74. Um die von ihm festgestellten und benannten Wolkentypen seinem Publikum klarzumachen, fügte Howard seiner Abhandlung eine Anzahl von Abbildungen bei. Diese Stiche gehen auf Vorlagen zurück, die er mit Unterstützung seines Freundes Silvanus Bevan gezeichnet hat.
Howard hat es auch unternommen, die verschiedenen typischen Wolkenbilder farbig wiederzugeben. Es existieren von seiner Hand eine erhebliche Anzahl solcher Aquarelle im Besitze der Royal Meteorological Society in London75 (Abb. 30—33). Der Gedanke, die Wolken nach Klassen zu ordnen und ein rationales System in ihren scheinbar gesetzlosen und immer wieder verschiedenen Erscheinungen zu finden, lag im Zuge der Zeit. Im Jahre 1801 hatte der Franzose J. B. Lamarck (1744—1829), Botaniker, Zoologe, ein Vorläufer Darwins, einen solchen Versuch veröffentlicht. Doch blieb derselbe unbeachtet wie eine zweite gleichartige Veröffentlichung desselben Forschers vom Jahre r8o4. Howard dagegen war erfolgreich; er wußte sein System auch gegen später auftauchende Veränderungen der Nomenklatur zu verteidigen, so gegen Thomas Forster, von dem bald die Rede sein wird, als dieser versuchte, Wolkennamen in englischer Sprache einzuführen76. Howard nahm auch jede Gelegenheit wahr, seine Klassifizierungen immer wieder zu veröffentlichen, so in Rees' Cyclopaedia und in Nicholsons Journal of Natural Philosophy, Bd. XXX, 1812. Um die Entstehimg typischer Wolkenbildungen zu erklären, zog Howard die Verdunstung durch Temperaturveränderungen (nach John Daltons Theorie) und die Elektrizität heran. Seine Erklärungsversuche haben für den hier in Frage stehenden Zusammenhang keine Bedeutung, wohl aber die hinter ihnen ausgebreitete, sie tragende geistige Gesamteinstellung. Howard hat über sie ausführlich Rechenschaft gegeben77: »In der Einleitung zu meinen frühsten veröffentlichten Beobachtungen von T807 finde ich folgende Bemerkungen betreffend Zweck und Gegenstand solcher Untersuchungen: Alle genauen Aufzeichnungen über das Wetter dienen zwei Zwecken, erstens als täglicher Beleg für die Erscheinungen als vorübergehende Vorkommnisse, zweitens als eine fortlaufende Aufzeichnung von Tatbeständen, die den Forscher interessieren und aus denen er Schlüsse ziehen kann, die dazu dienen, unser Wissen von der Struktur der Jahreszeiten (the economy of the seasons) zu erweitern. Diese Art der Anwendung sollte ermutigt werden, denn unzweifelhaft könnten wir von weniger beschränkten Sichten weniger unvollständige Schlüsse auf jene Veränderungen ziehen, und an Stelle jenes Bildes von Verwirrung, jenes Reiches des Zufalls, als die sie gewöhnlich erscheinen, würden wir eine Kette von Ursachen und Wirkungen entdecken, die wie die übrige Schöpfung die unendliche Weisheit und Güte ihres Urhebers zeigte. (Athenaeum, Bd. I, S. 80.) In der Tat würde ich die vielen Mußestunden bedauern, die ich seither diesem Vorhaben gewidmet habe, wäre ich nicht davon überzeugt, daß diese Erwartungen zu einem gewissen Grade erfüllt werden, daß die Meteorologie zum mindesten durch zukünftige Beobachter aus ihrer empirischen Undurchsichtigkeit (mysteriousness) und von dem Vorwurf einer fortdauernden Ungewißheit befreit werden
wird. Sie wird ihren Teil dazu beitragen, einen Satz zu unterstützen, der von einigen der größten Namen in der Naturwissenschaft so glänzend erläutert worden ist; >die allmächtige Hand, welche die Welt geschaffen aus ungestaltetem Wesen, hat alles geordnet nach Maß, Zahl und Gewicht«. (Weisheit Salomos XI, 21.) Oder, um modernere Ausdrücke zu gebrauchen: der Schöpfer hat sogar beim Wehen der Winde und den Wandlungen der Atmosphäre die Mittel so dem Zwecke angepaßt, daß unter nicht endendem Hin- und Herströmen und bei gelegentlichen furchtbaren Störungen das Gleichgewicht der großen Maschine gewahrt ist und ihre Teile sich in noch größerer Harmonie erhalten; denn jede wiederkehrende Jahreszeit bestätigt die Versicherung, die der Menschheit nach der Sintflut gegeben wurde: >So lange die Erde stehet, soll nicht aufhören Same und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.< (Genesis VIII, 22.) Ich habe gelegentlich mit Bedauern in den Schriften von Naturwissenschaftlern eine Ausdrucksweise beobachtet, nach der die personifizierte Natur zur Ursache und zum Ursprung aller Dinge wird, während der große Urheber der Natur niemals erwähnt oder angedeutet ist. Sicherlich kann kein wohl unterrichteter Geist sich einbilden, daß die Kette von Ursachen und Wirkungen, die wir in der Naturwissenschaft erblicken, sich selbst bilden und von selbst wirksam werden konnte, daß die Welt der Materie, in der wir leben,... ursprünglich ohne Plan und Anstoß hervorgebracht war, oder daß sie ohne Anfang ist und niemals ein Ende haben wird. Ich könnte in der Tat die Existenz einer Macht oder eines Prinzipes annehmen, das von der Allmacht verschieden ist und die notwendige Annahme der Schöpfung und Vorsehung ersetzt, das seit Ewigkeit in der Materie existiert und sich selbst in einer unendlichen Fülle von Formen und Vorgängen offenbart — ich sage, ich könnte mir so etwas vorstellen, aber ich könnte es niemals erweisen oder wahrscheinlich machen. Ich würde dann nichts Festes besitzen, um es der positiven authentischen Geschichte der Materie entgegenzusetzen, welche sagt, daß >im Anfang (des natürlichen Systems, wie wir es jetzt erblicken) Gott Himmel und Erde erschufAnfang< an hat durch eine Folge von Wirkungen, die wir erforschen und begreifen können (obwohl das geschaffene Prinzip des pflanzlichen Lebens, das unmittelbar auf die Materie wirkt, um Gewächse hervorzubringen, uns verborgen ist), die >Art< oder Species sich bis auf unsere Tage erhalten. Die göttliche Offenbarung allein war hinreichend, uns die richtigen Vorstellungen für Probleme des Wissens zu liefern, die weder durch die
Beobachtung der Natur zugänglich noch durch richtige Schlüsse aus ihren Erscheinungen aufzeigbar waren; und ohne dies ist es schwer, sich vorzustellen, wie die Idee einer geistigen Energie, die die Materie durchdringt und beherrscht, jemals von Menschen hätte gefaßt werden können. Demgemäß haben wir im Buch Genesis einen Bericht über den Ursprung der Natur, der sich zwar zu der Einfalt des menschlichen Geistes wie seiner Unwissenheit in der Naturwissenschaft herabläßt und dennoch voll der erhabensten Wahrheiten ist, die in der aufrichtigen und geordneten Erarbeitung dieses Wissens erreichbar sind. Wir, die mit größerer Einsicht begabt sind..., haben die Pflicht, bei passender Gelegenheit Ihn ehrfurchtsvoll anzuerkennen... und die Ausflüchte zu verwerfen, die früher den Zwecken einer raffinierten skeptischen Philosophie dienen mußten... Seneca konnte sagen >Nihil est aliud natura quam Deus et divina quaedam ratio, toti mundo et partibus eius insertai (Nichts anderes ist die Natur als Gott und die göttliche Vernunft, die der Welt im ganzen und in ihren Teilen eingepflanzt ist.) In diesen Worten können wir wiederum das Abbild der offenbarten Wahrheit entdecken (denn Seneca war ein Zeitgenosse des Paulus) : >Gottes unsichtbares Wesen, das ist, seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt, an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt.< (Römerbrief I, 20.)« Nun war Howard ein Quäker, nicht nur von Geburt sondern mit der Stimme seines Herzens. In seiner Autobiographie hat er von seiner ausgedehnten Tätigkeit in der Gesellschaft der Freunde< erzählt, wie sehr sie sein späteres Leben ausfüllte und ihn befriedigte. So war sein wissenschaftliches Forschen getragen von dem Gedanken der Größe der Vorsehung, die sich in der Zweckmäßigkeit der natürlichen Erscheinungen und Ordnungen manifestiert. Der panentheistische Charakter seiner Gedankengänge war es, der einst Goethes Interesse erregt hatte,· er ahnte aus ihnen einen ihm verwandten, wenn auch einfacheren und beschränkteren Geist. Von ganz anderer Art, wenn auch ebenfalls religiös stark interessiert, war Thomas Ignatius Forster (1789—1860), ein genialischer, unruhiger Kopf von grenzenlosem Ehrgeiz, gewandter und gebildeter und ein viel eindrucksvollerer Schriftsteller als Howard und doch nirgends grundlegend wie dieser. Er wollte Naturwissenschaft nicht für einen praktischen Zweck betreiben, sondern studierte als Dilettant großen Stils, was immer im Leben seine Aufmerksamkeit erregte, »wegen des Vergnügens, das Naturerscheinungen hervorrufen, indem sie die intellektuellen Fähigkeiten fesseln, unabhängig von jedem weiteren Zweck, dem sie dienstbar gemacht werden könnten.« Seine Begabung, Probleme zu finden, war außerordentlich.
Neben einem halben Dutzend Sprachen studierte er Astronomie, Mechanik und Aerostatik. Schon als Sechzehnjähriger verfaßte er eine Wetterzeitschrift. Ich übergehe seine Beschäftigung mit Anatomie, Physiologie und Phrenologie, mit den Farben, dem Leben der Vögel, sein Violin- und Rechtsstudium, seine Veröffentlichungen der >Lieder der Deutschen«, Catulls und der Briefe von Locke, Shaftesbury und Algernon Sydney, die er geerbt hatte, seine Gedichte und seine metaphysischen Schriften. Als er — 1810 — erkrankte, wurde seine Aufmerksamkeit auf den >Einfluß der Atmosphäre auf Gesundheit und Krankheiten« gelenkt; 1811 wurde er durch die Erscheinung eines Kometen veranlaßt, sich der Astronomie zuzuwenden; 1812 veröffentlichte er seine »Untersuchungen über Erscheinungen der Atmosphäre«. Im Juli 1819 entdeckte er einen Kometen, fünf Jahre später gründete er zusammen mit Sir Richard Philipps eine meteorologische Gesellschaft, die jedoch nur kurze Zeit bestand, kehrte wieder zu seinen Versuchen über den Einfluß der Atmosphäre bei der Entstehung von Krankheiten, besonders der Cholera zurück und machte 1831 einen Aufstieg im Luftballon,· charakteristischerweise konnte er es auch nicht unterlassen, eine Selbstbiographie und zwei Bände Briefe zu veröffentlichen. So unglaublich es klingen mag, das von mir Angeführte ist nur ein Bruchteil seiner Tätigkeit; allein im Katalog der »Königlichen Gesellschaft« ist Forster mit fünfunddreißig Abhandlungen vertreten. Zu seiner genaueren Beschäftigung mit der Meteorologie wurde Forster offenbar durch Howard angeregt, mit dem er befreundet war ; er übernahm dessen Wolkenbenennungen, die er »außerordentlich genau in den meisten Einzelheiten« fand, und die Abbildungen, welche er seinem Werke beigab, waren »meistens nur den Howardschen nachgebildet«, wie schon Goethe notierte. Von Howards Arbeit ging er aus und gab wieder, was er dort vorfand, oft in abgekürzter Form und klarer als das Original. Dann fügte er seine eigenen Beobachtungen hinzu, wagte neue Erklärungsversuche und stellte neue Probleme auf. Charakteristisch war, in welchem Zusammenhang Forster die meteorologischen Forschungen sah. Indem er die Himmelserscheinungen beobachtete und zu deuten unternahm, schweiften seine Gedanken zu den ältesten Menschengeschlechtern zurück, die schon staunend und furchtsam vor den gleichen Erscheinungen gestanden hatten, vor »Windhosen und Wasserhosen, Meteoren und Blitzen, den malerischen Bildern farbiger Wolken und goldenen Dunstes, Donner und Regenbogen.« Was sie immer darüber gedacht haben mochten, sie waren nicht imstande, genau zu beobachten noch weniger eine wahre Erklärung zu finden. Ägypter und Syrer, die alten Stämme des Ostens, hatten als erste die Himmelserscheinungen verfolgt, Daten über sie gesammelt und sie verglichen; sie haben sie den Griechen überliefert, von denen sie dann an die
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Römer gelangt sind. »Meteorologie als besondere Wissenschaft angesehen und von Astronomie und Astrologie unterschieden, scheint zuerst von Aristoteles systematisch behandelt worden zu sein. Kurz nach ihm sammelte Theophrast alle populären Wettervoraussagen.« So setzte er seine historischen Betrachtungen fort, erwähnte das astronomische Gedicht des Aratus, mit dem er sich noch besonders beschäftigt hat und vergaß weder die Geschichtsschreiber noch die Dichter, welche atmosphärische Erscheinungen mitgeteilt haben. Unter den Römern, die über Meteorologie schrieben, war Plinius hervorragend; Vergil, Lukrez und Seneca haben sich auf verschiedene Weise dafür interessiert. »Wenig Rechenschaft über unsere Wissenschaft«, sagte Forster dann, »kann seit der Zeit der alten Römer bis zur Wiedergeburt der Forschung in Europa gegeben werden«, d. h. bis zur Entstehung des Humanismus in der Renaissance, und erst in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts »wurde ein Fortschritt in der Meteorologie erreicht«. Es waren die Franzosen, die die Bahn brachen, Saussure, De Luc und Bertholon. Im Osten ist die Wissenschaft der Meteorologie entstanden, hat sich nach dem Westen verpflanzt und ist dort weiter entwickelt worden. Aber, so reflektierte Forster weiter, von allen den Orten, an denen sie im Altertum gepflegt wurde, von Theben und Memphis bis nach Alexandria, Athen und Rom, finden wir — als Zeichen jener Kultur — nur Ruinen. Die große Mehrzahl der Werke der Alten sind untergegangen und nur traurige Reste davon sind erhalten geblieben. Müssen nicht die Ruinen jener Städte und die Spuren, welche von den in ihnen gepflegten Wissenschaften übrig geblieben sind, »nachdenkliche Menschen mit düsteren Vorstellungen von der Unbeständigkeit der Gesellschaft erfüllen und uns fürchten lassen, daß trotz aller Anstrengungen des Genius und allen Könnens in moderner Zeit das Licht des Wissens, das im Osten aufging und die orientalischen Völker erleuchtete, im westlichen Teile der Welt untergehen wird?« Dieser Zug von Skepsis und Pessimismus war bei ihm aller Wahrscheinlichkeit nach durch das Erlebnis der französischen Revolution hervorgebracht worden, die einem großen Teil der Intellektuellen Englands die Unsicherheit aller menschlichen Verhältnisse zu ihren eigenen Lebzeiten vor Augen geführt hatte und die Gefahr, in der alle kulturellen Errungenschaften unausgesetzt schweben. Die Enttäuschung über den Verlauf und den Ausgang der französischen Revolution, die einen Mann wie Wordsworth mit elementarer Gewalt zur Natur, in einfache menschliche Verhältnisse zurücktrieb, die ihm den Zauber abgelegener Landstriche in neuer Sicht erschloß, dieselbe Enttäuschung, die wie ein unsichtbar wirkendes Agens hinter Constables allgemeiner Vorstellung von >Natur< stand, führte Forster im Zusammenhange mit Beobachtungen von Naturphänomenen in einen geschichtlidien Pessimismus. Wenn er nun versuchte, dem ein optimistisches Moment entgegenzustellen, so wirkt das
schwächlich genug. »Die Verbesserung der physischen Organisation unserer Art verbunden mit der Annahme eines Erziehungsplanes, der allem bisher durchgesetzten überlegen ist, mag eine dauernde Verbesserung des moralischen und intellektuellen Charakters zukünftiger Generationen hervorbringen«, durch den alle früheren kulturellen, wissenschaftlichen und künstlerischen Leistungen erhalten bleiben. Man sieht bei Forster eine andere, die bekanntere Seite der Romantik, ihren Drang ins Grenzenlose und das sich Verlieren an die fernste Vergangenheit, eine Unsicherheit des Existierens inmitten der Verhältnisse, in die der romantische Mensch hineingeboren wurde, dem das Suchen nach Wissen und das Wissen selbst die tief in ihm wurzelnden Zweifel nicht nehmen konnte. Forster war in viel höherem Grade ein romantischer Geist als der in seinem Quäkertum gesicherte Howard; und wie viele andere Romantiker fand er Ruhe und Schutz im Katholizismus, zu dem er im Jahre r824 übertrat.
Vili.
Das bescheidene Leben in der Natur Im vorigen ist Constable im Zusammenhang mit zwei Naturforschern seiner Zeit dargestellt worden, deren wissenschaftlichen Leistungen seine Kunst eine entscheidende Förderung verdankte, und es wurde gezeigt, wie eine gemeinsame geistige Atmosphäre diese drei so verschiedenen Menschen verband, welche sie alle auf die Natur und auf ein erstes anschaulich-wissenschaftliches Verständnis derselben verwies. Nun sei mit wenigen Worten noch jenes älteren Mannes gedacht, den Constable als einen getreuen Betrachter und Erforscher der Natur besonders liebte, dem er als Naturbetrachter persönlich am nächsten stand. Dies war der schon erwähnte Gilbert White. Mit ihm war Constable auf eine ganz besondere Weise verbunden, nämlich durch die hohe Wertschätzimg des Kleinen. Jener Zug, den wir aus Adalbert Stifters berühmter Vorrede zu den >Bunten Steinen< vom Jahre 1852 so gut kennen, die Ehrfurcht für die Beobachtung des Unscheinbaren, welches Ausdruck des Weltgesetzes ist, ihn haben jene Engländer schon vorausgenommen. Constable hat in einem Brief vom 14. Januar 1832 von sich geschrieben »Meine begrenzte und in sich zurückgezogene Kunst kann man unter jeder Hecke und an jedem Feldweg finden«, und in der Vorrede zu seinen Vorträgen über die englische Landschaft hat er gesagt, »durch eine nahe Beobachtung der Natur entdeckt der Künstler in ihr Eigenschaften, die früher noch niemals wiedergegeben worden sind.« (Der Akzent liegt auf dem Wörtchen nahe [close]). In der Tat lag etwas von der Originalität Constables darin, daß er die Natur auf ihre kleinen Züge hin beobachtete, daß er sich für unbedeutende Landschaft interessierte, für Felder, Wiesen, Hügel, kleine Wasserflächen, für Bäume, Hecken, Wegränder und einfache Bauernhütten, und daß er nahe an sie heranging, so daß die kleinen Einzelheiten für ihn sichtbar wurden. Gegenüber den älteren englischen Landschaftern wie Richard Wilson oder Girtin waren seine Landschaften imbedeutend in den Motiven und beengt im Ausschnitt, jedoch angefüllt mit kleinen Zügen der Dinge, die ihm nahe waren. Darüber darf man sich nicht täuschen lassen dadurch, daß Constable das Kleine in seiner Weise groß auffaßte. Im Gegenteil, nur wenn man diesen Gegensatz voll begreift, erkennt man Constables Haltung zur Natur. Sein Naturgefühl war intim und dabei doch groß. Genau wie dasjenige Stifters, der das Kleine um seiner Größe willen verehrte, in ihm das Größte, Umfassendste zur Darstellung brachte.
Wenn Ruisdael einen Wald, einen Weiher oder ein Stück See malte, gab er seinen Objekten ein Pathos, welches noch die Einzelheiten an ihnen bedeutend machte, er verwandelte das Kleine ins Gewichtig-Große, indem er es mit Stimmung belud. Gainsborough, der die Menschen in der Natur unbedeutend, sentimental, idyllisch verspielt gesehen hat, umgab sein >Cottage Door< mit heroisdien Bäumen, die er Rubens oder anderen Niederländern abgesehen hatte. Das Kleine in der Natur, in der Landschaft hatte in vollem Maße auch Rubens (im Anschluß an Bruegel) ergriffen, hatte es aber im Zusammenhange der großen Bildungen, der Weite aufgehoben, eingeordnet in die großen Vorgänge einer dramatisch gefühlten, menschlich verstandenen Natur. Constable versuchte das Gegenteil davon. Seine Kunst wurde vom Kleinen, vom nahe Gesehenen her bestimmt, von diesem inspiriert. Er war am größten und auch wohl ganz er selbst nur dort, wo er sich auf das Kleine allein, ausschließlich konzentrierte. Er hat auch anderes versucht, wir werden sehen, aus welchen Motiven heraus und, warum er dort weniger glücklich war. Jedenfalls, insofern sein Naturgefühl auf das Unbedeutende, das Naheliegende ging und insofern sein Interesse darauf konzentriert war, und so originell er in dieser Hinsicht blieb, die Dinge mit unvoreingenommenen Augen und mit Treue aus der Nähe zu beobachten78, — er stand damit schon in einer Tradition, wie sie Gilbert White ausgebildet hatte. Wie jener begann er, die Natur auf ihre Unscheinbarkeiten und ihre Gesetzmäßigkeiten, welche sich im Kleinen zu erkennen geben, auszufragen, in einer »Haltung mehr von bewundernder Beobachtung als von vertraulicher Verehrung«. Wie »jeder Satz, den White schrieb, aus einer Aufzeichnung seiner persönlichen Beobachtungen bestand«, so suchte Constable es mit der Malerei zu halten. Selbst wenn er in seinen großen Bildern eine Anlehnung an ältere Schemata nicht vermeiden konnte, so war er doch durch die Methode seiner Motiv-beobaditung, die Art, die einzelnen Dinge anzusehen, immer persönlich. Und diese war in ihm so stark, daß er sie nie und nirgends aufgeben konnte. So waren seine großen Bilder oft nur Vergrößerungen kleiner Motive — und litten daran. Wie White von sich sagte, er sei »ein Naturforscher der freien Luft, einer, der seine Beobachtungen an dem Dinge selbst macht und sie nicht den Schriften anderer entnimmt«, so wollte Constable seine Malerei der Natur »entnehmen« und sie nicht nach Rezepten aus der Praxis seiner Vorgänger zusammenbrauen. War Gilbert White der Naturforscher in seinem Heimatdorf Seiborne, so fühlte sich Constable als der Maler seines »geliebten Suffolk«, jener südöstlichen, nur mit bescheidenen Naturreizen ausgestatteten Grafschaft Englands. White schrieb über sein Buch: »Wenn ich irgend etwas anstrebte, so war es eine Art Naturgeschichte meiner Heimatgemeinde, ein
annus historico-naturalis, d. i. ein naturgeschichtliches Jahr, das ein Tagebuch für ein ganzes Jahr umfaßte, durch ausführliche Anmerkungen und Beobachtungen erläutert.« Und die Absicht, die Constable bei der Herausgabe seiner Landschaften in Mezzotinto leitete, war eine ganz ähnliche. Es war kein Zufall, wenn Constable in der Beschreibung eines Blattes dieser Folge von der »Naturgeschichte des Himmels« sprach. In jedem Falle waren beide, er wie White, von einer Art lokalem Patriotismus getrieben und gefesselt. Der große Ausblick auf die >Welt< war ihnen verlorengegangen, er war ihnen, wenn man will, verleidet; beide wagten keine umfassende Auslegung der Natur mehr wie die Künstler der vorangegangenen Jahrhunderte. Was Henry C. Shelley, der Biograph Whites, über diesen geschrieben hat, trifft auch auf Constable zu: »Seine Naturverehrung war mehr von hausbackener Art — ¡ dodi wer kann sagen, daß sie nidit dieselbe Anziehungskraft besitzt wie die mehr herausgeputzte Varietät? . . . Was er unternimmt, die Darstellung des bescheidenen Lebensgroßen< und der >kleinen< Bilder Constables zu erklären unternehmen. Constable malte seine Naturskizzen, um sich eine Erinnerung daran zu bewahren, wie sich ihm im Zustande des schöpferischen Gefühls die Natur in ihrem wahren Wesen enthüllte. Daher verhielt sich bei ihm die Skizze zur Ausführung ganz anders als bei den älteren Meistern, die Landschaften aus der Phantasie erfanden. Diese legten darin die allgemeinen Umrisse und Züge von etwas nieder, was der Erfüllung, der Ausgestaltung bedurfte; Constable hielt darin sein Gefühl und das darin aufgetretene Naturbild zur »künftigen Wiederkehr« fest. Damit wird uns nun eine neue Erklärung für die wilde, nervöse Handschrift jener Naturskizzen gegeben, die frühere Deuter seiner Kunst aus den Gegenständen seiner Bilder ableiten wollten. Man meinte, Constable habe die bisher üblichen vorsichtigen und fast unerkennbaren Pinselstriche aufgegeben, um die zerrissenen Formen wandernder Wolken und bewegter Bäume nachzuahmen. Dagegen sind wir genötigt, sie auf die Erregung des Gefühles im Maler zurückzuführen. Und diese Erklärung ist deshalb wahrscheinlicher, weil dieselbe Technik auch bei ruhigen Motiven wiederkehrt, ζ. B. in der Urskizze zum >Heuwagengroße< Gemälde. Wie bei dem Dichter dies auf einer der ursprünglichen Emotion verwandten Erregung beruhte, die durch die Betrachtung in der Ruhe besänftigt und gesättigt, in der die Naturerscheinung geklärt und durchgeformt und das dichterische Denken zur Reife gebracht wurde, so verhielt sich bei Constable das >große< Gemälde zur Naturskizze, mindestens der Absicht nach, wenn auch nicht immer mit vollem Erfolge. In jedem Falle aber erwies es sich als still im Vergleich zur Unruhe, zur Erregung der Skizzen; manchmal allerdings war die Erregung darin so sehr gestillt, daß ein Hauch von Todeskälte oder geistiger Öde das so mühsam hergestellte Werk durchzog. Andererseits, in Hinsicht auf die wirkliche Absicht gab es im Schaffen Constables einen Fortschritt, das Ergebnis langjähriger, unermüdlicher Anstrengungen. Der Grund aber, warum weder der Dichter noch der Maler sich mit der Niederschrift der ursprünglichen Erregung begnügen wollte, lag darin, daß beide den inneren Widerspruch zwischen der in Erregung geschauten Vision und dem Wesen des Kunstwerks, zwischen Erschütterung und gesetzmäßigem Hervorbringen, zwischen dem Umstürzenden und der bleibenden Ordnung empfanden. Wordsworth löste den Widerspruch denkmäßig auf. Er sagte von jener zweiten künstlerischen Vorstellung, erst sie und sie allein enthalte das Wesentliche des ursprünglichen Natureindruckes, nicht nur sein Äußeres, wenn dies auch noch so eindrucksvoll war (dies als das Erweckende war zugleich das Verbergende); erst die Vorstellung aus der Erinnerung enthalte »die Seele« statt »bloßer optischer Eindrücke«, nicht die Erscheinungen, sondern ihr Herz, das, um es mit einem schönen Bilde Carlyles zu bezeichnen, Musik ist. Auch diese Erklärung läßt sich ohne weiteres auf Constables Arbeitsweise anwenden. Wenngleich der zeitliche Abstand zwischen Urskizze und ausgeführtem Gemälde bei ihm manches Mal nicht sehr beträchtlich war (öfters umfaßte er geraume Zeit), so brachte er doch in jedem Falle einen voll-
ständigen Abschluß der ursprünglichen Erregung. In dem >großen< Werkwar nichts oder nur ein fernes Echo davon zu spüren, ein neues Gefühl hatte eingesetzt, das dem ersten gegenüber stille geworden war und das nun den Gegenstand der Anfangsskizze in einer »zweiten Sicht« entfaltete. Dieses neue Gefühl ließ an den Naturskizzen erkennen, warum sie trotz ihrer leidenschaftlich ergriffenen Formen doch etwas Vorläufiges an sich hatten. Sie enthielten nicht die >Seele< der Natur, sondern nur optische Eindrücke, Motive. Ihre Wiedergabe enthielt noch die endgültige Wahrheit nicht, weil beim Malen die Person des Künstlers in der Erregung des Ergreifens und des Ergriffenseins zu sehr überwog. Doch auch als Motive waren diese Aspekte nicht im tiefsten Sinne wahr. An ihnen entzündete sich die Inspiration auf dem Wege zur Wahrheit. Inspirierend wirkte auf Constable das Kleine, die Enge, der Nahblick, das ihm Vertraute und von ihm voll Verstandene, worin er sich sicher fühlte; die >Seele< der Natur dagegen, ihr wahrstes Wesen ahnte er in einer gewissen Weite, welche Reichtum und Mannigfaltigkeit in Fülle besaß, aus Fernblicken, welche etwas Umfassendes, etwas von Ganzheit an sich hatten, aus Sichten heraus, in denen die große Gesetzmäßigkeit des Natürlichen sich zeigte, nicht die allerhand Zufällen ausgesetzte Wirklichkeit eines kleinen Fleckchens Erde. Solche Bilder konnte der Künstler nur in der stillen Arbeit des Ateliers schaffen und zwar in besonders dafür erfundenen Kompositionen, wie das eh und je geschehen war, jetzt aber von jener zweiten Sicht inspiriert, die durch Versenkung, Betrachtung und Erinnerung gewonnen war. Ihr Wirken allein vermag die Unterschiede zwischen Skizzen und >großen< Bildern Constables zu erklären, daß diese nicht Ausführungen jener, noch etwa Kompilationen aus ihnen waren, sondern >Vollendungen< im Gegensatz zu Dokumenten eines Strebens, aus der grenzenlosen Erregung das Unendliche zu fassen. Gegenüber der ersten Konzeption des Motives war im Geiste Constables genau der gleiche Fortschritt eingetreten, den Wordsworth von der »in Ruhe erinnerten Erregung« gegenüber der primären Ergriffenheit berichtete. »Das, was blieb«, sagte er in einer Unterhaltung mit Aubrey de Vere, »das im Geiste sich erhaltende Bild würde die ideale und wesentliche Wahrheit der Scene dargestellt haben, und zwar durch Weglassen von vielem, das an und für sich eindrucksvoll, doch nicht charakteristisch war8®.« Nim ist die Methode künstlerischer oder dichterischer Schöpfung n a c h der Natur untrennbar von der A u f f a s s u n g der Natur; in dieser Methode, ihrer Struktur und ihrer Entwicklung macht sich das ursprüngliche Verhalten des Schaffenden zur Natur bereits geltend. Wordsworth wie Constable standen beide im Gegensatz zur Tradition,
sie waren »ausschließlich mit ihren eigenen Erfahrungen beschäftigt«; doch zeigte es sich bei Constable, daß diese allein zur Verwirklichung des Erfahrenen in endgültigen Kunstwerken nicht ausreichten, während Wordsworth in späteren Jahren sich nicht mehr damit begnügte, dem bloßen Natureindruck sich hinzugeben, sondern ihn durch »erhabene Gedanken« überschritt, indem er »oftmals die leise, traurige Musik der Menschheit hörte«. In den Zeiten seiner stärksten dichterischen Inspiration aber schrieb Wordworth von sich, was ganz und gar auf Constable zutraf: Farben Und ihre Formen waren damals mir Verlangen, Fühlen, Liebe, Die keines ferner'n Reizes noch bedurfte, Vom Denken beigebracht, noch einer Lockung, Die nicht vom Auge kam. (Tintern Abbey, 78-83) Und noch einmal kam er Constable ganz nahe, in demselben Gedicht, Vers 107—in: hoch erfreut zu sehn In der Natur und Sprache meiner Sinne Den Anker meines reinsten Denkens, Amme Und Führer, Wächter für mein Herz, und Seele All meiner Sittlichkeit. Die Natur, die dem Dichter hier im Sinne lag, glich der, welcher der Maler uns als seine Neuentdeckung vor Augen gestellt hat; »in persönlichen Erinnerungen und Anhänglichkeit an bestimmte Orte wurzelnd«, war sie die Lebenssphäre, die Umgebung und das Arbeitsfeld einfacher Menschen, der Bauern, Schiffer oder Müller, es war die Alltagsnatur, die sie beide kannten, mit all ihren kleinen, wohlvertrauten Zügen. Wie Constable gesagt hatte, er wolle »etwas aus nichts machen, ein Versuch, durch den er (der Maler) beinahe mit Notwendigkeit poetisch werden müsse« (1824), — das letztere ein höchst aufschlußreicher und für ihn bezeichnender Zusatz, — so war es Wordsworths Vorhaben, »den Alltagsdingen den Reiz der Neuheit zu verleihen«; und für beide galt, daß sie in dieser Natur »den unerschöpflichen Schatz fanden, dem gegenüber die übrigen Menschen wegen des Schleiers der Familiarität und des egoistischen Besorgens Augen haben, die nicht sehen, Ohren, die nicht hören, und Herzen, die weder empfinden noch verstehen« (nach Coleridges Erklärung zu den >Lyrischen BalladenLyrischen Balladen< (1798) als solch geeignetes Medium »die Umgangssprache der mittleren und unteren Klassen der Gesellschaft« angegeben, eine Umgangssprache des Alltags, eine Prosa, frei von jedem rhetorischen Schmuck, ohne Pathos, ohne Stilisierung. Wie weit es ihm gelang, eine solche Sprache zu verwenden, ist hier nicht zu untersuchen, dagegen ist es wichtig festzustellen, daß die >großen< Bilder Constables eine Art der Darstellung aufweisen, »eine sichtbare Sprache, die durch die Ersetzung von Wörtern durch Gestalten hervorgebracht wird«, wie Coleridge das Malen so passend bezeichnete, die, verglichen mit aller früheren Landschaftsmalerei von künstlerischer Qualität, sehr treffend als >prosaisch< angesprochen werden kann. War die Sprache in den Landschaftsskizzen, den >kleinen< Bildern poetisch, außeralltäglich in ihren Bezeichnungen der Dinge, rhythmisch betont und gefühlvoll, pathetisch und aus dem Gefühle heraus stilisiert, so war die Sprache seiner >großen< Werke in der Tat »analog der Umgangssprache der mittleren und unteren Gesellschaftsklassen«, nämlich aufgebaut mit jener mittelmäßigen Deutlichkeit und mit der Gewöhnlichkeit der Formen, wie sie die Ausdrücke an sich haben, die diese Stände verwenden,· diese Sprache war Prosa, im Alltagsverstande beschreibend, so sehr, daß gerade deshalb die Gemälde manchen Tadel erfuhren und heute streng kritisiert werden; sie war ausführlich bis zur Langenweile, umständlich in der bloß benennenden Wiedergabe nüchtern richtiger Beobachtungen. Wenn die Sprache des Dichters wie des Malers einfach und alltäglich sein mußte, so sollte sie doch nicht gewöhnlich sein. O hätte ich Musik und eine Stimme, Harmonisch wie die eure, daß ich sagte, Was ihr für mich getan. So redete Wordsworth, Präludium, XII, die Dinge an. Und vulgär durfte auch der in einem Kunstwerk dargebotene Anblick der Alltagsnatur nicht sein. Diese Paradoxie enthält einen wesentlichen Zug romantischen Geistes. Denn die Synthese zwischen Ideal und Wirklichkeit, welche Dichter und Künstler auf irgend eine Weise immer vollzogen haben, um jenes >Mehr als Wirkliche^ das Wahre, hervorzubringen, um dessen willen und wodurch ihre Dichtung und ihre Kunst allein existieren, diese Synthese unternahmen die Romantiker von dem Gewöhnlichen und Alltäglichen aus. Die Klassiker begannen, indem sie im Geiste etwas Vollkommenes sich vorstellten, dann legten sie diesem Ideal soviel Züge
der Wirklichkeit bei, wie es ertragen konnte, ohne seine Idealität zu verlieren. Soviel Züge der Wirklidikeit, wie sie innerhalb ihres Ideals vorzustellen imstande waren, und je nach ihren Wirklichkeitserlebnissen immer wieder andere. Die Romantiker gingen einen entgegengesetzten Weg. Sie stellten die gewöhnlichen Dinge im ungewöhnlichen Anblick dar. Solche Sichten, wenn »der Geist oder die Sinne eine Zeitlang von dem Trott und den Banden der Gewohnheit frei geworden sind, mit denen die Welt uns bindet«, waren Wordsworth wie Constable im gefühlsmäßigen Erleben der Natur unmittelbar gegeben; »ihre Augen, die sahen, ihre Ohren, die hörten, ihre Herzen, die fühlten und verstanden«, nahmen gerade die gewöhnliche, die einfache Natur auf diese Weise wahr. So hatten sie sie nicht künstlich aufzusuchen; sie hatten sie in gewissen Fällen höchstens aus der Erinnerung wiederherzustellen. In den Naturskizzen Constables waren die >Ansichten< englischer Landschaft, die er gab, durchaus gewöhnlich; sie waren aber in so ungewöhnlicher Weise gegeben, daß er sie nur wenigen Personen zu zeigen wagte. In diesen Skizzen war der »ungewöhnliche Anblick« genuin und originell, und zwar dadurch, daß die der Wirklichkeit entnommenen Gegenstände mit ihren Formen eine bildmäßig zusammenhängende Komposition hervorbrachten. Die Motive waren so gewählt und so gesehen, daß sie v o n N a t u r eine rhythmische Verteilung der Massen über die gesamte Bildfläche und eine durchgehende formale Organisation zu besitzen schienen. Ungewöhnlich wurden sie ferner durch Constables Technik, die den kompositionellen Zusammenhang betonte, seine unverbunden nebeneinanderstehenden Flecken und Striche und schließlich durch seine Verwendung des Palettmessers an Stelle des Pinsels, das die Einheit des Naturvorbildes auflöste und dafür die Einheit des hervorbringenden Prozesses sehen ließ. Mit allen diesen Mitteln verwandelte Constable die Gewöhnlichkeit eines Anblicks in rein malerische Fakten, er zog die Aufmerksamkeit der Betrachter vom Inhalt der Darstellung, von der >Ansicht< ab und lenkte sie auf seine Weise des Erfassens. Durch diese Maltechnik wurden Einzelheiten in Farbwerte weggeschmolzen, manchmal in bloße (kostbare) Materialeffekte. Sie wurden darin verschmolzen, wie das in der Wirklichkeit nur mit entfernten Gegenständen geschieht. Dann erschienen auf den Naturskizzen die nah gesehenen Dinge, nicht nur die optisch nahen, sondern auch alle jene, die den Charakter der nahen Vertrautheit besaßen, ein Bauemhof, ein Acker, ein Hügel mit einer Mühle, es erschienen die Wiesen am Flußufer durch die Art der Malerei, als wären sie in weiter Ferne,· eine Transposition der "wirklichen Eindrücke sozusagen in eine entgegengesetzte geographische Lage fand statt, wodurch das Gewöhnliche noch einmal ein ungewöhnliches Aussehen gewann. Anders dagegen in den >großen< Bildern, die mit dem Anspruch er-
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funden und gearbeitet waren, den Werken der älteren großen Meister die Wage zu halten. Hier gab Constable seine originale Sicht großenteils zugunsten der bewährten Methoden der Tradition auf. Oder, wenn man es kritischer sehen will, gerade an derjenigen Stelle, an der er die S e e 1 e der Landschaft seiner Heimat zu geben suchte, geriet er in Abhängigkeit von denen, die nach seinem Urteil in unüberbietbarer Weise dasselbe für andere Länder geleistet hatten, weil seine Vision von der S e e l e seines Landes nicht stark genug war. Der Unterschied zwischen den ungewöhnlichen Sichten in den Naturskizzen und der traditionellen Auffassung in den komponierten Gemälden erstreckt sich auch auf die atmosphärischen Erscheinungen, obwohl Constable gerade für sie direkt auf jene Skizzen zurückgriff. Aus diesem Grunde waren Himmel der >großen< Bilder oft besser gelungen als das Land, die Häuser, die Bäume. Hier war keine größere Verwandlung erforderlich, denn jene Himmelsskizzen erfüllten selbst schon das eigentliche, das höchste Ziel seiner Kunst, seitdem er gelernt hatte, sie strukturell zu verstehen. Dies Verständnis übernahm die Stelle der zum Wesentlichen hinführenden Erinnerung. Indem Constable Wolken nach der Natur malte, mußte er sie, die veränderlichen, schwindenden doch schon aus dem Gedächtnis malen, daher seelenvoll verwandelt und somit »ungewöhnlich«, zugleich aber aus seinem Wissen geordnet, durch das er sich der Gesetzlichkeit ihrer Erscheinungen ebenfalls erinnerte.
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Romantisches Naturgefühl Das Naturgefühl, das für Constable so gut wie für Wordsworth der »Lichtquell ihrer Tage war«, unterschied sich von aller früheren Hinneigung und Hingebung an die Natur durch seine Passivität. Man kann vielleicht sagen, daß Maler und Dichter des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts auf die Natur sahen: entweder als Allegorie, die in ihren unmittelbar wahrgenommenen Erscheinungen eine höhere Wesenheit andeutete, oder daß sie die Natur anthropomorph auslegten, sie so beseelten, daß sie begabt mit menschlichen Empfindungen, mit Größe, Reinheit, Freude oder Trauer erschien. In beiden Fällen war das Naturgefühl der Schaffenden aktiv tätig, erfüllt von der Kraft zur Idealisierung des Wirklichen. So hat Kurt Bauch von einem Bilde des Holländers Jan von Goyen geschrieben: »Wie hier jedes Ding an seinem Ort seine besondere Rolle spielt und wie der durchleuchtete Raum in allem lebt und atmet, darin erscheint in diesem Nichts von Gegenstand eine reiche Welt vor uns, groß, weit und ganz erfüllt 87 .« Und dann von der Kunst Ruisdaels: Aus Baum, Hütte, Wasserlauf und Wolke »wird ein Aufbau von dunkler Größe errichtet, der über alles Motivische hinausgreift. — Von innerer und äußerer Bewegung durchleuchtet und durchweht... — darin lebt diese heroische Natur 88 .« Dies wie jenes war das Ergebnis einer die Welt >angreifenden< Phantasie. Bei Wordsworth wie Constable jedoch war die Natur ursprünglich ohne Tendenz zur Überschreitung ihres äußeren Anscheins gesehen, vielmehr mit einer Art Unterwürfigkeit, wie das Wordsworth in den Versen ausgesprochen hat: Noch weniger zweifle idi, daß Mächte sind, Die aus sich selber unseren Geist bestimmen In weiser Hingebung. Eine gleiche Einstellung spricht aus Constables Bildern, vor allem aus den Skizzen, die in der Verve ihrer Auffassung und der Erregung ihrer Ausführung nichts Allegorisches noch Anthropomorphes verraten, sondern bloß eine freudige Ergriffenheit durch ihren Gegenstand. Dem Maler wie dem Dichter bereitete die Natur Freude; durch die Freude e m p f i n g e n sie sie, und durch »die tiefe Macht der Freude«
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sahen sie »in das Leben der Dinge«, wie es in dem Gedicht >Tintem Abbey< (48. 49) heißt. Was sich ihnen in der Freude als Natur erschloß, war die Existenz des Kreatürlichen, wie es ihre Sinne ihnen vermittelten: Das Gefühl des Seins, das über alles Gebreitet ist, das sieb bewegt und stille scheint. Dabei war »Sein« verstanden als das Wahrhafte. In ihrer eigentümlichen passiven Hingabe an die Natur war das eigentlich Schöpferische ihre »mehr als gewöhnliche, produktive Sinnlichkeit«, auf die sie sich ausschließlich verließen. Der Literarhistoriker Professor Garrod sagte von Wordsworth, er habe zwischen 1798 und 1807, in seiner entscheidenden und einzig bedeutenden Schaffensperiode »eine Theorie des reinen Sensationalismus im philosophischen Sinne vertreten, die die sinnliche Wahrnehmung als die Quelle der Wahrheit ansieht«; eine gleiche Doktrin lag, wenn auch unausgesprochen, Constables Naturskizzen zugrunde. Die Sinnlichkeit war in beiden Fällen nicht wie die des achtzehnten Jahrhunderts. Sie vergnügte sich nicht mit dem Glanz von Sammet und Seide, von schwimmenden Farben, verlockenden Schatten, nicht mit der Chromatik der halben und Vierteltöne,· sie war nicht raffiniert noch einem halb klugen, halb leeren Räsonnieren verschwistert. Sie stand zu allem Raffinierten in Widerspruch, und die menschliche Seele war in dieser neuen Art Sinnlichkeit den Sinnen als aufnehmenden Organen geöffnet, die im bloßen Erfülltwerden durch das Unscheinbarste ihr schon ein Erlebnis bringen und anvertrauen. Dadurch, daß die Sinne nicht mehr auf Abenteuer ausgesendet waren, sondern der Mensch auf ihre Erlebnisse wartete, wurden sie in anderer Weise als früher herrschend. Sie genossen ein viel größeres, ein allumfassendes Vertrauen. Was sie verrieten, enthielt nach der Meinung dieser romantischen Männer die W a h r h e i t der Dichtung wie der Malerei. Und die Begründung dieser Auffassung lautete: die Sinne fassen nicht mechanisch oder geistlos registrierend auf, sondern so, wie das Herz empfindet, das alles vom Kerne seines Fühlens her beherrscht. Sie stellen bloß die Berührung zwischen der Seele des einzelnen und dem in der Natur wirkenden Geiste her, sie erfassen Anmut und Macht der Natur, in denen das w a h r e W e s e n des Natürlichen (das der Verstand nicht ahnt), dem Künstler und dem Dichter zugänglich wird. Indem die Sinne die Natur für den Menschen erschlossen, waren sie bereits Werkzeuge von dessen sich selbst aufbauender Intelligenz, wie das Coleridge in der >Biographia Literaria« formuliert hat. »Sinnliche Wahrnehmung«, so sagte er, »ist nur die beginnende Vision, nicht die Ursache der Einsicht, sondern ist Einsicht selbst, die als eine frühere Macht in dem Prozeß des Selbstaufbaues oder der Selbstentwicklung sich
enthüllt89.« Wie sehr hatte sich die Vorstellung von der Bedeutung der Sinne geändert, seitdem sie im Gegensatz zur Vernunft, als Intelligenz verdunkelnd, als Organe des Genusses und der Leidenschaften verstanden worden waren; sie waren Mittel der wahren Erkenntnis der Natur und der Befreiung des Ich von der zur Gewohnheit erstarrten Tradition geworden. Wenn Constable schrieb: »Ich werde mich um eine reine, unbeeinflußte und ungekünstelte Darstellung bemühen«, dann lag in diesen Worten eingeschlossen die Uberzeugung, daß er besser als andere Maler imstande wäre, »die Sinnlichkeit von der Vergiftung durch die Vernunft oder, was dasselbe ist, von der Ansteckung durch die Gewohnheit zu retten90.« Gerade dadurch fühlte er sich im Gegensatz zu den älteren Malern. Denn jener Eklektizismus, durch den »ein Vordergrund von Wynants, ein Hintergrund von Claude, und Kühe und Schafe von Berghem und Paul Potter in ein und demselben Bilde zusammengebracht wurden«, wie ein Autor in der Zeitschrift »Fundgrube für die Küste« (Repository of Arts) 1813 sagte91, war durch und durch vernünftig, enthielt er doch das Beste, was man zur Herstellung eines idyllischen Landschaftsbildes auftreiben konnte, und war bis zu Gainsborough und später noch gang und gäbe. Auch Gainsborough hat nicht radikal mit dieser Zusammensetzmethode gebrochen. Das hat erst Constable getan, indem er sich unmittelbar der ihm gegebenen Natur zuwandte und anvertraute. So wurde seine Kunst, was Wordsworth von seiner Dichtung gesagt hat: Die Ernte eines ruhevollen Auges, Das auf seinem eignen Herzen schlummert. Damit jedoch sind wir an dem Punkte angekommen, an dem die Wege des Dichters und des Malers sich trennten. Beide mußten erfahren, daß die Sinne, trotz ihrer visionären, aus dem Gefühl gespeisten Kraft auf die Dauer nicht fähig waren, das Gefühl mit immer neuen, unverbrauchten Bildern zu nähren und damit den Kreislauf im Fluß zu erhalten, aus dem allein der schöpferische Prozeß sich erneuem konnte. Zugleich wurden die Sinne stumpfer und das Gefühl begann zu versiegen,· beides war Ursache und beides war Wirkung. War es doch die phantasievolle, schweifende und ergreifende, verwandelnde und sich aneignende Sinnlichkeit, die fast immer nur der Jugend angehört, auf die sie gebaut hatten, jene Sinnlichkeit, die eins ist mit der Natur, die sie aufnimmt, weil sie voll sprießender Kraft und werdelustig ist wie jene. Sie hatte Wordsworth, klar sehend, im Sinne, als er von »jener mächtigen Welt des Auges und des Ohres« sprach, »die diese halb erschaffen und halb erfahren92«. Als Wordsworth und Constable älter wurden, ließ diese Sinnenkraft, die das Schöne in der Natur an die »moralischen Neigungen« band, bei beiden
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nach, und nun wandten sie sich zur Fortsetzimg ihres Werkes nach verschiedenen Richtungen. Bei Wordsworth gewann das Denken die Oberhand über die lebendige Anschauung, das menschliche Schicksal über die Schönheit und Ausdruckskraft der Natur. Sein Gefühl wurde betont religiös, deistisch. Eine Tendenz dieser Art lag in Wordsworths dichterischer Art von Anfang an, wenn auch nahezu verborgen. Schon in seiner Jugend »lebte er mit der Natur im Geiste religiöser Liebe«, und es geschah ihm, daß seine »körperlichen Augen ganz vergessen wurden«; er verschmolz mit den Dingen in einer Art mystischer Entrücktheit, wie einst mittelalterliche Fromme in geistiger Schau mit der Gottheit verschmolzen waren, und im äußersten Gegensatz zu diesen. Je mehr aber solche Zustände sich verloren, desto stärker wuchsen die Gedanken, Natur wurde »durch Pflicht verdrängt« (Garrod), und der Anstoß zum Schaffen ging aus der moralischen Reflexion hervor. Die Stunde, die schließlich die Richtung von Wordsworths späterem Werk entschied, kam für Constable nicht. Natur blieb sein ausschließliches Interesse, und zwar ohne je eine mystische geistige Verzückung in ihm zu erwecken. Aus seinen Bildern sprach auch später noch Shelleys: leih liebe Wogen, Winde und Sturm, Beinahe alles, Was Natur ist und unbefleckt Sein mag von menschlichem Elend. »Von einem reizbaren Verlangen nadi Tatsachen und Vernunft« wurde Constable immer näher an die rein sinnlich auffaßbaren Seiten der Natur getrieben, zugleich aber gezwungen, sie mit immer reiner, immer kühler beobachtenden Augen anzusehen. Der naturwissenschaftliche, nüchterne Geist seines Zeitalters machte seinen Einfluß bemerkbar auf den Künstler, der von Natur einen starken Sinn für Tatsachen besaß. In vielen seiner gezeichneten Naturstudien sahen wir jene Art, die Sinne zu gebrauchen, eine sauber beschreibende Genauigkeit statt der gestaltenden Darstellung. Und dann kamen die Wolkenbilder, die ihre Existenz und ihre besondere Stellung im Werke Constables einem wissenschaftlichen Einfluß, wissenschaftlicher Klassifizierung verdankten, d. h. einer Methode, welche der künstlerischen noch mehr entgegengesetzt war. Sie hat aber Constable dazu gedient, eine höhere Stufe in seinem Schaffen zu erreichen, indem er, sie benutzend, sie überwand. Der Charakter dieser Wolkenstudien kann audi wieder als eine Eigentümlichkeit der Romantik verstanden werden, als eine Bemühung, Unsicherheiten in den Einzelheiten eines Weltbildes zu überwinden, das entstand, indem man sich dem rein empfangenden Gefühl hingab.
So trat dies Sich-festketten an die Dinge nicht bei Constable allein auf. Schon Coleridge93 hatte an Wordsworth dessen »nüchterne Ehrlichkeit im Gefühl, die Quelle und Wesen seiner dichterischen Kraft war«, kritisiert: »Es gibt in seinen Gedichten nicht selten eine gewisse Nüchternheit. Diese läßt sich einteilen in, erstens, eine mühsame Genauigkeit und Treue in der Darstellung der Dinge und ihrer Lage, wie sie dem Dichter erscheinen, zweitens, die Einfügung von zufälligen Umständen, um seine Charaktere, ihre Neigungen und Handlungen genau zu erklären,... ein biographisches Beachten der Wahrscheinlichkeit und eine Ängstlichkeit in der Erklärung und der Berücksichtigung des Vorhergegangenen.« Wie sehr diese Einwände auch auf Constables Kunst zutrafen, bedarf keines Wortes. Nur in den Naturskizzen, den vor der Natur gemalten >kleinen< Bildern, in denen die Gefühlserregung ihn über alle Bedenken und Bedenklichkeiten erhob, wo im eng gewählten Rahmen sein Gefühl auslangte, den Naturausschnitt mit lebendigen Einzelheiten zu füllen, nur dort war er frei von jenen Schwächen, die Coleridge aufzählte. Gerade aber, was er als zweite Art der »Nüchternheit« beschrieben hat, auch das findet sich in vielen von Constables Kompositionen. Seine »lebendigen Charaktere« waren allerdings nicht die Menschen, sondern Bäume, Felder und Wiesen, die Flußufer, nicht zum wenigsten Himmelserscheinungen, Wolken und Wind. Selten begnügte sich Constable damit, »ihre Neigungen und Handlungen« ohne weitere Hinzufügungen zu geben. Auch er scheint oft eine Art ausführlicher Erklärung der Situation für nötig gehalten zu haben, etwas, das die Sache plausibler machen sollte, wahrscheinlicher für die vulgäre Auffassung der Natur. Dann malte er zu seinem eigentlichen Gegenstande mancherlei, was nicht zur Sache gehörte, Staffage im altmodischen Sinne des Wortes, Tiere, Menschen, Gegenstände. Sicherlich hatten diese Dinge bei ihm nicht immer diese peinliche Aufgabe, oft genug j edoch aber haben sie in der Tat keine andere Funktion. Auch in diesem Zusammenhang wiesen Himmel und Wolken eine besondere Problematik auf. Bei ihnen war Genauigkeit aus bloßer Beobachtung, die zur Erklärung ihrer Gestaltung unter Berücksichtigung des Vorhergegangenen in ihrem flüchtigen Dasein dienen konnte, offenbar nicht zu erreichen. Im »ungewöhnlichen Anblick«, wie er in Constables Naturskizzen sich niederschlug, hatten sich Wolken zu bloßen Chiffren, zu Zeichen der Unbeständigkeit verwandelt, denen gegenüber wegen der in ihnen sich ausdrückenden Erregung wenig Wirklichkeit mehr anhaftete. Wenn er solche Werke seiner Hand prüfend betrachtete, traten die wirklichen Wolken wieder vor seine Seele, als »bloßer optischer Eindruck« wie als »Hauptträger des Gefühls«, und er mußte die Verschiedenheit bemerken. Seine wild gemalten Wolken waren schwer, aufdringlich, über die Maßstäbe seiner Bilder hinaus; zum Charakteristischen des wirklichen Himmels
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aber gehörte die Leichtigkeit und die Ferne. Wie eindrucksvoll und leuchtend manche Wolken auch immer sein mochten, leicht schwebten sie in weitem Abstand von der Erde, unbeschwert und doch mit intensivem Chiaroscuro (um seinen Ausdruck zu gebrauchen) modelliert, in bestimmter Weise geordnet und geschichtet. Darin aber gerade lag ihre Erklärung. Um sie so darzustellen, daß sie dem Betrachter seiner Bilder sich selbst genau zeigten und aus ihrer Vergangenheit erklärten, mußte er sie als typische Gebilde fassen. Mit Versuchen dieser Art beschäftigt, fand Constable eine entscheidende Hilfe, als er Howards Klassifikationen der Wolken kennenlernte,· sie ermöglichten ihm, zu jener »Wahrheit der Natur« vorzudringen, die er suchte, sie ermöglichten ihm auch »die ungewöhnliche Auffassung« des Altbekannten in neuen Zusammenhängen und verhalfen seinen Darstellungen des Himmels zu jener ihm (und seiner Epoche) eigentümlichen poetischen Prosa der Darstellung, die sich immer nur dort einstellte, wo jene Zeit einen wirklich originellen Blickpunkt gefunden hatte.
Anmerkungen Das vollständige Gedicht in der Ubersetzung von Julius Seybt (1844) lautet: Die Wolke Der dürstenden Au bring ich Regenkühle Aus der Seen und Ströme Bronnen, Und Schatten dem Hain, der in Mittagssdiwüle Ruht von Träumen umsponnen; Meine Schwingen mit hellem Thau überstreuen Die süßen Knospen all, Wie sie ruhn an der Mutter, der Erde, Brust, Die umtanzet den Sonnenball. Mit peitschenden Hagels Geißel idi schlage Grüne Matten, sie weiß überziehend, Dann schmelz' ich ihn wieder in Regen, und lache Im Donner vorüberziehend. Auf der Berge Höh' mit dem Sciinee idi spiele, Und die Föhren ächzen voll Bangen; Ich ruhe des Nachts auf dem weißen Pfühle, Von den Armen des Sturmes umfangen. Hoch oben auf meiner Burg luftigen Zinnen Sitzt der Blitz, mein Pilot. Und der Donner gefesselt im Kerker drinnen; Wie er grollend droht! Der Pilot mich führet ob Meer und Sdilund Vorüberschwebend, Von Liebe bewegt zu den Genien, im Grund Des purpurnen Meeres lebend: Ueber Klippen und Ebenen, und Strömen und Seen, Ueber Schlucht, über Steile, Wo er nur meint, unter Bergen und Höhn Der Geist, den er liebt, verweile. Ich gaukle, wo lächelnd der Himmel mir blaut, Während in Regen er niederthaut. Der blutige Morgen, die Augen Meteore, Die Schwingen von Flammen umfaßt, Springt auf mein Boot aus östlichem Thore, Wenn der Morgenstern erblaßt: Wie auf dem Gipfel der Alpensteile, Die ein Erdkrampf schüttelt und bricht, Ein mächtiger Aar ruht kurze Weile
In der goldenen Schwingen Licht. Wenn aus leuchtender See der Abend haucht Seine Gluthen voll Liebe und Ruh, Und sein Leichentuch, in Purpur getaucht, Die Tiefen der Himmel deckt zu: Ruh' ich droben im luftigen Himmelsreich Der brütenden Taube gleich. Die Jungfrau umkränzet mit silbernem Feuer, Von Menschen der Mond genannt, Gleitet schimmernd auf meinem wolligen Schleier, Gebreitet von Windeshand. Und wo sie geht mit unsichtbaren Füßen, Deren Tritt hören Engel allein, Und das Dach meines luftigen Zelt's hat zerrissen, Da lugen die Sterne herein. Und ich lach', wenn wie goldener Bienen Kreise Sie schwärmend in Wirbeln sich drehn, Wenn mein windgebautes Zelt ich aufreiße, Bis die glatten Flüsse und Seen, Gleich Stücken des Himmels von droben gefallen, Von Sternen voll unter mir wallen. Meine Dünste mit Perlen den Mond umwehen, Die Sonne mit Schimmer von Gold; Die Vulkane bleichen, die Sterne erbeben, Wenn der Sturmwind mein Banner entrollt. Von Cap zu Cap eine schwindelnde Brücke Bau' ich über den Ocean — Einen Dom, nie durchdrungen vom Sonnenblicke, Als Säulen, Berg und Vulkan. Das Siegsthor, durch das ich mit Blitzesloh'n Und Sturmwind komm gezogen, Wenn die Mächte der Luft an meinen Thron Gefesselt — der Regenbogen. Die Sphären droben in milder Pracht, Unten erquickt die Erde lacht. Ich bin von der Erd' und dem Meer geboren, Ein Pflegling der Luft: ich flieh Durch des felsigen Strandes, des Meeres Poren, Ich wandle mich: sterbe nie. Denn wenn nach dem Regen klar und rein Das Zelt des Himmels zu schaun, Und der fegende Wind und der Sonnenschein Die luftigen Dome erbaun, Lach' ich still meines Grabmals in blauer Luft, Und aus Regens Gruft kehr' ich wieder, Wie ein Kind aus dem Schooß, ein Geist aus der Gruft, Zurück und reiße es nieder.
no
2. 3. 4. 5.
2. Mos. 40, 34. 4. Mos. 9,17. 2. Mos. 14, 24. ι . Korinther Brief 10,1.
6.
1,7.
7. T h e Magic Art II, 67. 8. H e r m a n n Usener, Götternamen, 2. Aufl. Bonn, 1929, S. 196. Die Griechen k a n n t e n eine Regenwolkengöttin Μαία (Πλειάς verwandt mit lateinisch pluvia), ihr Sohn von Zeus als Äthergott ist Hermes, der Wind- u n d Luftgott. Hermes geboren — nach manchen — in der Höhle der Kyllene, d. i. des Hohlberges, worunter m a n ursprünglich wohl den Wolkenberg oder die Wolkenhöhle verstand. Nach W. H. Roscher, Lexikon der griechischen u n d römischen Mythologie. Leipzig. 1886—90. 9. Jesaja 44, 22. 10. König Richard II. 1,1. 11. Hiob 37, 16. 12. Matthäus 26, 64 u n d ebenso 24, 30. 13. T h e Literary Works of Lionardo da V i n c i . . . by Jean Paul Richter, 1883, I, §§ 474-477· 14. Die abgebildete Wolkenstudie (mit Deckfarbe auf farbigem Papier) wird vermutungsweise Claude Lorrain zugeschrieben. Sie zeigt hinter u n d oberhalb einer großen Cumuluswolke stratusartige Gebilde, wie diese beiden Arten im siebzehnten Jahrhundert oft zusammengestellt vorkommen. Auf dem unteren Teil des sicherlich abgeschnittenen Blattes, das also möglicherweise ursprünglich keine Wolkenstudie war, findet sich eine auch sonst auftretende Erscheinung, daß nämlich die dargestellten Wolkenformen in bloße Farbflecke übergehen, so daß anstelle der echten Gestaltung ein bloßes Spiel mit schönen Wirkungen des Materials tritt. (Früher im Londoner Kunsthandel, Sammlerstempel W. Esdaile.) 15. M o d e m Painters, part V, chapter VI. 16. Vgl. Paul Oppé, Drawings and Paintings by Alexander Cozens, The Tate Gallery, London, December 1946. 17. Nach: Conférences inédites de l'Académie de Peinture . . . par André Fontaine. Paris 1903. S. 66. 18. M o d e m Painters, Anhang zu Teil IV. 19. Dsgl. Teil IV, Kapitel XVI. 20. Goethe, Sämtliche Werke, Stuttgart, Cotta, 1895, Bd. 33, 171. 21. Ursprünglich bestanden n u r die vier Wolkengedichte, 1817 geschrieben, u n t e r dem Titel »Howards Ehrengedächtnis«. Die drei Strophen von: »Wenn Gottheit Kamarupa . . .« bis »Erinnre dankbar deiner sich die Welt«, wurden im März 1821 hinzugefügt, noch später das letzte Gedicht: »Wohl zu merken«. Die Verbindung der Gottheit Kamarupa mit Wolkenformen findet sich jedoch von Goethe bereits 1817 in den Tages- u n d Jahresheften notiert: »Da aus näherer Betrachtung der Howardschen Wolkenformen hervorzugehen schien, daß ihre verschiedenen Formen verschiedene atmosphärische Höhen einnehmen, so wurden sie versuchsweise auf jene f r ü h e Höhentafel sorgfältig eingetragen u n d so die wechselseitigen Beziehungen im allgemeinen versinnbildlicht — dadurch einer Prüfung angenähert. Hier schließt sich n u n , indem ich von Büchern zu reden gedenke, ganz natürlich die Ubersetzimg des indischen Megha-Duhta (durch Horace H. Wilson) an. M a n hatte sich mit Wolken u n d Wolkenformen so lange
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getragen und konnte nun erst d i e s e m W o l k e n b o t e n im Geiste folgen.« Weitere Hinweise auf die Wolkengedichte finden sich in einem Briefe Goethes an Hüttner, den Londoner Buchagenten des Weimarer Hofes, vom 3. April 1821 und in den Tages- und Jahresheften desselben Jahres. Da heißt es: »Ich schrieb ein Ehrengedächtnis in vier Strophen, welches die Hauptworte seiner Terminologie enthielt: auf Ansuchen Londoner Freunde sodann noch einen Eingang von drei Strophen zur besseren Vollständigkeit und Verdeutlichung des Sinnes.« Dieses Ansuchen war ebenfalls von Hüttner übermittelt worden (Briefe vom 15. Dezember 1820, 23. Februar 1821), hauptsächlich um eine gute englische Ubersetzung der Gedichte zu ermöglichen. Eine solche, von Soane, wurde 1822 veröffentlicht; Goethe war jedoch mit ihr nicht ganz einverstanden,· er fand darin: »die Klarheit des Ganzen etwas gefährdet.« Im September 1821 wandte sich dann Goethe noch einmal an Hüttner mit der Bitte, »mir von dem noch lebenden, gefeierten Meteorologen einige Kenntnis, Nachrichten über seine näheren Verhältnisse zu geben«. A m 22. Februar 1822 erwiderte Hüttner, daß Howard seine Biographie geschrieben habe, die er — da ihm Goethes Gedichte in der englischen Ubersetzung gefielen — dem Dichter zusammen mit einem Exemplar seines Werkes zum Geschenke machte. Z u Lebzeiten des Dichters erschienen in: Goethe >Zur Naturwissenschaft überhaupt . 2 Bde. Stuttgart und Tübingen, 1 8 1 7 - 1 8 2 3 , im zweiten Teil. Der Originaltitel lautet: Essay on the Modifications of Clouds. Tilloch's Philosophical Magazine, Bd. XVI, No. 62, Juli 1803, S. 97-107; No. 64, September 1803, S. 344-357,· Bd. XVII, No. 65, Oktober 1803, S. 5 - 1 1 ; dazu in Bd. XVII die Tafeln VI, VII, Vili. Nach seiner Vorrede zu seinem Werke vom Jahre 1832. G. Hellmann, Neudrucke von Schriften und Karten über Meteorologie und Erdmagnetismus, No. 3, Luke Howard. On the modifications of Clouds. London 1803. Mit einer Einleitung und drei Tafeln Wolkenbildern in Faksimile. Berlin. Asher & Co. 1894. Bibliothèque Britannique, Sciences et Arts, Band 27, S. 185—208. Uber die Modifikationen der Wolken, von Lucas Howard, Esq. in den von Gilbert herausgegebenen >Annalen der PhysikWolkengestaltantagonizeMeeresstudie< No. 1338 ö l auf Leinwand mit Abb. Sammlung Oskar Reinhart, Winterthur. Unter den >Landschaftsstudien aus Italien« führte das Blechenwerk des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft noch folgende Wolkenbilder auf: Nr. 1476. Höhenzug mit Wolken. Aus dem Apennin. Stadt Cottbus. Nr. 1482. Hügel und Höhenzug. Bei bewölktem Himmel. Nationalgalerie Berlin No. 208. Aus Blediens späteren Jahren wäre noch hervorzuheben im selben Katalog: Nr. 1962. Kornfeld und ferne Berge unter bewölktem Himmel, ö l auf Papier. Nationalgalerie, Berlin 575, m. Abb. Das Blatt zeigt einen ganz niedrig genommenen Horizont, vier Fünftel der Bildfläche sind vom Himmel bedeckt, der von stürmischen Wolkenmassen durchzogen ist. Die Landschaft stammt wohl aus der Mark Brandenburg. G. J. Kern, Karl Blechen. Sein Leben und seine Werke. Berlin 1911. Zitiert nach der Publikation des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft (siehe Anm. 43), S. 98. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Blechen Turner in Italien getroffen, sicherlich hat er Bilder von ihm gesehen, da Turner seit der Ausstellung, die er 1820 in Rom veranstaltet hatte, dort zu den bekanntesten Malern zählte. Vgl. ebenda S. i n . Schinkel an den Minister von Altenstein am 11. Mai 1831, ebenda S. 25. Ebenda S. 29. Deutsche Klassik und Romantik 4. Aufl. Bern 1949, S. 156. Einzelheiten siehe: Thieme—Becker und Waldemar Lessing. Johann Georg von Dillis. München 1951. Vgl. den Artikel von F. von Pestalozzi im Schweizerischen Künstlerlexikon von Carl Brun, Frauenfeld 1913 und >Die Entwicklung des Paysage intime in der schweizerischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts«. Dissertation von Vera Meyer-Huber. Zürich 1946. I. Wolken über dem Meer (wahrscheinlich die italienische Küste darstellend). ö l auf Leinwand, 35,5X58 cm. 1945 in der Sammlung Dr. Christ, Basel. Farbig abgebildet bei Vera Meyer-Huber. Schweizer Landschaftsmaler im 19. Jahrhundert. Zürich 1949, Tafel 58. 2. Wolken über dem Meer, ö l auf Karton. 26,5X39 c m / *945 i Q der Sammlung Dr. Christ, Basel. Vgl. Dissertation von Vera Meyer-Huber S. 129, Anm. 20. 3. Luftstudie, ö l auf Karton, 38X58 cm. 1945 in Basel im Kunsthandel. Vgl. Dissertation von Vera Meyer-Huber S. 129, Anm 20. 4. Geballte Wolken über dem Meer, ö l auf Karton auf Holz. 22,5X30 cm. Vgl. Dissertation von Vera Meyer-Huber S. 129, Anm. 20. »Ich habe ein gut Teil Himmelsmalerei gemacht« (der englische Ausdruck skying ist unübersetzbar); »viele Himmel, Lichteffekte und prächtige Wolken«, schrieb er damals. Die Mehrzahl seiner Wolkenstudien scheint aber 1822 entstanden zu sein, da Constable am 7. Oktober dieses Jahres be-
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richtete: »Ich habe ungefähr fünfzig sorgfältige Himmelstudien gemacht, leidlich groß, um sorgfältig sein zu können.« In früheren Jahren hatte Constable aus diesem Grunde sogar Alexander Cozens (»gänzlich ungeeignete«) zwanzig Stücke von Himmeln (1785) mit Bleistift kopiert. Diese Blätter sind im Besitz des Courtauld Institutes der Universität London. Vgl. Martin Heidegger, Holzwege, Frankfurt a. M. 1950. Der Ursprung des Kunstwerkes, S. 59, 62 ff. Es gibt auch Bleistiftstudien nach Wolken von Constable, im Besitz des Courtauld Institutes der Universität London; sie sind mit Farbnotizen versehen,· nicht bedeutend. Es mag vereinzelte Vorläufer solcher gemalter Motivskizzen aus älterer Zeit geben, ζ. B. Rembrandts kleines Bild eines Wintertages in der Kasseler Galerie. L. C. W. Bonacina, Foreign Secretary to the Royal Meteorological Society, London. Im Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society, Band 63, Nr. 272, S. 483—490, Oktober 1937: John Constable's Centenary: His position as a painter of weather. Gefertigt durch den Stecher David Lucas, um 1830. An George Constable, vom 12. December 1836. F. L. S., M. D. = Mitglied der Linné-Gesellschaft, Doktor der Medizin. Derjenige, welcher als erster auf den Zusammenhang zwischen Constable und Luke Howard hinwies, war ein Sekretär der »Königlichen meteorologischen Gesellschaft^ E. L. Hawke, Berkhamstead. Er schrieb anläßlich des hundertsten Todestages von Constable, am 8. April 1937, in einem Brief an die Times: »Als Constable etwa 26 Jahre alt war, führte Luke Howard F. R. S. die systematische Analyse der Wolkenformen ein, die ihm später durch ein ihm zu Ehren geschriebenes Gedicht Goethes zur Unsterblichkeit verhalf. Sie hat in Hinsicht auf die Namengebung und Grundbegriffe weltweite Annahme gefunden. Howards bahnbrechendes Werk erregte seit etwa 1803 bei der Intelligenz das größte Interesse, und es mag wohl sein, daß Constables intensive Beschäftigung mit >Himmelsbildern< (Skyscapes) ihren Ursprung in dem Studium der Klassifikationen, Beschreibungen und Stiche des berühmten Meteorologen hat.« — Diese Ansicht erfuhr in der Times vom 17. April 1937 eine Ablehnung, indem Lady Newbolt schrieb: »Dürfen wir nicht folgern, daß Constables intensive Beschäftigung mit Himmelsbildern ihren Ursprung darin hat, daß er in seiner Jugend die Pflichten eines Windmüllers zu erfüllen hatte?« Und dabei blieb es. — Was damals unentschieden, in der Schwebe gelassen wurde, hoffe ich endgültig durch die Analyse der Constableschen Wolken zu klären. In dem Briefe von E. L. Hawke (s. o.) wäre nur das Datum der Beeinflussung Constables durch Howard zu berichtigen.
67. Abgebildet bei Sir Kenneth Clark in >John Constable. The Hay WainNatur< mag eine kleine Eigentümlichkeit verständlich werden, von der er gelegentlich spricht: »Ich hatte niemals den Wunsch, Sehenswürdigkeiten zu sehen, und ein herrschaftlicher Park ist mir zuwider. Er ist nicht schön, weil er nicht natürlich ist Wenn er so empfand, war es nicht vielleicht, weil in einem Park der Blick gelenkt wird auf die in bestimmten Lagen, Mustern, Anordnungen festgelegten Rasenflächen, Baumgruppen, Durchblicke und Wege, weil der Himmel hier kaum eine Rolle spielt, nicht einkalkuliert ist und ein bleibender Zustand der Natur vorgespiegelt wird, in dem die Zeit und mit ihi die Geschichtlichkeit unterdrückt ist? 74. Es bedeutet Cirrus: Wolken, gewöhnlich in großer Höhe, die das Bild auseinanderlaufender Fasern oder Streifen bieten, oft Haarlocken oder Wollflocken gleichen. Besondere Abarten sind unter den Namen Katzen- oder Pferdeschwanz bekannt. Cumulus sind Wolken in rundlichen Massen, aufeinandergehäuft und auf einer fast waagerechten Basis aufruhend. Stratus sind Wolken, die aussehen wie ein breites Tuch von ungefähr gleichmäßiger Dichte, die gewöhnlich in niederen Höhen vorkommen. Mit geringen Abänderungen bestehen die von Howard angeführten Namen bis heute fort. Jedoch: zusammengesetzte Namen wie Cirrocumulus zeigten ursprünglich an, daß man diese Wolken für eine Art Kreuzung aus Cirrus und Cumulus hielt; nach dem Stande unserer heutigen Kenntnis wissen wir, daß das nicht der Fall ist, und diese zusammengesetzen Namen dürfen nur als Namen betrachtet werden, die weiter nichts bedeuten. (Nach: Clouds and Weather Phenomena von C. J. P. Cave, früherem Präsidenten der königl. Meteorologischen Gesellschaft, neue Ausgabe, Cambridge 1943.) 75. Eigentum der Königl. Meteorologischen Gesellschaft, London. Früher im Besitz von Mrs. Agnes Fry, Orchard Hill, Brent Knoll, Somerset, aus der Erbschaft von deren Mutter Lady Fry, der Enkelin von Luke Howard, ausgestellt in der >Königlichen Gesellschaft 1844, Burlington House, teils signiert, teilt mit Notizen von Howards Hand.
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76. In seinem Werke: The climate of London, deduced from meteorological observations, London, 1818—1820, 2 Bde., Bd. I, S. XXXII. 77. >Climate of London